Der Revolutionäre Demokrat Taras Ševčenko, 1814–1861: Beiträge zum Wirken des ukrainischen Dichters und Denkers sowie zur Rezeption seines Werkes im deutschen und im westslawischen Sprachgebiet [Reprint 2021 ed.] 9783112563861, 9783112563854


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German Pages 202 [203] Year 1977

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Der Revolutionäre Demokrat Taras Ševčenko, 1814–1861: Beiträge zum Wirken des ukrainischen Dichters und Denkers sowie zur Rezeption seines Werkes im deutschen und im westslawischen Sprachgebiet [Reprint 2021 ed.]
 9783112563861, 9783112563854

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TARAS S E V C ' E N K O 1 8 1 4 - 1861

A K A D E M I E

DER

W I S S E N S C H A F T E N

ZENTRALINSTITUT

FÜR

DER

GESCHICHTE

QUELLEN UND STUDIEN ZUR G E S C H I C H T E OSTEUROPAS HERAUSGEGEBEN

VON

EDUARD WINTER UND

HEINZ LEMKE IN Z U S A M M E N A R B E I T

MIT

A L F R E D A N D E R L E , E R I C H D O N N E R T , J O A C H I M MAI GÜNTHER R O S E N F E L D UND GERD VOIGT (WISSENSCHAFTLICHER SEKRETÄR) REDAKTIONSSEKRETÄR: GÜNTHER BAND XXII

JAROSCH

DDR

DER R E V O L U T I O N Ä R E D E M O K R A T TARAS SEVCENKO 1814-1861

Beiträge zum Wirken des ukrainischen Dichters und Denkers sowie zur Rezeption seines Werkes im deutschen und im westslawischen Sprachgebiet

HERAUSGEGEBEN EDUARD

VON

WINTER

UND GÜNTHER

JAROSCH

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1976

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1976 Lizenznummer: 202 • 100/355/76 Einbandgestaltung: Helga Klein Herstellung: Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 7 528 320 (2087/22) . LSV 0235 Printed in GDR DDR: 2 6 , -

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort der Herausgeber Abkürzungsverzeichnis

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I. Das Weltbild Sevcenkos Je. S. Sabliovskyj, Der Humanismus Sevcenkos und unsere Gegenwart . . . M. N. Parchomenko, Die ästhetischen Anschauungen Taras Sevcenkos . . . . Je. Kyryljuk, Probleme der wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Erbes Sevcenkos F. Ja. Prijma, Sevcenko und die russische Literatur P. Popov, Sevcenkos Beziehungen zu Alexander v. Humboldt und zu Karl Ernst v. Baer

II. Die Stellung der Ukraine und Sevcenkos in den Wechselbeziehungen der Völker und der Staaten E. Winter, Das Zusammenwirken von Zar Nikolaus I. und Metternich im Kampf gegen die revolutionären Anschauungen Sevcenkos M. Jaköbiec, Sevcenko und die polnische nationale Befreiungsbewegung in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts 0 . Zilynskyj, Die ukrainische Volksdichtung in frühen deutschen Ubersetzungen und Paraphrasen M. Molnär, Die Mittlerrolle deutscher Ubersetzungen bei der Rezeption der ukrainischen Literatur in den böhmischen Ländern und in der Slowakei . . .

III. Die Sevcenko-Rezeption im deutschen Sprachgebiet M. Zymomrja, Die Rezeption Sevcenkos im deutschen Sprachgebiet vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution G. Jarosch, Die Nachdichtung des „Kobzar" - ein bedeutender Beitrag deutscher antifaschistischer Schriftsteller zu Theorie und Praxis der künstlerischen Übersetzung Personenregister Autorenverzeichnis

1 3 13 29 39 55

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73 83 93 105

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VI

Inhaltsverzeichnis Deutsche F a s s u n g aller in russischer, ukrainischer, polnischer u n d tschechischer Sprache eingereichten Beiträge: G. Jarosch (zum Teil u n t e r B e n u t z u n g der v o n P. Kirchner z u m seinerzeitigen S y m p o s i u m angefertigten Ubersetzungen der in ukrainischer Sprache eingereichten Vorträge) Ü b e r p r ü f u n g der Zitate: P. Kirchner Hedaktion der A n m e r k u n g e n u n d des Registers: G. Jarosch / Chr. Schölzel

Geleitwort

Der ukrainische revolutionäre Demokrat Ivan Franko (1882-1915) betonte 1903 in einem Artikel über „Taras Sevcenko und sein Vermächtnis" 1 , der in der Wiener „Ruthenischen Revue" erschien, daß im Werk des bedeutendsten ukrainischen Dichters und Denkers Taras Sevcenko (1814-1861) die höchsten Ideen und die radikalsten Gedanken seiner Zeit mit dem volkstümlichsten Inhalt unzertrennlich verschmolzen sind. „Das Leben, die Dichtung und die Bedeutung dieses merkwürdigen Mannes dem deutschen Publikum in einer ausführlichen Arbeit darzustellen", war sein sehnlichster Wunsch. Was er nur in Ansätzen verwirklichen konnte, gelang den vom Hitlerfaschismus aus ihrer Heimat vertriebenen antifaschistischen Schriftstellern Erich Weinert, Alfred Kurella, Hans Rodenberg, Hedda Zinner und anderen; sie schufen in den Jahren 1940/41 in der Sowjetunion eine deutsche Nachdichtung fast des ganzen „Kobzar", des Hauptwerkes Sevcenkos, die freilich erst 1951 erscheinen konnte. Diese Kollektivarbeit wurde zur Ausgangsbasis für eine intensivere Beschäftigung deutscher Forscher mit der ukrainischen Literatur und ihrem bedeutendsten Vertreter. Die damalige Arbeitsstelle für Geschichte der deutsch-slawischen Wissenschaftsbeziehungen an der Akademie der Wissenschaften der DDR, die bereits 1963 in der Reihe „Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas" eine Auswahl der deutschen Schriften Ivan Frankos herausgegeben hatte 2 , führte anläßlich der 150. Wiederkehr des Geburtstages Taras Sevcenkos im Jahre 1964 ein wissenschaftliches Symposium über Leben und Werk des großen ukrainischen Dichters durch, der — wie es in der Grußadresse der Arbeitsgemeinschaft der gesellschaftswissenschaftlichen Institute hieß - „mit zornigen und leidenschaftlichen Worten die Gefühle und Gedanken der unterdrückten und erniedrigten Menschen aller Länder zum Ausdruck" gebracht hat. Die wissenschaftliche und kulturpolitische Bedeutung dieses Symposiums wurde durch die Teilnahme namhafter Sevcenko-Forscher aus der Sowjetunion, der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakei unterstrichen. Einige der auf diesem Symposium gehaltenen Vorträge bilden - erweitert und durch neueste Forschungsergebnisse bereichert - den Grundstock des vorliegenden

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Geleitwort

Sammelbandes, in den auch die Ergebnisse der in den letzten Jahren innerhalb der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Humboldt-Universität zu Berlin geleisteten Forschungsarbeiten auf dem Gebiete der Ukrainistik eingegangen sind. Er möge ein Beitrag zu der sich immer mehr vertiefenden Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sein. Die Herausgeber 1 Franko, Beiträge, S. 106. 2 Bd. X I V : Franko, Beiträge.

Abkürzungsverzeichnis

AAZ AslPh BLU

Franko, Beiträge

Franko, Tvory Franko, Statti Hresko

JslKW LE MLA Obrist, Szewczenko

Schewtschenko, Kobsar Sevöenko (6)

Augsburger Allgemeine Zeitung Archiv f ü r slavische Philologie Blätter f ü r literarische Unterhaltung I v a n Franko, Beiträge zur Geschichte und K u l t u r der Ukraine. Ausgewählte deutsche Schriften des revolutionären Demokraten 1 8 8 2 - 1 9 1 5 . Unter Mitarbeit von O. I. Bilecky und I. I. Bass hg. u. eingel. von E. Winter u n d P. Kirchner ( = Quellen u n d Studien zur Geschichte Osteuropas, Bd. XIV). Berlin 1963 I v a n Franko, TßopH B ABa^ijHTM TOMax. Kiew 1850 — 1856 I v a n Franko, CraTTi i MaTepiajiH. 36ipHHK. Mychajlo Hreäko/Mychajlo Zanickovskyj/Volodymyr Kulyk, T . T. IIIeBHeHKO B HiMeiibKHX nepeKJia«ax Ta K p i m m i (1847— 1917). BißjiiorpaiJiHHHHit noKaJKiHK. L'viv 1968 Jahrbücher f ü r slavische Literatur, K u n s t und Wissenschaft Das literarische Echo Magazin f ü r die Literatur des In- u n d Auslandes bzw. Magazin f ü r die Literatur des Auslandes J . G. Obrist, Taras Grigoriewicz Szewczenko, ein kleinrussischer Dichter, dessen Lebensskizze samt Anhang, bestehend aus Proben seiner Poesien in freier Nachdichtung. Czernowitz 1870 T. Schewtschenko, Der Kobsar, Bd. I / I I . Moskau 1951 T. Sevöenko, IIoBHe 3 i 6 p a H H H T B o p i ß y inecTH TOMax. BHA-BO A H y P C P . Kiew 1963/64.

Sevienko (10)

T. Sevöenko, IIoBHe aißpaHHH TBopiß y «ecHTH TOMax. Bha-BO

ZfSl ZLKW

AH Y P C P . Kiew 1 9 3 9 - 1 9 6 4 . Zeitschrift f ü r Slawistik Zeitschrift f ü r slavische Literatur, K u n s t u n d Wissenschaft

JE. S. SABLIOVSKYJ

Der Humanismus Sevcenkos und unsere Gegenwart

Die Geschichte der humanistischen Weltkultur kennt nur wenige Namen von Persönlichkeiten, die den Charakter des Volkes, dem sie angehören, in sich verkörpern und ein Teil seines Lebens geworden sind. Zu ihnen gehört zweifellos der bedeutendste Dichter des ukrainischen Volkes, Taras Sevcenko. Mit der Kraft seiner künstlerischen Begabung, der Lauterkeit seines Charakters und der Größe seines Schaffens hat er den Menschen und das Menschliche in ihm begeistert verteidigt, hat einen neuen Begriff von menschlicher Schönheit geprägt, von der Schönheit des Befreiungskampfes und der Schönheit der menschlichen Heldentat. Er zählt zu jenen Humanisten, die den Grundstein für die endgültige Überwindung des Gegensatzes von Wahrheit und Schönheit in der Kunst gelegt haben, wie ihn uns die Apologeten des Verfalls noch heute als angeblich unabänderliches Grundgesetz des künstlerischen Schaffens aufnötigen wollen. Seiner Herkunft nach war Sevcenko ein leibeigener Bauer, ein rechtloser Sklave - Eigentum des Gutsbesitzers Engelhardt. Er lebte nur 47 Jahre, davon ganze 13 Jahre in „Freiheit", und auch die nur unter „strengster Aufsicht". Der Werdegang des Dichters, eines Menschen, der sich trotz drückendster Verhältnisse vom leibeigenen Sklaven zu einem Meister des künstlerischen Schaffens emporgeschwungen hat, ist charakteristisch für die allgemeine Entwicklung seiner Zeit. Die Quellen von Sevcenkos Humanismus muß man vor allem in der Geschichte seines Volkes, in dessen Jahrhunderte währendem Kampf gegen soziale und nationale Unterdrückung, suchen. Von dem in Liedern und Dumen besungenen Befreiungskampf des ukrainischen Volkes, insbesondere den Traditionen der Zaporoger See, reichen diese Quellen über die historischen Lieder des 18. Jahrhunderts, in dem eine Welle von Bauernaufständen die Feudalordnung bis in ihre Grundfesten erschütterte, bis zur fortschrittlichen russischen und polnischen Literatur und Kunst sowie zur Befreiungsbewegung der dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts in Rußland, die erwiesenermaßen entscheidenden Einfluß auf die Herausbildung der humanistischen Konzeption Sevcenkos ausgeübt hat. Dieser weitgespannte Bogen schließt natürlich auch den ukrainischen Aufklärer, Dichter, Philosophen und Pädagogen Hryhorij Skovoroda, eine „völlig neue Erscheinung" in der ukrainischen Literatur „vom Standpunkt der Bildung, der Weite der Anschauungen und der Tiefe der Gedanken" (Franko), sowie andere ukrainische Dichter wie Ivan Kotljarevskyj und Hryhorij Kvitka-Osnovjanenko, Jevhen Hrebinka und Levko Borovykovskyj ein, die in ihren Werken einprägsame Gestalten einfacher Menschen schufen, Ehr-

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Je. S. Sabliovskyj

lichkeit, Gutwilligkeit und Menschlichkeit des Volkes besangen und seine Liebe zum Leben wie zur Freundschaft sowie seine Bereitschaft zeigten, der Heimat treu zu dienen. Dieser mit den besten Traditionen seiner Epoche organisch verbundene Humanismus bedeutet eine neue Stufe in der Entwicklung des Humanismus im allgemeinen und in der Weltkultur im besonderen. 1 Die Auflehnung und die Siegeszuversicht eines Volkes, das so schwere Prüfungen durchzustehen hatte, spielten auch in der ideologisch-ästhetischen Konzeption Sevcenkos eine entscheidende Rolle. Geist, Talent und Schönheit führen unter den Bedingungen der von den Gutsbesitzern und ihren Sklaven geprägten Wirklichkeit nur zu Leiden. Mit der Kraft des künstlerischen Blicks drang der Dichter in die Zukunft des Schicksals der guten einfachen Menschen vor und unterstrich, daß es unter der Ausbeuterordnung für sie, die „ausgeraubten Sklaven", zwecklos ist, Glück zu erhoffen. Die arme Waise, das unglückliche Kind, das entehrte Mädchen und die notleidende Witwe erscheinen bei Sevcenko als Symbol eines furchtbaren sozialen Verbrechens. Die Macht der Unterdrücker und ihr ganzes Herrschaftssystem seien eine unablässige Vergewaltigung des Volkes, eine Schmähung seiner Rechte und eine Verspottung der Menschenwürde. Der Dichter wendet sich der Geschichte seines Volkes, seinem Kampf gegen die eigenen und die fremden Unterdrücker, zu. Er sieht, daß jene, die sich selbst als „Brüder" der einfachen Menschen ausgeben und sich als „Anhänger" des ukrainischen Volkes bezeichnen, ebensolche Feinde des Volkes sind wie die polnischen Pans und die russischen Herren: Kein Tier tut das, kein noch so wildes, Was, unter frommem Kreuzeschlagen, Ihr euren Brüdern tut. Gesetze? Die Henker schrieben sie für euch . . . (Nachdichtung: H.Rodenberg; II, 108)2

Dieser jahrhundertelangen Unterdrückung verlieh der Zarismus Gesetzeskraft. Der Ruf nach Befreiung des Menschen verwandelte sich daher folgerichtig in einen Aufruf zum Sturz einer Ordnung, die die Leiden der Menschen heiligspricht. Der Dichter hob die Größe menschlicher Heldentat hervor und verherrlichte das Ideal des Kampfes im Namen der Menschen und des Glücks des Volkes. Seine Werke rufen zu großen gesellschaftlichen Veränderungen auf. Wer das Leben liebe, der wisse, weshalb es so schön und in seinen Möglichkeiten unerschöpflich ist, er werde und könne niemals ein „kontemplativer Betrachter" sein. Man dürfe nicht schweigen, wenn ringsherum Unterdrückung und Verspottung der Menschenwürde und des Volkes herrschen: Wehe dem, der Ketten trägt Und verkommt als Sklave, Bittrer ist's, als freier Mann Zu schlafen nur, zu schlafen . . . (Nachdichtung: H. Zinner; I, 442)

Der Humanismus Sevcenkos

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Innere Aussöhnung mit dem Bösen und Verbeugung vor den Unterdrückern seien das Schrecklichste, was es gebe. Weichherzigkeit, innere Schwäche, „sittliche Armut", „Erstarrung alles Menschlichen" (Worte Sevcenkos. J e . S.) entflammten den Zorn des Dichters. Im Gedicht „Der Gottesnarr" (Jurodyvyj, 1857) erreicht diese zornige Verurteilung der Passivität ihren Höhepunkt. Der Dichter brandmarkt die Öffentlichkeit wegen ihrer Verzagtheit: Einer versucht, der Allmacht der Despoten Widerstand zu leisten, doch die „Öffentlichkeit" schweigt . . . Ihr hättet, Esel, zu dieser Stund' Mit Spießen auf ihn losgehn m ü s s e n ! Aber ihr kuschtet . . . (Nachdichtung: A. K u r e l l a ; II, 315)

Sevcenko geißelte gerade jene Züge, die die Kirche, die Ausbeuterordnung und die herrschende geistige Kultur dem Volke Jahrhunderte hindurch anerzogen hatten. Sein Wunsch war es, den Menschen wachzurülteln, ihm den Glauben an sich selbst und an die Verwirklichung eines besseren Lebens wiederzugeben. Zu den dunklen und bedrückenden Seiten der Wirklichkeit zählte der Dichter also nicht nur das soziale Übel, die Herrschaft der Unterdrücker, sondern auch die Nachsicht mit dem Übel, die Gleichgültigkeit im gesellschaftlichen Leben. Zorn und Verachtung sprechen aus Versen wie diesen: Die unfreien, kraftlosen Sklaven! Sie schlafen, wie im Dreck die Schweine, In ihrer Unfreiheit. (Nachdichtung: H. Rodenberg; II, 390)

Nach Sevcenkos Uberzeugung kann man kein Glück begründen, wenn man sich nur verschämt vom Übel „abwendet". Jede scheue, weichherzige „Wohltätigkeit" ist tückisch und verächtlich. Schrecklich ist es, Als fauler Klotz im dreck'gen Topfe 'rumliegen alt, bis man zerfällt Und stirbt - verlassen ohne Spur Die ausgeraubte Erdenflur? . . . (Nachdichtung: A. Kurella; 11,335)

Die Schönheit des Menschen liege vielmehr in seinem Glück, in seiner Freude und in seiner schöpferischen Gemeinschaft mit anderen Menschen begründet. Glück und freundschaftliche Zuneigung, Herzlichkeit und Menschlichkeit, Gewissen und Ehrenhaftigkeit bilden also in der ästhetischen Konzeption Sevcenkos ein einheitliches Ganzes. Im Mittelpunkt dieses Ganzen aber steht der Mensch, der Wärme und Zuneigung ausstrahlt. Darüber hinaus durchdringt die Liebe zu den Kindern die ganze Dichtung Sevcenkos und verleiht ihr einen besonderen Glanz. Diese Zukunft der Menschheit zu formen und zu beschützen - dazu ruft der ukrainische Dichter auf, denn alles hänge

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von den Kindern, ihren Gedanken und ihrem Schicksal ab. Das Lächeln eines Kindes, sein freudiges Lachen beglücken ihn; die Tränen eines Kindes, sein Kummer und sein Leid aber legen sich wie ein schwerer Stein auf seine Seele. Der Kampf für das Glück der Kinder und für ihre Zukunft erschien ihm als die edelste Aufgabe der Menschheit. Sevcenko zeigte als einer der ersten in der humanistischen Weltkultur auch den Zusammenhang zwischen Arbeit und Menschlichkeit. Arbeit ist bei ihm eine ästhetische Kategorie. Ohne Arbeit sei das Leben der Menschen inhaltlos, es verliere seine Menschlichkeit. Unmenschlich aber sei jene Ordnung, in der die Arbeit zur Zwangsarbeit wird, in der sie nicht mehr eine Quelle der Freude ist, in der sie entweiht und geschändet wird. Leiden waren für Sevcenko kein Bestandteil der Natur des Menschen, im Gegenteil, er war davon überzeugt, daß der Mensch seiner Natur nach frei ist. Widernatürlich und in schroffem Gegensatz zu den gesellschaftlichen Interessen stehend sei dagegen die Unterdrückung durch die Herren. Sevcenko spricht darüber in seinem Gedicht „Ich wurde in der Fremde groß" (I vyris ja na cuzyni, 1848): Doch siehst du es nicht an, das Böse, Scheint friedlich, wie es einst gewesen, Das schöne Ukrainerland. Der alte Dnjepr, bis zum Rand Das Tal mit blanken Fluten fassen, Freut sich seiner Ukraine, Prangt mit seinen Wassern. Und es winken von den Hängen Dörfer, weit und breite, Und wo's froh ist in den Dörfern, Sind auch froh die Leute. Ja, so wird's erst wieder werden, wenn in unsrer Ukraine Keine Spur mehr von den Herren! . . . (Nachdichtung: E. Weinert; II, 133/134)

Diese Zeilen enthalten die ganze ideologisch-künstlerische Konzeption des Dichters. Glück für die rastlos Tätigen sei unter den Bedingungen einer Ausbeuterordnung undenkbar. Die Abschaffung dieser Ordnung sei daher eine unerläßliche Voraussetzung dafür, daß sich die Gerechtigkeit, das Gute und das Schöne behaupten können. Der Kampf selbst zeichne sich durch Schönheit aus, nur müsse man genau wissen, wofür und wogegen man kämpft; beim erbitterten Zusammenstoß zweier Welten könne keiner abseits stehen. So geht es Sevcenko nicht allein um Harmonie oder Disharmonie der menschlichen Persönlichkeit, sondern vor allem darum, Harmonie in das soziale Leben hineinzutragen und auf dieser Basis eine harmonisch und allseitig entwickelte Persönlichkeit zu formen. Probleme des moralischen Halts einer Persönlichkeit fesselten die Aufmerksamkeit des Dichters daher vor allem unter dem Gesichtspunkt der

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inneren Voraussetzungen für Tapferkeit, für Standhaftigkeit und für die Fähigkeit zur Heldentat im Namen eines hohen humanistischen Ziels. Dabei war der Glaube an die (Jnerschöpflichkeit menschlicher Kräfte und Möglichkeiten, daran, daß der geistigen Entwicklung des Menschen und seiner sittlichen Vervollkommnung eigentlich keine Grenzen gesetzt sind, kennzeichnend für seine Konzeption. Dieser Glaube an die Macht menschlicher Kräfte verlieh ihm größten Optimismus, machte seine Menschenliebe so außerordentlich anspruchsvoll und zwang sie, menschlichen Vorurteilen, Schwächen und moralischen Entgleisungen gegenüber unnachsichtig zu sein. Diese Liebe zum Menschen gab dem Dichter das Recht, schonungslos all das zu entlarven, was dem Menschen feindlich ist. Der Mensch solle sich für alles verantwortlich fühlen, was um ihn herum geschieht. Einem wahren Menschen müsse jene verlogen-besänftigende Philosophie zuwider sein, die in dem Wort zum Ausdruck kommt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. So ist es nur allzu verständlich, daß sich der Dichter leidenschaftlich gegen jede Form von Allvergebung, von abstraktem Humanismusgerede, sowie gegen alle jene wandte, die ihre Gleichgültigkeit und ihr antisoziales Wesen hinter Phrasen von Menschlichkeit zu verhüllen suchen. Sevcenkos Helden sind vielmehr Menschen von starker Willenskraft und unbeugsamer Pflichterfüllung, die sich ohne Zögern selbstlos dem Kampf um ein besseres Leben stellen. Bei Sevcenko findet sich deshalb auch kein einfaches „Mitleid" mit den werktätigen Menschen, keine bloße „Verteidigung" der Erniedrigten und Unterdrückten. Mit seinem Werk ruft er weder zu einer „Verbesserung" der bestehenden Ordnung noch zu ihrer abstrakten Verurteilung, sondern zu ihrem Sturze auf. Verständlicherweise nimmt das Problem vom Sinn des Lebens in Sevcenkos Schaffen eine dominierende Stellung ein. Gerade unter diesem Aspekt deckt der Dichter die tiefsten inneren Beweggründe für die Tätigkeit des Menschen auf. Vor allem müsse sich der Mensch als einen organischen Bestandteil der Welt empfinden und sicher sein, daß er gebraucht wird, er müsse die Nähe und die Hilfe anderer Menschen fühlen. Er müsse an sich selbst glauben, denn nur, wenn er an sich glaube, werde er auch mächtig sein. Unter diesem Aspekt - auch der Verurteilung des Individualismus, der nichts anderes ist als eine Form der Entfremdung der Persönlichkeit von der Welt und der Welt von der Persönlichkeit - erhält das Problem des Heroismus Relevanz, das Sevcenko auf völlig neue Art stellte, indem er ihm einen geselschaftshistorischen Inhalt gab und es mit den wesentlichsten Seiten des revolutionär-demokratischen Humanismus verknüpfte: J e höher und reicher die geistige Welt des Menschen werde, je tiefer sich das Gefühl für den Wert des Lebens — des eigenen wie auch des Lebens anderer - entwickle, desto aktiver und gesellschaftlich gewichtiger werde der Heroismus sein. Diese allgemein-humanistische Konzeption Sevcenkos bedingte auch die Besonderheiten seiner Anschauungen im Bereich von Kunst und Literatur. In richtiger Erkenntnis der großartigen Möglichkeiten der Kunst, das Leben zu beeinflussen, entwickelte der Dichter den Gedanken, ihre wichtigste Aufgabe bestehe darin, das 2 Sevcento

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Weltbild des Menschen zu formen, seine sittliche Entwicklung zu lenken, ihm Tatkraft, Mut und Menschenliebe anzuerziehen und zu einer harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit beizutragen. Die Kunst müsse zu einem aktiven Faktor bei der Erziehung des neuen Menschen, eines kämpferischen Menschen, werden. Das spezifische Gewicht der Literatur und der Kunst werde durch das Maß bestimmt, in dem es ihnen gelingt, das Leben der Menschen inhaltsreicher zu machen und echte menschliche Gefühle zu wecken. Die hohe Funktion der Literatur und der Kunst könne nicht von ihrer staatsbürgerlichen Tendenz getrennt werden. Dichtung, die sich von den Menschen, die sich vom Volke entferne, höre auf, Kunst zu sein, da sie sich als unfähig erweise, die Menschen geistig reicher und menschlicher zu machen. Die Sprache des Künstlers ist nach Sevcenkos Ansicht am besten geeignet, Gutes zu schaffen und zur Liebe zum Menschen zu erziehen. Die Liebe des Dichters zu den Menschen habe jedoch nichts mit einer Verbeugung vor menschlichen Untugenden zu tun. Sevcenkos Humanismus ist organisch mit seinem Patriotismus, mit seiner Liebe zur Heimat, verknüpft. Wer die Menschen verachtet und zugleich seiner Heimat gegenüber gleichgültig bleibt, kann seiner Meinung nach kein treuer Sohn des Vaterlandes sein. Sevcenkos Liebe zu anderen Völkern und zu den arbeitenden Menschen in der ganzen Welt setzte die Liebe zur eigenen Heimat voraus. Achtung vor dem eigenen Volk und tiefes Mitgefühl mit allen unterdrückten Völkern sind bei ihm aufs engste miteinander verknüpft. Und sein flammender Patriotismus war niemals gegen andere Völker gerichtet. In seinen Werken tritt deutlich der Gedanke hervor, daß es nichts Widerlicheres gibt als nationalen Egoismus und nationale Beschränktheit. Nationale Intoleranz und Haß seien ein großes Übel für das Volk; nationaler Argwohn und nationale Feindschaft setzten ein Volk und seine Würde herab. Sie seien mit wahrer Achtung vor der eigenen Nation, mit echtem Internationalismus, unvereinbar. Das Werk Sevcenkos zeigt, wie eng alle arbeitenden Menschen - unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem religiösen Bekenntnis - miteinander verwandt sind und in welchem Maße das Begreifen dieser engen Freundschaft ihre Kräfte vermehrt. Eine Nationalkultur wird nach Auffassung Sevcenkos nur dann zur Blüte geführt, wenn sich ihre besten Traditionen mit den kulturellen Errungenschaften anderer Völker verbinden. Das Beste und Fortschrittliche in jeder Nation stehe nicht im Gegensatz zum Allgemeinmenschlichen, sondern führe zu ihm hin und bekräftige es. Das Werk Sevcenkos hat der ganzen Well bewiesen, daß Liebe zur Heimat und Freundschaft zwischen den Völkern eigentlich ein einziges großes menschliches Gefühl sind. Sevcenko sah seine Aufgabe vor allem darin, die Grundlagen der Ausbeuterordnung zu beseitigen, die den Menschen allem Menschlichen entfremdet, ihn aushöhlt und seine Würde mit Füßen tritt. Das aber waren neue Elemente. Dieser revolutionäre Humanismus war der Zukunft zugewandt. Das war eine „neue Sprache",

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die die Massen für revolutionäres Handeln begeisterte. Sevcenko stellte dem Volk historische Aufgaben; er hob es auf die Höhe seiner staatsbürgerlichen Verantwortung für das Schicksal der Heimat und der Nation. Das Werk Sevcenkos dient dem Ziel, das Bewußtsein der „in Fesseln geschlagenen Sklaven" zu heben und in ihnen menschliche Gefühle, Würde und Vertrauen in die eigene Kraft zu wecken. Schon in seinen Frühwerken zeigt der Dichter, wie sich echte menschliche Gefühle herausbilden, wie sie wachsen und erstarken. Der Kampf um Menschenglück, um das Leben, ist der Boden, auf dem die Schönheit des Menschen und seine hohen moralischen Qualitäten ihre Bestätigung finden: Jarema bog den Rücken krumm. Er wußte ja nicht, daß ihm Flügel gegeben. Die tragen ihn bis in die Wolken fern Er wüßt' es ja nicht . . . (Nachdichtung: E. Weinert; I, 150)

Man muß sich erheben, sich zum Kampfe stellen, denn in diesem Kampf „werden Flügel wachsen", und dann können die dunklen Kräfte das Volk nicht mehr erschrecken. Der Dienst an der Schönheit verbindet sich bei Sevcenko immer mit dem selbstlosen Kampf für soziale Gerechtigkeit. Um das Leben lebenswert zu machen, damit es für die Menschen zum Glück wird, ist eine soziale Umwälzung nötig. Wenn es sich aber so verhält, dann ist die Teilnahme am Befreiungskampf die einzige Rechtfertigung des Lebens und zugleich dessen Inhalt. Sevcenko vertrat die Auffassung, daß eine Gegenüberstellung des sozialen Kampfes und des Humanismus eine Negierung des Sinns des Befreiungskampfes selbst bedeuten würde; der Befreiungskampf werde ja für den Sieg des wahren Humanismus geführt. Die enge Verbindung von Menschlichkeit und revolutionärem Kampf für die Menschlichkeit - darin liegt im Grunde genommen die künstlerische Grundidee Sevcenkos. Revolution und Menschenliebe fließen in eins zusammen. Revolution ist für die arbeitenden Menschen ein „Tag der Freude". Die Menschen brauchen die Revolution für ihr Glück und für den Frieden. Sevcenkos Werk erbrachte in der ukrainischen Literatur den Nachweis für das wichtigste Element wahrer Kunst, nämlich, der Zeit vorauszueilen. Die dichterische Reproduktion der realen Wirklichkeit war für Sevcenko zugleich auch ihre kühne Umgestaltung. Mit der künstlerischen Darstellung des Lebens verband er immer zugleich die Verurteilung der lebensfeindlichen Kräfte, und gerade darin liegt die Stärke seines Realismus und die Übereinstimmung mit den Forderungen der Stunde. Indem er die Wirklichkeit vom fortgeschrittensten Standpunkt seiner Zeit, vom Standpunkt der revolutionären Demokratie (d. h. ausgehend von den Lebensinteressen des Volkes), beurteilte, gelangte Sevcenko auf revolutionäre Weise zu einer neuen Auffassung von der Wirklichkeit sowie zur Aufdeckung des Wesens der bestimmenden sozialen und ästhetischen Erscheinungen. Die Volkstümlichkeit Sevcenkos ist in der völligen Verschmelzung des Geistesund des Gefühlslebens des Dichters mit der historischen Entwicklung seines Volkes 2 *

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begründet. Gerade das läßt sein Werk zu einer Gipfelerscheinung humanistischer revolutionärer Dichtung werden. Im Werk Sevcenkos kehrt das Bild der Rache immer wieder, das im Namen der Verteidigung der Unterdrückten und im Namen des Gerichts über die Ungerechtigkeit herausgestellt wird. Die revolutionären Ideen Sevcenkos muß man jedoch richtig verstehen. Er war kein Rebell, voll des Zornes und der Empörung, die seit Jahrhunderten in den unterdrückten Massen gärten. Seine revolutionäre Weltanschauung ist nicht nur durch Volkslieder über die Fronarbeit und über Volksaufstände oder durch den Umstand bestimmt, daß er selbst Leibeigener war. Er war vielmehr vor allem deshalb ein Revolutionär, weil er in seinem Denken zur fortgeschrittensten revolutionären Konzeption in der vormarxistischen Periode gelangte. Dabei spiegelte er nicht nur das fortschrittliche Denken im damaligen Rußland wider, sondern war selbst aktiv an der Herausbildung dieses Denkens beteiligt. Er war ein revolutionärer Denker seiner Zeit. Auf Grund dokumentarischen Materials läßt sich nachweisen, daß auch Karl Marx von Sevcenko gewußt und sich für seine Biographie und für sein Schallen interessiert hat. Er besaß die 1878 erschienene Broschüre Mychajlo Drahomanovs „La littérature oukrainienne proscitée par le gouvernement russe" 3 , hatte sie gelesen und mehrere Hervorhebungen und Bemerkungen in sein Exemplar eingetragen. So unterstrich er jene Absätze des Büchleins, in denen von dem ukrainischen Dichter die Rede ist: „Taras Sevcenko ist ein Sohn seines Volkes im wahrsten Sinne dieses Wortes. Mehr noch, wer er auch immer sei, er verdient den hohen Titel eines Volksdichters."'' Marx unterstrich auch die in der Broschüre angeführten Verse Sevcenkos: Mordwinen, Finnen - alle gleich In allen Sprachen alle - schweigen! (Nachdichtung: A. Kurella; 1,321)

Es ist kennzeichnend, daß Marx in der Broschüre Drahomanovs besonders jene Bemerkung hervorgehoben hat, in der es heißt: „Das deutsche Publikum kann den ukrainischen Dichter aus der Broschüre Obrists ,Taras Grigoriewicz Szewczenko, ein kleinrussischer Dichter' 5 kennenlernen, die J 870 in deutscher Sprache erschienen ist." Das Werk Sevcenkos zeigt, daß wahre Kunst sich nicht fürchtet, kämpferisch und aktuell zu sein, und daß wirkliches künstlerisches Neuerertum erst im Kampf um die Durchsetzung großer gesellschaftlicher Ideen deutlich sichtbar wird. Die Aufdeckung der Wahrheit des Lebens und ihre überzeugende Darstellung verlangen vom Künstler großen Mut. Indem Sevcenko den Reichtum seines künstlerischen Talents offenbarte, enthüllte er zugleich den geistigen Reichtum des ukrainischen Volkes. Wie groß auch im Werk Sevcenkos die Bedeutung der Traditionen sein mag, seine Kunst entstand vor allem aus dem Leben selbst. Gerade das Leben und der Kampf zeigten ihm, wie man mit Traditionen verfahren muß. Er begriff, daß es darauf ankommt, die Traditionen weiterzuentwickeln. Sein Neuerertum bestand vor allem im Ausdruck einer neuen Beziehung des Künstlers zu Menschen und Ereignissen, im Empfinden der Größe und des Wertes des Lebens, im Bewußtsein, in der vordersten Front des gesellschaftlichen Kampfes zu stehen.

Der Humanismus Sevcenkos

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Das Werk Sevcenkos wurde zu einem belebenden Quell der humanistischen Tradition der ukrainischen Literatur, die unmittelbar mit dem revolutionären Kampf und dem nationalen Patriotismus verbunden ist. Dank der lebendigen SevcenkoTradition traten in der ukrainischen Literatur so begeisterte Sänger hervor wie Marko Vovcok und Panas Myrnyj, Ivan Franko, Lesja Ukrajinka, Mychajlo Kocjubynskyj und Vasyl' Stefanyk. Sevcenkos Humanismus strahlte auch auf das Schaffen der besten Schriftsteller der slawischen Brudervölker aus. Noch im 19. Jahrhundert schrieb der ukrainische revolutionäre Dichter Pavlo Hrabovskyj, die Werke Sevcenkos würden immer eine Quelle klarer Gedanken und menschlicher Gefühle bleiben; darin liege ihre große allgemein menschliche Bedeutung. Liebe und Achtung vor dem Menschen Dieser flammende Aufruf Sevcenkos erhält in unserer Zeit einen neuen Inhalt und eine neue Tendenz. Auch die Klarheit der Sprache Sevcenkos hilft uns, den Aufgaben, die unsere Gegenwart der Literatur stellt, große Aufmerksamkeit zu widmen. Die ästhetischen Anschauungen Sevcenkos haben für uns nicht nur literarhistorische Bedeutung. Sie bergen einen reichen Schatz an Erfahrungen, der bei der Ausarbeitung der künstlerischen Prinzipien der Volkstümlichkeit der Kunst und wichtiger Verallgemeinerungen auf dem Gebiete einer wirksamen Poetik von großem Nutzen sein kann. Sevcenkos Erbe gehört zum literarischen Leben der Gegenwart. Es bestätigt überzeugend die wichtigsten Forderungen, die an unsere Epoche gestellt werden. Gewiß gehört einiges bei Sevcenko der Vergangenheit an und interessiert heute vornehmlich den Literarhistoriker. Doch hier geht es um das Prinzipielle. Leben und Schaffen Sevcenkos verkörpern jene Prinzipien, die wir mit den Begriffen Dienst am Volk und Volkstümlichkeit der Literatur sowie mit ihrem revolutionären Geist verbinden. Je weiter Sevcenko zeitlich von uns entfernt ist und je bedeutender die Siege des Sozialismus in unserer Zeit sjnd, desto stärker empfinden wir seine Genialität, ein desto tieferer Sinn enthüllt sich uns in seinem Erbe und desto imposanter erscheint uns seine historische und gesellschaftliche Bedeutung. Wir entdecken an ihm immer neue Seiten, die wir als erstaunlich nahe empfinden, uns, unseren Zielen und unserem Leben. Die bürgerlichen Nationalisten brauchen einen nationalen Dichter, um mit seinem Namen ihre Versuche zu tarnen, das ukrainische Volk gegenüber anderen Völkern abzugrenzen, Haß gegen „fremde" Völker zu säen und ein Volk gegen das andere zu hetzen. Mit den Schätzen der Nationalliteratur, mit dem jahrhundertealten geistigen Erbe, wollen sie eine Barriere errichten, um „ihr" Volk von „fremden" Völkern zu isolieren. Die nationalen Besonderheiten des Dichters bilden jedoch keine Grenzen, sie tragen nicht zur Isolierung und zur Entfremdung der Völker bei, sondern stärken die Grundlagen ihrer Freundschaft und ihrer Verbundenheit. Sevcenko verstand es, die Liebe zu seinem Volk auf eine solche Stufe zu heben, daß die werktätigen Menschen anderer Völker dort, wo er von den verborgensten Gedanken seines Volkes sprach, viel von eigenem Erleben, von eigenen Wünschen und Hoffnungen fanden. Seine Werke verbinden die Ukraine und ihr Volk mit den Völkern anderer Länder und Kontinente. Und das ist nur natürlich, zeigt sich doch gerade in der zeitgenössischen Kunst, daß die Bestrebungen eines Volkes und sein

Je. S. Sabliovékyj

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Kampf f ü r Humanität und Gerechtigkeit mit den Bestrebungen der gesamten werktätigen Menschheit zusammenfallen. Die Stimme Sevcenkos ertönt in der ganzen Welt. Sein Schmerz um den Menschen findet in den Herzen der Angehörigen vieler Generationen Widerhall. Die Stimme des Guten und der Gerechtigkeit., der Freundschaft und der Brüderlichkeit, deren Verkünder Sevcenko war, hat heute einen nachhaltigen und allgemeinmenschlichen Klang. Die Gedichte Sevéenkos sind zu einem Faktor der ästhetischen Erziehung der Massen, ihrer moralischen Bereicherung und der Herausbildung guter und wahrhaft menschlicher Gefühle geworden. Das, wovon der große Humanist einst so leidenschaftlich träumte, wurde unter den Bedingungen des Sozialismus Wirklichkeit: Auf der erneuerten, befreiten Erde wachsen Menschen heran, die als Werktätige ihre Kräfte voll entfalten können. In diesem Sinne ist Sevcenko für uns keineswegs eine „klassische Reliquie". Er ist vielmehr unser Zeitgenosse, ein Mitstreiter für die lichte Zukunft aller Werktätigen, ein Gefährte in dem Kampf, den das Sowjetvolk und die ganze fortschrittliche Menschheit führen. Der Dichter eroberte und erobert sich Millionen und aber Millionen von Lesern in der ganzen Welt. Die Völker der sozialistischen Staaten, die Werktätigen in der kapitalistischen Welt und in den noch kolonial unterdrückten Ländern empfinden seine kraftvolle Stimme als den Aufruf eines Zeitgenossen. „Sevcenkos Werk", so bemerkte der bekannte türkische Dichter Nazim Hikmet, „ist einer der besten Kampfgesänge in allen unterdrückten Ländern. Seine Lieder singen alle Völker, die Blut f ü r ihre nationale Unabhängigkeit, für ihr Vaterland und für demokratische Rechte vergossen haben." 6 Sevcenkos Stimme erklingt über alle Meere und Kontinente hinweg, denn sie ist die Stimme des Friedens, der Einigkeit der Menschen und des Triumphes der befreiten Arbeit. Noch nie konnten die begeisterten Worte Sevcenkos „Dann gibt es Menschen auf der Erde" so tief erfaßt werden wie in unserer Zeit des siegreichen Aufbaus des Sozialismus und des Kommunismus. Daher ist uns sein Werk so nah und gegenwärtig. 1 Vgl. dazu: Je. Sabliovékyj, TyMaHi3M IIIeBjieHKa i Haina cyiacHicTt. Kiew 1964. (Vor allem Kap. III.) 2 Zitiert wird nach: Schewtschenko, Kobsar. 3 M. Drahomanow, La littérature oukrainienne proscitée par le gouvernement russe. Genf 1878. 4 Ebd. 5 Obrist, Szewczenko. 6 CiUTOBa Beniii IIIeßqeiiKa. 36ipHHK MaTepianiß npo TBopqicTt T. IIIeB'ieHKa r Tptox TOMax.

Kiew 1064, S. 115.

M. N. PARCHOMENKO

Die ästhetischen Anschauungen Taras Sevcenkos

Taras Sevcenko, der größte ukrainische Dichter des 19. Jahrhunderts, spielte auch bei der Entwicklung der Ästhetik in der Ukraine eine bedeutende Rolle. Als erster ukrainischer Schriftsteller und Denker stellte er sich hinsichtlich der Auffassung von der Natur der Kunst und der Behandlung der grundlegenden Probleme dieser wahrscheinlich „ideellsten" Seite der geistigen Tätigkeit des Menschen auf den Boden des Materialismus. In seinem „Tagebuch" (Dnevnik, 1857/58) sowie in seinen Briefen und seinen künstlerischen Werken berührt er einen weiten Kreis ästhetischer Probleme: Kunst und Wirklichkeit, Künstler und Gesellschaft, die Rolle der Phantasie im künstlerischen Schaffen, die künstlerische Wahrheit in den Werken der Kunst, das Schöne in Wirklichkeit und Kunst sowie die erzieherische Funktion der Kunst. Spezialarbeiten über Fragen der Ästhetik hat Sevcenko nicht geschrieben. Trotzdem ergibt sich aus seinen Aussagen ein harmonisches System ästhetischer Vorstellungen, die in ihrer Grundlage materialistisch und in ihrem gesellschaftlichen Pathos revolutionär sind. Als Freund und Mitstreiter der russischen revolutionären Demokraten war er auch auf dem Gebiete der Ästhetik ein Gleichgesinnter. Natürlich bildeten sich die ästhetischen Anschauungen Sevcenkos nicht sofort heraus. Anfangs war er ein Vertreter der Romantik in der ukrainischen Dichtung. Das erklärt sich aus dem damaligen Entwicklungsstand der ukrainischen Literatur, in der sich der kritische Realismus erst zu formen begann (vgl. das Schaffen Ivan Kotljarevskyjs, Hryhorij Kvitka-Osnovjanenkos und Petro Hulak-Artemovskyjs), aus dem Einfluß der romantischen Strömungen in der russischen und der ukrainischen Literatur auf seine schöpferische Entwicklung und schließlich aus der fast uneingeschränkten Herrschaft des Idealismus in der ästhetischen Theorie sowohl in der Ukraine als auch in Rußland in den Jahren, in denen sich sein Talent entfaltete. Die idealistische Ästhetik übte auf die ästhetischen Anschauungen des jungen Sevcenko keinen nachhaltigen Einfluß aus. Im Gegenteil, er verließ, wie er selbst 1857 in seinem „Tagebuch" bekennt, die Hörsäle der Akademie der Künste, wo er Vorlesungen von A. Galic über „Das absolute Element des Schönen" sowie über „Die ewig-göttliche Idee in dem selbständigen, gefühlsmäßig-vollendeten, organischen Bild der Erscheinung" der Kunst gehört hatte, mit „unüberwindlicher Antipathie gegen die Philosophien und Ästhetiken"1. Man darf wohl mit Recht annehmen, daß das eine Antipathie gerade gegen die idealistischen Lehren und gegen jene idealistischen „Ästhetiken" war, die die Kunst vom Leben trennten.

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Die ästhetischen Anschauungen Taras Sevcenkos

Taras Sevcenko, der größte ukrainische Dichter des 19. Jahrhunderts, spielte auch bei der Entwicklung der Ästhetik in der Ukraine eine bedeutende Rolle. Als erster ukrainischer Schriftsteller und Denker stellte er sich hinsichtlich der Auffassung von der Natur der Kunst und der Behandlung der grundlegenden Probleme dieser wahrscheinlich „ideellsten" Seite der geistigen Tätigkeit des Menschen auf den Boden des Materialismus. In seinem „Tagebuch" (Dnevnik, 1857/58) sowie in seinen Briefen und seinen künstlerischen Werken berührt er einen weiten Kreis ästhetischer Probleme: Kunst und Wirklichkeit, Künstler und Gesellschaft, die Rolle der Phantasie im künstlerischen Schaffen, die künstlerische Wahrheit in den Werken der Kunst, das Schöne in Wirklichkeit und Kunst sowie die erzieherische Funktion der Kunst. Spezialarbeiten über Fragen der Ästhetik hat Sevcenko nicht geschrieben. Trotzdem ergibt sich aus seinen Aussagen ein harmonisches System ästhetischer Vorstellungen, die in ihrer Grundlage materialistisch und in ihrem gesellschaftlichen Pathos revolutionär sind. Als Freund und Mitstreiter der russischen revolutionären Demokraten war er auch auf dem Gebiete der Ästhetik ein Gleichgesinnter. Natürlich bildeten sich die ästhetischen Anschauungen Sevcenkos nicht sofort heraus. Anfangs war er ein Vertreter der Romantik in der ukrainischen Dichtung. Das erklärt sich aus dem damaligen Entwicklungsstand der ukrainischen Literatur, in der sich der kritische Realismus erst zu formen begann (vgl. das Schaffen Ivan Kotljarevskyjs, Hryhorij Kvitka-Osnovjanenkos und Petro Hulak-Artemovskyjs), aus dem Einfluß der romantischen Strömungen in der russischen und der ukrainischen Literatur auf seine schöpferische Entwicklung und schließlich aus der fast uneingeschränkten Herrschaft des Idealismus in der ästhetischen Theorie sowohl in der Ukraine als auch in Rußland in den Jahren, in denen sich sein Talent entfaltete. Die idealistische Ästhetik übte auf die ästhetischen Anschauungen des jungen Sevcenko keinen nachhaltigen Einfluß aus. Im Gegenteil, er verließ, wie er selbst 1857 in seinem „Tagebuch" bekennt, die Hörsäle der Akademie der Künste, wo er Vorlesungen von A. Galic über „Das absolute Element des Schönen" sowie über „Die ewig-göttliche Idee in dem selbständigen, gefühlsmäßig-vollendeten, organischen Bild der Erscheinung" der Kunst gehört hatte, mit „unüberwindlicher Antipathie gegen die Philosophien und Ästhetiken"1. Man darf wohl mit Recht annehmen, daß das eine Antipathie gerade gegen die idealistischen Lehren und gegen jene idealistischen „Ästhetiken" war, die die Kunst vom Leben trennten.

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Diese Antipathie wurde vor allem dadurch hervorgerufen, daß Sevcenko vom Anfang seines künstlerischen Schaffens an das Verhältnis von Kunst und Leben des Volkes ganz anders sah als die idealistischen Ästhetiker. Sein Werk entstand als Antwort auf das wirkliche Leben, aus dem Schmerz eines Dichters, dessen Herz durch die Leiden des Volkes, das der Sklaverei der Leibeigenschaft ausgeliefert war, zutiefst verletzt wurde. Fast von Anfang an war sein Werk ein Echo des heroischen Kampfes des Volkes für die Befreiung von nationaler und sozialer Unterdrückung (vgl. die Poeme „Die Tarasnacht" [Tarasova nie, 1839], „Die Haidamaken" [Hajdamaky, 1841] u. a.). Zwar kommen in mehreren seiner frühen Werke - den romantischen Balladen und Poemen „Die Behexte" (Prycynna, 1837), „Die Ertrunkene" (Utoplena, 1841) und „Die Pappel" (Topolja, 1839) - neben irdischen Helden auch Nixen vor, und im Schicksal seiner Helden spielt das Element des „Wunderbaren" (Wahrsagerei, Zauberei) eine bedeutende Rolle, was die Rolle der traditionell-romantischen „schicksalhaften" Kräfte in den Sujets noch verstärkt, doch sein Talent war durch und durch weltoffen, und seine bitteren Eindrücke aus Kindheit und Jugend waren zu real, als daß sie den jungen Dichter und Künstler im Banne poetischer Phantastik, wenn auch folkloristischer Provenienz, hätten halten können. Selbst in diesen romantischen Werken sind freilich die realen Grundlagen und manchmal auch ihr Uberwiegen beachtlich: Ihre Helden sind von unverfälscht-ehrlichen Gefühlen und von zutiefst dramatischen Leiden erfüllt, hinter denen durchaus reale Lebensverhältnisse erkennbar werden. Die Lebensimpulse für die schöpferische Inspiration des jungen Sevcenko waren den idealistischen Lehren vom „absoluten Element des Schönen" und von der „ewiggöttlichen Idee" im „Bild oder in der Erscheinung" der Kunst diametral entgegengesetzt. Die Antipathie gegen diese Lehren förderte die Bekräftigung der spontanmaterialistischen Vorstellungen des Dichters vom Verhältnis der Poesie und der Malerei zum Leben und von der Bestimmung des Dichters, von seiner Berufung. Die Gestalt des Dichters, des Volkssängers, ging in das Frühwerk Sevcenkos als Gestalt des Chronisten und Teilnehmers am Befreiungskampf des Volkes, des Inspirators der Aufständischen, eines Menschenfreundes und Beraters seiner Zeitgenossen ein. Die weitere Entwicklung des Dichters drückte sich besonders in der konsequenten Festigung der Positionen des kritischen Realismus und im mutigen Aufsteigen zur revolutionären Lyrik, zu einer zornigen politischen Satire, aus. Dementsprechend vollzog sich auch die Entwicklung seiner ästhetischen Anschauungen vom spontanen zum bewußten Materialismus. 1857 war er in dieser Richtung schon so weit vorgedrungen, daß er den polnischen Philosophen und Politiker, Literaturkritiker und Publizisten Karol Libelt (1807 bis 1875) einen „Mystiker und Träumer in den Künsten" nannte; bald darauf hob er einige spontan-materialistische Abweichungen Libelts von idealistischen Positionen hervor und bewertete sie positiv. Die Ideen der Befreiungsbewegung, die Teilnahme am revolutionären Kampf auf Seiten der progressivsten Kräfte der russischen Demokratie und später der „revolu-

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tionären Partei Cernysevskijs", der Einfluß der realistischen russischen Literatur, der fortschrittlichen Literaturkritik und der revolutionären Publizistik (Belinskij, Herzen) - all das verstärkte die Sympathie Sevcenkos für eine „tendenziöse" Kunst, die die Unterdrücker anklagt, die „armen, geschmähten Bauern" verteidigt und die Unterdrückten zum revolutionären Kampf aufruft. In der Polemik der vierziger bis sechziger Jahre war die Stellung Sevcenkos zu. ästhetischen Fragen durch eine revolutionäre Auffassung der gesellschaftlichen Aufgaben von Kunst und Literatur gekennzeichnet. In dieser Hinsicht kann man von ihm das gleiche sagen, was Cernysevskij über die russischen Teilnehmer an dieser Polemik schrieb, nämlich, daß sie „sich nicht so sehr um rein ästhetische Fragen als vielmehr um die Entwicklung der Gesellschaft kümmerten, wobei die Literatur fiir sie vor allem in der Hinsicht wertvoll war, weil sie sie als mächtigste jener Kräfte verstanden, die die Entwicklung unseres gesellschaftlichen Lebens beeinflussen." 2 Die Forderung nach Wahrheit in der Kunst, die sich in allen Gedichten programmatischen Charakters wiederholt, war zugleich eine Aufforderung zur Tat, zum Kampf. Sevcenko war zutiefst von dem veredelnden und, wie er schrieb, „belebendwunderbaren Einfluß der Schönheit auf den Menschen" 3 überzeugt, der durch die Kunst auf ihn „stärker einwirkt als die Natur selbst" 4 . Doch die Kunst kann nirgends das Schöne erlangen außer in der Natur, in der Wirklichkeit selbst. So löste Sevcenko das Grundproblem der Ästhetik, das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, als Materialist. Der Materialismus war die philosophische Grundlage der ästhetischen Anschauungen des ukrainischen Dichters. Je. Sabliovskyj stellt in seinem Buch „Das Volk und das Wort Sevcenkos" mit Recht fest, daß der große Kobzar als erster in der Ukraine eine neue Konzeption der Kunst erarbeitete, deren Grundlage die Idee von der „sozial umgestaltenden Rolle" 6 der Kunst war. Dadurch befruchtete Sevcenko die ukrainische schöne Literatur mit dem Geist eines fortschrittlichen, revolutionären Ideengehalts und bestimmte für viele Jahre die Hauptrichtung bei der Entwicklung der nationalen Literatur und Kunst. Die ästhetischen Ideen Sevcenkos, die durch seine Dichtung bestätigt und oft auch mit deren Mitteln zum Ausdruck gebracht wurden, hatten in der Tat Anteil an der Herausbildung der ästhetischen Anschauungen und der künstlerischen Ideen aller Generationen ukrainischer Schriftsteller, Künstler und Komponisten. Zu der Zeit, in der Sevcenko künstlerisch und literarisch tätig war, wurde die ästhetische Theorie in der Ukraine nur von wenigen vertreten. Es erscheint uns daher angebracht, die folgende Charakteristik der Verdienste Sevcenkos auf diesem Gebiete mit einem kleinen Exkurs in die ersten Jahrzehnte der Entwicklung des ästhetischen Denkens in der Ukraine einzuleiten, einmal deshalb, weil es bis jetzt noch keinen Abriß ihrer Geschichte gibt (und wir uns infolgedessen nicht der Gefahr aussetzen, allgemein Bekanntes zu wiederholen), zum andern, weil uns ein solcher Exkurs hilft, ein weiteres historisches Verdienst Sevcenkos zu veranschaulichen. Die Entstehung der neuen ukrainischen Literatur, die mit dem Erscheinen der „Enejida" Kotljarevskyjs datiert wird 6 , und die Herausbildung der realistischen Methode im Schaffen der ukrainischen Schriftsteller der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Hryhorij Kvitka-Osnovjanenko, Jevhen Hrebinka, Petro Hulak-Artemov-

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skyj) verstärkten in der Ukraine das Interesse an Problemen der Ästhetik, besonders an der Bestimmung der Kunst, der Berufung des Künstlers, vor allem des Schriftstellers) und noch mehr an der Möglichkeit der Entwicklung einer Nationalliteratur in ukrainischer Sprache. Kotljarevskyj selbst widmete eine Reihe von Versen seiner unsterblichen „ßnejida" der ukrainischen Volkskunst, wobei er ein umfangreiches Repertoire von Liedern und Tänzen sowie von Werken der Malerei anführt, die in der Ukraine am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbreitet waren. In scherzhaften Wendungen fordert er die Muse, die „Tochter des Parnaß" (pannocka parnasu), auf, zur Erde herabzusteigen. Das Singspiel „Natalka Poltavka" schrieb er mit dem klar zum Ausdruck gebrachten polemischen Ziel, zu beweisen, daß auf ukrainischer nationaler Grundlage, in ukrainischer Sprache, eine eigene, echt nationale Kunst (Theater und Literatur) möglich ist. In offen polemischen Episoden dieses Singspiels Kotljarevskyjs werden Probleme der künstlerischen Wahrheit und der Volkstümlichkeit der Kunst - freilich in ihrer ursprünglichen Form - aufgeworfen. Die gleichen Probleme beschäftigten auch Kvitka-Osnovjanenko, Hrebinka und Hulak-Artemovskyj, deren Schaffen den Realismus in der Prosa, der Lyrik und der Dramatik weiterentwickelte. Die neue Literatur festigte sich im Kampf gegen überlebte Traditionen. Kotljarevskyjs „ßnejida", die Vergils „Äneis" und deren Stil parodiert, war als ein Schlag gegen die Traditionen des Klassizismus in der russischen und der ukrainischen Literatur, besonders in der Lyrik und der Dramatik, gedacht. Dieser Schlag erwies sich als außerordentlich hart; in der ukrainischen Literatur war seine Wirkung vernichtend und entscheidend. Bei diesem Kampf stand auch die ästhetische Theorie nicht abseits. Ihre Vertreter unternahmen den Versuch, die Theorie der „Nachahmung der Natur", wie sie in der Epoche des französischen Klassizismus Batteux in seinem Werk „Les beaux artes réduits à un même principe" formuliert hatte und wie sie in Boileaus „L'art poétique" dargestellt ist, ihres Nimbus zu entkleiden. Im Jahre 1831 begann man, „Broschüren" (im ganzen waren es sechs) des Professors und späteren Rektors der Charkower Universität, Johann Jakob Kroneberg (1788-1838), herauszugeben. 7 In der ersten dieser Broschüren, der ersten Spezialuntersuchung über Fragen der Ästhetik in der Ukraine überhaupt, wurde gesagt, daß das in Versform geschriebene Werk „L'art poétique" von Boileau weder zur Kunst noch zur Poesie gehöre, daß es nicht mehr als eine „Lehre vom Stil" sei und daß die Theorie Batthieus „überhaupt und in keiner Beziehung die Bezeichnung einer philosophischen Theorie" verdiene. Dabei ist die Ästhetik nach Ansicht Kronebergs, die er in seinem zwar kurzen, aber außerordentlich inhaltsreichen Traktat „Die historische Betrachtung der Ästhetik" darlegt, eine philosophische Wissenschaft, die man nicht mit der Theorie der schönen Künste durcheinanderbringen dürfe, denn „die Theorie der schönen Künste und die Ästhetik sind zwei verschiedene Dinge" 8 , übrigens versuchte Kroneberg schon damals, die Ästhetik als eine „Theorie des Schönen" zu definieren, die „alle Erscheinungen des Schönen in der ganzen Welt" umfaßt.

Ästhetische Anschauungen Sevcenkos

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Die sechs Broschüren Kronebergs sind vor allem der Untersuchung der Grundprobleme der Ästhetik in Verbindung mit ihrer Entwicklung zur Wissenschaft von den Erscheinungen des Schönen in der ganzen Welt gewidmet. Zwei von ihnen - „ D i e historische Betrachtung der Ästhetik" und „Materialien zur Geschichte der Ästhetik" - beschäftigen sich fast ausschließlich mit diesem Gegenstand. Der Hauptschlag aller sechs Broschüren aber wurde gegen den Klassizismus, besonders in seiner französischen Variante, geführt, dem ganz Europa lange Zeit gefolgt war und den es mitunter einfach nachgeahmt hatte. Die französische Mode, die sich in Europa behauptete, habe der Entwicklung der Kunst und der Literatur außerordentlichen Schaden zugefügt, indem sie ihnen ihre Selbständigkeit, ihre nationale Eigenart, raubte. Eben deshalb schufen die Völker Europas „nichts Neues und wagten nicht, darüber nachzudenken. E s herrschte das Wort Geschmack vor, das Übereinstimmung mit den französischen Begriffen von schönen Gegenständen bedeutete". Das große Verdienst Lessings bestehe darin, daß er „als erster den Altar umstürzte, der den französischen Idolen errichtet worden war, und seinen Landsleuten die Unabhängigkeit und Freiheit des Denkens zurückgab" 9 . Eine solche Unabhängigkeit und Freiheit erstrebte auch der Verfasser der sechs Broschüren, wenn er gegen den Klassizismus in Europa als eine französische Mode zu Felde zog und die Verdienste Lessings um die Ästhetik und Shakespeares um die Dramatik hervorhob. (Der Charakterisierung von Shakespeares Werk sind die zweite und die vierte Broschüre gewidmet.) Die Verdienste Kronebergs wurden von Belinskij nachdrücklich unterstrichen. Dieser urteilte über Kronebergs Arbeiten nüchtern, aber so, wie sie es verdienten; er schrieb, daß Kroneberg „vieles sagte, was vergessen werden muß, daß er aber auch als erster vieles sagte, was immer neu sein wird" 1 0 . Die Arbeiten Kronebergs waren — wie bereits betont - die ersten Spezialuntersuchungen zur Ästhetik in der Ukraine überhaupt. Mit ihrem ganzen Inhalt trugen sie nach der „ E n e j i d a " Kotljarevskyjs 1 1 und gewissermaßen zusammen mit ihr zur Herausbildung des Realismus in Literatur und Kunst der Ukraine bei. Ihre Rolle bei der Entwicklung des ästhetischen Denkens in Rußland läßt sich auf Grund der von Belinskij angeführten Einschätzungen beurteilen. In der Ukraine, genauer gesagt, in Charkow, das zur damaligen Zeit das Zentrum des ukrainischen wissenschaftlichen Denkens und der Literatur war, legten sie den Grundstein zur Entwicklung der Ästhetik als einer speziellen philosophischen Wissenschaft. E s ist nicht schwer, in Äußerungen ukrainischer Gelehrter über diesen Gegenstand in der Folgezeit ein offensichtliches Echo der Broschüren und einzelner Gedanken Kronebergs zu finden. Zumindest entstand die folgende spezielle Arbeit zur Ästhetik nicht zufällig ebenfalls an der Charkower Universität, ja an verschiedenen Stellen wiederholt sie sogar entweder seine Gedanken oder polemisiert gegen die allgemeine Richtung seiner Arbeiten, die zum Materialismus tendierten. Eine neue Untersuchung zu Fragen der Ästhetik war die „ R e d e über die wahre Bedeutung der Poesie" 1 2 , 1843 für „den Vortrag auf der Festveranstaltung der Kaiserlichen Charkower Universität von dem Adjunkten Amvrosij Metlynskyj" verfaßt, der in der ukrainischen Literatur vor allem als Dichter der Romantik bekannt ist.

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In seiner „Rede" weicht er bei der Definition der Ästhetik entschieden von Kroneberg ab, indem er sie als „Wissenschaft von den Künsten" bezeichnet und damit den Unterschied zwischen der Ästhetik und der Kunsttheorie ignoriert, auf dem Kroneberg bestanden hatte. Bei der Charakterisierung der Werke Metlynskyjs bemerkte Belinskij treffend: „In dieser ,Rede' kann man alles finden, was man will, außer wirklicher Bedeutung der Poesie. Der Autor manövriert geschickt um seine Frage herum, stößt aber nicht auf sie, kann sie nicht erfassen. Deshalb gibt es so viele Phrasen und Wörter, die ,Rede' ist lang und langweilig, aber Wichtiges findet man darin nicht." 13 Das scharfe Urteil Belinskijs, den damals schon die Erfolge des Realismus, der „natürlichen Schule", in der russischen Literatur beflügelt hatten, ist leicht zu verstehen: Vom Werke Metlynskyjs ging der Hauch eines elementaren, offen theologischen Idealismus aus. „Die Bestimmung der Kunst ist es", sagt der Autor der „Rede", „die Schönheit des möglichst reinen, vollkommenen und strahlenden Menschen als Abglanz der göttlichen Herkunft und seines ursprünglichen, reinen und unschuldsvollen Zustandes wiederherzustellen. Auf der Welt findet der Künstler keine solche Schönheit, hier findet er nur ihre halbverblaßten, von wüsten Leidenschaften entstellten Züge, aus denen er erst vollkommenere, hellere und schönere Ideale sichtbar zu machen hat. Dabei muß er mit Phantasie vorgehen, denn sie schöpft die eigentliche Welt aus dem, was ihr das wirkliche Leben gibt." 14 Die Erwähnung des „wirklichen Lebens", ja sogar Sätze von der Art „Der Dichter reproduziert die Wirklichkeit" konnten Belinskij freilich nicht darüber hinwegtäuschen, wie diese „Wirklichkeit" nach Metlynskyj zu verstehen war. Er sah darin nur ein „geschicktes Manövrieren" des Autors der „Rede", das den Gedanken an eine Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens und an eine Behandlung von Problemen des sozialen Kampfes auf dem Gebiet der Dichtung nicht einmal aufkommen lasse. Im Gegenteil: Die Dichtung führe von diesen Problemen eher weg, denn der Mensch, „gefangengenommen von der lichten und vollkommenen Eleganz" der durch die Poesie geschaffenen „eigentlichen Welt", „kann sich vom wirklichen Leben abwenden und sich an ihm nur in der klaren Widerspiegelung der Poesie ergötzen"' 5 . Kurz gesagt, Metlynskyj betrachtete die „Wirklichkeit" mit den Augen eines Idealisten und behandelte auch das Grundproblem der Ästhetik, das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, in diesem Sinne. Im Jahre 1850 verteidigte Metlynskyj an der gleichen Universität seine Doktordissertation über die „Auffassung von der historischen Entwicklung der Theorie der Prosa und der Poesie" 16 . Er bekannte, daß alle seine Überlegungen auf der „Grundlage der Begriffe der neuesten, vorwiegend der Hegelsehen Ästhetik" 17 basierten, wobei er in seiner Dissertation den von uns zitierten Auszug aus der „Rede" wiederholte. Er beleuchtete jedoch die Hegeische Ästhetik nur von der Seite, wo sie der Theologie zugewandt und mit ihr verbunden ist. „Der wesentliche Inhalt der Poesie", behauptet Metlynskyj, „ist nicht die unbewußte Materie und überhaupt das Sinnliche, sondern der allesbelebende Geist. . ,"18 Sogar der idealistische Ästhetiker und romantische Dichter mußte jedoch den Erfolgen der realistischen Richtung in der russischen und der ukrainischen Literatur

Ästhetische Anschauungen Sevcenkos

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Rechnung tragen. An mehreren Stellen seiner Dissertation macht er den neuen Tendenzen offensichtliche Zugeständnisse und spricht vielsagender als in der „Rede" von der Bedeutung der Wirklichkeit für die Literatur (besonders für die Prosa). Aber das waren nur Zugeständnisse, nichts weiter. Erst durch Sevcenko, durch seine Gedichte und sein „Tagebuch", seine literarischen Bemerkungen und später durch seine Erzählungen und Briefe, fanden die Ideen der materialistischen Ästhetik ungeschmälert Eingang in die geistige Welt der ukrainischen Literatur und Kunst und prägten die ästhetischen Anschauungen der ukrainischen Schriftsteller und Künstler jener Generationen, die auf Sevcenko folgten. Auf dem Gebiet der Kunsttheorie wurde das von Taras Sevcenko begonnene Werk durch Ivan Franko vollendet, in dessen literaturwissenschaftlichen und ästhetischen Arbeiten das nationale ästhetische Denken den Charakter eines geschlossenen materialistischen Systems annahm. Er beschäftigte sich als erster mit den ästhetischen Anschauungen Sevcenkos und formulierte die Aufgabe, sie als ein wissenschaftliches Problem zu untersuchen: „Keiner der Kritiker hat bisher den Versuch unternommen, die ästhetischen Anschauungen Sevcenkos als eines Künstlers des Wortes und des Pinsels zu studieren. Dabei bieten die russischen Erzählungen, die Briefe und das ,Tagebuch' dafür reiches Material. Eine diesbezügliche Spezialuntersuchung muß erst noch in Angriff genommen werden. Sie wird uns helfen, die Psychologie des Schaffens unseres großen Dichters tiefer zu verstehen." 19 In der Zeit, da Sevcenko literarisch und künstlerisch wirkte, war das Niveau der ukrainischen realistischen Kunst noch verhältnismäßig niedrig. Die ästhetische Theorie befand sich hier in den allerersten Anfängen. Um so höher ist das Verdienst Taras Sevcenkos zu bewerten: Er hat es verstanden, den einzig richtigen Weg für die ukrainische nationale Kunst zu bestimmen, hat sie durch sein eigenes Schaffen ungemein bereichert und - angeregt durch die Erfahrungen der Kunst und des ästhetischen Denkens in der ganzen Welt - eine Reihe ästhetischer Thesen aufgestellt, die für die Vertreter der ukrainischen Kunst und Literatur in der Periode vor der Oktoberrevolution wegweisend wurden und bis heute ihre Bedeutung nicht, verloren haben. Der "Dichter der Sowjetukraine Maksym Ryl'skyj sagte mit vollem Recht: „Es gibt keinen ukrainischen Sowjetdichter, auf den sich nicht auf die eine oder andere Weise der Geist von Taras ausgewirkt hätte." 20 Und das läßt sieh nicht nur von den Dichtern sagen. Wichtig ist dabei, daß es nicht nur auf ihr Schaffen, sondern auch auf ihre ästhetischen Anschauungen zutrifft. Die Erforschung der ästhetischen Anschauungen Sevcenkos hatte in der vorrevolutionären Sevcenko-Forschung nicht den ihr gebührenden Platz. Hinzu kommt, daß die Verfasser der ersten Arbeiten über diesen Gegenstand (D. Antonovyc u. a.) nicht frei von nationalistischen Vorurteilen gegenüber der russischen demokratischen Ästhetik waren. Da sie dem Marxismus fremd, noch öfter sogar feindlich gegenüberstanden, waren sie weder in der Lage, ein objektives Bild der Evolution der ästhetischen Anschauungen Sevcenkos zu entwerfen, noch konnten sie seine Bedeutung für die Entwicklung des ästhetischen Denkens in der Ukraine richtig einschätzen.21

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Die sowjetische Literaturwissenschaft mußte deshalb mit der Lösung dieser Probleme von vorn beginnen. Zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Untersuchungen sowie Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften gehören: der Aufsatz V. Hufel'ds „ D i e literaturästhetischen Anschauungen Sevcenkos" 2 2 , einige Beiträge J e . Kyryljuks sowie mehrere Kapitel in dem Werk P. Volynskyjs „Die theoretischen Auseinandersetzungen in der ukrainischen Literatur" 2 3 , ferner M. Bernstejn, „ D i e ukrainische Literaturkritik in den fünfziger bis siebziger J a h r e n des 19. Jahrhunderts" 2 4 und Mariètta Saginjan, „ T a r a s Sevcenko" 2 5 . In den Arbeiten über die ästhetischen Anschauungen Sevcenkos werden seine Anschauungen über die grundlegende ästhetische Kategorie, nämlich über das Schöne, verhältnismäßig wenig beleuchtet, und das ästhetische Ideal Sevcenkos, wie es sich in seinem Schaffen offenbarte, wird nur sehr ungenügend untersucht. 26 Vorwiegend diesem Fragenkomplex sei daher der zweite Teil meines Beitrages gewidmet. D a s Problem des Schönen stellt innerhalb der ästhetischen Interessen Sevcenkos das Hauptproblem dar. Die sowjetischen Sevcenko-Forscher haben bereits eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen seiner Methode, dieses Problem zu lösen, und der Dissertation Cernysevskijs „ D i e ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit" hervorgehoben. Manétta Saginjan, die sich früher als andere dazu geäußert hat, schreibt, daß man, „wenn man seine (Sevcenkos, der, wie man annehmen muß, diese Dissertation nicht kannte 2 7 , M. P.) Bemerkungen im ,Tagebuch' liest, fast auf jeder Seite an Cernysevskij erinnert wird, da manche Stellen mit den ,Ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit' in hohem Maße übereinstimmen" 2 8 .. Besonders augenfällig ist diese Ubereinstimmung bei der Auffassung vom Schönen. Als Sevcenko die von Libelt verfaßte „Ästhetik" las, fand er darin genau jene ideologische Konzeption, gegen deren Vorherrschaft in der damaligen Ästhetik sich die Dissertation Cernysevskijs richtete. Im Vorwort zu seiner Arbeit bekennt Libelt, daß er sich „von dem System der Hegeischen Ästhetik habe leiten lassen" und „sein Schüler gewesen sei". Tatsächlich interpretiert er, der das Ideal als die vollkommene Verkörperung des „göttlichen Gedankens" ansieht, jedoch die Kunst als Realisierung des Strebens des göttlichen Geistes, sich in der Wirklichkeit (rzeczywistosó) zu entäußern: Der göttliche Gedanke, „der in die Sprache, in Laute und Farben, in Stein usw. übergeht, verwandelt das tote Material in Formen, die ihm entsprechen, leuchtet und tritt in ihnen hervor, wodurch er unseren Gefühlen zugänglich wird". „ E i n e solche Wirkung des Geistes", fährt Libelt fort, „nennen wir K u n s t ; die Harmonie des Zeichens und des Sinnes aber, die Einheit von Form und Inhalt im äußeren Material, bezeichnen wir als das Schöne." 2 9 Wenn man sich in Libelts „Ästhetik" vertieft, kann man darin alle jene Definitionen des Schönen finden („Das Schöne ist die Idee in F o r m einer begrenzten Offenbarung", „ D a s Schöne ist die vollkommene Ubereinstimmung und vollkommene Identität der Idee mit der Gestalt" usw.), deren Haltlosigkeit der Materialist Cernysevskij in seiner Dissertation schonungslos aufgedeckt hat. Für Libelt waren das jene Positionen, von denen aus er die Kunst als das Reich des Schönen ansah : „Als die vollkommene Harmonie der F o r m und der Bedeutung ist das Schöne die

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Vollendung in der wirklichen Offenbarung und somit die Befriedigung des Geistes. Das Schöne existiert nur in der schönen K u n s t . . ."30 Cernysevskij sprach schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts davon, „daß von den Grundbegriffen, aus denen bei Hegel die Definition des Schönen abgeleitet wird, heute schon feststeht, daß sie keiner Kritik standhalten" 31 . Die neuen Richtungen in der Philosophie, die Cernysevskij dabei im Auge hatte, jedoch wegen der im zaristischen Rußland ausgeübten strengen Zensur nicht nennen konnte, waren, wenn auch nur in allgemeinster Form, auch Taras Sevcenko bekannt. Sowjetische Sevcenko-Forscher haben nun die begründete Vermutung geäußert, daß Aleksandr Chanykov, ein Freund des jungen Cernysevskij und Anhänger 1'etraSevskijs, wie Sevcenko ein politisch Verbannter, der großen Einfluß auf die Festigung der Weltanschauung des verbannten Dichters ausübte, ihn mit den neuen Richtungen in der Philosophie bekannt gemacht hat. Kann man daraus nicht schließen, daß Sevcenko eben deshalb Libelts Idealismus so schnell erkannt und in der „Ästhetik" im wesentlichen die gleichen Positionen kritisiert hat, die Cernysevskij bei Hegel kritisierte? Libelt, so schrieb Sevcenko in seinem „Tagebuch", „stellt den schöpferischen Menschen in den schönen Künsten überhaupt, darunter auch in der Malerei, höher als die Natur, weil die Natur in den ihr vorgezeichneten und unveränderlichen Grenzen handle, der schöpferische Mensch dagegen durch nichts in seiner Schöpfung eingeschränkt sei. Verhält es sich wirklich so? Mir scheint, daß der freie Künstler durch die ihn umgebende Natur ebenso eingeschränkt ist wie die Natur durch ihre ewigen, unveränderlichen Gesetze."32 Die „Achtung vor dem wirklichen Leben", die CernySevskij in seiner Dissertation verteidigte, liegt in hohem Maße auch den ästhetischen Anschauungen Sevcenkos zugrunde. Er hat sogar ein Extrem geteilt, in das Cernysevskij im Eifer der Polemik verfiel, indem er die Überlegenheit des Schönen in der Natur über das Schöne in der Kunst unterstützte. „Aber versuche dieser freie Schöpfer einmal", schrieb Sevcenko, „sich auch nur um ein Haar von der ewigen Schönheit der Natur zu entfernen, so erscheint er als Gottesleugner, als moralisch verwerflich.. Z'33 Man kann unschwer feststellen, wie sehr das an zahlreiche Beispiele erinnert, mit denen Cernysevskij bewies, daß es für den Künstler, den Maler, unmöglich sei, jene Vollkommenheit zu erreichen, die die Natur anscheinend mit Leichtigkeit erzielt. Hier sei nur ein Beispiel angeführt: „Die Einbildungskraft kann sich nichts vorstellen, was schöner ist als die wirkliche Rose; die Ausführung aber ist dem vorgestellten Ideal stets unterlegen." 34 Noch mehr fällt der oben angeführte Ausspruch Sevcenkos mit folgender Stelle aus Cernysevskijs Dissertation zusammen: „Das einfache, natürliche Gefühl eines jeden Menschen, der nicht in der Voreingenommenheit künstlerischer oder dilettantischer Einseitigkeit befangen ist, wird mit uns einverstanden sein, wenn wir sagen, daß es in der Natur sehr viele örtlichkeiten, sehr viele Anblicke gibt, an denen man sich nur begeistern kann und wo es nichts zu kritisieren g i b t . . . Wem von denen, die einen richtigen Wald gesehen haben, ist es in den Sinn gekommen, daß an diesem Wald irgendetwas zu verändern wäre, daß man ihm, um zu einem vollen ästhetischen Genuß zu kommen, etwas hinzu-

M. N. Parchomenko

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fügen müßte? - Fahrt zwei-, dreihundert Werst weit . . . wieviel Plätze werdet ihr ^uf dieser kleinen Reise finden, die euch begeistern und bei denen ihr, während ihr euch daran erfreut, nicht denken werdet: ,Wenn man dort jenes hinzufügt, da jenes wegließe, wäre die Landschaft schöner.' Ein Mensch mit unverdorbenem

ästheti-

schem Empfinden hat vollen Genuß an der Natur und findet keine Mängel an ihrer Schönheit." 3 5 I m gleichen Sinne urteilte auch Sevcenko. Bei aller Strenge, mit der er den Künstler durch die Abhängigkeit von der Natur einengt, sympathisiert er keineswegs mit ihrem naturalistischen Kopieren:

„Ich spreche nicht", setzt er die schon

zitierte

Polemik mit Libelt fort, „von der Nachahmung der Natur in F o r m der Daguerreotvpie. Dann gäbe es keine Kunst, kein Schaffen, dann gäbe es auch keine wahren K ü n s t l e r . . .' l 3 6 „ W i e verführerisch die Photographie auch sein m a g " , schreibt er ein anderes Mal, „schließt sie doch nicht das erhabene Schöne in der Kunst ein." 3 7 Sevcenko hält, wie wir in einem Brief an den gleichen Adressaten lesen, einen „vernünftigen Begriff von der Schönheit" für notwendig, der Inspiration und künstlerisches Schaffen nicht nur nicht ausschließt, sondern im Gegenteil beides als unerläßliche Voraussetzungen

für die Existenz der Kunst betrachtet. Sogar in der

Botanik und in der Zoologie sei „Begeisterung notwendig, andernfalls werden Botanik und Zoologie zu toten Dingen. Diese Begeisterung aber wird nur

erworben

durch ein tiefes Verständnis der Schönheit und der Unendlichkeit, der Symmetrie und der Harmonie in der Natur" 3 8 . Um so wichtiger ist eine solche „Begeisterung" und ein solch „tiefes Verständnis der Schönheit" für den Künstler. Sevcenko war beides in hohem M a ß e eigen. An konkreten Beispielen, an Würdigungen des Schönen in der Natur sowie bei der Beurteilung der W e r k e von Künstlern, Bildhauern und Dichtern, offenbarte er einen hochentwickelten ästhetischen Geschmack und äußerte Meinungen und Urteile, hinter denen man ein bestimmtes System ästhetischer Begriffe und, so würde ich sagen, eine tief durchdachte Konzeption des Schönen sehen muß. Diese Konzeption ist genauso anthropologisch und in diesem Sinne ebenso Feuerbach verbunden wie die Konzeption Cernysevskijs: Ihr liegt die menschliche Schönheit zugrunde (nach Ansicht Sevcenkos das Erhabenste und Schönste in der Natur). 3 0 Bemerkenswert

(und wiederum der ästhetischen Auffassung Cernysevskijs

sehr

verwandt) ist die Hervorhebung der Schönheit des glücklichen Menschen, in der. wie Cernysevskij in seiner Dissertation sagt, „die Fülle, die Befriedigung und die llngebundenheit des Lebens" ausgedrückt sind. „Meiner Meinung nach", heißt es in Sevcenkos Erzählung „Der Musikant" (Muzykant, 1855), „gibt es keinen schöneren, keinen beglückenderen Anblick als die Gestalt eines glücklichen

Menschen." 4 0

Der gleiche Gedanke wird in der Erzählung „Der Künstler" (Chudoznik, 1856) mit den Worten wiederholt: „Viel, ungemein viel Schönes gibt es in der göttlichen, unsterblichen Natur, aber der Triumph und die Krönung der unsterblichen Schönheit ist das vom Glück belebte Antlitz eines Menschen. Ich kenne nichts Erhabeneres und Schöneres in der Natur." 4 1 Klingt in alldem nicht die berühmte Definition des Schönen an, die Cernysevskij in seiner Dissertation gegeben h a t : „Das Schöne ist das L e b e n " ? 4 2

Ästhetische Anschauungen Sevcenkos

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Die gleichen Gedanken wurden von Taras Sevcenko in vielen seiner Werke entwickelt, in denen er die Schönheit des Dnepr und seiner ganzen geliebten Ukraine, vor allem aber die menschliche Schönheit besang, die Schönheit der Jugendzeit, der Liebe, besonders aber der Mutterschaft: In unserm Himmelreich auf Erden Gibt es nichts Besseres Als eine junge Mutter Mit ihrem kleinen Kind. (Nachdichtung: E. Weinert; 1,128)

Man kann eine Fülle von Zeichen und Typen menschlicher, besonders weiblicher Schönheit anführen, die in den Balladen, den Poemen und den Gedichten Sevcenkos über das Los der Frau wiederkehren - ein Thema, das in seinem Herzen und in seinem Schaffen einen so bedeutenden Platz eingenommen hat. Sevcenko verstand es, über die Schönheit der Frau zu schreiben, er schuf auch in der Malerei eine Reihe hervorragender Gestalten weiblicher Schönheit, und er war ihr begeisterter Sänger. Es wäre jedoch falsch zu glauben, Sevcenko habe die menschliche Schönheit nur im Äußeren gesehen. Seine „vernünftige Auffassung" von der menschlichen Schönheit fand ihren Ausdruck nicht in Einzelheiten, sondern in der ganzen Breite seiner Auffassung vom Menschen und seiner Philosophie vom Sinn des menschlichen Lebens. Schon 1845 schrieb er das Gedicht „Die Tage gehn, die Nächte gehn . . . " (Mynajut' dni, mynajut' noci. . . ) ; es ist erfüllt von Verzweiflung und zugleich von flammender Gottesverachtung und unerschütterlicher Liebe zum Leben. An sein Schicksal gewandt, ruft er aus: Laß mich nicht im Gehen schlafen, Laß mein Herz nicht sterben Und, wie einen faulen Holzklotz, In der Welt verderben! Laß midi leben, von Herzen leben, Liebend Menschen hegen . . .

Nur ein freies und tätiges Leben war für ihn ein wahres Leben. Alles andere erschien ihm als ein jämmerliches Dahinvegetieren. Und das war ihm verhaßt, war schlimmer als das Gefängnis: Wehe dem, der Ketten trägt Und verkommt als Sklave, Bittrer ist's, als freier Mann Zu schlafen nur, zu schlafen Und für ewig einzuschlafen, Ohne Spur und Erben, Fortzugehn: Dann ist es gleich Leben oder sterben! . . . (Nachdichtung: H. Zinner; 1,442/443) 3

Sevcenko

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Der gleiche, aber durch die Lebenserfahrung der folgenden Jahre bereicherte Gedanke findet sich im J a h r e 1859. Sevcenko kleidet ihn in die Form einer rhetorischen Frage, die zugleich die Antwort enthält: Wie leb' ich bloß auf dieser Welt, Daß Gott und Menschen es gefällt? Als fauler Klotz im dreck'gen Topfe 'rumliegen all, bis man zerfällt, Und stirbt — verlassen ohne Spur Die ausgeraubte Erdenflur? . . . (Nachdichtung: A. K u r e l l a ; 1,335)

Der Mensch behauptet sich im Leben durch Taten, und diese Taten werden für die Menschen und im Namen ihres Glücks vollbracht. So tritt in Sevcenkos Erzählung „Ein Spaziergang mit Vergnügen und nicht ohne Moral" (Progulka s udovol'stviem i ne bez morali, 1856-1858) ein Held des Krimkrieges, ein junger Matrose, auf, der, als man ihn fragt, welche Belohnung er für seine Heldentaten und Verstümmelungen erbitten möchte, jegliche Belohnung für sich selbst ablehnt, aber „mit Tränen in den Augen darum bat, seine leibliche Schwester aus der Leibeigenschaft zu entlassen" 43 . Durch den Mund des Erzählers, in dem man klar das alter ego Sevcenkos erkennt, wird diese Bitte als „großherzig" bezeichnet. Ihre Bedeutung wird folgendermaßen umrissen: „ J e tiefer ich in diese Überlegungen eindrang, desto erhabener und edler erschien mir die Handlung des armen verkrüppelten Matrosen. Er gab alles seiner Schwester, für sich aber behielt er nichts außer einem Sack und seiner Krücke." 4 4 Als noch erhabener erscheint Sevcenko die Heldentat, die im Namen des Volkes vollbracht wird. Von einer solchen Heldentat träumt der Held des in russischer Sprache geschriebenen Poems „Die Totenfeier" (Trizna, 1843): Sein liebster T r a u m : einst nützlich sein Dem Vaterland . . . (Nachdichtung: A. Kurella; 1,293)

Solche Antworten auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens kann man in der ganzen Dichtung Sevcenkos finden. Immer stärker verbindet sich die Auffassung von patriotischer Pflichterfüllung mit dem Gedanken an revolutionären Protest, an Kampf und an unermüdliche Arbeit mit dem Ziel, daß einmal „alles auf der Welt" nicht den „Zaren-Göttern", sondern den „arbeitenden Köpfen, den arbeitenden Fäusten" gehören möge. Sevcenko, der als Dichter und Denker auf dem Boden der fortschrittlichsten politischen Ideen seiner Zeit stand, war davon überzeugt, daß wahre Liebe zu Volk und Vaterland nur revolutionär sein kann. Das ist auch der Grund, weshalb seine Helden, die Verkörperungen des Ideals menschlicher Schönheit, Menschen waren, die revolutionäre Taten vollbrachten. Ausbrüche der Entrüstung und zornige Verwünschungen an die Adresse der Herrschenden wechseln in seinen entlarvenden

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Gedichten und Poemen mit Lobpreisungen der „heiligen Sklaven", der russischen Revolutionäre, der Dekabristen, mit deren verbrecherischer Bestrafung die Herrschaft des Zaren Nikolaus I. begann. E r nennt sie „Anhänger der heiligen Freiheit", stellt sie dem Zaren und dem ganzen „verachteten und verfluchten Geschlecht" der „Zarensklaven", der „Denunzianten und Pharisäer" in „bestickten Livreen", gegenüber, d. h. jenem Beamtenadel, der in den Poemen „Der T r a u m " (Son, 1844), „Kaukasus" (Kavkaz, 1845), „Der Gottesnarr" (Jurodyvyj, 1857), „Die Neophyten" (Neofity, 1857) und vielen anderen satirisch entlarvt und verspottet wird. Der ganze geistige Reichtum des Menschen, der die Freiheit liebt und der bereit ist, für sie zu kämpfen - das ist Sevcenkos Ideal der menschlichen Persönlichkeit und damit zugleich sein Schönheitsideal, in dem das „wirklich Schöne und GeistigErhabene" in Einheit und Harmonie auftritt. Cernysevskij konnte es sich in seiner Dissertation, die für die Verteidigung vor einem gelehrten Kreis vorgesehen war, nicht erlauben, darüber so zu sprechen, wie es Sevcenko in seinen illegalen Gedichten tat. Aber auch er stellte den abstoßenden, durch parasitäre Lebensweise verdorbenen Idealen der menschlichen Schönheit, wie sie in Adels- und Kaufmannskreisen verbreitet waren, das Schönheitsideal gegenüber, wie es ein „wahrhaft gebildeter Mensch" versteht. Es fühlt „ . . . jeder wahrhaft gebildete Mensch, daß das wahre Leben ein Leben des Verstandes und des Herzens ist. Es drückt seinen Stempel dem Gesichtsausdruck auf, am deutlichsten den Augen - darum erhält der Gesichtsausdruck . . . gewaltige Bedeutung in den Begriffen von Schönheit, die unter gebildeten Menschen gang und gäbe sind; und es kommt häufig vor, daß ein Mensch uns schön erscheint, nur weil er schöne, ausdrucksvolle Augen hat" 4 5 . Unter Sevcenkos Werken finden wir Porträts, die gleichsam als Illustrationen zu diesen Ansichten Cernysevskijs geschaffen sind. Zumindest stimmt die Auswahl der Merkmale menschlicher Schönheit erstaunlich mit dem überein, was nach Meinung Cernysevskijs ein „wahrhaft gebildeter Mensch" zur wahren Schönheit rechnet. In dieser Hinsicht ist die Erzählung „Ein Spaziergang mit Vergnügen und nicht ohne Moral" besonders bemerkenswert. Ganz im Geiste Cernysevskijs, der die mondänen Schönen wegen ihrer Schwäche, ihrer Welkheit und ihrer Träumereien (einer „Folge der luxuriösen und untätigen Lebensweise") und noch mehr die Schönheit der „bis zur Häßlichkeit fetten" Kaufmannsfrauen ironisiert, äußert sich Sevcenko spöttisch über jene „Schönheit" von Frauen, die unter Verwendung „aller nur erdenklichen kosmetischen Mittel" zustande gebracht wird. Noch bissiger ironisiert er geistige Armut, die sich hinter einem sorgfältig gepflegten Äußeren verbirgt. Trotz aller stilistischen Unterschiede, die sich leicht aus der Verschiedenartigkeit der Genres einer philosophischen Dissertation und einer schöngeistigen Erzählung erklären lassen, ist die Gemeinsamkeit der Gedankengänge bestechend. Gemeinsam ist beiden auch das Pathos, wenn es um die Entlarvung der verlogenen Lebensweise der besitzenden und ausbeutenden Klassen und der durch eine solche Lebensweise bedingten ästhetischen Anschauungen, der Auffassungen vom Schönen, geht. Nicht minder beeindruckend ist die Übereinstimmung im positiven Programm. Wie eine Bestätigung der von Cernysevskij formulierten „natürlichen und wahren Begriffe" klingt es, wenn Sevcenko den „toten Schönheiten" die Trägerin der „voll3 *

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kommenen Schönheit", eine ehemalige Leibeigene, gegenüberstellt. Anmut und Harmonie in den Zügen ihres wunderbaren Antlitzes berühren den Künstler Darmograj, d. h. den Dichter selbst, aufs tiefste. So kontrastiert Sevcenko die ursprüngliche, natürliche Schönheit der ukrainischen Frauen mit jener falschen Schönheit, die dem Schönheitsbegriff der Adelsschicht entspricht: „Dabei findet man an ihrer Schönheit nichts Gemeinsames mit den Konturen einer ,respektierten' Schönheit.., Das war der Typ meiner Landsmännin, ein in höchstem Grade vollendeter Typ. Wie bist du verblaßt, wie bist du verdunkelt, meine arme Cousine, vor dieser Lilie, die sich kaum entfaltet hat? . . . Wo ist dein Lachen? Wo sind deine lustigen Streiche von gestern geblieben? Weder Kosmetika noch Waschen noch Gazekleid haben dir geholfen! Du arme, bedauernswerte Schönheit!" 46 Besondere Aufmerksamkeit verdient schließlich der Hinweis auf die beseelte Schönheit, durch den die Rolle der geistigen Wrelt des Menschen bei der Formung seines schönen Antlitzes, im vorliegenden Fall des Idealtyps der Schönheit, zum Ausdruck kommt. Die Heldin Sevcenkos wird als ein Mensch mit hohen moralischen Qualitäten gezeigt. Ihr Drang nach einem von leibeigener Abhängigkeit freien Leben, nach Bildung und Kunst hindert sie nicht, sich ihrer Verbundenheit mit den einfachen Menschen bewußt zu sein und sich bei allen Beziehungen zu ihnen Unmittelbarkeit, Schlichtheit und Herzlichkeit zu bewahren. Dabei gibt es unter allen Merkmalen ihrer Schönheit nicht eines, das - nach den Worten Cernysevskijs - „nicht ein Ausdruck ihrer blühenden Gesundheit und des Gleichgewichts der Kräfte ihres Organismus wäre" 47 , was durchaus dem bäuerlichen Schönheitsideal entspricht. Wenn Cernysevskij von ästhetischen Geschmacksrichtungen, von den ästhetischen Idealen eines „wahrhaft gebildeten Menschen", sprach, dachte er an Menschen aus seinem Kreise, an die fortschrittliche demokratische Intelligenz seiner Zeit. Die Analogien, die sich bei der Lektüre der Erzählung Sevcenkos aufdrängen, erlauben den Schluß, daß der Held der Erzählung, der Künstler Darmohraj (ebenso wie sein Schöpfer Sevcenko selbst), zu jenen Menschen gehörte, auf deren Ideale und Geschmacksrchitungen sich Cernysevskij berief, als er sie als „wahrhaft" bezeichnete. Mehr noch, wenn Sevcenko auch Cernysevskijs Dissertation nicht kannte, entwikkelte er doch im Grunde einen wesentlichen Aspekt der materialistischen Lehre vom Schönen im gleichen Geiste. Selbstverständlich wird durch das hier Gesagte der Reichtum der ästhetischen Ideen und Interessen, die am Anfang unseres Beitrages in allgemeinen Zügen charakterisiert worden sind, bei weitem nicht erschöpft. Wie wir bereits festgestellt haben, nimmt jedoch das Problem des Schönen einen wichtigen Platz im Gesamtsystem ein. Bei der Klärung dieses bisher wenig erforschten Problems mitzuhelfen, sollte das Anliegen dieses Beitrages sein. Sevöenko (10), Bd. V, S. 50. N. G. Cernyäevskij, IIonHoe coSpairae coiHHeHHÜ, Bd. III. Moskau 1947, S. 25f. Sevöenko (10), Bd. V, S. 167. Ebd., Bd. IV, S. 271. 5 Je. Sabliovskyj, Hapo« i CJIOBO IIIeBieHKa. Kiew 1961, S. 179. 1 2 3 4

Ästhetische Anschauungen Sevcenkos 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

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Die ersten 3 Teile wurden 1798 veröffentlicht. J . Chr. Kroneberg, EpoimopKa, Nr. 1. Charkov 1831. Ebd., S. 8. Ebd., S. 14. V. G. Belinskij, IIojiHoe coßpaime cohhhghmM, Bd. IV. Moskau 1954, S. 13. Hierbei verdient Erwähnung, daß die beiden letzten Teile der ,,Enejida" Kotljarevskyjs erst in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts vollendet wurden. A. Metlynskyj, Peii> 06 hcthhhom 3HaqeHHii no83HH. Charkov 1843. V. G. Belinskij, a. a. O., Bd. VIII. Moskau 1955, S. 17. A. Metlynskyj, a. a. O., S. 19—20. Ebd., S. 53. Die Broschüren Kronebergs waren ebenso wie diese beiden Werke Metlynskyj s in russischer Sprache verfaßt, obwohl Metlynskyj seine Gedichte nur in ukrainischer Sprache geschrieben hat. Dieser Sprache bediente man sich zu jener Zeit aber noch nicht in der Wissenschaft. A. Metlynskyj, a. a. O., S. 54. Ebd., S. 65. Franko, Tvory, Bd. XVII. Kiew 1955, S. 115.

20 M. Ryl'skyj, ÄHTOJioriH yKpaiHCLKoii noe3ii, B d . I . K i e w 1958, S. 24.

21 Eine Ausnahme bilden lediglich jene Aufsätze und Untersuchungen Ivan Frankos, die Problemen der Weltanschauung und des Schaffens Sevcenkos gewidmet sind. 22 V. Hufel'd, JliTepaTypHO-ecTeTHHHi norjiHjjH IIIeBqeHKa. I n : JliTepaTypHa KpHTHKa. lHoMicOTHHK jiiTepaTypHoi KpHTHKH, Teopii Ta icTopii niTepaTypH, N r . 2/3. K i e w 1939,

S. 9 8 - 1 2 1 . 23 P. K. Volynskyj, Teoperawia SopoTbSa b yKpaiiictKiii niTepaTypi. (Ilepma nonoBHHa X I X ct.). Kiew 1959. 24 M. D. B e r n ä t e j n , YitpaiHCbKa JliTepaTypHa KpHTHKa 50—70-x poKiß X I X ct. K i e w 1959.

25 M. Saginjan, Tapac IIIeBMeHKO. Moskau 1946. 26 Eine andere Auffassung zu dieser Frage vertritt M. D. Bernstejn auf S. 27 der genannten Arbeit. Er nimmt an, daß Sevcenko von den Werken öernysevskijs über Ästhetik mindestens die Dissertation oder das Autoreferat gekannt hat. 27 Als Cernyäevskij seine Dissertation verteidigte, befand sich Sevöenko wegen revolutionärer Tätigkeit in der Verbannung. 28 M. gaginjan, a. a. O., S. l l l f . 29 K. Libelt, Estetyka czyli umnictwo pifkne. Petersburg 1854, S. 34. 30 Ebd., S. 35. 31 N. G. Tschernyschewskij, Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit. Berlin 1954, S. 107. 32 Sevöenko (10), Bd. V, S. 64. 33 Ebd., S. 64. 34 N. G. Tschernyschewskij, a. a. O., S. 178. 35 Ebd., S. 179. 36 Sevöenko (10), Bd. V, S. 64. 37 Ebd., Bd. VI, S. 118. 38 Ebd., S. 152. 39 Es sei daran erinnert, daß auch Cernyäevskij, der die Ansicht vertrat, daß „dem Menschen am nächsten und am teuersten der Mensch und das menschliche Leben sind", darin den Grund sah, als wichtigstes Kriterium, als Maß des Schönen, das zu wählen,

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M. N. Parchomenko „was man das .Schöne', die .Schönheit', im Menschen nennt. Dieser Gedanke wird am prägnantesten in der Arbeit „KpHTHqeeKHft Barjmfl Ha coBpeMeHHbie acTenreeciuie noHHTHH" formuliert. Diese Betrachtung wurde zu Lebzeiten gevöenkos, j a auch Cernyäevskijs, nicht veröffentlicht. gevienko (10), Bd. I I I , S. 282. Ebd., Bd. I V , S. 172. Der gleiche Gedanke wird in der erwähnten Arbeit Öernyäevskijs „KpiiTHHeCKHÜ B3rjiHjj Ha coBpeMeHHbie 3CTeTi«ecKHe iiohhthh" mit folgenden Worten ausgedrückt: „Schön finden wir an einem Menschen all das, worin sich das Freudige, das Uneingeschränkte, das üppige Leben offenbaren." (Ebd. I n : üoJiHoe coßpaHHe coHHHeHHft, Bd. I I , S. 142.) gevienko (10), Bd. I V , S. 257. Ebd., Bd. I I I , S. 258. N. G. Tschernyschewskij, Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit. Berlin 1954, S. 222. gevöenko (10), B d . I V , S. 311. N. G. Tschernyschewskij, a. a. 0 . , S. 112.

JE. KYRYLJUK

Probleme der wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Erbes Sevcenkos

Der N a m e Sevcenko erklang erstmals im Echo auf den ersten B a n d seiner Verse, den „ K o b z a r " (1840). In der Folgezeit wuchs das Interesse a m Schaffen und an der Person des Dichters immer mehr. Die Erforschung des literarischen Erbes des großen Dichters setzte unmittelbar nach seinem Tode (1861) ein. Die Arbeit erfolgte in einzelnen Untersuchungen und wurde von mehreren Institutionen betrieben, vor allem von der Gelehrten Sevcenko-Gesellschaft in Lemberg (seit 1892) und der Ukrainischen Gelehrten Gesellschaft in Kiew (seit 1907). Aber eine wirklich wissenschaftliche Erforschung des Erbes Sevcenkos wurde erst nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Bildung der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik im Rahmen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken möglich. Bereits in den ersten J a h r e n der Sowjetmacht in der Ukraine tauchte der Terminus „Sevcenkoznavstvo" (ukrainisch) bzw. „Sevcenkovedenie" (russisch) [Sevcenko-Forschung] als Bezeichnung eines selbständigen Zweiges der Gesellschaftswissenschaften auf, der alle Seiten des Lebens und des Schaffens Sevcenkos umfaßt. Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich, eine ausführliche Geschichte der Sevcenko-Forschung zu geben. Wir beschränken uns deshalb auf eine Betrachtung jener Probleme, die sich bei der wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Erbes Sevcenkos in den letzten beiden Jahrzehnten ergeben haben. In den Nachkriegsjahren wurde die erste Akademieausgabe der Werke des Dichters und Künstlers Sevcenko in 10 Bänden zum Abschluß gebracht, deren Anfänge noch in die Vorkriegszeit zurückreichen. 1 Da die in den J a h r e n 1939 bis 1956 erschienenen ersten 6 Bände, in denen das literarische E r b e Sevcenkos erfaßt ist, rasch vergriffen waren, ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Akademieausgabe zur i 50. Wiederkehr von Sevcenkos Geburtstag. Der zugrunde liegende T e x t wurde neuerlich anhand der Autographen, der autorisierten Texte und der Erstausgaben überprüft, und es wurden die wesentlichsten Varianten angeführt. 2 Diese Ausgabe wurde zur maßgeblichen Grundlage für alle folgenden wissenschaftlich-kritischen und populären Ausgaben der Werke des Dichters. Zur Zeit macht sich eine neue Akademieausgabe erforderlich, die wieder 10 B ä n d e umfassen soll. Das hat seine Ursache darin, daß neue literarische Werke Sevcenkos gefunden worden sind. Schon als der erste B a n d der sechsbändigen Ausgabe zum Druck vorbereitet wurde, war der Text eines der frühesten Gedichte Sevcenkos gefunden und publiziert worden: „Nudno meni, tjazko - sco m a j u r o b y t y ? " [Mir ist

JE. KYRYLJUK

Probleme der wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Erbes Sevcenkos

Der N a m e Sevcenko erklang erstmals im Echo auf den ersten B a n d seiner Verse, den „ K o b z a r " (1840). In der Folgezeit wuchs das Interesse a m Schaffen und an der Person des Dichters immer mehr. Die Erforschung des literarischen Erbes des großen Dichters setzte unmittelbar nach seinem Tode (1861) ein. Die Arbeit erfolgte in einzelnen Untersuchungen und wurde von mehreren Institutionen betrieben, vor allem von der Gelehrten Sevcenko-Gesellschaft in Lemberg (seit 1892) und der Ukrainischen Gelehrten Gesellschaft in Kiew (seit 1907). Aber eine wirklich wissenschaftliche Erforschung des Erbes Sevcenkos wurde erst nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Bildung der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik im Rahmen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken möglich. Bereits in den ersten J a h r e n der Sowjetmacht in der Ukraine tauchte der Terminus „Sevcenkoznavstvo" (ukrainisch) bzw. „Sevcenkovedenie" (russisch) [Sevcenko-Forschung] als Bezeichnung eines selbständigen Zweiges der Gesellschaftswissenschaften auf, der alle Seiten des Lebens und des Schaffens Sevcenkos umfaßt. Im Rahmen dieses Beitrages ist es nicht möglich, eine ausführliche Geschichte der Sevcenko-Forschung zu geben. Wir beschränken uns deshalb auf eine Betrachtung jener Probleme, die sich bei der wissenschaftlichen Erforschung des literarischen Erbes Sevcenkos in den letzten beiden Jahrzehnten ergeben haben. In den Nachkriegsjahren wurde die erste Akademieausgabe der Werke des Dichters und Künstlers Sevcenko in 10 Bänden zum Abschluß gebracht, deren Anfänge noch in die Vorkriegszeit zurückreichen. 1 Da die in den J a h r e n 1939 bis 1956 erschienenen ersten 6 Bände, in denen das literarische E r b e Sevcenkos erfaßt ist, rasch vergriffen waren, ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Akademieausgabe zur i 50. Wiederkehr von Sevcenkos Geburtstag. Der zugrunde liegende T e x t wurde neuerlich anhand der Autographen, der autorisierten Texte und der Erstausgaben überprüft, und es wurden die wesentlichsten Varianten angeführt. 2 Diese Ausgabe wurde zur maßgeblichen Grundlage für alle folgenden wissenschaftlich-kritischen und populären Ausgaben der Werke des Dichters. Zur Zeit macht sich eine neue Akademieausgabe erforderlich, die wieder 10 B ä n d e umfassen soll. Das hat seine Ursache darin, daß neue literarische Werke Sevcenkos gefunden worden sind. Schon als der erste B a n d der sechsbändigen Ausgabe zum Druck vorbereitet wurde, war der Text eines der frühesten Gedichte Sevcenkos gefunden und publiziert worden: „Nudno meni, tjazko - sco m a j u r o b y t y ? " [Mir ist

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¡ibel und schwer ums Herz - was soll ich tun?] 3 . In den folgenden Jahren hatte das Taras-Sevcenko-Literaturinstitut 12 handschriftliche Blätter erworben, die der Dichter 1859 der zaristischen Zensur hatte vorlegen müssen - mit dem Recht der Erstveröffentlichung durch die Person, von der die Handschriften gekauft worden waren/ 1 Diese Werke waren zwar bekannt, doch erwiesen sich einige abweichende Lesarten als wichtig. In jenen Jahren kam es auch zu mehreren anderen Klärungen sowohl beim grundlegenden Text als auch bei den Varianten. Zur 150. Wiederkehr des Geburtstages des Dichters erschien eine Bibliographie seiner nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erschienenen Werke. 5 Leider konnte der bekannte Bibliograph und Besitzer der reichsten Sevcenkiana-Sammlung der Welt, J u . Mezenko, die Bibliographie der Werkausgaben aus der Zeit vor der Revolution (1840-1916) nicht mehr vollenden; das wird nun Aufgabe seiner unmittelbaren Schüler sein. Ein unter Leitung des inzwischen verstorbenen bekannten Sevcenkiana-Chronisten f. Bojko stehendes Kollektiv von Bibliographen hat ein zweibändiges Werk herausgebracht, das allen Seglern auf dem Meere der Sevcenkiana Lotsendienste zu leisten vermag. 6 Leider weist besonders der erste Band wesentliche Lücken auf. F. Sarana hat diese Arbeit weitergeführt und eine Bibliographie der Jubiläumsjahre zusammengestellt. 7 Man sollte diese Arbeiten ergänzen, bis in die letzten J a h r e weiterführen und dann eine Gesamtbibliographie in 3 bis 4 Bänden herausgeben. Das unter Leitung des Verfassers dieses Beitrages stehende Kollektiv von Sevccnko-Forschern hat eine Biographie des großen Dichters veröffentlicht, die den ersten Versuch einer wissenschaftlichen Bewältigung des gewaltigen Materials darstellt. 8 Dringend erforderlich ist die Herausgabe einer zweibändigen wissenschaftlichen Biographie, über deren Aufgaben sich einer der Mitautoren der Kollektivarbeit, der bekannte Sevcenko-Forscher J e . S. Sabliovskyj, in einem Aufsatz geäußert bat.« In den letzten Jahren sind als Ergebnis mühevoller sorgfältiger Forschungen mehrere Arbeiten jüngerer Sevcenko-Forscher erschienen. Dabei denken wir in erster Linie an die Publikationen des Leningrader Literarhistorikers Petro Zur. Sein erstes Buch „Sevcenkovskij Peterburg" [Das Petersburg Sevcenkos] erschien 1964 in Leningrad. Der Titel ist nicht ganz präzise, besser wäre: „Sevcenko in Petersburg", aber da unter diesem Titel bereits 1961 ein Buch eines anderen Leningrader Wissenschaftlers - Nikolaj Morenec - erschienen ist, sah sich Zur gezwungen, den Titel seiner Arbeit leicht zu verändern. In ihr finden sich viele neue Fakten aus dem Leben Sevcenkos: einige neue Adressen von Häusern, in denen der Dichter gewohnt hat, eine Klärung der Umstände im Zusammenhang mit der Lotterie, durch die die Mittel für den Freikauf Sevcenkos aus der Leibeigenschaft aufgebracht wurden, sowie Angaben über die Teilnahme des Dichters an ilegalen revolutionären Zirkeln in der Zeit der revolutionären Situation in Rußland am Ende der fünfziger Jahre. Das zweite Buch Petro Zurs - „Tretja zustric" [Die dritte Begegnung] 10 - , das auf Grund eines eingehenden Studiums von Archiv-, Memoiren- und Briefmaterial geschrieben worden ist, enthüllt die Umstände der Reise Sevcenkos in die Ukraine im

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Jahre 1859 sowie seine Verbindungen zu revolutionären Kreisen, Bauern und Angehörigen der Intelligenz, die zu seiner Verhaftung und Lberstellung nach Petersburg geführt haben. Zur Zeit arbeitet Zur an einem neuen Buch, das dem Aufenthalt des Dichters in der Ukraine in der Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gewidmet ist. Der Orenburger Literaturforscher Leonid Bol'sakov erforscht seit mehreren Jahren die Archivmaterialien nach Angaben über den zehnjährigen Aufenthalt Sevcenkos in der Verbannung. Die Veröffentlichung seiner Entdeckungen begann 1964. Bisher sind zwei seiner Bücher erschienen 11 , zwei weitere sind im Druck. Nun kann man nicht sagen, daß die Verbannungszeit Sevcenkos bisher nicht erforscht worden wäre; es gibt sogar Spezialarbeiten über diese Periode 12 , aber ihre Verfasser hatten nur die zentralen Archive benutzt. Das Verdienst Bol'sakovs besteht darin, daß er auch die erhalten gebliebenen örtlichen Archivalien sorgfältig durchgesehen hat. Dadurch konnte er viele wichtige Fakten zur Biographie des großen Dichters und zur Charakterisierung seines Kreises während der Verbannung beibringen, vor allem über seine Verbindungen zu den in die Verbannung geschickten Polen, von denen er eingehendere Informationen über die revolutionäre Bewegung in Rußland und im Ausland erhalten hat. Diese biographischen Angaben sind nicht an sich von so großer Bedeutung, sondern deswegen, weil sie das Verständnis vieler literarischer und künstlerischer Werke Sevcenkos, die in der Zeit seiner Verbannung entstanden sind, verliefen. Mit derselben Periode befaßt sich auch der ukrainische Dichter Mecislav Gasko, der im Laufe der letzten Jahre mehrere Studien vorgelegt hat. Vor wenigen Jahren erschien ein von ihm verfaßtes Buch13, in dem zahlreiche Vermutungen geäußert werden, insbesondere über die Teilnahme Sevcenkos nicht nur an der geologischen Expedition des Jahres 1851 (woran kein Zweifel besteht), sondern auch an der vom Jahre 1852. Dieses Buch hat in wissenschaftlichen Zeitschriften ein lebhaftes Echo ausgelöst, und die kompetenteste Kritik hat eine Reihe durchaus begründeter Einwände vorgebracht. 1 '' Verschiedene Probleme im Schaffen Sevcenkos werden in allgemeinen Monographien und Untersuchungen berührt. 15 In den Arbeiten der sowjetischen Wissenschaftler wird das Erbe des großen Dichters als eine gesetzmäßige Erscheinung in der Entwicklung der ukrainischen Kultur und des gesellschaftlichen Denkens betrachtet. Zugleich wird seine große Bedeutung als genialer Dichter und Denker hervorgehoben. Als ein neues Moment erscheint in diesen Gesamtdarstellungen das umfassende Bild von Sevcenko als Persönlichkeit, Dichter, Meister des Pinsels und des Gravierstifts, Denker und aktiver Teilnehmer an der revolutionären Bewegung. Für das richtige Verständnis des Schaffens eines klassischen Schriftstellers ist ein vollständiger kanonischer Text seiner Werke eine unerläßliche Voraussetzung. Auch nach dem Erscheinen der beiden Akademieausgaben des Erbes des großen Dichters gehen die textologischen Forschungen weiter. Bekanntlich wurden seine Gedichte wegen ihres scharf revolutionären Inhalts bis zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution von der zaristischen Zensur unterdrückt und verstümmelt. Diesem Thema gelten die wertvollen Forschungen V. Borodins. 16 Ein neues Buch desselben Verfassers

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beschäftigt sich mit dem Text des „ K o b z a r " vom J a h r e 1860 (der Ausgabe letzter Hand) sowie der Poeme „ T a r a s o v a nie" [Die Tarasnacht], „ G a j d a m a k y " [Die Haidamaken], „ G a m a l i j a " [Hamalia], „Velykyj l'och" [Das tiefe Grab] und einiger seiner lyrischen Gedichte. 17 Einem anderen Genre gehören die Bücher und Aufsätze J u . Ivakins a n ; sie sind der vertieften wissenschaftlichen Kommentierung und Texterläuterung der Poesie Sevcenkos gewidmet. 1 8 Viele Generationen von Sevcenko-Forschern haben Betrachtungen über allgemeine Probleme der Richtung, der Methode und des Stils seiner Poesie angestellt. In der sowjetischen Literaturforschung werden die künstlerische Methode des Schriftstellers und sein Stil heute allgemein als eine individuelle Spezifik seiner Schaflensmanier oder sogar seiner Poetik angesehen. Derartige Fragen berühren auch die Verfasser allgemeiner Monographien und synthetischer Arbeiten. Die heute allgemein herrschende Ansicht ist, daß der Dichter Sevcenko seinen Schaffensweg als Romantiker begonnen hat, daß sich aber schon in seiner frühen Schaffensperiode in einigen seiner Werke deutlich realistische Tendenzen feststellen lassen. 1 9 Einige Sevcenko-Forscher haben das Genre der Satire etwas zu breit aufgefaßt und darunter jegliche Enthüllung verstanden. J u . Ivakin hat aber durchaus überzeugend nachgewiesen, daß die Satire eine zornige, scharfe, heftige, peitschende Verspottung gesellschaftlicher Mißstände ist. 20 Die grundlegenden Thesen seiner Monographie werden in einem Vortrag der Dozentin a m Orenburger Pädagogischen Institut „ T a r a s Sevcenko", L. J a s n e v a j a , mit dem Titel „ D i e satirische Umformung der Wirklichkeit in der Poesie Sevcenkos und einige Probleme der Theorie der Satire" weiterentwickelt. 21 In Verbindung mit diesem Vortrag muß man unterstreichen, daß in den letzten beiden Jahrzehnten die Probleme des Erbes Sevcenkos von einem sehr breiten Kreis der wissenschaftlichen Öffentlichkeit der Sowjetunion behandelt werden. Seit 1952 führt das Sevcenko-Literaturinstitut alljährlich wissenschaftliche Sevcenko-Konferenzen durch. In den ersten J a h r e n fanden sie in Kiew statt, später an verschiedenen Orten. Seit der ersten Konferenz nehmen daran nicht nur ukrainische Wissenschaftler teil, sondern auch Kollegen aus allen Unionsrepubliken. Einige Konferenzen fanden sogar in den Schwesterrepubliken statt - in Leningrad und in Vilnius. Die auf diesen Konferenzen gehaltenen Vorträge werden in besonderen Sammelbänden publiziert. 22 Natürlich ist es nicht möglich, in diesem Beitrag die Problematik der auf den mehr als 20 bisher durchgeführten Konferenzen gehaltenen Vorträge auch nur in allgemeinsten Zügen zu umreißen, zumal sie alle Seiten des Erbes Sevcenkos berühren: Kunstwissenschaft, Sprachwissenschaft, Philosophie, Geschichte und andere Disziplinen. Unsere besondere Aufmerksamkeit soll vielmehr der Problematik des literarischen Erbes des großen Dichters gelten. Dabei erscheint es geboten, daß wir uns auf ein einziges, jedoch sehr wichtiges Problem konzentrieren. E s ist allgemein anerkannt, daß Sevcenko nicht nur ein politischer, revolutionärer, sondern auch ein äußerst talentierter, genialer Dichter gewesen ist. Vor allem deshalb kam und kommt seinem Erbe unvergängliche Bedeutung zu. Mehr als eine Generation von Forschern hat sich über die Ursachen dieser

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Erscheinung Gedanken gemacht. So hat der bedeutende Schriftsteller und Gelehrte Ivan Franko einer seiner Arbeiten vom Ende des vorigen Jahrhunderts den Titel gegeben: „Aus den Geheimnissen des poetischen Schaffens", wobei er vor allem an Sevienko gedacht hat. Der Aufdeckung dieser Geheimnisse ist eine große Zahl von Spezialuntersuchungen gewidmet. Hier sei nur auf eine Arbeit hingewiesen, auf das Buch von Ju. Ivakin über den Stil der politischen Dichtung Sevcenkos.23 Mehrere Forscher haben ihr Augenmerk der künstlerischen Meisterschaft des Dichters zugewandt. Das betrifft vor allem einen der ältesten sowjetischen SevcenkoForscher, Petro Volynskyj, mit seiner Arbeit über den vierzehnsilbigen Vers24, eine Vertreterin der mittleren Generation, Galyna Sydorenko, mit mehreren Vorträgen, Aufsätzen und Büchern 25 und schließlich eine der jüngeren Wissenschaftlerinnen Nina Camata.26 Sevcenko war nicht nur Lyriker, sondern in seiner frühen SchafTensperiode auch Dramatiker. Die beste Arbeit über dieses Gebiet ist das Buch V. Subravskyjs. 27 Während seiner zweiten Verbannung konzentrierte sich Sevcenko fast ausschließlich auf die Prosa. Da er hoffte, seine Erzählungen in Zeitschriften veröffentlichen zu können, schrieb er sie in russischer Sprache. Aber zu einer Veröffentlichung kam es erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, und auch da nur in entstellter Form. Erst nach dem Erscheinen der Bände III und IV der Akademieausgaben war eine wirklich wissenschaftliche Untersuchung der russischen Prosa Sevcenkos möglich. Ihr sind u. a. die Untersuchungen von N. Krutikova, A. Bileckyj und N. Bel'cikov gewidmet. 1972 kam eine Monographie von Larisa Kodacka heraus, die den Platz der russischen Erzählungen Sevcenkos in der Geschichte der russischen Literatur bestimmt und die Spezifik der Schaffensweise des ukrainischen Schriftstellers sowie seine künstlerische Meisterschaft herausarbeitet. 28 Sevcenko gehört nicht nur dem ukrainischen Volk, sondern auch allen anderen Völkern der Sowjetunion, vor allem dem russischen. Viele Jahre seines leidvollen Lebens hat er in Rußland verbracht, er wurde von fortschrittlichen russischen Menschen von der Leibeigenschaft freigekauft, und er hat nicht nur in seiner Muttersprache geschrieben, sondern auch russisch, darunter ein so intimes Dokument wie sein „Tagebuch". Mit seinem ganzen Schaffen ist Sevcenko organisch in die fortschrittliche Kultur eingegangen. Die progressive russische Kritik hat, geführt von Dobroljubov, Cernysevskij und Michajlov, in erster Linie seine Bedeutung für die russische und die Weltliteratur hervorgehoben. Es ist durchaus verständlich, daß dieses Problem im Laufe von mehr als 100 Jahren yon vielen Kritiker- und Forschergenerationen untersucht worden ist. In neuerer Zeit sind in der Sowjetunion mehrere große Arbeiten erschienen, vor allem über Sevcenkos Beziehungen zur russischen Literatur 29 und zu den russischen revolutionären Demokraten. 30 Groß ist die Bedeutung Sevcenkos für die Entwicklung der belorussischen Kultur und Literatur. Dieses Thema wurde von beiden Seiten her behandelt. 31 In höherem oder geringerem Maße kann man dasselbe von allen Unionsrepubliken sagen. Zum Beweis dafür seien wenigstens einige verallgemeinernde Arbeiten erwähnt. 32 Schon zu Lebzeiten Sevcenkos wurden Überlegungen über seine Bedeutung für die

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anderen slawischen Völker angestellt, und unmittelbar nach den Übersetzungen ins Russische erschienen die ersten Übersetzungen seiner Werke ins Polnische und ins Tschechische. Dieses Thema hat eine breite Behandlung gefunden 33 , auch hinsichtlich der Beziehungen zu den einzelnen Literaturen. Da Sevcenko enge Verbindung zu polnischen revolutionären Kreisen unterhielt, war das Interesse der polnischen fortschrittlichen Öffentlichkeit an seinen Werken schon immer groß. Ganz besonders gilt das aber für die Volksrepublik Polen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ein Essay des polnischen Sevcenko-Übersetzers und Schriftstellers Jerzy J^dzejewicz „Ukrainische Nächte" (1964), in dem er auf äußerst lebendige und anschauliche Weise ein großartiges Porträt des ukrainischen Dichters entwirft, wurde auch ins Ukrainische übersetzt. Einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der polnischen SevcenkoForschung haben die sowjetischen Wissenschaftler G. Verves34, V. D'jakov 35 , R. Kyrcyv, T. Pacovskyj und andere geleistet. Von den in der Tschechoslowakei wirkenden Sevcenko-Forschern sind vor allem J. Dolansky, 0 . Zilynskyj, M. Molnär 36 sowie M. Nevrly37 zu nennen. Persönlichkeit und Dichtung Sevcenkos haben während des bulgarischen Befreiungskampfes vom Türkenjoch lebhaften Widerhall gefunden. In letzter Zeit wurden von dem bulgarischen Wissenschaftler Simeon Rusakiev und von der ukrainischen Literaturforscherin Olena Spyleva Monographien mit dem gleichen Titel - „Sevcenko und die bulgarische Literatur" - veröffentlicht (die von Rusakiev auch in ukrainischer Übersetzung). Das Thema „Sevcenko und Jugoslawien" wird auf jugoslawischer Seite von J. Badalic, auf sowjetischer Seite von N. Kravcov38, I. Juscuk 39 und anderen bearbeitet. Vom übrigen Ausland findet die Sevcenko-Problematik die intensivste Behandlung in den sozialistischen Ländern. „Sevcenko und Ungarn" war beispielsweise das Thema eines Vortrages der ungarischen Wissenschaftlerin Vera Ser auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß in Prag (1968), aber auch einer Arbeit der sowjetischen Autorin Vera Vasovcyk.40 Um das Thema „Sevcenko in Rumänien" haben sich Eusebius Kamilar, Viktor Tulbur, G. Jacentjuk sowie der sowjetische Wissenschaftler N. Bogajcuk 41 verdient gemacht. Große Verdienste um das Thema „Sevcenko und die deutsche Literatur" haben sich Alfred Kurella und Erich Weinert erworben. Im September 1964 fand in Berlin ein Sevcenko-Symposium mit internationaler Beteiligung statt, auf dem u. a. E. Winter, P. Kirchner, 0 . Zilynskyj sowie die sowjetischen Wissenschaftler Je. Kyryljuk, M. Parchomenko und F. Prijma Vorträge gehalten haben. Eine Analyse der Sevcenko-übersetzungen ins Deutsche bieten die Veröffentlichungen der sowjetischen Literaturforscher Jaroslava Pohrebennyk 42 , Oleh Myronov 43 und M. Zymomrja. Als ein äußerst komplizierter Prozeß erweist sich die Behandlung Sevcenkos im englischen Sprachbereich. Hier finden die verfälschenden Darlegungen ukrainischer Nationalisten verhältnismäßig breiten Raum. Der progressive Teil der ukrainischen Emigranten - P. Kravcuk, Marija Skrypnyk, M. Tarnovskyj, John Vira, P. Prokopcak und andere - führt gegen sie einen konsequenten Kampf und zeigt die Haltlosigkeit der Versuche unserer ideologischen Gegner, den wahren Ideengehalt von Sevcenkos Schaffen zu verfälschen. Diesen Fragen wurde in zahlreichen Aufsätzen

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sowjetischer Forscher und unserer jenseits des Ozeans lebenden Gesinnungsgenossen nachgegangen. 44 Das auf dem amerikanischen Kontinent in englischer Sprache erschienene Buch von P. Kravcuk „Taras Sevcenko in K a n a d a " wurde 1 9 6 1 in Kiew ukrainisch veröffentlicht. Hinsichtlich der anderen ausländischen Literaturen sei auf die Vorträge verwiesen, die — bei einer Beteiligung von Wissenschaftlern, Schriftstellern und Übersetzern aus 43 Ländern der Welt - auf dem 1 9 6 4 in Kiew veranstalteten Internationalen Sevecnko-Forum der Kulturschaffenden und der Wissenschaftler gehalten worden sind. 45 Einen Umfang von mehr als 4 0 Druckbogen hat eine Kollektivarbeit mit dem Titel „Sevcenkoznavstvo, pidsumky i problemy"

[Sevcenko-Forschung,

Ergebnisse

und Probleme], in der alle Errungenschaften der mehr als 120jährigen Erforschung des literarischen Erbes des großen ukrainischen Dichters einer eingehenden Analyse unterzogen und konkrete Aufgaben für die nächste Zeit aufgezeigt werden. Die erste einer Dichterpersönlichkeit gewidmete Enzyklopädie in der Sowjetunion, die zweibändige „Sevcenkivska encyklopedija", ist auf 1 7 0 Druckbogen berechnet. 27 Druckbogen umfaßt allein das 1 9 7 1 im Offsetdruck veröffentlichte Projekt des Themenplans. Diese Enzyklopädie wird eines der gewaltigsten Denkmäler für den ukrainischen Dichter, Künstler, Denker und revolutionären Demokraten sein. 1 Sevöenko (10). 2 Sevöenko (6). 3 V. Borodin, UleBneHKOBa nepniraa. I n : Pa^HHCma yKpaiHa, J g . 1963, H . 1, S. 10. Vgl. auch: Derselbe, flo BJIBHGHIIH paHHboi TBopiocri UleBHeHKa (HeonyCjiiKOBaimö Biprn ,,Hyp.no M e H i , THWKO, HJO Maw poßimi?"). In: 36ipHHK npaijb «BaHaRiiHToI HayKOBOi uieBieHKiBCbKo! KOHepeHLi,ii. Kiew 1964, S. 91 — 106. 4 V. Gancov, H0B03HaöReHi aBTorpa$H IIIeBieHKa. I n : PaRHHCKe jiiTepaTyp03HaBCTB0,

J g . 1966, H. 3, S. 5 7 - 6 0 . 5 M. Bagryö, T. I\ IIIeBieHKO, Bi6jiiorpa$iiHHft noKawqnK (1917—1963). Char'kov 1964. 6 T. T . IIIeBieHKO, Bi6niorpa$iH jriTepaTypii npo JKHTTH i TBopnierb (1839—1859), Bd. I / I I . Kiew 1963. 7 T. T. IIIeBiieHKO, Bi6jiiorpaiH KBijieftHOi jiiTepaTypn (1961 — 1964), hg. v. F . K . Sarana. Kiew 1968. 8 J e . P. Kyryljuk/Je. S. Sabliovskyj/V. Subraväkyj, T. I\ IIIeBqeHKO. Eiorpa$in. Kiew 1964. 9 J e . S. Sabliovskyj, H a nincTynax HO CTBopeHHH HayKOBOi 6 i o r p a $ i i T a p a c a IIIeBieHKa («eHKi nHTaHHH MeTOHonorii). I n : Pa^HHCbne jiiTepaTyp03HaBCTB0, J g . 1972, H. 3,

S. 5 1 - 6 1 . 10 Petro 2ur, TpeTH 3ycTpiq, xpoHiKa ocTaHHboi MaHHpiBKH T. IIIeBqeHKa Ha YKpaiHy. Kiew 1970. 11 Leonid Bol'sakov, NO CJieaaM openßyprcKOö 3HMH. Krnira noHCKOB. Celjabinsk 1968; derselbe, JliTa HeBOJibHHqi, KHnra nomyKiB i AOCJiiflweHB npo IIIeBqeHKa, nepio^y

aacJiaHHH. Kiew 1971; s. auch: Derselbe, Hayiemie OKpyHtemiH H CBH3eß T. IIIeBqeHKO KAK HCTOHHHK ero TBOPQECTBA NEPHO^A CCHJIKH (1847—1857). AßTope^epaT nnccepTai;nn Ha C0HCKaHHe yieHoö CTeneHH KaHHHffaTa $HJi0Ji0rHHecKHX Hayn. Kiew 1968; derselbe, OTMCKAN H KHHry cjiaBHyio . . . ÜOHCKH H iiccjieAOBaHHH. Celjabinsk 1971. (Vor allem das letzte Kapitel, das sich mit N. Uskova und der Kasachin K a t j a beschäftigt.)

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12 A . V e d m i c k i j , T . ffleBieHKO b OpeHÖyprcKOft ccbwiKe. Orenburg 1960. 13 Meßislav Gasko, l i p o m o po3noBiRaioTb msijiiohkh T a p a c a IIIeBieHKa. IIIeBHeHKOSHaBHi eTioRH. K i e w 1970. 14 V g l . die Rezension v o n L . B o l ' s a k o v (Orenburg) in der Zeitschrift „PaAHHCtue jiiTepaTyp03HaBCTB0", J g . 1971, H . 4, S. 8 8 - 9 1 . 15 Je. K y r y l j u k , T a p a c IIIeBneHKO, jkhtth ö TBopiicTb. 2., überarbeitete und ergänzte 1964; I . Pil'huk, IIIeBieHKO — ochoboüoiiojkhhk hoboi yKpaiHCbKoi

Ausgabe. K i e w

JiiTepaTypw. Überarbeitete und ergänzte Ausgabe. K i e w 1963; Je. S a b l i o v ä k y j , H a p o j l i cjiobo UleBieHKa. K i e w 1961. V g l . auch die K a p i t e l über Sevöenko in den H a n d büchern: I c T o p i « yKpaiHCbKoi niTepaTypH. JliTepaTypa neprnoi nojiOBHHH X I X

ct.

K i e w 1964; IcTopin yKpaiHCbKoi niTepaTypH y bocbmh TOMax, B d . 3. K i e w 1968. 16 V . S. Borodin, T . T . IIIeBieHKO i iiapcbKa qeH3ypa.

flocjiijyKeHHH

Ta ROKyMeHTH 1840

AO 1862 p o K y . K i e w 1969. 17 Derselbe, H a x TeKCTaMH T . T . ffleBWHKa. K i e w 1971. 18 Ju. 0 . I v a k i n , K o M e m a p äo „ K o ß s a p a " , noe3iI r o 3acjiaHGH. K i e w KoMeHTap r o

„ K o S s a p n " , noeaii 1847—1861. K i e w

1964; derselbe,

1968; seit 1965 v e r ö f f e n t l i c h t

Ju. I v a k i n in der Zeitschrift „ P a j y m c b K e jiiTepaTyp03HaBCTB0" eine Artikelreihe unter d e m T i t e l „HoTaTKH meB moboio. I n : Tboph Tapaca rpiiropoBima IIIeBneHKa b nepeKJiaaax Ha saxinm mobh, K i e w 1958. R . P . Markuäevska, I . H . OpaHKO -BHaaBeqb i nyGjiinaTop IIIeBneHKOBHX TBopiB. I n : Ilpaiji O^ecbKoro RepjKaBHoro yHiBepcHTeTy. 1958, Bd. 148. N . K . Orlovska, IIIeBneiiKO b 3axiflHoeBponeitCbKili KpHTHqi Apyroi noJiOBHHH X I X ct. I n : 36ipmiK npaqb... K i e w 1960. V . Nedil'ko, IIoeMa T . r . IIIeBneHKa „KaBKa3" b nepeKJiaAi I. H.