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German Pages 27 [32] Year 1937
Der protestantische Mensch nach dem A u g s b u r g i s c h e n B e k e n n t n i s
Mit einem
Anhang:
Die Kirche in der Augustana Von
Heinrich Bornkamm
Zweite
Auflage
1936 V e r l a g A l f r e d T ö p e l m a n n in B e r l i n W 35
Die Augsburgische Konfession und Luthers Katechismen auf theologische Gegenwartswerte untersucht Von K A R L Groß-Oktav.
THIEME X V I , 272 Seiten. 1930. R M 7.50, geb. R M 9.50
Imago Dei Beiträge zur theologischen A n t h r o p o l o g i e G u s t a v K r ü g e r zum 70.Geburtstage am 29. Juni 1932 dargebracht. Im Auftrage der Theolog. Fakultät Gießen herausgegeben von H. B o r n k a m m . Oktav.
V I I , 232 S. 1932.
R M 7.80, geb. RM 10 —
I N H A L T : A u g u s t F r h x . v o n G a l l , Die Natur des Menschen und sein sittliches Handeln im Glauben der Azteken. — W i l h e l m R u d o l p h , Gott und Mensch bei Arnos. Bemerkungen zu Weisers Amosbuch. — G e o r g B e r t r a m , Der Begriff der Erziehung in der griechischen Bibel. — R u d o l f B u l t m a n n , Römer 7 und die Anthropologie des Paulus. — J u s t u s F e r d i n a n d L a u n , Die Prädestination bei Wyclif und Bradwardin. — H e i n r i c h B o r n k a m m , Äußerer und innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten. — P e t e r B r u n n e r , Pascals Anschauung vom Menschen. — L e o p o l d C o r d i e r , Die Frage nach dem Menschen in der Geschichte der evangelischen Erziehungswissenschaft. — F r i e d r i c h K a r l S c h u m a n n , Imago Dei. — A d o l f A l l w o h n , Die marxistische Anthropologie und die christliche Verkündigung. — H e i n r i c h A d o l p h , Die Anthropologie Max Schelers. — A u g u s t D e l l , Ontologische Daseinsanalyse und theologisches Daseinsverständnis.
Deutschland innerhalb der religiösen Weltlage Von D. Dr. H E I N R I C H F R I C K , in Marburg/L. Groß-Oktav.
ord. Professor
I X . 273 Seiten mit 10 Karten im Text. 1936. Geb. RM 6.—
A U S DEM VORWORT: Deutschland „innerhalb der religiösen Weltlage" zu betrachten, als betroffen von menschheitlichem Geschick, als beteiligt an einem planetarischen Geschehen, als verpflichtet einer universalen Sendung. Es ist ein Versuch, den wir wagen. Wir empfinden ihn als einen ersten Schritt in der Richtung auf eine ,,geopolitische Religionskunde" der Gegenwart. Prospekt kostenlos !
Alfred Töpelmann Verlag, Berlin W 35, Woyrschstr. 13
Der protestantische Mensch nach dem Augsburgischen Bekenntnis
Mit einem Anhang:
Die Kirche in der Augustana Von
Heinrich Bornkamm
Zweite Auflage
ü 1936 V e r l a g A l f r e d T ö p e l m a n n in B e r l i n W 35
2. überarbeitete Auflage einer Rede bei dem Festakt der Theologischen Fakultät Gießen zum Vierhundertjahr-Gedächtnis der Übergabe der Gonfessio Augustana 1930
Printed in Germany Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35
Wenn Universitäten und Theologische Fakultäten zu akademischen Feiern zum Gedächtnis der Übergabe der Augsburgischen Konfession eingeladen haben, so nehmen sie Recht und Anlaß dazu aus der Geschichte der deutschen Universitäten selbst. Viele der Universitäten sind den protestantischen Bekenntnissen unterstellt worden, manche ausdrücklich als lutherische Hochschulen gestiftet worden. In dem ersten Privileg der hessischen Landesuniversität Gießen vom Jahre 1607 wird die unveränderte Augsburgische Konfession zur Richtschnur der Lehre der Universität gemacht und dabei ausdrücklich an den T a g von 1 5 3 0 erinnert, an dem der Großvater des Stifters, Landgraf Philipp, zusammen mit anderen Reichsständen Kaiser Karl V . das Augsburgische Bekenntnis überreicht habe x ). Und in den ersten Statuten werden die Professoren aller Fakultäten verpflichtet, die unveränderte Augsburgische Konfession und den Katechismus Luthers zu unterschreiben 2 ). Wenn auch die Stellung der Hochschulen im paritätischen und im konfessionell neutralen Staat eine andere geworden ist, so bleibt doch für die Universität, zu deren höchsten Aufgaben die Pflege des Sinns für die geschichtlichen Zusammenhänge zählt, aus ihrer Geschichte die besondere Veranlassung bestehen, des großen Ereignisses zu gedenken. Es erschiene mir solchem Gedächtnis wenig angemessen, nur das Bild des geschichtlichen Vorgangs zu entrollen oder eine historische Einzeluntersuchung dazu vorzutragen. Vielmehr möchte ich den Versuch machen, von einem Einzelpunkte aus wie in einem Spiegel den Gehalt dieser grundlegenden Urkunde des Protestantismus zusammenzufassen. Nicht der Bekenntnistat, sondern dem Bekenntnis selbst soll der Versuch deutender Vergegenwärtigung gelten. Ich betrachte das als eine durchaus historische, keineswegs als eine spekulative Aufgabe. J a , es gehört zu den größten Aufgaben des Historikers, solche deutende VerWasserschieben, Die ältesten Privilegien und Statuten der Ludoviciana. Gießener Universitätsprogramm 1 8 8 1 . S. 1 1 . a ) Ebenda S . 16.
gegenwärtigung geschichtlicher Gehalte versuchen zu dürfen und zu müssen x ). Es ist der Religion nicht allein eigentümlich, die Stellung des Menschen im Dasein bestimmen zu wollen. Jede philosophische Anschauung vom Dasein, jede soziologische, naturwissenschaftliche, ja jede mechanistische Lebenstheorie kreist im Grunde darum, dem Menschen seinen Ort in der Welt anzuweisen. Religion wird dieses Bemühen erst, wenn es geboren ist aus einer G o t t e s anschauung, nicht einer Weltanschauung. Eine Betrachtung unter der Herrschaft des Gottesbewußtseins kann zunächst nicht anders, als den Menschen unter dem Verhängnis zu sehen, dem Verhängnis über ihm und dem Verhängnis in ihm, dem Verhängnis, das sein Sein fesselt in der Vergänglichkeit, und dem, das sein Handeln fesselt in der Schuld. In der Betrachtung des, Menschen vom T o d e her berühren sich alle Religionen der Erde, berührt sich der mittelalterliche Mystiker mit dem Frommen Indiens, der Barockdichter mit dem Griechen, der Romantiker mit dem modernen Menschen. Ein gemeinsames Grauen umfaßt den natürlichen Menschen in all diesen Verkleidungen, ein; Grauen, dem etwa der mittelalterliche Mystiker Ausdruck verliehen hat: »O mächtiger Strom, wohin fließest du? . . . Du läufst und wächst, schwillst ab und wirst verschlungen. Du läufst, aber abwärts; du wächst, doch zum Untergang; du kommst und eilst vorüber, aber du strömst dich aus, du wirst verschlungen. O Ader, die nicht leer wird; o Lauf, der nicht zur Ruhe kommt; o Schlund, der sich nicht füllt« 2). Das ist also noch nichts wesentlich Christliches. Im Verständnis des Menschen von der S c h u l d her klingt zusammen das Wehe des alttestamentlichen Propheten: »Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen«3) mit dem »Kyrie eleison« der griechischen Kirche, dem »Mea culpa, mea maxima culpa« der römischen, dem: »Aus tiefer Not schrei ich zu dir . . . wer kann Herr vor dir bleiben?« im Liede Luthers. Freilich gerade weil sich hier der Weg ins Herz des Christentums 1 ) Eindringenderer Beschäftigung dienen das wichtige, gelehrte Buch von Karl Thieme, Die Augsburgische Konfession und Luthers Katechismen auf theologische Gegenwartswerte untersucht 1930, und die knapperen Einfuhrungen von Rud. Hermann, Luther-Jahrbuch 1930, S . 162—214 u. Leonh. Fendt, Der Wille der Reformation im Augsburgischen Bekenntnis. 1930. 2 ) Hugo v. St. Viktor, De vanitate mundi herausg. v. K . Müller (Kleine Texte 123) S. 36, 16 ff. 3 ) Jes. 6, 5.
öffnet, fallen sofort auch die ersten großen Entscheidungen über die verschiedenen Menschenbilder der einzelnen christlichen Konfessionen. Vom Menschen reden, heißt ihn in seine Zusammenhänge einordnen. Es ist einer der tiefsten Unterschiede zwischen Protestantismus und Katholizismus, daß beide das in verschiedenem Sinne tun. Der Katholizismus redet von Natur, wo nach protestantischer Auffassung Sünde ist, und von Sünde oder wenigstens Unvollkommenheit, wo nach protestantischer Auffassung Natur ist. In den Z u s a m m e n h a n g v o n S c h u l d u n d S ü n d e stellt die Augustana den Menschen zunächst hinein. Sie sieht ihn gefesselt in einem eisernen Ring ohne Sprünge und Nähte. Alle sind von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung und k ö n n e n von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben (Art. II). Das sind sehr runde, sehr unzweideutige Aussagen. Mit ungeheurer Leidenschaft haben sich die Reformatoren schon an diesem Punkte in den Kampf geworfen. Sie verlegen dem Menschen jeden Ausweg. Sie bedrängen ihn von allen Seiten, damit er nicht beginnt, das harte Gefängnis seines Willens in eine ganz behagliche Wohnung umzuträumen. Der Kampf des Augsburger Bekenntnisses mit dem scholastischen Gegner dreht sich dabei um ganz scharf bestimmte Fragen. Zwei eng verbundene Stellungen kann auch nach der strengsten scholastischen Anschauung — von der vulgären Theologie des Spätmittelalters mag hier im Augenblick geschwiegen werden, obwohl sie im Spätmittelalter und der Reformation die weitaus lebendigere Macht war als etwa die Theologie des Thomas von Aquino — zwei Stellungen kann der natürliche Mensch auf dem sonst verlorenen Schlachtfelde gegen die Sünde halten: ein Stück kaum verdorbener Natur und ein Stück freien Willens. Beide Stellungen greift die reformatorische Theologie und mit ihr das Augsburgische Bekenntnis an. Es ist nicht so, wie das scholastische Bild es zeichnet 1 ), daß im Menschen nur ein Stück Zunder verborgen läge, das ungefährlich wäre, bis von außen der Funke der Leidenschaft hineinfliegt. Nein, was die Scholastik als eine harmlose Schwäche der N a t u r ansah, ist schon Sünde. *) Loofs, Dogmengeschichte 1906 *, S. 577.
Das ist eine der frühesten Entdeckungen Luthers gewesenx). In seiner 2. These für die Leipziger Disputation hat er dann mit Schärfe erklärt: »Zu leugnen, daß im Kinde nach der Taufe Sünde zurückbleibe, heißt Paulus und Christus auf einmal mit Füßen treten« 2 ); ein Satz, der in der Bannbulle verurteilt wurde 3 ). Man wird diese dem modernen Menschen schwer verständliche Leidenschaftlichkeit nur begreifen, wenn man sieht, daß damit eine ganz neue Psychologie, besser ein neues Menschenbild heraufgezogen ist. An Stelle des durch Unterscheidungen zerspaltenen, in zahllose einzelne Willensakte aufgelösten Menschen der Scholastik das Bild des Menschen als einer ganzen, unteilbaren Person4.) Der Mensch kann nicht zerlegt werden in Fleisch und Geist, in ein reines und ein unreines Stück. Er kann sich nicht in einzelnen reinen Aufwallungen zu Gott erheben, wie es die Scholastik lehrte 5 ); von der spätmittelalterlichen Lehre, daß der Mensch schon von Natur wegen Gott über alles zu lieben vermöge, wiederum ganz zu schweigen e ). Nein, als ganze Person ist er vor Gott schuldig, als ganze Person ist er auf das göttliche Handeln in der Vergebung angewiesen. Das ist der Sinn dessen, was die Augustana in Artikel II in dem überlieferten Begriff der Erbsünde auszusprechen sucht. Sie greift den Menschen auch in der anderen Stellung an, die ihm nach der scholastischen Lehre noch bleibt: in dem Stück f r e i e n W i l l e n s , menschlicher Mitbeteiligung, das auch nach der strengsten scholastischen Lehre, der des Thomas v. Aquino, Römerbriefvorlesung, hrsg. von Joh. Ficker, II 107, 3 ff. 21 ff. ) Weimarer Ausg. 2, S. 160, 34. ) Bannankündigungsbulle Exsurge domine bei Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums, 1924 4 . S. 257, 17. 4 ) Vgl. dazu Karl Holl, Gesammelte Aufsätze, Bd. I: Luther, S. 60 ff. E . Schott, Fleisch und Geist nach Luthers Lehre, 1928. Rud. Hermann, Luthers These 'Gerecht und Sünder zugleich', 1930 und meinen Aufsatz: Äußerer und innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten (Imago Dei, Beiträge zur theologischen Anthropologie) 1932. S. 85 ff. 6 ) In den sogenannten »erweckten Akten der Gottesliebe«. Vgl. etwa die bezeichnende Kapitelüberschrift bei dem zeitgenössischen Franziskaner Herborn: Operibus ex caritate elicitis ex divino decreto meremur, quibus et merces vitae aeternae debetur. Locorum communium enchiridion 1529. (Corpus Catholicorum, Bd. 12, 1927) S. 3 1 . 8 ) Duns Scotus, In sententias lib. I I I dist. 27. Gabriel Biel, In sent. lib. I I dist. 28 B. Dagegen wandte sich Melanchthon in den Loci communes 1521 (hrsg. v. Kolde 1925 4) S. 97 f. und der Erstausgabe der Augustana 1 5 3 1 . Vgl. meine Ausgabe in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, herausgegeben vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß 1930, S. 71 zu Anm. 4. 2 3
7 zur Rechtfertigung gehört x ). Sehr bitter, aber darum heilsam verlegt die Augustana auch hier dem Menschen den Ausweg (Art. X V I I I ) . Auch hier nimmt sie ihn als ein Ganzes. Denn es handelt sich j a nicht um eine psychologische Freiheit wie im Problem des Determinismus, sondern um die Freiheit vor Gott, um das Unvermögen zum Guten. Öffnete die scholastische Lehre dem freien Willen, in welcher Form auch immer, die Tür, so nannte sie wiederum Natur, was die Reformatoren Sünde nennen mußten. Auch hier verficht die Augustana mit der gesamten reformatorischen Theologie ein schroffes Entweder—Oder. Hätte der eiserne Reifen um den Menschen bereits den Sprung, durch den sich der Mensch halb hinausdrängen und -zwängen kann, so wäre das Entscheidende sein eigenes Werk. Es war nicht Lust an Paradoxien, nicht herzlose Dialektik, die die Augustana den Menschen so völlig gefesselt malen ließ, sondern der Einblick in diesen von innen her unzerbrechlichen Zusammenhang und das neue Bild vom Menschen als der in sich geschlossenen und ganzen Person. Sie empfand die Schwerkraft, die.ihn hindert, sich zum freien Fluge zu erheben, die dämonische Anziehung, die den Lebensweg des Menschen um sein eigenes Ich sich krümmen läßt, so daß er am Ende seines Weges mit Erschütterung erkennen muß, daß es ein Kreislauf war. Aber das ist nur das erste Wort des Augsburgischen Bekenntnisses. Es sieht den Menschen gleichzeitig im Z u s a m m e n h a n g d e r S c h ö p f u n g und redet nun andererseits von Natur, wo die scholastische Lehre von Sünde oder Unvollkommenheit sprach. Nirgends deutlicher als bei der E h e . Die reformatorische Lehre des Augsburger Bekenntnisses gibt ihr ihre volle Heiligkeit, die sie in der Unterordnung unter das mönchische Ideal verloren hatte, zurück. Auch für die besten scholastischen Lehrer war sie ein Stand der Unvollkommenheit geblieben 2 ). Die Sünde des natürlichen Ehelebens wird im Sakrament getilgt 3 ). Ja, die katholische Widerlegungsschrift gegen die Augustana, die unter *) S u m m a theologica I I , i . I I , 3. art. 8 c. 2 ) z. B. Bonaventura I n sententias I V . dist 37. art. 1. quaest. 2 concl. 2: Matrimonium collocat in statu imperfectionis, ordo (Priesterstand) vero in statu perfectionis, ideo etc. (zu ergänzen als A n t w o r t auf die gestellte Frage: daher ist die Preisterweihe ein Ehehindernis), sicut de saeculo (Weltleben) ad religionem (Ordensleben) licet ascendere, non descendere. Weiteres Material bei Alphons V i c t o r Müller, Luthers theologische Quellen, 1912, S. 31 ff. 3 ) Belege bei R . Seeberg, J a h r b . d. Luthergesellschaft 1925, S. 8 1 , 118, A n m . 7.
8 Beteiligung von 20 deutschen Theologen und Führung des päpstlichen Legaten ausgearbeitet und vom Kaiser mit seinem Namen gedeckt w a r — autoritativer konnte also nicht gesprochen werden — scheute sich nicht, die Ehe zur Reinheit des Priester- und Mönchslebens in Gegensatz zu stellen1). Diesen Schatten hatte Luther von der Ehe genommen und zu einem gesunden und gezügelten Leibesleben ein rundes und ungebrochenes J a sprechen gelehrt. Wenn er mit Freuden die Ehe über den Mönchsstand gestellt hatte wie das Sonnenlicht über die Kerze, wenn er sie ein »göttlich gesegnet und wohlgefällig Geschöpf und Ordnung zur Leibesfrucht und wider die fleischliche Unzucht« nannte 2 ), so gerade deshalb, weil er den Menschen damit wieder in den Zusammenhang der Schöpfung einordnete. Nicht anders die Augustana in den Artikeln über den Priesterzölibat und die Mönchsgelübde. Sie tadelt den Zölibat ja nicht als Lebensform, sondern läßt ihn jedem frei wie die Ehe. Wohl aber verurteilt sie, daß er als ein Gesetz einem ganzen Stande in hartem Kampfe aufgezwungen worden war und als ein vor Gott verdienstliches Werk geführt wurde. Aber sie drückt zugleich aus, daß durch das Eheverbot nach protestantischer Auffassung der Schöpfungszusammenhang zerrissen wird. Gleichnishaft deutlich wird das an der verlegenen und Luther zum Spott reizenden Auslegung, die die katholische Widerlegungsschrift dem göttlichen Schöpfergebot: »Seid fruchtbar und mehret euch« gab, das die Augustana dem Eheverbot entgegengestellt hatte: Dies Gebot habe nur für die Anfangszeiten der Menschengeschichte gegolten, seit die Erde aber leidlich bewohnt sei, habe es seine Gültigkeit verloren 3 ). Aufs engste hängt damit zusammen, daß die Augsburgische Konfession den Menschen noch an anderer Stelle wieder vollständig in den Schöpfungszusammenhang einordnet: in seinem Beruf. Wie in der Ehe so war auch hier nach protestantischer Anschauung durch die Überordnung des mönchischen LebensCorpus reformatorum, Bd. 27, S . 140 (lat.) S . 209 (deutsch). Dagegen Melanchthons Apologie X X I I I § 26. Bekenntnisschriften S . 3 3 8 . 2 ) Weim. Ausg. Bd. 4 3 , S . 4 3 4 , 15. Waldemar Macholz, Die romantische E h e und der lutherische Ehestand, 1929, S. 5 7 . W . A . 5 1 ; 483, 10. 3 ) Corpus Reformatorum, Bd. 27, S . 142. Luther spottete in einer Randbemerkung in seinem Handexemplar der Erstausgabe von Melanchthons Apologie: Donec terra repleta est, omnes omnium nuptiae cessare debent, donec per mortem evacuetur terra pro futuris nuptiis. Dazu Apologie X X I I I § 8. Bekenntnisschriften, S. 3 3 5 .
9 standes über die weltliche Arbeit der natürliche Blutkreislauf des Lebens zerrissen. Ursprünglich hatte das Mönchtum sich allein den Begriff einer vocatio, Berufung vorbehalten. Erst deutsche Mystiker hatten wenigstens ansatzweise eine neue Schätzung des weltlichen Berufes ausgesprochen 1 ), ohne freilich daraus die Folgerungen der Gleichstellung mit dem mönchischen Stand wirklich zu ziehen und vor allem, ohne daß diese Gedanken über die Kreise bestimmter Theologen hinaus die Gesamtkirche ergriffen hätten. Erst die moderne Forschung hat auf diese Ansätze wieder geachtet. Was die deutsche Mystik zur Sache gesagt hatte, ist, um es formelhaft zu sagen, mehr terminologisch als soziologisch wichtig. Erst Luther hat mit der Sache, die j a tatsächlich erst auch nach der völligen Zerstörung des religiösen Vorzugs des Mönchtums ergriffen werden konnte, dann auch das Wort »Beruf« gefunden 2 ). Es war für die Verbreitung des neuen Gedankens nicht unwesentlich, daß die Augustana diesen Sprachgebrauch an mehreren Stellen aufnahm. Sie gab damit den vollen Klang weiter, den Luther in das Wort hineingelegt hatte: den wirklichen Gottesauftrag, der hinter keiner Berufung zum mönchischen Stand zurückzustehen braucht. In diese beiden großen Zusammenhänge gehört der Mensch nach der Anschauung des Augsburgischen Bekenntnisses hinein: in den Kreislauf des natürlichen Lebens, der Schöpfung und in den von innen her unzerbrechlichen Ring des Verhängnisses von Schuld und Sünde. Von beiden redet die Augustana mit genau umgekehrten Vorzeichen wie die scholastische Theologie des Mittelalters. Der gefesselte Mensch, den sie zeichnen muß, ist ihr dabei nicht in erster Linie ein Gefangener seiner Leidenschaften, sondern viel tiefer: Über seinem ganzen Sein und Handeln liegt der kalte Hauch der Gottesferne. Wenn die Augustana von Sünde, ja von Erbsünde redet, die in der Tradition unter starker Vorherrschaft des Sinnlichen geschildert worden war, so läßt sie alle diese Töne ganz beiseite. Am tiefsten formuliert es Melanchthons Apologie, die Verteidigungsschrift der Prox ) Karl Holl, Die Geschichte des Wortes Beruf. Gesammelte Aufsätze, Bd. I I I , 1928, S. 205 ff. Über die geschichtliche Auswirkung des Berufsgedankens vgl. meinen Vortrag: Die Bedeutung der Reformation für das deutsche Beamtentum, Berlin, Verlag des Evang. Bundes 1932. s ) Zuerst in einer Predigt der Kirchenpostille 1 5 2 2 . Weim. Ausg. 10, 1 ; S. 306, 1 7 . Holl S. 2 1 7 .
10 testanten gegen die katholische Widerlegung, wenn sie Erbsünde nennt: »... daß wir Gott oder Gottes Werk nicht kennen, nicht sehen noch merken, Gott verachten, Gott nicht ernstlich fürchten noch vertrauen, seinem Geist oder Urteil feind sein. Item daß wir alle vor Gott als einem Tyrannen fliehen, wider seinen Willen zürnen und murren. Item uns auf Gottes Güte gar nicht lassen und wagen, sondern allzeit mehr auf Geld, Gut, Freunde verlassen« . Diese Bestimmung ohne Schwüle und Sentimentalität, ohne Sündenschnüffelei und moralistische Ängstlichkeit ist die wahre Bestimmung des Gefängnisses, in das der natürliche Mensch nach protestantischer Anschauung gebannt ist. E r l ö s u n g daraus heißt wiederum, daß er in einen n e u e n Z u s a m m e n h a n g überführt wird. Freilich kann der eiserne Ring, der ihn umschließt, nicht von innen zerbrochen, sondern nur von außen durch Gottes Hammer aufgeschlagen werden. Mit der gleichen Strenge wie von der scholastischen Sündenlehre scheidet sich das Augsburgische Bekenntnis darum von der katholischen Rechtfertigungslehre. Nicht mehr um der Protestanten selbst willen, die es längst begriffen hatten, sondern um der Auseinandersetzung willen betont sie an allen Ecken und Enden die Ausschließlichkeit des sola fide, allein aus dem Glauben. Wo sie in Zölibat, Mönchsgelübden, Fastengeboten, Kirchenbräuchen etwas von einem menschlichen Geltungswillen vor Gott, von Verdienst-Anspruch oder -Hoffnung, von einem Sichbehauptenund dem Handeln Gottes nicht Preisgeben-wollen spürt, dringt sie in diese letzten Winkel der Frömmigkeit ein. Noch viel umfassender, mit großer Gelehrsamkeit und reichen Gedanken setzt sich dann die Apologie Melanchthons mit allen Unterscheidungen und Feinheiten des katholischen Verdienstbegriffes auseinander. So wenig die Stellung des freien Willens mitten hineingebaut werden darf in den unzerbrechlichen Zusammenhang der Schuld, so wenig auch in den in sich geschlossenen Ring der Gnade. Die Augustana hat das Hoffnungslose dieses Versuches nicht psychologisch anschaulich gemacht, überhaupt den Vorgang der R e c h t f e r t i g u n g nicht geschildert, sondern nur den Begriff dafür gegeben. Sie gibt ihn in der knappsten Formel, die in der Reformationszeit dafür gefunden worden ist: gratis iustificentur propter Christum per fidem; die Menschen werden aus Gnaden *) Bekenntnisschriften S. 149, 12.
11 gerechtfertigt um Christi willen durch den Glauben (Art. I V ) . Melanchthon faßte in diesem Satz die verschiedenen Seiten der Rechtfertigung so streng wie möglich zusammen. Wir können noch beobachten, wie er die einzelnen Begriffe, die schon früher bei ihm vorkommen — das propter Christum und per fidem in den Visitationsartikeln von 1 5 2 8 noch durch eine ganze Seite getrennt*) — in einen Satz zusammenzieht. Was diese Darlegung der Erlösung an Wärme und Anschaulichkeit gegenüber allen Äußerungen Luthers über Gnade und Vergebung vermissen läßt, hat sie an Einprägsamkeit gewonnen und ist darum ganz ungemein theologiebildend geworden. Mit scharfer Ausschließlichkeit verweist sie dabei den Menschen von sich weg — »nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtun« — auf Gottes Gnade. Aber dieser aus seinem bisherigen, unter dem Verhängnis stehenden Sein herausgelöste Mensch wird in einen wahrhaften neuen Zusammenhang hineingestellt. Nicht etwa in den Einflußbereich sakramentaler Gnade. Es sind keine realistisch gedachten Qualitäten, die in Taufe und Kommunion oder anderen Sakramenten in ihn einströmend gedacht werden. Sondern es ist der Zusammenhang der Geisteswirkungen Gottes und seines Christus, die dem glaubenden Menschen verheißen sind. Es gibt für den protestantischen Menschen nach dem Augsburgischen Bekenntnis keine Sakraments- und Kultusmystik, keine Überwältigung durch Prunk und Macht des Gottesdienstes, keine Gottesbegegnung im Rausch oder im Unterbewußtsein, sondern allein in einem klaren geistigen Akt und voller Wachheit. Verheißung Gottes — Glaube des Menschen: allein auf dieser klaren geistigen Linie spielt sich das ganze innere Geschick des protestantischen Menschen ab. Das klingt nüchtern — und ist es auch. Es klingt vielleicht auch ärmlich. Das ist es freilich nicht. Denn der Erlösungszusammenhang, in den der Mensch überführt wird, ist gleichzeitig n e u e r S c h ö p f u n g s z u s a m m e n h a n g . Was unter dem Eishauch der Gottesferne erstorben gelegen hatte, erwacht unter der belebenden Zuneigung Gottes zum Wachstum. In dem ausführlichen Art. X X »Vom Glauben und guten Werken« wehrt sich die Augustana gegen das unausrottbare, schon damals fast böswillig zu nennende gegnerische Mißverständnis, als gebe die Glaubenslehre der Reformation die Ethik preis, als verbiete man l
) Corp. Ref., Bd. 26, S. 11 u. 12.
12 die guten Werke 1 ). Im Gegenteil, nicht eine Zerstörung, sondern eine tiefere Neubegründung der Ethik ist ihre Absicht. Nur muß das Vertrauen auf das Werk zunächst aus der Schlüsselstellung der Religion, dort wo der Mensch vor Gott Geltung erlangen will, aus dem Mittleramt zwischen Gott und dem Menschen vertrieben werden. Aber das Handeln Gottes am Menschen in der Erlösung ist fiir die Augustana zugleich eine Neuschöpfung. »Dieweil durch den Glauben der heilig Geist gegeben wird, so wird auch das Herz geschickt, gute Werk zu tun 2 ).« Beides kann nach evangelischem Verständnis überhaupt nicht auseinandergedacht werden. Es läßt sich kaum auf zwei Begriffe: Glaube und Werke verteilen. Denn Glaube ist immer erfüllter Glaube, in dem die ganze Dienstbereitschaft Gott gegenüber schon verborgen liegt. Und das Werk des protestantischen Menschen andererseits — das bezeugen auch Augustana und Apologie — gutes Werk nur deshalb, weil es aus der Zuversicht geschieht, Gott wohlzugefallen, und darum über Regel und Richtschnur hinaus sein inneres Gesetz aus dem Glauben erhält. Man vermißt es allerdings, daß die Augustana dem nicht begrifflich noch schärferen Ausdruck verliehen hat, vor allem schon in dem Art. IV über die Rechtfertigung. Sie hätte aus Luther Wendungen übernehmen können, die die Einheit dieses schöpferischen Handelns Gottes noch unmittelbarer zur Anschauung brächten. Sachlich besteht freilich kaum ein Gegensatz. Denn auch die Augustana sieht den Menschen durch den Geist in die unablässige innere Bewegung hineingestellt, in der er von Grund auf umgeschaffen wird. Dieser neue, wahrhaft schöpferische Zusammenhang wird für den Menschen greifbar in der G e m e i n s c h a f t , in die der Glaubende hineingestellt wird. Wenn die Augustana von K i r c h e redet 3 ), so erscheint auf den ersten Blick diese neue Umwelt des protestantischen Menschen als das, was sich gegenüber dem katholischen System am meisten verändert hat. Keine durch göttliche Stiftung gesicherte Hierarchie, kein scharf abgetrennter Klerus, auf dessen bindendes und lösendes Wort und Führung die Laienschaft sich blindlings zu verlassen hat, kein Gnadenschatz und Ablaßwesen, das von der Kirche verwaltet dem einzelnen *) Vgl. dazu die schöne Schrift von P. Althaus, Der Geist der lutherischen Ethik im Augsburgischen Bekenntnis. 1930. 2 ) Bekenntnisschriften S. 77, 18. 3 ) V g l . dazu den folgenden Aufsatz.
13 unerschöpfliche Erlösungsmöglichkeit darbietet, kein Strom sakramentaler Kräfte, der den Menschen umspült und mit selbsttätiger Wirkung in den Heilszusammenhang der Kirche hineinzieht. Die Kirche des protestantischen Menschen ist anderer Art. Sie ist eine eigentümliche Verbindung von Vereinzelung und Gemeinschaft. Ganz in sich geschlossene, ganz allein auf ihren Glauben gestellte einzelne, die doch, wenn sie bis in den Wurzelgrund ihres neuen Seins hinabstoßen, in der Tiefe durch da» göttliche Handeln unlöslich verbunden sind. Sie wird geschaffen nicht durch Vereinsbildung, sondern allein durch das göttliche Wort, durch das der Mensch seine Lage vor Gott erkennen lernt. Kirche ist nach der evangelischen Lehre der Augustana nicht das gemeinsame Kirchengebäude, nicht die Organisation, die Pfarrer und Synoden, sondern wie sie es Luthers Lehre am nächsten ausdrückt: congregatio sanctorum, Versammlung der Heiligen, das heißt der Gläubigen (Art. VII). Der von Menschen nicht greifbare, nur Gott allein bekannte Leib des Christus, die heimliche, wahre Braut Christi, eine Gemeinschaft, die nicht in äußeren Mauern zusammengehalten, nicht in Statistiken erfaßt werden kann: das und das allein ist Kirche. Und doch ist sie eine wahre Einheit, keine aufgelöste Schar. So wie im magnetischen Kraftfelde die Linien durch eine einzige, unsichtbare Kraft zusammengehalten werden, so wird die Schar der Gläubigen zusammengebunden durch den Glauben zu einer wahren Gemeinschaft, einer communio, wie Luther zu sagen pflegte *) — hier gibt die Augustana den Ton des Lutherschen Gedankens nicht ganz rein wieder —, die in gegenseitigem Dienst und tätiger Anteilnahme sich auswirkt. Diese Gemeinschaft kann nie nach dem Glauben sichtbar werden, wohl aber nach der Liebe. Sie ist für den protestantischen Menschen der Augustana eine Wirklichkeit, die einzige Wirklichkeit, die den Namen Kirche verdient. Alle äußere Organisation der verfaßten Kirche verdient diesen Namen nur, soweit sie kirchenhaltig in diesem Sinne ist, soweit sie von dieser ganz innerlichen communio sanctorum getragen wird. Damit ist alles äußere Kirchentum in die Demut verwiesen. Es führt keine Vormundschaft über die Gläubigen, sondern weiß sich nur als Mittel in Gottes Hand. Am schönsten ist das in Art. V der Augustana »Vom Predigtamt« gesagt: »Solchen Glauben zu erlangen, 1
) P. Althaus, Communio sanctorum. I, 1929,
14 hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt.« Darin ist Zuversicht und Bescheidung des evangelischen Predigers vorbildlich ausgesprochen: Das Predigtamt hat Gottes Befehl als Zeugnis, aber darum steht es auch unter dem Vorzeichen: »wo und wann er will.« Die Kirche darf auftragsgemäß dem sehnsüchtigen Glauben das Wort der Verheißung entgegentragen, aber sich niemals mit eigenem Recht und Anspruch zwischen beide drängen wollen. Daß die Augustana in der Auseinandersetzung mit der gegnerischen Lehre wiederum bis in alle Einzelheiten bei Messe, Speisegeboten und Kirchenbräuchen aller Art alles Rechtfertigende, alles vor Gott Sühnende aus dem kirchlichen Handeln tilgt, ist eine selbstverständliche Folgerung, die ohne den Gegner kaum noch hätte ausgesprochen werden müssen. In diese Kirche, in die ganz innerliche, verborgene, aber doch ganz lebendige und wirkliche Gemeinschaft weiß sich der protestantische Mensch der Augsburgischen Konfession hineingestellt. Er fühlt sich in ihr umgriffen von dem göttlichen Verheißungs-, Vergebungs- und Erneuerungswort und wächst als ein natürliches Glied hinein in diesen Leib des Christus. Das Hochgefühl, in diese Gemeinschaft hineingestellt zu sein, durchzieht in der gedämpften Form bekenntnismäßiger Gestaltung auch die ganze Augustana. Ihre und ihrer Bekenner Stimmung war keine andere als in dem Jubelwort Luthers, von dem sie gelernt hatte, was wahre Kirche ist: »Ecclesia (die Kirche) soll mein Burg, mein Schloß, mein Kammer sein« *). Noch ein Letztes: In dem neuen schöpferischen Zusammenhang ist der protestantische Mensch zugleich hineingestellt in die völlige F r e i h e i t , eine Freiheit, die nicht mehr mißverstanden und mißbraucht werden kann, da sie der vollendeten Beugung unter Gott entspringt. Man könnte vielleicht auch hier wünschen, daß die Augustana dem noch einmal in einem besonderen Artikel Ausdruck gegeben hätte. Sie hat es nicht getan aus mancherlei Gründen. Einer war auch, daß Melanchthon den anstößigen Begriff der christlichen Freiheit möglichst vermied 2 ). Aber sie *) Genesisvorlesung, W e i m . A u s g . , B d . 44, S. 7 1 3 , 1. 2 ) E r hat den Begriff an den drei Stellen, w o er vorkam (S. 128, 34. 130, 23. 1 3 1 , 13) in der deutschen Erstausgabe sogar noch gestrichen! V g l . meine A u s g a b e S. 133 A n m . 1.
15 spricht als Ganzes aus der sachlichen Haltung des protestantischen Menschen heraus. Sie weiß, daß sie dem Menschen nicht mehr mit dem Gesetz kommen darf, daß vielmehr der neue Mensch nicht mehr schülerhaft nach äußerer Anleitung, sondern reif nach innerer Sicherheit handelt. Wie ich schon einmal andeutete: aus dem Handeln nach Anleitung des Gesetzes wird das Handeln der Zuversicht. Diese instinktsichere Ethik, diese Verwandlung der sittlichen Forderung in die Natürlichkeit des neuen Menschen ist der Sinn der reformatorischen Freiheitslehre, so wie Luther ihn unübertrefflich in seiner klassischen Ethik, dem »Sermon von den guten Werken« ausgesprochen hat: »Wenn ein Mann oder Weib sich zum andern versieht Lieb und Wohlgefallens und dasselb fest glaubt, wer lehret denselben, was er tun, lassen, sagen, schweigen, denken soll? Die einige Zuversicht lehret ihn das alles und mehr denn not ist. . . Also ein Christenmensch, der in dieser Zuversicht gegen Gott lebt, weiß alle Ding, vermag alle Ding, vermisset sich aller Ding, was zu tun ist, und tuts alles fröhlich und frei« x ). Dieses Bild des g a n z gefesselten und durch das schöpferische Handeln Gottes g a n z befreiten Menschen ist das Bild des protestantischen Menschen nach dem Verständnis des Augsburgischen Bekenntnisses. Es sieht ihn hineingestellt in die großen Zusammenhänge seines Seins und Handelns: Schuld, Natur und Neuschöpfung in der Erlösung. Wie Ringe sind diese Zusammenhänge gegeneinander abgeschlossen. Die Leidenschaft des Protestantismus liegt darin, diese Ausschließlichkeit rein und unverfälscht zu wahren. Er darf diese Erkenntnis auch nicht darum aufgeben, weil sie bitter und anstößig ist. Sie ist nach dem Urteil von außen seine Einseitigkeit, nach seinem eigenen Wissen seine Wahrheit. Freilich keine Wahrheit, die in einem veralteten Gefäß schal und faul werden dürfte, auch nicht in dem Gefäß eines Bekenntnisses. Und so darf keine geschichtliche Feier der evangelischen Kirche nur ein Bekenntnis zu ihrem alten Bekenntnis sein; oder wenn, dann jedenfalls nur zu der gemeinten Sache, nicht zur gedanklichen und wortlichen Prägung. Die Augustana hat das auch selbst nie in Anspruch genommen. Melanchthon hat noch Jahre hindurch nach bestem Wissen an ihr gebessert und geändert, sie z . T . völlig umgestaltet. Wenn das in manchen Epochen Weim. Ausg., Bd. 6, S. 207, 16.
16 der evangelischen Kirche anders gewesen ist, so haben diese Zeiten damit nicht nur gegen den Geist reformatorischer Lehre, sondern auch gegen den Sinn der Augustana selbst gesündigt. Die evangelische Kirche darf sich niemals mit ihrem Bekenntnis in die Sicherheit stellen wollen. Sie hat nicht und darf nicht haben wie die katholische Kirche eine Lehre von der Tradition. Sondern sie hat sich immer erneut zu stellen in die Unsicherheit, in das Wagnis, weil sie weiß, daß anders Menschen vor Gott nicht stehen können, daß sie alle Sicherungsversuche bekämpfen muß als Vermessenheit. Sie hat sich offen zu halten für alle Fragen, alle Denkwandlungen der Zeit und ihnen immer aufs neue ihre eigene Wahrheit abzuringen. So wird sie, dankbar für ihr altes Bekenntnis, doch jederzeit ausschauen nach neuem Zeugnis und Bekenntnis, in dem der protestantische Mensch seine Eigenart neu zu erfassen und auszusprechen lernt. Tut das die evangelische Kirche, so wird sie bleiben eine lebendige Kirche, ihr Bekenntnis ein lebendiges Bekenntnis, ihre Theologie eine lebendige Theologie.
Die Kirche in der Augustana 1 ). Die Kernlehren der Augustana treten einem in einer doppelten Form entgegen: in Begriff und Anschauung. Weder die Auffassung vom Menschen und seiner Sünde, noch die von Christus, noch die von der Rechtfertigung erschöpft sich in den knappen Formeln der einzelnen Lehrartikel. Sondern sie entfaltet sich jedesmal erst zur vollen Anschaulichkeit bei der Besprechung der mancherlei Einzelfragen aus dem Glauben und Leben des evangelischen Christen. Es ist die große Bedeutung später angefügter Teile wie des Artikels X X und besonders auch der Artikel über die katholischen Mißbräuche, zu solcher ganz ungesuchten Anwendung Anlaß gegeben zu haben. Bei der Kirche ist diese Doppelheit vielleicht am auffallendsten, die Ergänzung des Begriffs durch die Anschauung am erwünschtesten, da die begriffliche Erfassung der Kirchenlehre — das zeigt die leicht abwandelnde Wiederholung des Art. V I I in V I I I — offensichtlich von gewissen Schwierigkeiten bedrückt war. Man hat das schon immer empfunden 2). Darum tut man gut, sich nicht zu schnell in den etwas verwickelten Fäden der Formulierung dieser beiden Artikel fangen zu lassen, sondern sie hineinzustellen in den für uns durch viel Material erhellten Zusammenhang ihrer Vor- und Nachgeschichte und Z u e r s t erschienen in der M o n a t s s c h r i f t f ü r Pastoraltheologie 1930, S . 1 9 1 — 1 9 8 . Seit d e m A u g u s t a n a j a h r ist die viel v e r h a n d e l t e F r a g e n a c h der K i r c h e i n d e r A u g u s t a n a m e h r f a c h w i e d e r a u f g e n o m m e n , a m gründlichsten bei K a r l T h i e m e , D i e Augsburgische Konfession und Luthers Katechismen auf theologische G e g e n w a r t s w e r t e untersucht, 1930, S. i g i — 2 4 9 (dort a u c h ältere L i t e r a t u r ) . V e r g l . a u ß e r d e m M a r t i n D o e r n e , D i e K i r c h e des Augsburgischen Bekenntnisses u n d d i e K i r c h e n f r a g e der G e g e n w a r t , Pastoralblätter 1929/30, S . 394 fr. 449 f r . K a r l W i n t e r u n d Herrn. Sasse i n C r e d o ecclesiam (Festgabe f ü r G e n e r a l s u p e r i n t e n d e n t D . Z o e l l n e r ) 1930, S . 3 f f . 305 ff. Ernst Rietschel, D a s P r o b l e m der unsichtbar-sichtbaren K i r c h e bei L u t h e r (Schriften d. V e r . f. R e f o r m a t i o n s g e s c h . 154) 1 9 3 2 , 8 . 9 7 f r . W i e w e i t i c h der wertvollen Darstellung T h i e m e s f o l g e n k a n n , h a b e i c h Zeitschr. f. K i r c h e n g e s c h . 1 9 3 1 , S . 2 1 3 f. gezeigt. D i e gelehrten E r ö r t e r u n g e n h a b e n inzwischen einen unvermuteten Gegenwartswert b e k o m m e n . E s scheint m i r in der heute a u f g e b r o c h e n e n K i r c h e n f r a g e , die n a t ü r l i c h K l ä r u n g u n d V e r f ü h r u n g z u g l e i c h enthält, d o p p e l t nötig, die frühen W a n d l u n g e n i m reformatorischen K i r c h e n b e g r i f f z u sehen. 2 ) z . B . K o l d e i n seiner A u s g a b e B o r n k a m m , Der protestantische Mensch.
19112 zu Art.
VIII. 2
18 auch dem Kirchenbegriff Luthers Hinweise zu ihrer Deutung zu entnehmen. Die Vorgeschichte beginnt für die ganze Augustana mit dem persönlichen Bekenntnis, das Luther seiner Schrift »Vom Abendmahl Christi« 1528 anfügte. Dort faßt Luther seine im wesentlichen schon seit der Psalmenvorlesung feststehende 2) Anschauung von der Kirche einmal klassisch zusammen: »Demnach glaube ich, daß eine heilige christliche Kirche sei auf Erden. Das ist die Gemeine und Zahl oder Versammlung aller Christen in aller Welt, die einige Braut Christi und sein geistlicher Leib, des er auch das einige Häupt ist und die Bischöfe oder Pfarrer nicht Häupter noch Herren, noch Bräutigame derselbigen sind, sondern Diener, Freunde, und wie das Wort Bischof gibt, Aufseher, Pfleger oder Furseher. Und dieselbige Christenheit ist nicht allein unter der römischen Kirchen oder Bapst, sondern in aller Welt, wie die Propheten verkündiget haben, daß Christus Euangelion sollte in alle Welt kommen. Psal. 2. Psal. 18. Daß also unter Bapst, Türken, Persern, Tattern und allenthalben die Christenheit zerstreuet ist leiblich, aber versammlet geistlich in einem Euangelio und Glauben unter ein Häupt, das Jesus Christus ist 2).« Einen neuen Versuch, die Lehre von der Kirche zu formulieren, macht dann der 12. Schwabacher Artikel, die unmittelbare Vorlage des Art. V I I der Augustana: »Daß kein Zweifel sei, es sei und bleibe auf Erden ein heilige christenliche Kirch bis an der Welt Ende, wie Christus spricht Mat. ult.: Siehe, ich bin bei Euch bis an der Welt Ende. Soliche Kirch ist nichts änderst dann die Glaubigen an Christo, weliche obgenannte Artickel und Stuck halten, glauben und lehrn und darüber verfolgt und gemartert werden in der Welt, denn wo das Euangelion gepredigt wird und die Sakrament recht gebraucht, da ist die heilige christenliche Kirche, und sie ist nicht mit Gesetzen und äußerlicher Pracht an Stätte und Zeit, an Person und Gebärde gebunden.« 3 ) Was in diesen beiden Formulierungen gesagt, namentlich in Luthers Bekenntnis mit anschaulicher Gewalt ausgemalt ist, das versucht die Augustana in einen einzigen Begriff einzufangen: congregatio sanctorum. Holl, Ges. Aufsätze. I. Luther. 2. 3. Aufl. S . 295 ff. ) W . A . 26. 506, 30. 3 ) Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche 1930. S. 59.
2
19 Man kann deutlich den Weg von Luthers Bekenntnis bis zur Augustana bestimmen. Bei Luther der umfassende, freie Begriff einer Kirche als des geistlichen Leibes Christi, rein geistig, in seiner Zusammensetzung nur Gott bekannt; eine Größe ganz jenseits der Raumgrenzen. Freilich in ihr geschieht etwas unbedingt Wirkliches, wie er es ein paar Zeilen später formuliert: »In dieser Christenheit und wo sie ist, da ist Vergebung der Sunden, das ist ein Königreich der Gnaden und des rechten Ablaß. Denn daselbst ist das Euangelion, die Taufe, das Sakrament des Altars, darin Vergebunge der Sunden angeboten, geholet und empfangen wird. Und ist auch Christus und sein Geist und Gott daselbs 1 ).« Sehr bezeichnend ist auch hier wieder die nähere Bestimmung: »In dieser Christenheit und wo sie ist.« »In dieser Christenheit« ist also nicht ohne weiteres eine Ortsbestimmung, sondern man muß gewissermaßen von ihr weg auf ihren Ort verweisen. Sie ist nicht selbst ein Ort, wohl aber ist sie an dem und jenem Ort. Freilich wo sie ist, das ist eben für Menschenaugen die Frage. Der 12. Schwabacher Artikel nimmt genau das Gleiche noch einmal auf, aber er versucht die Kirche durch ihre Zeichen näher zu umschreiben. Freilich auch diese Zeichen stecken nicht etwa den Ort der Kirche ab. Sondern: »Sie ist nicht mit Gesetzen und äußerlicher Pracht an Stätte und Zeit, an Person und Gebärde gebunden.« Die Zeichen, »wo das Evangelium gepredigt wird und die Sakrament recht gebraucht« geben nur den Raum an, wo die Kirche sein kann, sie umgrenzen sie nicht. Man kann nicht einfach die Seelen der neuen evangelischen Gemeinden zusammenzählen und daraus eine Statistik der Bürger des Himmelreichs machen. Genau so, die Worte des 12. Schwabacher Artikels nur noch knapper zusammenziehend, lehrt auch Art. V I I der Augustana. Freilich Art. V I I I schränkt durch ein »proprie« leicht ein: Quamquam ecclesia proprie sit congregatio sanctorum et vere credentium . . . Die Unterscheidung von »eigentlich« und »uneigentlich« deutet immer auf eine verborgene Schwierigkeit. In der Tat ist Melanchthon auch auf mancherlei Schwierigkeiten gestoßen: Die Verwicklung im Sprachgebrauch von »Kirche«, die katholischen Vorwürfe, die Kirche der Evangelischen sei eine pharisäische Sekte von eingebildeten Heiligen oder auch eine civitas Platonica, ein Wolkengebilde. Es liegt Melanchthon W. A. 26. 507, 7.
2*
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alle dem gegenüber daran, zu zeigen, daß auch die Kirche ihre Erdenschwere hat. Er formuliert dabei freilich aufs vorsichtigste: Die Bösen sind nur admixti, sie bleiben »unter den Frommen«. Begreiflicherweise war er enttäuscht, daß trotz der Einfügung des Art. VIII über den Bestand der Schwabacher Artikel hinaus die katholische Konfutation die congregatio sanctorum dahin mißverstand, als sollten dadurch die Schlechten aus der Kirche ausgeschieden werden. Er konnte sich in der Apologie mit Recht einer Widerlegung enthoben fühlen . Um die vollständige Entwicklung zu übersehen, fügen wir sofort noch die Nachgeschichte hinzu. In der Apologie nimmt Melanchthon die ganze Erörterung noch einmal ausführlich auf. Auch hier hat er wieder wie in Art. VII in schönen und warmen Worten von der Kirche als dem Leib Christi gesprochen, »den Christus mit seinem Geiste erneuert, heiligt und leitet« 2 ), in dem uns das Evangelium nicht nur den Schatten der ewigen Dinge, sondern die ewigen Dinge selbst, den heiligen Geist und die Gerechtigkeit vor Gott schenkt 8 ). Aber andrerseits taucht auch das proprie, der Hinweis auf die verhüllte Schwierigkeit, in verschärfter Form wieder auf. At ecclesia non est tantum societas externarum rerum ac rituum sicut aliae politiae, sed principaliter est societas fidei et spiritus sancti in cordibus, quae tarnen habet externas notas, ut agnosci possit, videlicet puram evangelii doctrinam et administrationen sacramentorum consentaneam evangelio Christi 4 ). Das »proprie« ist hier verstärkt zu einem »non tantum— sed principaliter«. Es gibt demnach einen Kirchenbegriff, der schon in der societas externarum rerum besteht. Uber den Wortlaut des Art. VIII der Augustana hinaus gelten jetzt auch die Bösen als Glieder der Kirche: admixti ecclesiae et sint membra ecclesiae secundum externam societatem signorum ecclesiaes). Ja, die Kirche wird menschlichen Gesellschaftsbildungen an die Seite gesetzt im Begriff der politia. Sie ist societas externarum rerum ac rituum sicut aliae politiae. Diese Weiterbildung des Kirchenbegriffs in der Apologie hat dann auch auf die späteren Formulierungen des Augustana-Artikels zurückgewirkt. In der Art. VII/VIII. S. 235, § 5S. 237, § 15. «) S. 234, § 5.
2) 3) 6
) S. 234, § 3 .
Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche. S. 233 f.
21 Variata vom Jahre 1540 ist der ganze Absatz über die hypocritae et mali admixti aus Artikel V I I I in Artikel V I I herübergenommen und wird in V I I I noch einmal wörtlich wiederholt. Damit gewinnt der Gedanke noch eine erhöhte Bedeutung, denn in der Augustana war er in Art. V I I I nur ein Hilfsgedanke, um damit die Unabhängigkeit der Sakramentswirkung von der persönlichen Beschaffenheit des Spenders zu begründen. Die Einschränkung der Definition der Kirche aus Art. V I I war nur eine Nebenabsicht. Jetzt wird sie in Art. V I I der Variata in aller Form, gewissermaßen am lebenden Objekt selbst, vollzogen. Ausdrücklich wird die Kirche im Sinne der congregatio sanctorum als die ecclesia proprie dicta bestimmt. Der Gegenbegriff der ecclesia large dicta ergibt sich von selbst. Melanchthon hat in seiner späteren Entwicklung den Begriff der Kirche scharf auf die sichtbare Kirche beschränkt. Der Vorwurf, die evangelische Kirche sei nur eine civitas Platonica, hat ihn — das sieht man noch in der letzten Ausgabe der Loci theologici v . J . 1559 — nicht ruhen lassen. In der Apologie hatte er ihn noch durch ein kräftiges Bekenntnis zur Wirklichkeit der unsichtbaren Kirche zurückgewiesen x ); später tut er es, indem er sich allein zur sichtbaren Kirche bekennt 2 ). Auch die Aussagen der Augustana deutet er allein auf die sichtbare Kirche. A n Melanchthons Unterscheidung in der Apologie hat die spätere Orthodoxie angeknüpft und die ecclesia stricte, praecise, proprie, principaliter dicta der ecclesia late, improprie dicta entgegengestellt 3 ). Das ist auch der Sinn der im Gegensatz zu Melanchthon festgehaltenen Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche, den man nicht ohne weiteres in Luther hineintragen darf. Damit ist die Kirche zu einem Teil, nach ihrer niederen, uneigentlichen Seite anderen menschlichen Gesellschaftsformen als politia oder coetus vergleichbar, also dem Anstaltsbegriff unterworfen. Denkt man an Luthers Bekenntnis von 1 5 2 8 zurück, so kann man die Verschiebung des Tones im Laufe dieser Entwicklung schwer überhören. Will man sie noch von anderer Seite her ins helle Licht setzen, so hat man jetzt das schönste Vergleichsmaterial in den fränkischen Bekenntnissen der Jahre 1524 bis 1530, die 2 3
S . 2 3 8 , § 20. ) V g l . den Abschnitt De ecclesia in den späteren Auflagen der Loci. ) Schmid, Die Dogmatik der evang.-luth. Kirche. 7. Aufl. 1893. S. 429.
435 ff-
22 wir in einer prächtigen, vom Bayerischen Landeskirchenrat veranstalteten Ausgabe erhalten haben. Sie bezeugen, mit welcher Gewalt sich Luthers neues Verständnis des Evangeliums in die Geister führender Theologen ebenso gut wie einfacher Dorfpfarrer eingegraben hat; sie spiegeln auch Luthers KirchenbegrifF mit großer Klarheit wider x ). Man darf nun freilich nicht übersehen, daß Luther Wendungen gebrauchen konnte, die nichts anderes zu sagen scheinen als die spätere Unterscheidung von ecclesia proprie und large dicta. Immerhin fällt auf, daß er es in keiner bekenntnismäßigen Formulierung getan hat, weder im Bekenntnis von 1528 noch im Großen Katechismus noch in den Schmalkaldischen Artikeln. Sondern was nach den Schmalkaldischen Artikeln schon ein Kind von sieben Jahren weiß, das ist die Kirche als heiliger, lebendiger Leib des Christus. Aber er hat immer wieder mit dem sprachlichen Ausdruck gerungen 2 ). Der durch den Sprachgebrauch belastete Begriff »Kirche« war ihm aus mancherlei Gründen nicht lieb. E r wäre ihn — das zeigt die Erläuterung des 3. Artikels im Großen Katechismus — nicht ungern losgewesen. Früher half er sich nicht selten durch Unterscheidung einer Kirche im doppelten Sinne oder zweier »Kirchen« 3 ). Später gräbt er noch tiefer und versteht auch die irdische, verfaßte Kirche nur aus der wahren, unsichtbaren heraus. Das Ganze trägt seinen Namen vom Teil, die äußere Kirche von den Heiligen, dem Evangelium, dem Namen Gottes in ihr. So deutet er die ihm gar nicht selbstverständliche Bezeichnung der bedenklichen Galatischen Gemeinden als ecclesiae 4 ). Und natürlich weiß Luther, daß die Gemeinden voller Sünder und Scheinchristen waren. E r meinte die Leute nicht zu haben, um die, die mit Ernst Christen sein wollten, zu sammeln. Aber man spürt doch, daß er der äußeren Gemeinde den 1 ) Die fränkischen Bekenntnisse. Eine Vorstufe der Augsburgischen Konfession. Hrsg. v. W . F . Schmidt u. K . Schornbaum. München, Chr. Kaiser 1930. S. 44 fr. 187 fr. 2 ) Kattenbusch, Die Doppelschichtigkeit in Luthers KirchenbegrifF 1928. S. 3 3 ff3 ) V g l . Kattenbusch und den Galaterkomm. von 1 5 1 9 , zu Gal. 1, 2. W . A . 2, 456, 2 ff. Luthers Lehre ist allerdings hier mehrfach in den von anderen veranstalteten Drucken umgebildet worden. Ein Schulbeispiel ist die Bearbeitung der Joel-Vorlesung 1524 in dem Druck von Veit Dietrich 1 5 4 7 . W . A . 1 3 , X X I I ff. X X V I I I ff. Köstlin, Luthers Theologie I I 2 S. 3 7 3 . '-) Großer Galaterkomm. W . A . 40, I, 68 f.
23 Begriff Kirche nur widerwillig gönnt; nur dem Sprachgebrauch, nicht dem Vorwurf der civitas Platonica weichend, wie Melanchthon in seiner spätesten Zeit. Und auch dann degradiert er das Wort nicht einfach, sondern hält doch sehr fein per synecdochen, wie die Auffassung von Gal. i, 2 eben zeigte, an der communio sanctorum als der einzigen Quelle des Begriffs »Kirche« fest. Das Eigentümliche ist dabei, daß Luther die bis auf den Grund reichende S c h e i d u n g nicht in eine begriffliche U n t e r s c h e i d u n g umschlagen läßt. Er führt den Riß zwischen der wahren Kirche und äußeren Gemeinden radikal durch. Die hypocritae et mali sind keine Glieder am Leibe des Christus. Er sagt sich aufs deutlichste von der scholastischen Lehre los, die alle dem corpus Christi zurechnete, die auch nur die Möglichkeit haben, mit ihm eins zu werden, ohne daß es wirklich zu dem Akt der Einverleibung in den Christus kommt. »Darumb mag Christus nit ein Häupt sein irgend einer bösen Gemein 1).«8 Briefe. Ìjrsgb. non 6 . R u d e r t . 1933. ffieb. ROT 8. S a n ò 7 : Predigten. Ìjrsgb. con ebräerbricf nad; öer oatifanifcfyen ^anöfdjrift. ßerausgegeben oon Profeffor Dr. S m a n u e l i j i r f d ) unö Lic. profeffor f j a n n s R ü d e r t . XXVII, 299 5 . 1929. (arbeiten 31U Kirdjengefd;. Bö. XIII.) ROT 15.—, geb. 17 — £utt)cre fjebräerbrief»üotItfung ooii 1517—1518. Deutfdje Überfe|ung oon Lic. ffiridj D o g e i f a n g , Prioatöojent öer Kird>eTtaeJdf}icf)te in Königsberg. VII, 188 Seiten. 1930. (Arbeiten 3ur Kird)engef4 Bö. XVII.) ROT 7 — , geb. 8.— Öer angtfod)ttne ti>ri|his bei iutijer. Don < E r i < $ D o g e i f a n g . 106 Seiten. 1932. (Arbeiten 3m Kirdjengefd). Bö. X X I . ) R O T 8 — , geb. 9.— ©reifatoalötr ©tuöien 311c £utftcrfor[if)ung unö neujeitli^en ©ti(lcage|äjianne0 Cutter, öes Reformators älteftet Soljn. Don 3o!jannes Cutter. 28 Seiten. 1930. 2.— § e f t 4: Jlpo|telgefd>id)fe 27 in nautifdjer Beleuchtung unö öte oftöeuifdje U Bibelüberfeijung öes OTittelalters con ID. S t a m m l e r unö 3 Cutters £el)te com unfreien Willen oon R. 1 } e r m a n n . 38 Seiten. 1931. 3— Ijeft 6 : Die religiöfen ©runögcöanfen tee jungen 2uti)cr unö itjr Derbäli» nis 3U öem fflefamtsmus unö öer öeutfdjen OTyftif. Don R e i n l j o l ö S e e « b e r g . 36 Seiten. 1931. 2.70 Ijeft 7 : 2utf>ere ©eöanfen fibec öie Toöesfurätf. Don d a r l S t a n g e . 90 Seiten. 1932: 5.85 Beft 8 : Vorbereitung und Verbreitung oon fflartin 2utl)ec8 95 iljefen. Don 3 o l j . £ u t b e r . 41 Seiten. 1933. 2.80 fjeft 9 : £egenöen um f u t ^ e r . Don J o h a n n e s £ u t b e r . 49 S. 1933. 3 — ßeutfdfjer ßulturatlas. ©n3elfarten 3U Cutter: Die S