Der Schutzanspruch zugunsten Dritter: Unter Berücksichtigung der Pflichtenlehre des Kommissionsentwurfs [1 ed.] 9783428496617, 9783428096619

Im Mittelpunkt steht der Problemkreis Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation. Der Autor versu

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German Pages 204 Year 1999

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Der Schutzanspruch zugunsten Dritter: Unter Berücksichtigung der Pflichtenlehre des Kommissionsentwurfs [1 ed.]
 9783428496617, 9783428096619

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HOLGER SUTSCHET

Der Schutzanspruch zugunsten Dritter

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 226

Der Schutzanspruch zugunsten Dritter Unter Berücksichtigung der Pflichtenlehre des Kommissionsentwurfs

Von Holger Sutschet

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sutschet, Holger: Der Schutzanspruch zugunsten Dritter; unter Berücksichtigung der Pflichtenlehre des Kommissionsentwurfs I von Holger Sutschet. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 226) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09661-4

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand,Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-09661-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Trier im Sommersemester 1998 als Dissertation angenommen. Vielfältigsten Dank schulde ich meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann, der den Anstoß zu der vorliegenden Arbeit gegeben hat und mir in den Jahren, die ich an seinem Lehrstuhl arbeitete, stets ein exzellenter Lehrer, ein scharfsinniger Diskussionspartner und nicht zuletzt ein hervorragender Ratgeber in fachlichen, aber auch persönlichen Fragen war. Herrn Prof. Dr. Mathias Reimann habe ich für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens zu danken. Schließlich möchte ich allen meinen Freunden danken, die mir durch ihren steten Zuspruch durch die schwierigen Phasen der Arbeit geholfen haben, insbesondere meinem Freund Stefan Jakobs und seiner Frau Sonja. Wittlich, im August 1998

Ho/ger Sutschet

Inhaltsverzeichnis § 1. Einleitung .............................................................................................................. 15 § 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation ............. 21

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ............................................... 21 1. Entwicklung und Kategorien des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ............................................................................................ 21

a) Schäden an Leben und Gesundheit .............................................. 22 b) Sachschäden ................................................................................ 23 c) Vermögensschäden ...................................................................... 24 d) Verletzung des Erwerbsinteresses ................................................ 25 2. Rechtsgrundlage ................................................................................ 26 a) Rechtsgeschäftliche Begründung ................................................. 26 (1) Rechtsprechung des Reichsgerichts ....................................... 26 (2) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ............................... 26 b) Objektives Recht. ......................................................................... 28 (1) Teilhabe an fremdem Schuldverhältnis ................................. 28 (2) Eigenes Schuldverhältnis ...................................................... 29 (3) Deliktische Haftung ............................................................... 30 11. Die Drittschadensliquidation .................................................................... 30 1. Fallgruppen ........................................................................................ 30 a) Mittelbare Stellvertretung, Treuhand ........................................... 31 b) Obligatorische Gefahrentlastung ................................................. 32 (1) Versendungskauf ................................................................... 32 (2) Werkvertrag ........................................................................... 32 (3) Vermächtnis, Schenkung ....................................................... 33 c) Obhutspflichten ........................................................................... 33

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Inhaltsverzeichnis d) Abwicklung ................................................................................. 34 2. Ausscheidung der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung ................................................................................................ 35

a) Grundlage: objektiver Schadensbegriff ....................................... 35 b) Grundlage: subjektiver Schadensbegriff ...................................... 36 c) Stellungnahme ............................................................................. 36 3. Rechtsgrundlage ................................................................................ 38

a) Ergänzende Vertragsauslegung .................................................... 38 b) Objektiver Rechtssatz .................................................................. 39

111. Unterschiede und Gemeinsamkeiten ........................................................ 40 1. Unterscheidungskriterien ................................................................... 40 2. Notwendigkeit der Unterscheidung ................................................... 41

3. Austauschbarkeit. ............................................................................... 43 a) Klosterfall .................................................................................... 43 b) Kühlhausfall ................................................................................ 43 c) Lastschriftfall ............................................................................... 45 d) Ergebnis ....................................................................................... 46 4. Gemeinsamkeiten ............................................................................... 46 § 3. Der Schutzanspruch .............................................................................................. 49

I. Die allgemeine culpa-Haftung ................................................................. 49

11. Die Lehre von den SchutzanspTÜchen ...................................................... 52 1. Der unentwickelte Schutzanspruch .................................................... 52 2. Relative und absolute SchutzanspTÜche ............................................. 52 a) Der nicht besonders vereinbarte relative unentwickelte Schutzanspruch ....................................................................................... 54 b) Der besonders vereinbarte relative unentwickelte Schutzanspruch ....................................................................................... 55 3. Schutzanspruch und SchutzpfIicht.. ................................................... 56 4. Schutzanspruch. Erwerbanspruch und Leistungsanspruch ................ 57 III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug ........ 58

1. Notwendigkeit der Fragestellung ....................................................... 58

Inhaltsverzeichnis

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2. Der Schadensersatzanspruch "wegen" Unmöglichkeit ...................... 59 a) Nachträgliche objektive Unmöglichkeit ...................................... 59 (1) Ausbleiben des Erfolges ........................................................ 59

(2) Nichtsetzen geforderten Verhaltens ....................................... 60 (a) Nichtherbeiführung des Leistungserfolges ...................... 60 (b) Verletzung einer Schutzpflicht ........................................ 61 b) Nachträgliches Unvermögen ........................................................ 65 c) Anfängliche objektive Unmöglichkeit.. ....................................... 65 d) Anfängliches Unvermögen .......................................................... 66 (1) §§ 306, 307 BGB analog ....................................................... 67

(2) § 280 BGB analog ................................................................. 67 (3) Garantieversprechen .............................................................. 67 (4) Verweisung des § 440 Abs. 1 BGB auf § 325 BGB .............. 68 (5) Ergebnis ................................................................................. 69 e) Ergebnis ....................................................................................... 69 3. Der Schadensersatzanspruch wegen Verzuges ................................... 71 4. Ergebnis ............................................................................................. 72 IV. Rechtsgrund des Schutzanspruchs ........................................................... 73 1. Rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis .............................................. 73

2. Einheitliches gesetzliches Schutzpflichtverhältnis............................. 73 3. Idealprinzip des neminem laedere ...................................................... 75 4. Keine schuldrechtlichen Schutzansprüche ......................................... 75 5. Stellungnahme ................................................................................... 76 § 4. Der Schutzanspruch zugunsten Dritter............................................................... 80

I. Der Begriff der Leistung i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB .................................. 81 1. Grammatikalische Auslegung ............................................................ 82 2. Systematische Auslegung .................................................................. 83 3. Historische Auslegung ....................................................................... 84 4. Teleologische Auslegung ................................................................... 88 5. Ergebnis ............................................................................................. 89

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Inhaltsverzeichnis 11. Die Klagbarkeit der Leistung ................................................................... 89 III. Anerkannte Fälle des Schutzanspruchs zugunsten Dritter ....................... 90 1. § 434 HGB ......................................................................................... 90 2. Versicherung für fremde Rechnung ................................................... 92 3. Tarifvertragliche Friedenspflicht ....................................................... 92 4. Traufhöhe-Fall ................................................................................... 93 5. § 618 Abs. 3 BGB .............................................................................. 94 IV. Ergebnis ................................................................................................... 94

§ 5. Ergänzende Vertragsauslegung als Methode zur Feststellung des Schutz-

anspruchs zugunsten Dritter ............................................................................... 96 I. Ergänzende Vertragsauslegung im allgemeinen ...................................... 96

1. Funktion ............................................................................................. 96 2. Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht ..................... 97 11. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der ergänzenden Vertragsauslegung ............................................................................................... 101 1. Das Lückenerfordemis ..................................................................... 101 2. Erweiterung des Vertragsgegenstandes ............................................ 102 3. Typizität der Fälle als Ausschlußgrund ........................................... 103 4. Die Auslegung ................................................................................. 104 5. Der Hintergrund der Kritik .............................................................. 105 111. Auslegungsmaßstab ............................................................................... 107 1. § 328 Abs. 2 BGB ............................................................................ 107

2. Kriterien der Rechtsprechung .......................................................... 108 3. Sinn und Zweck des Vertrages ........................................................ 109 § 6. Der nicht besonders vereinbarte relative Schutzanspruch zugunsten

Dritter .................................................................................................................. 110 I. Auslegungsgrundsätze ........................................................................... 110 1. Schutz bestimmter Güter. ................................................................. 111

2. Schutz unbestimmter Güter.............................................................. 114 3. Gastwirthaftung ............................................................................... 119 11. Anwendung auf einzelne Fälle ............................................................... 120 1. Droschkenfälle ................................................................................. 120

Inhaltsverzeichnis

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a) RGZ 87, 64 - Kraftdroschkenfall ............................................... 120 b) RGZ 87, 289 - Klosterfall .......................................................... 120 2. Kühlhausfall - RGZ 170, 246 .......................................................... 122 3. Nitrierofenfall .................................................................................. 123 4. Elbkahnfall ....................................................................................... 124 5. Gasometerfall - RGZ 127, 218 ......................................................... 125 6. Rauchrohröffnungsfall- BGHZ 49,350 .......................................... 127 111. Drittschutz kraft Treu und Glauben ....................................................... 129 1. Nicht hierher gehörende Fälle .......................................................... 129

2. Hierher gehörende Fälle ................................................................... 131 IV. Ergebnis ................................................................................................. 132 § 7. Der besonders vereinbarte relative Schutzanspruch zugunsten Dritter ........ 134

I. Schutz des Vermögens Dritter................................................................ 134 1. Unmittelbare Einwirkung ................................................................ 135 2. Mittelbare Einwirkung ..................................................................... 137 a) Auskunftshaftung ...................................................................... 137 (1) Stillschweigender Auskunftsvertrag .................................... 138

(2) Haftung aufgrund beruflicher Stellung ................................ 139 (3) Rechtsscheinhaftung ............................................................ 142 (4) § 826 BGB ........................................................................... 142 (5) Drittschadensliquidation ...................................................... 143 b) Schutzanspruch zugunsten Dritter ............................................. 144 c) Einzelfälle .................................................................................. 146 (1) Dänischer Konsul ................................................................ 146

(2) Gutachterfall- BGH JZ 1995,306 ...................................... 147 (3) Lastschriftfall - BGHZ 69, 82 ............................................. 151 11. Schutz des Erwerbsinteresses Dritter ..................................................... 154 1. Mittelbare Stellvertretung ................................................................ 155

a) Offene mittelbare Stellvertretung .............................................. 156 b) Verdeckte mittelbare Stellvertretung ......................................... 162 (1) Ist der Hintermann Anspruchsinhaber? ............................... 163

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Inhaltsverzeichnis (a) § 332 BGB .................................................................... 164 (b) § 435 HGB .................................................................... 165 (c) § 166 WG .................................................................... 165

(d) Versicherung für fremde Rechnung. §§ 74 ff. VVG ..... 166 (e) Folgerungen für die mittelbare Stellvertretung ............. 167 (2) BemiBt sich der Schaden nach der Person des Hintermannes? ............................................................................... 170 (a) Keine Beschränkung der Ersatzpflicht .......................... 170 (b) Beschränkung auf objektiven Mindestschaden ............. 171 (c) Stellungnahme ............................................................... 171

2. Der Testamentfall ............................................................................. 173 3. Weitere Fälle .................................................................................... 175 111. Schutz sonstiger Interessen .................................................................... 175 § 8. Einzelfragen ......................................................................................................... 177

I. Probleme der Abwicklung ..................................................................... 177

1. Insolvenzrisiko ................................................................................. 177 2. Doppelte Inanspruchnahme ............................................................. 178 11. Mitverschulden ...................................................................................... 179 111. Haftungsbeschränkungen ....................................................................... 180 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 182 Sachwortverzeichnis .................................................................................................... 201

§ 1. Einleitung Der Grundsatz der Relativität des Schuldverhältnisses besagt, daß Rechte und Pflichten aus dem Schuldverhältnis nur zwischen seinen Parteien entstehen können. Aus der Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis kann aber auch einem Dritten ein Schaden entstehen. Dann stellt sich die Frage, ob der geschädigte Dritte aus dem Schuldverhältnis soll Rechte herleiten können. Als Antwort auf diese Frage hat sich zunächst seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Institut der Drittschadensliquidation herausgebildee. Danach soll es dem Gläubiger erlaubt sein, von dem Schuldner Ersatz des Schadens des Dritten zu verlangen. Eine zweite Antwort hat die Frage durch die Entwicklung des heute sogenannten Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erhaltenz• Bei dessen Vorliegen soll der Dritte einen eigenen Schadensersatzanspruch aus dem Schuldverhältnis gegen den Schädiger haben. Das Nebeneinander von Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wirft zunehmend Probleme auf. Insbesondere ist eine klare Abgrenzung zwischen ihnen bisher nicht gelungen und auch nicht möglich 3• Vor allem fragt es sich aber, wozu es überhaupt zweier Institute zur Beantwortung einer Frage bedarf. Ist es tatsächlich sachgerecht, dem Dritten in manchen Fällen einen eigenen Schadensersatzanspruch zu gewähren und in anderen Fällen auf die Inanspruchnahme des Schuldners durch den Gläubiger zu verweisen? Eine Untersuchung dieser Frage führt zu dem Ergebnis, daß das nicht ,der Fall ist4 • Es ist also nach einer einheitlichen Antwort zu suchen. Lange Zeit hat man geglaubt, es könne keine einheitliche Antwort auf die Frage des Drittschutzes geben. Diese Ansicht beruhte auf der angeblichen Inhomogenität der Drittschadensliquidation. Man glaubte, diese umfasse nicht nur schuldrechtliche, sondern auch deliktsrechtliche Konstellationen. Daher müsse ein allein rechtsgeschäftlicher Erklärungsversuch scheitern. Tatsächlich ist eine deliktsrechtliche Konstellation aber nur bei der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung (Bsp.: Versendungskauf) möglich. Diese Fallgruppe aber ist aufgrund einer Verkennung schadensersatzrechtlicher Grundsätze der Drittschadensliquidation zugeordnet worden. Bei genauer Betrachtung zeigt 1 § 211. 2§21. 3 § 2 III 1-3. 4 § 2 III 4.

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§ 1. Einleitung

sich, daß in diesen Fällen der Gläubiger des Schuldverhältnisses einen eigenen Schaden erlitten hat und nicht statt seiner der Drittes. In den verbleibenden Fallgruppen der Drittschadensliquidation - der mittelbaren Stellvertretung sowie Treuhand- und Obhutsfällen - verletzt der Schuldner stets eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis und verursacht dadurch einen Schaden. Mit der Ausscheidung der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung aus dem Anwendungsbereich der Drittschadensliquidation bezieht diese sich daher - ebenso wie der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - nur noch auf Konstellationen; in denen bereits vor Schadenseintritt ein Schuldverhältnis besteht. Damit ist der Weg zu einer einheitlichen Begründung frei. Die vorliegende Arbeit versucht, alle Konstellationen, in denen Dritte aus einem für sie fremden Schuldverhältnis einen Schadensersatzanspruch erlangen können, unter dem Begriff des Schutzanspruchs zugunsten Dritter zusammenzufassen. Danach steht dem Dritten dann ein Schadensersatzanspruch zu, wenn sich ein Anspruch auf Schutz seiner Rechtsgüter oder Interessen dem Schuldverhältnis entnehmen läßt, das heißt wenn der Schuldner zum Schutz der Güter und Interessen des Dritten verpflichtet ist und der entsprechende .. Schutzanspruch" dem Dritten selbst zusteht. Der Begriff des Schutzanspruchs 6 baut auf der Unterscheidung zwischen Erwerbansprüchen und Schutzansprüchen auf, die erstmals stringent von Hugo Kreß7 entwickelt wurde. Der Erwerbanspruch dient der Verschaffung von Gütern, der Schutzanspruch dient dem Schutz von Gütern und Interessen. Ein Teil der Schutzansprüche sind solche, die dem Schutz absoluter Güter sowie dem Schutz vor schutzgesetzlich verbotenem Verhalten dienen. Diese schon außerhalb des Vertrags bestehenden deliktischen, absoluten Schutzansprüche werden durch den Vertragsschluß auch in vertragliche, relative Schutzansprüche transformiert, ohne daß es dazu einer besonderen Vereinbarung bedürfte. Den anderen Teil der Schutzansprüche bilden diejenigen, welche die Parteien durch besondere Vereinbarung begründen. Dabei können sie beliebige Schutzzwecke verfolgen. Auch das Erwerbsinteresse kann zum Gegenstand eines Schutzanspruchs gemacht werden. Die Untersuchung des Rechtsgrundes der Schadensersatzpflicht des Schuldners im Falle der Unmöglichkeit und des Verzugs ergibt, daß auch in diesen Fällen Rechtsgrund der Haftung die Verletzung einer Schutzpflicht ist8• Daher ist es möglich, daß ein Dritter auch im Falle der Nichterfüllung der Hauptleistungspflicht durch den Schuldner, wenn er dadurch geschädigt wird, einen 5§2II2. § 3.

6

7

ASchuR, §§ 1 und 23.

8§3III.

§ 1. Einleitung

17

Schadensersatzanspruch haben kann, ohne daß ihm der Anspruch auf Erfüllung zustand. Diese Erkenntnis gewinnt Bedeutung für die mittelbare Stellvertretung und den bekannten Testamentsfall, wo es darauf ankommt, ob der Dritte aus der Nichterfüllung einen Schadensersatzanspruch herleiten kann. Die Frage, ob es überhaupt möglich ist, einem Dritten durch Vertrag "nur" einen Schutzanspruch zukommen zu lassen, ist bisher - soweit ersichtlich nicht untersucht worden. Das Reichsgericht ging ohne weiteres davon aus, daß dies im Rahmen des § 328 BGB möglich ist. Der Bundesgerichtshof ging nach Aufgabe dieser Begründung im Anschluß an Larenz davon aus, daß die Parteien auch außerhalb des Vertrags zugunsten Dritter einen "Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte" schließen können. Allerdings ist dieser Wende keine Erörterung des Problems vorausgegangen, ob die Möglichkeit der Begründung von Ansprüchen zugunsten Dritter außerhalb der §§ 328 ff. BGB überhaupt möglich ist. Ebenfalls nicht untersucht wurde die Frage, ob auch ein Schutzanspruch eine "Leistung" im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB darstellt; vielmehr ging der Bundesgerichtshof im Anschluß an Larenz ohne weiteres davon aus, daß "Leistung" in diesem Sinne nur die vertragliche Hauptleistung sei. Eine Untersuchung dieser Frage ergibt, daß auch ein Schutzanspruch eine "Leistung" im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB ist9 • Daher gibt es keinen vom Vertrag zugunsten Dritter verschiedenen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Vielmehr kann durch Vertrag zugunsten Dritter auch ein Schutzanspruch zugunsten des Dritten begründet werden. Anerkannte Beispiele dafür sind die tarifvertragliche Friedenspflicht, die Versicherung für fremde Rechnung und § 434 HGB IO• Ob ein Vertrag eine solche Drittbegünstigung enthält, ist in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach Maßgabe des § 328 Abs. 2 BGB zu untersuchenlI. Die vielerorts gegen eine solche ergänzende Vertragsauslegung geltend gemachten Einwände erweisen sich bei näherer Betrachtung nicht als stichhaltig. Ihnen liegt vielmehr ein "Vorverständnis" zugrunde, wonach der Parteiwille zugunsten einer objektiven Ordnung zurückzudrängen ist. Auch die ergänzende Vertragsauslegung richtet sich an objektiven Kriterien aus, stützt diese jedoch nicht auf eine objektive ("konkrete") Ordnung, sondern auf den mutmaßlichen Willen redlicher Parteien. Die entscheidende Frage lautet daher stets: Hätte der Schuldner sich dem Ansinnen des Gläubigers, dem Dritten einen Schutzanspruch einzuräumen, redlicherweise nicht entziehen können?

9§41. 10 11

§ 4 III. § 5.

2 Sutschet

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§ 1. Einleitung

Diese Frage bedarf einer differenzierten Antwort. Es kommt letztlich stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Es lassen sich jedoch "Faustregeln" für bestimmte Fallkonstellationen aufstellen. Dabei ist zu differenzieren zwischen den nicht besonders vereinbarten Schutzansprüchen, also denen, die dem Schutz absoluter Güter und dem Schutz vor schutzgesetzlich verbotenem Verhalten dienen, einerseits und den besonders vereinbarten Schutzansprüchen, die sonstige Schutzzwecke verfolgen, andererseits. Für den nicht besonders vereinbarten Schutzanspruch l2 ergibt sich dabei, daß er dann einem Dritten zugute kommt, wenn dessen Rechtsgüter nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses der Einwirkung durch den Schuldner ausgesetzt sind (weil er etwa den Dritten befördert oder eine dem Dritten gehörende Sache verwahrt) und der Schuldner im Interesse des Dritten zur Nichtverletzung dieser Güter verpflichtet sein soll. Auf das Verhältnis zwischen Drittem und Gläubiger im Sinne eines personenrechtlichen Einschlags oder einer Verantwortlichkeit des Gläubigers für "Wohl und Wehe" des Dritten kommt es insoweit nicht an. Soweit allerdings der Kontakt des Schuldners mit Gütern des Dritten nicht bereits in dem Schuldverhältnis als solchem angelegt ist, sondern sich erst bei dessen Abwicklung ergibt, muß zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung der Haftung eine Grenze für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages gezogen werden. Hierfür ist das Interesse des Gläubigers an dem Schutz des Dritten ausschlaggebend. Eine Rechtssicherheit schaffende Grenze wird erreicht, wenn man diesen Schutz auf Familienangehörige und Arbeitnehmer des Gläubigers beschränkt. Die besonders vereinbarten relativen Schutzansprüche sind vielfältig; die Parteien können jedes Interesse zu einem inter partes zu schützenden Gut erheben. Besondere Bedeutung haben die Schutzansprüche, die sich auf den Schutz des Vermögens sowie vor unvorteilhaften Vermögensdispositionen und auf den Schutz des Erwerbsinteresses beziehen. Ein Dritter erlangt aus einem fremden Schuldverhältnis dann einen relativen Schutzanspruch zum Schutz seines Vermögens, wenn dieses nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses der Einwirkung durch den Gläubiger ausgesetzt sein soll13 (etwa weil der Geschäftsführer nach dem Inhalt seines Vertrages mit der ihn beschäftigenden GmbH auch dazu verpflichtet ist, die Geschäfte der GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter die GmbH ist, zu führen). Schwieriger ist die Feststellung eines Schutzanspruchs eines Dritten im Bereich des Schutzes vor unvorteilhaften Vermögensdispositionenl 4• Diese Kon12

§ 6.

13 §711. 14

§ 7 I 2.

§ 1. Einleitung

19

stellation begegnet zumeist bei Verträgen mit Banken, Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und öffentlich bestellten Sachverständigen. Unterläuft diesen Schuldnern ein Fehler, wird nicht selten auch ein Dritter davon betroffen sein, der im Vertrauen auf die Sachkunde dieser Schuldner ungünstige Vermögensdispositionen getroffen hat. Auch hier ist das Bestehen oder Nichtbestehen eines Schutzanspruchs zugunsten des Dritten anhand ergänzender Vertragsauslegung zu beantworten. Eine Faustregel läßt sich diesbezüglich nicht aufstellen. Es kommt auf alle erdenklichen Umstände an, etwa, ob dem Schuldner bekannt war, daß seine Tätigkeit Auswirkungen auf den Dritten haben kann; ob der Kreis der möglicherweise betroffenen Dritten abgegrenzt oder unüberschaubar ist; ob der Dritte im Hinblick auf die Leistung des Schuldners bewußt davon Abstand genommen hat, sich selbst eine solche Leistung zu erkaufen. Hingegen ist kein Kriterium die für die Gutachterfälle behauptete Gegenläufigkeit der Interessen zwischen Gläubiger und Drittem, da jeder von ihnen ein ihm günstiges Gutachten wolle. Der rechtlich erhebliche Wille beider ist nämlich auf ein richtiges Gutachten gerichtet, lediglich ihre Hoffnung zielt darauf, es möge ihnen günstig sein. Der vielleicht versteckt dahinter stehende Wille, ein falsches günstiges Gutachten zu erlangen, ist hingegen rechtlich unerheblich ls • Der besonders vereinbarte Schutzanspruch kann auch auf den Schutz des Erwerbsinteresses eines Dritten gerichtet sein. Das wird regelmäßig bei der offenen mittelbaren Stellvertretung anzunehmen sein l6 • Die schuldhafte Nichtleistung oder Spätleistung des Schuldners trifft ersichtlich den Hintermann. Soll er jedoch für sein Fehlverhalten haften, so kann nicht angenommen werden, daß er dem Zwischenmann haften soll, der ja nach der Anlage des Schuldverhältnisses überhaupt nicht der Geschädigte sein kann. Vielmehr ist der Vertrag dahin auszulegen, daß der Schutzanspruch dem Hintermann zusteht. Für den Bereich der verdeckten mittelbaren Stellvertretung17 scheint eine solche ergänzende Auslegung des Vertrages auf den ersten Blick nicht möglich zu sein, da der Schuldner nicht weiß, daß ein Dritter im Spiel ist. Ein Vergleich mit den Regelungen in § 332 BGB, § 435 HGB, § 166 VVG und §§ 74 ff. VVG zeigt jedoch, daß dieses Wissen keine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme eines Vertrages zugunsten Dritter ist. Vielmehr kann die Auslegung des Vertrages dennoch eine Drittbegünstigung ergeben, wenn die Umstände und insbesondere der Zweck des Vertrages dessen Einbeziehung erfordern. Daß der Schuldner für sein Fehlverhalten letztlich Schadensersatz leisten muß, kann nicht bestritten werden. Auch daß diese Leistung letztlich dem Dritten zugute kommt, versteht sich von selbst. Warum sollte also die fehlende 15 16 17

§ 7 I 2 c) (2). § 7 11 1 a). § 7 11 1 b).

20

§ 1. Einleitung

Erkennbarkeit des Drittinteresses einen eigenen Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den Schuldner hindern? Dem Schuldner werden keine zusätzlichen Pflichten auferlegt. Für ihn ist es gleichgültig, ob der Anspruch auf Einhaltung seiner ihm bekannten Pflicht in der Person des Gläubigers oder der des Dritten besteht. Ein Hinderungsgrund für einen eigenen Anspruch des Dritten wäre es, wenn dem Schuldner durch die Einbeziehung des Dritten ein höheres Risiko aufgebürdet würde, insbesondere, wenn der Schaden des Dritten gröBer ist als der Schaden, den der Schuldner bei dem Gläubiger zu erwarten hatte. Begrenzt man den Schadensersatzanspruch der Höhe nach auf den Schaden, den der Schuldner in der Person des Gläubigers zu erwarten hatte, so entfällt jeder Grund dafür, die fehlende Erkennbarkeit des Drittinteresses als Hindernis für einen eigenen Anspruch des Hintermannes anzusehen. Auch in diesen Fällen ist daher der ergänzenden Auslegung des Vertrages die Drittbegünstigung zu entnehmen. Nach der hier vorgestellten Konzeption bedarf es weder des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte noch der Drittschadensliquidation. Alle einschlägigen Fälle lassen sich über den Vertrag zugunsten Dritter lösen und finden in den §§ 328 ff. BGB ihre gesetzliche Verankerung.

§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

und Drittschadensliquidation

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 1. Entwicklung und Kategorien des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wurde entwickelt, um als unbillig empfundene Ergebnisse, welche die strenge Unterscheidung des Bürgerlichen Gesetzbuches zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung mit sich brachte, zu korrigieren. Als Beispiel mag folgender vom Reichsgericht entschiedener Fall dieneni: Der Hausherr H beauftragt den Unternehmer U mit Arbeiten an seiner Gasleitung. Der Geselle G des U zieht aus Fahrlässigkeit eine Überfallschraube nicht richtig an; infolgedessen strömt an dieser Stelle Gas aus. Das Dienstmädchen D des H bemerkt den Gasgeruch und um die schadhafte Stelle ausfindig zu machen, leuchtet sie die Gasleitung mit einem Streichholz ab. Es kommt zur Explosion, bei der D verletzt wird.

In diesem Fall liegt ein Vertrag zwischen dem Dienstmädchen und der ausführenden Firma nicht vor. Demnach wäre die Frau auf deliktische Ansprüche angewiesen. Aufgrund der - im vorliegenden Fall gegebenen - Exkulpationsmöglichkeit des § 831 BGB mußte ein deliktischer Schadensersatzanspruch gegen die Firma verneint werden. Wäre hingegen nicht das Dienstmädchen, sondern der Hausherr selbst verletzt worden, so hätte die Firma diesem gegenüber das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen über § 278 BGB zu vertreten gehabt; eine Exkulpation wäre nicht in Betracht gekommen. Außer dem bereits erwähnten Unterschied zwischen § 831 BGB und § 278 BGB differieren der vertragliche und der deliktische Anspruch auch noch in weiteren Punkten2 : RGZ 127, 218 (leicht abgewandelt). Wegen dieser weiteren Unterschiede ist die Annahme v. Caemmerers (ZHR 127, 276), der Mißbrauch des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter werde mit einer Reform der Gehilfenhaftung verschwinden (ebenso Wegener, Drittschadenshaftung, S. 105 ff.), verfehlt; zutreffend MKJRoth, § 242 Rdz. 186; Thiele, JZ 1967, 649; Canaris, FS Larenz (1983), S. 87; Schwerdtner, JURA 1980,496. Gegen eine Reform des § 831 BGB Böhmer, VersR 1963,914 f.; ders., JR 1963,134 f.; ders., JR 1957, 15 f. I

2

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

Beweislast: Nach § 823 BGB muß der Geschädigte beweisen, daß der Verletzer schuldhaft gehandelt hat. Im Falle der Vertrafsverletzung wird analog § 282 BGB die Beweislast für das Verschulden umgekehrt . Verjährung: Nach § 852 BGB verjährt der deliktische Schadensersatzanspruch nach drei Jahren; die Frist läuft ab Kenntnis von Tat und Täter. Der vertragliche Schadensersatzanspruch verjährt grundsätzlich erst nach 30 Jahren, § 195 BGB 4•

Der deliktische Schutz des § 823 Abs. 1 BGB ist auf die dort aufgeführten Güter beschränkt, umfaßt also insbesondere nicht das Vermögen. Der vertragliche Schadensersatzanspruch kennt keine solche Beschränkung.

Über die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte wird die schuldrechtliche Schadensersatzpflicht des Schuldners ausgedehnt auf Dritte, die in gleicher Weise wie der Gläubiger durch die Vertragsabwicklung gefährdet werdens oder deren Kontakt mit der Leistung (sog. Leistungsnähe) nach dem Inhalt des Vertrages vorgesehen ist6•

a) Schäden an Leben und Gesundheit

Diese Voraussetzungen wurden zunächst bejaht bei Beförderungsverträgen, wenn ein Dritter zusätzlicher oder alleiniger Fahrgast war7, für Behandlungsverträge, wenn ein Dritter der Patient war", bei Mietverträgen, wenn ein Dritter mit dem Gläubiger in Hausgemeinschaft lebte und durch Mängel der Mietsache 3 Der Geschädigte hat den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß nachzuweisen, der Schädiger das Fehlen der inneren Sorgfaltspflichtverletzung; Raape, AcP 147 (1941), 217 ff.; Staudinger/Löwisch, § 282 Rdz. 17 ff.; Soergel/Wiedemann, Vor § 275 Rdz. 527 ff.; dazu BGH v. 2.07.1996 - JZ 1997,358. 4 Der BGH erkennt eine Funktion des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter darin, denjenigen zu helfen, die ihren Schadensersatzanspruch aus Delikt haben verjähren lassen: "Diese seit langem von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter wird nicht zuletzt gerade dann herangezogen, wenn der verletzte Dritte seine nach den §§ 823 ff. BGB gegebenen Schadensersatzansprüche hatte verjähren lassen" (BGHZ 56, 269 (271)). Demgegenüber weist Böhmer (MDR 1960, 808; MDR 1962, 345; VersR 1962, 518) darauf hin, daß der Dritte in diesen Fällen nicht besonders schutzwürdig sei. Kritisch auch v. Caemmerer, FS Wieacker, S. 316; Kreuzer, JZ 1976, 781. S Gernhuber, FS Nikisch, S. 270; Evans-von Krbek, VersR 1978,907. 6 Blomeyer, ASchuR, § 42 IV 3 (S. 259). Ablehnend Oertmann, LZ 25 (1931), 205 f.; E. Wolf, Besonderes Schuldrecht, S. 356 ff.; Ziegler, JuS 1979, 328 ff.; Soergel 10/Reimer Schmidt, Vor § 328 Rdz. 17 spricht sich dafür aus, statt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte die Drittschadensliquidation anzuwenden. 7 RGZ 87, 64 f.; RGZ 87, 289, 292 f.; BGHZ 24,325,327. 8 RG v. 04.06.1915 - Warn 1915, 306, 307 f.; RG v. 29.04.1918 - Warn 1918, 171; BGHZ 1, 383, 385 f.; 76, 259, 261 f.; 89, 263, 266; 106, 153, 162.

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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zu Schaden kam9, sowie für Arbeitnehmer, die im Betrieb des Arbeitgebers aufgrund schlechter Leistungen des Vertragspartners des Arbeitgebers verletzt wurden 10• In diesen Fällen verhielt es sich zumeist so, daß der Gläubiger dem Dritten zu Schutz und Fürsorge verpflichtet war, sei es als Eltern gegenüber dem Kind, sei es als Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer. Das führte zu der Vorstellung, die Verpflichtung des Gläubigers zu Schutz und Fürsorge, seine Verantwortung für Wohl und Wehe gegenüber dem Dritten sei Voraussetzung dafür, daß der Dritte einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner haben könne. In ähnlicher Weise wie ein Tatbestandsmerkmal hat diese Voraussetzung Eingang gefunden in Rechtsprechung und Literatur in Gestalt der Begriffe "Gläubigerinteresse" und ,,personenrechtlicher Einschlag". Schon in den früh entschiedenen Fällen der Beförderung Dritter ist aber deutlich geworden, daß es hier auf das Innenverhältnis zwischen Vertragspartner und Drittem nicht ankommen kann l1 ; entscheidend ist vielmehr, daß der Dritte seine Person unmittelbar dem Risiko der fehlerhaften Leistungshandlung (Beförderung, Reparatur etc.) aussetze 2•

b) Sachschäden

Die Rechtsprechung wurde bald ausgedehnt auch auf Fälle von Sachschäden Dritter. BSp.13: Eine Frau betrieb ein Schallplattengeschäft in angemieteten Räumen. Die Ladeneinrichtung gehörte ihrer Schwester. Infolge einer schadhaften Rauchrohröffnung wurde das Inventar bei einem Brand zerstört. Die Schwester verlangte von dem Vermieter Schadensersatz.

Der Bundesgerichtshof gab der Klage unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte statt und führte dazu aus, es sei nicht einzusehen, weshalb ein in den Schutzbereich einbezogener Dritter zwar Ersatz seiner Körperschäden aus eigenem Recht verlangen können sollte, dagegen wegen erlit-

RGZ 91,21,24 f.; 102,231,232 f.; RG v. 21.02.1921 - Warn 1921, 114 f. RGZ 127, 218; BGH v. 21.09.1955 - BB 1955, 1107 f. 11 Näher unten § 6 11 1. Für Unverzichtbarkeit eines "personenrechtlichen Einschlags" aberSchwerdtner, JURA 1980,498. 12 RGZ 98, 210; MKJGottwa/d, § 328 Rdz. 89; Soergel/Hadding, Anh § 328 Rdz. 32; Weimar, DAR 1972, 67. 13 BGHZ 49,350 =JZ 1968, 304 =VersR 1968, 375. 9

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

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tener Sachschäden auf einen ihm erst abzutretenden Anspruch aus Drittschadensliquidation angewiesen sein würde l4.

c) Vermögensschäden Schließlich wurden auch Fälle einbezogen, in denen Dritte Vermögensschäden erlitten l5. BSp.16: Ein Baustofflieferant belieferte einen Bauunternehmer in laufender Geschäftsbeziehung mit Kalksandsteinen und zog den Kaufpreis jeweils im Lastschriftverfahren ein; dabei wurden ihm die Beträge jeweils von seiner Bank unter Vorbehalt des Eingangs der Lastschrift von der Schuldnerbank gutgeschrieben. Als der Bauunternehmer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, löste seine Bank eine Lastschrift nicht mehr ein, schickte sie aber auch nicht unverzüglich zurück. In der Zwischenzeit belieferte der Lieferant den Unternehmer weiter; mit den Forderungen aus diesen Lieferungen fiel er im Konkurs des Unternehmers aus. Daraufhin begehrte er von der Schuldnerbank Schadensersatz mit der Begründung, wenn diese die nicht eingelöste Lastschrift unverzüglich zurückgesandt hätte, so hätte er diese letzten Lieferungen nicht mehr oder nur gegen Sicherungen getätigt. Der Bundesgerichtshof sah in dem Vertrag zwischen der Gläubigerbank und der Schuldnerbank einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und gab der Klage statt. Allerdings liegt in solchen Fällen eine besondere Beziehung zwischen dem Gläubiger und dem Dritten derart, daß jener für dessen "Wohl und Wehe" verantwortlich oder ihm zu Schutz und Fürsorge verpflichtet wäre, typischerweise nicht vor. Der Bundesgerichtshof führte im Anschluß an v. Caemmerer17 dazu aus, die dahingehende bisherige Rechtsprechung dürfe nicht dahin mißverstanden werden, daß durch das Wohl-und- Wehe-Erfordernis die rechtlichen Grenzen für die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages bezeichnet werden sollten; die Parteien könnten vielmehr den Schutzbereich auf jeden beliebigen Dritten erstrecken l8 . Die Auffassung des Bundesgerichtshofes, auch Vermögensschäden seien ersatzfähig, ist allerdings niemals von ihm begründet worden. Vielmehr beschränkt sich das Gericht zur Stützung dieser Auffassung auf das Zitat eigener Entscheidungen. Letztlich soll die Auffassung im Rauchrohröffnungsjall19 und

14 15 16 17 18 19

BGHZ 49, 350, 355. BGH v. 24.02.1954 - NJW 1954, 874. BGHZ 69, 82. FS Wieacker (1978), S. 316 f. BGH NJW 1984, 355 f.; BGH JZ 1985,952; ebenso BGH JZ 1997, 359. BGHZ 49, 350.

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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im Testaments/al/zo begründet worden sein. Die erste angezogene Entscheidung beschränkt sich auf die Aussage, auch Sachschäden seien ersatzfähigZI • In der zweiten Entscheidung stand nicht die Schädigung des Vermögens, sondern einer bloßen Erwerbsaussicht in Redezz ; zudem wurde gerade offengelassen, ob überhaupt ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vorliegfl.

d) Verleln4ng des Erwerbsinteresses BSp.Z4: Ein dem Tode geweihter Mann, der einen Sohn und eine Tochter hat, möchte seine Tochter zur Alleinerbin einsetzen. Er beauftragt einen Rechtsanwalt unter Darlegung seines Wunsches, möglichst bald mit einem Notar zu ihm zu kommen, damit er ein entsprechendes Testament erstellen könne. Trotz mehrfacher Aufforderungen kommt der Rechtsanwalt nicht; der Mann stirbt, ohne ein Testament erstellt zu haben.

Der Bundesgerichtshof gab der Klage der Tochter, die lediglich Miterbin geworden war, gegen den Rechtsanwalt auf Schadensersatz statt. Von den unter c) angeführten Fällen der Vermögensschädigung unterscheidet sich dieser Fall insoweit, als nicht der Bestand des Vermögens der Tochter beeinträchtigt wurdezs, sondern ihr Interesse am alleinigen Erwerb des väterlichen Vermögens vereitelt wurdeu . Auch dieses Erwerbsinteresse eines Dritten kommt also als schutzfähiges Drittinteresse in Betracht. Ebenfalls hierher gehört der Fall, daß die in einer Scheidungsvereinbarung zugunsten der Kinder des Ehegatten begründeten Ansprüche infolge Formnichtigkeit des Vertrages nicht zur Entstehung gelangenz7 •

zo BGH NJW 1965, 1955. ZI BGHZ 49, 350, 355. zz Dazu Lorenz, JZ 1995,321. Z3 BGH NJW 1965,1956. Z4 BGH Urt. v. 06.07.1965 - NJW 1965, 1955. zs Insoweit unklar BGH NJW 1965, 1957; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 22; Berg, MDR 1969, 616; Erman/H.P. Westermann, § 328 Rdz. 16; SoergellHadding, Anh § 328 Rdz. 2; StaudingerlJagmann, Vorbem. zu §§ 328 ff. Rdz. 98; Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S. 62 f.; Martiny, JZ .1996, 22; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 420f. U Zutreffend Lorenz, JZ 1995, 321; v. Caemmerer, FS Wieacker, S. 322; R. Zimmermann, FamRZ 1980, 100 f.; Winter/eid, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 217 f.; Reihlen, Haftung von Rechtsanwälten, S. 72ff. Z7 BGH v. 11.01.1977 - NJW 1977, 2073 f.; weiter der Fall BGH v. 13.06.1995 DB 1995, 1854.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

2. Rechtsgrundlage

a) Rechtsgeschäftliehe Begründung (I) Rechtsprechung des Reichsgerichts

Das Reichsgericht stützte den Anspruch des Dritten auf § 328 Abs. 1 BGB28 • In einem Fall, in dem ein Arzt einen Kassenpatienten durch unsachgemäße Behandlung schädigte, vertragliche Beziehungen aber nur zwischen der Krankenkasse und dem Krankenhaus bestanden, gab es der Klage des Patienten gegen das Krankenhaus statt und führte dazu aus29: "Bei dieser Sach- und Rechtslage fordert der Zweck der Verträge zwischen den Krankenkassen und Krankenanstalten geradezu gebieterisch die Auslegung in dem Sinne, daß den unterzubringenden Versicherten ein Rechtsanspruch auf die nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft gebotene Behandlung zustehen soll. Ob sich die Beteiligten bei der Eingehung des Vertrags dieser Tragweite ihrer Vereinbarungen bewußt geworden sind, ist unerheblich. Dem Vertragszweck im Sinne von § 328 Abs. 2 BGB. ist die Bedeutung eines objektiven Maßstabs für die Ermittlung des Vertragsinhalts beizumessen, so daß alle Verabredungen als vom Vertragswillen umfaßt gelten müssen, welche die Parteien getroffen haben würden, wenn sie sich die aus dem Zwecke zu entnehmenden Verpflichtungen vergegenwärtigt hätten."

(2) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof übernahm diese Rechtsprechung zunächseo, gab jedoch aufgrund der Kritik von Larenz31 die Auffassung auf, es handele sich um einen Vertrag zugunsten Dritte~2; der Schuldner sei in solchen Fällen nämlich mcht verpflichtet, an den Dritten zu leisten, wie § 328 BGB es voraussetze. Statt dessen spricht er seither von einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, der von einem Vertrag zugunsten Dritter versc.hieden seP3. Ob ein Vertrag mit 28 RGZ 87, 64; 91, 21; 98, 210; 102, 231; 127, 218; RG Warn 1915, 306; 1918, 171; 1921, 114; RG JW 1919,820. 29 RG Urt. v. 04.06.1915 - RG Warn 1915,306,308. 30 BGHZ I, 383; 2, 94; NJW 1954, 874; BB 1955, 1107; NJW 1956, 1193; JZ 1961,169. 31 NJW 1956, 1193 f.; s. auch Köpcke, BB 1955, 1107. 32 BGH NJW 1959, 1676. 33 Vgl. aber wiederum neuerdings BGH v. 13.06.1995 - NJW 1995, 2551, 2552 = DB 1995, 1854, wo § 328 BGB ohne einschränkenden Zusatz wie etwa "vgI." zur Begründung der Schutzrechte Dritter angezogen wird.

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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Schutzwirkung für Dritte vorliege, sei anhand der Parteivereinbarung zu ermitteln, bei fehlenden Anhaltspunkten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung34 • Danach soll im Zweifel die Vereinbarung des Drittanspruchs angenommen werden, wenn35 der Dritte sich in ,,Leistungsnähe" befand, der Gläubiger für "Wohl und Wehe" des Dritten Verantwortung trug und diese Umstände dem Schuldner erkennbar waren. In neueren Entscheidungen wird zudem eine ,,schutzbedürftigkeit" des Dritten gefordert, die dann fehlen soll, wenn der Dritte bereits eigene vertragliche Ansprüche hat36 • In dem Merkmal der Schutzbedürftigkeit kann allerdings eine echte Voraussetzung nicht gefunden werden. In einigen anerkannten Fallgruppen ist es nämlich möglich, daß der Geschädigte einen eigenen vertraglichen Anspruch gleichen Inhalts gegen den Gläubiger hatl 7, insbesondere wenn der Gläubiger dem Dritten nach § 618 BGB verpflichtet ist. Im Gasometerja1l38 hat das Reichsgericht zur Begründung des Anspruchs des Dritten gegen den Schuldner die Erwägung herangezogen, der Gläubiger habe ein Interesse am Schutz derjenigen Personen, denen er nach § 618 BGB selbst zum Schadensersatz verpflichtet sei. In neueren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof offengelassen, ob die Rechtsgrundlage des Anspruchs des Dritten in der vertraglichen Vereinbarung oder in objektivem Recht zu sehen istl9• Ist der Gläubiger dem Dritten nicht zu Schutz und Fürsorge verpflichtet, so soll dennoch ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vorliegen, wenn besondere Anhaltspunkte in der Gestaltung oder Anlage des Schuldverhältnisses für die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages sprechen. Den Vertragspartnern stehe es nämlich frei, auch solche Dritte in den Schutzbereich des Vertrages einzubeziehen, die kein personenrechtliches Verhaltnis mit 34 BGHZ 56, 269, 273; BGH v. 09.10.1968 - NJW 1969, 41; 18.06.1968 - NJW 1968,1929,1931; 23.06.1965 - NJW 1965, 1757, 1758; 02.07.1996 - BB 1996, 2009; Odersky, NJW 1989, 4; SoergellHadding, Anh. § 328 Rdz. 6; StaudingerlJagmann, Vorbem. zu §§ 328 ff. Rdz. 102; PalandtlHeinrichs, § 328 Rdz. 14; v. Caemmerer, FS Wieacker, S. 316 f.; Bydlinsld, JBI 1960, 359; Söllner, JuS 1970, 163; Dahm, JZ 1992, 1168; Dickes, Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, S. 53 ff.; Zunft, AcP 153 (1954), 386 ff.; ders., MDR 1960, 543 ff.; Amo Lang, WM 1988, 1001 f.; Poil, Die Haftung der freien Berufe, S. 105 f.; Weimar, VersR 1960, 777 f.; ders., DAR 1977,67; Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 93 ff. 35 Zu den Voraussetzungen s. BGH v. 15.05.1959 - NJW 1959, 1676 f.; 29.09.1959 - VersR 1959, 1009, 1010. 36 BGHZ 70, 327; BGH v. 16.06.1987 - NJW 1987, 2510, 2511; 13.02.1990 - NJWRR 1990, 726, 727; 28.04.1994 - NJW 1994, 2231; 20.03.1995 - NJW 1995, 1739, 1747 m. Anm. Altmeppen; 02.07.1996 - BB 1996, 2009, 2010; zuletzt lehrbuchartig BGH JZ 1997, 358. 37 Vgl. Haase, JR 1978,286; Krause, JZ 1982,18. 38 RGZ 127, 218. 39 BGHZ 66,51,56 f.; 70, 327, 330.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

dem Gläubiger verbindet4O • Insoweit erkennt der Bundesgerichtshof die Rechtsgrundlage des Anspruchs des Dritten eindeutig in der vertraglichen Vereinbarung.

b) Objektives Recht

Gegenüber diesem rechtsgeschäftlichen Ansatz wird in der überwiegenden Literatur die Auffassung vertreten, der Anspruch des Dritten entspringe nicht dem Willen der Vertragsparteien, sondern habe seine Grundlage in objektivem Recht.

(1) Teilhabe an fremdem Schuldverhältnis

Gernhuber41 zufolge ist der Dritte nicht Gläubiger in einem eigenen Schuldverhältnis, sondern nimmt aufgrund objektiven Rechts an dem fremden Schuldverhältnis teil, wenn dieses inhaltlich drittbezogen ist: .. Das fremde Schuldverhältnis nimmt ihn als Annex in sich auf"42. Rechtsgrundlage dieser Teilhabe sei deren gewohnheitsrechtliche Geltung 43 •

40 BGH v. 26.11.1986 - VersR 1987, 262, 264; 19.03.1986 - VersR 1986, 814, 815; 23.01.1985 - JZ 1985, 951, 952; 02.11.1983 - NJW 1984, 355. 41 FS Nikisch, S. 269; ders., SchuVerh, § 21 11 6 f (S. 529 f.); ders., JZ 1962, 555; ebenso Schütz, Schadensersatzansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, S. 198; Ebke/Fechtrup, JZ 1986, 1114; einschränkend Bayer, JuS 1996, 477, der zwar davon ausgeht, daß Inhalt und Umfang des Drittschutzes sich nach dem jeweiligen Schuldverhältnis richten, aber von Fall zu Fall entscheiden will, ob die Dritthaftung durch die konkrete Ausgestaltung des Schuldverhältnisses eingeschränkt wird. 42 FS Nikisch, S. 269; Frost, Vorvertragliche und vertragliche Schutzpflichten, S. 238. 43 So auch Blomeyer, ASchuR, § 42 IV 3 (S. 259); Schiemann, in: Deutschffaupitz (Hrsg.), Haftung der Dienstleistungsberufe, S. 146; Stuckart, Drittersatzansprüche, S. 71 ff.; dagegen Soergel/Hadding, Anh § 328 Rdz. 8; StaudingerlJagmann, Vorbem. zu §§ 328 ff. Rdz. 100; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 38 ff.; Niemann, Dritte als Ersatzberechtigte, S. 17; Winterfeld, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 52 ff.; Kümmeth, Die dogmatische Begründung, S. 109 ff.; Lübbe, Vertragsschutz Dritter, S. 14 ff.; Haecker, Zur Einbeziehung von dritten Personen, S. 37 ff.; Ziegltrum, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, S. 143 ff.

I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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(2) Eigenes Schuldverhältnis Die neuere, von der überkommenen Dogmatik gelöste Literatur sieht den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als ein gesetzliches Schuldverhältnis an44 , das seine Grundlage in einer richterlichen Rechtsfortbildung45 gern. § 242 BGB46 habe47 • "Gesetzlich" soll es insofern sein, als es seine Grundlage nicht in dem Willen der Vertragsparteien habe, vielmehr unabhängig davon zustande komme48 • In Weiterentwicklung der Idee des faktischen Vertrags im Sinne Haupts49 nimmt eine Literaturmeinung an, es bestehe ein gesetzliches Schutzverhältnis aus gesteigertem sozialen KontaktSO, das Grundlage des Anspruchs eines nicht am Schuldverhältnis beteiligten Dritten sei51 . Nach anderer AuffasHohloch, JuS 1977,304. Zu deren (Un)Zulässigkeit vg!. jüngst Hillgruber, JZ 1996, 118 ff. 46 Demgegenüber hält J. Schmidt (bei Staudinger, § 242 Rdz. 1456) den Rückgriff auf § 242 BGB zur Begründung einer konkreten Entscheidung für nicht erforderlich. Ein solcher Rückgriff sei nichtssagend, konkrete Einzelfragen dürften aus ihm auf keinen Fall abgeleitet werden, da man sonst mit rein begriffsjuristischen Argumenten operieren würde. Gegen die Heranziehung des § 242 BGB auch Gemhuber, SchuVerh, § 21 11 6 b (S. 527 f.); Johlen, Schutzansprüche Dritter aus Verträgen, S. 42 ff.; Lübbe, Vertragsschutz Dritter, S. 49; EbkeIFechtrup, JZ 1986, 1114. 47 Esser/Schmidt, SchuR 1/2, § 34 IV 2 (S. 251 ff.); Canaris, Bankvertragsrecht, Rdz. 21; Gemhuber, SchuVerh, § 21116 d (S. 529); Fikentscher, SchuR, Rdz. 260; Larenz, SchuR I, § 17 11 (S. 227); Erman/H.P. Westermann, § 328 Rdz. 12; JauerniglVollkommer, § 328 Anm. III 1 c; MKlGottwald, § 328 Rdz. 80; MKlKramer, Ein!. v. § 241 Rdz. 26; HonselVWieling, Fälle mit Lösungen, Fall 4 111 c (S. 29); Berg, JuS 1977,363; Ries, JA 1982,457; Musielak, Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten, S. 38; ders., VersR 1977, 976 f.; Kümmeth, Die dogmatische Begründung, S. 219 ff.; Haecker, Zur Einbeziehung von dritten Personen, S. 42 ff.; Ziegltrum, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, S. 152 ff.; Schütz, Schadensersatzansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, S. 141; Steinmeyer, DB 1988, 1052; Stimpel, AG 1986, 119; Martiny, JZ 1996, 21; Bastein, Zur Drittwirkung von Verträgen, S. 87 ff.; Eic/cmeier, Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen, S. 171; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 41 ff.; Winteifeld, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 62 ff.; Reihlen, Haftung von Rechtsanwälten, S. 88 f.; Niemann, Dritte als Ersatzberechtigte, S. 17 f.; KP. Esser, Haftung des Wirtschaftsprüfers, S. 44 f.; Papanikolaou, Schlechterfüllung beim Vertrag zugunsten Dritter, S. 29 ff.; Traugott, Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, S. 83; Räcke, Haftungsbeschränkungen zugunsten und zu Lasten Dritter, S. 50 ff. 48 Canaris, JZ 1965,479 f.; Strauch, JuS 1982, 826. 49 FS Siber 11, S. 1 ff.; Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, S. 141; EnnecceruslLehmann, SchuR, § 35 I 1; vg!. auch Wieacker, ZAkDR 1943, 33 ff.; dagegen Gemhuber, FS Nikisch, S. 268; Lorenz, FS Nottarp, S. 83; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 62 f. so Dölle, ZStaatsW 103 (1943),67 ff. SI Esser/Schmidt, SchuR 1/2, § 34 IV 2 b (S. 252 ff.); Ries, JA 1982,457; Strauch JuS 1982, 826; AKlDubischar, § 328 Rdz. 15; Schwerdtner, Jura 1980, 495; Berg, 44 45

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

sung gründet sich dieses gesetzliche Schuldverhältnis auf in Anspruch genommenes und gewährtes Vertrauen52 • Evans-von Krbek53 nimmt demgegenüber zwar auch ein eigenes, aber nicht gesetzliches Schuldverhältnis, sondern ein "rechtsgeschäftsanaloges "Schuld"verhältnis" an.

(3) Deliktische Haftung Demgegenüber findet sich bei Lorenz54 die Auffassung, indem der Schuldner seine vertraglichen Pflichten dem Gläubiger gegenüber verletze, begehe er dem Dritten gegenüber ein Delikt und sei ihm nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn die vertragliche Pflicht auch seinen Schutz bezweckte55 • Auch eine neuere Lehrmeinung ordnet die Fälle des Integritätsschutzes Dritter dem Deliktsrecht zu, stellt dabei aber nicht auf die Verletzung vertraglicher Pflichten ab, sondern begründet die Ersatzpflicht über ein erweitertes "Sonder-Deliktsrecht"56.

11. Die Drittschadensliquidation 1. Fallgruppen Die Drittschadensliquidation soll dann vorliegen, wenn sich ein Schaden in zufälliger und unbilliger Weise von dem Gläubiger auf einen Dritten verla-

MDR 1969, 615; ders., JuS 1977, 363; Hohloch, JuS 1977, 304; W.-D. Lange, Abgrenzung, S. 110 ff.; dagegen Gemhuber, SchuVerh, § 21 II 6 c (S. 528 f.); Sonnenschein, JA 1979, 227; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 63 ff. 52 Canans, Bankvertragsrecht, Rdz. 21; MKJGottwald, § 328 Rdz. 81 ff.; Hans StoII, FS Flume I, S. 747; v. Lackum, Verschmelzung und Neuordnung, S. 210 ff.; Diers, Ersatzansprüche Dritter, S. 85 ff. S3 AcP 179, 109 ff. 54 JZ 1960, 112 ff. 55 Dazu Gemhuber, JZ 1962, 554; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 25 f.; Ulmer, JZ 1969, 166 f.; Niemann, Dritte als Ersatzberechtigte, S. 21 f.; Kümmeth, Die dogmatische Begründung, S. 31 ff.; Lübbe, Vertragsschutz Dritter, S. 116 ff.; Stuckart, Drittersatzansprüche, S. 68 ff.; Haecker, Zur Einbeziehung von dritten Personen, S. 41 f. 56 Brüggemeier, AcP 182 (1982), S. 446 ff.

11. Die Drittschadensliquidation

31

gerf7• Eine solche Verlagerung soll vor allem in drei verschiedenen Fallgruppen vorliegen, nämlich bei der mittelbaren Stellvertretung sowie der Treuhand, in Fällen obligatorischer Gefahrentlastung (§§ 447, 644 BGB, Vermächtnis, Schenkung) sowie in Fällen der Verletzung von Obhutspflichten seitens des Schuldners bezüglich einer dem Dritten gehörenden Sache.

a) Mittelbare Stellvertretung, Treuhand

Von mittelbarer Stellvertretung spricht man, wenn jemand in eigenem Namen für fremde Rechnung einen Vertrag abschlieBt. Der Vertrag kommt zwischen dem mittelbaren Vertreter und dem Schuldner zustande, der Hintermann hat Rechte und Pflichten mittels seines Rechtsverhältnisses nur gegenüber dem mittelbaren Vertreter, nicht auch gegenüber dem Schuldner. Verletzt nun der Schuldner eine vertragliche Pflicht, vor allem indem er nicht oder zu spät liefert, so tritt der wirtschaftliche Schaden in der Person des Hintermanns ein, nicht aber in der des Vertragspartners. Ebenso ist bei der Schädigung von Treugut nur der Treugeber wirtschaftlich geschädigt, nicht der Treuhänder. Letzterer soll nach allgemeiner Meinung dazu befugt sein, den Schaden des Hintermanns zu liquidieren58 •

57 Rechtsvergleichend dazu v. Schroeter, Die Drittschadensliquidation in europäischen Privatrechten und im deutschen Kollisionsrecht, 1995. 58 RGZ 58, 39, 42; 62, 331, 334 f.; 90, 240, 246; 93, 39,40; BGHZ 15, 224, 227 f.; 25,250,258; 27, 241, 247; BGH v. 07.08.1959 - DB 1959, 1083; 15.10.1971 - VersR 1972,67,68; 11.03.1976 - JZ 1977,299,301; SoergellMertens, Vor § 249 Rdz. 252; StaudingerlMedicus, § 249 Rdz. 194; MKlGrunsky, Vor § 249 Rdz. 119; PalandtlHeinrichs, Vorbem. v. § 249 Rdz. 115; ErmanlKuckuk, Vor § 249 Rdz. 140; RosenthaVBohnenberg, Anh. § 249 Rdz. 744; RGRKlA(ff, Vor § 249 Rdz. 31; Tägert, Die Geltendmachung des Drittschadens, S. 40 ff.; Regelsberger, JherJb. Bd. 41 (1900),272 ff.; Herrn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 4 (S. 462 ff.); Medicus, JuS 1979, 239; Larenz, SchuR I, § 27 IV 3 (S. 465 f.); Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 144 f.; Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 381 f.; SchlegelbergerlHejermehl, HGB, § 383 Rdz. 34; GK-HGBIKropshojer, § 392 Rdz. 4. Zur Treuhand BGH v. 22.11.1966 - NJW 1967, 930 f.; 09.02.1995 - VersR 1995, 473,475; Coing, Treuhand, S. 175; Schless, Mittelbare Stellvertretung und Treuhand, S. 92 f. Zur Abgrenzung zwischen mittelbarer Stellvertretung und Treuhand Coing, Treuhand, S. 102 f.; Siebert, Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis, S. 108 ff.; Diehle, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, S. 67 ff., der zutreffend darauf hinweist, daß im Hinblick auf die Drittschadensliquidation eine Unterscheidung zwischen mittelbarer Stellvertretung und Treuhand nicht angezeigt ist; beide lassen sich unter dem Oberbegriff der Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung zusammenfassen. Vgl. auch Canaris, FS Flume I, S. 424.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

b) Obligatorische Gefahrentlastung

Von obligatorischer Gefahrentlastung spricht man, wenn der Träger eines Rechtes in diesem Recht verletzt wird, jedoch keine feststellbare Vermögenseinbuße in seiner Person eintritt, weil die Gefahr von einem Dritten zu tragen ist. In diesen Fällen soll der Rechtsträger den Schaden des Dritten liquidieren dürfen59• Diese Konstellation kann in verschiedenen Fällen auftreten:

(1) Versendungskauf

Hat der Verkäufer die Kaufsache einem ordentlich ausgewählten Spediteur übergeben, so geht die Preisgefahr gern. § 447 BGB auf den Käufer über. Verschuldet nun der Spediteur oder ein Dritter den Untergang der Kaufsache, so ist das Eigentum des Verkäufers verletzt. Dieses Eigentum hatte aber für ihn keinen wirtschaftlichen Wert mehr, weil er es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge (ohne die Verletzung) an den Käufer verloren hätte. Der Käufer andererseits muß - in Abweichung von § 323 BGB - wegen des Übergangs der Preisgefahr gern. § 447 BGB den Kaufpreis an den Verkäufer zahlen, ohne Besitz und Eigentum an der Kaufsache jemals zu erhalten. Danach hätte der Verkäufer zwar einen Schadensersatzanspruch wegen Eigentumsverletzung, aber keinen Schaden 60 ; der Käufer hätte einen Schaden, aber mangels Verletzung eines absoluten Rechts keinen Anspruch.

(2) Werkvertrag In Werkverträgen trägt der Werkunternehmer die Leistungsgefahr bis zur Abnahme des Werkes, § 644 BGB. Ist die Wp.rkleistung solcher Art, daß der Besteller bereits vor Abnahme Eigentum an dem Werk erlangt und wird das 59 BGH v. 30.09.1969 - JuS 1970, 199; 14.07.1972 - VersR 1972, 1138, 1139; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rdz. 256; Staudinger/Medicus, § 249 Rdz. 197; Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. § 249 Rdz. 117; ErmanlKuckuk, Vor § 249 Rdz. 142; RosenthaVBohnenberg, Anh. § 249 Rdz. 744; RGRKlA(ff, Vor § 249 Rdz. 31; Kluckhohn, AcP 111 (1914), 424 ff.; Tägert, Die Geltendmachung des Drittschadens, S. 38 ff.; v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 260 ff.; Henn. Lange, Schadensersatz, § 8 II16 (468 ff.). 60 Was freilich auch eine Frage des richtigen Schadens begriffs ist; nach Henle (Schuldrecht I, S. 313) liegt ein Schaden auch noch dann vor, wenn ein anderweitiger Ersatzanspruch zu dessen Beseitigung gegeben ist; dazu Ehmann, Gesamtschuld, S. 273 ff., 303.

11. Die Drittschadensliquidation

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Werk von einem Dritten zerstört, so ist zwar das Eigentum des Bestellers verletzt, jedoch hat er einen Anspruch gegen den Werkunternehmer auf erneute Herstellung. Der Werkunternehmer hat insoweit den Schaden, mangels der Verletzung eines absoluten Rechts61 aber keinen Anspruch62 •

(3) Vermächtnis, Schenkung Hat der Erbe aufgrund eines Vermächtnisses eine Sache an den Vermächtnisnehmer herauszugeben und wird diese Sache durch einen Dritten zerstört, so ist sein Eigentum verletzt, gleichzeitig wird er aber von seiner Pflicht zur Übereignung der Sache gern. § 275 BGB frei. Der Vermächtnisnehmer wiederum hat mangels Verletzung eines absoluten Rechts keinen Schadensersatzanspruch. Entsprechendes gilt für die Zerstörung einer bereits schenkweise versprochenen Sache.

c) Obhutspflichten

Wird zwischen den Parteien ein Vertrag geschlossen. der Obhutspflichten des Schuldners bezüglich einer nicht dem Gläubiger, sondern einem Dritten gehörenden Sache begründet und kommt die Sache durch schuldhafte Pflichtverletzung des Schuldners zu Schaden, so steht der Anspruch aus Vertrag dem Gläubiger ZU63 , während der Schaden - soweit die Sachsubstanz betroffen ist64 dem Eigentümer entsteht. Den Schuldner soll es nicht entlasten, daß statt seines Vertragspartners ein anderer Eigentümer der Sache war65 ; ihm soll nicht die Möglichkeit der sankti-

61 Anders aber BGH v. 09.04.1984 - VersR 1984,584: hat der Werkuntemehmer die unmittelbare Sachherrschaft über den Baustellenbereich, so kann er aufgrund der Verletzung seines Besitzes den Substanzschaden nach § 823 Abs. 1 BGB verlangen, obgleich der Auftraggeber bereits Eigentümer des Werkes geworden ist. 62 Dieser Konstellation nicht gleichgestellt wird der Fall, daß ein Auftragnehmer aufgrund der Regelung des § 6 Nr. 3 VOBIB ohne Anspruch auf Ersatz von Mehrkosten zur Auftragserfüllung verpflichtet bleibt, wenn der Terrninplan wegen des Verschuldens eines anderen Auftragnehmers nicht eingehalten wird (BGHZ 95, 128, 136 gegen OLG FrankfurtlM. v. 26.09.1979 - BauR 1980,570). 63 Der Schaden des Gläubigers kann in dem Entzug des Besitzes an der Sache liegen, soweit dieser für ihn von Verrnögenswert ist. 64 Vgl. dazu Errnan/Ehmann, § 432 Rdz. 33 mwN. 65 Abw. K/uckhohn, AcP 111 (1914),413 ff.

3 Sutschet

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

onslosen Verletzung seiner vertraglichen Pflichten gegeben sein. Deshalb wird dem Gläubiger das Recht eingeräumt, neben seinem eigenen auch den Schaden des Eigentümers zu liquidieren 66 •

d) Abwicklung

Die herrschende Meinung geht davon aus, der Gläubiger könne Leistung an sich verlangen 67 • Zur Vermeidung einer Bereicherung in seiner Person ist dann die Einschränkung erforderlich68 , daß eine Liquidation des Drittinteresses gegen den Willen des Interessenten nicht in Betracht kommt69 • Eine andere Auffassung gewährt dem Gläubiger lediglich das Recht, Leistung an den Dritten zu verlangen 7o • Die beiden vorgenannten Auffassungen geben dem Dritten lediglich das Recht, die Abtretung des Anspruchs von dem Gläubiger zu verlangen 71 • v. Tuhr demgegenüber erkennt daneben auch ein eigenes Klagerecht des Dritten anno

66 RGZ 93, 39, 40 f.; 115, 419, 425 f.; 170, 246, 249 ff.; BGHZ 15, 224, 228 f.; BGH V. 10.05.1984 - NJW 1985, 2411; SoergellMertens, Vor § 249 Rdz. 254; PalandtlHeinrichs, Vorbem. V. § 249 Rdz. 116; Errnan/Kuclcuk, Vor § 249 Rdz. 143; RosenthaVBohnenberg, Anh. § 249 Rdz. 254; RGRKlA(ff, Vor § 249 Rdz. 31; Tägert, Die Geltendmachung des Drittschadens, S. 42 ff.; Henn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 7 (S. 471 ff.); Larenz, SchuR I, § 27 IV 2 (S. 464 f.). 67 Schmidt-Rimpler, Ehrenbergs Hdb. V I, S. 906; Henn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 9 (478); Wienke, Die Schadensliquidation aus fremdem Interesse, S. 64; Rodig, Die Schadens liquidation im Drittinteresse, S. 43; W:-D. Lange, Abgrenzung, S. 52; differenzierend Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 145. 68 Abw. Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens, S. 124 f.: Hat der Gläubiger den Dritten aus Freundschaft in dem gemieteten Wagen mitgenommen, s91J der Gläubiger sich von dem Schuldner eine Abfindung zahlen lassen können für die Ubereinkunft, daß der Dritte nichts erhalten soll. 69 RGZ 58, 39, 43 f.; 90, 240, 247; BGH V. 10.05.1984 - NJW 1985, 2411, 2412; Errnan/Kuclcuk, Vor § 249 Rdz. 137; PalandtlHeinrichs, Vorbem. V. § 249 Rdz. 114; RosenthaVBohnenberg, Anh. § 249 Rdz. 744; Schlegelberger/He[ermehl, HGB, § 383 Rdz. 34; a. A. Krückmann, AcP 139 (1934), 60 f. 70 V. Tuhr, GrünhutsZ Bd. 25 (1898), 582; EnnecceruslLehmann, SchuR, § 17 I 2 g (S. 84); Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens, S. 118; Kunze, Die Haftung des Schuldners, S. 58; Bögemann, Die Verträge zugunsten Dritter, S. 57. 71 Nachweise unten § 7 Fußnote 131. 72 GrünhutsZ Bd. 25 (1898), 581.

11. Die Drittschadensliquidation

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2. Ausscheidung der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung In der Literatur wird zunehmend bezweifelt, daß in den Fällen obligatorischer Gefahrentlastung tatsächlich eine Schadensverlagerung vorliegt. Die Ansatzpunkte zur Verneinung einer Schadensverlagerung sind unterschiedlich.

a) Grundlage: objektiver Schadensbegriff

Eine Auffassung knüpft an § 281 BGB an 73 • Diese Norm setze voraus, daß der Geschädigte einen Anspruch erlangf4• Folglich könne der Anspruch nicht daran scheitern, daß er seinerseits von der Leistungspflicht nach § 275 BGB frei geworden ist. Vielmehr erlange er einen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, den er nach § 281 BGB an den Dritten herauszugeben (abzutreten) habe 75 • Nicht klar zu trennen von dieser Auffassung sind die Literaturstimmen, die zu einem eigenen Schaden des Rechtsinhabers unter Zugrundelegung der Grundsätze der versagten Vorteilsausgleichung gelangen76 • Danach sind solche Umstände aus der Betrachtung auszublenden, die nach ihrer Zweckrichtung den Schädiger nicht entlasten sollen77 • Dazu soll gehören, daß der in seinem Recht Verletzte von anderer Seite einen Ersatz erlangf8• Der dafür entscheidende Umstand wird darin gefunden, daß die Drittbeziehung den

73 Enneccerus/Lehmann, SchuR, § 17 I; Kreß, ASchuR, S. 294; Oertmann, Vorbem. zu § 249/54 Anm. 3 b a; MKlGrunsky, Vor § 249 Rdz. 120; AKlRüßmann, vor §§ 249253 Rdz. 91; Neuner, AcP 133 (1931), 281; Esser/Schmidt, SchuR 1/2, § 34 IV 1 a (S. 248 f.); H.P. Westermann, SchuR AT, § 17 III 2 (S. 134). 74 Nach anderer Auffassung soll dieses Argument einen Zirkelschluß darstellen, Kluckhohn, AcP 111 (1914),428; Berg, MDR 1969,613. 75 Keuk gelangt zu diesem Ergebnis durch die Annahme, die Schadensbetrachtung könne auf einen konkreten Vermögensbestandteil bezogen werden (Vermögensschaden und Interesse, S. 196 f.); Krückmann, JherJb. Bd. 56 (1910),266; vgl. auch dazu Henle (zit. oben Fn. 60). 76 Büdenhender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, S. 77 ff.; ders., JZ 1995,920 ff. 77 Ehmann, Die Gesamtschuld, S. 236; Larenz, SchuR I, § 27 IV (S. 463 f.); so wohl auch Medicus, Unmittelbarer und mittelbarer Schaden, S. 18. 78 Hagen, Drittschadensliquidation, S. 185 ff.; Seih, NJW 1964, 1768 f.; Berg, JuS 1977, 366; ders., MDR 1969, 614; Peters, AcP 180 (1980), 343 ff. Der von Peters (S. 348) vorgenommenen Differenzierung zwischen den Fällen des Übergangs der Preisgefahr einerseits und der Leistungsgefahr andererseits bedarf es nicht, weil in letzteren Fällen die Befreiung von der Leistungspflicht (§ 275 BGB) einen Vorteil darstellt; zutreffend Hagen, Drittschadensliquidation, S. 187.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

Schädiger nichts angehf 9 • Nach beiden Auffassungen bleibt jedenfalls die Befreiung des Rechtsinhabers aufgrund der obligatorischen Gefahrentlastung bei der Berechnung des Schadens außer Betracht.

b) Grundlage: subjektiver Schadensbegriff

Die Lehre vom subjektiven SchadensbegriffBO setzt einen Schritt früher an. Sie löst sich von dem Schadensbegriff Mommsens, wonach die Vermögens lage vor dem schädigenden Ereignis mit der danach bestehenden Vermögenslage zu vergleichen ist81 • Statt dieser rein rechnerischen Betrachtung sei der Schaden unter normativen Gesichtspunkten zu ermitteln. Dabei komme der mit dem betroffenen Vermögensgut verfolgten Zweckrichtung des Rechtsinhabers entscheidende Bedeutung zu. Habe der Rechtsinhaber geplant, das Gut an einen Dritten weiterzugeben, so entstehe ihm durch die Beschädigung oder Zerstörung des Gutes ein Schaden, weil der verfolgte Zweck nicht mehr erreicht werden kann82 •

c) Stellungnahme

Die Drittschadensliquidation in den Fällen obligatorischer Gefahrentlastung stellt sich vor diesem Hintergrund als ..hausgemachtes" Problem dar: infolge des Leugnens eines Schadens des Rechtsträgers muß nach einem Ausweg gesucht werden, um die Schadensersatzpflicht des Schädigers auf anderem Wege zu begründen83• Erkennt man dagegen an, daß der Rechtsträger einen eigenen Schaden erleidet, so stellt sich kein weiteres Problem84 • Hagen, JuS 1970,445; Büdenbender, JZ 1995, 927. Hagen, Drittschadensliquidation, S. 171 ff., im Anschluß an Mertens, Begriff des Vermögensschadens, S. 128 ff., der allerdings selbst die Konsequenzen seiner Auffassung für die Drittschadensliquidation nicht nachvollzieht (S. 224); krit. dazu Hagen, Drittschadensliquidation, S. 187 ff.; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, S. 88 ff. (hinsichtlich der Schenkungs- und Vermächtnisfälle). 81 Allerdings stellte sich für Mommsen selbst das Problem der Drittschadensliquidation in den Fällen der obligatorischen Gefahrentlastung nicht, weil er den Sachwert als Mindestschaden anerkannte; vgl. Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 16 ff.; Reichard, Die Frage des Drittschadensersatzes, S. 9. 82 Vgl. auch dazu Henle (zit. oben Fn. 60). 83 Vgl. Hagen, JuS 1970,443. 84 So schon das römische Recht, vgl. Reichard, Die Frage des Drittschadensersatzes, S.284. 79

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11. Die Drittschadensliquidation

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Der grundlegende Irrtum der Lösung dieser Fälle über die Figur der Drittschadensliquidation liegt darin begründet, daß man glaubt, eine über das Merkmal der "Schadensverlagerung" verbundene eigenständige Fallgruppe gefunden zu haben. Bereits Selb85 hat diese beschränkte Sichtweise durch den Vergleich dieser Fälle mit der Schadensversicherung aufgegeben. Er schreibt: "Der vorzeitige Gefahrübergang versichert den Verkäufer gegen die Transportgefahr"86. Damit ist die Einbettung dieser Fälle (außer dem Vermächtnisfall) in einen größeren Rahmen angedeutet: es geht nicht um das Spezialproblem eines verlagerten Schadens, sondern es geht um die allgemeinere Problematik, daß zwei Schuldner dem Gläubiger dieselbe Leistung zu erbringen haben, dieser die Leistung aber nur einmal erhalten soll. In den richtigen Zusammenhang gestellt und zutreffend gelöst werden diese Fälle von Ehmann87. Er legt dar, daß zwischen dem Schädiger und dem Dritten eine Schutzzweckgesamtschuld besteht88• Der Anspruch des Geschädigten gegen den deliktisch Schädigenden ist ein Schutzanspruch89. Ebenso ist aber auch der vertragliche Anspruch gegen den Dritten kein Erfüllungsanspruch, sondern ein Schutzanspruch: der weggefallene Austauschzweck wird durch den Schutzzweck ersetzt, der Anspruch wird aber weiterhin als Erfüllungsanspruch behandelt (Fiktion)9O. Der gemeinsame Schutzzweck verbindet die Ansprüche zu einer Schutzzweckgesamtschuld. Im Innenverhältnis haften die Gesamtschuldner entsprechend ihrem Verursachungs- und Verschuldensanteil (§ 254 BGB)91; im Innenverhältnis trägt der Schädiger somit in den hier interessierenden Fällen den Schaden alleine. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß es zur Lösung der Fälle der obligatorischen Gefahrentlastung der Figur der Drittschadensliquidation nicht bedarf; diese kann sich von vornherein nur auf die Fälle der mittelbaren Stellvertretung und Treuhand sowie auf die Fälle der Obhutspflichten beziehen.

85 Schadensbegriff und Regreßmethoden, S. 41 ff. 86

NJW 1964, 1768.

87 Die Gesamtschuld, § 8 11 1 e (S. 236).

88 Zur Gruppe der Schutzzweckgesamtschuld gehören alle Schutzansprüche, die einem Gläubiger gegen mehrere Schuldner zum Schutz desselben Rechtsguts zustehen (§ 8, S. 214). 89 Ausführlich zu dem Schutzanspruch unten § 3. 90 § 6 VI (S.I71). 91 § 8 I 3 b (S. 218 ff.),1II 1 (S. 241 f.).

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

3. Rechtsgrundlage a) Ergänzende Vertragsauslegung

Nach einer Auffassung in der Literatur, der auch die Rechtsprechung teilweise gefolgt ist, soll die Möglichkeit der Ersatzpflicht für Drittschäden dann gegeben sein, wenn sie der Parteivereinbarung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung entnommen werden kann 92 • Als Beispiel möge folgender Fall dienen93 : Eine Spedition beauftragte einen Fuhrunternehmer mit dem Transport von Aluminiumschrott von Westberlin nach RöthenbachlPegnitz. Der Fuhrunternehmer führte den Transport mit einem seiner Ehefrau gehörenden LKW durch. Ein Teil der Ladung stammte allerdings nicht - wie von seiten der Spedition eidesstattlich versichert - aus Westberlin, sondern aus der ehemaligen DDR. Deshalb wurde der LKW an der Zonengrenze von Organen der sowjetischen Besatzungszone entschädigungslos eingezogen.

Der Bundesgerichtshof hat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts94 die Ersatzpflicht der Spedition für den Verlust des LKW unabhängig von einer etwaigen Ersatzpflicht des Fuhrunternehmers gegenüber seiner Ehefrau bejaht mit folgender Argumentation95 : ..... so ist ... im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) eine stillschweigende Vereinbarung zwischen den Vertragschließenden anzunehmen, daß die vertragliche Haftpflicht des anderen Teiles den Schutz der dem Vertragszweck dienenden Sache auch dann umfaßt, wenn die Sache einem anderen gehört."

Dabei solle es auch nicht darauf ankommen, ob dem Vertragspartner die Eigentumsverhältnisse erkennbar waren96 ; er müsse seine Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Sache ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse erfüllen97 • Zumindest im Hinblick auf die offenkundige mittelbare Stellvertretung ist die Ersatzpflicht des Schuldners für das Interesse des Dritten teilweise in der

92 BGH Urt. v. 07.08.1959 - DB 1959, 1083; Planck/Siber, § 249 Erl. 6 b; Herrn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 2 (S. 460 f.); Blumenthai, Schadensliquidation, S. 31 ff.; Wienke, Die Schadensliquidation aus fremdem Interesse, S. 45 ff.; Radig, Die Schadensliquidation im Drittinteresse, S. 30 ff.; Kunze, Die Haftung des Schuldners, S. 50 ff.; Zirkel, NJW 1956, 1675; K Müller, AcP 165 (1965),296 f. So auch schon der leading-case der Drittschadensliquidation, OAG Lübeck v. 20.01.1855 - SeuffArch XI Nr. 36 (S. 23, 25). 93 BGH Urt. v. 23.11.1954 - BGHZ 15, 224. 94 RGZ 170, 246 (Kühlhallen). 9S BGHZ 15, 224, 228 f. 96 Ebenso Larenz, FS Nottarp, S. 80. 97 BGHZ 15, 224, 229; ablehnend Staudinger/Medicus, § 249 Rdz. 196; Staudinger/Rath, § 157 Rdz. 67.

11. Die Drittschadensliquidation

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älteren Literatur der Vereinbarung der Parteien entnommen worden98 , zum Teil auch bei Unerkennbarkeit des Interesses des Dritten99 •

b) Objektiver Rechtssatz

Die wohl herrschende Meinung leitet die Drittschadensliquidation daraus ab, daß es ungerecht sei, den Schädiger wegen des Auseinanderfallens von Schaden und Anspruch zu entlasten100• Er habe den Schaden schuldhaft verursacht, deshalb müsse er ersatzpflichtig sein. Es könne ihm nicht erlaubt sein, seine Pflicht sanktionslos zu verletzen. Deshalb sei ein ungeschriebener objektiver Rechtssatz anzunehmen, der seine Ersatzpflicht anordnet lOI • Für den Fall der mittelbaren Stellvertretung wird der Drittschadensliquidation zum Teil gewohnheitsrechtlicher Rang zugesprochen l02 • Sie stelle zudem den konsequenten Ausbau des Rechts der mittelbaren Stellvertretung dar103•

98 Crome, System, S. 76; Hellwig, Die Verträge auf Leistung an Dritte, S. 89; Kunze, Die Haftung des Schuldners, S. 50 ff.; Oberscheidt, Die Schadensforderung aus dem Interesse eines Dritten, S. 21 ff.; Rodig, Die Schadensliquidation im Drittinteresse, S. 28 ff.; in jüngerer Zeit für den bargeldlosen Zahlungsverkehr Hadding, FS Wemer, S. 193 ff. 99 Blumenthai, Schadensliquidation, S. 31 ff. 100 Der "Tummelplatz der Lehrmeinungen" (Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens, S. XIII) soll hier nicht im Einzelnen dargestellt werden; s. dazu ausführlich Hagen, Drittschadensliquidation, S. 10 ff. 101 BGHZ 49, 356, 361; Tägert, Die Geltendmachung des Drittschadens, S. 37; v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 254; MK/Grunsky, Vor § 249 Rdz. 116; HP. Westermann, SchuR AT, § 17 III 2 (S. 133 f.); SchlegelbergerlHejermehl, HGB, § 383 Rdz. 34 ("ohne besondere Rechtsgrundlage"); Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 94 ff.; Diehle, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, S. 80 ff.; W.-D. Lange, Abgrenzung, S. 75 ff.; Zimmermann, NAHR Bd. 1 (1858), 64 ff.; Bögemann, Die Verträge zugunsten Dritter, S. 52. 102 BGH v. 21.05.1996 - NJW 1996, 2734,2735; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 253 ff.; Henn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 4 (S. 464); v. Schroeter, Drittschadensliquidation, S. 28; ders., Jura 1997, 346. Daß Hagen die Möglichkeit der Drittschadensliquidation in den Fällen mittelbarer Stellvertretung anerkennt, erscheint wenig konsequent. Von seinem Ausgangspunkt her (subjektiver Schadensbegriff, s. o. 11 2 b (S. 36» könnte durchaus ein eigener Schaden des mittelbaren Vertreters bejaht werden. Diesen Schritt war demgegenüber konsequent Schmidt-Rimpler gegangen (Ehrenbergs Hdb. V I, S. 904 f.). 103 v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 257; Henn. Lange, Schadensersatz, § 8 III 4 (S. 465); Winter/eid, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 201.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

Diese Ausführungen umschreiben eher die gefundene Situation als daß sie eine Begründung für die Haftung geben lO4 • Regeisberger l05 drückte es so aus: "Bei solcher Betrachtung findet sich unser Rechtsgefühl in hohem Maße verletzt; es fordert, daß die Schlinge um den Schuldigen gelegt werde". Die Bemühung um eine dogmatisch tragbare Begründung ist damit aufgegeben lO6 •

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten 1. Unterscheidungskriterien Vielfach wird behauptet, die Institute ließen sich dadurch unterscheiden, daß im Falle der Drittschadensliquidation eine Schadensverlagerung (Tägert I07) vorliege, während im Falle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte eine Schadenskumulation gegeben sejl08. Eine Schadensverlagerung soll dann vorliegen, wenn sich der Schaden statt bei dem Vertragspartner bei dem Dritten realisiert. Eine Schadensverlagerung ist demnach zu verneinen, wenn der Schaden von vornherein nur bei dem Dritten eintreten konnte lO9 • So liegt es aber regelmäßig in den herkömmlichen Fallgruppen der Drittschadensliquidati-

104 Kritisch zur Billigkeit als Begründungskriterium auch Hagen, Drittschadensliquidation, S. 61 ff. lOS JherJb. Bd. 41 (1900), S. 254. 106 Crome, Die partiarischen Rechtsgeschäfte, S. 305; Mül/er-Erzbach, Die Grundsätze der mittelbaren Stellvertretung, S. 23; W.-D. Lange, Abgrenzung, S. 27; vgl. auch Junker, AcP 193 (1993), 351; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, S. 68 ff.; v. Schroeter, Drittschadensliquidation, S. 29 f. Schon Krückmann wies auf die Aussichtslosigkeit der Bemühungen um eine zwingende konstruktive Rechtfertigung hin (JherJb. Bd. 56 (1910), 245). 107 Zur Geltendmachung des Drittschadens, S. 35 ff. 108 StaudingerlMedicus, § 249 Rdz. 191; ders., Bürgerliches Recht, Rdz. 841; MKlGrunsky, Vor § 249 Rdz. 117; ErmanlKuckuk, Vor § 249 Rdz. 138; MKlGottwald, § 328 Rdz. 96; StaudingerlJagmann, Vorbem. zu §§ 328 ff. Rdz. 114; Herrn. Lange, Schadensersatz, S. 480; Berg, NJW 1978, 2018; ders., JuS 1977,366; ders., MDR 1969, 616; Ries, JA 1982,456,458; Sonnenschein, JA 1979, 230; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, S. 135; Strauch, JuS 1982, 825; H.P. Westermann, SchuR AT, § 17 III 1 (S. 133); Steding, JuS 1983, 32; Keitet, Rechtsgrundlage, S. 141 f. Schütz, Schadensersatzansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, S. 100 ff.; Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S. 10; Gansweid, JA 1978, 123 f.; mit begrifflichen und inhaltlichen Randkorrekturen auch Traugott, Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, S. 75 ff.; krit. zu dieser Unterscheidung Gemhuber, SchuVerh, § 21 I 5 c; ablehnend Winteifeld, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 204. 109 BGHZ 51, 91, 95.

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

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on llO: Im Falle der mittelbaren Stellvertretung treten die Nichterfüllungsschäden von vornherein bei dem mittelbar Vertretenen einllI; im Falle der Obhutspflichten trifft die Substanzschädigung von vornherein nur den Eigentümer1l2• Andererseits braucht in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht notwendig die Möglichkeit einer Schadenskumulation vorzuliegen 113. Übt etwa der Dritte den Gebrauch der Mietsache statt des Vertragspartners aus l14 , so unterliegt nur der Dritte der Gefahr der Verletzung des Körpers aufgrund von Mängeln der Mietsache. Eine klare Abgrenzung der Institute erscheint demnach mit diesem Kriterium nicht möglichllS• Hinsichtlich der Rechtsfolge besteht der auffälligste Unterschied zwischen beiden Instituten darin, daß dem Dritten bei Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ein eigener Schadensersatzanspruch zuerkannt wird, während in den Fällen der Drittschadensliquidation der Gläubiger den Schaden des Dritten soll liquidieren können.

2. Notwendigkeit der Unterscheidung Teilweise wird behauptet, eine Aufhebung der Drittschadensliquidation und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in einem einheitlichen Rechtsinstitut sei nicht möglich, weil die Unterschiede der Institute zu groß seien, um auf einen allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeführt werden zu können 1l6• Diese These beruht auf dem Gedanken, daß die Drittschadensliquidation nicht alleine

Vgl. Lorenz, JZ 1995, 322. Lorenz, JZ 1995, 322; Hadding, FS Wemer, S. 181; Esser/Schmidt, SchuR 112, § 34 IV 1 b (S. 249). 112 Selb, NJW 1964, 1767; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 102 f.; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, S. 67; es kann jedoch auch ein Fall der Mitgläubigerschaft vorliegen, ErmanlEhmann, § 432 Rdz. 33. 113 MKJGottwald, § 328 Rdz. 96; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 113 ff.; Ostrowicz, Vertragshaftung und Drittschutz, S. 14; Winter/eid, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 124 ff.; v. Schroeter, Drittschadensliquidation, S. 15 f.; Bell, Anwaltshaftung gegenüber Dritten, S. 84 f.; anders Hohloch, FamRZ 1977, 533; Staudinger/Reuter, Vorbem. zu § 688 Rdz. 13. lI4 Vgl. etwa BGH Urt. v. 19.09.1973 - BGHZ 61, 227, 233. lI5 Vgl. BGH v. 11.01.1977 - NJW 1977, 2073, 2074; Gemhuber, SchuVerh, § 21 I 5 c; Steding, JuS 1983, 32; Schütz, Schadensersatzansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, S. 104; Hirth, Entwicklung der Rechtsprechung, S. 142. lI6 v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 254 f.; Schütz, Schadensersatzansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, S. 104. lIO

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

Fälle der Verletzung schuldrechtlicher, sondern auch deliktischer Pflichten umfasse 1l7 und somit als das Vertragsrecht und das Deliktsrecht übergreifendes Institut Bestand habe ll8 • Fraglich ist aber, inwieweit das Institut der Drittschadensliquidation tatsächlich auch dann in Betracht kommen kann, wenn es um die deliktische Verletzung einer absoluten Pflicht geht. In den Fällen der Obhutspflichten besteht ex definitione eine relative schuldrechtliche Pflicht zur Nichtverletzung des Gutes. In den Fällen der mittelbaren Stellvertretung kommt - soweit eine Schädigung durch den Vertragspartner in Rede steht - auch nur die Verletzung einer relativen Pflicht in Betracht. Wird hingegen ein in das Eigentum des mittelbaren Stellvertreters übergegangenes Gut, das dieser dem Hintermann herauszugeben hat, durch einen Dritten schuldhaft zerstört, so erleidet der mittelbare Vertreter nach der hier vertretenen Auffassung einen eigenen Schaden1l9 • In Betracht kommt die Liquidation des Drittinteresses nach Verletzung einer deliktischen Pflicht nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation demnach nur bei der Fallgruppe der obligatorischen Gefahrentlastung. Diese Fälle sind aber nach der hier vertretenen Auffassung l20 nicht solche der Drittschadensliquidation; auch hier kann der in seinem absoluten Recht Betroffene einen eigenen Schaden geltend machen 121. Daher beziehen sich - von diesem Standpunkt aus - die Drittschadensliquidation wie auch der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte lediglich auf die Möglichkeit des Ersatzes eines Schadens, den ein Dritter infolge der Verletzung einer relativen Pflicht erleidet. Folglich kann die Möglichkeit, daß die Institute der Drittschadensliquidation und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auf einem einheitlichen Rechtsgedanken beruhen, nicht von vornherein ausgeschlossen werden l22 •

I~ A. A. bereits Kluckhahn, AcP 111 (1914),418 f.

v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 253; Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens, S. 64; Krückmann, AcP 139 (1934), 61 Fn. 26. 119 Oben 11 2 (S. 35 ff.). 120 Oben 11 2 (S. 35 ff.). 121 Anders Junker, AcP 193 (1993),352 ff., der über die Figur des "wirtschaftlichen Eigentums" einen Anspruch des Dritten konstruiert. Diese Konstruktion verstößt gegen den Satz, daß obligatorische Rechte keine sonstigen Rechte LS.d. § 823 Abs. 1 BGB sind (krit. zu diesem Grundsatz jüngst Becker, AcP 196 (1996), 439 ff.); vgl. Ries, JA 1982, 456; Traugatt, Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, S. 47 f. 122 Verfehlt ist es, die Notwendigkeit der Unterscheidung aus den unterschiedlichen Rechts/algen herzuleiten, wie Urban ("Vertrag" mit Schutzwirkung, S. 153 ff.) es tut; die Rechtsfolgen ergeben sich aus der rechtlichen Einordnung, nicht umgekehrt. 118

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

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3. Austauschbarkeit Das Verhältnis der beiden Rechtsinstitute Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation ist stark umstritten l23 ; in fast allen Konstellationen sind die Institute austauschbar l24 , wie folgende Beispiele zeigen mögen:

a) Klosterjall 125 Ein Kloster, in dem ein Zögling erkrankt war, beauftragte einen Fuhrunternehmer damit, einen Arzt zu dem Kloster zu bringen. Infolge fahrlässiger Fahrweise kam der Arzt auf der Fahrt zu Schaden.

Der Vertrag war inhaltlich drittbezogen, weil er gerade den Transport des Dritten zum Gegenstand hatte. Der Arzt alleine war der Gefährdung durch den Transport ausgesetzt. Das war dem Fuhrunternehmer auch erkennbar. Damit könnte ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bejaht werden l26 • Man könnte aber auch sagen, der Schaden trete statt in der Person des Vertragspartners in der Person des Arztes ein; damit liege eine Schadensverlagerung vor, die den Schädiger nicht entlasten dürfe. Dann wären die Grundsätze der Drittschadensliquidation anzuwenden 1Z7 • Nach beiden Sichtweisen wird der Schädiger den Schaden des Arztes zu ersetzen haben, der Arzt wird seinen Schaden ersetzt bekommen. Der Unterschied besteht darin, daß im einen Fall ein eigener Anspruch des Arztes besteht, im anderen Fall der Schaden des Arztes durch das Kloster zu liquidieren ist.

b) Kühlhaus/all Eine Stadt betrieb ein Kühlhaus, in dem einige Metzger ihre Fleischvorräte einlagerten. Die Stadt beauftragte eine Finna mit Renovierungsarbeiten an der Kühlhalle; dabei

Dazu Ries, JA 1982, 458. Lorenz, JZ 1960, 111; ders., JZ 1995, 321 f.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdz. 839; Söllner, JuS 1970, 163; Ries, JA 1982, 458; Herm. Lange. Schadensersatz, § 8 IV (S. 481 f.); Bayer, Der Vertrag zugunsten Dritter, S. 193; Keller, Drittschadensersatz, S. 122 ff. 125 RGZ 87,289. 126 So auch Lorenz, JZ 1960, 111; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 197 Fn. 2. 127 Dazu Lorenz, JZ 1995,321. 123

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

kam es infolge von Fahrlässigkeit eines Gesellen zu einem Brand, bei dem das Kühlhaus mitsamt allen Vorräten abbrannte.

Der Fall kann der Drittschadensliquidation unter der Fallgruppe der Obhutspflichten zugeordnet werden. Die Stadt hat durch das Rechtsgeschäft Obhutspflichten der Firma bezüglich der eingelagerten Sachen begründet. Der Schaden an den eingelagerten Sachen tritt aber statt bei der Stadt bei den einlagernden Metzgern ein. Diese Schadensverlagerung soll den Schuldner nicht entlasten. Daher kann der Stadt nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation die Befugnis zustehen, den Schaden der Metzger zu liquidieren. Die Metzger befanden sich aber auch in "Leistungsnähe" , weil ihre Sachen nach dem Inhalt des Vertrages der Einwirkungsmöglichkeit durch die beauftragte Firma ausgesetzt waren. Die Stadt hat ein Interesse am Schutz der eingelagerten Sachen, was sie durch die Begründung der Obhutspflicht des Schuldners für die Sachen zu erkennen gibt. Teilweise wird darüber hinaus verlangt, dem Schuldner müsse auch erkennbar sein, daß die Sache einem Dritten gehört lZ8 , wobei dann aber geringe Anforderungen an dieses Merkmal gestellt werden. Im Kühlhausfall war dieses Erfordernis jedenfalls erfüllt. Auch die Schutzbedürftigkeit der Metzger war gegeben, weil diese keinen Schadensersatzanspruch gegen die Stadt hatten. Somit könnten auch die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bejaht werden mit der Folge, daß den Metzgern eigene Schadensersatzansprüche gegen die beauftragte Firma zustünden 129. So verwundert es nicht, daß die Zuordnung der Fallgruppe der Obhutspflichten zu dem einen oder dem anderen Institut umstritten ist 130• Beide Auffassun-

IZ8 Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 125. IZ9 SO auch Lorenz, JZ 1960, 111. 130 Für Drittschadensliquidation Staudinger/Medicus, § 249 Rdz. 196; MKiGrunsky, Vor § 249 Rdz. 121; AKiDubischar, § 328 Rdz. 19; Berg, JuS 1977, 364; ders., NJW 1978, 2019; ders., MDR 1969, 616; Henn. Lange, Schadensersatz, S. 471 ff.; Keitel, Rechtsgrundlage, S. 145 ff.; v. Schroeter, Drittschadensliquidation, S. 53; Traugott, Verhältnis von Drittschadensliquidation und vertraglichem Drittschutz, S. 49 f. Für Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Errnan/H.P. Westennann, § 328 Rdz. 14; MKiGottwald, § 328 Rdz. 96; Canaris, JZ 1965, 478 nebst Fn. 27; Peters, AcP 180 (1980), 365; Esser/Schmidt, SchuR I/2, § 34 IV 1 d (S. 250); Strauch, JuS 1982, 826; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 123 ff.; Winter/eid, Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, S. 192 ff.; Gemhuber, JZ 1962, 556, der die Einbeziehung von Sachschäden aber de lege lata mangels gewohnheitsrechtlicher Geltung ablehnt; ebenso ders., FS Nikisch, S. 274. Für beides Staudinger/Jagmann, Vorbem. zu §§ 328 ff., Rdz. 114; Soergel/Mertens, Vor § 249 Rdz. 249; PalandtiHeinrichs, Vorbem. v. § 249 Rdz. 116 und § 328 Rdz. 19.

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

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gen lassen sich mit gleichem Recht vertreten, denn die Voraussetzungen beider Institute liegen vor l3l •

c) Lastschrift/all - Zum Sachverhalt siehe oben I 1 c (S. 24) Der Fall könnte über die Drittschadensliquidation gelöst werden; es liegt eine mittelbare Stellvertretung vor. Die Bank wird im eigenen Namen für Rechnung ihres Kunden tätig. Der Schaden realisiert sich in der Person des Hintermanns statt in der Person des mittelbaren Vertreters. Aus dieser Schadensverlagerung soll die Schuldnerbank keinen Vorteil ziehen. Somit könnte der Gläubigerbank die Befugnis zustehen, den Schaden ihres Kunden zu liquidieren J3Z • Der Kunde befand sich aber auch in Leistungsnähe, weil seine Vermögenssphäre nach der Anlage des Schuldverhältnisses von dessen Abwicklung betroffen werden konnte. Die Bank hat als ständiger Geschäftspartner ihres Kunden ein Interesse an dessen Schutz. Daß eine Bank im Interesse ihres Kunden tätig wird, ist auch jeder anderen Bank erkennbar. Schließlich ist der Kunde schutzbedürftig, weil ihm kein Anspruch gegen die eigene Bank zusteht. Daher liegen auch die "Voraussetzungen" des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte vor. Ähnlich lag der Fall\J3, in dem ein Scheckinhaber einen bestätigten Bundesbankscheck über sein Kreditinstitut im vereinfachten Scheck- und Lastschrifteinzug der Deutschen Bundesbank einziehen ließ und dabei durch die schuldhaft verzögerte Weiterleitung des Schecks durch die Deutsche Bundesbank einen Schaden erlitt. Der Bundesgerichtshof führte dazu aus: "Die Inkassobank zieht zwar den ihr eingereichten Scheck im eigenen Namen, aber für Rechnung des Einreichers bei dem bezogenen Kreditinstitut ein... Insoweit ist das zwischen der Inkassobank und der Beklagten bestehende Auftragsverhältnis ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte."I34 Wie der erste zitierte Satz zeigt, hätte der Bundesgerichtshof ebenso die Grundsätze der Drittschadensliquidation heranziehen können. 131 Hagen (Drittschadensliquidation, S. 199 ff.) leitet den eigenen Anspruch des Dritten aus dem Rechtsgedanken des § 991 Abs. 2 BGB her. Die Konstruktion ist erwägenswert; ihrer bedarf es jedoch nur dann, wenn nicht bereits aus dem Vertrag ein Anspruch des Eigentümers herzuleiten ist (zutreffendPeter.s, AcP 180 (1980), 366 f.); dazu unten § 6. J3Z BGHZ 27,241,247. \J3 BGHZ 96, 9. 1J.4 BGHZ 96, 9, 17.

46

§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

d) Ergebnis

Die These, die Drittschadensliquidation und der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ließen sich klar abgrenzen und seien nicht zumindest partiell austauschbar135, ist demnach nicht haltbar136 •

4. Gemeinsamkeiten Den Fällen ist gemeinsam, daß dem Dritten aufgrund der schuldhaften Verletzung einer schuldrechtlichen Pflicht durch den Schuldner ein Schaden entstanden ist und daß der Schuldner verpflichtet sein soll, für diesen Schaden Ersatz zu leisten. Daß sich trotz dieser grundlegenden Gemeinsamkeit die Institute des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und der Drittschadensliquidation nebeneinander und zunächst scheinbar unverbunden entwickeln konnten, hat seine Ursache vornehmlich in der Fallgruppenbildung durch Tägert: die Einordnung der Fälle der obligatorischen Gefahrentlastung in die Drittschadensliquidation verstellte den Blick auf die Gemeinsamkeit 137 • Erst durch die Ausgliederung dieser nicht zur Drittschadensliquidation gehörenden Fälle ist wieder erkennbar geworden, daß auch in den Fällen der Drittschadensliquidation (mittelbare Stellvertretung und Obhutspflichten) die Ersatzpflicht des Schädigers ihren Grund stets in der Verletzung einer vertraglichen Pflicht hat. Deshalb drängt sich nunmehr die Frage auf, was es rechtfertigt, dem Dritten in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte einen eigenen Anspruch zuzugestehen, in den Fällen der Drittschadensliquidation hingegen zu versagen. Ausscheiden muß von vornherein das Argument, der Schuldner habe sich den Gläubiger als Vertragspartner ausgesucht und brauche sich auch nur mit diesem auseinanderzusetzen l38 ; in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte hat der Schuldner sich seinen Vertragspartner ebenfalls ausgewählt 135 Berg, MDR 1969, 615 f.; ders., NJW 1978, 2018 f.; vgl. aber auch dens., JuS 1977,366 f.; Ostrowicz, Vertragshaftung und Drittschutz, S. 14. 136 Zutreffend AKJRüßmann, vor §§ 249-253 Rdz. 86; Hohloch, FamRZ 1977, 532; Puhle, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und Drittschadensliquidation, S. 115 f. 137 Zutreffend weist Hagen (Drittschadensliquidation, S. 57 f.) darauf hin, daß die "Zweispurigkeit" niemals begründet worden ist. 138 Zimmermann, NAHR Bd. 1 (1858), 60 f.; Schwark, JuS 1980, 782; dagegen Gernhuber, JZ 1962, 554 Fn. 14: "Daß der Schuldner ein Interesse daran hat, ausschließlich dem Gläubiger verpflichtet zu sein, ist ebenso richtig wie gleichgültig."

III. Unterschiede und Gemeinsamkeiten

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und muß sich dennoch mit dem Dritten auseinandersetzen 139• Soweit es um den Ersatz des Interesses des Dritten geht (nicht lediglich um einen auf objektiver Grundlage zu berechnenden Schaden, wie etwa den Marktwert einer Sache), wird sich ohnehin mit seiner Person zu beschäftigen sein l4O • Ein weiterer Grund könnte in einem etwaigen Retentionsinteresse des Gläubigers erblickt werden l41 : der Gläubiger kann bei Leistung des Schadensersatzes an sich selbst diese an den Dritten herauszugebende Leistung zurückbehalten, bis dieser eine dem Gläubiger geschuldete Gegenleistung erbringt; gegebenenfalls kann er auch aufrechnen. Jedoch ist auch dieser Einwand nicht notwendig auf Fälle beschränkt, die herkömmlicherweise der Drittschadensliquidation unterstellt werden. Allgemeiner gesagt ist die Interessenlage bei Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation gleich l4z • Der Schuldner muß Ersatz leisten für den dem Dritten entstandenen Schaden. Der Dritte hat den Schaden erlitten und erhält hierfür Ersatz. Der Gläubiger hat möglicher-, aber nicht notwendigerweise ein Retentionsinteresse an der Leistung. Aufgrund dieser für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und die Drittschadensliquidation gleichen Interessenlage ist nicht ersichtlich, welcher Grund für die Differenzierung auf der Rechtsfolgenseite sprechen könnte l43 • Vielmehr erscheint eine einheitliche Behandlung angebracht zu sein l44 • In diese Richtung wies auch schon die Begründung des Bundesgerichtshofes, weshalb auch Sachschäden nach dem Institut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ersatzfähig seien: Es sei nicht einzusehen, daß ein Dritter wegen 139 Auch bei der Versicherung auf fremde Rechnung kann sich diese Konstellation ergeben; dazu unten § 7 II 1 b (1) (d). 140 Das quod interest hängt - anders als das quanti ea res est - notwendig mit der Person des Geschädigten zusammen, da die gleiche Schädigung bei verschiedenen Geschädigten verschiedene Folgen zeitigt. Es erscheint schon von daher ungereimt, wenn bei der Drittschadensliquidation der Schadensersatzanspruch dem Inhaber des Erwerbanspruchs zustehen, der Schaden aber in einer anderen Person "berechnet" werden soll. Wird durch ein vertragswidriges Verhalten sowohl der Vertragspartner wie auch der Dritte geschädigt, so müßte man zudem annehmen, daß der Schadensersatzanspruch des Inhabers des Erwerbanspruchs teils in seiner eigenen Person, teils in der Person des Dritten berechnet wird. Solches Vorgehen wäre schon mit dem Begriff des Schadens kaum noch zu vereinbaren. 141 So etwa Planck/Siber, § 249 Erl. 6 b; Neuner, AcP 133 (1931), 299; Canaris, FS Larenz (1983), S. 99; Reinhardt, Der Ersatz des Drittschadens, S. 117 f.; Krückmann, AcP 139 (1934), 60 f.; ders., JherJb. Bd. 56 (1910), 303; vgl. auch v. Tuhr, GrünhutsZ Bd. 25 (1898),583. 14Z Zirkel, NJW 1956, 1675. 143 Gemhuber, SchuVerh, § 21 15 c (S. 516); Strauch, JuS 1982, 825. 144 Vgl. Selb, NJW 1964, 1769; Strauch, JuS 1982,825; Junker, Die Vertretung im Vertrauen, S. 23; Zirkel, NJW 1956, 1675.

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§ 2. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und Drittschadensliquidation

Sachschäden auf die Abtretung des Anspruchs aus Drittschadensliquidation angewiesen sein SOll145. Im folgenden soll untersucht werden, ob eine solche einheitliche Behandlung unter dem Gesichtspunkt des Schutzanspruchs zugunsten Dritter möglich ist1046.

145 BGHZ 49, 350, 355; BGH JZ 1997, 358; dagegen Berg (MDR 19fi9, 616), der bei Wahrnehmung vermögens rechtlicher Interessen die Drittschadensliquidation und bei Wahrnehmung persönlicher Interessen den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte anwenden will. Ganz abgesehen davon, daß die Abgrenzung unscharf ist (Peters, AcP 180 (1980), 334 Fn. 11), läßt diese Differenzierung offen, was der innere Grund dafür ist, dem Dritten bei Verletzung seiner Vermögensinteressen einen eigenen Anspruch zu versagen. 1046 Junker (Die Vertretung im Vertrauen im Schadensrecht, 1991) versucht, die Fälle der Drittschadensliquidation und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auf das einheitliche Institut der "Vertretung im Vertrauen" zu stützen. Bereits die Annahme, daß die Schutzansprüche auf der Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens beruhen, ist starken Bedenken ausgesetzt. Daß aber auf eine solche Vertrauenshaftung die Regeln der §§ 164 ff. BGB analog angewendet werden könnten, kann zum einen schon deshalb nicht überzeugen, weil damit verschiedene Institute vermischt würden: die Vertrauenshaftung ist keine rechtsgeschäftliehe Kategorie, der Vertretung also nicht zugänglich. Zum anderen diskreditiert Junker m.E. den eigenen Weg, indem er die Vertretung im Vertrauen unter Anwendung der Grundsätze des Geschäfts, für den, den es angeht auch dann zuläßt, wenn dem Vertragsp'artner die Drittinteressen nicht erkennbar sind (S. 30 ff.). Zwar ist es richtig, daß eine Ahnlichkeit zu dem Geschäft für den, den es angeht, in einigen Fällen gegeben ist und daher ein Anspruch des Dritten zu bejahen sein wird; jedoch kann das keine Frage der Stellvertretung sein, wenn weder eine Stellvertretung noch überhaupt - nach Junkers Ausgangspunkt (Vertrauenshaftung) - ein Rechtsgeschäft vorliegt. Die Gleichgültigkeit des Vertragspartners hinsichtlich der Person des späterhin Geschädigten ist aber ein Umstand, der in die Auslegung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts einfließt, dazu unten § 7 II 1.

§ 3. Der Schutzanspruch I. Die allgemeine culpa-Haftung Die Verfasser des BGB hatten bei der Normierung des Allgemeinen Schuldrechts vor allem die durch die Schuldverträge begründeten Leistungspflichten (Erwerbansprüche) im Auge. Den sinnfälligsten Ausdruck findet diese Erkenntnis in der zentralen Stellung der Unmöglichkeit und des Verzuges im Recht der Leistungsstörungen l • Neben den "eigentlichen" Leistungspflichten, den Hauptleistungspflichten der besonderen Schuldverhältnisse, existieren vielfältige "Nebenpflichten" der Parteien, die unter ebenso vielfältigen Namen wie Verkehrssicherungspflichten, Obhutspflichten, Leistungstreuepflichten, Aufklärungspflichten, Untersuchungspflichten etc. kategorisiert werden. Zum Teil werden diese Pflichten unter dem Begriff der Schutzpj1icht zusammengefaßt; nach anderer Terminologie bilden die Schutzpflichten nur einen Teil dieser "weiteren Verhaltenspflichten" (Larenz 2). Im folgenden wird der Begriff der Schutzpflicht als Oberbegriff für alle diese Pflichten verwendet. Im Hinblick auf diese Pflichten hat Staub seine Lehre von der positiven Vertragsverletzung begründet. Er war der Ansicht, die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches hätten diese Pflichten übersehen; das Gesetz enthalte eine Lücke, indem es keine Sanktion für die Verletzung dieser Pflichten bereithalte3 • Diese Lücke sei durch die analoge Anwendung der §§ 2864 , 3265 BGB zu schließen6 • Demgegenüber ist schon früh dargetan worden, daß die Verfasser diese Pflichten keineswegs übersehen haben. Vielfältige Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches 7 wie auch etliche Stellen der Materialien8 beweisen das Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S. 9. ASchuR, § 2 I (S. 9). 3 Die positiven Vertragsverletzungen, S. 5. 4 Die positiven Vertragsverletzungen, S. 15. 5 Die positiven Vertragsverletzungen, S. 23. 6 Die Widersprüchlichkeit dieser Analogie zu ihren eigenen Voraussetzungen im Hinblick auf Unterlassungspflichten legt überzeugend Kuhlmann, Leistungspflichten, § 8 X 3 c) dar. 7 §§ 122, 179, 307, 548, 549, 583, 624 Abs. 2, 665, 666, 691, 692, 989, 990, 1133, 1220, 1241 BGB etc. I

2

4 Sutschet

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§ 3. Der Schutzanspruch

Gegenteil. Der Fehler der Verfasser lag vielmehr darin, daß sie nicht die allgemeinere Bedeutung dieser Pflichten erkannten9 • Die heute gängige Unterscheidung zwischen Leistungspflichten und Schutzpflichten war ihnen noch nicht bekannt. In der Auseinandersetzung um diese Problematik ist versucht worden, der Nichtbeachtung von Schutzpflichten durch deren Eingliederung in allgemeine Bestimmungen Geltung zu verschaffen. Jury Himmelschein 10 hat die Auffassung vertreten, die Nichtbeachtung von Schutzpflichten sei eine teilweise Unmöglichkeit 11 • Die frühe Rechtsprechung des Reichsgerichts hat demgegenüber § 276 BGB nicht als Definitionsnorm 12 verstanden, sondern als Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Schadensersatz nach Verletzung einer Schutzpflicht herangezogen \3. Diesen Versuchen ist gemeinsam die Erkenntnis, daß die Schutzpflichten nicht übersehen wurden sowie das Bestreben, die Nachlässigkeit des Gesetzgebers im nachhinein dadurch auszugleichen, daß man die Schutzpflichtverletzung einer vorhandenen Norm eingliedertl4 • Im ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (E 1)15 waren die Regelungen der heutigen §§ 242, 276 und 278 BGB in einer einzigen Vorschrift (§ 224 E 1) mit folgendem Wortlaut zusammengefaßt: "Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnis ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht bloß wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit. Die Vorschriften der §§ 708, 709 16 finden entsprechende Anwendung.

Nachweise bei Kreß, ASchuR, S. 580; Heinr. StoII, AcP 136 (1932), 283 Fn. 53. Heinr. StoII, AcP 136 (1932), 277 f.; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S. 10. 10 AcP 135 (1932), 281 ff.; ders., AcP 158 (1959/60), 284 ff. 11 Dafür in neuer Zeit Emmen'ch, Das Recht der Leistungsstörungen, § 2 III (S. 11 f.). 12 Auch für Himmelschein war § 276 BGB nicht eine Definitionsnorm, sondern ordnete die Haftung an. Diese Haftung sei aber nicht gleichbedeutend mit Schadensersatz leisten, sondern ein weiterer Begriff (AcP 135 (1932),270 ff.). 13 RGZ 52,18,19; 53, 200, 201 f.; 62,119,120; 66, 289, 291; 106,22,25 f. 14 Vgl. Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S. 10. Zu diesen Versuchen bemerkte Staub (Die positiven Vertragsverletzungen, S. 15), er ziehe seine Analogie der Hineinzwängung der rechtlichen Vorgänge in das "Prokrustesbett des Gesetzestextes" (Schöller) vor. 15 Zur Entwicklung der culpa-Haftung im damaligen Gesetzgebungsverfahren ausführlich Kuhlmann, Leistungspflichten, § 3 VI-X. 16 Die Vorschriften entsprechen den §§ 827, 828 BGB. 8 9

I. Die allgemeine culpa-Haftung

51

Der Schuldner haftet in Ansehung der Erfüllung wegen des Verschuldens seines gesetzlichen Vertreters sowie wegen des Verschuldens derjenigen Personen, deren er sich zur Bewirkung der Leistung bedient. "

Mit dieser Vorschrift enthielt der erste Entwurf eine Haftungsgrundlage auch für die Verletzung der Nebenverpflichtungen, wie aus den Motiven eindeutig hervorgeht l7 : "Die Vorschrift (§ 224 S. 1), daß der Schuldner verpflichtet sei, die nach dem Schuldverhältnis ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken, könnte als selbstverständlich erscheinen. Es ist jedoch eine ausdrückliche Hinweisung darauf, daß die Verpflichtung ihrem ganzen Umfange nach, insbesondere auch in Ansehung aller Nebenpunkte, zu erfüllen sei, nicht unnötig. Es ist weder dem Gesetze, noch für die Regel dem Geschäftsverkehre möglich, den Umfang und Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben; vollständig läßt sich der Inhalt einer Leistungsverbindlichkeit nur im konkreten Falle erkennen, mittels Auslegung des Gesetzes bzw. des Rechtsgeschäftes, auf dem die Verbindlichkeit beruht (vgl. §§ 73,359 18)."

Im folgenden Verlauf der Beratungen ist die Regelung des § 224 E 1 in einzelne Nonnen (§§ 242, 276, 278 BGB) aufgespalten worden. Diese "Zerstückelung"19 hatte selbstverständlich nicht den Zweck, die Haftung für die schuldhafte Verletzung der Schutzpflichten abzuschaffenzo. Sie ennöglichte aber die später von Staub aufgestellte Behauptung, das BGB enthalte keine Regelung für die Verletzung von Schutzpflichten21 . Richtig ist demgegenüber, daß das BGB eine allgemeine culpa-Haftung enthält, die lediglich wegen der Aufspaltung des § 224 E 1 in einzelne Vorschriften nicht mehr deutlich zutage tritt22 .

17 Motive 11, 26; in Ansehung dieser Ausführungen ist es mir nicht verständlich, warum Heinr. Stoll (AcP 136 (1932), 277) Zweifel daran hatte, daß der Begriff der "vollständigen Leistung" i.S.d. § 224 E 1 mit Himmelscheins Begriff der "in jeder Beziehung präzisen" Leistung identisch ist. 18 Die Vorschriften entsprechen den §§ 133, 157 BGB. 19 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 51. 20 Freitag (S. 20 ff.) erkennt zutreffend, daß der Begriff der Nichterfüllung "im weiteren Sinne" jede Art der Verletzung einer Vertragspflicht umfaßt (S. 21) und daß er in § 240 E I (§ 280 BGB) auch so verstanden wurde (S. 30 f.). Dennoch glaubt Freitag, der Gesetzgeber habe nur das Ausbleiben der Leistungsvomahrne geregelt: "Es erklärt sich dies aus der fehlenden Einsicht in das Wesen der mangelhaften Leistung, der man noch kein Eigenleben gegenüber der Unmöglichkeit bzw. der Nichterfüllung zugestand" (S. 31). Diese zutreffende Aussage belegt das Gegenteil der Ansicht Freitags. 21 Kuhlmann, Leistungspflichten, § 3 XI 1. 22 Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 16 f.; Kuhlmann, Leistungspflichten, § 3 VI-X; Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 50 ff., S. 167 f.

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§ 3. Der Schutzanspruch

11. Die Lehre von den Schutzansprüchen 1. Der unentwickelte Schutzanspruch Eine einheitliche Theorie der Schutzansprüche ist zuerst von Hugo Kreß entwickelt worden23 • Er unterscheidet zwischen Erwerbansprüchen und Schutzansprüchen 1A ; jene stehen im Dienste der Güterbewegung, diese im Dienste des Güterschutzes. Der Schutzanspruch ist grundsätzlich auf die Vermeidung eines verletzenden Verhaltens gerichtetzs. Damit ist er regelmäßig auf ein Unterlassen gerichtetz6 , er kann aber auch auf positives Tun, etwa die Erstattung einer Gefahranzeige, gerichtet sein 27 • Verletzt eine Partei schuldhaft die ihr obliegende Schutzpflicht und entsteht der anderen Partei daraus ein Schaden, so kann diese Schadensersatz wegen der Schutzpflichtverletzung verlangen28 • Vor der Verletzung kann sie aber regelmäßig nicht das die Verletzung vermeidende Verhalten verlangen. Der Schutzanspruch ist vor der Verletzung regelmäßig nicht klagbaf9 • Wegen dieser Eigenart spricht Kreß von einem unentwickelten Schutzanspruch3O • Erst im Falle der Verletzung gelangt der Anspruch zur Entwicklung. Es besteht dann ein entwickelter Schutzanspruch, der auf Wiedergutmachung gerichtet ise l •

2. Relative und absolute Schutzansprüche Der unentwickelte Schutzanspruch kann relativ oder absolut sein32• Der relative Schutzanspruch ist gegen die Partei eines Schuldverhältnisses gerichtee3 , der absolute Schutzanspruch gegen jedermann34• Absolute Schutzansprüche Kreß, ASchuR, §§ 1 und 23. Kreß, ASchuR, S. 1 ff. 2S Kreß, ASchuR, S. 5 f., S. 578. 26 Kreß, ASchuR, S. 579; Köhler, AcP 190 (1990), 509. 27 Kreß, ASchuR, S. 5 f., S. 579 f. 28 Kreß, ASchuR, S. 591. Bei Interessewegfall infolge der Schutzpflichtverletzung kann der Schuldner auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Hauptverbindlichkeit verlangen oder vom Vertrag zurücktreten. 29 Kreß, ASchuR, S. 6, S. 593 ff.; a. A. Motzer, JZ 1983, 886 f.; für Klagbarkeit in weiterem Umfang auch Stürner, JZ 1976,384 ff. 30 Kreß, ASchuR, S. 5 ff., S. 578 ff. 31 Kreß, ASchuR, S. 5. 32 Kreß, ASchuR, S. 4 f. 33 Kreß, ASchuR, S. 5. 34 Kreß, ASchuR, S. 4, S. 578 f. 23

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11. Die Lehre von den Schutzansprüchen

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sind vor allem die Ansprüche auf Nichtverletzung der absoluten Güter des § 823 Abs. 1 BGB. Der Inhaber des absoluten Gutes kann von jedermann die Nichtverletzung verlangen, er ist jedermann gegenüber vor der Nichtverletzung durch den absoluten Schutzanspruch geschützt. In § 823 Abs. 1 BGB verbirgt sich der absolute Schutzanspruch hinter der Hilfsvorstellung des absoluten Rechts3s• Hat jemand einen anderen durch eine positive Handlung unmittelbar in einem absoluten Rechts- oder Lebensgut verletzt, so wird nicht zusätzlich geprüft, ob der Schädiger gegen eine Pflicht verstoSen hat. Hingegen tritt der Schutzanspruch hervor, wenn die Verletzung bloß mittelbar oder durch ein Unterlassen verursacht ist und wird dann "Verkehrspflicht" oder "Verkehrssicherungspflicht" genannt. Der Verstoß gegen eine solche Pflicht ist eine allgemeine Voraussetzung des Anspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB, also auch der unmittelbaren Verletzung durch positives Tun. Es wäre auch denkbar, hier eine Verpflichtung anzunehmen, der kein Anspruch entspricht36 • Dagegen spricht aber, daß auch hier die Rechtsordnung einem Rechtssubjekt eine Machtstellung einräumt, kraft derer der Wille anderer Rechtssubjekte gebeugt wird. So wie die Rechtsordnung dem Käufer gegenüber dem Verkäufer die Macht gibt, die Übereignung zu erzwingen und insoweit den Willen des Verkäufers beugt, so gibt sie jedermann eine Machtstellung bezüglich seiner absoluten Güter, indem sie den Willen der Rechtssubjekte durch Androhung eines Schadensersatzanspruches für den Fall der Verletzung beugtl7 • Im Hinblick darauf erscheint es gerechtfertigt, auch in diesen Fällen von einem Anspruch des Rechtsinhabers auf Nichtverletzung seiner Güter zu sprechen38• Im Rahmen eines Schuldverhältnisses bestehen erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter des anderen Teils. Das rechtfertigt es, von den Parteien auch eine erhöhte Rücksichtnahme zu erwarten39• Die Erhöhung der Pflichtigkeit hat zur Folge, daß den Parteien Pflichten auferlegt werden, die sie ohne die bestehende Sonderverbindung nicht treffen würden, etwa die ErstatKreß, ASchuR, S. 9,11. Siber, Rechtszwang, S. 99 ff.; ders., JherJb. Bd. 50 (1906), 123. 37 Vgl. Siber, Rechtszwang, S. 182; freilich ist die Präventionswirkung durch die Entwicklung der privaten Haftpflichtversicherung abgeschwächt worden (dazu Brüggemeier, AcP 182 (1982),414 f.), was aber durch das Bonus-Malus-System der praktisch wichtigen KfZ-Haftpflichtversicherung wieder abgeschwächt wurde. 38 Wie hier Kreß, ASchuR, S. 5; Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), 107; Henke (Die Leistung, S. 33 ff.) sieht die für den Anspruch nötige Beziehung zwischen dem Unterlassungsgläubiger und -schuldner erst (..schon") mit der ersten, greifbaren Bedrohung gegeben. Mir scheint dadurch eher die Voraussetzung für die Klagbarkeit des Unterlassungsanspruchs umschrieben zu sein. 39 Heinr. StoII, AcP 136 (1932), 288, 298; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 39 f.; Canaris, FS Larenz (1983), S. 88. 3S

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§ 3. Der Schutzanspruch

tung einer Gefahranzeige oder Pflichten zum Schutz des Vermögens des anderen Teils, soweit diese über die §§ 823 Abs. 2, 824, 826 BGB hinausgehen. Aber auch bezüglich der den Parteien ohnehin obliegenden Pflichten (Nichtschädigung absoluter Rechtsgüter) tritt eine Erhöhung der Pflichtigkeit insoweit ein, als sie für die Pflichtverletzung nach den Regeln der §§ 276, 278, 282 BGB haften. Innerhalb der relativen Schutzansprüche läßt sich unterscheiden zwischen solchen Schutzansprüchen, die besonders vereinbart werden und solchen, die auch ohne die Feststellung einer Vereinbarung als Vertragsbestandteil anzusehen sind4O•

a) Der nicht besonders vereinbarte relative unentwickelte Schutzanspruch

Jedem Schuldverhältnis wohnt ein Mindestmaß an zu beachtenden Schutzpflichten inne, die nicht besonders versprochen sind, bei deren Verletzung der geschädigte Vertragsteil sein Interesse an der Nichtverletzung aber dennoch geltend machen kann41 . Anzunehmen ist das hinsichtlich solcher Pflichten, die dem Schuldner ohnehin obliegen, nämlich als absolute Schutzpflichten. Die Nichtverletzung von Leben, Gesundheit und Eigentum des anderen Vertragsteils ist eine Selbstverständlichkeit und bedarf daher unter redlichen Parteien keiner ausdrücklichen Erwähnung, auch keines besonderen Anhaltspunktes in der Vereinbarung; sie werden ipso iure in jeden Vertrag transformiert. Inhaltlich entsprechen diese relativen Schutzansprüche teilweise den absoluten Schutzansprüchen42. Der Unterschied besteht darin, daß der verletzte Teil seinen Schaden nach Maßgabe der für das Schuldverhältnis gegebenen Bestimmungen (nicht .. lediglich"43 nach Deliktsrecht) ersetzt verlangen kann. Die ..Transformation" deliktischer Verhaltensanforderungen in schuldrechtliche Verpflichtungen beruht auf der im Rahmen des Schuldverhältnisses gegebenen erhöhten Einwirkungsmöglichkeit auf die Güter des anderen Teils. Das steigert das Risiko einer Verletzung gerade durch den Vertragspartner des Schuldverhältnisses, macht eine Verletzung durch ihn wahrscheinlicher als eine Verletzung durch ..jedermann". Diese Erhöhung des Risikos rechtfertigt es, der

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Kreß, ASchuR, S. 5, S. 579 ff.

41 Kreß, ASchuR, S. 580 ff. 42 Hohloch, FamRZ 1977, 532; ders., JuS 1977, 305 f.; Soergel/Teichmann, § 242

Rdz.179. 43 Schmerzensgeld kann er nach wie vor lediglich aus § 847 BGB erlangen; § 618 III BGB transformiert jedoch die Drittschadensregelungen der §§ 842-846 BGB ins Dienstvertragsrecht.

11. Die Lehre von den Schutzansprüchen

55

Nichtbeachtung der geforderten Verhaltensweise die Rechtsfolgen entgegenzusetzen, die im Rahmen einer Sonderverbindung bestehen. Zugleich zieht die Einwirkungsmöglichkeit auch die Grenze dieser erweiterten Verantwortlichkeit. Ergibt sich eine Einwirkungsmöglichkeit unabhängig von der Sonderverbindung, so besteht nur ein absoluter Schutzanspruch; etwa, "wenn jemand von dem Fuhrmann, dem er seine Möbel zum Transport übergeben hat, auf der Fahrstraße überfahren wird"44. Darüber hinaus bestehen aber auch erweiterte Pflichten zum Schutz absoluter Güter, also solche, die im Rahmen des § 823 BGß nicht bestehen, z.B. die Pflicht des Verkäufers, auf die Gefährlichkeit der Kaufsache hinzuweisen4s• Selbstverständlich kann der Schutz eines absoluten Gutes auch besonders versprochen werden; das wird etwa beim Verwahrungsvertrag anzunehmen sein. Systematisch gehört der durch den Verwahrungsvertrag begründete relative Schutzanspruch jedoch zu den nicht besonders vereinbarten Schutzansprüchen. Er bestünde nämlich auch dann, wenn die Sache nicht zur Verwahrung, sondern etwa zur Reinigung der Obhut des Schuldners anvertraut würde-46. Die besondere Vereinbarung im Rahmen des Verwahrungsvertrages hat nicht die Funktion, den Schutzanspruch zu begründen, sondern sie hat die Funktion, den Schutzanspruch klagbar zu machen. Ist die Sache zur Reinigung abgegeben, kann der Gläubiger keine ErhaltungsrnaBnahmen vom Schuldner verlangen, sondern nur Schadensersatz im Falle der schuldhaften Beschädigung der Sache aufgrund des Unterlassens gebotener Erhaltungsmaßnahmen. Beim Verwahrungsvertrag hingegen kann der Schuldner die Erhaltungsmaßnahmen selbst verlangen47 •

b) Der besonders vereinbarte relative unentwickelte Schutzanspruch

Daneben gibt es Schutzansprüche, die nur durch besondere Vereinbarung begründet werden können48 • Sie dienen dem Schutz von Interessen, die nicht bereits deliktisch geschützt sind, zum Beispiel dem Schutz des Vermögens vor fahrlässiger Verletzung durch ein Verhalten, das die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 826 BGB nicht erfüllt. Ein solcher Schutzanspruch bedarf der 44 Beispiel von v. Tuhr, s. dazu Heinr. StolI, AcP 136 (1932), S. 298 f. nebst Fn. 91; Johlen, Schutzansprüche Dritter aus Verträgen, S. 13. 4S Koziol, JBl1994, 213. -46 Kreß, ASchuR, S. 5 Fn. 12; StaudingerlReuter, Vorbem. zu § 688 Rdz. 38 ff. 47 Vgl. Kreß, ASchuR, S. 580 Fn. 5, der von einem "gewöhnlichen Anspruch" spricht; "gewöhnlich" ist er insofern, als er nicht unentwickelter Art ist. 48 Kreß, ASchuR, S. 5; S. 579 f.

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§ 3. Der Schutzanspruch

besonderen Vereinbarung, da durch ihn nicht lediglich eine bereits bestehende Pflicht in eine vertragliche Pflicht transformiert, sondern eine neue Pflicht begründet wird49 • Kreß nennt als Beispiel für den besonders vereinbarten Schutz anspruch das vertraglich vereinbarte WettbewerbsverbofO. Schutzgut ist das Interesse des Gläubigers an der fehlenden Konkurrenz durch den Schuldne~l. Der Gläubiger möchte keine Umsatzeinbuße durch die Konkurrenz des Schuldners erleiden. Letztlich dient der Schutzanspruch also dem Erwerbsinteresse des Gläubigers 52 • Es liegt dennoch kein Erwerbanspruch vor, weil der Schuldner nicht den Erwerb versprochen hat, sondern lediglich das Unterlassen von Konkurrenz 53 • Verletzt der Schuldner seine Pflicht zum Unterlassen des Wettbewerbs, so erleidet der Gläubiger dadurch nicht eine Einbuße an seinen bereits erworbenen Gütern, sondern es vermindert sich sein Erwerb. Aufgrund der Pflichtverletzung hat der Schuldner für diesen Schaden einzustehen54• Welche Interessen geschützt sind, bestimmt sich nach der Vereinbarung der Parteien, dem von ihnen verfolgten Schutzzweck. Es gibt keinen numerus clausus der geschützten Interessen. Die Parteien haben vielmehr kraft der Privatautonomie in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB die Möglichkeit, jegliches Interesse zum Schutzgut zu erheben.

3. Schutzanspruch und Schutzpflicht Während Hugo Kreß seine Lehre auf dem Begriff des Schutzanspruchs aufbaute, begegnet in der heutigen Literatur nur der Begriff der Schutzpflicht. Das ist unschädlich, soweit im Zweipersonenverhältnis der jeweils andere Teil zur Nichtschädigung der Güter und Interessen seines Vertragspartners verpflichtet ist. Dann entspricht der Schutzpflicht des jeweiligen Schuldners ein Schutzanspruch des jeweiligen Gläubigers. Anders verhält es sich jedoch, wenn Dritte in die vertragliche Beziehung einbezogen werden. Wird eine Pflicht des Schuld49 Richtig v. Caemmerer, FS Wieacker, S. 321; auf dieser Erkenntnis beruht auch der Satz des BGH, im Falle der Geltendmachung von Vermögensschäden durch Dritte sei ein besonders strenger Maßstab an die Auslegung der Parteivereinbarung anzulegen, BGH v. 18.06.1968 - NJW 1968,1929,1931; 11.01.1977 - NJW 1977, 2073 f. so Kreß, ASchuR, S. 579. 51 Kreß, ASchuR, S. 5. 52 Heinr. StoII, AcP 136 (1932), 305. 53 Konzen (ZfA 1982, 286) nennt das Wettbewerbsverbot einen Grenzfall. 54 Der Schadensersatzanspruch ist auf das negative Interesse gerichtet, da ein positives Interesse bei Unterlassungspflichten grundsätzlich nicht in Betracht kommt; Kuh/mann, Leistungspflichten, § 8 VIII 3.

11. Die Lehre von den Schutzansprüchen

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ners zur Nichtschädigung von Gütern und Interessen des Dritten vereinbart, so fragt es sich, ob der der Pflicht korrespondierende Anspruch in der Person des Vertragspartners oder der des Dritten besteht. Ist also die Frage zu entscheiden, ob ein Dritter einen eigenen Schadensersatzanspruch aus einem für ihn fremden Vertrag herleiten kann, so hilft die Klärung der Frage, ob dem Schuldner eine Schutzpflicht obliegt, alleine nicht weite.-s5; vielmehr muß geklärt werden, ob der Dritte einen Schutzanspruch hat.

4. Schutzanspruch, Erwerbanspruch und Leistungsanspruch Der Schutzanspruch steht im Dienst des Güterschutzes, der Erwerbanspruch steht im Dienst der Güterbewegung. Der Leistungsanspruch demgegenüber kann sowohl ein Erwerbanspruch wie auch ein (entwickelter) Schutzanspruch sein. Ist der Schuldner nach der Verletzung einer Schutzpflicht zum Schadensersatz verpflichtet, so ist der Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz ein Leistungsanspruch56• Dieser Anspruch dient aber nicht dem Interesse des Gläubigers am Gütererwerb, sondern er steht im Dienst des Güterschutzes, da er die erlittene Einbuße kompensieren soll57. Im folgenden wird der Begriff des Leistungsanspruchs vermieden und statt dessen der Begriff Erwerbanspruch verwendet. Beibehalten wird demgegenüber der Begriff der Leistungspflicht, verstanden als Verpflichtung zur Bewirkung eines Gütererwerbs. Zwar wäre es möglich, auch hier statt von Leistungspflicht von "Erwerbpflicht" zu sprechen. Der Begriff "Erwerbpflicht" erweckt jedoch eher die Vorstellung einer Verpflichtung, ein Gut zu erwerben, statt ein Gut zu verschaffen. Die richtigeren Begriffe "Erwerbherbeiführungspflicht" oder "Erwerbverschaffungspflicht" sollen aus sprachästhetischem Grunde vermieden werden.

55 Im Nitrierofenfall (BGH JZ 1997, 358; dazu unten § 6113) hatte das OLG DüsseI dorf den Anspruch des klagenden Dritten hergeleitet aus der Pflicht der Beklagten, das Nitriergut in trockenem, fettfreiem und sauberem Zustand bei dem Vertragspartner, der Firma G., anzuliefern. Richtig bemerkt der BGH dazu: ..Für die Begründung von Schutzpflichten auch zugunsten weiterer Kunden der Firma G. läßt sich daraus wenig ableiten." (aaO, S. 360). 56 Motzer, JZ 1983, 884 ff. 57 Kuhlmann, Leistungspflichten, § 211 2 b) aa).

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§ 3. Der Schutzanspruch

111. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug 1. Notwendigkeit der Fragestellung

Es gibt Fälle, in denen Dritte Schadensersatz von dem Schuldner verlangen, weil dieser den dem Gläubiger versprochenen Gütererwerb nicht oder nicht rechtzeitig herbeigeführt hat. Bekanntestes Beispiel ist der TestamentsJalf3, in dem der Bundesgerichtshof einen Schadensersatzanspruch der Tochter gegen den Rechtsanwalt bejaht hat, weil dieser seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht, die gegenüber dem Vater bestand, nicht rechtzeitig nachgekommen war. Es wird nun die Auffassung vertreten, der Schadensersatzanspruch. der im Falle der Verletzung der Hauptleistungspflicht entsteht, sei nichts anderes als die organische Fortsetzung des Erwerbanspruchs selbst59• Demzufolge könnte ein direkter vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz nur dem zustehen, der auch den Erwerbanspruch hat60 • Danach wäre es nicht möglich, daß am Vertrag nicht beteiligte Dritte, auf die der Erwerbanspruch auch nicht gern. § 328 BGB abgestellt ist, einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Leistungspflicht erlangen61 . Oertmann hielt deshalb auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Beförderungsfällen62 für verfehlt, "weil es nach der richtigen Ansicht einen eigenen Anspruch des Gläubigers auf Sorgfaltsanwendung des Schuldners neben dem Anspruch auf sachgemäße Leistung gar nicht gibt"63. Nach dieser Auffassung wäre auch im Testamentsfall die Klage der Tochter abzuweisen gewesen. Es ist daher zu untersuchen, ob in den Fällen der Verletzung der Hauptleistungspflicht, also bei Unmöglichkeit und Verzug, der Schadensersatzanspruch tatsächlich der Verletzung der Leistungspflicht entspringt oder ob Rechtsgrund Oben§2Ild. Blomeyer, ASchuR, § 28 I 3 (S. 148): "Der Ersatzanspruch ist deshalb als der ursprüngliche Anspruch mit geändertem Inhalt anzusehen" (Herv. im Original); wohl auch Wilburg. JherJb. Bd. 82 (1932), 121 f.; Enneccerus/Lehmann, § 48 I (S. 208); PalandtlHeinn"chs, § 280 Rdz. 1; Meincke, AcP 171 (1971),27 ff.; Titze, Unmöglichkeit, S. 145; dagegen Rabel, FS Bekker. S. 185 ff.; v. Tuhr, AT I, § 16 I 2 (S. 274); SoergellWiedemann, § 280 Rdz. 3; Kuhlmann, Leistungspflichten. § 6 V 7 b). 60 Vgl. Lorenz, JZ 1960, 110; v. Ahle/eldt, Der Vertrag zugunsten Dritter, S. 53 f. 61 Lorenz, JZ 1966, 143. Deshalb handelt es sich auch nicht um einen "müßigen Streit"; so aber Emmen"ch, Das Recht der Leistungsstörungen. § 11 I (S. 131). 62 Dazu oben § 2 I 1 a) und unten § 6 11 1. 63 LZ 25 (1931), 205 (Hervorhebung im Original); ähnlich Hans StoII, FS v. Hippel, S. 525, der hier von einer Leistungspflicht mit Schutzzweck spricht; vgl. auch dens., AcP 176 (1976), 145 ff., 150 Fn. 21; Schopp, ZMR 1962,260. 58

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III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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des Schadensersatzanspruches die Verletzung einer von der Leistungspflicht verschiedenen Schutzpflicht ist64 • Nur in letzterem Falle kann auch ein Dritter, auf den der Erwerbanspruch nicht abgestellt ist, Rechte aus der Nichterfüllung oder Späterfüllung herleiten65 •

2. Der Schadensersatzanspruch "wegen" Unmöglichkeit a) Nachträgliche objektive Unmöglichkeit

Kraft des Erwerbanspruchs kann der Gläubiger von dem Schuldner "die Leistung" verlangen. Die Leistung setzt sich zusammen aus dem Leistungserfolg und der Leistungshandlung. Wird die Herbeiführung des Leistungserfolges unmöglich, so wird der Schuldner von der Verpflichtung zur Leistung frei. Möglicherweise muß er aber Schadensersatz leisten. Fraglich ist, ob diesem Schadensersatzanspruch die Verletzung einer Leistungspflicht oder einer Schutzpflicht zugrunde liegt.

(1) Ausbleiben des Erfolges

Sieht man die Leistungspflicht darin, den geschuldeten Erfolg herbeizuführen, so kann die Verletzung der Leistungspflicht nur in der Nichtherbeiführung des geschuldeten Erfolges liegen. Die Nichtherbeiführung des Erfolges aber ist unabhängig davon, auf welchem Grund die Nichtherbeiführung beruht66 • So kann der Verkäufer den Erfolg nicht herbeiführen, wenn die Kaufsache durch Zufall untergegangen ist; ebenso, wenn er die Kaufsache zerstört hat. In beiden Fällen bleibt der Erfolg aus. Schadensersatz schuldet der Schuldner grundsätzlich aber nicht, wenn die Zerstörung der Kaufsache auf Zufall beruht. Das Ausbleiben des Erfolges ist als solches nicht der zum Schadensersatz verpflichtende Grund67 • Durch die Erhebung des Verschuldens zur Voraussetzung des

64 Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Schutz- und Leistungspflicht für die Fälle mit Drittbezug hebt auch Kuhlmann (Leistungspflichten, § 10 VII 2 a» hervor. 65 Vgl. Gemhuber, SchuVerh, § 2 III 3 b (S. 17). 66 Kuhlmann, Leistungspflichten, § 411. 67 Dieser Satz kann selbst dann nicht bestritten werden, wenn man das Ausbleiben des Erfolges als solches als rechtswidrig ansieht; vgl. Esser, JZ 1963, 490.

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§ 3. Der Schutzanspruch

Schadensersatzanspruches68 wird vielmehr auf ein Verhalten des Schuldners abgestellt69 •

(2) Nichtsetzen geforderten Verhaltens Ist das Ausbleiben des Erfolges nicht der Grund für die Schadensersatzverpflichtung, so kann dieser nur in dem Verhalten des Schuldners begründet liegen. Fraglich ist also, ob das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten als Verletzung einer Leistungs- oder einer Schutzpflicht zu verstehen ist. (a) Nichtherbeiführung des Leistungserfolges

Will man den Schadensersatzanspruch auf die Verletzung der Leistungspflicht stützen, so müßte man das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten in der Nichtherbeiführung des Leistungserfolges sehen. Die Nichtherbeiführung des Leistungserfolges ist aber nicht per se eine Pflichtverletzung7o• Zwar ist der Schuldner zur Herbeiführung des Leistungserfolges verpflichtet; er kann es aber unterlassen, dieser Verpflichtung nachzukommen, ohne sich schadens68 Völlig unverständlich ist mir die Auffassung Jakobs' (Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 223), der Gläubiger könne, wenn die Leistungspflicht nicht mehr besteht, Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, ohne daß es auf ein Verschulden ankäme, denn ein sorgfaltswidriges Verhalten sei immer nur als Nichterfüllung zu begreifen. Selbst wenn man annimmt, daß jedes sorgfaltswidrige Verhalten immer nur als Nichterfüllung zu begreifen sei, so bedeutet das doch nicht umgekehrt, daß auch jede Nichterfüllung per se ein sorgfaltswidriges Verhalten darstellt. Zu dieser Auffassung könnte man nur dann gelangen, wenn man die Pflichtwidrigkeit bereits als Voraussetzung für die Nichterfüllung begreift. Nach Jakobs soll aber die Leistungspflicht nur dann entfallen, wenn die Leistung nicht mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erbracht werden kann (S. 210). Wenn aber das Fehlen einer Pflichtwidrigkeit Voraussetzung für das Entfallen der Leistungspflicht ist, so kann die Nichterfüllung der danach entfallenen Leistungspflicht nicht mehr per se pflichtwidrig sein. Angesichts dieses offenkundigen Widerspruchs erscheint es möglich, daß das von Jakobs tatsächlich Gemeinte hier nicht korrekt wiedergegeben wird; jedoch kann ich seinen "überaus komplizierten" (Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), 92 Fn. 43) Ausführungen keinen anderen Bedeutungsgehalt entnehmen (Empfängerhorizont; vgl. auch Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 40: "Es mag sein, daß ich mich seinerzeit nicht deutlich genug ausgedrückt habe. "). 69 Vgl. Wieacker, FS Nipperdey, S. 795: "Die Rechtsfolgen der Nichtleistung werden in unserer Rechtsordn\lng nicht vom Ausbleiben der Leistung, sondern von den Verhaltenspflichten des Schuldners her bestimmt"; MKlKramer, § 241 Rdz. 5; Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 51 ff., 54; EhmannIKley, JuS 1998,481. 70 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 172.

III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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ersatzpflichtig zu machen, etwa weil er die Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend machen kann oder weil ihm ein Zurückbehaltungsrecht zustehe!. Auch wenn die Leistung infolge eines nicht von ihm zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden ist, unterläBt er die Herbeiführung des Leistungserfolges, ohne sich schadensersatzpflichtig zu machen72 • Gleiches gilt aber auch dann, wenn die Leistung infolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird. Zerstört der Verkäufer die Kaufsache, so macht er sich die Erfüllung unmöglich. Durch die Zerstörung der Kaufsache aber hat es der Verkäufer nicht unterlassen, den Leistungserfolg herbeizuführen; im Zeitpunkt der Zerstörung der Kaufsache hat der Verkäufer die Herbeiführung des Leistungserfolges ebenso unterlassen wie unmittelbar davor und unmittelbar danach. Das Unterlassen der Herbeiführung des Leistungserfolges ist insoweit also unabhängig von der Zerstörung der Kaufsache. Die Zerstörung führt lediglich dazu, daß der Schuldner die Herbeiführung des Leistungserfolges auch in der Zukunft notwendigerweise unterlassen wird. Demnach ist auch die Nichtherbeiführung des Leistungserfolges nicht der Grund für die Schadensersatzverpflichtung des Schuldners73 • (b) Verletzung einer SchutzpJlicht

Anknüpfungspunkt des Schadensersatzanspruches ist deshalb ein von der Nichtherbeiführung des Leistungserfolges verschiedenes Verhalten des Schuldners. Im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit kann dieses Verhalten darin liegen, daB der Schuldner die Unmöglichkeit herbeigeführt hat. Der Verkäufer etwa setzt durch sein Verhalten, das in einem Tun (Zerschlagen der Vase) oder Unterlassen (mangelnde Sicherung der Vase) liegen kann, eine Bedingung dafür, daB der Erfolg auch in der Zukunft nicht mehr herbeigeführt werden kann. In diesem Fall haftet er nicht, weil er die Kaufsache nicht übereignet, sondern weil er sie zerstört hat. Die Nichtübereignung der Kaufsache ist die notwendige Folge der Zerstörung der Kaufsache74 • Die Schadensersatzverpflichtung trifft 71 Wegen dieser Möglichkeiten ist die Auffassung von Jakobs (Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 222) abzulehnen, die Nichterfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit sei per se pflichtwidrig. 72 Aus diesem Grund ist die Begriffsbildung des Kommissionsentwurfs, der unter "Pflichtverletzung" auch das Nichtherbeiführen des Leistungserfolges als solches verstehen will, unrichtig; dazu unten (5) (S. 70). 73 Kuh/mann, Leistungspflichten, § 4 III 1 a); a. A. Westhel/e, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 54 ff. 74 Vgl. Kuh/mann, Leistungspflichten, § 4 II11 a).

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§ 3. Der Schutzanspruch

den Schuldner nur dann, wenn er sich nicht richtig verhalten hat. Nicht richtiges Verhalten liegt aber nicht bereits in der Nichterfüllung (der Hauptleistungspflicht) selbst. Es setzt voraus, daß der Schuldner gegen eine von der Leistungspflicht verschiedene weitere Pflicht verstoBen hat, etwa die Pflicht, die Kaufsache ordentlich zu verwahren 75 • Das aber ist keine Leistungspflicht, weil sie nicht auf Mehrung der Güter des Käufers ausgerichtet ist. Auch kann der Verkäufer die Kaufsache unordentlich verwahren. Er verletzt damit zwar seine Schutzpflicht, jedoch entsteht kein Schadensersatzanspruch, wenn die Sache trotzdem nicht untergehf6• Schließlich kann der Gläubiger auch nicht ordentliche Verwahrung der Kaufsache von dem Schuldner verlangen. Das zeigt, daß es sich bei der Pflicht des Verkäufers, die Kaufsache ordentlich zu verwahren, um eine Schutzpflicht hande1t77 • Ein weiteres treffliches Beispiel findet sich bei Löwisch78 : "Das Kind einer Künstlerin erkrankt vor deren Auftritt schwer. Eine verläßliche Aufsicht läßt sich nicht finden. Die Künstlerin bleibt bei ihrem Kind und versäumt den Auftritt." Hier schuldet die Künstlerin keinen Schadensersatz, weil ihr die Leistungserbringung nicht zumutbar ist; sie verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn sie bei ihrem Kind bleibf9 • Jedoch wird die Künstlerin dann Schadensersatz leisten müssen, wenn das Kind bereits mehrere Tage krank war und die Künstlerin sich dennoch nicht um eine Aufsicht für das Kind für die Zeit der Leistungserbringung bemüht hat. Auch in diesem Fall verhält sie sich nicht deshalb pflichtwidrig, weil sie bei ihrem Kind bleibt, sondern weil sie sich nicht um eine Aufsicht bemüht hat80• Zumindest für den Fall der Herbeiführung der Unmöglichkeit durch den Schuldner liegt deshalb dem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nicht die Verletzung der Leistungspflicht selbst, sondern die Verletzung einer von dieser Pflicht verschiedenen Schutzpflicht (Erhaltungspflicht) zugrunde81 •

75 "Unselbständige Erhaltungspflicht" im Sinne von Planck/Siber, Vorbem. III B 1 (S. 20 f.); Vorbem. zu §§ 275-292, III 1 b a. aa (S. 185). Daß hier zwei verschiedene Ansprüche vorliegen, nimmt auch Medicus (SchuR I, Rdz. 424) an; ebenso Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 205 ff.; Löwisch, AcP 165 (1965),433,442. 76 Zur Problematik der Anwendung der Unmöglichkeitsvorschriften bei der Verletzung von Unterlassungspflichten, die zu keiner Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses geführt haben, vgl. Kuhlmann, Leistungspflichten, § 8 X 4 b). 77 AKlDubischar, § 241 Rdz. 6; anders noch Kreß, ASchuR, S. 580 Fn. 8. 78 AcP 165 (1965),431. 79 Löwisch, aaO. 80 Löwisch, aaO. 81 So auch hinsichtlich der nachträglichen objektiven Unmöglichkeit Wieacker, FS Nipperdey, S. 802; Löwisch, AcP 165 (1965),442; vgl. auch Evans-von Krbek, AcP 179 (1979),105.

III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß der Schuldner im Falle des Verzugs auch für die durch Zufall eintretende Unmöglichkeit haftet, § 287 S. 2 BGB. Die Ersatzpflicht tritt nämlich dann nicht ein, wenn der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein würde. Damit aber muß die Unmöglichkeit Folge des Verzugs des Schuldners sein, damit die Ersatzpflicht eintritt. Voraussetzung ist also, daß die Sache dann nicht untergegangen wäre, wenn der Schuldner rechtzeitig geleistet hätte. Damit aber stellt sich auch in diesem Fall die Unmöglichkeit als Folge eines Verhaltens des Schuldners dar, nämlich der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung82 • Hätte der Schuldner rechtzeitig geleistet, so wäre die Sache nicht untergegangen. Daher ist der Verzug Ursache der Unmöglichkeit. Der Schuldner haftet nicht "für Zufall", sondern er haftet dafür, daß sein Verzug die Unmöglichkeit verursacht hat. Wie unten83 zu zeigen sein wird, stellt auch der Verzug nicht die Verletzung einer Leistungs-, sondern einer Schutzpflicht dar. Auch in diesem Fall haftet der Schuldner deshalb wegen der Verletzung einer Schutzpflicht84• Weiter kann dieser Ansicht auch nicht entgegengehalten werden, daß die Schutzpflichtverletzung eine Haftung auf das negative Interesse auslöse, nicht hingegen auf das positive Interesse. Der Begriff des "negativen Interesses" ist nicht geeignet, die Folgen der Schutzpflichtverletzung zu umschreiben 8s • Vielmehr hat der Schuldner den aus der Schutzpflichtverletzung entstehenden Schaden zu ersetzen; welches Interesse betroffen ist, richtet sich alleine danach, zu welcher Beeinträchtigung die Schutzpflichtverletzung geführt hat86 • Die Schutzpflichtverletzung kann auch zu einer Beeinträchtigung des sog. Äquivalenzinteresses führen 87• Wie bereits oben88 ausgeführt, sind die Gegenstände des Schutzanspruchs nicht begrenzt. Vielmehr kann jedes Interesse - und damit auch das Erwerbsinteresse - Gegenstand eines Schutzanspruchs sein89• Entscheidend ist, was der Schutzzweck der Schutzpflicht ist. Durch die Verpflichtung des Schuldners, ein bestimmtes Gut zu leisten, wird das Interesse an der Erlangung dieses Gutes - die "Anwartschaft" des Gläubigers (Sibero) - zu einem inter partes zu schützenden Interesse erhoben. Verletzt der Schuldner

Titze, Unmöglichkeit, S. 82 ff. b) (S. 71 ff.). 84 Richtig Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 183 ff. 85 Herho/z, AcP 130, 321; Motzer, JZ 1983, 889. 86 Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 183 ff. 87 Kreß, ASchuR, S. 591 Fn. 3; Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 183 ff.; Kuh/mann, Leistungspflichten, § 2 II 2 b) cc) und § 4 III. 88 II 2 b) (S. 55). 89 Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), 150 f. 90 PlancklSiber, Vorbem. III B 2 (S. 22). 82

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§ 3. Der Schutzanspruch

schuldhaft eine Pflicht, die zum Schutze dieses Interesses bestand, so hat er den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen91 • Hiernach treffen den Schuldner also mehrere Pflichten; zum einen die Leistungspflicht selbst, zum anderen Schutzpflichten, die darauf gerichtet sind, die Möglichkeit des Leistungserfolges zu sichern. Siber wendet sich gegen die Vorstellung, daß den Schuldner zwei Pflichten treffen92 • Wo eine Verpflichtung zum Handeln durch Zuwiderhandeln vereitelt werde, da sei regelmäßig eins nur die Kehrseite des anderen und deshalb keine Verbindung von Ansprüchen auf Handeln und Unterlassen, sondern nur ein Anspruch auf Handeln oder Unterlassen anzunehmen93 • Wie sich aus den folgenden Ausführungen Sibers ergibt, bekämpft er mit diesen Ausführungen die Ansicht, nach welcher der Schuldner nicht die Erbringung der Leistung, sondern lediglich Sorgfalt schuldet (Kraftanstrengungslehre)94. Siber greift dabei aber zu weit, wenn er zur Bekämpfung dieser Ansicht die Existenz VI;>O Schutzansprüchen auf leistungssicherndes Verhalten leugnet. Die Annahme solcher Schutzansprüche bedeutet nämlich nicht zwangsläufig, daß der Schuldner nur zur Sorgfalt, nicht auch zur Leistung verpflichtet sei. Vielmehr kann angenommen werden, daß er sowohl zur Leistungserbringung wie auch zur Nichtvereitelung der Leistungsmöglichkeit verpflichtet ist. Zur Begründung seiner These beruft sich Siber darauf, daß bei entgeltlicher und unentgeltlicher Verwahrung die primäre Aufbewahrungs- und Rückgabe-pflicht gleich ist, obwohl die Voraussetzungen der sekundären Ersatzpflicht verschieden sind. Daraus zieht er den Schluß, die Nichtleistung sei niemals erlaubt, sondern nur dem Schuldner ungefährlich, sofern sie ihn nicht ersatzpflichtig macht9s• Aus Sibers Beispiel möchte ich gerade den umgekehrten Schluß ziehen. Der unentgeltliche Verwahrer haftet bei Beachtung der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten deshalb nicht, weil er nicht dazu verpflichtet war, das kausal gewordene Verhalten zu vermeiden (die Schutzpflicht hat nicht bestanden). Seine Haftung entfällt nicht, obwohl er die 91 Richtig deshalb RGZ 95, 58, 60 f.: hätte der Auftraggeber die schuldhafte Nichtaufklärung des Werkunternehmers über die erforderlichen Aufwendungen unterlassen, also ordnungsgemäß aufgeklärt, so wäre ein höherer Werklohn vereinbart worden. Wegen dieser schuldhaften Schutzpflichtverletzung kann der Werkunternehmer den Unterschiedsbetrag verlangen. Das gilt freilich nur, wenn der Nachweis gelingt, daß das Geschäft zu den günstigeren Konditionen abgeschlossen worden wäre; ansonsten kann nur das Interesse an dem Nichtabschluß des Vertrages gefordert werden, RGZ 103, 47, 51 f.; Erman, AcP 139 (1934), 330 f.; vgl. auch Motzer, JZ 1983, 886: Integritätsinteresse und Erfüllungsinteresse sind per se keine Gegensätze. 92 Rechtszwang, S. 85 f.; PlancklSiber, Vorbem. vor §§ 275-292, I 3 b a (S. 185 ff.); ders., JherJb. Bd. 50 (1906), 212 ff.; ebenso Gemhuber, SchuVerh, § 2 IV 2 c (S. 23 f.); Weilbauer, Die ergänzenden Leistungspflichten, S. 5 f. 93 Rechtszwang, S. 86. 94 Rechtszwang, S. 171 ff. 95 Rechtszwang, S. 182.

III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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Leistungspflicht nicht erfüllt, sondern weil er keine Schutzpflicht verletzt hat. Die Schutzpflichtverletzung ist eben keine ..Rechtsbedingung"96, sondern Rechtsgrund der Haftung. Nach alledem liegt dem Schadensersatzanspruch bei nachträglicher objektiver Unmöglichkeit nicht die Verletzung der Leistungspflicht, sondern die Verletzung einer Schutzpflicht zugrunde97 •

b) Nachträgliches Unvermögen

Das nachträgliche Unvermögen wird in § 275 Abs. 2 BGB der nachträglichen Unmöglichkeit gleichgestellt. Hier gilt das gleiche wie hinsichtlich der nachträglichen Unmöglichkeit: der Schuldner haftet nicht für die Nichtherbeiführung des Leistungserfolges, sondern er haftet für die von der Leistungspflicht verschiedene Pflicht, sich die Herbeiführung des Leistungserfolges nicht subjektiv unmöglich zu machen. Auch in diesem Fall ist Grund der Schadensersatzverpflichtung also die Verletzung einer Schutzpflicht.

c) Anfängliche objektive Unmöglichkeit

Im Falle anfänglicher objektiver Unmöglichkeit gelangt die Hauptleistungspflicht erst gar nicht zur Entstehung, § 306 BGB. Nach § 307 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Schadensersatz zu leisten, wenn er die Unmöglichkeit kannte oder kennen mußte. Die Ersatzpflicht ist auf das negative Interesse gerichtet unter Begrenzung auf das positive Interesse. Für diesen Fall ist anerkannt, daß der Schuldner nicht wegen Nichtherbeiführung des Leistungserfolges haftet. Vielmehr haftet er, weil er eine andere Pflicht verletzt hat, nämlich die Pflicht, den anderen Vertragsteil über die Unmöglichkeit aufzuklären98 •

96 Rechtszwang, S. 171; wie hier auch Stümer, JZ 1976, 390.

97 Diese Unterscheidung zwischen Leistungspflicht einerseits und Ersatzpflicht bei Nichtleistung andererseits trifft auch Picker, AcP 183 (1983),507 f. Picker sieht allerdings in der Ersatzverpflichtung ..eine willensunabhängige, kraft Rechtsbefehls und also durch Fremdbindung begründete Haftung" (507). 98 Flume, AcP 197 (1997),450; MK/Thode, § 307 Rdz. 6; Larenz, SchuR I, § 8 III (S. 104).

S Sutschet

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§ 3. Der Schutzanspruch

Wie oben99 dargestellt, ist das "negative Interesse" kein tauglicher Begriff zur Umschreibung der Folgen einer Schutzpflichtverletzung. Die Pflicht, das "negative Interesse" zu ersetzen, ist lediglich eine Frage der Kausalität der Pflichtwidrigkeit oder des Schutzbereichs der Schutzpflicht. Hätte der Vertragspartner über die Unmöglichkeit aufgeklärt, so wäre der Vertrag nicht geschlossen worden (deshalb "negatives Interesse"). Nicht mit der Kausalität zu erklären ist hingegen die Begrenzung auf das "positive Interesse" 100. Die über das Erfüllungsinteresse hinausgehenden Aufwendungen hätte der andere Vertragsteil nämlich auch dann nicht getätigt, wenn er über die Unmöglichkeit der Leistung aufgeklärt worden wäre lOl • Diese Schäden werden aber von dem Schutzzweck der verletzten Pflicht nicht mehr gedeckt. Diese soll den Vertragspartner vor den Schäden bewahren, die er aufgrund der Pflichtverletzung erleidet. Es ist hingegen nicht ihr Zweck, ihn vor den Folgen seiner Bereitschaft zum Abschluß eines für ihn ungünstigen Geschäftes zu bewahren lO2 • Die Pflicht zur Aufklärung über die Unmöglichkeit bestand aber nicht zu dem Zweck, den Vertragspartner vor seiner Bereitschaft zum Abschluß eines wirtschaftlich nachteiligen Geschäfts zu bewahren. Der Grund für die Schadensersatzpflicht ist auch im Fall der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit die Verletzung einer Schutzpflicht.

d) Anfängliches Unvermögen

Umstritten ist die Rechtslage im Falle anfänglichen Unvermögens. Jedoch läßt sich auch hier aufzeigen, daß nach allen in Betracht kommenden Möglichkeiten niemals eine Schadensersatzverpflichtung wegen Verletzung einer Leistungspflicht in Betracht kommt.

(1) (b) (ii) (S. 61 ff.). So aber Herholz, AcP 130, 320. 101 Vgl. Erman, AcP 139 (1934), 330 ff. Das Problem stellt sich in gleicher Weise im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB: ist der Kraftfahrzeugführer trotz Fehlens einer Fahrerlaubnis gänzlich fehlerfrei gefahren, so ist der dennoch eingetretene Schaden all eine deshalb nicht ersatzfähig, weil er nicht im Schutzbereich der verletzten Norm liegt; Kausalität liegt hingegen vor: hätte der Fahrer sich an das Verbot gehalten, so wäre er nicht gefahren und der Schaden wäre nicht eingetreten. Zutreffend Canaris, FS Larenz (1983), S. 53. 102 Anders aber wieder dann, wenn der Gläubiger ansonsten ein günstigeres Geschäft abgeschlossen haben würde; zutr. Erman, AcP 139 (1934), 331 f. 99

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III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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(1) §§ 306, 307 BGB analog

Stellt man das anfängliche Unvermögen der anfänglichen Unmöglichkeit gleich l03 , so kommt die Leistungspflicht erst gar nicht zur Entstehung. Dann ist der Schuldner unter den Voraussetzungen des § 307 BGB zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet. Diese Schadensersatzverpflichtung beruht auf der Nichtanzeige der subjektiven Unmöglichkeit, mithin der Verletzung einer Schutzpflicht.

(2) § 280 BGB analog

Eine andere Auffassung lO4 stellt das anfängliche Unvermögen dem nachträglichen gleich, so daß es auf ein Verschulden des Schuldners ankommt. Für diese Auffassung gelten die obigenlOS Ausführungen zum nachträglichen Unvermögen entsprechend; Grund der Schadensersatzverpflichtung ist die Verletzung einer Schutzpflicht.

(3) Garantieversprechen

Nimmt man an, der Schuldner garantiere durch sein Leistungsversprechen stillschweigend, daß er zur Leistung imstande sei lO6, so beruht seine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens auf diesem Versprechen. Durch das Garantieversprechen wird das Interesse des Gläubigers am Eintritt des Leistungserfolges versichert, es liegt dem Versprechen also ein "Versicherungszweck" zugrunde. Der Versicherungszweck aber ist ein Unterfall des Schutzzwecks (Garantiezweck). Das Garantieversprechen soll nicht der Bewirkung des Leistungserfolges dienen, sondern ist von vornherein darauf gerichtet, das Interesse des Gläubigers gerade für den Fall des Ausbleibens des Leistungserfolges zu 103 Vgl. Demburg, ASchuR, § 61 II (S. 142 f.), der aber auch das Erfüllungsinteresse gewährt. 104 Esser/Schmidt, SchuR 112, § 22 III 2 (S. 10 f.); Evans-von Krbek, AcP 177 (1977), 42 ff.; Gudian, NJW 1971, 1239 ff. 105 (2) (S. 65). 106 So die h.M., BGHZ 11, 16, 22; StaudingerlLöwisch, § 306 Rdz. 49; PalandtlHeinrichs, § 306 Rdz. 9 f.; Soergel/M Wolf, § 306 Rdz. 26; EnnecceruslLehmann, SchuR, § 29 II 2 (S. 133 f.). Einschränkend die "Sphärentheorie", Oertmann, AcP 140 (1935), 148 f.; Larenz, SchuR I, § 8 II (S. 100 ff.).

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§ 3. Der Schutzanspruch

schützen. Daher beruht der Schadensersatzanspruch auch hiernach nicht auf der Verletzung einer Leistungspflicht, sondern ergibt sich aus einem Schutzanspruch des Gläubigers.

(4) Verweisung des § 440 Abs. 1 BGB auf § 325 BGB

Für den Fall anfänglichen Unvermögens zur Übereignung einer verkauften Sache wird zum Teil angenommen, § 440 BGB enthalte einen Rechtsfolgenverweis auf § 325 BGB. Innerhalb dieser Meinung ist umstritten, ob von den Voraussetzungen des § 325 BGB nur die nachträgliche Unmöglichkeit oder auch das Verschulden nicht vorzuliegen brauche07• Geht man davon aus, daß ein Verschulden vorliegen muß, so muß dieses sich auch auf eine Pflichtverletzung beziehen. Die Pflichtverletzung liegt darin, daß der Schuldner den Vertrag schließt, obwohl er sein Unvermögen kannte oder hätte kennen können. Auch in diesem Fall gründet sich die Haftung demnach nicht auf die Verletzung einer Leistungspflicht, sondern auf die Verletzung einer Schutzpflicht. Der Schuldner haftet auf der Grundlage dieser Konstruktion lO8 jedoch nur auf das negative Interesse. Das ergibt sich ohne weiteres aus dem Kausalitätserfordernis: hätte der Schuldner die Aufklärung bewirkt, so wäre der Vertrag nicht geschlossen worden. Auch hier ergibt sich wiederum lO9 aus dem Schutzzweck der Schutzpflicht die Begrenzung auf das positive Interesse. Die andere Auffassung, die auch auf das Verschuldenserfordernis verzichten will, begründet dies mit der Garantie des Schuldners für seine Leistungsfähigkeit. Damit entspricht diese Auffassung der oben (b) angeführten Meinung. Die Haftung ergibt sich folglich danach aus dem Versprechen des Schuldners oder einer gesetzlichen Garantiepflicht llo. Grund der Haftung ist jedenfalls wiederum ein Schutzanspruch.

Zum Streitstand ausführlich Soergel/U.Huber, § 440 Rdz. 12 ff. Die Annahme einer Garantiehaftung im Falle anfänglichen Unvermögens beruht letztlich wohl auf der Absich, zur Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu kommen. 109 Vgl. oben (3) (S.65). 110 Larenz, SchuR I, § 8 II (S. 96). 107 108

III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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(5) Ergebnis Auch im Falle anfänglichen Unvermögens ergibt sich danach eine Verpflichtung des Schuldners zum Schadensersatz niemals aus einer Verletzung der Leistungspflicht, sondern stets aus einem Schutzanspruch (eventuell in Form des Sicherungsanspruchs) des Gläubigers.

e) Ergebnis

Ist die Leistung unmöglich, so schuldet der Schuldner Schadensersatz nicht wegen der Unmöglichkeit, sondern grundSätzlich nur dann, wenn er eine Schutzpflicht schuldhaft verletzt hat. Grund seiner Haftung ist nicht die Unmöglichkeit, sondern die Schutzpflichtverletzung; die Unmöglichkeit begründet nur den Schaden (Nichterfüllungsschaden)111 und macht die Nachfristsetzung (§ 326 BGB) überflüssig. Man könnte dieser Ansicht entgegenhalten, daß aufgrund der allgemeinen culpa-Haftung für Schutzpflichtverletzungen die Normierung der Unmöglichkeit überflüssig gewesen wäre. In Ansehung des Grundes der Schadensersatzverpflichtung ist das tatsächlich so. Auch ohne die Vorschriften über die Unmöglichkeit wäre der Schuldner aufgrund der culpa-Haftung zum Ersatz des Erfüllungsinteresses verpflichtet, wenn eine schuldhafte Schutzpflichtverletzung zur Vereitelung des Erfüllungsinteresses geführt hat. Die Funktion der Unmöglichkeit liegt nicht darin, dem Gläubiger einen Schadensersatzanspruch zu gewähren. Sie liegt vielmehr darin, den Zeitpunkt festzulegen, ab dem der Schuldner von der Pflicht zur Leistung befreit wird und der Gläubiger ohne Fristsetzung von dem Erfüllungsanspruch auf den Schadensersatzanspruch übergehen darf l12 • Die Regelung ist eine notwendige Folge der Anerkennung des Erfüllungsanspruchs. Eine Rechtsordnung, die keinen Erfüllungsanspruch gewährt, braucht auch den Begriff der Unmöglichkeit nicht. Erst die Anerkennung des Erfüllungsanspruchs statt des Interesseanspruchs und damit das Festhalten des Gläubigers an dem Erfüllungsanspruch hat es erforderlich gemacht, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dem Gläubiger die Beschränkung auf den Erfüllungsanspruch nicht mehr zuzumuten ist. Das ist die Funktion des Begriffes der Unmöglichkeit; deswegen kann Kuhlmann, Leistungspflichten, § 4 III 1 c). Himmelschein, AcP 135 (1932), 258 f.; Heinr. Stoll, AcP 136 (1932), 273; Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, S. 49 f.; Evans-von Krbek, AcP 179 (1979),104,146; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung, S. 9; Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, S. 52; Kuhlmann, Leistungspflichten, § 4 III 1. 111

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§ 3. Der Schutzanspruch

er auch nach hier vertretener Auffassung nicht entbehrt werden. Hingegen ist es nicht seine Funktion, einen Schadensersatzanspruch zu gewähren l13 • Nach der hier vertretenen Auffassung macht es durchaus Sinn, für Schadensersatzansprüche den einheitlichen Haftungsgrund der .. Pflichtverletzung" einzuführen, wie es im Entwurf der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (KE) II~ geschieht. Die Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch werden in § 280 KE wie folgt festgelegt: .. (0 Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Für das Recht des Gläubigers, statt der Leistung Schadensersatz zu verlangen, gelten die zusätzlichen Erfordernisse des § 283 BGB-KE... "

Nach § 280 Abs. 1 KE sind die Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch im Falle der Unmöglichkeit wie auch im Falle sonstiger Vertragsverletzung, insbesondere auch der Verletzung von Nebenpflichten, einheitlich geregelt. Allerdings ist der Begriff der Pflichtverletzung in § 280 Abs. 1 KE ein anderer als der hier vertretene. Er wurde statt des von U. Huber ll5 vorgeschlagenen Begriffs der Nichterfüllung gewählt, weil dieser Begriff schon zu speziell sei ll6 • Demnach soll der Begriff der Pflichtverletzung also auch die Fälle der Nichterfüllung umfassen, anders ausgedrückt: eine Pflichtverletzung soll auch schon in der bloßen Nichterfüllung liegen ll7• Dieses Verständnis ist nicht nur sprach-, sondern auch sachwidrig ll8 • Die Nichterfüllung ist nicht per se eine Pflichtverletzung ll9 • Verursacht der Verkäufer nach Abschluß des Kaufvertrages, aber vor Übereignung schuldhaft die Zerstörung der Kaufsache, so liegt die Pflichtverletzung nicht in der Nichterfüllung der Leistungspflicht, sondern

113 Daher ist es schon im Ansatz verfehlt, wenn Hans Stall schreibt, Grundbegriff der Lehre von den Leistungsstörungen sei nicht der Begriff der Verhaltenspflicht und deren Verletzung, sondern der Begriff der Leistung und deren Erfüllung (FS v. Hippel, S. 535 f.). Richtig ist, daß die Begriffe Leistung und Erfüllung die Frage betreffen, ob der Erwerbanspruch noch besteht, während die Verletzung der Verhaltenspflicht über den Schadensersatzanspruch entscheidet. Einen .. Grundbegriff" der Lehre von den Leistungsstörungen gibt es nicht. 114 Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, hrsg. vom Bundesminister der Justiz, 1992. 115 Leistungsstörungen, S. 699 ff. 116 Medicus, NJW 1992,2384. 117 Flume, ZIP 1994, 1497; Ernst, NJW 1994, 2180; Schapp, JZ 1993,638. 118 Flume, ZIP 1994, 1497 f.; Ernst, NJW 1994, 2180; ders., JZ 1994, 805; Schapp, JZ 1993, 638 f. 119 Flume, ZIP 1994, 1498; Ernst, NJW 1994, 2180; ders., JZ 1994, 805 f.; Schapp, JZ 1993,639.

III. Rechtsgrund des Schadensersatzes bei Unmöglichkeit und Verzug

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in der Herbeiführung der Unmöglichkeit l20• Dennoch ist es grundsätzlich zutreffend, den Schadensersatzanspruch an die Pflichtverletzung zu knüpfen. Das setzt freilich voraus, daß der Begriff der Pflichtverletzung als Schutzpflichtverletzung aufgefaßt wird und nicht bereits die Nichterfüllung der Leistungspflicht selbst als Pflichtverletzung begriffen wird. Darin liegt der Fehler des Kommissionsentwurfs l21 •

3. Der Schadensersatzanspruch wegen Verzuges Erbringt der Schuldner die Leistung schuldhaft zu spät, so hat er den Schaden, der aus der Verzögerung entstanden ist, zu ersetzen. Er hat also die Pflicht, sein Verhalten so einzurichten, daß ihm die rechtzeitige Leistung möglich bleibt oder wird. Der damit korrespondierende Anspruch des Gläubigers ist aber wiederum unentwickelter Art. Der Gläubiger kann grundsätzlich nicht ein entsprechendes Verhalten des Schuldners verlangen, sondern er kann nur Schadensersatz verlangen, wenn der Gläubiger das Verhalten schuldhaft nicht beobachtet hat. Beispielsweise kann der Gläubiger in der Regel nicht verhindern, daß der Schuldner kurz vor der für die Leistung bestimmten Zeit in Urlaub fliegt; darauf hat er keinen Anspruch. Auch dieser unentwickelte Anspruch darauf, daß der Schuldner sein Verhalten so einrichtet, daß er die Leistung rechtzeitig erbringen kann, ist ein vom Erwerbanspruch selbst verschiedener Anspruch. Er dient nicht der Erbringung der Leistung selbst, sondern der Sicherung des wirtschaftlichen Interesses des Gläubigers an der Rechtzeitigkeit der Leistung. Dieses Interesse wird durch die Gewährung des Schadensersatzanspruchs für den Fall der schuldhaften Pflichtverletzung zum Schutzinteresse erhoben. Folglich liegt auch dem Schadensersatzanspruch wegen nicht rechtzeitiger Leistung eine Schutzpflichtverletzung zugrunde. Gerade auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche Dritter entfaltet diese Erkenntnis Bedeutung, wie an dem bereits mitgeteilten l22 Testamentsfall aufgezeigt werden kann: Der Rechtsanwalt befand sich in Verzug, als der Erblasser starb, er hat also den Verzugsschaden zu ersetzen 123• Den Schaden hat die Tochter erlitten. Er-

120 Zutreffend Schapp, JZ 1993. 639. der freilich von der Verletzung einer Leistungs-. nicht einer Schutzpflicht ausgeht. 121 Dazu ausführlich Kuhlmann, Leistungspflichten, § 5 VI-X. 122 Oben § 2 lId.

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§ 3. Der Schutzanspruch

kennt man an. daß ihr der Schaden zu ersetzen ist l14 • so muß man eine bereits vor der Verletzung ihr gegenüber bestehende Schutzpflicht des Rechtsanwalts anerkennen. Diese muß aber von der Leistungspflicht verschieden sein. weil diese gerade nicht auf sie abgestellt wurde. Diese Konstellation hat große Probleme bereitet. weil ein Erwerbanspruch der Tochter verneint. ihr Schadensersatzanspruch aber aus dem Erwerbanspruch hergeleitet wurde l25 • Der Widerspruch l26 löst sich auf. wenn man mit der hier vertretenen Auffassung einen neben dem Erwerbanspruch bestehenden Schutzanspruch auf Wahrung des Interesses an der rechtzeitigen Leistungserbringung anerkennt. Dieser Anspruch kann dann. weil er von dem Erwerbanspruch verschieden ist. unabhängig von diesem auch einem Dritten zustehen.

4. Ergebnis Auch im Falle der Unmöglichkeit und des Verzugs findet die Schadensersatzpflicht des Schuldners ihren Grund in einem Schutzanspruch des Gläubigers.

123 Er haftet nicht etwa wegen Unmöglichkeit. weil diese durch den Tod des Erblassers herbeigeführt wurde; den aber hat der Rechtsanwalt nicht herbeigeführt. Es liegt ein Fall vor. in dem die Ersatzpflicht wegen Verzuges auf Ersatz des Unmöglichkeitsschadens gerichtet ist. vgl. dazu Planck/Siber. Vorbem. zu §§ 275-292. I a a (S. 179). 114 A. A. R. Zimmermann. FamRZ 1980. 102 f.; hinsichtlich des Anspruchsgegners auch Kegel. FS Flume I. S. 545 ff. 125 Dem Problem ganz nahe war Schwerdtner. Jura 1980. 499: ...... so kann sich die Nichterfüllung einer derartigen Verpflichtung aus der Perspektive des Dritten nur als Schlechterfüllung darstellen. Eine Symmetrie der Rechtsfolgen. daß die Nichterfüllung einer Hauptleistungspflicht zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung und die Verletzung einer Verhaltenspflicht zu einem Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung führt. ist also nicht mehr herstellbar. " 126 Die Widersprüchlichkeit besteht in zweifacher Hinsicht. Zum einen besteht sie darin. daß aus der Verletzung des der Tochter nicht zustehenden Erwerbanspruchs ein ihr zustehender Schadensersatzanspruch hergeleitet wird. Zum anderen ergibt sich ein Widerspruch dadurch. daß ein Vertrag zugunsten Dritter mit dem Argument abgelehnt wird. daß die Hauptleistungspflicht nicht gegenüber der Tochter bestand. sodann aber der Schadensersatzanspruch der Tochter mit der Verletzung eben dieser Hauptleistungspflicht begründet wird. So lesen wir bei Bell (Anwaltshaftung gegenüber Dritten. S. 84): .. Das Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte ist also nicht auf die Fälle der Nebenpflichtverletzung beschränkt. sondern schützt - erst recht - gegen eine Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten". Wenn aber der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte deshalb kein Vertrag zugunsten Dritter sein soll. weil die Hauptleistungspflicht nicht auf den Dritten abgestellt ist (so auch Bell. aaO S. 79). so kann der Dritte auch nicht. schon gar nicht ..erst recht". aus der Verletzung der Hauptleistungspflicht Rechte gegen den Schuldner herleiten.

IV. Rechtsgrund des Schutzanspruchs

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IV. Rechtsgrund des Schutzanspruchs 1. Rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis Nach einer Auffassung entspringen die Schutzanspriiche dem Schuldverhältnis zwischen den Parteien. Sie entstehen kraft der Vereinbarung l27 und werden durch Auslegung des Vertrages festgestellt l28 • Innerhalb dieser Meinung sind verschiedene Wege möglich und auch beschritten worden, um die Rechtsfolgen zu bestimmen: man kann die Schutzpflichtverletzung als Teilunmöglichkeit begreifen; man kann § 276 BGB als Haftungstatbestand ansehen; schließlich kann man, wie es die herrschende Meinung im Anschluß an Staub tut, die §§ 280, 286, 325, 326 BGB analog anwenden.

2. Einheitliches gesetzliches Schutzptlichtverhältnis Demgegenüber nimmt eine neuere Auffassung in der Literatur an, es bestehe ein einheitliches Schutzpflichtverhältnis129• Dieses sei unabhängig von dem Bestehen eines Vertrages. Insbesondere im Hinblick auf die Lehre von der culpa in contrahendo und auf nichtige Verträge weisen die Vertreter dieser Lehre darauf hin, daß die Schutzanspriiche ihren Rechtsgrund nicht in dem Vertrag haben könnten. Weil sich aber die vor dem Vertragsschluß bestehenden Schutzanspriiche nicht von denen während des Bestehens des Vertrages unterschieden, hätten auch die bei Bestehen eines Vertrages anzunehmenden Schutzanspriiche ihren Rechtsgrund nicht in dem Vertrag, sondern in dem davon unabhängigen einheitlichen Schutzpflichtverhältnis. Innerhalb dieser Auf-

127 Nach Evans-von Krbek (AcP 179 (1979).96 ff.) ergeben sich die Schutzpflichten nicht aus dem Willen der Parteien, sondern aus einem "rechtsgeschäftsanalogen "Schuld"verhältnis" . 128 Staudinger/Löwisch. Vorbem. zu §§ 275 ff. Rdz. 26 m.w.N.; Westermann, ASchuR, § 2 I 2 (S. 16 f.). 129 Canaris, JZ 1965, 478 ff.; Thiele, JZ 1967, 651 ff.; Gerhardt, JZ 1970, 535 f.; ders., JuS 1970, 597 ff.; MKlKramer, Ein!. v. § 241 Rdz. 75 ff.; Soergel/Teichmann, § 242 Rdz. 181; v. Bar, AcP 179 (1979), 459; Motzer, JZ 1983, 885; Müller-Gra!!, JZ 1976, 155 f.; Seetzen, MDR 1970,810; Strätz, FS Bosch, S. 1010; Frotz, Gedenkschr. Gschnitzer, S. 175; v. Lackum, Verschmelzung und Neuordnung, S. 158 ff.; Frost, Vorvertragliche und vertragliche Schutzpflichten, S. 207 ff.; U. Müller, NJW 1969, 2174 f.; Hartwieg, JuS 1973, 737; dagegen Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 40 Fn. 69. Vg!. auch § 241 Abs. 2 S. 2 Kommissionsentwurf, wonach sich das Schuldverhältnis auf die Begründung von Schutzansprüchen beschränken können soll; dazu Medicus, NJW 1992, 2384 f.

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§ 3. Der Schutzanspruch

fassung ist die Herleitung dieses einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses uneinheitlich. Nach einer Auffassung sollen Schutzansprüche aufgrund eines erhöhten sozialen Kontakts entstehen l30• Begründet wird das damit, daß in solchem Fall erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter des anderen Teils bestehen, was es rechtfertige, die betroffenen Personen einer stärkeren Haftung als der Deliktshaftung zu unterwerfen, die jedem beliebigen anderen gegenüber besteht. Zwischen den Personen soll also ein gesetzliches Schuldverhältnis entstehen, das sie zur Nichtschädigung der Rechtsgüter des anderen Teils verpflichtet. Innerhalb dieser Meinung ist umstritten, ob zumindest noch ein mittelbar geschäftlicher bzw. rechtsgeschäftsähnlicher Zweck verfolgt sein muß 131 oder ob auch ein rein gesellschaftlicher Kontakt ausreicht132 • Nach anderer Auffassung sollen die Schutzansprüche ihren einheitlichen Rechtsgrund in dem Vertrauen finden, das jemand (Schuldner) für sich in Anspruch nimmt und das ein anderer (Gläubiger) ihm gewährt133 • Dieses durch das Vertrauen begründete Schuldverhältnis wird als "gesetzliches" bezeichnet, was aber nur die Bedeutung haben soll, daß es unabhängig vom Willen der Parteien zustande kommt. Frotz l34 sieht in den Schutzpflichten das Korrelat privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit. Das Privatrecht habe eine überindividuelle Sozialfunktion zu erfüllen. Aus dem Gemeinschaftsprinzip und der Sozialbindung der Selbstgestaltungsmacht ergäben sich daher SChutzpflichten lJS •

130 Grundlegend Dölle, ZStaatsW 103 (1943), 67 ff. im Anschluß an die Lehre Haupts vom faktischen Vertrag (FS Siber H, 1943, S. 1 ff.); Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, S. 141; Enneccerus/Lehmann, § 35 I 1; EsserlSchmidt, SchuR I/2, § 29 I (S. 129 ff.); Eike Schmidt, Nachwort, S. 144 ff.; Ries, JA 1982, 457; Strauch, JuS 1982,826; AKlDubischar, § 328 Rdz. 15. 131 MKlRoth, § 242 Rdz. 204. 132 Enneccerus/Lehmann, SchuR, § 27, 6 (S. 120 f.); EsserlSchmidt, SchuR I/2, § 29 I (S. 129 ff.). 133 Grundlegend Ballerstedt, AcP 151 (1950/51),501 ff.; Canaris, VersR 1965, 116 ff.; ders., AcP 165, 10 ff.; ders., FS Larenz (1983), S. 84 ff.; Gerhardt, JZ 1970, 535 ff.; Marburger, DB 1973, 2130 f.; Müller-Graf!, JZ 1976, 155; H.-J. Hoffmann, AcP 167, 399 ff.; Peters, JZ 1977, 119; U. Müller, NJW 1969, 2174; v. Lackum, Verschmelzung und Neuordnung, S. 97 ff.; Diers, Ersatzansprüche Dritter, S. 75 ff. 134 Gedenkschrift Gschnitzer, S. 172 ff. 135 AaO. S. 173.

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3. Idealprinzip des neminem laedere Nach Pickerl36 soll der Grund für die Schutzansprüche in dem Gebot des "neminem laedere" liegen: es gebe den Grundsatz, daß jeder für den von ihm rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführten Schaden Ersatz zu leisten habe. Seine notwendige Beschränkung finde dieser Grundsatz im Deliktsrecht durch die Beschränkung auf die haftungsrelevanten Rechtspositionen und Handlungsweisen 137, im Schuldrecht durch die Individualisierung des Gläubigers l38 • Die Ersatzpflicht für Schäden bedürfe also nicht der Begründung (diese sei mit dem idealen Postulat gegeben), sondern lediglich der Beschränkung 1J9•

4. Keine schuldrechtlichen Schutzansprüche Nach der Lehre von Ernst Wolf existieren relative Schutzansprüche nicht. Sie seien ohne Inhalt und ohne Grund, daher könne es sie nicht geben l4O • Ihre Annahme entspreche der nationalsozialistischen Rechtsauffassung l41 ; mit deren Aufgabe sei auch die Grundlage zur Annahme von Schutzpflichten entfallen l42 • Nach u. Huber l43 spiegelt die Lehre von den Schutzpflichten "einen inzwischen überholten Kenntnisstand wider, der die neuere Entwicklung der Dogmatik des Deliktsrechts noch nicht rezipiert hat". Seiner Auffassung nach sind die Schutzpflichten allgemeine Verkehrspflichten im Sinne des Deliktsrechts, das "bei richtiger Ordnung" dazu ausreichen solle, die damit verbundenen Probleme zu lösen l44 • AcP 183 (1983), 369 ff., 460 ff. AcP 183 (1983),472. 138 AcP 183 (1983),476 ff.; vgl. auch Canaris, FS Larenz (1983), S. 38. 139 AcP 183 (1983),465 f. 140 SchuR AT, S. 57; anders noch in AcP 153 (1954), 111 ff. 141 SchuR AT, S. 61; seine Auffassung, es sei kein Zufall, daß die Lehre von den Schutzpflichten deutlich zuerst auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rechtsauffassung vertreten worden sei, ist schon deshalb unrichtig, weil Hugo Kreß bereits in seinem 1929 erschienenen Lehrbuch eine vollständige Darstellung der Schutzansprüche gegeben hat. Hugo Kreß aber war weit entfernt von einer nationalsozialistischen Rechtsauffassung, vgl. dazu seine Rektoratsrede von 1931, abgedr. im Neudruck des Allgemeinen Schuldrechts (Aalen 1974), S. XXXV ff. 142 SchuR AT, S. 62. 143 Leistungsstörungen, S. 737; ders., AcP 177 (1977), 319 f. 144 Leistungsstörungen, S. 737 f.; Medicus, FS Kern, S. 324 ff.; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 422 ff.; Kreuzer, JZ 1976, 780; dagegen Schapp, JuS 1992,542. 136

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§ 3. Der Schutzanspruch

Auch Larenz spricht sich dafür aus, die zum Schutz absoluter Rechtsgüter bestehenden Schutzansprüche - nach einer Angleichung des § 831 BGB an § 278 BGB - in den Bereich des Deliktsrechts zu verweisen, "in den sie ihrer rechtlichen Struktur nach gehören"145.

5. Stellungnahme Die Schutzansprüche in den Bereich des Deliktsrechts zu verweisen, ist bereits deshalb nicht richtig, weil nicht alle Schutzansprüche auch allgemeine Verkehrssicherungspflichten sind; diese sind nur ein Teil der viel größeren Gruppe der Schutzansprüche. Der Vertrag vermag Schutzansprüche zu schaffen' die nicht schon vorher als absolute Schutzansprüche bestanden haben. Diese aber dem Deliktsrecht zuordnen zu wollen, würde bedeuten, die lex privata als Schutzgesetz anzusehen. Dann aber müßte sogar die Verletzung der Hauptleistungspflichten dem Deliktsrecht eingeordnet werden können und die Trennung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung wäre aufgegeben. Eine vollständige Verneinung der relativen Schutzansprüche wird zudem den praktischen Bedürfnissen nicht gerecht. Die Lehren vom einheitlichen Schutzpflichtverhältnis haben erkannt, daß die Schutzansprüche, soweit sie nicht mit dem Leistungsinhalt des Schuldverhältnisses verknüpft sind, auch nicht in Abhängigkeit von den vertraglich begründeten Erwerbansprüchen stehen. Es scheint jedoch überzogen, daraus die Konsequenz zu ziehen, daß alle Schutzansprüche stets ihre Grundlage in objektivem Recht haben müßten. Für die mit dem Leistungsversprechen zusammenhängenden Schutzpflichten trifft das von vornherein nicht zu 1