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German Pages 258 [260] Year 2019
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 157 herausgegeben von
Rolf Stürner
Friederike Jurczyk
Materialisierung des Zivilverfahrensrechts Der Einfluss schuldvertraglicher Sonderwertungen zugunsten des Schwächeren auf das Erkenntnisverfahren nach der ZPO
Mohr Siebeck
Friederike Jurczyk, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaften in Regensburg und Madrid; wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg; derzeit Rechtsreferendarin im Bezirk des OLG Nürnberg.
ISBN 978-3-16-156841-1 / eISBN 978-3-16-156842-8 DOI 10.1628/978-3-16-156842-8 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Garamond gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buch binderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand von November 2018. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Herbert Roth, der die Anregung zu meinem Thema gab, die Arbeit mit großem Engagement begleitet hat und stets ein offenes Ohr für mich hatte. Herrn Professor Michael Heese danke ich für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Professor Gerrit Manssen für seine Bereitschaft, den Vorsitz meiner Verteidigung zu übernehmen. Weiterhin danke ich Herrn Professor Rolf Stürner für die Aufnahme der Arbeit in seine Reihe „Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht“. Isabel Hoffmann und Saskia Merle danke ich für den steten Gedankenaustausch und die moralische Unterstützung während der Entstehung der Arbeit. Den Teams der Lehrstühle Roth und Hellgardt danke ich für das gute Arbeitsumfeld. Schließlich wäre ich ohne die Unterstützung meiner ganzen Familie wohl weder in die Situation gekommen, diese Arbeit anfertigen zu können, noch sie abzuschließen. Ich bin ihr dafür sehr dankbar. Regensburg, Mai 2019
Friederike Jurczyk
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts . . . . 1 § 1 Untersuchte Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Wahrnehmung im zivilprozessualen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 4 B. Vorgehen und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 § 2 Abgrenzung der Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Materialisierungstendenzen im Schuldvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . 7 B. Entwicklungen im Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 C. Verhältnis zum untersuchten Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 3 Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 20 A. Abgrenzung des materiellen Rechts vom Verfahrensrecht . . . . . . . . 20 B. Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Verhältnis vom materiellen Recht zum Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . 24 § 4 Beeinträchtigung zivilprozessualer Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Waffengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Parteiherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 C. Grundsatz des Beklagtengerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 D. Mögliche Folgen einer Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Teil II: Materialisierung im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Kapitel 1: Abzahlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 5 Schuldrechtlicher Schutz des Abzahlungskäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 § 6 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 A. Entwicklung der §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 B. Inhalt der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 C. Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 D. Zweck der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
VIII
Inhaltsübersicht
§ 7 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . . . 51 A. Entwicklung des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Inhalt des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Zweck des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Kapitel 2: Verbrauchervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 § 8 Schuld- und kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. Allgemeiner Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge . . . . . . . . . 57 C. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 § 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Haustürgeschäften . . . . . . . . . . 61 B. Inhalt des § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 D. Zweck des § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 E. Fortwirken schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 § 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . 71 A. Entwicklung der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 B. Inhalt der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Internationale Zuständigkeit ohne Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . 78 D. Zweck der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 E. Durchschlagen materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 11 Abweichung von Verfahrensmaximen zugunsten des Verbrauchers . . 84 A. Missbräuchliche Klauseln zu Lasten von Verbrauchern . . . . . . . . . . 84 B. Verbraucherkreditrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 C. Verbrauchsgüterkaufrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Kapitel 3: Wohnraummietvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 § 12 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Wohnraummieters . . . . . 109 A. Schutz des Wohnraummieters im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 § 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen, § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Miet- und Pachtsachen . . . . . . . 114 B. Inhalt des § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 C. Örtliche Zuständigkeit bei Mietstreitigkeiten ohne § 29a ZPO . . . . 121 D. Zweck des § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Inhaltsübersicht
IX
E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 14 Ausschließliche Zuständigkeit bei Miete und Pacht, Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 A. Entwicklung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . 126 B. Inhalt des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Zuständigkeit ohne Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . 129 D. Zweck des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 130 E. Sachnähe als Wertung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . 134 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 § 15 Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen, § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . 135 A. Entwicklung des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Inhalt des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Regelung ohne § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 D. Zweck des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Kapitel 4: Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 § 16 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Versicherungsnehmers . 141 A. Schutz des Versicherungsnehmers im VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 B. Anwendbares Recht nach Art. 7 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 § 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen . . . . . . . . 150 B. Inhalt des § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 D. Zweck des § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen . . . . . . . . 165 B. Inhalt der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 C. Zuständigkeit ohne Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 D. Zweck der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Kapitel 5: Fernunterrichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 19 Vertraglicher Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG . . . . . . . . . . 180 A. Entwicklung des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
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Inhaltsübersicht
B. Inhalt des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 C. Zuständigkeit ohne § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 D. Zweck des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Teil III: Bedeutung der Materialisierung für das Verhältnis des materiellen Rechts zum Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 § 21 Materialisierung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 A. Abzahlungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 B. Verbraucherverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Wohnraummietverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 D. Versicherungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 E. Fernunterrichtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 § 22 Prozessualer Schutz des Schwächeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 A. Ausschließlich prozessuale Ausgleichsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . 191 B. Unterschiede zum materialisierten Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . 195 § 23 Bedeutung der Materialisierung im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . 196 A. Klägergerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Ausschließliche Beklagtengerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz . . . 199 D. Veränderungen durch Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 § 24 Materialisierung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 A. Einführung eines allgemeinen Verbrauchergerichtsstands . . . . . . . . 201 B. Einschränkungen des Beibringungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 203 C. Einschränkung des Dispositionsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Spezialverfahren für Verbraucherstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 § 25 Verhältnis zur alternativen Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 A. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz und ODR‑Verordnung . . . . . . . 208 B. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 C. Anwendung des zwingenden Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . 210 D. Strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 E. Widerspruch zur Materialisierung im gerichtlichen Verfahren . . . . 211 F. Gegenläufige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 § 26 Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts . . . . 1 § 1 Untersuchte Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Wahrnehmung im zivilprozessualen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . 4 B. Vorgehen und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 § 2 Abgrenzung der Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Materialisierungstendenzen im Schuldvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . 7 I. Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. Vertragsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 B. Entwicklungen im Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 I. Einfluss höherrangigen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Einfluss des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Europäisches Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 b) Äquivalenz- und Effizienzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Konstitutionalisierung als Folge der Normenhierarchie . . . 17 II. Materiale Gerechtigkeitswertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 C. Verhältnis zum untersuchten Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 § 3 Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 20 A. Abgrenzung des materiellen Rechts vom Verfahrensrecht . . . . . . . . 20 B. Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Durchsetzung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Offenheit der Prozesszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Ungewissheit des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Verhältnis vom materiellen Recht zum Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . 24 I. Dienende Funktion des Prozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Zivilprozessrecht als technisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Eigene Gerechtigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 IV. Materiellrechtsfreundliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
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Inhaltsverzeichnis
§ 4 Beeinträchtigung zivilprozessualer Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Waffengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Parteiherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Dispositionsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Beibringungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Europarechtliche Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Grundsatz des Beklagtengerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 D. Mögliche Folgen einer Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Teil II: Materialisierung im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Kapitel 1: Abzahlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 5 Schuldrechtlicher Schutz des Abzahlungskäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 § 6 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 A. Entwicklung der §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Einführung von § 6a AbzG 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Erweiterung des Anwendungsbereichs 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Inhalt der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 46 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 C. Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 D. Zweck der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 § 7 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . . . 51 A. Entwicklung des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Inhalt des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften nach der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Klagen des Abzahlungskäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Klagen des Verkäufers oder Darlehensgebers . . . . . . . . . . . . . 53 3. Änderungen durch die Abschaffung des Abzahlungsgerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Zweck des Art. 13 EuGVÜ-1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
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Kapitel 2: Verbrauchervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 § 8 Schuld- und kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. Allgemeiner Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Schutzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 B. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge . . . . . . . . . 57 C. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 § 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Haustürgeschäften . . . . . . . . . . 61 I. § 7 HWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Prorogationsverbot der Haustürwiderrufsrichtlinie . . . . . . . . . 61 III. Eingliederung in die ZPO 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Umsetzung der Richtlinie 2011/83/EU 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 B. Inhalt des § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . 63 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Analoge Anwendung auf weitere Schutzsituationen . . . . . . . . . 64 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Klagen des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Klagen des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Gerichtsstandsvereinbarungen, § 38 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 D. Zweck des § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 E. Fortwirken schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Wertung der §§ 312b, 312g BGB in § 29c ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Prozessuales Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 § 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . 71 A. Entwicklung der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Einführung 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. EuGVO – Verordnung 44/2001/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Brüssel Ia-VO – Verordnung 1215/2012/EU . . . . . . . . . . . . . . . . 72 B. Inhalt der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Situativer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Halbzwingender Gerichtsstand zugunsten des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Einschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . 77
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C. Internationale Zuständigkeit ohne Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . 78 D. Zweck der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Ausrichten und Ausüben der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Teilzahlungskauf und Finanzierungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Wirtschaftliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 E. Durchschlagen materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Ausrichten und Ausüben der Tätigkeit, Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Art. 17 Abs. 1 lit. a), b) Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 11 Abweichung von Verfahrensmaximen zugunsten des Verbrauchers . . 84 A. Missbräuchliche Klauseln zu Lasten von Verbrauchern . . . . . . . . . . 84 I. Urteile des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. EuGH, Urteil vom 27. Juni 2000, Rs. C-240–244/98 (Océano Grupo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Rs. C-243/08 (Pannon) . . . 86 3. EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Rs. C-137/08 (Pénzügyi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4. EuGH, Urteil vom 21. März 2013, Rs. C-472/11 (Banif Plus Bank) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Bedeutung der Entscheidungen für das deutsche Recht . . . . . . 89 1. Océano Grupo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Pannon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Pénzügyi Lizing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Banif Plus Bank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG auf prozessuale Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Ermittlung der Tatsachengrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 B. Verbraucherkreditrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 – Rs. C-429/05 (Rampion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . 98 C. Verbrauchsgüterkaufrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Minderung von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 – Rs. C-32/12 (Duarte Hueros) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Minderung und Rücktritt als Gestaltungsrechte nach BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Minderung und Vertragsauflösung als Ansprüche nach Richtlinie 1999/44/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
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c) Auslegung von Willenserklärungen durch das Gericht . . 101 d) Reichweite der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . 102 II. Prüfung der Verbraucherrolle von Amts wegen . . . . . . . . . . . . . 103 1. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – Rs. C-497/13 (Faber) . . . . 103 2. Bedeutung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . 106 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Kapitel 3: Wohnraummietvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 § 12 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Wohnraummieters . . . . . 109 A. Schutz des Wohnraummieters im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Ordentliche Kündigung nur bei berechtigtem Interesse, § 573 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 II. Widerspruch gegen die Kündigung, §§ 574 ff. BGB . . . . . . . . . . 111 III. Rechtfertigung des Schutzes des Wohnraummieters . . . . . . . . . 111 B. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Anwendbares Recht auf Wohnraummietverträge . . . . . . . . . . . . 112 II. Zweck des Art. 4 Abs. 1 lit. c), d) Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 § 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen, § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Miet- und Pachtsachen . . . . . . . 114 I. Mieterschutzgesetz 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. 3. Mietrechtsänderungsgesetz 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 IV. Mietrechtsreformgesetz 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 V. Veränderung des Schutzzwecks von § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . 117 B. Inhalt des § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Ansprüche aus einem Miet- oder Pachtverhältnis über Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Ausnahmen in § 29a Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Rechtsfolge: Ausschließliche Zuständigkeit am Belegenheitsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Ergänzung durch § 23 Nr. 2 lit. a) GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C. Örtliche Zuständigkeit bei Mietstreitigkeiten ohne § 29a ZPO . . . . 121 I. Klagen des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Klagen des Vermieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 122
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Inhaltsverzeichnis
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 D. Zweck des § 29a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Zweckmäßigkeit der Ortsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Schutz des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Veränderung des Schutzzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 14 Ausschließliche Zuständigkeit bei Miete und Pacht, Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 A. Entwicklung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . 126 B. Inhalt des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Erfasste Ansprüche und Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 C. Zuständigkeit ohne Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . 129 I. Klagen des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Klagen des Vermieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Änderungen in der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 D. Zweck des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Schutz von Souveränitätsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Sach- und Beweisnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Rechtsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Schutz des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 E. Sachnähe als Wertung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO . . 134 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 § 15 Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen, § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . 135 A. Entwicklung des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Inhalt des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Regelung ohne § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 D. Zweck des § 308a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Ausnahme vom Dispositionsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Kein Teil des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Durchschlagen schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . 138 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Kapitel 4: Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 § 16 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Versicherungsnehmers . 141 A. Schutz des Versicherungsnehmers im VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Entwicklung des VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Einführung 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Inhaltsverzeichnis
XVII
2. Europarechtliche Einflüsse auf das VVG . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. VVG‑Reform 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie 2016/97/EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Einschränkungen der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Beratung des Versicherungsnehmers, §§ 6, 61 f. VVG . . . . . . 144 2. Information des Versicherungsnehmers, §§ 7, 60 VVG . . . . . 145 3. Widerrufsrecht, §§ 8 f. VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Ausnahmen, § 210 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 III. Begründung des Schutzes des Versicherungsnehmers . . . . . . . . 147 B. Anwendbares Recht nach Art. 7 Rom I‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 § 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen . . . . . . . . 150 I. Gerichtsstand der Agentur, § 48 VVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Reform des VVG 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 B. Inhalt des § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Erfasste Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Teleologische Reduktion auf Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Natürliche und juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Ausschluss von Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Rechtsfolge: halbzwingender Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Besonderer Gerichtsstand bei Klagen gegen den Versicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Ausschließlicher Gerichtsstand bei Klagen des Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Gerichtsstand für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß § 215 Abs. 3 VVG . . . 159 5. Keine zwingende Regelung bei Risiken gemäß § 210 VVG . 159 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Klagen des Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Klagen gegen den Versicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 162 IV. Änderungen der Zuständigkeit durch § 215 VVG . . . . . . . . . . . . 162 D. Zweck des § 215 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Änderungen durch die Reform des VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Wertungen der §§ 6 ff. VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Prozessuales Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
XVIII
Inhaltsverzeichnis
§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . 165 A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen . . . . . . . . 165 I. EuGVÜ 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Erstes Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . . 165 III. EuGVO – Verordnung 44/2001/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 B. Inhalt der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Versicherungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Gerichtsstände für Versicherungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Art. 11 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Art. 12 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Art. 13 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Art. 14 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Gerichtsstandsvereinbarungen, Art. 15 f. Brüssel Ia-VO . . . 170 C. Zuständigkeit ohne Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Klagen gegen den Versicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Klagen des Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 173 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 D. Zweck der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Wertungen schuldvertraglicher Regelungen europäischer Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Wertungen hinter den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . 174 III. Privilegierung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Kapitel 5: Fernunterrichtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 19 Vertraglicher Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG . . . . . . . . . . 180 A. Entwicklung des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 B. Inhalt des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 C. Zuständigkeit ohne § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Klagen gegen den Veranstalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Klagen des Veranstalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . 183 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 D. Zweck des § 26 FernUSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Inhaltsverzeichnis
XIX
I. Schuldvertragliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Prozessuales Schutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Teil III: Bedeutung der Materialisierung für das Verhältnis des materiellen Rechts zum Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 § 21 Materialisierung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 A. Abzahlungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 B. Verbraucherverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 C. Wohnraummietverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 D. Versicherungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 E. Fernunterrichtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 § 22 Prozessualer Schutz des Schwächeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 A. Ausschließlich prozessuale Ausgleichsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Allgemeiner Gerichtsstand, §§ 12 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Prozesskostenhilfe, §§ 114 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Pflicht zum richterlichen Hinweis, § 139 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Modifikation der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 B. Unterschiede zum materialisierten Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . 195 § 23 Bedeutung der Materialisierung im geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . 196 A. Klägergerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Ausschließliche Beklagtengerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz . . . 199 D. Veränderungen durch Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 § 24 Materialisierung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 A. Einführung eines allgemeinen Verbrauchergerichtsstands . . . . . . . . 201 B. Einschränkungen des Beibringungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 203 C. Einschränkung des Dispositionsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Spezialverfahren für Verbraucherstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 § 25 Verhältnis zur alternativen Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 A. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz und ODR‑Verordnung . . . . . . . 208 B. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 C. Anwendung des zwingenden Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . 210 D. Strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 E. Widerspruch zur Materialisierung im gerichtlichen Verfahren . . . . 211 F. Gegenläufige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 § 26 Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Teil I
Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts § 1 Untersuchte Entwicklung Die Materialisierung des Zivilverfahrensrechts beschreibt als Schlagwort eine Entwicklung, im Rahmen derer „vor allem Wertungen des materiellen Rechts als außerprozessuale Einflüsse auf das Zivilprozessrecht mit so großer Deutlichkeit hervortreten, dass in bestimmten Rechtsgebieten von den allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts abgewichen wird.“1 Dabei beziehen sich diese materiellrechtlichen Wertungen nicht auf die Privatautonomie als allgemeinen Grundsatz des materiellen Zivilrechts und insbesondere des Schuldvertragsrechts, sondern auf die Regelungen, die zugunsten einer Partei von den allgemeinen Grundsätzen der Privatautonomie abweichen.2 Die Berücksichtigung solcher schuldvertraglichen Sonderwertungen durch das Zivilprozessrecht hat zur Folge, dass auch dessen Regelungen eine Partei privilegieren.3 Dadurch kann die prozessuale Waffengleichheit gefährdet werden;4 auch die einheitliche Anwendbarkeit des Zivilprozessrechts nach § 3 Abs. 1 EGZPO wird möglicherweise beeinträchtigt.5 In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, wie schuldvertragliche Sonderwertungen zugunsten einer, vermeintlich schwächeren, Partei auf das Zivilverfahrensrecht wirken und welche Folgen dies allgemein für das Prozessrecht hat. Solche schuldvertraglichen Sonderwertungen sollen die Unterlegenheit einer Partei gegenüber der anderen bei Abschluss eines Verpflichtungs1
Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (285), entsprechend beschreibt Heinze, JZ 2011, 709 (716) die Materialisierung des Zivilverfahrensrechts: „Die Verfahrensregeln werden nicht mehr begriffen als vom materiellen Gegenstand unabhängige (‚trans- substantive‘) und deshalb im Wesentlichen für alle Verfahren einheitliche ‚Zweckmäßigkeitsnormen‘, sondern in zunehmendem Maße als ein Vehikel zur Durchsetzung spezifischer Wertungen des materiellen Rechts.“ 2 Hierzu ausführlich unten § 2A, S. 7 ff., vergleiche die Beispiele für Materialisierung von Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (287 ff.) und Heinze, JZ 2011, 709 (716); mit Bezug auf die Durchsetzung von europäischem Schuldvertragsrecht, welches die unionale Vertragsfreiheit materialisiert, durch nationales Prozessrecht Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 463 ff. 3 Allgemein zu den schuldvertraglichen Privilegierungen unten § 2A, S. 7 ff. 4 Heinze, JZ 2011, 709 (716); Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (283). 5 Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (286).
2
Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
geschäftes oder während dessen Laufzeit ausgleichen. Diese Unterlegenheit einer Partei kann sich aus dem Vertragsgegenstand, der Situation des Vertragsschlusses oder dem allgemeinen Kenntnisvorsprung der anderen Partei ergeben.6 Beispiele hierfür sind etwa die Regelungen zum Schutz des Verbrauchers entsprechend der Definition des § 13 BGB7 oder des Wohnraummieters8 im BGB und außerhalb des BGB die Regelungen zum Schutz des Versicherungsnehmers im Versicherungsvertragsgesetz (VVG)9 und des Fernunterrichtsteilnehmers im Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG)10. Im Erkenntnisverfahren nach der ZPO treffen die Parteien unmittelbar aufeinander, je nach prozessualer Situation kann eine Partei der anderen überlegen sein. Schutzregelungen zugunsten einer Partei aus prozessualen Gründen finden sich im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, welches das Erkenntnisverfahren regelt. Dabei kann man an den allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten in den §§ 12 ff. ZPO und Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, an die Regelungen der Prozesskostenhilfe in den §§ 114 ff. ZPO sowie an die Pflicht zum richterlichen Hinweis nach § 139 ZPO denken.11 Neben prozessual begründeten Normen zugunsten einer Partei finden sich im Zivilprozessrecht auch Regelungen, die mit ihrer Begünstigung unmittelbar an die soeben beschriebenen schuldvertraglichen Sonderregelungen anknüpfen. Dabei geht es um Regelungen der örtlichen und internationalen Zuständigkeit. So findet sich etwa in § 29c ZPO ein besonderer Gerichtsstand für außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossene Verträge.12 § 29a ZPO regelt die gerichtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume und nimmt damit in seinem Wortlaut auf die besonderen Regelungen des gewerblichen und des Wohnraummietrechts Bezug.13 § 215 VVG enthält eine besondere Zuständigkeit für Klagen aus Versicherungsverträgen,14 § 26 FernUSG für Klagen aus Fernunterrichtsverträgen.15 Entsprechende Regelungen für die internationale Zuständigkeit enthält teilweise die Brüssel Ia-VO. Die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO bestimmen die Zuständigkeit für Verbraucherstreitigkeiten, 6
Vergleiche wiederum unten § 2A, S. 7 ff. So zum Beispiel die §§ 312 ff. BGB oder die §§ 474 ff. BGB, vergleiche hierzu unten § 8A, B, S. 55 ff. 8 Vergleiche die §§ 549 ff. BGB, insbesondere aber §§ 573 ff. BGB, hierzu unten § 12A, S. 109 ff. 9 Unter anderem die §§ 6 ff. VVG, ausführlich unter § 16A, S. 141 ff. 10 Insbesondere §§ 4 f., 10 FernUSG, hierzu unten § 19, S. 177 ff. 11 Zu rein prozessualen Schutzregelungen siehe unten die Ausführungen unter § 22, S. 190 ff. 12 Hierzu ausführlich unten § 9, S. 61 ff. 13 Siehe hierzu unten § 13, S. 113 ff. 14 Dazu § 17, S. 150 ff. 15 Hierzu die Ausführungen unter § 20, S. 180 ff. 7
§ 1 Untersuchte Entwicklung
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Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO bestimmt die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Verträgen über die Miete und Pacht unbeweglicher Sachen. Die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO regeln die Zuständigkeit für Versicherungssachen. Ebenfalls schuldvertraglichen Bezug hatte die Regelung der Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte der §§ 6a, 6b Abzahlungsgesetz (AbzG) a. F.16 In der ursprünglichen Fassung des EuGVÜ von 1968 fand sich ebenfalls eine Zuständigkeitsregelung für Abzahlungsgeschäfte. Neben solchen besonderen Zuständigkeitsregelungen wird auch die Parteiherrschaft im Zivilprozess zugunsten einer Partei aus schuldvertraglichen Gründen eingeschränkt. Zum einen macht § 308a ZPO eine Ausnahme vom Dispositionsgrundsatz zugunsten des Wohnraummieters,17 zum anderen schränkt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Rechtsprechung die Geltung des Beibringungsgrundsatzes zugunsten des Verbrauchers ein.18 Teil der Materialisierung sind auch die Regelungen zur Offenlegung und Herausgabe von Beweismitteln an den Gegner bei der gerichtlichen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus der Verletzung von Urheberrechten oder Verstößen gegen die Vorschriften des Kartellrechts.19 Durch diese wird vom Beibringungsgrundsatz abgewichen. In Art. 5 ff. der Richtlinie 2014/104/EU20 finden sich etwa Regelungen, die bei Klagen auf Schadensersatz wegen des Verstoßes gegen Wettbewerbsvorschriften den Beklagten zur Offenlegung der relevanten Beweismittel verpflichten. 21 Die Richtlinie 2004/48/EG22 verfolgt im Urheberrecht ähnliche Ansätze. 23 Die gegnerische Partei hat hier auf Antrag der Partei, welche die Verletzung ihrer Urheberrechte geltend macht, die in ihrer Verfügungsgewalt befindlichen Beweismittel zur Begründung des Klageanspruches herauszugeben.24 Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Untersuchung von im Wesentlichen schuldvertraglichen Wertungen, die auf das Zivilprozessrecht Einfluss nehmen. Bei den Regelungen des Kartell- und Urheberrechts handelt es sich um Regelungen mit tendenziell deliktischem Charakter, sie sind daher nicht Gegenstand der Arbeit. 16
Unten § 6, S. 44 ff. Siehe unten § 15, S. 135 ff. 18 Dazu unten § 11, S. 84 ff. 19 Hierzu ausführlich Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (290 f.). 20 Richtlinie 2014/104/EU über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, Abl. EU L 349 2014, 1 ff. 21 Vergleiche den Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 RL 2014/104/EU; Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (290 f.). 22 Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, Abl. EU L 157 2004, 45 ff. 23 Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (291). 24 Vergleiche den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 RL 2004/48/EG. 17
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
Das Schlagwort der Materialisierung im hier untersuchten Sinne meint nicht die sogenannte dienende Funktion des Zivilverfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht. Auch fällt in ihren Problemkreis nicht die grundsätzliche Durchsetzung des materiellen Rechts mithilfe des Verfahrensrechts.25 Unabhängig davon, ob materiellrechtliche Sonderwertungen auf das Zivilverfahrensrecht Einfluss nehmen oder nicht, dient das Zivilprozessrecht der Durchsetzung des materiellen Rechts26 und ist demzufolge auch materiellrechtsfreundlich auszulegen, sodass die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht durch das Zivilprozessrecht unmöglich gemacht werden darf.27 A. Wahrnehmung im zivilprozessualen Schrifttum Ausgehend von der Materialisierung des Schuldvertragsrechts28 wird in der zivilprozessualen Literatur die Materialisierung des Zivilverfahrensrechts in jüngerer Zeit verstärkt thematisiert. Dabei reicht das Spektrum der Auffassungen von starker Befürwortung29 bis hin zu vollständiger Ablehnung30 dieser Entwicklung. Zu den Befürwortern gehört Micklitz. Er beklagte in seinem Gutachten für den 69. Deutschen Juristentag, dass die Begünstigungen des Verbrauchers im materiellen Recht nicht ausreichend auf das Prozessrecht Einfluss nehmen und forderte daher eine stärkere Materialisierung des Prozessrechts.31 Wagner betrachtet die Materialisierung als eine Tendenz, die sich im Zivilverfahrensrecht in Zukunft noch verstärkt zeigen werde.32 Er hat festgestellt, dass die Indifferenz des Zivilprozessrechts gegenüber dem materiellen Recht in bestimmten Teilen des Lebens entweder ins Wanken gekommen oder gar ganz aufgegeben worden sei.33 Diese Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen, es müsse aber mit Blick auf die Zukunft verhin25 Die
materiellrechtsfreundliche Auslegung des Zivilprozessrechts wird von Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 460, in unmittelbarer Nähe der Materialisierung des Zivilprozessrechts gesehen. 26 Hierzu unten § 3C. I, S. 24. 27 Dazu insbesondere Schumann, in: FS Larenz, 1983, S. 571 ff. = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 159 ff.; vergleiche unten § 3C. IV, S. 26 f. 28 Grundlegend Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 29 Zum Beispiel Micklitz, in: Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2012, S. 5 ff. 30 Etwa Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 ff. 31 Micklitz, in: Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2012, S. 5 (89 f.). 32 Wagner, ZEuP 2008, 6 (18). 33 Wagner, ZEuP 2008, 6 (13).
§ 1 Untersuchte Entwicklung
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dert werden, dass das Zivilverfahrensrecht in viele Sondermaterien aufgespalten werde.34 Eine Bewertung nimmt er allerdings nicht vor. Heinze sieht dagegen deutlich die Gefahr, dass eine Indienstnahme des Zivilprozessrechts durch Wertungen des materiellen Rechts dazu führen kann, dass die zivilprozessualen Normen zugunsten einer Partei ausgelegt werden und dadurch die Waffengleichheit im Prozess gefährdet wird.35 Auch H. Roth lehnt die Materialisierung des Zivilverfahrensrechts ausdrücklich ab.36 Durch die Materialisierung besteht nach seiner Auffassung die Gefahr, dass das Verfahrensrecht nicht mehr als unabhängig vom materiellen Recht betrachtet wird und materiellrechtliche Wertungen im Zivilprozessrecht abgebildet werden.37 Tolani schließt sich dieser Auffassung bei Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz zugunsten des Verbrauchers an.38 B. Vorgehen und Gang der Darstellung Umfang, Bedeutung und Folgen der Materialisierung im Zivilverfahrensrecht sind – wie sich auch aus diesen unterschiedlichen Bewertungen in der Literatur ergibt – bisher nicht geklärt. Um diese zu beurteilen, werden zunächst die Entwicklungen im Schuldvertragsrecht und im Zivilprozessrecht dargestellt, die mit dem Schlagwort der Materialisierung beschrieben werden. Anschließend werden die von einer möglichen Materialisierung betroffenen eigenen Wertungen des Zivilprozessrechts – die Waffengleichheit, der Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz sowie der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands – herausgearbeitet. Zur Untersuchung des Status quo der Materialisierung sollen schuldvertragliche und prozessuale Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers im weiteren Sinne untersucht werden. Dabei handelt es sich nicht nur um Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers im Sinne des § 13 BGB, sondern auch um andere Vertragstypen, in denen im Wesentlichen der Endverbraucher von Waren oder Dienstleistungen vor einem ihm insbesondere wirtschaftlich überlegenen Anbieter geschützt wird. Anhand des Abzahlungs- und Teilzahlungsrechts, des Verbraucherschutzrechts, des Wohnraummietrechts, des Versicherungsrechts und des Fernunterrichtsrechts soll untersucht werden, inwieweit die jeweiligen schuldvertraglichen 34 Wagner, ZEuP 2008, 6 (18). 35 Heinze, JZ 2011, 709 (716). 36
„unerwünschte […] Materialisierungstendenzen“, Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (299). 37 Roth, H., in: Symposium Stürner, 2014, S. 69 (70); ders., JZ 2014, 801 (807). 38 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 435 f.
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
Schutzregelungen auf das Erkenntnisverfahren Einfluss nehmen und damit von zivilprozessualen Grundwertungen abweichen. Anhand dieser Fallgruppen sollen der Status quo und die Bedeutung der Materialisierungsentwicklung dargestellt werden und die möglichen Folgen einer Materialisierung für das Verhältnis vom materiellen Recht zum Prozessrecht ermittelt werden. Dabei werden sowohl Regelungen des deutschen als auch des europäischen Zivilprozessrechts betrachtet. Bei letzterem liegt das Augenmerk auf den Regelungen der Brüssel Ia-VO. Auch wird die Rechtsprechung des EuGH zu den nationalen Verfahrensrechten anhand ausgewählter Beispiele bewertet. Bei dem Arbeitnehmer handelt es sich ebenfalls um die Partei, die beim Aufeinandertreffen mit dem Arbeitgeber diesem typischerweise unterlegen ist und zu dessen Gunsten besondere schuldvertragliche und prozessuale Regelungen existieren. Anders als die schuldvertraglich geschützten Parteien, die zuvor genannt wurden, ist der Arbeitnehmer aber kein Konsument im weiteren Sinne: Er erbringt die vertragsbestimmende Leistung und erhält dafür ein Entgelt, während in den sonstigen behandelten Fällen die schwächere Partei das Entgelt zu zahlen hat.39 Mit den genannten Fallgruppen ist er daher nicht vergleichbar. Mit Blick auf bereits existierende Materialisierungserscheinungen und deren Bedeutung für das rechtliche Gesamtgefüge sollen Forderungen nach einer stärkeren Materialisierung des Zivilverfahrensrechts, die insbesondere zugunsten des Verbrauchers gemäß § 13 BGB gefordert wird, auf ihre Berechtigung hin untersucht werden.40 Abschließend wird das Verhältnis zwischen den zivilprozessualen Regelungen zugunsten der schwächeren Partei und den neu geschaffenen Regelungen zu außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren analysiert.41 C. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist dabei, festzustellen, ob materiellrechtliche Regelungen zugunsten der schwächeren Partei tatsächlich vermehrt Einfluss auf das Zivilprozessrecht nehmen oder ob hinter einzelnen Regelungen zugunsten des Schwächeren doch originär prozessuale Erwägungen stehen. Daneben soll untersucht werden, welche Folgen dies unmittelbar und mittelbar für das Zivilprozessrecht und sein Verhältnis zum materiellen Recht hat und ob eine Aufspaltung des Zivilprozessrechts in Sonderprozessrechte droht. Schließlich muss die Frage beantwortet werden, in welchem Verhält39
Mohr, AcP 204 (2004), 660 (692).
40 Hierzu unten § 24, S. 201 ff. 41 Unten § 25, S. 208 ff.
§ 2 Abgrenzung der Entwicklungen
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nis diese Entwicklungen im Zivilprozessrecht zu Neuerungen im Recht der außergerichtlichen Streitbelegung stehen.
§ 2 Abgrenzung der Entwicklungen Das Schlagwort der Materialisierung wird neben der hier verwendeten Definition auch verwendet, um andere Entwicklungen im Privatrecht zu beschreiben. Neben dem zivilprozessualen Kontext wird der Begriff für Entwicklungen im materiellen Zivilrecht, insbesondere dem Schuldvertragsrecht, benutzt. Dabei unterscheiden sich die mit der Materialisierung umschriebenen Entwicklungen im Schuldvertrags- und Zivilprozessrecht grundsätzlich von dem hier untersuchten Begriff, erfassen jedoch teilweise auch Veränderungen, die unter diesem subsumiert werden können. A. Materialisierungstendenzen im Schuldvertragsrecht Canaris verwendete den Begriff der Materialisierung, um Entwicklungen im Schuldvertragsrecht zu beschreiben.42 Auch wenn diese Entwicklung auf den ersten Blick keinen Bezug zur Materialisierung des Zivilverfahrensrechts im hier verwendeten Sinn hat, so wurden durch sie Sonderwertungen in das Schuldvertragsrecht eingeführt, die gegebenenfalls auf das Zivilprozessrecht Einfluss nehmen können. Zentraler Grundsatz des gesamten Privatrechts ist die Privatautonomie, die es dem Einzelnen ermöglicht, seine rechtlichen Beziehungen nach seinem Willen zu gestalten.43 Sie wird durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantiert.44 Teil der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit.45 Sie ermächtigt den Einzelnen, durch Verträge nach seinem eigenen Willen Rechtsfolgen zu setzen.46 Neben der Privatautonomie stehen die privatrechtlichen Wertungen des Vertrauensund des Verkehrsschutzes sowie der Vertragsgerechtigkeit und der Vertragstreue.47 Dem am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen BGB lag die Annahme zugrunde, dass die privatrechtlich handelnden Personen in der Lage seien, ihre Situation angemessen zu beurteilen sowie dementsprechend vernünftig und 42 43
Canaris, AcP 200 (2000), 273 (276 ff.); Auer, Materialisierung, S. 22 ff. Flume, BGB AT, S. 1; Köhler, BGB AT, § 5 Rn. 1. 44 BVerfGE 89, 214 (232); BVerfGE 95, 267 (303); BVerfGE 103, 197 (215); CoesterWaltjen, Jura 2006, 436 (437). 45 Köhler, BGB AT, § 5 Rn. 1. 46 Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (8); Köhler, BGB AT, § 5 Rn. 1. 47 Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (8); Coester-Waltjen, Jura 2006, 436 (436).
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
selbstverantwortlich zu handeln.48 Ihnen wurde daher insbesondere dispositives Recht zur Verwirklichung ihrer Vertragsfreiheit zu Verfügung gestellt.49 Dieser „empirische Durchschnittstypus des liberalen Zeitalters“50 wurde schon 1927 von Radbruch dafür kritisiert, dass er nicht der sozialen Wirklichkeit entspreche.51 Selbstbestimmung kann für den schwächeren Vertragspartner bei deutlicher Übermacht des anderen Vertragspartners zur Fremdbestimmung werden, da der Schwächere im Ergebnis keine Möglichkeiten hat, auf das Verhandlungsergebnis zu seinen Gunsten einzuwirken.52 Ausnahmen von einer ausschließlich formalen Auffassung der Vertragsfreiheit gab es schon bei Inkrafttreten des BGB, etwa in den Regelungen des § 138 BGB.53 Zusätzlich haben sich seit dem Inkrafttreten des BGB technische, wirtschaftliche und soziale Umstände verändert; dies führte insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt zu Einschränkungen bei der privatautonomen Rechtsgestaltung, etwa durch Neuerungen im Arbeits-, Sozial-, Wettbewerbs- und Versicherungsrecht sowie dem Recht der Gefährdungshaftung.54 Ausgangspunkt des schuldvertraglichen Konsumentenschutzes im deutschen Zivilrecht war das Abzahlungsgesetz aus dem Jahre 1894.55 Ausgenommen von dem geschützten Personenkreis waren nur Kaufleute; auf eine konkrete Schutzbedürftigkeit des vermeintlich Schwächeren kam es nicht an.56 Der Wohnraummieter wurde seit 1917 vor Vermieterkündigungen geschützt; dieser Schutz wurde insbesondere im zweiten Weltkrieg und den Folgejahren verstärkt.57 Die allgemeine Verbraucherschutzdebatte wurde in den sechziger Jahren aufgenommen, ab Mitte der siebziger Jahre wurde der Schutz des Schwächeren durch das Abzahlungsgesetz ausgedehnt und verschärft.58 Mit dem Fernunterrichtsschutzgesetz,59 dem Gesetz zur 48 Limbach, JuS 1985, 10 (10 f.); Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 3. Aufl. (2016), S. 482. 49 Mohr, AcP 204 (2004), 660 (661). 50 Radbruch, Der Mensch im Recht, 1927, S. 11. 51 Radbruch, Der Mensch im Recht, 1927, S. 11 f. 52 BVerfGE 81, 242 (255); BVerfGE 89, 214 (232); Wolf/von Bismarck, JA 2010, 841 (842). 53 Gsell, WuW 2014, 375 (376). 54 Schmidt, E., JZ 1980, 153 (155); Zöllner, AcP 188 (1988), 85 (97 f.); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 344 ff. 55 Gesetz, betreffend die Abzahlungsgeschäfte, RGBl. 1894, 450 f.; MüKo BGB/ Micklitz/Purnhagen, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 13 f. BGB, Rn. 3; Staudinger/ Fritzsche, Vorbemerkungen zu §§ 13 f. BGB, Rn. 2. 56 Staudinger/Fritzsche, Vorbemerkungen zu §§ 13 f. BGB, Rn. 2. 57 Medicus, in: FS Kitagawa, 1992, S. 471 (474 f.). 58 Eckpfeiler Zivilrecht/Gsell, L. Verbraucherschutz, Rn. 1. 59 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG), BGBl. Teil I 1976, 2525 ff.
§ 2 Abgrenzung der Entwicklungen
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Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen60 und dem Reisevertragsgesetz61 wurden weitere Schutzregelungen außerhalb und innerhalb des BGB geschaffen.62 Ebenfalls Mitte der siebziger Jahre wurden erste Entwürfe für ein Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften unterbreitet, dieses trat jedoch erst 1986 in Kraft.63 Die allgemeine Definition des Verbrauchers wurde im Jahr 2000 durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge64 in § 13 BGB eingeführt,65 um die Rechtsanwendung zu vereinfachen.66 Vorher war die schwächere Person in verbraucherschützenden Regelungen nicht einheitlich definiert; im Haustürwiderrufsgesetz wurde etwa der „Kunde“67 privilegiert. Das Versicherungsvertragsrecht schützt auch heute noch den „Versicherungsnehmer“, das Fernunterrichtsrecht den „Teilnehmer“ und die besonderen Regelungen des Wohnraummietrechts schützen den „Mieter“. Der schuldvertragliche Schutz des Schwächeren ist nicht auf den Verbraucher im Sinne des § 13 BGB beschränkt; innerhalb und außerhalb des BGB werden auch andere Parteien geschützt. Seit den achtziger Jahren geht die Initiative für verbraucherschützende Gesetzgebung vermehrt von der Europäischen Union aus.68 Das Haustürwiderrufsgesetz (HWiG) vom 16. Januar 1986 erging parallel zur Haustürwiderrufsrichtlinie;69 später erlassene Sondergesetze wie Produkthaftungs-, Verbraucherkredit- und Fernabsatzgesetz hatten ihren Ursprung in europäischen Regelungen.70 Mittlerweile liegen beinahe sämtlichen im BGB geregelten Vorschriften, die an den Verbraucher aus § 13 BGB an60 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB‑Gesetz), BGBl. Teil I 1976, 3317 ff. 61 Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Reisevertragsgesetz), BGBl. Teil I 1979, 509 ff. 62 MüKo BGB/Micklitz/Purnhagen, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 13 f. BGB, Rn. 5 f.; MüKo BGB/Tonner, Vorbemerkung §§ 651a ff. BGB, Rn. 20; Eckpfeiler Zivilrecht/Gsell, L. Verbraucherschutz, Rn. 1. 63 Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG), BGBl. Teil I 1986, 122 f.; Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64. 64 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BGBl. Teil I 2000, 897 ff. 65 MüKo BGB/Micklitz/Purnhagen, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 13 f. BGB, Rn. 68. 66 Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT‑Drucks. 14/2658 (29). 67 Vgl. § 1 Abs. 1 HWiG a. F. 68 Mohr, AcP 204 (2004), 660 (668); Eckpfeiler Zivilrecht/Gsell, L. Verbraucherschutz, Rn. 1. 69 Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, Abl. EU L 372 1985, 31 ff. 70 MüKo BGB/Micklitz/Purnhagen, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 13 f. BGB, Rn. 7.
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
knüpfen, europäische Richtlinien zugrunde, etwa die Verbraucherkreditrichtlinie71 und die Wohnraumimmobilienrichtlinie72 als Grundlage der Verbraucherdarlehensverträge in den §§ 491 ff. BGB oder die Verbraucherrechterichtlinie73 als Grundlage der Verträge über besondere Vertriebsformen in den §§ 312 ff. BGB.74 Um originär deutsches Recht handelt es sich nur bei den Vorschriften zu unentgeltlichen Darlehen und Finanzierungshilfen nach den §§ 514 f. BGB und zu Verbraucherbauverträgen gemäß der §§ 651i ff. BGB.75 Das Schuldvertragsrecht wird von materialen Gerechtigkeitserwägungen und Prinzipien sozialer Verantwortung überlagert.76 Seine Materialisierung beschreibt die Entwicklung von einer formalen Konzeption zu einem material geprägten Verständnis des Vertrages.77 So kommen Inhalte und Gerechtigkeitsanforderungen zum Ausdruck, die über rein rechtliche Handlungsspielräume hinausgehen.78 Die Materialisierung des Schuldvertragsrechts wird zum einen an der Zunahme zwingender Regelungen und zum anderen dem vermehrten richterlichen Ausgleich zu Gunsten des Schwächeren festgemacht.79 Diese betreffen zum einen die Vertragsfreiheit (I) und zum anderen die Vertragsgerechtigkeit (II). I. Vertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit ist die rechtlich anerkannte Kompetenz des Einzelnen, durch Verträge nach dem eigenen Willen Rechtsfolgen zu setzen.80 Jeder soll entscheiden können, ob er einen Vertrag schließt, wer sein Vertragspartner sein soll, welche Rechte und Pflichten sich aus dem Vertrag ergeben und welche Form für den Vertragsschluss verwendet wird.81 Die Selbst71 Richtlinie
2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, Abl. EG L 133 2008, 66 ff. 72 Richtlinie 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, Abl. EU L 60 2014, 34 ff. 73 Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG und der Richtlinie 1999/44/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG und der Richtlinie 97/7/EG (Verbraucherrechterichtlinie), Abl. EU L 304 2011, 64 ff. 74 Schürnbrand/Janal, Examens-Repetitorium Verbraucherschutzrecht, 3. Aufl. (2018), Rn. 10. 75 Schürnbrand/Janal, Examens-Repetitorium Verbraucherschutzrecht, 3. Aufl. (2018), Rn. 10. 76 Auer, Materialisierung, S. 22. 77 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (276). 78 Keiser, KritV 2013, 83 (86). 79 Schmidt, E., JZ 1980, 153 (156). 80 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (277). 81 Köhler, BGB AT, § 5 Rn. 1.
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bestimmung durch das Setzen von Rechtsfolgen nach dem eigenen Willen kann aber nur sichergestellt werden, wenn ihr weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse im Weg stehen.82 Wird die Vertragsfreiheit formal verstanden, wird die vertragliche Handlungsfreiheit neutral, abstrakt sowie rein rechtlich gewährt und die konkret betroffene Person nicht berücksichtigt – bei einem materialen Verständnis wird dagegen nach der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen differenziert.83 Eine Materialisierung der Vertragsfreiheit bedeutet daher, dass die Voraussetzungen der Vertragsfreiheit durch das Eingreifen des Gesetzgebers oder der Gerichte sichergestellt werden, wenn die Möglichkeiten einer oder beider Vertragsparteien zur Selbstbestimmung bei Vertragsschluss eingeschränkt sind.84 Ausnahmen von der Inhaltsfreiheit durch zwingendes Recht schützen dabei in der Regel Gemeinschaftswerte, halbzwingende Vorschriften den schwächeren Vertragspartner.85 Vereinzelte Regelungen zum Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit finden sich schon seit seinem Inkrafttreten im BGB.86 Zu ihnen gehören die Vorschriften über die Geschäftsunfähigkeit und die beschränkte Geschäftsfähigkeit in den §§ 104 ff. BGB, die Anfechtung nach den Gründen aus den §§ 119, 123 BGB und der Wucher in § 138 Abs. 2 BGB.87 Ergänzt wurden diese Regelungen später durch vorvertragliche Aufklärungspflichten, die heute in den §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB geregelt sind; für Verbraucherverträge gibt es besondere Vorschriften in den §§ 312d, 312 ff. BGB.88 Die Vorschriften für Verbraucherverträge sowie weitere Informationspflichten zur Gewährleistung der Selbstbestimmung vor Abschluss des Vertrages haben ihre Grundlage im europäischen Recht.89 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie90 wurden allgemeine Informationspflichten des Unternehmers und weitere Grundsätze für alle Verbraucherverträge in das BGB aufgenommen.91 Diese sollen die schwä82
Canaris, AcP 200 (2000), 273 (277); Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 331. Canaris, AcP 200 (2000), 273 (277 f.); Auer, Materialisierung, S. 24. 84 Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 331 f. 85 Bruns, JZ 2007, 385 (389). 86 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (280). 87 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (280). 88 Zu vorvertraglichen Informationspflichten als Mittel zur Gewährleistung der Selbstbestimmung Auer, Materialisierung, S. 28 f. mit weiteren Nennungen. 89 Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 337, spricht hier von einer Materialisierung ex ante. Ausführlich zur Materialisierung durch europäischen Einfluss ders., Vertragsfreiheit, S. 346 ff. 90 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BGBl. Teil I 2013, 3642 ff. 91 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BT‑Drucks. 17/12637 (33). 83
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chere Partei in die Lage versetzen, eine selbstbestimmte, privatautonome Entscheidung zu treffen.92 Die Selbstbestimmung der Parteien kann durch vorvertragliche Schutzinstrumente nicht sichergestellt werden, wenn die Situation des Vertragsschlusses oder die Komplexität des Geschäftes dies auch bei vollständiger Information der Partei nicht zulassen; in diesem Fall wirkt die schuldvertragliche Materialisierung nach Abschluss des Vertrages.93 Widerrufsrechte wie die §§ 312g, 355 BGB ermöglichen einer Partei, sich grundlos vom bereits wirksam geschlossenen Vertrag zu lösen.94 Sie schränken die Bindung an den Vertrag als eng mit der formalen Vertragsfreiheit verbundenen Grundsatz ein.95 In den angeführten Regelungen des BGB geht es nicht nur darum, beiden Vertragsparteien abstrakt und rein rechtlich die gleichen Möglichkeiten einzuräumen, ihrem jeweiligen Willen entsprechend Rechtsfolgen zu setzen. Vielmehr soll die tatsächliche Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen berücksichtigt werden. Sie folgen keinem formalen, sondern einem materialen Verständnis der Vertragsfreiheit. II. Vertragsgerechtigkeit Die Vertragsfreiheit ermächtigt die Parteien zur Bestimmung der gegenseitigen Leistungen und der sonstigen Vertragsbestimmungen. Durch die Gegenläufigkeit der Interessen der beiden Vertragsparteien und das freie Aushandeln des Vertrages wird ein gerechtes Ergebnis erzielt.96 Die Vertragsgerechtigkeit ergibt sich grundsätzlich aus der freiwilligen Willenseinigung der Parteien97 und hat daher überwiegend prozeduralen Charakter.98 Geht man anstelle dieses formalen von einem materiellen Verständnis der Vertragsgerechtigkeit aus, so wird mindestens teilweise auf den Inhalt des Vertrages und die Gleichwertigkeit oder Angemessenheit der gegenseitigen Leistungen abgestellt.99 Den Parteien werden inhaltliche Vorgaben 92
Zum Verbraucher Roth, H., in: Karlsruher Forum 2011, 2012, S. 5 (42). als „Materialisierung ex post“ von Lüttringhaus, Vertragsfreiheit,
93 Bezeichnet
S. 337. 94 Allgemein zu Widerrufsrechten als Mittel zur Gewährleistung materialer Vertragsfreiheit Auer, Materialisierung, S. 28 f. mit weiteren Nennungen. 95 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (344). 96 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB‑Gesetz), BT‑Drucks. 7/3919 (13); Limbach, JuS 1985, 10 (12); Coester-Waltjen, Jura 2006, 436 (436). 97 von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1840, S. 370 f.; Bruns, JZ 2007, 385 (386). 98 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (283 f.). 99 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (282 f.); Auer, Materialisierung, S. 23.
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gemacht und so wird in ihre Gestaltungsmöglichkeiten eingegriffen.100 Sie sind Grundlage für dispositives und zwingendes Recht, das die Vertragsfreiheit begrenzt.101 Dazu gehört insbesondere die Inhaltskontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB, der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB, der Wucher in § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Geschäft des § 138 Abs. 1 BGB.102 Bei der Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen wird die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners dadurch beeinträchtigt, dass ihm eine realistische Möglichkeit zum Aushandeln des Vertragsinhaltes fehlt.103 Alternativ kann der Aufwand für die Änderung der vertraglichen Nebenbedingungen oder die Suche nach einem besseren Angebot für ihn außer Verhältnis zu der Verbesserung seiner vertraglichen Stellung stehen.104 Die für den Kunden nachteiligen Nebenbedingungen werden daher durch den Markt nicht korrigiert; dessen Versagen ist Grund für den Eingriff in den Inhalt allgemeiner Geschäftsbedingungen durch zwingendes Recht.105 Die Hauptleistungspflichten können allerdings nur die Parteien festlegen.106 Weder wird im Rahmen der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen deren Gleichwertigkeit überprüft noch handelt es sich bei § 138 BGB um eine Norm der Preiskontrolle im Sinne einer laesio enormis, da die Sittenwidrigkeit nicht nur von einem überhöhten Preis abhängt.107 Zwischen der formalen Vertragsgerechtigkeit und der materialen Vertragsfreiheit besteht ein enger Zusammenhang. Wird die tatsächliche Entscheidungsfreiheit und die Selbstbestimmung der Parteien gestärkt, unterstützt dies die formale Vertragsgerechtigkeit.108 Dagegen führen Materialisierungsentwicklungen der Vertragsgerechtigkeit schnell zu inhaltlichen Unsicherheiten und stoßen auf Widerspruch mit den Vorstellungen von Freiheit in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft.109 Anstelle des Vertragsschlusses nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien tritt, 100 Wolf/von Bismarck, JA 2010, 841 (848). 101 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (285), zu
den zwingenden Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs als Materialisierung der Vertragsgerechtigkeit Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 383 f. 102 Auer, Materialisierung, S. 26; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. (2008), S. 435 f. 103 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (321 f.). 104 MüKo BGB/Basedow, Vorbemerkung §§ 305 ff. BGB, Rn. 5. 105 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (324); MüKo BGB/Basedow, Vorbemerkung §§ 305 ff. BGB, Rn. 5. 106 Coester-Waltjen, Jura 2006, 436 (440). 107 Coester-Waltjen, Jura 2006, 436 (440). 108 Hierzu die Ausführungen unter § 2A. I , S. 10 ff. 109 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (286 f.).
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
sobald die freie Willenseinigung nicht die soziale Gerechtigkeit verwirklicht, die Intervention durch einen Hoheitsträger.110 B. Entwicklungen im Zivilverfahrensrecht Im zivilprozessualen Kontext wurde und wird in der Literatur das Schlagwort der Materialisierung nicht ausschließlich verwendet, um den Einfluss schuldvertraglicher Sonderwertungen auf das Zivilverfahrensrecht zu beschreiben. Es wird auch benutzt, um die Einflussnahme höherrangigen Rechts auf das Zivilprozessrecht und die Zunahme sogenannter materialer Gerechtigkeitswertungen im Zivilprozessrecht darzustellen. I. Einfluss höherrangigen Rechts Gilles hatte das Schlagwort der Materialisierung schon 1981 verwendet, um die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts aufzuzeigen, verfassungsrechtliche Gesichtspunkte in zivilprozessuale Fragestellungen miteinzubeziehen. Die daraus folgende „Materialisierung“ des Zivilprozessrechts gehe über eine Wiederanbindung des Zivilprozessrechts an das materielle Zivilrecht deutlich hinaus.111 Dieser Verwendung des Schlagwortes Materialisierung schließt sich auch Fischer an, wenn er den Einfluss der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf den Zivilprozess untersucht.112 Nach diesen Auffassungen meint „Materialisierung“ den Einfluss des höherrangigen Verfassungsrechtes auf den Zivilprozess. Grund- und Menschenrechte wirken auf das Zivil- und Zivilprozessrecht, so beeinflussen verfassungsrechtliche Werte und Prinzipien die Privatrechtsordnung.113 „Materialisierung“ beschreibt hier eine Entwicklung, die auch als Konstitutionalisierung bezeichnet wird.114 1. Einfluss des Grundgesetzes Zunächst nimmt das Grundgesetz auf das Zivilverfahrensrecht Einfluss. Durch Verfahrensregelungen gestaltet es unmittelbar den Prozess; als Verfassung hat es Vorrang vor dem einfachen Recht.115
110 111
Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 330. Gilles, JuS 1981, 402 (405). 112 Fischer, Zivilverfahrens- und Verfassungsrecht, 2002, S. 66 f. 113 Hess, JZ 2005, 540 (540). 114 Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9; Hess, JZ 2005, 540 (540). 115 Schumann, ZZP 96 (1983), 137 (144 f.).
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Bis in die siebziger Jahre wurde den materiellen Grundrechten kein Einfluss auf das Prozessrecht zugesprochen.116 Die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG gilt aber auch für die Grundrechte des Grundgesetzes.117 Zwischen materiellen Grundrechten und dem Verfahrensrecht besteht ein „unlösbare[r] Zusammenhang“118 als Ursprung prozessualer Folgen.119 Die Prozessparteien sind zwar im Verhältnis zueinander gleichrangig, dem Gericht gegenüber jedoch untergeordnet.120 Alle Beteiligten des Prozesses – Parteien und Gericht – sind an die Rechtsordnung gebunden; die Grundrechte haben Einfluss auf Prozessnormen und anwendbares materielles Recht.121 Daneben sind die Prozessparteien der Gerichtsgewalt unterworfen, weshalb hier insbesondere auch materielle Grundrechte wirken.122 Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verwirklichen sich insbesondere im Gerichtsverfassungsrecht: Die Verteilung der Zuständigkeit und der Geschäftsverteilungsplan müssen dem Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG genügen; jedermann hat vor Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 97 GG verlangt vom Richter Unabhängigkeit und damit auch seine Neutralität und schließlich vertraut Art. 92 GG die rechtsprechende Gewalt den Gerichten an.123 Die Frage, ob die Verfassung Vorrang vor dem einfachen Zivilprozessrecht hat, kann heute nicht mehr gestellt werden. Sie stellte allerdings wegen der ursprünglich vertretenen Unabhängigkeit des Privatrechts vom Verfassungsrecht eine tiefgreifende Änderung in der Wahrnehmung des Verhältnisses von Zivilprozessrecht und Verfassung dar.124 Als einfaches Bundesrecht muss das Zivilprozessrecht verfassungskonform sein, es darf den Vorgaben des Grundgesetzes nicht widersprechen.125 Die Konstitutionalisierung als die Einflussnahme der Verfassung ist sowohl normenhierarchisch zwingend als auch selbstverständlich.126 116 Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (24) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (310). 117 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 507. 118 BVerfGE 49, 244 (247). 119 Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (25) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (310). 120 Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (25 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (311). 121 Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (25 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (311 f.). 122 Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (25 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (311 f.). 123 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 37. 124 Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 18. 125 Zu diesem Ergebnis kommt auch Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (288). 126 Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 9.
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
2. Europäisches Primärrecht a) Grundfreiheiten Bis in die neunziger Jahre beeinflusste das europäische Primärrecht die nationalen Zivilprozessrechte der Mitgliedsstaaten wenig.127 Eine der wenigen Entscheidungen des EuGH zu den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot erging zum früheren § 110 ZPO, der Ausländer zu einer Sicherheitsleistung für die Prozesskosten verpflichtete und damit gegen das Diskriminierungsverbot im Sinne des Art. 18 AEUV verstieß.128 Insgesamt entfaltet das allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß Art. 18 AEUV aber wohl wenig Wirkung im Zivilprozessrecht, da hier selten nach der Staatsangehörigkeit differenziert und auch die Freizügigkeitsgarantie kaum durch das Zivilprozessrecht beeinträchtigt wird.129 b) Äquivalenz- und Effizienzgrundsatz Verfahrensregelungen, die den Schutz der europäischen Rechte der Bürger sicherstellen, sind grundsätzlich Aufgabe der nationalen Gesetzgeber, solange sie das Äquivalenz- und das Effektivitätsprinzip berücksichtigen.130 Die Kompetenz der Mitgliedsstaaten zur Schaffung von Verfahrensregelungen beschränkt sich aber wohl auf die Wahl der Mittel, mit deren Hilfe materielle Unionsrechte gewährleistet werden sollen.131 Verfahren für Klagen, die dem Bürger Schutz aus dem Gemeinschaftsrecht gewähren, dürfen nach dem Äquivalenzgrundsatz nicht ungünstiger ausgestaltet sein als Klagen über innerstaatliches Recht; nach dem Effektivitätsgrundsatz dürfen sie nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte des Gemeinschaftsrechts unmöglich machen.132 Vorrangige Bedeutung entfalteten diese Grundsätze im Verwaltungsrecht.133 Ausgehend vom Beihilferecht hat der EuGH sie zu einem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und nicht 127
Heinze, JZ 2011, 709 (709). für eine § 110 ZPO a. F. vergleichbare schwedische Norm EuGH, Urteil v. 26. 09. 1996 – C-43/95 (Data Delecta) ECLI:EU:C:1996:357, Slg. I 1996, 4671 (Rn. 22); Roth, H., in: Recht und Rechtswissenschaft, 2000, S. 351 (353 f.), außerdem zum deutschen Recht EuGH, Urteil v. 20. 03. 1997 – C-323/95 (Hayes) ECLI:EU:C:1997:169, Slg. I 1997, 1718 (Rn. 25); Heinze, JZ 2011, 709 (712 f.). 129 Heinze, JZ 2011, 709 (713). 130 EuGH, Urteil v. 26. 10. 2006 – C-168/05 (Mostaza Claro) ECLI:EU:C:2006:675, Slg. I 2006, 10437 (Rn. 24). 131 Amort, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler, 2016, S. 323 (328). 132 EuGH, Urteil v. 10. 07. 1997 – C-261/95 (Palmisani) ECLI:EU:C:1997:351, Slg. I 1997, 4037 (Rn. 27); ders., Urteil v. 16. 03. 2006 – C-234/04 (Kapferer) ECLI:EU:C: 2006:178, Slg. I 2006, 2605 (Rn. 22); Heinze, JZ 2011, 709 (713); Linke/Hau, IZVR, Rn. 1.13. 133 Heinze, JZ 2011, 709 (713); Reich, VuR 2012, 327 (327). 128 So
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diskriminierende, wirksame Durchsetzung des europäischen Rechts entwickelt.134 Dabei werden die nationalen Prozessrechte auch dann durch das Unionsrecht überformt, wenn die Regelungen des Schuldvertragsrechts, die europäische Grundlage haben, sich nicht im Prozess durchsetzen.135 Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Partei die dafür vorausgesetzten Tatsachen nicht darlegt oder ihre Rechte nicht geltend macht.136 Vorgaben des Schuldvertragsrechts europarechtlichen Ursprunges haben dabei Einfluss auf die Anwendung der Vorschriften des nationalen Zivilprozesses, in dem diese ergebnisorientiert umgesetzt werden müssen.137 Der EuGH wendet diese Grundsätze sogar auf reine Binnensachverhalte an.138 So hat er unter anderem in dem Fall, dass der Verbrauchsgüterkäufer durch zu strenge Vorgaben für den gerichtlichen Antrag belastet139 oder ein Kreditnehmer durch die Ausgestaltung des Mahnverfahrens benachteiligt wird,140 Vorgaben für das zivilprozessuale Verfahren formuliert.141 Hierdurch greift der EuGH in jüngerer Zeit stärker in nationale Prozessrechte ein. Dabei geht es ihm insbesondere um die wirksame zivilprozessuale Durchsetzung rechtlicher Garantien zugunsten des Verbrauchers, die ihre Grundlage in europäischen Richtlinien haben. Bei diesen verbraucherschützenden Regelungen handelt es sich um Sonderwertungen aus dem Schuldvertragsrecht. Die Ausdehnung dieser Rechtsprechung des EuGH kann dazu führen, dass Grundprinzipien nationaler Verfahrensrechte außer Kraft gesetzt werden.142 3. Konstitutionalisierung als Folge der Normenhierarchie Die verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung zivilprozessualer Normen ist Ausdruck der Hierarchie der Rechtsquellen: Eine Norm muss so ausgelegt werden, dass sie nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht steht.143 Bei einem Verstoß gegen das Grundgesetz ist eine Norm nichtig, bei Verstoß gegen europäisches Recht ist sie aufgrund des sogenannten Anwendungsvorranges im Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht an134
Heinze, JZ 2011, 709 (713). Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 465. Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 465. 137 Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 516 f. 138 Linke/Hau, IZVR, Rn. 1.14. 139 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, elektr. Slg. 2013. Hierzu unten § 11C. I, S. 99 ff. 140 EuGH, Urteil v. 14. 06. 2012 – C-618/10 (Banco Español de Crédito) ECLI:EU: C:2012:349, NJW 2012, 2257 ff. 141 Linke/Hau, IZVR, Rn. 1.14. 142 Binder, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler, 2016, S. 301 (319). 143 Schumann, in: FS Larenz, 1983, S. 571 (575 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 159 (163 f.). 135 136
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wendbar.144 Diese Entwicklung, die auch mit dem Schlagwort der Materialisierung beschrieben wird, ist aus heutiger Perspektive nicht problematisch. Anders verhält es sich möglicherweise bei der Rechtsprechung des EuGH zum Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz bei europäischen Sekundärrechtsakten, da hier besondere Wertungen des Schuldvertragsrechts auf das Zivilprozessrecht Einfluss nehmen können.145 II. Materiale Gerechtigkeitswertungen Neben der Konstitutionalisierung wird das Schlagwort der Materialisierung verwendet, um die Zunahme materialer Gerechtigkeit im Zivilprozessrecht zu beschreiben – entsprechend der als Materialisierung beschriebenen Entwicklung im Schuldvertragsrecht.146 Pfeiffer sieht eine Materialisierung des Zivilprozessrechts als Folge des Übergangs von der Begriffsjurisprudenz zur Interessen- oder Wertungsjurisprudenz: Das Zivilprozessrecht habe sich vom technischen Recht, das von verschiedenen Zweckmäßigkeitserwägungen beherrscht wird,147 hin zu Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit entwickelt.148 Für ihn ist Materialisierung damit das grundsätzliche Zugeständnis eigener Wertungen an das Zivilprozessrecht und meint die Geltung materialer Verfahrensgerechtigkeit im Zivilverfahrensrecht. Für Hönn beschreibt „Materialisierung“ den Schutz des Schwächeren im Zivilprozess unter dem Gesichtspunkt der Herstellung von Chancengleichheit.149 Statt auf abstrakte Begriffe stellt er auf die konkrete Situation ab. Sobald man von einem Sonderrechtsschutz im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht sprechen könne, seien diese Normen von einer Materialisierung betroffen.150 So ließen sich etwa Beweislastumkehrungen als Ausgleich eines strukturellen Ungleichgewichtes auf der Ebene des Prozessrechtsverhältnisses sehen; dies entspreche dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der gleichen Anrufungschance der Parteien.151 144 EuGH, Urteil v. 22. 10. 1998 – C-10/97 bis C-22/97 (Ministero delle Finanze) ECLI:EU:C:1998:498, Slg. I 1998, 6324 (Rn. 20 f.); ders., Urteil v. 19. 11. 2009 – C-314/08 (Filipiak) ECLI:EU:C:2009:719, Slg. I 2009, 11049 (Rn. 83); Schroeder, Grundkurs Europarecht, 5. Aufl. (2017), § 5 Rn. 24. 145 Zur Materialisierung durch die Rechtsprechung des EuGH zu Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz siehe unten § 11, S. 84 ff. 146 Hierzu schon oben § 2A, S. 7 ff. 147 Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts, 2. Aufl. (1924), S. XIV. 148 Pfeiffer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 617 (619). 149 Hönn, in: FS Ishikawa, 2001, S. 199 (209). 150 Hönn, in: FS Ishikawa, 2001, S. 199 (205). Seine Ausführungen beziehen sich zwar auf das materielle Zivilrecht, mangels anderer Darstellung sollen sie wohl auch für das Zivilprozessrecht gelten. 151 Hönn, in: FS Ishikawa, 2001, S. 199 (209 f.).
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Auch Koch entdeckt Materialisierungstendenzen im Zivilprozessrecht; er lehnt einen „formalen Selbstzweck“ des Prozesses ab und sieht die Verwirklichung materialer Vorgaben als dessen Aufgabe, die über den Individualrechtsschutz hinausgehe.152 C. Verhältnis zum untersuchten Begriff Der Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts wurde und wird in der Literatur in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, er unterscheidet sich von dem der Arbeit zugrundeliegenden Begriff.153 In allen Fällen geht es aber um vermeintlich grundsätzliche Veränderungen der Struktur des Zivilprozessrechts, deren Ursprung und Wirkung jedoch unterschiedlich verortet werden. In diesen Zusammenhang passen auch die Diskussionen um den sozialen Zivilprozess154 oder den politischen Richter.155 Die Konstitutionalisierung156 und die Zunahme materialer Gerechtigkeitswertungen157 sollen im Folgenden nicht näher untersucht werden. Durch den Einfluss höherrangigen Rechts auf das Zivilprozessrecht werden konkrete Wertungen des materiellen bürgerlichen Rechts und insbesondere des Schuldvertragsrechts nicht auf das Prozessrecht übertragen. Der Einfluss des ranghöheren auf das rangniedrigere Recht im Rahmen einer Normenhierarchie ist eine Entwicklung, die sich zwingend aus dem Vorrang des Verfassungsrechts und Europarechts ergibt.158 Einzige Ausnahme, bei der eine Materialisierung und eine Konstitutionalisierung nebeneinanderstehen, ist der Einfluss des europarechtlichen Äquivalenz- und Effizienzgrundsatzes. Diese Wertungen aus dem europäischen Sekundärrecht können mithilfe von Regelungen des Schuldvertragsrechts auf das Prozessrecht übertragen werden.159 Anders als im Zivilprozessrecht bezieht sich die Materialisierung im Schuldvertragsrecht einheitlich auf die stärkere Einflussnahme „materialer“ Wertungen.160 Die Zulässigkeit materieller Einzelfallgerechtigkeit im Zivilprozess, etwa durch die Auferlegung von Aufklärungspflichten,161 wird heute genauso wenig bestritten wie die der Einflussnahme des Verfassungs152 153
Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 7 f. Zu diesem siehe oben § 1, S. 1 ff. 154 Grundlegend Wassermann, Der soziale Zivilprozess, 1978. 155 Erwähnt zum Beispiel von Dütz, ZZP 87 (1974), 361 (388 f.); Gilles, JuS 1981, 402 (405 f.). 156 Oben § 2B. I, S. 14 ff. 157 Oben § 2B. II, S. 18 f. 158 Oben § 2B. I. 3, S. 17 f. 159 Oben unter § 2B. I. 2.b), S. 16 f. 160 Dazu oben § 2A, S. 7 ff. 161 Zu prozessual begründeten Schutzinstrumenten siehe unten § 22, S. 190 ff.
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
rechts auf das Zivilprozessrecht im Rahmen der sogenannten Konstitutionalisierung.
§ 3 Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht A. Abgrenzung des materiellen Rechts vom Verfahrensrecht Die Trennung von Klage und Anspruch ist das Ergebnis eines langen Prozesses, der im 19. Jahrhundert endgültig durch Windscheid abgeschlossen wurde.162 Nach seiner Formulierung „ist das Recht das Prius, die Klage das Spätere, das Recht das Erzeugende, die Klage das Erzeugte.“163 Diese Formulierung prägt das Rechtsverständnis bis heute.164 Die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht ist nach heutiger Auffassung selbstverständlich für die juristische Systembildung.165 Prozessrecht und materielles Recht orientieren sich an unterschiedlichen Zielen und Denkweisen.166 Die Zuordnung einer Norm zum materiellen Recht oder zum Prozessrecht kann nach verschiedenen Merkmalen erfolgen.167 Die Qualifikation von Normen als materielles Recht oder Prozessrecht hat nach Sinn und Zweck der Vorschriften und nicht nach ihrer Position im Gesetz, etwa in BGB oder ZPO, zu erfolgen.168 Zum materiellen Recht gehören nach allgemeiner Auffassung alle Normen und Prinzipien, die das Verhalten der Rechtssubjekte unmittelbar und ohne Zwischenschaltung eines Rechtspflegeorganes regeln.169 Das materielle Zivilrecht ist damit für die Entstehung von Rechten und Rechtsverhältnissen verantwortlich, die in der Regel ohne Weiteres verwirklicht werden.170 Es schadet bei der Zuordnung zum materiellen Recht allerdings nicht, wenn die Normen prozessuale Folgen wie bei Verjährungs- und Ausschlussfristen berücksichtigen.171 Das Prozessrecht betrifft dagegen den gerichtlichen Rechtsstreit als Verfahren vor Rechtspflegeorganen mit dem Ziel der Rechtspflege.172 Es regelt Ablauf und Ausgestaltung des Verfahrens, 162
Zur Entwicklung ausführlich Zöllner, AcP 190 (1990), 471 ff. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 3. Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (473). 165 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 5. 166 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 33. 167 Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 34. 168 Arens, AcP 173 (1973), 250 (252); Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 33. 169 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 24 f.; Braun, Zivilprozeßrecht, S. 1. 170 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 31. 171 Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 33. 172 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 24; Braun, Zivilprozeßrecht, S. 1. 163 164
§ 3 Verhältnis des materiellen Rechts zum Prozessrecht
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wobei Verfahrenserwägungen im Vordergrund stehen.173 Es gewährt in der Regel keine unmittelbaren Ansprüche.174 Dieser Abgrenzung des materiellen Rechts vom Prozessrecht wurde vorgeworfen, sie sei aufgrund ihres deduktiven Charakters nicht in der Lage, Grenzfälle eindeutig zu bestimmen.175 Auch müsse in Normen, die kein konkretes Verhalten ausdrücklich regeln, ein solches hineininterpretiert werden.176 Es sei auch fraglich, ob man dann auf Tatbestand oder Rechtsfolge abstellen müsse.177 Die Kritik überzeugt nicht, da diese sehr formale Abgrenzung in den meisten Fällen eine eindeutige Zuordnung ermöglicht.178 Bei der Abgrenzung des materiellen Rechts vom Verfahrensrecht muss darauf abgestellt werden, dass das materielle Recht unmittelbar Rechte und Pflichten begründet, während das Zivilverfahrensrecht die Durchsetzung der Rechte in einem staatlichen Verfahren regelt. B. Zweck des Zivilprozesses Das Zivilprozessrecht regelt demnach den gerichtlichen Rechtsstreit.179 Der Zivilprozess als Ganzes hat den Zweck, die subjektiven Rechte des Einzelnen, die durch das materielle Recht begründet werden, durch Feststellung, Durchsetzung und Gestaltung zu gewährleisten.180 I. Durchsetzung subjektiver Rechte Das materielle Privatrecht gewährt dem Einzelnen subjektive Rechte und legt ihm Pflichten auf; diese Rechte sind für deren Inhaber bedeutungslos, wenn es keine Möglichkeit für sie gibt, ihre Einhaltung bei Nichterfüllung durchzusetzen.181 Zwar können mit Ausnahme der Fälle, in denen ein Gestaltungsurteil notwendig ist, materielle Privatrechte in der Regel auch ohne einen Prozess verwirklicht werden, allerdings hält gerade ein effek173 Stein/Jonas/Brehm,
Vor § 1 ZPO, Rn. 33.
174 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 175 Arens, AcP 173 (1973), 250 (253).
§ 1 Rn. 32.
176 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996, S. 670. 177 Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996, S. 670 f. 178 Prütting, in: FS Henckel, 2015, S. 261 (262 f.). 179 Soeben § 3A, S. 20 f. 180 BGHZ 10, 351 (359); Schumann, ZZP 96 (1983), 137 (153 f.); Wagner, ZEuP 2008, 6 (13); Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 9 ff.; MüKo ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 8; Roth, H., ZfPW 2017, 129 (131); Musielak/Voit/Musielak, Einleitung, Rn. 5; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 12. 181 MüKo ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9.
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tives Rechtsdurchsetzungsrecht den Schuldner zur Einhaltung der jeweiligen Pflichten an.182 Da eine Selbsthilfe des Einzelnen ausgeschlossen ist, muss ihm der Staat mit seinen Organen Rechtsschutz im Rahmen seines Gewaltmonopoles gewähren.183 Das Erkenntnisverfahren dient dabei der Feststellung, das Vollstreckungsverfahren der Durchsetzung der Rechte und Pflichten aus privatrechtlichen Rechtsverhältnissen.184 Gegen diese Zwecksetzung des Zivilprozesses kann angeführt werden, dass es Regelungen im Prozessrecht gibt, aufgrund derer sich das materielle Recht gerade nicht durchsetzt, wie etwa bei der Säumnis.185 Diese Folgen könnten auf Wertungen beruhen, die mit dem allgemeinen Gerechtigkeitsprinzip des Prozesses nicht übereinstimmen, sondern der Rechtssicherheit und der äußeren Ordnung des Zivilprozesses dienen und so dem Zweck des Zivilprozesses widersprechen würden.186 Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass die tatsächliche Durchsetzung des bestehenden subjektiven Rechts im Prozess nicht erforderlich ist, da es sich bei der Wahrheitsfindung an sich um keinen Zweck des Zivilprozesses handelt.187 II. Offenheit der Prozesszwecke Um seinen Zweck, die Durchsetzung subjektiver Rechte, zu gewährleisten,188 ist der Zivilprozess so ausgestaltet, dass kein materiellrechtliches Ergebnis im Vorhinein begünstigt wird, er ist ergebnisoffen. Dies spiegelt sich in den Prozesszwecken wider, der Schutz aller subjektiven Rechte spricht sich nicht für eine Bevorzugung bestimmter Ergebnisse aus; die Lehre vom Prozesszweck lässt es offen, welches subjektive Recht im Einzelfall geschützt werden soll.189 Es darf daher nicht vertreten werden, dass es einen sozialen Prozesszweck gibt, aufgrund dessen besondere Regelungen zugunsten einer Partei nach sozialen Gesichtspunkten getroffen werden müssen.190 182
Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. (1979), S. 37. 183 Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 9; MüKo ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 9 ff. 184 Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. (1979), S. 24. 185 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 58; Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1999, S. 18 f. 186 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 58 f.; Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1999, S. 18 f. 187 MüKo ZPO/Rauscher, Einleitung, Rn. 8; Roth, H., ZfPW 2017, 129 (135). 188 Soeben § 3B. I, S. 21 f. 189 Roth, H., ZfPW 2017, 129 (137). 190 Roth, H., JZ 2014, 801 (807).
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Wäre der Zweck des Prozesses inhaltlich festgelegt, würde das Prozessrecht seine Neutralität gegenüber dem materiellen Recht verlieren.191 Einzelne Positionen würden aufgrund der verschiedenen Wertungen – etwa des materiellen Rechts oder aus sozialen Erwägungen – vorangestellt.192 Dies hätte zur Folge, dass der Prozess nicht länger ergebnisoffen abläuft, weil er sich um seines inhaltlichen Zweckes willen von vorneherein in die Richtung eines bestimmten materiellrechtlichen Ergebnisses orientiert.193 III. Ungewissheit des Verfahrensrechts In unmittelbarer Verwandtschaft zur Offenheit der Prozesszwecke194 steht die Ungewissheit des Verfahrensrechts. Um die subjektiven Rechte durchzusetzen, müssen die prozessualen Normen es ermöglichen, alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des streitigen Rechtsverhältnisses in Frage zu stellen; das Prozessrecht ist auf Rechtsungewissheit gerichtet und ergebnisoffen ausgestaltet.195 Das Prozessrecht gibt nur die Bedingungen vor, nach denen ein Ausgang des Streites erwartet werden kann, welcher der materiellen Rechtslage möglichst entspricht; es darf kein bestimmtes Ergebnis bevorzugen.196 Eine Klage darf zum Beispiel nicht als unzulässig behandelt werden, wenn sie unbegründet erscheint, genauso wenig wie eine Beweisaufnahme nicht von einer vorgezogenen Würdigung des Beweises abhängen darf.197 Demzufolge ist der Zweck des Zivilprozesses und damit auch des Zivilprozessrechts die Durchsetzung subjektiver Rechte.198 Dabei ist der Prozesszweck offen, um zu gewährleisten, dass sämtliche subjektiven Rechte durchgesetzt werden können.199 Außerdem ist das Verfahrensrecht ungewiss, um kein bestimmtes subjektives Recht ex ante zu privilegieren.200
191 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 520; Roth, H., ZfPW 2017,
129 (137). 192 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 520; Roth, H., ZfPW 2017, 129 (137). 193 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 520; Roth, H., ZfPW 2017, 129 (137). 194 Soeben § 3B. II, S. 22 f. 195 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (146 f.). 196 Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (147); Roth, H., JZ 2016, 1134 (1139); ders., ZfPW 2017, 129 (137). 197 Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 36. 198 Soeben § 3B. I, S. 21 f. 199 Soeben § 3B. II, S. 22 f. 200 Soeben § 3B. III, S. 23.
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Teil I: Begriff der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts
C. Verhältnis vom materiellen Recht zum Prozessrecht Dem Zivilprozessrecht wurde wegen seines Zwecks, subjektive Rechte zu schützen, gegenüber dem materiellen Zivilrecht eine dienende Funktion zugeordnet (I). Das materielle Recht ist für die Gerechtigkeitsfindung zuständig, während die Aufgabe des Verfahrensrechts der Vollzug der Rechtsordnung ist.201 Es ist daher zu klären, ob es sich bei dem Verfahrensrecht tatsächlich um ein rein technisches Recht handelt (II), welches über die Durchsetzung des materiellen Rechts hinaus keine eigenen Wertungen hat (III).202 I. Dienende Funktion des Prozessrechts Seit der Trennung von Anspruch und Klage durch Windscheid wird dem Prozessrecht nicht mehr die Aufgabe zugeordnet, die Rechtslage zu bestimmen, sondern sie zu verwirklichen. 203 Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtungen ist die materielle Rechtslage; es wird davon ausgegangen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des materiellen Rechts der gerichtliche Rechtsschutz im Zweifelsfall selbstverständlich zugestanden wird.204 Auch wenn tatsächlich die meisten Verträge eingehalten und erfüllt werden, muss bei Nichtbefolgung das jeweilige Privatrecht im gerichtlichen Verfahren durchgesetzt werden; das Prozessrecht soll daher ein Hilfsrecht für das materielle Zivilrecht sein.205 Der Prozess hat den Zweck der Durchsetzung subjektiver Rechte206 und damit die Aufgabe der Verwirklichung des materiellen Rechts. 207 Das formelle Verfahrensrecht tritt im Verhältnis zum materiellen Recht an die zweite Stelle.208 Es hat ihm gegenüber eine dienende Funktion. II. Zivilprozessrecht als technisches Recht Neben seiner dienenden Funktion wurde das Zivilprozessrecht lange als technisches Zweckmäßigkeitsrecht bezeichnet. Stein hielt es für „‚tech201 202
Vergleiche nochmals oben § 3B. I, S. 21 f. Zum historischen Kontext Stürner, in: FS Henckel, 2015, S. 359 (362 f.). 203 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, 1856, S. 3; Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (476). 204 Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (473). 205 Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. (1979), S. 16. 206 Nochmals oben § 3B. I, S. 21 f. 207 Schumann, ZZP 96 (1983), 137 (152 f.); Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (476); Stein/ Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 5. 208 Rehfeldt/Rehbinder, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1973), S. 189 f.
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nische[s] Recht‘ in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselnden Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte bar.“209 Die Funktion des Prozesses, Rechtsschutz zu gewähren, sollte Einfluss auf die Regelung des Verfahrens haben: Je einfacher und wirtschaftlicher die Mittel sind, die zur Verfügung gestellt werden, um die Rechte des Einzelnen im Prozess zu schützen, desto besser.210 Die zweckmäßigste Verfahrensordnung sei daher die einfachste Verfahrensordnung.211 Diese These war von Anfang an großem Widerspruch ausgesetzt.212 Trotzdem hatte sie lange starken Einfluss auf das prozessrechtliche Denken.213 III. Eigene Gerechtigkeitserwägungen Richtig an der Aussage vom technisch-zweckmäßigen Zivilprozessrecht ist, dass Zweckmäßigkeit und Prozessökonomie im Zivilprozessrecht von großer Bedeutung sind.214 Im Spannungsverhältnis zu einem möglichst zweckmäßigen und effizienten Verfahrensablauf steht jedoch die Gewährleistung einer inhaltlich richtigen und das materielle Recht verwirklichenden Entscheidung der Streitigkeit am Ende des Verfahrens; diese beiden Gegenpole müssen ausgeglichen werden.215 Die Regelungen des Zivilprozessrechts sind nicht beliebig zusammengesammelte, technische Vorschriften.216 Sie sollen neben einem reibungslosen und effizienten auch ein faires Verfahren gewährleisten und sicherstellen, dass sich im Prozess das materielle Recht und die Gerechtigkeit durchsetzen.217 Das Verfahren hat daher einen eigenen Gerechtigkeitswert; es handelt sich beim Zivilprozessrecht nicht nur um ein technisches Recht, das von Zweckmäßigkeit geprägt wird und dem materiellen Recht dient.218 Wäre das Verfahrensrecht dem materiellen Recht untergeordnet und hätte es keinen eigenen Gerechtigkeitswert, würden die materialen Wertungen im Zivilprozess, die teilweise verfassungsrechtliche Wertungen enthalten, ebenfalls nicht berücksichtigt.219 Beim Gerichtsverfassungsrecht 209
Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts, 2. Aufl. (1924), S. XIV. 210 BGHZ 10, 351 (359 f.); Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (347). 211 BGHZ 10, 351 (359 f.); Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (347). 212 Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (347 f.) mit weiteren Nennungen. 213 Stürner, in: FS Henckel, 2015, S. 359 (360). 214 Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. (1979), S. 32. 215 Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. (1979), S. 32 f. 216 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 5. 217 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 5. 218 Prütting, in: FS Henckel, 2015, S. 261 (263). 219 Gilles, Optisches Zivilprozeßrecht, 1977, Schaubild Nr. 2; vergleiche zum Ein-
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handelt es sich um die Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben, beim Prozessrecht um angewandtes Verfassungsrecht.220 Auch wenn die staatliche Beteiligung nicht so unmittelbar ist wie im Verwaltungs- oder Strafprozess, so ist der Zivilprozess doch nicht indifferent gegenüber Verfassung und Politik.221 Das Zivilprozessrecht wurde von einem rein formellen Recht zur Durchsetzung materieller Rechte auch zu einem Rechtsgewinnungsrecht.222 Das Zivilprozessrecht ist politisches Recht, die Aussage von Stein gilt damit nicht mehr. 223 Als Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit bildet das Zivilprozessrecht die Gesellschaft und ihre Entwicklungen ab; die Auffassung eines völlig unpolitischen Zivilprozessrechts ist nicht länger zeitgemäß.224 Sobald das Prozessrecht eigene Schutzziele verfolgt, kann es dem materiellen Recht sogar widersprechen.225 Dies ist mit der dienenden Funktion des Prozessrechts vereinbar, wenn hierdurch ein geordnetes und faires Verfahren für die Parteien gewährleistet wird.226 Zu diesen Widersprüchen gehört etwa die Möglichkeit nicht prozessfähiger Parteien gemäß § 51 Abs. 1 ZPO, bei gesetzlicher Vertretung Prozesse führen zu können, außerdem zwingende Formen und Fristen, welche die Durchsetzung der materiellen Rechte beeinträchtigen, indem sie die Geltendmachung von Ansprüchen oder den Vortrag von Beweismitteln nicht mehr zulassen.227 IV. Materiellrechtsfreundliche Auslegung Deutlich wird das Zusammenspiel von der dienenden Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht228 und den eigenen Gerechtigkeitswertungen des Zivilprozessrechts229 insbesondere bei der sogenannten materiellrechtsfreundlichen Auslegung des Zivilprozessrechts. Materielles Recht darf nicht durch die Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften fluss der Verfassung auf das Zivilprozessrecht oben § 2B. I, S. 14 ff. und zu materialen Wertungen im Zivilprozessrecht oben § 2B. II, S. 18 f. 220 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (367). 221 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (367). 222 Gilles, Optisches Zivilprozeßrecht, 1977, Schaubild Nr. 2; ders., JuS 1981, 402 (404). 223 Roth, H., JZ 2016, 1134 (1135). 224 Roth, H., in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 (155). 225 Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (477). 226 Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (477). 227 Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (477). 228 Siehe oben § 3C. I, S. 24. 229 Siehe soeben § 3C. III, S. 25 f., ausführlich zu einzelnen prozessualen Wertungen unten § 4, S. 27 ff.
§ 4 Beeinträchtigung zivilprozessualer Wertungen
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faktisch geändert werden.230 Gesteht das materielle Recht einen Anspruch zu, darf dessen Durchsetzung nicht mit Hilfe verfahrensrechtlicher Vorschriften unmöglich gemacht werden.231 Vielmehr muss die ZPO so angewendet werden, dass das materielle Recht im Rahmen eines effektiven Rechtsschutzes möglichst wirksam durchgesetzt wird.232 Bei unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten prozessualer Vorschriften muss diejenige gewählt werden, die dem materiellen Recht am ehesten entspricht; das Prozessrecht muss sich bei seiner Auslegung an Wertungen und Geltungsanordnungen des materiellen Rechts orientieren. 233 Die materiellrechtsfreundliche Auslegung führt aber nicht zwingend zu einer materiellrechtskonformen Auslegung, bei der sich das Zivilprozessrecht dem materiellen Recht unterwirft; es bleibt Raum für seine eigenen, prozessualen Wertungen.234 Anders als bei der verfassungs- oder europarechtskonformen Auslegung besteht zwischen materiellem Zivilrecht und Zivilprozessrecht ein Gleichordnungsverhältnis.235 Daher muss kein „konformes“ Ergebnis gefunden werden, um die Nichtigkeit einer Norm zu verhindern, es sollen lediglich Wertungswidersprüche innerhalb des einfachen Rechts verhindert werden.236 Die Grenze für die materiellrechtsfreundliche Auslegung der ZPO liegt damit bei Eingriffen in die Wertungssphäre des Prozessrechts.237
§ 4 Beeinträchtigung zivilprozessualer Wertungen Demzufolge hat das Zivilverfahrensrecht dem materiellen Zivilrecht gegenüber zwar eine dienende Funktion, seine eigenen Wertungen und seine eigene Gerechtigkeitsbedeutung bilden grundsätzlich die Grenze einer materiellrechtsfreundlichen Auslegung.238 Diese eigenen zivilprozessualen 230 BVerfGE 37, 132 (148 f.); Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (27 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (312 ff.). 231 BVerfGE 37, 132 (148 f.); Schumann, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 3 (28 f.) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 289 (313 f.). 232 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 70. 233 Schumann, in: FS Larenz, 1983, S. 571 (571) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 159 (159); Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 68; Stein/ Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 92. 234 Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1999, S. 20. 235 Schumann, in: FS Larenz, 1983, S. 571 (577) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 159 (165). 236 Schumann, in: FS Larenz, 1983, S. 571 (577) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 159 (164 f.). 237 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 68; Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 92; Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (286). 238 Dazu oben die Ausführungen unter § 3C, S. 24 ff.
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Wertungen können beeinträchtigt werden, wenn materiellrechtliche Wertungen auf das Zivilverfahrensrecht in Form einer Materialisierung Einfluss nehmen. Zu denen prozessualen Wertungen, die durch eine Materialisierung betroffen wären, gehören neben der Waffengleichheit der Parteien (A) vor allem die Parteiherrschaft (B) sowie der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands (C). Ihr Inhalt und ihre Bedeutung sollen im Folgenden ausgeführt werden. A. Waffengleichheit der Parteien Das Grundgesetz garantiert dem Bürger im Zivilprozess verschiedene Verfahrensgrundrechte, die als Verfassungsrecht über den einfach rechtlichen Verfahrensgrundsätzen stehen.239 Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gilt auch im Zivilprozess.240 Die Parteien werden durch ihn nicht nur vor hoheitlicher Willkür geschützt, ihre jeweilige Stellung im Prozess und ihre Prozessrisiken müssen gleichwertig sein.241 Beide Parteien müssen jeweils in die Lage versetzt werden, die für sie entscheidungserheblichen Tatsachen vorbringen zu können, indem ihre Handlungsmöglichkeiten einander entsprechen.242 Diese Verfahrensgarantie wird nicht nur durch das Grundgesetz, 243 sondern auch durch die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zum fairen Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK 244 und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Art. 47 GrC245 geschützt. Sie verlangen, dass die Parteien grundsätzlich gleich zu stellen und gleich zu behandeln sind.246 Sie müssen die gleichen Möglichkeiten zur Kenntnisnahme und die gleichen Rechte und Pflichten haben; bei Einschränkungen der Rechtswahrnehmung hat das Gericht Hinweise und Belehrungen zu geben.247 239 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (55). 240 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung,
Rn. 506; Fischer, Zivilverfahrens- und Verfassungsrecht, 2002, S. 9; Schack, ZZP 129 (2016), 393 (395 f.); Stein/Jonas/ Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 126. 241 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 506; Fischer, Zivilverfahrens- und Verfassungsrecht, 2002, S. 9; Schack, ZZP 129 (2016), 393 (402); Stein/Jonas/ Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 126. 242 Tettinger, Faineß und Waffengleichheit, S. 41; Stein/Jonas/Brehm, Vor § 1 ZPO, Rn. 105; Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 126. 243 BVerfGE 52, 131 (144); Tettinger, Faineß und Waffengleichheit, S. 19. 244 Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 126. 245 Jarass GrC/Jarass, Art. 47 GrC, Rn. 37. 246 Frenz, Handbuch Europarecht, 2009, Rn. 5044; Jarass GrC/Jarass, Art. 47 GrC, Rn. 37. 247 Frenz, Handbuch Europarecht, 2009, Rn. 5044; Jarass GrC/Jarass, Art. 47 GrC, Rn. 37; Schack, ZZP 129 (2016), 393 (400 ff.).
§ 4 Beeinträchtigung zivilprozessualer Wertungen
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Dabei soll die Waffengleichheit nicht nur durch die abstrakte Gleichheit der Parteien sichergestellt werden, sondern auch durch die Gleichheit ihrer tatsächlichen Mittel und die realen Verwirklichungschancen. 248 Andernfalls bleibt es den Parteien überlassen, wie sie ihre Möglichkeiten nutzen.249 Während das materielle Recht Unterschiede bei der Verhandlungsstärke ausgleicht, müssen im Prozessrecht unverhältnismäßige prozessuale Belastungen einer Partei ausbalanciert werden.250 Ein Ausgleich struktureller Unterlegenheit im Prozess dient dazu, material die Gleichheit der Parteien sicherzustellen.251 Allerdings darf sich diese konkrete Unterlegenheit einer Partei nur aus der prozessualen Situation ergeben. 252 Es darf nicht, wie teilweise vertreten, sobald eine Unterlegenheit im materiellen Recht angenommen wird, diese ebenfalls im Zivilprozess angenommen werden.253 Waffengleichheit im Prozess kann nicht bedeuten, dass eine soziale Unterlegenheit durch den Richter kompensiert wird, vielmehr sollen allen Parteien gleiche Mitwirkungsrechte garantiert werden.254 Subjektive Privatrechte dürfen bei der zivilprozessualen Durchsetzung nicht im Namen der Waffengleichheit eingeschränkt werden, nur weil sie demjenigen zustehen, der sich in der besseren sozialen Stellung befindet.255 Nehmen materiellrechtliche Wertungen auf den Zivilprozess Einfluss, kann allerdings genau dies geschehen: werden zivilprozessuale Normen zugunsten einer Partei ausgelegt oder eigene gesetzliche Regelungen zu ihren Gunsten geschaffen, kann die Waffengleichheit der Parteien im Zivilprozess gefährdet werden.256 B. Parteiherrschaft Der Zivilprozess wird geprägt durch die Herrschaft der Parteien über das Verfahren. Ausgestaltet wird die Parteiherrschaft dabei durch den Verhandlungs- (I) und den Dispositionsgrundsatz (II), die zur Abgrenzung der Machtbereiche von Parteien und Gericht dienen. 257 Diese entfalten nicht nur auf deutscher, sondern auch auf europarechtlicher Ebene Bedeutung (III). 248
Bender, ZRP 1974, 235 (236); Schack, ZZP 129 (2016), 393 (400 f.).
249 Schack, ZZP 129 (2016), 393 (400). 250 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000,
S. 67 (67 f.). Schack, ZZP 129 (2016), 393 (400 f.). Bender, JZ 1982, 709 (710 f.). 253 So aber Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 149. 254 Bender, JZ 1982, 709 (710 f.); Tettinger, Faineß und Waffengleichheit, S. 20 f. 255 Roth, H., in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 (176 f.). 256 Heinze, JZ 2011, 709 (716); Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (283). 257 Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, 1968, S. 100; Bettermann, JBl 1972, 57 (62); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 3. 251 252
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I. Dispositionsgrundsatz Nach dem Dispositionsgrundsatz gestalten die Parteien das Verfahren. Sie bestimmen, wann und ob das Verfahren überhaupt stattfindet, welcher Streitgegenstand behandelt wird sowie wann und wie es sein Ende findet. 258 Ausnahmen und Einschränkungen dieses zwingenden Prinzips des deutschen Zivilprozesses müssen besonders gerechtfertigt sein.259 Die Parteien können über ihre subjektiven Rechte nach dem materiellen Recht verfügen, diese Möglichkeit darf ihnen im Zivilprozess nicht genommen werden.260 Der Dispositionsgrundsatz wird im deutschen Recht nicht ausdrücklich normiert; in der ZPO sind nur einzelne Ausprägungen geregelt.261 Dies sind unter anderem die Macht der Parteien zur Einleitung des Verfahrens durch die Klage gemäß § 253 ZPO, durch die Streitgegenstand, Gericht, Verfahren und Gegner bestimmt werden, die Bindung des Gerichts an die Anträge der Parteien nach § 308 ZPO sowie die Möglichkeit zur Beendigung des Verfahrens durch Rücknahme der Klage nach § 269 ZPO, Erledigung nach § 91a ZPO oder gerichtlichen Vergleich, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.262 Bei Rechten, über die die Parteien nicht verfügen konnten, etwa im Familienrecht, gibt es schon seit Inkrafttreten der CPO Ausnahmen vom Dispositionsgrundsatz.263 Heute kann nach § 24 FamFG die Einleitung von Amtsverfahren angeregt werden; das FamFG setzt damit Amts- und Antragsverfahren in seinem Anwendungsbereich voraus.264 So müssen etwa bei Gefährdung des Kindeswohles gemäß §§ 1666, 1666a BGB durch das Familiengericht Maßnahmen getroffen werden; vermögenslose Gesellschaften sind nach § 394 Abs. 1 FamFG von Amts wegen zu löschen.265 Dabei dienen die genannten Einschränkungen im Fall der §§ 1666, 1666a BGB dem Schutz höchster Rechtsgüter wie dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit Minderjähriger, im Falle des § 394 Abs. 1 FamFG dem Schutz von Interessen der Allgemeinheit.266 Dies betrifft Rechtsgüter der Parteien, 258 Baur, AnwBl 1986, 424 (426 f.); Braun, Zivilprozeßrecht, S. 73; Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 161; Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rn. 52; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1. 259 Althammer, in: Mindeststandards, 2015, S. 3 (18). 260 Braun, Zivilprozeßrecht, S. 73. 261 Schreiber, Jura 1988, 190 (190). 262 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (56); Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 162 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 3 f. 263 Wassermann, Der soziale Zivilprozess, 1978, S. 41; Cahn, AcP 198 (1998), 35 (37 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 5. 264 Hahne/Schlögel/Schlünder/Burschel, § 23 FamFG, Rn. 2 f.; Hahne/Schlögel/ Schlünder/Burschel, § 24 FamFG, Rn. 2. 265 Hahne/Schlögel/Schlünder/Burschel, § 24 FamFG, Rn. 2. 266 Stürner, in: FS Baur, 1981, S. 647 (651) vertritt, dass andere verfassungsrechtlich geschützte Güter den Ausschluss der Parteidisposition rechtfertigen.
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Dritter oder der Allgemeinheit, über deren Schutz die Parteien überhaupt nicht verfügen können. Außerdem können die Parteien über bestimmte Nebenentscheidungen nicht disponieren; dazu gehören die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gemäß § 308 Abs. 2 ZPO und die Anordnung der sofortigen Vollstreckbarkeit des noch nicht rechtskräftigen Urteils gemäß §§ 704, 708 ff. ZPO.267 Einschränkungen des Dispositionsgrundsatzes dürfen, insbesondere soweit vermögensrechtliche Ansprüche im weitesten Sinne betroffen sind, nicht so weit gehen, dass den Parteien ein Prozess durch das Gericht aufgenötigt wird.268 Wird ein Verfahren zur Wahrung des objektiven Rechts eingeleitet, greift dies in die allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Partei aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.269 Ein solcher Eingriff ließe sich höchstens durch besondere Interessen der Allgemeinheit rechtfertigen, andernfalls wäre er verfassungswidrig.270 II. Beibringungsgrundsatz Nach dem Beibringungsgrundsatz müssen im Zivilprozess die Parteien den Tatsachenstoff, auf dessen Grundlage das Gericht den Rechtsstreit entscheiden soll, selbst beschaffen und beweisen; das Gericht klärt den Sachverhalt nicht von sich aus auf. 271 Dabei darf es ausschließlich von den Parteien vorgebrachte Tatsachen als Grundlage des Urteils verwenden. 272 Ausnahmen vom Beibringungsgrundsatz sind die richterliche Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO, Maßnahmen des Richters zur Aufklärung des Sachverhaltes vor der Verhandlung, die Pflicht des Richters zur Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Parteien, die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien nach § 141 ZPO und die Erhebung von Beweisen von Amts wegen, §§ 142, 144, 271 ZPO.273 Diese einzelnen Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes stellen seine Geltung jedoch nicht in Frage.274 267 Schreiber, Jura 1988, 190 (192); Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 170. 268 Allgemein zu Einschränkungen der Dispositionsmaxime Bettermann, JBl 1972,
57 (62). 269 Stürner, in: FS Baur, 1981, S. 647 (652 f.); Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (57). 270 Stürner, in: FS Baur, 1981, S. 647 (652 f.); zu Vorschlägen zur Einschränkung des Dispositionsgrundsatzes vergleiche unten § 24C, S. 205 f. 271 Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 175; Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rn. 66. 272 Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 182. 273 Baur, AnwBl 1986, 424 (427); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 17 ff. 274 Prütting, NJW 1980, 361 (362 f.).
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Der Sinn und die Bedeutung der Beibringungsmaxime wurden bei der Schaffung der CPO allgemein vorausgesetzt; ihre einleitenden Materialien erwähnen diesen Grundsatz nur beiläufig, weil er als selbstverständlich vorausgesetzt wurde.275 Abgeleitet wird die Beibringungsmaxime im Umkehrschluss aus den §§ 26, 127 FamFG, die bei Ehe- und nichtstreitigen Familiensachen eine vollständige oder eingeschränkte Amtsermittlung anordnen.276 Bei diesen Verfahrensgegenständen geht es um besondere, grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, die sich unabhängig von der jeweiligen Parteiaktivität verwirklichen müssen. 277 Unterstützt wird dieser Umkehrschluss durch die Normen innerhalb der ZPO, die einzelne Ausnahmen vom Verhandlungsgrundsatz anordnen.278 Der Beibringungsgrundsatz überlässt es den Parteien, welche Tatsachen sie vor Gericht vorbringen wollen und belastet sie damit, die Tatsachen, welche die günstige Rechtsfolge unterstützen, zu belegen – er ist damit Folge der Privatautonomie.279 Seit dem Inkrafttreten der ZPO wurde die Beteiligung des Richters an der Sachverhaltsermittlung verstärkt, von einem Mehrheits- oder Beherrschungsverhältnis auf Seiten des Richters kann allerdings nicht gesprochen werden.280 III. Europarechtliche Geltung Beibringungs- und Dispositionsmaxime sind nicht ausschließlich im deutschen Zivilprozessrecht zu finden, sondern auch im europäischen und internationalen zivilprozessualen Kontext. So gilt der Grundsatz, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Antrag einer der Parteien hin ergehen kann, wohl weltweit, allerdings jeweils mit Unterschieden in der konkreten Ausgestaltung.281 Das Prinzip, dass die Parteien Beginn, Umfang und Ende des Gerichtsverfahrens bestimmen können, ist unangetastetes Grundkonzept aller zivilprozessualen Systeme.282 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Anwendung von Dispositions- und Beibringungsgrundsatz in den nationalen Prozessrechten Stellung genommen. Nach ihm kann ein Grundsatz des nationalen Rechts, nach dem ein Gericht bestimmte Gesichtspunkte von Amts wegen prüft, im Zivil275
Brüggemann, Judex statutor und judex investigator, 1968, S. 106. Schreiber, Jura 1989, 86 (86); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 8. 277 Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 155 f. 278 Hahn, JA 1991, 319 (320). 279 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (67). 280 Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (391); zu Vorschlägen zur Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes vergleiche unten § 24B, S. 203 ff. 281 Hartwieg, JZ 1997, 381 (388); Geimer, IZPR, Rn. 2000. 282 Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 (221). 276
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verfahren dadurch begrenzt sein, dass das Gericht an den Streitgegenstand oder den Tatsachenvortrag gebunden ist. Das ist der Fall, wenn die Herrschaft über das Verfahren bei den Parteien liegt und der Staat nur ausnahmsweise von Amts wegen tätig werden darf. Dieses Verhältnis zwischen Staat und Bürger wird von den meisten Mitgliedsstaaten unterstützt, es schützt Verteidigungsrechte und stellt sicher, dass das Verfahren ordnungsgemäß abläuft.283 Im europäischen Sekundärrecht finden sich mangels eigenen vollständigen Verfahrensrechts wenige Stellungnahmen zur Geltung des Beibringungsgrundsatzes.284 Eine grundsätzliche Erwähnung der Verpflichtung der Parteien zur selbständigen Beschaffung ihrer Beweismittel findet sich in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.285 Sie verpflichtet die Parteien zunächst zu der eigenen Erhebung aller ihnen vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel, bevor gegenüber der gegnerischen Partei die Vorlage von Beweismitteln aus ihrem Herrschaftsbereich angeordnet werden kann. 286 Ausgeprägter ist die Berücksichtigung der Dispositionsmaxime durch die Verordnungen mit Bezug auf den Zivilprozess wie die Brüssel Ia-VO, die EU‑Mahnverordnung287 und die Verordnung über ein Verfahren für geringfügige Forderungen 288; sie sehen die Einleitung des Verfahrens durch die Partei als Voraussetzung der Rechtsverfolgung, auch können die Parteien, wenn auch mit Einschränkungen, über die internationale Zuständigkeit disponieren.289 Das europäische Primärrecht schränkt über die EU‑Grundrechtecharta und mittelbar durch die EMRK die Möglichkeiten zur Abweichung vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz ein.290 Die Grundrechtecharta hat gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 EUV den gleichen Rang wie die europäischen Verträge. Sie garantiert die Parteidisposition etwa durch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in Art. 47 S. 1 GrC. Art. 6 Abs. 3 EUV, 283 Zum Ganzen EuGH, Urteil v. 14. 12. 1995 – verb. Rs. C-430/93 und C-431/93 (Van Schijndel) ECLI:EU:C:1995:441, Slg. I 1995, 4728 (Rn. 20 f.); zur Anerkennung von Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz durch das Unionsrecht auch Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 467 ff. mit weiteren Nennungen. 284 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (60). 285 Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, Abl. EU L 157 2004, 45 ff. 286 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (60), zur Materialisierung im Recht des geistigen Eigentums und den Gründen seiner hier nicht erfolgenden Behandlung vergleiche oben § 1, S. 1 ff. 287 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, Abl. EU L 399 2006, 1 ff. 288 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, Abl. EU L 199 2007, 1 ff. 289 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (58). 290 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (58, 60).
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der die Rechtsprechung zur EMRK zu allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts erklärt, verweist auf das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.291 Dieser stellt wohl auch sicher, dass die Parteien darüber entscheiden können, ob sie ihre Rechte in einem gerichtlichen Verfahren verfolgen.292 Das Recht auf Beweis aus Art. 47 GrC, Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert den Parteien, dass sie Tatsachen und Beweise vorbringen dürfen; dies widerspricht einer reinen Inquisitionsmaxime.293 IV. Bedeutung Beibringungs- und Dispositionsmaxime sind Ausdruck des grundlegenden Wertes der Parteifreiheit und -verantwortung im Zivilprozess.294 Die Verfügungsbefugnis über vermögens- und personenrechtliche Ansprüche im materiellen Recht, insbesondere im Schuldvertragsrecht, hat zur Folge, dass auch im Verfahren über sie disponiert werden können muss, jedoch müssen sich materielle Verfügungsbefugnis und Parteidisposition bei der gerichtlichen Rechtswahrung nicht entsprechen.295 Zugleich dienen sie zur Abgrenzung von Partei- und Richtermacht. Deren Verhältnis hängt eng mit dem Zweck des Zivilprozesses, einem bestimmten Menschenbild und einer bestimmten Staatsauffassung zusammen – es handelt sich nicht nur um Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern um rechtspolitische Grundsatzentscheidungen.296 Staat und Gerichte sparen sich dabei nicht nur einen eigenen Ermittlungsapparat für die Zivilgerichte, Dispositions- und Verhandlungsmaxime haben im Zivilprozess auch freiheitsbewahrenden Zweck.297 Als Prozessgrundsätze dienen sie schließlich zur Ermittlung des richtigen Verständnisses und zur Lückenfüllung im Prozessrecht; ihnen wird eine Darstellungs-, Erklärungs- und Auslegungsfunktion zugeordnet.298 C. Grundsatz des Beklagtengerichtsstands Eine weitere Grundwertung des Zivilprozessrechts ist der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands, lateinisch actor sequitur forum rei. Nach diesem 291 292
Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (58). Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (58). 293 Bruns, in: Symposium Stürner, 2014, S. 53 (60). 294 Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 161. 295 Stürner, in: FS Baur, 1981, S. 647 (651). 296 Stein/Jonas/Kern, vor § 128 ZPO, Rn. 177. 297 Leipold, JZ 1982, 441 (448). 298 Planck, Lehrbuch des deutschen Civilprozessrechts, 1887, S. 198; Lindacher, JuS 1978, 577 (577); Hahn, JA 1991, 319 (321).
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muss der Kläger den Beklagten vor dessen Heimatgericht verklagen. Der Grundsatz geht zurück auf das römische Recht und findet sich schon in einer Quelle aus dem Jahr 293 nach Christus. 299 Seine Grundlage war damals die räumliche Grenze der Gerichtsgewalt: der Einzelne war dem Magistraten an seinem Wohn- oder Geburtsort unterworfen; wollte der Gläubiger seinen Anspruch durchsetzen, musste er den Schuldner dort vor den Magistraten laden.300 Im geltenden Recht findet sich der allgemeine Gerichtsstand sowohl im deutschen Zivilprozessrecht in den §§ 12 ff. ZPO am Wohnsitz als auch im europäischen Zuständigkeitsrecht in Art. 4 Brüssel Ia-VO am gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten. Bis zur Gerichtsstandsnovelle vom 21. März 1974301 und der Neufassung der §§ 38 ff. ZPO waren Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich zwischen allen Parteien zulässig. Seit der Beschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen vor Entstehung der Streitigkeit gemäß § 38 Abs. 1 ZPO auf bestimmte Personenkreise, wie Kaufleute und juristische Personen des öffentlichen Rechts, sind die Gerichtsstandsregelungen der ZPO im Wesentlichen zwingendes Recht; dies gilt im Besonderen für den allgemeinen Gerichtstand in den §§ 12 ff. ZPO.302 Diese Grundsatzentscheidung zugunsten des Beklagtenschutzes wird unterstützt durch die Einschränkung des Gerichtsstands am Erfüllungsort in der neueren Rechtsprechung des BGH und die ausschließlichen Zuständigkeiten am Wohnsitz besonders schutzwürdiger Parteien.303 Durch die Zuständigkeitsordnung soll eine Lastenverteilung zwischen den Parteien erreicht werden, die sich an der Sache und an Gerechtigkeitserwägungen orientiert; es handelt sich um Regelungen mit Gerechtigkeitsgehalt, die wesentliche Grundgedanken des Prozessrechts enthalten.304 Der EuGH betont in seiner ständigen Rechtsprechung die Bedeutung des Beklagtengerichtsstands in Art. 4 Brüssel Ia-VO als allgemeinen Grundsatz.305 Die besonderen Gerichtsstände sind die Ausnahme von dieser Regel, der Beklagtenschutz darf nicht verkürzt werden.306 Hier unter299
Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts, 1925, S. 42; Fries, Forum in der Rechtssprache, 1963, S. 31 f.; Wacke, JA 1980, 654 (654). 300 Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts, 1925, S. 42; Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, S. 84. 301 Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung, BGBl. Teil I 1974, 753 ff. 302 Wacke, JA 1980, 654 (655). 303 Stein/Jonas/Roth, H., Vor § 12 ZPO, Rn. 3. 304 BayObLG, MDR 1996, 850 (850); Zöller/Schultzky, § 12 ZPO, Rn. 2. 305 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1992 – C-26/91 (Handte) ECLI:EU:C:1992:268, Slg. I 1992, 3990 (Rn. 14); ders., Urteil v. 13. 07. 2000 – C-412/98 (Group Josi) ECLI:EU:C:2000:399, Slg. I 2000, 5940 (Rn. 35). 306 EuGH, Urteil v. 17. 06. 1992 – C-26/91 (Handte) ECLI:EU:C:1992:268, Slg. I 1992, 3990 (Rn. 14); ders., Urteil v. 13. 07. 2000 – C-412/98 (Group Josi) ECLI:EU:C:2000:399, Slg. I 2000, 5940 (Rn. 36 f.); Linke/Hau, IZVR, Rn. 4.17.
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scheidet er sich vom deutschen Zivilprozessrecht, bei dem allgemeine und besondere Gerichtsstände gleichrangig sind.307 Die restriktive Anwendung der besonderen Gerichtsstände ist eine Entscheidung zugunsten des Beklagten und seiner Interessen; der Beklagte soll in der Regel von dem leichteren Zugang zum Rechtsschutz und der vereinfachten Verteidigung am Heimatforum profitieren.308 Sowohl die örtlichen Zuständigkeitsregelungen der ZPO als auch die internationale Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO beschränken sich nicht auf bloße Zweckmäßigkeitserwägungen.309 Bei Gerichtsständen des Sachzusammenhangs oder der Konzentration von Streitigkeiten spielen praktische Erwägungen zwar eine starke Rolle.310 Allerdings beschränken sich die Gerichtsstandsregelungen nicht hierauf, sondern betreffen außerdem grundsätzliche Fragen bei der Herstellung von prozessualer Gerechtigkeit zwischen den Parteien.311 Aus ihnen ergibt sich als Folge der örtlichen und internationalen Zuständigkeit auch der gesetzliche Richter.312 Zugleich sollen der Anspruch des Klägers auf die Justizgewähr und die Interessen des Beklagten an seiner Verteidigung nach den Grundsätzen der Waffengleichheit berücksichtigt und ausgeglichen werden.313 Der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands wird von der herrschenden Meinung als Ausdruck einer allgemeinen Gerechtigkeitswertung gesehen.314 Der Kläger kann bereits den Zeitpunkt und sein konkretes Vorgehen durch die Klageerhebung bestimmen.315 Er hat die Möglichkeit, sich im Vorfeld umfassend auf den Prozess vorzubereiten, der Beklagte dagegen muss sich nach Zustellung der Klage gemäß der §§ 275 ff. ZPO innerhalb kurzer Zeit einlassen.316 Als Angegriffener befindet er sich zunächst in der schwächeren Situation, die Gerichtsgewalt wird erst einmal gegen ihn aus307
Hess, in: FS Lindacher, 2007, S. 53 (54); Linke/Hau, IZVR, Rn. 4.17. EuGH, Urteil v. 17. 06. 1992 – C-26/91 (Handte) ECLI:EU:C:1992:268, Slg. I 1992, 3990 (Rn. 14); Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, S. 15 f.; Linke/Hau, IZVR, Rn. 4.17, 5.5. 309 Zu den Zuständigkeitsregelungen der ZPO Stein/Jonas/Roth, H., Vor § 12 ZPO, Rn. 3. 310 Stein/Jonas/Roth, H., Vor § 12 ZPO, Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, Vorbemerkung §§ 12–37 ZPO, Rn. 14. 311 Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 95; Geimer, IZPR, Rn. 1126. 312 Stein/Jonas/Roth, H., Vor § 12 ZPO, Rn. 3. 313 Stein/Jonas/Roth, H., Vor § 12 ZPO, Rn. 3; Musielak/Voit/Heinrich, § 12 ZPO, Rn. 1. 314 Wacke, JA 1980, 654 (654 f.); Hess, in: FS Lindacher, 2007, S. 53 (55); Roth, H., in: Symposium Stürner, 2014, S. 69 (76 f.); Stein/Jonas/ders., Vor § 12 ZPO, Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, Vorbemerkung §§ 12–37 ZPO, Rn. 8; Musielak/Voit/ Heinrich, § 12 ZPO, Rn. 1; Zöller/Schultzky, § 12 ZPO, Rn. 2. Zu den §§ 12 ff. ZPO als rein prozessualem Schwächerenschutz siehe auch unten, § 22A. I, S. 191. 315 Roth, H., in: Symposium Stürner, 2014, S. 69 (76). 316 Wacke, JA 1980, 654 (655); AK‑ZPO/Röhl, vor § 12 ZPO, Rn. 4. 308
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geübt.317 Um diese Nachteile für den Beklagten auszugleichen, muss der Kläger ihn an seinem Wohnsitz aufsuchen. Der Kläger beeinträchtigt den Status quo, er muss daher die Bürde tragen, vor einem fremden Gericht zu klagen.318 Das Interesse des Klägers, an einem bestimmten Ort seine Klage zu erheben, kollidiert mit dem Interesse des Beklagten, nicht dort sein Recht verteidigen zu müssen, wo seine Interessenwahrnehmung besonders erschwert ist.319 Der Beklagte wird dabei unabhängig von seiner wirtschaftlichen, sozialen oder materiellrechtlichen Situation nur aufgrund der prozessualen Lage geschützt.320 Die Einordnung des Beklagtengerichtsstands als eines zwingenden Grundsatzes wird vielfach kritisiert. Genauso wie der Beklagte habe der Kläger ebenfalls legitime Interessen an der Zuständigkeit, außerdem habe der Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten mit dem Streitgegenstand keinerlei Verbindung.321 Der Kläger sei nicht pauschal der böse Angreifer, der den unschuldigen Beklagten mit der Klage überzieht. Die Verteilung der Rollen zwischen den Parteien sei eher zufällig, da jede den Prozess einleiten könne.322 Unter Berücksichtigung der Waffengleichheit lasse sich der Beklagtengerichtsstand kaum begründen.323 Der Grundsatz actor sequitur forum rei legitimiere sich weniger aus dem Beklagtenschutz als aus der notwendigen Zuständigkeitsklarheit.324 Dem Beklagten kann es daher in bestimmten Situationen zugemutet werden, sich auf eine Klage an einem Gericht, das sich nicht an seinem Wohnsitz befindet, einzulassen. Gegen den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands spricht der Justizgewährungsanspruch des Klägers; er braucht grundsätzlich ebenfalls einen leicht zugänglichen Gerichtsstand.325 Ausnahmen vom Beklagtengerichtsstand gibt es daher, wenn der Kläger ein Interesse daran hat, an einem bestimmten Gericht zu klagen, da seine Rechtsverfolgung als schwächere Partei beeinträchtigt würde, wenn ein besonders enger Sachbezug zwischen Sachverhalt und Gericht besteht oder wenn das Gericht Interesse an einer gemeinsamen Entscheidung in der Rechtssache hat.326 In die317
Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, S. 16 f.; Schack, IZVR, Rn. 222. Schack, IZVR, Rn. 222. Heldrich, in: FS Ficker, 1967, S. 205 (213). 320 Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 96, siehe auch unten § 22A. I, S. 191. 321 Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, S. 17. 322 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 599; Hau, RabelsZ 64 (2000), 437 (439). 323 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 600. 324 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 602 f.; Hess, in: FS Lindacher, 2007, S. 53 (55). 325 Hess, in: FS Lindacher, 2007, S. 53 (55). 326 Geimer, IZPR, Rn. 1127 ff. 318 319
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sen Situationen ist der Kläger nicht gezwungen, am Wohnsitz des Beklagten zu klagen, es entsteht ein Ausgleich zugunsten des Klägers.327 Der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands mag kein zwingendes Gerechtigkeitsaxiom sein; unter Berücksichtigung der Interessen von Kläger, Beklagtem und Rechtspflege könnten auch andere Gerichtsstandsregelungen getroffen werden. Allerdings haben die Gesetzgeber von ZPO und Brüssel Ia-VO bei der Regelung der allgemeinen Gerichtsstände eine Wertungsentscheidung zugunsten des Beklagten getroffen; dessen Nachteile durch die zeitliche Bedrängnis bei Einlassung auf die Klage werden ausgeglichen. Die Zuständigkeitsregelungen und insbesondere der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands sind nicht austauschbare Zweckmäßigkeitsregelungen, sondern grundlegende Gerechtigkeitsprinzipien des Zivilprozessrechts. Der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands schließt Gerichtsstände aus sachlichem Zusammenhang und Klägergerichtsstände nicht aus, sie benötigen jedoch eine besondere Begründung.328 D. Mögliche Folgen einer Materialisierung Das Erkenntnisverfahren nach der ZPO folgt eigenen Wertungen, die bei seiner Auslegung berücksichtigt werden müssen.329 Dabei wird nicht nur auf formale, sondern auch auf materiale Gerechtigkeit zwischen den Parteien geachtet, sie ergibt sich jedoch aus prozessualen Erwägungen. Die Waffengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG knüpft für die Gleichbehandlung der Parteien an die prozessuale Situation an.330 Ausnahmen von Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz können dann gemacht werden, wenn sich aus der prozessualen Situation Nachteile für eine Partei ergeben; im Übrigen werden sie durch Interessen der Allgemeinheit und entgegenstehende, verfassungsrechtliche Wertungen begründet.331 Der Beklagte wird durch die grundsätzliche Zuständigkeit an seinem Wohnsitz oder Sitz geschützt, weil er sich in der Regel in einer prozessual nachteiligen Situation befindet.332 Keine Rolle spielen bei diesen Wertungen das materielle Recht und solche Nachteile, die sich für eine Partei aus dem Vertragsschluss ergeben.333 Im Rahmen der hier untersuchten Materialisierung können aber die Wertungen hinter dem materialisierten Schuldrecht zum Teil auch auf das 327
Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 601. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, S. 603; Coester-Waltjen, in: FS Kaissis, 2012, S. 91 (95). 329 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 71. 330 Hierzu oben § 4A, S. 28 f. 331 Hierzu oben § 4B, S. 29 ff. 332 Hierzu oben § 4C, S. 34 ff. 333 Zu rein prozessualen Schutzregelungen auch unten § 22, S. 190 ff. 328
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Prozessrecht übergreifen. Dies könnte die auf die Situation des Prozesses ausgerichteten Wertungen des Erkenntnisverfahrens nach der ZPO wie die Waffengleichheit der Parteien, die Verfahrensmaximen des Beibringungsund Dispositionsgrundsatzes und den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands überlagern oder sie – zumindest im Einzelfall – vollständig ablösen. Davon soll im Folgenden die Rede sein.
Teil II
Materialisierung im geltenden Recht Kapitel 1
Abzahlungsvertrag Im geltenden Zivilprozessrecht, welches das Erkenntnisverfahren regelt, gibt es verschiedene Regelungen, die eine Partei aufgrund ihrer unterlegenen Situation bevorzugen. Diese Regelungen knüpfen teilweise an die konkrete prozessuale Situation an,1 zum Teil nehmen sie auf Regelungen und Begrifflichkeiten Bezug, die aus dem Schuldvertragsrecht stammen. Diese schuldvertraglichen Regelungen sind wiederum materialisiert, sodass zugunsten einer Partei von den Grundsätzen der Privatautonomie abgewichen wurde.2 Besondere Gerichtsstandsregelungen, die eine Partei besonders begünstigen und die an materialisierte schuldvertragliche Regelungen zumindest nach dem Wortlaut anknüpfen, finden sich im deutschen Zivilprozessrecht in den §§ 29a, 29c ZPO, § 215 VVG, § 26 FernUSG und in den mittlerweile abgeschafften §§ 6a, 6b AbzG. Die Brüssel Ia-VO enthält mit Art. 10 ff., 17 ff. und Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO teilweise entsprechende oder vergleichbare Vorschriften. Hinzu kommen mit § 308a ZPO und der jüngeren Rechtsprechung des EuGH zur Prüfung von Amts wegen zugunsten des Verbrauchers mögliche Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz. Diese Normen knüpfen, zumindest vom Regelungsgegenstand her, an Schutzregelungen aus dem Schuldvertragsrecht an. Dabei muss es sich jedoch nicht zwingend um die Fortsetzung von Wertungen des materiellen Rechts handeln, auch wenn dieselbe Partei geschützt wird. In den folgenden fünf Kapiteln sollen diese besonderen prozessualen Vorschriften daraufhin untersucht werden, ob und welche materiellrechtlichen Wertungen zum Schutz der jeweils geschützten, vermeintlich schwächeren Partei zugrunde liegen oder lagen und wie sich dieser Einfluss entwickelt hat. Dabei wird auf die materiellrechtlichen und prozessualen Vorschriften 1
Vergleiche hierzu unten § 22, S. 190 ff. zum Untersuchungsgegenstand bereits oben § 1, S. 1 ff. und zum materialisierten Schuldvertragsrecht § 2A, S. 7 ff. 2 Vergleiche
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
zum Schutz des Abzahlungskäufers (Kapitel 1), die mittlerweile außer Kraft getreten sind, eingegangen. Weiterhin werden die Regelungen zum Schutz des Verbrauchers (Kapitel 2), des Wohnraummieters (Kapitel 3), des Versicherungsnehmers (Kapitel 4) und des Fernunterrichtsteilnehmers (Kapitel 5) im geltenden Recht untersucht. Dazu wird jeweils zunächst ermittelt, wie der Schutz der schwächeren Partei in den einschlägigen schuldvertraglichen Regelungen des BGB sowie des VVG, des FernUSG und des ehemaligen Abzahlungsgesetzes ausgestaltet war und ist, welchen Zweck diese Regelungen verfolgen und welche Besonderheiten bei Abschluss des Vertrages oder seines Gegenstandes sie rechtfertigen. Dabei wird auch überprüft, ob und wenn ja auf welchen europarechtlichen Richtlinien sie beruhen und ob sich entsprechende Privilegierungen im Kollisionsrecht nach der Rom I‑VO finden. Diese werden dann mit den soeben genannten Privilegierungen des Abzahlungskäufers3, des Verbrauchers4, des Mieters5, des Versicherungsnehmers6 und des Fernunterrichtsteilnehmers7 im Erkenntnisverfahren nach ZPO, Brüssel Ia-VO und der auf das Erkenntnisverfahren wirkenden Rechtsprechung des EuGH8 verglichen. Dazu werden ihre jeweilige Entwicklung, ihr Inhalt und ihr Zweck herausgearbeitet. Abschließend soll geklärt werden, ob und in welchem Umfang die vermeintlich materialisierten Regelungen des Zivilverfahrensrechts tatsächlich an Wertungen des materialisierten Schuldvertragsrechts anknüpfen.
§ 5 Schuldrechtlicher Schutz des Abzahlungskäufers Der Ursprung des Verbraucherschutzes im weiteren Sinne wird bei dem Inkrafttreten des Abzahlungsgesetzes im 19. Jahrhundert verortet – lange vor der ersten Verwendung des Begriffs des Verbrauchers in gesetzlichen Regelungen.9 Das Abzahlungsgesetz wurde am 16. Mai 1894, also noch vor Inkrafttreten des BGB, erlassen und bestand in dieser Form unverändert bis 1969.10 Eingeführt wurde es, um den sozial unterlegenen und weniger er3 4
Zu § 6a, 6b AbzG a. F. § 6, S. 44 ff.; zu Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 § 7, S. 51 ff. Zu § 29c ZPO § 9, S. 61 ff.; zu Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO § 10, S. 71 ff. 5 Zu § 29a ZPO § 13, S. 113 ff.; zu Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO § 14, S. 126 ff.; zu § 308a ZPO § 15, S. 135 ff. 6 Zu § 215 VVG § 17, S. 150 ff.; zu Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO § 18, S. 165 ff. 7 Zu § 26 FernUSG § 20, S. 180 ff. 8 Siehe § 11, S. 84 ff. 9 Medicus, in: FS Kitagawa, 1992, S. 471 (472 f.); Mohr, AcP 204 (2004), 660 (663). 10 Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Einleitung, Rn. 1.
§ 5 Schuldrechtlicher Schutz des Abzahlungskäufers
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fahrenen Käufer vor unbilligen Vertragsbedingungen zu schützen.11 Dabei sah der Gesetzgeber die Gefahr auch darin, dass der Abzahlungshandel zu möglicherweise unnötigen oder die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Käufers übersteigenden Anschaffungen führte.12 Neben reinen Konsumgeschäften ging es auch um Fälle, in denen Kleingewerbetreibende ihr Arbeitsmaterial, wie etwa Nähmaschinen, nur bei Gewährung einer Ratenzahlung finanzieren konnten.13 Geriet der Käufer mit seinen Zahlungen in Rückstand, nahm der Verkäufer die Sache wieder an sich und blieb aufgrund entsprechender Verwirkungsklauseln dazu berechtigt, die bereits gezahlten Raten zu behalten; alternativ konnte der Verkäufer die Rate sofort fällig stellen oder eine Konventionalstrafe verlangen.14 Sozial schwache und geschäftlich nicht erfahrene Käuferschichten, die darauf angewiesen waren, teure Waren zu erwerben, sollten daher durch das Verbot solcher Regelungen über Inhalt und Rückabwicklung des Vertrages geschützt werden.15 Aufgrund der selektiven Regelungen und seiner Konzentration auf den Teilzahlungskauf galt das Abzahlungsgesetz in seiner ursprünglichen Fassung spätestens seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts als überholt, da zu dieser Zeit vermehrt reine Konsumentenkredite aufkamen.16 Der Zweck der schuldvertraglichen Regelungen des Abzahlungsgesetzes verschob sich infolgedessen nach Änderungen in den Jahren 1969 und 1974 durch die Einführung des Widerrufsrechts des Abzahlungskäufers: Das Abzahlungsgesetz nahm nun auch Einfluss auf das Zustandekommen des Vertrages, verbot bestimmte Abschlussformen und verstärkte die Warn- und Informationspflichten; der Abzahlungskäufer sollte seine Leistungsfähigkeit nicht überschätzen und sich gegebenenfalls von einem Abzahlungsvertrag leicht und ohne Nachteile lösen können.17 Ziel dieser Re11 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte, Verhandlungen des Reichstags, Band 136, 1893/94 (721); Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Einleitung, Rn. 7; Klauss/ Ose, 2. Aufl. 1988, Einleitung zum AbzG, Rn. 1. 12 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte, Verhandlungen des Reichstags, Band 136, 1893/94 (721). 13 Crisolli, Das Reichstagsgesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte, 1931, S. 12; Baltes, Das Abzahlungsgesetz in seinem sachlichen Anwendungsbereich als Verbraucherschutzgesetz, 1985, S. 40; Bamberger/Roth/Möller, § 491 BGB, Rn. 11. 14 Baltes, Das Abzahlungsgesetz in seinem sachlichen Anwendungsbereich als Verbraucherschutzgesetz, 1985, S. 42 f.; Bamberger/Roth/Möller, § 491 BGB, Rn. 11. 15 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abzahlungsgeschäfte, Verhandlungen des Reichstags, Band 136, 1893/94 (723); Crisolli, Das Reichstagsgesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte, 1931, S. 11 f.; MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 1988, Vorbemerkung § 1 AbzG, Rn. 2. 16 Bamberger/Roth/Möller, § 491 BGB, Rn. 11. 17 Klauss/Ose, 2. Aufl. 1988, Einleitung zum AbzG, Rn. 8; MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 1988, Vorbemerkung § 1 AbzG, Rn. 2, 9.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
gelungen war nun verstärkt der Schutz des Abzahlungskäufers vor sich selbst.18 Heute finden sich Regelungen zum Schutz des – jetzt als Teilzahlungskäufer bezeichneten – Abzahlungskäufers in den §§ 506 Abs. 3, 507 f. BGB. Diese gelten jedoch nur noch für Teilzahlungsgeschäfte zwischen Verbrauchern gemäß § 13 BGB und Unternehmern nach § 14 BGB. Sie sind nicht mehr, wie unter dem Abzahlungsgesetz, für sämtliche Abzahlungsgeschäfte mit Ausnahme der Geschäfte anwendbar, bei denen der Abzahlungskäufer als Kaufmann ins Handelsregister eingetragen ist, § 8 AbzG.
§ 6 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im AbzG Bis zum Inkrafttreten des Verbraucherkreditgesetzes am 1. Januar 199119 befand sich in den §§ 6a, 6b AbzG eine Gerichtsstandsregelung für Streitigkeiten aus Abzahlungsgeschäften und Sukzessivlieferungsverträgen im Sinne der §§ 1, 1c AbzG. Das Abzahlungsrecht als privatrechtliche Regelung außerhalb des BGB enthielt damit sowohl materiellrechtliche, insbesondere schuldvertragsbezogene, als auch prozessuale Regelungen. Während es heute noch für Teilzahlungsgeschäfte schuldvertragliche Schutzregelungen im BGB gibt, bestehen keine den ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG entsprechenden prozessualen Regelungen mehr. A. Entwicklung der §§ 6a, 6b AbzG Schon bei den Vorbereitungen des Abzahlungsgesetzes im Reichstag wurde diskutiert, ob eine Gerichtsstandsregelung eingefügt werden sollte, dies wurde jedoch im Ergebnis abgelehnt.20 Vorschläge zur Einführung eines Gerichtsstandes für Abzahlungsgeschäfte während der vierten Legislaturperiode des Bundestages erledigten sich durch Diskontinuität.21 I. Einführung von § 6a AbzG 1969 Die Idee zur Einführung eines Gerichtsstands für Abzahlungsgeschäfte wurde erst 1967 wieder aufgegriffen.22 Am 4. September 1969 wurde 18 Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Einleitung, Rn. 9; Klauss/Ose, 2. Aufl. 1988, Einleitung zum AbzG, Rn. 8. 19 Gesetz über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze, BGBl. Teil I 1990, 2840 ff. 20 Scherer, Gerichtsstände, S. 33 ff. 21 Scherer, Gerichtsstände, S. 35 f. 22 Scherer, Gerichtsstände, S. 36.
§ 6 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im AbzG
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das Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes verabschiedet, das § 6a AbzG einfügte; es trat am 1. Januar 1970 in Kraft.23 Die örtliche Zuständigkeit für Klagen aus Abzahlungsgeschäften sollte sich demnach grundsätzlich bei dem Gericht befinden, in dessen Bezirk der Käufer bei Klageerhebung seinen Wohnsitz hatte. So sollte verhindert werden, dass gegen ihn Versäumnisurteile ergingen, weil er nicht zu dem Termin erscheinen konnte und ihm auch die Mittel zur Bestellung eines Anwaltes nicht zu Verfügung standen.24 II. Erweiterung des Anwendungsbereichs 1974 1974 wurde das Widerrufsrecht in das Abzahlungsgesetz eingefügt, gleichzeitig wurde sein Anwendungsbereich durch die Einführung von § 1c AbzG auf Sukzessivlieferungsverträge und Teilleistungsverträge ausgedehnt.25 Durch diese Änderungen der schuldvertraglichen Regelungen des AbzG wurde eine Erweiterung der Gerichtsstandsregelung des § 6a AbzG auf diese Verträge notwendig; dies geschah durch die zeitgleiche Einfügung von § 6b AbzG.26 III. Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG 1991 Das Gesetz über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozessordnung und anderer Gesetze wurde am 17. Dezember 1990 verabschiedet.27 Mit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1991 trat gemäß Art. 10 des Verbraucherkreditgesetzes das gesamte Abzahlungsgesetz außer Kraft. Die materiellrechtlichen Regelungen des Abzahlungsgesetzes wurden dabei in das Verbraucherkreditgesetz übertragen, das durch die Schuldrechtsreform 200128 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen insbesondere in die §§ 491 ff. BGB eingegliedert wurde.29 Eine spezielle Gerichtsstandsregelung für Abzahlungskäufe, Sukzessiv- und Teillieferungsverträge gibt es seit Abschaffung des Abzahlungsgesetzes nicht mehr, teilweise fallen die früher von den §§ 6a, 6b AbzG erfassten Geschäfte in den Anwendungsbereich neuerer Zuständigkeitsregelungen.
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Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes, BGBl. Teil I 1969, 1541 (1542). Protokoll der 143. Sitzung der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestags (7428). 25 Zweites Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes, BGBl. Teil I 1974, 1169 f. 26 Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Erläuterungen § 6a, § 6b, Rn. 822. 27 Gesetz über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze, BGBl. Teil I 1990, 2840 ff. 28 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (SMG), BGBl. Teil I 2001, 3138 ff. 29 Bamberger/Roth/Möller, § 491 BGB, Rn. 12 ff. 24
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B. Inhalt der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG Die ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG bestimmten bei Klagen aus Abzahlungsgeschäften und ähnlichen Geschäften nach §§ 1, 1c AbzG eine ausschließliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Abzahlungskäufers. I. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich Unter den Begriff des Abzahlungsgeschäftes nach § 1 AbzG fielen Kaufoder Werklieferungsverträge, bei denen eine Teilzahlung verabredet wurde, unabhängig davon, ob es sich um Distanzgeschäfte handelte oder nicht.30 Der sachliche Anwendungsbereich der §§ 6a, 6b AbzG enthielt Abzahlungsgeschäfte und diesen nach § 1c AbzG gleichgestellte Geschäfte, wobei alle Streitigkeiten aus diesen Verträgen ohne Differenzierung erfasst sein sollten.31 Ausgenommen aus dem Anwendungsbereich waren nach herrschender Meinung Klagen aus unerlaubter Handlung.32 Nach § 8 AbzG waren Fälle, in denen der Abzahlungskäufer als Empfänger der Ware als Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist, nicht Teil des persönlichen Anwendungsbereiches.33 Die genaue Reichweite dieser Vorschriften mit Bezug auf nicht eingetragene Kaufleute, Scheinkaufleute, Kaufleute bei Privatgeschäften und Verträge zwischen Nichtkaufleuten war umstritten.34 Die wohl herrschende Meinung gewährte dem nicht eingetragenen Kaufmann den Schutz des Abzahlungsgesetzes aus Gründen der Rechtssicherheit, dem fälschlicherweise Eingetragenen wurde aus den gleichen Gründen dieser Schutz verwehrt.35 Privatgeschäfte eines Kaufmanns fielen nicht in den Schutzbereich, Geschäfte zwischen Nichtkaufleuten schon.36 II. Rechtsfolge Im Anwendungsbereich der §§ 6a, 6b AbzG war damit für Klagen des Verkäufers gegen den Käufer und umgekehrt das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Käufer seinen Wohnsitz hatte. Dabei handelte es sich nur um eine örtliche, keine sachliche Zuständigkeitsbestimmung.37 30
Scherer, Gerichtsstände, S. 24 f.
31 MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 1988, 32 Ostler/Weidner, § 6a AbzG, Anm. 2. 33 MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 34 Scherer, Gerichtsstände, S. 133 ff. 35
§ 6a, § 6b AbzG, Rn. 3.
1988, § 8 AbzG, Rn. 1.
Scherer, Gerichtsstände, S. 134 ff.
36 Scherer, Gerichtsstände, S. 137 ff. 37 MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl.
1988, § 6a, § 6b AbzG, Rn. 9.
§ 6 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im AbzG
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Diese Regelung hatte zur Folge, dass Gerichtsstandsvereinbarungen für Streitigkeiten aus Abzahlungsgeschäften – schon vor der Neufassung von § 38 ZPO im Jahre 1974 – unzulässig waren.38 C. Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften Seit dem Außerkrafttreten des AbzG 1991 gibt es keine eigene Zuständigkeitsregelung für Teilzahlungsgeschäfte aus §§ 506 Abs. 3, 507 f. BGB. Die Zuständigkeit für Klagen aus Teilzahlungsgeschäften richtet sich damit nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der ZPO. Allerdings wurden in der Zwischenzeit neue Regelungen geschaffen, die teilweise besondere Zuständigkeiten für Streitigkeiten aus Geschäften schaffen, die früher in den Anwendungsbereich der §§ 6a, 6b AbzG fielen. Grundsätzlich ist daher jede Partei eines Teilzahlungsgeschäftes nach § 507 BGB oder eines Ratenlieferungsvertrages nach § 510 BGB gemäß der §§ 12 f., 17 ZPO vor dem Gericht zu verklagen, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz respektive Sitz hat. Der Verbraucher als Käufer kann den Unternehmer als Verkäufer daher nicht an seinem eigenen Wohnsitz verklagen. Der Gerichtsstand aus § 29 ZPO befindet sich am jeweiligen Leistungsort der Pflichten, also dem Ort der Zahlung oder der Übergabe und Übereignung der Kaufsache.39 Sofern nichts anderes vereinbart ist, handelt es sich gemäß § 269 Abs. 1 BGB um eine Holschuld, deren Leistungsort befindet sich am Wohnort oder Sitz des jeweiligen Schuldners.40 Der Teilzahlungskäufer muss daher grundsätzlich auch am Wohnsitz oder Sitz des Verkäufers klagen; der Verkäufer am Wohnsitz des Käufers. Während die Parteien über den Leistungsort Vereinbarungen treffen können, haben diese nach § 29 Abs. 2 ZPO nur dann Einfluss auf die Zuständigkeit, wenn es sich bei beiden Parteien um Kaufleute, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen handelt. Wurde der streitige Teilzahlungs- oder Sukzessivlieferungsvertrag außerhalb von Geschäftsräumen gemäß § 312b BGB abgeschlossen, gilt für den Verbraucher auch der besondere Gerichtsstand bei Haustürgeschäften nach § 29c Abs. 1 ZPO, sodass ihm in diesen Fällen ein Klägergerichtsstand eröffnet wird.41 Teilweise sind Teilzahlungs- und Ratenlieferungsverträge damit in den Anwendungsbereich eines anderen halbzwingenden Gerichtsstands gefallen. 38 Ostler/Weidner, § 6a AbzG, Anm. 4; Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Erläuterungen § 6a, § 6b, Rn. 843; Klauss/Ose, 2. Aufl. 1988, §§ 6a, 6b AbzG, Rn. 1217. 39 Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 29 ZPO, Rn. 31. 40 MüKo BGB/Krüger, § 269 BGB, Rn. 5, 49. 41 Zu § 29c ZPO auch unten, § 9, S. 61 ff.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
Gerichtsstandsvereinbarungen sind seit der Gerichtsstandsnovelle grundsätzlich nicht mehr zulässig.42 Ausgenommen davon sind gemäß § 38 Abs. 1 ZPO unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1, Abs. 2 ZPO Vereinbarungen zwischen Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen. Weiterhin sind Gerichtsstandsvereinbarungen in den Fällen möglich, in denen eine Vertragspartei keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, bei Verlegung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes aus dem Geltungsbereich der ZPO und nach Entstehung der Streitigkeit. Bei Teilzahlungsgeschäften sind sie daher nur unter diesen Voraussetzungen zulässig. Eine Zuständigkeitsbegründung durch rügeloses Verhandeln gemäß § 39 ZPO ist grundsätzlich möglich. D. Zweck der ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG Der Rechtsausschuss des Bundestages begründete die Einführung von § 6a AbzG damit, dass der Abzahlungskäufer vor Gerichtsstandsvereinbarungen und Erfüllungsortsvereinbarungen geschützt werden solle. In Teilzahlungsverträgen wurden diese – so der Bericht des Rechtsausschusses – insbesondere formularmäßig getroffen und das aufgrund der Vereinbarung zuständige Gericht lag oft weit vom Wohnsitz des Käufers entfernt, was ihm die Geltendmachung möglicher Einreden erschwerte.43 Um dies zu verhindern, sollten sämtliche Klagen aus Abzahlungsgeschäften nur noch am Käuferwohnsitz erhoben werden können.44 Ein vergleichbares Risiko ging von der Vereinbarung des Erfüllungsortes am Sitz des Verkäufers aus, welche die Zuständigkeit nach § 29 ZPO dorthin legte und so dem Verkäufer einen Klägergerichtsstand ermöglichte.45 Ausschließlicher Zweck der §§ 6a, 6b AbzG war es daher nach Scherer, den Abzahlungskäufer vor den sich für ihn ergebenden Gefahren aus Gerichtsstands- und Erfüllungsortsvereinbarungen, Versäumnisurteilen vor unzuständigen Gerichten und der Begründung der Zuständigkeit von an sich unzuständigen Gerichten durch rügeloses Einlassen zu schützen.46 Die ausschließliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Abzahlungskäufers sollte es diesem erleichtern, den Prozess zu führen und zugleich seine 42 Stein/Jonas/Bork, § 38 ZPO, Rn. 4. 43 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes – Drucksache V/2309, zu BT‑Drucks. 5/4521 (2). 44 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes – Drucksache V/2309, zu BT‑Drucks. 5/4521 (2). 45 Ostler/Weidner, § 6a AbzG, Anm. 1. 46 Scherer, Gerichtsstände, S. 64 f.
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„Kampfbereitschaft“ erhöhen.47 Die Prozessführung vor einem auswärtigen Gericht sei für den Abzahlungskäufer immer mit erhöhten Aufwendungen verbunden, er müsse Fahrtkosten und gegebenenfalls einen Korrespondenzanwalt finanzieren.48 Zudem sei es dem Käufer oft nicht möglich, zum Prozess zu erscheinen oder einen Anwalt zu beauftragen, weshalb gegen ihn ein Versäumnisurteil ergehen würde.49 Durch das zweite ZPO-Änderungs-Gesetz vom 21. März 1974 wurde das Verbot von Prorogationen mit der Neufassung von § 38 ZPO zum Grundsatz der ZPO; vor Entstehung der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarungen sind seitdem bei Nichtkaufleuten unzulässig.50 Damit wurde für Klagen gegen den Verbraucher in der Regel das Gericht an seinem Wohnsitz gemäß § 12 ZPO zuständig. Es sei daher nicht länger nötig, so der Gesetzgeber, einen ausschließlichen, von den allgemeinen Vorschriften abweichenden Gerichtsstand für Teilzahlungsgeschäfte bei Klagen des Käufers gegen den Teilzahlungsverkäufer zu haben.51 E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen Der ursprüngliche Zweck des Abzahlungsgesetzes war noch der Schutz des Abzahlungskäufers vor Missbrauch durch den Verkäufer; seit dem Ende der sechziger Jahre wird der Schutz des Käufers vor finanzieller Überforderung verstärkt betont. Materiellrechtlich wurde der Abzahlungskäufer seitdem durch ein Widerrufsrecht geschützt; er sollte sich von vorschnell abgeschlossenen Verträgen durch den Widerruf lösen können.52 Durch die Einführung des § 6a AbzG sollte es dem Abzahlungskäufer erleichtert werden, seine Rechte geltend zu machen. Der ausschließliche Gerichtsstand sollte die Hemmschwelle bei der Klageerhebung senken und die Verteidigungsmöglichkeit sicherstellen. Ein besonderes Risiko ging dabei von Änderungen der Zuständigkeit durch Gerichtsstands- oder Erfüllungsortsvereinbarung aus.53 Wurden diese dem Abzahlungskäufer aufgezwungen, so hatte seine Unterlegenheit in der Situation des Vertragsschlusses Folgen für den Prozess. Der ausschließliche Gerichtsstand schloss diese 47 Ostler/Weidner, § 6a AbzG, Anm. 1; MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 1988, § 6a, § 6b AbzG, Rn. 2; Scherer, Gerichtsstände, S. 37. 48 Ostler/Weidner, § 6a AbzG, Anm. 1; Klauss/Ose, 1. Aufl. 1979, Erläuterungen § 6a, § 6b, Rn. 823; Klauss/Ose, 2. Aufl. 1988, §§ 6a, 6b AbzG, Rn. 1194. 49 Protokoll der 143. Sitzung der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestags (7428); MüKO BGB/Westermann, 2. Aufl. 1988, § 6a, § 6b AbzG, Rn. 2. 50 Hierzu bereits oben, § 4C, S. 34 ff. 51 Entwurf eines Gesetzes über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze, BT‑Drucks. 11/5462 (16). 52 Vergleiche oben § 5, S. 42 ff. 53 Vergleiche zum Zweck der §§ 6a, 6b AbzG oben § 6D, S. 48 f.
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Vereinbarungen aus. Der Schutz des Abzahlungskäufers, der auf schuldvertraglicher Ebene insbesondere durch das Widerrufsrecht erfolgte, wurde auf prozessualer Ebene fortgesetzt. Die Änderungen der §§ 38 ff. ZPO führten jedoch dazu, dass der Schutz vor Zuständigkeitsvereinbarungen auch ohne die §§ 6a, 6b AbzG erreicht wurde. Insofern erfüllten die Regelungen der §§ 6a, 6b AbzG nicht länger den ihnen ursprünglich zugedachten Zweck. Im Falle eines Abzahlungsgeschäftes ist eine konkrete prozessuale Schutzbedürftigkeit nicht zwingend gegeben: Durch den Abschluss in den Geschäftsräumen des Unternehmers ist der Kunde in der Lage, die räumliche Entfernung abzuschätzen und so Schlussfolgerungen für einen späteren Prozess zu treffen.54 Diese Möglichkeit hat er nicht, wenn der Gerichtsstand durch Vertragsklauseln an einen beliebigen Ort gelegt werden kann. Die prozessuale Regelung der §§ 6a, 6b AbzG hatte seit Änderung der §§ 38 ff. ZPO nicht mehr den Zweck, vor Gerichtsstandsvereinbarungen zu schützen, sondern dem Abzahlungskäufer einen Klägergerichtsstand einzuräumen – unabhängig von seiner prozessualen Schutzbedürftigkeit. Grund für diese Besserstellung des Abzahlungskäufers im Prozess war einzig seine vermeintliche, durch die materiellrechtliche Vertragssituation bedingte Schwäche. Aber anders als bei einem gleichzeitigen Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen setzte sich die Schwäche nicht mehr im Prozess fort. Der Klägergerichtsstand hatte ausschließlich materiellrechtliche Motive; die §§ 6a, 6b AbzG dienten daher in der Folgezeit faktisch als prozessuales Schutzinstrument aus schuldvertraglichen Erwägungen. Die Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG wurde durch den Gesetzgeber damit begründet, dass deren Regelungen aufgrund der Neufassung der §§ 38 ff. ZPO nicht länger notwendig seien. Dies zeigt, dass hier die bloße materiellrechtliche Begründung der Besserstellung einer Partei im Prozess nicht gewollt war. Die Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG ist daher ein Beispiel dafür, dass sich die materiellrechtlichen Wertungen im Prozessrecht in diesem Fall nicht länger fortsetzen. F. Ergebnis Den §§ 6a, 6b AbzG fehlte nach der Änderung der §§ 38 ff. ZPO ein prozessuales Element, das eine Besserstellung des Abzahlungskäufers im Prozess rechtfertigte. Bis zur Änderung der §§ 38 ff. ZPO hatten mit Gerichtsstandsvereinbarungen Regelungen aus dem Vertrag Einfluss auf den Prozess. Außer diesen fehlt es an besonderen Eigenheiten des Abzahlungsvertrages, die in der Prozesssituation fortwirken. Vor ihrer Abschaffung waren die §§ 6a, 6b AbzG daher ein Beispiel für die Fortsetzung rein materiellrecht54
Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 57 f.
§ 7 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im EuGVÜ
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licher Erwägungen im Prozess. Ihre Abschaffung hat diese Fortwirkung aufgehoben, die prozessualen Wertungen hinter den Gerichtsstandsregelungen der ZPO, also insbesondere der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands, wurden dadurch bestärkt. Die Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG hat damit zu einer „Entmaterialisierung“ des Zivilverfahrensrechts geführt.
§ 7 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im EuGVÜ A. Entwicklung des Art. 13 EuGVÜ-1968 Bei Abschluss des EuGVÜ im Jahre 1968 befand sich im vierten Abschnitt in Art. 13 EuGVÜ ein Gerichtsstand für Abzahlungsgeschäfte.55 Dieser räumte dem Abzahlungskäufer bei Klagen gegen den Verkäufer oder Darlehensgeber nach Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ einen zusätzlichen Gerichtsstand in seinem Wohnsitzstaat ein; Klagen gegen den Abzahlungskäufer konnten gemäß Art. 14 Abs. 2 EuGVÜ ausschließlich in seinem Wohnsitzstaat erhoben werden. Dies entsprach den damaligen Regelungen der Vertragsstaaten im nationalen Zivilprozess und sollte dem Schutz des Abzahlungskäufers dienen.56 Im Zuge des Beitritts Dänemarks, Irlands und des Vereinigten Königreichs wurde das EuGVÜ 1978 überarbeitet.57 Bei den Vorarbeiten hierzu wurde festgestellt, dass in den Mitgliedsstaaten Gesetze zum Schutz des Verbrauchers zugenommen hatten, zu diesen gehörten insbesondere Gerichtsstandsregelungen.58 Um Widersprüche zwischen den nationalen Zuständigkeitsgesetzen und dem Abkommen zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, anstelle des Gerichtsstands für Abzahlungsgeschäfte einen angemessenen Gerichtsstand für Endverbraucher zu schaffen.59 Der Gerichtsstand für Abzahlungsgeschäfte wurde im Folgenden zur Zuständigkeit für Verbraucherstreitigkeiten. Der persönliche Anwendungsbereich wurde im Zuge dessen auf Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern beschränkt. 55 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ-1968), Abl. EU L 299 1972, 32 ff. 56 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (33); Magnus/Mankowski/Mankowski/ Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 9. 57 Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, BGBl. Teil II 1983, 803 ff. 58 Schlosser-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 71 (Nr. 153). 59 Schlosser-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 71 (Nr. 153).
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B. Inhalt des Art. 13 EuGVÜ-1968 I. Anwendungsbereich Art. 13 EuGVÜ-1968 erfasste mit seinem sachlichen Anwendungsbereich Streitigkeiten aus dem Verkauf beweglicher Sachen auf Ratenzahlung und dem Verkauf von Sachen, der mit einem Finanzierungsvertrag verbunden war.60 Damit fielen – unabhängig von der Beteiligung eines Verbrauchers – sämtliche Abzahlungsgeschäfte in seinen Anwendungsbereich.61 II. Rechtsfolge Nach Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ-1968 konnte der Verkäufer oder Darlehensgeber entweder vor den Gerichten seines Wohnsitzstaates verklagt werden, alternativ konnte der Käufer oder Darlehensnehmer seinen Vertragspartner auch im eigenen Wohnsitzstaat verklagen. Der Verkäufer oder Darlehensgeber konnte dagegen nur vor den Gerichten des Mitgliedsstaates klagen, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hatte. Käufern und Darlehensnehmern wurde damit ein halbzwingender Gerichtsstand zu ihren Gunsten eingerichtet. III. Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften nach der Brüssel Ia-VO Eine allgemeine Zuständigkeitsregelung für alle Abzahlungsgeschäfte gibt es in der Brüssel Ia-VO nicht mehr. Den Parteien des Abzahlungsvertrages stehen die sonstigen Zuständigkeitsregelungen der Brüssel Ia-VO zu Verfügung. Teilweise fallen die früher von den Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 erfassten Streitigkeiten heute in den Anwendungsbereich der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO. 1. Klagen des Abzahlungskäufers Klagt der Abzahlungskäufer heute gegen den Verkäufer, muss er sich gemäß Art. 4 Brüssel Ia-VO grundsätzlich an die Gerichte des Staates halten, in dem der Verkäufer ansässig ist. Zusätzlich steht ihm gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO für Klagen gegen den Verkäufer das Gericht an dem Ort zu Verfügung, an den die Sache hätte geliefert werden müssen. Dabei wird es sich regelmäßig um den Ort handeln, an dem der Käufer ansässig ist. Beim Darlehensvertrag befindet sich das zuständige Gericht gemäß 60 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (33). 61 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 1.
§ 7 Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte im EuGVÜ
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Art. 7 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO62 an dem Ort, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen gewesen wäre, also an dem Ort, an dem das Darlehen hätte ausgezahlt werden müssen. Handelt es sich bei dem Abzahlungskäufer um einen Verbraucher gemäß Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, so kann er gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a), b) Brüssel Ia-VO in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zwischen dem Gericht an seinem eigenen Wohnsitz sowie den Gerichten des Mitgliedsstaates, in dem sein Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, wählen. 2. Klagen des Verkäufers oder Darlehensgebers Klagt der Verkäufer gegen den Käufer, so muss er sich ebenfalls grundsätzlich an die Gerichte in dem Mitgliedsstaat halten, in dem der Käufer seinen Wohnsitz hat, Art. 4 Abs. 1 Rom I‑VO. Der Gerichtsstand aus Art. 7 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO liegt ebenfalls in der Regel am Wohnsitz des Käufers. Klagt der Darlehensgeber, so steht ihm nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO noch der Ort zu Verfügung, an dem das Darlehen zurückzuzahlen wäre. Sobald ein Verbraucher als Käufer am Vertrag beteiligt ist, darf der Verkäufer gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a), lit. b), Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nur Klage in dem Mitgliedsstaat erheben, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. 3. Änderungen durch die Abschaffung des Abzahlungsgerichtsstands Die Abschaffung des Abzahlungsgerichtsstandes in Art. 13 ff. EuGVÜ1968 hat insbesondere dazu geführt, dass für Abzahlungsverträge ohne Verbraucherbeteiligung nicht länger spezielle Schutzregelungen gelten. Für diese Abzahlungsgeschäfte gelten die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. C. Zweck des Art. 13 EuGVÜ-1968 Ziel der Zuständigkeitsregelungen des vierten Abschnitts des EuGVÜ-1968 war es, den Abzahlungskäufer zu schützen.63 Den mitgliedsstaatlichen Regelungen, die als Inspiration für die Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte in den Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 dienten, lagen neben dem Schutz des schwächeren Vertragspartners auch wirtschaftliche, geld- und sparpolitische Erwägungen zugrunde – die Praktiken der Teilzahlungsverkäufer sollten ins62 Beim
Darlehensvertrag handelt es sich wohl nicht um einen Dienstleistungsvertrag, vgl. Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 68. 63 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (33); Magnus/Mankowski/Mankowski/ Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 9.
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besondere bei längerfristigen Teilzahlungsverträgen durch Vorschriften zu Laufzeiten und der Höhe der Teilbeträge kontrolliert werden.64 Dabei beschränkte sich der Anwendungsbereich der Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 nicht auf Verträge mit Verbraucherbeteiligung im heutigen Sinne, vielmehr waren sämtliche Abzahlungskäufer erfasst. Bei Abschluss des EuGVÜ wurde davon ausgegangen, dass sämtliche Abzahlungskäufer schutzwürdig seien. D. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen Die Regelung der Art. 13 ff. EuGVÜ wurde durch inhaltlich vergleichbare Regelungen in den nationalen Rechtsordnungen inspiriert.65 Diese enthielten – wie etwa später auch das deutsche Recht mit § 6a AbzG – Regelungen für die Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften.66 Die Art. 13 ff. EuGVÜ1968 setzten damit die schuldvertraglichen und prozessualen Wertungen der Mitgliedsstaaten fort. Die Beschränkung des Anwendungsbereiches auf Verbraucherverträge im Zuge der Änderungen des EuGVÜ 1978 hat dazu geführt, dass diese Materialisierungserscheinungen zumindest abgenommen haben.
64 EuGH, Urteil v. 21. 06. 1978 – 150/77 (Betrand) ECLI:EU:C:1978:137, Slg. 1978, 1432 (Rn. 13). 65 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (33); Magnus/Mankowski/Mankowski/ Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 9. 66 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (33); Magnus/Mankowski/Mankowski/ Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 9.
Kapitel 2
Verbrauchervertrag Heute bezieht sich die Mehrzahl der Regelungen zum Schutz der schwächeren Vertragspartei im Schuldrecht auf den Verbraucher gemäß § 13 BGB und schützt ihn gegenüber dem Unternehmer gemäß § 14 BGB. Ebenfalls auf den Verbraucher wird in den Zuständigkeitsvorschriften des § 29c ZPO und den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Bezug genommen. Daneben berücksichtigt der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zu dem Effektivitätsgrundsatz und dem Äquivalenzprinzip den Schutz des Verbrauchers durch Richtlinienrecht.
§ 8 Schuld- und kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz A. Allgemeiner Verbraucherschutz § 310 Abs. 3 BGB definiert den Verbrauchervertrag als einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Verbraucher ist gemäß § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Geschäft zu einem Zweck vornimmt, der nicht überwiegend ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Unternehmer handelt dagegen gemäß § 14 BGB in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit. Trifft der Verbraucher im Rechtsverkehr auf den Unternehmer, wird davon ausgegangen, dass er diesem typischerweise unterlegen ist; er wird daher geschützt, auch wenn diese Typisierung im Einzelfall nicht zutreffen muss.1 Verbraucherschutz gilt personenbezogen für die Partei eines bestimmten Vertrages, nicht wegen bestimmter Eigenschaften oder eines Status. 2 Das bloße Aufeinandertreffen von Verbraucher und Unternehmer genügt für eine Besserstellung des Verbrauchers nicht, es sind zusätzliche Voraussetzungen zu ihrer Rechtfertigung notwendig.3 Verbraucherschützende Regelungen finden sich an verschiedenen Stellen des Schuldvertragsrechts und betreffen verschiedene Vertragsinhalte. Die 1
2 3
Medicus/Lorenz, S., Schuldrecht AT, Rn. 618. Wolf/von Bismarck, JA 2010, 841 (843). Roth, H., JZ 2013, 637 (637).
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größte Neuerung jüngerer Zeit war das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU, das am 13. Juni 2014 in Kraft getreten ist und Fernabsatzverträge und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge in den §§ 312 ff. BGB neu geregelt hat.4 Hinzu gekommen sind etwa mit § 312a BGB allgemeine Regelungen für Verbraucherverträge, die unabhängig von Vertragsinhalt oder Vertriebsform für alle Fernabsatzverträge gelten.5 I. Schutzinstrumente Das Schuldrecht des BGB und das dahinterstehende europäische Richtlinienrecht bedienen sich verschiedener Instrumente, um die Vertragsfreiheit des Verbrauchers bei Zusammentreffen mit dem Unternehmer zu gewährleisten. Dem Unternehmer werden bei Verbraucherverträgen zunächst Offenlegungs- und Informationspflichten auferlegt. So muss der Unternehmer zum Beispiel gemäß § 312a Abs. 2 BGB den Verbraucher bei dem überwiegenden Teil der Verbraucherverträge nach Art. 246 EGBGB informieren; es bestehen auch im stationären Handel Informationspflichten.6 Vor Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie gab es Informationspflichten insbesondere bei Verträgen, bei denen Rückfragen des Verbrauchers an den Unternehmer strukturell schwierig waren, wie bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen nach § 312d BGB, Art. 246a EGBGB, und bei besonders komplexen Verträgen wie Verbraucherdarlehensverträgen gemäß § 491a BGB, Art. 247 EGBGB.7 Diese Informationspflichten sollen in Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie das angenommene Informationsgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer ausgleichen und dem Verbraucher ermöglichen, die Vor- und Nachteile des Vertrages zu beurteilen und eine reflektierte Entscheidung zu treffen.8 Bei bestimmten Verbraucherverträgen ermöglichen Widerrufsrechte dem Verbraucher, sich von einem wirksam geschlossenen Vertrag nachträglich und ohne Angabe von Gründen zu lösen. Eine solche Ausnahme vom Grundsatz pacta sunt servanda findet sich nach § 312g Abs. 1 BGB einmal bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gemäß § 312b BGB und bei Fernabsatzverträgen gemäß § 312c BGB. Auch beim 4 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BGBl. Teil I 2013, 3642 ff. 5 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441 (442); MüKo BGB/Wendehorst, § 312 BGB, Rn. 1 ff. 6 Hilbig-Lugani, ZJS 2013, 441 (442). 7 MüKo BGB/Wendehorst, § 312a BGB, Rn. 6. 8 MüKo BGB/Wendehorst, § 312a BGB, Rn. 6; Bamberger/Roth/Martens, § 312a BGB, Rn. 11.
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Verbraucherdarlehensvertrag und beim Ratenlieferungsvertrag bestehen solche Widerrufsrechte gemäß § 496 BGB, bei sonstigen Finanzierungshilfen in Verbindung mit § 506 Abs. 1 BGB und gemäß § 510 Abs. 2 BGB bei Ratenlieferungsverträgen. Halbzwingende Normen verbieten es, zulasten des Verbrauchers von gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen. Beispiel hierfür ist das Verbot in § 476 BGB, beim Verbrauchsgüterkauf von bestimmten – sonst dispositiven – Regelungen der §§ 433 bis 435, 437 und 439 bis 443 BGB abzuweichen, also zum Beispiel durch Einschränkung der Gewährleistungsrechte zulasten des Verbrauchers. Außerdem verbieten unter anderem § 312k Abs. 1, § 361 Abs. 2 und § 512 BGB abweichende Vereinbarungen von Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers. II. Zweck Grundsätzlich verfolgt der schuldrechtliche Verbraucherschutz das Ziel, den Verbraucher als schwächere Partei beim Vertragsschluss mit dem Unternehmer zu schützen und damit seine Privatautonomie zu gewährleisten. Ziel der unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften ist auch die Förderung des Binnenmarktes: Dem Verbraucher soll der grenzüberschreitende Vertragsschluss erleichtert und so die unionsweite Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen verstärkt werden.9 Der einheitlich geregelte Schutz des Verbrauchers im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll sein Vertrauen in den Binnenmarkt stärken und dadurch den europaweiten, grenzüberschreitenden Rechtsverkehr fördern.10 B. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge Verträge, die außerhalb der Geschäftsräume abgeschlossen werden, sind ein klassischer Teil des Verbraucherschutzrechts, den etwa Luxemburg, Belgien, Schweden, Frankreich und die Niederlande schon vor 1973 gesetzlich geregelt hatten.11 In Deutschland hatten 1975 die Länder Bayern und Bremen erste Gesetzesvorschläge für ein Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften auf den Weg gebracht; diese Vorschläge verfielen jedoch genauso wie Vorschläge des Bundesrates wegen Diskontinuität.12 Das Haustürwiderrufsgesetz wurde daraufhin erst am 22. Januar 1986 verabschiedet und trat 9 Heiderhoff, ZEuP 2001, 276 (296); 10 Gsell, WuW 2014, 375 (376 f.).
Gsell, WuW 2014, 375 (376 f.).
11 Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, 2000, S. 1. 12 Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64.
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am 1. Mai 1986 in Kraft.13 Die Regelungen zum Widerruf von Haustürgeschäften wurden ursprünglich nicht in BGB und ZPO integriert, um ihren Zusammenhang zu erhalten.14 Auch wegen des begrenzten sachlichen und persönlichen Anwendungsbereiches des HWiG wurde von einer Integration in das – das allgemeine Zivilrecht regelnde – BGB abgesehen.15 Parallel zu den Vorbereitungsarbeiten des Haustürwiderrufsgesetzes bemühte sich die EWG um die Verabschiedung einer Richtlinie zum Schutz des Verbrauchers bei Geschäften, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wurden.16 Dabei war die Entstehung der Haustürwiderrufsrichtlinie 85/577/EWG ähnlich langwierig wie die des Haustürwiderrufsgesetzes; der erste Entwurf der am 20. Dezember 1985 vom Rat offiziell angenommen Richtlinie wurde bereits 1977 von der Kommission vorgebracht.17 An die Stelle des sogenannten Haustürgeschäftes in § 312 BGB a. F. ist seit Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Vertrag nach § 312b BGB getreten. Verträge gemäß § 312b BGB werden zwischen Verbraucher und Unternehmer abgeschlossen und haben eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand. Sie müssen entweder außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers oder auf einem Verkaufsausflug abgeschlossen worden sein, alternativ muss dem Verbraucher außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers ein Angebot gemacht oder er muss dort individuell angesprochen worden sein. Geschäftsräume sind nach § 312b Abs. 2 S. 1 BGB unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt. Der Anwendungsbereich des Haustürgeschäftes nach § 312 BGB a. F. erstreckte sich dagegen nur auf Verträge über entgeltliche Leistungen, die durch mündliche Verhandlung am Arbeitsplatz oder in der Wohnung des Verbrauchers, bei einer vom Unternehmer organisierten Freizeitveranstaltungen oder nach einem überraschenden Ansprechen in Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen zugänglichen Verkehrsflächen abgeschlossen wurden. Die Aufzählung der Haustürsituationen in § 312 BGB a. F. wurde durch eine Negativbestimmung ersetzt.18 Beim Anwendungsbereich des außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ist mit Ausnahme von § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB das situative Moment des ehemaligen Haus13 Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG), BGBl. Teil I 1986, 122 f. 14 Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (10). 15 Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (10). 16 Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64. 17 Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl. EG C 22 1977, 6 ff. 18 Jost, jM 2016, 94 (95).
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türgeschäftes in den Hintergrund getreten und es wird auf örtliche Gegebenheiten abgestellt.19 § 312d BGB verpflichtet den Unternehmer, den Verbraucher entsprechend der Vorgaben in den Art. 246a, 246b EGBGB zu informieren. Er soll so in die Lage versetzt werden, eine seinen Interessen entsprechende und damit selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.20 Aufgrund der §§ 312g, 355 BGB verfügt der Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen Verträgen über ein Widerrufsrecht. Ihm wird dadurch die Bedenkzeit eingeräumt, die ihm normalerweise bei Abschluss des Vertrags nach § 312b BGB wegen Überrumpelung und psychischen Druckes fehlt.21 Der Verbraucher schließt deswegen in vielen Fällen einen Vertrag, den er eigentlich gar nicht möchte und der seinen Interessen nicht entspricht.22 § 312k Abs. 1 BGB verbietet Abweichungen von den Vorschriften des Untertitels zulasten des Verbrauchers und macht die Normen so zu halbzwingendem Recht. C. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO Art. 6 Rom I‑VO bestimmt, welches Vertragsstatut auf Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern anzuwenden ist. Verbraucher ist nach der Verordnung eine natürliche Person, die einen Vertrag zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, während Unternehmer ist, wer in Ausübung seiner – nicht zwingend selbständigen – beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt. Eine Rechtswahl zwischen den Parteien ist zulässig, allerdings darf gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I‑VO in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Rom I‑VO dem Verbraucher nicht der Schutz der zwingenden Normen seines Aufenthaltsstaates entzogen werden; es wird geprüft, welche Regelungen günstiger für ihn sind.23 Übt der Unternehmer seine Tätigkeit in dem Mitgliedstaat aus, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, oder richtet er sie auf diesen aus, so unterliegt der zwischen ihnen geschlossene Vertrag ohne eine Rechtswahl dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. 19 Zum
Ganzen: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BT‑Drucks. 17/12637 (49); Förster, ZIP 2014, 1569 (1570 f.); Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 29c ZPO, Rn. 4; Zöller/Schultzky, § 29c ZPO, Rn. 4. 20 Bamberger/Roth/Martens, § 312d BGB, Rn. 2. 21 Jost, jM 2016, 94 (96). 22 Bamberger/Roth/Martens, § 312g BGB, Rn. 2. 23 Eckpfeiler Zivilrecht/Gsell, L. Verbraucherschutz, Rn. 26; MüKo BGB/Martiny, Art. 6 Rom I‑VO, Rn. 58.
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Das Kollisionsrecht der Rom I‑VO verfolgt das Ziel, die als schwächer angesehene Partei durch für sie günstigere Normen zu schützen. 24 Die Günstigerprüfung des Art. 6 Abs. 2 Rom I‑VO hat zur Folge, dass der Schutz des Verbrauchers bei grenzüberschreitenden Geschäften zwar nicht zwingend besser, aber auf keinen Fall schlechter werden kann als bei reinen Inlandsgeschäften.25 Bezieht der Verbraucher Waren von Unternehmern aus dem Ausland, die in seinem Aufenthaltsstaat beworben werden, kann sich der Verbraucher nur schwer vergewissern, welches Recht anwendbar ist und die Entscheidung über das anwendbare Recht in der Regel auch kaum beeinflussen.26 Entscheidend für die Schutzwürdigkeit ist daher, ob der Verbraucher auf die Anwendung seines Heimatrechtes vertrauen kann, die Rom I‑VO schützt auch den aktiv am Binnenmarkt teilnehmenden Verbraucher.27 Der Schutz des Verbrauchers bleibt zwar dem materiellen Recht überlassen, die Anknüpfung für das anwendbare Recht muss jedoch dem Zweck dieser Normen entsprechen.28 D. Fazit In verschiedenen schuldrechtlichen Vertragstypen finden sich verbraucherschützende Regelungen. Diese haben den Zweck, die vermeintliche Unterlegenheit des Verbrauchers beim Abschluss bestimmter Verträge mit dem Unternehmer auszugleichen. Die nicht gewerblich oder beruflich tätige Partei wird vor der gewerblich oder beruflich handelnden geschützt. Im richtlinienbasierten Schuldrecht des BGB ergibt sich diese Unterlegenheit nicht pauschal aus dem Aufeinandertreffen von Verbraucher und Unternehmer, sondern immer in Kombination mit Besonderheiten des Vertrages. Diese reichen von einer für den Verbraucher nicht vollständig transparenten Vertragsschlusssituation zu besonders schwierigen oder verlockenden Verträgen, deren Folgen der Verbraucher nicht vollständig einschätzen kann. Durch Informationspflichten und Widerrufsrechte soll dies behoben werden.29 Verbraucher und Unternehmer können nach der Rom I‑VO grundsätzlich eine Rechtsordnung wählen; erst bei Fehlen einer Rechtswahl und einem besonderen Bezug der Tätigkeit des Unternehmers zum Wohnsitz des Verbrauchers ist das dortige Recht anwendbar.30 24 Vgl. Erwgr. 23 Rom I‑VO. 25 MüKo BGB/Martiny, Art. 6
Rom I‑VO, Rn. 50. Art. 6 Rom I‑VO, Rn. 1. Art. 6 Rom I‑VO, Rn. 2. 28 MüKo BGB/Martiny, Art. 6 Rom I‑VO, Rn. 2. 29 Vergleiche oben § 8A, S. 55 ff. und § 8B, S. 57 ff. 30 Vergleiche oben § 8C, S. 59 f. 26 MüKo BGB/Martiny, 27 Rauscher/Heiderhoff,
§ 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO
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§ 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO § 29c ZPO regelt die besondere Zuständigkeit für Klagen aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern. A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Haustürgeschäften I. § 7 HWiG Der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte war zunächst in § 7 HWiG geregelt. Die Rechte aus dem HWiG sollte der Kunde im gewöhnlichen Zivilprozess durchsetzen; einzige Besonderheit war der ausschließliche Gerichtsstand in § 7 HWiG.31 Er wurde in Anlehnung an die damaligen §§ 6a, 6b AbzG als ausschließlicher Gerichtsstand am Wohnsitz des Kunden eingeführt.32 Das allgemeine Prorogationsverbot nach § 38 ZPO sei nicht in der Lage, den meist wirtschaftlich und sozial unterlegenen Kunden ausreichend vor Klagen an entfernten Gerichten zu schützen, da die Zuständigkeit für Klagen des Kunden durch diese nicht verändert werde.33 Daneben bestehe die Gefahr, dass sich der Kunde von der Klage vor einem entfernten Gericht durch die Distanz zu seinem Wohnsitz abhalten lasse.34 Seinem Vertragspartner gegenüber sei es allerdings zumutbar, den Prozess am Wohnsitz des Kunden zu führen, insbesondere da der Vertrag dort häufig ausgehandelt werde.35 Durch § 7 HWiG wurde das Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen durch die bis dahin unbekannte Anwendung schuldrechtlicher Kriterien erweitert.36 II. Prorogationsverbot der Haustürwiderrufsrichtlinie Parallel zu den Vorbereitungen des Bundestages für das HWiG arbeitete die Europäische Kommission an dem Entwurf einer Richtlinie für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge.37 In Art. 11b dieses Entwur31 Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, 2000, S. 23 f. 32 Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 7/4087 (14); Jayme, in: FS Nagel, 1987, S. 123 (126). 33 Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (15). 34 Gilles, NJW 1986, 1131 (1145). 35 Zum Ganzen: Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (15). 36 Werner/Machunsky, § 7 HWiG, Rn. 15. 37 Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64.
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fes war ein Prorogationsverbot zugunsten des Verbrauchers vorgesehen.38 Es sollte verhindern, dass der Verkäufer den Käufer an seinem Gerichtsstand verklagen kann, indem er einen entsprechenden Gerichtsstand mit dem Käufer vereinbart – eine ausschließliche oder besondere Zuständigkeit am Wohnsitz des Käufers sollte aber nicht eingeräumt werden.39 § 11b des Entwurfs war allerdings auch in der endgültigen Fassung der Haustürwiderrufsrichtlinie nicht mehr vorhanden.40 Eine Begründung seines Wegfalls findet sich nicht. III. Eingliederung in die ZPO 2002 2002 wurden die schuldrechtlichen Regelungen des HWiG durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in das BGB überführt.41 § 7 HWiG als verfahrensrechtliche Norm wurde jedoch ihrem Inhalt entsprechend in die ZPO eingefügt.42 Hierbei wurde aus dem ausschließlichen Gerichtsstand am Wohnsitz des – seit 2000 als Verbraucher bezeichneten – Kunden ein besonderer Gerichtsstand für Klagen des Verbrauchers, um diesem die Wahl zwischen seinem Wohnort und den sonstigen Gerichtsständen der ZPO einzuräumen.43 Der ausschließliche Klägergerichtsstand war zuvor in der Literatur heftig kritisiert worden. Es handele sich bei ihm um einen aufgedrängten sozialen Schutz; um dem Verbraucher die Klage an seinem eigenen Wohnsitz zu ermöglichen, würde auch ein besonderer Gerichtsstand genügen.44 IV. Umsetzung der Richtlinie 2011/83/EU 2014 Zuletzt geändert wurde § 29c ZPO im Jahr 2014, als der Begriff des Haustürgeschäftes im Wortlaut des ersten Absatzes durch den „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag“ ersetzt wurde, um den Wortlaut an die im Rahmen der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/ 38
Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl. EG C 22 1977, 6 (9); Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64. 39 Jayme, in: FS Nagel, 1987, S. 123 (125). 40 Änderungen zum Vorschlag einer Richtlinie des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen, ABl. EG C 127 1978, 6 (8), vgl. hierzu auch Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 64. 41 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (SMG), BGBl. Teil I 2001, 3138 ff. 42 Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT‑Drucks. 14/6040 (278). 43 Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/Heinrich, § 29c ZPO, Rn. 4. 44 Jayme, in: FS Nagel, 1987, S. 123 (126).
§ 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO
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EU ergangenen Änderungen im BGB anzupassen.45 Hierbei wurde der Wortlaut der amtlichen Überschrift nicht angepasst, sodass diese immer noch „Gerichtsstand bei Haustürgeschäften“ lautet. V. Zwischenergebnis § 29c ZPO hat seinen Ursprung außerhalb der ZPO. § 7 HWiG wurde im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung in die allgemeine zivilprozessrechtliche Kodifikation der ZPO übernommen. Zugleich wurde der ausschließliche Klägergerichtsstand zugunsten des Verbrauchers zu einem besonderen, sodass die Wahl des Gerichtsstands nunmehr im Ermessen des Verbrauchers liegt. Es handelt sich bei § 29c ZPO nicht um die Umsetzung europäischer Richtlinienvorgaben, wie das im materiellen Recht der Fall ist, sondern um eine originär deutsche Regelung. B. Inhalt des § 29c ZPO § 29c ZPO schafft eine spezielle Regelung der örtlichen Zuständigkeit für Klagen aus Verträgen nach § 312b BGB. I. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich Sachliche Anwendungsvoraussetzung ist das Vorliegen eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages im Sinne des § 312b BGB. Damit verweist die Regelung des § 29c ZPO zur Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereiches unmittelbar auf die schuldrechtliche Regelung des BGB. § 29c ZPO ist auf alle Klagen aus außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen anwendbar; dabei sind sowohl Ansprüche aus dem Vertrag selbst als auch alle Folgeansprüche und solche gegen Dritte, die am Vertragsschluss beteiligt waren, erfasst.46 Nach der Legaldefinition des außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags in § 312b BGB können diese nur zwischen Verbrauchern gemäß § 13 BGB und Unternehmern gemäß § 14 BGB abgeschlossen werden.47 Durch die Verweisung auf die Regelung des BGB spielt hier ein eigenständiger prozessualer Verbraucher- und Unternehmerbegriff keine Rolle.48 Die in § 29c Abs. 2 ZPO eingefügte prozessuale Definition des Verbrauchers hat aufgrund dieser Verweisung auf den außerhalb von Geschäftsräumen 45 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung, BGBl. Teil I 2013, 3642 (3661). 46 BGH, NJW 2003, 1190 (1190); Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 7. 47 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29c ZPO, Rn. 21. 48 Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 3.
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geschlossenen Vertrag keine eigene Bedeutung für den Anwendungsbereich von § 29c ZPO.49 In den persönlichen Anwendungsbereich von § 29c ZPO fallen nur Verfahren zwischen Verbrauchern und Unternehmern. II. Rechtsfolge Sind die Voraussetzungen des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereiches gegeben, so begründet § 29c ZPO zwei unterschiedliche Gerichtsstände für Klagen aus Verträgen, die außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgeschlossen wurden. Klagt der Unternehmer gegen den Verbraucher, dann liegt die örtliche Zuständigkeit ausschließlich bei dem Gericht, in dessen Bezirk der Verbraucher seinen Wohnsitz, hilfsweise – nicht alternativ – seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, § 29c Abs. 1 S. 2, S. 1 ZPO.50 Dies verstärkt den Schutz des Beklagten. Im umgekehrten Fall, bei einer Klage des Verbrauchers gegen den Unternehmer, hat der Verbraucher neben dem allgemeinen und den besonderen Gerichtsständen der ZPO zusätzlich nach § 29c Abs. 1 S. 1 ZPO die Wahl, den Unternehmer an seinem eigenen Wohnsitz zu verklagen.51 § 29c Abs. 1 S. 1 ZPO räumt ihm damit abweichend vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes einen Klägergerichtsstand ein. Gemäß § 29c Abs. 4 ZPO sind Vereinbarungen, die von den Regelungen in § 29c Abs. 1 ZPO abweichen, dann zulässig, wenn der Verbraucher seinen Wohnsitz nach Abschluss des Vertrages aus dem Geltungsbereich der ZPO verlegt oder sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt bei Klageerhebung nicht bekannt sind. In diesen Fällen können die Parteien – ohne Beachtung von § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen.52 Es muss sich bei ihnen nicht um prorogationsfähige Parteien gemäß § 38 Abs. 2 ZPO handeln. III. Analoge Anwendung auf weitere Schutzsituationen Teilweise wird vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des § 29c ZPO analog auf andere Verträge anzuwenden, bei denen Widerrufsrechte zugunsten des Verbrauchers bestehen.53 In diesen Fällen, bemängeln Mankowski und Woitkewitsch, werde der schuldrechtliche Verbraucherschutz nicht durch das Zuständigkeitsrecht abgesichert.54 Das ehemalige Haustür49 Vorwerk/Wolf/Toussaint,
§ 29c ZPO, Rn. 12.
50 Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 10; Zöller/Schultzky, § 29c ZPO, Rn. 7. 51 Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 10; Zöller/Schultzky, § 29c ZPO, Rn. 6. 52 Stein/Jonas/Roth,
H., § 29c ZPO, Rn. 13.
53 Woitkewitsch, CR 2006, 284 (287 f.). 54 Mankowski, JZ 2003, 1122 ff.; Woitkewitsch,
CR 2006, 284 ff.
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geschäft und der heutige außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Vertrag seien nicht so einzigartig, dass hier ein Verbrauchergerichtsstand als einziger gerechtfertigt sei.55 Dies liege zum einen an der Nähe zum Fernabsatz, zum anderen an dem einheitlichen Verweis aller Widerrufsrechte auf § 355 BGB.56 Wenn der Gesetzgeber schon den Grundsatz pacta sunt servanda im materiellen Recht einschränke, dann sei eine entsprechende Einschränkung des Grundsatzes des Beklagtengerichtstands für Verbraucher im Verfahrensrecht nur konsequent.57 Allerdings kann für die Erweiterung des Anwendungsbereiches nicht einmal von der notwendigen planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden.58 Vielmehr beruht das Fehlen einer allgemeinen Regelung der Verbrauchersituation in der ZPO auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers.59 Eine entsprechende Anwendung von § 29c ZPO, etwa auf Fernabsatzverträge, ist daher nicht zulässig.60 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 29c ZPO I. Klagen des Verbrauchers Ohne die halbausschließliche Gerichtsstandsregelung in § 29c Abs. 1 ZPO wäre der Verbraucher auf die sonstigen Gerichtsstände der ZPO beschränkt. Er könnte sich an den allgemeinen Gerichtsstand nach den §§ 12 f., 17 ZPO am Wohnsitz oder Sitz des Unternehmers halten. Bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ist dieser für den Verbraucher bei Vertragsschluss oft nicht ersichtlich.61 Alternativ stünde dem Verbraucher der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 ZPO zur Verfügung. Ausschlaggebend ist hierfür der Leistungsort der jeweils streitigen Verpflichtung,62 der bei einer Klage auf Leistung gegen den Unternehmer vom jeweiligen Vertrag abhängt. Bei Waren oder Dienstleistungen wird es sich in der Regel um eine Holschuld nach § 269 Abs. 1 BGB handeln,63 der Leistungsort wäre auch hier beim Unternehmer. Verlangt er nach einem Widerruf sein Entgelt zu-
55
Mankowski, JZ 2003, 1122 (1122); Woitkewitsch, CR 2006, 284 (286). CR 2006, 284 (286).
56 Mankowski, JZ 2003, 1122 (1122); Woitkewitsch, 57 Woitkewitsch, CR 2006, 284 (288). 58 Stein/Jonas/Roth, 59 Stein/Jonas/Roth,
H., § 29c ZPO, Rn. 2. H., § 29c ZPO, Rn. 2. 60 Mankowski, IPRax 2001, 33 (35); Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 2; Zöller/ Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 29c ZPO, Rn. 4; Zöller/Schultzky, § 29c ZPO, Rn. 4. 61 Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 57. 62 Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 29 ZPO, Rn. 30 f. 63 MüKo BGB/Krüger, § 269 BGB, Rn. 5, 49.
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rück, so befindet sich der Leistungsort gemäß §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB ebenfalls am Sitz des Unternehmers. II. Klagen des Unternehmers Klagt der Unternehmer gegen den Verbraucher, wäre ohne § 29c Abs. 1 ZPO nach den §§ 12 f. ZPO das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers zuständig. Neben dem allgemeinen Gerichtsstand könnte der Unternehmer auch am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes klagen, § 29 Abs. 1 ZPO. Hierbei wird es sich aus der Perspektive des Unternehmers in der Regel bei der Erfüllung der Primärpflichten zunächst um die Zahlung des Entgelts für seine Leistung handeln. Deren Leistungsort liegt nach den §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB im Zweifel am Wohnsitz des Schuldners, also des Verbrauchers. Nach einem Widerruf des Verbrauchers kann der Unternehmer auf Rückgabe seiner Leistung klagen. Bei Waren hat der Verbraucher ihm diese nach § 357 Abs. 4, Abs. 5 BGB zu übermitteln. Es handelt sich dabei um eine Schickschuld, deren Leistungsort am Wohnsitz des Verbrauchers liegt.64 Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gibt es gemäß § 357 Abs. 6 S. 3 BGB die Besonderheit, dass der Unternehmer Waren, die nicht per Post zurückgesandt werden können und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in die Wohnung des Verbrauchers geliefert wurden, abholen muss. Bei dieser Holschuld liegen der Leistungsort und damit auch ein theoretischer besonderer Gerichtsstand nach § 29 ZPO am Wohnsitz des Verbrauchers.65 Genauso verhielte es sich bei einer Verpflichtung des Verbrauchers zum Wertersatz gemäß § 357 Abs. 7 BGB, §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB. In der Regel wären daher für Klagen des Unternehmers die Gerichte am Wohnsitz des Verbrauchers zuständig. III. Gerichtsstandsvereinbarungen, § 38 ZPO Mangels ausschließlichen Gerichtsstandes in § 29c Abs. 1 S. 2 ZPO könnten Verbraucher und Unternehmer vor der Entstehung der Streitigkeit Gerichtsstandsregelungen nach § 38 ZPO treffen, wenn es sich bei beiden zum Beispiel um Kaufleute handelt. Handelt ein Kaufmann nicht zu gewerblichen Zwecken, fällt er unter den Verbraucherbegriff nach § 13 BGB; Verbraucher sind daher nicht grundsätzlich von Gerichtsstandsvereinbarungen ausgeschlossen.66 64 Staudinger/Bittner, § 269 BGB, Rn. 31; Bamberger/Roth/Müller-Christmann, § 357 BGB, Rn. 10. 65 Staudinger/Bittner, § 269 BGB, Rn. 31; Bamberger/Roth/Müller-Christmann, § 357 BGB, Rn. 11. 66 Vergleiche Musielak/Voit/Heinrich, § 38 ZPO, Rn. 12.
§ 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO
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IV. Zusammenfassung Ohne die Regelung von § 29c ZPO wären Gerichtsstandsvereinbarungen im Einzelfall unter den Voraussetzungen des § 38 ZPO zulässig, wenn es sich bei den Parteien beispielsweise um Kaufleute handelt. Verbraucher – die in der Regel keine prorogationsfähigen Parteien gemäß § 38 Abs. 1 ZPO sind – und Unternehmer müssten sich gegenseitig am Wohnsitz des jeweils anderen verklagen. Aufgrund der halbzwingenden Regelung des § 29c Abs. 1 ZPO stehen dem Verbraucher diese Gerichtsstände zusätzlich zur Verfügung. D. Zweck des § 29c ZPO Halbausschließliche Zuständigkeitsregelungen wie § 29c Abs. 1 ZPO behandeln beide Parteien unterschiedlich. Während eine Partei die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen hat, ist die andere auf einen Gerichtsstand festgelegt. Zweck halbausschließlicher Zuständigkeiten ist grundsätzlich der Schutz einer bestimmten Person, in der Regel aus sozialen Erwägungen.67 Durch die ausschließliche Zuständigkeit bei Klagen gegen den Verbraucher soll dieser davor geschützt werden, an anderen Orten als seinem Wohnsitz verklagt zu werden.68 Anders als bei sonstigen Klagen kann der Unternehmer nicht mehr alternativ zum allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz gemäß §§ 12 f. ZPO einen der besonderen Gerichtsstände nach § 35 ZPO wählen, wie zum Beispiel den des Erfüllungsortes gemäß § 29 Abs. 1 ZPO. Dieser besondere Gerichtsstand befände sich zwar in der Regel am Wohnsitz des Verbrauchers, könnte aber im Einzelfall aufgrund der Natur des Schuldverhältnisses auch am Sitz des Unternehmers liegen.69 Der Grundsatz des Beklagtengerichtsstands wird damit zugunsten des Verbrauchers über das übliche Maß hinaus verstärkt.70 Der besondere Klägergerichtsstand bei Klagen des Verbrauchers soll es dem Verbraucher erleichtern, insbesondere seine in §§ 312b, 312g BGB eingeräumten Rechte geltend zu machen.71 Hat der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausgeübt, muss er die daraus folgenden Rechte, insbesondere die Rückzahlung des Kaufpreises, gegebenenfalls klageweise geltend machen. 67 Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011, S. 20. 68 Löwe, BB 1986, 821 (831); Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT‑Drucks. 14/6040 (278); Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29c ZPO, Rn. 3; Zöller/Schultzky, § 29c ZPO, Rn. 1. 69 Vergleiche oben § 9C. II, S. 66. 70 Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 1. 71 MüKo ZPO/Patzina, § 29c ZPO, Rn. 2.
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Nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen wäre hier in der Regel das Gericht am Sitz oder am Wohnsitz des Unternehmers zuständig.72 Hier bestünde jedoch die Gefahr, dass der Verbraucher den Aufwand eines Distanzprozesses scheut und sich daher von der Klageerhebung abhalten lässt.73 Hinzu kommt, dass die Initiative für den Vertragsschluss vom Unternehmer ausging.74 § 29c ZPO soll dem Verbraucher durch die räumliche Nähe zum zuständigen Gericht die Prozessführung sowohl bei Klagen gegen ihn als auch bei selbst initiierten Klagen erleichtern. E. Fortwirken schuldvertraglicher Wertungen I. Wertung der §§ 312b, 312g BGB in § 29c ZPO Die §§ 312b, 312g BGB räumen dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht ein. Grund hierfür ist, dass sich der Verbraucher bei dieser Verhandlungssituation dem Unternehmer schlechter entziehen kann.75 Anders als bei einem Vertragsschluss im Ladengeschäft ist es dem Verbraucher in seiner Wohnung, an seinem Arbeitsplatz oder gar auf einem vom Unternehmer organisierten Ausflug schlecht möglich, sich zu entfernen, er wird psychisch unter Druck gesetzt.76 Hinzu kommt, dass der Verbraucher außerhalb des Geschäftes des Unternehmers selten mit einem Vertragsschluss rechnet, er wird von dem Vertragsschluss überrascht.77 Anders, als wenn er sich in das Geschäft des Unternehmers begibt, ist er in der Regel nicht auf Vertragsverhandlungen vorbereitet.78 Dies rechtfertigt, dass sich der Verbraucher wieder vom bereits abgeschlossenen Vertrag lösen kann; er ist in und aufgrund der Situation des Vertragsschlusses schutzbedürftig.79 Daneben haftete dem außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag insbesondere vor Schaffung der schuldvertraglichen Sonderregelungen eine gewisse Missbräuchlichkeit an.80 Um mit dem Verbraucher einen 72
Vergleiche oben § 9C. I, S. 65 f. Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (15). 74 BGH, NJW 2003, 1190 (1190); Stein/Jonas/Roth, H., § 29c ZPO, Rn. 1. 75 MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 2. 76 MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 2. 77 MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 2. 78 Zum Ganzen Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, Abl. EU L 372 1985, 31 (Erwgr. 4); MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 2; vergleiche auch oben § 8B, S. 57 ff. 79 MüKo BGB/Wendehorst, § 312g BGB, Rn. 1. 80 MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 4. Vergleiche zu den wettbewerbsrechtlichen Regelungen bei Haustürgeschäften MüKo BGB/dies., § 312b BGB, Rn. 59 f. 73
§ 9 Gerichtsstand bei Haustürgeschäften, § 29c ZPO
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Vertrag abzuschließen, spricht der Unternehmer den Verbraucher an Orten an, an denen üblicherweise keine Verträge abgeschlossen werden.81 Indem der Unternehmer dem Verbraucher den Vertragsschluss anträgt, kann dieser nicht seine tatsächlichen Bedürfnisse im Vorfeld analysieren und dementsprechend handeln, sondern muss vielmehr – mit dem konkreten Vertragsangebot konfrontiert – entscheiden, wie er nun vorgeht.82 § 29c ZPO verweist direkt auf die Regelungen der §§ 312b, 312g BGB und nimmt damit auf deren schuldrechtliche Wertungen Bezug. Der Verbraucher soll seine Rechte ohne größere Einschränkungen durchsetzen können; insbesondere soll er nicht durch die Distanz zum Gerichtsort von einer Klage abgehalten oder weit von seinem Wohnsitz entfernt in Anspruch genommen werden.83 § 29c ZPO dient damit als prozessuale Fortsetzung der schuldrechtlichen Privilegierung des Verbrauchers.84 II. Prozessuales Schutzbedürfnis Bei § 29c ZPO gibt es jedoch neben diesen materiellrechtlichen Schutzerwägungen noch ein Element prozessbezogener Schutzbedürftigkeit. Zum einen liegt der Sitz des Unternehmers in der Regel nicht an dem Ort, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.85 Zugleich hängt wohl dessen Bereitschaft, Klage zu erheben, indirekt proportional von der Nähe des zuständigen Gerichts ab; die vertragliche Ungleichheit würde sich bei einer Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Unternehmers fortsetzen.86 Der Verbraucher kann, wenn er „außerhalb von Geschäftsräumen“ gemäß § 312b BGB einen Vertrag schließt, kaum vorhersehen, wo er denn gegebenenfalls einen Prozess führen würde.87 Da der Vertrag ja gerade nicht im Ladengeschäft des Unternehmers abschlossen wird, ist dessen tatsächlicher Sitz für den Verbraucher nicht erkennbar.88 Anders als beim Vertragsschluss im Ladengeschäft hat er auch keinen tatsächlichen Eindruck von der räumlichen Entfernung zu seinem eigenen Wohnsitz.89 Sein Schutzbedürfnis ergibt sich daher gerade auch aus seiner Situation im Prozess.90 Der Unternehmer begibt sich beim Vertragsschluss im Rahmen eines „Haustürgeschäftes“ mit dem Verbraucher räumlich in dessen Sphäre. Es 81 Bamberger/Roth/Maume,
§ 312b BGB, Rn. 4.
82 MüKo BGB/Wendehorst, § 312b BGB, Rn. 2. 83 MüKo ZPO/Patzina, § 29c ZPO, Rn. 2.
84 MüKo ZPO/Patzina, § 29c ZPO, Rn. 2. 85 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29c ZPO,
86 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29c ZPO, 87 Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 57. 88
89 90
Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 57. Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 108. Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 57 ff.
Rn. 2. Rn. 2.
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ist – so schon die Begründung von § 7 HWiG – daher auch vertretbar, dass er dort verklagt wird, wo er den Vertrag geschlossen hat.91 Im außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ist das situative Überrumpelungsmoment gegenüber dem Haustürgeschäft zurückgetreten, Anknüpfungspunkt ist nun eher der Ort des Vertragsschlusses.92 Gerade dieser führt allerdings zu der nachteiligen Situation des Verbrauchers, die sich im Prozess fortsetzt. Der psychische Druck ist jedoch auch in den Abschlusssituationen des § 312b BGB weiter vorhanden. Das Haustürgeschäft unterscheidet sich durch die Initiative des Unternehmers vom Fernabsatzvertrag. Hier geht die Initiative für den Vertragsschluss gerade vom Verbraucher aus. Er hat, insbesondere in Zeiten des Internets, die Möglichkeit, die Angebote verschiedener Händler von seiner Couch aus zu überprüfen; die Überrumpelungs- und Stresssituation durch das Erscheinen des Unternehmers an seiner Haustür fällt hier vollständig weg. Im Gegenteil, es ist sogar noch leichter als im stationären Handel, kurz vor Abschluss des Vertrages von diesem Entschluss doch noch Abstand zu nehmen.93 Schließlich ist es in der Regel auch nicht mit einem besonderen Aufwand für den Verbraucher verbunden, herauszufinden, wo sich der Geschäftssitz des Unternehmers befindet, da dieser insbesondere auf der Homepage angegeben werden muss. Beim Fernabsatzvertrag fehlt dieses Element der fehlenden Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, das sich auf die prozessuale Situation des Verbrauchers auswirkt. F. Ergebnis § 29c ZPO spiegelt die Wertungen der §§ 312b, 312g BGB wider. Die schuldrechtliche Schutzwürdigkeit wirkt bei dieser verfahrensrechtlichen Regelung fort. Hier wird der Verbraucher wegen seiner Unterlegenheit in der Situation des Vertragsschlusses bessergestellt als der gewöhnliche Kläger oder Beklagte. Daneben hat diese schuldrechtliche Unterlegenheit unmittelbare Folgen für die Verfahrenssituation des Verbrauchers.94 Die schuldrechtliche Ungleichgewichtslage zwischen Verbraucher und Unternehmer setzt sich im Prozess fort, sodass die Schutzerwägungen auch aus prozessualen Gründen geboten sind. § 29c ZPO ist damit zum einen materialisiertes Zivilprozessrecht, berücksichtigt aber zum anderen auch prozessuale Besonderheiten. 91 Entwurf eines Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, BT‑Drucks. 10/2876 (15). 92 Förster, ZIP 2014, 1569 (1570 f.). 93 Dies verkennt Woitkewitsch, CR 2006, 284 (286 f.). 94 Vergleiche insbesondere soeben § 9E, S. 68 ff.
§ 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO
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§ 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Die Brüssel Ia-VO hat ihren gesamten vierten Abschnitt dem Verbraucher gewidmet, die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO regeln die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen. A. Entwicklung der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO I. Einführung 1978 Im Zuge der Überarbeitung des EuGVÜ 1978 trat an Stelle der Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Abzahlungsgeschäften die Zuständigkeit für Verbraucherstreitigkeiten. Der Anwendungsbereich des vierten Abschnitts wurde nicht länger auf Abzahlungsgeschäfte beschränkt, eine Definition des Verbrauchers wurde eingefügt.95 Sämtliche finanzierten Kaufverträge96 und Verträge, die einen besonderen räumlichen Bezug zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers aufwiesen, wurden in den Anwendungsbereich miteinbezogen.97 Dieser räumliche Bezug lag darin, dass dem Vertragsschluss entweder Werbung des Unternehmers im Mitgliedsstaat des Verbrauchers oder ein konkretes Vertragsangebot vorausgegangen waren und der Verbraucher seine Vertragshandlung in seinem Wohnsitzstaat vorgenommen hatte.98 II. EuGVO – Verordnung 44/2001/EG Beim Übergang von EuGVÜ zur EuGVO99 wurde im Rahmen des Verbrauchergerichtsstandes insbesondere auf die neuere technische Entwicklung eingegangen.100 Der Verbraucher als schwächere Vertragspartei sollte weiterhin geschützt, der Anwendungsbereich auf alle Verbraucherverträge ausgedehnt werden.101 Auch sollte der schwer nachweisbare Inlands95 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 1; Magnus/Mankowski/Mankowski/ Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 11. 96 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 12. 97 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 13. 98 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 13. 99 Verordnung (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO), Abl. EG L 12 2001, 1 ff. 100 Vorschlag für eine Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Begründung, KOM(1999) 348 endg. (17); Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Introduction to Articles 17–19, Rn. 14 ff. 101 Vorschlag für eine Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die An-
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bezug zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers vereinfacht werden.102 Es war daher nicht länger erforderlich, dass der Verbraucher seine Vertragshandlung innerhalb seines Wohnsitzstaates vornimmt.103 Vielmehr war es nach Art. 15 Abs. 1 lit. c) EuGVO ausreichend, dass der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit entweder im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübte oder sie auf diesen ausrichtete. III. Brüssel Ia-VO – Verordnung 1215/2012/EU An der Zuständigkeit für Verbraucherstreitigkeiten in der EuGVO wurde kritisiert, dass ihr Zweck, EU‑Bürger umfassend zu schützen, dann nicht erreicht werde, wenn der Beklagte außerhalb der Mitgliedsstaaten ansässig sei.104 Insbesondere käme so zwingendes europäisches Recht wie beispielsweise verbraucherschützende Regelungen nicht zur Anwendung.105 Während der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des Verbrauchergerichtsstands der Brüssel Ia-VO im Vergleich zur EuGVO gleichgeblieben ist, erstreckt sich der räumliche Anwendungsbereich der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO nun auch auf Klagen gegen Unternehmer, deren Sitz sich außerhalb der Europäischen Union befindet. Zusätzlich sind die Möglichkeiten einer rügelosen Einlassung gemäß Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO beschränkt. Das Gericht muss jetzt sicherstellen, dass der Verbraucher in einem solchen Fall seine Rechte und die Folgen einer Einlassung oder ihres Unterlassens kennt.106 Die Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO wurden nicht an die Ausnahmen des anwendbaren Rechts auf Verbraucherverträge gemäß Art. 6 Abs. 4 Rom I‑VO angepasst.107 B. Inhalt der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Die Tatbestandsmerkmale der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO sind autonom und unter Berücksichtigung der Rom I‑VO und des EVÜ auszulegen, um eine erkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Begründung, KOM(1999) 348 endg. (17); Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 1, 32. 102 MüKo ZPO/Gottwald, 4. Aufl. 2013, Art. 15 EuGVO, Rn. 1. 103 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 39; MüKo ZPO/Gottwald, 4. Aufl. 2013, Art. 15 EuGVO, Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, Art. 17 EuGVVO nF, Rn. 7. 104 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. (3); Alio, NJW 2014, 2395 (2398). 105 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. (3 f.). 106 Mankowski, RIW 2014, 625 (628). 107 Mankowski, RIW 2014, 625 (631).
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einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedsstaaten sicherzustellen.108 Da die Regelungen des vierten Abschnitts eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO darstellen, müssen sie eng ausgelegt werden, damit sie nicht über die vorgesehenen Fälle hinausgehen.109 I. Voraussetzungen 1. Persönlicher Anwendungsbereich Voraussetzung des persönlichen Anwendungsbereiches des vierten Abschnitts der Brüssel Ia-VO ist die Beteiligung eines Verbrauchers. Dieser wird in Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO als Person definiert, die einen Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht zu ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gerechnet werden kann. Der Begriff entspricht im Wesentlichen dem Verbraucherbegriff des § 13 BGB. Die negative Definition ist aufgrund des Ausnahmecharakters des Verbrauchergerichtsstandes eng auszulegen,110 die zuständigkeitsrechtlichen Vorteile sollen nur den Käufern zugutekommen, die aufgrund ihrer wirtschaftlich schwächeren Position als private Endverbraucher Schutz benötigen.111 Unternehmer als Rechtsnachfolger eines Verbrauchers fallen zum Beispiel nicht in den Anwendungsbereich.112 Dem Verbraucher wird im europäischen Prozessrecht kein allgemeiner Status zugeordnet, vielmehr ist das konkrete streitgegenständliche Rechtsgeschäft entscheidend.113 Da es nur auf den konkreten 108 EuGH, Urteil v. 21. 06. 1978 – 150/77 (Betrand) ECLI:EU:C:1978:137, Slg. 1978, 1432 (Rn. 14 ff.); ders., Urteil v. 17. 06. 1992 – C-26/91 (Handte) ECLI:EU:C:1992:268, Slg. I 1992, 3990 (Rn. 10); ders., Urteil v. 19. 01. 1993 – C-89/91 (Shearson Lehman Hutton) ECLI:EU:C:1993:15, Slg. I 1993, 181 (Rn. 13); ders., Urteil v. 20. 01. 2005 – C-464/01 (Gruber) ECLI:EU:C:2005:32, Slg. I 2005, 458 (Rn. 31); Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 4; Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 109 EuGH, Urteil v. 21. 06. 1978 – 150/77 (Betrand) ECLI:EU:C:1978:137, Slg. 1978, 1432 (Rn. 17); ders., Urteil v. 17. 06. 1992 – C-26/91 (Handte) ECLI:EU:C:1992:268, Slg. I 1992, 3990 (Rn. 14); ders., Urteil v. 19. 01. 1993 – C-89/91 (Shearson Lehman Hutton) ECLI:EU:C:1993:15, Slg. I 1993, 181 (Rn. 16); ders., Urteil v. 20. 01. 2005 – C-464/01 (Gruber) ECLI:EU:C:2005:32, Slg. I 2005, 458 (Rn. 32); Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 5. 110 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 6; Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 13. 111 EuGH, Urteil v. 21. 06. 1978 – 150/77 (Betrand) ECLI:EU:C:1978:137, Slg. 1978, 1432 (Rn. 21); Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 17 Brussels Ibis Reg., Rn. 43. 112 EuGH, Urteil v. 19. 01. 1993 – C-89/91 (Shearson Lehman Hutton) ECLI:EU:C: 1993:15, Slg. I 1993, 181 (Rn. 23); Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 11; Stein/ Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 15. 113 Hess, IPRax 2000, 370 (370).
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Vertrag ankommt, kann eine Person in unterschiedlichen Verträgen zeitgleich Verbraucher und Unternehmer sein.114 2. Sachlicher Anwendungsbereich Sachliche Anwendungsvoraussetzung der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO ist, dass es sich beim Verfahrensgegenstand um einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag handelt. Der Begriff des Vertrags in Art. 17 Brüssel Ia-VO entspricht dem des Art. 5 Brüssel Ia-VO, sodass sowohl vertragliche Primär- oder Sekundäransprüche als auch Streitigkeiten über wirksames Zustandekommen und vorvertragliche Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo erfasst sind.115 Nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO sind in sachlicher Hinsicht zunächst Verträge über den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung erfasst. Diese Teilzahlungsgeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass der Unternehmer mit dem Verbraucher eine Ratenzahlung vereinbart und der Verbraucher den Vertragsgegenstand vor Zahlung der letzten Rate erhält.116 Art. 17 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO nimmt daneben in Raten zurückzuzahlende Darlehen und andere Kreditgeschäfte, die den Kauf beweglicher Sachen finanzieren, in den sachlichen Anwendungsbereich mit auf. Dabei handelt es sich um einen Vertrag zwischen dem Verbraucher und einem Dritten, mit Hilfe dessen der Verbraucher seiner Zahlungspflicht aus dem Kaufvertrag nachkommen können soll.117 Dieser Verwendungszweck geht allerdings nicht so weit, dass verbundene Verträge nach den §§ 358 ff. BGB vorliegen müssen.118 Zusätzlich sind nach Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO alle anderen Verträge erfasst, solange die situative Voraussetzung der Ausübung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit in dem Mitgliedsstaat, in dem der Verbraucher ansässig ist, oder die Ausrichtung der Tätigkeit auf diesen Mitgliedsstaat vorliegt. Damit sind nicht mehr nur Dienstleistungs- und Lieferverträge erfasst, wie das im EuGVÜ der Fall war.119
114 EuGH, Urteil v. 03. 07. 1997 – C-269/95 (Benincasa) ECLI:EU:C:1997:337, Slg. I 1997, 3788 (Rn. 16); Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 17; Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 115 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 12; Linke/Hau, IZVR, Rn. 5.8. 116 EuGH, Urteil v. 27. 04. 1999 – C-99/96 (Mietz) ECLI:EU:C:1999:202, Slg. I 1999, 2299 (Rn. 33); Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 15; Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 27. 117 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 31. 118 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 31; Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 6. 119 Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 7.
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3. Situativer Anwendungsbereich Der Verbrauchergerichtsstand für alle sonstigen Verträge ist eröffnet, wenn ein besonderer räumlicher Bezug zwischen dem Vertragspartner des Verbrauchers und dem Mitgliedsstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, besteht. Dieser kann einmal darin liegen, dass der Unternehmer seine Tätigkeit in diesem Mitgliedsstaat ausübt. Dafür muss er keine eigene Niederlassung im Mitgliedsstaat unterhalten, sondern es genügt, wenn er dort seine Dienstleistungen vornimmt, also aktiv am Markt teilnimmt.120 Übt er seine Tätigkeit nicht in diesem Mitgliedsstaat aus, fällt er nach Art. 17 Abs. 1 lit. c) Alt. 2 Brüssel Ia-VO trotzdem in den Anwendungsbereich, wenn er sie auf ihn ausgerichtet hat. Er muss dazu seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben, mit den Verbrauchern in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten Geschäftsbeziehungen einzugehen.121 Bei klassischen Formen der Werbung in Print-Medien oder Fernsehprogrammen, deren räumliche Verbreitung in der Regel begrenzt ist, lässt sich dieser Wille durch die entstehenden Kosten bereits belegen.122 Ein Ausrichten liegt in diesen Fällen immer dann vor, wenn in Richtung des Mitgliedsstaates des Verbrauchers eine absatzfördernde Tätigkeit betrieben wird.123 Probleme ergeben sich jedoch bei Werbung im Internet durch die grundsätzlich weltweite Verfügbarkeit der online gestellten Inhalte.124 Die globale Abrufbarkeit lässt keinen Rückschluss darauf zu, ob der Unternehmer zu den Verbrauchern in sämtlichen Mitgliedsstaaten Geschäftsbeziehungen aufbauen will.125 Eine größere Reichweite bedeutet hier für den Unternehmer keinen Mehraufwand, aus dem sich sein Wille ablesen lässt.126 Notwendig sind daher andere offenkundige Formen des Willensausdrucks,127 wie etwa die Registrierung bei einer Suchmaschine, die Angabe der Bereitschaft des Un-
120 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 40; Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 12. 121 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 75). 122 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 67). 123 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 43. 124 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 68). 125 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 68). 126 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 68). 127 EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU: C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 80).
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ternehmers zur Leistung im Staat, Top-Level-Domain, Anfahrtsbeschreibung und Sprache.128 Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO erfasst auch Distanzgeschäfte.129 Bei diesen begegnet der Verbraucher dem Unternehmer nie persönlich und kann trotz regelmäßiger Vorleistungspflicht die Ware in der Regel aufgrund der vertraglichen Umstände nicht in Augenschein nehmen.130 Entspricht sie nicht dem vertraglich Vereinbarten, muss er tätig werden und Klage erheben.131 Dabei muss sich das Ausrichten auf das Gebiet eines Mitgliedsstaates der EU beziehen, nicht auf seine Staatsangehörigen; das Bezugselement ist territorial.132 Da der Verbraucher die Vertragshandlung nicht länger in seinem Mitgliedsstaat vorgenommen haben muss, fällt er auch in den Anwendungsbereich, wenn ihn der Unternehmer zum Verlassen seines Mitgliedsstaates veranlasst hat.133 Hierdurch wird auch der aktive Verbraucher geschützt.134 Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn eine Veranlassung des Unternehmers fehlt und der Bezug zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers erst durch die Abwicklung des Vertrages hergestellt wird.135 Das Kriterium des Ausrichtens stellt eine besondere räumliche Verbindung zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers her, da sich der Unternehmer dort direkt seine Kunden sucht.136 Seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Emrek137 ist klargestellt, dass das Ausrichten nicht für den Vertragsschluss im Sinne einer conditio sine qua non ursächlich geworden sein muss.138 Es genügt stattdessen ein abstraktes Ausrichten; der Kunde muss zum potentiellen Zielpublikum gehören.139 Lässt sich die Kausalität jedoch nachweisen, ist diese nach dem EuGH ein Anzeichen für das Ausrichten.140 128
EuGH, Urteil v. 07. 12. 2010 – C-585/08, C-144/09 (Pammer, Alpenhof) ECLI:EU:C:2010:740, Slg. I 2010, 12570 (Rn. 81 ff.); Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 13a. 129 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 99. 130 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 23; Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 17 Brussels Ibis Reg., Rn. 62. 131 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 17 Brussels Ibis Reg., Rn. 62. 132 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 23. 133 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 27. 134 Stein/Jonas/Wagner, Art. 15 EuGVVO, Rn. 41; Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 7. 135 Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 23. 136 Magnus/Mankowski/Mankowski/Nielsen, Art. 17 Brussels Ibis Reg., Rn. 66. 137 EuGH, Urteil v. 17. 10. 2013 – C-218/12 (Emrek) ECLI:EU:C:2013:666, elektr. Slg. 2013. 138 Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 15a. 139 Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 15a. 140 EuGH, Urteil v. 17. 10. 2013 – C-218/12 (Emrek) ECLI:EU:C:2013:666, elektr. Slg. 2013 (Rn. 32); Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 15a.
§ 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO
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II. Rechtsfolge Sind die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 17 Brüssel Ia-VO gegeben, wird in Art. 18 Brüssel Ia-VO zugunsten des Verbrauchers ein halbseitig zwingender Gerichtsstand eingerichtet.141 1. Halbzwingender Gerichtsstand zugunsten des Verbrauchers Dem Verbraucher steht, wenn er gegen seinen Vertragspartner klagt, neben den Gerichten in dem Staat, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat, auch das Gericht an seinem eigenen Wohnsitz zu Verfügung. Dieser Klägergerichtsstand in Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bestimmt nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit.142 Lücken durch fehlende örtliche Zuständigkeitsregelungen im nationalen Recht müssen nicht länger durch rechtliche Konstruktionen gefüllt werden.143 Der Verbraucher kann wählen, ob er lieber ortsnah klagt und sich so die Prozessführung erleichtert, oder ob er den Unternehmer in seinem Sitzstaat aufsucht und sich so gegebenenfalls die Vollstreckung vereinfacht.144 Seit der Neufassung der Brüssel Ia-VO ist der Klägergerichtsstand des Verbrauchers entgegen des sonstigen Anwendungsbereiches nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auch anwendbar, wenn der Unternehmer außerhalb der EU ansässig ist.145 Der Verbraucher ist gemäß Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausschließlich vor den Gerichten in seinem Aufenthaltsstaat gerichtspflichtig, sie sind ausschließlich international zuständig.146 Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO regelt nur die internationale Zuständigkeit, die örtliche richtet sich nach dem Recht der jeweiligen Mitgliedsstaaten.147 2. Einschränkung von Gerichtsstandsvereinbarungen Art. 19 Brüssel Ia-VO schränkt die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten des Verbrauchers ein, sie können unter anderem erst nach Entstehung der Streitigkeit getroffen werden. Der wirtschaftlich schwächere und unerfahrenere Verbraucher soll so davor geschützt 141 Vgl. zum Begriff: Coester-Waltjen, Jura 2003, 320 (323); Linke/Hau, IZVR, Rn. 4.14. 142 Kropholler/von Hein, Art. 16 EuGVO, Rn. 1; Stein/Jonas/Wagner, Art. 16 EuGVO, Rn. 1; Musielak/Voit/Stadler, Art. 18 EuGVVO nF, Rn. 4. 143 Stein/Jonas/Wagner, Art. 16 EuGVO, Rn. 1. 144 Stein/Jonas/Wagner, Art. 16 EuGVO, Rn. 2; Rauscher/Staudinger, Art. 18 Brüssel Ia-VO, Rn. 2. 145 Musielak/Voit/Stadler, Art. 18 EuGVVO nF, Rn. 5. 146 Stein/Jonas/Wagner, Art. 16 EuGVO, Rn. 8; Rauscher/Staudinger, Art. 18 Brüssel Ia-VO, Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, Art. 18 EuGVVO nF, Rn. 6. 147 Musielak/Voit/Stadler, Art. 18 EuGVVO nF, Rn. 6.
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werden, dass zu seinem Nachteil Zuständigkeitsvereinbarungen getroffen werden.148 Zuständigkeitsmängel können durch rügeloses Verhandeln geheilt werden, zum Schutz der schwächeren Partei besteht jedoch eine Belehrungspflicht gemäß Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.149 Der Anwendungsbereich von Art. 19 Brüssel Ia-VO erstreckt sich nicht auf Schieds- und Mediationsvereinbarungen.150 C. Internationale Zuständigkeit ohne Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Auch die internationale Zuständigkeit für Klagen aus Verbraucherverträgen würde sich ohne die Zuständigkeitsregelungen des vierten Abschnitts der Brüssel Ia-VO nach den allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten der Art. 4 Abs. 1, 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO richten. Der Verbraucher müsste in diesem Fall den Unternehmer grundsätzlich vor den Gerichten des Staates verklagen, in dem der Unternehmer seinen Wohnsitz hat, Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Bei Klage auf Leistung aus Warenkauf- oder Dienstleistungsvertrag läge die Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO für sämtliche Klagen aus dem Vertrag am verordnungsautonom zu bestimmenden Erfüllungsort als dem Ort des Mitgliedstaates, an den die bewegliche Sache geliefert oder in dem die Dienstleistung erbracht werden müsste.151 Bei Warenlieferungsverträgen – insbesondere im Bereich der Bestellung von Waren im Fernabsatz – befände sich der Lieferort regelmäßig am Wohnsitz des Verbrauchers. Dies würde dem Verbraucher einen Klägergerichtsstand eröffnen. Bei Dienstleistungsverträgen käme es auf die Art der konkreten Dienstleistung an. Ihr Erfüllungsort kann sich sowohl im Wohnsitzstaat des Unternehmers, beispielsweise bei der anwaltlichen Vertretung im Ausland, in dem des Verbrauchers oder in einem dritten Mitgliedsstaat befinden. Bei anderen Verträgen richtet sich die Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO nach dem lege causae zu ermittelnden Erfüllungsort der jeweiligen streitigen Verpflichtung.152 Dieser befindet sich bei auf den Vertrag anwendbaren deutschen 148 Kropholler/von Hein, Art. 17 EuGVO, Rn. 1; Rauscher/Staudinger, Art. 19 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 149 Rauscher/Staudinger, Art. 19 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 150 Stein/Jonas/Wagner, Art. 17 EuGVO, Rn. 1; Rauscher/Staudinger, Art. 19 Brüssel Ia-VO, Rn. 4. 151 EuGH, Urteil v. 03. 05. 2007 – C-386/05 (Color Drack) ECLI:EU:C:2007:262, Slg. I 2007, 3727 (Rn. 26); ders., Urteil v. 09. 07. 2009 – C-204/08 (Rehder) ECLI:EU:C: 2009:439, Slg. I 2009, 6073 (Rn. 36); ders., Urteil v. 25. 02. 2010 – C-381/08 (Car Trim) ECLI:EU:C:2010:90, Slg. I 2010, 1268 (Rn. 50); ders., Urteil v. 11. 03. 2010 – C-19/09 (Wood Floor Solutions) ECLI:EU:C:2010:137, Slg. I 2010, 2161 (Rn. 27); Stein/Jonas/ Wagner, Art. 5 EuGVVO, Rn. 51; Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 57. 152 EuGH, Urteil v. 06. 10. 1976 – 12/76 (Tessili) ECLI:EU:C:1976:133, Slg. 1976,
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Recht gemäß § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB regelmäßig am Wohnsitz des Schuldners und damit beim Unternehmer. Jenseits des Warenkauf- und Dienstleistungsvertrages wäre dem Verbraucher als Kunden damit kein Klägergerichtsstand eröffnet. Der Unternehmer müsste sich zunächst grundsätzlich gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO an die Gerichte des Wohnsitzstaates des Verbrauchers halten. Bei Klagen aus Warenkauf- oder Dienstleistungsverträgen müsste er sich ebenfalls an den Leistungsort der vertragscharakteristischen Leistung halten, sodass der Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO mit dem der Klagen des Verbrauchers zusammenfällt.153 Bei anderen Verträgen würde sich die Zuständigkeit nach der jeweils in Frage stehenden Leistungspflicht richten, Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO. Deren Leistungsort hinge von dem jeweiligen Vertragsverhältnis ab und könnte sich sowohl im Wohnsitzstaat des Verbrauchers, des Unternehmers als auch in einem Drittstaat befinden. Ohne die Zuständigkeitsregelungen des vierten Abschnitts wären Zuständigkeitsvereinbarungen nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zulässig; bei der rügelosen Einlassung wäre die Aufklärung des Verbrauchers gemäß Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO entbehrlich. Der Verbraucher hätte ohne die besondere Zuständigkeitsregelung in Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO zwar nicht zwingend, aber doch in vielen Fällen einen Klägergerichtsstand zu seiner Verfügung. Bei Klagen des Unternehmers läge die Zuständigkeit regelmäßig im Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Gerichtsstandsvereinbarungen wären zulässig, eine Zuständigkeitsbegründung durch rügeloses Einlassen einfacher. D. Zweck der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO Bei den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO handelt es sich um einen halbzwingenden Gerichtsstand zugunsten des Verbrauchers. Die Zuständigkeitsregelungen für Verbraucherstreitigkeiten in den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO haben den Zweck, den Verbraucher als schwächere Partei durch Zuständigkeitsregelungen und Einschränkung der Zuständigkeitsvereinbarung zu schützen.154 Der EuGH hat mehrfach festgestellt, dass der Verbraucher in der Regel nicht die gleichen wirtschaftlichen Möglichkeiten wie sein Vertragspartner hat, daneben fehlt es ihm an dessen rechtlicher Erfahrung.155 Es 1474 (Rn. 13, 15); ders., Urteil v. 19. 02. 2002 – C-256/00 (Besix) ECLI:EU:C:2002:99, Slg. I 2002, 1718 (Rn. 33); Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 42, 44, 49. 153 Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO, Rn. 51, 58. 154 Pontier/Burg, EU Principles, S. 125; Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 1. 155 EuGH, Urteil v. 19. 01. 1993 – C-89/91 (Shearson Lehman Hutton) ECLI:EU:C:
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darf ihm, so der EuGH weiter, nicht erschwert werden, seine Rechte vor Gericht durchzusetzen, indem er in dem Mitgliedsstaat klagen muss, in dem sein Vertragspartner seine Niederlassung hat.156 I. Ausrichten und Ausüben der Tätigkeit Bei den Tatbestandsmerkmalen des Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO richtet der Vertragspartner des Verbrauchers seine Tätigkeit von einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat aus auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers aus oder übt sie dort aus. International zuständig wären bei Klagen des Verbrauchers ohne die Regelungen der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zunächst die Gerichte des Staates, in dem der Vertragspartner sitzt.157 Der Verbraucher müsste in diesem Fall vor räumlich gegebenenfalls weit entfernten Gerichten prozessieren, deren Verhandlungssprache er im Regelfall nicht beherrscht und deren Verfahrensordnung er noch weniger kennt als die des Staates, in dem er sich gewöhnlich aufhält. Diese Nachteile bei der Prozessführung würden den Verbraucher treffen, obwohl der Unternehmer derjenige gewesen wäre, der als erstes bei der Anbahnung rechtgeschäftlicher Beziehungen in Richtung auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers aktiv geworden ist. II. Teilzahlungskauf und Finanzierungsgeschäfte Zweck der Tatbestandsvoraussetzungen in Art. 17 Abs. 1 lit. a), lit. b) Brüssel Ia-VO ist auch, den wirtschaftlich schlechter gestellten Käufer zu schützen, der den Vertragsgegenstand finanziert oder abzahlt.158 Nach Auffassung des EuGH ist der Verbraucher bei diesen Arten des Kaufes besonders schutzwürdig, da er das Risiko trägt, die Sache zu verlieren, aber weiterhin die Raten begleichen zu müssen.159 Hinzu kommt, so der Gerichtshof, dass er sich über die tatsächliche Höhe des gesamten Betrages täuschen kann – bei einer vorherigen vollständigen Zahlung ist dies nicht der Fall.160 1993:15, Slg. I 1993, 181 (Rn. 18); ders., Urteil v. 20. 01. 2005 – C-464/01 (Gruber) ECLI: EU:C:2005:32, Slg. I 2005, 458 (Rn. 34). 156 EuGH, Urteil v. 19. 01. 1993 – C-89/91 (Shearson Lehman Hutton) ECLI:EU:C: 1993:15, Slg. I 1993, 181 (Rn. 18); ders., Urteil v. 20. 01. 2005 – C-464/01 (Gruber) ECLI:EU:C:2005:32, Slg. I 2005, 458 (Rn. 34). 157 Vergleiche soeben § 10C, S. 78 f. 158 EuGH, Urteil v. 21. 06. 1978 – 150/77 (Betrand) ECLI:EU:C:1978:137, Slg. 1978, 1432 (Rn. 19 ff.); Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 13. 159 EuGH, Urteil v. 27. 04. 1999 – C-99/96 (Mietz) ECLI:EU:C:1999:202, Slg. I 1999, 2299 (Rn. 31). 160 EuGH, Urteil v. 27. 04. 1999 – C-99/96 (Mietz) ECLI:EU:C:1999:202, Slg. I 1999, 2299 (Rn. 31); Kropholler/von Hein, Art. 15 EuGVO, Rn. 15.
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III. Wirtschaftliche Erwägungen Neben dieser Schutzfunktion verfolgt der vierte Abschnitt der Brüssel Ia-VO das wirtschaftliche Ziel, durch die Klageerleichterung das Vertrauen des Verbrauchers in den Binnenmarkt zu stärken und so binnenmarktübergreifende Geschäfte zu fördern.161 E. Durchschlagen materiellrechtlicher Wertungen Es bleibt zu klären, ob sich bei dem Verbrauchergerichtsstand der Brüssel Ia-VO schuldvertragliche, gegebenenfalls durch europäische Richtlinien begründete Wertungen im Prozessrecht fortsetzen, oder ob es sich um prozessual gerechtfertigte Vorschriften handelt. Schon im richtlinienbasierten Schuldrecht und im internationalen Privatrecht der Rom I‑VO wird der Verbraucher nicht grundsätzlich geschützt, wenn er auf den Unternehmer trifft, sondern nur bei bestimmten Vertragstypen oder situativen Voraussetzungen.162 Wird der Verbraucher verklagt, verstärkt Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO den Beklagtenschutz zu seinen Gunsten. Der prozessual schwächere Beklagte ist hier identisch mit dem vermeintlich sozial oder wirtschaftlich schwächeren Verbraucher.163 Diese Regelung beeinträchtigt zwar nicht den Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes, beschränkt aber die Möglichkeit, mittels privatautonomer Vereinbarung die Zuständigkeit festzulegen. Klagt der Verbraucher, so kollidiert nach den Vorschriften des Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO der Schutz des Beklagten mit dem des Verbrauchers,164 vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands wird hierdurch abgewichen. I. Ausrichten und Ausüben der Tätigkeit, Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO erfasst alle Distanzgeschäfte, solange der Unternehmer seine Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat ausrichtet, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.165 Ein solches Distanzgeschäft kann einmal mit den Mitteln des Fernabsatzes zustande kommen. Hier wird der Verbraucher schuldvertraglich geschützt, weil er bei Vertragsschluss keine 161 Heiderhoff, IPRax 2005, 230 (231); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 98; Rauscher/Staudinger, Vorbemerkung zu Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 162 Zum schuldvertraglichen- und kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz oben § 8, S. 55 ff. 163 Pontier/Burg, EU Principles, S. 126. 164 Pontier/Burg, EU Principles, S. 128. 165 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 99.
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Möglichkeit hat, die Leistung in Augenschein zu nehmen;166 anders als bei unmittelbarem Kontakt zum Verkäufer erhält er weniger oder flüchtigere Informationen167 und die Anonymität der Parteien ist größer.168 Dem Verbraucher wird auf Grundlage der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU in §§ 312c, 312g, 355 BGB ein Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge eingeräumt; daneben werden dem Unternehmer Informationspflichten auferlegt. Kauft der Verbraucher zum Beispiel Waren vom Unternehmer, wird ihm so die Möglichkeit gegeben, die Ware nach Erhalt in Augenschein zu nehmen. Daneben kann ein solches Distanzgeschäft auch als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag nach § 312b BGB abgeschlossen werden oder wenn der Verbraucher zum ausrichtenden Unternehmer reist. Nur im letzten Fall wird der Verbraucher durch das Schuldvertragsrecht nicht besonders geschützt.169 Bei der Einführung der EuGVO sollten insbesondere Fernabsatzgeschäfte, die mithilfe moderner Medien abgeschlossen werden, berücksichtigt werden. Die vorherige Regelung im EuGVÜ war nur anwendbar, wenn der Verbraucher seine Vertragshandlung innerhalb seines Wohnsitzstaates vorgenommen hatte, also entweder bei einem Vertragsschluss im Fernabsatz oder wenn der Unternehmer ihn aufgesucht hatte. Die von der Regelung erfasste Situation ähnelte damit dem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag. Nun fällt auch der Reisende als aktiver Verbraucher in den Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregelungen für Verbraucherstreitigkeiten.170 Der Nachteil für die Prozesspartei bei einem Distanzgeschäft liegt darin, dass sie ihren Vertragspartner nach den allgemeinen Regelungen der Brüssel Ia-VO in dessen Wohnsitzstaat gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verklagen muss. Dieser Nachteil besteht für den Verbraucher beim Fernabsatzvertrag genauso wie beim Präsenzgeschäft. Reist der Verbraucher in Folge der Ausrichtung der Tätigkeit des Unternehmers zu ihm, ist auch dieser damit konfrontiert, den Verbraucher vor einem weit entfernten Gericht zu verklagen zu müssen. Die Nachteile des Verbrauchers im materiellen 166 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzrichtlinie), Abl. EG L 144 1997, 19 (Erwgr. 15); MüKo BGB/ Wendehorst, § 312c BGB, Rn. 3. 167 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzrichtlinie), Abl. EG L 144 1997, 19 (Erwgr. 11); MüKo BGB/Wendehorst, § 312c BGB, Rn. 3. 168 Köhler, NJW 1998, 185 (186); BGH, NJW‑RR 2004, 1058 (1059); MüKo BGB/ Wendehorst, § 312c BGB, Rn. 3. 169 Vergleiche nochmals zum schuldvertraglichen Verbraucherschutz oben § 8, S. 55 ff. 170 Rauscher/Staudinger, Art. 17 Brüssel Ia-VO, Rn. 11. Zu den Vorgängervorschriften vergleiche oben § 10A, S. 71 f.
§ 10 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO
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Recht – also beim Fernabsatz – setzen sich damit zwar im Prozess fort. Die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO knüpfen jedoch nicht an die schuldvertraglichen Kriterien des Fernabsatzvertrages oder des außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages an. Dem Unternehmer wird zugemutet, aufgrund seines zurechenbaren Verhaltens, des „Ausrichtens“, im Mitgliedsstaat des Verbrauchers gerichtspflichtig zu werden. Für die Vorteile eines größeren Absatzmarktes muss er den Nachteil der Gerichtspflicht in verschiedenen Mitgliedsstaaten in Kauf nehmen. Die Brüssel Ia-VO knüpft damit mit „Ausüben“ und „Ausrichten“ der Tätigkeit an Merkmale an, die im materiellen Recht unmittelbar keine Rolle spielen. Damit setzt Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO keine schuldvertragliche Wertung fort, sondern bestimmt eine eigene Schutzregelung aufgrund einer besonderen prozessualen Situation. Ob diese schon aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers gerechtfertigt ist, ist jedoch fraglich.171 II. Art. 17 Abs. 1 lit. a), b) Brüssel Ia-VO Anders als beim „Ausrichten“ der Tätigkeit des Vertragspartners auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers oder dem „Ausüben“ im Wohnsitzstaat des Verbrauchers fehlt es bei den finanzierten Verträgen der Art. 17 Abs. 1 lit. a), b) Brüssel Ia-VO an einem räumlichen Bezug zu dem Staat des Verbrauchers. Der Kern dieser Regelungen stammt noch aus dem EuGVÜ.172 Der Gerichtsstand wird hier auch eröffnet, wenn sich die Tätigkeit des Unternehmers in keiner Weise zum Mitgliedsstaat des Verbrauchers hin orientiert. Der Schutzzweck dieser Vorschrift orientiert sich ausschließlich an den Herausforderungen des Verbrauchers beim Vertragsschluss. Diese liegen jedoch ohne Ausnahme im materiellen Recht; es fehlt eine prozessuale Komponente. F. Ergebnis Während man in der Begründung des Klägergerichtsstands für den Verbraucher gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO eine prozessuale Wertung sehen kann, werden durch Art. 17 Abs. 1 lit. a), lit. b) Brüssel Ia-VO lediglich materiellrechtliche Wertungen fortgesetzt. In diesem Fall handelt es sich um eine Materialisierung des Zivilverfahrensrechts.
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Dies bezweifelt Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (291). Zuständigkeit bei Abzahlungsgeschäften im EuGVÜ von 1968 oben § 7,
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§ 11 Abweichung von Verfahrensmaximen zugunsten des Verbrauchers Die Abweichungen von prozessualen Grundsätzen zugunsten des Verbrauchers beschränken sich nicht auf spezielle Gerichtsstandsregelungen. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH vermehrt entschieden, dass schuldvertragliche Spezialregelungen zum Schutz des Verbrauchers im Prozess zulasten der Verfahrensgrundsätze fortwirken müssen. A. Missbräuchliche Klauseln zu Lasten von Verbrauchern Einen Anfang hierzu macht die Rechtsprechung des EuGH zu Regelungen der Klauselrichtlinie 93/13/EWG173. Inzwischen hat er eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, die sich unter anderem mit der Kontrolle von Schiedsklauseln befassen. Die folgende Darstellung soll sich auf die Klauseln beschränken, die unmittelbar Bezug zum Erkenntnisverfahren haben. I. Urteile des EuGH 1. EuGH, Urteil vom 27. Juni 2000, Rs. C-240–244/98 (Océano Grupo) Ausgangspunkt der Rechtsprechung war im Jahr 2000 die Entscheidung Océano Grupo zur Prüfung von Gerichtsstandklauseln. In der spanischen Vorlage hatten die Klägerinnen mit mehreren Käufern Ratenkaufverträge über Enzyklopädien für private Zwecke abgeschlossen. Diese enthielten jeweils eine Klausel, die den Gerichtsstand am Sitz der Verkäuferinnen bestimmte. Bei dem Ausbleiben der Zahlungen trotz Fälligkeit erhoben sie dort Anträge im summarischen Verfahren des juicio de cognición.174 Das angerufene Gericht hatte allerdings Zweifel an seiner Zuständigkeit, stellte die Anträge den Beklagten nicht zu und setzte das Verfahren aus.175 Im Rahmen einer Vorlage an den EuGH fragte es, ob der durch die Richtlinie 93/13/ EWG gewährleistete Verbraucherschutz es dem nationalen Gericht erlaube, „von Amts wegen zu prüfen, ob eine Klausel des ihm zur Prüfung vorgelegten Vertrages mißbräuchlich[sic!] ist, wenn es über die Zulässigkeit einer Klage vor den ordentlichen Gerichten zu entscheiden hat“176 . 173 Richtlinie 93/13/EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG), Abl. EU L 95 1993, 29 ff. 174 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 15 ff.). 175 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 18). 176 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 19).
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Nach dem EuGH ist Prämisse der Richtlinie 93/13/EWG, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungssituation befindet und zusätzlich insgesamt über weniger Informationen verfügt. Daher stimmt er den vorformulierten Bedingungen des Gewerbetreibenden zu, ohne auf sie Einfluss zu nehmen.177 Zum Schutz des Verbrauchers erklärt Art. 6 Abs. 1 RL 93/13/EWG missbräuchliche Vertragsklauseln ihm gegenüber für unverbindlich; Art. 7 Abs. 1 RL 93/13/ EWG zwingt die Mitgliedsstaaten zur Schaffung angemessener und wirksamer Mittel zur Abschreckung von der Verwendung missbräuchlicher Klauseln. Die Höhe von Anwaltsgebühren bei geringen Streitwerten könne allerdings verhindern, dass sich der Verbraucher gegen die missbräuchlichen Klauseln im Prozess verteidigt. Vertritt sich der Verbraucher selbst, könne es passieren, dass er die Missbräuchlichkeit aus Unkenntnis nicht geltend macht. Der Verbraucher werde – so der Gerichtshof – daher nur dann wirksam vor derartigen Vertragsklauseln geschützt, wenn das Gericht die Klausel von Amts wegen prüfen könne.178 Das Schutzsystem der Richtlinie basiere darauf, dass die Ungleichheit zwischen Verbraucher und Unternehmer nur durch positives Eingreifen von dritter, unabhängiger Seite ausgeglichen werden könne.179 Dem widerspreche es, wenn das Gericht nur mangels der Geltendmachung durch den Verbraucher nicht prüfen könne, ob die Klausel missbräuchlich sei; die Ziele der Art. 6 f. der RL 93/13/EWG könnten so nicht erreicht werden.180 „Nach alledem erfordert der Schutz, den die Richtlinie den Verbrauchern gewährt, daß[sic!] das nationale Gericht von Amts wegen prüfen kann, ob eine Klausel des ihm vorgelegten Vertrages mißbräuchlich[sic!] ist, wenn es die Zulässigkeit einer bei den nationalen Gerichten eingereichten Klage prüft.“181 Die nationalen Gerichte müssten dies bei der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung berücksichtigen, insbesondere, wenn sie bei der Zuständigkeit aufgrund einer missbräuchlichen Klausel dem Gericht die Möglichkeit nehme, sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären.182 177 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 25). 178 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 26). 179 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 27). 180 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 28). 181 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 29). 182 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 32).
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2. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Rs. C-243/08 (Pannon) Fortgesetzt wurde die Rechtsprechung des EuGH zur Kontrolle missbräuchlicher Gerichtsstandklauseln in der ungarischen Vorlage Pannon im Jahr 2009. Der Mobilfunkanbieter Pannon und Frau Győrfi hatten unter Verwendung der AGB der Pannon einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen. Die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus dem Vertrag befand sich nach einer Klausel ausschließlich an dem Gericht des Bezirkes des Sitzes der Pannon. Dort stellte Pannon erfolgreich Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides, nach Widerspruch der Beklagten begann das streitige Verfahren.183 Das Instanzgericht prüft nach ungarischem Recht seine Zuständigkeit grundsätzlich von Amts wegen; außerhalb ausschließlicher Zuständigkeitsregelungen gilt sie jedoch bei Einlassung des Beklagten als gegeben. Der Sachvortrag wird auf seine inhaltliche Richtigkeit nur überprüft, wenn er gerichtsbekannten Tatsachen widerspricht, unwahrscheinlich ist oder von der Gegenseite bestritten wird.184 Das ungarische Gericht setzte das Verfahren aus und wollte im Rahmen eines Vorabentscheides vom EuGH wissen, ob die missbräuchlichen Klauseln nur nach Anfechtung durch den Verbraucher für diesen unverbindlich seien und ob die missbräuchliche Klausel im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen zu prüfen sei.185 Der EuGH bestätigte seine Rechtsprechung aus der Entscheidung Océano Grupo, nach der die Richtlinie 93/13/EWG von einer unterlegenen Situation des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer ausgehe, weswegen der Verbraucher den Vertragsbedingungen mangels Verhandlungsmöglichkeiten zustimme. Die Ziele der Richtlinie könnten nach dem EuGH nur erreicht werden, wenn die Gerichte die Klauseln von Amts wegen prüfen würden.186 Art. 6 Abs. 1 RL 93/13/EWG müsse so ausgelegt werden, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher auch ohne Stellen eines entsprechenden Antrags unverbindlich seien.187 Diese zwingende Vorschrift habe das Ziel, „die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.“188 183 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 12 ff.). 184 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 18). 185 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 19). 186 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 22 f.). 187 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 24). 188 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – Slg. I 2009, 4713 (Rn. 25).
C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350, C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350, C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350, C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350, C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350, C-243/08 (Pannon) ECLI:EU:C:2009:350,
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Eine missbräuchliche Vertragsklausel sei somit auch ohne Anfechtung durch den Verbraucher für ihn unverbindlich.189 Der Verbraucherschutz als Grundlage der Richtlinie stelle ein besonderes öffentliches Interesse dar; er rechtfertige die Prüfung der Klausel von Amts wegen durch nationale Gerichte, um dem Ungleichgewicht zwischen den Parteien abzuhelfen.190 „Die spezifischen Merkmale des (…) gerichtlichen Verfahrens [seien] daher kein Faktor, der den dem Verbraucher nach der Richtlinie zu gewährenden Rechtsschutz beeinträchtigen könnte.“191 Das Gericht müsse nicht nur grundsätzlich über die Missbräuchlichkeit der Klausel entscheiden, sondern sei hierzu von Amts wegen verpflichtet, wenn es über die notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen verfüge, auch im Rahmen seiner Zuständigkeitsprüfung.192 3. EuGH, Urteil vom 9. November 2010, Rs. C-137/08 (Pénzügyi) Die nächste Vorlage an den EuGH – wiederum von einem ungarischen Gericht – befasste sich erneut mit Gerichtsstandklauseln. Die Volksbank Pénzügyi Lízing hatte mit Herrn Schneider einen Darlehnsvertrag zur Finanzierung eines KFZ abgeschlossen. Bei Ausbleiben seiner Zahlungen beantragte sie den Erlass eines Mahnbescheides. Dies tat sie auf Grundlage einer Klausel des Darlehensvertrags in Budapest. Das Mahngericht hatte keine Zweifel an seiner Zuständigkeit. Herr Schneider erhob Einspruch, und das Mahnverfahren wurde in ein streitiges Verfahren übergeleitet.193 Das Instanzgericht setzte daraufhin das Verfahren aus und legte dem EuGH unter anderem die Frage zur Entscheidung vor, ob die Missbräuchlichkeit der Klauseln von Amts wegen beurteilt werden müsse.194 Diese Vorlagefrage erübrigte sich jedoch nach der Entscheidung des EuGH in der zeitgleich anhängigen Rechtsache Pannon.195 Das vorlegende Gericht ergänzte seinen Antrag daraufhin unter anderem um die Frage, welche Pflichten das Gericht bei möglicherweise missbräuchlichen Vertragsklauseln, die die 189
EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – C-243/08 (Pannon) Slg. I 2009, 4713 (Rn. 28). 190 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – C-243/08 (Pannon) Slg. I 2009, 4713 (Rn. 31). 191 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – C-243/08 (Pannon) Slg. I 2009, 4713 (Rn. 34). 192 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2009 – C-243/08 (Pannon) Slg. I 2009, 4713 (Rn. 32). 193 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) Slg. I 2010, 10888 (Rn. 14 ff.). 194 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) Slg. I 2010, 10888 (Rn. 20). 195 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) Slg. I 2010, 10888 (Rn. 21 f.).
ECLI:EU:C:2009:350, ECLI:EU:C:2009:350, ECLI:EU:C:2009:350, ECLI:EU:C:2009:350, ECLI:EU:C:2010:659, ECLI:EU:C:2010:659, ECLI:EU:C:2010:659,
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ausschließliche Zuständigkeit bestimmen würden, zu befolgen habe. Insbesondere war fraglich, ob es die rechtliche und tatsächliche Entscheidungsgrundlage von Amts wegen ermitteln müsse, auch wenn das nationale Recht dies nur auf Antrag erlaube.196 Der EuGH ging bei dieser Entscheidung, wie auch bei den vorherigen Entscheidungen zur Klauselrichtlinie, davon aus, dass die Unterlegenheit des Verbrauchers ihn dazu veranlasse, den Klauseln zuzustimmen und diese Unterlegenheit nur durch externe Eingriffe behoben werden könne.197 Das nationale Gericht sei grundsätzlich verpflichtet, von Amts wegen zu untersuchen, ob die ausschließliche Gerichtsstandklausel aus einem Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, und müsse gegebenenfalls von Amts wegen ihre mögliche Missbräuchlichkeit beurteilen.198 Die Untersuchung umfasse dabei auch die Ermittlung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage.199 4. EuGH, Urteil vom 21. März 2013, Rs. C-472/11 (Banif Plus Bank) Die jüngste Entscheidung des EuGH zur Prüfung missbräuchlicher Klauseln betraf eine schuldvertragliche Klausel in einer ebenfalls ungarischen Vorlage. Herr Csipai hatte bei der Banif Plus Bank ein Darlehen aufgenommen. Der Darlehensvertrag enthielt eine Klausel, nach der bei vorzeitiger Kündigung wegen des Verhaltens des Darlehensnehmers dieser Verzugszinsen, Kosten und den ausstehenden Restbetrag zu zahlen habe. Aufgrund eines Zahlungsrückstandes von Herrn Csipai kündigte die Banif Plus Bank den Darlehensvertrag und erhob Klage gegen ihn.200 Das erstinstanzliche Gericht teilte während des Verfahrens den Parteien mit, dass die Klausel seiner Auffassung nach missbräuchlich sei und forderte sie zu einer Stellungnahme auf. Während Herr Csipai sich nur dazu einließ, dass er die Forderungen grundsätzlich für überhöht halte, bestritt die Bank die Missbräuchlichkeit der Klausel. Herrn Csipai wurde zur Zahlung eines Betrages ohne Berücksichtigung der Klausel verurteilt.201 Das Berufungsgericht be196 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:659, Slg. I 2010, 10888 (Rn. 25). 197 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:659, Slg. I 2010, 10888 (Rn. 46 ff.). 198 EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:659, Slg. I 2010, 10888 (Rn. 56). 199 Vgl. die Formulierung der Vorlagefrage, EuGH, Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:659, Slg. I 2010, 10888 (Rn. 45). 200 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 11 ff.). 201 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 14 f.).
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schloss, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Fragen vorzulegen, ob die Feststellung der Nichtigkeit und der unaufgeforderte Hinweis an die Parteien mit Art. 7 Abs. 1 RL 93/13/EWG vereinbar seien, ob das Gericht befugt sei, die Parteien zu Erklärungen zur Missbräuchlichkeit aufzufordern und ob das Gericht alle Klauseln prüfen könne, oder nur die, auf die der Vertragspartner des Verbrauchers seinen Anspruch stütze.202 Nach der Auffassung des EuGH beschränkt sich die Befugnis des nationalen Gerichts nicht darauf, über die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu entscheiden, sondern verpflichtet es, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Missbräuchlichkeit zu prüfen.203 Das Gericht sei von Amts wegen in der Lage, alle notwendigen Konsequenzen aus dieser Feststellung zu ziehen. Der Verbraucher müsse nicht ausdrücklich geltend machen, dass die Klausel unwirksam sei, auch wenn er darüber informiert werde. Im Rahmen des kontradiktorischen Verfahrens müsse das Gericht aber den Parteien seine Schlussfolgerungen mitteilen und ihnen so die Möglichkeit zur Äußerung geben.204 Das Gericht müsse, um die Missbräuchlichkeit der Klausel bewerten zu können, auch alle anderen Klauseln im Vertrag berücksichtigen. So könne es etwa feststellen, ob zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten der Vertragspartner ein grobes Missverhältnis bestehe.205 II. Bedeutung der Entscheidungen für das deutsche Recht Der EuGH verpflichtet in den dargestellten Entscheidungen die nationalen Gerichte zur Überprüfung missbräuchlicher Vertragsklauseln. Dabei beziehen sich die vier Entscheidungen teilweise auf unterschiedliche Verfahrenssituationen und Arten von Klauseln – jeweils zu prüfen in der Zulässigkeit oder der Begründetheit der Klage – und auf die rechtlichen sowie tatsächlichen Grundlagen der gerichtlichen Entscheidung. 1. Océano Grupo Ergebnis der Entscheidung Océano Grupo war, dass die nationalen Gerichte nach Ansicht des EuGH verpflichtet sind, in allgemeinen Geschäfts202 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 16). 203 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 23 f.). 204 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 36). 205 EuGH, Urteil v. 21. 02. 2013 – C-472/11 (Banif Plus) ECLI:EU:C:2013:88, elektr. Slg. 2013 (Rn. 40 f.).
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bedingungen getroffene Gerichtsstandsvereinbarungen auf ihre Wirksamkeit von Amts wegen – also ohne Antrag des Verbrauchers – zu prüfen.206 Im deutschen Zivilprozess prüft das Gericht alle Sachurteilsvoraussetzungen von Amts wegen und damit auch seine örtliche Zuständigkeit.207 Dabei sind die Grundlage der Zuständigkeitsbestimmung die von den Parteien vorgebrachten Tatsachen; das Gericht ist jedoch nicht an deren Rechtsauffassung gebunden.208 Bleiben Punkte offen, muss das Gericht die Parteien auf diese gemäß § 139 Abs. 3 ZPO hinweisen, gegebenenfalls ergeht eine Beweislastentscheidung.209 Die Wirksamkeit einer Gerichtsstandklausel müssen die deutschen Gerichte ohne entsprechenden Parteiantrag überprüfen.210 Kann die Zuständigkeit gemäß § 39 ZPO durch rügeloses Verhandeln vereinbart werden, prüft das Gericht seine Zuständigkeit nur bei rechtzeitiger Rüge des Beklagten.211 Von Amts wegen wird geprüft, ob ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht; im Verfahren vor dem Amtsgericht muss das Gericht auf seine fehlende örtliche Zuständigkeit gemäß §§ 504, 39 S. 2 ZPO hinweisen.212 Jenseits ausschließlicher Zuständigkeitsregelungen ergäbe sich daher Folgendes: Der Verbraucher, der von der Wirksamkeit der Gerichtsstandsregelung ausgeht, kann durch seine Einlassung zur Hauptsache die Zuständigkeit des durch die Klausel vereinbarten Gerichtes begründen. In seiner Entscheidung stellt der EuGH klar, dass die Ziele der Richtlinie bei Geltendmachung der Unwirksamkeit durch den Verbraucher nicht erreicht werden könnten, da entweder die Höhe der Anwaltsgebühren ihn davon abhalte, einen Anwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, oder seine eigene Unkenntnis die Geltendmachung der Unwirksamkeit bei fehlender anwaltlicher Vertretung verhindere.213 Dies impliziert jedoch, dass der anwaltlich vertretene Verbraucher nicht schutzwürdig ist, da der Anwalt die Rechte seiner Partei kennen und geltend machen muss.214 Im Verfahren vor den Landgerichten ist der Verbraucher gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO zwangsläufig anwaltlich vertreten. In diesem Fall ist er nicht der Gefahr ausgesetzt, dass eine Rüge der Unwirksamkeit der Klausel unterbleibt. Bei Verfahren vor dem Amtsgericht muss das Ge206
Vergleiche oben § 11A. I. 1, S. 84 f. § 12 ZPO, Rn. 14. 208 BGHZ 16, 275 (280 f.); Schreiber, Jura 1989, 86 (88); Musielak/Voit/Musielak, Einleitung, Rn. 44; Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 12. 209 Schreiber, Jura 1989, 86 (88); Musielak/Voit/Musielak, Einleitung, Rn. 44. 210 Borges, NJW 2001, 2061 (2061). 211 Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 10. 212 Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 10. 213 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C: 2000:346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 26). 214 Schwartze, JZ 2001, 246 (247). 207 Musielak/Voit/Heinrich,
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richt den Verbraucher auf seine Unzuständigkeit gemäß §§ 504, 39 S. 2 ZPO hinweisen; hier kann die Rüge der Unwirksamkeit der Klausel durch den Verbraucher nicht wegen Unkenntnis ausbleiben. Unabhängig von einer möglichen Missbräuchlichkeit der Gerichtsstandsklausel sind Gerichtsstandsvereinbarungen nach deutschem Recht vor Entstehung der Streitigkeit nur zwischen Kaufleuten, juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Sondervermögen zulässig, § 38 Abs. 1 ZPO, außerdem bei Fehlen eines allgemeinen Gerichtsstands einer der Parteien im Inland, § 38 Abs. 2 ZPO. Wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen mit einem Verbraucher sind daher nur in wenigen Fällen möglich, etwa wenn ein eingetragener Kaufmann zu privaten Zwecken handelt und damit Verbraucher gemäß § 13 BGB sowie Art. 2 lit. b) RL 93/13/EWG ist.215 Nicht von Amts wegen prüft das Gericht die Zuständigkeit nach einem Verweisungsbeschluss, der gemäß § 281 Abs. 2 S. 1 ZPO bindend ist. 216 Hat der verweisende Richter jedoch die Anwendbarkeit des Art. 6 der RL 93/13/ EWG übersehen, so dürfte der erkennende Richter der Verweisung nicht entsprechen, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist; in diesem Fall müsste eine Ausnahme von der Bindungswirkung gemacht werden.217 Die Entscheidung Océano Grupo entfaltet daher für das deutsche Recht in diesem besonderen Fall unmittelbare Wirkung zulasten der Parteiherrschaft.218 Sie hat daneben insgesamt neue Leitlinien für das Verbraucherprozessrecht gesetzt.219 2. Pannon Nach der Rechtssache Pannon sind missbräuchliche Vertragsklauseln – hier eine Gerichtsstandsklausel – für den Verbraucher nicht verbindlich, unabhängig davon, ob der Verbraucher die Unwirksamkeit geltend macht oder nicht.220 Bei einem Vertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher überlagert Art. 6 Abs. 1 RL 93/13/EWG die Regelung des § 306 BGB.221 Die Mitgliedsstaaten müssen demnach Regelungen treffen, die missbräuchliche Klauseln keine Wirkungen gegenüber dem Verbraucher entfalten lässt. 222 215 Zu
diesem Schluss kommt auch Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 245. 216 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 244. 217 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 244 f. 218 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 245. 219 Schwartze, JZ 2001, 246 (249). 220 Vergleiche oben § 11A. I. 2, S. 86 f. 221 Bamberger/Roth/Schmidt, H., § 306 BGB, Rn. 2. 222 Bamberger/Roth/Schmidt, H., § 306 BGB, Rn. 2.
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Missbräuchliche Vertragsklauseln sind gemäß §§ 307 Abs. 1, 308 f. BGB unwirksam. Die Regelungen zu allgemeinen Geschäftsbedingungen im BGB setzen nicht voraus, dass der Verbraucher eine etwa mit der Anfechtung gemäß § 142 BGB vergleichbare Willensäußerung von sich gibt, um die Geltung einer missbräuchlichen Klausel aufzuheben. Bei der Bewertung des Vorliegens der wirksamen Einbeziehung und der sonstigen Wirksamkeit einer allgemeinen Geschäftsbedingung handelt es sich um eine rechtliche Bewertung; diese muss das Gericht nach dem Grundsatz iura novit curia von Amts wegen behandeln und entscheiden. 223 Den Parteien obliegt es, die Umstände des Vertragsschlusses und der Einigung über die jeweiligen Vertragsbedingungen darzustellen und ihren Inhalt verfügbar zu machen; diese Tatsachen muss das Gericht seiner Beurteilung zugrunde legen. Der Verbraucher muss daher nicht im Einzelnen beantragen, dass das Gericht die Klausel für unwirksam erklärt. Das Gericht muss keine Ermittlungen über die Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandklausel anstellen, sondern die Missbräuchlichkeit erst überprüfen, wenn es über die notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.224 Die tatsächliche Entscheidungsgrundlage beschaffen die Parteien – die rechtliche Bewertung ist immer Aufgabe des Gerichts. Für die deutschen Gerichte ergeben sich damit keine Änderungen.225 3. Pénzügyi Lizing In der Entscheidung Pénzügyi kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Gerichte nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandklausel ermitteln müssten.226 Nach Auffassung der Generalanwältin Trstenjak bestand solange keine Ermittlungspflicht der Gerichte, wie sie nicht über Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Klausel verfügten.227 Im Gemeinschaftsrecht fänden sich keine rechtlichen Grundlagen für die Amtsermittlung; das Verfahren vor den Zivilgerichten richte sich daher nach den nationalen Prozessrechten, die 223
BGH, NJW 1998, 592 (593); Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess, 2007, S. 71; Saare/Sein, euvr 2013, 15 (19 f.); Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 471 f. 224 Mayer, GPR 2009, 220 (221). 225 Saare/Sein, euvr 2013, 15 (19 f.). 226 Vergleiche oben § 11A. I. 3, S. 87 f. So versteht dies auch Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 480. 227 Trstenjak, Schlussanträge der Generalanwältin v. 06. 07. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:401, Slg. I 2010, 10850 (Rn. 109).
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vom Verhandlungsgrundsatz geprägt seien.228 Für eine wirksame Prüfung der Klauseln auf ihre Missbräuchlichkeit würden materielle Prozessleitung und Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen genügen.229 In seiner Urteilsbegründung geht der EuGH auf die Auffassung der Generalanwältin nicht ein. Die Ermittlung der rechtlichen Entscheidungsgrundlage deckt sich mit dem Grundsatz iura novit curia; nach der Entscheidung Pénzügyi soll das Gericht zusätzlich eigene Sachverhaltsermittlungen anstellen. Fraglich ist, inwiefern dies noch vom Beibringungsgrundsatz gedeckt ist. Anders als bei materiellrechtlichen Vertragsklauseln, die sich auf Inhalt und Durchführung des Vertrages beziehen, stellt sich bei Gerichtsstands- und Schiedsklauseln die Frage eines wirksamen Verbraucherschutzes erst und besonders im Prozess.230 Die Prüfung von Amts wegen geht nicht so weit wie die Untersuchungsmaxime, das Gericht kann aber den Parteien Hinweise nach § 139 ZPO erteilen.231 Zusätzlich kann das Gericht nach dem BGH die Prozessvoraussetzungen mit Hilfe des sogenannten Freibeweises ermitteln: Es kann so Beweise von Amts wegen erheben und ist dabei nicht an die förmlichen Beweismittel der ZPO gebunden; die Partei muss den Beweis nicht förmlich antreten. 232 Das Beweismaß ändert sich nicht, die betroffene Partei muss die Beweismittel zwar nicht beibringen, trägt aber das Risiko der Beweisbarkeit ihrer Behauptungen zur Überzeugung des Gerichts.233 Folgt man dem BGH, so würden die im deutschen Zivilverfahrensrecht gegebenen Instrumente der materiellen Prozessleitung und der Prüfung von Amts wegen genügen, um das europarechtliche Effektivitätsprinzip zu wahren.234 Die Ermittlung der Tatsachengrundlage zur Entscheidung über die Missbräuchlichkeit von Gerichtsstandsklauseln wäre daher mithilfe des Instrumentariums der ZPO möglich. Lehnt man die Auffassung des BGH ab, führt die Entscheidung Pénzügyi zu einem starken Eingriff in die deutsche Verfahrensautonomie, indem der Verhandlungsgrundsatz 228 Trstenjak, Schlussanträge der Generalanwältin v. 06. 07. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:401, Slg. I 2010, 10850 (Rn. 110). 229 Trstenjak, Schlussanträge der Generalanwältin v. 06. 07. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:401, Slg. I 2010, 10850 (Rn. 114). 230 Pfeiffer, LMK 2010, 311868. 231 Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (293). 232 BGH, NJW 1951, 441 (442); ders., NJW 1987, 2875 (2876); ders., NJW‑RR 1992, 1338 (1339); BGHZ 143, 122 (124); Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (293); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 49; Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 15. 233 BGH, NJW 1996, 1059 (1060); BGHZ 143, 122 (124); Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 15. 234 Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (293 f.).
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in der Zulässigkeitsprüfung partiell durch den Untersuchungsgrundsatz ersetzt wird.235 4. Banif Plus Bank Allerdings differenziert der EuGH im Wortlaut der Entscheidung Pénzügyi nicht ausdrücklich zwischen materiellrechtlichen und prozessbezogenen Vertragsklauseln.236 In der Rechtssache Banif Plus Bank stellte der EuGH mit Bezug auf eine materielle Vertragsklausel fest, dass die nationalen Gerichte die notwendige Rechts- und Tatsachengrundlage für ihre Entscheidungen über die Missbräuchlichkeit ermitteln müssten. Die Entscheidung über die Nichtigkeit könnte es ohne Antrag des Verbrauchers treffen und dabei alle anderen Vertragsklauseln in die Bewertung miteinbeziehen.237 Nach dem Grundsatz iura novit curia, gesetzlich verankert in § 293 ZPO, muss das Gericht die Unwirksamkeit der missbräuchlichen Klauseln auch ohne gesonderten Antrag berücksichtigen, die Rechtsfolge der Unwirksamkeit tritt ipso iure ein.238 Auch ist das Gericht bei materiellrechtlichen AGB‑Klauseln dazu verpflichtet, nach § 139 ZPO Hinweise zu erteilen, damit keine überraschende Entscheidung ergeht – insofern deckt sich die Rechtsprechung des EuGH mit der deutschen Rechtslage. 239 Daneben ist aber laut EuGH auch die Tatsachengrundlage der Entscheidung über die Missbräuchlichkeit von Amts wegen zu ermitteln. Hierzu wird vereinzelt angeführt, dies bedeute nicht, dass der EuGH die Auffassung vertrete, der Tatsachenvortrag sei nicht mehr Sache der Parteien und nun das Gericht ermitteln müsse, ob eine missbräuchliche Klausel vorliege.240 Dies lässt sich mit dem Wortlaut des Urteils allerdings nicht mehr vereinbaren. Die Entscheidung Banif Plus Bank stellt klar, dass sie die Rechtsprechung, die der EuGH in der Rechtssache Pénzügyi begonnen hat, nicht nur auf Gerichtsstandklauseln, sondern auch auf materielle Vertragsklauseln bezieht. Der EuGH differenziert nicht zwischen materiellrechtlichen und prozessualen Klauseln, sondern bezieht sich auf den gesamten Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie. Der Grundsatz der Prüfung von Amts wegen 235 Zu
diesem Ergebnis kommt Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 246 f. 236 Pfeiffer, LMK 2010, 311868. 237 Vergleiche oben § 11A. I. 4, S. 88 f. 238 BGH, NJW 1998, 592 (593); Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess, 2007, S. 71; Saare/Sein, euvr 2013, 15 (19 f.); Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 471 f. 239 Rodemann, IBR 2013, 378 (378). 240 Rodemann, IBR 2013, 378 (378).
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deckt dies nicht mehr ab.241 Vielmehr wendet sich das deutsche Zivilprozessrecht so vom Verhandlungsgrundsatz ab.242 III. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen In den dargestellten vier Entscheidungen des EuGH setzen sich Wertungen aus dem Schuldvertragsrecht auf verschiedene Weise im Prozess fort. Der EuGH geht dabei davon aus, dass sich die bei Vertragsschluss bestehende Unterlegenheit des Verbrauchers fortsetzt, wenn der Gewerbetreibende seine Rechte im Prozess geltend macht.243 1. Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG auf prozessuale Klauseln Zunächst wird die Klauselrichtlinie auf Gerichtsstandklauseln als Klauseln mit prozessualer Wirkung angewendet. Vor den Entscheidungen des EuGH wurde davon ausgegangen, dass sich Art. 6 Abs. 1 RL 93/13/EWG nur auf die materiellrechtlichen Wirkungen einer missbräuchlichen Klausel bezieht; sie sollten – nach angeblicher Absicht des Rates – wohl nicht auf das Verfahrensrecht ausgedehnt werden.244 Hierfür spricht auch der Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 RL 93/13/EWG, der von einem erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnis der vertraglichen Pflichten spricht. Mangels europäischer Kompetenz zur Regelung des nationalen Verfahrens könnte eine Gerichtsstandsvereinbarung nur nach nationalem Prozessrecht beurteilt werden.245 Das Schutzsystem hinter der Richtlinie 93/13/EWG geht davon aus, dass die Verhandlungssituation des Verbrauchers bei Vertragsschluss der des Unternehmers unterlegen ist; zusätzlich verfügt er über weniger Information. Dies hat zur Folge, dass er den vorformulierten Vertragsklauseln zustimmt, ohne auf sie Einfluss zu nehmen oder hierzu überhaupt in der Lage zu sein.246 Die Vereinbarung von Gerichtsständen durch die Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen war bis zur Überarbeitung der §§ 38 f. ZPO im Jahre 1974247 auch in Deutschland üblich. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann so getroffen werden, ohne dass der Vertragspart241
Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (294). Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 248. Dutta, ZZP 126 (2013), 153 (157). 244 Borges, NJW 2001, 2061 (2062). 245 Borges, NJW 2001, 2061 (2062). 246 EuGH, Urteil v. 27. 06. 2000 – C-240–244/98 (Océano Grupo) ECLI:EU:C:2000: 346, Slg. I 2000, 4963 (Rn. 25); ders., Urteil v. 04. 06. 2009 – C-243/08 (Pannon) ECLI:EU: C:2009:350, Slg. I 2009, 4713 (Rn. 22); ders., Urteil v. 09. 11. 2010 – C-137/08 (Pénzügyi) ECLI:EU:C:2010:659, Slg. I 2010, 10888 (Rn. 46). 247 Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung, BGBl. Teil I 1974, 753 ff. 242 243
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ner es merkt. Die unterlegene Situation des Verbrauchers kann sich in diesen Fällen mittelbar im Prozess fortsetzen, vor allem wenn der Sitz des Gewerbetreibenden als Gerichtsstand vereinbart wird. Hierbei geht es allerdings nicht mehr um vertragliche Rechte und Pflichten, sondern um mögliche Nachteile bei der prozessualen Durchsetzung der materiellrechtlichen Pflichten. Die privatrechtlichen europäischen Richtlinien erfassen fast ausschließlich materielles Recht; aufgrund der Durchsetzungspflichten der Mitgliedsstaaten wirken sie aber auch auf nationales Verfahrensrecht.248 Der EuGH vertritt die Auffassung, dass der Verbraucher im Rahmen der Kontrolle missbräuchlicher Vertragsklauseln insbesondere durch das gerichtliche Verfahren geschützt wird. 249 Statt einheitlicher materiellrechtlicher Prüfungsmaßstäbe stellt er die Kontrolle durch eine unabhängige Institution in den Vordergrund.250 Die Rechtsprechung des EuGH wendet ein eigentlich für materiellrechtliche Vertragsbedingungen gedachtes Regelungskonzept an, um unerwünschte prozessuale Folgen zu verhindern. 2. Ermittlung der Tatsachengrundlagen Daneben verlangt der EuGH in seiner Rechtsprechung, dass das nationale Gericht bei der Ermittlung der Missbräuchlichkeit der Klauseln die Tatsachengrundlage für seine Entscheidung selbst ermittelt, unabhängig davon, ob es sich um materielle oder prozessuale Klauseln handelt.251 Deutsche Gerichte verfügen bei der Ermittlung der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen über einen relativ großen Spielraum, etwa durch die Beweiserhebung mithilfe des Freibeweises.252 Dies ist bei der Entscheidung zur Sache nicht der Fall.253 Die Pflicht des nationalen Gerichts, die Tatsachengrundlage für seine Entscheidung zu ermitteln, liegt schon bei der Zuständigkeitsbestimmung am Rande des bei der Prüfung von Amts wegen Zulässigen, kann aber möglicherweise noch als gerechtfertigte Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz gesehen werden. Die Ermittlung von Amts wegen bei schuldvertraglichen Klauseln ist auf jeden Fall eine Beeinträchtigung des Beibringungsgrundsatzes.
248
Schwartze, JZ 2001, 246 (247).
251
Vergleiche oben § 11A. I, S. 84 ff. Vergleiche oben § 11A. II.3, S. 92 ff. Vergleiche oben § 11A. II.4, S. 94 f.
249 Dutta, ZZP 126 (2013), 153 (159). 250 Dutta, ZZP 126 (2013), 153 (159). 252 253
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IV. Zusammenfassung Sowohl die Anwendung der Klauselrichtlinie auf prozessuale Gerichtsstandsklauseln als auch die Verpflichtung nationaler Gerichte zur Tatsachenermittlung setzen materiellrechtliche Wertungen im Prozess fort. Es handelt sich damit um Fälle einer Materialisierung des Zivilprozessrechtes durch die Rechtsprechung des EuGH. B. Verbraucherkreditrichtlinie Mit ähnlichen Fragen wie in der ersten Entscheidung zur Klauselrichtlinie musste sich der EuGH in den folgenden Jahren mit Bezug auf die Verbraucherkreditrichtlinie beschäftigen. I. EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 – Rs. C-429/05 (Rampion) Noch vor der Entscheidung in der Rechtssache Pannon befasste sich der EuGH nach Vorlage eines französischen Gerichts mit der Auslegung der Verbraucherkreditrichtlinie im Zusammenhang mit verbundenen Verträgen. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatten die Eheleute Rampion im Rahmen eines Haustürgeschäftes Fenster bestellt, die mithilfe des Kredites eines Dritten finanziert werden sollten. In dem am gleichen Tag abgeschlossenen Darlehensvertrag wurde der Verkäufer der Fenster genannt, nicht aber die Kaufsache. Die Fenster waren von Parasiten befallen, weswegen die Eheleute den Kaufvertrag kündigten. Als das Verlangen nach Rückabwicklung des Vertrages nicht erfüllt wurde, erhoben die Eheleute Klage; die Beklagten – Verkäufer und Kreditgeber – trugen jedoch vor, dass der Kreditvertrag mangels Erwähnung der Kaufsache nicht aufgelöst werden könne. Das Gericht setzte daraufhin das Verfahren aus und fragte den EuGH unter anderem, ob die Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EG254 eine Zielsetzung habe, die sich auf die Organisation des Binnenmarktes erstrecke und daher dem Gericht erlaube, ihre nationalen Umsetzungsvorschriften von Amts wegen anzuwenden.255 Der EuGH verwies in seiner Entscheidung zunächst auf seine ältere Rechtsprechung zur Prüfung missbräuchlicher Klauseln von Amts wegen. Die gleichen Erwägungen, so der Gerichtshof, würden für den Verbraucherschutz gelten, der nach Art. 11 Abs. 2 RL 87/102/EG gewährleistet wer254 Richtlinie
87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Verbraucherkredit, Abl. EU L 42 1987, 48 ff. 255 EuGH, Urteil v. 04. 10. 2007 – C-429/05 (Rampion) ECLI:EU:C:2007:575, Slg. I 2007, 8050 (Rn. 8 ff.).
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den solle. Dabei besteht nach dem EuGH auch hier eine nicht zu vernachlässigende Gefahr, dass der Verbraucher seine Rechte nicht kenne und sie daher nicht geltend mache.256 Bei anwaltlicher Vertretung könne dies nicht anders bewertet werden, da dieses Problem allgemein und unabhängig von der konkreten Verfahrenssituation zu lösen sei.257 Die Richtlinie erlaube es daher dem nationalen Gericht, die Vorschriften, mit denen Art. 11 Abs. 2 RL 87/102/EG umgesetzt werde, von Amts wegen anzuwenden.258 II. Bedeutung für das deutsche Recht In diesem Kontext wird nicht deutlich, ob der EuGH verlangt, dass die Gerichte der Mitgliedsstaaten die tatsächliche oder die rechtliche Entscheidungsgrundlage von Amts wegen ermitteln sollen. Während die rechtliche Bewertung durch den Grundsatz iura novit curia gedeckt wäre, ist dies bei der Ermittlung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage nicht der Fall. Auffällig ist jedoch, dass die Argumentation des EuGH der seiner Rechtsprechung zur Klauselrichtlinie entspricht.259 III. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen In diesem Urteil zur Verbraucherkreditrichtlinie wendet der EuGH die Schlussfolgerungen seiner frühen Rechtsprechung zur Klauselrichtlinie auf die Verbraucherkreditrichtlinie an. Er bestärkt damit seine Auffassung, dass die Richtlinien ihre Schutzwirkungen nur entfalten könnten, wenn die auf ihnen beruhenden Vorschriften von Amts wegen angewendet würden – unabhängig von einer anwaltlichen Vertretung des Verbrauchers.260 Er dehnt damit die zwingenden Schutzvorschriften aus dem Schuldvertragsrecht zugunsten des Verbrauchers im Verbraucherkreditrecht auf den Prozess aus. C. Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Die jüngsten Entscheidungen zum Umfang der Prüfung von Amts wegen ergingen zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
256 EuGH, Urteil v. 04. 10. 2007 – C-429/05 (Rampion) ECLI:EU:C:2007:575, Slg. I 2007, 8050 (Rn. 62 f.). 257 EuGH, Urteil v. 04. 10. 2007 – C-429/05 (Rampion) ECLI:EU:C:2007:575, Slg. I 2007, 8050 (Rn. 65). 258 EuGH, Urteil v. 04. 10. 2007 – C-429/05 (Rampion) ECLI:EU:C:2007:575, Slg. I 2007, 8050 (Rn. 69). 259 Hierzu soeben § 11A, S. 84 ff. 260 Heinemeyer, GPR 2015, 179 (180).
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I. Minderung von Amts wegen Zunächst stand infrage, ob das nationale Gericht in bestimmten Fällen bei mangelhafter Leistung den Kaufpreis von Amts wegen mindern muss. 1. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 – Rs. C-32/12 (Duarte Hueros) Grundlage ist die spanische Vorlage Duarte Hueros.261 Frau Duarte Hueros kaufte im Juli 2004 bei einem Autohändler ein Cabriolet, dessen Verdeck undicht war. Nachdem sie das Auto zurückgebracht hatte und es sich nicht reparieren ließ, verlangte Frau Duarte Hueros den Ersatz des Cabrios. Der Händler weigerte sich, woraufhin Frau Duarte Hueros Klage auf Auflösung des Kaufvertrages und Rückzahlung des Kaufpreises gegen ihn und Citroën España erhob.262 Das erstinstanzliche Gericht stellte jedoch fest, dass die Auflösung des Kaufvertrages nicht möglich sei, da der Mangel zu geringfügig sei. Sie habe zwar Anspruch auf Minderung des Kaufpreises gehabt, mangels eines entsprechenden Antrags könne ihr dieser jedoch nicht zugesprochen werden. Sie könne den Antrag allerdings auch nicht in einem weiteren Verfahren geltend machen, da sie im Ausgangsverfahren hierzu bereits die Möglichkeit gehabt habe. Das Instanzgericht setzte hierauf das Verfahren aus, um dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu befragen, ob es den Kaufpreis in diesem Fall von Amts wegen mindern müsse.263 Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 1999/44/EWG so auszulegen sei, dass ihr die Rechtsvorschriften widersprächen, die es dem nationalen Gericht verbieten würden, die Minderung von Amts wegen zuzusprechen, obwohl der Verbraucher den Kaufpreis mindern könne, vor Gericht aber die Auflösung des Vertrags beantragt habe, welche wegen der Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeit ausscheide. Dies gelte ins besondere, wenn der Verbraucher weder seinen ursprünglichen Antrag präzisieren noch eine neue Klage mit der Minderung als Klageziel erheben könne.264
261 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – elektr. Slg. 2013. 262 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – elektr. Slg. 2013 (Rn. 17 ff.). 263 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – elektr. Slg. 2013 (Rn. 20 ff.). 264 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – elektr. Slg. 2013 (Rn. 43).
C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637,
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2. Bedeutung für das deutsche Recht a) Minderung und Rücktritt als Gestaltungsrechte nach BGB Bei der Minderung des Kaufpreises gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 2, 441 BGB und dem Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1 BGB handelt es sich im deutschen Recht um Gestaltungsrechte des Käufers. 265 Um diese auszuüben, müssen entsprechende Gestaltungserklärungen abgegeben werden, §§ 349, 441 Abs. 1 S. 1 BGB.266 Bei der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB muss sich daher ergeben, dass sich der Betroffene wegen der Mangelhaftigkeit der Leistung vom Vertrag lösen oder den Kaufpreis herabsetzen will. Dies kann auch durch konkludentes Verhalten geschehen. Beim Rücktritt kommen hierfür die Rückgabe der Kaufsache oder die Rückforderung des Kaufpreises in Betracht, 267 die Minderungserklärung kann im Zurückbehalten oder dem Verlangen der Rückzahlung eines Teiles des Kaufpreises liegen. 268 Folge der Ausübung der jeweiligen Gestaltungsrechte ist ein Anspruch auf die Rückzahlung des gesamten oder des im Einzelfall zu viel geleisteten Kaufpreises, §§ 346 Abs. 1, 441 Abs. 4 BGB. Beide Gestaltungsrechte sind alternativ; wird das eine wirksam geltend gemacht, fällt das andere weg, § 441 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine Senkung des Kaufpreises ipso iure gibt es nicht.269 b) Minderung und Vertragsauflösung als Ansprüche nach Richtlinie 1999/44/EWG Nach Art. 3 Abs. 5 RL 1999/44/EG – dessen Umsetzung die dargestellten Regelungen des BGB dienen – kann der Käufer als Verbraucher entweder die Auflösung des Vertrages oder die Minderung des Kaufpreises verlangen, wenn er keinen Anspruch auf Nachbesserung oder Nachlieferung hat, nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen wurde oder nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten Abhilfe geschaffen werden kann. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie spricht von Minderung und Vertragsauflösung als Ansprüchen des Käufers.270 Durch ein Gestaltungsrecht kann eine Vertragspartei einseitig ohne Zustimmung der anderen Partei ein bestehendes Rechtsverhältnis ändern, indem sie nur eine entsprechende Wil265 MüKo
BGB/Gaier, § 349 BGB, Rn. 1; MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB,
266 MüKo
BGB/Gaier, § 349 BGB, Rn. 1; MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB,
Rn. 1.
Rn. 4.
267
MüKo BGB/Gaier, § 349 BGB, Rn. 1. MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB, Rn. 4. 269 MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB, Rn. 1. 270 MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB, Rn. 2. 268
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lenserklärung abgibt.271 Allerdings muss nach der Formulierung der Richtlinie der Verkäufer nicht mit der Minderungs- oder Auflösungserklärung des Käufers einverstanden sein; das Vertragsverhältnis kann auch gegen seinen Willen abgeändert werden.272 Genauso handelt es sich nach der Richtlinie um alternative Rechtsbehelfe des Verbrauchers bei nicht vertragsgemäßer Leistung; nach Art. 3 Abs. 5 RL 1999/44/EG kann der Verbraucher entweder eine Vertragsauflösung oder eine Minderung des Kaufpreises verlangen. Die Formulierung „verlangen“ spricht außerdem dafür, dass auch nach den Vorstellungen des Richtliniengebers der Verbraucher seine Rechte in irgendeiner Form geltend machen muss. Sie verlangt nicht von den nationalen Gesetzgebern, dass sich der Vertrag ipso iure ändert. c) Auslegung von Willenserklärungen durch das Gericht Bei der Auslegung von Willenserklärungen im Prozess handelt es sich um eine rechtliche Bewertung; den Parteien obliegt nur die Darlegung der Tatsachen, aus denen sich Rückschlüsse auf ihren Willen ziehen lassen – an eine etwaige rechtliche Bewertung ist das Gericht nicht gebunden.273 Legt der Käufer ein tatsächliches Verhalten dar, aus dem geschlossen werden kann, dass er sich von dem Vertrag lösen und die Kaufsache entsprechend auch nicht behalten will, so unterscheidet sich das von einem Verhalten, aus dem sich ergibt, dass er die Kaufsache gegen ein geringeres Entgelt behalten will. Das Gericht kann den Willen des Käufers nicht anders auslegen, weil die Zulässigkeit des Rücktritts an der Unerheblichkeit des Mangels scheitert. Durch den Ausspruch der Minderung von Amts wegen nimmt der EuGH in Kauf, dass eine Rechtsfolge durch das Gericht angeordnet wird, die trotz einer privatautonomen Verfügungsbefugnis einer Partei nicht von ihrem Willen gedeckt ist.274 d) Reichweite der materiellen Rechtskraft Die materielle Rechtskraft erfasst den Streitgegenstand. Dieser ergibt sich – so Rechtsprechung275 und herrschende Meinung in der Literatur276 – aus Antrag und zugrundeliegendem Lebenssachverhalt. Dabei bestimmt der 271 272
Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. (2016), Rn. 79, 83. MüKo BGB/Westermann, § 441 BGB, Rn. 2. 273 MüKo BGB/Busche, § 133 BGB, Rn. 67; Bamberger/Roth/Wendtland, § 133 BGB, Rn. 32. 274 Miquel Sala, euvr 2014, 178 (181); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 408. 275 BGHZ 117, 1 (5); BGH, NJW 2007, 2560 (Rn. 16). 276 Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rn. 322; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 93 Rn. 11.
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Kläger den Streitgegenstand durch sein Klagebegehren; die Einlassung des Beklagten hat hierauf keinen Einfluss. 277 Will der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis mindern, so kann er dies einmal im Rahmen seiner Klage geltend machen. Als Käufer wird er im Regelfall die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises verlangen. Weist das Gericht die Klage wegen Unerheblichkeit des Mangels ab, ist es dem Käufer unbenommen, eine erneute Klage auf anteilige Rückzahlung des Kaufpreises zu erheben; der Antrag unterscheidet sich hier von dem der ursprünglichen Klage. Macht der Käufer den unwirksamen Rücktritt als Einwendung gegen eine Zahlungsklage des Verkäufers geltend, so erwächst diese Unwirksamkeit nicht in Rechtskraft. Der Käufer kann daher eine weitere Klage auf anteilige Rückzahlung des Kaufpreises einreichen. Unabhängig von der rechtlichen Situation wird das Gericht – stellt es in der Verhandlung die Unerheblichkeit des Mangels fest – einen Hinweis nach § 139 ZPO geben und so dem Käufer ermöglichen, einen hilfsweisen Antrag zu stellen. In seiner Entscheidung stellt der EuGH fest, dass Regelungen der Richtlinie widersprechen, die es dem Gericht verbieten, die Minderung von Amts wegen auszusprechen, wenn der Verbraucher seinen Antrag nicht präzisieren oder eine neue Klage erheben kann.278 Damit stellt der Gerichtshof klar, dass solche Regelungen den Vorgaben der Richtlinie in besonderem Maße nicht entsprechen. Vorschriften, die eine Minderung von Amts wegen nicht zulassen, sind wohl ebenfalls geeignet, die Effektivität des Verbraucherschutzes der Richtlinie zu beeinträchtigen, wenn eine erneute Klageerhebung noch zulässig ist.279 3. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen Die Minderung kann aber im Einzelfall dem Willen des Verbrauchers widersprechen und negative Folgen für ihn haben, wenn er zur Vertragsanpassung gezwungen wird.280 Es entspricht nicht typischerweise dem Willen des Käufers, eine nicht vertragsgemäße Kaufsache zu einem geringeren Kaufpreis abzunehmen; diese Auslegung des rechtsgeschäftlichen Willens ist Fiktion.281 Im Gegensatz dazu geht der EuGH davon aus, dass der Käufer – wenn er sich schon nicht von dem Vertrag lösen kann – zumindest eine 277
BGH, NJW 2008, 2922 (Rn. 20); Pohlmann, Zivilprozessrecht, Rn. 322. EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, elektr. Slg. 2013 (Rn. 43). 279 Miquel Sala, euvr 2014, 178 (179); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 251. 280 Miquel Sala, euvr 2014, 178 (181). 281 Korth, GPR 2014, 87 (90); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 408. 278
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Minderung des Kaufpreises anstrebt.282 Mindert das Gericht jedoch von Amts wegen, bleiben die sonstigen Pflichten aus dem Kaufvertrag bestehen und nur der Kaufpreis wird verringert. Der Käufer strebt jedoch eine Auflösung des Vertrages unter Rückabwicklung des gesamten Vertrages an. Das Gericht entscheidet daher nicht nach Antrag. Der EuGH setzt sich damit über den Dispositionsgrundsatz hinweg; der Antrag der Parteien bestimmt nicht länger den Prüfungsinhalt.283 II. Prüfung der Verbraucherrolle von Amts wegen Neben diesem Urteil zur Minderung von Amts wegen hat der EuGH sich ebenfalls im Zusammenhang mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie dazu geäußert, ob das Gericht von Amts wegen prüfen muss, dass der Käufer einer beweglichen Sache als Verbraucher handelt. 1. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – Rs. C-497/13 (Faber) Gelegenheit zu dieser Entscheidung hatte er aufgrund einer niederländischen Vorlage aus dem Jahr 2013. Frau Faber hatte beim Autohaus Hazet einen Gebrauchtwagen gekauft, wobei für den Vertragsschluss ein Formular mit dem Titel „Kaufvertrag Privatpersonen“ verwendet wurde. Knapp vier Monate später befand sich Frau Faber auf dem Weg zu einem Geschäftstermin, als der Wagen Feuer fing und vollständig ausbrannte. Der Wagen wurde im Anschluss auf einem Autohof der Firma Hazet gelagert und schließlich verschrottet. In der folgenden Klage gegen das Autohaus auf Schadensersatz berief sich Frau Faber auf die Mangelhaftigkeit des Wagens, machte aber nicht geltend, dass sie als Verbraucherin gehandelt habe. Frau Faber verlor das erstinstanzliche Verfahren und machte auch in der Berufung nicht geltend, dass es sich um einen Verbrauchervertrag gehandelt habe. Das Berufungsgericht setzte daher das Verfahren aus und befragte den EuGH unter anderem dazu, ob es von Amts wegen zu prüfen habe, ob es sich bei dem Käufer um einen Verbraucher handele, auch wenn er sich nicht darauf berufe.284 Der EuGH entschied hierzu, dass der Effektivitätsgrundsatz im möglichen Anwendungsbereich der Richtlinie vom nationale Gericht verlange, zu prüfen, ob der Käufer als Verbraucher eingeordnet werden könne, auch wenn er sich nicht darauf berufen habe, wenn dem Gericht die notwendigen 282 283
Siehe oben § 11C. I. 1, S. 99. Althammer, in: Mindeststandards, 2015, S. 3 (18 f.); Roth, H., JZ 2016, 1134 (1137); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 251. 284 Vergleiche zum Sachverhalt EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015 – C-497/13 (Faber) ECLI:EU:C:2015:357, NJW 2015, 2237 (2237 f.).
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rechtlichen und tatsächlichen Anhaltspunkte zu Verfügung stünden oder es diese durch ein einfaches Ersuchen um Auskunft erlangen könne. 285 Mit Verweis auf die Entscheidung Rampion286 spiele es dabei keine Rolle, ob der Verbraucher von einem Anwalt vertreten werde, da es bei Auslegung des Unionsrechts, insbesondere von Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz, nicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ankomme.287 2. Bedeutung für das deutsche Recht Dabei erkennt der EuGH, dass eine Untersuchung der Verbraucherrolle von Amts wegen den Regelungen des nationalen Prozessrechts widersprechen kann. Trotzdem besteht nach seiner Auffassung das Risiko, dass der Verbraucher seine Situation verkennt und so seine Rechte verliert.288 Verhindert dies das nationale Verfahrensrecht nicht, fehlt es dem europäischen Verbraucherrecht an Effektivität.289 Damit die Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs im BGB als Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG anwendbar sind, muss ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache gekauft haben, § 474 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Beweislast liegt immer bei der Partei, die sich auf die jeweilige Regelung beruft und für die sie günstig ist. 290 Dies hat zur Folge, dass in der Regel der Käufer die Tatsachen darlegen und beweisen muss, aus denen sich die Bewertung als Verbrauchsgüterkauf ergibt. 291 Er muss darlegen, dass er, anders als sein Vertragspartner, nicht in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt habe. Die rechtliche Bewertung der vorgebrachten Tatsachen obliegt dagegen dem Gericht. Es muss auswerten, ob der Käufer als Verbraucher gemäß § 13 BGB und der Verkäufer als Unternehmer gemäß § 14 BGB gehandelt hat. Genauso wie alle sonstigen Rechtsnormen sind auch diese von Amts wegen anzuwenden.292 In der Entscheidung Faber stellt der EuGH klar, dass die nationalen Gerichte – sofern sie entsprechende Anhaltspunkte hätten oder sie durch 285
EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015 – C-497/13 (Faber) ECLI:EU:C:2015:357, NJW 2015, 2237 (Leitsatz 1, Rn. 46, 48). 286 EuGH, Urteil v. 04. 10. 2007 – C-429/05 (Rampion) ECLI:EU:C:2007:575, Slg. I 2007, 8050 (Rn. 65). 287 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015 – C-497/13 (Faber) ECLI:EU:C:2015:357, NJW 2015, 2237 (Rn. 47). 288 EuGH, Urteil v. 04. 06. 2015 – C-497/13 (Faber) ECLI:EU:C:2015:357, NJW 2015, 2237 (Rn. 42, 44). 289 Podszun, EuCML 2015, 149 (151). 290 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 7 f. 291 Wendehorst, DStR 2000, 1311 (1311); Ernst, MDR 2003, 4 (5); BGH, NJW 2007, 2619 (Rn. 12 ff.); Fellert, JA 2015, 818 (818); Looschelders, JA 2015, 942 (943); MüKo BGB/ Lorenz, S., § 474 BGB, Rn. 26. 292 Looschelders, JA 2015, 942 (943); Oechsler, BB 2015, 1923 (1923).
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Hinweise erlangen könnten – prüfen müssten, ob der Käufer als Verbraucher handele. Es komme hierbei nicht darauf an, ob er sich darauf berufe. Die mitgliedsstaatlichen Gerichte müssten von Amts wegen prüfen, ob der Käufer als Verbraucher gehandelt habe und ob die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44/EG vorlägen.293 Dafür müsse sich das Gericht auch die für diese Beurteilung notwendigen Tatsachen beschaffen.294 Diese Prüfung von Amts wegen geht jedoch nicht so weit, dass von einer Amtsermittlung gesprochen werden kann. Das Gericht prüft nur unter den oben genannten Voraussetzungen von sich aus, ob der Käufer Verbraucher ist; dabei erstreckt sich die Hinweispflicht in § 139 ZPO wohl auch auf den Verbraucher und die Tatsachen, die zu seiner Bewertung notwendig sind.295 Auch sind wohl mithilfe der Anordnung der Urkundenvorlage gemäß § 142 ZPO und der Inaugenscheinnahme von Amts wegen gemäß der §§ 144, 371 Abs. 1 S. 2 ZPO Erkenntnisgewinne im Rahmen der Mittel der ZPO möglich.296 Nach § 139 ZPO sind Hilfestellungen des Gerichtes, die materielle Gerechtigkeit und Waffengleichheit herstellen sollen, geboten. Dabei besteht nur dann ein Anlass für einen Hinweis, wenn der Vortrag der Parteien nicht klar ist, Lücken hat oder andere Mängel aufweist; eine allgemeine Fragepflicht ist nicht beabsichtigt.297 Beziehen sich die Hinweise auf neue Tatsachen oder Anträge, für die keine Grundlage besteht und die für eine Partei günstig sind, erweckt das aber den Anschein, dass sich das Gericht nicht neutral verhält.298 Soweit der EuGH verlangt, dass das nationale Gericht durch Hinweise die Tatsachen ermitteln soll, welche die Verbrauchereigenschaft begründen, geht seine Entscheidung über das nach § 139 ZPO Zulässige hinaus.299 Zwar wird von § 139 ZPO noch gedeckt, dass das Gericht bei Anzeichen im Parteivortrag gegebenenfalls zu Ergänzungen auffordert. Darüber hinaus geht allerdings, wenn das Gericht von sich aus nachfragt, ob der Käufer als Verbraucher gehandelt habe. In diesem Fall werden Tatsachen, für die sich bisher keine Anhaltspunkte im Sachverhalt fanden, in das Verfahren eingebracht. Der Verbraucher ist nicht länger gezwungen, darzulegen, dass er als solcher gehandelt habe, er trägt nicht länger die umfängliche Darlegungs- und Beweislast.300 Zugleich soll das Gericht durch die 293
Hentschel, EWiR 2015, 541 (542). Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 480 f. Sagan/Scholl, JZ 2016, 501 (504); Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 481 f. 296 Hierzu ausführlich Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 484 f. 297 Musielak/Voit/Stadler, § 139 ZPO, Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 19. 298 Musielak/Voit/Stadler, § 139 ZPO, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 24, 18. 299 Zu § 139 ZPO siehe auch unten, § 22A. III, S. 192 ff. 300 Looschelders, in: Festschrift 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 93 (97). 294 295
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
Erweiterung der Frage- und Hinweispflichten über den Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz hinausgehen.301 Anders als bei einer Beweislastumkehr ist hier nicht der Gegner des Verbrauchers verpflichtet, nachzuweisen, dass er als Unternehmer handelt. Genauso wenig gilt eine Vermutung zugunsten des Handelns des Käufers als Verbraucher. Vielmehr muss das Gericht Anzeichen nachgehen oder im Einzelfall nachfragen. Damit müssen nicht die Parteien, sondern das Gericht auf die Klärung hinwirken. 3. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen Erkundigt sich das Gericht nach Tatsachen, handelt es sich um eine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz. Der Schutz des Verbrauchers als schwächere Vertragspartei, also der schuldvertragliche Schutzzweck der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wird nach Auffassung des EuGH beeinträchtigt, wenn sich der Käufer auf seine Verbraucherrolle berufen muss.302 Schuldvertragliche Gesichtspunkte des Verbraucherrechts wirken so auf das Verfahren.303 Durch seine Rechtsprechung setzt der EuGH nationales Verfahrensrecht außer Kraft, um einen voll wirksamen Verbraucherschutz zu erreichen.304 III. Zwischenergebnis Verlangt der EuGH, dass das Gericht den Kaufpreis von Amts wegen mindert, setzt er sich über den Dispositionsgrundsatz hinweg. Zum vermeintlichen Schutz des schwächeren Verbrauchers wird seine prozessuale Verfügungsmöglichkeit ausgehebelt.305 Insofern werden schuldvertragliche Wertungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Prozessrecht fortgesetzt. In seiner Rechtsprechung zur Prüfung der Verbraucherrolle von Amts wegen nimmt der EuGH zugunsten von schuldvertraglichen Wertungen der Verbraucherrechterichtlinie Einfluss auf das deutsche Zivilprozessrecht.306 D. Ergebnis Der EuGH schafft in seiner Rechtsprechung vermehrt Ausnahmen vom Dispositions- und Verhandlungsgrundsatz. Diese Grundsätze, die ins301 Eher in Richtung Frage- und Hinweispflicht des Gerichtes tendiert wohl Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 250. 302 Sagan/Scholl, JZ 2016, 501 (504). 303 Podszun, EuCML 2015, 149 (150). 304 Podszun, EuCML 2015, 149 (151). 305 Vergleiche oben § 11C. I, S. 99 ff. 306 Vergleiche oben § 11C. II, S. 103 ff.
§ 11 Abweichung von Verfahrensmaximen zugunsten des Verbrauchers
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besondere Ausdruck der Privatautonomie im Prozess sind, werden eingeschränkt, damit sich die schuldvertraglichen Wertungen der Richtlinien im Prozess fortsetzen können. Dabei kommt es im Einzelnen nicht darauf an, ob sich die unterlegene Situation des Verbrauchers beim Vertragsschluss, die insbesondere durch zwingendes Recht ausgeglichen werden soll, im Prozess fortsetzt. Vielmehr sollen diese Vorteile ohne Rücksicht auf eine allgemeine oder konkrete prozessuale Schutzbedürftigkeit zur Anwendung kommen. Durch seine Rechtsprechung trägt der EuGH verstärkt zu einer Materialisierung des Zivilprozessrechts bei.
Kapitel 3
Wohnraummietvertrag Als schwächere Vertragspartei wird der Wohnraummieter schuldvertraglich geschützt. Zu dessen Gunsten finden sich im BGB die speziellen Regelungen der §§ 549 ff. BGB. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I‑VO regelt die Rechtswahl bei allen Mietverträgen über unbewegliche Sachen. Prozessuale Sonderregelungen finden sich in den §§ 29a, 308a ZPO und in Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO.
§ 12 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Wohnraummieters A. Schutz des Wohnraummieters im BGB In der ursprünglichen Fassung des BGB gab es zwar mieterschützende Bestimmungen, diese waren jedoch im Wesentlichen dispositiv und wurden häufig durch Formularmietverträge zulasten der Wohnraummieter ausgeschlossen.1 Die Wohnungsnot während des 1. Weltkrieges führte 1917 zur Schaffung der 1. Verordnung zum Schutz des Mieters2, die den Mieteinigungsämtern die Befugnis erteilte, eine Kündigung des Vermieters für unwirksam zu erklären.3 Nach Ende des ersten Weltkrieges wurde wegen des herrschenden Wohnungsmangels das Mietnotrecht ausgebaut;4 im Mieterschutzgesetz (MSchG) von 19235 wurde es gesetzlich verankert.6 Hauseigentümer wurden zum Abschluss von Wohnungsmietverträgen verpflichtet und Mietpreisbindung, Kündigungsschutz, Räumungsfristen und 1 Staudinger/Emmerich,
Vorbemerkungen zu § 535 BGB, Rn. 2. Bekanntmachung zum Schutz der Mieter, RGBl. 1917, 659 ff. Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, 1984, S. 113 f.; MüKo BGB/Häublein, Vorbemerkung § 535 BGB, Rn. 42; Staudinger/Emmerich, Vorbemerkungen zu § 535 BGB, Rn. 3. 4 Bruns, JZ 2007, 385 (386). 5 Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter (MSchG), RGBl. Teil I 1923, 353 ff. 6 Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, 1984, S. 117, 120 f.; Medicus, in: FS Kita gawa, 1992, S. 471 (474). 2 3
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
Vollstreckungsschutz eingeführt; erst im wirtschaftlichen Aufschwung der fünfziger Jahre wurde das Mietnotrecht nach und nach durch ein Mietrecht nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft ersetzt.7 Geschäftsräume wurden 1951 von der Preisbindung ausgenommen; auch das Mieterschutzgesetz war nicht länger auf sie anwendbar.8 In den sechziger Jahren wurde die Wohnungszwangswirtschaft innerhalb der sogenannten „weißen Kreise“ aufgehoben, in denen der Wohnungsfehlbestand auf unter drei Prozent gesunken war.9 Anstelle des Mieterschutzgesetzes wurden die sogenannten Sozialklauseln in das BGB eingefügt; durch das 1. und 2. Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften wurden halbzwingende Schutzvorschriften zugunsten des Mieters eingeführt und durch das 3. Mietrechtsänderungsgesetz noch einmal verstärkt.10 Zu einer Wiedereinführung eines Kündigungsschutzes im Geschäftsraummietrecht kam es nicht.11 Ein Mietverhältnis über Wohnraum liegt dann vor, wenn der Raum nach dem von den Parteien vereinbarten Zweck dem Wohnen dient.12 Diese Mietverhältnisse haben besondere soziale Bedeutung: die Wohnung ist schutzwürdiges Rechtsgut und Lebensgrundlage des Bürgers,13 unabhängig vom tatsächlichen Bedarf an Wohnraum.14 Die Vorschriften des „sozialen Mietrechts“, die sich heute im BGB befinden, beziehen sich insbesondere auf den Bestandsschutz des Mietverhältnisses. So kann der Vermieter das Mietverhältnis nur bei Vorliegen gesetzlich bestimmter Gründe kündigen, bei einer besonderen sozialen Härte hat der Mieter trotz wirksamer Kündigung Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses. I. Ordentliche Kündigung nur bei berechtigtem Interesse, § 573 BGB Zentraler Punkt des sozialen Mietrechts ist die sogenannte Bestandsschutzmaxime in § 573 BGB, nach der dem vertragstreuen Mieter nur bei einem berechtigten Interesse des Vermieters ordentlich gekündigt werden kann.15 Ausgenommen hiervon sind die Mietverhältnisse gemäß § 549 Abs. 2, Abs. 3 und § 573a BGB. Ein berechtigtes Interesse besteht nach § 573 Abs. 2 BGB insbesondere, wenn der Mieter eine vorsätzliche Pflichtverletzung began7
MüKo BGB/Häublein, Vorbemerkung § 535 BGB, Rn. 43. Lehmann-Richter, in: FS Derleder, 2015, S. 325 (329). 9 Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, 1984, S. 191. 10 MüKo BGB/Häublein, Vorbemerkung § 535 BGB, Rn. 44 f. 11 Lehmann-Richter, in: FS Derleder, 2015, S. 325 (329). 12 Staudinger/Emmerich, Vorbemerkungen zu § 535 BGB, Rn. 24; Staudinger/Rolfs, § 573 BGB, Rn. 10. 13 Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 11 f. 14 Medicus, in: FS Kitagawa, 1992, S. 471 (475). 15 Weller, JZ 2012, 881 (883); MüKo BGB/Häublein, § 573 BGB, Rn. 1; Staudinger/ Rolfs, § 573 BGB, Rn. 1. 8
§ 12 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Wohnraummieters
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gen hat, der Vermieter Eigenbedarf an den Räumlichkeiten hat oder die Vermietung ihn an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung hindert. § 573 BGB legt damit fest, dass nur der Mieter das Mietverhältnis ohne Weiteres durch ordentliche Kündigung beenden kann.16 Fehlt das berechtigte Interesse des Vermieters, ist die Belastung des Mieters mit einem Umzug und dessen Kosten unzulässig; im sozialen Rechtsstaat lässt sich die Kündigung wegen der Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt sonst nicht rechtfertigen.17 II. Widerspruch gegen die Kündigung, §§ 574 ff. BGB Nach § 574 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm verlangen, dass das Mietverhältnis fortgesetzt wird. Voraussetzung ist, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine unangemessene Härte bedeuten würde, die nach Würdigung der Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.18 Persönliche Härten, die hier berücksichtigt werden, sind Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Natur sowie sonstige Kosten und Erschwernisse, die den Mieter durch die Beendigung des Mietvertrages treffen und weit über dem liegen, was üblicherweise mit Umzug und Ortsveränderung verbunden ist.19 Gar nicht anwendbar ist § 574 BGB auf Mietverträge gemäß § 549 Abs. 2 BGB und nur eingeschränkt auf Zeitmietverträge gemäß § 575a Abs. 2 BGB.20 § 574 BGB ergänzt damit den Kündigungsschutz bei Wohnraummietverhältnissen um eine Härtefallregelung; seine Schutzfunktion ist so wie die des § 573 BGB aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.21 III. Rechtfertigung des Schutzes des Wohnraummieters Die formale Gleichstellung von Mieter und Vermieter in der ursprünglichen Fassung des BGB war realitätsfern, insbesondere ist der Mieter von der Kündigung des Mietverhältnisses in der Regel stärker betroffen als der Vermieter.22 Der schuldvertragliche Mieterschutz knüpft dabei – abgesehen von wenigen Ausnahmen – ausschließlich an die Wohnraummiete an; es 16 Jauernig/Teichmann,
§ 573 BGB, Rn. 1. § 573 BGB, Rn. 6. 18 Medicus/Lorenz, Schuldrecht BT, § 25 Rn. 29; Jauernig/Teichmann, § 574 BGB, Rn. 1 f. 19 Jauernig/Teichmann, § 574 BGB, Rn. 2. 20 Jauernig/Teichmann, § 574 BGB, Rn. 1. 21 Schmidt-Futterer/Blank, § 574 BGB, Rn. 1. 22 Medicus/Lorenz, Schuldrecht BT, § 25 Rn. 47. 17 Staudinger/Rolfs,
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
gibt keinen vergleichbaren Schutz für Geschäftsräume.23 Ausgenommen von den sozialen Schutzvorschriften des BGB sind ebenfalls die Mietverhältnisse gemäß § 549 Abs. 2 BGB. Das Verhältnis von Mieter zu Vermieter wurde so grundsätzlich verändert. B. Anwendbares Recht nach der Rom I‑VO I. Anwendbares Recht auf Wohnraummietverträge Nach der Rom I‑VO sind Vereinbarungen über das auf den Wohnraummietvertrag anwendbare Recht gemäß Art. 3 Rom I‑VO grundsätzlich zulässig. Subsidiär ist gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I‑VO auf Miet- oder Pachtverträge über unbewegliche Sachen das Recht des Staates anwendbar, in dem sich diese befinden.24 In diesem Fall knüpft das Vertragsstatut an das Objekt des Vertrages an.25 Bei Überlassungen zum privaten Gebrauch von weniger als sechs Monaten gilt Art. 4 Abs. 1 lit. d) Rom I‑VO, wenn es sich bei dem Mieter um eine natürliche Person handelt. 26 Haben Vermieter und Mieter in diesem Fall ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedsstaat, so ist dessen Recht anwendbar.27 Bei einer Rechtswahl in einem reinen Binnensachverhalt wird nur das dispositive, nicht das zwingende Recht gemäß Art. 3 Abs. 3 Rom I‑VO verdrängt;28 die zwingenden Normen des Wohnraummietrechts gelten daher trotz der Wahl eines anderen Rechts. Auch bei internationalen Sachverhalten kann durch die Wahl eines anderen Rechts nicht die Geltung des zwingenden Rechts zum Schutz des Wohnraummieters ausgeschlossen werden, insbesondere nicht die Vorschriften über Kündigungsschutz und Mieterhöhung.29 Bei diesen handelt es sich um Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Abs. 1 Rom I‑VO; sie bezwecken nicht nur den individuellen Vorteilsausgleich zugunsten des Mieters, sondern sollen auch im Gemeinwohlinteresse eine angemessene Wohnraumversorgung und den sozialen Frieden sichern.30
23 Medicus, in: FS Kitagawa, 1992, S. 471 (475). 24 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 65.
25 Ferrari IntVertragsR/Ferrari, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 34. 26 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 56 f., 59. 27 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 71. 28 Eckpfeiler Zivilrecht/Gsell, L. Verbraucherschutz,
Rn. 25. Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 255. 30 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 255; Rauscher/Thorn, Art. 9 Rom I‑VO, Rn. 54. 29 Staudinger/Magnus,
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
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II. Zweck des Art. 4 Abs. 1 lit. c), d) Rom I‑VO Die Regelungen in Art. 4 Rom I‑VO haben den Zweck, das nationale Recht auf ein vertragliches Schuldverhältnis anzuwenden, das die räumlich engste Verbindung zu diesem Schuldverhältnis hat.31 Zugleich sollen die Normen des Kollisionsrechts besonders vorhersehbar geregelt sein und damit zur Rechtsicherheit in der EU beitragen.32 Art. 4 Abs. 1 lit. c), d) Rom I‑VO dienen jedoch nicht der Privilegierung des Mieters; grundsätzlich könnte über das anwendbare Mietrecht völlig frei disponiert werden. Insbesondere sind die verbraucherschützenden Regelungen aus Art. 6 Rom I‑VO auf Mietverhältnisse über Wohnraum nicht anwendbar.33 Eine Privilegierung des Mieters ergibt sich nur aus dem zwingenden, nationalen Mietrecht des BGB, das als Eingriffsnorm gemäß Art. 9 Abs. 1 Rom I‑VO nicht disponibel ist. C. Fazit Das Schuldvertragsrecht des BGB schützt den Wohnraummieter gegenüber dem Vermieter aus besonderen sozialen Erwägungen vor der Beendigung des Mietverhältnisses. Der Wohnraummieter ist auf den Fortbestand dieses Dauerschuldverhältnisses besonders angewiesen. Schuldrechtlich geschützt wird nur der zu Wohnzwecken Mietende, nicht der Geschäftsraummieter. Der pauschalierende Schutz bezieht sich damit auf den privat handelnden Mieter. Dabei ist das deutsche Mietrecht rein nationales Privatrecht, es dient nicht der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Das internationale Privatrecht der Rom I‑VO verfolgt über den Erhalt der Geltung zwingender Normen der nationalen Wohnraummietrechte hinaus keine besonderen Schutzziele zugunsten des Wohnraummieters. Insbesondere beziehen sich seine Regelungen allgemein auf Miet- oder Pachtverträge über unbewegliche Sachen.
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen, § 29a ZPO § 29a ZPO bestimmt für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume das Gericht für ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Mietsache befindet. Ausgenommen hiervon sind Wohnraummietverhältnisse gemäß § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB. 31 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 1; MüKo BGB/Martiny, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 1. 32 Vgl. Erwgr. 16 Rom I‑VO; Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 1; MüKo BGB/ Martiny, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 4. 33 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 253.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
A. Entwicklung der Zuständigkeit bei Miet- und Pachtsachen34 Eine besondere Regelung der Zuständigkeit für bestimmte Streitigkeiten aus Mietverhältnissen fand sich schon im Mieterschutzgesetz von 1923. I. Mieterschutzgesetz 1923 Dieses bestimmte in § 7 MSchG, dass für die Aufhebungsklage, die für die Beendigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter notwendig war, das Amtsgericht ausschließlich zuständig sei, in dessen Bezirk sich der Wohnraum befand.35 Die Aufhebung des Mieterschutzgesetzes und damit auch der ausschließlichen Zuständigkeit nach § 7 MSchG in den „weißen Kreisen“ ermöglichte es den Parteien, die Zuständigkeit frei zu vereinbaren.36 Dies wurde in der Folgezeit wohl vermehrt von überregionalen Wohnungsunternehmen bei der Verwendung von Formularmietverträgen genutzt,37 was sowohl dem Schutz des sozial schwächeren Mieters widersprach als auch die Prozessführung erschwerte.38 II. 3. Mietrechtsänderungsgesetz 1967 Als Reaktion darauf wurde 1967 durch das 3. Gesetz zur Änderung des Mietrechts § 29a ZPO eingefügt.39 In dieser Fassung war der Gerichtsstand in § 29a ZPO-1967 nicht auf sämtliche Klagen aus Wohnraummietverhältnissen anwendbar. Er galt nur bei Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Mietvertrages über Wohnraum, auf Erfüllung oder Entschädigung wegen Nicht- oder Schlechterfüllung eines solchen Vertrages und bei Räumungsklagen oder Klagen auf Fortsetzung des Mietverhältnisses trotz Kündigung wegen besonderer sozialer Härte.40 Ausschließlich zuständig war bei diesen Klagen das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die Wohnräume befanden. Neben der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit 34 Zur
Darstellung der Entwicklung von § 29a ZPO: Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 76 f. 35 Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter (MSchG), RGBl. Teil I 1923, 353 (355); Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 111; Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, 1984, S. 117. 36 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 5/1743 (3). 37 Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 111 f. 38 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 5/1743 (3); Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 112. 39 Drittes Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BGBl. Teil I 1967, 1248 ff. 40 Drittes Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BGBl. Teil I 1967, 1248 (1249).
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
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bestimmte § 29a ZPO-1967 auch die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichtes.41 Ausgenommen waren gemäß § 29a Abs. 2 ZPO1967 Klagen, die sich auf Wohnraum bezogen, der möbliert oder nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet war, damals geregelt in § 556a Abs. 8 BGB a. F.42 Begründet wurde diese Regelung mit zwei Erwägungen: Einmal sei bei dem Gericht am Belegenheitsort der Mietsache die sachliche Nähe am größten; aufgrund seiner Kenntnis des lokalen Wohnungsmarktes sei es am ehesten in der Lage, Schwierigkeiten mit Bezug auf die Härtefallklauseln und die Räumungsfristen einzuschätzen.43 Außerdem würden die Mietstreitigkeiten, die ein bestimmtes Objekt betreffen, an einem Gericht konzentriert.44 Neben diesen praktischen Erwägungen flossen auch soziale Gesichtspunkte in die Begründung des § 29a ZPO-1967 ein. Die ausschließliche Zuständigkeit am Belegenheitsort des Wohnobjektes sollte verhindern, dass der Prozess durch Gerichtsstandsvereinbarungen oder rügeloses Einlassen an einem möglicherweise vom Mieter weit entfernten Gericht geführt wird.45 Außerhalb des Anwendungsbereichs des damaligen Mieterschutzgesetzes in den sogenannten weißen Kreisen konnte die Zuständigkeit des Gerichts frei vereinbart werden.46 Gerichtsstandsvereinbarungen bei Wohnraumstreitigkeiten berücksichtigten in der Regel weder Interessen der Rechtspflege noch die beider Prozessparteien.47 Der sozial schwache Mieter erlitt Nachteile, wenn er den Prozess vor einem entfernt gelegenen Gericht führen musste, seine Rechtsverfolgung wurde erschwert.48 Zusätzlich schloss die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts eine Vereinbarung des Landgerichtes als erstinstanzliches Gericht aus.49 Durch die ausschließliche Möglichkeit einer Berufung zum Landgericht sollte eine kürzere Verfahrensdauer garantiert werden.50 § 29a ZPO a. F. sollte durch diese Regelungen den sozial schwächeren Mieter begünstigen und entsprach dem Schutzgedanken eines sozia41
Pergande, NJW 1967, 129 (132); Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 85 f. 42 Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 113. 43 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 5/1743 (3); Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 112. 44 AK‑ZPO/Röhl, § 29a ZPO, Rn. 1. 45 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, § 29a ZPO, Rn. 1. 46 Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 111 f. 47 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 83. 48 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 5/1743 (3); Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 112; Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 84. 49 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 86. 50 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 86 f.
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len Mietprozessrechts.51 Dieser soziale Schutzzweck wurde durch § 1025a ZPO-1967 ergänzt, der Schiedsvereinbarungen bei Wohnraummietsachen ausschloss.52 III. Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 1993 wurde § 29a Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege53 neu gefasst. Die Zuständigkeit des Gerichts am Ort der Räume wurde damit auf alle Streitigkeiten über Ansprüche aus oder über das Bestehen von Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume erweitert und gilt seitdem nicht länger nur für bestimmte Klagen aus Wohnraummietverhältnissen. Zudem wurde die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts aus der ZPO entfernt und in § 23 Nr. 2 lit. a) GVG geregelt. Bei der Anwendung der ursprünglichen Fassung von § 29a ZPO hatte es Probleme bei der Verwendung der Fallgruppen und bei der Behandlung von Mischmietverhältnissen gegeben.54 Die neue Generalklausel sollte alle Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume erfassen und damit Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen privaten und geschäftlichen Mietverhältnissen, Grenzziehungen bei Mischmietverhältnissen sowie zwischen Miet- und Pachtverhältnissen aus der Zuständigkeitsprüfung herausnehmen.55 Die Regelung der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichtes in der ZPO, deren systemwidrige Position ebenfalls kritisiert worden war, wurde ebenfalls aufgehoben.56 IV. Mietrechtsreformgesetz 2001 Durch die Mietrechtsreform57 wurde 2001 das Mietrecht im BGB neu strukturiert und gegliedert.58 § 29a Abs. 2 ZPO wurde dabei an die geänderte Zählung im materiellen Recht angepasst.59 In seiner heutigen Form bestimmt § 29a ZPO in Absatz 1 eine ausschließliche Zuständigkeit für 51 Stein/Jonas/Schumann,
20. Aufl. 1984, § 29a ZPO, Rn. 1; AK‑ZPO/Röhl, § 29a ZPO, Rn. 1. 52 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 87. 53 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege, BGBl. Teil I 1993, 50 ff. 54 AK‑ZPO/Röhl, § 29a ZPO, Rn. 2, 4. 55 Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT‑Drucks. 12/1217 (22). 56 AK‑ZPO/Röhl, § 29a ZPO, Rn. 1; Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT‑Drucks. 12/1217 (45); Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 29a ZPO, Rn. 2. 57 Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz), BGBl. Teil I 2001, 1149 ff. 58 MüKo BGB/Häublein, Vorbemerkung § 535 BGB, Rn. 48. 59 Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Miet-
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
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Streitigkeiten über Ansprüche aus oder über das Bestehen von Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume in dem Gerichtsbezirk, in dem sich die besagten Räume befinden. Ausgenommen sind gemäß Absatz 2 die Mietverhältnisse gemäß § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB, also die Vermietung zum vorübergehenden Gebrauch, die Vermietung von möbliertem Wohnraum in der Wohnung des Vermieters und von Wohnraum, der für Personen mit dringendem Wohnungsbedarf angemietet wurde. V. Veränderung des Schutzzwecks von § 29a ZPO Bei den von § 29a ZPO-1967 erfassten Streitigkeiten handelte es sich um Klagen, bei denen der Wohnraummieter in der Regel noch in der Immobilie wohnhaft war. Er hatte daher durch die Regelung von § 29a ZPO-1967 regelmäßig einen ausschließlichen Kläger- oder Beklagtengerichtsstand an seinem eigenen Wohnsitz zu seiner Verfügung. Durch die Änderung von § 29a ZPO 1993 ist der Anwendungsbereich des Gerichtsstands erweitert worden, die bisher erfassten Streitigkeiten des Wohnraummieters fallen jedoch immer noch in den Anwendungsbereich. Die Zuständigkeit am Belegenheitsort der Mietsache wurde ausgedehnt. Das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die Räume befinden, bleibt ausschließlich örtlich und sachlich zuständig und die Schiedsgerichtsbarkeit ausgeschlossen.60 Der sozial schwache Wohnraummieter profitiert damit immer noch von der räumlich in der Nähe gelegenen Prozessführung am ausschließlich zuständigen Amtsgericht.61 B. Inhalt des § 29a ZPO § 29a ZPO bestimmt die ausschließliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume an dem Ort, an dem sich die Mietsache befindet. I. Sachlicher Anwendungsbereich Sachliche Voraussetzung ist, dass sich die Streitigkeit auf Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume bezieht und nicht gemäß § 29a Abs. 2 ZPO, § 549 Abs. 2 BGB vom Anwendungsbereich ausgenommen ist. rechts (Mietrechtsreformgesetz), BT‑Drucks. 14/4553 (77); MüKo BGB/Häublein, Vorbemerkung § 535 BGB, Rn. 48; Musielak/Voit/Heinrich, § 29a ZPO, Rn. 2. 60 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 93 f. 61 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 93; MüKo ZPO/Patzina, § 29a ZPO, Rn. 2.
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1. Ansprüche aus einem Miet- oder Pachtverhältnis über Räume Hierzu muss zunächst ein Miet- oder Pachtverhältnis über Räume vorliegen. Räume gemäß § 29a Abs. 1 ZPO sind alle Gebäude und ihre Innenräume, unabhängig von der konkreten Nutzung.62 Es sind aus Boden, Wänden und Decken hergestellte Bauwerke, deren Zweck der Aufenthalt von Menschen, die Aufbewahrung von Sachen oder die Unterbringung von Tieren ist.63 Anders als in § 29a ZPO-1967 ist es für den Anwendungsbereich von § 29a Abs. 1 ZPO nach seinem Wortlaut nicht mehr erforderlich, dass es sich um Wohnräume handelt. Es ist strittig, ob man bei der Definition der Räume von dem Begriff des BGB oder einer eigenen prozessualen Begriffsbildung ausgehen muss. Im letzteren Fall können unter die Definition auch Räumlichkeiten fallen, die nicht fest mit dem Boden verbunden sind, wie etwa Baracken, Wohncontainer oder Fahrzeuge, solange der Mieter genauso schutzwürdig ist.64 Es wäre dann nicht notwendig, dass die Räume wesentliche Bestandteile des Grundstücks gemäß § 94 BGB sind; es würde vielmehr ausreichen, dass der Raum nur vorübergehend mit dem Grundstück verbunden ist.65 Lehnt man dies ab, dann fallen diese nicht hierunter.66 Nicht unter die Definition des Raumes fallen in jedem Fall Grundstücksflächen, abgegrenzte Flächen wie Parkplätze oder Außenwerbeflächen.67 Der Raum muss gemäß §§ 549 ff., 578 Abs. 2 BGB vermietet oder verpachtet sein. Es spielt keine Rolle, ob es sich um Untervermietung oder -verpachtung, Zwischenmietverträge, echte Mietverträge zugunsten Dritter oder Dienst- und Werkmietverträge handelt.68 Hier entscheidet in der Regel das materielle Recht, ob ein Miet- oder Pachtverhältnis vorliegt.69 Nicht anwendbar ist § 29a ZPO auf verliehene Räume gemäß § 598 BGB. Die Leihe erfolgt unentgeltlich und vermittelt daher keinen mit der Miete oder Pacht von Räumen vergleichbaren Schutz.70 Notwendig ist, dass sich die Parteien im Prozess auf ein Miet- oder Pachtverhältnis beziehen und dieses schlüssig behaupten; bloße gesetzliche Schuldverhältnisse genügen 62 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 7; Hk ZPO/Bendtsen, § 29a ZPO, Rn. 4; Musielak/Voit/Heinrich, § 29a ZPO, Rn. 4. 63 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 7. 64 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 6. 65 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 97. 66 LG München I, NZM 2013, 859 (860); BLAH/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 4. 67 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 6; Zöller/Schultzky, § 29a ZPO, Rn. 6. 68 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 11; BLAH/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 4. 69 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 15. 70 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 14.
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
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nicht.71 Bei der Streitigkeit aus dem Miet- oder Pachtverhältnis spielt es keine Rolle, um welche Art der Klage es sich handelt; es fallen sowohl Leistungsklagen als auch positive und negative Feststellungsklagen in den Anwendungsbereich.72 2. Ausnahmen in § 29a Abs. 2 ZPO Ausgenommen vom Anwendungsbereich des § 29a Abs. 1 ZPO sind nach § 29a Abs. 2 ZPO Streitigkeiten über Wohnraum im Sinne des § 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB. Dabei handelt es sich um die Vermietung zum vorübergehenden Gebrauch, von möbliertem Wohnraum in der Wohnung des Vermieters und um die Überlassung von Wohnraum an Personen mit dringendem Wohnungsbedarf.73 Hier nimmt § 29a ZPO ausdrücklich auf die Vorschriften des schuldvertraglichen Wohnraummietrechts im BGB Bezug; es ist damit maßgeblich für die Begriffsfindung.74 Die erfassten Mietverhältnisse fallen im materiellen Recht grundsätzlich in den Anwendungsbereich des sozialen Wohnungsmietrechts.75 Diese Mietverhältnisse sind allerdings von bestimmten Schutzvorschriften ausgenommen, etwa von den Regelungen zum Kündigungsschutz und zur Mieterhöhung.76 Nicht in die Ausnahme miteinbezogen sind allerdings die ebenfalls von Regelungen des materiellrechtlichen Schutzes des Mieters ausgenommenen Studentenwohnheime gemäß § 549 Abs. 3 BGB.77 II. Persönlicher Anwendungsbereich In den persönlichen Anwendungsbereich des § 29a ZPO fallen alle am Vertragsverhältnis oder seiner Anbahnung beteiligten Parteien, Dritte bei echten Miet- und Pachtverträgen zugunsten Dritter und miet- oder pachtvertraglich mithaftende Dritte.78 Ausgenommen sind nicht am Mietvertrag beteiligte Personen, zum Beispiel bei selbstständigen Gewähr-, Garantieund Bürgschaftsverträgen zur Sicherung des Mietverhältnisses.79 71 OLG Frankfurt a. M., NJW‑RR 2013, 824 (824); Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 15. 72 Hk ZPO/Bendtsen, § 29a ZPO, Rn. 6. 73 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 9 ff.; Zöller/Schultzky, § 29a ZPO, Rn. 7; BLAH/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 4. 74 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 9; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 8. 75 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 8. 76 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 9; Musielak/Voit/Heinrich, § 29a ZPO, Rn. 5. 77 Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 10. 78 Zöller/Schultzky, § 29a ZPO, Rn. 11. 79 BGHZ 157, 220 (222 f.); Zöller/Schultzky, § 29a ZPO, Rn. 11.
120 III.
Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
Rechtsfolge: Ausschließliche Zuständigkeit am Belegenheitsort
Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29a ZPO als doppeltrelevante Tatsachen zumindest schlüssig behauptet wurden,80 ist das Gericht ausschließlich für den Zivilprozess zuständig, in dessen Bezirk sich die Mietsache befindet. Gerichtsstandsvereinbarungen unter den Voraussetzungen des § 38 ZPO sind damit gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genauso unzulässig, wie sich nach § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO keine Zuständigkeit eines anderen Gerichts durch rügeloses Einlassen begründen lässt.81 IV. Ergänzung durch § 23 Nr. 2 lit. a) GVG § 29a ZPO bestimmt die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Mietund Pachtverhältnissen über Räume, die sachliche ergibt sich aus den Normen des GVG. Bei Geschäftsraumstreitigkeiten ist für die sachliche Zuständigkeit der Streitwert entscheidend, bei der Wohnraummiete folgt aus § 23 Nr. 2 lit. a) GVG eine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts.82 Die Anwendungsbereiche von § 23 Nr. 2 lit. a) GVG und § 29a ZPO entsprechen einander nicht; das Amtsgericht ist gemäß § 23 Nr. 2 lit. a) GVG auch für Streitigkeiten gemäß § 549 Abs. 2 BGB sachlich zuständig, die gemäß § 29a Abs. 2 ZPO nicht in den Anwendungsbereich von § 29a Abs. 1 ZPO fallen.83 V. Zwischenergebnis Anders als die schuldvertraglichen Regelungen des Mietrechts, die besondere Vorschriften insbesondere zum Schutz des Wohnraummieters begründen, erfasst § 29a ZPO sämtliche Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume. Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind jedoch hier ebenfalls die Streitigkeiten nach § 549 Abs. 2 BGB, die auch im materiellen bürgerlichen Recht von den Beschränkungen der Mieterhöhung und dem Kündigungsschutz zugunsten des Mieters nicht erfasst sind.84 § 29a Abs. 1 ZPO und § 29a Abs. 2 ZPO nehmen dabei in unterschiedlicher Weise auf schuldvertragliche Regelungen Bezug. Während Absatz 1 wohl eigenständige Begriffe verwendet, die sich nicht mit denen in den §§ 549 ff.,
80 Stein/Jonas/Roth, 81 Stein/Jonas/Roth,
H., § 29a ZPO, Rn. 15; Hk ZPO/Bendtsen, § 29a ZPO, Rn. 5. H., § 29a ZPO, Rn. 1; Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, § 29a ZPO, Rn. 4; Zöller/Schultzky, § 29a ZPO, Rn. 19. 82 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 2. 83 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 2. 84 Stein/Jonas/Roth, H., § 29a ZPO, Rn. 9.
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578 Abs. 2 BGB decken müssen, nimmt Absatz 2 unmittelbar auf das spezielle mietvertragliche Schuldrecht Bezug. C. Örtliche Zuständigkeit bei Mietstreitigkeiten ohne § 29a ZPO § 29a ZPO richtet einen ausschließlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus einem Miet- oder Pachtverhältnis über Räume ein. Ohne diese spezielle Regelung würde sich die örtliche Zuständigkeit nach den sonstigen Gerichtsstandsregelungen der ZPO richten. I. Klagen des Mieters Der Mieter könnte zunächst Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Vermieters gemäß §§ 12 ff. ZPO an dessen Wohnsitz oder Sitz erheben. Die Rechtsfolge wäre nur mit der des § 29a ZPO identisch, wenn der Wohnsitz oder Sitz des Vermieters dem Belegenheitsort der Mietsache entspricht. Neben dem allgemeinen Gerichtsstand in den §§ 12 ff. ZPO käme der Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß § 29 ZPO in Betracht, dieser entspricht dem Leistungsort gemäß § 269 BGB.85 Bei Miet- oder Pachtverträgen über Grundstücke befindet sich der Leistungsort für die Verpflichtung des Vermieters zur Gebrauchsüberlassung der Mietsache an deren Belegenheitsort.86 Ohne die besondere Regelung des § 29a ZPO würde dies auch für die Zuständigkeit für eine Klage auf die Überlassung des Gebrauches von Räumen gelten. Würde also der Wohnraummieter gegen seinen Vermieter auf Überlassung der Wohnung klagen, so käme für die Zuständigkeit nach § 29 ZPO nur der Belegenheitsort der Mietsache in Betracht. Bei Behauptung eines Mietverhältnisses ist § 29a ZPO auch anwendbar, wenn sich der Klageanspruch nur auf einen deliktischen Anspruch stützt.87 Weiterer möglicher Gerichtsstand für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Miete oder Pacht von Räumen wäre ohne § 29a ZPO § 32 ZPO bei Klagen aus unerlaubter Handlung. Zuständig ist das Gericht des Begehungsortes, also sowohl des Handlungs- als auch des Erfolgsortes der unerlaubten Handlung.88 Denkbar wären Klagen des Mieters gegen den Vermieter aufgrund von Rechtsgutsverletzungen, die etwa vom Zustand und der Beschaffenheit der Räume ausgehen. Hier lägen Handlungs- und Erfolgsort wiederum am Belegenheitsort der Mietsache. 85 Stein/Jonas/Roth, H., § 29 ZPO, Rn. 3. 86 Staudinger/Bittner, § 269 BGB, Rn. 22; MüKo
BGB/Krüger, § 269 BGB, Rn. 42. H., § 29a ZPO, Rn. 21. 88 MüKo ZPO/Patzina, § 32 ZPO, Rn. 20; Musielak/Voit/Heinrich, § 32 ZPO, Rn. 15. 87 Stein/Jonas/Roth,
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II. Klagen des Vermieters Der für Klagen des Vermieters am allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 12 ff. ZPO relevante Wohnsitz oder Sitz des Mieters befindet sich während der Dauer des Mietverhältnisses regelmäßig am Belegenheitsort der Mietsache; nach Ende des Mietverhältnisses ist dies nicht mehr zwingend gegeben. Auch wenn das Mietverhältnis nicht Wohn-, sondern Geschäftsräume zum Inhalt hätte, befände sich der Sitz nicht notwendigerweise am Belegenheitsort der gemieteten Räume. Der Leistungsort der Zahlungspflicht des Mieters für die Zuständigkeit nach § 29 ZPO ergibt sich nicht zwingend aus der Natur des Wohnraummietvertrages. Wenn die Parteien keinen besonderen Leistungsort vereinbart haben, bestimmt sich der Leistungsort der Pflichten des Mieters nicht notwendigerweise nach dem Leistungsort der Pflichten des Vermieters, sondern nach § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB, sodass sich der Erfüllungsort subsidiär am Wohnsitz des Schuldners bei Vertragsschluss befindet.89 Der Mietvertrag wird regelmäßig vor dem Wechsel des Wohnsitzes des Mieters in die gemieteten Räume geschlossen. Diese Zuständigkeit hätte daher oft für keine der Parteien einen Mehrwert, da sich keiner der Wohnsitze am Belegenheitsort der vermieteten oder verpachteten Räume befindet. Klagen des Vermieters gegen den Mieter aus unerlaubter Handlung gemäß § 32 ZPO könnten sich insbesondere aus Beschädigungen der Wohnung ergeben – auch hier läge der Begehungsort wiederum am Belegenheitsort der Sache.90 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Ohne die ausschließliche Zuständigkeitsregelung des § 29a ZPO, die Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO ausschließt, könnten die Parteien eines Mietvertrages über Räume in den Fällen der §§ 38 Abs. 1, 40 Abs. 1, Abs. 2 ZPO über die Zuständigkeit disponieren. Außerdem wäre ohne die ausschließliche Gerichtsstandsregelung des § 29a ZPO auch eine Begründung der Zuständigkeit durch rügeloses Einlassen gemäß § 39 ZPO denkbar.
89 RGZ 99, 257 (257 f.); RGZ 140, 67 (70); OLG Düsseldorf, OLGZ 1991, 489 (491); OLG Hamm, OLGZ 1991, 79 (80); Stein/Jonas/Roth, H., § 29 ZPO, Rn. 44; MüKo BGB/Krüger, § 269 BGB, Rn. 42; Musielak/Voit/Heinrich, § 29 ZPO, Rn. 30; a. A. Palandt/Grüneberg, § 269 BGB, Rn. 14. 90 MüKo ZPO/Patzina, § 32 ZPO, Rn. 20; Musielak/Voit/Heinrich, § 32 ZPO, Rn. 15.
§ 13 Ausschließlicher Gerichtsstand bei Miet- oder Pachträumen
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IV. Zwischenergebnis Ohne die ausschließliche Zuständigkeitsregelung in § 29a ZPO stünden für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume die allgemeinen und besonderen Gerichtsstände der ZPO zur Verfügung. Diese wären wohl in den meisten Fällen mit der Regelung des § 29a ZPO identisch.91 Auffällig ist, dass insbesondere die Zuständigkeit am Wohnsitz des beklagten Mieters nicht mit dem Belegenheitsort der Mietsache übereinstimmen muss; der Beklagtenschutz ist nicht zwingend. Ebenfalls ausgeschlossen aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit sind die sowieso beschränkten Möglichkeiten zu Gerichtsstandsvereinbarung und rügeloser Einlassung. D. Zweck des § 29a ZPO I. Zweckmäßigkeit der Ortsnähe Hinter § 29a ZPO werden zunächst Zweckmäßigkeitserwägungen vermutet. Sein Ziel ist, für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume einen sachgerechten Gerichtsstand zu bestimmen.92 Die räumliche Nähe des zuständigen Gerichts zum Belegenheitsort der Räume erleichtert die Beweiserhebung.93 Außerdem ist das nächstgelegene Gericht am ehesten mit den örtlichen Verhältnissen auf dem Miet- und Pachtmarkt und anderen lokalen Umständen vertraut.94 Gerade bei Mietverhältnissen über Räume sind tatsächliche Kenntnisse über die örtliche Lage kaum zu ersetzen. Sie ermöglichen eine zügige Prozessführung und geben den Parteien früher Rechtssicherheit. II. Schutz des Mieters Neben diesen prozessökonomischen Praktikabilitätserwägungen wird dem Gerichtsstand des § 29a ZPO auch ein sozialer Zweck zugesprochen. Der Prozess soll zugunsten des sozial schwächeren Wohnraummieters möglichst nah an dessen Wohnort geführt werden.95 Das soziale Mietrecht habe 91 Zu diesem Ergebnis kommt für die Streitigkeiten, die gemäß § 29a Abs. 2 ZPO vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, auch Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen, S. 81. 92 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates – Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT‑Drucks. 12/3832 (38). 93 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, § 29a ZPO, Rn. 1; Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011, S. 16 f. 94 Kleinknecht, Die verbraucherschützenden Gerichtsstände im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht, 2007, S. 16. 95 MüKo ZPO/Patzina, § 29a ZPO, Rn. 2.
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zwar seine Grundlage im bürgerlichen Recht, es entfalte aber dennoch Ausstrahlungswirkung auf das Prozessrecht. Wenn die Rechtsdurchsetzung erschwert würde, hätte der materiellrechtliche Schutz für den Mieter keinen Wert.96 Diese Schutzrichtung wurde insbesondere bei der ursprünglichen Einführung von § 29a ZPO 1967 betont.97 III. Veränderung des Schutzzwecks Die Neufassung des § 29a ZPO 1993 durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz rückte die leichtere Prozessführung, die Prozessökonomie und die vereinfachte Rechtsverfolgung in den Vordergrund. Das räumlich nächstgelegene Gericht hat die besten Kenntnisse über die örtlichen Verhältnisse und durch die Ortsnähe werden Beweisaufnahme und Feststellung örtlicher Vergleichsmieten erleichtert.98 In den Anwendungsbereich von § 29a ZPO fallen seitdem auch gewerbliche Mietverhältnisse über Räume und Pachtverhältnisse. Ginge man von einem sozialen Zweck aus, so würden auch gewerbliche Raummieter und -pächter als schwächere Parteien durch den Gerichtsstand geschützt. Ein im weiteren Sinne verbraucherschützender Zweck wird daher § 29a ZPO in der Literatur zum Teil nicht mehr zugesprochen.99 Die ursprünglich von § 29a ZPO-1967 erfassten Streitigkeiten fallen auch heute noch in den Anwendungsbereich von § 29a ZPO; bei der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit für Klagen des Wohnraummieters hat sich in diesen Fällen im Ergebnis nichts verändert. Die besonderen Schutzerwägungen dem Wohnraummieter gegenüber scheinen aber nicht mehr ausschlaggebend zu sein. Der Mieter muss etwa auch am Belegenheitsort der Sache klagen, wenn er seinen Wohnsitz mittlerweile an einem anderen Ort hat, zum Beispiel, wenn es um Rückzahlungsansprüche nach der Beendigung des Mietverhältnisses geht. E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen Der gewerbliche Raummieter wird von den meisten schuldvertraglichen Regelungen zum Schutz des Wohnraummieters nicht erfasst und selbst bei den Regelungen, die auf ihn anwendbar sind, sind Abweichungen zu seinen Lasten möglich.100 Dies erinnert an die Gestaltung des Wohnraumietrechts 96 97
Roquette, Neues soziales Mietrecht, 1969, S. 110. Vergleiche oben § 13A. II, S. 114 ff. 98 Klug, Neue Regelungen im Bereich der Gerichtsstände der ZPO, 1998, S. 92 f.; MüKo ZPO/Patzina, § 29a ZPO, Rn. 2. 99 Vollkommer/Vollkommer, in: FS Geimer, 2002, S. 1367 (1378). 100 Lehmann-Richter, in: FS Derleder, 2015, S. 325 (330).
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bei Einführung des BGB, dessen Schutzregelungen dispositiv waren.101 Zugleich wird der gewerbliche Mieter aber in den Anwendungsbereich von § 29a ZPO miteinbezogen. § 29a Abs. 1 ZPO hat sich hier von den Wertungen des schuldvertraglichen Mieterschutzes verabschiedet, die im Wesentlichen nur den Wohnraummieter schützen. Die Privilegierung des gewerblichen Raummieters findet überwiegend keine Entsprechung im materiellen Zivilrecht. Der kasuistische Anwendungsbereich von § 29a ZPO-1967 nahm stärker Bezug auf die schuldvertraglichen Schutzregelungen zugunsten des Wohnraummieters. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass § 29a Abs. 2 ZPO – also die Ausnahme von § 29a Abs. 1 ZPO – immer noch auf schuldvertragliche Normen des BGB verweist. Genauso wie das materielle Mietrecht die Mietverhältnisse nach § 549 Abs. 2 BGB von Schutzvorschriften des sozialen Mietrechts ausnimmt, fallen sie auch nicht unter den Anwendungsbereich von § 29a ZPO. Damit sind bestimmte Wohnraummietverhältnisse aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen, ohne dass dasselbe für entsprechende Pachtverhältnisse oder gewerbliche Mietverhältnisse gilt. Bei den Mietverhältnissen nach § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB wohnt der Mieter zum Beispiel mit dem Vermieter in einer Wohnung, bei einer Klage gegen den Vermieter befindet sich sowohl der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Mieters als auch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß § 29 ZPO am Wohnort des Mieters; es besteht hier keine Notwendigkeit einer gesonderten Regelung. Die Fallgruppen von § 549 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB lassen sich aber auf gewerbliche Mietverträge oder Pachtverträge übertragen. Es ist durchaus vorstellbar, dass etwa Geschäftsräume nur zur vorübergehenden Nutzung überlassen werden. Geht man davon aus, dass es sich bei § 29a ZPO auch um eine Schutznorm zugunsten des gewerblichen Mieters oder des Pächters handelt, so wird er in diesen Fällen bessergestellt, er erfährt einen Schutz, der dem Wohnraummieter nicht zugutekommt. Zugleich verhilft § 29a Abs. 1 ZPO dem im materiellen Recht geschützten Wohnraummieter nicht immer zu einem für ihn günstigen Gerichtsstand. Dies ist nur der Fall, wenn der Mieter tatsächlich noch am Belegenheitsort der Räume wohnhaft ist, etwa bei einer Räumungsklage. Der Schutz der schwächeren Partei durch § 29a ZPO ist damit weniger zwingend als zufällig. Materiellrechtliche Wertungen scheinen hier zwar Einfluss auf das Prozessrecht genommen zu haben, in dieser Form haben sie sich jedoch weitestgehend verselbständigt und treten hinter den Praktikabilitätserwägungen zurück. 101 Staudinger/Emmerich, Vorbemerkungen zu § 535 BGB, Rn. 2. Vergleiche auch oben § 12A, S. 109 ff.
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F. Ergebnis Der Schutz des Wohnraumieters hat bei § 29a ZPO heute nur noch eine untergeordnete Funktion. Die besondere Zuständigkeitsregelung in § 29a ZPO führt überwiegend nicht die schuldvertraglichen Wertungen zum Schutz des Wohnraummieters fort. § 29a ZPO kann daher nicht als Übergriff der materiellrechtlichen Wertung des Mieterschutzes des BGB auf das Zivilprozessrecht gesehen werden. Er folgt vielmehr prozessökonomischen Erwägungen. § 29a ZPO ist daher kein Ausdruck einer Materialisierung des Zivilverfahrensrechts.
§ 14 Ausschließliche Zuständigkeit bei Miete und Pacht, Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO entspricht als Regelung der internationalen Zuständigkeit im Wesentlichen der örtlichen Zuständigkeits regelung in § 29a ZPO. Nach ihm sind für die Verfahren, die die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Ge richte des Belegenheitsortes der unbeweglichen Sache ausschließlich zuständig. A. Entwicklung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO Die Regelung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO fand sich zunächst in Art. 16 Nr. 1 lit. a) des EuGVÜ.102 Er bestimmte die ausschließliche internationale Zuständigkeit für Klagen über die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen. Diese lag bei den Gerichten des Staates, in denen die unbewegliche Sache belegen war. Bei Einführung der EuGVO wurde die Zuständigkeit für Mietverhältnisse über unbewegliche Sachen in Art. 22 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EuGVO verschoben. Dabei wurde die Ausschließlichkeit der internationalen Zuständigkeit für kurzfristige Mietverhältnisse, bei denen Mieter und Vermieter ihren Wohnsitz im selben Mitgliedsstaat haben, durch die Einführung von Art. 22 Nr. 1 S. 2 EuGVO gelockert.103 Dies war eine Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH, der auch Mietverhältnisse über Ferienwoh-
102 Übereinkommen
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ-1968), Abl. EU L 299 1972, 32 ff. 103 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325 (332).
§ 14 Ausschließliche Zuständigkeit bei Miete und Pacht
127
nungen aus Gründen der Rechtssicherheit in den Anwendungsbereich von Art. 16 Nr. 1 lit. a) EuGVÜ miteinbezogen hatte.104 B. Inhalt des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO I. Anwendungsbereich Mit Miete und Pacht werden Schuldverhältnisse vom eigentlich auf dingliche Rechte bezogenen Immobiliargerichtsstand erfasst.105 Wie bei allen Zuständigkeitsregelungen in Art. 24 Brüssel Ia-VO ist für die Bestimmung der Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO und der Zuständigkeit nur der Streitgegenstand entscheidend; auf die Anwendungsvoraussetzungen der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO kommt es nicht an.106 Auch ist es nicht notwendig, dass Berührungspunkte zu einem weiteren Mitgliedsstaat gegeben sind, es genügen rein nationale Sachverhalte oder solche mit einem Bezug zu einem Drittstaat.107 Als Ausnahme von den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen ist Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO eng auszulegen,108 da sonst die Rechtssicherheit gefährdet würde.109 1. Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen Der Begriff der unbeweglichen Sache bestimmt sich mittels Qualifikationsverweisung nach dem Recht des Staates, in dem sich die Immobilie befindet.110 Die Begriffe Miete und Pacht werden dagegen verordnungsautonom qualifiziert.111 Sie erfassen alle Gebrauchsüberlassungen einer Immobilie auf Zeit; sonstige Nutzungsverhältnisse sind ausgenommen.112 Die Gebrauchsüberlassung muss der tatsächliche, überwiegende Zweck des Vertrages sein.113
104
EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 19 ff.); Stein/Jonas/Wagner, Art. 22 EuGVO, Rn. 36. 105 Solomon, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 727 (739). 106 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 7. 107 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 9 f.; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO, Rn. 6. 108 Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 4. 109 EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 22 f.). 110 Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 12. 111 Hk ZPO/Dörner, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 10. 112 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 110; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 26. 113 Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 28.
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2. Erfasste Ansprüche und Klagearten Der Jenard-Bericht wollte reine Miet- und Pachtzahlungsklagen aus dem Anwendungsbereich der Vorgängernorm Art. 16 Nr. 1 lit. a) EuGVÜ ausnehmen. Diese Ansprüche könnten, anders als Streitigkeiten über Bestehen und Auslegung von gewerblichen und Wohnraummietverhältnissen, auch unabhängig von der unbeweglichen Sache betrachtet werden.114 Während der spätere Schlosser-Bericht die Frage nach der Anwendbarkeit auf reine Zahlungsklagen offenließ,115 hat sie der EuGH bejaht; solange sich eine Streitigkeit auf das Mietverhältnis bezieht, fällt sie in den Anwendungsbereich von Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO.116 Es spielt keine Rolle, auf welcher Rechtsgrundlage die Streitigkeit aus dem Mietverhältnis beruht, wenn sie Bezug auf die jeweiligen Pflichten des Mieters oder Vermieters aus dem Mietvertrag hat – auch deliktische Ansprüche sind erfasst.117 Es genügt nicht, wenn diese Beziehung zum Miet- oder Pachtverhältnis nur mittelbar ist, wie etwa bei entgangener Urlaubsfreude oder Reisekosten.118 Unerheblich ist die Art der Klage; die Zuständigkeit für Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen bestimmt sich gleichermaßen nach Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO.119 II. Rechtsfolge Die Gerichte des Staates, in dem sich die Immobilie befindet, sind ausschließlich für diese Klagen zuständig. Dabei regelt Art. 24 Brüssel Ia-VO nur die internationale Zuständigkeit, nicht die örtliche; diese richtet sich nach dem Prozessrecht des jeweiligen Mitgliedsstaates.120 Nicht ausschließlich ist der Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO ausnahmsweise für Verträge, bei denen die Miet- oder Pachtsache nur vorübergehend einer natürlichen Person zu Verfügung gestellt wurde, etwa bei der Vermietung einer Ferienwohnung: Haben die Parteien ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedsstaat, so können sie diesen als Gerichtsstand wählen.121 114 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (35); Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 120; Stein/Jonas/Wagner, Art. 22 EuGVO, Rn. 46. 115 Schlosser-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 71 (Nr. 164). 116 EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 29). 117 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 118; Stein/Jonas/Wagner, Art. 22 EuGVO, Rn. 45; Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 4. 118 EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 29). 119 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 122. 120 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 20; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 1. 121 Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 5.
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C. Zuständigkeit ohne Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO Ohne die ausschließliche Zuständigkeit in Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO würde sich die Zuständigkeit für Klagen aus Miet- oder Pachtverhältnissen über unbewegliche Sachen nach den allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten im ersten und zweiten Abschnitt der Brüssel Ia-VO richten. I. Klagen des Mieters Der Mieter müsste seine Klagen grundsätzlich am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, also in dem Staat, in dem der Vermieter seinen Wohnsitz hat, erheben. Zusätzlich stünden ihm gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO die Gerichte des Ortes, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen wäre, zur Verfügung. Die Zuständigkeit bestimmt mangels Dienstleistungs- oder Warenkaufvertrag gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO122 nicht die vertragscharakteristische Leistung, sondern der konkrete streitgegenständliche Anspruch;123 sein Erfüllungsort bestimmt sich nach dem auf den Vertrag anwendbaren nationalen Recht.124 Ginge man von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus, so befände sich der Erfüllungsort für die Überlassung der Mietsache am Belegenheitsort derselben.125 Der Deliktsgerichtsstand Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO käme nicht in Betracht, da seine Anwendbarkeit durch das Bestehen eines Vertrages ausgeschlossen wird.126 II. Klagen des Vermieters Der Vermieter müsste sich ebenfalls gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO an die Gerichte im Wohnsitzstaat des Mieters halten. Solange sich der Wohnsitz des Mieters in der Immobilie befindet, würde der Gerichtsstand mit dem des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO übereinstimmen. Alternativ stünde ihm der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO zur Verfügung. Richtet sich die Klage auf Zahlung der Miete, 122 Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 63; Musielak/Voit/Stadler, Art. 7 EuGVVO nF, Rn. 9. 123 EuGH, Urteil v. 06. 10. 1976 – 12/76 (Tessili) ECLI:EU:C:1976:133, Slg. 1976, 1474 (Rn. 13); ders., Urteil v. 06. 10. 1976 – 14/76 (De Bloos) ECLI:EU:C:1976:134, Slg. 1976, 1498 (Rn. 15 ff.); ders., Urteil v. 23. 04. 2009 – C-533/07 (Falco Privatstiftung) ECLI:EU: C:2009:257, Slg. I 2009, 3327 (Rn. 56); Linke/Hau, IZVR, Rn. 5.21 f. 124 EuGH, Urteil v. 06. 10. 1976 – 12/76 (Tessili) ECLI:EU:C:1976:133, Slg. 1976, 1474 (Rn. 15). 125 Vergleiche oben zur örtlichen Zuständigkeit ohne § 29a ZPO unter § 13C, S. 121 ff. 126 Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO, Rn. 123.
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so liegt der Erfüllungsort, wenn auf den Vertrag deutsches Sachrecht anwendbar ist, gemäß § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB grundsätzlich am Wohnsitz des Mieters bei Vertragsschluss.127 III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Die ausschließliche Zuständigkeit verbietet sämtliche Zuständigkeitsvereinbarungen. Ohne die Ausschließlichkeit wären unter den Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO Vereinbarungen entweder nur über die internationale oder auch über die örtliche Zuständigkeit zulässig, solange diese nicht nach der lex fori materiell nichtig wären. Auch die Möglichkeit der rügelosen Einlassung vor einem nicht zuständigen Gericht gemäß Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bestünde. IV. Änderungen in der Zuständigkeit Ohne die Zuständigkeitsregelung in Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO hätte der Mieter oder Pächter der unbeweglichen Sache bei Klagen gegen den Vermieter auch die Möglichkeit, den Vermieter gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO am Belegenheitsort der Mietsache zu verklagen. Der Vermieter müsste den Mieter entweder an seinem aktuellen Wohnsitz oder dem Wohnsitz bei Vertragsschluss verklagen – letzterer wäre in der Regel weder einer der Parteien günstig noch würde er über irgendeine Sachnähe verfügen. Gerichtsstandsvereinbarungen und rügelose Einlassung könnten grundsätzlich eine Zuständigkeit begründen. Die Parteien des Mietvertrages wären nicht an den Gerichtsstand am Belegenheitsort gebunden. D. Zweck des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO Die ausschließlichen Zuständigkeiten nach der Brüssel Ia-VO sollten insbesondere einer geordneten Rechtspflege, der Verringerung der Zuständigkeiten und der Konzentration bestimmter Streitigkeiten an einem Gericht dienen, daneben auch dem Schutz bestimmter Personenkreise.128 Die Behandlung von Mietsachen im Belegenheitsstaat der unbeweglichen Mietoder Pachtsache ist wie der Immobiliargerichtsstand kein Völkergewohnheitsrecht.129
127 Vergleiche
die entsprechenden Ausführungen zur örtlichen Zuständigkeit ohne § 29a ZPO bei § 13C. II, S. 122. 128 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (28). 129 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 2.
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I. Schutz von Souveränitätsinteressen Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes war die ausschließliche internationale Zuständigkeit für Streitigkeiten über unbewegliche Sachen in deren Belegenheitsstaat Ausdruck der Staats- und Gebietshoheit – ausländische Gerichte sollten keine Streitigkeiten über Grundstücke außerhalb ihres jeweiligen Hoheitsgebietes entscheiden.130 Zweck von Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO könnte daher unter anderem der Schutz der Hoheitsinteressen der Mitgliedsstaaten sein. Die Souveränität eines Staates wird allerdings nicht dadurch beeinträchtigt, dass ausländische Gerichte Entscheidungen über Rechte und Ansprüche an Grundstücken fällen, die sich in dessen Hoheitsgebiet befinden.131 Bei Klagen über schuldrechtliche Ansprüche aus Miet- oder Pachtsachen sind die hoheitlichen Interessen noch weniger gefährdet als bei Entscheidungen über absolute dingliche Rechte nach Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 Brüssel Ia-VO.132 II. Sach- und Beweisnähe Die Tatsachen, auf deren Grundlage das gerichtliche Urteil ergehen soll, können am leichtesten durch das Gericht ermittelt werden, in dessen Bezirk sich der räumliche Schwerpunkt des Tatbestandes befindet.133 Auch wenn die Möglichkeit besteht, grenzüberschreitende Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen, ist die unmittelbare Wahrnehmung unersetzlich.134 Grundlage aller ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 Brüssel Ia-VO ist das Prinzip einer ordnungsgemäßen Rechtspflege – zuständig sind hier immer die Gerichte, die Vorteile wegen unmittelbarer Kenntnis der Fakten oder leichterer Möglichkeiten der Beweiserhebung haben.135 Zwischen den jeweiligen Streitgegenständen und dem zuständigen Mitgliedsstaat besteht eine besonders enge Verbindung.136 Vorteil der ausschließlichen Zuständigkeit am Belegenheitsort der Mietsache ist die besondere Beweisnähe der dortigen Gerichte.137 Durch die räumliche Nähe lassen sich die tatsächlichen Gegebenheiten des Miet- oder Pachtverhältnisses leichter ermitteln, die Umstände des Vertragsschlus130
RGZ 62, 165 (167); RGZ 102, 251 (253); RGZ 103, 274 (277).
131 Geimer, IZPR, Rn. 896 ff. 132 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, 133 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, S. 205 (212). 134 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, S. 205 (212). 135
Rn. 108.
Pontier/Burg, EU Principles, S. 197 f. Hein, Art. 22 EuGVO, Rn. 5; Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 1. 137 Stein/Jonas/Wagner, Art. 22 EuGVO, Rn. 1; Geimer, IZPR, Rn. 903; Musielak/ Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 2. 136 Kropholler/von
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ses leichter klären und die lokalen Gegebenheiten einfacher überprüfen.138 Dies erleichtert eine geordnete Rechtspflege, zudem ist der Aufwand für Sachverständigengutachten geringer.139 Insoweit entspricht die Zwecksetzung hinter Art. 24 Nr. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO der der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 29a ZPO. III. Rechtsnähe Ein weiteres Argument für die ausschließliche internationale Zuständigkeit im Belegenheitsstaat der vermieteten oder verpachteten Immobilie ist, so insbesondere der EuGH, die Rechtsnähe des zuständigen Gerichts.140 Die Vorschriften des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts sind aufeinander abgestimmt und ergänzen einander.141 Durch übereinstimmende Anknüpfungsmomente im Kollisionsrecht und im Recht der internationalen Zuständigkeit kann dies erreicht werden.142 Gerade im Mietrecht existiert eine Vielzahl zwingender schuldvertraglicher Sondervorschriften zur Regelung des Mietverhältnisses, die meist kompliziert gestaltet sind.143 Die Gerichte sind aufgrund besserer Kenntnis bei der Anwendung ihres nationalen Miet- oder Pachtrechts im Vorteil.144 Der Prozess wird grundsätzlich schneller beendet, wenn das Gericht kein fremdes Recht anwenden muss. Der Richter hat schon Schwierigkeiten bei der Ermittlung des fremden Rechts und benötigt regelmäßig Hilfe.145 Zweck von Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO ist es, den Richter vor der Auseinandersetzung mit fremden Rechtsordnungen zu schützen.146 Als Begründung für eine ausschließliche internationale Zuständigkeit genügt dies jedoch nicht. Schon die Existenz des Internationalen Privat138
EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 20); Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011, S. 16 f.; Schack, IZVR, Rn. 231. 139 Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 26. 140 Vergleiche insbesondere EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 19). 141 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, S. 205 (210). 142 Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011, S. 17; Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 55. 143 EuGH, Urteil v. 14. 12. 1977 – 73/77 (Sanders) ECLI:EU:C:1977:208, Slg. 1977, 2383 (Rn. 14); Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (35); EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 19); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO, Rn. 23; Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 4. 144 EuGH, Urteil v. 14. 12. 1977 – 73/77 (Sanders) ECLI:EU:C:1977:208, Slg. 1977, 2383 (Rn. 14); Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (35); EuGH, Urteil v. 15. 01. 1985 – 241/83 (Rösler) ECLI:EU:C:1985:6, Slg. 1985, 109 (Rn. 19); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO, Rn. 23; Musielak/Voit/Stadler, Art. 24 EuGVVO nF, Rn. 4. 145 Heldrich, in: FS Ficker, 1967, S. 205 (210); Schack, IZVR, Rn. 232. 146 Trenk-Hinterberger, ZMR 1978, 165 (166).
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rechts und die „international[e] Fungibilität der Gerichte“147 zeigen, dass Gerichte auch ausländisches Recht anwenden können und müssen.148 Die Schwierigkeit einer bestimmten Rechtsmaterie ist immer relativ zu bewerten und hängt im Einzelfall eher von subjektiven Bewertungen ab.149 Die Regelungen des anwendbaren Sachrechts nach der Rom-I‑VO führen nicht zwingend zu einem Gleichlauf von anwendbarem Sachrecht und internationaler Zuständigkeit. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I‑VO legt zwar fest, dass bei Mietverhältnissen über unbewegliche Sachen das Recht des Belegenheitsstaates anwendbar ist.150 Anders als die ausschließliche Zuständigkeit der Brüssel Ia-VO ist die Regelung des internationalen Privatrechts nicht zwingend: Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I‑VO greift nur ein, wenn nach Art. 3 Abs. 1 Rom I‑VO keine Rechtswahl getroffen wurde.151 Die Parteien können das anwendbare Recht frei wählen.152 Damit sind Abweichungen kraft Vereinbarung uneingeschränkt möglich. Entgegen der Argumentation des EuGH ist schon im europäischen System kein Gleichlauf von Mietrechtsstatut und internationaler Zuständigkeit gegeben. IV. Schutz des Mieters In vielen Fällen wohnt der Mieter in der unbeweglichen Sache und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat, in dem sich die Mietsache befindet.153 Dann sind die Gerichte des Aufenthaltsstaates des Mieters international zuständig, ihm steht ein Klägergerichtsstand zur Verfügung. Der EuGH stellte die Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen 1982 auf eine Ebene mit den Zuständigkeiten aus Versicherungsund Teilzahlungsverträgen.154 Diese Regelungen würden verdeutlichen, dass auch im Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeit die sozial schwächere Partei zu schützen sei.155 Die Rechtsnähe der örtlichen Gerichte kann auch gewährleisten, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften zum Schutz des Mieters wirksam durchgesetzt werden.156 147 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 106. 148 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 105 f. 149 Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVO, Rn. 106; 150 Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 65.
ders., IZPR, Rn. 887.
151 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 55; Rauscher/Thorn, Art. 4 Rom I‑VO,
Rn. 1.
152 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rom I‑VO, Rn. 55. Vergleiche auch oben § 12B, S. 112 f. 153 Solomon, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 727 (742). 154 EuGH, Urteil v. 26. 05. 1982 – 133/81 (Ivenel) ECLI:EU:C:1982:199,
Slg. 1982, 1891 (Rn. 16). 155 EuGH, Urteil v. 26. 05. 1982 – 133/81 (Ivenel) ECLI:EU:C:1982:199, Slg. 1982, 1891 (Rn. 16). 156 Solomon, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 727 (742); Stein/Jonas/Wagner, Art. 22 EuGVO, Rn. 31; Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 26.
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E. Sachnähe als Wertung des Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO Bei Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO steht der möglichst reibungslose Ablauf des Verfahrens im Vordergrund. Beweis- und Rechtsnähe ermöglichen eine schnellere Erledigung der Rechtssache. Durch die Anwendung des eigenen nationalen Rechts sind die Gerichte mit der Durchsetzung der mietrechtlichen Schutzvorschriften betraut, die sich mit diesen am besten auskennen. Allerdings ist dies eher eine reflexhafte Folge der Rechtsund Sachnähe. Die Brüssel Ia-VO nimmt hier nicht auf materiellrechtliche Schutzvorschriften zum Schutz des (Wohnraum-)Mieters Rücksicht, vielmehr will sie allgemein die Anwendung der nationalen mietrechtlichen Vorschriften sicherstellen.157 Genauso verhält es sich mit der Tatsache, dass Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO wohl im Regelfall einen Klägergerichtsstand für den Mieter begründet. Der Schutz des Mieters durch die Regelung wurde zwar in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt.158 Dieser ist jedoch nicht der ausschlaggebende Zweck hinter Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO, vielmehr steht dahinter das Prinzip der ordnungsgemäßen Rechtspflege.159 Durch die Zuständigkeitsregelung soll nicht dem Mieter entgegengekommen werden; die räumliche Nähe zur unbeweglichen Miet- oder Pachtsache erleichtert die Beweisaufnahme und die Prozessführung an sich. Diese Überlegung wird dadurch unterstützt, dass bei der Anwendung von Art. 24 Brüssel Ia-VO an sich nicht auf die Wohnsitze oder gewöhnlichen Aufenthalte von Mieter und Vermieter abgestellt wird. Befinden sich beide außerhalb des Belegenheitsstaates der Mietsache, so kommt, mit Ausnahme von Art. 24 Nr. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO, gleichwohl der ausschließliche Gerichtsstand zur Anwendung. Sie haben keine Möglichkeiten, etwa zum Vorteil des Mieters von dieser Zuständigkeitsregelung abzuweichen. F. Ergebnis Die Wertungen hinter Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO sind daher nur die Sach- und Beweisnähe. Bei diesen handelt es sich um eindeutig prozessuale Erwägungen. Wertungen des Schuldvertragsrechts und des europäischen internationalen Privatrechts der Rom I‑VO – sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene – setzen sich nur in Einzelfällen als Reflex durch. Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO ist kein Beispiel für die Einflussnahme schuldvertraglicher Wertungen auf das Zivilverfahrensrecht. 157 158
Vergleiche soeben § 14D, S. 130 ff. EuGH, Urteil v. 26. 05. 1982 – 133/81 (Ivenel) ECLI:EU:C:1982:199, Slg. 1982, 1891 (Rn. 16). 159 Pontier/Burg, EU Principles, S. 124, Fn. 30.
§ 15 Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen, § 308a ZPO
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§ 15 Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen, § 308a ZPO Die speziellen prozessualen Regelungen für Wohnraummietverhältnisse im Erkenntnisverfahren beschränken sich jedoch nicht auf Zuständigkeitsregelungen. Gemäß § 308a ZPO muss das erkennende Gericht, wenn der Wohnraummieter nach §§ 574 ff. BGB einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen unzumutbarer Härte hat, auch ohne Antrag aussprechen, wie lange und zu welchen Bedingungen der Mietvertrag fortgesetzt wird. A. Entwicklung des § 308a ZPO § 308a ZPO kam 1964 durch das 2. Mietrechtsänderungsgesetz160 in die ZPO. Begründet wurde die Schaffung der Norm mit der Notwendigkeit, den Parteien Klarheit über Dauer und Inhalt der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verschaffen; der Rechtsfrieden sollte gewahrt werden.161 Das Parlament entschied sich damit gegen die Empfehlungen seines Rechtsausschusses, den Ausspruch nur auf Antrag vorzunehmen.162 Anlässlich der Mietrechtsreform 2001 musste die Regelung in § 308a ZPO – genauso wie § 29a ZPO – an die geänderte Nummerierung der mietrechtlichen Regelungen im BGB angepasst werden.163 Inhaltliche Änderungen wurden im Zuge der Mietrechtsreform nicht vorgenommen.164 B. Inhalt des § 308a ZPO Als Sondervorschrift und Ausnahme vom Antragsgrundsatz nach § 308 ZPO ist § 308a ZPO eng auszulegen.165 Voraussetzung seiner Anwendung ist, dass der Vermieter gegen den Mieter eine Räumungsklage erhoben hat, diese wegen eines zulässigen Fortsetzungsverlangens des Mietverhältnisses durch den Mieter nach § 308a ZPO unbegründet ist und der Mieter gegen die Kündigung Widerspruch entweder form- und fristgerecht er160 Zweites
457 ff.
Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BGBl. Teil I 1964,
161 Vgl. Begründung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 4/806 (13). 162 Zweiter Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften, BT‑Drucks. 4/2195 (9). 163 Musielak/Voit/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1. 164 Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz), BT‑Drucks. 14/4553 (77); Wieczorek/Schütze/ Rensen, § 308a ZPO, Rn. 3; Musielak/Voit/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1. 165 BLAH/Hartmann, § 308a ZPO, Rn. 1.
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hoben hat oder die Klage vor Ablauf der Widerspruchsfrist spruchreif ist.166 Die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen müssen die Parteien vortragen, sie werden nicht von Amts wegen ermittelt.167 Das Gericht muss dann im Tenor bestimmen, für welche Dauer und mit welchen Änderungen der Mietvertrag fortgesetzt wird.168 Ein entsprechender Antrag des Mieters ist nicht notwendig. C. Regelung ohne § 308a ZPO Ohne die Regelung des § 308a ZPO würde das Gericht nur aufgrund eines entsprechenden Antrags über die Dauer der Fortsetzung und mögliche Änderungen der Vertragsbedingungen entscheiden. Bei einer Klage des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses hätte dies zur Folge, dass dieser im Rahmen des bestimmten Klageantrages gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Bedingungen der Fortsetzung angeben müsste, um eine entsprechende vollstreckbare Entscheidung herbeizuführen.169 Richtet sich der Antrag nur auf das „ob“ der Fortsetzung des Mietverhältnisses, erfolgt keine Entscheidung über das „wie“. Genauso verhält es sich bei einer Räumungsklage des Vermieters. Würde er nur die Räumung der Wohnung durch den Mieter beantragen, erginge grundsätzlich keine Entscheidung über die Umstände der Fortsetzung des Wohnraummietverhältnisses. Ohne die Regelung in § 308a ZPO müssten Mieter oder Vermieter die Umstände der Fortsetzung in ihre Anträge miteinbeziehen, um eine entsprechende Entscheidung herbeizuführen. Die dabei anzustellenden Abwägungen würden das Risiko eines teilweisen Prozessverlustes bergen. Würde kein entsprechender Antrag gestellt, erginge aufgrund der Bindung an den Antrag nach § 308 ZPO auch kein entsprechendes Urteil. Gegebenenfalls müsste der Vermieter so lange auf Räumung klagen, bis die besondere Härte wegfiele. D. Zweck des § 308a ZPO Ziel des § 308a ZPO ist, Rechtsfrieden und Rechtsicherheit zwischen den Parteien des Mietverhältnisses herzustellen.170 Ist die Klage auf Räumung 166 Hk
ZPO/Saenger, § 308a ZPO, Rn. 2; Stein/Jonas/Althammer, § 308a ZPO, Rn. 3 f.; Zöller/Feskorn, § 308a ZPO, Rn. 2. 167 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 12; Stein/Jonas/Althammer, § 308a ZPO, Rn. 2. 168 Zöller/Feskorn, § 308a ZPO, Rn. 3. 169 MüKo ZPO/Becker-Eberhard, § 253 ZPO, Rn. 90; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 96 Rn. 27 ff. 170 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 2; Hk ZPO/Saenger, § 308a ZPO, Rn. 1.
§ 15 Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen, § 308a ZPO
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der Wohnung aufgrund eines Anspruchs des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen besonderer Härte unbegründet, soll den Parteien anstelle der bloßen Abweisung und der Feststellung, dass das Mietverhältnis an sich fortgesetzt werden soll, Klarheit über die Dauer und die konkreten Umstände gegeben werden.171 Diese Klarstellung könnte sonst nur durch einen entsprechenden Antrag einer der Parteien erreicht werden, in dem diese eine bestimmte Dauer und die Umstände der Fortsetzung vorgeben müsste. Durch den Ausspruch ohne Antrag sollen insbesondere die Rechte des Mieters effektiv durchgesetzt werden.172 Über den Räumungsprozess hinaus sollen weitere Streitigkeiten und weitere Prozesse vermieden werden.173 E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen § 308a ZPO nimmt mit dem Verweis auf die §§ 574 ff. BGB unmittelbar Bezug auf Vorschriften des materiellen Zivilrechts, die mit dem Wohnraummieter eine bestimmte Personengruppe besonders schützen. Fraglich ist, inwiefern diese Schutzwertungen auf das Zivilprozessrecht durchschlagen. I. Ausnahme vom Dispositionsgrundsatz Grundsätzlich verfügen im Prozess die Parteien über den Streitgegenstand. § 308a ZPO macht eine Ausnahme vom Antragsgrundsatz des § 308 ZPO und durchbricht die Dispositionsmaxime.174 Deutlich wird dies auch durch die systematische Stellung von § 308a ZPO.175 Die Parteiherrschaft als prozessuale Fortsetzung der Privatautonomie im materiellen bürgerlichen Recht wird eingeschränkt, um den Rechtsfrieden im Zusammenhang mit dem sozial besonders bedeutsamen Mieterschutz bei §§ 574 ff. BGB zu bewahren.176 Das Gericht muss die Details der Fortsetzung des Mietverhältnisses von Amts wegen aussprechen. Die Tatsachen, die dieser Fortsetzung zugrunde liegen, hat es allerdings nicht von sich aus zu ermitteln; § 308a ZPO stellt keine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz dar.177 Neben Rechts171 AK‑ZPO/Fenge, § 308a ZPO, Rn. 2; MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/ders., § 308a ZPO, Rn. 1. 172 Stein/Jonas/Althammer, § 308a ZPO, Rn. 1. 173 Stein/Jonas/Althammer, § 308a ZPO, Rn. 1. 174 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 1; Hk ZPO/Saenger, § 308a ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1. 175 Thomas, NJW 1964, 1945 (1945). 176 BLAH/Hartmann, § 308a ZPO, Rn. 2. 177 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 12; Stein/Jonas/Althammer, § 308a ZPO, Rn. 2.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
frieden und Rechtsklarheit soll § 308a ZPO insbesondere die Interessen des Wohnraummieters schützen.178 Das Mietverhältnis darf daher nicht gegen den Willen des Mieters fortgesetzt werden.179 Stimmen die Parteien darin überein, dass das Mietverhältnis beendet werden soll, hat dies Vorrang – das Gericht darf dem Mieter hier nicht mehr zusprechen, als er verlangt.180 Das Gericht muss daher den Willen des Mieters mithilfe seines Fragerechtes nach § 139 ZPO ermitteln.181 Das Gericht kann nicht nur nach seiner eigenen objektiven Vorstellung über eine angemessene Fortsetzung des Mietverhältnisses eine Entscheidung treffen, sondern es muss den Willen der Parteien berücksichtigen. Es handelt sich um eine von der Privatautonomie der Parteien begrenzte Ausnahme vom Dispositionsgrundsatz. § 308a ZPO ist keine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz. II. Kein Teil des Streitgegenstandes Da der Antrag auf Fortsetzung des Mietverhältnisses für eine bestimmte Dauer unter bestimmten Umständen weder in der Klage noch in der Widerklage enthalten ist, ist er nicht Teil des Streitgegenstandes geworden.182 Die Entscheidung des Gerichts entfaltet damit Gestaltungswirkung, ohne dass der Fortsetzungsanspruch als Gestaltungsrecht Teil des Streitgegenstandes geworden wäre.183 III. Durchschlagen schuldvertraglicher Wertungen Die sogenannte Sozialklausel der §§ 574 ff. BGB ist eine Regelung zugunsten des Mieters. Der Vermieter wird gezwungen, den Vertrag mit dem Mieter fortzusetzen, wenn diesem die Kündigung wegen der besonderen sozialen Härte nicht zuzumuten ist; die Privatautonomie des Vermieters wird hier zum Schutz der Belange des Mieters ausgehebelt.184 Dieser Schutz wird durch § 308a ZPO im Zivilprozess fortgesetzt. Der Anspruch des Mieters auf Fortsetzung soll nicht daran scheitern, dass er seinen Anspruch nicht formell ordnungsgemäß geltend macht; er müsste dann in seinem Wider178
Vergleiche soeben § 15D, S. 136 f. § 308a ZPO, Rn. 9; MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 3. 180 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 9; MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 3. 181 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 9; MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 3. 182 Thomas, NJW 1964, 1945 (1945). 183 Thomas, NJW 1964, 1945 (1945). 184 Vergleiche oben § 12A, S. 109 ff. 179 Wieczorek/Schütze/Rensen,
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klageantrag die angemessene Dauer und die angemessenen Umstände angeben.185 § 308a ZPO wird daher als eine Ausprägung des sozialen Zivilprozesses bezeichnet.186 Diese soll sicherstellen, dass sich die Erwägungen, die dem materiellen Mietrecht zugrunde liegen, durchsetzen.187 Es handelt sich bei § 308a ZPO um eine sozialstaatliche Norm im Zivilprozess, die garantieren soll, dass das materielle Recht tatsächlich angewendet wird.188 F. Ergebnis In § 308a ZPO wird zugunsten der materiellrechtlichen Wertung des Schutzes des Wohnraummieters von der zivilprozessualen Dispositionsmaxime abgewichen. § 308a ZPO ist damit ein typisches Beispiel für eine Materialisierung des Zivilverfahrensrechts.
185 Wieczorek/Schütze/Rensen, § 308a ZPO, Rn. 2; Hk ZPO/Saenger, § 308a ZPO, Rn. 1; Zöller/Feskorn, § 308a ZPO, Rn. 1. 186 MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/ders., § 308a ZPO, Rn. 1. 187 MüKo ZPO/Musielak, § 308a ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/ders., § 308a ZPO, Rn. 1. 188 Stein/Jonas/Schumann, 20. Aufl. 1984, Einleitung, Rn. 521, 523.
Kapitel 4
Versicherungsvertrag § 16 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Versicherungsnehmers Der Versicherungsvertrag hat den Zweck, persönliche wirtschaftliche Risiken einzelner Personen auf den Versicherer zu übertragen.1 Im Gegenzug für die Zahlung von Versicherungsprämien wird die wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers bei Eintritt des Versicherungsfalls durch die Leistung des Versicherers geschützt.2 A. Schutz des Versicherungsnehmers im VVG Die schuldvertraglichen und verfahrensrechtlichen Regelungen des Versicherungsvertrags im deutschen Recht finden sich nicht in BGB und ZPO, sondern im Versicherungsvertragsgesetz, dessen Regelungen teilweise auf europarechtlichen Vorgaben beruhen. Im europäischen Internationalen Privatrecht der Rom I‑VO und dem entsprechenden Prozessrecht der Brüssel Ia-VO finden sich ebenfalls Regelungen mit Bezug zu Versicherungsverträgen. I. Entwicklung des VVG Nach der Reichsgründung wurde das Versicherungsvertragsrecht zunächst nicht geregelt, vielmehr wurde zunächst das Versicherungsaufsichtsrecht in Angriff genommen.3 Damals wollte der Gesetzgeber das Versicherungsvertragsrecht aufgrund seiner eigenen Dynamik nicht in das BGB integrieren.4 Während zunächst eine Regelung im Handelsrecht angedacht gewesen war,5
1 Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 7; Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 8. 2 Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 7; Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 8. 3 Koch, VersW 2008, 900 (902). 4 MüKo VVG/Lorenz, E., Einleitung, Rn. 3. 5 BK VVG/Dörner, Einleitung, Rn. 3.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
wurde dieser besondere schuldrechtliche Vertrag letztendlich spezialgesetzlich geregelt.6 Das VVG trat am 1. Januar 1910 in Kraft.7 1. Einführung 1908 Ziel der Einführung des VVG war, Rahmenbedingungen für Versicherungsverträge zu schaffen und so auch bestehende allgemeine Versicherungsbedingungen zu ergänzen und zu korrigieren; lange vor einer Regelung im allgemeinen Zivilrecht wurden hier Kontrollmöglichkeiten für allgemeine Geschäftsbedingungen geschaffen.8 Zum Schutz des Versicherungsnehmers wurde die Vertragsfreiheit durch zwingende und halbzwingende Normen für die damalige Zeit ungewöhnlich stark eingeschränkt, insbesondere wurden die verbreiteten Verwirkungsbestimmungen abgemildert.9 Vor Verabschiedung des VVG wurde kontrovers diskutiert, ob eine privatrechtliche Kontrolle neben der Versicherungsaufsicht überhaupt notwendig sei und ob dementsprechend die Vertragsfreiheit überhaupt eingeschränkt werden müsse.10 Nach seinem Inkrafttreten blieb das Versicherungsvertragsgesetz lange in den wesentlichen Teilen unverändert – die Einflüsse des sogenannten sozialen Privatrechts verwirklichten sich durch Sondergesetze zum Schutz des Verbrauchers oder durch die Rechtsprechung.11 In das VVG wurden weitere zwingende und halbzwingende Vorschriften eingefügt.12 2. Europarechtliche Einflüsse auf das VVG Der Einfluss des europäischen Gesetzgebers auf das Versicherungsrecht im Allgemeinen beschränkte sich zunächst auf das Versicherungsaufsichtsrecht.13 Zwischen 1973 und 1992 wurden zur Verwirklichung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und des Binnenmarktes mehrere Richtlinien erlassen.14 Das Versicherungsvertragsrecht war nicht unmittelbarer Schwerpunkt dieser Reformen; Einfluss hierauf nahmen insbesondere auch Richtlinien, deren Hauptzweck der Schutz des Verbrauchers war.15 Zur Umsetzung der Richtlinie 2002/65/EG über den Verbraucherschutz 6 Bruck/Möller/Beckmann,
Einf. A, Rn. 9. Gesetz über den Versicherungsvertrag, RGBl. 1908, 263 ff. Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 163. 9 Raiser, ZVersWiss 1978, 375 (376); MüKo VVG/Lorenz, E., Einleitung, Rn. 4. 10 Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 46 f. 11 BK VVG/Dörner, Einleitung, Rn. 6. 12 Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 163. 13 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich, § 2 VVG, Rn. 23. 14 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich, § 2 VVG, Rn. 23. 15 Looschelders/Pohlmann/Loacker/Perner, Einl. C, Rn. 33. 7 8
§ 16 Schuld- und kollisionsrechtlicher Schutz des Versicherungsnehmers
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bei Finanzdienstleistungen16 wurden im Jahr 2004 Regelungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen mit Verbrauchern im Fernabsatz in das Versicherungsvertragsgesetz eingeführt, insbesondere das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers in § 42e VVG a. F.17 Die Richtlinie 2002/65/EG wollte den Binnenmarkt verwirklichen und den Verbrauchern ein breites Angebot an Finanzdienstleistungen zu Verfügung stellen, bei denen sie auf hohem Niveau geschützt werden sollten.18 2006 kamen durch die Umsetzung19 der Vermittlerrichtlinie20 Pflichten des Versicherungsvermittlers zur Information und Beratung hinzu.21 Die Vermittlerrichtlinie verfolgte unter anderem den Zweck, dem Versicherungsvermittler den Zugang zum Binnenmarkt zu öffnen; zugleich wollte sie den Verbraucher schützen, indem sie den Versicherungsvermittler zu Aufklärung und Information verpflichtete.22 3. VVG‑Reform 2008 Da das VVG insgesamt in den ersten neunzig Jahren seiner Geltung nicht wesentlich verändert wurde, wurde seit den neunziger Jahren kritisiert, dass das VVG insgesamt nicht mehr den rechtspolitischen und rechtstatsächlichen Entwicklungen entspreche, 23 insbesondere nicht den Bedürfnissen eines modernen Verbraucherschutzes.24 Durch die Reform des VVG sollte die Stellung des Versicherungsnehmers in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Verbraucherschutzes gestärkt werden.25 Dies geschah unter anderem durch die Schaffung von Informations- und Beratungspflichten für den Versicherer (§§ 6 f. VVG) und durch die Einführung eines allgemeinen Widerrufsrechts (§§ 8 f. VVG).26
16 Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (Fernabsatzrichtlinie II), Abl. EG L 271 2002, 16 ff. 17 Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 57. 18 Vgl. Erwgr. 1 ff. RL 2002/65/EG; Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich, § 2 VVG, Rn. 104. 19 Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, BGBl. Teil I 2006, 3232 ff. 20 Richtlinie 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung, Abl. EG L 9 2003, 3 ff. 21 Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 58. 22 Vgl. Erwgr. 7 f., 18 RL 2002/92/EG. 23 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (47); Bruck/Möller/Beckmann, Einf. A, Rn. 2. 24 Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 14. 25 Looschelders/Pohlmann/Looschelders, Einl. A, Rn. 25. 26 Looschelders/Pohlmann/Looschelders, Einl. A, Rn. 25.
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
4. Umsetzung der Versicherungsvertriebsrichtlinie 2016/97/EU Jüngste Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht ist die am 23. Februar 2018 in Kraft getretene Umsetzung27 der Versicherungsvertriebsrichtlinie 2016/97/EU28, welche die bisherige Vermittlerrichtlinie 2002/92/EU ersetzt hat. Die durch sie hinzukommenden §§ 1a, 6a, 7a ff. VVG setzen dabei weitere Vorgaben der Richtlinie zur Beratung und Information um. 29 Ziel dieser Richtlinie ist ebenfalls die Verbesserung des Verbraucherschutzes.30 Die Richtlinie 2016/97/EU erweitert mit Art. 1 Nr. 1 den Anwendungsbereich von Vermittlern auf weitere Versicherungsvertreibende, wie etwa den Versicherer selbst, was jedoch bereits teilweise der deutschen Regelung entspricht.31 Hinzu kommt zum Beispiel die Verpflichtung des Versicherungsvertreibenden gemäß Art. 17 Abs. 1 RL 2016/97/EU, im Interesse des Versicherungsnehmers zu handeln.32 Die Richtlinie 2002/92/EG ist gemäß Art. 43 f. RL 2016/97/EU zum 23. Februar 2018 außer Kraft getreten. II. Einschränkungen der Vertragsfreiheit Die Inhaltsfreiheit als Teil der Privatautonomie wird im VVG zugunsten des Versicherungsnehmers durch verschiedene zwingende und halbzwingende Vorschriften eingeschränkt. Hierzu gehören unter anderem die Pflichten des Versicherers zur Beratung des Versicherungsnehmers in § 6 VVG, die Informationspflichten in § 7 VVG und das Widerrufsrecht gemäß §§ 8 f. VVG. Korrespondierende Beratungs- und Informationspflichten für Versicherungsvermittler – gemäß § 59 Abs. 1 VVG handelt es sich hierbei um Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler – finden sich in §§ 60 f. VVG. 1. Beratung des Versicherungsnehmers, §§ 6, 61 f. VVG § 6 VVG verpflichtet den Versicherer, den Versicherungsnehmer nach Anlass zu seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und dementspre27 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. Teil I 2017, 2789 ff. 28 Richtlinie 2016/97/EU über Versicherungsvertrieb (Neufassung), Abl. EU L 26 2016, 19 ff. 29 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, BR‑Drucks. 74/17 (26). 30 Vgl. Erwgr. 6 RL 2016/97/EU; Rüll, VuR 2017, 128 (128). 31 Rüll, VuR 2017, 128 (128, 130 f.); Werber, VersR 2017, 513 (513 f.). 32 Reiff/Köhne, VersR 2017, 649 (652).
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chend zu der Versicherung zu beraten. Vergleichbare Beratungspflichten treffen nach den §§ 61, 65 VVG den Versicherungsvermittler. Seit dem Inkrafttreten der Versicherungsvertriebsrichtlinie 2016/97/EU gibt es keine umfassende europäische Vorlage für die Regelung der §§ 6, 61 VVG mehr.33 Der frühere Art. 12 Abs. 3 RL 2002/92/EG, den § 61 VVG im Wesentlichen umgesetzt hat, hatte das Ziel, das Informationsgefälle zwischen Versicherungsvermittler und Verbraucher ausgleichen und letzterem das abstrakte Produkt der Versicherung zu veranschaulichen.34 Entgegen der ehemaligen Richtlinie 2002/92/EG wurde nicht nur der Versicherungsvermittler, sondern auch der Versicherer als Vertragspartner des Versicherungsnehmers zur Beratung verpflichtet.35 Die Versicherungsvertriebsrichtlinie gilt nun auch für Versicherungsunternehmen und den Direktvertrieb.36 Vor der Reform des VVG gab es keine entsprechende Verpflichtung des Versicherers; Aufklärungspflichten bestanden nur nach allgemeinen Regelungen vorvertraglicher Schuldverhältnisse.37 Der Versicherungsvermittler war seit Umsetzung der RL 2002/92/EG zur Beratung des Versicherungsnehmers verpflichtet.38 Die Reform des VVG sollte das Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer allgemein regeln; die jeweilige Vertriebsorganisation sollte keinen Einfluss auf die Beratungspflichten haben.39 2. Information des Versicherungsnehmers, §§ 7, 60 VVG Die Reform des VVG übertrug die Verbraucherinformationen aus § 10a VAG a. F. in § 7 VVG.40 Mit dieser Norm wurden Informationspflichten der Finanzdienstleistungs-Fernabsatzrichtlinie 2002/65/EG und der Richtlinie 2009/138/EG umgesetzt.41 Anders als die Versicherungsvertriebsrichtlinie 2016/65/EG regelt § 7 VVG die bedarfsunabhängige Information des Versicherungsnehmers in objektiv verständlicher Form, nicht die individuelle Beratung.42 Der Anwendungsbereich beschränkt sich allerdings – anders als ursprünglich von den Art. 3, 5 RL 2002/65/EG vorgegeben – nicht auf im 33 Prölss/Martin/Rudy,
§ 6 VVG, Rn. 1a.
34 Langheid/Rixecker/Rixecker, § 61 VVG, Rn. 1. 35 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 13;
Langheid/Rixecker/Rixecker, § 6 VVG, Rn. 1. 36 Prölss/Martin/Rudy, § 6 VVG, Rn. 1a. 37 Bruck/Möller/Schwintowski, § 6 VVG, Rn. 1. 38 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 6 VVG, Rn. 2. 39 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 290 f.; Bruck/Möller/Schwintowski, § 6 VVG, Rn. 2; Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 6 VVG, Rn. 1. 40 Bruck/Möller/Schwintowski, § 6 VVG, Rn. 2. 41 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 294. 42 Prölss/Martin/Rudy, § 7 VVG, Rn. 1.
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Fernabsatz abgeschlossene Versicherungsverträge.43 § 7 VVG ist damit im Anwendungsbereich der Richtlinien richtlinienkonform auszulegen, im Übrigen muss sich die Auslegung an den Richtlinien orientieren.44 Die Information soll den prospektiven Versicherungsnehmer in die Lage versetzen, eine rationale Entscheidung zu treffen und das Angebot mit Alternativen zu vergleichen.45 Dazu benötigt er Informationen über seinen Vertragspartner, den Inhalt des Vertrages und seine Rechte und Pflichten sowie seine Kosten.46 Im Anwendungsbereich der Richtlinien dient § 7 VVG der Marktintegration, zur Nutzung des Versicherungsbinnenmarktes ist der Verbraucher auf Informationen angewiesen, außerdem soll sein Vertrauen in den Fernabsatz gesteigert werden.47 Zusätzlich muss der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer gemäß § 60 VVG über die Informationsgrundlage seiner Beratung informieren. Dabei muss er offenlegen, für welche Versicherer er tätig ist. Dies diente auch der Umsetzung des ehemaligen Art. 12 Abs. 1, Abs. 2 RL 2002/92/ EG.48 Der Verbraucher rechnet regelmäßig mit einer objektiven und ausgewogenen Untersuchung des Versicherungsmarktes durch den Vermittler.49 Für ihn ist es von entscheidender Bedeutung, zu wissen, ob der Vermittler über die Produkte eines breiten Spektrums von Versicherern oder nur einzelner Versicherer informiert.50 3. Widerrufsrecht, §§ 8 f. VVG Schließlich wird dem Versicherungsnehmer in § 8 VVG ein umfassendes Widerrufsrecht eingeräumt, dessen Rechtsfolgen § 9 VVG festlegt. Das Widerrufsrecht besteht grundsätzlich bei allen Versicherungsverträgen. Der Anwendungsbereich ging damit auch hier über die Vorgaben des Art. 6 RL 2002/65/EG hinaus.51 Es kommt wieder nicht darauf an, ob der Vertrag im Fernabsatz geschlossen wurde oder ob der Versicherungsnehmer Verbraucher ist.52 Aufgrund der Komplexität und des abstrakten Charak-
43
VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 11 f.
44 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 7 VVG, Rn. 1. 45 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 7 VVG, Rn. 7.
46 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 7 VVG, Rn. 7. 47 Looschelders/Pohlmann/Pohlmann, § 7 VVG, Rn. 6. 48 Langheid/Rixecker/Rixecker, 49 Langheid/Rixecker/Rixecker,
§ 60 VVG, Rn. 2. § 60 VVG, Rn. 2. 50 So schon Erwgr. 18 RL 2002/92/EG. 51 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 297; Looschelders/Pohlmann/Heinig/ Makowski, § 8 VVG, Rn. 5. 52 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 297; Looschelders/Pohlmann/Heinig/ Makowski, § 8 VVG, Rn. 3; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 9 VVG, Rn. 6.
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ters des Versicherungsvertrags soll der Versicherungsnehmer die Möglichkeit haben, ihn nachträglich noch zu überdenken.53 4. Ausnahmen, § 210 VVG Ausgenommen von den zwingenden und halbzwingenden Regelungen zugunsten des Versicherungsnehmers sind gemäß § 210 VVG Verträge über Großrisiken, definiert in § 210 Abs. 2 VVG in Verbindung mit Anlage A des Versicherungsaufsichtsgesetzes, und laufende Versicherungen gemäß der §§ 53 ff. VVG. Die Schutzbedürftigkeit beim Abschluss von Versicherungsverträgen beschränkt sich nicht auf Verbraucher im Sinne des § 13 BGB.54 Vielmehr fehlt es auch den meisten Gewerbetreibenden und freiberuflich Tätigen an der notwendigen Erfahrung und den entsprechenden Kenntnissen, um den Versicherungsvertrag beurteilen zu können.55 In den Ausnahmefällen sind die Einschränkungen der Vertragsfreiheit jedoch nicht von selbst unanwendbar, es handelt sich bei ihnen vielmehr um dispositives Recht.56 III. Begründung des Schutzes des Versicherungsnehmers Das materielle Versicherungsvertragsrecht enthält damit verschiedene Regelungen, welche die Stellung des Versicherungsnehmers verbessern und von den Grundsätzen der Privatautonomie abweichen. Informationspflichten schaffen Aufklärungspflichten zugunsten des Versicherungsnehmers.57 Sie weichen von dem Grundsatz, dass sich jede Partei die Informationen, die sie zur Beurteilung des Vertrages benötigt, selbst beschaffen muss, ab.58 Die europarechtlichen Vorgaben zum Versicherungsrecht wollen sicherstellen, dass Versicherungsnehmer das breite Angebot des Binnenmarktes zu ihren Vorteil nutzen und einen Vertrag wählen können, der ihren Interessen entspricht – die Vorschriften sollen dabei zur Transparenz des Marktes beitragen.59 Die Beratungspflichten gehen darüber sogar noch hinaus, da hier nicht nur festgelegte Informationen weitergegeben werden müssen, sondern der Versicherer oder Versicherungsvermittler den Bedarf des Versicherungs53 Langheid/Rixecker/Rixecker, § 8 VVG, Rn. 1. 54 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 21 f.
55 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 21 f. 56 Looschelders/Pohlmann/Looschelders, Einl. A,
Rn. 28; Langheid/Rixecker/ Rixecker, § 210 VVG, Rn. 1. 57 Oben § 16A. II.2, S. 145 f. 58 BGH, NJW 1989, 763 (764); ders., NJW 2010, 3362 (Rn. 21); Roth, H., in: Karlsruher Forum 2011, 2012, S. 5 (41 f.). 59 Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 351 f.
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nehmers an dem konkreten Vertrag individuell ermitteln und bewerten muss und diese Information an den zu Versichernden weiterzugeben hat.60 Der Beratungspflichtige muss damit gegebenenfalls im Widerspruch zu seinen eigenen Interessen handeln und stattdessen die seines Vertragspartners vertreten; der Versicherer muss sich mit den Verhältnissen seines Vertragspartners auseinandersetzen.61 Diese Pflichten sollen das Informationsdefizit des Versicherungsnehmers mit Bezug auf den Versicherungsvertrag ausgleichen. Das Widerrufsrecht ermöglicht es dem Versicherungsnehmer in Abweichung vom Grundsatz pacta sunt servanda, den vermeintlich komplizierten Versicherungsvertrag nachträglich zu überdenken und rückgängig zu machen.62 Der Versicherungsnehmer wurde allerdings schon im Vorfeld umfassend beraten, eine endgültige Entscheidung – wohl insbesondere als Unternehmer – wäre ihm daher wohl zuzumuten.63 Während das europäische Recht insbesondere den Verbraucher als Versicherungsnehmer schützt, erfasst der deutsche Gesetzgeber auch zu gewerblichen Zwecken handelnde Versicherungsnehmer. Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Umsetzung europäischer Richtlinien über deren ursprüngliche Vorgaben hinausgegangen. Der Schutz des Versicherungsnehmers wird oft mit seiner sozial und wirtschaftlich schwächeren Stellung begründet. Bei der Regelung des Versicherungsvertragsrechts wurde in Deutschland mit der Schaffung des VVG schon früh die Privatautonomie zugunsten einer Partei eingeschränkt. Versicherungsnehmer waren jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht notwendigerweise sozial oder wirtschaftlich unterlegen, da sie gerade in den Anfangszeiten des Versicherungsrechtes zu wirtschaftlich potenten Kreisen gehörten.64 Erkennbar wird dies auch an der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers, das Versicherungsvertragsrecht im HGB zu regeln.65 Durch zwischenzeitliche Veränderungen im Versicherungsmarkt ist heute die Situation des Versicherers gegenüber der des Versicherungsnehmers überlegen, weil der Versicherer durch seinen regelmäßigen Umgang mit Versicherungsverträgen deutlich bessere Kenntnis von dem abstrakten und komplexen Rechtsprodukt der Versicherung hat.66 Der Versicherungsvertrag wird besonders durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers gestaltet, mangels besonderer Sachkunde kann diese der 60
Oben § 16A. II.1, S. 144 f. MüKo VVG/Lorenz, E., Einleitung, Rn. 33. 62 Looschelders/Pohlmann/Heinig/Makowski, § 8 VVG, Rn. 1. 63 MüKo VVG/Lorenz, E., Einleitung, Rn. 35. 64 Reichert-Facilides, in: FS Drobnig, 1998, S. 119 (124). 65 Vergleiche oben § 16A. I., S. 141 ff. 66 Looschelders/Pfaffenholz, Versicherungsvertragsrecht, 2012, Rn. 61; Looschelders/Pohlmann/Looschelders, Einl. A, Rn. 65. 61
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Versicherungsnehmer oft nicht im gleichen Umfang erfassen und auf ihre Gestaltung Einfluss nehmen.67 Hinzu kommt, dass durch Versicherungen regelmäßig existenzielle Risiken abgedeckt werden. Der Versicherungsnehmer erfährt jedoch erst nach Eintritt des Versicherungsfalles, ob seine Versicherung tatsächlich zahlt; für ihn ist es dann bereits zu spät, um durch andere Vorkehrungen für den Schadensfall vorzusorgen.68 Zudem gelten auch für die Verpflichtungen des Versicherungsnehmers aus § 242 BGB Besonderheiten. Bei der Überprüfung des wirtschaftlichen Risikos, das der Versicherer übernimmt, ist er besonders darauf angewiesen, dass der Versicherungsnehmer loyal mitwirkt und dem Versicherer die benötigten Informationen mitteilt, es bestehen für diesen besondere Risiken durch ein unredliches Verhalten des Versicherungsnehmers.69 B. Anwendbares Recht nach Art. 7 Rom I‑VO Das auf einen Versicherungsvertrag anwendbare Recht bestimmt sich nach Art. 7 Rom I‑VO. Sofern es sich nicht um ein Großrisiko nach Art 7 Abs. 2 Rom I‑VO handelt, können die Parteien nur die in Art. 7 Abs. 3 lit. a) bis lit. e) Rom I‑VO festgelegten Rechtsordnungen wählen. Möglich ist hier etwa der Belegenheitsort des versicherten Risikos bei Vertragsschluss, der gewöhnliche Aufenthalt des Versicherungsnehmers, bei Lebensversicherungen der Staat, dem der Versicherte angehört. Fehlt eine Rechtswahl, unterliegt das Versicherungsverhältnis dem Recht des Mitgliedsstaats, in dem bei Vertragsschluss das Risiko belegen ist; Art. 7 Abs. 3 a. E. Rom I‑VO. Art. 7 Rom I‑VO schränkt die Rechtswahlfreiheit zugunsten des Versicherungsnehmers ein.70 Die Regelung soll einen angemessenen Schutz des Versicherungsnehmers gewährleisten, der den Besonderheiten des Versicherungsvertrages gerecht wird.71 C. Fazit Zugunsten des Versicherungsnehmers wurden im VVG – teilweise auf richtlinienrechtlicher Grundlage – zwingende Regelungen eingeführt, die von den Grundsätzen der Privatautonomie abweichen. Der Versicherungsnehmer soll damit gegenüber seinem Vertragspartner, dem Versicherer, privilegiert werden. Ausgenommen von diesem Schutz sind die Versicherungsnehmer, die Großrisiken versichern lassen oder Inhaber laufender 67 68
Reichert-Facilides, in: FS Drobnig, 1998, S. 119 (124). Looschelders/Pfaffenholz, Versicherungsvertragsrecht, 2012, Rn. 61. 69 Looschelders/Pfaffenholz, Versicherungsvertragsrecht, 2012, Rn. 60. 70 Ferrari IntVertragsR/Staudinger, Art. 7 Rom I‑VO, Rn. 4. 71 Vgl. Erwgr. 32 Rom I‑VO.
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Versicherungen sind. Bei ihnen wird die notwendige rechtliche Gewandtheit oder die entsprechende Beratung vorausgesetzt. Der Versicherungsnehmer ist dem Versicherer gegenüber zum einen im Nachteil, da es sich bei der Versicherung um ein für ihn abstraktes Rechtsprodukt handelt, dessen tatsächlichen Nutzen er erst bewerten kann, wenn der Schadensfall eingetreten ist. Zum anderen hat der Versicherer einen Wissensvorsprung und er kann mithilfe der Versicherungsbedingungen die Vertragsbestimmungen in der Regel einseitig festlegen.72 Die in den schuldvertraglichen Regelungen umgesetzten Richtlinie 2016/97/EU, die ehemalige Richtlinie 2002/92/ EG sowie die Richtlinie 2002/65/EG verfolgen außerdem das Ziel, den Verbrauchern sowie den Versicherern und Versicherungsvermittlern den Zugang zum Binnenmarkt der Finanzdienstleistungen zu ermöglichen.73 Die Rom I‑VO schränkt die Rechtswahlfreiheit zugunsten des Versicherungsnehmers ein; so soll verhindert werden, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine nur für ihn günstige Rechtsordnung auferlegt.74
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen Seit der Reform des VVG 2008 regelt § 215 VVG die Zuständigkeit für Klagen aus Versicherungsverträgen, vorher befand sich in § 48 Abs. 1 VVG a. F. der „Gerichtsstand der Agentur“.75 I. Gerichtsstand der Agentur, § 48 VVG a. F. Nach § 48 VVG a. F. war für Klagen aus dem Versicherungsverhältnis, das ein Versicherungsagent vermittelt hatte, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsagent bei der Vermittlung des Versicherungsvertrages seine gewerbliche Niederlassung, hilfsweise seinen Wohnsitz hatte. Der Versicherungsagent musste tatsächlich am Vertragsschluss mitgewirkt haben.76 Nicht anwendbar war § 48 VVG a. F. auf Innendienstmitarbeiter oder Makler, was in der Praxis Probleme bei der Abgrenzung der Gerichtsstände und der Erkennbarkeit der Zuständigkeit für den Versicherungsnehmer bereitete.77 Die „Klagen aus dem Versicherungsverhältnis“ waren weit aus72 Vergleiche soeben § 16A. II, S. 144 ff. und 73 Vgl. Erwgr. 3 RL 2002/65/EG und
§ 16A. III, S. 147 ff. Erwgr. 9, 19 RL 2016/97/EU sowie
Erwgr. 8 RL 2002/92/EG. 74 Vergleiche soeben § 16B, S. 149. 75 Gesetz über den Versicherungsvertrag, RGBl. 1908, 263 (273). 76 Bruck/Möller/Möller, 8. Aufl. 1961, § 48 VVG, Rn. 20. 77 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 5.
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG
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zulegen; neben dem Versicherungsnehmer waren im persönlichen Anwendungsbereich auch Versicherter, Bezugsberechtigter, Zessionar, Pfändungsund Pfandgläubiger erfasst.78 Der Gerichtsstand bestand ausschließlich bei Klagen gegen den Versicherer, dieser musste dagegen bei Aktivprozessen auf die allgemeinen und besonderen Gerichtsstände der ZPO zurückgreifen.79 Als besonderer Gerichtsstand konnte § 48 Abs. 1 VVG a. F. neben den Gerichtsständen der ZPO gewählt werden.80 § 48 Abs. 2 VVG a. F. legte fest, dass der Gerichtsstand nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden konnte und demnach zwingendes Recht war, ausgenommen davon waren gemäß § 187 VVG a. F. nur Großrisiken.81 Versicherungsagent – seit der Reform im Jahr 2008 im VVG als Versicherungsvertreter bezeichnet82 – ist, wer dauerhaft vom Versicherer mit der Vermittlung von Verträgen beauftragt ist, er gehört damit der Sphäre des Versicherers an.83 Ziel von § 48 VVG a. F. war, die räumliche Zurechnungssphäre des Versicherers zu erweitern: Der Einsatz von Versicherungsvertretern ermöglichte es dem Versicherer, auch in großer räumlicher Entfernung von seinem Sitz am Markt teilzunehmen; Billigkeitsgründe erforderten daher, dass er dort auch gerichtlich in Anspruch genommen werden konnte – unabhängig davon, ob er dort eine Niederlassung betrieb.84 II. Reform des VVG 2008 Die Kommission zur Reform des VVG hatte vorgeschlagen, den Gerichtsstand in § 48 VVG a. F. inhaltlich beizubehalten, es sollte nur klargestellt werden, dass es sich bei der Zuständigkeitsregelung nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand handelte.85 Bei Vermittlung eines Versicherungsvertrages durch einen Versicherungsvertreter sollte als besondere Zuständigkeit weiterhin ein Gerichtsstand an der Niederlassung oder dem Wohnsitz des Versicherungsvermittlers bestehen.86 Nach Auffassung des Gesetzgebers gab es allerdings Unklarheiten bei der Anwendung von 78 Bruck/Möller/Möller, 8. Aufl. 1961, § 48 VVG, Rn. 21. 79 Römer/Langheid/Langheid, 2. Aufl. 2003, § 48 VVG, Rn. 4.
80 BK VVG/Gruber, § 48 VVG, Rn. 1; Römer/Langheid/Langheid, 2. Aufl. 2003, § 48 VVG, Rn. 1. 81 BK VVG/Gruber, § 48 VVG, Rn. 7. 82 Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl. (2016), Rn. 407. 83 Bruck/Möller/Möller, 8. Aufl. 1961, Vor §§ 43–48 VVG, Rn. 13; BK VVG/Gruber, Vorbem. §§ 43–48 VVG, Rn. 2. 84 Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag, eines zugehörigen Einführungsgesetzes und eines Gesetzes, betreffend die Änderung der Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Seeversicherung, 1906, S. 58 f.; Bruck/ Möller/Möller, 8. Aufl. 1961, § 48 VVG, Rn. 20; Mühlhausen, r + s 2016, 161 (165). 85 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 347. 86 VVG‑Kommission, Abschlussbericht, S. 225.
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§ 48 VVG a. F.; der Versicherungsnehmer musste etwa besonders darauf achten, dass er nicht statt am Gerichtsstand des Vertreters am Gerichtsstand der Vertriebsorganisation des Versicherers klagte, sonst riskierte er die Verweisung an ein anderes Gericht.87 Mit Orientierung an § 29c ZPO sollte dem Versicherungsnehmer daher das Recht eingeräumt werden, Klagen gegen Versicherer, Versicherungsvermittler oder -berater am eigenen Wohnsitz zu erheben.88 B. Inhalt des § 215 VVG I. Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich von § 215 VVG enthält sämtliche Klagen aus dem Versicherungsvertrag und der Versicherungsvermittlung; nach Wortlaut und Begründung ist er weit gefasst.89 Er regelt sämtliche Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit der Begründung und der Durchführung des Versicherungsverhältnisses stehen.90 Dazu gehören unter anderem Streitigkeiten über die Erfüllung der Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis, die Verletzung vertraglicher Pflichten, das Bestehen des Vertrages, die Anbahnung oder die Abwicklung des Vertrages sowie vorvertragliches Verschulden und gesetzliche Schuldverhältnisse im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag.91 Nicht erfasst ist der Direktanspruch des Geschädigten aus § 115 VVG; dieser steht in keinem Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag, sondern ist rein deliktisch.92 Daneben enthält er Klagen im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungen, also Klagen des Versicherungsmaklers oder des Versicherungsvertreters sowie gegen diese.93 Auch erfasst sind bei wohl
87 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 2. 88 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117). 89 Fricke, VersR 2009, 15 (15). 90 Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (265); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 5; MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 30; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 4. 91 Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (265); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 5; MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 30 f.; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 4. 92 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 3. 93 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 4; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 5.
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG
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analoger94 Anwendung Versicherungsberater, obwohl diese keine Versicherungen vermitteln dürfen.95 II. Persönlicher Anwendungsbereich Der Wortlaut des § 215 Abs. 1 VVG spricht in Satz 1 vom Wohnsitz des Versicherungsnehmers, in Satz 2 von den Klagen gegen den Versicherungsnehmer. Es ist daher umstritten, ob der persönliche Anwendungsbereich sich auf Klagen beschränkt, an denen der Versicherungsnehmer beteiligt ist oder ob auch Dritte, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, erfasst sind. 1. Erfasste Personen In den persönlichen Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 S. 2 VVG für Klagen gegen den Versicherungsnehmer fällt nach dem Wortlaut ausdrücklich der Versicherungsnehmer als Vertragspartner des Versicherers. Stirbt der Versicherungsnehmer, tritt gemäß § 1922 BGB sein Erbe an seiner Stelle in den Versicherungsvertrag ein – § 215 Abs. 1 S. 2 VVG findet auch auf ihn Anwendung.96 Gleiches gilt, wenn der Vertrag sonst von einem Dritten übernommen wird.97 § 215 Abs. 1 S. 1 VVG spricht zwar für Klagen gegen den Versicherer vom Wohnsitz des Versicherungsnehmers, beschränkt den Anwendungsbereich jedoch nicht auf bestimmte Personengruppen – die Regelung spricht vielmehr nur von Klagen aus dem Versicherungsvertrag.98 Der Versicherte, dessen Anspruch sich aus dem Versicherungsvertrag ergibt, fällt nach dem Wortlaut ebenfalls in den persönlichen Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG.99 Er wird jedoch, sofern er nicht mit dem Versicherungsnehmer identisch ist, nach dem Wortlaut des § 215 Abs. 1 S. 2 VVG nicht vom Anwendungsbereich erfasst. Es wird in der Literatur teilweise befürwortet, ihn auch hier in den persönlichen Anwendungsbereich miteinzubeziehen, weil sich der Versicherte gegenüber dem Versicherer in einer dem Versicherungsnehmer vergleichbaren Situation befindet und daher § 215 VVG zumindest entsprechend anwendbar 94
Für eine unmittelbare Anwendung ist Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 27. § 215 VVG, Rn. 4; Langheid/Rixecker/ Rixecker, § 215 VVG, Rn. 5. 96 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; Langheid/Rixecker/ Rixecker, § 215 VVG, Rn. 3. 97 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; Langheid/Rixecker/ Rixecker, § 215 VVG, Rn. 3. 98 Wandt/Gal, in: GS Wolf, 2011, S. 579 (581). 99 Wandt/Gal, in: GS Wolf, 2011, S. 579 (581); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 16. 95 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg,
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sein soll.100 Der Bezugsberechtigte ist vom persönlichen Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG erfasst.101 Bei § 215 Abs. 1 S. 2 VVG wird eine Miteinbeziehung des Bezugsberechtigten in den persönlichen Anwendungsbereich kraft entsprechender Anwendung gefordert, da seine Stellung gegenüber dem Versicherer so zu bewerten sei wie die der Versicherten und der Versicherungsnehmer.102 Vom Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG sollen dagegen Zessionare nicht erfasst sein, da sie nicht innerlich an den Vertrag gebunden sind – die Schutzerwägungen zugunsten der schwächeren Parteien träfen auf sie nicht zu, gleiches gelte für Pfandgläubiger.103 Sie könnten nur punktuell Rechte aus dem Vertrag geltend machen, ihre Rechte entstünden kraft Gesetzes.104 Für eine solche Beschränkung lässt sich dem Wortlaut von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG jedoch keine Begründung entnehmen.105 2. Teleologische Reduktion auf Verbraucher § 215 VVG erwähnt nur allgemein den Versicherungsnehmer, der Wortlaut beschränkt den Anwendungsbereich der Gerichtsstandsregelung nicht ausdrücklich. In der Literatur wird jedoch vorgeschlagen, den persönlichen Anwendungsbereich auf natürliche Personen oder Verbraucher teleologisch zu reduzieren. a) Natürliche und juristische Personen Zum einen sollen juristische Personen vom Anwendungsbereich ausgenommen sein. Der Wortlaut von § 215 VVG spricht vom Wohnsitz oder vom gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers, einen solchen könnten mit Rücksicht auf §§ 7 ff. BGB nur natürliche Personen haben. Juristische Personen und Personengesellschaften haben gemäß § 24 BGB einen Sitz.106 Im Wortlaut des § 215 VVG findet sich allerdings darüber 100 Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 16 f.; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 3; Prölss/Martin/ Klimke, § 215 VVG, Rn. 18, 19b. 101 Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 18. 102 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; Langheid/Rixecker/ Rixecker, § 215 VVG, Rn. 3; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 20. 103 Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 4. 104 Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 19. 105 Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (268 f.); Wandt/Gal, in: GS Wolf, 2011, S. 579 (581); NK‑VVG/Muschner, § 215 VVG, Rn. 12; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 24. 106 Grote/Schneider, C., BB 2007, 2689 (2701); Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (266); Mühlhausen, r + s 2016, 161 (165); Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 11.
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG
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hinaus keine ausdrückliche Beschränkung auf natürliche Personen.107 Bei natürlichen Personen befindet sich der Gerichtsstand dann am Wohnsitz des Versicherungsnehmers oder an seinem gewöhnlichen Aufenthalt; bei juristischen Personen kann die Norm entsprechend angewendet werden, sodass ihr Sitz entscheidet.108 Es wird in Rechtsprechung109 und Literatur daher vertreten, dass eine Beschränkung auf natürliche Personen nicht zulässig sei. Die ZPO trennt bei der Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstandes gemäß § 12 ZPO zwischen den Begriffen Wohnsitz und Sitz. § 13 ZPO bestimmt den allgemeinen Gerichtsstand einer natürlichen Person an ihrem Wohnsitz. Der allgemeine Gerichtsstand einer juristischen Person liegt nach § 17 ZPO an ihrem Sitz; dieser liegt gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO bei einer fehlenden sonstigen Regelung am Ort der Verwaltung. In der Gesetzesbegründung findet sich keine Klarstellung, ob die Verwendung des Begriffs Wohnsitz den persönlichen Anwendungsbereich einschränken soll – im Ergebnis dienen trotz der getrennten Regelung in §§ 13, 17 ZPO Sitz und Wohnsitz dazu, das Gerichtsverfahren einem bestimmten Ort zuzuordnen.110 Anders als der ZPO‑Gesetzgeber differenziert der europäische Gesetzgeber etwa in der Brüssel Ia-VO nicht zwischen Wohnsitz und Sitz, sondern verwendet einheitlich die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt für natürliche und juristische Personen.111 Der Wohnsitz einer Partei wird gemäß Art. 62 Brüssel Ia-VO durch die nationalen Gesetzgeber festgelegt, Art. 63 Brüssel Ia-VO nimmt den Begriff Wohnsitz, um satzungsmäßigen Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung zusammenzufassen.112 Ginge man davon aus, dass sich der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 215 Abs. 1 VVG an dieser Regelung orientieren wollte, könnte man darauf schließen, dass auch er hier nicht differenzieren wollte.113 Allerdings gründet die einheitliche Verwendung des Begriffs Wohnsitz in der Brüssel Ia-VO auf einem anderen Vorgehen bei der Regelung und auf der Begriffsverwendung in der Übersetzung; Rückschlüsse auf deutsches Recht lässt sie nicht zu.114 Zweck der Gerichtsstandsregelung in § 215 Abs. 1 VVG ist wohl der Schutz einer schwächeren Partei.115 Dabei ist jedoch fraglich, warum der Einzelkaufmann besser geschützt werden 107
OLG München, r + s 2016, 213 (Rn. 42). Bauer/Rajkowski, VersR 2010, 1559 (1559). OLG Schleswig, VersR 2015, 1422 (1423); OLG München, r + s 2016, 213 (Rn. 37). 110 Fricke, VersR 2009, 15 (16). 111 Fricke, VersR 2009, 15 (16); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 10. 112 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (163). 113 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (162 f.). 114 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (162 f.). 115 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117). 108 109
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soll als zum Beispiel Idealvereine und Gesellschaften bürgerlichen Rechts; die Rechtsform gibt wenig Auskunft über die Schutzbedürftigkeit des Versicherungsnehmers.116 Sämtliche schuldvertraglichen Schutzvorschriften des VVG gelten grundsätzlich für alle Versicherungsnehmer – unabhängig von der Rechtsform.117 b) Ausschluss von Unternehmern Daneben wird vorgeschlagen, den Anwendungsbereich von § 215 VVG auf Verbraucher gemäß § 13 BGB zu beschränken. Ziel der Reform des § 215 VVG war es – so die Gesetzesbegründung – den Schutz von Verbrauchern zu verbessern.118 Daraus wird teilweise in der Literatur gefolgert, dass natürliche Personen, die einem gewerblichen Zweck nachgehen, genauso wie juristische Personen und Personengesellschaften, nicht in den Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 VVG fallen können.119 Bei Kaufleuten zum Beispiel ergibt sich das Problem, dass diese an ihrem Wohnsitz klagen und nur dort verklagt werden können, obwohl ihr geschäftlicher Sitz gegebenenfalls an einem anderen Ort liegt und ihnen die Prorogationsmöglichkeit genommen werden kann.120 Der Ausschluss von Unternehmern gemäß § 14 BGB aus dem Anwendungsbereich von § 215 VVG ist fragwürdig. Zwar wird in der Begründung der VVG‑Reform die Stärkung des Verbraucherschutzes als Ziel genannt, allerdings bedeutet das nicht, dass der Gesetzgeber Unternehmer kategorisch aus dem Schutzbereich des § 215 VVG ausnehmen und ihnen die Rechtsdurchsetzung nicht erleichtern wollte.121 Die Trennung bei der Schutzbedürftigkeit zwischen Verbrauchern und Unternehmern nach den Begriffen des BGB ist im Versicherungsrecht kaum üblich.122 Gegen die Beschränkung auf Verbraucher spricht auch nicht die Orientierung des Gesetzgebers an der Regelung des § 29c ZPO bei der Gestaltung des § 215 Abs. 1 VVG.123 Anders als bei dieser Norm fehlt § 215 Abs. 1 VVG eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Verbraucher im Wortlaut 116 117
Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (266 f.); Fricke, VersR 2009, 15 (16). Grote/Schneider, C., BB 2007, 2689 (2689). 118 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117). 119 Grote/Schneider, C., BB 2007, 2689 (2701); NK‑VVG/Muschner, § 215 VVG, Rn. 11. 120 Grote/Schneider, C., BB 2007, 2689 (2701); Mühlhausen, r + s 2016, 161 (164). 121 Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 12; OLG Schleswig, VersR 2015, 1422 (1423); Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 9. 122 Fricke, VersR 2009, 15 (17). 123 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117).
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oder durch Rückgriff auf weitere Regelungen wie den außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag.124 Liest man in prozessuale Normen ungeschriebene Tatbestandsmerkmale hinein, widerspricht dies auch der Zuständigkeitsklarheit.125 Ein klar und einfach feststellbarer Gerichtsstand dient allen Versicherungsnehmern.126 Teleologische Reduktionen des persönlichen Anwendungsbereiches auf Verbraucher oder natürliche Personen sind daher abzulehnen. III. Rechtsfolge: halbzwingender Gerichtsstand Sind die sachlichen und persönlichen Anwendungsvoraussetzungen gegeben, schafft § 215 Abs. 1 S. 1 VVG einen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers. § 215 Abs. 1 S. 2 VVG bestimmt für Klagen gegen den Versicherungsnehmer einen ausschließlichen Gerichtsstand ebendort. 1. Besonderer Gerichtsstand bei Klagen gegen den Versicherer Unproblematisch anwendbar ist § 215 Abs. 1 S. 1 VVG bei Klagen des Versicherungsnehmers selbst gegen den Versicherer oder Versicherungsvermittler. Der Versicherungsnehmer erhält einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnsitz. Allerdings werden auch nicht unmittelbar am Vertragsschluss beteiligte Personen wie der Versicherte in den Anwendungsbereich miteinbezogen.127 Fraglich ist, ob diese an ihrem eigenen Wohnsitz oder am Wohnsitz des Versicherungsnehmers klagen dürfen. Haben sie lediglich die Möglichkeit, am besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers zu klagen,128 haben sie nur dann den Vorteil des Klägergerichtsstandes, wenn beide Wohnsitze zufälligerweise zusammenfallen. Im Übrigen bietet ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand des Versicherers wahrscheinlich selten einen Mehrwert.129 Auch Vorteile der Sach- und Beweisnähe ergeben sich wohl nicht.130 Können die erfassten Dritten an ihrem eigenen Wohnsitz oder ge124
Fricke, VersR 2009, 15 (16); Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 11; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 5. 125 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (164). 126 Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 5. 127 Vergleiche soeben § 17B. II.1, S. 153 f. 128 Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 17 f.; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG, Rn. 6; Mühlhausen, r + s 2016, 161 (165). 129 Fricke, VersR 2009, 15 (17). 130 Fricke, VersR 2009, 15 (17 f.).
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wöhnlichen Aufenthalt klagen,131 wird durch eine gegebenenfalls analoge Anwendung von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Klageort vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes abgewichen.132 2. Ausschließlicher Gerichtsstand bei Klagen des Versicherers Ebenfalls unproblematisch ist der ausschließliche Gerichtsstand bei Klagen von Versicherer oder Versicherungsvermittler gegen den Versicherungsnehmer. Widersprüche ergeben sich wieder bei einer entsprechenden Anwendung auf Dritte.133 Wenn sie auch in den Anwendungsbereich fielen, wäre es wiederum fraglich, ob sie am Wohnsitz des Versicherungsnehmers oder an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen sind. Da es sich hier um einen ausschließlichen Gerichtsstand handelt, könnten sie im ersten Fall – mit Ausnahme des Zusammenfallens beider Wohnsitze – nicht an ihrem eigenen Wohnsitz verklagt werden; auch hier würde eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands gemacht werden. Anders als in § 215 Abs. 1 S. 1 VVG, der die Parteien nicht ausdrücklich benennt, sind hier ausdrücklich Klagen gegen den Versicherungsnehmer genannt.134 Man könnte die Ausschließlichkeit des Gerichtsstandes teleologisch reduzieren und so zu einer besonderen Zuständigkeit kommen.135 So könnte der Dritte zumindest auch an seinem allgemeinen Gerichtsstand nach §§ 12, 13 ZPO verklagt werden. Alternativ könnte § 215 Abs. 1 S. 2 VVG auch spiegelbildlich auf die erfassten Dritten anwendbar sein, sodass ihr jeweiliger eigener Wohnsitz entscheidet.136 3. Gerichtsstand für Dritte Nimmt man die genannten Dritten in den Anwendungsbereich von § 215 Abs. 1 VVG auf,137 könnte es konsequent sein, ihnen die jeweiligen Gerichtsstände an ihrem eigenen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuzuerkennen. Der aktive Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers wird für diese Personen regelmäßig keinen Mehrwert haben, ein ausschließlicher passiver Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers kann sie außerdem dem Gerichtsstand an ihrem eigenen Wohnsitz 131 Dies befürwortet Langheid/Rixecker/Rixecker, 132 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 16.
§ 215 VVG, Rn. 6.
133 Vergleiche zu den erfassten Dritten ebenfalls soeben 134 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 15.
§ 17B. II.1, S. 153 f.
135 Für eine teleologische Reduktion bei Versicherungsnehmern, die keine Verbraucher sind, Bruck/Möller/Brand, § 215 VVG, Rn. 34 f. 136 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (165); Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG, Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 19b. 137 Zu den Dritten vergleiche nochmals § 17B. II.1, S. 153 f.
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entreißen, ohne dass für die Parteien eine Verbesserung der prozessualen Situation, etwa durch eine besondere Sachnähe, eintritt. Werden die Anwendungsbereiche von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG und § 215 Abs. 1 S. 2 VVG unterschiedlich definiert, fördert dies nicht die Klarheit der Regelungen. Der Wortlaut des § 215 VVG ist jedoch bezüglich der Zuständigkeit für Versicherungssachen eindeutig. Ist der Anwendungsbereich eröffnet, so bietet er einen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers. Der ausschließliche Gerichtsstand gilt nur für Klagen gegen den Versicherungsnehmer. Analoge Anwendungen und teleologische Reduktionen von § 215 Abs. 1 S. 2 VVG auf Dritte würden die Zuständigkeitsklarheit beeinträchtigen; anders als bei der Wortwahl beim Wohnsitz kommt hier ein Redaktionsversehen nicht in Betracht. 4. Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß § 215 Abs. 3 VVG § 215 Abs. 3 VVG lässt wie § 29c Abs. 4 ZPO Gerichtsstandsvereinbarungen für den Fall zu, dass der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach dem Abschluss des Vertrages aus dem Geltungsbereich der ZPO verlegt. Damit geht § 215 Abs. 3 VVG über § 38 Abs. 3 ZPO hinaus. Auch werden hier entgegen § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO Gerichtsstandsvereinbarungen bei einem ausschließlichen Gerichtsstand zugelassen.138 5. Keine zwingende Regelung bei Risiken gemäß § 210 VVG Vereinbarungen über den Gerichtsstand sind gemäß § 215 Abs. 3 VVG nur in Ausnahmefällen zulässig; der besondere Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers bei Klagen gegen den Versicherer nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG kann damit grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Beschränkungen der Vertragsfreiheit sind gemäß § 210 VVG abdingbar, wenn es sich bei dem versicherten Risiko um ein Groß- oder Massenrisiko handelt. Im Anwendungsbereich von § 210 VVG kann der Klägergerichtsstand des Versicherungsnehmers ohne Berücksichtigung von § 215 Abs. 3 VVG derogiert werden, solange die Voraussetzungen der ZPO für Gerichtsstandsvereinbarungen vorliegen.139 Außerdem besteht im Anwendungsbereich des § 210 VVG wohl keine Notwendigkeit für den Beklagtenschutz durch den ausschließlichen Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 S. 2 VVG, da hier die typische Unterlegenheit des Versicherungsnehmers in der Regel nicht be138 Prölss/Martin/Klimke, 139
Rn. 25.
§ 215 VVG, Rn. 29a. Wandt/Gal, in: GS Wolf, 2011, S. 579 (581 f.); Bruck/Möller/Renger, § 210 VVG,
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steht.140 Dabei spielt es auch keine Rolle, dass es sich bei § 215 VVG um eine rein prozessuale Vorschrift handelt.141 C. Örtliche Zuständigkeit ohne § 215 VVG142 Die Regelung des § 215 VVG eröffnet für Klagen gegen den Versicherer einen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers. Der Versicherer darf nur vor dem Gericht am Wohnsitz des Beklagten klagen. Gerichtsstandsvereinbarungen sind ausschließlich in den Grenzen des § 215 Abs. 3 VVG und in den Fällen des § 210 VVG zulässig. I. Klagen des Versicherers Ohne die ausschließliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Versicherungsnehmers gemäß § 215 VVG hätte der Versicherer gemäß § 35 ZPO die Wahl zwischen den allgemeinen und besonderen Gerichtständen der ZPO. Neben der Klageerhebung am Wohnsitz des Versicherungsnehmers oder des begünstigten Dritten gemäß §§ 12 ff. ZPO käme dann für Klagen des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer auf Prämienzahlung § 29 ZPO in Betracht. Leistungsort der Prämienzahlung ist gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VVG der Wohnsitz des Versicherungsnehmers; zuständig ist damit das Gericht, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer bei Klageerhebung seinen Wohnsitz hat.143 II. Klagen gegen den Versicherer § 215 VVG räumt für Klagen gegen den Versicherer einen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers ein – ohne diese Rege lung hätte der Kläger nur die Wahl zwischen den Gerichtsständen der ZPO. Für Klagen gegen den Versicherer sind zunächst die Gerichte an dessen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz gemäß §§ 12 f., 17 ZPO zuständig; ebenfalls kommt bei entsprechendem Bezug die Klage am Sitz der Niederlassung gemäß § 21 Abs. 1 ZPO in Betracht.144 Da für die Zuständigkeit gemäß § 21 Abs. 1 ZPO der Bezug zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung
140 Wandt/Gal, in: GS Wolf, 2011, S. 579 (581 f.); Prölss/Martin/Klimke, § 210 VVG, Rn. 12. 141 MüKo VVG/Looschelders, § 210 VVG, Rn. 7; Prölss/Martin/Klimke, § 210 VVG, Rn. 11. 142 Zum Ganzen vergleiche Fricke, VersR 1997, 399 (404 ff.). 143 Fricke, VersR 1997, 399 (404); MüKo ZPO/Patzina, § 29 ZPO, Rn. 89. 144 Fricke, VersR 1997, 399 (405).
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG
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genügt,145 kann der Versicherte auch dort klagen.146 Der Geschädigte kann am Geschäftsbetrieb der Niederlassung Klagen aus seinem direkten Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer erheben.147 Klagen Versicherungsnehmer oder Versicherter gegen den Versicherer, wird sich diese Klage in der Regel auf die Zahlung von Geld richten. Bei dieser liegt der Leistungsort gemäß § 269 Abs. 1 BGB am Wohnsitz oder Sitz des Versicherers.148 § 29 ZPO findet auch Anwendung auf Verträge zugunsten Dritter,149 sodass dieser Gerichtsstand auch dem Versicherten eröffnet wäre. Daraus folgt, dass ohne den besonderen Gerichtsstand aus § 215 Abs. 1 S. 1 VVG eine Zuständigkeit der Gerichte im Bezirk des Wohnsitzes des Klägers nur dann gegeben wäre, wenn dieser zufällig mit dem Sitz oder der Niederlassung des Versicherers zusammenfiele. III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Der ausschließliche Gerichtsstand in § 215 Abs. 1 S. 1 VVG untersagt in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO grundsätzlich sämtliche Gerichtsstandsvereinbarungen für Klagen gegen den Versicherer. In den Fällen des § 215 Abs. 3 VVG sind sie ausnahmsweise zulässig. Ohne diese Ausnahmen wären Gerichtsstandsvereinbarungen nur unter den Voraussetzungen des § 38 ZPO zulässig. Der Anwendungsbereich des § 215 VVG beschränkt sich dabei nicht auf Verbraucher oder natürliche Personen, sondern erfasst auch Unternehmer.150 Bei diesen kann es sich auch um Kaufleute handeln. Ohne die Regelungen in § 215 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 VVG wären diese in der Lage, Gerichtsstandsvereinbarungen frei abzuschließen. IV. Änderungen der Zuständigkeit durch § 215 VVG Die Regelungen in § 215 VVG begünstigen insbesondere den Versicherungsnehmer. Sie räumen ihm einen besonderen Klägergerichtsstand ein und verhindern durch die Ausschließlichkeit des Gerichtsstands bei Klagen gegen ihn Abweichungen vom Beklagtengerichtsstand zu seinen Lasten. Bei Verfahren mit Beteiligung von Personen, die nicht Parteien des Vertrages sind, wird ein zusätzlicher besonderer Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers eingeführt. 145 MüKo ZPO/Patzina, § 21 ZPO, 146 Fricke, VersR 1997, 399 (405).
Rn. 12.
147 AG Köln, NJW‑RR 1993, 1504 (1504); OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2004, 137 (138); Stein/Jonas/Roth, H., § 21 ZPO, Rn. 20. 148 Fricke, VersR 1997, 399 (405). 149 Stein/Jonas/Roth, H., § 29 ZPO, Rn. 5; MüKo ZPO/Patzina, § 29 ZPO, Rn. 11. 150 Vergleiche oben § 17B. II.2, S. 154 ff.
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D. Zweck des § 215 VVG In der Begründung des Entwurfes von § 215 VVG führte der Gesetzgeber an, die Regelung solle auch den prozessualen Rechtsschutz des Verbrauchers stärken.151 Dabei erfasst der Anwendungsbereich des Versicherungsnehmers zwar in der Regel Verbraucher; um einen reinen Verbrauchergerichtsstand handelt es sich dagegen nicht.152 Geschützt werden alle Versicherungsnehmer, indem eine wohnsitzferne Inanspruchnahme durch Versicherer oder Vermittler verhindert wird und ihnen dadurch eine örtlich nahe Klagemöglichkeit verschafft wird.153 Befindet sich der Versicherungsnehmer in der Rolle des Beklagten, wird der Beklagtenschutz durch den ausschließlichen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz zu seinen Gunsten verstärkt.154 Klagt der Versicherungsnehmer, darf er den Versicherer an seinem Wohnsitz verklagen. Zu Lasten des Versicherers wird eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes gemacht.155 Dem Versicherungsnehmer wird damit die Prozessführung allgemein erleichtert.156 Durch die Regelungen des § 215 VVG sollen die Vorteile ausgeglichen werden, die der Versicherer und der Versicherungsvermittler im Regelfall aufgrund ihrer organisatorischen und fachlichen Überlegenheit haben.157 Fehlt eine Derogation des Klägergerichtsstandes, so kann auch der nicht schutzwürdige Versicherte, der Risiken nach § 210 VVG versichert, dort Klage erheben.158 Es wird zwar ein ungefährer Wille des Gesetzgebers deutlich, mit Hilfe von § 215 Abs. 1 VVG die schwächere Partei zu schützen – allerdings profitieren auch Personen von dem Gerichtsstand, bei denen man die Rechtfertigung dieser Regelung bezweifeln kann.159 § 215 VVG begünstigt Dritte, die nicht unmittelbar am Versicherungsvertrag beteiligt sind, aber trotzdem Ansprüche aus ihm haben, nur, wenn der Gerichtsstand am Wohnsitz oder Sitz des Versicherungsnehmers für sie günstiger ist als die sonstigen Zuständigkeitsregelungen nach der ZPO. Dritte werden daher nicht geschützt, auch wenn sie teilweise von den Privilegien profitieren können.
151 Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT‑Drucks. 16/3945 (117). 152 Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, Anhang nach § 29c ZPO, Rn. 2. 153 Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 (265). 154 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 2. 155 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 1. 156 MüKo VVG/Looschelders, § 215 VVG, Rn. 1. 157 Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG, Rn. 1. 158 Vergleiche soeben § 17B. III.5, S. 159 f. 159 Fricke, VersR 2009, 15 (21).
§ 17 Gerichtsstand für Versicherungssachen, § 215 VVG
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E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen I. Änderungen durch die Reform des VVG Der Einsatz des Versicherungsvertreters ermöglichte und ermöglicht es dem Versicherer, auch am Marktgeschehen außerhalb seiner räumlichen Reichweite und der seiner Niederlassungen teilzunehmen. Der Versicherungsnehmer schließt einen Vertrag mit einem Versicherer, dessen Geschäftssitz sich möglicherweise weit entfernt von seinem Wohnsitz befindet; aus dem Vertragsschluss lässt sich für ihn nicht unmittelbar herleiten, wo er seinen Vertragspartner verklagen muss. § 48 VVG a. F. ermöglichte deswegen dem Versicherungsnehmer, den Versicherer auch an der Niederlassung oder dem Wohnsitz des Versicherungsvertreters in Anspruch zu nehmen. Die Vorteile des größeren Absatzgebietes rechtfertigten, dass der Versicherer am Geschäftssitz des Vertreters verklagt werden konnte.160 Anders als der heutige § 215 Abs. 1 VVG konnte sich der Gerichtsstand bei § 48 VVG a. F. nach Vertragsschluss nicht länger ändern, er stand anders als der dynamische Gerichtsstand des § 215 Abs. 1 VVG fest.161 II. Wertungen der §§ 6 ff. VVG Die oben dargestellten materiellrechtlichen Regelungen des VVG weichen durch ihren zwingenden oder halbzwingenden Charakter von den allgemeinen Grundsätzen der Privatautonomie ab.162 Die Beratungs- und Informationspflicht von Versicherer und Versicherungsvermittler und das Widerrufsrecht zugunsten des Versicherungsnehmers sollen es dem Versicherungsnehmer ermöglichen, sein Bedürfnis für den konkreten Vertrag einzuschätzen. Bei Versicherungsverträgen rührt dieses Bedürfnis insbesondere aus dem abstrakten Charakter des Rechtsproduktes der Versicherung, der fehlenden Möglichkeit, vor dem Versicherungsfall die tatsächlichen Folgen einzuschätzen und dem existenziellen Risiko, vor dem sich der Versicherungsnehmer schützen will. Er ist gegenüber dem Versicherer schutzwürdig, der über umfassende Erfahrung und Kenntnis verfügt. Hierbei trennt das Versicherungsvertragsrecht nicht zwischen Verbraucher und Unternehmer im Sinne der §§ 13 f. BGB. Es wird vielmehr angenommen, dass diese Nachteile genauso gegenüber gewerblich handelnden Versicherungsnehmern bestehen. Durch die zwingenden Regelungen soll materiale Gleichheit bei Vertragsschluss hergestellt werden.
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Hierzu auch soeben § 17A. I, S. 150 f.
161 Mühlhausen, r + s 2016, 161 (165). 162 Zum Folgenden vergleiche bereits
§ 16A, S. 141 ff.
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III. Prozessuales Schutzbedürfnis Die Regelung des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG räumt dem Versicherungsnehmer und nach der überwiegenden Meinung genauso schutzbedürftigen Personen, die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag haben, einen Klägergerichtsstand an ihrem jeweiligen Wohnsitz ein.163 Anders als bei der Abschlusssituation, die von § 48 VVG a. F. vorausgesetzt wurde, wirkt hier die räumliche Konstellation des Vertragsschlusses nicht zwingend fort. Diese Fälle werden zwar erfasst, daneben gibt es allerdings eine Vielzahl anderer Situationen, in denen die materiellrechtliche Ungleichgewichtslage nicht unmittelbar zu prozessualen Nachteilen führt. Der Versicherungsnehmer wird unabhängig von einer Unterlegenheit oder Benachteiligung im Prozess durch das Einräumen eines Klägergerichtsstandes begünstigt. Die Besonderheiten des Versicherungsvertrages als Vertrag zugunsten Dritter setzen sich in den prozessualen Begünstigungen fort. Wenn Versicherungsnehmer und Versicherter nicht identisch sind, kann wohl auch der Versicherte an seinem Wohnsitz Klage erheben. In seiner prozessualen Situation wirken materiellrechtliche Vor- oder Nachteile nicht fort. Die Notwendigkeit des Klägergerichtsstandes gemäß § 215 Abs. 1 S. 1 VVG ergibt sich nicht aus der konkreten prozessualen Situation selbst. Die Klage am Wohnsitz des Versicherungsnehmers oder der weiteren erfassten Personen erleichtert die Prozessführung nicht durch eine besondere Beweisnähe oder andere prozessuale Vorteile. F. Ergebnis Bei § 215 Abs. 1 S. 1 VVG handelt es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes. Diese ist weder durch das Fortwirken von Nachteilen des Versicherungsnehmers aus der Situation des Vertragsschlusses noch durch unmittelbare Nachteile in der prozessualen Situation gerechtfertigt. Vielmehr wird die Wertung, der Versicherungsnehmer müsse als unterlegene Partei allgemein beim Vertragsschluss bessergestellt werden, unbesehen auf das Prozessrecht übertragen. Es handelt sich bei § 215 Abs. 1 S. 1 VVG um eine Materialisierung des Zivilprozessrechts.
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Hierzu soeben § 17B, S. 152 ff.
§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO
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§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO Im Europäischen Zivilprozessrecht finden sich in den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO ebenfalls besondere Regelungen der internationalen und teilweise auch örtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten bei Versicherungssachen. A. Entwicklung der Zuständigkeit für Versicherungssachen I. EuGVÜ 1968 Die Zuständigkeit für Versicherungssachen war in der ursprünglichen Fassung des EuGVÜ von 1968164 im dritten Abschnitt geregelt. Gemäß Art. 7 EuGVÜ war die Zuständigkeitsregelung der Art. 8 ff. EuGVÜ für Versicherungssachen abschließend. Nach Art. 8 Abs. 1 EuGVÜ konnte der Versicherer wahlweise in seinem Wohnsitzstaat oder vor dem Gericht verklagt werden, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hatte, bei mehreren Versicherern vor den Gerichten des Staates des Wohnsitzes eines der Versicherer. Ebenfalls zur Wahl stand die Klage am Wohnsitz des Versicherungsvermittlers gemäß Art. 8 Abs. 2 EuGVÜ. Bei Haftpflicht- oder Schadensversicherungen war gemäß Art. 9 EuGVÜ eine Klage am Ort des schädigenden Ereignisses möglich. Der Versicherer konnte den Versicherungsnehmer, den Versicherten oder den Begünstigten gemäß Art. 11 Abs. 1 EuGVÜ nur vor den Gerichten ihrer Wohnsitzstaaten verklagen.165 Ziel dieser Regelungen war der Schutz des Versicherungsnehmers aus sozialpolitischen Gründen.166 Versicherter und Begünstigter waren dem Versicherungsnehmer jedoch nicht gleichgestellt, da sie nur am Wohnsitz des Versicherungsnehmers Klagen gegen den Versicherer erheben konnten.167 II. Erstes Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ Bei den Überarbeitungen des EuGVÜ im Rahmen des Beitrittes von Dänemark, Irland und des Vereinigten Königreiches wurden die Regelungen für Versicherungssachen ebenfalls angepasst.168 Die Klagen gegen mehrere 164 Übereinkommen
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Abl. EG L 299 1972, 32 ff. 165 Vergleiche die Darstellung bei Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen, S. 21. 166 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (29). 167 Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen, S. 22 f. 168 Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in
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Versicherer konnten nicht länger am Wohnsitz eines beliebigen Versicherers erhoben werden, sondern nur noch vor dem Gericht des federführenden Versicherers; der Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsvermittlers wurde gestrichen, weil die unklar formulierte Vorschrift wegen der Klagemöglichkeit bei Zweigniederlassungen für überflüssig gehalten wurde.169 III. EuGVO – Verordnung 44/2001/EG Mit der Überführung des EuGVÜ in die EuGVO wurde die Zuständigkeit für Versicherungssachen in die Art. 8 ff. EuGVO verschoben. Inhaltlich wurde die Zuständigkeit bei Klagen gegen den Versicherer erweitert; der Klägergerichtsstand in Art. 9 Abs. 1 lit. b) EuGVO ermöglichte es nun auch dem Begünstigten und dem Versicherten, an ihren eigenen Wohnsitzen Klage gegen den Versicherer zu erheben.170 Unter dem EuGVÜ hatten diese Dritten nur die Möglichkeit, im Wohnsitzstaat des Versicherungsnehmers zu klagen.171 Bei der Versicherung von Großrisiken wurde ermöglicht, von den Zuständigkeiten mittels Vereinbarung abzuweichen.172 B. Inhalt der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO Die Zuständigkeit für Versicherungssachen richtet sich gemäß Art. 10 Brüssel Ia-VO mit Ausnahme der Art. 6, 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ausschließlich nach den Regelungen des dritten Abschnitts. I. Voraussetzungen Sachliche Voraussetzung ist gemäß Art. 10 Brüssel Ia-VO, dass es sich bei der anhängigen Streitigkeit um eine Versicherungssache handelt. 1. Versicherungssachen In der Brüssel Ia-VO ist die Versicherungssache nicht legaldefiniert, der Begriff ist verordnungsautonom auszulegen.173 Dabei sind VersicherungsZivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, BGBl. Teil II 1983, 803 ff. 169 Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen, S. 23 f. 170 Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen, S. 34; Fricke, VersR 2009, 429 (432). 171 Magnus/Mankowski/Heiss, 2. Aufl. 2011, Art. 9 Brussels I Regulation, Rn. 8. 172 Fricke, VersR 1999, 1055 (1059). 173 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 95; Rauscher/Staudinger, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 10; Hk ZPO/Dörner, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 4; MüKo ZPO/Gottwald, Art. 10 Brüssel IaVO, Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, Art. 10 EuGVVO nF, Rn. 1.
§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO
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sachen alle Streitigkeiten, deren Grundlage ein Versicherungsverhältnis ist und die sich zum Beispiel auf seine Begründung, Durchführung oder Beendigung beziehen.174 Ausgeschlossen sind öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnisse wegen der Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereiches der Brüssel Ia-VO auf Zivil- und Handelssachen in Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.175 Grundsätzlich anwendbar ist der dritte Abschnitt der Brüssel Ia-VO auch auf die Versicherung von Großrisiken; hier kann aber gemäß Art. 15 Nr. 5, 16 Nr. 5 Brüssel Ia-VO von den zwingenden Gerichtsstandsregelungen durch Vereinbarung abgewichen werden.176 Nicht in den Anwendungsbereich fallen mangels Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers Rückversicherungsverträge,177 hiervon wiederum ausgenommen sind Fälle, in denen der Versicherungsnehmer nicht gegen seinen Versicherer klagen kann und direkt gegen den Rückversicherer Klage erhebt.178 2. Verfahrensbeteiligte Verfahrensbeteiligter kann grundsätzlich jeder sein, der Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag ableitet. Die Aufzählung von Versicherer, Versicherungsnehmer, Begünstigtem, Mitversichertem und Geschädigtem als Verfahrensbeteiligte in den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO ist nicht abschließend.179 Zwingend ist jedoch, dass der Versicherer im Prozess auf einen Nichtversicherer trifft, es sei denn, ein Anspruch aus einem Versicherungsvertrag wurde abgetreten und die Schutzbedürftigkeit besteht weiter.180 Eine Differenzierung zwischen Verbrauchern und Unternehmern oder natürlichen und juristischen Personen findet nicht statt.181
174 Rauscher/Staudinger,
Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 10; Hk ZPO/Dörner, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, Art. 10 EuGVVO nF, Rn. 1. 175 Rauscher/Staudinger, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 10; MüKo ZPO/Gottwald, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 3. 176 Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 10 Brussels Ibis Reg., Rn. 8. 177 EuGH, Urteil v. 13. 07. 2000 – C-412/98 (Group Josi) ECLI:EU:C:2000:399, Slg. I 2000, 5940 (Rn. 67); Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I‑Regulation (EC) No 44/2001, 2008, Rn. 283. 178 EuGH, Urteil v. 13. 07. 2000 – C-412/98 (Group Josi) ECLI:EU:C:2000:399, Slg. I 2000, 5940 (Rn. 75); Rauscher/Staudinger, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 14; Hk ZPO/ Dörner, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 6. 179 Rauscher/Staudinger, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 19. 180 Rauscher/Staudinger, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 21. 181 Staudinger, ZfIR 2015, 361 (363).
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II. Rechtsfolgen 1. Gerichtsstände für Versicherungssachen Für Streitigkeiten aus Versicherungssachen werden verschiedene gerichtliche Zuständigkeiten eröffnet. Dabei hängt die Zuständigkeit der Gerichte davon ab, ob der Versicherer oder ein anderer aus dem Versicherungsvertrag Berechtigter klagt. a) Art. 11 Brüssel Ia-VO Art. 11 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eröffnet bei Klagen gegen den Versicherer mehrere Gerichtsstände, zwischen denen der Kläger wählen kann.182 Art. 11 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setzt dabei voraus, dass der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat. Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fingiert bei Versicherern, die keinen Wohnsitz in einem der Mitgliedsstaaten haben, einen Wohnsitz in dem Mitgliedsstaat, in dem sie eine Niederlassung unterhalten. Der Versicherer kann vor den Gerichten des Mitgliedsstaates verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz hat, Art. 11 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO. Die Regelung des allgemeinen Gerichtsstands in Art. 4 Abs. 1 Brüssel IaVO, die aufgrund der abschließenden Zuständigkeitsregelung des dritten Abschnittes nicht anwendbar ist, wird auf die Sonderzuständigkeiten in Versicherungssachen übertragen.183 Dabei gibt hier die Brüssel Ia-VO nur die internationale Zuständigkeit vor, die örtliche richtet sich nach der jeweiligen lex fori.184 Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter oder in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO der Geschädigte können zusätzlich an den Gerichten des Ortes klagen, an dem sie ihren Wohnsitz haben, Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO. Die Begriffe sind in der Brüssel Ia-VO ebenfalls nicht definiert, wie bei der Versicherungssache ist eine autonome Auslegung notwendig.185 Versicherungsnehmer ist der Vertragspartner des Versicherers, Versicherter ist derjenige, der durch den vom Versicherungsnehmer im eigenen Namen geschlossenen Vertrag begünstigt wird und der Begünstigte ist derjenige, der aufgrund einseitiger Willenserklärung des Versicherungsnehmers im Versicherungsfall Leistungen erhält.186 182 Rauscher/Staudinger,
183 Stein/Jonas/Wagner, 184 Hk ZPO/Dörner,
Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. Art. 9 EuGVVO, Rn. 3. Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 2; Musielak/Voit/Stadler,
Art. 11 EuGVVO nF, Rn. 1. 185 Stein/Jonas/Wagner, Art. 9 EuGVVO, Rn. 5; Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 5. 186 Stein/Jonas/Wagner, Art. 9 EuGVVO, Rn. 5; Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 5.
§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO
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Der Klägergerichtsstand am eigenen Wohnsitz aus Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO steht auch Personen zur Verfügung, die nicht unmittelbar am Vertrag beteiligt sind. Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist, dass begünstigter Kläger und Versicherer ihre Wohnsitze nicht in demselben Mitgliedsstaat haben, andernfalls richtet sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht.187 Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO legt die internationale und die örtliche Zuständigkeit fest; entscheidender Zeitpunkt für die Bestimmung des Klägerwohnsitzes ist der Zeitpunkt der Klageerhebung, nicht der des Vertragsschlusses.188 Versichern mehrere Versicherer ein Risiko, können diese Mitversicherer nach Art. 11 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO alle vor dem Gericht verklagt werden, vor dem der federführende Versicherer verklagt wird – er bestimmt die internationale und die örtliche Zuständigkeit.189 Diese Regelung soll die Möglichkeit einräumen, mehrere Verfahren vor einem Gericht konzentrieren.190 b) Art. 12 Brüssel Ia-VO Bei Haftpflichtversicherungen und der Versicherung von unbeweglichen Sachen räumt Art. 12 Brüssel Ia-VO einen zusätzlichen Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses ein. Auch dieser bestimmt die internationale und örtliche Zuständigkeit; Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist, dass sich der Ort des schädigenden Ereignisses nicht im Wohnsitzstaat des Versicherers befindet.191 c) Art. 13 Brüssel Ia-VO Die Zuständigkeitsregelung nach Art. 13 Abs. 1 Brüssel Ia-VO findet mangels Zulässigkeit der Interventionsklage des vom Geschädigten verklagten Versicherungsnehmers gegen den Haftpflichtversicherer im deutschen Recht keine Anwendung.192 Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ermöglicht eine entsprechende Anwendung der Art. 10 bis 12 Brüssel Ia-VO bei der direkten Klage 187 Looschelders, IPRax 1998, 86 (88); Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 4; Musielak/Voit/Stadler, Art. 11 EuGVVO nF, Rn. 2. 188 Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 4; Hk ZPO/Dörner, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 3. 189 Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 6. 190 Rauscher/Staudinger, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 6; Musielak/Voit/Stadler, Art. 11 EuGVVO nF, Rn. 3. 191 Musielak/Voit/Stadler, Art. 12 EuGVVO nF, Rn. 1. 192 Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 1, 3; Musielak/Voit/Stadler, Art. 13 EuGVVO nF, Rn. 1.
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des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer.193 Die Norm gewährt keine eigene materiellrechtliche Anspruchsgrundlage, sondern ist nur dann anwendbar, wenn nach dem anwendbaren nationalen Sachrecht ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer besteht; im deutschen Recht besteht ein solcher Anspruch etwa in § 115 VVG.194 Dabei geht die Verweisung in Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auf Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO so weit, dass der Geschädigte den Versicherer auch an seinem eigenen Wohnsitz verklagen kann.195 Die Streitverkündung des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherten ist gemäß Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO vor dem Gericht, vor dem der Geschädigte gemäß Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO geklagt hat, möglich.196 d) Art. 14 Brüssel Ia-VO Klagt der Versicherer, kann er dies gemäß Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur in dem Staat, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat – dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Versicherungsnehmer, Versicherter oder Begünstigter ist. Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bestimmt nur die internationale Zuständigkeit, die örtliche richtet sich nach der lex fori.197 Die internationale Zuständigkeit für Klagen des Versicherers ist ausschließlich. 2. Gerichtsstandsvereinbarungen, Art. 15 f. Brüssel Ia-VO Die Art. 15 f. Brüssel Ia-VO lassen Gerichtsstandsvereinbarungen bei Versicherungssachen nur in bestimmten Fällen zu. Zum einen können sie nach dem Entstehen einer konkreten Streitigkeit gemäß Art. 15 Nr. 1 Brüssel Ia-VO abgeschlossen werden. Zum anderen können schon vor der Entstehung der Streitigkeit zusätzliche Gerichtsstände vereinbart werden, die Versicherungsnehmern, Versicherten oder Begünstigten bei Aktivprozessen zur Verfügung stehen, auch wenn letztere nicht Vertragsparteien sind und auch nicht an dem Abschluss der Vereinbarung mitwirken, Art. 15 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.198 Wenn nach dem Recht des gemeinsamen Wohnsitzstaates
193 Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 8. 194 Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 9.
195 EuGH, Urteil v. 13. 12. 2007 – C-463/06 (FBTO Schadeverzekeringen) ECLI:EU: C:2007:792, Slg. I 2007, 11323 (Rn. 26 ff.); Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 11 f. 196 Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 14 f.; Musielak/Voit/Stadler, Art. 13 EuGVVO nF, Rn. 3. 197 Musielak/Voit/Stadler, Art. 14 EuGVVO nF, Rn. 1. 198 Stein/Jonas/Wagner, Art. 13 EuGVVO, Rn. 8 f.; Musielak/Voit/Stadler, Art. 15 EuGVVO nF, Rn. 3.
§ 18 Zuständigkeit für Versicherungssachen, Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO
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zulässig, können Versicherer und Versicherungsnehmer den Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses gemäß Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO ausschließen.199 Sitzt der Versicherungsnehmer außerhalb der Mitgliedsstaaten, ist eine Vereinbarung gemäß Art. 15 Nr. 4 Brüssel Ia-VO grundsätzlich zulässig. Werden in Art. 16 Brüssel Ia-VO bestimmte See- und Luftfahrtversicherungen und Großrisiken nach der Richtlinie 2009/138/ EG versichert, sind Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art. 15 Nr. 5 Brüssel Ia-VO immer zulässig. C. Zuständigkeit ohne Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO Auch die Zuständigkeit für Klagen in Zusammenhang mit Versicherungsverträgen ergäbe sich ohne die besonderen Regelungen der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO aus den Zuständigkeitsvorschriften des ersten und zweiten Abschnitts der Brüssel Ia-VO. I. Klagen gegen den Versicherer Klagen gegen den Versicherer wären demnach gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO am Wohnsitz des Versicherers zu erheben, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich beim Kläger um den Versicherungsnehmer, den Versicherten oder den Geschädigten handelt. Klagt der Versicherungsnehmer aus dem Versicherungsvertrag – etwa auf Zahlung – so stünde ihm gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO der Gerichtsstand am Erfüllungsort zu Verfügung. Dieser ist nach der lex causae und für jede Verpflichtung einzeln zu bestimmen, 200 bei Anwendbarkeit deutschen Rechts befindet er sich regelmäßig gemäß § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB am Sitz des Schuldners, also wiederum am Wohnsitz oder Sitz des Versicherers. Der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO erfasst auch Verträge zugunsten Dritter.201 Der Versicherte hat daher ebenfalls die Möglichkeit, am Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung zu klagen – auch dieser wird regelmäßig am Sitz des Versicherers liegen. Der Geschädigte wäre bei der Geltendmachung von Direktansprüchen gegen den Versicherer auf die Zuständigkeit aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO beschränkt, da er keinerlei Ansprüche aus einer freiwillig mit dem Versicherer eingegangen Verpflichtung hat.
199 Musielak/Voit/Stadler,
Art. 15 EuGVVO nF, Rn. 4.
200 Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO, Rn. 76. 201 Stein/Jonas/Wagner, Art. 5 EuGVVO, Rn. 26.
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II. Klagen des Versicherers Auch der Versicherer müsste Klagen grundsätzlich gemäß Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO am Wohnsitz des Beklagten erheben. Der Versicherer kann den Versicherungsnehmer zusätzlich gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO am Erfüllungsort des streitgegenständlichen Anspruchs verklagen. Da dieser in der Regel auf Zahlung gerichtet sein wird, befindet sich – bei der Anwendbarkeit des deutschen Rechts – der Erfüllungsort gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 VVG am Wohnsitz des Versicherungsnehmers. III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Ohne den ausschließlichen Gerichtsstand in Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO könnte der Versicherer auch außerhalb der Ausnahmen in Art. 15 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO treffen. Mittels rügeloser Einlassung wäre eine Zuständigkeitsbegründung bei Klagen gegen den Versicherungsnehmer, den Versicherten, den Begünstigten oder den Geschädigten auch ohne Belehrung gemäß Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO möglich. IV. Zwischenergebnis Ohne die Regelungen der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO würde es für Klagen gegen den Versicherer in der Regel keinen Klägergerichtsstand geben, auch könnte der Geschädigte seine Ansprüche gegen den Versicherer nur an dessen Sitz geltend machen. Der Versicherer hätte allerdings auch ohne die Gerichtsstände der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO keine Alternativen zur Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten, wenn man von der Möglichkeit der Zuständigkeitsvereinbarung gemäß Art. 25 Brüssel Ia-VO absieht. D. Zweck der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO Der dritte Abschnitt der Brüssel Ia-VO dient nach Erwägungsgrund 18 Brüssel Ia-VO wie der vierte und der fünfte Abschnitt sozialpolitischen Erwägungen.202 Als wirtschaftlich schwächere und in Bezug auf den Abschluss von Versicherungsverträgen weniger erfahrene Partei soll der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer bessergestellt werden.203 Seine Schutzbedürftigkeit wird im Prozess angenommen; ihr wird durch 202
Rn. 2.
Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (29); Stein/Jonas/Wagner, Art. 8 EuGVVO,
203 EuGH, Urteil v. 12. 05. 2005 – C-112/03 (Société financière et industrielle du Peloux) ECLI:EU:C:2005:280, Slg. I 2005, 3727 (Rn. 30); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 95;
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ein besonderes, abschließendes Gerichtsstandssystem Rechnung getragen.204 Diese Ziele verwirklichen insbesondere die Art. 11 Abs. 1, 14 Brüssel Ia-VO. Der Versicherungsnehmer erhält daher die Möglichkeit, aus mehreren Gerichtsständen – insbesondere seinem eigenen Wohnsitz – nach eigenen Erwägungen zu wählen. Er selbst kann nur in seinem Wohnsitzstaat verklagt werden und wird damit nur dort gerichtspflichtig. 205 Ebenfalls einen Klägergerichtsstand erhält der Geschädigte über die Verweisung des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; dieser soll als schwächere Partei wie Versicherungsnehmer, Versicherter und Begünstigter geschützt werden.206 Der prozessuale Schutz des Versicherungsnehmers soll ihm ermöglichen, am grenzüberschreitenden Versicherungsbinnenmarkt teilzunehmen – die Reduktion der für den Versicherungsnehmer bestehenden Risiken dient dem Funktionieren des Binnenmarktes.207 Dieser Schutz wird besonders wirksam, indem Gerichtsstandsvereinbarungen nur in Ausnahmefällen gemäß Art. 15 f. Brüssel Ia-VO zulässig sind.208 Art. 11 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO ermöglicht die Konzentration der Klagen gegen Mitversicherer vor einem Gericht, 209 Art. 12 Brüssel Ia-VO erleichtert die Beweisaufnahme und Tatsachenfeststellung, da der Prozess gegen die Versicherung vor dem gleichen Gericht wie der Deckungsprozess geführt werden kann.210 Diese beiden Gerichtsstände zielen damit auf Verfahrenskonzentration, Art. 12 Brüssel Ia-VO zusätzlich auf Beweisnähe. 211 Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO trägt ebenfalls zur Verfahrenskonzentration bei; zudem sollen widersprüchliche Entscheidungen im Haftungs- und im Deckungsprozess vermieden und gegebenenfalls Versicherungsbetrug verhindert werden.212 Die Gerichtsstände in Art. 11 Abs. 1 lit. c), 12, 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO verfolgen prozessökonomische Ziele. Zweck des dritten Abschnitts der Brüssel Ia-VO ist damit zum einen der Schutz des Versicherungsnehmers als schwächere Partei im grenzüberschreitenden Versicherungsverkehr. Dies trägt auch zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes bei. Zum anderen dienen die Zuständig ropholler/von Hein, vor Art. 8 EuGVO, Rn. 2; Rauscher/Staudinger, Art. 10 BrüsK sel Ia-VO, Rn. 6. 204 MüKo ZPO/Gottwald, Art. 10 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 205 Rauscher/Staudinger, Art. 14 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 206 EuGH, Urteil v. 13. 12. 2007 – C-463/06 (FBTO Schadeverzekeringen) ECLI:EU: C:2007:792, Slg. I 2007, 11323 (Rn. 28). 207 Magnus/Mankowski/Heiss, Introduction to Art. 10–16, Rn. 1. 208 Stein/Jonas/Wagner, Art. 13 EuGVVO, Rn. 1. 209 Stein/Jonas/Wagner, Art. 9 EuGVVO, Rn. 7. 210 Rauscher/Staudinger, Art. 12 Brüssel Ia-VO, Rn. 1. 211 Stein/Jonas/Wagner, Art. 10 EuGVVO, Rn. 1. 212 Jenard-Bericht, ABl. EG C 59 1979, 1 (32); Stein/Jonas/Wagner, Art. 11 EuGVVO, Rn. 16.
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keiten der Verfahrenskonzentration und damit prozessökonomischen Erwägungen. E. Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen I. Wertungen schuldvertraglicher Regelungen europäischer Grundlage Bei der Versicherung als Gegenstand des Versicherungsvertrages handelt es sich um ein abstraktes Rechtsprodukt, das durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers geprägt wird.213 Der Versicherungsvertrag ist in der Regel vorformuliert, wodurch der wirtschaftlich unterlegene Versicherungsnehmer in der Regel keinen Einfluss auf die Gestaltung des Vertrages nehmen kann.214 Es kann dem Versicherungsnehmer außerdem Schwierigkeiten bereiten, den Versicherungsvertrag in seiner ganzen Reichweite zu erfassen. In den schuldvertraglichen Regelungen des deutschen Versicherungsvertragsrechts wird der Versicherungsnehmer als Vertragspartner des Versicherers daher durch zwingende und halbzwingende Vorschriften geschützt, insbesondere durch Informations- und Beratungspflichten des Versicherers sowie durch Widerrufsrechte. Diese Regelungen basieren zum Teil auf den europäischen Vorgaben der Fernabsatz- und Versicherungsvertriebsrichtlinie sowie der außer Kraft getretenen Vermittlerrichtlinie. Im VVG wurde der Anwendungsbereich auf sämtliche Versicherungsverträge unabhängig vom Verhandlungspartner des Versicherten erweitert.215 II. Wertungen hinter den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO Die Gerichtsstände in Versicherungssachen in der Brüssel Ia-VO dienen dem Schutz der schwächeren Partei, prozessökonomischen Erwägungen und der Stärkung des Rechtsverkehres im Binnenmarkt. Während der Gerichtsstand nach Art. 11 Abs. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO den Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes auf Versicherungssachen anwendbar macht, räumt Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO dem Versicherungsnehmer, dem Begünstigten und dem Versicherten einen Klägergerichtsstand an ihrem eigenen Wohnsitz ein. Damit wird zulasten des Versicherers vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands – der auch Grundlage der Brüssel Ia-VO ist – abgewichen. Neben ihrer möglicherweise geringeren Erfahrung und sozialen Unterlegenheit gegenüber dem Versicherer gibt es keine prozessualen Nach213 Reichert-Facilides, in: FS Drobnig, 1998, S. 119 (124). 214 EuGH, Urteil v. 12. 05. 2005 – C-112/03 (Société financière
et industrielle du Peloux) ECLI:EU:C:2005:280, Slg. I 2005, 3727 (Rn. 30); Fricke, VersR 2009, 429 (429). 215 Siehe oben § 16A, S. 141 ff.
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teile. Auch fehlt es im Vergleich mit der Regelung in Art. 17 Abs. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO an einem dem Versicherer zurechenbaren Verhalten, das für den internationalen Bezug ursächlich geworden ist. 216 Vermittelt ein Versicherungsvertreter, der innerhalb des Wohnsitzstaates des Versicherungsnehmers ansässig ist, den Vertrag mit einer im Ausland sesshaften Versicherung, so wäre es für den Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht erkennbar, dass er einen Prozess nach allgemeinen Grundsätzen gegebenenfalls in einem anderen Staat führen muss. Es wäre also zu rechtfertigen, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer auch am Sitz des Versicherungsvermittlers verklagen kann – diese Regelung, die sich noch in der ursprünglichen Fassung des EuGVÜ fand, wurde jedoch ersatzlos gestrichen. III. Privilegierung Dritter Besonders auffällig ist, dass in den Genuss dieser Privilegierung auch Personen kommen, die nicht unmittelbar als Vertragspartner am Versicherungsvertrag beteiligt sind. 217 Dies bringt zum einen zusätzliche Unsicherheiten für den Versicherer mit sich, da er nicht nur damit rechnen muss, am Wohnsitz seines Vertragspartners verklagt zu werden, sondern auch dort, wo nur mittelbar am Vertrag beteiligte, vom Versicherungsnehmer benannte Dritte ansässig sind – die Streitigkeit kann so in mehreren Mitgliedsstaaten verhandelt werden.218 Allerdings hat der Versicherer die Möglichkeit, die Person des Dritten bei Vertragsschluss festzulegen und ihren Wohnsitz zu erfahren; vor einem Wohnsitzwechsel ist er auch mit Bezug auf den Versicherungsnehmer nicht geschützt.219 Zusätzlich erhalten auch die überhaupt nicht am Vertrag beteiligten Geschädigten einen Klägergerichtsstand am eigenen Wohnsitz. Demgegenüber gibt es keine unmittelbaren prozessualen Nachteile der privilegierten Dritten im Prozess. Als Kläger befinden sie sich in der prozessual besseren Situation, der Beklagtenschutz des Versicherers wird zu ihren Gunsten ausgehebelt. Bei Vertragsschluss wird der Versicherungsnehmer mit einem abstrakten, vom Versicherer gestalteten Vertrag konfrontiert, dessen Klauseln – besonders die mit Bezug auf künftige Ereignisse, deren Eintritt ungewiss ist – im Einzelfall nur schwer zu kontrollieren sind und deren Folgen sich nicht abschätzen lassen.220 Die Bedeutung einer Zuständigkeitsklausel wird der Versicherungsnehmer in den meisten Fällen bei Vertragsschluss nicht über216 217
Vergleiche oben § 10E. I, S. 81 ff. Schüttfort, Ausschließliche Zuständigkeiten im internationalen Zivilprozessrecht, 2011, S. 21. Vergleiche auch oben § 18B. II.1.a), S. 168 f. 218 Stein/Jonas/Wagner, Art. 9 EuGVVO, Rn. 4. 219 Fricke, VersR 1999, 1055 (1058). 220 Stein/Jonas/Wagner, Art. 13 EuGVVO, Rn. 2.
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blicken.221 Hier bestehen tatsächlich Nachteile des Versicherungsnehmers in der Verhandlungssituation, die unmittelbar prozessuale Folgen haben. Nach der Entstehung der Streitigkeit ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich der Versicherungsnehmer aufgrund der sozialen Überlegenheit des Versicherers auf eine Zuständigkeitsvereinbarung zu dessen Gunsten einlässt, zumal er anwaltliche Unterstützung suchen kann.222 Der Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen für Versicherungssachen ist eine konsequente prozessuale Fortsetzung des gerechtfertigten materiellrechtlichen Schutzes des Versicherungsnehmers – hier hat die Unterlegenheit bei Vertragsschluss Einfluss auf den Prozess. F. Ergebnis Der Klägergerichtsstand des Versicherungsnehmers, des Versicherten und des Begünstigten in Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO setzt die Wertungen des materiellen Rechts zugunsten des Versicherungsnehmers fort. Dabei wird eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes gemacht. Diese ist nicht durch unmittelbar prozessuale oder materiellrechtliche Nachteile, die im Prozess fortwirken, gerechtfertigt. Es handelt sich damit auch hier um eine Materialisierung des Zivilprozessrechtes.
221 Stein/Jonas/Wagner, Art. 13 EuGVVO, Rn. 2. 222 Stein/Jonas/Wagner, Art. 13 EuGVVO, Rn. 6.
Kapitel 5
Fernunterrichtsvertrag § 19 Vertraglicher Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers Das Fernunterrichtsschutzgesetz enthält zum Schutz des Teilnehmers sowohl privat- als auch öffentlich-rechtliche Regelungen.1 Zu den privatrechtlichen Regelungen gehören neben besonderen schuldrechtlichen Vorschriften mit § 26 FernUSG auch prozessuale Regelungen zum Schutz des Teilnehmers am Fernunterricht. Das Fernunterrichtsschutzgesetz wurde ursprünglich geschaffen, um Mängel im Fernunterrichtswesen zu beseitigen und den Verbraucherschutz des Teilnehmers zu gewährleisten.2 Der Schwerpunkt des Fernunterrichts liegt in der beruflichen Weiterbildung; das Bedürfnis nach dieser steigt mit der Zunahme sozialer und wirtschaftlicher Mobilität.3 Die Mängel des Fernunterrichts bestanden insbesondere im übertriebenen Einsatz von Abschlussvertretern, unzulänglicher oder falscher Werbung, nachteiliger Vertragsgestaltung für den Teilnehmer und methodisch sowie inhaltlich schlechten Angeboten, die das beworbene Lehrgangziel nicht erreichten.4 Die hohe Zahl der Abbrecher des Fernunterrichts wurde ausgenutzt, indem die Veranstalter sie möglichst lange am Vertrag festhielten und ihnen den gesamte Preis berechneten.5 Fernunterricht im Sinne des FernUSG ist gemäß § 1 FernUSG die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der Lehrende und Lernende räumlich getrennt sind und der Lernerfolg vom Lehrenden oder seinem Beauftragten überwacht wird. Bei der räumlichen Trennung ist entscheidend, ob sich der Lernende zusätzlich anstrengen muss, um mit dem Lehrenden in Kontakt zu treten, was bei synchroner Kommunikation, wie etwa durch Videokon-
1 2
Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 119. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (13); Dörner, BB 1977, 1739 (1739). 3 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 77 f. 4 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (12); Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 81 f. 5 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 81.
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ferenzen, nicht der Fall ist.6 Das FernUSG legt die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien fest, bestimmt Form und Inhalt des Fernunterrichtsvertrages und räumt dem Teilnehmer ein Widerrufsrecht und ein ordentliches Kündigungsrecht ein. Veranstalter und Teilnehmer sind die beiden Parteien des Fernunterrichtsvertrages; sie können, müssen jedoch nicht mit Lehrendem und Lernendem gemäß § 1 Abs. 1 FernUSG identisch sein.7 In den Anwendungsbereich des FernUSG fallen auch Verträge zugunsten Dritter.8 Schließt etwa ein Arbeitgeber für seinen Arbeitnehmer einen Fernunterrichtsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB ab, ist der Arbeitgeber der Teilnehmer, der Arbeitnehmer der Lernende nach § 1 Abs. 1 FernUSG.9 Das Handeln als Verbraucher gemäß § 13 BGB ist keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des FernUSG;10 Teilnehmer kann auch eine juristische Person oder eine gewerblich oder beruflich tätige natürliche Person sein.11 Der Fernunterrichtsvertrag wird in der Regel nicht im Ladengeschäft, sondern als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag gemäß § 312b BGB oder als Fernabsatzvertrag gemäß § 312c BGB abgeschlossen; Informationspflichten ergeben sich daher regelmäßig aus unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 312d BGB und Art. 246a EGBGB.12 § 4 FernUSG gewährt dem Fernunterrichtsteilnehmer ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB. Handelt es sich beim Fernunterrichtsvertrag um einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, so ergibt sich dieses unmittelbar aus den §§ 312b, 312c, 312g, 355 BGB.13 Liegt kein Fernabsatzvertrag vor, etwa weil es sich beim Teilnehmer nicht um einen Verbraucher gemäß § 13 BGB handelt, räumt § 4 FernUSG zusätzlich ein Widerrufsrecht ein. Dieses Widerrufsrecht sollte dem Fernunterrichtsteilnehmer die Möglichkeit geben, den Fernlehrgang darauf zu überprüfen, ob er seinen Erwartungen entspricht und ob der Teilnehmer die Vorgaben des Fernunterrichts erfüllen kann.14 Das Widerrufsrecht dient daher – zumindest nach der ursprünglichen Gesetzesbegründung – nicht dem Schutz des Teilnehmers vor einem übereilten Ver-
6
NK FernUSG/Vennemann, § 1 FernUSG, Rn. 10. Faber/Schade, § 2 FernUSG, Rn. 6; Bülow, NJW 1993, 2837 (2837 f.). 8 NK FernUSG/Vennemann, § 1 FernUSG, Rn. 7. 9 Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 (2050). 10 Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 (2050). 11 Bülow, NJW 1993, 2837 (2838). 12 NK FernUSG/Vennemann, § 3 FernUSG, Rn. 3. 13 NK FernUSG/Vennemann, § 4 FernUSG, Rn. 1. 14 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (15); Dörner, BB 1977, 1739 (1742 f.); NK FernUSG/Vennemann, § 4 FernUSG, Rn. 3. 7
§ 19 Vertraglicher Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers
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tragsschluss.15 Der Fernunterrichtsteilnehmer soll wie der Verbraucher im Fernabsatz die Möglichkeit haben, die vertragsbestimmende Leistung seines Vertragspartners in Augenschein zu nehmen.16 Der Teilnehmer kann gemäß § 5 FernUSG den Fernunterrichtsvertrag ohne Angabe von Gründen zu bestimmten Terminen ordentlich kündigen. Ihm soll so die Möglichkeit gegeben werden, zu einem ihm günstigen Zeitpunkt den Vertrag zu beenden.17 Der Veranstalter bleibt dagegen auf die Kündigung aus wichtigen Gründen beschränkt. So ist es zum Beispiel nicht möglich, dass der Veranstalter zur Erhöhung des Preises eine Änderungskündigung ausspricht.18 Die erschwerte Beendigungsmöglichkeit für den Veranstalter als Partei eines Dauerschuldverhältnisses erinnert an die Einschränkungen der Kündigung im Wohnraummietrecht.19 § 10 FernUSG verbietet Abweichungen von den Regelungen der §§ 2 bis 10 FernUSG zulasten des Fernunterrichtsteilnehmers und macht so die dargestellten Vorschriften zu halbzwingendem Recht. Bei Inkrafttreten des Gesetzes sollte insbesondere die fehlende Seriosität von Fernlehrinstituten behoben werden, um so den politisch erwünschten Fernunterricht zu fördern.20 Die schuldvertraglichen Vorschriften des FernUSG sollen verhindern, dass der Teilnehmer einen Vertrag über einen Fernlehrgang übereilt oder ohne dessen Ziele, Dauer und Kosten und seine vertraglichen Rechte zu kennen, abschließt.21 Die Schutzbedürftigkeit des Teilnehmers ergibt sich dabei zum einen aus der fehlenden Möglichkeit, sich einen Überblick über den Fernunterrichtsmarkt zu bilden und zum anderen aus der fehlenden Möglichkeit, zu überprüfen, ob der Lehrgang an sich und qualitativ geeignet ist.22 Letztere ergibt sich auch aus der räumlichen Distanz zwischen Veranstalter und Teilnehmern, die es in der Regel nicht ermöglicht, die Unterrichtsmaterialien vor Abschluss des Vertrags in Augenschein zu nehmen.23 Schließlich soll der Teilnehmer davor geschützt werden, dass ihm ein Vertrag aufgedrängt oder unzulässig an einem von ihm nicht benötigten Vertrag festgehalten wird.24 15 16
Dörner, BB 1977, 1739 (1742 f.). Zum Fernabsatzvertrag MüKo BGB/Wendehorst, § 312c BGB, Rn. 3. 17 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (16). 18 NK FernUSG/Vennemann, § 5 FernUSG, Rn. 1. 19 Zu diesen vergleiche oben § 12A, S. 109 ff. 20 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (12). 21 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (17); NK FernUSG/Vennemann, Vor § 2 FernUSG, Rn. 1. 22 NK FernUSG/Vennemann, Einleitung, Rn. 7 f., 10 f. 23 NK FernUSG/Vennemann, Einleitung, Rn. 10 f. 24 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (12 f.).
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§ 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG § 26 FernUSG bestimmt den Gerichtsstand bei Streitigkeiten aus oder über das Bestehen eines Fernunterrichtsvertrages. A. Entwicklung des § 26 FernUSG Das FernUSG trat am 1. Januar 1977 in Kraft;25 eine Gerichtsstandsregelung für Fernunterrichtsverträge fand sich schon im ersten Entwurf des FernUSG. Zunächst sollte mit § 29b ZPO eine Regelung eingefügt werden, nach der das Gericht für Streitigkeiten aus dem Fernunterrichtsvertrag zuständig ist, in dessen Bezirk der Teilnehmer seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.26 Dem Teilnehmer sollte so während des gegebenenfalls mehrjährigen Vertragsverhältnisses die Möglichkeit zur Rechtsverfolgung erleichtert werden.27 Im Gesetzgebungsverfahren wurde durch Bundesrat und Rechtsausschuss an dieser Formulierung kritisiert, dass ein Wahlgerichtsstand den Fernunterrichtsteilnehmer nicht ausreichend schütze, da in den Formularverträgen regelmäßig die ausschließliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Veranstalters festgelegt werde.28 Die Regelung wurde daher in Anknüpfung an die „bewährte Regelung in §§ 6a, 6b AbzG“29 als ausschließlicher Gerichtsstand gefasst, Gerichtsstandsvereinbarungen wurden in bestimmten Fällen für zulässig erklärt.30 Der Gerichtsstand für Streitigkeiten aus einem Fernunterrichtsvertrag wurde letztlich in § 26 FernUSG festgelegt, die Zuständigkeit wurde ausschließlich geregelt und Gerichtsstandsvereinbarungen nur in bestimmten Fällen für zulässig erklärt, § 26 Abs. 2 FernUSG.31
25 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG), BGBl. Teil I 1976, 2525 ff. 26 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (10); Faber/Schade, Einleitung, Rn. 14. 27 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (22). 28 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (30); Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4965 (12). 29 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (30). 30 Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4965 (12). 31 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG), BGBl. Teil I 1976, 2525 (2531).
§ 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG
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Anstelle einer Änderung der ZPO entschied sich der Gesetzgeber für die Einfügung in das FernUSG. § 26 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 FernUSG, die Vorschriften zur Zuständigkeitsvereinbarung im Mahnverfahren und der Verweisung von Amts wegen zum Gericht am Wohnsitz des Teilnehmers bei Widerspruch gegen den Mahnoder Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid wurden durch die Vereinfachungsnovelle32 wieder aus dem Gesetz gestrichen.33 Bei Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie mussten auch Teile des Fernunterrichtsgesetzes angepasst werden.34 Die Gerichtsstandsregelung in § 26 FernUSG blieb davon im Wesentlichen unberührt.35 Die Zuständigkeitsregelung im Erkenntnisverfahren in § 26 FernUSG hat sich seit seinem Inkrafttreten mit Ausnahme der Zuständigkeitsregelung für das Mahnverfahren inhaltlich nicht geändert. B. Inhalt des § 26 FernUSG § 26 FernUSG bestimmt die Zuständigkeit für Klagen aus Fernunterrichtsverträgen. I. Voraussetzungen Sachliche Voraussetzung für die Anwendung von § 26 FernUSG ist, dass Gegenstand der Klage eine Streitigkeit aus einem Fernunterrichtsvertrag ist. Davon sind alle Ansprüche erfasst, die ihre Grundlage in einem solchen Vertrag haben, also neben unmittelbaren vertraglichen Ansprüchen auch sekundäre Ansprüche, Streitigkeiten über das Bestehen des Vertrages, sein Scheitern oder die Rückabwicklung.36 Nicht entscheidend ist, wer die Ansprüche aus dem Fernunterrichtsvertrag geltend macht.37 Demzufolge fallen auch Klagen des oder gegen den Lernenden, der nicht Teilnehmer ist, aus einem Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB in den Anwendungsbereich.
32 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle), BGBl. Teil I 1976, 3281 (3311). 33 Faber/Schade, § 26 FernUSG, Rn. 1. 34 Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BT‑Drucks. 14/2658 (31). 35 Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro, BGBl. Teil I 2000, 897 (904 f.). 36 Faber/Schade, § 26 FernUSG, Rn. 2; NK FernUSG/Vennemann, § 26 FernUSG, Rn. 1. 37 NK FernUSG/Vennemann, § 26 FernUSG, Rn. 1.
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II. Rechtsfolge Die örtliche Zuständigkeit für diese Streitigkeiten liegt ausschließlich vor dem Gericht, in dessen Bezirk der Teilnehmer des Fernunterrichts seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Das bedeutet, dass sowohl der Teilnehmer als auch der Veranstalter des Fernunterrichts ihre Klagen nur vor dem Gericht erheben können, in dessen Bezirk der Teilnehmer wohnhaft ist. Veranstalter und Teilnehmer können damit bei Klagen gegeneinander nicht auf andere Zuständigkeiten zurückzugreifen. Auch der Lernende muss sich bei Klagen gegen den Veranstalter aus dem Vertrag zugunsten Dritter an das Gericht halten, in dessen Bezirk sich der Wohnsitz des Teilnehmers befindet. Gerichtsstandsvereinbarungen sind nur nach Entstehen der Streitigkeit zulässig oder wenn der Teilnehmer seinen Wohnsitz aus dem Geltungsbereich des FernUSG verlegt oder weder Wohnsitz noch gewöhnlicher Aufenthalt des Teilnehmers bekannt sind. C. Zuständigkeit ohne § 26 FernUSG § 26 FernUSG schafft damit eine besondere Zuständigkeitsregelung für Streitigkeiten aus Fernunterrichtsverträgen. Ohne diese Sonderregelung würde sich die Zuständigkeit nach den Zuständigkeitsvorschriften der ZPO bestimmen. I. Klagen gegen den Veranstalter Grundsätzlich müsste sich der Teilnehmer des Fernunterrichts gemäß der §§ 12 ff. ZPO an das Gericht halten, in dessen Bezirk der Veranstalter seinen Wohnsitz hat. Der Gerichtsstand nach § 29 ZPO befindet sich am jeweiligen Leistungsort der streitigen Verpflichtung.38 Bei der Lieferung des Fernlehrmaterials wird es sich gemäß § 269 Abs. 1 BGB regelmäßig um eine Schickschuld handeln,39 sodass sich der Leistungsort regelmäßig am Sitz des Veranstalters befinden wird. Auch Anleitung und Überwachung wird der Anbieter als Schickschuld erbringen. Das nach § 29 ZPO zuständige Gericht befände sich daher in der Regel am Sitz des Veranstalters. Würde der Teilnehmer nach Widerruf des Vertrages Klage auf Rückzahlung des Entgelts erheben, befände sich dessen Leistungsort gemäß §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB ebenfalls am Wohnsitz oder Sitz des Veranstalters. Gleiches gilt für Klagen des Lernenden aus dem Fernunterrichtsvertrag als Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB.40 38 Vorwerk/Wolf/Toussaint,
§ 29 ZPO, Rn. 30 f. Rn. 7, 49.
39 MüKo BGB/Krüger, § 269 BGB, 40 Siehe oben § 17C. II., S. 160 f.
§ 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG
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II. Klagen des Veranstalters Der Veranstalter müsste sich ebenfalls an die Gerichte halten, in dessen Bezirk Teilnehmer oder Lernender ihren Wohnsitz oder Sitz haben, §§ 12 ff. ZPO. Der Leistungsort für die Zahlungspflicht des Fernunterrichtsteilnehmers befindet sich regelmäßig an dessen Wohnsitz, §§ 270 Abs. 4, 269 Abs. 1 BGB.41 Bei der Rücksendung der Unterrichtsmaterialien nach Widerruf handelt es sich gemäß § 355 Abs. 4 BGB um eine Schickschuld,42 deren Leistungsort befindet sich damit ebenfalls am Wohnsitz des Teilnehmers oder des Lernenden. III. Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Ohne den ausschließlichen Gerichtsstand in § 26 Abs. 1 FernUSG könnte die Zuständigkeit durch Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit oder durch rügeloses Verhandeln gemäß §§ 38 f. ZPO bestimmt werden. IV. Zwischenergebnis Ohne die ausschließliche Zuständigkeit nach § 26 FernUSG müssten sich der Teilnehmer oder der Lernende bei Klagen aus dem Fernunterrichtsvertrag an das Gericht am Wohnsitz oder am Sitz des Veranstalters richten. Sie hätten in der Regel keinen Klägergerichtsstand zu ihrer Verfügung. Dem Veranstalter stünde dagegen regelmäßig nur das Gericht am Wohnsitz des Teilnehmers zu Verfügung, allerdings hätte er bei einem anderen einschlägigen Gerichtsstand ein Wahlrecht nach § 35 ZPO. D. Zweck des § 26 FernUSG § 26 FernUSG soll den Rechtsschutz des Fernunterrichtsteilnehmers verbessern, indem Rechtsstreitigkeiten ausschließlich an seinem Wohnsitz ausgetragen werden.43 So sollen insbesondere sachlich nicht gerechtfertigte Versäumnisurteile verhindert werden.44 Dem Teilnehmer soll es erleichtert werden, seine Rechte vor Gericht zu verfolgen; dies hat besondere Bedeutung, da es sich beim Fernunterrichtsvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt, dessen Vertragsbeziehung unter Umständen jahrelang dauern kann.45 41 MüKo BGB/Krüger, § 269 BGB, Rn. 5, 49; Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 29 ZPO, Rn. 31, 37. 42 MüKo BGB/Fritsche, § 355 BGB, Rn. 59. 43 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 202. 44 Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes, 1983, S. 202. 45 Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht, BT‑Drucks. 7/4245 (22).
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Teil II: Materialisierung im geltenden Recht
E. Fortsetzung materiellrechtlicher Wertungen I. Schuldvertragliche Wertungen Die schuldvertraglichen Schutzinstrumente im Fernunterrichtsschutzgesetz verfolgen einmal das Ziel, den Teilnehmer vor missbräuchlichen Vermarktungsmethoden und Vertragsklauseln zu schützen. Daneben gibt ihm das Widerrufsrecht die Möglichkeit, sich nach Durchsicht des Unterrichtsmaterials vom Vertrag zu lösen. Die Schutzbedürftigkeit ergibt sich zum einen aus missbräuchlichem Verhalten der Fernunterrichtsveranstalter, zum anderen aus der räumlichen Distanz zwischen Veranstalter und Teilnehmer oder Lernendem.46 II. Prozessuales Schutzbedürfnis § 26 FernUSG bestimmt die ausschließliche örtliche Zuständigkeit für sämtliche Klagen aus Fernunterrichtsverträgen am Wohnsitz des Teilnehmers. Zugunsten des Teilnehmers wird damit bei seinen Klagen vom Grundsatz des Beklagtengerichts abgewichen, ihm wird ein Klägergerichtsstand eröffnet. Dieser ist allerdings ausschließlich, sodass der Teilnehmer keine Wahl zwischen diesem und anderen Gerichtständen hat. Der Veranstalter des Fernunterrichts ist ebenfalls auf diesen Gerichtsstand festgelegt.47 Der Beklagtenschutz ist bei Klagen gegen den Teilnehmer ausschließlich und wird verstärkt. § 26 FernUSG weicht damit teilweise vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands ab. Während sich das missbräuchliche Verhalten des Veranstalters bei Vertragsschluss nicht auf die konkrete prozessuale Situation auswirkt, ist dies bei der räumlichen Distanz zwischen Teilnehmer und Veranstalter der Fall. Einmal kann der Teilnehmer nicht immer zwingend erkennen, wo der Veranstalter ansässig ist und wo er dementsprechend im Streitfall Klage zu erheben hätte. Daneben würde die räumliche Distanz die Prozessführung des Teilnehmers erschweren, er müsste ohne die Regelung des § 26 FernUSG Klage an dem gegebenenfalls weiter entfernten Sitz des Veranstalters erheben. F. Ergebnis Die schuldrechtlichen Schutzerwägungen des Fernunterrichtsgesetzes setzen sich damit auch im Prozess fort. § 26 FernUSG bevorteilt den Teil46 Vergleiche zum schuldvertraglichen Schutz des Fernunterrichtsteilnehmers oben § 19, S. 177 ff. 47 Vergleiche soeben § 20B, S. 181 f.
§ 20 Gerichtsstand für Fernunterrichtsverträge, § 26 FernUSG
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nehmer nicht nur aus materiellrechtlichen, sondern auch aus prozessualen Erwägungen. Es handelt sich damit zumindest teilweise um eine Materialisierung des Zivilverfahrensrechts.
Teil III
Bedeutung der Materialisierung für das Verhältnis des materiellen Rechts zum Zivilprozessrecht § 21 Materialisierung de lege lata In Teil II konnte festgestellt werden, dass das materialisierte Schuldvertragsrecht in den untersuchten Regelungen und der Rechtsprechung des EuGH in unterschiedlichem Umfang Einfluss auf die zugehörigen zivilprozessualen Normen nimmt. Für den Status quo der Materialisierung im Zivilprozess lassen sich daher in Zusammenfassung von Teil II folgende Schlüsse ziehen: A. Abzahlungsverträge Der frühere schuldvertragliche Schutz des Abzahlungskäufers diente dazu, diesen vor dem unüberlegten Abschluss von Abzahlungsverträgen und einer finanziellen Überforderung zu schützen. Der Abzahlungskäufer befand sich bei Abschluss des Vertrages regelmäßig aufgrund seiner sozialen Situation im Nachteil.1 Die prozessuale Privilegierung des Abzahlungskäufers durch die ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG hatte zunächst das Ziel, diesen vor nachteiligen Gerichtsstandsvereinbarungen zu schützen. Nach der Gerichtsstandsnovelle2 gab es mangels grundsätzlicher Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen keinerlei prozessuale Begründung mehr für diese Regelung. Die Abschaffung der Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte in den §§ 6a, 6b AbzG und die Änderung der Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 haben dazu geführt, dass schuldvertragliche Wertungen im Zivilverfahrensrecht heute weniger vertreten sind. Die Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 hatten dabei insbesondere schuldvertragliche Wertungen der Mitgliedsstaaten des Abkommens umgesetzt. Auf europäischer Ebene gab es zu dieser Zeit noch keine Regelungen für Abzahlungsgeschäfte. Zumindest mit Bezug auf den Abzahlungsver-
1 2
Vergleiche oben § 5, S. 42 ff. Vergleiche oben § 4C, S. 34 ff.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
trag ist der Einfluss schuldvertraglicher Wertungen auf das Zivilprozessrecht zurückgegangen.3 B. Verbraucherverträge Zu Gunsten des Verbrauchers, der in § 13 BGB, in den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO und in den europäischen Richtlinien im Wesentlichen identisch als nicht beruflich oder gewerblich handelnde Person definiert wird, werden prozessuale Wertungen aus schuldvertraglichen Erwägungen außer Kraft gesetzt. Die zu privaten Zwecken handelnde Partei soll sich bei Vertragsschluss und im Prozess gegenüber der gewerblich handelnden Partei in einer unterlegenen Situation befinden und aufgrund dieses Machtgefälles geschützt werden. Die Schutzbedürftigkeit hängt von der Art des jeweiligen Vertrages und der Abschlussform ab.4 Dabei berücksichtigen die Gerichtsstandsregelungen in § 29c ZPO für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und in den Art. 17 Abs. 1 lit. c), 18 f. Brüssel Ia-VO bei Ausrichten der Tätigkeit des Unternehmers auf den Mitgliedsstaat des Verbrauchers Besonderheiten des Vertragsschlusses, die sich in der Prozesssituation fortsetzen. Art. 17 Abs. 1 lit. a), b), 18 f. Brüssel Ia-VO knüpfen dagegen für Teilzahlungs- und finanzierte Käufe ausschließlich an schuldvertragliche, auch durch das europäische Sekundärrecht geprägte, Wertungen an.5 Die Rechtsprechung des EuGH, die zugunsten des Verbrauchers ein Abweichen von nationalen Prozessmaximen verlangt, nimmt mit Ausnahme der Kontrolle von Gerichtsstandsregelungen in missbräuchlichen Klauseln ebenfalls auf rein schuldvertragliche Gegebenheiten Bezug, die in der Prozesssituation nicht einmal mittelbar das Machtgefälle zwischen den Parteien beeinflussen.6 C. Wohnraummietverträge Der schuldvertragliche Schutz des Wohnraummieters verfolgt insbesondere den Zweck, seine Belastungen durch Änderung oder Beendigung des Wohnraumietverhältnisses zu vermeiden, indem es dem Vermieter die Kündigung erschwert.7 3 Im Einzelnen jeweils oben § 6, S. 44 ff. zu den §§ 6a, 6b AbzG und § 7, S. 51 ff. zu Art. 13 EuGVÜ-1968. 4 Vergleiche oben § 8, S. 55 ff. 5 Vergleiche oben § 9, S. 61 ff. zu § 29c ZPO und § 10, S. 71 ff. zu den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO. 6 Vergleiche oben § 11, S. 84 ff. 7 Vergleiche oben § 12, S. 109 ff.
§ 21 Materialisierung de lege lata
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Bei den ausschließlichen örtlichen und internationalen Zuständigkeitsvorschriften für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen über Räume in § 29a ZPO und über unbewegliche Sachen in Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO stehen die Vorteile einer räumlichen Nähe des zuständigen Gerichts zur Mietsache im Vordergrund. Der schuldvertraglich privilegierte Wohnraummieter wird allenfalls reflexartig durch einen ausschließlichen Kläger- und Beklagtengerichtsstand an seinem Wohnsitz geschützt, wenn sich sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt am gleichen Ort befindet wie die Mietsache. Bei der internationalen Zuständigkeit kommt der regelmäßige, aber nicht zwingende Gleichlauf von lex fori und anwendbarem Sachrecht hinzu, der durch die gegebene Rechtsnähe dem Gericht die Rechtsfindung erleichtert.8 Bei der Entscheidung ohne Antrag in Mietsachen gemäß § 308a ZPO handelt es sich dagegen um eine Vorschrift, mit der die Regelungen des Schuldvertragsrechts zum Schutz des Wohnraummieters im Zivilprozessrecht fortgesetzt werden. Der Anspruch des Mieters, das Mietverhältnis gegen den Willen des Vermieters und trotz wirksamer Kündigung fortzusetzen, bekommt durch die antragslose Entscheidung über die Dauer und die Umstände der Fortsetzung ein besonderes Gewicht. Diese erhebliche Einschränkung der Privatautonomie des Vermieters aufgrund der besonderen sozialen Situation des Mieters findet sich ebenfalls im Prozess.9 D. Versicherungsverträge Die schuldrechtlichen Regelungen des Versicherungsvertragsrechts begünstigen durch Einschränkungen der Privatautonomie den Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer. Im europäischen internationalen Privatrecht wird die Rechtswahlfreiheit zugunsten des Versicherungsnehmers ebenfalls eingeschränkt. Grund hierfür ist insbesondere der Charakter des Versicherungsvertrages, der für den Versicherungsnehmer aufgrund seiner Abstraktheit nicht immer unmittelbar verständlich ist.10 In den Zuständigkeitsregelungen des § 215 VVG und der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO werden diese Begünstigungen auf das – deutsche und europäische – Zivilprozessrecht übertragen.11
8 Vergleiche oben unter § 13, S. 113 ff. zu § 29a ZPO und unter § 14, S. 126 ff. zu Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO. 9 Vergleiche oben § 15, S. 135 ff. 10 Vergleiche oben § 16, S. 141 ff. 11 Vergleiche oben unter § 17, S. 150 ff. zu § 215 VVG und unter § 18, S. 165 ff. zu Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
E. Fernunterrichtsverträge Der Fernunterrichtsteilnehmer wird durch die schuldvertraglichen Regelungen des FernUSG zum einen davor geschützt, dass er in ein Vertragsverhältnis verwickelt oder in diesem festgehalten wird, das für ihn wertlos ist. Auch wird den Besonderheiten des Fernunterrichtsvertrages als regelmäßiges Distanzgeschäft Rechnung getragen.12 Die Gerichtsstandsregelung in § 26 FernUSG privilegiert den Fernunterrichtsteilnehmer zum einen aus den ersteren, rein schuldvertraglichen Gründen. Zum anderen berücksichtigt er die prozessualen Besonderheiten, die sich aus den Umständen des Fernabsatzvertrages als Distanzgeschäft ergeben.13 F. Zwischenergebnis Nicht alle Regelungen des Zivilprozessrechts, die auf materialisiertes Schuldvertragsrecht Bezug nehmen, setzen dessen spezielle Wertungen zugunsten der schuldvertraglich geschützten Partei im Prozess fort. Dabei knüpfen die Regelungen im materialisierten Schuldvertragsrecht immer an ein Machtgefälle zwischen den Parteien an. Dieses wird allgemein definiert und orientiert sich nicht an der individuellen Situation bei Vertragsschluss. Es bestimmt sich aus der Art des Vertrages bei Wohnraummietvertrag, Versicherungsvertrag, Fernunterrichtsvertrag und Abzahlungsvertrag oder ist wie beim Verbraucherschutz am Zweck des Rechtsgeschäfts ausgerichtet. Bei den Dauerschuldverhältnissen sind sie unterschiedlich durch die Beendigung oder die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses betroffen. Es wird davon ausgegangen, dass eine Partei – in diesem Fall diejenige, welche die vertragsbestimmende Leistung anbietet – sich pauschal in der überlegenen Situation befindet. Zwischen den Parteien besteht bei Vertragsschluss oder während der Vertragslaufzeit ein Machtgefälle. Das Gleiche gilt für die materialisierten Regelungen des Zivilprozessrechts, die an das materialisierte Schuldrecht anknüpfen.
§ 22 Prozessualer Schutz des Schwächeren Die in Teil II untersuchten, materialisierten Regelungen des Zivilprozessrechts, die auf das Mietvertragsrecht, Verbraucherschutzrecht, Versicherungsvertragsrecht und Fernunterrichtsvertragsrecht Bezug nehmen, zei12 13
Vergleiche oben § 19, S. 177 ff. Vergleiche oben § 20, S. 180 ff.
§ 22 Prozessualer Schutz des Schwächeren
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gen, dass materiellrechtliche Wertungen zum Schutz der schwächeren Partei auch in das Zivilprozessrecht übertragen werden. Diese Regelungen unterscheiden sich sowohl in ihrer Begründung als auch in ihrem Aufbau von reinen prozessualen Schutzregelungen. Die daraus folgenden Materialisierungserscheinungen können Schwierigkeiten für das Verhältnis von materiellem Zivilrecht und Zivilprozessrecht bereiten. Der Schutz einer Partei im Erkenntnisverfahren ist dem Zivilprozessrecht nicht fremd. Im Gegenteil finden sich in der ZPO einige Regelungen, die eine Partei begünstigen und so „materialen Gerechtigkeitserwägungen“ dienen. Beispiele hierfür sind die Gewährung von Prozesskostenhilfe (A. II), die Pflicht zum richterlichen Hinweis (A. III) und die Auferlegung einer sekundären Beweislast (A. IV). Insbesondere die letzteren Regelungen weichen im Grundsatz von der ausschließlichen Geltung der Parteiherrschaft ab. Im Folgenden soll daher untersucht werden, wie die materialen Regelungen des Zivilprozessrechts ausgestaltet sind (A)14 und wie sie sich vom materialisierten Zivilprozessrecht unterscheiden (B). A. Ausschließlich prozessuale Ausgleichsregelungen I. Allgemeiner Gerichtsstand, §§ 12 ff. ZPO Ein Beispiel für eine solche prozessual begründete Norm, die eine Partei begünstigt, ist der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten in den §§ 12 ff. ZPO. Der Beklagte soll den Vorteil haben, sich an einem ortsnahen Gericht zu verteidigen. Er befindet sich typischerweise bei Prozessbeginn in der schwächeren Situation, weil er auf den „Angriff“ des Klägers reagieren muss. Dabei wird pauschal davon ausgegangen, dass der Beklagte dem Kläger unterlegen ist und daher privilegiert werden soll. Auf die materiellrechtliche Lage kommt es nicht an, es spielt insbesondere keine Rolle, ob etwa der Beklagte die Klage provoziert hat oder nicht.15 II. Prozesskostenhilfe, §§ 114 ff. ZPO Die §§ 114 ff. ZPO regeln die Prozesskostenhilfe. Sie soll sicherstellen, dass das Vermögen der Parteien für Ausübung ihres rechtlichen Gehöres und ihren Zugang zu den Gerichten gemäß Art. 103 Abs. 1 GG nicht aus14
Vergleiche hierzu bereits oben unter § 2B. II, S. 18 f. zu materialen Gerechtigkeitswertungen im Zivilprozessrecht und unter § 4, S. 27 ff. zu eigenen zivilprozessualen Wertungen. 15 Hierzu bereits oben § 4C, S. 34 ff.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
schlaggebend ist.16 Die Situation von vermögenden und weniger vermögenden Parteien soll dabei möglichst aneinander angeglichen werden – vollständig gleichgestellt müssen die Parteien jedoch nicht sein.17 Dabei ist für die Gewährung der Prozesskostenhilfe nur notwendig, dass die antragstellende Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen die Kosten für die Prozessführung nicht oder nicht sofort aufbringen kann und dass das Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Ersteres ist der Fall, wenn weder Einkommen noch Vermögen der Partei für die Aufbringung der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten genügen, § 115 Abs. 1, Abs. 3 ZPO.18 Letzteres ist der Fall, wenn der Erfolg der Rechtsache bei summarischer Prüfung hinreichend wahrscheinlich ist und eine bemittelte Partei, die das Risiko verständig abwägt, den Prozess mit ihren eigenen Mitteln führen würde.19 Damit wird die wirtschaftliche Situation der antragstellenden Partei im Einzelfall beurteilt; eine Typisierung ihrer Schwäche findet nicht statt. Es kommt nicht darauf an, ob die Gegenpartei bemittelt ist und sich so gegenüber der antragstellenden Partei in einer überlegenen Position befindet. Zwar kann die Prozesskostenhilfe verweigert werden, wenn sich der eingeklagte Anspruch mittelfristig nicht realisieren lässt – das gilt allerdings schon dann nicht, wenn es der mittellosen Partei um andere Urteilswirkungen geht.20 Es handelt sich jedoch nicht um den Ausgleich relativer Nachteile gegenüber der Gegenpartei. Durch die Prozesskostenhilfe wird die Lage weniger vermögender Personen allgemein an die Vermögender angeglichen.21 III. Pflicht zum richterlichen Hinweis, § 139 ZPO Dem Gericht obliegt die materielle Leitung des Prozesses. § 139 ZPO verpflichtet in Absatz 1 das Gericht dazu, auf die Aufklärung des Sach- und Streitverhältnisses hinzuwirken, es darf gemäß Absatz 2 seine Entscheidung nicht auf Gesichtspunkte stützen, die eine Partei übersehen oder für unerheblich gehalten hat und hat nach Absatz 3 auf Bedenken bei den von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkten hinzuweisen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Vortrag einer Prozesspartei nicht eindeutig ist, Lücken hat oder sonst mangelhaft ist.22 Ziel der Fragen nach § 139 Abs. 1 ZPO ist 16 MüKo ZPO/Wache,
§ 114 ZPO, Rn. 1; Musielak/Voit/Fischer, § 114 ZPO, Rn. 1. BVerfG, NJW 1991, 413 (413); Zuck, NJW 2012, 37 (37); MüKo ZPO/Wache, § 114 ZPO, Rn. 1. 18 MüKo ZPO/Wache, § 114 ZPO, Rn. 49. 19 MüKo ZPO/Wache, § 114 ZPO, Rn. 50. 20 Musielak/Voit/Fischer, § 114 ZPO, Rn. 41. 21 Roth, H., in: Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 (165). 22 BGH, NJW‑RR 1999, 605 (605 f.); Musielak/Voit/Stadler, § 139 ZPO, Rn. 7. 17
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die Klärung des tatsächlichen Vorbringens der Parteien und des mit dem Prozess verfolgten Zwecks.23 Die richterliche Hinweispflicht soll dafür sorgen, dass das zivilprozessuale Verfahren zu einem materiell richtigen Ergebnis geführt wird24 und legt dem Gericht die Verantwortung für die Richtigkeit seines Urteiles auf. 25 Hinter § 139 ZPO steht insbesondere der Gedanke, Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen. 26 Die ZPO verlangt als Voraussetzung für die richterliche Hinweispflicht nur, dass ein ergänzender Vortrag oder die Änderung von Anträgen notwendig sind. 27 Die Hinweispflicht hängt nicht davon ab, ob eine Partei ihre Handlungsmöglichkeiten schuldlos verkennt oder ihr Bestehen erkennen konnte. 28 Das gilt auch, wenn die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird und dieser die Rechtslage erkennbar falsch eingeschätzt hat.29 Voraussetzung ist nur, dass eine Partei ihre Handlungsmöglichkeit objektiv erkennbar übersehen hat.30 Allgemeine oder missverständliche Hinweise des Gerichts genügen für die Erfüllung der richterlichen Hinweispflicht nicht.31 Der Umfang des Fragerechts des Richters hängt von der jeweiligen prozessualen Situation ab.32 An der Verteilung der Behauptungs- und Beweislast zwischen den Parteien ändern Frage- und Hinweispflicht nach § 139 ZPO nichts.33 Die Unterstützung der Parteien durch den Richter soll aktiv für materiale Gerechtigkeit zwischen den Parteien sorgen – seine Handlungen dürfen nicht die Grenze der richterlichen Neutralität überschreiten.34 Auf die betroffene materiellrechtliche Materie kommt es nicht an;35 es spielt daher für die Hinweispflicht in § 139 ZPO keine Rolle, ob eine Partei in der Situation des Vertragsschlusses benachteiligt war. Anders als bei den in Teil II dargestellten Regelungen zum Schutz des Schwächeren kommt es für die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht auf ein Machtgefälle zwischen den Parteien an. Die Schutzbedürftig23 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 19. 24 Schumann, in: FS Leipold, 2009, S. 175 (200) = ders., in: Lebendiges
Zivilprozessrecht, 2016, S. 595 (621). 25 Schumann, in: FS Leipold, 2009, S. 175 (181) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 595 (601). 26 OLG Schleswig, NJW 1983, 347 (348); MüKo ZPO/Fritsche, § 139 ZPO, Rn. 2. 27 Deubner, NJW 1983, 635 (635). 28 Deubner, NJW 1983, 635 (635); MüKo ZPO/Fritsche, § 139 ZPO, Rn. 2; Musielak/ Voit/Stadler, § 139 ZPO, Rn. 7. 29 BGHZ 127, 254 (260). 30 BGHZ 69, 47 (52); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 19. 31 BGHZ 127, 254 (260); BGHZ 140, 365 (365); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 19. 32 Roth, H., JZ 2014, 801 (807). 33 Schaefer, NJW 2002, 849 (853). 34 Stürner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, 1982, Rn. 23. 35 Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1999, S. 38.
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keit ergibt sich aus dem konkreten prozessualen Einzelfall. Entscheidend ist dabei nur das jeweilige Versäumnis oder die Fehlinterpretation einer Partei in der Verhandlung. Das Gericht muss auf in materiellrechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Gesichtspunkte im Sachvortrag hinweisen.36 Ein Machtgefälle zwischen den Parteien – bei Vertragsschluss oder in der prozessualen Situation – ist jedoch weder notwendig noch führt es für sich genommen gegenüber der anderen Partei zu Hinweispflichten des Gerichts. IV. Modifikation der Beweislast Ebenfalls dem Schutz einer Partei im Prozess dienen Umverteilungen der Beweis- und Darlegungslast. Neben der vollständigen Umkehr der Beweislast wird der nicht beweisbelasteten Partei in bestimmten Fällen eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Die Beweislast – also das Risiko eines non liquet – trägt grundsätzlich immer die Partei, für die die zu beweisende Tatsache bei ihrem Vorliegen günstig wäre.37 Zusätzlich zu den gesetzlichen Beweislastanordnungen und den widerleglichen Vermutungen hat die Rechtsprechung mit Produkthaftung, Arzthaftung, der groben Verletzung von Berufspflichten und der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten eigene Fallgruppen geschaffen.38 Die Umkehr der Beweislast soll die Defizite der anderen Partei bei der Aufklärung und der Darlegung des Sachverhaltes ausgleichen.39 Diese Begünstigungen haben ihren Grund im materiellen Recht; der Senkung der Anforderungen an den Beweis entsprechen Aufklärungspflichten oder bestimmte Schutz- und Sorgfaltspflichten im materiellen Recht.40 Daneben gibt es Fälle, in denen die Rechtsprechung der nicht beweisbelasteten Partei zur Entlastung der beweisbelasteten Partei eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Die Darlegungslast bestimmt, welcher Partei der Vortrag einer Tatsache zum Verhandlungsinhalt obliegt.41 Die Rechtsprechung verpflichtet die nicht darlegungsbelastete Partei zum Vortrag des Geschehens, wenn das darzulegende Geschehen in ihrem Einflussbereich liegt, sie davon Kenntnis hat und ihr die Angaben zuzumuten sind, dies bei ihrem Gegner jedoch nicht der Fall ist.42 Beispiele finden sich im Recht des unlau36
BGHZ 127, 254 (260); Schumann, in: FS Leipold, 2009, S. 175 (182) = ders., in: Lebendiges Zivilprozessrecht, 2016, S. 595 (602). 37 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 7 f. 38 MüKo ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 124 ff.; Hk ZPO/Saenger, § 286 ZPO, Rn. 66 ff. 39 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (69). 40 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (69 ff.). 41 Hk ZPO/Saenger, § 286 ZPO, Rn. 84. 42 BGH, NJW 1990, 3151 (3151 f.); Hk ZPO/Saenger, § 286 ZPO, Rn. 92.
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teren Wettbewerbs durch irreführende Werbung,43 bei der Spediteurshaftung44 und auch im Versicherungsrecht. Will zum Beispiel der Versicherer beweisen, dass der Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Vertrages vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat, muss der Versicherungsnehmer darlegen, wie es zu diesen Angaben kam.45 Die Gründe für die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast finden sich nicht in der materiellrechtlichen Sonderbeziehung zwischen den Parteien; eine Prozesspartei wird entlastet.46 Durch die Umverteilung von Beweis- und Darlegungslast soll materiale Gerechtigkeit geschaffen werden – sie wird der Partei auferlegt, die keine unvermeidbaren Beweisschwierigkeiten hat.47 Diese befindet sich damit in prozessualer Hinsicht in der günstigeren Situation. Auch kommt es nach der Formel der Rechtsprechung immer auf den konkreten Einzelfall an; eine pauschale Bewertung der Kriterien der sekundären Darlegungslast ist nicht zulässig. B. Unterschiede zum materialisierten Zivilverfahrensrecht Die dargestellten, ausschließlich prozessualen Schutzregelungen48 sind unterschiedlich ausgestaltet. Das materialisierte Schuldvertragsrecht und das von ihm abgeleitete, materialisierte Zivilprozessrecht verlangen immer nach einem Machtgefälle zwischen den Parteien; das Schutzbedürfnis wird außerdem typisiert bestimmt.49 Bei rein prozessualen Schutzregelungen zugunsten einer schwächeren Partei ist das Bild differenzierter. So ist der einzige dargestellte Fall, in dem die schwächere Situation einer Partei typisiert bestimmt wird, der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten. Der Beklagte wird als die Partei festgelegt, die sich allgemein bei Klageerhebung in der ungünstigeren Lage befindet, ohne dass dies im Einzelfall festgestellt werden muss. In den übrigen Fällen der Prozesskostenhilfe, des richterlichen Hinweises und der sekundären Darlegungslast kommt es immer auf die konkrete Schutzbedürftigkeit einer Partei an. Der Richter muss hier im Einzelfall bewerten, ob sie des besonderen Schutzes bedarf. Außerdem verlangen die prozessualen Begünstigungen nicht zwingend ein Machtgefälle zwischen den Parteien, sodass sich der Nachteil der einen Partei unmittelbar aus der überlegenen Situation der anderen Partei ergibt. Während dies in den Fällen der 43 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (74 f.). 44 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (75 f.).
45 BGH, VersR 2008, 242 (242); Hk ZPO/Saenger, 46 Messer, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 67 (73 f.). 47
48 49
Wolf/von Bismarck, JA 2010, 841 (848). Soeben § 22A, S. 191 ff. Vergleiche oben § 21, S. 187 ff.
§ 286 ZPO, Rn. 94.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
sekundären Darlegungslast und des allgemeinen Gerichtsstandes der Fall sein mag, kann man es bei der Prozesskostenhilfe und dem richterlichen Hinweis nicht begründen. Die Prozesskostenhilfe soll dazu dienen, einer finanziell schwachen Partei prozessuale Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, unabhängig von der finanziellen Lage der Gegenpartei. Auch dient die richterliche Hinweispflicht nicht dazu, die allgemeine Überlegenheit der anderen Partei auszugleichen, sondern vielmehr gegebenenfalls beide Parteien auf Versäumnisse bei der Sachverhaltsdarstellung hinzuweisen. Anders als im materiellen Recht haben die prozessualen Schutzregelungen dabei den Vorteil, dass eine Prüfung der Schutzwürdigkeit einer Partei während des Erkenntnisverfahrens im Einzelfall durch das Gericht vorgenommen werden kann. Ausgenommen sind die Zuständigkeitsregelungen nach den §§ 12 ff. ZPO, da bei diesen die Rechtssicherheit aufgrund der Zuständigkeitsklarheit von besonderer Bedeutung ist.
§ 23 Bedeutung der Materialisierung im geltenden Recht Das Verhältnis zwischen materiellem Recht und Prozessrecht kann durch die Materialisierung verändert werden. Durch die Zunahme materiellrechtlicher Wertungen im Zivilprozessrecht wird die Ergebnisoffenheit der zivilverfahrensrechtlichen Regelungen gefährdet. Werden bestimmte materiellrechtliche Wertungen bevorzugt, können nicht mehr alle subjektiven Rechte gleichermaßen geschützt werden; ausgewählte behauptete Rechtspositionen werden unter besonderen Schutz gestellt. Dies nimmt dem Zivilprozess seine grundsätzliche Unvoreingenommenheit gegenüber der materiellen Rechtslage.50 Für die Einordnung der Materialisierung des Zivilverfahrensrechts ist das Verhältnis von materiellem Recht und Verfahrensrecht daher von großer Bedeutung: würde man von einem technischen, wertfreien Zivilprozessrecht ausgehen, das dem materiellen Recht ausschließlich dient, dann würde dessen stärkere Berücksichtigung materiellrechtlicher Wertungen seinem Zweck entsprechen. Eine Materialisierung wäre unter diesem Gesichtspunkt unproblematisch. Das Zivilprozessrecht enthält aber eigene Wertungen.51 Der Einfluss materiellrechtlicher – insbesondere schuldvertraglicher – Wertungen könnte diese zivilprozessualen Wertungen aushebeln und über sie hinweggehen. Dies ist insbesondere problematisch, wenn die Gründe für diese Ausnahmen im Verhältnis zu der Bedeutung der
50 Vergleiche bereits § 3B, S. 21 ff. 51 Hierzu ausführlich oben § 3C. III,
S. 25 f. und § 4, S. 27 ff.
§ 23 Bedeutung der Materialisierung im geltenden Recht
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jeweiligen zivilprozessualen Wertungen außer Verhältnis stehen oder sonst kein prozessualer Bezug besteht. Die als materialisiertes Zivilverfahrensrecht untersuchten, prozessualen Regelungen zeigen, dass der Schutz des Schwächeren im Schuldvertragsrecht in einigen Fällen im Erkenntnisverfahren nach der ZPO fortgesetzt wird. Diese Materialisierungserscheinungen sind jedoch von ihrem Charakter her durchaus unterschiedlich. A. Klägergerichtsstände Klägergerichtsstände zugunsten der vermeintlich schwächeren und durch das materielle Recht geschützten Partei stellen eine Ausnahme vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstands dar. Dabei lassen sich die in Teil II untersuchten, materialisierten Klägergerichtsstände grob in drei Kategorien unterteilen: Zunächst finden sich Klägergerichtsstände, die nur reflexartig die materiellrechtlich geschützte Partei besserstellen, tatsächlich aber prozessualen Zwecken dienen. Hierzu gehören die ausschließlichen Gerichtsstände im Zusammenhang mit Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverträgen über Räume gemäß § 29a ZPO52 und unbewegliche Sachen gemäß Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO53. Diese beiden Regelungen sollen sicherstellen, dass der Prozess in räumlicher Nähe zur Immobilie stattfindet und schützen den Mieter nur dann, wenn sich sein Wohnsitz noch in der Immobilie oder in dem Gerichtsbezirk befindet, in dem die Immobilie liegt.54 Daneben finden sich Gerichtsstände am Wohnsitz des Klägers, bei denen die besondere Situation des Vertragsschlusses eine Partei auf materiellrechtlicher Ebene schutzwürdig macht. Diese besondere Situation setzt sich jedoch in einem späteren gerichtlichen Verfahren fort. Dazu gehört bei Gerichtsstandsregelungen insbesondere die räumliche Distanz zwischen beiden Parteien. Diese kann der vermeintlich stärkeren Partei zugerechnet werden, da sie auf die schwächere Partei in ihrem Rechtskreis zugeht. In diese Kategorie von Klägergerichtsständen fallen der Gerichtsstand für Haustürgeschäfte in § 29c Abs. 1 S. 1 ZPO55, die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen in den Fällen des Ausrichtens oder Ausübens der Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO,56 der Gerichtsstand für Streitigkeiten aus Fernabsatzverträ52 53
Vergleiche oben § 13, S. 113 ff. Vergleiche oben § 14, S. 126 ff. 54 Vergleiche oben § 13E, S. 124 f. und § 14E, S. 134. 55 Vergleiche oben § 9E. II, S. 69 f. 56 Vergleiche oben § 10E. I, S. 81 ff.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
gen gemäß § 26 Abs. 1 FernUSG57, der ehemalige Gerichtsstand der Agentur in § 48 VVG a. F.58 und in den Fällen, in denen die Initiative zum Vertragsschluss vom Versicherer ausging, die Zuständigkeit für Klagen gegen den Versicherer nach der Regelung des Art. 11 Abs. 1 lit. b) Brüssel Ia-VO59. § 26 Abs. 1 FernUSG hat die Besonderheit, dass hier der Teilnehmer an seinem Wohnsitz klagen muss, er kann, anders als bei den übrigen halbzwingenden Gerichtsständen, nicht auf eine andere besondere Zuständigkeit ausweichen. Als Letztes finden sich die Klägergerichtstände, die die materiellrechtlich geschützte Partei auch im Prozess schützen, ohne dass aus dem schuldvertraglichen Machtverhältnis ein besonderer prozessualer Nachteil entsteht. Hier werden materiellrechtliche Wertungen auf das Zivilprozessrecht ohne Rücksicht auf die zivilprozessuale Wertung des Grundsatzes des Beklagtengerichtsstandes übertragen. Beispiele für solche Regelungen sind der Gerichtsstand für Klagen aus Versicherungsvertrag und -vermittlung in § 215 VVG60, die Zuständigkeit für Verbrauchersachen bei Teilzahlungsverträgen und Finanzierungsdarlehen gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a), b), Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO61 und die ehemaligen Zuständigkeitsregelungen für Abzahlungsgeschäfte in den §§ 6a, 6b AbzG62. B. Ausschließliche Beklagtengerichtsstände Neben der Privilegierung des vermeintlich Schwächeren durch die – ausschließliche oder besondere – Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Schwächeren bei dessen Klagen wird zu seinen Gunsten teilweise auch der Beklagtenschutz verstärkt. Das widerspricht zunächst nicht der Wertung des Grundsatzes des Beklagtengerichtsstands, da diese durch die ausschließliche Zuständigkeit verstärkt wird. Gerichtsstandsvereinbarungen sind damit unzulässig und alternative, besondere Gerichtsstände können bei Klagen der stärkeren Partei nicht länger gewählt werden. Den Parteien wird auch die Möglichkeit genommen, durch eine privatautonom getroffene Vereinbarung den Gerichtsstand an einen für beide Parteien günstigen Ort zu legen. Die Möglichkeit, einen Gerichtsstand durch Vereinbarung festzulegen, wird hierdurch im Vergleich zu den §§ 38 ff. ZPO noch stärker eingeschränkt.
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Vergleiche oben § 20E. II, S. 184. Vergleiche oben § 17A. I, S. 150 f. und § 17E. III, S. 164. Vergleiche oben § 18E. II, S. 174 f. 60 Vergleiche oben § 17E, S. 163 f. 61 Vergleiche oben § 10E. II, S. 83. 62 Vergleiche oben § 6E, S. 49 f. 58 59
§ 23 Bedeutung der Materialisierung im geltenden Recht
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Auch diese Gerichtsstandsregelungen lassen sich wieder in rein prozessual begründete, teilweise prozessual begründbare und rein materiellrechtlich motivierte Regelungen unterteilen. Zur ersten Kategorie gehören wiederum der ausschließliche Gerichtsstand bei Streitigkeiten aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume gemäß § 29a ZPO und die ausschließliche Zuständigkeit bei Miete und Pacht in Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO. In Fällen, in denen der Wohnraummieter noch in der Immobilie wohnhaft ist, stellen sie einen ausschließlichen Beklagtengerichtsstand dar. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Vermieter gegen den Mieter auf Räumung klagt. Ist der Mieter nicht in dem Bezirk wohnhaft, in dem die Immobilie belegen ist, existiert kein Beklagtenschutz zu seinen Gunsten.63 Die Regelungen zugunsten des Verbrauchers und des Fernunterrichtsteilnehmers in § 29c ZPO sowie den Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO und § 26 Abs. 1 FernUSG verstärken zusätzlich den Beklagtenschutz zugunsten der jeweils schuldrechtlich geschützten Vertragspartei; dabei lässt sich der verstärkte Schutz insbesondere durch das der stärkeren Partei zurechenbare räumliche Element rechtfertigen. Die Besonderheiten der schuldvertraglichen Vertragsschlusssituation wirken auch hier noch in der prozessualen Situation fort.64 § 215 VVG und Art. 17 Abs. 1 lit. a), b), Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO sowie die ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG verstärken und verstärkten den Beklagtenschutz der schwächeren Partei aus rein schuldvertraglichen Erwägungen, nicht aus prozessualen Gründen.65 C. Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz Der EuGH spricht sich in seiner Rechtsprechung vermehrt dafür aus, dass die Gerichte zugunsten des Verbrauchers vom Beibringungs- sowie Dispositionsgrundsatz abweichen sollen. Es bestehen in den vom EuGH entschiedenen Fällen jedoch keine besonderen Nachteile des Verbrauchers in der prozessualen Situation, die seine Begünstigung rechtfertigen würden. Die Rechtsprechung des EuGH zur Ermittlung von Amts wegen ist rein schuldvertraglich begründet.66 Der Regelung in § 308a ZPO werden zwar gewisse prozessökonomische Grundlagen zugeordnet, aber auch hier fin63 Vergleiche
die Ausführungen zu § 29a ZPO unter § 13E, S. 124 f. und zu Art. 24 Nr. 1 S. 1 lit. c) Brüssel Ia-VO unter § 14D. IV, S. 133. 64 Vergleiche die Ausführungen zu § 29c ZPO unter § 9E. II, S. 69 f.; zu Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO unter § 10E. I, S. 81 ff., außerdem zu § 26 FernUSG unter § 20E. II, S. 184. 65 Vergleiche die Ausführungen zu § 215 VVG unter § 17E, S. 163 f., zu Art. 17 Abs. 1 lit. a), b), Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO unter § 10E. II, S. 83 und zu den ehemaligen §§ 6a, 6b AbzG § 6E, S. 49 f. 66 Vergleiche hierzu die Ausführungen zur Fortsetzung schuldvertraglicher Wer-
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
den sich die materiellrechtlichen Nachteile nicht in der prozessualen Situation wieder.67 D. Veränderungen durch Materialisierung Während die untersuchten Gerichtsstandsregelungen zugunsten der schwächeren Vertragspartei teilweise auf prozessualen, teilweise auf schuldvertraglichen und teilweise auf gemischten Erwägungen beruhen, ist dies bei den dargestellten Abweichungen vom Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz nicht der Fall. Die untersuchten Beispiele für eine Materialisierung im Zivilprozessrecht zeigen, dass sich durch prozessuale Sonderregelungen zum Schutz des Schwächeren Wertungen des materiellen Zivilrechts im Zivilprozessrecht finden. Dabei setzt sich in einigen Fällen das schuldvertragliche Machtgefälle im Zivilprozess fort. Fehlt eine prozessuale Begründung der Abweichung von den zivilverfahrensrechtlichen Grundsätzen, wird das Zivilprozessrecht systemwidrig verändert. Zugleich werden durch schuldvertraglich inspirierte Regelungen für spezielle Fallgruppen eigene prozessuale Regelungen geschaffen. Diese Sonderregelungen beeinträchtigen grundsätzlich die einheitliche Anwendbarkeit des Zivilprozessrechts der ZPO auf alle bürgerlich rechtlichen Rechtsstreitigkeiten gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO.68 Allerdings ist diese Entwicklung – zumindest bisher – nicht so weitreichend wie oft befürchtet wird. Teilweise geht die Materialisierung des Prozessrechts sogar wieder zurück, wie etwa durch die Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG.69 Auch handelt es sich nicht um eine neue Entwicklung in jüngerer Zeit, wenn man etwa berücksichtigt, dass die Regelung des § 48 VVG a. F. aus dem Jahre 1908 stammt.70 Ein Fortschreiten der Materialisierung kann allerdings das Verhältnis von materiellem Recht und Zivilprozessrecht sowie das Zivilprozessrecht selbst verändern, wenn die Anzahl oder der Umfang der schuldvertraglich inspirierten Ausnahmen von zivilprozessualen Grundsätzen zunimmt. tungen durch die Rechtsprechung des EuGH unter § 11A. III, S. 95 f., § 11B. III, S. 98, § 11C. I. 3, S. 102 f. und § 11C. II.3, S. 106. 67 Ausführungen zur Fortsetzung schuldvertraglicher Wertungen durch § 308a ZPO unter § 15E, S. 137 ff. 68 Diese Bedenken formulierte bereits Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (286). 69 Vergleiche die Entwicklung der Materialisierung bei den §§ 6a, 6b AbzG unter § 6E, S. 49 f. 70 Vergleiche oben die Ausführungen zu § 48 VVG a. F. unter § 17A. I, S. 150 f. und zur Bedeutung schuldvertraglicher Wertungen in diesem Zusammenhang unter § 17E. I, S. 163.
§ 24 Materialisierung de lege ferenda
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Stimmen in der Literatur, die eine Ausweitung der Materialisierung verlangen, sind daher – wie im Folgenden zu sehen – kritisch zu betrachten.
§ 24 Materialisierung de lege ferenda Nur weil die Materialisierung nach dem bisherigen Ergebnis noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie teilweise befürchtet wird, bedeutet dies jedoch nicht, dass diese Entwicklung abgeschlossen ist. In der rechtspolitischen Diskussion wird in diesem Zusammenhang am häufigsten die Frage gestellt, ob die besonderen zivilprozessualen Regelungen zugunsten des Verbrauchers – etwa in Form eines besonderen Verbraucherprozessrechtes – ausgeweitet werden sollten. Die Möglichkeiten und Vorschläge reichen hierbei von der Einführung eines allgemeinen Verbrauchergerichtsstandes in die ZPO71 oder besonderen Aufklärungspflichten des Richters gegenüber dem Verbraucher bis hin zu einem eigenen Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten, wie etwa dem von Calliess im Vorfeld des 70. Deutschen Juristentages vorgeschlagenen kostengünstigen Schnellverfahren.72 A. Einführung eines allgemeinen Verbrauchergerichtsstands Immer wieder wird die Forderung nach einem allgemeinen Verbrauchergerichtsstand in der ZPO gestellt. Begründet wird dies unter anderem mit der Notwendigkeit der Fortsetzung des materiellrechtlichen Schutzes des Verbrauchers im Zivilprozessrecht.73 So gäbe es zwar im materiellen Zivilrecht eine Vielzahl an Widerrufsrechten zugunsten des Verbrauchers, die den Grundsatz pacta sunt servanda im materiellen Recht einschränken, aber keinen entsprechenden Schutz im Zivilprozess.74 Einen Klägergerichtsstand zugunsten des Verbrauchers im deutschen Recht gibt es nur in § 29c ZPO bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gemäß § 312b BGB. Deren Besonderheiten seien im Vergleich zu den sonstigen Verbraucherverträgen mit Widerrufsrecht nicht so ausgeprägt, dass sie allein einen Klägergerichtsstand zugunsten des Verbrauchers rechtfertigen würden.75 71 Mues, ZIP 1996, 739 (743); Mankowski, JZ 2003, 1122 (1122); Woitkewitsch, CR 2006, 284 (288); Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 58 ff. 72 Calliess, in: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2014, S. 5 (98, 108). 73 Mankowski, JZ 2003, 1122 (1123). 74 Woitkewitsch, CR 2006, 284 (286, 288). 75 Mankowski, JZ 2003, 1122 (1122); Micklitz, in: Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2012, S. 5 (90).
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
Das schweizerische Zivilprozessrecht etwa kennt mit Art. 32 der schweizerischen ZPO (sZPO) einen Gerichtsstand für Konsumentenstreitigkeiten. Dieser soll Prozesshindernisse des Verbrauchers beseitigen und der Rechtsklarheit sowie der Vereinfachung der Zuständigkeit dienen; dadurch soll ein sozialer Zivilprozess verwirklicht werden.76 Diese Prozesshindernisse ergeben sich aus finanziellen Nachteilen des Konsumenten, seiner schwächeren Verhandlungsmacht, aufgrund derer auf die Zuständigkeit am eigenen Wohnsitz verzichtet werden kann, der Gefahr eines vorschnellen Verzichtes und der fehlenden Kenntnis über die Bedeutung von Zuständigkeitsvereinbarungen.77 Der Gerichtsstand ist bei allen Konsumentenverträgen gemäß Art. 32 Abs. 2 sZPO anwendbar, also bei Verträgen über Leistungen des üblichen Verbrauchs im Rahmen der persönlichen sowie familiären Bedürfnisse der Konsumenten, die der Vertragspartner im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit anbietet.78 Dabei ergeben sich Anbieter und Konsument jeweils aus dem konkreten Vertrag.79 Der Konsument kann in diesem Fall am eigenen Wohnsitz, alternativ an dem Sitz oder Wohnsitz des Anbieters klagen.80 Der Anbieter muss dagegen den Konsumenten an dessen Wohnsitz verklagen.81 Anders als in § 29c ZPO und Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO fehlt bei dem schweizerischen Art. 32 ZPO eine Beschränkung auf einen oder mehrere bestimmte Verbrauchervertragstypen, solange die Zweckbestimmung gegeben ist.82 Die Nachteile der Partei, die durch die Zuständigkeitsregelung des Art. 32 sZPO ausgeglichen werden, werden im deutschen Recht durch die Regelungen der Prozesskostenhilfe83 und den grundsätzlichen Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen84 ausgeglichen. Die besondere Schutzwürdigkeit des Verbrauchers beim außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag liegt aber insbesondere darin, dass er bei Vertragsschluss keine Möglichkeit hat, auf den Gerichtsstand zu schließen.85 Nur durch das Aufeinandertreffen von Verbraucher und Unternehmer lässt sich ein Klägergerichtsstand nicht begründen, die Überrumpelungssituation bei §§ 29c ZPO, 312b BGB hat besonderen Charakter.86 76 Mankowski, JZ 2003, 1122 (1122); Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/ Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 1. 77 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 1. 78 Im Einzelnen siehe Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 15 ff. 79 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 11. 80 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 54 f. 81 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 58. 82 Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Feller/Bloch, Art. 32 sZPO, Rn. 35. 83 Hierzu oben § 22A. II, S. 191 f. 84 Vergleiche oben § 4C, S. 34 ff. 85 Kumm, Verbrauchergerichtsstand, S. 108 f. 86 Roth, H., JZ 2014, 801 (807); ders., in: Symposium Stürner, 2014, S. 69 (80).
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Würde ein allgemeiner, halbzwingender Klägergerichtsstand zugunsten des Verbrauchers in die ZPO eingefügt, könnte jeder, der einen Vertrag gemäß § 310 Abs. 3 BGB als Verbraucher nach § 13 BGB geschlossen hat, seinen beruflich oder selbständig handelnden Vertragspartner an seinem Wohnsitz verklagen. Die materiellrechtlichen Schutzwertungen würden damit nicht nur auf das Prozessrecht übertragen, sie würden vielmehr unbeschränkt ausgedehnt.87 Auch das materielle Recht des BGB differenziert zwischen verschiedenen Verbraucherverträgen; abgesehen von allgemeinen Pflichten und Grundsätzen gemäß § 312a BGB bestehen durchaus nicht bei allen Verbraucherverträgen die gleichen Rechte und Pflichten. Der prozessuale Schutz des Schwächeren würde in diesem Fall undifferenziert über die Schutzgedanken des Schuldvertragsrechts hinausgehen, von der vollständig fehlenden prozessualen Rechtfertigung einer solch allgemeinen Regelung ganz zu schweigen. Ein allgemeiner Verbrauchergerichtsstand ist daher abzulehnen. B. Einschränkungen des Beibringungsgrundsatzes88 Der prozessuale Schutz des schuldvertraglich Schwächeren könnte durch ein verstärktes – gegebenenfalls verpflichtendes – Tätigwerden des Gerichts zu dessen Gunsten verbessert werden. Dies könnte im Rahmen des Tatsachenvortrags oder beim Beweis der Tatsachen geschehen; beides wirkt sich zulasten des Beibringungsgrundsatzes aus. Einschränkungen des Verhandlungsgrundsatzes werden etwa zugunsten des Verbrauchers entsprechend seiner materiellrechtlichen Beschränkungen durch zwingendes Recht vorgeschlagen.89 Schon seit der Bewegung um den sozialen Zivilprozess wurde ab den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen, strukturelle Nachteile der sozial schwächeren Partei durch besondere Hinweis- und Aufklärungspflichten des Gerichtes auszugleichen.90 Die Möglichkeiten zum Schutz des Schwächeren im Prozess reichen dabei von einer uneingeschränkten über eine eingeschränkte Untersuchungsmaxime oder Einschränkungen des Verhandlungsgrundsatzes bis hin zu einer verstärkten Fragepflicht des Gerichts.91 Eine vollständige Aufgabe der Verhandlungsmaxime zugunsten der schwächeren Partei in Anlehnung an die Regelungen des FamFG ist bereits abzulehnen, da diese Verfahrensgegenstände sich von denen der 87 88
Roth, H., JZ 2014, 801 (807). Zum Folgenden Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 386 ff. 89 Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 112, 149. 90 Spickhoff, Richterliche Aufklärungspflicht und materielles Recht, 1999, S. 41 ff. 91 Ausführungen hierzu bei Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 153 ff.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
oben untersuchten, rein vermögensrechtlichen Verfahren grundlegend unterscheiden.92 Auch wäre ein stärkeres Einschreiten des Richters im Rahmen einer „sozialen Untersuchungsmaxime“ nach schweizerischem Vorbild denkbar, das eine Ermittlung des Sachverhaltes bei Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverträgen über Wohn- und Geschäftsräume vorsieht.93 Das Gericht wirkt dabei an der Sachverhaltsermittlung mit; die Parteien müssen jedoch trotzdem Beweismittel benennen und ihre Behauptungen vortragen.94 Wohl am geringsten wäre die Beeinträchtigung des Beibringungsgrundsatzes durch eine Verstärkung der richterlichen Frage- und Hinweispflicht.95 Auch könnte das Gericht verpflichtet werden, an der Beweiserhebung von Amts wegen mitzuwirken; dies hätte jedoch zur Folge, dass neben die Beweiserhebung von Amts wegen zur Ermittlung der Prozessvoraussetzungen nach den Grundsätzen des Freibeweises, zu der die Gerichte nach dem BGH bereits befugt sind,96 eine Verpflichtung zur Beweiserhebung von Amts wegen treten würde – es gäbe so keinen Unterschied zu Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz mehr.97 Typischerweise werden solche Privilegierungen zugunsten des Verbrauchers nach § 13 BGB vorgeschlagen.98 Ihm wird eine allgemeine strukturelle Unterlegenheit attestiert,99 die solche Abweichungen vom Beibringungsgrundsatz rechtfertigen soll. Vergleichbare Regelungen müsste man jedoch aus Gleichbehandlungsgründen dann auch wohl für andere, im Schuldver-
92 Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 155 ff. 93 Darstellung der sozialen Untersuchungsmaxime bei Oberhammer,
ZEuP 2013, 751 (767); Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger/Sutter-Somm/Schrank, Art. 55 sZPO, Rn. 68, 71; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 388 f. 94 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 389. 95 Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 163 f.; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 391 ff. 96 BGH, NJW 1951, 441 (442); ders., NJW 1987, 2875 (2876); ders., NJW‑RR 1992, 1338 (1339); BGHZ 143, 122 (124); Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (293); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 77 Rn. 49; Vorwerk/Wolf/Toussaint, § 12 ZPO, Rn. 15. Vergleiche auch die Ausführungen zum sogenannten Freibeweis unter § 11A. II.3, S. 92 ff. und § 11A. III.2, S. 96. 97 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 404 f. 98 Vergleiche den – von ihr selbst abgelehnten – Formulierungsvorschlag bei Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 391: „Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, wenn eine Partei Verbraucher und die andere Partei Unternehmer ist.“ Außerdem bei Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S. 168, 171: „Insbesondere soll [der Richter] in denjenigen Sachen Fragen zur tatsächlichen Situation stellen, in denen der Streitgegenstand Verbraucherrechte betrifft.“ 99 Micklitz, in: Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2012, S. 5 (89).
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tragsrecht geschützte Personen vorschlagen, wie etwa den Wohnraummieter oder den Versicherungsnehmer100. Der Schutz des Schwächeren im Prozess darf jedoch in keinem Fall an seiner materiellrechtlichen, typisierten Unterlegenheit – etwa dem Auftreten in der Rolle des Verbrauchers oder Mieters – anknüpfen.101 Dies widerspricht den inhaltlich offenen Prozesszwecken, die nicht sozial oder materiellrechtlich aufgeladen werden dürfen.102 Greift der Richter aktiv als Berater einer oder beider Parteien ein, verliert er seine Neutralität.103 Die richterliche Hinweispflicht etwa würde in diesem Fall nicht mehr dazu dienen, konkrete prozessual bedingte Nachteile der Parteien auszugleichen.104 Ein solcher Ausbau der Befugnisse des Richters ist abzulehnen.105 C. Einschränkung des Dispositionsgrundsatzes106 Vergleichbar könnte die Dispositionsmaxime umfassend eingeschränkt werden. Zugunsten der schwächeren Partei könnte nach dem Vorbild des § 308a ZPO und der Rechtsprechung des EuGH zur Minderung von Amts wegen107 die Bindung des Gerichts an den Antrag der Parteien aufgeweicht werden. In Betracht kommen insbesondere Fälle, in denen der Verbraucher seine Rechte nicht geltend macht.108 Durch eine umfassende Prüfungsbefugnis des Gerichts, das über sämtliche in Betracht kommende Ansprüche entscheidet, wird der schwächeren Partei jedoch ihre Dispositionsbefugnis – die sie auch im materiellen Recht hat – genommen.109 In der Entscheidung, dass der Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses besteht, muss nach § 308a ZPO auch über die Umstände dieser Fortsetzung entschieden werden. Eine reine Feststellung des Bestehens des Anspruches löst den Konflikt zwischen den Parteien nicht; der konkrete Inhalt des Anspruches 100 Lüttringhaus, Vertragsfreiheit, S. 521 ff. hält eine Erweiterung der Rechtsprechung des EuGH zu Ausnahmen von der Parteiherrschaft zumindest für das unionale Lebensversicherungsrecht für naheliegend. 101 Althammer, in: Mindeststandards, 2015, S. 3 (22). 102 Roth, H., in: Symposium Stürner, 2014, S. 69 (84 f.), zu offenen Prozesszwecken auch oben § 3B. II, S. 22 f. 103 Henke, JZ 2005, 1028 (1034). 104 Vergleiche oben § 22A. III, S. 192 ff. 105 Braun, Zivilprozeßrecht, S. 20 f., 33; Roth, H., JZ 2015, 1050 (1051). 106 Zum Folgenden vergleiche die Ausführungen bei Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 405 ff. 107 EuGH, Urteil v. 03. 10. 2013 – C-32/12 (Duarte Hueros) ECLI:EU:C:2013:637, elektr. Slg. 2013. 108 Vergleiche zur Rechtsprechung des EuGH zur Minderung von Amts wegen oben § 11C. I, S. 99 ff. 109 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, (Stand 2017), S. 408 f.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
unterliegt im Wesentlichen dem Ermessen des Gerichts.110 Die Regelung betrifft damit einen Sonderfall, der sich nicht auf andere besonders geregelte Vertragssituationen mit Machtgefälle zwischen den Parteien übertragen lässt. Anders als bei den im FamFG umgesetzten Ausnahmen vom Dispositionsgrundsatz handelt es sich hierbei auch nicht um besonders geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Dritter, die nicht zur Disposition stehen.111 Allgemeine Einschränkungen der Dispositionsmaxime zugunsten von im Schuldvertragsrecht als vermeintlich schwächere Partei geschützten Personen sind daher ebenfalls abzulehnen. D. Spezialverfahren für Verbraucherstreitigkeiten In seinem Gutachten für den 70. Deutschen Juristentag hat Calliess die Einführung eines „singularinstanzlichen, summarischen und unbürokratischen Schnellverfahren[s für Verbraucher] zu überschaubaren Kosten gegen Unternehmer“112 gefordert. Dieser Vorschlag für ein sogenanntes „Fast Track Verfahren“ soll innerhalb von drei bis sechs Monaten zu einem Urteil führen und die Kosten beschränken – der Verbraucher soll diese Verfahrensart bei seiner Klage verbindlich wählen können, der Unternehmer nur mit Zustimmung des Verbrauchers.113 Daneben wurde schon in den neunziger Jahren von Koch gefordert, ein besonderes Verfahren für Verbraucherstreitigkeiten einzuführen.114 Der Mehrwert eines besonderen Verfahrens für Verbraucherstreitigkeiten erschließt sich allerdings nicht. Zunächst verbessert der Zwang zur schnellen Urteilsherbeiführung nicht die Rechtsschutzqualität.115 Verbraucherstreitigkeiten sind – gerade aufgrund des komplexen materiellen Verbraucherschutzrechtes – rechtlich nicht einfacher als andere Streitigkeiten. Auch handelt es sich bei Verbraucherstreitigkeiten um zivilrechtliche Streitigkeiten; ein einheitliches Prozessrecht für sämtliche bürgerlich rechtlichen Streitigkeiten nach § 3 Abs. 1 EGZPO stellt sicher, dass die prozessuale Rechtsicherheit gewährleistet wird.116
110 Vergleiche oben die Ausführungen zur hypothetischen Regelung ohne § 308a ZPO unter § 15C, S. 136. 111 Vergleiche zu den daher legitimierbaren Ausnahmen vom Dispositionsgrundsatz oben § 4B. I, S. 30 f. 112 Calliess, in: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2014, S. 5 (108, These 10). 113 Calliess, in: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Gutachten A, 2014, S. 5 (98). 114 Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S. 129 ff. 115 Roth, H., JZ 2014, 801 (807). 116 Roth, H., JZ 2014, 801 (807).
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E. Fazit Bisher beschränkt sich die Materialisierung auf einzelne Regelungen des Zivilprozessrechts.117 Gerade zugunsten des Verbrauchers gibt es nur einzelne materialisierte Verfahrensregelungen; eine umfassende Abweichung von zivilprozessualen Grundsätzen gibt es genauso wenig wie ein vollständiges, eigenes Verbraucherprozessrecht. So erstreckt sich der Klägergerichtsstand des § 29c Abs. 1 ZPO nur auf den außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag nach § 312b BGB und nicht etwa auf Fernabsatzverträge.118 Wenn zum Beispiel ein allgemeiner Verbrauchergerichtsstand für Klagen aus Verbraucherverträgen gemäß § 310 Abs. 3 BGB mit einer halbzwingenden Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers eingeführt würde, wäre es für den nicht anwaltlich vertretenen Verbraucher nicht zwingend nachvollziehbar, warum er einen Autohändler, von dem er eine Ware gekauft hat, an seinem eigenen Wohnsitz verklagen darf, während er einen Privatverkäufer an dessen Wohnsitz verklagen müsste. Auch wäre es bei einer Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes für Verfahren, die Verbraucherverträge betreffen, vergleichbar schwer zu vermitteln, warum der Käufer im ersten Fall auf die Unterstützung des Gerichtes bei der Tatsachenermittlung zählen kann, im letzteren nicht. Je nachdem, ob es sich bei ihrem Vertragspartner um einen Verbraucher oder Unternehmer handelt, träfe ihn der Zivilprozess in seiner ganzen parteiherrschaftlichen Härte oder nicht. Eine umfassende Erweiterung der in Teil II dargestellten, prozessualen Sonderregelungen zugunsten der materiellrechtlich schwächeren Partei – insbesondere des Verbrauchers – würde die eigenen Wertungen des Zivilprozessrechts wie den Grundsatz des Beklagtengerichtsstands und die Parteiherrschaft weiter zugunsten schuldvertraglicher Wertungen des materiellen Zivilrechts zurückdrängen. Durch sie könnten sich Sonderprozessrechte, etwa für Verbraucher, herausbilden. Die einheitliche Anwendbarkeit der ZPO auf alle bürgerlich rechtlichen Streitigkeiten gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO wäre nicht länger sichergestellt, es würde zu einer Zersplitterung des Zivilprozessrechtes kommen. Die umfassende Erweiterung der prozessualen Sonderregelungen zugunsten des materiellrechtlich Schwächeren ist daher abzulehnen.
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Hierzu oben § 23D, S. 200 f. Dazu schon oben § 9, S. 61 ff.
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
§ 25 Verhältnis zur alternativen Streitbeilegung Die materialisierten Normen des Zivilprozessrechts sollen vor allem sicherstellen, dass die materiellrechtlich als unterlegen eingeschätzte Partei ihre Rechte im Prozess effektiv durchsetzen kann. Dabei sollen insbesondere die materiellrechtlichen Begünstigungen nicht ihre Effektivität verlieren. Eine gegensätzliche Entwicklung lässt sich dagegen durch das Recht der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen beobachten.119 Die Richtlinie über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ADR)120, die durch das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz121 in deutsches Recht umgesetzt wurde, und die Verordnung über die OnlineBeilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ODR)122 haben für Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern in jüngerer Zeit neue Verfahren zur Konfliktlösung geschaffen. A. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz und ODR‑Verordnung Durch die ADR‑Richtlinie wurden die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, umfassend verfügbare, außergerichtliche Streitbeilegungsstellen für Verbraucherstreitigkeiten zu schaffen.123 So soll es Verbrauchern ermöglicht werden, nach einem gescheiterten Einigungsversuch mit dem Unternehmer bei dessen Bereitschaft oder Verpflichtung zu einem Verfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle eine solche anzurufen.124 Diese Streitbelegungsstellen sollen gesetzlichen Qualitätsanforderungen entsprechen und durch die staatliche Anerkennung abgesichert sein; zugleich sollte das Verfahren für den Verbraucher leicht zugänglich sein sowie Aufwand und Kosten möglichst gering halten.125 Im Bereich des E‑Commerce ergänzt die ODR‑Verordnung die ADR‑Richtlinie, indem sie die Europäische Kom119
So auch schon Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (285 f.). 2013/11/EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, Abl. EU L 165 2013, 63 ff. 121 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, BGBl. Teil I 2016, 254 ff. 122 Verordnung (EU) Nr. 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, Abl. EU L 165 2013, 1 ff. 123 Engel, NJW 2015, 1633 (1633 f.); Althammer/Meller-Hannich/Meller-Hannich, § 1 VSBG, Rn. 2. 124 Greger, MDR 2016, 365 (367). 125 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, BT‑Drucks. 18/5089 (37 f.). 120 Richtlinie
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mission verpflichtet hat, eine Online-Plattform auf europäischer Ebene als Mittel zur Kommunikation und Abwicklung des Verfahrens zu schaffen.126 Ziel dieser europäischen Rechtsakte ist es, den Binnenmarkt des Einzelhandels durch die Stärkung der Stellung des Verbrauchers zu beleben.127 Dazu wird für Streitigkeiten, die regelmäßig nicht vor Gericht ausgetragen werden, weil der Streitwert zu gering ist oder weil die Rechtsdurchsetzung an psychologischen sowie emotionalen Hürden scheitert, ein rechtsstaatliches Verfahren geschaffen.128 Das liegt insbesondere daran, dass das Verfahren für den Verbraucher regelmäßig kostenfrei ist.129 Den Verbraucherstreitbeilegungsstellen wird dabei kein bestimmtes Konfliktbeilegungsverfahren oder eine Verfahrensordnung vorgegeben, allerdings darf der Verbraucher insbesondere nicht verpflichtet werden, sich einem ihm vorher nicht bekannten Schlichtungsvorschlag zu unterwerfen oder den Rechtsweg auszuschließen.130 B. Zuständigkeit Nur auf Antrag eines Verbrauchers wird die Schlichtungsstelle bei Streitigkeiten aus einem oder über das Bestehen eines Verbrauchervertrags gemäß § 310 Abs. 3 BGB tätig.131 Dabei bestimmt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit nach dem VSBG und der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle.132 Dafür wird an die Niederlassung des Unternehmers angeknüpft; nach Art. 5 ADR‑Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten für Streitigkeiten mit europäischen Verbrauchern Zugang zu inländischen, also im Niederlassungsstaat des Unternehmers gelegenen, Streitbeilegungsstellen schaffen.133 Auch können die Schlichtungsstellen ihre Zuständigkeit gemäß § 4 Abs. 2, Abs. 3 VSBG auf im Inland oder bestimmten Bundesländern niedergelassene Unternehmer beschränken.134 126
Lederer, CR 2015, 380 (381 f.); Gössl, NJW 2016, 838 (838). Roth, H., JZ 2013, 637 (642); Althammer/Meller-Hannich/Meller-Hannich, § 1 VSBG, Rn. 2. 128 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, BT‑Drucks. 18/5089 (37 f.); Gössl, NJW 2016, 838 (838). 129 Greger, MDR 2016, 365 (367); Althammer/Meller-Hannich/Lohr, § 23 VSBG, Rn. 1, 5. 130 Singbartl/Dziwis/Hageböke, GPR 2017, 13 (13 f.). 131 NK VSBG/Steike, § 4 VSBG, Rn. 3; Althammer/Meller-Hannich/Meller- Hannich, § 4 VSBG, Rn. 15. 132 Singbartl/Dziwis/Hageböke, GPR 2017, 13 (15). 133 Gössl, NJW 2016, 838 (841); NK VSBG/Röthemeyer, Einführung, Rn. 42. 134 Althammer/Meller-Hannich/Meller-Hannich, § 4 VSBG, Rn. 30. 127
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Teil III: Bedeutung der Materialisierung
Das VSBG und die ADR‑Richtlinie gehen zwar insgesamt wohl davon aus, dass das Verfahren online oder mittels Schriftform durchgeführt wird und keine Beweisaufnahme stattfindet, weswegen die Parteien nicht persönlich erscheinen müssen.135 Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die Verfahrenssprache in der Regel nach dem Ort der Verbraucherstreitbeilegungsstelle richtet, sodass der Verbraucher das Verfahren in einer ihm in der Regel fremden Sprache führen muss.136 C. Anwendung des zwingenden Verbraucherschutzrechts Das auf den jeweiligen Verbrauchervertrag anwendbare Recht bestimmt sich gemäß Art. 6 Rom I‑VO bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers – die Zuständigkeit nach der Niederlassung des Unternehmers, sodass auf das vor der Verbraucherstreitbeilegungsstelle streitige Vertragsverhältnis häufig ausländisches Verbraucherrecht anwendbar ist.137 Die jeweilige Verfahrensordnung der Streitbeilegungsstelle entscheidet, ob der Schlichter den Parteien einen Schlichtungsvorschlag unterbreitet.138 Ist dies der Fall, ist die Verbraucherstreitbeilegungsstelle nicht an das geltenden Recht gebunden, sie soll es gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG bei der Unterbreitung eines Schlichtungsvorschlages nur berücksichtigen.139 Das bedeutet, dass die Verbraucherstreitbeilegungsstellen nicht einmal an das zwingende, in der Regel auf europäischen Grundlagen beruhende Verbraucherschutzrecht gebunden sind.140 Dies kann den Verbraucherschutz stark beeinträchtigen.141 D. Strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers Geht man von einer strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer aus, so ist diese auch bei solchen neuartigen Konfliktlösungsmechanismen gegeben.142 Dabei ermöglicht diese alternative Streitbeilegung, dass ohne die Berücksichtigung der konkreten materiell135 136
Hakenberg, EWS 2016, 312 (315). Singbartl/Dziwis/Hageböke, GPR 2017, 13 (15). 137 Gössl, NJW 2016, 838 (841). 138 Althammer/Meller-Hannich/Prütting, § 19 VSBG, Rn. 1, 6. 139 Roth, H., DRiZ 2015, 24 (25); Hakenberg, EWS 2016, 312 (314). 140 Roth, H., JZ 2013, 637 (643), anderer Ansicht Althammer/Meller-Hannich/ Prütting, § 19 VSBG, Rn. 10 ff., der eine grundsätzliche Bindung des Streitmittlers an die Rechtsordnung vertritt, wobei sich dieser auf eine vertretbare rechtliche Grundlage stützen muss. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift hat nach seiner Auffassung nur zur Folge, dass die fehlende Orientierung am geltenden Recht sanktionslos bleibt. 141 Prütting, AnwBl 2016, 190 (192 f.). 142 Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26 (26).
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rechtlichen Rechtslage den streitenden Parteien von der Schlichtungsstelle ein Schlichtungsvorschlag unterbreitet wird – Billigkeitserwägungen genügen.143 Wird das Recht nicht strikt angewendet, kann das den konkret beteiligten Verbraucher beeinträchtigen, wenn materielles Verbraucherrecht nicht berücksichtigt wird oder er zu einem Kompromiss, der seinen Interessen nicht entspricht, gedrängt wird.144 Durch alternative Streitbeilegung soll zwar gerade die Möglichkeit geschaffen werden, gesetzlich nicht vorgesehene Lösungen zu finden – die Grenze hierfür muss sich jedoch dort befinden, wo das materielle Recht den Schwächeren schützen will.145 E. Widerspruch zur Materialisierung im gerichtlichen Verfahren Damit finden in der außergerichtlichen Streitbeilegung die prozessualen Regelungen, die den materiellrechtlichen Verbraucherschutz im Prozess fortsetzen sollen, keine Anwendung. Ist die alternative Streitbeilegungsstelle nicht an eine rechtliche Bewertung gebunden, steht dies im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH zur effektiven Durchsetzung des unionsrechtlichen Verbraucherschutzes, für die im klassischen Zivilprozess die Parteiherrschaft ausgehebelt wird.146 Auch spielen die Gerichtsstände zugunsten des materiellrechtlich Schwächeren wie Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO und § 29c ZPO keine Rolle, wenn der Unternehmer etwa nur über die Schlichtungsstellen in seinem eigenen Mitgliedsstaat informiert und die Zuständigkeit sich sowieso in der Regel nach der Niederlassung des Unternehmers richtet.147 Während der materiellrechtliche Schutz des Schwächeren im Zivilprozess – insbesondere nach der Rechtsprechung des EuGH – sogar auf Kosten der Verfahrensgrundsätze durchgesetzt werden soll,148 spielt dies bei der alternativen Streitbeilegung nach ADR‑Richtlinie und ODR‑Verordnung keine Rolle. F. Gegenläufige Entwicklung Die europäische Gesetzgebung und Rechtsprechung widersprechen sich damit bei ihren Plänen zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Während auf der einen Seite im gerichtlichen Verfahren immer stärkere Eingriffe vorgenommen werden, um den materiellrechtlichen Schutz des Verbrauchers 143
Roth, H., DRiZ 2015, 24 (25).
146
Roth, H., JZ 2013, 637 (643). Roth, H., DRiZ 2015, 24 (26). Vergleiche oben § 11, S. 84 ff.
144 Prütting, AnwBl 2016, 190 (192 f.). 145 Roth, H., JZ 2013, 637 (643). 147 148
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auf Biegen und Brechen und im Widerspruch zu den nationalen Verfahrensgrundsätzen umzusetzen, schafft der Europäische Gesetzgeber auf der anderen Seite mit der ADR‑Richtlinie und der ODR‑Verordnung Verfahren, in denen das zwingende materielle Recht überhaupt nicht angewendet werden muss und etwaige Aufklärungspflichten auch nicht existieren.149 Dem wird entgegengehalten, dass die außergerichtliche Streitbeilegung insbesondere bei Streitigkeiten Anwendung findet, die mangels entsprechender Streitwerthöhe nicht vor Gericht ausgetragen worden wären.150 Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass insbesondere der europäische Gesetzgeber in diesen Fällen das zwingende Verbraucherrecht wohl doch nicht für so wichtig hält. Zwar mag ein Nachgeben zu gleichen Teilen besser sein, als wenn der Verbraucher vollständig leer ausgeht, allerdings ist dies ja gerade nicht der Sinn des zwingenden Verbraucherrechts, weder auf materiellrechtlicher noch auf prozessualer Ebene. Das Recht der außergerichtlichen Streitbeilegung entwickelt sich damit in die entgegengesetzte Richtung des gerichtlichen Verfahrens.151
§ 26 Zusammenfassung und Ergebnis Die Materialisierung des Zivilprozessrechts beschreibt eine Entwicklung, im Rahmen derer materiellrechtliche Wertungen als systemfremde Einflüsse auf das Zivilprozessrecht wirken. Ziel der Arbeit war, die Entwicklung und den Status quo der Materialisierung im Zivilverfahrensrecht unter dem Aspekt der Einflussnahme schuldvertraglicher Sonderwertungen zugunsten des Schwächeren auf das Erkenntnisverfahren nach der ZPO zu untersuchen. Dabei sollte ermittelt werden, ob das Verhältnis von materiellem Recht zum Zivilverfahrensrecht durch diese Entwicklung beeinträchtigt wird, welche Bedeutung die Materialisierung für das Zivilverfahrensrecht hat und wie sich diese Entwicklung zu den Neuerungen im Recht der alternativen Streitbeilegung verhält. Dazu wurde das Verhältnis besonderer Gerichtsstandsregelungen und Ausnahmen von der Parteiherrschaft zum Schuldvertragsrecht untersucht. Das Zivilprozessrecht im Erkenntnisverfahren dient der Feststellung der durch das materielle Zivilrecht eingeräumten subjektiven Rechte. Um zu gewährleisten, dass diese tatsächlich zur Geltung kommen, sind die Prozesszwecke offen und das Verfahrensrecht ungewiss und damit so ausgestaltet, dass es kein bestimmtes materiellrechtliches Ergebnis ex ante 149
Zur vorangehenden Kritik an dieser Entwicklung vergleiche insgesamt Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (285 f.). 150 Hakenberg, EWS 2016, 312 (317). 151 So auch Roth, H., in: FS Henckel, 2015, S. 283 (285 f.).
§ 26 Zusammenfassung und Ergebnis
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privilegiert.152 Dabei dient das Zivilprozessrecht dem materiellen Zivilrecht und ist materiellrechtsfreundlich auszulegen.153 Es folgt aber mit der Waffengleichheit, der Parteiherrschaft und dem Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes eigenen Wertungen.154 Durch die Materialisierung wird zugunsten außerprozessualer Erwägungen von diesen eigenen Wertungen des Zivilprozessrechts abgewichen.155 Das materielle Zivilrecht berücksichtigt mit Sonderregelungen Machtgefälle bei Abschluss eines Vertrages. Es geht in diesen Fällen von einer grundsätzlichen Überlegenheit der Partei, welche die vertragsbestimmende Leistung anbietet, gegenüber der anderen, nichtprofessionell handelnden Partei aus. Prozessuale Regelungen, die auf diese Sonderregelungen Bezug nehmen, sind § 29c ZPO, Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO und bestimmte Rechtsprechung des EuGH zugunsten des Verbrauchers, §§ 29a, 308a ZPO und Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO zugunsten des Wohnraummieters, § 215 VVG und Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO zugunsten des Versicherungsnehmers und anderen Beteiligten des Versicherungsvertrages und § 26 FernUSG zugunsten des Fernunterrichtsteilnehmers. Den §§ 6a, 6b AbzG und den Art. 13 ff. EuGVÜ-1968 fehlte eine prozessuale Begründung. Die Zuständigkeitsregelungen begünstigten den Abzahlungskäufer aus rein materiellrechtlichen Erwägungen. Das galt für die §§ 6a, 6b AbzG insbesondere, seit Gerichtsstandsvereinbarungen im deutschen Zivilprozessrecht grundsätzlich unzulässig wurden und sich damit die dem unterlegenen Abzahlungskäufer bei Vertragsschluss „untergejubelte“ Zuständigkeitsbestimmung nicht länger im Nachhinein auf seine prozessuale Situation auswirken konnte. Durch die Abschaffung der §§ 6a, 6b AbzG und die Beschränkung der Zuständigkeit für Abzahlungsgeschäfte nach dem EuGVÜ auf Verbraucherstreitigkeiten ist der Einfluss des materiellen Rechts auf das Zivilprozessrecht zurückgegangen.156 Im deutschen Zivilprozessrecht findet sich zugunsten des Verbrauchers gemäß § 13 BGB nur die Regelung des § 29c ZPO. Durch seinen engen Anwendungsbereich ist die Beeinträchtigung des Grundsatzes des Beklagtengerichtsstandes begrenzt. Seine Regelung ist in gewissem Umfang prozessual gerechtfertigt, da die besondere Situation des Abschlusses des Vertrages außerhalb von Geschäftsräumen die Erkennbarkeit der Zuständigkeit für den Verbraucher erschwert.157
152
Vergleiche oben, § 3B, S. 21 ff.
155
Siehe oben § 1, S. 1 ff.
153 Siehe oben, § 3C, S. 24 ff. 154 Vergleiche oben § 4, S. 27 ff. 156 Siehe oben § 6, S. 44 ff., 157 Dazu oben § 9, S. 61 ff.
§ 7, S. 51 ff. und § 21A, S. 187 f.
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Die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO berücksichtigen teilweise Besonderheiten des Vertragsschlusses, die Auswirkungen auf das Verfahren haben. Soweit der Unternehmer seine Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat ausrichtet oder dort ausübt, muss er auch damit rechnen, vor den dortigen Gerichten von seinen Kunden in Anspruch genommen zu werden. Die Zuständigkeitsprivilegien bei Abzahlungsverträgen und Finanzierungsdarlehen sind ausschließlich materiellrechtlich begründet. Bei diesen handelt es sich daher um eine reine Materialisierung.158 Der EuGH berücksichtigt in seiner Rechtsprechung zu Ausnahmen von der Parteiherrschaft ausschließlich materiellrechtliche Erwägungen, wenn er den Beibringungsgrundsatz zugunsten des Verbrauchers über Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz einschränkt und das Gericht zur Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet. Prozessuale Machtgefälle finden sich in den von ihm entschiedenen Fällen nicht.159 Die Zuständigkeitsregelungen zugunsten des (Wohn)Raummieters oder -pächters in § 29a ZPO und Art. 24 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO knüpfen zwar an Miet- und Pachtverträge an; diesen Regelungen liegen jedoch im Ergebnis prozessuale Erwägungen zugrunde. Es handelt sich nicht um Schutzvorschriften zugunsten des Mieters oder Pächters, die Zuständigkeit an dessen Wohnsitz ist nur ein Reflex bei Identität mit der Belegenheit der Mietsache.160 Dagegen weicht § 308a ZPO, abgesehen von der endgültigen Streitbeilegung, ohne prozessuale Begründung vom Dispositionsgrundsatz ab und schützt den Mieter aus materiellrechtlichen Gründen.161 Die Zuständigkeiten aus § 215 VVG und der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO orientieren sich ausschließlich an materiellrechtlichen Regelungen, die den Versicherungsnehmer schützen. Aus dem Versicherungsvertrag und der Situation seines Abschlusses ergeben sich keine unmittelbaren Nachteile für den Versicherungsnehmer oder die ebenfalls privilegierten Dritten, die sich im Prozess fortsetzen würden.162 § 26 FernUSG enthält neben materiellrechtlichen auch prozessuale Erwägungen. Die räumliche Distanz zwischen den Parteien, die den Fernunterrichtsvertrag charakterisiert, wirkt sich auf den dazugehörigen Zivilprozess aus. Auffällig ist, dass es sich hierbei um eine ausschließliche Zuständigkeitsregelung am Wohnsitz des Fernunterrichtsteilnehmers handelt. Bei den anderen Schutzgerichtsständen zugunsten einer materiellrechtlich schwä-
158 159
Siehe oben § 10, S. 71 ff. Dazu oben die Ausführungen unter § 11, S. 84 ff. 160 Vergleiche dazu oben § 13, S. 113 ff. und § 14, S. 126 ff. 161 Oben § 15, S. 135 ff. 162 Siehe oben § 17, S. 150 ff. und § 18, S. 165 ff.
§ 26 Zusammenfassung und Ergebnis
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cheren Partei kann die geschützte Partei auch unter anderen Zuständigkeiten wählen.163 Damit finden sich sowohl im deutschen als auch im europäischen Zivilprozessrecht Regelungen, die materiellrechtliche Wertungen zu Gunsten des Schwächeren berücksichtigen. Materialisiertes Zivilprozessrecht existiert in einigen Fällen; andere der dargestellten Regelungen mit Bezug auf das Schuldvertragsrecht folgen dagegen eigentlich verfahrensbezogenen Erwägungen.164 Im Gegensatz zu den materialisierten Verfahrensregelungen stellen rein prozessual begründete Schutzregelungen wie die Regelungen zur Prozesskostenhilfe in den §§ 114 ff. ZPO und die Pflicht zum richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO nicht auf ein Machtgefälle zwischen den Prozessparteien ab. Bei der Prozesskostenhilfe spielen die Vermögensverhältnisse der gegnerischen Partei keine Rolle. Bei dem Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes und Modifikationen der Beweislast findet sich eine pauschale Begründung der Schutzbedürftigkeit, bei Prozesskostenhilfe und richterlicher Hinweispflicht erfolgt eine Bestimmung im Einzelfall, sie ergibt sich aus der konkreten prozessualen Situation. Echte prozessuale Schutzregelungen unterscheiden sich damit wesentlich vom materialisierten Zivilprozessrecht, bei dem immer ein Machtgefälle sowie eine pauschale Bestimmung der Schutzwürdigkeit vorliegt.165 Eine Ausweitung schuldvertraglicher Wertungen im Prozessrecht wird in der Literatur vielfach verlangt, insbesondere zugunsten des Verbrauchers. Dabei reichen die Vorschläge von einem generellen halbzwingenden Gerichtsstand für Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen gemäß § 310 Abs. 3 BGB bis hin zu einem eigenen Verbraucherverfahren. Würden diese umgesetzt, käme es tatsächlich zu einem Sonderprozessrecht für Verbraucher oder anderer schuldvertraglich geschützter Parteien, welches die einheitliche Anwendbarkeit des Zivilprozessrechts gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO beeinträchtigen würde.166 Die Materialisierung des Zivilverfahrensrechts steht dabei im Kontext der Neuschöpfungen des Europäischen Gesetzgebers zur außergerichtlichen Streitbeilegung, der ADR‑Richtlinie und der ODR‑Verordnung. Während für das Zivilverfahrensrecht insbesondere durch den europäischen Gesetzgeber und den EuGH strenge Vorgaben für den Ablauf des Verfahrens gemacht werden, wird hier ein Verfahren geschaffen, an das nahezu keine Vorgaben geknüpft werden. Auffällig ist insbesondere die fehlende ausdrückliche Bindung des Streitmittlers an das zwingende Recht bei 163
Hierzu oben § 20, S. 180 ff. Ausführlich oben § 21, S. 187 ff. und § 23, S. 196 ff. Vergleiche oben § 22, S. 190 ff. 166 Hierzu oben unter § 24, S. 201 ff. 164 165
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Unterbreitung eines Schlichtungsvorschlages sowie die Zuständigkeit, die tendenziell an den Sitz des Unternehmers anknüpft. Ebenfalls bedenklich ist die Finanzierung durch den beteiligten Unternehmer. Das Recht der alternativen Streitbeilegung ist dem materiellrechtlichen Schutz des Schwächeren gegenüber völlig indifferent. Hierbei ist auffällig, dass diese ebenfalls in jüngerer Zeit vermehrt auftretende Tendenz sich beim Schutz des schuldvertraglich Schwächeren in eine gegenläufige Richtung entwickelt.167 Die Zunahme von materialisiertem Zivilprozessrecht kann durch die Einschränkung des einheitlichen Anwendungsbereiches der ZPO die Rechtssicherheit für beide beteiligten Parteien erheblich beeinträchtigen. Die Parteien eines Zivilprozesses müssten sich je nach materiellrechtlichem Inhalt der Streitigkeit auf unterschiedliche Zuständigkeiten und Verfahrensgrundsätze einstellen. Dabei kann dies gerade bei nicht professionell agierenden Parteien zu Nachteilen führen, da sich Erkenntnisse zur Eröffnung und zum Ablauf eines Verfahrens mit bürgerlich-rechtlichem Streitgegenstand nicht länger auf andere Verfahren übertragen lassen. Selten prozessierende Parteien wären dadurch benachteiligt, weil ihnen die unterschiedlichen Verfahrensvorschriften im Einzelfall unbekannt sein können. Bei einer Ausdehnung der Materialisierung über das Verbraucherrecht hinaus, etwa auf Versicherungs- oder Wohnraummietverträge, müsste die schwächere Partei schon im Voraus rechtliche Bewertungen treffen, die ihr ohne rechtliche Beratung wahrscheinlich nicht möglich sind. Neben der Einführung von unterschiedlichen Verfahrensordnungen für einzelne Streitigkeiten des bürgerlichen Rechts besteht die Gefahr einer Vorwegnahme des Ergebnisses des Verfahrens zulasten der professionell handelnden Partei. Gerade bei einer Beteiligung des Gerichts, durch die zugunsten einer Partei von der Parteiherrschaft abgewichen wird, bleibt zu befürchten, dass die Wahrnehmung der tatsächlichen Gegebenheiten aus deren Perspektive erfolgt und nicht länger neutral. Es fällt allerdings auf, dass alle diese Bedenken gegenüber den Verfahrensgrundsätzen der Mitgliedsstaaten – insbesondere die Angst vor der Übervorteilung des Verbrauchers durch den Unternehmer als professionell handelnder Partei – nicht im Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung europarechtlichen Ursprungs greifen. Über die betroffenen Rechtsgüter kann der Verbraucher hier wohl ohne zwingende Aufklärung und ohne Schutzregelungen, die mit dem materialisierten oder allgemeinen Prozessrecht vergleichbar sind, verfügen. Fraglich sind außerdem die tatsächlichen Motive hinter den jeweiligen Schutzregelungen. Es ist bemerkenswert, dass der europarechtlich begründete Verbraucherschutz dabei insbesondere immer in Zusammenhang mit 167
Vergleiche oben § 25, S. 208 ff.
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der Verwirklichung des Binnenmarktes gestellt wird. Dabei stehen die wirtschaftlichen Erwägungen nicht zwingend im Einklang mit einem wirksamen Sozialschutz. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Materialisierung des Zivilprozessrechts über ihren momentanen – teilweise bereits bedenklichen – Status quo nicht hinausgeht. Die materialisierten Zuständigkeitsregelungen im deutschen Zivilprozessrecht sind – auch wenn es sich bei dem verwandten materialisierten Schuldvertragsrecht überwiegend um Normen europäischen Ursprungs handelt – alle originär nationale Regelungen. Im Bereich der Zuständigkeitsregelungen findet sich genauso wie bei § 308a ZPO kein europäischer Einfluss. Mit Ausnahme der Reform der Zuständigkeit für Versicherungssachen 2008 hat der deutsche Gesetzgeber allerdings in den letzten Jahren nicht zu einer weiteren Materialisierung des Zivilprozessrechtes beigetragen. Vielmehr stammen die materialisierten Regelungen des Zivilverfahrensrechts im Wesentlichen aus den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Stärker ist sind die Aktivitäten des Gesetzgebers und des Gerichtshofes dagegen auf europäischer Ebene. Der europäische Gesetzgeber hält sich zwar mit der unmittelbaren Einflussnahme auf das Zivilprozessrecht zurück. Mittelbar wirken jedoch seine schuldvertraglichen Rechtsakte auf das Zivilprozessrecht der Mitgliedsstaaten und auch der ZPO. Der EuGH dehnt hier den Wirkungsbereich der europäischen Rechtsakte auf das Zivilverfahrensrecht unter starker Ausdehnung seiner Kompetenzen im Namen des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes aus. Ein Ende dieser Rechtsprechung ist wohl nicht abzusehen, die hierdurch erfolgende Materialisierung stellt für die Prozessrechte der Mitgliedsstaaten und gerade für die ZPO eine erhebliche Beeinträchtigung dar.
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Stichwortverzeichnis Abzahlung –– ~sgeschäft 46, 51, 198 –– ~skäufer 52, 187, 213 –– ~svertrag 187 Abzahlungsgesetz 8 –– Entstehung 42 –– Widerrufsrecht 43 ADR-Richtlinie 208, 212 Allgemeine Geschäftsbedingungen 9, 13, 84, 94, 142 –– Gerichtsstand 84, 86–87, 95 –– Schutzzweck 85 –– Tatsachenermittlung 88–89, 92, 96 –– Unwirksamkeit 85, 87, 89, 91 –– Vertragsklausel 88 allgemeiner Gleichheitssatz 28 alternative Streitbeilegung 208 Amts –– ~ermittlung 32, 92 –– ~gericht 90, 114 –– ~verfahren 30 Anbieter 202 Änderungskündigung 179 Äquivalenzgrundsatz 16, 214 Arbeitgeber 6, 178 Arbeitnehmer 6, 178 Auslegung –– materiellrechtsfreundliche ~ 26 –– materiellrechtskonforme ~ 27 –– verordnungsautonome ~ 78, 127, 166, 168 Ausrichten der Tätigkeit 72, 75, 188, 197 –– Internet 75 außergerichtliche Streitbeilegung 215 außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag 58, 63, 178, 1 88
Begünstigter 167–168, 173 Beibringungsgrundsatz 31, 96, 106, 138, 199 –– Ausnahmen 31, 106 –– Einschränkungen 203, 214 –– Europarecht 32, 34 Beklagtengerichtsstand, ausschließlicher 198 Belegenheitsort 122–124 Beratungspflichten 143–144, 163 Bestandsschutz 110 Beweis –– ~maß 93 –– ~nähe 123, 131, 134 Beweislast 104 –– ~entscheidung 90 –– ~umkehr 194 Bezugsberechtigter 154 Binnenmarkt 173 –– aktiver Verbraucher 60 –– Förderung 57, 81, 146, 209, 211 –– Verwirklichung 217 –– Zugang 143, 150 Bundestag 44 Bürgschaft 119 Cabriolet 99 culpa in contrahendo 11, 74, 152 Darlegungslast 194–195 Darlehensgeber 52–53 Dauerschuldverhältnis 113, 179, 183, 190 Deckungsprozess 173 Direktanspruch 152, 170 Direktvertrieb 145 Diskontinuität 57 Dispositionsgrundsatz 30, 103, 137, 199
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Stichwortverzeichnis
–– Ausnahmen 30, 106 –– Einschränkungen 205, 214 –– Europarecht 33 Distanzgeschäft 46, 76, 81–82, 184 Drittstaat 79, 127 –– Sitz des Unternehmers 77 Effektivitätsgrundsatz 16, 214 Eingriffsnorm 112 Einwendung 102 Einzelkaufmann 155 Entmaterialisierung 51, 54 Erbe 153 Erfüllungsort 78, 129, 171 –– Vereinbarung 48 Ergebnisoffenheit 196 EuGVÜ –– Überarbeitung 1978 51, 71 –– Übergang EuGVO 71 Fast Track Verfahren 206 Ferienwohnung 127–128 Fernabsatz 78, 81, 143, 146 –– ~vertrag 56, 65, 70, 82, 178, 198 Fernabsatzrichtlinie 174, 181 –– Finanzdienstleistungen 145 Fernunterricht 177 –– ~sschutzgesetz 2, 8, 177, 184 –– ~steilnehmer 190, siehe Teilnehmer –– ~svertrag 214 Feststellungsklage 119, 128 Finanzierungsdarlehen 198 Fragepflicht des Gerichts 203 Freibeweis 93, 204 Gerichtskosten 192 Gerichtsstand –– ~snovelle 35, 48–49, 187 –– ~svereinbarung 48, 61, 64, 77, 79, 90–91, 95, 123, 159, 170, 182, 202 –– allgemeiner ~ 35, 155, 191, 195 –– ausschließlicher ~ 48–49, 61 –– Erfüllungsort 65–66 –– halbzwingender ~ 67, 77, 79, 157, 207, 215 –– Konsumentenstreitigkeiten 202 –– Niederlassung 160 –– Vorhersehbarkeit 65, 69–70
–– Zweckmäßigkeit 123 Gerichtsverfassungsrecht 15 Geschädigter 161, 167–168, 170, 173 Geschäftsfähigkeit 11 Geschäftsraum 58 Gesellschaft bürgerlichen Rechts 156 gesetzliches Schuldverhältnis 152 Gewaltmonopol des Staates 22 Großrisiken 147, 149, 159, 171 Grundfreiheiten 16 Grundgesetz 28 Grundsatz des Beklagtengerichtsstands 162, 191, 207, 213, 215 –– Gerechtigkeitswertung 36 –– Rechtsprechung des EuGH 35 –– ZPO 35 Grundstück 121 Günstigerprüfung 60 Haftpflichtversicherung 170 halbzwingendes Recht –– Fernunterrichtsvertrag 179 –– Verbraucher 57 Handlungsfreiheit, allgemeine 7 Haustürgeschäft 57, 65 –– Gerichtsstand 47, 61, 197 Haustürwiderruf –– ~sgesetz 9, 57 –– ~srichtlinie 58, 61 Heimatrecht 60 Hinweispflicht 105, 192, 195, 215, siehe richterliche Hinweispflicht Holschuld 47, 65–66 Idealverein 156 Informationspflichten 11 –– außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag 59 –– Fernunterrichtsvertrag 178 –– Verbraucher 56 –– Versicherungsvertrag 143, 145, 163 Interventionsklage 169 iura novit curia 92, 94 Kartellrecht 3 Kaufleute 161 –– Abzahlungsgesetz 46
Stichwortverzeichnis
Kausalität 76 Klägergerichtsstand 197, 201 –– Abzahlungskäufer 50 –– Dritte 164, 166, 169, 174–175 –– Geschädigter 173 –– Teilnehmer 183–184 –– Verbraucher 47, 62–64, 67, 77, 79 –– Versicherungsnehmer 157, 161, 164, 166, 169, 174, 176 –– Wohnraummieter 133–134 Klauselrichtlinie 84, 86 Konstitutionalisierung 19 –– Grundgesetz 15 Konsument 202 –– ~enschutz 8 Kündigung –– ~sschutz 119 –– Fernunterrichtsvertrag 179 –– Wohnraummietvertrag 109 Landgericht 90 Leihe 118 Leistungsklage 119, 128 Leistungsort 47, 65–66, 79, 121–122, 160–161, 182–183 Machtgefälle 190, 193, 195, 213 Mahnverfahren 86–87, 181 Mangel –– unerheblicher ~ 99, 102 Materialisierung –– Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz 16 –– Definition 1, 4 –– Grundfreiheiten 16 –– Grundgesetz 14 –– Konstitutionalisierung 14 –– Schuldvertragsrecht 7 –– Vertragsfreiheit 11, 13 –– Vertragsgerechtigkeit 13 materielle Prozessleitung 192 Mieterschutzgesetz 109, 114 Mietrecht –– soziales ~ 123 Mietrechtsreform 116, 135 Mietvertrag 127, 189, 199 –– Wohnraum 110 –– Geschäftsräume 112, 124
237
Minderung 100 –– ~ von Amts wegen 99 Mitgliedsstaat 127 Mitversicherer 173 Niederlassung 168 Normenhierarchie 19 ODR-Verordnung 208, 212 Pachtvertrag 116, 124–125, 127, 189, 199 Parteiherrschaft 91, 137, 207, 213, siehe Beibringungsgrundsatz; siehe Dispositionsgrundsatz Privatautonomie 1, 7, 57, 137, 147 Prorogation, siehe Gerichtsstandsvereinbarung –– ~sverbot 62 Prozess –– ~kostenhilfe 191, 195–196, 202, 215 –– ~leitung, materielle 93 –– ~ökonomie 124, 126, 173 Prüfung von Amts wegen 93 Ratenlieferungsvertrag 47 Raum 118 Räumungsklage 135 Recht –– ~sfrieden 135–136 –– ~shilfe 131 –– ~sicherheit 136 –– ~snähe 132–133, 189 –– ~spflege 20, 115, 130 –– ~spflegeentlastungsgesetz 124 –– ~sschutz 25 –– ~swahl 59, 112, 149
zwingendes ~ 112
–– materielle ~skraft 101 rechtliches Gehör 191 Regelungslücke 65 Reichsgericht 131 Reichstag 44 richterliche Hinweispflicht 31 Rom I-VO 112 Rücktritt 100
238
Stichwortverzeichnis
rügelose Einlassung, siehe rügeloses Verhandeln rügeloses Verhandeln 48, 90, 122, 172, 183 Sachnähe 115, 134 Sachurteilsvoraussetzungen 90 Schickschuld 66, 182 Schlichtungsstelle 209 Schuldrecht –– ~smodernisierung 62 Schutzbedürftigkeit –– materiellrechtlich 50 –– prozessual 69 Sitz 154 Sonderprozessrecht 6, 207, 215 soziale Marktwirtschaft 110 Sozialklausel 138 Sozialpolitik 165, 172 Streitbelegungsstellen 208 Streitgegenstand 101 Studentenwohnheim 119 Teilnehmer 2, 178 Teilzahlung –– ~sgeschäft 47, 74 –– ~skauf 44 –– ~svertrag 198 Überrumpelung 59, 68, 70 Unternehmer 55, 59, 73, 156, 163, 214 Untersuchungsgrundsatz 203 Urheberrecht 3, 33 Veranstalter 178 Verbraucher 2, 9, 55, 59, 63, 73, 156, 163, 178, 188, 204, 213 –– ~gerichtsstand 65 –– ~kreditgesetz 44–45 –– ~kreditrichtlinie 10, 97 –– ~prozessrecht 201, 207 –– ~rechterichtlinie 10–11, 56, 58, 62, 82, 106 –– ~schutz 55 –– ~streitbeilegungsgesetz 208 –– ~vertrag 54 –– aktiver ~ 60, 76, 82
–– allgemeiner ~gerichtsstand 201 –– Prüfung von Amts wegen 103 –– Rechtsbeistand 90, 98, 104 Verbrauchsgüterkauf 57 –– ~richtlinie 98 Verfahren –– ~skonzentration 173 –– ~sordnung 209 –– ~srecht –– Ungewissheit 23 –– faires ~ 25 Verhandlungsgrundsatz, siehe Bei bringungsgrundsatz Vermittlerrichtlinie 143, 174 Versäumnisurteil 48, 183 Versicherter 153, 168, 173 Versicherung –– ~saufsicht 141 –– ~saufsichtsrecht 142 –– ~sbedingungen 174 –– ~sberater 153 –– ~sbetrug 173 –– ~smakler 150 –– ~snehmer 2, 153, 168, 172, 189 –– ~ssache 166 –– ~svermittlung 152 –– ~svertrag 141, 198, 214 –– ~svertreter 151, 163, 175 –– ~svertriebsrichtlinie 144, 174 –– Haftpflicht~ 165, 169 –– Rück~ 167 –– Schadens~ 165 Vertrag –– ~sstatut 59 –– ~ zugunsten Dritter 171, 178, 181 –– verbundener ~ 97 Vertragsfreiheit 7 –– Begriff 10 –– Materialisierung 11, 13 –– Verbraucher 56 Vertragsgerechtigkeit –– Begriff 12 –– Materialisierung 13 Vertrag zugunsten Dritter 118–119, 161, 164 Verweisung 91 Völkergewohnheitsrecht 130 Vorabentscheidungsverfahren 84, 99
Stichwortverzeichnis
Waffengleichheit 1, 28, 193, 213 Wahrheitsfindung 22 Weiterbildung 177 Werbung 71, 75, 177, 195 Widerrufsrecht –– Abzahlungsgesetz 45, 49 –– außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag 59, 68 –– entsprechende Anwendung von § 29c ZPO 64 –– Fernunterrichtsvertrag 178 –– Verbraucher 56 –– Versicherungsvertrag 146, 163 Willenserklärung 101 –– Auslegung 101 Wohnraummieter 2, 8, 188
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Wohnsitz 154 Wucher 11 Zessionar 154 Zivilprozess –– sozialer ~ 19, 202–203 Zivilprozessrecht –– Abgrenzung materielles Recht 20 –– Auslegung, materiellrechtsfreundliche ~ 26 –– dienende Funktion 24 –– Gerechtigkeitserwägungen 25 –– technisches ~ 24 Zuständigkeit 15 –– örtliche ~, siehe Gerichtsstand –– sachliche ~ 115–116, 120