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German Pages [513] Year 2023
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel
203
Patrick Bahl
Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer Eine Untersuchung seiner Pastoraltheologie, seines Predigt- und Sakramentsverständnisses
Mohr Siebeck
Patrick Bahl, geboren 1987; 2006–13 Studium der Ev. Theologie; ab 2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 2022 Akademischer Rat a. Z. am Seminar für Kirchengeschichte II der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster; 2018 Promotion; 2021 Habilitation. orcid.org/0000-0002-8993-1412
ISBN 978-3-16-161539-9 / eISBN 978-3-16-161769-0 DOI 10.1628/978-3-16-161769-0 ISSN 0340-6741 / eISSN 2568-6569 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline aus der Bembo gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2020/21 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Das Erstgutachten hat Prof. Dr. Albrecht Beutel, das Zweitgutachten Prof. Dr. Holger Strutwolf verfasst. Für die Drucklegung wurde die Arbeit geringfügig überarbeitet. Entstehung und Veröffentlichung dieses Buches wären nicht ohne die Unterstützung und den Beistand einer Vielzahl von Menschen möglich gewesen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Noch während meines Studiums hat Albrecht Beutel den Anstoß zu dieser Untersuchung gegeben: Als sich in der konstituierenden Sitzung seines Hauptseminars zum Pietismus (Sommersemester 2010) die obligatorischen Referatsthemen nur einigermaßen zäh verteilen lassen wollten, empfahl er das zu erarbeitende Kurzportrait von Gottfried Arnold mit einem Hinweis auf dessen schicksalhaften Tod während (bzw. im unmittelbaren zeitlichen Umfeld) seines Predigtdienstes. Seit ich mich – damals lediglich von der morbiden Tragik fasziniert, darüber hinaus jedoch völlig ahnungslos! – dieses Referates angenommen hatte, hat mich Gottfried Arnold nicht mehr losgelassen und sich als Thema meiner Habilitationsschrift nahezu aufgedrängt. Albrecht Beutel stand mir während des Projekts mit Rat zur Seite, hat mit mir diverse Einzelaspekte der Studie diskutiert und mir pragmatische Wege gewiesen, das ausufernde Material zu bändigen. Zudem hat er mir auf meiner Assistentenstelle am Seminar für Kirchengeschichte II ausgesprochen große Freiheiten eingeräumt, damit ich meine Studien konzentriert voranbringen konnte. Auch abseits des Habilitationsprojekts hat er mich mit großem Wohlwollen auf meinem bisherigen akademischen Weg begleitet und gefördert. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Sachdienliche Hinweise (insbesondere zu sakramententheologischen und liturgiegeschichtlichen Fragen) und freundschaftliche Unterstützung habe ich von meiner langjährigen Seminarkollegin Dipl. theol. Martha Maria Nooke erhalten. Prof. Dr. Angelika Reichert hat mir mit ihrem frischen, unbefangenen Blick dabei geholfen, manchen gordischen Knoten in der Erschließung der Pastoraltheologie Arnolds zu durchschlagen. Unter hohem Zeitdruck, doch verlässlich wie immer haben in der entscheidenden Abschlussphase des Projekts Dr. Steffen Götze, Dr. Anneliese Bieber-Wallmann, Pfarrer Dr. Eike Christian Herzig und Dipl. theol. Christian Pfordt die Studie lektoriert. Zur Drucklegung ist das Manuskript auf Punkt und Komma (und gleich mehrmals!) von Ingrid Ihben ge-
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Vorwort
prüft worden. Stets freundlich, geduldig und kompetent haben Dr. Katharina Gutekunst, Elena Müller, Tobias Stäbler, Susanne Mang und das übrige Team des Verlags Mohr Siebeck den Publikationsprozess begleitet. Aufmunternden Zuspruch sowie fachliche Unterstützung habe ich von meiner Doktormutter Prof. Dr. Christina Hoegen-Rohls, Prof. Dr. Jan Rohls, Prof. Dr. Reinhard Achenbach, Prof. Dr. Anne Käfer, Dr. Annette Hüffmeier, Dr. Heiner Kampert, Prof. Dr. Christian Peters, Prof. Dr. Konrad Hammann, PD Dr. Jonathan Miles Robker, Anja Robker, P. Rudolph de Lange, Dr. Sarah Riegert, Dr. Lars Maskow sowie den Theatralischen Theolog*innen (die sich hartnäckig weigern, die Vita Arnolds als geistliches Spiel auf die Bühne zu bringen) erfahren. Meine Familie und meine Freunde – namentlich Eckhard Bahl, Angelika Bahl, meine Schwestern Vanessa-Katharina und Melanie, Ingrid und Frerich Ihben, Stefanie Ihben, Philip Eschwey, Imke Krull und Philipp Hoffmann, Pfarrerin Leska Meyer, Pfarrerin Nina Ciesielski und viele andere – haben mich aus nah und fern angefeuert und mir unendlich viel Halt gegeben. Der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster danke ich für großzügige Druckkostenzuschüsse. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass große Teile dieser Studie während des Vikariats meiner Frau in Göttingen entstanden sind (2019–2021). Die dortige Evangelisch-Reformierte Gemeinde ist ihr und mir über zweieinhalb Jahre eine Heimat gewesen und wir fühlen uns ihr tief verbunden. Auch wenn sich Gottfried Arnold Zeit seines Lebens entschieden zum lutherischen Bekenntnis gehalten hat – er hätte wohl mit beträchtlichem ekklesiologischem und pastoraltheologischem Interesse auf die Gemeinde in der Unteren Karspüle geblickt. Schließlich danke ich der allerscharfsinnigsten, höchst noblen und unendlich duldsamen Dr. theol. Sabine Joy Ihben-Bahl. Um es mit dem großen Mystiker B. White auf den Punkt zu bringen: You’re the first, the last, my everything. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Patrick Bahl, im Januar 2023
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verwendete Abkürzungen für Arnolds Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
Einleitung: Arnolds Pastoraltheologie und pfarramtliche Praxis in der Biographik und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
I. Der Pfarrer bei Arnold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Ziel, Quellenauswahl, Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arnolds Pastoralkritik und Pastoraltheologie in seinen historischen Schriften, patristischen Editionen und Apologien (1696–1702) . . . . . . . . 2.1. Ideal und Verfall – pastoraltheologische Ansätze in Arnolds historischen Hauptschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Arnolds Rekonstruktion des altkirchlichen Lehrerideals in Abgrenzung zu William Caves Primitive Christianity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Arnolds hamartiologische Deutung des Verfalls der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Zwischenfazit: Die historiographischen Wurzeln der Pastoraltheologie Arnolds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Gregor von Nazianz – der ideale Lehrer unter den Bedingungen des Verfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Prämissen der biographischen Geschichtsschreibung Arnolds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Das Gregor-Bild in orthodoxer und pietistischer Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Arnolds Gregor-Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1. Gregor als Kritiker des konstantinopolitanischen Klerus in der Ersten Liebe (1696) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2. Gregor als skrupulöser Lehrer im Denckmahl (1699) . . . . . . 2.2.3.3. Gregor als angefochtener Bischof in der Kirchen- und Ketzerhistorie (1699) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.2.4. Zwischenfazit: Gregor von Nazianz als Archetyp des wahren Lehrers unter den Bedingungen des Verfalls . . . . . 2.3. An der Schwelle zum pastoraltheologischen Programm: Arnolds Auseinandersetzung mit Ernst Salomon Cyprian (1700) . . 2.3.1. Cyprians Kritik: Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie als antiklerikale Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Arnolds Reaktion: Konturen einer konstruktiven Pastoraltheologie in der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Zwischenfazit: Die pastoraltheologische Dimension der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Arnolds historische und apologetische Schriften als Ursprung seiner Pastoraltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704) – Arnolds pastoraltheologische Programmschrift zwischen altkirchlicher, lutherischer und quietistischer Berufungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Zum Charakter der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Gattungsfrage und Referenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Kirchenhistorische Quellentexte und Verfallsidee . . . . . . . 3.2.2. Lutherische Pastoraltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Quietistische Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Geistliche Gestalt zwischen altkirchlicher, lutherischer und quietistischer Pastoraltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Die Konstituierung der geistlichen Gestalt – die quietistischen Wurzeln des Berufungsbegriffs Arnolds . . . 3.3.2. Die Gefährdung der geistlichen Gestalt durch die Gemeinde – Vermittlung zwischen lutherischer und quietistischer Pastoraltheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Die geistliche Gestalt und die Geschichte – pastoraltheologische Adaption historischer Begründungszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Zwischenfazit: Arnolds Amtsmystik im Spannungsfeld ihrer Referenzräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie in den Werbener und Perleberger Schriften (1705–1714) . . . . . . . . . . . . . 165 4.1. Die Zweitauf lage der Geistlichen Gestalt als ‚Fortschreibung‘ der ersten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.1.1. Klärung: Die quietistisch-mystische „Zubereitung“ des Lehrers in den Bahnen lutherischer Erfahrungstheologie . 170 4.1.2. Erweiterung: Die Berücksichtigung externer Berufungsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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4.1.3. Konkretisierung: „Special-Anmerckungen“ zur Schwierigkeit des Lehramts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4. Vertiefung: Paradigmen der Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5. Ein Bruch mit der Pastoraltheologie der Erstauf lage? . . . . 4.2. Werbener Investiturpredigt (1705/1706) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Von stummen Teufeln und Dienern Christi – die Befähigung der Gemeinde zur kritischen Prüfung ihrer Lehrer in den Evangelischen Reden (1709/11) und den katechetischen Texten . . . . . 4.4. Zwischenfazit: Tendenzen der späten Pastoraltheologie Arnolds . . .
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II. Arnold als Pfarrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Ziel, Quellenauswahl, Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2.1. Homiletische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.1.1. Das Wirken des Heiligen Geistes als Voraussetzung der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2.1.2. Die Christozentrik der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2.1.3. Problematisierung der Gesetzespredigt . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2.2. Predigtmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2.2.1. Inventio: Mystisch-allegorische Bibelauslegung im Horizont der Gotteserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2.2.2. Methodus, dispositio, elocutio: Zwischen homiletischer Etikette und methodus heroica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2.2.3. Actio: Temperierung, Selbstbeherrschung, Nachbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2.3. Zum Verhältnis von Predigten, Reden und Theologia Experimentalis .300 2.4. Zwischenfazit: Arnolds Homiletik und Predigtpraxis im Spiegel ihrer Zeit und in Anbetracht der Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Arnolds Kritik an der Kindertaufe in seinen historischen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Reformvorschläge in den pastoraltheologischen Programmschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.1. Mystische Aneignung der Taufe im Modus der Taufanamnese – die Predigt über Röm 6,3–11 von 1703 . 3.1.3.2. Erschütterung der Taufgewissheit im Modus der Verfremdung – die Rede über Röm 6,3–11 von 1711 . . . . . 3.1.3.3. Taufmystik in Arnolds Katechismen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.2. Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3.2.1. Arnolds Kritik an der Veräußerlichung des Abendmahls in den historischen Schriften und der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3.2.2. Gebet, Vermahnung, Erinnerung – Arnolds Abendmahlstheologie in seinen pastoraltheologischen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3.2.2.1. Kritik am Beichtzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 3.2.2.2. Das Abendmahl als Bewährungsprobe für die geistliche Gestalt des Lehrers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3.2.2.3. Spiritualisierung des Abendmahls – Relativierung des äußerlichen Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . 369 3.2.3. Bewältigungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3.2.3.1. Spiritualisierung der Zulassungsvoraussetzungen – die Gründonnerstagspredigt von 1703 . . . . . . . . . . . . . . . . 374 3.2.3.2. Inszenierung des Gedächtnismahls – Allstedter Sermon von 1703/1704 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 3.2.3.3. Mystische Überhöhung des Sakraments – Rede zum Gründonnerstag von 1711 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 3.2.3.4. Systematisierung und Überwindung – das 50. Kapitel der Theologia Experimentalis (1714) . . . . . . . 386 3.2.3.5. Vermahnung und Gedächtnis in katechetischer Synthese . 389 3.3. Zwischenfazit: Arnold und die Sakramente – historische Kritik, pastoraltheologische Aufarbeitung, praktische Bewältigung und eine johanneische Pointe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 1. Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 2. Der Ertrag der Untersuchung hinsichtlich der aufgezeigten Forschungsdesiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 3. Mitte und historische Bedeutung der Pastoraltheologie Arnolds . . . . . . 404
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 1. 2. 3. 4. 5.
Der richtigste Weg (1700) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verklärung Jesu Christi (1704) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Evangelische Botschafft (1706) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelpredigten, Fragmente, Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1. Quellen und Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Arnolds eigene und von ihm herausgegebene Schriften . . . . . . . . . 1.2. Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Kirchenväter und andere antike Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Autorinnen und Autoren des Mittelalters und der Neuzeit . . . . . . .
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2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 1. Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verwendete Abkürzungen für Arnolds Werke (in alphabetischer Reihenfolge) AEL
Anhang der Erfahrungs=Lehre Herrn Gottfried Arnolds […] Aus dessen eigenhändigem Manuscripto hinzugefüget …, Frankfurt a. M. 1735. CU Christlicher Unterricht …, Frankfurt a. M. / Leipzig 1722. DAC Ein Denckmahl Des Alten Christenthums …, Goslar/Leipzig 1699. EBH Die Evangelische Botschafft Der Herrlichkeit GOttes in Jesu Christo …, Frankfurt a. M. 1706. EBM Erinnerung Von Brauch und Mißbrauch Böser Exempel (in: DAC), Goslar/ Leipzig 1699. EL Die Erste Liebe Der Gemeinen JESU Christi / Das ist / Wahre Abbildung Der Ersten Christen …, Frankfurt a. M. 1696. ERE Evangelische Reden über die Sonn= u. Festtags=Evangelien …, Leipzig 1709. EREP Evangelische Reden über die Sonn= und Festtags=Episteln …, Frankfurt a. M. 1711. ES Erklärung / Vom gemeinen Secten=wesen …, Leipzig 1700. EVT Etliche vortreffliche Tractätlein aus der Geheimen GOttes=Gelehrtheit …, Frankfurt a. M. / Leipzig 1701. GG Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers …, Halle 1704. GG2 Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers …, Frankfurt a. M./Leipzig 1723. GGS Das Geheimniß Der Göttlichen Sophia …, Leipzig 1700. GL Göttliche Liebes=Funcken / Aus dem Grossen Feuer Der Liebe Gottes …, Frankfurt a. M. 1698. GW Michael de Molinos, Theol. Doctoris und Predigers Geistlicher Weg=Weiser …, Frankfurt a. M. 1712. KCS Martin Luthers Kleiner Catechismus Mit Sprüchen der Heil. Schrifft Kürtzlich erläutert Für die liebe Jugend, Berlin 1709. KCS2 Martin Luthers Kleiner Catechismus mit Sprüchen der heiligen Schrifft für die liebe Jugend kützlich erläutert, Frankfurt a. M. 1722. HDTM Gothofredi Arnoldi Historia et descriptio theologiae mysticae …, Frankfurt a. M. 1702. HBMT Gottfried Arnolds Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie …, Frankfurt a. M. 1703. RSB Das ruhige Sterbe=Bette eines bekehrten und gläubigen … [Leichenpredigt auf Bürgermeister Georg Krusemark], Berlin 1709. RQ Ein rechter Quasimodogenitus, oder gleichsam neugebohren Gnaden=Kind Gottes … [Leichenpredigt auf den Apotheker Lorenz Giese], Berlin 1709. RWCG Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott …, Frankfurt a. M. 1700. SPUZ Sonderbare Predigten Zu unterschiedenen Zeiten gehalten …, Leipzig 1722. TE Theologia Experimentalis …, Frankfurt a. M. 1714.
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Verwendete Abkürzungen für Arnolds Werke
UKKH Gottfried Arnolds Unpart(h)eyische Kirchen- und Ketzer=Historie …, Frankfurt a. M./Leipzig 1699/1700. VGP Vorrede Von recht Geistreichen Predigten, Frankfurt 1709. VGS Die verursachte Und doch gemäßigte Sündfluth …, Berlin 1709. VJC Die Verklärung JEsu Christi in der Seele …, Frankfurt a. M. 1704. VJC2 Die Verklärung JEsu Christi in der Seele …, Frankfurt a. M. 21708. WCAT Das wahre Christenthum Altes Testaments im heilsamen Gebrauch der vornehmsten Sprüche aus dem ersten Buch Mosis …, Frankfurt 1707. WSB Der Woleingerichtete Schul=Bau …, Leipzig/Stendal 1711.
Einleitung
Arnolds Pastoraltheologie und pfarramtliche Praxis in der Biographik und Forschung 1729 kommt es zu einer aufsehenerregenden Begegnung: In einem repräsentablen Hörsaal, der sich heute nicht mehr zweifelsfrei lokalisieren lässt, finden sich Gottlieb Wernsdorf (1666–1729), Wittenberger Generalsuperintendent und früherer Dekan der ebendortigen theologischen Fakultät, und Gottfried Arnold (1666–1714), Perleberger Pastor und Inspektor, in einer hitzigen Auseinandersetzung über die kirchenkritischen Schriften des letzteren wieder, vor allem über dessen Unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700). Als Sachwahrer der lutherischen Orthodoxie klagt Wernsdorf den Kirchenkritiker Arnold ob dessen subversiver Unterwanderung der lutherischen Konfession, seines sophistischen Umgangs mit Kirchenväterzitaten, Luthers Schriften und dem Konkordienbuch, sowie seiner Geringschätzung des lutherischen Pfarramts an. Mal feinsinnig, mal manieriert, mal subtil-ironisch versucht Arnold, die Vorwürfe seines Anklägers zu parieren und seinen unparteilichen, überkonfessionellen Standpunkt darzulegen und zu verteidigen. Wiederholt macht er darauf aufmerksam, dass seine Ansichten mitunter von seinen Gegnern in verleumderischer Weise verdreht und verdunkelt worden seien. Wenn etwa Wernsdorf ihm vorwerfen möchte, dass schon Register und Marginalüberschriften der Ketzerhistorie einem selbst flüchtigen Leser ein völlig verzerrtes Bild der „Lutheraner“ und der „Clerisey“ vermitteln würden, versucht sich Arnold damit zu entschuldigen, dass jene Register nicht von ihm selbst stammen. Hierauf entgegnet Wernsdorf schroff: „Das mag etwas seyn, aber noch nicht genug, zumahlen da ihr hin und wieder die Formuln derselben ausdrücklich vertheidiget. Zum wenigsten könnet ihr daraus selbst ermessen, in was vor einen erbitterten unreinen Sinn die Durchlesung eurer Historie schon diesen Verfasser der Marginalien und des Registers gesetzet.“1
Offenkundig hilf- und ratlos greift der Perleberger Inspektor zu einem neuen Argument: „Allein es sollte doch wohl ein jeder aus meiner so viel Jährigen Praxi, da ich bey der Lutherischen Kirche so lange Jahr in Ministerio gestanden, schließen können, daß ich es mit derselben nicht so böse gemeynet, und daß ich zum wenigsten in Verfertigung
1 O. N.,
Gespräche, 40.
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Einleitung: Arnolds Pastoraltheologie und pfarramtliche Praxis
derselben keine übele Intention gegen die Lutherische Kirche gehabt, da ich derselben in meinem Amt treu und redlich vorgestanden.“2
Doch auch Arnolds Hinweis auf seine immerhin fast zwölfjährige Tätigkeit als Pfarrer in Allstedt, Werben und Perleberg (1702–1714) mag nicht verfangen – Wernsdorf erklärt lapidar: „Hierüber mag GOtt und die unpartheyische Welt ein rechtes wahres Urtheil fällen. Die Frage ist eigentlich von dem, was ihr in Verfertigung eurer Kirchen= und Ketzerhistorie würcklich verrichtet, nicht aber wie sonsten euer Gemüth beschaffen gewesen.“3
Seine Dienstjahre scheinen Arnold nicht entlasten zu können, Wernsdorf insistiert auf der Frage: Wie hältst du’s mit der Kirchen- und Ketzerhistorie? Jene ikonische Disputationsszene zwischen Arnold und Wernsdorf ist frei erfunden. 1729 – kurz nach dem Tod des weithin anerkannten Wittenberger Generalsuperintendenten und immerhin 15 Jahre nach dem Tod Arnolds – erscheinen in Freystadt die Gespräche Im Reiche der Todten Zwischen Dem Hochberühmten Wittenbergischen General-Superintendenten und Professore Theologiae D. Gottlieb Wernsdorffen Und dem gleichfalls Weltkundigen Perlebergischen Inspectore und Pastore Gottfried Arnolden Darinn beyder Männer merckwürdiger Lebens-Lauff nebst anderer curieusen Particularitäten anzutreffen. Die anonym verfasste Schrift ist der bizarr anmutenden, zu jener Zeit jedoch durchaus beliebten literarischen Gattung der Totenreichdialoge zuzuordnen, in denen solche Persönlichkeiten in ein postumes Gespräch miteinander verwickelt werden, die sich zu Lebzeiten nicht persönlich begegnet sind.4 Der Dialog wirft in zweierlei Hinsicht ein Schlaglicht auf das frühe Arnold-Bild: Einerseits sind Arnolds kirchenkritische Schriften in aller Munde, seine Position als radikalpietistischer Kirchenkritiker scheint unbestritten,5 sein Name gänzlich mit der Kirchen- und Ketzerhistorie verschmolzen zu sein. Andererseits dokumentiert der Dialog eine gewisse Gleichgültigkeit hinsichtlich der Frage, wie sich Arnolds späteres pastorales Wirken zu seiner radikalpietistischen Theologie und seinem früheren literarischen Schaffen verhält, ja der Verfasser des Dialoges zeigt keinerlei Interesse an den in Arnolds Amtsjahren entstandenen Schriften, sondern prolongiert die Fehde um die berühmt-berüchtigte Ketzer historie, an der sich verschiedene orthodoxe Lutheraner, tatsächlich auch Wernsdorf, lautstark beteiligt hatten.6 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Vgl.
Suitner, Totengespräche, insb. 57–77. zu den mannigfaltigen Problemen der Abgrenzung von kirchlichem und radikalem Pietismus pointiert Wallmann, Kirchlicher und radikaler Pietismus, bes. 30–35 und 39 f. 6 Wernsdorf richtete sich u. a. in folgenden Schriften gegen Arnold: De Libro Sapientiae et Ecclesiastico, quod pro Canonicis non sint habendi (Wittenberg 1702), Augustanae confessionis historiam, a recentiorum quorundam corruptelis breviter vindicata (Wittenberg 1705), De verbo Dei scripto, sive Scriptura Sacra (1708), Candida solidaque de mystica theologia sententia (Wittenberg 1714). Zu Colers Historia Gothofredi Arnoldi (1718) (s. u.) lieferte Wernsdorf ein Vorwort. Vgl. das umfangreiche 5 Vgl.
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Mustergültig folgt das Totenreichgespräch damit einem Trend der frühen Arnold-Biographik, wie sie unmittelbar nach dem Tod des Perleberger Inspektors (1714) anhebt. Schon in Johann Heinrich Reitz’ Historie der Wiedergeborenen (Band 4, Idstein 1716) wird der Pfarrer Arnold kaum ernsthaft in den Blick genommen. Den Bruch in Arnolds Biographie bestimmt Reitz weniger in der Übernahme des Allstedter Schlosspredigeramtes (1702) als im Ehebund mit Anna Maria Sprögel (1701), welchen er sich umständlich bemüht, mit Arnolds früherem Bekenntnis zur Ehelosigkeit zusammenzureimen.7 Und während Reitz viel daran liegt, Arnolds aufsehenerregenden Tod in Ausübung seines Amtes – er stirbt nach einem Schwächeanfall während einer Predigt – in bunten Farben auszumalen, wobei er sich reichhaltig an Arnolds Gedoppeltem Lebens=Lauff (s. u.) bedient,8 lässt er Arnolds pastorales Selbstverständnis und seine Zeit als Pfarrer außer Acht. Einzig die beiden in Allstedt entstandenen Postillen (Epistel- und Evangelienreihe) finden beiläufig Erwähnung.9 Auch in Johann Christoph Colers Historia Gothofredi Arnoldi (Wittenberg 1718) – einer Sammlung, die eine kleine Arnold-Biographie, retractationes seiner Werke, eine Auflistung seiner vermeintlichen Irrtümer und einige Quellentexte zur Auseinandersetzung vor allem um die Kirchen- und Ketzerhistorie enthält und zu der der bereits erwähnte Wernsdorf ein polemisches Vorwort beigesteuert hat – wird Arnolds Tätigkeit als Pfarrer nur gestreift. Äußerst knapp notiert Coler die Amtsübernahme in Allstedt, Werben und Perleberg,10 auch Arnolds Kleruskritik findet keine Erwähnung im sonst überaus gewissenhaft zusammengestellten Irrtumskatalog, lediglich seine theologischen Verirrungen in der Sakramententheologie11 und im Schriftverständnis12 werden hier genannt – im Fokus auch der Historia steht ganz und gar die Kirchen- und Ketzerhistorie.13 Im Werkverzeichnis verweist Coler immerhin auf Arnolds Pastoraltheologie Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)14 und findet, wenn auch verhalten, lobende Worte: Werkverzeichnis bei Meyer, Wernsdorf, 1464–1472, und im Zedler, Wernsdorf, 516–540. Ein im engeren Sinne historiographischer Streit zwischen Arnold und Wernsdorf drehte sich um die Rolle Kyrills von Alexandria bei der Ermordung der Hypatia. Wernsdorfs Sohn gab 1747–48 die vier Hypatia-Abhandlungen seines Vaters heraus, von denen sich die vierte explizit gegen Arnold richtet: Diss. IV. de Hypatia philosopha Alexandrina, speciatim de Cyrillo Episc. in causa tumultus Alexandrini caedisque Hypatiae contra G. Arnoldum et J. Tolandum defenso. Vgl. zu dieser Kontroverse Hirsching, Wernsdorf, 235–237; vgl. zu den gegen Arnold gerichteten Dissertationen unter dem Vorsitz Wernsdorfs Marti, Vorurteilskritik, 263. 7 Vgl. Reitz, Historie, 270–272. 8 Vgl. a. a. O. 272–275. 9 Vgl. a. a. O. 269. 10 Vgl. Coler, Historia, 34–38. 11 Vgl. a. a. O. 71–74, Coler zitiert hier aus Arnolds Werbener Abendmahlssermon (in unserem Katalog Nr. 146). 12 Vgl. a. a. O. 64–69. 13 Vgl. a. a. O. 131–174. 14 Vgl. a. a. O. 117 f.
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„Melioris notae, et frugis liber est, quem de uirtutibus ministri ecclesiae, et doctoris Euangelici conscripsit.“15
Auch Arnolds Postillen werden kurz erwähnt, lediglich die Evangelische Botschafft (1706) und die Genesis-Postille (1707) werden im Haupttext genannt, wobei Colers Argwohn durch Arnolds Vorrede zur Botschafft erregt wird, in der dieser die allegorische Schriftauslegung umfassend verteidigt hatte, was Coler dann auch entsprechend moniert.16 Die übrigen Auslegungen – die drei Predigten von 1700, die Verklärungs-Postille von 1704 und die Reden von 1709 und 1711 – finden nur in einer Fußnote Erwähnung.17 Insgesamt wird der Pfarrer Arnold also auch hier weitgehend außer Acht gelassen. Dieses Bild verändert sich nun auch nicht in Johann Caspar Wetzels Hymnopoegraphia oder Historische Lebens-Beschreibung der berühmtesten Lieder-Dichter (Hernstedt 1719). Auch hier werden Arnolds Lebensweg und spektakulärer Tod kurz erwähnt, ohne dass seine Tätigkeit in Allstedt, Werben und Perleberg näher erläutert werden würde,18 immerhin wird Arnold aber gegen die Vorwürfe Colers und Wernsdorfs in Schutz genommen.19 Den Pfarrer Arnold kann auch der Zedler (Band 2, 1732) nicht retten,20 selbst wenn Arnold hier nicht einmal mehr als Pietist, geschweige denn als schwärmerischer Pietist, sondern ganz harmlos als „ein lutherischer Geistlicher“21 daherkommt. Recht unaufgeregt wird sein Werdegang geschildert, die Kirchen- und Ketzerhistorie, weil zu einseitig, verrissen. Immerhin weiß man noch davon zu berichten, dass Arnold kurz vor dem Ableben seine frühere Sophienspekulation widerrufen habe. Dem Perleberger Inspektor dürfte es zugutegekommen sein, dass der ihm zugedachte Artikel in einem der ersten Teilbände des Lexikons erschienen ist, denn – wie Albrecht Beutel jüngst gezeigt hat – trübt sich das Pietismusbild im Zedler im Laufe der in alphabetischer Abfolge erscheinenden Bände nach und nach ein.22 Gegenläufig zur Gleichgültigkeit hinsichtlich Arnolds pastoraler Tätigkeit, wie sie im Totenreichdialog und der frühen Biographik zu Tage tritt, scheint es in den 1720er und 1730er Jahren durchaus ein editorisches Interesse an Schriften aus Arnolds Allstedter, Werbener und Perleberger Amtszeit, insbesondere an seinen 15 A. a. O. 117. Dabei übersetzt Coler die deutsche pastoraltheologische Terminologie in die lateinische Fachsprache zurück (vgl. dazu ausführlich Kapitel I.3.2.2.). 16 Vgl. a. a. O. 118: „Eiusdem est Explicatio pericoparum euangelicarum quam multis in primis Patrum illustravit testimoniis, sed nimis solet ἀλληγορεῖν.“ Arnolds Wahres Christenthum, d. h. die Wochenpredigten über die Genesis (1707), nennt Coler ohne jedes Werturteil (vgl. a. a. O. 120). 17 Vgl. a. a. O. 128. 18 Vgl. Wetzel, Hymnopoegraphia, 73–86. 19 Vgl. a. a. O. 80. 20 Vgl. Zedler, Arnold, 1585 f. 21 A. a. O. 1585. 22 Vgl. Beutel, Topik des Protestantismus, 117–120.
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Titelkupfer, Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers, 21723.
Predigten, gegeben zu haben. In jener Zeit erscheint eine Vielzahl von Einzelauskopplungen aus seinen Postillen, aber auch die Postillen als ganze werden einige Male neu aufgelegt.23 1723 kann sogar die um 1712 noch von Arnold selbst geplante, doch damals nicht mehr realisierte Neuauflage seiner Pastoraltheologie Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers erscheinen. In dieser Neuauflage setzen die Herausgeber dem Pfarrer Arnold ein Denkmal in Form eines kupfergestochenen Portraits, das von Johann Benjamin Brühl angefertigt wurde24 und dessen Sockel gar von einem pastoraltheologischen Sinnspruch geziert wird: 23 Die wichtigste Neuauflage, der viele weitere Auskopplungen in den 1730er Jahren entnommen zu sein scheinen, ist Die Verklärung Jesu Christi in der Seele Aus den gewöhnlichen Sonnund Fest-Tags-Episteln auf dem Fürstlichen Schloße zu Allstedt Nebst deßen kurtzen Anmerckungen über die Paßion, und einem Anhang vieler auserlesenen Predigten von allerley erbaulichen Materien. Mit nützlichen Registern versehen, Frankfurt 1721, eine um einige Predigten aus anderen Postillen erweiterte Neuauflage der Postille von 1704. Aus dieser scheinen auch folgende zwei Auskopplungen hervorzugehen, die sich ursprünglich im Wahren Christenthum Altes Testaments von 1707 finden: Ernten=Predigt Darin die rechte Erkentniß GOttes aus Seinen Wohltaten, und die daraus entspringende wahren Dankbarkeit aus Apg. Gesch. 14,5=17 (1737, Nr. 193 in unserem Katalog) und Anweisung zu der höchst=nothwendigen Sein selbst=Erkentniß in Beherzigung so wohl des innern Seelen=Schadens, als auch dessen Heilung in einer Buß=Predigt über Jerem. 30,12 (1739, Nr. 190 in unserem Katalog). In rascher Folge neu aufgelegt wurde auch die Evangelien-Postille von 1706 (21718, 31721, 41727, 51735). 24 Die Geschichte der Portraits Arnolds ist überaus komplex und kann hier nicht aufgear-
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Einleitung: Arnolds Pastoraltheologie und pfarramtliche Praxis
„Diß Bild stelt das Gesicht nicht Arnolds Weisheit dar, Das Buch entdecket mehr den Geist, der in ihm war. Doch wer ihn selbst gekennt, und seine seltne Gaben, Der wird Zu beyden erst den rechten Schlüßel haben. Willst du ein lebend Bild rechtschaffner Lehrer sehn, Laß sein Exempel dir vor deinen Augen stehn.“
Hier erfährt Arnolds pastorale Persönlichkeit jene Würdigung, die sich zaghaft im bereits erwähnten Gedoppelten Lebens=Lauff (Leipzig 1716) angedeutet hat, welcher nur zu einem Teil, nämlich bis zu Arnolds Übernahme des Pastorenund Inspektorenamts an Sankt Jacobi in Perleberg 1707, auf ihn selbst zurückgeht und von diesem Punkt an von den anonymen Herausgebern fortgesetzt wird. Der Lebens=Lauff weiß von Arnolds großer Hingabe im Amt zu berichten: „Mit was Fleiß / Weißheit und unverdrossenen Muth er sich nun durch die geschenckte Gnade GOttes / der Erbauung seines Nechsten und sonderlich seiner anvertrauten Gemeinen genommen / und fürnemlich dahin gearbeitet / daß das falsche Christenthum entdeckt und zernichtet / die seligmachende und lebendige Erkäntniß JESU Christi aber denen Seelen möchte beygebracht werden / darff keines erzwungenen und mühsamen Beweises / indem dessen vielfältige Schrifften jederman davon belehren können; des Zeugnisses derer Gemeinen und vieler anderer / so ihn nicht ohne Betrübniß verlohren / zu geschweigen / in welcher Treue / Liebe und hertzlicher Sorgfalt er denn gleich einem Licht sich selbst je mehr und mehr verzehret und zu seiner langwierigen Mattigkeit und hitzigen Fieber ein ziemliches contribuiret / welches auch / ungeachtet alle ersinnliche Mittel zu Hemmung derselben gebrauchet worden / doch dermassen überhand genommen / daß er 1714. da er am 2. Pfingst=Tage eine Leicht=Predigt gehalten / auf derCanzel [sic!] von einer Ohnmacht überfallen / und nachdem er in grosse Schwachheit die Predigt vollendet / nach Hause gebracht und bettlägerig worden.“25
Nicht minder ehrfurchtsvoll schildert der Lebens=Lauff die überwältigende Anteilnahme und den großen Kummer der Perleberger Gemeinde beim Tod ihres Pfarrers (30. Mai 1714): Bei Leichenpredigt und Bestattung (1. Juni 1714) seien „fast wenige Bürger in der Stadt geblieben, sondern ein grosses Volck aus ungemeiner Liebe zu den Seel. und bey aller seiner Weißheit / demüthigen und friedfertigen Mann / der Leiche mit vielen Thränen nachgefolget“.26 Nähere Auskünfte über Arnolds Amtsjahre lassen sich jedoch auch dem Lebens=Lauff nicht entlocken. Erst spät, nämlich in Max Goebels Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch-westphälischen evangelischen Kirche (Band 2: Das 17. Jahrhundert oder die herrschende Kirche und die Sekten, 1852) erfährt Arnolds Amtstätigkeit größere Beachtung, auch wenn Goebel meint, in dieser letzten Schaffensphase des einsbeitet werden. Der Digitale Portraitindex druckgraphischer Bildnisse der Frühen Neuzeit weist eine Vielzahl von Titelkupfer-Portraits Arnolds mit teilweise stark divergierender Physiognomie nach. 25 Lebens Lauff, A3v–B1r (Schneider 150). = 26 Lebens Lauff, C3v (Schneider 175). =
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tigen Rebellen eine deutliche Abmilderung seiner radikalen Theologie und eine gewisse Ermattung in seiner literarischen Schaffenskraft feststellen zu müssen,27 selbst wenn es „seinem natürlichen Hochmuthe und seinem leidenschaftlichen Gemüthe“ zutiefst widerstrebt haben dürfte, die „eigenen früheren irrigen Lehren und Behauptungen zurückzunehmen“.28 Goebel interpretiert die Spätschriften Arnolds vor allem als Versuch, die Gräben zur Orthodoxie und zum kirchlichen Pietismus zuzuschütten. Ganz nach Coler klingt es, wenn Goebel gar die Geistliche Gestalt – neben den Abwegen gutwilliger Menschen von 1708 – als „vortrefflich“ in gerade dem Sinne bezeichnet, dass Arnold hier dezidiert die Nähe zum Spenerschen Pietismus sucht.29 Mehr über Arnolds Amtszeit weiß allerdings auch Goebel nicht zu sagen, seine Postillen bleiben unerwähnt. Ihm geht es vor allem darum, die Perleberger Amtszeit als Zeit der Selbstläuterung und Versöhnung mit der Kirche aufzuzeigen.30 In seiner, einige Zeit nach Goebels Untersuchung erschienenen, bis heute wegweisenden Arnold-Biographie Gottfried Arnold. Sein Leben und seine Bedeutung für Kirche und Theologie (1873) hat Franz Dibelius die Frage nach Arnolds pastoralem Selbstverständnis und seiner pastoralen Praxis erstmals als eigenen Untersuchungsgegenstand ausgewiesen: Im biographischen Teil seiner Untersuchung widmet Dibelius Arnolds Zeit als Pfarrer in Allstedt immerhin zwölf und der Werbener und Perleberger Zeit 18 Seiten, konzentriert sich jedoch vor allem auf die äußeren Rahmenbedingungen seines dortigen Wirkens, weniger auf die werk- und theologiegeschichtlichen Kontexte und Zusammenhänge seiner im Amt erschienenen Schriften. Nur ganz am Ende des zweiten, systematischen Teils und damit gewissermaßen auf dem Höhepunkt seiner Darstellung wendet sich Dibelius „Arnold als Prediger und Seelsorger“ zu, wenn auch nur auf vier Seiten.31 Bezeichnenderweise lassen sich die wesentlichen Desiderate einer Untersuchung des pastoralen Selbstverständnisses und der pastoralen Arbeit Arnolds nach wie vor an Dibelius’ fast 150 Jahre alter Darstellung festmachen, denn obwohl die Arnold-Forschung sich mittlerweile auch gelegentlich mit dem Alterswerk Arnolds, d. h. seinem literarischen Schaffen nach der Übernahme des Schlosspredigeramtes in Allstedt, auseinandergesetzt hat und dabei nicht mehr 27 Goebel, Geschichte, 728 urteilt: „Zwar war nun auch die Blüthe seines christlichen Lebens dahin, seine schönsten Lieder gesungen und auch seine andern Schriften hatten nicht mehr den früheren Reiz und Schmelz; aber für ihn selber war doch diese Umkehr eben so nöthig als heilsam – denn er mußte nun nothwendiger Weise wieder zurück zur Kirche, zur Welt, um nicht länger allein zu bleiben, sondern in ihr Frucht zu bringen und eine Frucht, die da bleibet.“ 28 A. a. O. 729. 29 Vgl. a. a. O. 733. 30 Vgl. a. a. O. 734: „In Folge dieses milderen Auftretens und Wirckens blieb Arnold in Perleberg von äußeren Verfolgungen ziemlich verschont; desto mehr aber ward er durch innere Erfahrungen geläutert und gefördert und namentlich sein natürlicher Feuergeist gedämpft und geheiligt.“ 31 Vgl. Dibelius, Arnold, 301–306.
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nur die Frage nach Brüchen und Kontinuitäten in seinem Denken verfolgt, sondern die Spätwerke aus einer umfassenderen, theologie- und werkgeschichtlichen Perspektive in den Blick nimmt,32 wurden Arnolds pastorale Tätigkeit, seine Amtstheologie, seine Homiletik und sein Sakramentsverständnis auch im 20. und 21. Jahrhundert nur punktuell, noch nie im Zusammenhang und kaum hinsichtlich ihrer Relevanz für die praktischen Vollzüge, d. h. für Predigt und die Feier der Sakramente, beleuchtet. Damit scheint sich die ernüchternde Feststellung Wolfgangs Breuls im Pietismus Handbuch (2021) auch und gerade auf diesem Themenfeld mit erstaunlicher Evidenz zu bestätigen und die ArnoldBiographik und -Forschung der letzten dreihundert Jahre treffend zu bilanzieren: „Das umfangreiche Werk Gottfried Arnolds ist […] noch längst nicht ausreichend erforscht; vor allem die Schriften nach der Veröffentlichung der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie 1699–1700 haben bisher nur wenig Aufmerksamkeit gefunden […].“33 Der Forschungsstand ist daher alarmierend schnell skizziert, die Einzelbesprechung der wenigen relevanten Forschungsbeiträge wird in den jeweiligen Kapiteln nachzuholen sein. Arnolds Pastoraltheologie im engeren Sinne wird lediglich in einem Aufsatz von Martin Schmidt in den Blick genommen (Das pietistische Pfarrerideal und seine altkirchlichen Wurzeln, 1984), der allerdings über eine zusammenfassende, kapitelweise Werkschau der Geistlichen Gestalt von 1704 nicht hinausgeht und Arnolds Pfarrbild mit dem Speners und Franckes vergleicht.34 Lediglich gestreift werden Pastoraltheologie, Sakramentenlehre und Predigt auch von Jürgen Büchsel in seiner Dissertation Gottfried Arnold. Sein Verständnis von Kirche und Wiedergeburt (1970). Er behandelt die Themen unter dem Fokus der Entwicklung von Arnolds Ekklesiologie, in Bezug auf die Frage nach den Brüchen in seiner Theologie und vor dem Hintergrund einer Dialektik von Äußerlichkeit und Innerlichkeit: Arnold unterscheide äußeres und inneres Abendmahl,35 den von der Kirche berufenen vom wiedergeborenen Lehrer,36 das äußere Predigtwort von der inneren Beteiligung von Prediger und Hörern.37 Büchsels Untersuchung bewegt sich dabei vor allem im werkgeschichtlichen Horizont, ohne äußere homiletische, pastoraltheologische oder liturgische Vergleichspunkte zu berücksichtigen. Hans Marti (1986) und Dietrich Blaufuß (1995) haben Aufsätze zu Arnolds Homiletik vorgelegt, wobei Blaufuß die zentralen Desiderate dieses Forschungssegments benennt,38 während sich Marti der Homiletik Arnolds vor allem von dessen Sprachverständnis aus annähert.39 Beide geben vorliegender Untersuchung wichtige Impulse. Auch in Volker Kerdings Dissertation Theologia Experimentalis. Die Erfahrungstheologie beim späten Gottfried Arnold (2001) zu Arnolds gleichnamiger Spätschrift spielt Arnolds
32 Vgl.
etwa Kerding, Theologia. Pietismusforschung seit 1970, 32. Mit Verweis auf die Studien von Kerding und
33 Breul,
Büchsel. 34 Vgl. Schmidt, Pfarrerideal. 35 Vgl. Büchsel, Kirche, 184. 36 Vgl. a. a. O. 185 f. 37 Vgl. a. a. O. 188. 38 Vgl. Blaufuss, Predigt. 39 Vgl. Marti, Rhetorik.
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Predigtweise eine, wenn auch untergeordnete Rolle.40 Ein älterer, aber wichtiger Aufsatz zu Arnolds Katechismen liegt von Ferdinand Cohrs (1930) vor: Zwei vergessene Katechismen Gottfried Arnolds. Zugleich ein Beitrag zu seiner Bekehrung zur Kirche. Martina Hennies hat zuletzt das schulordnende Handeln Arnolds in Perleberg untersucht (2020).41 Zu verzeichnen sind zudem zwei Miszellen, die zur Erhellung der pastoralen Tätigkeit Arnolds allerdings kaum etwas beitragen: Delius’ Skizze der Sündfluth-Predigt Arnolds von 1709 unter dem Titel Gottfried Arnold in Perleberg 1707–1714 (1968) und Hermanns Aufsatz Arnold in Allstedt (1976), in dem Arnolds Konflikte mit der Eisenacher Orthodoxie, seine pastoralen Tätigkeiten auf dem Schloss jedoch nicht näher behandelt werden. Auch in den jüngsten Forschungsbeiträgen, welche im Pietismus Handbuch (2021) versammelt sind, wird der Pfarrer Arnold nur am Rande in den Blick genommen,42 Andres Strassberger würdigt Arnold immerhin – und völlig zu Recht! – als einen wichtigen, in der Forschung nach wie vor unterschätzten Theoretiker der pietistischen Homiletik und Prediger.43
Einer Untersuchung von Arnolds Pastoraltheologie und pastoraler Praxis bleiben folgende Fragen aufgetragen: 1. Die Frage nach dem werkgeschichtlichen Zusammenhang von Kirchenkritik und konstruktiver Pastoral-, Predigt- und Sakramententheologie. En passant meint Dibelius im Auftakt seiner Darstellung von Arnolds Zeit als Allstedter Schlossprediger, dass dieser auch schon in den früheren, historischen Schriften „die Bedürfnisse der Gemeinde im Auge gehabt [hat]“, aber „dieser Gesichtspunkt jetzt der bestimmende für alle seine Arbeiten [wurde]“, so dass er zu dem prägnanten Urteil gelangt: „[…] der Historiker ward mehr und mehr zum praktischen Theologen“.44 Zu einem annähernd konträren Urteil gelangt Büchsel, wenn er meint, dass Arnold erst in seinem Spätwerk, vor allem in der Theologia Experimentalis von 1714, eine näherhin pastorale Perspektive einnimmt: „Die Endgestalt von Arnolds Lehre ist also eine Zusammenfassung der in seinen spätern [sic!] Schriften beobachteten Elemente in eine pastoral-kirchliche Form.“45 Es stellt sich also die werkgeschichtliche Frage: Inwiefern widmet Arnold seine 40 Vgl.
Kerding, Theologia, insb. 96 f. Gemeinde und Schulwesen. 42 Vogel, Arnold, 144–146, streift die Postillen lediglich, lässt die pastoraltheologischen Schriften ganz aus und berücksichtigt vor allem die Supplemente zur Ketzerhistorie, die Eheschriften und die Theologia Experimentalis. 43 Vgl. Strassberger, Predigt, 391. 44 Dibelius, Arnold, 161. Auch Sommer, Geschichte, 242 kann von einem „pastorale[n] Zweck von Arnolds kirchenhistoriographischem Unternehmen“ sprechen. 45 Büchsel, Kirche, 189 f. Vgl. in diesem Zusammenhang ebd.: „Die ‚Erfahrungslehre‘ bedeutet gegenüber der Mystik eine Abschwächung, wie sie in allen Schriften des späten Arnold zu beobachten war. In ihr präsentiert sich die Endgestalt von Arnolds Theologie in Predigtform. Sie bleibt gekennzeichnet durch die zentralen Termini: Erbsünde, Erleuchtung, Geist, Wiedergeburt, Erlösung, Erfahrung und Einwohnung Gottes. Der schwache Glaube und das geistliche Wachstum stehen stärker im Mittelpunkt als in den frühen Schriften. Christologie und Rechtfertigung sind wichtig, ebenso wie natürlich die Liebe einer der wichtigsten Begriffe bleibt. Dagegen interessieren Arnold Kirche und Gemeinde nur ganz am Rande. Der Gedanke des Verfalls ist fast völlig verschwunden.“ 41 Hennies,
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(vermeintlich separatistischen) Frühschriften vor 1702 der Kirchenreform, d. h. dem gedeihlichen Zusammenleben von Pfarrern und Gemeinde, d. h. inwiefern berücksichtigt er bereits vor 1702 pastoraltheologische Gesichtspunkte? Ebenso: Wie bedingen seine pastoralen Erfahrungsreflexe ab 1702 die Entstehung und Weiterentwicklung seiner Pastoraltheologie und seiner Ansichten über Predigt und Sakramente? Mit dieser werkgeschichtlichen Frage drängt sich zwangsläufig die Problemanzeige hinsichtlich der Quellengrundlage der Untersuchung auf, wie sie sich angesichts der oben skizzierten Forschungslage bereits angedeutet hat: Arnolds Postillen, Reden, Katechismen und vor allem die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt fanden bislang nur unzureichend Berücksichtigung in der Forschung und wurden bisher kaum ins Verhältnis zueinander gesetzt. Zudem geht mit der werkgeschichtlichen Frage notwendigerweise auch die Frage nach der Kontinuität der Theologie Arnolds einher. Auf eben diese Frage kommt – wenn auch leicht blumig – Dibelius im Finalkapitel seiner Biographie zu sprechen: „Und wenn wir ihn auf der Pfarrstube dort an der Elbe oder nicht weit davon auf dem ‚Perlberg‘ belauschen oder ihm bei seiner seelsorgerischen Thätigkeit ‚in den Häusern sonderlich‘ begegnen: – ist das der schwärmerische Separatist aus Quedlinburg?“46
Diese Frage ist für die Arnold-Forschung immer zentral gewesen, wurde jedoch nie eingehend auf Arnolds Selbstverständnis als Pfarrer und seine Amtsführung bezogen, was in dieser Untersuchung nachzuholen ist: Inwiefern schlagen sich Arnolds pastoral-, predigt- und sakramentenkritische Positionen in seiner Amtsführung nieder? Werden sie überwunden, transformiert, relativiert? Ist Arnolds (pastoral-)theologische Entwicklung gar mit der Erstauflage seiner Geistlichen Gestalt von 1704 zu ihrem Ende gekommen, wie Ritschl meint und Büchsel andeutet?47 2. Die Frage nach den theologiegeschichtlichen Kontexten seiner Pastoraltheologie und pastoralen Tätigkeit. In der älteren Forschungsliteratur werden beide zu eindimensional dargestellt. Das gilt für Arnolds Pastoraltheologie, die bislang überhaupt nicht im Kontext der (naheliegenden) lutherisch-orthodoxen und quietistischen Pastoraltheologie verortet wurde, sondern nur vor dem Hintergrund derjenigen (altkirchlichen) Quellen, die Arnold selbst referiert (so etwa im Aufsatz von Schmidt). Das zeigt sich aber auch bei Dibelius, der – ohne es näherhin begründen zu wollen – dem Kanzelredner Arnold das Urteil spricht, dass dieser „in der Geschichte der Predigt keine bedeutende Stelle in Anspruch nehmen [kann], weil er nichts ihn besonders Charakterisierendes vor andern evangelischen Predigern voraus hat“, und dennoch darin hervorsteche, dass er im Gegensatz zu 46 Dibelius,
Arnold, 302. Ritschl, Geschichte des Pietismus, 319: „In diesen amtlichen Stellungen [in Werben und Perleberg] ist Arnold’s Theologie keine andere geworden, als sie vorher war.“ Vgl. Büchsel, Kirche, 162: „Nachdem Arnold einmal seine neue Aufgabe ergriffen und in der Geistlichen Gestalt dargelegt hatte, hat sich seine Stellung nicht mehr grundsätzlich geändert.“ 47 Vgl.
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den „mühsam nach der homiletischen Schablone“ geschriebenen Predigten der Orthodoxie „aus dem inneren Leben des Predigers herausgeborene Zeugnisse echt biblischer Wahrheit“ biete.48 Auch Arnolds Haltung zu den Sakramenten, vor allem aber zu deren Feier, d. h. zu den liturgischen Vollzügen ist bisher noch nicht in ein erhellendes Verhältnis zu den in Werben und Perleberg geltenden Agenden gesetzt, d. h. liturgiegeschichtlich verortet worden. 3. Die Frage nach konzeptionellen Zusammenhängen. Zuletzt müssen die drei Segmente Pastoraltheologie, Homiletik und Sakramententheologie, die von der bisherigen Forschung nur zaghaft und, wenn überhaupt, nur unabhängig voneinander in den Blick genommen wurden, aufeinander bezogen werden: Arnolds pastorale Praxis, wie er sie hinsichtlich der Predigt und Sakramente in seinen Schriften thematisiert, kann nicht ohne seine Pastoraltheologie verstanden werden, denn ihm zufolge handelt in der Predigt und der Feier der Sakramente eine pastorale Persönlichkeit, die ihre Autorität, ihr Auftreten, ihr Gebaren, ihr religiöses Selbstbewusstsein und ihre Beziehung zur Gemeinde einzig aus ihrer Berufung zum Amt, ihrer Gotteserfahrung, erlangt. Wer Arnolds Homiletik, Predigtpraxis, Sakramententheologie ohne seine Pastoraltheologie verstehen möchte, muss scheitern. In Anbetracht dieser Desiderate ist die folgende Untersuchung zweigeteilt: In einem ersten Teil – „Der Pfarrer bei Arnold“ – soll der Fokus auf der Entstehung und Entwicklung der Pastoraltheologie Arnolds liegen, weil sich nur von ihr aus die praktischen Amtsvollzüge (Predigt und Spendung der Sakramente) – „Arnold als Pfarrer“ – plausibel erklären und sachgemäß nachvollziehen lassen. Freilich überschneiden sich die beiden Teile werkgeschichtlich: Einerseits entwickelt Arnold auch noch im Pfarramt seine Pastoraltheologie weiter, andererseits thematisiert er bereits vor der Amtsübernahme in Allstedt Predigt und Sakramente in seinen historischen und polemischen Schriften. Die Zweiteilung der Untersuchung ist also in erster Linie der Konsistenz und Kohärenz der Darstellung geschuldet, entspricht aber auch einer theologischen Denkbewegung Arnolds, der davon ausgeht, dass der Pfarrer in seinem Amt nur realisieren könne, was er bereits ist, und ohne eine entsprechende, göttliche Berufung in allen pastoralen Handlungsvollzügen fehlgehen muss. Freilich kann an dieser Stelle gefragt werden, ob nicht noch andere pastorale Handlungsfelder wie Seelsorge oder Katechetik in den Blick genommen werden müssten. Dazu ist vorausgreifend zu sagen, dass für Arnold Predigt und Sakramente die wesentlichen notae ecclesiae und die zentralen pastoralen Betätigungsfelder darstellen.49 Der Katechismusunterricht wird von Arnold daher auch konsequent als Subtyp der Verkündigung aufgefasst, wenn auch keineswegs marginalisiert. Zur Seelsorge trifft Arnold keine spezifischen Aussagen, vielmehr erweisen sich ihm zufolge jede Predigt, jeder Gottesdienst, jedes gemeindliche Gespräch als ‚poimenische Gelegenheit‘, insofern der Pfarrer 48 Dibelius, 49 Vgl.
Arnold, 306. Kapitel I.3.2.2.
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in seiner ganzen Tätigkeit immerzu „Ratgeber“ seiner Gemeinde ist, ohne dass sich die Seelsorge als eigenes pastorales Feld abgrenzen ließe. Ein letzter Hinweis ist unerlässlich: In dieser historischen Untersuchung bleiben die mitunter kontrovers geführten pastoraltheologischen Debatten des 20. und 21. Jahrhunderts unberücksichtigt und ihnen wird keine heuristische Relevanz für die Erschließung des Œuvre Arnolds beigemessen, auch wenn gelegentlich – etwa hinsichtlich des Begriffs „Pastoraltheologie“, der für Arnold selbst anachronistisch ist, von der Forschung allerdings bemüht wird – begriffliche Klarstellungen erforderlich sind. Dennoch sind Arnolds Überlegungen insofern von Gegenwartsrelevanz, als er pastoraltheologische Axiome und Problemanzeigen formuliert, in denen sich die aktuellen pastoraltheologischen Debatten spiegeln können. Die Untersuchung wird diesen Transfer nicht explizit leisten, sondern stellt sich gewissermaßen selbst in die Tradition des historiographischen Ansatzes Arnolds, der in seinen historischen Schriften die Kirchengeschichte durchweg als eine Heterotopie, einen ‚Anders-Ort‘ erschließt, an dem andere Regeln, Konventionen, Sprachformen und Denkgebäude in Geltung stehen als in der kirchlichen Gegenwart.50 Dadurch versetzt er – mitunter stillschweigend und ohne selbst den Gegenwartsbezug explizit herstellen zu wollen – Kirchenhistorie und Gegenwart in eine spannungsreiche Parallelität, um die ihm zeitgenössische Kirche an ihrer Geschichte zu messen, sie ihrer historischen Bedingtheit zu vergewissern und unzeitgemäße dogmatische Abgrenzungen, autokratische Machtstrukturen und konfessionalistische Überblendungen kritisch zu beleuchten. Kurzum: Wenn Arnold über die strukturschwachen, mit Pferd und Wagen kaum an einem Sonntag zu erreichenden Landgemeinden im Brandenburg des Jahres 50 In seinem Aufsatz „Der Ort der Ökumene für die Katholizität der Kirche – von der unmöglichen Utopie zur prekären Heterotopie“ bestimmt der Salzburger katholische Dogmatiker Hans-Joachim Sander die Ökumene als „Heterotopie für die kirchliche Identität“ (Sander, Heterotopie, 198) und adaptiert damit eine zentrale Denkfigur Michel Foucaults, der „reale Räume […] wie Friedhöfe und Gärten, Bibliotheken und Bordelle, Theater und Kolonien“ als Orte bestimmt hatte, an denen „jeweils eine andere Ordnung der Dinge [herrscht], die machtvolle Größen freilegt, welche in der normalen Ordnung des Diskurses mit Ausschließungen belegt sind“ (a. a. O. 199). Auch die Begegnung mit der Andersartigkeit anderer christlicher Konfessionen würde die am ökumenischen Diskurs beteiligten Kirchen für ihre eigenen Lehrdefizite und mitunter einseitigen, dogmatischen Überblendungen sensibilisieren können: Ökumene als Heterotopie „legt frei, was in den Glaubenspositionen von Kirchen ausgeschlossen ist, aber deren Fähigkeit schwächt, dem Evangelium eine Sprache zu geben. Sie markiert, worin eine herrschende Ordnung der Dinge in einer Kirche defizitär ist und sprachlos macht“ (a. a. O. 200). Auch Gottfried Arnold argumentiert in einem solchen Sinne heterotop, wenn er seine Argumentation interkonfessionell spiegelt und lutherische Theologie, Gottesdienst und Polemik an fremdkonfessionellen Positionen misst, vor allem aber die Geschichte der Kirche als eine Heterotopie aufruft: Indem er die Regeln, Konventionen, Sprach- und Denkformen der Alten Kirche und der Kirche der frühen Reformation rekonstruiert, versetzt er – wie kein anderer Vertreter des radikalen Pietismus – die ihm zeitgenössische Kirche in eine kritische Distanz zu sich selbst. Vgl. zu interkonfessionell gespiegelten Argumentationsfiguren bei Arnold, Dippel und Petersen Bahl, Meister der Heterotopie, 183–190.
Einleitung: Arnolds Pastoraltheologie und pfarramtliche Praxis
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1712 klagt; wenn er über die alltäglichen Beschwerlichkeiten in seiner Gemeinde, die religiöse Sprach- und Achtlosigkeit, die Konflikte mit den politischen Lokalgrößen, die tiefgreifenden Ressentiments einer Gemeinde gegenüber ihrem Pfarrer lamentiert; wenn er Erschöpfung, Schlafmangel, Selbstzweifel und Depressionen einräumt; wenn er sich über selbstdarstellerische, gefallsüchtige oder duckmäuserische Kollegen echauffiert, die auf der Kanzel nur Seichtes, Oberflächliches, Langweiliges und Gefälliges von sich geben oder gar nur sich selbst zu predigen haben; aber auch wenn er von der Erfahrung der Inanspruchnahme durch das Göttliche, den Schatz der inneren, geistlichen Weite, die Achtsamkeit für Gottes hintergründiges Wirken in der Seele, mit anderen Wort: vom Gelingen des Amtes redet, dann berührt er vielleicht, ohne es ahnen zu können oder beabsichtigen zu wollen, zeitlose Basisstrukturen kirchlicher Realität und vermag es – trotz der nicht einzuholenden historischen Distanz – Prozesse kritischer Selbstreflexion anzustoßen.
I. Der Pfarrer bei Arnold
1. Ziel, Quellenauswahl, Darstellung Die Entwicklung der Pastoraltheologie Arnolds verläuft in drei (werkgeschichtlichen) Phasen: In einer ersten Phase nähert sich Arnold pastoraltheologischen Fragen aus einer historiographischen und kritisch-polemischen Außenperspektive an: In seinen kirchenhistorischen Schriften, vor allem in der Ersten Liebe (1696) und der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie, wie auch in der Erklärung Vom gemeinen Secten=wesen (1699/1700) leuchtet Arnold das altkirchliche Ideal des Lehrers und seinen Verfall in der nachkonstantinischen Kirche aus, nicht ohne die hamartiologische Grundarchitektur dieser Verfallsgeschichte auf die Reformation und die lutherische Orthodoxie zu übertragen. Mit Arnolds Antritt des Schlosspredigeramtes in Allstedt 1702 setzt eine zweite Phase ein: Nun befasst er sich mit dem Amt aus einer Innenperspektive und überführt die frühere Kritik konstruktiv in seine pastoraltheologische Hauptschrift Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers Nach dem Sinn und Exempel Der Alten ans Licht gestellet (1704), wobei er – mehr oder weniger offensiv – pastoraltheologische Ansätze des Quietismus und den pastoraltheologischen Diskurs der lutherischen Orthodoxie rezipiert und auf originelle Weise zu einer ‚evangelischen Amtsmystik‘ verflechtet. In einer dritten Phase verändert sich Arnolds Perspektive auf das Pfarramt abermals: In Werben (1705–1707) und Perleberg (1707–1714) ist Arnold nicht mehr nur als einfacher Pfarrer tätig, sondern versieht das Amt eines Inspektors, d. h. eines leitenden Geistlichen. Diese episkopale Perspektive schlägt sich deutlich in seinen späten Schriften nieder, in denen er die Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde wie auch das Verhältnis zwischen dem Pfarrer und seinen Amtskollegen aus einer kritischen Distanz betrachtet und der sichtbaren, äußerlichen Kirche einen größeren pastoraltheologischen Stellenwert beimisst als zuvor. Der Begriff der Pastoraltheologie bedarf vorweg einer kurzen Erläuterung und historischen Eingrenzung. Zwar drängt er sich aus der Arnold-Forschung auf – schon Dibelius bezeichnet Arnolds Geistliche Gestalt (1704) en passant als „Lehrbuch der Pastoraltheologie“,1 was bis in jüngste Forschungsarbeiten und Quelleneditionen nachklingt –,2 doch seine unkritische Verwendung suggeriert, 1 Dibelius, Leben, 184. Vor Dibelius rechnet schon 1839 Herzog, Pastoraltheologie, 188 Arnolds Geistliche Gestalt zur Pastoraltheologie. 2 Etwa Albrecht-Birkner/Breul u. a., Pietismus, 306; Kellner, Charisma, 386; Kerding, Theologia, 11; Lee, Luther-Rezeption, 138; Kirn, Deutsche Spätaufklärung und Pietismus, 151; Schneider, Der radikale Pietismus, 117; Schmidt, Arnold, 138 spricht gar von einer „in sich geschlossene[n] pietistische[n] Pastoraltheologie“.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
dass er zu Arnolds Zeit als theologischer Leit- oder aber als Gattungsbegriff in allgemeiner Verwendung stand. Dies ist jedoch schlechterdings nicht der Fall: Für Arnolds Zeit ist der Begriff „Pastoraltheologie“ noch völlig ungebräuchlich und tatsächlich steht die Frage im Raum, ob nicht ein gravierendes Missverständnis zu befürchten wäre, wenn man ihn – auch nur i. S. eines heuristischen oder informellen, beschreibungssprachlichen Begriffs – auf Arnold übertragen würde. So würde Arnold für seine Schriften wohl kaum Wissenschaftlichkeit, Allgemeingültigkeit oder unvoreingenommene Objektivität reklamieren – Qualitätsmerkmale, wie sie die (evangelische) Pastoraltheologie des 20. und 21. Jahrhunderts in ihrem Selbstverständnis als Teilsegment der Praktischen Theologie entschieden und mit gutem Recht für sich beansprucht.3 Auch die, wenn recht besehen, früheste Definition des Begriffs, wie sie Johann Lorenz von Mosheim in seiner gleichnamigen Schrift (1759) vorschlägt, trifft auf Arnolds Ansatz nur bedingt zu. Nach Mosheim ist die Pastoraltheologie zwischen pastoraler Sittenlehre und Lehrtheologie angesiedelt und erweist sich damit als „ein gründlicher und aus der heiligen Schrift und Vernunft genommener Unterricht […], von der Natur und Beschaffenheit des Predigtamts, von denen Rechten, die Gott denen Dienern des Evangelii verliehen, und von denen Pflichten, die sowol diejenigen in Acht zu nehmen, die sich zum Amte der Lehre vorbereiten wollen, als auch denjenigen, die würklich in denselben stehen, damit sie sich beydes selber als, auch diejenigen, so sie hören, selig machen. I Tim. 4,16“4.
Für Arnold steht von der Ersten Liebe (1696) an bis zur zweiten Auflage der Geistlichen Gestalt (1723) der „beruff“ des Pfarrers – genauer: die subjektive Erfahrung der göttlichen Berufung – im Fokus: Der Pfarrer wird von Gott in Anspruch genommen und darf seine Amtsgeschäfte einzig aus dieser Gotteserfahrung heraus verrichten. Arnold tendiert also durchweg zur ‚psychologischen‘ Introspektive5 und räumt der Gotteserfahrung des Lehrers einen normativen Rang in seinem pastoraltheologischen Ansatz ein: Arnold beschreibt nicht nur die göttliche Berufung, sondern schreibt sie als Ausgangspunkt allen pastoralen Handelns vor. Nur von dieser Warte aus möchte und kann er andere Aspekte des pastoralen Handelns in den Blick nehmen: Der Lehrer solle den Zuhörern die eigene Gotteserfahrung trans3 So definiert z. B. evangelischerseits Friedemann Merkel Pastoraltheologie folgendermaßen (Merkel, Pastoraltheologie, 76): „Evangelische Pastoraltheologie läßt sich verstehen als wissenschaftliche Reflexion des Auftrags der Kirche unter dem besonderen Aspekt des pastoralen Dienstes. In ihr wird der in der Ordination übertragene Dienst theologisch bedacht und die sich aus ihm ergebenden Aufgaben, Pflichten und Rechte sowie die persönliche Qualifikation für das Amt der Evangeliumsverkündigung kritisch beschrieben. Sie ist Reflexion über professio, Profession und Professionalität, des Pfarrers und der Pfarrerin im Hinblick auf die von ihnen wahrzunehmenden spezifischen Obliegenheiten unter den jeweils gegebenen kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen.“ 4 Mosheim, Pastoral Theologie, 2 f. = 5 Vgl. zum Begriff „Psychologie“ und zu seiner Abgrenzung gegenüber dem Empirismus wie auch zur Bedeutung der Seelenkunde im Pietismus Gundlach, Psychologie, insb. 309–313.
1. Ziel, Quellenauswahl, Darstellung
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parent und sie zum Hauptgegenstand seiner Verkündigung machen,6 gleichzeitig bleibe er immerzu durch die Zuhörer angefochten und dazu herausgefordert, seine Gotteserfahrung zu hinterfragen, zu internalisieren und zu verstetigen. Der Begriff „Pastoraltheologie“ muss also, soll er auf Arnolds Schriften Anwendung finden, immer in seiner berufungstheologischen, theozentrischen Zuspitzung und seiner introspektiven Tendenz verstanden werden. Nirgendwo möchte Arnold einen empirischen Überblick über sämtliche pastorale Handlungsfelder oder pastorale Kompetenzen geben, erst recht nicht, wenn diese im Verdacht stehen, einen von der Gotteserfahrung des Lehrers losgelösten Sinn und Wert beanspruchen zu wollen. Ein letzter Hinweis gilt der Form der folgenden Darstellung: Arnolds Schriften wirken mitunter überladen, redundant, regelrecht pompös und zirkulär. Damit erweist sich Arnold nicht nur als Sprössling des Barock, sondern auch als kundiger Mystagoge, der jenen Weg der sukzessiven Einkreisung und Versprachlichung von Glaubenserfahrungen imitiert, den er in den mystischen Schriften altvorderer Asketen wie Macarius, in den Reden der Kirchenväter und in den Traktaten der Quietisten Molinos und Guyon entdeckt. Arnolds Sprache und Darstellungsweise stehen im Dienst der Vergewisserung und Internalisierung der göttlichen Berufung, d. h. die Wahrnehmung der Gotteserfahrung soll sich zu einem beträchtlichen Teil im Akt des kontemplativen Lesens selbst vollziehen. Zum Zwecke der Sondierung des pastoraltheologischen Profils Arnolds wird es freilich nötig sein, die Zirkularität und Redundanz seiner Schriften behutsam aufzubrechen und, wo dies möglich ist, beschreibungssprachlich zu erschließen, auch wenn damit in Kauf genommen wird, ihre theologische Originalität, sprachliche Eigenart und mystische Anziehungskraft zu unterlaufen.
6 Die Begriffe Lehrer, Prediger und Pfarrer diffundieren bei Arnold. Tatsächlich hebt er sie nirgends trennscharf voneinander ab. Vgl. aber zur Tendenz des Lehrer-Begriffs das Kapitel I.3.1.
2. Arnolds Pastoralkritik und Pastoraltheologie in seinen historischen Schriften, patristischen Editionen und Apologien (1696–1702) Während die Pietisten insgesamt scharfe Kritik an der theologischen Ausbildung, den geist- und kraftlosen Predigten, der Inkongruenz von Lehre und Leben und der Ermangelung der Wiedergeburtserfahrung in der Pfarrerschaft üben,1 ist die Pastoralkritik Arnolds in besonderer Weise historisch akzentuiert. In dreierlei Hinsicht sind Arnolds Schriften von 1696–1702 für die Entwicklung seiner Pastoraltheologie, wie sie sich in der Geistlichen Gestalt von 1704 konzentrieren wird, richtungsweisend: Erstens weist Arnold im Vorwort der Geistlichen Gestalt darauf hin, dass diese als eine Komplementärschrift zu seiner historischen Studie Die Erste Liebe von 1696 gelesen werden müsse: Würde er sich in dieser mit der inwendigen, geistlichen Gestalt des Lehramts befassen, habe er in jener Ideal und Verfall des Predigerstandes in der Geschichte dargestellt.2 Die Erste Liebe wird in diesem Kapitel daher nicht nur wegen ihres chronologischen Vorrangs primo loco behandelt, sondern auch, weil Arnold in ihr das urkirchliche Ideal des Lehrers und dessen Verfall so ausführlich und systematisch behandelt wie in keiner anderen seiner Schriften. Auch die Unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700) vermag die Darstellung der Ersten Liebe kaum zu vertiefen, „verlängert“ diese aber in die Reformationszeit und darüber hinaus, insofern Arnold die hamartiologisch grundierte Geschichtsdeutung der Ersten Liebe konsequent auf die Reformation anwendet und damit die Kritik an den lutherischen Predigern, wie er sie in der Ersten Liebe allenfalls angedeutet hat, explizit macht (2.1.). Zweitens nähert sich Arnold aus einer personengeschichtlichen Perspektive der Frage an, ob und auf welche Weise es möglich sein kann, das urkirchliche Lehrerideal innerhalb der Grenzen der verfallenen Kirche zu bewahren und zu realisieren: Gregor von Nazianz (ca. 329–390) repräsentiert für Arnold gewissermaßen den Archetypen des asketischen Lehrers unter den Bedingungen des Verfalls. In der Darstellung des Kappadoziers antizipiert Arnold wichtige Aspekte seiner späteren pastoraltheologischen Schriften. So stellt er Gregor in der zweiten, umfassend erweiterten Ausgabe der Macarius-Homilien, dem Denckmahl Des Alten Chris1 Vgl. Schmidt, Pfarrerideal, 123–130 zur Pfarrkritik bei Spener und Francke; vgl. die überaus instruktive Sondierung des weitreichenden Themenkomplex der akademischen Ausbildung von Pfarrkandidaten von vom Orde, Nachwort, bes. 242–260. Vgl. zudem Brecht, Pfarrer und Theologen, 211–217. 2 Vgl. GG, Einleitung, ):(4r.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
tenthums (1699), aber auch in der Ersten Liebe und der Kirchen- und Ketzerhistorie als skrupulösen, um die göttliche Berufung ringenden, zerrissenen Lehrer dar, welcher, obwohl er unbestritten als orthodoxer Kirchenvater gilt, die Unbill der verfallenen ‚Clerisey‘ zu spüren bekommt (2.2). Drittens und zuletzt entwickelt Arnold im Zuge des literarischen Schlagabtauschs mit dem Helmstedter Theologieprofessor Ernst Salomon Cyprian, welcher vor allem Arnolds Pastoralkritik in der Kirchen- und Ketzerhistorie scharf verurteilt hat, erste konsistente Ansätze zu einer instruktiven Pastoraltheologie: Wenn auch noch im Modus der Apologie und polemischen Abgrenzung – in der gegen Cyprian gerichteten Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen treten die Grundzüge der Pastoraltheologie Arnolds erstmals deutlich hervor (2.3).
2.1. Ideal und Verfall – pastoraltheologische Ansätze in Arnolds historischen Hauptschriften Arnolds historische Hauptwerke, die Erste Liebe aus dem Jahr 1696 und die Kirchen- und Ketzerhistorie aus den Jahren 1699/1700, stellen in zweifacher Hinsicht wichtige Vorarbeiten zu seiner späteren Pastoraltheologie dar: Zum einen entwickelt Arnold hier zum ersten Mal eine Idealvorstellung der Berufungstheologie der Alten Kirche, zum anderen konstruiert er eine hamartiologisch grundierte Konzeption des Verfalls der Lehrer des nachkonstantinischen Zeitalters. Diese Verfallsidee wird Arnold in der Geistlichen Gestalt von 1704 aufgreifen und in eine instruktive Pastoraltheologie wenden, doch auch bereits in den historischen Werken von 1696 und 1699/1700 tendiert die Darstellung zur übergeschichtlichen pastoraltheologischen Zeitdiagnose, geht also in einigen Punkten entschieden über die rein historiographische Dokumentation hinaus. An der Wiege der Verfallsidee Arnolds steht der englische Theologe und Patristiker William Cave (1637–1713). Die in Arnolds erster Quedlinburger Zeit verfasste und 1696 erstmals erschienene Abhandlung Die Erste Liebe Der Gemeinen Jesu Christi / Das ist / Wahre Abbildung Der Ersten Christen / Nach Ihren Lebendigen Glauben Und Heiligen Leben. Aus der ältesten und bewährtesten Kirchen-Scribenten eigenen Zeugnissen / Exempeln und Reden versteht sich als Replik auf Caves Primitive Christianity: Or, the Religion of the ancient Christians in the first Ages of the Gospel (1672), das 1694 unter dem Titel Erstes Christenthum oder Gottesdienst der alten Christen in den ersten zeiten des evangelii erstmals in deutscher Sprache erschien.3 Cave hatte in dieser Schrift nachweisen wollen, dass die anglikanische via media – 3 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und Konzeption der Ersten Liebe Schneider, Erste Liebe, 186–197; Wallmann, Pietismus, 154–156; Büchsel, Wandlungen, 146–148; Dibelius, Arnold, 55–77, bes. 68–74; Goeters, Arnolds Anschauung, 245–256; Bienert, Ketzerbegriff; vgl. auch Schäufele, Geschichtsbewusstsein; vgl. zur Rezeption der Ersten Liebe in radikalpietistischen Gemeinschaften und zu den literarischen Abhängigkeiten zwischen der Ersten Liebe
2. Arnolds Pastoralkritik und Pastoraltheologie
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der Mittelweg zwischen reformatorischer Lehre und katholischer Liturgie – wie auch die episkopale Kirchenverfassung auf die Alte Kirche zurückgehen und daher eine unvergleichliche Altehrwürdigkeit und Legitimation für sich beanspruchen können. Eben diese Merkmale möchte Arnold in der Ersten Liebe als nachkonstantinische Dekadenzerscheinungen entlarven. Auch und besonders auf dem Feld der Pastoraltheologie – konkret: hinsichtlich des altkirchlichen Amtsverständnisses, der klerikalen Hierarchie und der Beziehung zwischen Lehrern und Gemeinden – gibt sich Arnolds Erste Liebe als unmittelbare Antwort auf Cave zu verstehen, welcher im achten Kapitel seiner Schrift – „Von denen personen / daraus die gantze gemeinde weiland bestanden hat / nemlich so wol von denen zuhörern / als auch von denen priestern“4 – eine ungebrochene Kontinuität in der Entwicklung der hochdifferenzierten Ämterstruktur, in der Unterscheidung von Klerikern und Laien und im Gehorsamsverhältnis zwischen Gemeinden und Lehrern von der apostolischen bis in die konstantinische Zeit annehmen wollte und in der Wende von 311 nicht den Einbruch des Verfalls, sondern die Vervollkommnung der Alten Kirche heraufziehen sah.5 Auch wenn der Kontrastierung von Ideal und Verfall des Predigerstandes in der Ersten Liebe nicht die gleiche strukturgebende Bedeutung zukommt wie in der späteren Kirchen- und Ketzerhistorie, liegt sie der Schrift unverkennbar zugrunde und dient auch der folgenden Darstellung als Erschließungsrahmen.6 und den Zeugnissen über die Gebets- und Erbauungsversammlungen jener Gemeinschaften die wichtige Untersuchung von Hoffmann, Erste Liebe, 172–174. 4 Cave, Christenthum, 219. 5 Vgl. v. a. a. a. O. 263–272. Die pastoralkritische Tendenz der historischen Schriften Arnolds ist bisher fast völlig unbeachtet geblieben, lediglich Greschat, Kirchenkritik, 51 weist am Rande darauf hin. 6 Die Darstellung des altkirchlichen Ideals des Predigerstandes und dessen Verfall nimmt in der Ersten Liebe einen viel größeren Raum ein als bei Cave selber. Der größte Teil des zweiten und fast das gesamte achte Buch entfallen hierauf. Bereits die Platzierung dieser Kapitel im Gesamtaufriss der Ersten Liebe und ihr innerer Aufbau sind für das Verständnis des Arnold’schen Verfallsgedankens sehr aufschlussreich (vgl. zum Aufbau der Ersten Liebe Schmidt, Pietismus, 90 f; Wetzel, Kirchengeschichtsschreibung, 183–186): Während sich Arnold im ersten Buch ganz auf das Gottesverhältnis der einzelnen Gemeinden konzentriert, indem er „Von der Ersten Christen Pflicht und Bezeigung gegen GOTT“ handelt und zeigen möchte, dass die alte, urkirchliche Gemeinde in einem Zustand der unmittelbaren Vereinigung mit Christus gelebt hat (vgl. v. a. das 20. Kapitel des ersten Buches), rücken schon mit dem zweiten Buch die Prediger bzw. Lehrer in sein Blickfeld: Arnold setzt sich mit dem Gottesdienst – zuerst mit dem Gebet, dann dem Gesang, dem Ort der Zusammenkünfte, der Zeit „ihrer geistlichen Übungen“ – auseinander und stellt die Gemeinde als autonome, gleichgesinnte, demokratische und gänzlich unhierarchische Gemeinschaftsform dar. Ausgehend von diesem Gemeindeideal handelt er sodann „Von denen Personen in der Gemeinde / und sonderlich denen so genannten Layen“ und den „Weib=Personen in den ersten Gemeinen“. Das unmittelbar darauf folgende Kapitel, in dem Arnold die „sonderbahre[] und einsame[] Lebens=Art“ der Christen darstellt, relativiert die Bedeutung der Lehrer für die Gemeinde weitergehend, insofern die Lehrer erst in seinen Blick rücken, nachdem er die Christen in die Einsamkeit und Subjektivität ihrer Gotteserfahrung verwiesen und die vorkonstantinische Gemeinde als eine Zusammenkunft von Gleichgesinnten charakterisiert hat. Mit der Frage nach ihrer „Wahl und Beruffung“ fragt
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I. Der Pfarrer bei Arnold
2.1.1. Arnolds Rekonstruktion des altkirchlichen Lehrerideals in Abgrenzung zu William Caves Primitive Christianity Wenn Arnold im zweiten Kapitel der Ersten Liebe das vorkonstantinische Ideal des Lehrers darstellt, konterkariert er unverkennbar das Kleriker-Kapitel in Caves Erstem Christenthum, der eine Kontinuität der Entwicklung der Gemeinde- und Ämterstrukturen im Zuge der allmählichen Ausbreitung des Christentums annehmen wollte. Die konstantinische Wende fasst Cave nicht als historische oder quellenheuristische Zäsur auf, weswegen er vor- und nachkonstantinische Quellen auf einer Ebene behandeln, Paulus neben Basilius Magnus, Cyprian neben nicänische Konzilsbeschlüsse stellen und – auf dem Höhepunkt des Kapitels – in Konstantin einen herausragenden Wohltäter und Liebhaber des Christentums erblicken kann, der die hierarchische Ämterstruktur der Urkirche bestätigt, fördert und ins Recht setzt. Die Gründe für diese Darstellung liegen auf der Hand: In der vom Kaiser protegierten Bischofskirche erblickt Cave das Urbild der anglikanischen Staatskirche, in welcher kirchliche und politische Macht symbiotisch miteinander verflochten sind. Auf drei pastoraltheologisch relevanten Feldern grenzt sich Arnold von Cave ab: Er nimmt für die Urkirche eine egalitäre Gemeindestruktur (1.), ein ausgesprochen großes Mitsprache- und Vetorecht der Gemeinde bei der Berufung Arnold nach ihrer Legitimation und nach dem Verhältnis von innerlicher (durch Gott) und äußerlicher Berufung (durch die Kirche) und führt im Fortgang allgemeine und spezifische („ins gemein“ und „sonderbahre[]“) Pflichten der Prediger auf, bevor er die Binnenhierarchisierung der Lehrer („Unterscheid / Stuffen / Anzahl und andern Umständen“) und ihre Aufgaben – Predigt, Katechismus-Lehre und Sakramentenverwaltung – skizziert. Arnold zeigt also schon allein durch die Anordnung seiner Darstellung die bloß relative Bedeutung der Lehrer für die urkirchliche Gemeinde an. Im achten Buch wendet sich Arnold dem Predigerstand erneut zu. Das Buch bildet Höhe- und Wendepunkt in der Ersten Liebe, insofern Arnold nun den „Verfall des Christenthums / vornehmlich unter und nach Constantino Magno von der ersten Lauterkeit“ darstellt. Den Predigern kommt in dieser Dekadenzgeschichte die Schlüsselrolle zu. Zwar bestimmt der durch äußere Ruhe, Wohlstand und enge Verbindung zwischen Kirche und staatlicher Obrigkeit einsetzende Erosionsprozess die ganze Kirche (Kapitel 1–6), doch erst mit dem „unrechtmäßigen Beruff“ (so die Überschrift des siebten Kapitels) zum Predigeramt bricht sich dieser vollends Bahn und führt zur Erosion der Gemeinden (vgl. dazu ausführlich Kapitel I.2.1.2.). Zwischen dem zweiten und dem achten Buch der Ersten Liebe besteht nun eine gewisse konzeptionelle Unausgewogenheit, die sich in mancherlei Redundanzen und Dubletten niederschlägt. Im achten Buch spitzt Arnold die Erste Liebe dahingehend zu, dass erst durch die konstantinische Kirche der Verfall des altkirchlichen Ideals einsetzen konnte. Auffälligerweise sind Vorverweise auf das achte Buch im zweiten Buch jedoch viel seltener als Rückverweise vom achten ins zweite, was darauf hindeuten könnte, dass Arnold das achte Buch nachträglich konzipiert und als kontrastiven Teil den sieben vorausgehenden Büchern, die das altkirchliche Ideal schildern, nachstellen wollte, um seine Darstellung zu schärfen. In ihrer Endgestalt führt das achte Buch der Ersten Liebe gewissermaßen an den Rand der Kirchen- und Ketzerhistorie, in der Arnold die Polarisierung von nachkonstantinischer Kirche und altkirchlich-subjektivistischem Christentum zum Leitkriterium erhebt (vgl. pointiert und zutreffend Greschat, Kirchenkritik, 53).
2. Arnolds Pastoralkritik und Pastoraltheologie
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der Lehrer (2.) und eine mystische Berufungserfahrung der Lehrer als Kern ihres pastoralen Selbstverständnisses (3.) an.7 1. Die altkirchliche Gemeindestruktur. Cave geht es im Ersten Christenthum darum nachzuweisen, dass sich die Gemeinden ihren Priestern und Bischöfen willig und folgsam unterworfen hätten8 und dass die Hierarchisierung innerhalb der Kirche eine notwendige Konsequenz der unaufhörlich voranschreitenden Ausbreitung des Christentums gewesen sei.9 Der weitläufige, akribische Nachweis von Ämtern, Rängen, d. h. „classen und ordnungen […] / welche alle ihre unterschiedliche örter in der kirche hatten“,10 ist für Caves Darstellung daher ebenso charakteristisch11 wie die ausdrückliche Demarkation zwischen dem κλῆρος i. S. 7 Im Folgenden wird stets versucht, die genaue Herkunft der Fremdzitate zu klären und anhand (moderner) Editionen zu verifizieren. Arnold übersetzt seine Quellen fast durchweg unmittelbar ins Deutsche, ohne den lateinischen oder griechischen Wortlaut zu zitieren – auch dies soll (in den Anmerkungen) nachgeholt werden. In Einzelfällen ist diesem Unterfangen leider kein Erfolg beschieden gewesen, weil Arnolds Angaben ungenau oder irreführend sind, auf nicht mehr rekonstruierbaren Segmentierungen oder Kapitelzählungen der Quellentexte beruhen oder er sie aus Exzerpten oder Schriften anderer Autoren übernommen hat. 8 Vgl. u. a. Cave, Christenthum, 260–262, wo Cave auf die Ergebenheit der Gemeinden gegenüber ihren Priestern ausführlich eingeht. 9 Vgl. a. a. O. 222: Es sei nötig gewesen, „die gantze gemeinde in gewisse hauffen einzutheilen / welchen gewisse priester und geistliche leiter vorgesetzt wurden / die aber doch auch alle miteinander unter der auff sich und sorge des präsidenten und bischofs selbigen ortes waren.“ Vgl. auch a. a. O. 231: „Weil es aber nicht möglich ist / daß eine gemeinde und gesellschafft der menschen kan nach der ordnung dirigiret und gehalten werden / es sey denn daß gewisse personen darzu kommen / welche die auffsicht darüber haben / und die sachen der gantzen gemeinde in ordnung bringen / so wolle wir auch gleich itzung untersuchen / was vor personen in der ersten kirche gewesen / die zu führung und abhandlung ihrer geschäfte und öffentlichen verwaltung ihrer ämter sind verordnet und bestellet worden.“ 10 A. a. O. 221. 11 Nicht nur innerhalb des altkirchlichen Klerus, sondern auch innerhalb der Zuhörerschaft kann Cave eine überaus umfangreiche und differenzierte hierarchische Ordnung rekonstruieren, wobei er verschiedene Kategorien in den Blick nimmt: Er kann unter den Katechumenen die „vollkommeneren“ – die zur Taufe bereit gewesen seien – von den „unvollkommenern und unwissenden“ unterscheiden, wobei er sich auf Theodor Balsamos’ Kommentierung des 5. Kanons des Konzils von Neu-Caesarea 314/315 bezieht (vgl. PG 137, 1208: Δύο τάξεις τῶν κατηχουμένων εἰσίν. οἱ μὲν γὰρ ἂρτι προσέχονται, καὶ, ὡς ἁτελέστεροι, μετὰ τὴν ἀκρόασιν τῶν Γραφῶν καὶ τῶν θείων Εὐαγγελίων εὐθὺς ἐξίασιν. οἱ δὲ ἤδη προςῆλθον, καὶ γεγόνασι τελεώτεροι ὅθεν καὶ τὴν ἐπὶ τοῖς κατηχούμένοις εὐχὴν ἀναμένοντες, τὸ γόνυ κλίνουσιν ἐν ταύτῃ). Mit Basilius dem Großen möchte er, abhängig von der Hörerschaft, verschiedene Verkündigungsinhalte sondieren: Die κηρύγματα, die allgemeinen Dinge, „die da frey und ohne scheu dem volck kunten vorgetragen und hergeprediget werden“ und die δόγματα, d. h. die „hohen und geheimnis=vollen lehren und stücke des christlichen glaubens“, z. B. die Trinität (Cave, Christenthum, 224 mit Bezug auf Basil. spir. 27,66 [vgl. SC 17/2; 479,15–486,95 = FC 12, 273–280]). Mit Gregorios Thaumaturgos möchte er wiederum die Katechumenen in fünf Gruppen unterteilt wissen: von den Büßern, „die da weineten und heuleten“, bis hin zu den „gläubigen“, die zum Abendmahl zugelassen seien (vgl. Cave, Christenthum, 229–231, mit Bezug auf Ep. can. 11 [vgl. PG 10, 1048]: Ἡ πρόκλαυσις ἔξω τῆς πύλης τοῦ εὐκτηρίοθ ἐστιν. ἔνθα ἑστῶτα τὸν ἁμαρτάνοντα χρὴ τὼν εἱστόντων δεῖσθαι πιστῶν, ὑπὲρ αὐτοῦ εὔχεσθαι). Prägnant ist für Caves Darstellung zudem, dass er die „mönche“ und „einsiedler“ dezidiert aus seiner Darstellung ausklammert, weil das Mönchtum erst später
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des „eigenthum[s]“ und „theil[s]“ Gottes und dem übrigen Kirchenvolk.12 Der geistliche Stand ist nach Cave von Anbeginn der Kirche an nach Bischöfen, Presbytern und Diakonen untergliedert gewesen, wobei die Bischöfe den Presbytern und diese den Diakonen weisungsbefugt gewesen seien.13 Cave setzt also für die Urkirche den Monepiskopat als vorherrschende kirchliche Organisationsstruktur voraus, weitergehende Unterscheidungen dieser Ränge (Weihbischöfe, Metropoliten, Patriarchen, Primasse, Sub- und Erzdiakone)14 und die Entstehung der parochialen und diözesalen Verwaltungsgliederung der Kirche seien hinlänglich mit der allmählichen Konsolidierung des Christentums zu erklären.15 Für Cave ist es entscheidend, dass jenen herausragenden Klerikern die Gemeinden „grose ehre und respect“,16 ja einen blinden Gehorsam, entgegengebracht hätten: „Es ist mehr als zu gewiß / man hielte damals die bischöffe und geistlichen vor die allgemeinen eltern der Christen / man ehrte und respectirte sie mit kindischem gehorsam / und wurde in keiner sache etwas wichtiges vorgenommen / darinne sie nicht erst zuvorhero um rath gefraget wurden.“17
Völlig konträr zu Caves Auffassung bestimmt Arnold die vorkonstantinische Kirche dezidiert als egalitäre und paritätische Gemeinschaftsform, als eine unhierarchische Geistkirche, welche im Beten, Singen und gemeinnützigen Zusammenleben miteinander verbunden war, während jede Leitungsfunktion auf die Gottesbeziehung der ganzen Gemeinde bezogen bleiben und dieser zuträglich sein sollte.18 Im Kapitel „Von denen Personen in der Gemeine und sonderlich denen so genannten Layen“19 – schon die Überschrift gibt sich auf den ersten Blick als subtile Kritik an Caves Kapitel „Von denen personen / daraus die gantze gemeinentstanden und nicht Teil des Klerus gewesen sei (vgl. Cave, Christenthum, 257). Immerhin weist er darauf hin, dass die Mönche „wegen ihres ungemeinen und strengen lebens einiger massen eine verwandtschaft mit denen geistlichen hatten“ (a. a. O. 257). 12 A. a. O. 232. 13 Vgl. a. a. O. 233.241.242 f und vor allem 244. 14 Vgl. insgesamt a. a. O. 232–244, insb. 232–240. 15 Vgl. insbesondere a. a. O. 234.239. 16 A. a. O. 260. 17 A. a. O. 262. 18 So berichte Justin der Märtyrer davon, dass der Vorsteher der Gemeinde das Gebet nur so weit angeleitet habe, „so viel er Krafft gehabt habe“ (EL 1,152). Arnold verweist hier auf die zweite Apologie, dürfte jedoch tatsächlich Just. apol. I, 65 im Blick haben, wo davon gesprochen wird, dass das Volk das Gebet des Vorstehers mit einem Amen beschließt (vgl. PTS 38/47; 126,8– 12): Ἔπειτα προσφέρεται τῷ προεστώτι τῶν ἀδελφών ἄρτος καὶ ποτήρια ὕδατος καὶ κράματος, καὶ οὗτος λαβών αἷνον καὶ δόξαν τῷ πατρὶ τῶν ὅλων διὰ τοῦ ὀνόματος τοῦ υἱοῦ καὶ τοῦ πνεύματος τοῦ ἁγίου άναπέμπει καὶ εὺχαριστίαν ὑπὲρ τοῦ κατηξιῶσθαι τούτων παρ‘ αὑτοῦ ἐπὶ πολὺ ποιεῖται). Das
Gebet sei erst im Laufe der Kirchengeschichte formalisiert und formularisiert worden, bis eine verwirrende Anzahl von Gebetsformularen miteinander konkurrierten, aus denen die Bischöfe ganz nach eigenem Ermessen einzelne ausgewählt und der Kirche vorgeschrieben hätten (vgl. EL 1,152). Die Formularisierung des Gebetes wird im ganzen Pietismus scharf kritisiert, vgl. Wallmann, Frömmigkeit und Gebet, v. a. 89–94. 19 EL 1,195.
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de weiland bestanden hat / nemlich so wol von denen zuhörern / als auch von denen priestern“20 zu erkennen – möchte sich Arnold zwar durchaus insofern an Caves Darstellung orientieren, als er wie jener die Gemeinde nach „Lehrern“ und „Zuhörern“ unterscheidet,21 erinnert aber zugleich daran, dass jede weitergehende, feinere Hierarchisierung des Lehrstandes aus „ruhigeren“22 nachkonstantinischen Zeiten stammen müsse und dass die geistlichen Begabungen der Christen keineswegs auf den Lehrstand beschränkt gewesen seien: Göttliche Weisheit,23 Wundertätigkeit (konkret: Glossolalie, Heilungen, Exorzismen oder Prophezeiungen) und die Fähigkeit, Theologie zu treiben und zu predigen, seien immer auch den Laien zugekommen.24 Von diesem Standpunkt aus muss Arnold freilich dem Einwand begegnen, dass im Neuen Testament und in der patristischen Literatur durchaus verschiedene Ämter, Amtsbezeichnungen und Amtsfunktionen Erwähnung finden, was Cave ja geradewegs zum Dreh- und Angelpunkt seiner Darstellung gemacht hatte.25 Durchaus räumt Arnold ein, dass in neutestamentlicher und altkirchlicher Zeit nominell zwischen Bischöfen, Diakonen, Ältesten usw. unterschieden worden sei, erinnert jedoch zugleich daran, dass diese Unterscheidung v. a. auf unterschiedliche Dienstfunktionen der Amtsträger hinsichtlich der Gemeinde hinweise.26 Aus Paulus’ bloßer Aufzählung von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern (Eph 4,11) lasse sich keineswegs eine Differenzierung nach „Orden oder Grade[n]“27 ableiten, was schon allein daran erkennbar sei, dass in der Alten 20 Cave,
Christenthum, 219. EL 1,195. 22 Vgl. EL 1,195. 23 Vgl. EL 1,196. 24 Dies kann Arnold bereits am Neuen Testament festmachen: Christus habe seine Geheimnisse nicht den Weltweisen, sondern den Unmündigen mitteilen wollen (Mt 11,25 f) (vgl. EL 1,197). Zudem sei es Gottes Wille gewesen, durch die Apostel, welche aus einem gänzlich unintellektuellen Milieu stammten und früher weltliche Berufe ausübten (Fischer, Zöllner und Teppichmacher), seine Lehre zu verbreiten und ganze Völker zu bekehren (vgl. EL 1,199), wobei Arnold auf Chrysostomus’ erste Matthäus-Homilie zurückgreift, vgl. Joh. Chrys. in Mt. hom. 1,6 (vgl. PG 57, 20): […] τελῶναι, καὶ ἁλιεῖς, καὶ σκηνοποιοὶ […]. Auch auf das Ganze der Kirchengeschichte besehen betont Arnold, dass die vermeintlichen Laien mitunter größere Geistesgaben unter Beweis gestellt hätten als versierte Theologen: Origenes etwa habe lange Zeit abseits der Kirche „als eine privat-Person lange zuvor [gelehrt] / ehe er in die Clerisey auffgenommen worden“ (EL 1,203) und auf dem Konzil von Nicäa habe ein völlig ungelehrter „Bekenner Christi“ (EL 1,196) einem Philosophen Einhalt geboten, der „wider die Christliche Wahrheit ihnen allen so viel zu schaffen [machte] / daß sie ihm weder auff seine Gründe richtig antworten / noch die ihrigen recht behaupten konnten“ (EL 1,196), was die Konzilsväter mit großem Scham erfüllte (vgl. EL 1,196 f). 25 Vgl. EL 1,266. Arnold dürfte hier explizit Cave ins Visier nehmen wollen, wenn er meint, dass unter den Gelehrten ein großer Streit über die Frage entbrannt sei, „was vor Unterscheid unter denen Lehrern nach ihren äußerlichen Stande / Nahmen und Verrichtungen / bey den ersten Christen gewesen sey“. 26 Vgl. EL 1,266. 27 EL 1,266. 21 Vgl.
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Kirche – wie Arnold anhand einiger Beispiele aus dem Neuen Testament belegen möchte (Apg 20,17.28; 1 Kor 3,5; 2 Kor 3,6; Tit 1,5.7; 1 Petr 5,1 f) – eine große Unsicherheit hinsichtlich der genauen Bezeichnung und des Funktionsumfangs jener Ämter geherrscht habe:28 Mal nenne man die Bischöfe Älteste, mal Diener, d. h. Diakone. Arnold stellt daher mit Hieronymus fest, „daß die Bischöffe und Aeltesten einerley seyn“29 und dass die Gemeinden von den Ältesten „mit einstimmigen Rath“30 geleitet wurden.31 Auch die parochiale Ordnung und größere Organisationseinheiten wie Diözesen oder Kirchenprovinzen seien für die Alte Kirche völlig untypisch, vielmehr sei es vor der konstantinischen Wende ganz selbstverständlich gewesen, dass ein Lehrer auch in einer anderen als seiner eigenen Gemeinde gelehrt32 oder aber Sendbriefe an diese verschickt habe.33 Alle darüber hinausgehenden episkopalen Machtstrukturen versteht Arnold als Merkmale der verfallenen Kirche: „[…] welches die Regiersucht und Tyranney der Bischöffe machet / sonderlich derer Römischen“.34 Arnold zeichnet also – in dezidierter Abgrenzung zu Cave – eine Urkirche, in der sich die Ämter und Gemeindefunktionen nur hinsichtlich der jeweiligen Notwendigkeit und der geistlichen Bedürfnisse der Gemeinde ausdifferenzierten.35 Eine wie auch immer geartete Hierarchie im Sinne einer Herrschaft über andere kann Arnold in der vorkonstantinischen Kirche nicht erkennen,36 allenfalls im Sinne einer ἱερα-διακονία oder ἱερα-δουλεία.37 28 Vgl.
EL 1,266. mit Verweis auf Hier. ep. 85 (ad Evagrium), womit jedoch Hier. ep. 146 (ad Euangelum Presbyterum) gemeint sein muss (vgl. CSEL 56, 308–312), denn Arnolds Zitat stammt, wenn auch verkürzend, aus eben jenem Brief (vgl. CSEL 56; 308,5–310,7). 30 EL 1,267 mit Verweis auf Hier. ep. 125 (IV ad Rust.) (vgl. CSEL 56, 118–142). 31 Zudem habe man die Begriffe „Clerus, Clericus, Clerisey / Geistlichkeit / Priesterschafft und dergleichen“ nicht gekannt, vielmehr habe man von „Lehrer / Anführer im Worte (ἡγουμένους τοῦ λόγου) / Vorsteher (προεστῶτας) / Führer der Gemeinen (ἐκκλησιῶν προηγουμένους) ἡγουμέ νους […] Prediger des Wortes von der Gottseligkeit […] / und so weiter“ gesprochen, d. h. nur solche Amtsbezeichnungen zugelassen, in denen „keine Herrschafft / Hoffart / Infallibilität oder dergleichen enthalten war“ (EL 1,261). 32 Vgl. EL 1,263. 33 Vgl. EL 1,263. 34 EL 1,264. Unter dem Begriff „Parochie“ sei keine isolierte Gemeinde verstanden worden, sondern vielmehr „eine solche Gemeine / die als Fremdling und Pilgrim nur hier auff Erden lebete / nicht aber ihren gewissen Sitz mit Gebäuen und Gräntzen feste eingerichtet hatte […]“ (EL 1,264). Arnold bezieht sich hier auf Apg 13,17, 1 Petr 1,17 und eine bemerkenswerte Reminiszenz im Präskript des Polykarp-Martyriums, wo die Gemeinde von Smyrna sich selbst wie auch die angeschriebene Gemeinde von Philomelium als παροικοῦσα bezeichnet (Arnold verweist hier auf die Überlieferung des Polykarp-Martyriums bei Eus. Hist. eccl. 4,15, vgl. GCS.NF 6,2; 336,5). 35 Vgl. EL 1,261: „Man wuste wol von Lehrern und Zuhörern / von Hirten und Schaafen / von Vorgängern und Nachfolgern / aber einen eigenen Orden oder Stand / mit absonderlichen Nahmen / Kenn=Zeichen / Titeln und Gesetzen / hatte man noch nicht. Die Gläubigen hatten einerley Rechte und Privilegia in dem Reiche der Gnaden […].“ 36 Vgl. EL 1,268: „So war demnach die Hoheit oder so genannte Hierarchie der Bischöffe durchaus nicht von GOtt oder denen Aposteln her / wie sie eine Herrschafft über das Erbe GOTTes einführte.“ 29 EL 1,265 f
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2. Die Berufung der Lehrer durch ihre Lokalgemeinde. Cave berichtet, dass – ähnlich wie im Judentum – die christlichen Kleriker „durch gewisse arten des gebets und auflegung der hände eingewiesen und bestellet [wurden]“.38 Üblich sei dabei eine „gedoppelte auflegung der hände“ gewesen, nämlich eine erste im Sinne der Bestellung der Diener und „einweyhung“,39 eine zweite „mit segnen und wünschen“.40 Das Kirchenvolk sei in diese Bestellung und Ordination der Amtsträger insofern miteinbezogen gewesen,41 als ihm die Kandidatur zeitig angekündigt und ein Einspruchsrecht eingeräumt worden sei, vor allem, „wenn etwa das volck bey ihrem leben und wandel etwas erhebliches zu erinnern hätte“,42 so dass schon im Auswahlprozess die „unwürdigen und untüchtigen verworffen“43 worden seien. Man habe – auch bei der Besetzung von Ämtern in entlegenen Orten – Leben und Lehre des Kandidaten genau geprüft und stets erhoben, „ob sich auch ein mann an denjenigen ort schickte / dahin er beruffen war / und [die Gemeinden] forschten fleisig nach seinem leben und wandel / wie er seine jugend zugebracht / und ob er sich auch darinne nach möglichkeit der gottesfurcht beflissen hätte“.44 Zudem sei es unüblich gewesen, die Ämterleiter ohne entsprechende Karenzzeiten zu erklimmen45 oder aber in allzu jungen Jahren berufen zu werden.46 Cave zuwiderlaufend leitet Arnold aus dem Egalitäts- und Paritätsprinzip und dem rein funktionalen Amtsverständnis, wie er es für die vorkonstantinische Kirche rekonstruiert hat, umfängliche Prüfkompetenzen der Gemeinde hinsichtlich ihrer Lehrer ab. Dabei schickt er als Grundsatz voraus, dass in der vorkonstantinischen Gemeinde die Lehrer ausschließlich durch Gott berufen worden seien, der Gemeinde jedoch eine attestierende Funktion zukam, insofern sie Gottes Berufung anhand bestimmter Qualitäten des Lehrers erkennen konnte.47 Wenn Arnold der Frage nachgeht, „woher denn solche Lehrer genommen worden / und 37 Vgl. EL 1,268. Arnold fasst hier, sinngemäß und zugespitzt auf diese Begriffe, Zieglers Vorrede zu De Diaconis & Diaconissis Veteris Ecclesiae Liber Commentarius, 1678 zusammen, ohne jedoch wörtlich zu zitieren. 38 Cave, Christenthum, 249. 39 A. a. O. 249. 40 A. a. O. 249. 41 Vgl. a. a. O. 251: „Es war das volck iedweden orts bey allen ordinationen sonderlich derer hohen geistlichen / gegenwärtig / und bestätigte und bekräfftigte die gantze handlung mit seinem beyfall und einstimmung. Und warlich! es kann nicht geleugnet werden / daß diese sache dem volck an gewissen orten sehr anging / und wurde sie deswegen selten oder gar niemals ohne ihre gegenwart und einwilligung verrichtet.“ 42 Ebd. 43 Ebd. 44 A. a. O. 253. 45 Vgl. a. a. O. 254 f. 46 Vgl. a. a. O. 256 f. Cave rekonstruiert aus den Konzilsakten von Neu-Caesarea und Agde einen kirchlichen cursus honorum: Das Bischofsamt habe man selten unter fünfzig, das Presbyteramt erst mit dreißig und das Diakonat nur im Mindestalter von fünfundzwanzig Jahren versehen dürfen. 47 Vgl. EL 1,232 f.
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worauff man sonderlich bey ihrer Wahl gesehen habe bey den ersten Christen“,48 nennt er vier Kriterien: a) Die Anwärter mussten der Gemeinde angehören und einem weltlichen Beruf nachgehen. Dass die frühchristlichen Lehrer, Apostel und Prediger vor ihrer Berufung eine andere, profane Tätigkeit ausgeübt haben, wertet Arnold als wichtiges Indiz gegen Caves These eines klerikalen Standesbewusstseins der altkirchlichen Lehrer. Dass die großen Lehrergestalten der Bibel und Alten Kirche ein „gewisses Handwerck oder profession bey ihren andern Künsten begrieffen haben“,49 versteht Arnold geradewegs als Voraussetzung ihrer Unbestechlichkeit und Bindungslosigkeit gegenüber der Gemeinde: Weil sie für ihren Lebensunterhalt selbst aufkamen, belasteten sie nicht ihre Gemeinde und standen in keinem monetären Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Zuhörern.50 b) Die Verkündigung der alten Lehrer bestach durch ihre intellektuelle Nüchternheit.51 Zwar hätten es die frühesten Gemeinden – trotz ihrer grundsätzlichen Aversion gegenüber „gekünstelten gelehrten Predigten“52 – geschätzt, wenn ihre Lehrer philosophisch und theologisch gebildet waren – was ja auch durchaus auf einen Großteil der vorkonstantinischen Kirchenväter zutrifft –, doch hätten diese ihr Amt in dem Bewusstsein versehen, dass „die Reichthümer u. Schätze der göttlichen Wahrheit niemahls erschöpffet könten werden“.53 Intellektuelle Bescheidenheit wie auch ein realistischer Blick auf die Grenzen der eigenen Erkenntnisfähigkeit und Eloquenz seien charakteristisch für die altvorderen Lehrer gewesen und hätten sich in deren unprätentiösen Predigten anschaulich konkretisiert. c) Die vorkonstantinische Gemeinde habe bei der Erwählung ihrer Lehrer auf deren Selbstverpflichtung auf die „erste reine und Original-Theologie von denen Aposteln ohne Menschen=Fündlein / Glossen und verwirrte Frage“54 geachtet, worunter Arnold nichts anderes als die Übereinstimmung mit der ungebrochenen apostolischen Tradition versteht. 48 EL 1,226. 49 EL 1,227.
50 Vgl. EL 1,226 f. Arnold macht zudem darauf aufmerksam, dass in nachkonstantinischer Zeit viele Bischöfe und andere kirchliche Würdenträger aus Politiker- und Juristenkreisen berufen worden seien, wodurch die Kirche in eine gefährliche Nähe zum Staat rückte (vgl. EL 1,228). 51 Vgl. EL 1,228: „Denn es stehet nicht zu läugnen / daß eine einfältige Erkäntnis und Liebe GOttes / und des wahren Wegs zu ihm / samt denen nöthigen Gaben bey den ersten Christen / vornehmlich zu einem rechten Lehrer erfordert worden / ob er gleich in Gelehrsamkeit / Welt=Weißheit und Künsten nicht erfahren gewesen: Der allein weise GOTT brauchte zur Pflantzung seiner Kirchen / anstatt gelehrter Leute ungelehrte Idioten / bestürmte mit sehr schwachen Werckzeugen des Teuffels Reich / das sich durch so viele Künste und Gelehrsamkeit fest gesetzet und gleichsam verschantzet hatte. Er ließ den Schatz des Evangelii in unansehnlichen Gefäßen vortragen / da die Vernunfft hätte meynen sollen / er sollte die gelehrtesten Leute dazu nehmen […].“ 52 EL 1,229. 53 EL 1,229. 54 EL 1,231 mit Bezug auf Zieglers De episcopis eorumque iuribus […] liber commentarius, Nürnberg 1686, 374.
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d) Als untrügliches Zeichen seiner göttlichen Berufung habe die vorkonstantinische Gemeinde die Übereinstimmung von Lehre und Leben eines Lehrers verstanden.55 Arnold meint, dass in der Alten Kirche nicht in erster Linie die theologische Lehre eines Lehrers (in Predigt und Katechese) als Zeugnis seiner Inanspruchnahme durch Gott verstanden worden sei, da diese auch unabhängig von einer persönlichen Glaubensüberzeugung und Gotteserfahrung nachgeahmt werden kann. Vielmehr habe man seinen Lebenswandel kritisch bewertet, meinte man doch, dass allein die authentische Gotteserfahrung das Leben des Lehrers tiefgreifend und nach außen hin sichtbar umgestalten könne.56 In Abwägung dieser Prüfkriterien setzt Arnold für die vorkonstantinische Kirche eine von der verfallenen Kirche späterer Zeit völlig verschiedene Mentalität hinsichtlich des Predigeramtes voraus: Statt sich ins Amt zu drängen, habe man sich davor gefürchtet, es zu übernehmen.57 3. Gotteserfahrung und pastorales Selbstverständnis. Über Caves Darstellung hinaus bestimmt Arnold die bleibende Berufungserfahrung des Lehrers als konstitutives Element der altkirchlichen Amtstheologie. In Anbetracht der „Schwerigkeit und Gefahr“,58 die Seelen zu führen, und eingedenk der dräuenden Ermahnung Gottes, dass jeder Verlust einer anvertrauten Seele den eigenen Sünden im Endgericht zugerechnet werde,59 habe sich den urkirchlichen Lehrern ihre unbedingte Angewiesenheit auf Gott existenziell erschlossen: 55 Das Kriterium eines „heilig[en] und unsträffliche[n] Leben[s]“ (EL 1,236) sieht Arnold vor allem in 1 Tim 3,2 und Tit 1,7 begründet, beruft sich aber auch auf Augustin und Chrysostomus, welche ihrerseits jene neutestamentlichen Belegstellen dahingehend auslegten, dass ein Lehrer zwar nicht sündlos sein könne, sich aber trotzdem mit aller Macht vor der Sünde hüten solle, damit die Gemeinde nicht in Aufruhr versetzt werde (vgl. EL 1,236). Arnold bezieht sich hier auf Aug. c. Pelag. I,14 (CSEL 60, 446 f), v. a. aber auf Joh. Chrys. in Tit. hom. 2, in deren Zentrum die Sittlichkeit des Priesters steht (vgl. PG 62, 669–676, vgl. v. a. die für die Homilie richtungsweisende Auslegung von Tit 1,7, die Arnold unmittelbar beeinflusst haben dürfte [PG 62, 672]: Πῶς γὰρ ἑτέρους παιδεύσει κρατεῖν τοῦ πάθους τούτου, ἑαυτὸν μὴ παιδεύσας;). 56 Vgl. EL 1,243. 57 Vgl. EL 1,224: „Und daher findet man fast unzehliche Exempel der jenigen / die mit großen Zwang ohne und wider ihren Willen der Gemeine vorgesetzt worden. Hingegen war man bey den ersten Gemeinen dessen gantz ungewohnt / daß einer sich selbst dazu anbieten / viel weniger darum bitten / am allerwenigsten sich mit List oder Gewalt eindringen sollte.“ Für diese Verweigerungshaltung kann Arnold viele prominente Beispiele nennen: So habe sich Ephraem der Syrer für geisteskrank erklären wollen, als man ihm das Bischofsamt antrug, und Paulinianus, dem jüngeren Bruder des Hieronymus, hätten seine Mitbrüder den Mund zuhalten müssen, damit er nicht gegen seine Ernennung zum Diakon protestieren konnte (vgl. EL 1,225 f). Dass sich die Lehrer der Prüfung durch die Gemeinde entzogen oder der Gemeinde die Prüfung verwehrten, sei für die vorkonstantinische Kirche völlig undenkbar gewesen (vgl. EL 1,205). Erst in der konstantinischen Kirche sei den Gemeinden das Recht zur Wahl ihrer Lehrer entzogen worden (vgl. EL 1,233 f) und die Kirche hätte von den Gläubigen verlangt, „blindhin alles vor gut an[zu]nehmen“ (EL 1,234). 58 EL 1,244. 59 Vgl. EL 1,244.
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„Gleichwie aber die rechten Hirten nach dem Herzen GOttes alles vermochten / durch den / der sie mächtig machte / Christum: So halff er ihnen auch bey diesen Schwerigkeiten dennoch auch treulich durchbrechen / und rüstete sie mit allen nöthigen Kräfften aus / weil ihm selbst dem HErren / am meisten an ihrer gesegneten Arbeit gelegen war. Wer da nur treu war und sich von dem Hauß=HErren gebrauchen liesse als ein gereinigt Gefäß: Der kriegte wider alle auch unmöglich=scheinende Hindernisse täglich neue Krafft / und richtete sein Amt redlich aus.“60
Arnold ist sich sicher, dass ausschließlich solchen, unmittelbar von Gott berufenen Lehrern jene Qualitäten zugewachsen seien, die zur Leitung einer Gemeinde unabdingbar gewesen sind:61 Nie hätten sie sich über die Lasten ihres Amtes beklagt, seien auch nicht ihren fleischlichen Affekten erlegen gewesen oder hätten ein öffentliches Ärgernis verursacht,62 sondern ihr – gänzlich übermenschliches – Amt aus der Kraft ihrer Gottesbeziehung bewältigt und damit dem von Gott geforderten Gehorsam entsprochen.63 Diese basale, pastoraltheologische Erkenntnisbewegung – von der Anerkennung des eigenen Unvermögens hin zur hoffenden Erwartung einer Inanspruchnahme durch Gott hin zur Bewältigung der Amtspflichten – konkretisiert Arnold nun in zwei Hinsichten, die für die Entwicklung seiner Pastoraltheologie richtungsweisend sind: Zum einen steht für ihn fest, dass die vorkonstantinische Kirche davon ausgegangen ist, dass nur derjenige das Lehramt versehen kann, der den Heiligen Geist empfangen hat und mit „seinem eigenen Hertzen“ und „menschlichen Sinn“ hinter das Wirken dieses Geistes zurücktritt.64 Nur, wer im Gebet mit Gott geredet habe, könne und dürfe es mit den ihm anvertrauten Gemeinden tun.65 Zum anderen weist Arnold darauf hin, dass der Rückbezüglichkeit auf die Erfahrung Gottes und des Heiligen Geistes die Haltung der Demut entspricht. Dies zeigt sich u. a. in einer Collage von Versen aus dem Titus- und dem Timotheus-Brief und einem Chrysostomos-Zitat: „Dazu ward nun bey den ersten Lehrern Neuen Testaments der Grund durch eine hertzliche Demuth und Erkäntnis des eigenen Elends geleget / welche vornehmlich 60 EL 1,245.
61 Arnold resümiert: „Wer so den Sinn Christi zeigte / der hatte nie über Ungehorsam / Verachtung und Schmach zu klagen; Denn von den Frommen erhielt er sie freywillig / von den Bösen verlanget er sie nicht. Da hingegen bey dem Verfall die Bösen Lehrer zwar auf ihre Autorität und Macht trotzeten / und die Ehre und Gehorsam forderten / aber keinen erhielten“ (EL 1,247). 62 Vgl. EL 1,245. 63 Vgl. EL 1,245. Arnold bezieht sich hier auf den Areopagiten: Recht berufene Lehrer seien solche gewesen, die „die Englischen Eigenschafften im Lehren nach Vermögen erwiesen / und das Amt der Verkündigung nach der Engel Exempel verrichteten“ (Dion. Areop. de hierarch. coel. 12,2 [PTS 67; 43,8–11]: Οὐδὲν οὗν ὡς οἳμαι τὸ ἄτοπον, εἰ καὶ τὸν καθ‘ ἡμᾶς ἱεράρχην ἄγγελου ἡ
θεολογία καλεῖ τὸν κατὰ δύναμιν οἰκείαν μετέχοντα τῆς τῶν ἀγγέλων ὑποφητικῆς ἰδιότητος καὶ πρὸς τὴν ἐκφαντορικὴν αὐτῶν ὁμοίωσιν ὡς ἐφικτὸν ἀνθρώποις ἀνατεινόμενον). 64 EL 1,248. 65 Vgl.
EL 1,248.
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und gantz unausbleiblich bey einem wahren Lehrer seyn muste / wo er Frucht schaffen sollte. Denn Paulus wollte einen Auffseher haben bey der Gemeine / der nicht ihm selbst wol gefiel. Tit. I.7. (αὐθάδης) auch nicht vom Stoltz auffgeblasen (τυφωδείς) [sic!] I. Tim. III.6. Daher erkannten sie / daß die Niederträchtigkeit der Grund ihrer Weißheit sey / und der Teuffel allein den Ehr=Geitz auff die Lehr=Stüle der Kirchen=Diener bringe […].“66
Der sich an dieser Stelle anschließende, ausführliche altkirchliche Konkordanzbefund zum Demutsbegriff kann hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden, es genügt darauf hinzuweisen, dass Arnold bei den Lehrern der Alten Kirche – trotz ihrer herausgehobenen Stellung – einen steten Rückzug in die Selbsterniedrigung beobachten will, wie sie in Selbstbezeichnungen wie „Humiles, Demüthige / Niedrige / Geringe“67 ihren Ausdruck findet.68 Nach Arnold ergibt sich aus dieser amtsinhärenten Demut und völlig internalisierten Erwartungshaltung gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes das Selbstverständnis des Lehrers als eines Ratgebers der Gemeinde.69 Während ein Autokrat aus eigenem Recht und nur zu dem Zwecke des Machterhalts herrschen wolle, habe der Ratgeber die Ratsuchenden und ihre Bedürfnisse im Blick und müsse daher über Einfühlungsvermögen und einen reichen Schatz an Glaubenserfahrung verfügen. Wer im Wortlaut des Barnabasbriefes von sich behaupten wolle: „Ich will euch nicht als ein Lehrer / sondern als einer unter euch dieses weisen“,70 könne dies nur unter der Voraussetzung tun, dass er die Grenzen seines eigenen Wirkungskreises erkannt hat und sich in seinem Lehramt stets auf Gott zurückgeworfen 66 EL 1,249. Nach eigenen Angaben zitiert Arnold hier „Chrysost. hom. 2 ad Philip.“, wobei sich jedoch das Zitat in Chrysostomos’ Philipperhomilien nicht in dieser Form verifizieren ließ. Sachlich steht es einigen Annotationen zum zweiten Kapitel (Phil 2,1–4) des Philipperbriefes nahe. So könnte das Zitat – von Arnold selbst oder, falls er auf eine Vorlage zurückgreift, bereits dort – aus verschiedenen Sätzen kompiliert worden sein (die Lehnwörter in Arnolds Übersetzung sind im Folgenden kursiviert): Ἀλλὰ σοφὸς εἶ; Οὐκοῦν εὐχαριστεῖν, οὐ φυσᾶσθαι ὀφείλεις. Πρώτη ἀχαριστία, ἀπόνοια (Chrysost. hom. 2 ad Philip. 6,2 [PG 62, 215]); Πάντων γὰρ τῶν ἀγαθῶν αἰτία ἡ ταπεινοφροσύνη (6,2 [PG 62, 215]); οὐ γὰρ ἕνι δόξης ὄντα δοῦλον, εἶναι καὶ Θεοῦ δοῦλον γνήσιον“ (6,1 [PG 62, 214]); „οἱ μηδὲ ἑνα ἄνθτρωπον ὠφελῆσαι ἰσχύοντες, μήτι γε τὴν οἰκομένην ἅπασαν, καὶ τοσοῦτον φρονοῦντες, ὅσον οὐδὲ αὐτὸς ὁ διάβολος; (6,2 [PG 62, 216]). 67 EL 1,250. 68 Vgl. EL 1,250. 69 Wie Arnold bei Basilius dem Großen nachlesen kann: „Ein Herr hat diese Macht / daß er befiehlt und schlechthin setzt / was er haben wolle: aber ein Rathgeber überredet nur die / so da wollen / was ihnen gut ist. Darum ists eine große Gutthat und Hülffe / wenn der Rathgeber verständig und geneigt ist / welcher das ersetzen kan / was denen / die da wollen / an Weißheit mangelt […]“ (EL 1,250). Arnold verweist auf Bas. ho. 21 de Prosp.[era et adversa] Fort.[una, et de prudentia], einer der von Simon Logothetes exzerpierten Predigten des Kirchenvaters (PG 32, 1359–1366, hier PG 32, 1364): Βασιλέως μὲν γὰρ ἴδιον, ἐπιτάσσειν τοῖς ἀρχομὲνοις. Συμβούλου δὲ, πείθεν ὑπὲρ τῶν συμφερόντων τοὺς βουλομένους. Ὥστε καὶ ἡμῶν ἕκαστος, μὴ ὡς ἄρχοντα ἑαυτὸν, ἀλλ’ ὡς σύμβουλον παρὰ Κυρίου δεδομένον τῷ λαῷ, λογιζέσθω Οὕτως ἦν καὶ ὁ Παῦλος σύμβουλος τῆς Καινῆς Διαθήκης, λέγων. Γνώμην δὲ διδωμι, ὡς ἠλεημένος παρὰ Κυρίου. Μεγάλη δὲ εὐεργεσία, συμβούλου φρονίμου καὶ εὐνοϊκῶς ἔχοντος παρουσία, ἀναπληροῦντος τὸ τῆς συνὲσεως ἐλλεῖπον τῶν βουλευομένων. 70 EL 1,250 mit einem Zitat aus Barn 1,8: ἐγὼ δὲ οὐχ ὡς διδάσκαλος, ἀλλ’ ὡς εἷς ἐξ ὑμῶν ὑποδείξω ὀλίγα, δι’ ὧν ἐν τοῖς παροῦσιν εὐφρανθήσεσθε.
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weiß. Starallüren würde man unter den Lehrern der Alten Kirche – so Arnold – vergeblich suchen. Zusammengefasst: Auf drei Ebenen setzt Arnold in der Ersten Liebe Caves Auffassung einer klerikal durchorganisierten Urkirche einen ansehnlichen Alternativentwurf entgegen, indem er aus den vorkonstantinischen Quellen eine egalitäre Gemeindestruktur, eine ‚basisdemokratische‘ Prüfkompetenz der Gemeinde hinsichtlich der geistlichen Eignung ihrer Lehrer und als Kern des pastoralen Selbstverständnisses eine mystische, unmittelbare Gottes- bzw. Berufungserfahrung rekonstruiert. Unverkennbar projiziert Arnold mit dieser Geschichtsdeutung – nicht weniger als Cave, der in der Urkirche das anglikanische Staatskirchentum antizipiert sieht – zentrale pietistische Reformforderungen und ekklesiologische und pastoraltheologische Konzeptionen in die Alte Kirche zurück, wie etwa den Ruf nach einem lebendigen Priestertum aller Gläubigen oder die an den geistlichen Stand gerichtete Forderung nach moralischer Integrität und nachahmenswerter Frömmigkeit. Noch durchbricht er in der Schilderung jenes Ideals nicht die „vierte Wand“ der Historiographie, erhebt also keine expliziten Forderungen an die ihm zeitgenössische Kirche. Erst wenn er dazu übergeht, die mit der konstantinischen Wende einsetzende, tiefgreifende, historische Umwälzung der Alten Kirche darzustellen, lässt Arnold die Geschichtsschreibung hinter sich, indem er den Verfall der Lehrer dezidiert hamartiologisch interpretiert.
2.1.2. Arnolds hamartiologische Deutung des Verfalls der Lehrer Unterläuft Arnold bereits mit seiner idealistischen Darstellung des altkirchlichen Lehramtes den Deutungsansatz Caves, so destruiert er dessen Verständnis einer Vervollkommnung der Kirche im Zuge der konstantinischen Wende vollends, indem er aus den altkirchlichen Quellen eine tiefgreifende Verfallsgeschichte der Lehrer rekonstruiert. Cave feierte die Konsolidierung der Amtstheologie und Festigung der klerikalen Hierarchie in konstantinischer Zeit als epochale Errungenschaft und als eine längst überfällige Anerkennung der bischöflichen Autorität: Konstantin habe die Kleriker, obschon in „sehr schlechten und geringen kleidern“, an seiner Tafel speisen lassen,71 habe Bischöfe und andere kirchliche Amtsträger in sein Gefolge und seine Reisegesellschaften aufgenommen, ihnen höchste Reverenz erwiesen72 und der Kirche nach und nach weitgehende politische Machtbefugnisse übertragen,73 so etwa den Bischöfen weltliche Gerichts71 Cave,
Christenthum, 263 mit Verweis auf Eus. vita Const. I,42 (GCS 7; 37,20–23):
ὁμοτράπεζοι δῆτα συνῆσαν αὐτῷ ἄνδρες εὐτελεῖς μὲν τῇ τοῦ σχήματος ὀφθῆναι περιβολῇ, ἀλλ’ οὔ τοιοῦτοι καὶ αὐτῷ νενομισμένοι, ὅτι μὴ τὸν ὁρώμενον τοῖς πολλοῖς ἄνθρωπον τὸν δ’ ἐν ἑκάστῳ έκάστω τιμώμενον ἐποπτεύειν ἐδόκει θεόν. 72 Vgl.
Cave, Christenthum, 263. a. a. O.: „Und weil vielleicht ihre geistliche hoheit und würde nicht allemal genug war / sie von verachtung des unbändigen und unverständigen pöbels zu befreyen / so rüsteten sie auch die ersten christlichen Kayser mit macht und gewalt in bürgerlichen sachen aus / und 73 Vgl.
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barkeit zugebilligt.74 Als vornehmliche Ursache ihrer finanziellen Konsolidierung erachtet Cave die innige Verbundenheit zwischen den Gemeinden und ihren Vorstehern und das dieser Bindung entsprechende enorme Spendenaufkommen.75 Zudem geht Cave detailliert auf die juristische Immunität der Kleriker ein: Konstantin habe die Bischöfe – freilich in erster Linie, um sie vor den Anfeindungen derjenigen zu schützen, die ihnen ihre Besitztümer neideten – von der weltlichen Gerichtsbarkeit ausgenommen und einer rein kirchlichen unterworfen,76 bevor unter Konstantins Nachfolgern gar jede Gewaltanwendung gegen Bischöfe unter Todesstrafe gestellt,77 jede Intrige oder haltlose Anschuldigung gegen Priester hart bestraft und jeder Ungehorsam der Kleriker gegen ihre Vorgesetzten mit Absetzung bedroht wurde.78 Der von Cave rekonstruierten Erfolgsgeschichte eines etablierten, selbstbestimmten und politisch emanzipierten Klerus setzt Arnold die Chronik einer tiefgreifenden Destabilisierung des altkirchlichen Lehrerideals entgegen: Sei die Berufung der Lehrer in der vorkonstantinischen Kirche unmittelbar durch Gott erfolgt, hätten sich in der verfallenen Kirche die Lehrer selbst zum Amt ermächtigt; sei die Berufung des Lehrers in der vorkonstantinischen Kirche anhand bestimmter Kriterien durch die Gemeinde überprüft worden, hätten sich in der verfallenen Kirche die Prediger dieser Überprüfung entzogen; habe Gott die Berufung seiner Lehrer zuvor durch ihre Tugendhaftigkeit verbürgt, seien die Lehrer der konstantinischen Kirche dem Hochmut, Geiz und der Wollust verfallen und hätten durch Privatbeichte, Exkommunikation und die Konzile eine Tyrannei über die Gewissen der Gläubigen aufgerichtet. Aus den Ratgebern der Gemeinde seien im Zuge der konstantinischen Wende autokratische Kirchenfürsten geworden.79 Nun erfasst Arnold in der Ersten Liebe diesen Verfall der Lehrer zwar durchweg als historischen Prozess,80 gleichwohl meldet sich sein suchten dadurch ihre ehre und hoheit bey dem volcke desto fester zu setzen.“ Cave verweist hier auf Soz. hist. eccl. I,9 (vgl. GCS.NF 4; 20,1–21,11). 74 Vgl. Cave, Christenthum, 264. Augustins Klage darüber, dass er in seiner Funktion als Bischof mit profanen Gerichtsverfahren überhäuft wird, interpretiert Cave dahingehend, dass „sie sich zur selbigen zeit recht glücklich schätzten / wenn ihre sachen von denen bischöffen konten angehöret und abgethan werden“ (a. a. O. 265 mit Verweis auf Aug. ep. 114 [CSEL 34,2, 582–595] und 147 [CSEL 44, 274–331]). 75 Vgl. Cave, Christenthum, 268: „[…] so erwiesen sie auch dieselbe [d. h. Liebe] in der that und augenscheinlich / indem sie ihnen sehr reichliches auskommen verschafften / und so wol anfangs ihre eigene güter zum dienst der kirchen dahin gaben / als auch nach dem reichliche und vielfältige steuren einlegten / welche notwendig zu einer sehr hohen summa steigen musten / weil die Gottesfurcht und frömmigkeit der Christen immer von tage zu tage noch mehr freygebigkeit sehen ließ.“ 76 Vgl. a. a. O. 269. 77 Vgl. a. a. O. 270. 78 Vgl. a. a. O. 271. 79 Vgl. die Untersuchung von Berneburg, Arnolds Konstantinbild. 80 Auch schon vor Konstantin habe es „einige untreue und böse Arbeiter in den Gemeinen“ gegeben und schon die Apostel haben von Irrlehrern und falschen Jüngern, von Hochmut,
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theologischer Deutungsanspruch deutlich zu Wort, insofern er die Destabilisierung des Lehrerideals aus einer hamartiologischen Perspektive beschreiben, damit gewissermaßen enthistorisieren und als eine akut bleibende Bedrohungslage verstanden wissen möchte. Mehrere Momente dieser hamartiologischen Deutungsperspektive sind in der Ersten Liebe greifbar:81 1. Der Verfall der Lehrer beruht auf einer Dialektik von Abkehr und Preisgabe. Während sich die Lehrer in vorkonstantinischer Zeit immer wieder in die Erfahrung der göttlichen Berufung zurückziehen wollten, hätten sich die Prediger der konstantinischen Kirche von Gottes Wort losgesagt, so dass Gott wiederum sie verlassen hätte.82 Daraufhin hätten sie sich der zwielichtigen, paganen Literatur, Philosophie und Kunst hingegeben und diesen in ihren Predigten das Wort geredet,83 was jedoch bezeichnenderweise zu einer noch tiefgreifenderen theologischen Sprach- und Bildungslosigkeit in der Kirche führte.84 2. Die Verfallsgeschichte der Lehrer als Geschichte ihrer Preisgabe schließt auch das Moment der Verstockung ein. Die Abkehr der Lehrer von Gottes Wort hält Arnold nicht nur für irreversibel,85 sondern er behauptet darüber hinaus, dass mit der Gottlosigkeit und Blindheit der Prediger auch der Verfall des Kirchenvolkes Fleischeslust und Geiz einiger Lehrer zu berichten gewusst (EL 2,256). Auch Origenes, Cyprian und Euseb erwähnen hie und da Pflichtvergessenheit, Lüge, falsche Lehre, Heuchelei und Streitigkeiten (vgl. EL 2,257), doch diese sind, so Arnold, „durch die einbrechenden Verfolgungen gezüchtiget oder gar abgethan worden“. Mit der konstantinischen Wende habe die Unterdrückung der Kirche ein jähes Ende gefunden, so dass „die völlige Verderbniß bey Lehrern und Zuhörern dermassen eingerissen [sei] / daß die allerwenigsten dabey tüchtig zum Reich GOttes blieben sind“ (EL 2,256) und sich „am allermeisten […] das Geheimniß der Boßheit unter und nach Constantino [offenbarte]“ (EL 2,257). 81 Gegen Dörries, Geist und Geschichte, zeichnet sich in der Forschung mittlerweile der Konsens ab, dass sich die Verfallsidee der Kirchen- und Ketzerhistorie bereits in der Ersten Liebe, insbesondere im 8. Buch, deutlich artikuliert. Vgl. Büchsel, Kirche, 80 f und Kantzenbach, Weg, 210 f in Anschluss an Seeberg. Die hamartiologische Lesart im obigen Sinne thematisiert freilich bisher nur Schindler, Dogmengeschichte, 411: „[…] so ergibt sich als Movens der Dogmengeschichte im Prinzip kein anderes als das Movens der Kirchengeschichte, nämlich Verfälschung wegen Sünde, in der Dogmengeschichte besonders wegen zu großer Hinneigung zu gelehrten Spitzfindigkeiten, was unweigerlich mit Machtstreben gekoppelt ist.“ 82 Vgl. EL 2,268: „Also nahm die Verschmähung des göttlichen Nahmens und Willens unter den verderbten Lehrern und dahero unter den Christen überhand / und vermehrte in ihnen die Verstockung und den Unglauben / nachdem sie also GOtt verliessen / und deßwegen von ihm wieder verlassen wurden.“ 83 Vgl. EL 2,269. 84 Dies sei bereits auf dem Konzil von Nicäa offen zu Tage getreten, als keiner der Anwesenden – immerhin 318 Bischöfe und unter ihnen der Diakon Athanasius – der arianischen Irrlehre beikommen konnte, da sich die versammelten Konzilsväter schon zu weit von der einfältigen, göttlichen Wahrheit entfernt hatten, während die Arianer „so geübte und gelehrte Leute zu ihrer Vertheidigung hatten und brauchten“ (EL 2,269), wobei Arnold mit dem Zusatz „und brauchten“ darauf hinweisen will, dass die Minderheitenposition und Verfolgungssituation, in der sich die Arianer zu diesem Zeitpunkt befanden, eine profiliertere Theologie erforderte als die wohl situierte und bequeme Großkirche. 85 Vgl. EL 2,272.
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einhergegangen sei und dass sich beides gegenseitig beschleunigt habe, denn dass die Christen empfindungslos und gleichgültig gegenüber Gott geworden seien, habe keineswegs zu einem Niedergang der Kirche, sondern geradewegs zu einer blühenden Veräußerlichung des Christentums geführt.86 In einer Massenkirche sei ein verrohtes Volk auf tyrannische Kirchenlehrer getroffen und beide Parteien hätten voneinander nicht mehr als den äußerlichen Vollzug der Verkündigung und der Sakramente bzw. die stumpfsinnige Partizipation am Ritus eingefordert.87 Das Urbedürfnis nach einer ungestörten, billigen Heilssicherheit habe, so Arnold, erst die nachkonstantinische Kirche hervorgebracht. Lehrer wie Kirchenvolk – so die Pointe – würden fortan ihre Gottverlassenheit und Verblendung nicht mehr erkennen und benennen können.88 3. Arnolds hamartiologische Deutung der konstantinischen Kirche kulminiert im dreifachen Vorwurf der Sündhaftigkeit der Lehrer: Der Verlust ihrer göttlichen Berufung würde sich unmittelbar im Hochmut, Geiz und Wollust niederschlagen, womit Arnold die von Johannes Cassian ersonnene Vorstellung der drei „Haupt=Laster[]“ aufgreift.89 Der Hochmut der Lehrer findet nach Arnold seinen historischen Niederschlag vor allem in der Verformung der presbyterianischen Gemeindeverfassung zum Monepiskopat. Diese Entwicklung entspringe der natürlichen Sündhaftigkeit des Menschen, welcher „die Ehrerbietung und Hochachtung der andern nicht so bald ertragen […]“ könne, so dass er immerzu versuche, seinen Nächsten zu unterdrücken und seine eigene Person emporzuheben.90 Um ihre Machtposition durchzusetzen, forcierten die Lehrer die Akkumulation bischöflicher Macht und begründeten eine ausgefeilte Hierarchie der „Clerisey“, die im schroffen Kontrast zum Urchristentum gestanden habe.91 Freilich beruht nach Arnold die Erhärtung der strikten Unterscheidung von Laien und Klerus auf einem stillschweigenden Arrangement zwischen beiden:92 86 Vgl. EL 2,273. Gregor der Große (Hom. in Ev. 17,3 [vgl. FC 28/1, 266–303, hier 269]) habe – im sechsten Jahrhundert, d. h. im Rückblick auf zweihundert Jahre Verfallsgeschichte – geklagt: „Siehe die gantze Welt ist nun voll Priester / und dennoch findet sich in der Erndte GOttes selten ein Arbeiter / weil man zwar das Amt wol annimmt / aber das Werck des Amtes nicht erfüllt.“ 87 Anekdotenhaft kann Arnold von einer massenhaften Nottaufe während einer Pestepidemie in Konstantinopel zur Zeit des Chrysostomos berichten, bei der ein Diakon massiv angefeindet wurde, als er den Täuflingen vor der Spendung des Sakraments zumindest eine basale katechetische Unterweisung vermitteln wollte (vgl. EL 2,273). 88 Vgl. EL 2,272: „Wo kein erleuchteter Verstand das Regiment in einem Menschen führet / da muß nicht allein der Wille und alle Neigungen verkehrt und böse sondern auch alles Thun und Lassen schädlich seyn. Erkennet der Mensch das Gute nicht / so nimmt ers auch nicht davor an / bemühet sich nicht darnach / vielweniger suchet oder weiß ers andern wiederum zu zeigen oder mitzutheilen. Und dieses siehet man an den verkehrten Lehrern zu allen Zeiten / und auch unter dem angehenden Verfall des wahren Christenthums.“ 89 Vgl. EL 2,278. 90 EL 2,278. 91 Vgl. EL 2,279. 92 Vgl. EL 2,279: „Eine grosse Gelegenheit / dabey die Lehrer sich anfiengen zu erheben / war der gesuchte Unterscheid zwischen dem Stand der Lehrer und Zuhörer / und die
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Wie die Komödie sei auch die Bischofsherrschaft künstlich und scheinhaft, wobei das tertium comparationis zwischen beidem darin liegt, dass die Grundsituation des Theaters von beiden Seiten, Schauspielern und Zuschauern bzw. Lehrern und Zuhörern, akzeptiert und aufrechterhalten werde:93 Der konstantinische Monepis kopat entbindet seine Zuhörer von jeglicher Partizipation, wie das Theater seine Zuschauer zu teilnahmslosen Beobachtern degradiert.94 Realpolitisch schlagen sich Hochmut und Heuchelei Arnold zufolge in der „Erhebung [der Lehrer] über die Obrigkeit“ nieder, welcher in der Ersten Liebe immerhin ein ganzes Kapitel gewidmet ist! Hatte Cave das konstantinische Bündnis von Kirche und Staat als Vervollkommnung des Christentums gefeiert, kritisiert Arnold die hemmungslose Gefallsucht der Bischofskirche, die ihren obrigkeitskritischen Verkündigungsauftrag gehörig verfehlte,95 als sie den Kaisern demütige ReErhebung jener über diese. Denn da geschahe es auch wol von guthertzigen Christen / daß sie sich unter die Lehrer auffs tieffste erniedrigten / ihnen den Vorzug in allem gerne liessen / ja wol mit äusserlichen überflüssigen Ehrenbezeigungen begegneten.“ 93 Vgl. zur Theaterpolemik Thomke, Kritik am Theaterspiel, insb. 164–166. 94 Vgl. vor allem EL 2, 281.292 f. Arnold setzt sich intensiv mit den liturgischen Gewändern und der Dienstkleidung der Lehrer in der Alten Kirche auseinander und spitzt die Theaterallegorie noch einmal auf die „Kostümierung“ der Bischöfe zu, weil sich in der Berufskleidung des Priesters die Distanz zwischen Klerikern und Laien besonders deutlich ausdrückt. Habe die Not der Verfolgung der Kirche keine besondere liturgische Kleidung erlaubt (EL 2,296) und sei diese auch im jüdischen Gottesdienst keineswegs zweifelsfrei aus den Quellen zu rekonstruieren (vgl. EL 2,297), was zumindest einen historischen Rechtfertigungsgrund dargestellt hätte, sei sie für die heidnischen Kulte geradezu charakteristisch gewesen. Deren Farbenpracht erinnert Arnold an die „noch heutiges Tages […] so genante Meßgewande“. Auch hinsichtlich der Soutane und des Talars kann er nur lapidar feststellen: „Von der schwartzen Farbe aber findet man wenig in der Antiquität / auch nicht / nachdem der Unterscheid der Kleidung unter den Christen aufgekommen ist“ (EL 2,296). Gegen die Prunksucht habe schon Augustin (Aug. epist. 109 [CSEL 34, 634–638]) protestiert, indem er seinen Priestern dazu geraten habe, auf den Habit zu verzichten: „Verlanget nicht den Leuten mit Kleidern zugefallen / sondern mit der Gottseligkeit“. Der Verfall der Bischöfe schlage sich darüber hinaus auch in ihrer ausschweifenden Titulatur nieder: „Und gleichwol wurden diese offenbare Greuel noch unter dem Schein eines rechtmässigen Eyfers vor die Orthodoxie, einer nöthigen Ordnung / einer Christlichen Vorsichtigkeit und dergleichen verkauffet. Da nenneten sich die Bischöffe wol in ihren Titeln selbst Humillimos, Servos servorum, demüthigste / elendeste / gemeine Knechte u. s.f.“ (EL 2,283). Vgl. auch EL 2,286: „Da musten ein Hauffen selbst erdachtete Nahmen und Lobsprüche herhalten / da man die vornehmsten Bischöfe ἰσαποστόλους oder den Aposteln gleiche Männer / Apostolische Väter / ja Apostel selbst titulirte, wie es die Griechischen und Lateinischen Scribenten häuffig außweisen. Man nennete sie Hohe=Priester GOttes / summos Pontifices, die hochwürdigsten / allerhöchsten Vorsteher / allerhöchste Aufseher der Kirchen und dergleichen mehr. Ihre Aempter wurden beschrieben als die höchsten Gipffel / Stuffen oder Spitzen des Priesterthums.“ 95 Vgl. EL 2,310 mit Bezug auf Lact. divin. inst. 3,17: „Sie reden wie es einem ieden gefällt / damit sie das Volck an sich ziehen mögen. Einem Faulen sagen sie / er soll nichts lernen / den Geitzigen sprechen sie von der Freygebigkeit loß / den Trägen verbieten sie ein Ampt anzunehmen. Den Gottlosen verstatten sie GOTT hindanzusetzen“ (vgl. CSEL 19; 228,14–20: „praeterea ut ad se multitudinem contrahat, adposita singulis quibusque moribus loquitur. desidiosum uetat litteras discere, auarum populari largitione liberat, ignauum prohibet accedere ad rem publicam, pirgum exerceri, timidum militare. inreligiosus audit deos nihil curare, inhumanus et suis commodis seruiens iubetur nihil cuiquam tribuere: omnia enim sua causa facere sapientem.“).
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verenzen erweisen und ihnen neue Titel wie „θεῖοι, χριστιανικώτατοι, ἁγιώτατοι, Ἀποστολικοὶ, das ist / göttliche / allerchristlichste / allerheiligste / Apostolische / ja Apostel“ antragen wollte.96 Die konkreten Folgen der Politisierung der Kirche kann Arnold auf nahezu allen kirchlichen Handlungsfeldern beobachten: Nepotismus, Vorteilsnahme und die Anmaßung und der Missbrauch politischer Macht seien an der Tagesordnung gewesen.97 Die zweite Hauptsünde der konstantinischen Lehrer, ihre Habgier bzw. ihren Geiz, leitet Arnold aus der Beobachtung ab, dass der höhere Klerus dem Kirchenvolk und den niederrangigen Kirchen96 EL 2,310.
Die Unterwerfung unter die Machtansprüche des Kaisers habe letztlich nur zum Ziel gehabt, sich „der Bottmässigkeit der Obern zu entziehen“ (EL 2,302). Indem die Bischöfe der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen wurden, sei den „bedrängten und von den Bischöffen verfolgten Leuten aller Zugang zu ihrer rechtmässigen Vertheidigung abgeschnitten worden / da gleichwol solche Personen von partheyischen Richtern an unpartheyische appeliren wollten“ (EL 2,304). Der ganze Zusammenhang ist als Replik auf Cave zu verstehen, der es als große Errungenschaft der konstantinischen Zeit verstehen wollte, dass die Bischöfe von der weltlichen Jurisdiktion ausgenommen wurden. 97 Die Nähe zum konstantinischen Hof habe sich z. B. auf das gottesdienstliche Leben ausgewirkt. In den großen Kirchengebäuden sei z. B. dem Kaiser stets ein Platz in direkter Nähe zum Altar freigehalten worden (vgl. EL 2,308). Zudem hätten die Prediger am Hof subversive Lobbyarbeit betrieben: Arnold merkt spöttisch an, sie hätten „die Hoff=Suppen so sehr geliebet / und mit Hindansetzung ihrer armen Heerde sich unter die gemenget / denen sie am Sinn und Leben ähnlich waren“ (EL 2,309). Ferner sei es in jener Zeit üblich geworden, die eigenen Verwandten und Günstlinge für Posten am Hof zu empfehlen (vgl. EL 2,309). Zudem setzt sich Arnold mit der πολυπραγμοσύνη der nachkonstantinischen Kirche auseinander – ein Begriff, der sich neutral mit „Vielgeschäftigkeit“ übersetzen ließe, von Arnold aber in polemischer Absicht im Sinne von „Practicirung allerley Händel“ verwendet wird (EL 2,312). Er befasst sich hier noch einmal en detail mit den Verflechtungen der Kirche mit Politik und Wirtschaft, wobei der Eigennutz der Lehrer und ihre Beschäftigung „mit Testamenten / Contracten und anderen Rechts=Sachen“ zur Selbstbereicherung im Vordergrund steht (EL 2,312). Arnold möchte aus den Quellen eine Frühform des kirchlichen Merkantilismus rekonstruieren: Die Lehrer und Diakone seien durch die Gemeinden und die Lande gezogen, um ihren Geschäften nachzugehen und ihre Besitztümer zu verwalten, natürlich unter Vorspiegelung diakonischen Handelns (vgl. EL 2,316). Das Schmieden zwielichtiger politischer Ränke sei für diese Zeit charakteristisch gewesen: Epiphanios von Salamis (ca. 315–403), der in den zwischen Chrysostomos und Theophilus entbrannten Konflikt über das Asyl der Anhänger von Origenes unter Anwendung kirchenrechtlicher und politischer Ränke eingegriffen hatte, gilt Arnold als der Prototyp des „zweyköpffige[n] Ungeheuer[s] […] / forn einen Bischoff und hinten einen Politicum“ (EL 2,314 mit Verweis auf Georg M. Königs Casus Conscientiae, 1676, Questio 4 [42–49] und Quenstedts Antiquitates biblicae et ecclesiasticae, 1688, II.5.3 [99 f]) – er habe „den einen Fuß auff dem Rathhause / den andern auff der Cantzel“ (EL 2,314). Besonders erwähnenswert ist für Arnold in diesem Zusammenhang auch, dass zum Machterhalt vor allem solche Lehrer und Bischöfe Gewalt anwendeten, denen das Prädikat der Orthodoxie verliehen wurde, d. h. die der Majorität der Großkirche angehörten (vgl. EL 2,318). Arnolds prominentestes Beispiel ist hier das des Kyrills von Alexandrien (vgl. EL 2,318 f), der aus grobem Eigennutz Hypatia ermorden und den Präfekten von Alexandrien, Orestes, von 500 Mönchen bedrängen und körperlich misshandeln ließ. Kyrills Gewaltherrschaft in Alexandria erweist sich nach Arnold für die nachkonstantinische Kirche als richtungsweisend (vgl. EL 2,319–322): „Wenn das glückselige Zeiten vor die Christen heissen sollen / da der Satan mit offenbaren Morden und Rauben durch die vornehmsten Lehrer wütet / so weiß ich nicht / was böse Zeiten seyn möchten“ (EL 2,319).
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dienern das angehäufte kirchliche Vermögen vorenthalten habe,98 was für die Urkirche völlig undenkbar gewesen sei, da man alle Einkünfte in eine einzige Kasse ein- und nach Bedarf ausgezahlt habe.99 Arnold möchte zeigen, dass das gesamte kirchliche Finanz- und Fiskalsystem mit seinen Dispens-, Stolengebühren und Berufungsgeldern nur darauf abzielen sollte, die Habgier der Bischöfe zu befriedigen,100 und weist darauf hin, dass eine solche Ausbeutung der Botschaft Jesu diametral entgegenstehe, der nicht nur gelehrt habe, das umsonst Empfangene umsonst weiterzugeben,101 sondern vielmehr darauf drang, ausnahmslos alles zu verkaufen und den Erlös den Armen zu überlassen.102 So facettenreich das dritte mit der konstantinischen Wende aufgekommene Laster, die „Wollüstigkeit“ oder die „weltliche Uppigkeit und Pracht“,103 so ausufernd und ausladend Arnolds Darstellung: Die episkopale Wollust sei in Völlerei, exzessivem Alkoholismus und verschwenderischer Prunksucht ausgelebt worden – womit das berühmte, prophetische Pauluswort aus Phil 3,19 seine nachmalige Bewahrheitung erfahren habe: „Ihr Bauch ist ihr Gott.“104 98 Hierin überschneiden sich die beiden – eigentlich nicht synonymen – Begriffe „Habgier“ und „Geiz“, vgl. EL 2,323: „Die arme Kirchen=Diener müssen auff den Gassen betteln herumb gehen / und umb Lohn arbeiten / oder von iederman Allmosen bitten. Allein der Bischoff lieget auff seinem Gelde / verrichtet die Kirchen=Dienste alleine / reisset allein alles zu sich / und bringet die andern umbs Leben.“ 99 Vgl. EL 2,332. Statt die Armen und Kranken zu versorgen, hätten die nachkonstantinischen Kirchendiener alles daran gesetzt, sich das Erbe der Sterbenden und Dahinsiechenden testamentarisch einzuverleiben, wie Hieronymus berichte (vgl. EL 2,329). Arnold zitiert Hier. ep. 52,6 (ad Nepotian): „Ich höre / daß etliche gegen die alten Männer und Weiber / die keine Kinder haben / sich gar zu Sclavisch bezeugen. Denn da treten sie vor die Krancken Betthe / setzen selbst den Nachttopff hin / sitzen stets dabey / fassen den Schleim des Magens mit eigener Hand auff / erschrecken / wenn der Medicus hinein kömmt / und fragen heimlich / ob sie sich besser befinden: Wenn der Alte sich etwas ermuntert / sind sie in grossen Sorgen / stellen sich aber doch frölich / obgleich das geitzige Gemüthe sich inwendig quälet. Denn sie besorgen / sie möchten ihren Dienst vergebens angewandt haben / und der lebhaffte Alte möchte Mathusalems Jahr erreichen“ (vgl. CSEL 54; 426,1–8: „audio praetera in senes et anus absque liberis quorundam turpe seuitium. ipsi apponunt mattulam, obsident lectum et purulentias stomachi et phlegmata pulmonis manu propria suscipiunt. pauent ad introitum medici tementibusque labiis, an commodius habeant, sciscitantur et, si paululum senex uegetior fuerit, periclitantur ac simulata laetitia mens intrinsecus auara torquetur. timent enim, ne perdant ministerium, et uiuacem senem Mathusalae annis conparant.“). 100 Vgl. EL 2,325. „Da denn schon oben bey dem Beruff der falschen Lehrer gedacht ist / wie sie auch durch Geld meistentheils zum Lehr=Ampte gelanget. Und hiebey offenbahrte sich nun beyderseits eine schröckliche Geld=Begierde: Wenn der Beförderer deßwegen Geld nahm / der Candidate aber dieses aus Gewinnsucht gleichsam auff Zinsen außlegen wollte / die er nach seiner Bestallung wieder vielfältig einnehmen könnte.“ 101 Vgl. EL 2,329.331. 102 Vgl. EL 2,326. 103 EL 2,335. 104 EL 2,336. Während die Priester ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigten, kannten sie doch den delikatesten Fisch und wussten genau, wo man die besten Muscheln finde und aus welchem Revier das servierte Wildbret stamme – kurzum: „Je seltsamer und theurer eine Speise sey / je besser schmeckte sie ihnen.“ (EL 2,337). Trotz der verschiedenen Versuche,
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4. Hochmut, Geiz und Wollust in all ihren Schattierungen und Auswüchsen sind nach Arnold unverkennbare Merkmale dafür, dass sich die Lehrer in der nachkonstantinischen Zeit von ihrer göttlichen Berufung losgesagt haben, ja dieser verlustig gegangen sind. Den „Schaden bey dem Verfall der Lehrer“ sieht Arnold vor allem darin, dass die Lehrer ihrer vornehmlichen Aufgabe nicht mehr gerecht werden konnten, das Böse zu strafen und das Evangelium zu verkündigen. Die mit der Verdorbenheit der Lehrer zu Tage getretene Kluft zwischen Lehre und Leben habe wesentlich dazu beigetragen, die Gläubigen abspenstig zu machen.105 Zur Kompensation dieser Abkehrbewegung hätten die Lehrer, die ja auf die Ehrerbietung und Zuwendung ihrer Zuhörer angewiesen waren, den Gehorsam eingefordert, indem sie „sich in ihren Lehren und Leben vor infallibel ausgeben“.106 Den Verfall der Lehrer kann Arnold daher, über das Ganze der Kirchengeschichte besehen, als Ursache jeglicher Erosionserscheinungen, Parteibildungen und Ketzereien ausmachen: Statt einer kritischen Selbstüberprüfung sei es in der Kirche zur „Herrschafft der verderbten Lehrer über die Gewissen der andern“107 bzw. zur „Herrschafft der verfallenen Clerisey über die Gewissen“108 gekommen, mit der die Prediger ihre mangelnde Legitimation kaschieren wollten. Diese Tyrannei habe sich auf mehrere Herrschaftsformen gestützt: 1. Die Behauptung einer umfassenden, geistbegabten Autorität und Infallibilität, 2. den Zwang zur Privatbeichte und die damit zusammenhängende, zum Bann verflachte und veräußerlichte Kirchenzucht, 3. den durch Konzile verordneten „Gewissens=Zwang durch vorgeschriebene Glaubens=Bekäntnisse und Symbola“.109 Dabei bauen die drei Formen der Herrschaft aufeinander auf: Die klerikale Infallibilität stellt die theologische Prämisse aller weiteren Herrschaftsansprüche dar, während sich die Bemächtigung der Gewissen durch die Privatbeichte nicht nur als sozialdisziplinäres Kontrollinstrument, sondern auch als wesentliche Voraussetzung der Fixierung von Glaubensnormen erweist, insofern die Kirche nur durch die Anwendung des Banns und der Exkommunikation ihre doktrinäre Uniformität sicherstellen kann.110 Ziel dieser Disziplinierung, so Arnold, sei es gewesen, diese Eskapaden einzudämmen und die Teilnahme der Priester an Gastmahlen und Gelagen zu reglementieren (vgl. EL 2,337), habe sich die Wollust sogar institutionell verfestigt, z. B. indem vorgeschrieben wurde, den Priestern einen Teil des Festmahls zurückzubehalten (vgl. EL 2,338). 105 Die Lehrer verstoßen „diejenige[n] […] / die sie doch solten lehren und zu besseren Dingen anführen“ (EL 2,344). 106 EL 2,344. 107 EL 2,356. 108 EL 2,386. 109 EL 2,399. 110 Vgl. EL 2,356: „Es sehen aber die Verständigen die angemaste Authentiam oder unumbschränckte und allgemeine Autorität der verderbten Lehrer vor den Grund unzehlicher Mißbräuche an / sonderlich aber der schrecklichen Tyranney / dadurch sie über die Gemeinen sich also erhoben / daß sie HErren ihres Glaubens werden wollen.“ Exegetischer Eklektizismus gepaart mit der bloßen Erfindung etlicher Konzilsbeschlüsse habe einen festgefügten Machtapparat geschaffen, einen „Nahmen der Kirchen“, also eine Scheinbezeichnung, hinter der
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den für die vorkonstantinische Kirche konstitutiven Zusammenhang zwischen der Würdigkeit des Lehrers und der Kraft des Lehramtes aufzulösen, d. h. die Wirksamkeit der Predigt und der Sakramente unabhängig von der Tugendhaftigkeit des Lehrers zu behaupten, um die Authentizität der Verkündigung und die Legitimation der Kirche als Heilsvermittlerin dogmatisch durchsetzen und die Frage nach der Wahrhaftigkeit der Berufungserfahrung des Lehrers suspendieren zu können.111 Derjenige, der die Würdigkeit der Prediger anzweifelte oder sie geradewegs zur Bedingung der Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente erheben wollte, sei von der Großkirche als Donatist verketzert worden.112 Fatalerweise habe der Selbsterhaltungstrieb der Kirchendiener jedoch nicht nur eine unnachgiebige Erstarrung in der kirchlichen Lehrdoktrin und eine fortan unverrückbare Demarkation von Laien- und Klerikerstand bedingt, sondern, so Arnold zuletzt, auch seine nachhaltigen Spuren in der Predigtkultur hinterlassen: Mit einer rigiden Gesetzes- und Moralpredigt habe der Klerus seit der konstantinischen Wende versucht, das Volk auf Abstand und – zusammen mit Beichte, Bann und Exkommunikation – in Schach zu halten.113 Arnolds Idee eines Verfalls des urkirchlichen Lehrideals erinnert an alttestamentliche Verfallsinterpretamente und an Paulus’ Rückblick auf die urtümliche Verblendung und Preisgabe des Menschen in Röm 1,18–32, ist also zutiefst bibeltheologisch verwurzelt. Dass sie im Grunde ahistorisch ist und – in ihrer hamartiologischen Tiefendimension – ein überzeitliches, theologisches Deutungskonzept mit Aktualitätsanspruch darstellt, wird spätestens dann ersichtlich, wenn Arnold die vier genannten Merkmale im Wesentlichen unverändert in die Unparheyische Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700) übernimmt.114 Wie in der sich die Lehrer zurückziehen konnten, wenn ihre Autorität in Zweifel gezogen wurde (vgl. EL 2,356). Die verschiedenen Satzungen, Dogmen und Zwänge zielten letztlich nur darauf ab, die Gewissen der Zuhörer zu binden, „offte gar durch Bann / Fluch und Straffe darzu zu zwingen“ (EL 2,359), worüber wiederum das „Kennzeichen der wahren Jünger CHristi nemblich die Liebe gäntzlich verlohren ward“ (EL 2,359). 111 Vgl. EL 2,360. 112 Vgl. EL 2,363. 113 Was – wie Arnold mit einem freilich anachronistischen Verweis auf Bernhard von Clairveaux verbürgen möchte – ihrer eigentlichen Aufgabe nicht entspricht: „Die Vorsteher wollen ihre Untergebene immer erschrecken / selten aber ihnen helffen. Da sie doch sollten gleichsam Mütter seyn und nicht Herren. Dieses lernet doch / und sehet zu / daß ihr vielmehr gelibet werdet / als gefürchtet: Wenn auch etwa ein Ernst nöthig ist / so sey er väterlich und nicht tyrannisch. Mütter sollt ihr seyn durch Freundlichkeit / Väter durch Bestraffung. Drum werde doch gelinde / leget ab euer wildes wesen / haltet inne mit schlagen / und lasset eure Brust gleichsam von Milch und nicht von Hoffart auffschwellen“ (EL 2,364, ein Zitat aus Bernh. in Cant. 23[,2], vgl. SC 431; 202,23–204,31: „Minime ita confiderent, nisi matrem agnoscerent. Audiant hoc praelati, qui sibi commissis volunt semper esse formidini, utilitati raro. Erudimini qui iudicatis terram. Discite subditorum matres vos esse debere, non dominos; studete magis amari, quam metui: et si interdum severitate opus est, paterna sit, non tyrannica. Matres fovendo, patres vos corripiendo exhibeatis. Mansuescite, feritatem ponite, suspendite verbera, producite ubera: pectora lacte pinguescant, non typho turgeant.“). 114 Die Kirchen- und Ketzerhistorie vollstreckt damit das Verfallsprogramm der Ersten Liebe.
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Ersten Liebe nach der konstantinischen Kirche setzt laut Kirchen- und Ketzerhistorie auch nach der Reformation, welche noch eine kurzzeitige Restauration des altkirchlichen Ideals möglich erscheinen ließ, spätestens mit dem Tod Luthers ein allgemeiner Verfall ein.115 Die Kapitel 14–17 des zweiten Buches der Ketzerhistorie gründen maßstabsgetreu auf der Verfallsarchitektur der Ersten Liebe:116 Kapitel 14: Ursachen des Verfalls der evangelischen Prediger Aufkündigung der Gottesbeziehung Die drei Hauptlaster Laster I: Geiz Laster II: Wollust Zwischenbilanz – der Schaden: Aufweichung der Kirchenzucht Kapitel 15: Laster III: Hochmut Zwischenbilanz – der Schaden: Aufweichung der Kirchenzucht Kapitel 16: Die Konsequenzen des Verfalls für die ganze Kirche: Aufweichung der Kirchenzucht und Verfall der Zuhörer Kapitel 17: Konzile als Unterdrückungsinstrumente zur Durchsetzung von lehramtlicher Uniformität
Völlig analog zur Ersten Liebe geht Arnold in der Kirchen- und Ketzerhistorie zunächst den Ursachen des Verfalls der lutherischen Kirche nach, nennt zum einen Luthers Tod, mit dem eine die Kirche einende Gründungsfigur zu Grabe geht, so dass die Prediger und Theologen ihrer Streitlust ungehemmt nachgehen konnten,117 zum anderen die Berufung ungeeigneter, falscher, eigennütziger Lehrer118 und zuletzt die erneute und fortschreitende Aushöhlung und Beschneidung der Berufungsrechte der Gemeinde.119 Sodann lässt Arnold den Verfall der Vgl. Büchsel, Kirche, 80 und Kantzenbach, Weg, 210–212; vgl. auch Bahl, Decay, 151–156. 115 Vgl. zum Lutherbild in der Kirchen- und Ketzerhistorie Beutel, Luther im Urteil, 177– 180; Oelke, Martin Luther und die Reformation, hier 215 f; Lee, Luther-Rezeption, 105–109; Marti, Vorurteilskritik, bes. 254–258; vgl. auch Martin, Historicus und Rudolph, Ketzerei. Vgl. auch die neuere Untersuchung von Breul, Reformation, in der unter dem pointierten Titel „Vom schnellen Ende der ‚ersten Liebe‘“ auch die Übertragung der Verfallsidee aus der Ersten Liebe in die Kirchen- und Ketzerhistorie beleuchtet wird. 116 Arnold widmet den „Lehrern“ jedes Säkulums jeweils ein eigenes Kapitel (vgl. Wetzel, Kirchengeschichtsschreibung, 198–201). 117 Vgl. UKKH 2,159. 118 Vgl. UKKH 2,161: „Im anfang der Reformation hätte man freylich bessere Lehrer nöthig gehabt / als man sie wol meistens beschrieben findet / und wir sie jetzo nach und nach erkennen werden. Die grosse unordnung / der mangel rechter anstalt / die schreckliche unwissenheit und sicherheit samt der heucheley war erstlich schuld / daß die Gemeinen so schlecht versorget wurden / da man aus noth nehmen und beruffen muste / wer sich nur wolte brauchen lassen / er mochte tüchtig seyn oder nicht. Es geben alle umstände / wie übel die meisten örter damit versehen worden. Nachgehends kam der muthwillen und tausend andere falsche absichten dazu / daß es mit dem beruff derer Prediger meistentheils sehr gottloß und leichtfertig zugienge.“ 119 Arnold selbst zieht hier die Parallelen zur vorkonstantinischen Kirche: Dort habe man
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protestantischen Kirche ganz dem Verfall der Alten Kirche folgen, indem er seine Gravamina nach dem hamartiologischen Grundschema der drei „haupt=laster“120 zusammenstellt, wenn auch in leicht abgeänderter, der polemischen Zuspitzung entgegenkommender Reihenfolge: Geiz, Wollust und Hochmut. Während sich der Geiz der Lehrer vor allem im Wucher, dem Betreiben profaner Wirtschaftsbetriebe, besonders Schankstuben, verschiedenen Vorteilsnahmen, Simonie und in der Erhebung von Stolengebühren erwiesen habe,121 begreift Arnold ihre Wollust in erster Linie als Folge einer falsch verstandenen, evangelischen Freiheit:122 Vor allem die Pfarrer hätten sich unter Vorgabe der evangelischen Freiheit „dem fleisch raum zu geben gegönnet / und sich das freye leben gefallen lassen“,123 um sich der Trunksucht, dem Ehebruch, dem Tanz und dem Glücksspiel hingeben zu können.124 Geiz und Wollust der Prediger würden nun – auch dies eine deutliche Reminiszenz an die Erste Liebe – ebenso das Kirchenvolk verderben, weil die Prediger aus bloßer „trägheit u. geringachtung der sünden / noch viel mehr aus menschen=furcht und nicht weniger aus schmeicheley“ ihre Zuhörer sehen können, wie die Gemeinden ihre Prediger eigenständig und einmütig gewählt hätten, bevor ihnen dieses Recht von der Obrigkeit und der „Clerisey“ genommen worden sei. Dem Papst habe dieses Recht wiederum Luther streitig gemacht, gleichzeitig habe sich die Obrigkeit aber „des beruffs der Prediger“ angenommen, was sich im weiteren Verlauf der Reformation verselbstständigt habe (UKKH 2,162). Alle Zugeständnisse hinsichtlich der Berufungsrechte an die Gemeinde seien bloße Lippenbekenntnisse gewesen, jede echte Forderung nach einer freien Wahl der Prediger hätte man als „seltsam und gut Wiedertäufferisch“ abgetan (UKKH 2,162). Auf den Opportunismus der Amtsanwärter habe sich besonders gut das Patronatswesen gereimt: „Zu geschweigen / was sich sonst die Patroni, sonderlich die Idioten in kleinen städten / bey diesem Jure eingebildet und vor insolentien vorgenommen / was vor ungerechtigkeit / Simonie und andere gottlose intriguen dabey sich geäussert / davon noch immer an allen orten exempel vor augen liegen. Woraus denn zu sehen ist / wie rechtmässig und Göttlich solche Prediger beruffen worden / und was so fort von ihrem amte gutes zu hoffen gewesen“ (UKKH 2,162). 120 UKKH 2,166. 121 Vgl. UKKH 2,163–165. Dabei macht er auch vor den bedeutenderen Reformatoren keinen Halt: Anekdotisch kann Arnold davon berichten, dass Johannes Bugenhagen dem Kurfürsten Johann Friedrich bei dessen Hafturlaub in Wittenberg keinen Trost spenden, sondern sich viel lieber über seine mangelhafte Besoldung beklagen wollte (vgl. UKKH 2,165). Arnold bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Matthäus Ratzenbergers Geheime Geschichte von den Chur- und Sächsischen Höfen und den Religions-Streitigkeiten seiner Zeit. Die Begebenheit wird in der heute maßgeblichen, freilich nach Arnold erschienen, Ausgabe von Strobel und Schüpfel (1774) auf den Seiten 97–99 geschildert. Laut Adolf Brecher ist diese Ausgabe geradewegs auf das Vorhaben zurückzuführen, Arnolds angeblich verfälschende Referate der Darstellungen Ratzenbergers in der Kirchen- und Ketzerhistorie zu revidieren (vgl. Brecher, Ratzenberger, 374). 122 Vgl. UKKH 2,166: „Siehet man aber die begebenheiten von anfang der reformation ein wenig genau durch / so stehet nicht wol zu läugnen / daß / nach dem die leute aus dem greulichen gewissens=zwang in die freyheit gesetzet wurden / sie von einem extremo auffs andere u. von der tyrannischen zucht der Päbstl. Clerisey auff grosse leichtsinnigkeit und freiheit verfallen.“ 123 UKKH 2,166. 124 Vgl. UKKH 2,167–171.
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schonen und auf die rigide Anwendung der Kirchenzucht verzichten wollten.125 Mit der engen Bindung der Lehrer an die Obrigkeit und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Gemeinde habe sich letztlich die christliche Ernsthaftigkeit verflüchtigt, so dass mit der Reformation nur die Missstände in der Lehre, nicht aber die des Lebenswandels ausgeräumt werden konnten.126 Der Hochmut wird in einem eigenen Kapitel (15) behandelt und materialisiert sich wie schon in der Ersten Liebe als Akkumulation kirchlicher Macht. Bereits im vierzehnten Kapitel konnte Arnold als die wesentliche Folge des Hochmuts in der lutherischen Kirche das subtile Wiederaufleben des Papsttums kritisieren,127 wobei Arnold das Papsttum als Chiffre für sämtliche autoritäre, monepiskopale Unterdrückungsformen innerhalb der Kirche verwendet: Ein „subtiles Pabstthum“128 und „[p]olitische Päbste […], welche durch politische räncke die Kirche verwirreten“129 seien auch in der lutherischen Kirche am Werk. Ähnlich wie die konstantinische sei die lutherische Kirche „bloß um die erhaltung ihrer ehre und respects“130 auf eine ausdifferenzierte Ämterhierarchie verfallen, Superintendenten seien eingesetzt und die Unterscheidung von Klerikern und Laien zementiert worden.131 In der Folge sei erneut ein Kampf um die theologische Deutungshoheit im Luthertum entbrannt, obwohl diesem schon dessen Erzvater das Urteil gesprochen hatte: „Da indessen die sententz Lutheri überhaupt mag wahr bleiben / welche an eine thür in der Fürsten=schul Meissen geschrieben worden. O δόξα, δόξα, quam magna es noxa! O meinung oder orthodoxi, wie schädl. bist du / nemlich wenn sie zum zanck und hochmuth gebrauchet wird.“132
In der Wittenberger Cathedra Lutheri, der eine ähnliche Vorzüglichkeit und Erhabenheit über die protestantische wie die Cathedra Petri über die katholische Kirche
125 UKKH
2,172. UKKH 2,173. Arnold kann in diesem Fall aber auch besonders krasse Fälle theologischer Bildungslosigkeit nennen, wie sie u. a. in den Visitationsprotokollen dokumentiert wurden: So habe ein Prediger, auf die Trinität hin befragt, tatsächlich von drei Göttern gesprochen (vgl. UKKH 2,174). Arnold resümiert: „Also gieng das arme volck mit seinen hirten in der ärgsten blindheit und sicherheit dahin / daß es offt ärger aussahe als im Pabstthum“ (UKKH 2,175). 127 Vgl. UKKH 2,160: „Nur ist dieses hier nicht zu übergehen / daß so viele verständige schon damal in acht genommen / wie das Pabstthum / so viel davon etwa abgeschaffet worden / so bald wiederum eingeführet / und an statt eines Pabsts so viel kleine Päbste canonisiret worde wären.“ 128 UKKH 2,160. 129 UKKH 2,160. 130 UKKH 2,176. 131 Vgl. UKKH 2,176 f. Wie in der Ersten Liebe widmet sich Arnold in diesem Zusammenhang der Prunksucht und aufwendigen Kleidung der lutherischen Kleriker (vgl. auch UKKH 2,178 f). 132 UKKH 2,178. Die Herkunft des Gedichts wird nicht belegt. 126 Vgl.
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zugeschrieben werde133 – nach Arnold: eine „aberglaubische erhebung“134 – versinnbildliche sich die vom Klerus für sich in Anspruch genommene Orthodoxie, Infallibilität und Erhebung über die Laien. Zudem registrierte bereits Luther eine erneute Politisierung der Kirche, etwa wenn die Kirchendiener von der weltlichen Rechtsprechung ausgenommen wurden: „Affen und Pfaffen Lassen sich nicht straffen.“135 Schlussendlich, so Arnold, ließen sich Kirchenzucht und strenge Moral in den Gemeinden nicht mehr aufrechterhalten136 und die Zuhörer begannen, ihre schlechten Prediger nachzuahmen.137 Trotz aller leicht zu durchschauenden Repristination der hamartiologisch akzentuierten Dekadenzidee zum Nachteil der lutherischen Konfessionskirche138 fällt auf, dass Arnold in der Ketzerhistorie mit großer Entschiedenheit den Verfall der Prediger und der Zuhörer auf eine Biegung und Falschakzentuierung der durch Luther und die Reformation ins Recht gesetzten Rechtfertigungslehre zurückführt. Wenn er dazu anhebt, „Epicureismus“, „Sicherheit“ und „Frechheit“ der Lutheraner zu kritisieren,139 und annimmt, die Prediger hätten von der Lehre des Evangeliums letztlich nur den einen Teilaspekt – die „verheissung von der rechtfertigung und erlösung“140 – behalten und alle anderen, die „mit jenen unmittelbahr verknüpffet stehen“, für „indifferent oder gar unnütz und schädlich geachtet“,141 benennt er ein Spezifikum der protestantischen Verfallsgeschichte, insofern142 er an die Stelle der papistischen Werkgerechtigkeit eine lutherische Scheingerechtigkeit getreten sieht, welche letztlich nur auf den „eigenen wahn und leere einbildungen“,143 nicht aber auf eine tiefgreifende 133 Vgl.
UKKH 2,178 f. 2,178, Marginalüberschrift. 135 UKKH 2,179. Es handelt sich dabei nicht um ein direktes Zitat Luthers. Johann Mathesius überliefert das Bonmot im Zuge seiner siebten Predigt über das Leben Luthers (vgl. die Erstauflage der Sammlung Von des Ehrwirdigen in Gott Seligen thewren Manns Gottes, Doctoris Martini Luthers, anfang, lehr, leben vnd sterben. Alles ordendlich der Jarzal nach, wie sich alle sachen zu jeder zeyt haben zugetragen, Nürnberg 1567, 70). 136 Vgl. UKKH 2,182. 137 Vgl. UKKH 2,182: „[…] daß nemlich das arme unwissende volck solchen bösen arbeitern in allem nachfolgete / und das / was sie thäten / vor recht und zulässig hielte / oder zum wenigsten an den vermeynten üblen Seelsorgern / bey ihrem so schädlichen verhalten / gantz irre wurde / daß es nit wuste woran es sich halten sollte.“ 138 Vgl. UKKH 2,183: „AM allermeisten aber / wird nun der unbeschreibliche schade solches verderbs unter den Lehrern / an dem verhalten und übrigen zustand derer zuhörer zu erkennen seyn. Davon so wol insgemein als auch insonderheit / klagen und zeugnisse überflüssig gnug vorhanden sind.“ 139 UKKH 2,183. 140 UKKH 2,186. 141 UKKH 2,186. 142 Vgl. UKKH 2,186: „Ja es blieb nicht allein bey solchen eiteln und lästerlichen meinungen / sondern es wolten viel lehrer selbst keine warnung noch erinnerung leiden / dadurch der sicherheit gestreuet würde. Darum wurde diese warnung als eine ketzerey verdammt und öffentlich die leute davon abgemahnt […].“ 143 UKKH 2,187. 134 UKKH
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Existenzveränderung zielt. Damit hat Arnold die Historie definitiv hinter sich gelassen und beklagt die überzeitliche und akute Defizienz des Predigerstandes, die sich bis in seine Gegenwart erstreckt.144 Wallmanns prägnantes Urteil – „Die in der ‚Ersten Liebe‘ für die Geschichte der frühen Kirche fruchtbar gemachte pietistische Verfallsidee zeigt jetzt [d. h. in der Ketzerhistorie] in der Anwendung auf die Gesamtkirchengeschichte ihre volle Brisanz“145 – bewahrheitet sich vor allem auf dem Feld der Pastoralkritik und -theologie: Der sich fortsetzende Verfall der evangelischen Prediger bedingt den Verfall der evangelischen Kirche. Wenn daher Ernst Salomon Cyprian in den Allgemeinen Anmerckungen seinen gegen die Kirchen- und Ketzerhistorie erhobenen Einspruch ganz auf Arnolds Verzeichnung des lutherischen Lehrstands zuspitzt, hat er den Aktualitätsanspruch der Arnold’schen Verfallsgeschichte völlig präzise erfasst.146
2.1.3. Zwischenfazit: Die historiographischen Wurzeln der Pastoraltheologie Arnolds Im Zuge der Auseinandersetzung mit Caves Primitive Christianity rekonstruiert Arnold das urkirchliche Pfarrideal und dessen Verfall und erschließt damit die wesentlichen Grundlagen für seine Pastoraltheologie. Mit der Ersten Liebe gewinnt Arnold die erfahrungstheologischen Prämissen seiner späteren Berufungstheologie, definiert zum ersten Mal die Berufung des Lehrers als eine persönliche, fortschreitende und alles bestimmende Gotteserfahrung, weist die Demut als pastorale Leiteigenschaft aus und nennt die Übereinstimmung von Lehre und Leben das untrügliche Zeichen einer göttlichen Berufung des Lehrers. Er entwickelt aber auch eine markante hamartiologische Deutung des konstantinischen Verfalls der Lehrer, die diese geschichtliche Situation übergreift und die seiner späteren Pastoraltheologie als Negativfolie dienen wird: Die Lehrer weisen die Gotteserkenntnis zurück, sagen sich von Gottes Wort los und verfallen auf die Laster des Hochmuts, Geizes und der Wollust, nachdem sich in Zeiten der Ruhe und Sicherheit der Kirche die Sünde ihrer ungehemmt bemächtigen konnte, so dass Gott sie der Erkenntnismöglichkeit beraubte, ihren eigenen Verfall einzusehen und sich zu bessern. Mit dieser hamartiologischen Deutung des Verfalls der Lehrer sprengt Arnold die historische Darstellung der konstantinischen Wende und entfaltet nicht weniger als eine Phänomenologie der Selbstberufung der Prediger, die im Kontext der historischen Darstellung vor allem der polemischen Pastoralkritik, im Kontext der späteren Pastoraltheologie hauptsächlich der kritischen 144 Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass die Kritik am Lehrstand auch das dritte Buch – die Darstellung der Kirchengeschichte bis in die Gegenwart Arnolds – maßgeblich bestimmt: Fast jede dort eingebettete Biographie wartet mit einem eigenen Kapitel zur Predigerkritik auf. 145 Wallmann, Pietismus, 157. 146 Vgl. Kapitel I.2.3.
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Selbstspiegelung dient: Die geschilderten Verfallsprozesse, die den Lehrstand betreffen, sind keine historischen Singularitäten, sondern brechen sich überall und immer wieder erneut Bahn, wenn sich die Lehrer von Gott lossagen und ihre Berufungserfahrung preisgeben. Auf den ersten Blick erzählt Arnold in seinen historischen Schriften also die überaus pessimistische Geschichte eines tiefgreifenden, unumkehrbaren Verfalls der Prediger, welcher unmittelbar in die kirchliche Gegenwart hineinreicht. Doch er kommt auch auf historische Ausnahmen zu sprechen, die diese Verfallsgeschichte durchkreuzen: Besonders der kappadozische Kirchenvater Gregor von Nazianz gilt Arnold als leuchtendes Beispiel eines idealen Lehrers im Angesicht der Anfechtungen seitens der veräußerlichten, nachkonstantinischen Majoritätskirche, denn er verbürgt die bleibende Vitalität des altkirchlichen Ideals unter den Bedingungen des Verfalls.
2.2. Gregor von Nazianz – der ideale Lehrer unter den Bedingungen des Verfalls Wenn Arnold auf Ideal und Verfall des Lehrers zu sprechen kommt, nimmt er immer wieder Bezug auf die Schriften und Biographie Gregors von Nazianz (ca. 329–390). Dass Gregor einst sein Presbyteramt niedergelegt und Zuflucht in der asketischen Einsamkeit gesucht hat; dass er seinem späteren Bischofsamt immer zwiespältig und innerlich distanziert gegenüberstand und dass er massive Repressalien von den konstantinopolitanischen Bischöfen hinnehmen musste, regt Arnold dazu an, sich in verschiedenen pastoralkritischen Argumentationszusammenhängen der Ersten Liebe und der Kirchen- und Ketzerhistorie mit ihm zu befassen und gar in der Zweitauflage der Macarius-Edition, Ein Denckmahl des Alten Christenthums / Bestehend in des Heil. Macarii und anderer Hocherleuchteten Männer aus der Alten Kirche Höchsterbaulichen und Außerlesenen Schrifften (1699), Gregors nach der Aufgabe seines Presbyteramtes entstandene Apologie unterzubringen, nicht jedoch ohne diese völlig auf die Frage nach der Wichtigkeit und Gefährlichkeit des kirchlichen Amtes zuzuspitzen. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, welch immense pastoraltheologische Bedeutung dem Kappadozier im historischen Œuvre Arnolds zukommt. Dazu wird in einem ersten Schritt Arnolds Ansatz einer biographischen Kirchengeschichtsschreibung näher erkundet, um die Tendenz seiner Gregor-Darstellung sachgerecht fassen zu können. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, dass Arnolds dezidiert pastoraltheologisches Interesse an Gregor in der Historiographie des 17. Jahrhunderts kaum Vorläufer findet, also durchaus ein Spezifikum seiner Geschichtsschreibung darstellt. In einem dritten Schritt sollen die Darstellungen Gregors in der Ersten Liebe, dem Denckmahl und der Kirchen- und Ketzerhistorie skizziert und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden – wobei sich zeigen wird, dass Arnold Gregor von Nazianz
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als eine herausragende Ausnahmeerscheinung in der verfallenen frühkonstantinischen Kirche exponieren möchte: Obwohl er als unbestritten orthodoxer Bischof galt und u. a. gegen die arianische Gotteslehre stritt, wahrte er aufgrund seiner nahezu mystischen Gottesbeziehung eine kritische Distanz zu seinem Amt und seiner Kirche. Damit verkörpert Gregor das von Arnold in der Ersten Liebe dargestellte und von ihm favorisierte pastoraltheologische Ideal der Alten Kirche und avanciert zu einem Archetyp des wahren Lehrers unter den Bedingungen des Verfalls.147
2.2.1. Die Prämissen der biographischen Geschichtsschreibung Arnolds Arnolds einschlägiges Interesse an der Biographie und Psychologie einzelner kirchengeschichtlicher Akteure prägt vor allem die Darstellungsweise der Kirchen- und Ketzerhistorie,148 doch im Vorwort zur Denckmahl-Anthologie und in dem dieser Sammlung angehängten Traktat Erinnerung Von Brauch und Mißbrauch Böser Exempel legt er die theologischen Prämissen dieses personengeschichtlichen Ansatzes auch in theoretischer Hinsicht offen. So gibt das Vorwort zum Denckmahl Aufschluss darüber, welche Wirkung sich Arnold von der Personengeschichte erhofft und warum er den Selbstzeugnissen der kirchengeschichtlichen Akteure in seinen Darstellungen einen so breiten Raum gibt. Arnold geht davon aus, dass der religiöse Erfahrungshorizont seiner Leser im Lichte der Biographie und Schriften herausragender, altkirchlicher Autoren entschieden erweitert und ihr geistliches Leben beachtlich bereichert werden könne.149 Im Zeugnis der alten Lehrer gelange dem – wohlgemerkt: 147 Arnolds Gregor-Bild ist bisher nicht Gegenstand der Forschung gewesen, kann aber der Diskussion zur Pastoraltheologie Gregors und ihrer Rezeptionsgeschichte, wie sie sich in verschiedenen, jüngeren Forschungsbeiträgen abzeichnet, frische Impulse geben. Meier, Einleitung, 15–30, und Vogt, Carmen de episcopis, v. a. 48 f.66 f, befassen sich – wie Arnold – mit den kleruskritischen Gedichten Gregors; vgl. zur problematischen Überlieferungsgeschichte der Gedichte Gregors Sicherl, Verschmolzene Gedichte, 313–323 und Sicherl, Überlieferung, 1–16.51–96; vgl. Demacopoulos, Leadership, 218–222 zu Gregors Apologie nach seiner Flucht; McLynn, Self-Made Holy Man, 467–470 zur Selbstinszenierung Gregors in seiner Apologie und seinen Gedichten; vgl. Goad, Ministry, 106–109 und Matz, Philippians, 284–287 zur pastoraltheologischen Bedeutung der Demut bei Gregor, ausgehend von Phil 2; vgl. in diesem Zusammenhang auch Daley, Gregory, 109 f; ein einzelnes Schlaglicht auf die Rezeptionsgeschichte der Pastoraltheologie Gregors (bei Florus von Lyon) wirft Fransen, Florilège pastoral tiré, bes. 88 f; vgl. zur Editionsgeschichte der Werke Gregors Hauschild/ Wyrwa, Gregor, 1543 f. 148 Vgl. Wallmann, Pietismus, 158 f. Vgl. zum Begriff „Psychologie“ Gundlach, Psychologie, insb. 309–313. 149 Vgl. DAC 2,5: „Es findet ein Gottsuchendes Gemüthe allhier keine leere Worte / oder zusammen gesuchte Formuln / übel applicirte Sprüche und dergleichen. Sondern wie die Urheber nicht nur in allerley Erkäntnis / sondern auch in wircklicher Erfahrung täglich gewachsen; So haben sie nach so manchen ausgestandenen Todes=Kampff und Sieg aus der Fülle des Geistes anderen zur Nachricht / Warnung / Stärckung und Folge eines und das andere geredet oder geschrieben. Dergestallt daß einem / welcher GOTT und das / was von ihm gebohren ist / ken-
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gläubigen – Leser Gottes Wort unmittelbar zur Anschauung, denn hier finde sich eine dermaßen ungekünstelte, reine und zugegebenermaßen vernunftwidrige Darstellung des Evangeliums und der lebendigen Gotteserfahrung,150 dass Arnold unbefangen davon sprechen kann, dass Christus „warhafftig […] in solchen Seelen [lebete] / und wirckete krafftiglich / nachdem er ihnen durch seinen Geist bezeuget hatte die Leiden / die in ihm sind / und hernach erst die Herrlichkeit […]“.151 Derjenige, der Gottes Willen zu tun suche und sich bereits im „Haß und Verleugnung aller Dinge / auch seines eigenen Lebens“152 befinde, werde erkennen, „dz auch diese hier enthaltene Lehren von GOtt seyn / und von Christo reden“.153 Den Vorwurf, er greife durchweg auf Schriften lediglich solcher Autoren zurück, die völlig weltfremd und an den seelischen Bedürfnissen der Gläubigen vorbei eine schwerlich realisierbare Utopie eremitischer Askese propagierten, möchte er entkräften:154 In allen von ihm edierten Texten habe die Gotteserfahrung absolute Priorität vor jeder Weltabkehr und damit werde ein Thema zeitloser und situationsunabhängiger Relevanz behandelt. Allen Autoren gehe es zuvorderst um die Etablierung und Internalisierung der Gottesbeziehung, die zu allen Zeiten Gefahr laufe, durch äußere Notwendigkeiten und Herausforderungen auf die Probe gestellt zu werden.155 Weil jedoch die in der Edition vertretenen Lehrer aus der Zeit der „stetigen Trübsalen und Druck“156 stammten, würden die versammelten Schriften eine originale und nahezu ungetrübte Gotteserfahrung repräsentieren, die weder durch externe Vergewisserungsinstanzen untermauert noch durch kirchliche Dogmen domestiziert noch durch weltliche Einflüsse korrumpiert sei.157 Arnolds personenbasierte Kirchengeschichtsnet / manchmahl ein einig Wort durch Marck und Bein dringet / weiln die wesendliche Krafft GOttes selbst mit solchen Außsprüchen vereiniget ist / und kräftiglich wirckend befunden wird.“ 150 Vgl. DAC 2,5 f. 151 DAC 2,7. 152 DAC 2,9. 153 DAC 2,9. 154 Vgl. DAC 2,10. 155 Vgl. DAC 2,13: „Hiernächst hat man auch deßwegen solche Schrifften [d. h. asketische Schriften] erkieset / weil von dergleichen Männern / die meist ausser öffentlichen Ämtern in der Freyheit des Geistes gelebet / am allerwenigsten zu vermuthen gewesen / daß sie entweder aus Menschen=Furcht oder Gewonheit / oder andern Vorurtheilen in ihren Lehren und Leben unlauter / oder nach der Welt Satzung und nicht nach Christo gewesen wären / auch also die Warheit verschwiegen oder verstimmelt [sic!] hätten.“ 156 DAC 2,14. 157 Vgl. DAC 2,17 f: „Hier ist nun das vornehmste Kennzeichen / darauf die ersten Christen durchgehends dringen / die wirckliche inwendige Gemeinschafft der Seelen mit dem Vater und dem Sohn / als eines Freundes mit dem andern / wozu uns allein das Wort des Lebens verkündiget wird / I. Joh. I. I.2.3. Wer diese nicht nach der Versöhnung mit Gott unauffhörlich bewahret und gneust / in Entsagung aller andern Gemeinschafft / durch die streitige innere Zucht des H. Geistes / bey dem einfältigen Gehorsam des Glaubens / der wandelt noch in Finsternis / und wenn er auch mit Engel=Zungen HErr / HErr sagte und wüste alle Geheimniß / und hätte alle Erkäntnis / das ist / wenn er auch noch so schöne predigen / oder Bücher schreiben / oder sich als einen Engel des Lichts aufführen könte. Sinthemahl wer Christi Geist nicht hat / und also
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schreibung zielt also auf die Erfahrungspartizipation des Lesers: Derjenige Leser, der von Gott dazu gerüstet ist, greift die im Zeugnis der Lehrer verborgene Gotteserfahrung konstruktiv auf, um seine eigene zu erweitern und zu vertiefen. Dass Arnold die Biographien der kirchengeschichtlichen Akteure mitunter überspitzt darstellt und mit tendenziösen, theologischen Werturteilen versieht, hängt nun mit der latenten Gefahr der personenorientierten Geschichtsschreibung zusammen, wie Arnold sie im Traktat Erinnerung Von Brauch Und Mißbrauch Böser Exempel reflektiert, einer dem Denckmahl gewissermaßen als Lektüreanweisung angehängten Miszelle. Wenn Arnold hier von „Exempeln“ spricht, geht es ihm zwar vor allem um die biblischen Heiligen, d. h. die alttestamentlichen Patriarchen und Apostel, insbesondere Paulus. Als Anhang zum Denckmahl soll der Traktat aber unverkennbar auch denjenigen Lehrern gelten, deren Texte Einzug in die Edition gefunden haben. Kernthese der Erinnerung ist, dass eine personal orientierte Kirchengeschichtsschreibung von ungläubigen, böswilligen Lesern dazu missbraucht werden könne, die eigene Sündhaftigkeit zu entschuldigen und einen libertinistischen Standpunkt zu rechtfertigen. Der sündige Mensch könne „den Sinn Gottes“ in den Heiligen-Geschichten gar nicht recht verstehen, „da sein Verstand verfinstert / und er selbst von dem Leben / das aus GOtt ist / entfremdet ist […] Weßwegen er von allen partheyisch urtheilet“.158 Beide, Gläubige wie Ungläubige, lesen die Heiligen-Geschichten, beiden erschließt sich vielleicht ihr Wortsinn, beiden wird ein religiöser Eindruck zuteil, ein „Geruch“, aber „jenen [der Geruch] des Lebens / diesen des Todes / nachdem sie es nehmlich im Glauben oder Unglauben angewendet haben“.159 Während die Gläubigen aus den Exempeln „lauter Segen“ ziehen, insofern sie ihnen zum Besten und zur Umkehr gereichen würden,160 würden die Blinden bzw. Gottlosen – so die Befürchtung Arnolds – sie zwangsläufig missverstehen, da sie ihre eigene Unbußfertigkeit mit der dort versicherten, kontrafaktischen Heilszuwendung Gottes zum Menschen entschuldigen möchten: Peccate fortiter!161 Dem setzt Arnold entgegen, dass die Beispiele der Heiligen „zur Lehre“ (nach Röm 15,4) und „zur Warnung“ (nach 1 Kor 10,11) dienen sollen;162 dass das Gericht Gottes auch dann nicht umgangen werden könne, wenn man dem Beispiel der Bekehrung eines Heiligen nacheifere;163 dass ein solches Kalkül einer vorsätzlichen Sünde den Geist der Liebe und der Krafft und der steten Zucht / der ist nicht seyn / und folglich ohne CHristo und ohne GOTT / fremde von dem Testament der Verheissung / und dem ewigen Leben.“ 158 EBM 3. 159 EBM 5 f. 160 EBM 6. 161 Vgl. EBM 8: „Das verführische Herze schleußt aus Blindheit: Wenn die größten Heiligen / als Noah / David / und andere in Sünden gefallen / und dennoch seelig worden sind / so wird es auch mir nicht schaden / ich sündige wie schwerlich und wie viel ich will.“ 162 EBM 8. 163 Vgl. EBM 10.
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gleichkäme, die im Gegensatz zu den nicht vorsätzlichen Sünden besonders hart bestraft werden würde;164 und dass auf diese Weise die gattungsimmanente Tendenz der Heiligenbeispiele völlig verkannt werden würde, da diese keineswegs auf die Rechtfertigung der Sittenlosigkeit und Sünde, sondern vielmehr auf die Umkehr abzielen.165 Aus pastoraltheologischer Perspektive ist besonders bemerkenswert, dass sich in den Traktat auch eine dezidierte Kritik an den Predigern einmischt, die in Predigt und Unterricht häufig auf biblische Exempel zurückgreifen würden. Arnold kritisiert zum einen, dass „Lehrer und Obere“ ihre eigenen, mutwilligen Sünden entschuldigen wollen, indem sie auf die Unvollkommenheit der biblischen Heiligen hinweisen,166 was deswegen nicht statthaft sei, weil die Sünden der Nachgeborenen genauso hart bestraft werden würden wie die Sünden der Heiligen in der Bibel.167 Zum anderen warnt Arnold die Prediger davor, die biblischen Exempel heranzuziehen, um neben der eigenen auch die Sünde ihrer Zuhörer zu relativieren: „Prüfe dich / ob du dich nicht freuest / wenn du siehest und zeigen kanst / daß du nicht allein seyest / den man dieser oder jener Sünde ziehen [sic!] mag. Vielleicht hast du es gerne also / wenn du einen Deck=Mantel zu haben meynest / dein oder deiner Zuhörer Boßheit zu bedencken: Du hast dich wol zu prüfen / ob dirs lieber ist / als wenn du dergleichen nicht finden und auffweisen köntest.“168 Arnold wirft den Predigern vor, unter Zuhilfenahme der biblischen Exempel die Gottlosen allzu rasch zu absolvieren.169 Damit würden sie jedoch den Skopus der Heiligen-Legenden gründlich verfehlen: Schon die Pharisäer – bei Arnold eine vielfach verwendete Chiffre für selbstgefällige, bigotte Prediger – hätten an Christus zur Sünde gemacht, „was doch nicht Sünde war / und die Balcken in ihren und ihrer Mitgenossen Augen [nicht gesehen]“.170 Der Nutzen der HeiligenExempel bestehe letztlich vor allem darin, dass sie allesamt auf Christus verweisen: „Ey so siehe doch auff JESUM. Diesen haben alle Auserwehleten zum Anfänger und Vollender ihres Glaubens gehabt. Würdest du seine Krafft in dir mächtig werden lassen / nachzufolgen seinen Fußstapffen: So würde dir alles andere bald verschwinden.“171
Arnolds Überlegungen in der Vorrede zum Denckmahl und im Traktat Von den bösen Exempeln erhellen die theologischen Prämissen seiner mitunter tendenziösen Biographik. Aus der Abwägung von Nutzen und Gefahr der biographischen Kirchengeschichtsschreibung ergeben sich die Verantwortung des Kirchenhistorikers, die herangezogenen Quellen hinsichtlich ihrer Erbaulichkeit für das geistliche 164 Vgl.
EBM 11. EBM 18: „Sie [die Heiligen] beschämen euch vielmehr / und überzeugen euer Gewissen / daß ein solcher Sinn und Wandel vor GOTT nöthig / möglich und heilsam sey / als sie außer ihrem Fall geführet haben. Und daß gar ein ander Wesen von euch gefordert wird / als dasjenige ist / welche ihr so ungeschickt / und verkehrt zu entschuldigen meynet.“ 166 Vgl. EBM 18 f. 167 Vgl. EBM 20: „Darum wird dir alles zur Sünde / was du thust: auch dein Kirchen = gehen / lehren / predigen / und alles wird nach seinem Hertzen gerichtet werden. Kein Exempel der Alten wird dich hier schützen können.“ 168 EBM 37. 169 Vgl. EBM 39. 170 EBM 39 f. 171 EBM 30. 165 Vgl.
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Leben der Leser auszuwählen, wie auch die Notwendigkeit eines profilierten theologischen Werturteils über die Biographie einzelner kirchengeschichtlicher Akteure. Arnold erkennt, dass die Personengeschichte immer ambig und interpretationsbedürftig bleibt und vom natürlichen Menschen missbraucht werden kann, um die eigene Sündhaftigkeit zu entschuldigen, so dass der Kirchenhistoriker die biographischen Segmente seiner Darstellung überspitzen172 und den Bußkampf der Heiligen in den Vordergrund seiner Geschichtsschreibung stellen muss, um seine Leserschaft auf das eigentliche Ziel des Wirkens Gottes im Leben der Heiligen, die geistliche Erneuerung, zu lenken.173 Diese hermeneutischen Grundsätze der Personengeschichte konkretisieren sich auch in Arnolds Gregor-Darstellung, mit der er sich unverkennbar vor allem an die Pfarrer der ihm zeitgenössischen Kirche wendet.
2.2.2. Das Gregor-Bild in orthodoxer und pietistischer Geschichtsschreibung Arnolds pastoraltheologisches Interesse an Gregor, wie es in der Ersten Liebe, dem Denckmahl und der Kirchen- und Ketzerhistorie zu Tage tritt, ist für seine Zeit durchaus ungewöhnlich. Die Kirchengeschichtsschreibung der Orthodoxie und des Pietismus stellt Gregor von Nazianz nicht in erster Linie als skrupulösen Bischof, sondern vor allem als brillanten Redner, Poeten und orthodoxen Kirchenlehrer dar. So nennt Arnold selbst in der Vorrede zum zweiten Teil des Denckmahls, in der er seine Textauswahl ausführlich begründet, verschiedene Koryphäen der Reformation und Orthodoxie, die Gregor höchste Reverenz erweisen,174 und unterstreicht dessen „autorität“ in der ganzen Kirche – der orientalischen, römischen und protestantischen.175 Die von Arnold anzitierten 172 Vgl. EBM 63: „Wol dem / der also von dem HErren in der Zeit sich richten und züchtigen läßt / der wird nicht samt der Welt und ihren bösen Wercken verdammt werden. Denn alles / was von den Heiligen unrecht geschehen ist / gehöret zur Welt / und muß im Feuer verbrennen.“ 173 Vgl. EBM 64 (fälschlich paginiert als 94): „Achte die Gedult des Herren vor deine Seeligkeit / und schaue der Heiligen Ende an / nicht aber ihren Anfang / das ist / nicht ihren elenden und sündigen Zustand / sondern ihre seelige Vollendung. Folge ihrem Glauben / und nicht ihren schwachen oder Unglauben. Folge in dem / was sie niemahls gereuet hat / nicht was sie beklaget und gebüsset haben. Ihre Belohnung und Herrlichkeit soll dir ein Muster seyn / nicht ihre Bestraffung und Schande. Was in GOttes Augen vertilget ist / das lasse du auch vergessen seyn: Was ewiglich bleibet / das sey den Absehen und Verlangen.“ 174 DAC 2,27 f. Er tut dies, „damit niemanden die auch in dieser seiner Apologie enthaltenen Wahrheiten vor verdächtig oder verwerfflich scheinen mögen“. 175 DAC 2,28. Arnold geht hier noch nicht auf den eigentlichen Gegenstand der in die Edition eingeflossenen Verantwortung – Ideal und Verfall der Kirchenlehrer – ein, betont aber, dass Gregor die „viele[n] Göttliche[n] Wahrheiten“, die er in seinen Schriften dargelegt hat, „auch mit der praxi bezeuget hat“ (DAC 2,24), dass also dessen Lehre und Leben übereinstimmen, was er in der Ersten Liebe als ein Leitkriterium zur Überprüfung der Berufung des Lehrers hervorgehoben hatte.
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antiken, mittelalterlichen, römisch-katholischen und protestantischen Theologen und Historiographen rücken freilich vor allem die Lehrautorität, weniger die pastoraltheologische Bedeutung Gregors in das Zentrum ihrer Darstellungen. Arnold kommt z. B. auf Seckendorf zu sprechen. Dieser verlegt sich im Compendium Gothanum vor allem auf Gregors Auseinandersetzungen in Konstantinopel und berichtet vom untröstlichen Bedauern der Gemeinde und des Kaisers bei seiner Abdankung.176 In der von Arnold ebenfalls genannten Ethica pastoralis Quenstedts wird Gregor eher beiläufig erwähnt: Im fünften Monitum werden die während des Studiums zu lesenden Kirchenväter auf die orthodoxen eingeschränkt177 und Quenstedt weiß Gregor vor allem als Fürsten der christlichen Dichter („Oratorum & Poetarum Christianorum facile principem“), ja als christlichen Demosthenes („Christianum Demosthenem“) zu loben. Wenn Quenstedt noch einmal im 28. Monitum, in dem der Pfarramtskandidat dazu angehalten wird, ein tugendhaftes Leben zu führen, davon spricht, dass Gregor schlechte Prediger mit schlechten Künstlern verglichen habe, die wie auf einer Wachstafel mit ihren Worten malen, nur um das Gemalte mit ihrem Leben wieder auszustreichen,178 deutet er die Pastoralkritik Gregors zumindest an – weiter führt Quenstedt diesen Gedanken jedoch nicht aus und Arnold selbst lässt das entsprechende Monitum 28 außer Acht. Auch Johann Gerhard zeigt in der von Arnold angeführten Patrologia kein herausragendes Interesse am Kappadozier: Er zeichnet – wie er es für die meisten Kirchenväter tut – knapp dessen Vita nach, zählt seine Werke auf, stellt Elogia (also Lobbekundungen) und Errata Gregors zusammen, ohne jedoch auf seine pastoraltheologische Bedeutung näher einzugehen.179 Immerhin möchte auch er die Eloquenz Gregors lobend erwähnen.180
Auch wenn man über die in Arnolds Vorrede genannten Referenztexte hinausgehen und weitere Geschichtswerke jener Zeit berücksichtigen möchte, finden sich keine Nazianz-Darstellungen, die mit Arnolds eigener vergleichbar wären. In Kortholts Historia ecclesiastica Novi Testamenti findet Gregor nur kurz Erwähnung, seine Herkunft, sein Episkopat, seine Stellung zu Basilius und Gregor von Nyssa und sein Ehrentitel „Theologus“ werden kompendiös erläutert.181 Auch in Rechenbergs Summarium erscheint er lediglich als „Poeta & Orator“ und „intimus Basilii M. amicus“.182 In Quenstedts Antiquitates gibt es zumindest einige verstreute Anspielungen auf Gregors Ressentiments gegenüber dem Episkopat und den Konzilen: Quenstedt zitiert etwa Gregors festen Entschluss, die Konzile nicht mehr zu besuchen, weil diese selten ein gutes und glückliches Ende nahmen.183 Kromayer legt in seiner Ecclesia in politia wiederum einen Schwerpunkt 176 Vgl.
Seckendorff, Compendium, 338. Quenstedt, Ethica, 49. Quenstedt nennt außerdem Cyprian, Athanasius, Basilius, Ambrosius, Hieronymus, Chrysostomos, Augustin, Gregor den Großen und – als letzten „Kirchenvater“ – Bernhard. 178 Vgl. a. a. O. 198. Er zitiert dabei ohne Stellenangabe aus Gregors erster Apologie. Das Zitat findet sich im 43. Kapitel (SC 247; 146,1–16). 179 Vgl. Gerhard, Patrologia, 258–263. 180 Vgl. a. a. O. 260. 181 Vgl. Kortholt, Historiae, 139. 182 Rechenberg, Summarium, 109. 183 Vgl. Quenstedt, Antiquitates, 187. 177 Vgl.
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auf die enge theologische Zusammenarbeit und persönliche Bindung zwischen Basilius und Gregor,184 schildert dann relativ ausführlich den Werdegang Gregors, geht dann aber vor allem auf die Streitigkeiten mit den Arianern ein und katalogisiert seine Schriften.185 Die Schwierigkeiten mit den Bischöfen Konstantinopels deutet er allenfalls an, wenn er Gregors Konzilsboykott dahingehend erklären möchte, dass dieser „propter ambitionem Episcoprum“ geschehen sei.186 Zwar widmet Johann Wilhelm Zierold in seiner Einleitung zur gründlichen Kirchenhistorie, die kurz nach Arnolds Denckmahl und der Kirchen- und Ketzerhistorie erscheint, im vierten Kapitel „Vom Grund der Kirchen=Historie im Neuen Testament / sonderlich im ersten Christenthumb“ Gregor einen eigenen Paragraphen, kapriziert sich aber ebenfalls auf das Lob seiner rhetorischen Begabung und seiner schroffen Ablehnung jeder kulturellen Assimilation der Kirche durch ihr paganes Umfeld. Zusammen mit Basilius und Gregor von Nyssa wird er von Zierold vor allem deswegen so überaus freundlich beurteilt, weil er sich von der griechischen Philosophie und Beredsamkeit kritisch abgegrenzt, die Dialektiker „Moabiter und Ammoniter“ geschimpft,187 aber auch den Aristotelismus, pyrrhonischen Skeptizismus und die platonische Eloquenz hinter sich gelassen188 und stattdessen in einer Balance von „wol hohe[r] Redens=Arten“ und enger Schriftbindung gelehrt habe.189 Auch diese Darstellung weist kaum pastoraltheologische Implikationen auf, immerhin urteilt Zierold hinsichtlich des Verhältnisses Gregors zu dem ihm untergebenen Klerus: „Ihre Disputationes nach der Dialectica, hält er [Gregor] vor Narrens=Possen / auch daß sei einen stracks wollen heilig machen / Theologs creiren / und die Gelährsamkeit gleichsam einblasen.“190 Auch William Cave erwähnt im Ersten Christenthum Gregor von Nazianz, wobei auch er vor allem von der „vorkommenden beschwerlichkeit“ während der Zeit in Konstantinopel und der großen Erschütterung und unbeirrten Anhänglichkeit seiner Gemeinde bei der Niederlegung seines Bischofsamtes zu berichten weiß.191 Für Cave steht Gregor damit emblematisch für die innige Zuneigung und den strengen Gehorsam, die die Gemeinden jener Zeit ihren Lehrern entgegengebracht hatten und die das Rückgrat der konstantinischen Bischofskirche bildeten.192
184 Vgl. Kromayer, Ecclesia, 190: „In hisce commilitonem invenit [gemeint ist Basilius] Gregorium Nazianzenum, quem ob formae, studiorum & morum similitudinem complexus fuit ita, ut alter alteri mutuum sulcrum fuerit, & Nazianzenus dimidium animae Basilii dici coeperit.“ 185 Vgl. a. a. O. 191–195. 186 A. a. O. 194. 187 Zierold, Einleitung, 324. 188 Vgl. ebd. 189 Ebd. 190 Ebd. 191 Cave, Christenthum, 267. 192 Vgl. Kapitel I.2.1.1.
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Womöglich ist Gregor mit Caves Christenthum in Arnolds pastoraltheologisches Blickfeld gerückt. Er geht nun aber über die bloße Ehrbezeugung und biographische oder werkgeschichtliche Miniatur hinaus und stilisiert die Konflikte Gregors mit der Kirche und seine Skrupel, ein kirchliches Amt zu bekleiden, im Kontext jener zentralen pastoraltheologischen Prämisse, die er in der Ersten Liebe erschlossen hat: Das Predigeramt ist ein übermenschliches Amt, das nicht leichtfertig, sondern nur nach eingehender Selbstprüfung und unter ständiger Kultivierung der Gotteserfahrung angenommen und verrichtet werden darf. Damit zielt Arnold unverkennbar auf den Predigerstand seiner Zeit und erinnert ihn an die bleibende Bedeutung des vorkonstantinischen Ideals des göttlichen Lehrers.
2.2.3. Arnolds Gregor-Bild Arnold entwirft sein Bild von Gregor von Nazianz in der Ersten Liebe, der Apologie Gregors in der Denckmahl-Edition und der Kirchen- und Ketzerhistorie. Dabei beleuchtet er in jeder der Schriften unterschiedliche, sich jedoch einander ergänzende pastoraltheologische Aspekte. 2.2.3.1. Gregor als Kritiker des konstantinopolitanischen Klerus in der Ersten Liebe (1696) In der Ersten Liebe avanciert Gregor von Nazianz zu einem der wichtigsten Zeitzeugen des Verfalls der Kirche. Vor allem sein poetisches Werk zieht sich buchstäblich wie ein cantus firmus durch Arnolds Debütschrift und bringt die Kritik an dem seit der konstantinischen Wende einsetzenden Verfall des Predigerstandes, besonders aber an der Inkongruenz von Lehre und Leben, rhetorisch überspitzt und reichlich sarkastisch auf den Punkt. In den von Arnold zitierten Gedichten und Liedern artikuliert sich insbesondere Gregors Überzeugung, dass die Tugendlosigkeit der Lehrer die Wirksamkeit des Wortes Gottes hemme, da ein tugendloser Lehrer in keinem Fall über eine authentische Berufungserfahrung verfüge, also nicht zum Amt legitimiert sei.193 So sieht Arnold etwa in Gregors „27. Lied“ die pastoraltheologische Grundprämisse zum Ausdruck gebracht, dass der Lebenswandel des Predigers Zeugnischarakter hinsichtlich seiner Lehre und Gotteserfahrung habe: „Wilt du ein Lehrer seyn / so lehr in Wercken / Kanst du das nicht / so fang kein Lehren an / Du bist sonst aus der Hirten Zahl gethan. Wer kan sich bey dem leeren Lehren stärcken? Du schadest mehr mit deinem Leben / Wenn du nur Wort nicht That willst geben. 193 Vgl.
EL 1,236.
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Doch schmück die Lehre mit der That / Und frag / wer Worte nöthig hat […].“194
Moralische Integrität ist nach Gregor das hervorstechende Erkennungszeichen der Geistbegabung und Inanspruchnahme des Lehrers durch Gott. Ganz auf dieser Linie liegt es dann auch, wenn Arnold, während er Gregor bzgl. der „wesentlichen reqvisitis eines Predigers“ befragt, hervorhebt, dass ausschließlich die Gottesbeziehung und -erfahrung die Interaktion mit der Gemeinde bestimmen dürfen,195 während der bloße Eigenwille des Lehrers keineswegs hinreichender Grund sein könne, das Amt zu verrichten.196 Arnold greift auf Gregors Gedichte jedoch nicht nur aufgrund ihres Wertes als historische Quelle für die kirchliche Verfallsgeschichte, sondern auch wegen ihrer polemischen Prägnanz zurück: In den Kapiteln zum Hochmut und zur Heuchelei des verfallenen Klerus – beides sind, wie gezeigt wurde, pastoraltheologische Schlüsselkapitel der Ersten Liebe – erinnert Arnold daran, dass es vor allem Gregor war, der die Bischofskirche mit dem Theaterspiel verglichen habe, um ihre Scheinheiligkeit zu kritisieren. In diesem Zusammenhang greift Arnold auf ein Lied Gregors zurück, dessen Titel er mit „Carm.[en] Obiurg.[at oder atio] ad Cler.[um oder icos]“, also offenbar „Lied, das den Klerus ermahnt“, angibt. Es handelt sich bei diesem Gedicht um eine recht freie, die lyrische Form wahrende 194 EL 1,236.
Arnold liegt laut Bibliothekskatalog (vgl. Catalogus, 4, Nr. 78) die zweisprachige Neuausgabe der Nazianz-Edition von Jacques de Billy de Prunay (1535–1581) vor, die 1690 in drei Bänden in Köln und Leipzig erschienen ist. De Billys Erstausgabe von 1569 war eine rein lateinischsprachige Ausgabe, die 1583, verbessert und um den griechischen Text erweitert, neu herausgegeben wurde. Das Lied konnte trotz Arnolds Quellenangabe nicht zweifelsfrei identifiziert werden, da er es überaus frei nachdichtet. Als wahrscheinlichste Vorlage kann das 23. Lied aus den Carmina Moralia gelten. Die in Frage kommende Passage lautet (Gregor, Opera 2, 156): „Vel ne doceto, vel doceto moribus: Illa trahas me ne manu, pellas at hac. / Erit loquendum, si probe vivas, minus. / Sermone non tam, quam manuu, pictor docet. / Cavete, quaeso, maxime vos praesules, / Ne lumen omni prorsus orbum lumine, / Vitiique tantum, non boni, sitis duces. / Si tale lumen, quantus est tandem nigror? / Infecta verba muta vincit actio. / Nemo absque vita magnus unquam vir fuit: / At absque verbis plurimi mulcentibus. / Namque est agentis, non loquentis gratia.“ = Ἢ μὴ διδάσκειν ἢ διδάσκειν τῷ τρόπῳ, / Μὴ τῇ μὲν ἕλκειν, τῇ δ‘ ἀπωθεῖσθαι χεροῖν / Ἧττον δεήσῃ τοῦ λέγειν πράττων, ἃ δεῖ. / Γραφεὺς διδάσκει τὸ πλέον τοῖς ἐκτύποις. / Ὑμῖν λέγω μάλιςα τοῖς τοῦ βὴματος, / Ὀφθαλμὸν εἶναι μὴ σκότους πεπλησμένον. / Μὴ καὶ πρόεδροι του κακοῦ φαινώμεθα. / Εἰ γὰρ το φώς τοιοῦτον; το σκότος πόσον; / Αφωνον έργον κρείσσον απράκτου λόγου / Βίου μεν ουδείς πώποθ‘ υψώθη δίχα, / Λόγου δε πολλοί του καλώς ψοφουμένου. / Oὐ γαρ λαλούντων. 195 Vgl. EL 1,240. Nach eigenen Angaben zitiert Arnold hier aus Gregors Lobrede auf Athanasius, das Zitat findet sich jedoch in der zweiten Apologie (or. 2,71): „Er muß erst gereiniget werden / ehe er andere reinigen will / erst selber weise seyn / eher er die Weisheit lehret; selbst zuvor ein Licht werden / und darnach erleuchten: Erst muß er selbst zu GOtt nahen / hernach auch andere hinzu führen / geheiliget werden / und dann erstlich heiligen / Hände bekommen / ehe er andere führt / Rath haben / ehe er ihn braucht“ (vgl. SC 247; 184,9–14: Καθαρθῆναι δεῖ πρὼτον, εἶτα καθᾶραι. σοφισθῆναι, καὶ οὕτω σοφίσαι. γενέσθαι φῶς, καὶ φωτίσαι. ἐγγίσαι Θεῷ, καὶ προσαγαγεῖν ἄλλους. ἁγιασθῆναι, καὶ ἁγιάσαι. χειραγωγγῆσαι μετὰ χειρῶν, συμβουλεῦσαι μετὰ συνέσεως). 196 Vgl. EL 2,261.
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Übertragung des kleruskritischen Carmen ad episcopos,197 das in Arnolds Augen den Verfall des konstantinischen Priestertums offenbar so prägnant zum Ausdruck bringen kann, dass er es an mehreren Stellen in der Ersten Liebe in langen Auszügen rezitiert. Arnold wendet also nicht unerhebliche nachdichterische Eigenmühe auf, um seinen Lesern unter Zuhilfenahme der bissigen Verse Gregors die massive moralische Scheinheiligkeit der nachkonstantinischen Kirche vor Augen zu führen: „Ihr die ihr hoch erhaben auff den besten vornehmsten Sitzen / und gern auff den prächtigen Schauplätzen sitzet (welches ohne Zweifel die Tempel waren / darinnen sie sich vom Volck als auff dem Theatro sehen liessen) und als die Comödianten auff hohen Schuen einher tretet / auch eine kurtze Zeit frembde Persohnen agirt.“198
Wenige Seiten später setzt Arnold die Rezitation des Gedichts fort: „Ihr Priester die ihr nur den Priester=Nahmen führt / Und als die Gauckler fast auff dem Theatro spielet: Geschminckt und gantz verstellt / Mit frembdem Guth geziert / Doch von der Gottesfurcht nicht einen Funcken fühlet / Darum ihr auch den Ruhm des Volcks nicht übersteigt. Fahr fort / du heil’ge Schaar / dein Spiel noch mehr zu treiben / Gleich wie du närrisch gnug bißher doch hast bezeigt: Ich aber will nicht mehr in deinem Orden bleiben. […] Kommt her / die ihr wol recht des Predig=Ampts schandflecken / Und voller Laster seyd / bauchdiener / Hoffarths=voll / Hochtrabend / unverschämt / die ihre Sünd nicht decken / Weinsäuffer / Irrige / von Lästern blind und toll / 197 Unter diesem Titel ist es in den gängigen Editionen, die Arnold vorgelegen haben, v. a. der Werkausgabe de Billys (Band 2, Köln 1690), nicht auffindbar. Arnolds Quellenangabe bleibt rätselhaft, denn das Gedicht firmiert nirgends unter dem von ihm genannten Titel (auch in späterer Literatur lässt sich kein Gedicht Gregors unter diesem Titel finden). Gleich mehrere kleruskritische Carmina Gregors kämen in Frage: X. Ad sacerdotes Constantinopolis et ipsam urbem (PG 37, 1028 ff), XII. De seipso et de episcopis (PG 37, 1065 ff), XIII. Ad Episcopos (PG 37, 1227 ff), XVII. De diversis vitae generibus, et adversus falsos episcopos (PG 37, 1262 ff). Arnolds sehr freie Übersetzung lehnt sich aber wahrscheinlich an das Carmen Ad Episcopos an, das in der ihm vorliegenden Kölner Ausgabe als 11. Gedicht gezählt wird (Gregor, Opera 2, 81–85). Es besticht durch diverse Neologismen und eine überaus komplexe Syntax, die sich im Deutschen kaum nachahmen lassen, sofern man auch die poetische Form wahren möchte (vgl. etwa den Referenztext zur folgenden Anmerkung), so dass sich Arnolds Übersetzung mitunter sehr weit von Gregors Original entfernt. Ob Arnold aus dem Lateinischen oder Griechischen übersetzt, ließ sich ebenfalls nicht feststellen. 198 EL 2,281. Vgl. Gregor, Opera 2, 81,7–11: „Christiferi, soliis praeclaris quique sedetis / Sublimes, pulchris qui gaudetisque theatris / Scenigradi, ligno factis stantes pedibusque / Sub larva biscentes pietatis debile quiddam […]“ = Χριστοφόροι, θώκοισιν ἐνεδριόωντες ἀρίστοις, Ὑψηλοὶ, θεάτροισι γεγηθότες εὐπρεπέεσσι, Σκηνοβάται, κώλοισιν ἐφεσταότες ξυλίνοισιν, Ἀδρανέως χάσκοντες ἐν ἀλλοτρίοισι προσώποις […]. Der Einschub ist eine erklärende Anmerkung Arnolds.
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Und von der Höll entzündt / die ihre Heerde fressen / In weichen Kleidern hart / meineidig / ohne Treu / Und Räuber frembdes Guths / die aller Lieb vergessen / Betrieglich / tückisch / arg / voll Neids und Schmeicheley. Ihr auch / die neulich ihr ein Weib euch zugesellet / Und von der Jugend Hitz als geile Hängste brennt / Wenn eurem eiteln Sinn bald diß bald das gefället / Daß ihr voll böser Lust herumb als wütend rennt / Kommt alle kühnlich her / hier sind die Aempter feil / Im Tempel / hier habt ihr ein fettes Priester=Theil.“199
Gregors poetische Texte haben in der Ersten Liebe also einerseits einen dokumentarischen Wert, insofern Arnold sie als Quellen für die Verfallsgeschichte der Kirche heranzieht. Andererseits dienen sie auch dem polemischen und rhetorisch überspitzten Werturteil über den Verfall der Lehrer. Dass sich Arnold – schon allein durch seine Übersetzungstätigkeit – selbst in die Gedichte des Kirchenvaters einschreibt und sie sich zu eigen macht, liegt auf der Hand. Inwiefern Gregors Carmina Arnold zu seiner eigenen kirchenkritischen Poesie angeregt haben, muss hier freilich offenbleiben. Er selbst konnte die Verfallsidee jedoch ein ums andere Mal in Liedern besingen: Babels Grablied ist das prominenteste Beispiel,200 doch auch in der Geistlichen Gestalt findet sich ein dezidiert pastoralkritisches „Klag= Lied / darinne beschrieben wird / wie man gemeiniglich dem / was man rühmet und andere lehren wil / schnurstracks entgegen wandelt und lebet“, das der polemischen Schärfe der Carmina Gregors in nichts nachsteht.201 199 EL 2,292 f.
Der Text stellt eine freie Übertragung von Gregor, Opera 2, 82,80fin dar (folgend wird nur der charakteristische Auftakt zitiert): „[…] At contra omnes nunc, seu nostri, sive prophani, / Sedem unam vitii norunt & mortis acerbae, / Hanc, quae doctorum sedes erat ante virorum, / Et gravium pietate hominum, vitaeque probatae, / Hos quoqe, qui mundos dirimunt (quorum effluit alter, / Alter at usque viget, stabilisque in saecula durat) / Divosque atque homines discludunt limite certo, / Cancellos. Talis nimirum erat hic locus olim: At nunc ridiculus contra, discrimine nullo / Cum quisque haud clausis irrumpit ad intima portis, / Ut mihi jam medio in coetu ingentique corona Stans praeco haec alter videatur dicere voce. Huc agite o quoscunque juvat turpissima vita / Probra hominum, ventres, lata cervice, pudoris / Expertes, fastu tumidi, vinoque madentes / Errones, mollis contexti veste, dicaces / Osores veri, petulantes, falsa libenter / Jurantes, quibus est infelix prada popplus / Raptores infidi homines, quos liquor iniquus / Conficit, oblectantque doli, fraudesque malignae; / Turpiter excelsis blandi, abjectisque leones, / Ambigui, ac fictis animis, et temporis usque […]“ = Πάντες, ὅσοι ξεῖνοί τε καὶ ἕρκεος ἡμετέροιο, / Τὸ σεπτὸν το πάροιθε σοφῶν ἕδος, ἕρκος ἀρίστων, / Βῆμα τό δ‘ ἀγγελικῇσι χοροστασίῃσι τεθηλὸς, / Κιγκλίδα τὴν μεσάτην κόσμων δύο, τοῦ δε μένοντος, / Τοῦτε παριπταμένοιο, θεῶν ὅρον, ἡμερίων τε. / Ἦν ὅτε ἦν. Νῦν αὖτε γελοίϊον, ἡνίκα πᾶσιν / Ἐντὸς ἀκληΐστοιο θύρης δρόμος, ὡς δοκέω μοι / Κήρυκος βοόωντος ἐνὶ μεσάτοισιν ἀκούειν· / ∆εῦρ‘ ἴθ‘ ὅσοι κακίης ἐπιβήτορες, αἴσχεα φωτῶν, / Γάστορες, εὐρυτένοντες, ἀναιδέες, ὀφρυόεντες, / Ζωροπόται, πλάγκται, φιλοκέρτομοι, ἁβροχίτωνες, / Ψεῦσταίθ‘ ὑβρισταί τε, θοῶς ἐπίορκον ὀμοῦντες, / ∆ημοβόροι, κτεάτεσσιν ἐπ‘ ἀλλοτρίοισιν ἀάπτους / Βάλλοντες παλάμας, φθονεροὶ, δολόεντες, ἄπιστοι. […]. 200 Vgl. GL 160–164. Vgl. zu den Quellen und zur „literarischen Beeinflussung“ der Dich tung Arnolds, vor allem durch Macarius, Stählin, Dichtung, 34–68. 201 Vgl. GG 208–212.
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2.2.3.2. Gregor als skrupulöser Lehrer im Denckmahl (1699) In der Denckmahl-Anthologie (1699) findet sich der Text Gregorii Nazianzeni oder Theologi Verantwortung / Warum er von seinem Lehr=Amt hinweg gegangen / und wiederum in sein Vaterland gekommen: Worinne zugleich von dem Lehr=Amt und dessen Schwerigkeit geredet wird.202 Es handelt sich dabei um die Apologie Gregors, die er bei seinem Rückzug vom Presbyteramt in Nazianz aufgesetzt hat und die in de Billys Werkausgabe (Band 2, Köln 1690), die Arnold nachweislich vorgelegen hat, als erste Rede gezählt wird.203 Dass Arnold diese Apologie durch seine editorische Bearbeitung ganz auf pastoraltheologische Fragen zuspitzen möchte,204 ist an mehreren Punkten ersichtlich: Erstens führt Arnold Gregors Rede auf die „Schwerigkeit“, d. h. die Herausforderung, des geistlichen Amtes, eng, was in der Überschrift, wie sie die Kölner Ausgabe angibt, allenfalls anklingt: „Apologeticus in quo causas exponit, ob quas in Pontum fugerit, posteaquam Presbyter creatus fuisset, ac rursum Nazianz. redierit: in quo quae Sacerdotis professio sit, docet, & qualem Episcopum esse oporteat“. Zweitens schickt Arnold der Apologie eine „Anmerckung“ in Form eines Auszugs aus der Vita Gregorii des Presbyters Gregorius voraus, „[d]amit die Umstände und Ursachen dieser Apologie des Gregorii Nazianzeni desto gründlicher verstanden werden“.205 Diese Vita rafft Arnold massiv und spitzt sie auf jene pastoraltheologischen Implikationen zu, die aus seiner Sicht für das Verständnis der Apologie wesentlich sind.206 Drittens 202 DAC
2,303. Gregor, Opera 1, 1–45. 204 Mit dem Begriff „Schwerigkeit“ ruft Arnold einen Begriff auf, der in der Geistlichen Gestalt zentral werden wird und dort dialektisch auf die ‚Wichtigkeit‘ des Lehramtes bezogen ist. Vgl. Kapitel I.3.3.2. 205 DAC 2,357. 206 Jene Vita ist wie die Apologie Teil der Kölner Ausgabe (vgl. Gregor, Opera 1: Vita sancti patris nostri Gregorii Theologi Episcopi Nazianzeni, a Gregorio Presbytero Graece conscripta). Arnold spitzt den Text durch geschickte Raffung unverkennbar auf seine pastoraltheologischen Implikationen zu, d. h. konkret: auf Gregors Scheu vor dem kirchlichen Amt. So lässt er im ersten Abschnitt den Presbyter berichten, dass Gregor in großer Distanz zur Welt und zur landläufigen Gefallsucht und Geschwätzigkeit junger Menschen gelebt habe (DAC 2,357). Von hier aus schreitet Arnold gleich zu einem in die Vita des Presbyters eingebetteten Selbstzeugnis Gregors voran: Er habe nach Meditation, Schriftstudium und Askese beschlossen: „Diejenigen die in Verrichtungen stehen / sind zwar andern nütze / sich selbst aber unnütze / weil sie im bösen umgetrieben sind / daher sie wie die Wellen bestürmet werden. Welche aber draußen sind / die leben zwar etwas ruhiger und sehen mit stillen Hertzen auff GOTT: sie sind aber ihnen selbst nur nütze / und führen ein strengeres Leben. Ich gehe zwischen diesen und jenen den Mittel=Weg / von jenen erweise ich den Umgang / von diesen den Nutzen“ (DAC 2,358). In dieser Lebensentscheidung Gregors kommt ein Schlüsselgedanke der Pastoraltheologie Arnolds zum Ausdruck, der in der späteren Geistlichen Gestalt als Grundunterscheidung von Passivität und Aktivität bzw. Rezeptivität und Poiesis in den Vordergrund treten wird: Der Prediger findet sich in einer unausweichlichen Spannung zwischen der Kultivierung der Gotteserfahrung und deren Beanspruchung durch die Außenwelt, vor allem durch die Gemeinde, vor der sich sein Gottesverhältnis immer wieder bewähren müsse. Nun lässt Arnold den Biographen kurz berichten, wie Gregor das Amt des Presbyters angenommen und heimlich wieder aufgegeben 203 Vgl.
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lenkt Arnold den Blick des Lesers gezielt auf die pastoraltheologisch relevanten Aspekte der Apologie, indem er zentrale Textpassagen drucktechnisch hervorheben lässt.207 Diese kenntlich gemachten Passagen berühren sich unmittelbar mit dem urkirchlichen Lehrerideal, wie Arnold es in der Ersten Liebe dargestellt hat, und verdichten dieses in prägnanter Weise: 1. Der Primat der Gottesbeziehung. Gregor betrachtet das Predigeramt rein funktional208 und meint, die Unterscheidung von Hirten und Herde ziele lediglich auf den Ausgleich eines geistlichen Ungleichgewichts: Was die Herde zu wenig habe, müsse der Lehrer zu viel haben, nämlich „an der Tugend und dem Umgang mit Gott“.209 Die Erbauung der Gemeinde setze daher voraus, dass der Lehrer das „Mehr“ seines Umgangs mit Gott kultiviert, ja die Pflege der Gottesbeziehung habe, was ihn zu seiner Apologie genötigt habe (vgl. DAC 2,359), und exponiert Gregor als skrupulösen Asketen, der das angetragene Bischofsamt deswegen ausschlägt, weil er „lieber ein Einsamer als ein Weltmann / lieber arm als reich seyn“ wollte, „die Sorgen / welche das Gemüth zur Erden ziehen / meidete“ (DAC 2,360) und sich nach Pontus, der „Insuln der Seeligen / oder das Paradis“ (DAC 2,360) zurückzog. Schließlich geht Arnold zu der kurzen Episode über, in der geschildert wird, wie Basilius Gregor zum Bischof von Sasimis weihen wollte. Arnold lässt den Presbyter erzählen, dass Gregor diesem Ansinnen nur mit großem Bedauern nachgab, „weil ers vor so nöthig achtete / auff sich selbst acht zu haben und vor sich zu leben“ (DAC 2,361). Wiederum bricht Arnold ab, fasst den Rest der Vita knapp zusammen und lässt den Presbyter lediglich das Ende der Lebensbeschreibung, das von der Abdankung in Konstantinopel handelt, erzählen, wobei der Kontrast zwischen dem großen Bedauern seiner Anhänger und der heiteren Gelassenheit Gregors einerseits und dem Intrigenspiel seiner Gegner andererseits im Vordergrund steht: Während ihn die Getreuen unter Tränen angefleht hätten, zu bleiben, habe Gregor mit größter Gelassenheit erklärt: „Rathschlaget / und thut / was ihr wollt und was euch einfällt: mir ist nun und vor diesen die Einsamkeit lieb gewesen! Denn die / welche diesen Sitz weg nehmen / können mir den Himmel nicht rauben“ (DAC 2,361 f). Zuletzt habe er seine Priester und seine Gemeinde dazu ermahnt, die Gebote zu halten und den Glauben zu bewahren, und sich schließlich nach Arianzos zurückgezogen. Dort habe er „sein Leben durch die Befleißigung der Weißheit“ gereinigt und – „in einer höheren Betrachtung“ stehend – sein Leben „mit seinem besseren u. höheren Stande“ beschlossen, „davon allhier kaum einige Schatten zu sehen seyn“ (DAC 2,362). 207 Manche Abschnitte des Textes, die von der pastoraltheologischen Frage zu weit wegführen, tilgt Arnold, so etwa am Ende der Abschnitte 30 (DAC 2,319: „Hier stellet er eine Vergleichung an welche hier allzu weitläufftig fällt / nach welcher er auf die Sache selbst kömt / also fortfährt“), 32 (DAC 2,320: „Hier redet er weitläuffig von der Dreyeinigkeit wider die Jüden / und Ketzer.“) und 50 (DAC 2,331: „Dieses führet er ferne aus aus Hab. I. und Malach. V. Zachrar. IIX.XI. u. XIII. Ezech, VII.XXII.XXXI. Jer. I.IX.XX.XXII.XXIII.XXV.“). 208 Gott habe „nach dem Gesetz der Gleichheit / welches nach dem meriten gehet / oder auch der Vorsehung / durch welche er alles unter einander zusammen gebunden hat“ (DAC 2,305) verordnet, „daß etliche geweidet und regieret / (denen nehmlich dieses besser ist) und also mit Worten und Wercken zu ihrer Pflicht angeführet werden: andere hingegen Hirten und Lehrer seyn / die Gemeine zuzubereiten […]“ (DAC 2,305 f). Gregor möchte daher unbedingt die Durchlässigkeit der Grenze zwischen Herde und Hirten wahren: Es sei nichts Unerhörtes, wenn alle danach strebten, „von dem Stand der Zuhörer zur Regierung“ (DAC 2,307) zu kommen, wie es auch nicht unerhört sei, wenn ein Seemann das Ruder ergreift oder ein Soldat die Armee befehlige (Vgl. DAC 2,307 f). Im Gegenteil: Fatal wäre es, wenn alle das Hirtenamt von sich wiesen und auf diese Weise den Ausgleich verhinderten (vgl. DAC 2,307). 209 DAC 2,306.
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müsse vordringliches Ziel des Predigers sein, weswegen Gregor es auch nicht habe leiden können, „daß man tyrannisch über mich herschete / und ich mitten in die Unruhe gestossen / und von dieser Lebens=Art als von einer Freystadt mit Gewalt abgerissen wurde“.210 Diese „Freystadt“ müsse der Lehrer in sich erbauen und immerfort in Stand halten. Folgende Passage ist in Arnolds Edition der Apologie hervorgehoben und ihr programmatischer Charakter leuchtet – von der Ersten Liebe herkommend – unmittelbar ein, insofern Gregor hier die Gotteserfahrung des Lehrers und ihre Gefährdung durch die Außenwelt thematisiert: „Denn es schiene mir nichts bessers zu seyn / als wenn man die Sinnen kan schliessen / ausser Welt und Fleisch leben / in sich selbst einkehren / und nichts von weltlichen Dingen anrühren / ohne was die Nothdurfft erfordert / mit sich selbst allein und mit GOTT reden / über das / was sichtbar ist / leben und die Göttlichen Eindrückungen (oder Eingebungen) allezeit rein in sich hegen / daß sie mit denen niedrigen und irrenden Bildern nicht vermenget werden / und also der Spiegel GOttes und Göttlicher Dinge wircklich rein sey und stets werde / in dem das Licht immer mehr Licht an sich nimmt / und nach dem dunckelen immer heller wird / und man also in der Hoffnung schon das gute der zukünftigen Welt geneust / und mit denen Engeln umgehet / ob man gleich auf der Erde noch ist / weil man die Erde verläst und von dem Geist in die Höhe geführet wird.“211
Im Modus der Introspektive illustriert Gregor hier einen wesentlichen Aspekt der urkirchlichen Berufungstheologie. Im Bild des Spiegels kommt beides – Passivität und Aktivität des Lehrers im Amt – prägnant zum Ausdruck: Aufgabe des Lehrers ist es vor allem, sich selbst als Spiegelfläche von Korrosionen, d. h. von allen nicht notwendigen Affekten und Gott widerstrebenden Kräften, freizuhalten, damit sich Gott durch den Lehrer der Gemeinde zur Anschauung bringen kann. 2. Die Notwendigkeit der Erfahrung. Gregor stellt, ausgehend vom letzten Punkt, die Frage nach der Tauglichkeit zum Predigeramt – „Wer ist aber hier zu tüchtig?“212 – und erinnert daran, dass man nicht erst nach der Amtsübernahme beginnen dürfe, sich zum Amt zu rüsten, d. h. „am Topffe das Töpffer=Handwerck [zu] lernen“.213 Folgender Abschnitt ist typographisch hervorgehoben: „Sondern die Sache ist so verächtlich und verworren / und wir sind so übel dran / daß die Meisten unter uns (ich will nicht sagen / alle) noch ehe sie das erste Haar abgelegt / und kindisch zu lallen auffgehöret haben / ehe sie noch in die H. Vorhöffe gekommen / ja ehe sie nur die Namen der heiligen Bücher kennen / ehe sie die Buchstaben und Urheber des Neuen oder Alten Testaments wissen (ich will nicht sagen / ehe sie den Unflath und die Flecken der Sünden abgewaschen haben) wenn wir 2. oder 3. fromme Worte gelernet / und zwar nicht durch Lesen sondern von Hören / oder ein wenig in dem David uns bekannt gemacht / entweder schon den Mantel säuberlich umnehmen / oder biß an den Gürtel als Philosophi auffziehen / und sich selbst einen Schein und Vorwand der Gottseligkeit machen.“214 210 DAC
2,309. 2,309 f. Hv. i. O. 212 DAC 2,322. 213 DAC 2,323. 214 DAC 2,324 f. 211 DAC
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Der Passus zielt auf das Problem der Unzeitigkeit der Hinwendung zur Gemeinde und verhält sich zur letzten hervorgehobenen Passage wie eine kritische Zuspitzung: Wer Gelehrsamkeit und einen pastoralen Habitus bloß imitieren, d. h. nur die Rolle eines Lehrers spielen wolle, sei nicht zum Amt geeignet. Gregor vergleicht die Ausübung des Vorsteheramtes mit einer Kunst, welcher – wie jeder anderen auch – eine spezifische Wissenschaft zugeordnet sei, die studierbar und unter Anleitung von Lehrern und Vorbildern erlernbar ist, unterscheidet also dezidiert die Erfahrenheit und Weisheit des Lehrers von seinem bloßen Willen und seiner Selbstermächtigung zum Amt.215 Ein unerfahrener Lehrer werde das Amt immer dazu missbrauchen, sich selbst zu bereichern, seine Eigenherrschaft aufzurichten und tyrannische Macht über seine Gemeinde auszuüben.216 Der geeignete, erfahrene Lehrer würde aber die Gemeinde „nicht mit Gewalt zwingen / sondern mit Überredung anlocken“,217 was große Empathie erfordere: Jedem müsse „sein gehörig Maas Speise zu rechter Zeit“218 gegeben werden, seine Gemeinde müsse er „genau kennen“,219 er müsse „gar sehr veränderlich und iedermann alles seyn / so viel dazu gehöret / damit er die Gemüther ihm verbinde und einen ieden geschicklich und wol anrede“.220 3. Die Notwendigkeit der Selbsterniedrigung und Reinigung. Die Eignung zum Vorsteheramt ist vor allem an der Kongruenz von Lehre und Leben erkennbar – eine zentrale Einsicht, die Gregors Apologie unmittelbar mit der Ersten Liebe verbindet. Ausgehend von den ethischen Forderungen, die im ersten Timotheusbrief (1 Tim 3,2) an die Bischöfe gerichtet werden, erklärt der Kirchenvater, dass sich die Beauftragung der Jünger durch Jesus auf einen einzigen Befehl reduzieren lasse, nämlich den zu einer dem Evangelium entsprechenden Tugendhaftigkeit.221 Antitypus dieser himmlischen Lehrer seien jene Pharisäer und Schriftgelehrten, die sich zwar auf die reine Lehre zurückziehen und dennoch von Jesus gescholten würden,222 weil er ihnen und allen späteren Lehrern die Notwendigkeit einer innigen Gotteserfahrung und den hohen moralischen Anspruch des Amtes deutlich vor Augen führen wollte.223 Drucktechnisch ist der folgende Text hervorgehoben, in dem eben diese Notwendigkeit zur Sprache kommt: 215 Vgl. DAC 2,326: Solle man für das Amt nicht auch wie für die Kunst oder Wissenschaft „alle andere Dinge leyden und thun / dadurch man in der Kunst erfahren wird? Warum wollten wir denn die Weißheit vor so gering halten / daß es dazu nur am Willen genug sey / daß einer weise sey […].“ 216 Vgl. DAC 2,311. 217 DAC 2,318. 218 DAC 2,319. 219 DAC 2,319. 220 DAC 2,321. 221 Vgl. DAC 2,331: Die Jünger „sollten nach der Tugend so beschaffen seyn / und so geschickt und mäßig / und mit einem Wort zu sagen / so himmlisch / daß das Evangelium nicht weniger durch ihr Leben als durch ihr Wort lauffe.“ 222 DAC 2,331. 223 DAC 2,331.
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„Mit diesen Gedancken gehe ich Tag und Nacht um: diese verzehren mir auch das Marck in Beinen / und machen mein Fleisch schwindend / und lassen mich nicht verwegen seyn / oder frech in die Höhe sehen und einher gehen. Diese demüthigen mir meine Seele / und treiben mein Gemüth in die Enge / und legen meiner Zungen einen Zaum an / lassen mir auch nicht zu / zu reden von einem Vorsteher=Amt / oder zu gedencken / wie ich andere regieren oder bessern wolle / als wozu ein grosser Uberfluß (oder eine überflüßige Krafft) gehöret. Sondern ich dencke nur / wie ich dem zukünfftigen Zorn entfliehen und den Rost der Sünde von mir selber ein wenig loß werden möchte. […] Ich wünsche erst selbst gereiniget zu werden / hernach andere zu reinigen / erst weise gemacht / hernach auch weise zu machen / ein Licht zu werden und so dann zu leuchten / zu GOtt zu nahen und dann andere zu ihm zu führen / geheiliget werden / und denn heiligen / mit Händen anführen und mit Verstand Rath geben.“224
Nach Gregor dürfe man sich auf keinen Fall zum Amt drängen oder überreden lassen, selbst wenn man gefragt werde: „Wenn wird aber daraus was werden? Wenn wird das Licht auff den Leuchter kommen? Wo ist das Pfund?“225 Gregor meint sogar, dass die innere Bereitung des Lehrers womöglich mehrere Jahre in Anspruch nehmen und bis ins hohe Alter auf sich warten lassen könne, erklärt aber auch trocken: „[…] ein kurtz Regiment [ist] besser / als eine lange Tyranney“; und mit dem Prediger Salomo (10,16): „Wehe der Stadt / derer König noch zu jung ist!“226 Die Gotteserfahrung und das Wachstum in der Weisheit brauchen also Zeit und Bedächtigkeit und dürfen nicht mit der Anhäufung theologischwissenschaftlicher Expertise verwechselt werden, „weil doch das erfundene nicht mehr erfreut / als das wegfliegende beschwert“.227 Gregor habe jedenfalls für sich selbst beschlossen, „daß es viel besser sey / die Stimme des Lobs zu hören / als ein Ausleger derer Dinge zu sein / die über mein Vermögen gehet“,228 selbst wenn seine kirchliche Karriere schon vom Mutterleibe an vorherbestimmt gewesen sei.229 4. Die kirchenkritische Zeitdiagnose. Die Apologie gibt deutlich zu verstehen, dass Gregor seine Entscheidung zum Rückzug in Anbetracht der innerkirchlichen Verwerfungen getroffen hat – auch diese Passage wird drucktechnisch hervorgehoben, was insofern nicht verwundert, als sie mit Arnolds eigener Kirchenkritik und Verfallsidee weitgehend übereinstimmt. Gregors Niederlegung des Amtes sei erfolgt „[…] zu solchen Zeiten / da es sehr gut ist / wenn man andere über und über geworffen und verwirret siehet / und mit grossen Schritten aus dem Hauffen heraus lauffen kan / und in einen von Gefahr befreyeten Ort kriechen / dem Ungewitter und der Finsternis zu entgehen“.230 224
DAC 2,332 f. 2,333. 226 DAC 2,333. 227 DAC 2,336. 228 DAC 2,337. 229 Vgl. DAC 2,338. 230 DAC 2,339. 225 DAC
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Hier wird der Verfall der Kirche zur Zeit des ersten Amtsverzichtes Gregors als symptomatisch für die – in der Ersten Liebe eindrücklich vorgeführte – Parteilichkeit und Herrschsucht der Kirche ausgewiesen. Diese Spur verfolgt Gregor dann auch im weiteren Verlauf seiner Apologie, wenn er sich darüber beklagt, welches Ausmaß Streitsucht und Ungerechtigkeit innerhalb der Kirche angenommen hätten: „Alle sind wir damit schon fromm genug / wenn wir andere als Gottlose verdammen.“231 Er sieht die Kirche ins vorschöpferische Chaos zurückgeworfen:232 Längst könne man Frommes und Böses nicht mehr eindeutig unterscheiden, beides sei stetig schwankenden Meinungen unterworfen. Was heute gelobt werde, werde morgen verworfen, was die einen tadeln, werde von anderen verherrlicht.233 Gregor diagnostiziert hier jenen Verfall, den Arnold in der Ersten Liebe dargestellt hat: Die Kirche ist zersplittert in Kongregationen und Denominationen, die sich einander verketzern, und wird den Gottlosen zum Schauspiel.234 Arnolds eigene Handschrift in der Edition der Verantwortung Gregors ist unverkennbar. Er möchte die Apologie des Kappadoziers auf die Schwierigkeit des Amtes, d. h. die große geistliche Herausforderung, die es mit sich bringt, und die Gefährdung und Bewährung der Gottesbeziehung zuspitzen. Die keineswegs zufällig hervorgehobenen Textpassagen haben dabei eine tragende, leserlenkende Funktion. Die erste Passage dient dazu, den Primat der Gotteserfahrung festzuhalten, die zweite problematisiert die mangelnde Gotteserfahrung des Lehrers und den Versuch, diese Erfahrungsleere durch akademische Gelehrsamkeit oder einen pastoralen Habitus zu verschleiern, die dritte erinnert an die Notwendigkeit der Selbsterniedrigung und die vierte formuliert die kritische Zeitdiagnose einer solchen Kirche, in der die auf die Gotteserfahrung bezogene Amtsführung ständiger Gefährdung ausgesetzt ist. Kurzum: In den drucktechnisch hervorgehobenen Passagen treten die wesentlichen Aspekte der altkirchlichen Pastoraltheologie, wie sie Arnold in der Ersten Liebe herausgearbeitet hat, überaus profiliert zu Tage und werden anhand der individuellen, introspektiven Eindrücke Gregors erfahrungstheologisch vertieft.
231 DAC
2,340. Vgl. DAC 2,341: „Es ist alles worden / wie es von Anfang war / da keine Welt war / noch die ietzige schöne Ordnung und Gestalt / sondern alles war miteinander verwirret und unordentlich / so daß es eine bildende Hand und Gewalt erforderte.“ 233 Vgl. DAC 2,341. 234 Vgl. DAC 2,343. Freilich meint Gregor – wie auch Arnold selbst! –, dass der Name Christi auch in der verfallenen Kirche nicht gänzlich ausgelöscht sei, sondern sich immer wieder Bahn breche: „Die bösen Geister erzittern gleichwol noch / wenn Christus nur genennet wird / und die Krafft dieses Namens ist durch unsere Boßheit nicht verringert noch verlöschet worden. Aber wir scheuen uns nicht / diese so ehrwürdige Sache und den Namen zu schmähen: und zwar da wir ihn offenbahrlich fast alle Tage ruffen hören: Mein Name wird eurethalben unter den Heyden gelästert“ (DAC 2,345). 232
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2.2.3.3. Gregor als angefochtener Bischof in der Kirchen- und Ketzerhistorie (1699) Arnolds Portrait der Kappadozischen Väter in der Kirchen- und Ketzerhistorie fällt wie das der Kirchengeschichte des vierten Jahrhunderts insgesamt äußerst ambivalent aus. Kritikwürdig im Allgemeinen und einer vorgreifenden Missbilligung wert erscheint Arnold die wenig belastbare Quellenlage: Die Zeugnisse, insbesondere über die „Lehrer[] bey denen Gemeinen“,235 seien rar oder aber korrumpiert, da sie bereits einer großkirchlichen Zensur unterlegen und sich die Historiker jener Zeit einzig an den herausragenden, unverdächtigen Lehrergestalten der Majoritätskirche orientiert hätten –236 mit dem Kalkül, „am allersichersten orthodox und ruhig bleiben [zu] könne[n]“237 und „ansehen und credit bey den Leuten“ zu vermehren.238 Diese Vorbemerkungen erlaubt sich Arnold, um die dekonstruktive Tendenz seines Kapitels zur vierten Centurie anzuzeigen: Er wolle sich fortfolgend darauf konzentrieren, die parteiliche Darstellung von der „blosse[n] warheit allein“239 zu unterscheiden. Dieser Aufgabe widmet sich Arnold auch in Hinblick auf die kappadozischen Väter: Mit Gregor von Nazianz setzt sich Arnold besonders intensiv240 und in dezidierter Abgrenzung zu Gregor von Nyssa und Basilius von Caesarea241 auseinander, ja 235 UKKH
1,147. UKKH 1,147: „DA wir ferner die bekantesten Lehrer dieses seculi ansehen / ist zuförderst zu mercken / daß die zeugnüsse von ihnen nicht mehr durchgehends so glaubwürdig und unpassionirt zu finden sind / als man sie etwa meistens in den vorigen zeiten hat. Viele haben von andern nach ihrem eigenen begriff und meinungen raisonniret / andere diesem oder jenem zu gefallen / oder auch einigen zum verdruß.“ 237 UKKH 1,147. 238 UKKH 1,147. 239 UKKH 1,147. 240 Dessen Lebensbeschreibung nimmt hier immerhin vier Druckseiten ein. 241 Die Darstellung der Kappadozischen Väter unterliegt den angezeigten heuristischen Einschränkungen in besonderem Maße, denn Basilius, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz stellen sich bekanntermaßen gegenseitig Lebenszeugnisse aus, was Arnolds Argwohn erregt. So disqualifiziert er Nazianz’ Zeugnis über Basilius als übertrieben und ganz dem Zeitgeist geschuldet. In einer größtenteils verfallenen Kirche hätte Gregor von Nyssa das – gemessen an der vorkonstantinischen Zeit – eher mittelmäßige Leben und Werk seines Bruders mit wenig Aufwand glänzen lassen können, vgl. UKKH 1,161: „Ob nun wol sein [d. h. Basilius’] wandel und verhalten an sich selbst vor den meisten andern Lehrern selbiger zeiten lobens werth ist: so thut doch Gregorius Nazianzenus der sache zu viel / wenn er ihn in der von ihm gehaltenen lobrede allzuhoch erhebet / ja gar über die Apostel und Propheten setzet. Welches nicht allein die verderbte art selbiger zeiten schon zu verstehen giebt / sondern auch dieses / wie gerne noch diejenigen von verständigen gerühmet und hoch gehalten worden / bey denen man noch etwas rechtes gefunden hat / indem der grösste hauffe so gar im grunde nichts mehr taugte.“ In der Darstellung selbst stellt Arnold Basilius und Gregor von Nyssa dann auch ein recht ambivalentes Zeugnis aus: Während er noch Basilius wegen seiner „grosse[n] moderation“ im Streit mit den Arianern und seiner Standhaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Kaiser Valens lobt und seine fortwährenden Konflikte mit den Bischöfen, die seine Autorität als Metropolit nicht anerkennen und sich der Visitation entziehen wollten, wie auch seine Schriften, in denen er sich als „grosser liebhaber […] von der stillen einsamen lebensart und den dazu gehörigen übungen der gottseligkeit“ erwiesen habe, positiv bewertet (UKKH 1,160), trübt sich die Darstellung Gregors 236 Vgl.
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Gregor avanciert in der Kirchen- und Ketzerhistorie vollends zum Musterfall des tragischen, weil querköpfigen Bischofs, der aus der asketischen Isolation ins Amt stolpert und sich schlussendlich – gescheitert und geschlagen gegeben – wieder in die fromme Abgeschiedenheit zurückbegibt. Im Zuge seiner ausführlichen Rekapitulation des konstantinopolitanischen Episkopats Gregors, der von beachtlichen Anfechtungen gekennzeichnet war – so wollte die arianische Partei ihn verketzern,242 während die „mißgönstige[] und böse[] Clerisey“243 versuchte, Maximus als Gegenbischof zu installieren – kommt Arnold auf vier herausragende pastorale Eigenschaften Gregors zu sprechen, die sich mit der Darstellung des Ideals der Prediger in der Ersten Liebe aufs Engste berühren: 1. Gregor habe den Schritt aus der asketischen Einsamkeit in das Bischofsamt nur sehr widerwillig unternommen und stets versucht, in diese Einsamkeit zurückzufinden. Die Zeit seiner ersten Zurückgezogenheit in Seleukia findet laut Arnold ihre Erfüllung im Lebensabend „mit lauter guten Übungen […] in solcher Stille“.244 Gregors Abdankung, die seine schadenfrohen Feinde als schmachvolle Niederlage feierten, weil ihnen die Heilsamkeit der Zurückgezogenheit nicht einleuchten wollte, goutiert Arnold als segensreichen und wohl verdienten Rückzug in die Kontemplation. Damit lässt Arnold Gregors Amtsjahre lediglich als anfechtungsreiche Episode erscheinen. 2. Dass in Gregor Lehre und Leben zur vorbildlichen Übereinstimmung gelangten, habe – so Arnold – den Klerus von Konstantinopel irritiert, verärgert und zum Widerstand provoziert. Weil Gregor den christlichen Glauben authentisch und vorbildlich gelebt habe – was ausweislich der Ersten Liebe einen wahren Lehrer ausmacht und erst zum Amt autorisiert, da er nur lehren könne, was er auch lebt, nämlich die Inanspruchnahme durch Gott –, habe das Volk ihn in einer deutlichen Diskrepanz zum scheinheiligen Gebaren der übrigen Bischöfe und Priester gesehen, so dass sich die institutionalisierte Bischofskirche in Frage gestellt und gefährdet sah.245 3. Seine Geduld habe Gregor in seiner Standhaftigkeit während der Zeit der Anfeindungen durch die Bischöfe, in der Beharrlichkeit seiner Predigt und in von Nyssa merklich ein. Dieser falle intellektuell weit hinter seinen Bruder zurück, sei „etwas einfältiger und von langsamen Verstand“ gewesen und in seinen Schriften fänden sich „offt überflüßige worte und nichtswürdige dinge […], ob gleich hin und wieder noch gutes untermenget ist“ (UKKH 1,161). Vor allem macht Arnold Gregor zum Vorwurf, dass er „aus seiner erkäntniß vor sich die Sachen abgehandelt hat“ (UKKH 1,161), d. h. dass er sich auf seine theologische Gelehrsamkeit und kaum auf Gottes Geist verlassen habe. 242 Vgl. UKKH 1,162. 243 UKKH 1,162. 244 UKKH 1,162. 245 Vgl. UKKH 1,162: „Es ließ ihm aber die gottlose Clerisey / die doch orthodox seyn wolte / keine ruhe / sondern weil sie ihm weder wegen der lehre noch des lebens beykommen konte / brachen etliche Bischöffe die ursache von zaun / er wäre nicht mit ihrer einstimmung erwehlet / weil sie zu langsam kommen wären.“
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der unverhohlenen Benennung dessen, was er „von der unruhigen Clerisey und ihren actionen“ gehalten habe, unter Beweis gestellt.246 4. Die gemeindeübergreifende Ratgebertätigkeit hat Arnold in der Ersten Liebe als eine vornehmliche Dienstpflicht der vorkonstantinischen Lehrer bestimmt, in der Kirchen- und Ketzerhistorie weist er ausdrücklich darauf hin, dass Gregor in der Zeit seines Rückzugs im Alter keineswegs die „sorgfalt vor die Christenheit“ gänzlich vernachlässigte, vielmehr „dienete [er] vielen mit zuschreiben / rath und that“.247 Arnold lässt Gregor von Nazianz in der Kirchen- und Ketzerhistorie als Repräsentanten des alten, vorkonstantinischen Lehrerideals und als nonkonformistische Mittlerfigur zwischen episkopaler Amtshierarchie und mystischer Berufungserfahrung auftreten. Obwohl dogmatisch unverdächtig, ereilt ihn das Schicksal der durch die Kirche unterdrückten Ketzer, weil er in seinem Amt ein urtümliches, asketisches Ideal zu verwirklichen sucht, dessen archaische Strahlkraft eine kirchenzersetzende und die bischöflichen Machtstrukturen destabilisierende Wirkung entfaltet. Ganz auf der Linie der kontrastiven Geschichtsschreibung Arnolds personifiziert Gregor damit die Abständigkeit und Inkompatibilität der vor- und nachkonstantinischen Epoche: Wegen seines außerordentlichen Charismas, seines zutiefst ehrlichen Berufungsbewusstseins, seiner couragierten Freimütigkeit und seines strengen Pflichtgefühls wird er von seiner Gemeinde verehrt und von der Bischofskirche verabscheut – ein Konflikt, der sich nur durch den Amtsverzicht und die heilsame Rückkehr in die kontemplative Askese auflösen lässt.248 In Anerkennung dieses Lebenswerkes und Glaubenszeugnisses möchte Arnold, der den frostigen Dogmatismus der Kirchenväter und ihren blindwütigen Kampf gegen die Häresien anderweitig scharf kritisiert, sogar Gregors spitzzüngige, antiarianische Schriften wortreich entschuldigen: Vielleicht habe sich Gregor „auff die relationes der vorigen zeiten verlassen“,249 war über die Arianer selbst aber einfach nicht gut genug informiert; oder aber er konnte sich in der Zeit der orthodoxen Parteilichkeit nicht frei äußern, um die „lautere warheit recht ohne partheyligkeit einzusehen / noch vielmehr aber sie zu bekennen / und denen die sie hatten / ungescheut recht zu geben“.250
246 UKKH
1,162. 1,162. 248 Vgl. UKKH 1,162: Seine Geschichte sei ein Beispiel dafür, „wie es auch nicht einmahl unter den orthodoxis etwas geholffen / daß einer in allen nach ihren sätzen sich gerichtet / sondern daß dennoch die Clerisey die allergeringste gelegenheit genommen / diejenigen zu drücken und fort zu schaffen / welche ihnen wegen ihres exemplarischen lebens und der daher kommenden liebe bey den leuten ein stachel in augen waren.“ 249 UKKH 1,163. 250 UKKH 1,163. 247 UKKH
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2.2.4. Zwischenfazit: Gregor von Nazianz als Archetyp des wahren Lehrers unter den Bedingungen des Verfalls Schon vor Arnold waren die Konflikte Gregors von Nazianz mit dem Klerus von Konstantinopel Gegenstand der Historiographie. Auch wurden Biographie und Werk Gregors, etwa von Cave, bei der Aufarbeitung des Verhältnisses von Lehrern und Gemeinden in der Alten Kirche, also in einem im weiteren Sinne pastoraltheologischen Zusammenhang, berücksichtigt. Wenn jedoch Arnold Gregor als beeindruckenden Repräsentanten des urchristlichen Lehrerideals und als Zeitzeugen des Verfalls der konstantinischen Kirche aufruft, ist dies ein Novum in der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung. In der Ersten Liebe greift Arnold insbesondere auf Gregors Gedichte zurück, in denen sich die beißende Kritik am sittlichen Verfall der Lehrer wie auch an der Theatralisierung und Veräußerlichung der monepiskopalen Kirche beispielhaft und wortgewaltig artikuliert. Im Denckmahl, der Erweiterung der Macarius-Edition, exponiert Arnold Gregor als denjenigen Lehrer, der die mystische Berufungserfahrung, die Arnold in der Ersten Liebe als wesentliches Kennzeichen der urkirchlichen Lehrer ausgewiesen hat, unter den Bedingungen des Verfalls der konstantinischen Kirche auslebt und darüber in einen tiefgreifenden Konflikt mit dem episkopalen Establishment gerät. Dazu lässt Arnold die anlässlich seines ersten Amtsverzichts aufgesetzte Apologie Gregors abdrucken und spitzt diese – u. a. durch geschickte Leserlenkungen – auf die Frage nach der Wichtigkeit und Gefährlichkeit des Lehramtes zu: Wer sollte leichtfertig das ehrfurchtgebietende Amt des Lehrers übernehmen wollen, ohne sich innerlich dazu bereitet zu wissen und seine Gottesbeziehung gefestigt zu haben? In der Kirchen- und Ketzerhistorie konzentriert sich Arnold bei seinem Portrait der Kappadozischen Väter gänzlich auf Gregor und unterläuft die dezidiert kontrastive Darstellung von Ideal und Verfall des Lehrstandes, indem er herausstellt, dass sich in Gregors Person die urchristliche Berufungserfahrung noch einmal umfänglich Geltung verschaffen kann, bevor sie von der Kirche unterdrückt und ausgelöscht wird. Mit seiner tendenziösen, psychologisch intimen Darstellung des Kappadoziers möchte Arnold den Leser an dessen Berufungserfahrung und deren Anfechtung unmittelbar teilhaben lassen, womit sich Arnolds personengeschichtlicher Ansatz konkretisiert, wie er ihn im Denckmahl theoretisch skizziert hat: Der Historiograph müsse den theologischen Skopus der Biographie des Dargestellten berücksichtigen und vor allem seine Gotteserfahrung und ihre Anfechtung in den Vordergrund seines Geschichtswerkes stellen, damit der fromme Leser an dieser partizipieren und ihre lebensverändernde Macht imitierend nachvollziehen kann. Arnolds Lebensbeschreibung Gregors erweist sich vor diesem Hintergrund als kirchengeschichtliche Fallstudie mit unmittelbarem Gegenwartsbezug: Das vorkonstantinische Ideal des Lehrers sei auch unter den Bedingungen des Verfalls realisierbar, wenn auch unter Erduldung massiver Anfeindungen und Anfechtungen. Sei dem
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Lehrer jedoch die Entscheidung zwischen der Bewahrung seiner Gotteserfahrung und der Anpassung an die großkirchlichen Macht- und Unterdrückungsstrukturen aufgezwungen, stehe ihm – so die der Vita des Kappadoziers immanente Mahnung – ausschließlich der Rückzug aus dem Amt offen, sofern er sich nicht dem Verfall preisgeben und seiner Berufung verlustig gehen möchte.
2.3. An der Schwelle zum pastoraltheologischen Programm: Arnolds Auseinandersetzung mit Ernst Salomon Cyprian (1700) Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) enthebt in seinen Allgemeinen Anmerckungen (1700) Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie konsequent ihres historiographischen Charakters und liest sie – und dies, wie gezeigt werden konnte, mit gutem Recht! – als unverhohlene Kritik an der zeitgenössischen lutherischen Kirche. Auch wenn die bisherige Forschung den Konflikt zwischen Arnold und Cyprian sorgfältig kartografiert hat,251 ist seine pastoraltheologische Dimension bisher weitgehend unbeachtet geblieben, obwohl sie im Schlagabtausch von 1700 eine Schlüsselrolle spielt: Cyprian kritisiert nicht nur Arnolds tendenziöse Quellenauswahl und seine undurchsichtige historische Methode, sondern er tadelt vor allem seine unlautere Absicht, die Prediger und Theologen der lutherischen Kirche zu diskreditieren, um die Zersetzung der Konfessionen bzw. „Secten“ und damit die Auflösung der Religion in einen freigeistigen Subjektivismus voranzutreiben. Arnold reagiert auf Cyprians Schrift u. a. mit der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen (1700), in der er einerseits versucht, Cyprians Argumente zu parieren, andererseits aber auch dessen pastoralzentrierte Lesart konstruktiv aufgreift, indem er nicht nur seine frühere Kleruskritik auf eine breitere theologische Basis stellt, sondern auch – und dies zum ersten Mal! – aus der Idee des Verfalls des urkirchlichen Lehrerideals valide Prämissen einer systematischen und positiven Pastoraltheologie entwickelt und diese sondiert.
251 Vgl. zum Freiheitsgedanken in der Erklärung schon Ritschl, Geschichte des Pietismus, 313–315, dann auch Schmidt, Pietismus, 86 f. Vgl. zum Konflikt über die Kirchen- und Ketzerhistorie vor allem Schneider, Cyprians Auseinandersetzung, insb. 132–140; Dixon, Faith and History; Kantzenbach, Arnold; Büchsel, Verteidigung, insb. 89–103, der diesbezüglich den Briefwechsel Arnolds mit dem Pfarrer Tobias Pfanner untersucht; vgl. auch Büchsel, Arnolds Weg von 1696 bis 1705, 24–32, wo Büchsel auf den Briefwechsel zwischen Cyprian und Arnold eingeht; vgl. auch Benrath, Reformationshistoriker, 38–44, der Cyprian in das Spektrum der lutherischen Orthodoxie einordnet.
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2.3.1. Cyprians Kritik: Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie als antiklerikale Polemik Cyprian wendet sich in seinen Anmerckungen von 1700252 auf verschiedenen Ebenen gegen die Kirchen- und Ketzerhistorie und wirft Arnold u. a. Quellenklitterung, persönliche Ressentiments gegen die Kirche und mangelnde Objektivität in seiner Darstellung vor. Dabei argumentiert er von einem dezidiert konfessionellen Standpunkt aus: Arnolds historiographisch kaschierte Kirchenkritik sei unbotmäßig, überspitzt und der lutherischen Sache überaus abträglich. Insbesondere stößt sich Cyprian an Arnolds energischer Kleruskritik und attackiert diese in zwei argumentativen Zusammenhängen. In einem ersten Zusammenhang wertet Cyprian Arnolds Kritik an den Predigern konsequent als einen Angriff auf die seiner eigenen Auffassung nach unhintergehbare, zwingend notwendige und – recht besehen – heilsame Konfessionalisierung im Christentum im Allgemeinen und als eine Kritik an der lutherischen Kirche im Besonderen: Arnold fördere durch die Darstellung des Verfalls der Prediger in der Kirchen- und Ketzerhistorie die Destabilisierung der konfessionellen Identität des Luthertums, indem er den „Secten“-Begriff („Secte“ i. S. einer religiösen Partei bzw. Konfession) als Problembegriff bestimmen und überwinden wolle: „So ist demnach die Ketzer=Historie aus diesem Vor=Urtheil geflossen / worinnen Arnold vermöge seines End=Zweckes die Secten nicht anderst / als abscheulich / abmahlen müssen. Denn Er wil durch die Ketzer=Historie die Christen so klug machen / daß sie sich von denen Secten absondern sollen.“253
Ausgehend von Tertullians Wortgebrauch, der die christliche Religion selber „gar offt eine Secte“254 genannt habe, plädiert Cyprian für die Beibehaltung des Begriffs und die Aufrechterhaltung der konfessionellen Binnendifferenzierung des Christentums, denn während Arnold daran gelegen sei, der ganzen Welt zu raten, „es wäre am sichersten / so viel Religionen entstehen zu lassen / als Köpffe seyn / in keine Predigt oder Ubung / in keine Kirche oder Schule zugehen“,255 meint Cyprian, dass Entstehung und Tradierung des christlichen Glaubens immer an eine distinkte Lehrmeinung und damit immer an ein personales Lehramt geknüpft gewesen seien.256 Die Auflösung der konfessionellen Parteien und die 252 Die
Vorrede der Anmerckungen ist auf den 24. März 1700 datiert. Anmerckungen, 8. 254 Ebd. Cyprian bezieht sich hier auf Tert. pal. 6 (vgl. PL 2, 1050: „At ego iam illi etiam diuinae sectae ac disciplinae commercium confero.“), Tert. apol. I,1 (vgl. CSEL 69; 1,7–9: „[…] domesticis iudiciis nimis operata infestatio sectae huius obstruit defensioni: liceat veritati vel occulta via tacitarum litterarum ad aures vestras pervenire“) und Tert. apol. XLVI,2 (vgl. CSEL 69; 105,8–106,1: „Sed dum unicuique manifestatur veritas nostra, interim incredulitas, dum de bono sectae huius obducitur, quod usu[i] iam et de commercio innotuit, non utique divinum negotium existimat, sed magis philosophiae genus“). 255 Cyprian, Anmerckungen, 9. 256 Vgl. a. a. O. 10: „Sagt nicht der Apostel / man soll denen Lehrern gehorchen und fol253 Cyprian,
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Aufkündigung des Gehorsams gegenüber dem Lehrstand seien daher undenkbar, verflüchtige sich doch auf diese Weise der christliche Glaube im Subjektivismus, d. h. in der „Freigeisterei“.257 Arnolds historische Rekonstruktionen des urchristlichen Ideals – „es soll im neuen Testament kein wahrer Bruder den andern lehren / sondern auff GOtt selbst mit seinem Frey=Geist sehen“258 – und seine Kritik an den Lehrern, die „nach der Schrifft / nicht aber nach dem innerlichen Liechte“,259 d. h. nicht aus göttlicher, sondern nur aus eigener Macht über die Rechtgläubigkeit anderer geurteilt hätten, verurteilt Cyprian daher aufs Schärfste.260 Vielmehr garantiere die erkennbare Zugehörigkeit des Lehrers zur einen oder anderen Sekte bzw. Kirche die Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit des gelegten „Grundes“,261 d. h. der theologischen Grundüberzeugungen einer Konfession, so dass die Gläubigen dazu befähigt werden, sich von den falschen Lehrern zu distanzieren, wie es auch schon in der Alten Kirche gang und gäbe gewesen sei.262 Cyprian hält fest: Da Arnolds Kritik des Lehrstandes in der Kirchen- und Ketzerhistorie vor allem auf die Auflösung der Konfessionen ziele,263 könne sie leicht als haltlose, voreingenommene und ungerechte Polemik durchschaut und somit als unsachgemäß entlarvt werden.264 Der zweite Zusammenhang, in dem Cyprian auf Arnolds Kritik an den Predigern zu sprechen kommt, bezieht sich auf Arnolds Darstellungsmethode im engeren Sinne. Cyprian wirft Arnold vor, dass er in böswilliger, destruktiver Absicht auf das allgemein bekannte Problem der Inkongruenz von Lehre und Leben der Prediger Bezug nehme. Entscheidend sei doch, so Cyprian, wie man mit dem historisch gen / weil sie vor die Seelen wachen? Was ist es nütz / daß andere vor meine Seele wachen / wenn ich keinem folgen soll / so spricht / hie ist Christus. Heißet das nicht das gantze Predig=Ambt auf einmahl aufheben?“ 257 Vgl. a. a. O. 15. 258 Ebd. 259 Ebd. 260 Vgl. ebd. Keinesfalls könne sich Arnold auf 1 Kor 3,4 – Paulus’ Kritik an den Parteibildungen in Korinth – berufen, um gegen die „sichtbaren Kirchen“ (a. a. O. 17) zu polemisieren, denn Paulus und Apollo hätten „einerley Lehre“ gehabt. Die Situation habe sich seit den Zeiten der Apostel grundlegend geändert – mittlerweile sei das Zeitalter der Konfessionen angebrochen, vgl. a. a. O. 17: „Itzo aber sind die Lehrer strittig / und legen einige einen andern Grund / ausser dem / der gelegt / und Christus ist. Darumb ist es nöthig / daß man sich umb vieler Lehrer unart willen zu einer gewissen Kirchen bekenne / damit andere / so die wahre Lehre haben / wissen mögen / ob sie mich als einen Wolff / oder als ein Schaaf / anzusehen.“ 261 Vgl. ebd. 262 Vgl. a. a. O. 17–19. 263 Vgl. a. a. O. 22: „Aber Arnold, wie er sich selbst zu keiner Secte bekennet / und in keine Kirche kömbt; also will er alle Leute von denen Secten abziehen / und zumahl die Kirchen=Diener kräncken / auf welche die Historie vornehmlich gemüntzet. So muste er demnach partheyisch schreiben / und zumahl alles wiedrige von dem Clero erzehlen / damit dieser von allen verachtet würde / folglich die secten zerfielen / und die Frey=geister überhand nähmen.“ 264 Arnold verhalte sich wie einer, der die Historie des Römischen Reiches schreiben wolle, aus selbigem aber schon seit langer Zeit verbannt worden sei und nun seine Leser dazu überreden wolle, es ihm gleich zu tun (vgl. a. a. O. 23).
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evidenten Tatbestand der Tugendlosigkeit der Prediger umgeht; ihn zum zentralen Gegenstand einer historischen Darstellung zu machen, sei einigermaßen unredlich und verbiete sich vor allem dem christlich gesinnten Historiker, der sich auch Rechenschaft darüber ablegen müsse, ob er mit seiner Darstellung Sympathie für die Kirche und ihre Geschichte wecken könne und gewissermaßen für sie werben wolle. Arnold habe sich dazu entschlossen, die Laster des Klerus und die Vorzüge der Ketzer, Philosophen und Atheisten in den Vordergrund seiner Historie zu stellen,265 und sich damit als Donatist266 und Nestbeschmutzer entlarvt, der die lutherischen Prediger nur deswegen kompromittieren konnte, weil ihm aufgrund seiner eigenen Konfessionszugehörigkeit exklusive und intime Einsichten in ihre Geschichte zuteilgeworden sind.267 Arnolds genüssliche, ausufernde Darstellung der Verfehlungen des Klerus sei, so Cyprian weiter, geradewegs eine „Eigenschafft der Ketzer“ der Alten Kirche,268 während sich die klassisch-antike Kirchenhistoriographie einer überaus moderaten, ausgleichenden Darstellungsmethode verschrieben hätte, weil sie sich einem christlichen Ethos verpflichtet fühlte, was Arnold gerne unterschlagen wolle: Auch ein Euseb habe Kenntnis von den schweren Verfehlungen der Priester gehabt, habe es aber schlichtweg für unredlich und dem christlichen Glauben abträglich gehalten, diese in seiner Kirchengeschichte zu erwähnen. Der Kirchenvater sei also „viel behutsamer“269 als Arnold vorgegangen, was man ihm jedoch nicht zum Nachteil auslegen dürfe.270 Cyprian versteht die Kirchen- und Ketzerhistorie also völlig zutreffend als eine historiographisch kaschierte Kritik an den lutherischen Predigern seiner Zeit. Sein Tadel richtet sich sowohl gegen Arnolds Ansatz, von den Verfehlungen der Prediger auf die Notwendigkeit der Auflösung der Konfessionen zu schließen, als auch gegen seine Methode, die Verfehlungen der Prediger beharrlich in den Vor265 Vgl. a. a. O. 88 f und vor allem a. a. O. 89: „Arnold hatte sich vorgesetzt / alles übels von uns / und alles gute von denen zu schreiben / welche wir verwerffen. So muß nun dieses die gantze Historie durch in acht genommen seyn / und solls alles brechen und knacken.“ 266 Cyprian kommt auf dieses Problem im dritten Kapitel seiner Schrift – „In welchem die vorgefaßte Meynung von der Unvollkommenheit der Schrifft angemercket wird“ – zu sprechen, wenn er „Arnolds donatistische Sätze“ (a. a. O. 33) kritisiert: „Unter denen vorgefaßten Meynungen des Arnolds ist auch diese / daß er glaubet / es können diejenigen Leute / welche eine Reinigkeit der Kirchen und ihrer Diener / eine Absonderung der Bösen / eine vollkommene Erleuchtung und Heiligung der Christen erfordern / in die allererste Apostolische Kirche verworffen werden; dahingegen die abgefallene Kirche um ihre interesse willen nöthig gehabt / solche Zeugen als irrige und widerspenstige zu unterdrucken / damit ihre Blösse nicht offenbahr werde“ (a. a. O. 34). In der Tat hatte Arnold die Verketzerung der Donatisten als Verschleierungsversuch der Großkirche gedeutet, mit der sie die Frage nach ihrer eigenen moralischen Integrität und damit auch ihrer Legitimität aus der Welt schaffen wollte (vgl. EL 2,363). 267 Hinzu komme, dass Arnold sich lediglich auf die deutsche, lutherische Kirche kapriziere, als sei ihm nicht bekannt, dass sich bisweilen der Klerus in ganz Europa verfehlt habe (vgl. a. a. O. 85). 268 Vgl. a. a. O. 86. 269 Ebd. 270 A. a. O. 87.
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dergrund seiner Darstellung zu stellen. Es mag daher kaum überraschen, wenn Arnold auf dem Gipfel der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen auf das Problem des Zusammenhangs von Pastoralkritik und kirchlicher Separation zu sprechen kommt und – als Replik auf Cyprian – erstmals Ansätze zu einer konstruktiven Pastoraltheologie formuliert.
2.3.2. Arnolds Reaktion: Konturen einer konstruktiven Pastoraltheologie in der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen In der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen / Kirchen= und Abendmahl=gehen Wie auch vom recht=Evangel. Lehr=Amt / und recht=Christl. Freyheit […] (1700) reagiert Arnold umfassend auf Cyprians Anmerckungen. So möchte er Cyprians Kritik an seiner Person (Kap. 1) widerlegen,271 vor allem den Vorwurf, er habe sich von der lutherischen Kirche losgesagt.272 Er rechtfertigt seine Separation vom Kirchgang im Allgemeinen (Kap. 2)273 und vom Abendmahl im Besonderen (Kap. 3),274 erklärt, dass seine Kritik keineswegs auf die ganze Kirche, sondern nur auf die verfallene ziele (Kap. 4),275 und bettet im fünften Kapitel – Arnolds Angaben zufolge ein Nachtrag –276 die Stellungnahme eines anonymen lutherischen Lehrers277 zur Frage des Zwangs und der Zulassung zum Abendmahl (Kap. 5) ein.278 Von hier aus und gewissermaßen als Höhepunkt der Erklärung entwirft Arnold das sechste Kapitel279 zum „recht Evangelischen Lehramt und der Christlichen Freyheit / erleuchter Christen“280 und legt in vier Punkten – 1. „Von denen Hirten und Lehrern selbst“,281 2. „Von der Gemeine und ihren Gliedern“,282 3. „Von denen Ordnungen und Regierungen“283 und 4. „Von dem Verhalten bey denen Ordnungen“284 – den von Cyprian kritisierten Verfallszusammenhang von pastoraler Erfahrungsleere, Gemeindezerfall und Gottesdienstzwang dar. Das – unter pastoraltheologischen Gesichtspunkten bedeutsamste – sechste Kapitel zeichnet sich nun durch eine eigentümliche Doppeltendenz aus. Einer271 Vgl.
ES 14–22. ES 17–19. 273 Vgl. ES 23–33. 274 Vgl. ES 34–43. 275 Vgl. ES 43–53. 276 Vgl. ES 53. 277 Es bleibt unklar, welches (kirchliche, administrative oder universitäre) Amt der anonyme Autor bekleidet hat. Da er aber persönliche Gründe für seine eigene Separation vom Abendmahl erläutert und erklärt, er habe nicht die Autorität innegehabt, die bösen Gemeindeglieder zu strafen, dürfte es sich nicht um einen Pfarrer gehandelt haben. 278 Vgl. ES 53–82. 279 Vgl. ES 82–104. 280 ES 82. 281 ES 83. 282 ES 89. 283 ES 93. 284 ES 99. 272 Vgl.
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seits ist es unverkennbar vom kirchenkritischen Argumentationsgefälle der Erklärung geprägt, das im initialen Klageruf Arnolds seinen Ausgang nimmt: „Der greuel der verwüstung ist so groß und unläugbahr allenthalben / daß sich ein nur natürlich=redlicher mensch dessen schämen und wünschen möchte / daß doch ja kein anderer / als blinde / taube / stumme und lahme in die Lutherischen kirchen kommen möchten / damit sie nicht bewogen würden / davon zu zeugen.“285
Aus der Kirche sei ein beliebiges, gesättigtes und schlaffes Gewohnheitschristentum geworden,286 sämtliche zaghaften Reformversuche – gemeint sind wohl Spener und der innerkirchliche Reformpietismus – entpuppen sich letztlich nur als eine von vielen Intrigen des Teufels, dem ein bloßes Lamento über den Zustand der Kirche lieber sei, als dass er eine echte Erneuerung in Gang gesetzt sehe.287 Die scheinheilig jammernden Prediger seien ja selbst tief in den Verfall verstrickt, verstecken sich hinter ihrer künstlichen, akademischen Predigtsprache288 und entziehen sich der Entdeckung, Kultivierung und Bewährung ihrer Gottesbeziehung.289 Kirchenkritisch fällt auch und vor allem das fünfte Kapitel „Fernere Erklärung vom Kirchen= und Abendmahl gehen“ aus, das für das Verständnis des unmittelbar folgenden, sechsten von nicht geringer Bedeutung ist, insofern es gewissermaßen die Negativfolie der dort vorgebrachten pastoral285 ES 24. 286
Vgl. ES 25: Die Christen gingen – Arnold zitiert Paulus Egardus, Mundus Immundus, Das ist: Das falsche Christenthumb der Welt, Lüneburg 1623, 32 – „zur kirchen / nicht aus liebe des HErrn und seines worts / nicht im geist / nicht mit heiliger lust und andacht / sondern nach ihrer alten gewohnheit und weise / zur gesellschafft / oder daß sie gesehen werden / etwas neues hören / die zeit hinbringen / und sich mit andern bereden und ihre sache bestellen.“ 287 Vgl. ES 10, wo Arnold die Anfälligkeit der Gemeinde für das Wirken des Teufels näherhin schildert: „Und weil es ihm an den subtilsten intriguen und scheinbahrsten verstecktesten streichen noch nie gemangelt / und wol siehet / daß er in und durch seine werckzeuge mit gar grober und hefftiger behauptuug [sic!] seiner altensätze [sic!] nicht mehr so wol fortkommen kann: So greifft erst auff andere arth an. Er fängt nunmehro auch an / mit über das gemeine elend zuklagen / als wäre es ihm noch so leid / lernet allerhand frommscheinende worte nachschwatzen / und will den leuten gar weisen / wie er auch vom wahren Christenthum reden und schreiben könne.“ 288 Hinsichtlich der Prediger zitiert Arnold erneut Egardus, Mundus Immundus, 91: „Sie (die Prediger) suchen sich selbst und ihre eigene ehre / daß sie menschen gefallen / und machen aus CHristo eine subtile kunst / und befleißigten sich / daß sie durch ihre zierliche zunge / durch artliche und künstliche weise Christum predigen / durch lateinische / griechische / ebräische sprüche / die sie einführen ein groß ansehen erlangen / und für gelehrte und fürtreffliche männer gehalten werden“ (ES 27). 289 Vgl. ES 50: „[…] weil ja die erfahrung lehrt / daß in keinem andern / ob wol noch so gutscheinenden menschlichen namen oder dinge / in keiner schulweißheit / oder kirchengerechtigeit wahrhafftige zufriedenheit und glückseligkeit / sondern gegen CHristenerkäntniß / alles koth und schaden sey und bringe. Man gönne doch seiner armen seelen so viel frieden / daß sie ihr höchstes guth alleine suchen dörffe / welches sie in creaturen nicht findet; Man suche doch noch hier mit seinem schöpffer in ernstlicher zukehr zu ihm versöhnt und einig zu werden / und halte sich in so viel elenden vorurtheilen nicht länger auff / die der satan unter dem namen der menschen und ihrer meinungen / secten / disputen / satzungen und traditiones neben das wort GOttes ausgesäet hat.“
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theologischen Prämissen Arnolds darstellt. Als Autor dieses Textes gibt Arnold einen „gewissen zeugen der wahrheit / welcher annoch in einem Lutherischen Lehramt stehet / und vor wenig jahren auff veranlassung eben solcher beschuldigungen die nachfolgende deduction auffgesetzet hatte“290 an, ruft also einen vermeintlich unverdächtigen, lutherischen Theologen als Gewährsmann seiner Kritik auf.291 Dieser beklagt nun den Verfall der lutherischen Kirche, indem er (erstens) zwischen öffentlichem und innerlichem Gottesdienst, zwischen dogmatisch intaktem Kern der Kirche und dessen Verschleierung sowie zwischen den wahren, Gott ergebenen und den schlechten Predigern unterscheidet;292 (zweitens) die veräußerlichte Abendmahlsfeier und die erschlaffte Kirchenzucht 290 ES 53.
291 In der Forschung wird der Umstand, dass es sich beim fünften Kapitel um ein anonymes Schreiben handelt, weitestgehend außer Acht gelassen (vgl. Büchsel, Kirche, 112–115). Arnold weist darauf hin, dass er Anfang und Schluss dieser Erklärung ausgelassen habe, „weil selbige eben zu dieser sache nicht gehören / sondern gewisse umstände einer Lutherischen Stadt antreffen“ (vgl. ES 54), und deutet zudem an, dass er den Autor nicht persönlich kennt und dass dessen Schrift nie zuvor in Druck gegangen ist (vgl. ES 53). Zwar ist es für das Verständnis der Erklärung nicht unbedingt nötig, die genaue Herkunft des zitierten Textes zu klären, denn Arnold macht sich die Argumentation vollkommen und ohne Einschränkung zu eigen. Die Einbettung des Textes eines Vertreters der lutherischen Kirche soll jedoch die Unparteilichkeit und Autorität der Ausführungen Arnolds unterstreichen, vor allem weil Cyprian ihm eine unredliche, einseitige und polemische Darstellung des Luthertums vorwirft. 292 Der Verfasser legt die Gründe seiner Gewissensbeschwerungen „wegen beywohnung der öffentlichen versammlung und communion“ (ES 54) dar, möchte jedoch zunächst einige Missverständnisse ausräumen: Zum Ersten habe er sich nicht aus der Kirche zurückgezogen, weil er den öffentlichen Gottesdienst an sich verwerfe (vgl. ES 54), vielmehr verstehe er ihn als „das freye Exercitium eines öffentlichen cultus“ (ES 54). Zum zweiten verwerfe er nicht das liturgische Gepräge der Gottesdienste, auch wenn bekannt sei, dass Luther neben dem lateinischen Gottesdienst und der Deutschen Messe eine Sonderform des Gottesdienstes (für die Heiligen) vorgesehen habe (vgl. ES 54). Drittens wolle er sich nicht von der lutherischen Kirche lossagen, habe Gott sie doch „biß auff den heutigen tag durch seinen Heiligen Geist in rechtem Glauben erhalten“ (ES 54), wenn er sich auch wünsche, dass sie von „denen Schandflecken / die sie wider ihren willen tragen muß / gereiniget seyn möchte“ (ES 54). Viertens wende er sich nicht gegen den „äusserlichen Sacramentlichen gebrauch des heiligen Abendmahls“ (ES 54), dränge aber darauf, dass die grobe Veräußerlichung des Sakraments abgestellt werden und der „innerliche“ (ES 54) Gebrauch wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Zuletzt aber verwehrt sich der Verfasser gegen den Vorwurf, er würde das evangelische Predigtamt verwerfen: „GOtt weiß / daß ich das ordentliche Predigtammt an sich so hoch ehre und achte / als es jemand ehren und achten kann; wünsche auch von gantzem hertzen / daß alle / die solches ammt führen / es selbst so hoch ehren und achten möchten / als ich es ehre und achte / und die mich des Donatismi beschuldigen wollen / daß ich das Ministerium malorum schlechter dinges und ohne allen unterscheid verwürffe / die müssen durch eine deutliche folge mit solcher falschen imputation mir selber zugestehen / daß hingegen das Ministerium piorum & sanctorum bey mir in grossem werth seyn müsse / welches ja auch sonder zweiffel wol das rechte und GOtt wolgefällige Ministerium allein zu heissen verdienet. Denn wo es wahr ist / was die Apologia Augustanae Confessionis in articulo de Ecclesia mit solchem ernst und nachdruck beweiset / daß die gottlosen / ob sie schon in der äusserlichen gemeinschafft der kirchen stehen / dennoch nur improprie membra ecclesiae heissen / so muß es ja auch wahr seyn / daß die gottlosen / ob sie schon in der äusserlichen gemeinschafft der kirchen stehen / und sich des öffentlichen kirchen= amts anmassen / dennoch nur improprie Ecclesiae ministri heissen“ (ES 55).
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und damit wiederum unmittelbar die Moralität der Pfarrer kritisiert;293 und (drittens) die Separation vom Abendmahl als Form des öffentlichen Protestes gegen die Verletzung der Amtspflichten der Prediger ins Recht setzt.294 Zweifellos bettet Arnold den Text in seine Erklärung ein, um offensiv zu demonstrieren, dass seine eigene Kritik an eine schon länger andauernde, innerlutherische Reformdebatte anknüpft und vor allem deswegen nicht als heterodox 293 In der zweiten Argumentationssequenz möchte der anonyme Autor die „rechten ursachen solcher meiner entziehung“ (ES 56) anzeigen. Erstens bestehe eine deutliche Inkongruenz zwischen unsichtbarer und sichtbarer Kirche: Der „allergröste hauffe / der zu der Evangelischen kirche will gerechnet seym / ausser denen öffentlichen kirch=versammlungen nicht Evangelisch / sondern Heidnisch / ja ärger als Heidnisch in allen herrschenden sünden lebet […]“ (ES 56). Aus der Kirche sei ein „ein pachthauß / ein hurhauß / ein plauderhauß / ein spotthauß / ein richthauß / ein schlafhauß“ (ES 56) geworden. Zum zweiten hätten die „maul=Christen“ (ES 57) das Sagen, die auf den Gottesdienst als ein opus operatum vertrauen und damit den „gantzen grund des heiligen Evangelii“ umreißen (ES 57), so dass der Gottesdienst, „der ausser der öffentlichen kirchen geschiehet / an sich nicht so heilig / kräfftig und GOtt wolgefällig seyn / wie derjenige / der in der kirche verrichtet wurde“ (ES 57), wogegen sich erwiesenermaßen Luther und die Bekenntnisschriften wendeten (vgl. ES 57). Der Verfasser verschärft diese Kritik (drittens) hinsichtlich der Verbindlichkeit der Lehre, des Gottesdienstes und der Sakramente und kritisiert einen „neuen Päbstischen gewissens=zwang“ (ES 58) und polemisiert in Anschluss an Heinrich Müller gegen die vier „Kirchen=götzen“ Predigtstuhl, Taufstein, Beichtstuhl und Altar (vgl. ES 57. Diese schon zu Lebzeiten Müllers höchst umstrittene Rede von den vier Götzen findet sich in dessen Postille Apostolische Schluß=Kett Und Krafft=Kern, Oder Gründliche Außlegung der gewöhnlichen Sonn= und Fest=Tags=Episteln: Worinnen Nicht allein der Buchstabe nach dem Sinn deß Geistes erkläret, sondern auch die Glaubens-Stärckung und Lebens-Besserung, auß den Krafft-Wörtern der Grund-Sprachen herauß gezogen, vorgetragen wird. In der Erstauflage von 1663 findet sich das Zitat auf Seite 858), denen bereits Luther die grundsätzliche Freiheit im Sakramentengebrauch entgegengesetzt habe (vgl. ES 57 f). Mit Luther möchte der Verfasser die Prediger dann auch daran erinnern, dass sie alleine für die rechte Verwaltung des Abendmahls verantwortlich sind: „So unrecht es nun ist / die säu / die man von dem tisch des HErrn abhalten sollte / dazu zu lassen / und gar darzu anzutreiben / so unrecht ist es auch / wenn man fromme Christliche hertzen / die nicht aus böser muthwilliger verachtung / sondern aus habenden schweren und wichtigen gewissens bedencken sich des äusserlichen öffentlichen gebrauchs des Sacraments enthalten / auff solche Päbstische Arth und weise wieder ihr gewissen darzu nöthigen und zwingen will / gleich als wenn es mit solchen offt aus dem tieffsten grunde der seelen bey tiefsinnigen ernstlichen und religieusen gemüthern entstehenden / und weit um sich sehenden gewissens=scrupeln / die man nicht einmal allezeit mit worten gegen einen andern genugsam und deutlich von sich geben kan / so eine leichte sach wäre / daß sich dieselbe nach eines jeden sinne flugs abwerffen liessen“ (ES 60). Er führt die theologische Aushöhlung und Veräußerlichung des Sakraments auf eine geistliche Erstarrung in der Gemeinde zugunsten der Heuchler und Ungläubigen zurück – diese Entwicklung erfordere vom Prediger Sensibilität für die Seelenverfassung ihrer Herde: „Darum ist es nun so gar eine grosse und wichtige Sache sich vor einen rechten Evangelischen Lehrer und Seelen=Hirten auszugeben / weil der zustand und unterscheid der menschlichen gemüther so gar manchfaltig ist / und es daher große weißheit erfordert mit einem jeglichen recht umzugehen. Es heist auch hier: Duo cum faciunt idem, non est idem. und lassen sich nicht alle leute nach einem masse messen“ (ES 62 f). So könne die Enthaltung vom Abendmahl bei dem einen „aus einem bösen / bei dem andern aus einem guten grunde kommen“ (ES 63). Ein Lehrer müsse dies aber genau prüfen, sonst werde er „durch unweises verfahren einer seelen mehr schaden als nutzen anrichten / davon die schuld hernach auff ihn fällt / daß er sich unterstehen will / worzu er doch nicht tüchtig ist“ (ES 63). 294 Vgl. ES 63–79. Vgl. auch Kapitel II.3.2.1.
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verunglimpft werden dürfe, weil sie sich auf lutherische Grundprämissen beruft, etwa die Freiheit im Gebrauch des Gottesdienstes und der Sakramente, das Priestertum aller Getauften und das Verständnis des kirchlichen Amtes als Dienst an der Gemeinde. Die Erklärung nimmt also einen langen kleruskritischen Anlauf zum sechsten Kapitel. Andererseits weist Arnold zum Auftakt des besagten Abschnitts dezidiert auf den programmatischen Charakter seiner Ausführungen hin, indem er unterstreicht, dass er seine Leser nicht weiter mit „streit=sachen“ behelligen wolle, sondern stattdessen „zu etwas nöthigers und dienlichers“295 kommen und eine regelrecht thetische, pastoraltheologische Untersuchungsfrage formulieren möch te. Diese Frage kann gewissermaßen als Keimzelle der Arnold’schen Pastoraltheologie betrachtet werden: „Auff was art eine Christliche Gemeine an einem ort regieret und geführet werden müsse / und ob solcher regierung alle glieder derselben / insonderheit der äusserlichen ordnung nach unterworffen seyn / oder sich derselben / zu behauptung ihrer Christliche freyheit / entziehen können?“296
Mit dieser Frage greift Arnold explizit die Kritik Cyprians auf, insofern er konzediert, „daß auch nothwendig die Hirten und Lehrer (als correlata) genauer und in einigem höhern grad anzusehen seyn“.297 Im engeren Sinne seiner Fragestellung geht es ihm um die Legitimation der Lehrer und den Erstreckungsbereich ihrer Macht über die Gemeinde und damit um die von Cyprian bekräftigte pastorale Lehrautorität innerhalb der lutherischen Konfession. Arnold präsentiert nun vier hoch verdichtete Argumentationskomplexe, um – auf der Linie seiner früheren kirchenhistorischen Explorationen – plausibel zu begründen, warum eine geistliche Wiedergeburt der Pfarrer, d. h. eine authentische Berufungserfahrung, unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung ihres Amtes sei. 1. Im Unterkapitel „Von denen Hirten und Lehrern selbst“ kommt Arnold auf mehrere einschlägige Aspekte der altkirchlichen Berufungstheologie zu sprechen, die er in der Ersten Liebe rekonstruiert hat, wobei er diese jedoch dezidiert aus ihrem historischen Kontext löst und von ihrer quellensprachlichen Idiomatik abrückt. Er macht sich die Berufungstheologie der Alten Kirche nun völlig zu eigen, überführt sie allerdings in eine ausgreifende Wiedergeburtsmetaphorik, die dem Anliegen, der Sache und Rhetorik nach Speners Pfarrerkritik und Reformvorschlägen gleichkommt.298 So bekräftigt er etwa, dass der wahre Lehrer 295 ES 82. 296 ES 83. 297 ES 83.
298 Vgl. nur Spener, Pia Desideria (SpSt I/1; 114,27–31): „Was gilts / ob man nicht von vielen / von denen man gern auß Christlicher liebe besser urtheilen wolte [die Rede ist von den Pfarrern] / endlich doch der gleichen finden werde / was solche selbs nicht sehen / wie tieff sie
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allein durch den Heiligen Geist berufen werde,299 dieser jedoch grundsätzlich nur solche Lehrer erwählen würde, die die neue Geburt und das Geheimnis Gottes „wircklich erfahren“ haben und „auch wol eine zeitlang mit ihm inwendig umgangen“.300 Solche, auf diese Weise berufenen Lehrer könnten, weil sie die „processe und kennzeichen der neuen Geburt“ an sich erkennen und zwischen Buße und Wiedergeburt genau zu unterscheiden wissen, sich daran machen, „wahre kinder in CHristo zu zeugen“, worauf das „gantze Amt des Neuen Testaments“ angelegt sei, was andere, die sich noch in einem ständigen „circul“ von Buße und Wiedergeburt befinden, nicht vermögen.301 Die Einübung, Kultivierung und Internalisierung der Gottes- und vor allem Christusbeziehung – Arnold spricht davon, dass das ewige alleinige Wort des Vaters „in den seelen erwecket / eingepflanzt / formiret oder gestaltet und ausgebohren werden müste“302 – sei die vornehmliche Pflicht des Lehrers und müsse mit der Mäßigung seiner intellektuellen Kräfte einhergehen.303 Die wahren Hirten würden nicht sich selbst, sondern Christus predigen und – weil sie „von und in dem demüthigen und sanfften CHristo gelehret wären“304 – mit „Göttlicher gedult“ ihre Gemeindeglieder, individuell und am jeweiligen geistlichen Fortnoch in der alten geburt stecken und die rechte kennzeichen der widergeburt in nichts thätlich haben?“ Und vgl. schließlich die Reformvorschläge bzgl. des Theologiestudiums (SpSt I/1; 230,6–13): „Gewißlich wo einmahl dieser grund bey den Studiosis Theologiae gelegt wäre / daß sie nur glaubten / sie müssen bereits der welt absterben / in ihren ersten studier=jahren / und ein leben führen / als solche die dermal eins Fürbilde der Heerde werden sollen: Und das seye nicht nur eine zierde / sondern ein gantz nothwendig werck / ohne welches sie zwar Studiosi einer so zu reden Philosophiae de rebus sacris, nicht aber Studiosi Theologiae, die da in dem Liecht des Heiligen Geistes allein erlernet wird / seyn und gehalten werden […].“ Der Wiedergeburtsgedanke, so tragend er für die Erklärung ist, verflüchtigt sich in der Geistlichen Gestalt wieder. Schmidts pointiertes Urteil – Schmidt, Pfarrerideal, 143: „Die Geschlossenheit seiner [Arnolds] Konzeption [in der Geistlichen Gestalt] bewährte sich in der Zurückführung seiner Einzelforderungen auf die Wiedergeburt.“ – gilt im engeren Sinne nur für die Erklärung, äußerst bedingt für die Geistliche Gestalt, kaum noch für die spätere Pastoraltheologie Arnolds. 299 ES 83. 300 ES 84. 301 ES 84. Vgl. zur Rede von der Wiedergeburt den aufschlussreichen Beitrag von Matthias, Bekehrung und Wiedergeburt, bes. 58–65. 302 ES 85. 303 Vgl. ES 85 f: „Folglich würden sich wahre Apostel JEsu CHristi nicht auffhalten mit menschen=lehren / neben= und stück=wercken / vernunfft=schlüssen oder aus der vernunfft und schrifft zusammen gemengten formen. Vielweniger mit gesetzlichem / ängstlichem treiben derer gewissen zu bloß äusserlichen guten wercken fromm seyn / wie es aus natürlichen kräfften ja sehr hoch getrieben und gebracht werden mag / und doch weder zur Evangelischen gnad und krafft / noch zu CHristo und also zur wahren gerechtigkeit und ruhe führet / sondern nur als sauerteig der heucheley den gantzen teig verderbet. […] Dagegen würden sie mit Paulo überall und allen CHristum in denen hertzen zum grund anweisen / ausser ihm nicht vor sich selbst wissen / geschweige anderen lehren / sondern einem jeden bezeugen / daß in ihm alle fülle wohne […] aus welcher man alles allein nehmen müsse / […] als dem lebendigen quell / und nicht aus leeren und löchrichten brunnen / die selbst von dem haupt=ursprung alles betteln und holen müssen. […].“ 304 ES 86.
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schritt orientiert, anleiten.305 Das rechte Verhältnis der Lehrer zu ihrer Gemeinde sei daher ein elterliches und niemals ein herrschaftliches.306 Wie die positiven theologischen Prämissen der Berufungstheologie als ganzer reflektiert Arnold auch das Problem des Ausbleibens der göttlichen Berufung wiedergeburtsmetaphorisch, ja er definiert und charakterisiert die geistliche Wiedergeburt gewissermaßen ex negativo, indem er katalogartig verschiedene Gründe für den Ausfall der Wiedergeburtserfahrung zusammenstellt: a) Als grundlegendes Problem könne sich die spirituelle Ignoranz des Lehrers erweisen, wenn dieser „selbst in denen inwendigen wegen des geistes unerfahren / und am inneren Reich GOttes entweder blind / oder kaum ein wenig nach dem buchstäblichen wissen oder hören sagen sehend ist“.307 Diese Problemanzeige wendet Arnold in die Forderung nach einer fortwährenden, unermüdlichen Interaktion mit Gott, welche ihre Solidität, Lebendigkeit und Beständigkeit jedoch erst in Anbetracht von Anfechtungen und Irritationen gewinnen könne. b) Die zweite Ursache für das Ausbleiben der Wiedergeburt liege darin, dass sich der Lehrer immer noch im Stand der Buße befindet und die „vemehrungen des wissens bey einiger selbst=erwehlter frömmigkeit und gesetzlichen guten wercke / vor den wahren wesentlichen wachsthum in CHristo gehalten“.308 Der Durchbruch zur Wiedergeburt sei noch nicht erfolgt, stattdessen verfalle der Lehrer immer noch auf seine äußerliche Frömmigkeit und seinen pastoralen Habitus. c) Die dritte Ursache für das Ausbleiben der Wiedergeburtserfahrung liege darin, dass das Kreuz, das der Wiedergeburt vorausgehen müsse, noch nicht im Sinne der Selbstauslöschung, insbesondere als Auslöschung der eigenen seelischen Aktivität und Freiheit verstanden worden ist, sondern lediglich als Aushalten der „züchtigungen und plagen der Göttlichen Gerechtigkeit“.309 Ein solcher Lehrer verstehe nicht, dass ihn die Prüfungen Gottes zur Wiedergeburt und Selbstauslöschung anleiten wollen, und breche deswegen nicht zur Selbstverleugnung und zum eigentlichen Seelentod durch.310 d) Die vierte Ursache liege darin, dass der Lehrer immer noch nicht „den gantzen CHristum / sondern nur stückwerk und gesetzliche frömmigkeit prediget“311 und sich hinter „satzungen und ceremonien“ verschanzt, ohne „die auffnehmung der schmach und leiden Christi“312 zu predigen. e) Die fünfte Ursache bestehe darin, dass der Lehrer von „andern äussern dingen in so gewaltige hindernüsse verwickelt“313 sei, was ihn von der Gotteserfahrung – dem Aufscheinen Christi in der Seele – ablenke, und er „immer mehr verstellung / arglistigkeit / vernunffts=griffe / und politische staats=maximen lernen und practiciren muß“, was sich verheerend auf seine Lehre auswirke.314 305 Vgl.
ES 86. ES 86 f. 307 ES 88. 308 ES 88. 309 ES 88. 310 Vgl. ES 88. 311 ES 88. 312 ES 88. 313 ES 89. 314 ES 89. 306 Vgl.
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Diese fünf Hemmnisse würden die Wiedergeburt des Lehrers inhibieren, so dass dieser seine Amtsobliegenheiten verfehle und wiederum selbst ausschließlich „ungestalte gebuhrten und bastarte“ zeugen könne, die „des HErren JEsu im Geist gefährlichste feinde“ seien.315 Indem er dem Lehrer Kriterien der Selbstprüfung vorschlägt, in denen sich die Forderung nach einer Pflege der Gottesbeziehung als einer alles entscheidenden Grundlage für die Verrichtung des Amtes konkretisiert, markiert Arnold Eckpunkte seiner eigenen Berufungsauffassung. Dabei enthält er sich – anders als sonst in der Erklärung – weitestgehend der Polemik und nähert sich jener instruktiven Darstellungsform an, die auch für die Geistliche Gestalt charakteristisch sein wird. 2. Das Unterkapitel „Von der Gemeine und ihren Gliedern“ baut konzeptionell unmittelbar auf dem vorigen auf, insofern Arnold die Gemeinde als das wesentliche Aufgabenfeld des Lehrers bestimmt: Er muss die Gemeinde, die „der H. Geist durch seinen dienst gepflantzet habe“, Christus zuführen.316 Als wesentliche Herausforderung erweist sich dabei die Vielgestaltigkeit der geistlichen Konstitution und des Glaubensfortschritts der Gemeindeglieder.317 Der Lehrer müsse sie „zu gewissen äusseren ordnungen und übungen“ versammeln, nicht, um ungebührlichen Druck auf sie auszuüben, sondern „weil solche seelen annoch die äussere zucht und ordnungen sehr nöthig haben“.318 Im Zusammenhang mit dieser Forderung sieht sich Arnold freilich – und hier meldet sich die kritische Tendenz der Erklärung deutlich zu Wort! – zu einer ekklesiologischen Präzisierung genötigt: Natürlich seien diejenigen, „welche ihren Heyland bey langer erfahrung und vereinigung genau (nicht aber nach dem wahn nur) kennen“ von den äußerlichen Übungen freigestellt, insofern diese eine „wahre[] / reine[] / heilige[] / Apostolische[] gemeine“ bilden, in der Christus „mitten in und unter ihnen wäre“.319 Solange die Kirche als corpus permixtum Bestand habe und das Ideal der geistlichen Gemeinde in der Gemeinde noch nicht verwirklicht sei, müsse der Lehrer konsequent „auff das inwendige Reich GOttes“ (nach Lk 1,7) blicken, so dass er unmöglich auf die leibliche Anwesenheit der Gemeindeglieder bestehen dürfe,320 sei diese doch für die „vorbitte und mittheilung der geistlichen oder leiblichen gaben“321 nicht von Nöten. Der Lehrer solle sich eben nicht damit begnügen, den Bestand der sichtbaren Kirche zu wahren, sondern müsse 315 ES 89. 316 ES 90.
317 Vgl. ES 90: „Nun ist aber eine solche gemeine / davon allhier die frage ist / und von der sich einige antziehen sollen (vermöge der erfahrung) gemischet / so daß sie theils aus gutmeinenden / einfältigen / redlichen gemüthern bestehet / die sich enstlich zu GOtt zu wenden suchen / theils aus verstellten und doppelhertzigen […] die aus andern neben=ansichten / oder einiger schwacher überzeugung sich zu den frommen halten.“ 318 ES 90. 319 ES 90. 320 ES 91. 321 ES 91.
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sich als empathischer Katechet verstehen, der die Christen aus der äußerlichen in die geistliche Gemeinde überführt.322 Dem Lehrer ist daher aufgetragen, zu unterscheiden zwischen den a) „ungezogenen“, die der „äusserlichen übungen / […] stätigen Zucht / anweisung und auffsicht“323 bedürfen, b) den „unmündigen oder vielmehr embryonibus und in der Mutter noch liegenden kindlein / welche zwar einige würckungen des HErrn JEsu in sich erfahren / aber doch als unbefestigte noch manche ausbrüche und schwachheiten der natur an sich haben“324 und c) „den erwachsenen personen“,325 welche von der äußerlichen Versammlung und Regierung des Predigers ausgenommen sind, weil bei ihnen „das gesetz der Göttlichen freyheit nichts anders würcken kan / als den wesentlichen wachsthum im geist und leben JEsu / und von aussen ein bescheidenes / züchtiges und ehrbares wesen / woraus man sehe / der wandel seye im himmel / und das hertz bey dem rechten schatz“.326 Diese dreifache Unterscheidung zielt vor allem darauf, die Freiheit der letzten Gruppe zu garantieren: Einerseits dürfe der Lehrer diese nicht unter die Riten und Frömmigkeitspraktiken der äußerlichen Kirche (Gottesdienst, Sakramente oder Bußübungen) zwingen. Andererseits müsse er durch eine fürsorgliche, vorausschauende und erfahrene Seelenführung den geistlichen Fortschritt all seiner Gemeindeglieder begleiten und ihren Übergang in die letzte Gruppe sicherstellen. 3. Der dritte Punkt „Von denen Ordnungen und Regierungen“ ist insofern eng auf den letzten Abschnitt bezogen, als Arnold hier die Beziehung zwischen Lehrer und Gemeinde näherhin regulieren möchte. Das Begriffspaar „Ordnungen und Regierungen“ zielt gleichermaßen auf die Gemeindeordnung, die gottesdienstlichen Zeremonien und die Leitungsbefugnisse des Lehrers, wobei Arnold grundlegend die göttlichen von den menschlichen Ordnungen unterschieden wissen möchte: Göttliche Ordnungen ergehen an die Menschen mittelbar „durch einen lehrer / welcher denn solche / als Göttlichen befehl und durch wahre Göttliche beweiß=kräffte und gründe legitimiren würde können / wollte er anders beyfall und folge finden“.327 Diese vermittelten Ordnungen seien jedoch dadurch ge322 Vgl. ES 91: „In der ersten kirche haben erfahrne und geübte Lehrer eben dahero die anfangenden lehrlinge und catechumenos (dergleich wol die meisten anjetzo auch lehrer selbst seyn möchten) zur gemeinschafft des brüderlichen gebeths und der geheimnüsse noch nicht zugelassen / bis sie dazu nach geraumer zeit erst tüchtig erkandt wurden.“ 323 ES 91. 324 ES 92. 325 ES 93. 326 ES 93. 327 ES 94.
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deckelt, dass Gott keine Ordnung erlassen wolle, die „wieder einer eintzigen seelen jetzigen zustand / wachsthum / oder seines Heil. Geistes würckung selbst lieffe“,328 so dass sie von den Gemeindegliedern anfechtbar wären. Zudem würde sich jede göttliche Ordnung mit der Verwirklichung ihres eigentlichen Zwecks selbst ablösen, sie würde nie zu einer „langwürigen gewohnheit oder allgemeinen regul“ werden und „gerne weichen / und einem bessern / höhern grad raum geben“.329 Eine solche Ordnung müsse der Lehrer zudem immer in Ansehung des individuellen, seelischen Fortschritts seiner Gemeindeglieder durchsetzen und anwenden, wozu „weißheit“, „himmlische temperatur“ und ein „gemüth / welches fast alle / oder doch die meisten zustände / abwechselungen / proben / versuchungen und grade der neuen creatur genau erkundiget und selbst durchgegangen hat“ erforderlich seien.330 Damit konterkariert Arnold entschieden jede Pfarrherrlichkeit und pastorale Autokratie: Der Lehrer müsse um „Göttlichs klugheit und sanfftigkeit“ beten und darum, dass „die liberale mütterliche zucht der weißheit nur zum freywilligen gesetz der GOttes=bruder=und [sic!] gemeinenliebe anführe / auch so fort alle krafft also bald dazu schenke“.331 Arnolds Überlegungen laufen also darauf hinaus, dass die Gottesbeziehung des Lehrers das Verhältnis zur Gemeinde maßgeblich bestimmt und reguliert, womit sich eine wesentliche Einsicht seiner früheren, historischen Erkundungen zu einer mystischen Prämisse seiner Pastoraltheologie verfestigt: „Nemlich die regieren will / muß (a) selbst unter genauer stätiger zucht des geistes CHristi / correspondentz und gemeinschafft mit ihm in stillem gesammeleten hertzen gestanden haben und noch stehen / dieselbe von der stimme eines fremden (der vernunfft und schlangen) durch lange erfahrung genau unterscheiden können / und in dem täglichen sterben unterm aus= und inwendigen creutz JEsu dermassen gebeuget / mürbe und niedrig gemacht seyn / daß nicht der Lehrer / sondern CHristus durch ihn rede. […] Überdiß muß (b) er seine gantze lehre und alles thun / allein und bloß auff Christum in uns / und dessen lebendige inwendige führung richten.“332
Wenn Arnold davon spricht, dass die Gotteserfahrung des Lehrers dessen Autonomie und Aktivität völlig zum Erliegen bringt, zielt er auf nichts anderes, als dass der Lehrer seine Befähigung und Legitimation, zu herrschen und zu lehren, völlig in Frage stellen lassen muss. Indem der Lehrer sich in Passivität übt, von der Gotteserfahrung ergreifen lässt und die Gemeinschaft mit Gott pflegt, nimmt er eine selbstkritische Haltung gegenüber seinen geistlichen Potentialen und rhetorischen Fähigkeiten ein. Er muss entdecken, dass er in seinem Amt vollkommen auf Gott angewiesen ist: „So wird auch sein regieren und führen Göttlich / heilig / sanfft und bescheiden / und doch dabey mächtig und heilsam seyn.“333 Nur 328 ES 94. 329 ES 94. 330 ES 95. 331 ES 95. 332 ES 97. 333 ES 98.
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in der konsequenten Unterdrückung des eigenen Aktionismus und unter der „Göttlichen regierung des H. Geistes“ würde das Ziel des Lehramts erreicht werden: „[…] nichts als unendlicher segen und wachsthum erfolgen / weil da Göttliche freyheit ist / wo dieser geist des HErren ist.“334 4. Der letzte Punkt „Von dem Verhalten bey denen Ordnungen“ beschließt das sechste Kapitel und spitzt auf der kritischen Linie der ganzen Erklärung den vorausgehenden Punkt noch einmal konfrontativ und spannungsreich zu: Arnold fasst zusammen, dass „ein wahrer geistlicher vater“ seine Gemeinde nicht mit äußeren Ordnungen unterdrückt, auch wenn „die vernunfft und gantze natur in denen anfängen zu äusserlichen Ceremonien und gesetzen sehr geneigt ist (wie an falschen Christen / Juden und Heiden zusehen) und darinnen ihre ruhe suchet / damit sie nicht weiter und zum sterben mit CHristo unterm Evangelio fortgehen dürffe […]“.335 Der wahre Lehrer versucht hingegen, die Gemeinde „zu dem grössesten gesetz der liebe und der freyheit anzuhalten“ (eine Anspielung auf Jak 2,8.12).336 Aufs Ganze besehen erweist sich das sechste Kapitel der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen als eigenwillige Weiterentwicklung und konstruktive Fortschreibung des fünften. Hatte Arnold dort (aus fremdem Munde) die lutherischen Prämissen der grundsätzlichen Freiheit von der kirchlichen Ordnung und der ausschließlich auf ihre geistliche Erbauungsfunktion zugespitzten Autorität der Kirchendiener zur Sprache kommen lassen, definiert er hier – zum ersten Mal im Sinne eines pastoraltheologischen Programms – Eigenschaften, Ziele und Pflichten eines evangelischen Lehrers, freilich noch ganz zu dem Zweck, eine Antwort auf die Frage nach dem Gehorsam des gläubigen Subjekts gegenüber der Kirche und der Heilsnotwendigkeit des Gottesdienstes und der Sakramente zu geben: Der Lehrer muss sich als ein wiedergeborener Seelenführer erweisen, der die Christen der wahren, unsichtbaren Kirche zuführen, aber nicht auf seiner Autorität und Herrschaft innerhalb der äußerlichen, sichtbaren Kirche insistieren möchte. Er steht damit auf der Grenze von sichtbarer und unsichtbarer Kirche, leitet die Gläubigen zum rechten Gebrauch von Gottesdienst und Sakramenten an, und ermöglicht ihnen – vorausgesetzt, er versieht sein Amt als wiedergeborener Christ – den Transitus zur Gemeinschaft mit Christus.
2.3.3. Zwischenfazit: Die pastoraltheologische Dimension der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen Hinsichtlich der Entwicklung der Pastoraltheologie Arnolds erweist sich die Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen von 1700 als Meilenstein: Indem Cyprian die 334 ES 98
335 ES 99. 336 ES 99.
nach 2 Kor 3,17.
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Kirchen- und Ketzerhistorie konsequent als Polemik gegen die lutherische Kirche versteht, drängt er Arnold zur Präzisierung seiner Predigerkritik und zu einer generellen pastoraltheologischen Standortbestimmung. Im Rahmen seiner Replik auf Cyprians Kritik der Kirchen- und Ketzerhistorie drängt sich Arnold zum ersten Mal die Notwendigkeit einer zusammenhängenden, programmatischen und konstruktiven Abhandlung über Legitimation, Pflichten und Autorität des Predigerstands auf, welche über den rein historiographischen Zugang hinausgeht, weitestgehend ohne die Rückversicherung aus altkirchlichen oder reformatorischen Quellen auskommt und unverkennbar mystische Anleihen macht, insofern die Erlangung und Bewahrung der Wiedergeburt ins Zentrum des pastoralen Selbstverständnisses gestellt werden: Der Lehrer müsse als Mystagoge fungieren, der die Zuhörer mit den Geheimnissen Gottes vertraut macht und sie der unsichtbaren Geistgemeinschaft mit Christus überantwortet. Sein Amt dürfe er jedoch nicht losgelöst von dieser Pflicht und um seiner selbst willen ausüben, es etwa dazu missbrauchen, durch Predigt, Kirchenzucht und die Verwaltung der Sakramente eine Herrschaft über die Gewissen der Gemeinde zu errichten. Vielmehr muss der Lehrer dazu in der Lage sein, seine Dienstfunktion hinsichtlich der Gemeinde völlig zu verinnerlichen und allein den geistlichen Fortschritt der ihm Anvertrauten zum Maßstab seines Wirkens und seiner Autorität zu machen. Dient die pastoraltheologische Skizze der Erklärung noch ganz dem Zweck, die Freiheit der Glaubenden von den kirchlichen Satzungen zu behaupten, d. h. aber in letzter Konsequenz, seine eigene Separation von der gefallenen Kirche zu legitimieren, wird Arnold diese Konzeption nach der Übernahme des Schlosspredigeramtes in Allstedt programmatisch entfalten, ausbauen und ganz auf die geistlichen Erfordernisse des Amtes zuspitzen.
2.4. Arnolds historische und apologetische Schriften als Ursprung seiner Pastoraltheologie Arnold verfolgt mit seiner Kirchengeschichtsschreibung ein elenktisches Ziel: Sie soll die ihm zeitgenössische Kirche ihrer historischen Bedingtheit, Unvollkommenheit und Entfremdung von der ungetrübten, unmittelbaren und authentischen Gotteserfahrung der urkirchlichen, vorkonstantinischen Kirche überführen.337 Auch und besonders gilt dies für die Darstellung des Verfalls 337 Vgl. prägnant Schmidt, Pietismus, 87 f: Arnold habe in seinen kirchenhistorischen Schriften den Ansatz Speners in der Pia Desideria, in Anbetracht der urchristlichen Kirche „die Erreichbarkeit christlicher Vollkommenheit“ zu behaupten, mit besonderer Vehemenz und Konsequenz verfolgt und damit „ein Doppeltes vollbracht“: „a) Er hat den durch und durch historischen Charakter des Christentums entschieden erfaßt und kraftvoll zur Geltung gebracht. Die Bibel, das Grundbuch der Christen, wurde nicht wie oft bisher als Sammlung von Anschauungen und Lehren, sondern als Bericht von Ereignissen und Tatsachen, als Schilderung von Persönlichkeiten und Gemeinden in ihrem Handeln lebendig gemacht. b) Er hat die ausgesprochen
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der Prediger, welchen Arnold als hauptsächliche Ursache des Verfalls der ganzen Kirche ausweist. Dabei verfolgt Arnold bereits in der Ersten Liebe einen hamartiologischen Deutungsansatz: Der Verfall der Lehrer, ihre Abkehr von der Berufungserfahrung und ihre daraus resultierende Lasterhaftigkeit erweisen sich als Folge der indolenten Bequemlichkeit und phlegmatischen Selbstsicherheit der nachkonstantinischen Staatskirche. Gleichzeitig legt Arnold in der Ersten Liebe das pastorale Ideal der Urkirche frei: Der Lehrer werde ausschließlich und unmittelbar von Gott berufen – diese Berufungserfahrung prägt sein ganzes Leben und pastorales Handeln, drückt sich etwa in seiner nüchternen, schlichten, mitunter auch irritierenden Predigt, die das Böse schonungslos zu benennen weiß, vor allem aber in seinem tugendhaften, disziplinierten Lebenswandel aus. In der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie überträgt Arnold seine Verfallsidee auf die lutherische Kirche und deren Geistlichkeit. Seine Forderung nach einer Umkehr der Prediger, die er in der Ersten Liebe noch recht subtil erhoben hatte, drängt sich nun massiv und lautstark in den Vordergrund seiner Darstellung: Er enthebt den konstantinischen Verfall seiner historischen Einzigartigkeit, indem er ihn als eine überzeitliche, stetige Gefährdung der Kirche bestimmt. Dabei spezifiziert Arnold das Problem des Verfalls dahingehend, dass die lutherischen Prediger die Rechtfertigungslehre falsch akzentuiert und libertinistisch fehlgedeutet hätten. Dem hamartiologischen Ansatz und dem historischen Nachweis des Verfalls der Prediger und ihrer Sündhaftigkeit ist schon in der Ersten Liebe, aber noch mehr im Denckmahl, die Möglichkeit der Wiedergewinnung der urtümlichen Berufungserfahrung und deren Verstetigung entgegengesetzt. Besonders deutlich zeigt sich dies an Arnolds (verschieden gelagerten) Darstellungen des Lebens und Wirkens Gregors von Nazianz, welcher – gegen alle Widerstände – versucht habe, seine mystische Gotteserfahrung auch im kirchlichen Amt zu bewahren, seinen Episkopat demütig und gottgefällig auszuüben und väterliche Sanftmut gegenüber seiner Gemeinde walten zu lassen. Herausgefordert durch die Kritik Ernst Salomon Cyprians zieht Arnold in der Erklärung schließlich erste programmatische Konsequenzen aus seinen kirchenhistorischen Studien zur Pastoraltheologie der Alten Kirche: Arnold verlangt von den Pfarrern eine geistliche Erneuerung – ihre Wiedergeburt –, fordert Empathie für die vielfältigen, seelischen Zustände ihrer Gemeindeglieder und eine Demut, die der transitorischen Funktion des Amtes hinsichtlich der Selbstmitteilung Gottes an die Gläubigen entspricht: Die Pfarrer dürfen Predigt und Sakramente nicht als Zwangsmittel kirchlicher Herrschaft einsetzen und die Gläubigen bevormunden, vielmehr müssen sie ihnen dabei behilflich sein, Gott zu erfahren, ohne auf die Kirche angewiesen zu sein. All diese pastoraltheologischen Überlegungen Arnolds – von der Ersten Liebe bis zur Erklärung – bewegen sich noch ganz im Modus der Kritik: Als Separatist moderne Aussagekraft der geschichtlichen Wirklichkeit gegenüber dem logisch-theoretischen Argumentieren in Streitfragen erheblich verschärft und damit Christentum und Kirche dem Gang des modernen Geistes angeschlossen.“
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argumentiert Arnold aus einer distanzierten Außenperspektive und spricht dem Pfarramt jegliche hinreichend notwendige Funktion bei der Heilsvermittlung ab, ja er kapriziert sich ganz und gar auf das gläubige, von der Kirche unabhängige Subjekt, das dem Pfarrer gegenübersteht und qua christlicher Freiheit dazu berechtigt ist, sich von der Kirche und dem Predigeramt zurückzuziehen. Wenn Arnold 1704 diese kleruskritischen, historischen und apologetischen Ersterschließungen in seine instruktive, pastoraltheologische Schrift Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers überführt, haben sich die biographischen Vorzeichen gründlich geändert: Der Separatist ist zum Schlossprediger in Allstedt berufen worden.
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704) – Arnolds pastoraltheologische Programmschrift zwischen altkirchlicher, lutherischer und quietistischer Berufungstheologie In der Geistlichen Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)1 reifen Arnolds pastoraltheologische Ansätze, wie er sie in seinen früheren, historischen und kirchenkritischen Schriften erschlossen hat, zu einer zusammenhängenden, systematischen Programmschrift. Unter Einarbeitung seiner altkirchlichen Quellenerkundungen, unter Einfluss der quietistischen Mystik und im eklektischen Austausch mit der lutherischen Amtstheologie geht Arnold der Konstituierung, Gefährdung und dem Nutzen der pastoralen Persönlichkeit des Predigers, seiner „geistlichen Gestalt“, nach.
3.1. Zum Charakter der Schrift Die Geistliche Gestalt entsteht im Zuge jener aufsehenerregenden Wende, die Arnold mit der Annahme des Schlosspredigeramtes bei der Herzoginwitwe Sophie Charlotte von Sachsen-Eisenach in Allstedt 1702 und der Heirat mit Anna Maria Sprögel 1701 vollzieht, wie auch im Umfeld der Konflikte mit der Eisenacher Orthodoxie und Herzog Johann Wilhelm, die sich an Arnolds Weigerung entzünden, den obligatorischen Eid auf die lutherischen Bekenntnisschriften zu leisten.2 Diese biographischen Hintergründe sind für das Verständnis der Geistlichen Gestalt in doppelter Hinsicht beachtenswert: Zum einen versieht Arnold in Allstedt kein reguläres Pfarramt. Er treibt seine pastoraltheologischen Überlegungen auf einer Pfarrstelle voran, auf der er den Gewissensbeschwerungen des kirchlichen Amtes nicht in dem gleichen Maße ausgesetzt ist, wie er sie in 1 Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers Nach dem Sinn und Exempel Der Alten / Auff vielfältiges Begehren Ans Licht gestellet, Frankfurt 1704. 2 Vgl. zu den biographischen Hintergründen: Büchsel, Verteidigung, 98–101; Ders., Arnolds Weg von 1696 bis 1704, 76–94. Büchsel hat in letzterer Untersuchung überzeugend darlegen können, dass Arnold das Amt nicht übernommen hat, um seine Familie wirtschaftlich absichern zu können, wie in der älteren Forschung immer wieder behauptet worden ist – vielmehr verhielt es sich anders herum: Arnold heiratete, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, denn Sophie Charlotte war fünf Jahre jünger als er, die Anstellung eines alleinstehenden Hofpredigers wäre undenkbar gewesen (vgl. a. a. O. 80–83).
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seinen historischen Schriften und der Erklärung thematisiert hat: Arnold ist mit der kleinen Schlossgemeinde bestens vertraut, kann offenbar ohne Skrupel die Beichte abnehmen und das Abendmahl feiern.3 Zum anderen dürfte Arnold seine Worte sehr umsichtig abgewogen haben, wenn er in der Geistlichen Gestalt erneut Stellung zur Autorität und zum geistlichen Nutzen des Predigerstands, zum Verhältnis von Berufung und Ordination und zur geistlichen Befähigung des Pfarrers bezieht, um die Herzoginwitwe wie auch den ihn protegierenden preußischen Hof nicht zu kompromittieren – von letzterem ist er 1702 immerhin mit dem Ehrentitel eines „königlichen Historiographen“ bedacht worden.4 Der Charakter der Geistlichen Gestalt ist auch in werkgeschichtlicher Hinsicht eigentümlich: Sie repräsentiert eine Schaffensphase Arnolds, die nach den überaus kontroversen und für ihn offenbar nicht unerheblich enervierenden Auseinandersetzungen um die Kirchen- und Ketzerhistorie einsetzt und die mit der Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie (1703) erstmals aktenkundig wird, in deren Vorwort er erklärt, seine historische Arbeit einstellen und sich voll und ganz der mystischen Erbauung widmen zu wollen.5 Dieser neue Ansatz entspringt Arnolds gereifter Überzeugung, dass er mit dem Format der Historie sein eigentliches Zielpublikum, nämlich die „Gottesfürchtigen und weisen Personen“,6 letztlich verfehlt: Für diese sei eine historische Darstellung geradewegs ohne Belang, sie bedürften vielmehr der geistlichen Führung, d. h. der Mystagogie. Gleichzeitig würde sich der Aufwand einer Historie kaum mehr lohnen, da die „Verkehrten und Welt=Gelehrten“ eine solche kaum noch unbefangen und aufgeschlossen studieren würden, „weil sie doch Muthwillens nichts bessers / als ihre eigene Traditiones und Vernunffts=Gründe / wissen wollen“.7 Die ahistorische, mystagogische Darstellungsweise wie auch die dichotomische Einteilung des Adressatenkreises in Gottesfürchtige und Abgekehrte, wie Arnold sie in der Historie und beschreibung vornimmt, legt er auch der Geistlichen 3
Vgl. a. a. O. 76 f. Vgl. a. a. O. 86–99. 5 Vgl. Arnolds programmatische Aussage in HBMT, Einleitung, )(2r–)(2v: „Diese Sachen [die Darstellung in der Historie und beschreibung] habe ich vorlängst mit denen andern zur Kirchen=Historie gehörigen Materien gesamlet und bey der Hand gehabt / und deßwegen desto leichter in Ordnung bringen können. Denn in diesen letzten Jahren bleibet mein Vorsatz feste / daß ich mich mit bloß Historischen und andern dergleichen Dingen nicht mehr verwirren / oder meine Zeit zubringen soll. Wiewohl auch ein verständischer Leser aus dieser Schrifft gnugsam erkennen wird / daß dieselbe mehr in die wahre Erkäntniß und Liebe der unsichtbahren Gottheit / als in eine bloß=historische Wissenschafft einleite.“ Nach Ritschl, Geschichte des Pietismus, 311 deutet sich diese Wende freilich bereits in der UKKH an: „Er [Arnold] hat als weltscheuer Mystiker keine Hoffnung mehr für die geschichtliche Kirche; wie sollte er ihrer Vergangenheit gerecht worden sein! Nämlich in dem Schlußwort des zweiten Theils der Kirchengeschichte rühmt er die Liebe zu Christus, welche ihn zur Ausarbeitung seiner Sammlungen bewogen hat, zugleich als die Kraft, in welcher demnächst alle Scheidung aufgehoben, und alle Creaturen zu ihrer ursprünglichen Einheit gebracht werden sollen.“ 6 HBMT, Einleitung, )(2v. 7 HBMT, Einleitung, )(2v. 4
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)
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Gestalt zugrunde: Während er in der Ersten Liebe die „auswendige[] Gestalt der Lehrer“8 behandelt habe, wolle er in der Geistlichen Gestalt die „inwendige / purgeistliche Form der Bildung eines Göttlichen Lehrers nach dem Sinn der Alten“9 thematisieren und sich damit „auf den unsichtbaren verborgenen Theil der Menschen / nemlich die Seele und den Geist“10 konzentrieren.11 Er wolle sich mit seiner Schrift daher weder an diejenigen richten, die „zwar nach Christi und der Apostel Lehre das Recht und den Anspruch an das geistliche Priesterthum haben, gleichwol aber noch wegen ihrer Ungeübtheit der nöthigen Gaben des Geistes, die zum gemeinen Nutz dienen, ermangeln“,12 noch weniger aber an jene, „die zwar nach dem äußerlichen Character und weltlichen Beruff Lehrer, Hirten, Aeltisten, Bischöffe oder dergleichen heissen, aber doch von GOTT selbst weder gesalbet und ausgerüstet, noch gesendet seyn“.13 Vielmehr wende er sich an diejenigen, welche „vor andern vom H. Geist ausgerüstet und tüchtig sind auch andere zu lehren nach 2. Tim II,2. und deswegen von eben demselben Geist gezogen, beruffen und gesetzt sind in das Amt oder Pflicht der Lehre, mit ihren Gaben den Dürfftigen zu dienen“.14 „Evangelische Lehrer“ im eigentlichen Sinne seien letztlich nur solche, die „das Geheimniß des Evangelii erkannt und erfahren haben“.15 Dies schließt – rein nominell – zwar alle geistlichen Berufe (an Schulen, Universitäten oder in anderen kirchlichen Ämtern) ein, Arnold möchte sich aber in der Geistlichen Gestalt dezidiert auf „das öffentliche Amt des Lehrens und auff die ganze Bedienung einer Gemeine“,16 also das Gemeindepfarramt, konzentrieren.17 Der Begriff „Lehrer“ weist also weniger auf eine bestimmte Tätigkeit oder Funktion des Pfarrers innerhalb der Gemeinde hin, in seiner Verwendung kommt vielmehr die für die Schrift wegweisende Unterscheidung von klerikaler Selbstermächtigung und göttlicher Erwählung zum Amt zum Aus8 GG,
Einleitung, ):(4r. Einleitung, ):(4r. 10 GG, Einleitung, ):(4r. 11 Vgl. auch GG, Einleitung, ):(3v–):(4r: „Was den Titel des Büchleins betrifft / wird derselbe keinen befremden / der die Aussprüche der Schrift vom inwendigen Menschen / von dem verborgenen u. Geistlichen Menschen des Hertzens / vom Reich Gottes / das inwendig in uns ist / von der inwendigen Reinigkeit / ingleichen von der Gestalt Christi in den Gläubigen nach dem Geist / u. s.f kennet und zu erfahren suchet.“ 12 GG 1. 13 GG 1. 14 GG 1 f. 15 GG 2. 16 GG 2. 17 Welche Pfarrer werden die Geistliche Gestalt gelesen haben? Für die Frage nach der Rezeptionsreichweite der Schrift ist Ernst Kochs kleine Studie zum Leseverhalten von Dorfpfarrern in Sachsen-Gotha sehr aufschlussreich, in der gezeigt wird, dass die Geistlichen bis weit in das 18. Jahrhundert vor allem ältere Literatur aus der Mitte des 17. Jahrhunderts gelesen (vgl. Koch, Leser, 296) und häufig auf eigene Vorlesungsmitschriften aus dem Studium zurückgegriffen haben (vgl. a. a. O. 283), was vor allem an den hohen Anschaffungskosten von Büchern gelegen haben dürfte. 9 GG,
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druck, die Arnold auch schon in seinen früheren Schriften unterstrichen hat: Mit dem „evangelischen Lehrer“ ist immer – ganz im Sinne der urkirchlichen Begriffsbedeutung – der von Gott berufene Lehrer gemeint.18 In ihrer mystagogischen Grundtendenz ist die Geistliche Gestalt von einer systemimmanenten Paradoxie gekennzeichnet: Arnold setzt das Prinzip der subjektiven Glaubenserfahrung und den Primat des unmittelbaren Wirkens Gottes bzw. des Heiligen Geistes in der menschlichen Seele nicht nur voraus, sondern antizipiert beides als mögliche Einwände gegen sein Unterfangen, diese zu beschreiben, d. h. er legt die Begrenztheit seiner eigenen Ausführungen von vornherein offen.19 Er kann die Erfahrungswelt des Lehrers nur approximativ darstellen: Rein deskriptiv, – trotz seiner Vorbehalte gegenüber der historischen Darstellungsform – vor allem von der geschichtlichen Warte aus und in der Sprache der ihm zur Verfügung stehenden Quellen nähert er sich der eigentlich nicht verobjektivierbaren Berufungserfahrung an, darum wissend, dass die bloße Beschreibung und „unpartheische Anzeige unserer Pflichten“ jenes „Zeugniß GOttes von seinem Thun“ und die subjektive Glaubenserfahrung nicht ersetzen, unbotmäßig einschränken oder regulieren darf.20 Auch wenn Arnold damit dem Missverständnis vorbeugen möchte, die Geistliche Gestalt könne als eine ‚Anleitung‘ gebraucht werden, anhand derer sich die Berufung Gottes provozieren, imitieren oder initiieren lasse,21 möchte er seine Leser dazu in die Lage versetzen, sich kritisch zu prüfen und sich für die Gotteserfahrung zu disponieren.22 Auf dem Weg der geistlichen Bereitung fungiert die Schrift also selbst als eine Marke, insofern sie Zustimmung oder Widerspruch evoziert: Sein „Vortrag“ werde manchen nicht nur „fremd und ungewöhnlich / sondern auch unvernehmlich und dunckel“23 vorkommen, allein der Geist würde diese Dunkelheiten erhellen und dem Leser den wahren Sinn seiner Schrift erschließen können. Die Geistliche 18 Schon in der Ersten Liebe kommt Arnold immer wieder auf die Amtsbezeichnungen und Würdetitel zu sprechen, die sich der Klerus im Laufe der Verfallsgeschichte der Kirche zugelegt habe. Den ‚Lehrer‘-Begriff möchte Arnold bewusst von der kirchlichen Hierarchie abrücken (vgl. EL 2,283.286.356). 19 Vgl. GG, Einleitung, ):(3r–):(3v: „Nicht weniger siehet man / welch ein Tod der Vernunfft und der ungläbigen Natur dazu gehöre / wenn man der unendlichen Schätze des Evangelii nur vor sich selbst in etwas teilhafftig werden / geschweige andern solche mit Krafft anpreisen sol. Woraus von selbsten folget / daß ich mich mit nichten davor ausgeben könne / als hätte ich alle solche requisita, wie sie in diesem Buche beschrieben stehen.“ 20 GG, Einleitung, ):(3v. 21 Vgl. GG, Einleitung, ):(6r. „Daß solche Dinge auch wirklich hoch / und über alle menschliche Vernunfft und Kraeffte steigen / auch dahero allein als Geistlich auff Geistliche Göttliche Art müssen gerichtet werden.“ 22 Habe Arnold diese Selbstprüfung ursprünglich in Privatkorrespondenzen erörtert, möchte er nunmehr an die Öffentlichkeit treten (vgl. GG, Einleitung, ):(6v), denn erst dann würden die „[d]ie heilsamen Früchte davon […] von selbst unausbleiblich erfolgen / und nach allen Arten der Göttlichen Verheissungen / die in CHristo Ja und Amen bleiben / zu geniessen seyn“ (GG, Einleitung, ):(7r). 23 GG, Einleitung, ):(5v.
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Gestalt werfe den Leser also konsequent und mitunter brutal auf die Tatsache zurück, dass der Lehrer immerzu auf das Wirken Gottes in seiner Seele angewiesen ist und bleibt.24 Wo Zank oder schöngeistige Diskussionen über die Geistliche Gestalt entstünden, werde ihr Skopus gründlich verfehlt, denn solche gebührten eher der historischen Darstellung und dem akademischen Disput als der geistlichen Führung.25 Arnold weist zudem – unverkennbar aus taktischen, apologetischen Gründen – auf die Praxisnähe der Geistlichen Gestalt hin: Wenn er in der Vorrede erklärt, dass er, obwohl er kaum auf eigene Praxiserfahrung zurückgreifen könne, als Kirchenhistoriker um Rat und Meinung zur geistlichen Beschaffenheit der Prediger gebeten worden sei,26 handelt es sich keineswegs ausschließlich um eine reine captatio benevolentiae. Arnold möchte vielmehr durchblicken lassen, dass er seine Schrift nicht aus Hochmut oder Spekulationssucht verfasst hat, sondern sehr genau über die alltäglichen Probleme von Pfarrern Bescheid weiß und empathisch auf diese reagieren möchte.27 Tatsächlich hängt er der Geistlichen Gestalt den Brief eines anonymen Pfarrers aus dem Jahre 1699 an, in dem dieser Arnold seine Gewissensnöte im Amt eindringlich schildert, was zeigt, dass Arnold die Geistliche Gestalt eben nicht in erster Linie als Anklageschrift (wie die Erklärung) oder als mystische Utopie (wie die Erste Liebe), sondern als im weiteren Sinne berufsbezogene Erbauungsschrift verstanden wissen möchte, welche die seelischen „Zustände“ der Pfarrer und mit der Berufungserfahrung den Kern ihres Amtsverständnisses thematisiert. Auch mit dem Hinweis darauf, dass die in der Geistlichen Gestalt vorgebrachten Argumentationszusammenhänge ‚praktisch erprobt‘ und bereits im Vorfeld der Veröffentlichung einem größeren Adressatenkreis bekannt gemacht worden seien,28 dürfte Arnold die Redlichkeit seiner Zusicherung unterstreichen wollen, sich nicht polemisch, sondern konstruktiv mit dem Predigerstand auseinanderzusetzen.29 24 Vgl. GG, Einleitung, ):(5v: „Und wenn demnach ein Leser dieses oder jenes alhier / oder auch das gantze Büchlein gar nicht oder auch nicht recht nach dem Grunde verstehen kann; so wolle ers am meisten sich selbst Schuld geben / seine Blindheit erkennen und bereuen / und GOTT umb erleuchtete Augen bitten. Da wird er sodenn den Heil. Geist in ein gedemüthigt Hertz empfangen / der ihn ferner in diese und alle andere Wahrheit leiten wird.“ 25 Vgl. GG, Einleitung, ):(6r. 26 Vgl. GG, Einleitung, ):(2r. 27 Vgl. GG, Einleitung, ):(2v: „Nachdem ich aber von so vielen münd und schrifftlich = befraget worden / was doch bey solchem Zustand zu thun und zu lassen sey / und was mir dießfalls aus denen alten Zeugnissen beywohne […]“. 28 Vgl. GG, Einleitung, ):(2v. 29 Vgl. GG, Einleitung, ):(2v, wo Arnold fast bekenntnishaft bekräftigt: „Denn daß ich solches [das göttliche Lehramt] niemals verworffen / sondern in allem gebührenden Werth gelassen habe; können alle öffentliche Zeugnisse überflüssig darthun. Mit welchen auch niemand das einige confundiren kann / was von dem offenbaren Augenschein aus unzehligen Zeugen wiederholet worden ist. Viel weniger habe ich auch seithers das geringste von den geschehenen Bekänntnissen in diesem Punct widerrufen oder geschwächet.“
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Beiläufig, aber nicht unbedacht kommt Arnold in seiner Vorrede auf den Bekenntniszwang zu sprechen, was sich unschwer als Seitenhieb auf die Eisenacher Fakultät und den dräuenden Herzog verstehen lässt: „Vielweniger habe ich auch seithers das geringste von den geschehenen Bekäntnissen in diesem Punct widerrufen oder geschwächet: Denn da ich ehemals bekandt habe / wie ich mich zu denen äusserlichen Ceremonien und denen dabey fast nöthigen Verstellungen nicht tüchtig oder geneigt befinde; so habe ich keines weges aller freyen und heilsamen Art des öffentlichen Lehrens damit abgesagt / wie meine Worte hin und wieder / absonderlich in der offenhertzigen Bekäntniß weisen.“30 Indem Arnold an dieser Stelle die Bekenntnisse en passant unter den „äusserlichen Ceremonien“ subsumiert und den Adiaphora zuordnet, schmälert er ihre Bedeutsamkeit und wiegt (wie zuvor in der Erklärung) die christliche Freiheit gegen das Bekenntnis auf: „So habe ich dennoch hernach Göttlicher Führung unterworffen bleiben müssen / wo sie mich auf eine andere und unschuldigere Art zu einigem Dienst des Evangeliums in Christlicher Freyheit gebrauchen wollte / wie bißher eine Zeitlang geschehen.“31 Wenn Arnold dann noch feststellt, dass die Vernichtung der ungläubigen Natur durch die Gnade Jesu Christi notwendigerweise auch den Tod der Vernunft einschließe,32 ist die Kritik an Dogma und Bekenntniszwang perfekt.
Arnolds Wendung von der Historiographie zur Mystagogie wie auch seine umstrittene Kehre von der Separation mitten in die Verrichtung des Allstedter Amtes werden sich in der Geistlichen Gestalt in zweifacher Weise niederschlagen: einerseits in der stufenlosen und überaus flüchtigen Oszillation zwischen historiographischer Quellenerschließung, pastoraltheologischer Sachargumentation und mystischer Meditation, andererseits in der vorsichtigen Behutsamkeit, mit der er die kirchliche Amtstheologie und das Ordinationswesen seiner Zeit hinterfragt.
3.2. Gattungsfrage und Referenzrahmen In der Forschungsliteratur wird die Geistliche Gestalt bisweilen als Pastoraltheologie bezeichnet,33 ohne dass jedoch näher erklärt werden würde, welche formalen oder inhaltlichen Merkmale diese Gattung aufweist.34 Zum pastoraltheologischen Diskurs seiner Zeit positioniert sich Arnold jedenfalls nicht eindeutig und 30 GG,
Einleitung, ):(2v–):(3r. Einleitung, ):(3r. 32 Vgl. GG, Einleitung, ):(3r. 33 Hierzu sei erneut verwiesen auf: Dibelius, Leben, 184; Herzog, Pastoraltheologie, 188; Albrecht-Birkner/Breul u. a., Pietismus, 306; Kellner, Charisma, 386; Kerding, Theologia, 11; Lee, Luther-Rezeption, 138; Kirn, Deutsche Spätaufklärung und Pietismus, 151; Schmidt, Arnold, 138 meint sogar, die Geistliche Gestalt sei eine „in sich geschlossene pietistische Pastoraltheologie“. 34 Friedemann Merkel kann unter „Pastoraltheologie“ auch eine literarische Gattung verstehen, der er u. a. Zwinglis „Hirt“ (1523), Bucers „Hirtendienst“ (1538) oder Mosheims „Pflichten und Lehramt eines Dieners“ (1754) zurechnet, d. h. Schriften, die sich mit dem Pfarrer, dessen geistlichen Qualitäten und Verpflichtungen befassen (vgl. Merkel, Pastoraltheologie, 76–79). 31 GG,
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verortet die Geistliche Gestalt auch nicht explizit in einer distinkten, pastoraltheologischen Tradition, was es schwierig macht, ihre Gattung zu bestimmen und den für sie relevanten Referenzrahmen abzustecken: Auf welche Vorläufer kann Arnold zurückschauen und inwiefern rezipiert er sie? Die Arnold-Biographik und -Forschung, die die Geistliche Gestalt bisher weitestgehend unbeachtet gelassen hat, hat nur mit großer Zurückhaltung theologiegeschichtliche Deutungsperspektiven vorgeschlagen, um sich der Schrift zu nähern, im Wesentlichen lassen sich aber drei Referenzgrößen plausibel machen: Arnold schöpft Grundgedanken, Material und Struktur der Geistlichen Gestalt aus seinen früheren kirchenhistorischen Erkundungen, aus der lutherischen Pastoraltheologie des 16. und 17. Jahrhunderts und aus quietistischen Erbauungsschriften.
3.2.1. Kirchenhistorische Quellentexte und Verfallsidee Trotz seiner in der Historie und beschreibung notierten Vorbehalte gegen die historische Darstellungsform bleiben Arnolds wichtigste Quellen auch in der Geistlichen Gestalt neutestamentliche und patristische Texte, etwa die Pastoralbriefe des Neuen Testaments, Schriften von Irenäus, der Kappadozischen Väter oder Chrysostomos.35 Der Darstellungsmodus der Geistlichen Gestalt verändert sich jedoch im Vergleich zu den historischen Schriften entschieden: Wenn Arnold in der Geistlichen Gestalt auf die altkirchliche Pastoraltheologie zurückgreift, tut er dies nicht mehr um der historiographisch fundierten Kirchenkritik willen, sondern mit einem mystagogischen Vorsatz, d. h. um dem Leser einen Weg zur persönlichen Gotteserkenntnis und -erfahrung zu weisen, welche für die Ausübung des kirchlichen Amtes unabdingbar sind.36 So merkt Arnold im Vorwort der Schrift an, dass die kirchengeschichtlichen Quellen, auf die er zurückgreift, den Weg zum „höchste[n] Gipffel[] des wahren Evangelischen Amts / welchen wol keine sterbliche Zunge nach Würden aussprechen kan“,37 keineswegs gangbarer machen können, wohl aber ein elenktisches und kritisches Potential in sich bergen, insofern sie dem Leser das altkirchliche Lehrerideal und damit die eigenen geistlichen Defizite ungeschönt vor Augen führen.38 Indem Arnold die geistliche Gestalt des Lehrers aus dem „Sinn der Alten“ als „Brunnquell“ rekonstruiert und die Alte Kirche als ein „H.[eiliges] Bilde oder Muster“ erschließt, welches sich 35 Martin
Schmidt hat vor allem auf die altkirchliche Referenzgröße der Geistlichen Gestalt hingewiesen, als er die pastoraltheologischen Ansätze Speners, Franckes und Arnolds miteinander verglichen hat (vgl. v. a. Schmidt, Pfarrerideal, 138–141). 36 GG, Einleitung, ):(6r: „Ingleichen daß hier die Rede sey / nicht von dem / was insgemein geschicht / sondern was geschehen sol: auch nicht von dem allerersten Grad und Anfang eines Christen / sondern von einem weiteren Fortgang.“ 37 GG, Einleitung, ):(6v. 38 Arnold beteuert, nichts Neuartiges entworfen zu haben, sondern vielmehr, „daß dieses alles guten Theils eine Erzehlung dessen sey / was man bey denen alten Christen von dem wahren geistlichen Bilde eines rechtschaffenen Lehrer finden mag“ (vgl. GG, Einleitung, ):(2r).
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in einzelnen Lehrern immer wieder – mitunter überraschend und wundersam – re-formieren wolle, kann er die Missstände des lutherischen Predigerstandes kritisieren, um die Selbstgewissheit des Lesers zu erschüttern.39 Fremdzitate wie etwa die markige Kritik eines Basilius – „Daß die Lehren der Väter verworffen / die Gebote der Apostel vernichtet seyn / und die Erfindungen neuer Leute nicht mehr die wahre Gottesgelehrtheit / sondern neue Künste tractiren: daß die Weißheit dieser Welt die Oberhand habe / u. s.w.“40 – oder den Appell eines Casaubon – „Lasset uns die alte Freyheyt wieder hervor suchen / und die Wahrheit mit rechten Gründen erforschen / nicht aber mit falschen Vorurtheilen und leeren Spiegelfechten oder Larven vernichten!“41 – kann Arnold nun ganz unumwunden und ungeachtet jeder kirchenhistorischen Chronologie in den Dienst seiner pastoraltheologischen Systematik stellen und ihnen damit eine explizit normative, orientierende und instruktive Funktion zusprechen. Auf welche Weise Arnold die historische Verfallsidee und die sie illustrierende Quellentexte in seine Pastoraltheologie integriert und rekombiniert, wird im Einzelnen zu zeigen sein.
3.2.2. Lutherische Pastoraltheologie Lag Johann Christoph Coler richtig, als er die Geistliche Gestalt von seinem Verriss der Schriften Arnolds ausnehmen, als „frugis liber“ bezeichnen und in die Nähe zur lutherischen Pastoraltheologie rücken wollte?42 Stellt die Schrift gar einen theologischen Vermittlungsversuch dar, wie Max Goebel vermutete?43 Tatsächlich rezipiert Arnold an mehreren Stellen lutherische Pastoraltheologien:44 Häufiger zitiert er Niels Hemmingsens Pastor sive Pastoris optimus vivendi agendique modus (Erstausgabe 1565),45 gelegentlich Johann Andreas Quenstedts 39 Vgl.
GG, Einleitung, ):(2r. Einleitung, ):(5r. Arnold führt das Zitat auf die 61. Epistel des Basilius zurück. Es findet sich in der Mauriner-Zählung unter der Nummer 90 (vgl. die Edition von Courtonne, 195 f: Γνώριμα δὲ τὰ θλίδοντα ἠμᾶς, κᾶν ἡμεῖς μὴ λέγωμεν. εἰς πᾶσαν γὰρ τὴν οἰκουμένην λοιπὸν ἐξήχηται. Καταπεφρόνηται τὰ τὼν Πατέρων δογματα. ἀποστολικαὶ παραδόσεις ἐξουδένωνται. νεωτεροποιῶν ἀνθρώπων ἐφευρέματα ταῖς Ἐκκλεσίαις ἐμπολιτεύεται. τεχνολογοῦσι λοιπὸν, οὐ θεολοῦσιν οἱ ἄνθρωποι. ἡ τοῦ κόσμου σοφία τὰ πρωτεῖα φίρεται, παρωσαμένη τὸ καύχημα τοῦ σταυροῦ). 41 GG, Einleitung, ):(5v. Es handelt sich um ein Zitat aus Casaubons De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI (exerc. 14, num. 17). In der Frankfurter Ausgabe von 1615 findet sich das Zitat auf Seite 240. 42 Überraschend positiv fällt Colers kurze Besprechung der Geistlichen Gestalt in seiner Arnold-Retrospektive von 1718 aus. Coler schreibt: „Melioris notae, et frugis liber est, quem de uirtutibus ministri ecclesiae, et doctoris Euangelici conscripsit“ (Coler, Historia, 117). Vgl. auch die Einleitung zu dieser Untersuchung. 43 Vgl. Goebel, Geschichte, 733. 44 Vgl. zum gesamten Zusammenhang Rössler, Grundriss, 129–134 und Weber, Erben, 49–55. 45 Eine deutsche Übersetzung erschien 1569 in Leipzig: Pastor. Unterrichtunge, Wie ein Pfarherr 40 GG,
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Ethica pastoralis et instructio cathedralis (Erstausgabe 1678) und seltener Johann Gerhards 23. Locus De Ministerio Ecclesiastico (Erstausgabe 1610/25). Arnold bespricht keine dieser Schriften ausführlich, grenzt sich auch nicht explizit gegen sie ab, zitiert sie vielmehr, wo es ihm ergiebig und günstig erscheint oder der apologetischen Absicherung oder Vertiefung seiner eigenen Gedanken dient. Die Verstreutheit der Reminiszenzen verhehlt jedoch, dass der lutherische Diskurs zur Pastoraltheologie Arnold die wesentlichen Gegenstände und einige markante Gliederungsprinzipien vorgibt. Die Geistliche Gestalt folgt einer klaren Disposition.46 Die Berufung des Lehrers, sein Verhältnis zu den Zuhörern und seine geistlichen Eigenschaften werden in den ersten zehn der insgesamt siebzehn Kapitel behandelt. Unter der programmatischen Überschrift „Von der Zubereitung eines rechten Lehrers“ stellt Arnold im ersten Kapitel die Leitgedanken der Geistlichen Gestalt vor und postuliert, dass ausschließlich Gott den Lehrer in sein Amt berufen würde, während sich der Lehrer dieser Berufung gegenüber völlig passiv verhalten, sich von Gott in Anspruch nehmen und diese Inanspruchnahme immer wieder neu internalisieren müsse. Das zweite Kapitel widmet sich unter der Überschrift „Von dem Beruff eines göttlichen Lehrers“ vor allem dem problematischen Verhältnis von „Beruff“ im Sinne der Berufung (vocatio) und Ordination, rückt also die Frage nach dem rite vocatus in den Mittelpunkt. Im dritten Kapitel widmet sich Arnold der pastoraltheologischen Grundspannung von „Wichtigkeit und Schwerigkeit des Lehramtes“,47 wobei es ihm vor allem um die Interaktion zwischen Lehrer und Gemeinde und besonders um die Anfälligkeit der Gemeinde für die Einflüsse des Teufels geht. Im vierten Kapitel setzt sich Arnold mit der Stabilität und Ausgestaltung der Gottesbeziehung auseinander, indem er – so die Überschrift – „[v]on eines göttlichen Lehrers Vereinigung, Bekannt- und Gemeinschafft mit GOtt in der neuen Geburt“ handeln möchte.48 Das fünfte Kapitel „Von göttlicher Weißheit eines Boten Gottes“49 gibt sich als pneumatologisches Kapitel zu erkennen. Arnold erachtet hier die Begabung durch den Heiligen Geist als unbedingte Voraussetzung des Lehramts: „Vor allen Dingen muß der Verstand eines Lehrenden zu einem so göttlichen Amt und und Seelsorger in lehr, leben und allem wandel sich Christlich verhalten soll. Hier und im Folgenden wird aus der lateinischen Erstausgabe zitiert (bzw. übersetzt), da sich auch Arnold auf den lateinischen Text bezieht, was sich anhand der Paginierung, aber auch an Arnolds Zitation nachweisen lässt. Nur ein Beispiel: Arnold übersetzt Hemmingsens „Manum enim illam mundam esse oportet, quae alienas diluere vult sordes, ne tactu suo quae mundari deberent, foedius inquinet“ (Pastor, 3) mit „Die jenige Hand muß reine seyn, welche den Unflat an andern abwaschen sol, damit nicht durch ihr Anrühren das, was rein werden solte, noch ärger beschmutzet werde“ (GG 182). Die deutsche Erstübersetzung aus dem Jahr 1569 lautet hingegen: „Denn es mus die Handt rein sein / welche den unflat von einer andern Handt waschen will / wo nicht / so machet sie mit jrem kot die andere auch unrein“ (Unterrichtunge, 4). 46 Vgl. Schmidt, Pfarrerideal, 133–153. 47 GG 66. 48 GG 93. 49 GG 115.
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Werck wol geschickt und geübt gemachet seyn. Dieses aber kan von niemand geschehen, als von dem H. Geist selbst.“50 Das sechste Kapitel fällt mit sechzig Druckseiten umfangreicher aus als alle anderen. Mit der Kapitelüberschrift ruft Arnold wiederum ein basales Spannungsverhältnis auf – „Von wahrer Gottseligkeit eines Lehrers ins gemein, und von Vermeidung der falschen“51 –, welches er auf das zentrale Problem der Inkongruenz von Lehre und Leben des Lehrers zuspitzt. Das angeschlossene „Klag-Lied, darinne beschrieben wird, wie man gemeiniglich dem, was man rühmet und andere lehren wil, schnustracks entgegen wandelt und lebet“52 markiert einen deutlichen Einschnitt, denn in den folgenden vier Kapiteln sondiert Arnold die „andern Eigenschafften eines Lehrers“.53 Diesen Eigenschaftskapiteln (Kap. 7–10) ist eigentümlich, dass sie sämtlich ins Historische tendieren: Nirgendwo steht die Geistliche Gestalt der Ersten Liebe und der Kirchen- und Ketzerhistorie so nahe wie hier, wenn Arnold den makroskopisch in der Kirchengeschichte zu beobachtenden Verfallsprozess in ein unmittelbares Verhältnis zum individuellen Verfall der Tugendhaftigkeit des Lehrers setzt und die hamartiologische Trias von Hochmut, Geiz und Wollust in eine Tugendlehre wendet, indem er verschiedene charakterliche Qualitäten des Lehrers aufruft: erstens die „Demuth“54 (Kapitel 7), die gewissermaßen die Grundeigenschaft des Lehrers darstellt, weil sie im besonderen Maße sein Verhältnis zu Gott (und zur Gemeinde) bestimmt; dann Sanftmut, Geduld und Liebe des Lehrers (Kapitel 8), allesamt Eigenschaften, die im Umgang mit den Gemeindegliedern relevant sind;55 sodann „Mäßigkeit und Gnügsamkeit eines Lehrers“ bzw. „seinem Verhalten in zeitlichen Dingen insgemein“56 (Kapitel 9), wobei er jedoch keinen Zweifel darüber aufkommen lassen möchte, dass sich der Abschnitt nicht nur auf die äußerlichen Dinge, sondern auch auf das Seelenleben des Lehrers erstreckt, insofern es auch um die Mäßigkeit im Sinne der σωφροσύνη nach 1 Tim 3,2 geht;57 und endlich „Ernst und Fleiß“58 (Kapitel 10), wobei er explizit hinzusetzt: „im Lehramt“59 und damit andeutet, dass es sich um Qualitäten handelt, die im konkreten Akt des Lehrens, d. h. vor allem bei der Predigt, eine wichtige Rolle spielen. An Berufungs- und Eigenschaftskapitel schließen sich die Kapitel zur Verkündigung (Kap. 11–14), zur Taufe und zum Abendmahl (Kap 15) an. Diese sind, wie Arnold im Vorfeld selber erklärt, dem eigentlichen Gegenstand der Untersuchung nach- und untergeordnet. Der Predigt, dem „Hauptwerck eines 50
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51 GG 148. 52 GG 208. 53 GG 212. 54 GG 212. 55 Vgl.
GG 247.
56 GG 284. 57 GG 284. 58 GG 322. 59 GG 322.
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göttlichen Lehrers / nemlich der Verkündigung des wahren Evangelii“, schenkt er größere Beachtung und bestimmt sie als wesentliches Kommunikationsmedium des Lehrers, durch das er seine Zuhörer anweise, „daß sie lernen JEsum CHristum und in Ihm den Vater durch den Heiligen Geist erkennen“.60 Dabei spielen sowohl die „Handlung des Gesetzes“ als auch die Predigtpraxis, d. h. die „öffentlichen Verrichtungen eines Predigers“, eine Rolle.61 Seine konzeptionelle Nachrangigkeit deutet sich jedoch schon in der Überschrift des 15. Kapitels an: „Von Handlung der Tauffe / der Absolution / des Abendmahles / des Banns und anderer äusserlicher Dinge“.62 Abgeschlossen wird die Schrift mit zwei Kapiteln zur Wirkung des Lehramtes und dessen Erträgen für die Kirche (Kap 16 und 17). Einerseits leuchtet diese Gliederung werkgeschichtlich, d. h. von den früheren Schriften Arnolds herkommend, ein: Die Zentralstellung der Berufungstheologie entspricht der Darstellung des Berufungsideals der Alten Kirche, die Darlegung der geistlichen Eigenschaften des Lehrers korrespondiert mit der hamartiologischen Deutung des Verfalls. Die dezidierte Vernachlässigung von Predigt und Sakramenten ist unverkennbar auf Arnolds Skepsis hinsichtlich der Kongruenz von innerlicher und äußerlicher Kirche zurückzuführen, wie er sie in der Auseinandersetzung mit Cyprian deutlich artikuliert hat. Vor allem aber greift die Geistliche Gestalt in ihrem Kern unverkennbar die Gedankenbewegung des sechsten Kapitels der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen auf, indem sie die Berufungserfahrung zum Dreh- und Angelpunkt, die Vielgestaltigkeit der Gemeinde zur wesentlichen Herausforderung und die Wirksamkeit des pastoralen Handelns zum Gradmesser der Bewährung jener Berufungserfahrung erhebt. Andererseits berührt sich die Gliederung der Geistlichen Gestalt auch mit den Entwürfen Hemmingsens, Gerhards und Quenstedts. Ein sachdienlicher Hinweis in diese Richtung ergibt sich aus einer Randbemerkung des bereits erwähnten Arnold-Kritikers Coler, welcher, in der Absicht, die Geistliche Gestalt zu referieren bzw. zu paraphrasieren, anmerkungsweise deren Kapitelüberschriften ins Lateinische und damit in die Diskurssprache der lutherischen Pastoraltheologie zurückübersetzt: „1) de preaparatione ad munus sacrum. 2) de uocatione interna. 3) de grauitate muneris sacri. 4) de criteris boni, et legitimi ministri ecclesiae. 5 et 6) de emendato intellectu, et uoluntate illius. 7–10) de uirtutibus eiudem praecipuis. 11 et 12) de praecipuo opere, et negotio, ut CHRISTVM nempe doceat, et regenerationem recte explicet. 13) de disciplina ecclesiastica. 14) de sine primario ministri ecclesiae. 15) de ministerialibus, ut uulgo uocantur. 17 et 18) de fructu muneris ecclesiastici, etc.“63
Abgesehen davon, dass Coler die Kapitel falsch zählt, verdolmetscht er die Überschriften mitunter in einer Weise, die der Quellensprache und der Absicht 60 GG 344. 61 GG 380. 62 GG 451 63 Coler,
(Hv. PB). Historia, 118.
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Arnolds nicht entspricht: Während „de praeparatione ad munus sacrum“, „de grauitate muneris sacri“ oder „de fructu muneris ecclesiastici“ den deutschsprachigen Überschriften der Geistlichen Gestalt noch recht nahe kommen, handelt es sich bei „munus sacrum“, „vocatio interna“, „praecipuum opus“, „disciplina ecclesiastica“ und „ministeriales, ut vulgo vocantur“ um weniger treffende Übersetzungen. Zudem meint Coler, dass der zentrale Gegenstand der Geistlichen Gestalt in den „virtutes ministri ecclesiae“, d. h. in den Kapiteln 7–10, zu finden sei, keineswegs in den für Arnold so wichtigen ersten drei Kapiteln über die Berufung des Lehrers. Dass Coler Arnold einen habituellen Darstellungsansatz unterstellt und der Geistlichen Gestalt eilfertig eine geprägte lutherische Fachterminologie unterlegen kann, lässt sich plausibel damit erklären, dass er in der Oberflächenstruktur der Schrift eine deutliche Nähe zu lutherischen Entwürfen jener Zeit entdeckt und diese in die Gliederung hineinliest, obwohl Arnold die Berufungstheologie und die Lehre von den Eigenschaften und geistlichen Qualitäten des Lehrers viel höher als die Frage nach der Bewältigung der Amtspflichten und den Früchten des Pfarramts gewichtet und in entscheidenden Detailfragen zu Positionen gelangt, die der lutherischen Amtstheologie zuwiderlaufen. Trotz dieser Differenzen – die nebensächlich erscheinen, sich jedoch bei näherem Hinsehen als recht markant herausstellen –64 ist Colers Eindruck nicht völlig von der Hand zu weisen: Die argumentative Bewegung ausgehend von der Berufungsfrage hin zur Gemeindeleitung, von der Introspektive zur äußerlichen Amtsverrichtung, von der theologischen Grundstruktur der vocatio hin zur Erläuterung ihrer Wirkungen in der Kirche ist kein spezifischer Ansatz Arnolds, sondern kennzeichnet bereits Hemmingsens, Gerhards und Quenstedts Pastoraltheologie. Hemmingsens Pastor etwa, der ganz auf die Übereinstimmung von Lehre und Leben des Pfarrers zielt, ist in konzentrischen Kreisen – vom Seelenleben des Pfarrers hin zu seiner Verantwortung gegenüber der eigenen Familie, der Gemeinde, der weltlichen Autorität und der Amtskirche – aufgebaut. So fragt Hemmingsen im ersten Teil danach, wie der Pfarrer Reinheit in seinem Geist und Körper erlangen könne („puritas duplex: Animi & corporis“65).66 Im zweiten, viel kürzeren Teil67 stellt er „octo disciplinae domesticae“ 64 Vgl.
v. a. Kapitel I.3.3.1. Pastor, 4. 66 Dabei nimmt Hemmingsen, was die Reinheit des Geistes betrifft, die Reinigung des Verstandes (mens), der Gedanken (cogitationes), der Affekte (affectus), des Willens (voluntas) und des Eifers (studium) in den Blick, also der wesentlichen Seelenkräfte des Menschen. Die Reinheit der mens sei vor allem durch eifrige Lektüre, insbesondere der Psalmen, aber auch von Melanchthons Loci und von Bibelkommentaren zu erreichen (Hemmingsen, Pastor, 5). Die Reinheit der cogitationes werde vor allem durch eine Regulierung der Sinne (der sensus) ermöglicht, durch die – als „fenestra mortis“ (a. a. O. 18) – die Verdorbenheit in die Seele einfällt. Diese „Fenster“, vor allem des Seh- und Hörsinnes („fenestra visus“ und „fenestra auidtus“), müssten unbedingt geschlossen werden (vgl. a. a. O. 18–20). Hinsichtlich der Affekte setzt Hemmingsen einen besonderen Schwerpunkt auf den Geiz (avaritia) und den Zorn (ira) und erklärt ihren Ursprung und die wesentlichen Mittel ihrer Bekämpfung (vgl. a. a. O. 24–37). Zuletzt wendet sich Hemmingsen auch dem Willen (voluntas) und dem Eifer (studium) zu. In einem zweiten Unter65 Hemmingsen,
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dar, widmet sich also der Führung des pastoralen Haushalts, worunter der Umgang mit der Ehefrau, den Kindern und dem Gesinde, aber auch das diakonische Handeln in der Gemeinde fällt. Erst der dritte Teil68 befasst sich mit den öffentlichen, politischen und kirchlichen Tagesgeschäften des Pastors, u. a. mit seinem Auftreten, seinem Umgang mit Höher- und Gleichgestellten wie auch Untergebenen. Etwa die Hälfte der Schrift entfällt auf den vierten Teil, in dem es um die Amtsführung im engeren Sinne geht („De officio pascendi oues Christi“),69 d. h. die Verantwortung des Pfarrers für die „Herde“.70 Zuletzt befasst sich Hemmingsen – in einem Ausblick – mit der geistlichen und weltlichen Macht des Pastors,71 dem Lohn seines Amtes72 und der Strafe für dessen Vernachlässigung.73 Auch Johann Gerhards formstrenger, an die aristotelische Prinzipienlehre angelegter 23. Locus über den Kirchendiener – er möchte die Würde und göttliche Autorität des Amtes gegenüber innerkirchlichen Ressentiments und Widrigkeiten durchsetzen und sie zudem gegen ketzerische Anfechtungen verteidigen – erschließt zunächst die vocatio als causa efficiens des Predigtamtes,74 unterscheidet hinsichtlich der causa materialis zwischen dem eigentlichen Gegenstand des Dienstes („in qua“) (§ 179–188) und den peripheren Amtsgeschäften („circa quam“) (§ 189), definiert als Formursachen des Amtes (Kapitel 5; § 190–247) den Erstreckungsbereich seiner Macht (§ 191–203) und seine konkreten Erscheinungsformen, d. h. Grade und Klassen („gradibus et ordinibus“) des Amtes (§ 204–247), und stellt zuletzt die Zweckursachen (Kapitel 6; § 248–322) im Allgemeinen (§ 249–264) und im Speziellen hinsichtlich der Pflichten der Diener der Kirche (§ 265–322) dar.75 Auch Quenstedts kapitel setzt er sich sodann mit der Reinheit des Körpers auseinander, wobei er verschiedene Arten der körperlichen Disziplinierung darstellt (vgl. a. a. O. 28–44). 67 A. a. O. 45–75. 68 A. a. O. 76–121. 69 A. a. O. 122–227. 70 Vgl. a. a. O. 124–210. Die Gliederung des Abschnitts lautet: „I. Was denn eigentlich das Amt des Pastors sei. | 1. Die Herde Christi über das Wort Gottes zu belehren. | 2. Für sie die Sakramente zu verwalten. | 3. Dieselbe mit Strenge zu regieren [Regere ipsum disciplina]. | 4. Für die Herde zu beten. | 5. Sorge für die Armen zu haben. | 6. Vorbild der Herde zu sein.“ 71 A. a. O. 211–217. 72 A. a. O. 218–225. 73 A. a. O. 226 f. 74 Einer onomatologischen Erkundung des Amtsbegriffs (Kapitel 1; § 5–38) folgt die Darlegung des vermeintlichen το ὅτι, das in diesem Fall in der Frage besteht, ob das kirchliche Amt natürlich gegeben sei (Kapitel 2; § 39–48). Sodann werden die vier Ursachen (causae) des kirchlichen Amtes untersucht: Die causa efficiens (Kapitel 3; § 49–174) umfasst dabei die Fragen, „ob eine eigentümliche Berufung [peculiaris vocatio] benötigt werde, um das kirchliche Amt zu übernehmen“ (§ 51–74) und „wie vielgestaltig die Berufung zum Dienst sei“ (§ 75–79), die Unterscheidung von unmittelbarer (§ 80–82) und mittelbarer Berufung (§ 83–107), das Recht von Bischof und Patron bei der Besetzung des Amtes (§ 108–114), die Abwägung der Umstände, die bei der Berufung und Wahl der Diener zu beachten sind (§ 115), die Streitigkeiten und Widerstände, die „sich bei der Schwierigkeit der Berufung einzustellen pflegen“ (§ 117), eine als Exkurs gehaltene Darstellung der „Berufung des seligen Luthers“ (§ 118–126), der Unterschied zwischen der vocatio in den evangelischen Kirchen (§ 127–129) und der Berufung der Bischöfe in der Papstkirche (§ 130–135), die Frage, ob bereits der akademische Grad eines Doktors die Berufung zum Dienst darstelle (§ 136–138), die Ordination (§ 139–165) und die ihr vorauszugehenden Examina (§ 166–169), die Investitur der Pfarrer (§ 170), ihre Versetzung (§ 171–173) und Abberufung (§ 174–177). 75 Das siebte Kapitel geht über die aristotelische Vier-Prinzipien-Lehre hinaus, insofern es sich mit den Nebenumständen des Amtes (§ 323), d. h. der Besoldung der Diener der Kirche
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Ethica pastoralis, die vor allem auf die Produktion der Predigt zielt, ordnet die Frage nach der Berufung, theologischen Ausbildung und geistlichen Fertigkeit konsequent der Methode der Predigterschließung vor:76 Zunächst klärt Quenstedt, welche akademischen (Monita 1–20),77 geistlichen und kirchenrechtlichen (Monita 21–27)78 Voraussetzungen der Anwärter erfüllen muss, um das Predigtamt ergreifen zu dürfen. Von dort aus (Monita 28–60) thematisiert er das Verhältnis des Predigers zu seinen Zuhörern, mahnt zur Mäßigung und Tugendhaftigkeit,79 und wendet sich dem Gegenstand der Predigt (Monita 61–119) im Spannungsverhältnis von biblischem Text, dogmatischen Glaubensaussagen und persönlicher Enzyklopädie des Predigers zu.80 In den abschließenden Ratschlägen (Monita (§ 324–329), und – sehr ausführlich – mit der Ehe der Pfarrer (§ 330–370) befasst. Im achten Kapitel geht es um die dem Amt widerstrebenden Dinge (§ 371–372), bevor im neunten (§ 373– 374) und zehnten Kapitel (§ 375) das Ziel der Darstellung und die abschließende Definition des kirchlichen Amtes rückblickend dargestellt werden (s. o.). 76 Eine Unterteilung der Monita nimmt Quenstedt selbst nicht vor, es lassen sich aber einzelne Argumentationsperioden voneinander abheben (die Zusammenschau folgt dem Inhaltsverzeichnis. Die in Klammern gesetzten Ziffern bezeichnen die Nummer der jeweiligen Monita). 77 Der künftige Prediger müsse etwa die alten Sprachen erlernt (1) und die philosophische Propädeutik (2) absolviert haben, solle die Heilige Schrift (3) und verschiedene Kirchenväter studieren (5). Quenstedt schlägt dem Studenten zudem vor, sich eine an den Sonn- und Festtagsevangelien orientierte Zettelsammlung zuzulegen (10), in der er „vermischt und ohne Ordnung zusammenträgt, was auch immer zur Erklärung dieses, jenes und anderen Evangeliums beizutragen scheint“, und sich gute Freunde zu suchen (15), „von denen er hinsichtlich der Fehler und Mängel seiner Predigten belehrt wird, damit er diese leichter erkennt und schneller ausbessert“. 78 Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle: Ein gewisses Alter (21), eine rechtmäßige Berufung (22: „Ad sacrum Ecclesiae Christi Ministerium expectet legitimam vocationem“), Erfahrung hinsichtlich der Seelenzustände der Gemeinde (26) und orthodoxe Rechtgläubigkeit, was bedeutet, dass er „der wahren Lehre, wie sie in den prophetischen und apostolischen Schriften verordnet und in den Symbolischen Büchern unserer Kirchen unverfälscht [γνησίως] wiedergegeben wird, verpflichtet sein“ soll. 79 Er soll einen guten Leumund haben (28), sich vom Hochmut (26) und Geiz (24) fernhalten, seine Affekte mäßigen und mit Ernst bei der Sache sein (64), vor allem aber solle er sich (53) „nicht Herrschaft oder Autorität [Dominium vel imperium] anmaßen oder über die Seinen ausüben“ und sie stattdessen (64) „lieben, wie ein Vater, wie ein Bruder“. Von hier aus wendet sich Quenstedt erneut der Predigt zu (Monita 55–60), wobei er festhält, dass das Predigeramt vor allem auf dreierlei zielt: „[60.] Der kirchliche Redner soll 1. hinsichtlich der Lehre unterweisen und tadeln [instituat & arguat in doctrina], 2. hinsichtlich der Sitten formen und verbessern, 3. hinsichtlich der Widerwärtigkeiten ermutigen.“ 80 Der biblische Text solle ganz im Vordergrund der Predigt stehen (61), Scherze und nichtsnutzige Randbemerkungen (63) wie auch wissenschaftliche Überfrachtung der Predigt (64) sollen unterbleiben. Vor allem bei der Erklärung der Glaubensartikel solle er „dasselbe durch dasselbe sagen [eadem de iisdem]; er soll keinen eitlen Redeschmuck gebrauchen [ambitioso ornatu], sondern die Eigentlichkeit der Worte, und diese allein behandeln, damit durch eine beweiskräftige und volksnahe Predigt der Heilige Geist den Sinn [des Textes] den Seelen der Zuhörer einträufele.“ Besondere Aufmerksamkeit erfahren bei Quenstedt der Tadel der Sünden in der Gemeinde und die Ermunterung der Zuhörer zur Heiligung (Monita 69–80). In Rücksicht auf die individuelle Verfassung (75) und den geistlichen Fortschritt der Gemeindeglieder (77), aber in dezidierter Übergehung der Standesunterschiede (71) solle der Prediger in überzeugender Weise die Sünden der Gemeinde benennen und strafen und zur Heiligung und Erneuerung des Lebens anleiten, wobei er (70) „die Sünden 1. mit Worten der Schrift, 2. streng und (gleichzeitig) 3. sanft, 4. umsichtig, 5. frei, 6. häufig anklagen“ soll. In diesem Zusammen-
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120–125) befasst sich Quenstedt einerseits mit den Widrigkeiten des Predigtamtes als auch mit dem Verhältnis des Predigers zur Kirche und seinen Kollegen und mahnt zur Gelassenheit und Geduld, selbst wenn sein Amt auf den ersten Blick fruchtlos bleibe.
Schon die oberflächlichen Berührungspunkte zeigen, dass die lutherische Pastoraltheologie als zweiter ernstzunehmender Bezugsrahmen der Geistlichen Gestalt in Frage kommt. Es lassen sich verschiedene ‚pastoraltheologische Loci‘ sondieren, deren Anordnung und Interdependenzen zwar nicht normiert, die jedoch hinsichtlich ihres amtstheologischen Erstreckungsbereichs einigermaßen fest umrissen sind: Die geistliche (und bei Hemmingsen auch körperliche) Selbstdisziplinierung des Pfarrers, seine Berufung, sein Verhältnis zur Gemeinde, seine wesentlichen Aufgaben – Predigt und Austeilung der Sakramente –, sein Verhalten im beruflichen Alltag und der Nutzen seines Amtes sind feste Topoi, auf die auch Arnold zurückgreift, wenn er seinen eigenen Ansatz entwickelt. Inwiefern Arnold tatsächlich auch konkrete theologische Brücken zur lutherischen Pastoraltheologie seiner Zeit schlägt und wo er sich von ihr abgrenzt, müssen die detaillierteren Untersuchungen zeigen.
3.2.3. Quietistische Mystik Hans Marti hat in seinem Aufsatz Der Seelenfrieden der Stillen im Lande angedeutet, dass die Geistliche Gestalt von quietistischem Gedankengut beeinflusst sei, vor allem dort, „wo es um das stille Leben, den inneren Frieden und um die Selbstverleugnung geht“.81 Dieser Spur zu folgen legt sich schon allein deshalb nahe, weil hang macht Quenstedt auch darauf aufmerksam, dass der Prediger authentisch predigen müsse (80): „Wovon er andere mit Ernst überzeugen will, davon soll er vorher sich selbst überzeugen; was er sagt, das meine er auch.“ Sodann (Monita 81–104) wendet sich Quenstedt dem Aufbau der Predigt zu. Die Predigt soll im Grundsatz an der klassischen antiken Rede orientiert, jedoch durch besondere liturgische Stücke gerahmt sein (85–103, vgl. Kapitel II.2.2.2.). Nach der Darstellung der Gliederung der Predigt macht Quenstedt noch Anmerkungen (Monita 104–119) zur elocutio, d. h. zur Redegestaltung. Dabei mahnt er zur „Reinheit der Worte“ (104) und Umsicht beim Einsatz rhetorischer Mittel und Tropen und der Wortwahl und erteilt Ratschläge zur actio, etwa zur Modulation der Stimme und zur Körperhaltung des Predigers. 81 Marti, Seelenfrieden, 142. Obwohl Arnold dem Quietismus nahesteht und er selbst die genannten quietistischen Traktate herausgegeben hat, ist der quietistische Einfluss auf Arnolds Theologie bisher nur von Hans Marti ernsthaft in Erwägung gezogen und aufgearbeitet worden. Ritschl, Geschichte des Pietismus, 294–305 hat Arnold dem mystischen Indifferentismus Weigelscher und Böhmscher Provenienz zugeordnet, obwohl auch er von den Molinos- und Guyon-Editionen weiß und gar Poiret als Vorläufer Arnolds nennt (vgl. a. a. O. 305). Auf Madame Guyon geht Ritschel nicht, auf Molinos nur am Rande ein, wenn er dessen Einfluss auf Francke in Abrede stellt (vgl. a. a. O. 262, Anm. 4). Zum Verhältnis Speners und Franckes zum Quietismus liegen Untersuchungen vor: Steel, Einfluss, 69–77; Von Orde, Quietismus, 108–114; Lagny, Arten, 125–130. Vgl. zur Entstehung und Lehre des Quietismus: Brecht, Augustinismus, 62–64; Heppe, Geschichte der quietistischen Mystik, 110–135.214–242.260– 282; Laude, L’ontologie mystique, 185–187; Chevallier, Ministère, 203–207. Vgl. zur Auseinandersetzung der römischen Kirche mit dem Quietismus: Bendiscioli, Quietismus, 9–21; James, Conflict, 33–71; Arnold, Verketzerung, v. a. 64–69. Vgl. zur Rezeption quietistischer
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I. Der Pfarrer bei Arnold
Arnold bereits in der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen (1700) dazu neigte, das Predigeramt und die Berufung des Pfarrers in mystischen Kategorien und unter Rückgriff auf die Wiedergeburtsmetaphorik zu fassen. Tatsächlich weisen aber auch die quietistischen Texte, die Arnold im zeitlichen Umfeld der Kirchen- und Ketzerhistorie herausgegeben hat, ein markantes pastoraltheologisches Profil auf, das die Geistliche Gestalt entscheidend mitgeprägt hat: Nicht nur bezieht sich Arnold in seiner Schrift auf Miguel de Molinos’ Geistlichen Wegweiser, er hängt ihr sogar einen Auszug aus Jeanne Marie Guyon du Chesnoys („Madame Guyon“) Ermahnung der Prediger an, dem vorletzten Kapitel ihres Kurzen und sehr leichten Mittel zum Beten. In einem dieser Epitome wiederum angehängten, eigenen kleinen Traktat erörtert Arnold die Frage, Ob die Weiber auch öffentlich lehren dürffen, und kommt zu dem Schluss, dass, wo es an erbaulichen Lehrern mangele, selbstverständlich auch Frauen dazu berechtigt seien, Gottes Wort zu lehren, womit er sich nicht nur als aufgeschlossener Vordenker der Frauenordination erweist, sondern vor allem Madame Guyon selbst als eine solche Lehrerin ins Recht setzt, ja sie als Theologin regelrecht rehabilitiert. Arnolds Molinos-Edition erscheint erstmals 1699, noch vor dem Erscheinen des zweiten Teils der Kirchen- und Ketzerhistorie, die Guyon-Edition wird zwei Jahre später und nach der Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen veröffentlicht, kurz bevor Arnold das Amt des Schlosspredigers in Allstedt übernimmt. Molinos und Guyon gelten Arnold als geistige Eltern des Quietismus: Beide vertreten in vielerlei Hinsicht ähnliche theologische Ansichten; beide sind von der Majoritätskirche verfolgt worden und – so nimmt Arnold es zumindest an – in Kerkerhaft gestorben;82 beide Editionen dienen ganz dem apologetischen Zweck, insofern Arnold durch die Herausgabe der Werke dem Leser ein unparteiisches Urteil über die quietistische Lehre ermöglichen möchte, welches er durch die undifferenzierte Verzerrung und Verketzerung des Quietismus in der katholischen wie auch lutherischen Kirche in Frage gestellt sieht;83 und zuletzt kommen beide, Molinos und Guyon, in ihren Traktaten ausführlich auf die geistliche Eignung und die Amtspflichten der Pfarrer zu sprechen und erheben programmatische Forderungen, die sich mit dem Ideal des Lehrers, wie Arnold es in der Ersten Liebe für die Alte Kirche rekonstruiert hat, aufs Engste berühren. Im zweiten seiner drei Bücher des Wegweisers, das mit der sprechenden Überschrift „Von dem geistlichen Vater; von dem Gehorsam / den man ihm schuldig ist; Vom unbescheidenen, oder unbedachtsamen Eifer; und von der innerlichen und äußerlichen Buße“84 Literatur und Theologie in der europäischen Geistesgeschichte: Heuberger, Commentaires bibliques, 303–323; Schrader, Madame Guyon, 196–206. 82 Dies trifft zwar auf Molinos, jedoch nicht auf Guyon zu. 83 Vgl. Reinhardt, Mystik und Pietismus, 170–181; Marti, Seelenfrieden, insb. 92– 95.103–105; Vom Orde, Quietismus, 106–109; Schrader, Madame Guyon, insb. 203–206. 84 GW 289 (2,1,1). Im Folgenden wird ausnahmsweise nicht aus der Erst-, sondern aus der dritten Auflage der Edition Arnolds aus dem Jahr 1712 zitiert, weil diese tw. um erklärende Anmerkungen erweitert wurde. Die in Klammern gesetzten Angaben beziehen sich auf Buch,
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versehen ist, widmet sich Molinos fast ausschließlich dem Verhältnis von Beichtvätern und -kindern. Das ganze Buch oszilliert zwischen Empfehlungen an die Beichtväter – worauf sie bei der Führung ihrer Beichtkinder achten und wie sie ihnen gegenüber auftreten sollen – und der Aufstellung von pastoraltheologischen Prüfkriterien für die Beichtenden – woran sie einen erfahrenen geistlichen Vater erkennen können; wie weit sie ihm Gehorsam schulden; wann sie die kirchlichen Bußübungen praktizieren und die Sakramente empfangen sollen. Nachdem Molinos im ersten Buch des Wegweisers den innerlichen Weg zu Gott als Reinigungsprozess und mehrstufige Einkehr der seelischen Kräfte in die Gottesschau beschrieben hat,85 insistiert er im zweiten darauf, dass sich derjenige, der sich auf diesen Weg begeben habe, einen erfahrenen Lehrer suchen solle, welcher dazu in der Lage sei, „des Teuffels List und Tücke [zu] erkennen“,86 denn Gott habe nicht unbedacht die Menschen – und nicht etwa die Engel – zu Beichtvätern eingesetzt, weil „solche Lehrer / die gleicher Natur mit uns sind“ – anders als die Engel – die Erfahrung „der Heimtücke des Teufels bereits gemacht“87 hätten. Unter „Erfahrung“88 versteht Molinos also keineswegs eine pastorale Abgeklärtheit, sondern vielmehr die Erfahrung dessen, „was des Geistes GOttes ist“.89 Ein in dieser Hinsicht erfahrener Führer könne den Beichtenden in allen seelischen Nöten zur Seite stehen: „Denn derselbe wird durch das innerliche Licht in ihm klar erkennen, was Anfechtung, oder was ein gutes Eingeben sey; Er wird leicht unterscheiden die Bewegungen / ob sie von der Natur, von dem bösen Geist, oder von der Seele selbst herkommen […].“90 Für Molinos stellt die Wahl eines geeigneten, geistlichen Führers also einen notwendigen Schritt auf dem Weg der Einkehr dar – die eigenmächtige Selbsttherapie geistlicher Probleme lehnt er rundweg ab. Die Lektüre frommer Bücher etwa könne den geistlichen Führer nur schwerlich ersetzen, denn jener könne „zu jeder Zeit mit der Seelen Beschaffenheit übereinkomme[n]“,91 während sich die Bücher „wenig auf unsern Zustand schicken“,92 mit der Erfahrungswelt des Gläubigen nur im seltensten Fall übereinstimmen und sogar Schaden anrichten könnten, wenn sie „viel falsche Einbildungen zeugen“,93 d. h. der Seele einen Fortschritt vorgaukeln, den sie noch nicht erlangt habe. Man solle sich daher besser durch einen Führer „regieren lasse[n]“,94 „der durch ein würkliches Licht, oder aus einem wahren würcklichen Erkentniß lehret.“95 Molinos meint sogar, dass die Seele, selbst wenn sie bereits einen deutlichen Fortschritt auf dem Weg der Einkehr verzeichnen kann, immerfort dieser geistlichen Begleitung bedürfe, denn: „Denn je höher eine Seele erleuchtet / und mit GOtt vereiniget ist, je demüthiger / je unterthäniger und gehorsamer ist sie ihrem Kapitel und Abschnitt, so dass sich die Passagen in der früheren Auflage von 1699 leicht wiederfinden lassen. 85 Vgl. GW 173 (1,1,1). Die Überschrift des ersten Buches lautet: „Von Geistlicher Finsterniß / Dürre / und Anfechtungen / wodurch GOtt die Seele reiniget / und von der Einkehrung der Seelen=Kräffte in ihren Grund“. 86 GW 291 (2,1,1). 87 GW 291 (2,1,2). 88 Vgl. die prägnante Verwendung des Begriffs in GW 335 f (2,8,58). 89 GW 292 (2,1,4). 90 GW 294 (2,1,6). 91 GW 296 f (2,2,8). 92 GW 297 (2,2,8). 93 GW 297 (2,2,8). 94 GW 299 (2,1,9). 95 GW 299 (2,1,9).
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I. Der Pfarrer bei Arnold
geistlichen Führer.“96 Der Weg der Einkehr und Stille, wie er ihn im ersten Buch des Wegweisers dargelegt hat, führt also nicht aus der Kirche heraus, sondern geradewegs in das kirchliche Beichtinstitut hinein. Auch Madame Guyons Kurtzes und sehr leichtes Mittel zu beten / und Auslegung des Hohen Liedes Salomonis, das Arnold in seine Anthologie Etliche vortreffliche Tractätlein aus der Geheimen GOttes=Gelehrtheit (1701) aufgenommen hat, weist in mehrerlei Hinsicht ein pastoraltheologisches Profil auf: Erstens läuft der Traktat auf das bereits erwähnte, der Geistlichen Gestalt in Auszügen angehängte Kapitel „Erinnerung an die Lehrer und Prediger“ zu, auf das nur noch ein kurzes, summarisches Schlusskapitel folgt.97 Zweitens kommt Guyon auch im früheren Verlauf des Traktats hie und da auf die Amtspflichten und Fähigkeiten des Pfarrers zu sprechen. Drittens weist Pierre Poiret, der französische Herausgeber der Schriften Guyons, in seinem Vorwort auf das innige Verhältnis Guyons zu ihrem barnabitischen Beichtvater Lacombe hin,98 setzt also das, was Molinos strikt fordert – einen (fast blinden) Gehorsam gegenüber dem Beichtvater – für Madame Guyons spirituellen Werdegang voraus. In der für Arnold so bedeutsamen „Erinnerung an die Prediger und Pfarrherrn“ werden nun drei zentrale Forderungen erhoben: (1) Die wesentliche Aufgabe der Prediger bestehe in der Anleitung zum innerlichen Gebet, das Guyon durchweg als mystische Selbstvergegenwärtigung der Seele vor Gott versteht. (2) Der Pfarrer müsse jeden intellektuellen Dünkel gegenüber seinen mitunter ungebildeten Gemeindegliedern fahren lassen. (3) Gemeinde und Pfarrer müssen sich in kindlicher Einfalt üben, weil diese die wesentliche Voraussetzung für das innerliche Beten darstelle. Diese Forderungen kulminieren in der markanten, summarischen Schlusserklärung des Kapitels: „Der Geist GOttes bedarff keiner zierlichen Zusammenfügung / er nimmt wanns ihm gefällt Hirten / daß er sie zu Propheten mache. Und es ist so gar ferne / daß er den Pallast des Gebeths iemanden zuschliesse / daß er hingegen allen alle Pforten deßelben offen läst. Und die Weisheit hat Befehl an den offentlichen Orthen und Märckten zu ruffen: Wer einfältig ist / der komme zu mir. Prov. 9/4 und sie hat den Dummen gesaget: Kommet / esset das Brod / das ich euchgebe [sic!] / und trincket den Wein / den ich euch bereitet habe. Sap. 10/20. Dancket JEsus Christus seinem Vater nicht / daß er die Geheimniße den Klugen verborgen und sie den Unmündigen geoffenbaret hat? Matth. 10/25.“99
Der quietistische Referenzrahmen ist für die Geistliche Gestalt nicht hoch genug einzuschätzen. Arnold zitiert Molinos und Guyon nicht nur eklektisch, sondern übernimmt – wie sich zeigen wird – deren mystische, kontemplative Programmatik und adaptiert eine ihrer zentralen (pastoral)theologischen Denkbewegungen: Die innerliche, mystische Gotteserfahrung muss sich im Angesicht ihrer Verflüchtigung und Zerstreuung immer wieder neu konsolidieren. 96 GW 300 97 Es
(2,2,10). handelt sich um dasjenige Kapitel, das Arnold der Geistlichen Gestalt auszugweise an-
hängt. 98 Vgl. EVT 14: „Daß sie sagte / dieser Mönch wäre ihr auf eine besondere und wunderbare Art gegeben worden; Daß / falls er ihr geistlicher Vater wäre / sie vorher seine Mutter gewesen wäre. Er wäre es alleine / deme sie die Gnade / wie wohl von ferne / mittheilete mit einer völligen zärtlichen Liebe: u. s.w.“ 99 EVT 172 f.
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3.3. Die Geistliche Gestalt zwischen altkirchlicher, lutherischer und quietistischer Pastoraltheologie Schon der oberflächliche Befund zeigt, dass Arnold mit seiner Schrift in keinem fest definierten Gattungsraum operiert, in dem pastoraltheologische Loci und Darstellungsansatz kanonisch normiert wären. Arnold entwickelt seine Pastoraltheologie unter Bezugnahme auf alle drei genannten Referenzbereiche. Wie genau er jedoch zwischen dem kirchenhistorischen Quellenmaterial und dem aus ihm abgeleiteten Verfallsschema, der Begriffssprache und dem Diskurs der lutherischen Pastoraltheologie und den reichhaltigen, pastoraltheologischen Überlegungen Guyons und Molinos’ navigiert; wie er zwischen ihnen vermittelt; welchen Impulsen er folgt und von welchen er sich abgrenzt, soll anhand von drei für die Geistliche Gestalt zentralen Themenbereichen nachvollzogen werden: dem Berufungsbegriff (1), dem Verhältnis von Lehrer und Gemeinde (2) und der Bedeutung der Berufungserfahrung des Lehrers für die geistliche Entwicklung seiner Gemeinde wie auch für die Geschichte der ganzen Kirche (3). Zusammen mit der Erschließung dieser Bereiche soll auch nach und nach eingekreist werden, was Arnold unter der titelgebenden „geistlichen Gestalt“ versteht, denn diese wird im Verlauf der Schrift bemerkenswerterweise nirgends als solche definiert.
3.3.1. Die Konstituierung der geistlichen Gestalt – die quietistischen Wurzeln des Berufungsbegriffs Arnolds In seinen kirchenhistorischen Schriften hat Arnold die bleibende Berufungserfahrung als wesentliches Merkmal der vorkonstantinischen Lehrer ausgewiesen:100 Die altvorderen Lehrer seien unmittelbar von Gott ergriffen, berufen, legitimiert und beglaubigt worden und hätten in der Gewissheit dieser Erfahrung ihre Gemeinde geleitet und ihr in geistlichen Belangen Rat gebend gedient. In der Geistlichen Gestalt repristiniert Arnold diese altkirchliche Vorstellung, indem er feststellt, dass der Lehrer in all seinem pastoralen Handeln ausschließlich von seiner Gotteserfahrung geleitet werden dürfe, und dementsprechend von ihm fordert, dass er sich dieser ständig neu zu versichern habe: „Nemlich daß der HErr bey allen Verrichtungen seiner wahren Boten ihnen immerzu vom neuen zuruffe, und sie heisse, was sie sagen und thun sollen. Wer diesen stetigen Ruff und Zuspruch der ewigen Weißheit GOttes nicht continuirlich beobachtet und heget, oder gleichsam eine Rückfrage an seinen Principal thut, was er nun weiter reden oder vornehmen solle: der gehet allmählich von seinem ersten Beruff ab, und geräth in eigenes Wircken und Lauffe, bleibet auch ohne wahrhafftigen Segen und Wachsthum.“101 100 Vgl. 101
Kapitel I.2.1.1. GG 45 f.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
Mit dem Begriff „Beruff“ (lat. vocatio) greift Arnold zwar auf den Schlüsselbegriff des lutherischen Amtsverständnisses zurück, wie er besonders prominent im 14. Artikel der Confessio Augustana exponiert wird – „De ordine ecclesiastico docent, quod nemo in ecclesia debeat publice docere aut sacramenta administrare, nisi rite vocatus“102 –, er spezifiziert ihn jedoch in zweifacher Hinsicht: Erstens vertritt Arnold die Auffassung einer unmittelbaren und kontinuierlichen göttlichen Berufung des Lehrers im Sinne einer verstetigten Berufungserfahrung („Nemlich daß der HErr bey allen Verrichtungen seiner wahren Boten ihnen immerzu vom neuen zuruffe, und sie heisse, was sie sagen und thun sollen.“). Zweitens relativiert er jede externe Berufungsinstanz und jeden biographischpunktuellen Berufungsvorgang („Wer diesen stetigen Ruff und Zuspruch der ewigen Weißheit GOttes nicht continuirlich beobachtet und heget […] der gehet allmählich von seinem ersten Beruff ab, und geräth in eigenes Wircken und Lauffe, bleibet auch ohne wahrhafftigen Segen und Wachsthum.“). Dieses Berufungsverständnis ist auf zweifache Weise durch den Quietismus geprägt. Der erste quietistische Einfluss zeigt sich darin, dass Arnold den Berufungsbegriff kritisch verwendet: Er insistiert darauf, dass Gott allein den Lehrer ins Amt beruft, und fordert dementsprechend den Lehrer dazu auf, das eigene Berufungsbewusstsein aufmerksam zu hinterfragen. Dabei soll die Einübung in die Unterscheidung der Selbstberufung von der Berufung durch Gott dem Lehrer nicht nur den Einstieg in das sich selbst versichernde Nachdenken über das Berufen-Sein ermöglichen, sondern die Ausübung des Amtes kontinuierlich begleiten. Arnold warnt vor jeder Selbstermächtigung zum Amt: Eine ungezähmte Seele – eine, die zwar „zum guten erwecket worden, immerdar etwas zu thun suchet“, jedoch „feurig[]“ und „von Natur aus sehr activ und geschäfftig“ –103 laufe stets Gefahr, auf einen unbotmäßigen Eifer zu verfallen, den Arnold als „Bekehrsucht“ und „starcken Hochmuth und Einbildung“ tadelt.104 Arnold verweist hier apodiktisch auf Luther – „Wird GOTT deiner bedürffen, er wird dich wol ruffen […]“105– und den italienischen Mystiker, Asketen und Kardinal Giovanni Bona – „Non debet praeesse, qui nun potest prodesse“106 –: Sich zum Amt hingezogen zu fühlen, sei nicht das gleiche, wie von Gott zum Amt berufen zu werden. Äußeren (biographischen oder wirtschaftlichen) Zwängen nachzugeben, sei dem Amt ebenso abträglich107 wie affektierte, theatralische Verweigerungsgesten oder die vorgeschobene Angst vor Überforderung oder äußeren Beschwernissen.108 102 BSLK
69.
103 GG 53. 104 GG 53.
105 GG 53. Das geflügelte Wort wird von Arnold nicht belegt (was für seine allgemeine Bekanntheit spricht), es findet sich in WA 2; 454,36. 106 GG 53. Arnold zitiert aus Bonas Principia vitae christianae (Rom, 1674), gibt als Fundort jedoch lediglich Kapitel 43 an. Das Zitat findet sich in der Erstauflage auf Seite 128. 107 Vgl. GG 60. 108 Vgl. GG 60 f.
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Angebracht sei vielmehr ein „weises Temperament zwischen dem eigensinnigen Zwang, und vermessenen Lauffen zu den Lehrämtern“.109 Statt jemals definitive Gewissheit über seinen Berufungsstatus erlangen zu können, müsse der Lehrer sich immer wieder auf die eigene Unzulänglichkeit zurückwerfen und an seine Angewiesenheit auf Gottes Ruf erinnern lassen: „Je geübter und erwachsener ein Mensch in dem Wort und Willen GOTTES ist, je mehr hält er sich zu allem Dienst untüchtig, weil ein solcher täglich seine eigene Ungeschicktheit zu göttlichen Dingen tieffer erkennet und beschmerzet.“110
Ataxie und Stille sind also nach Arnold keineswegs Selbstzweck der geistlichen Sammlung, sondern vielmehr Mittel zur Gotteserkenntnis: Indem er die Theozentrik des Berufungsgeschehens und die Ohnmacht des Lehrers in ein konstruktives Verhältnis zueinander setzt, markiert Arnold eine kritische Diastase zwischen der vermeintlichen Berufungsgewissheit und der authentischen, göttlichen Berufung des Lehrers, denn „auf göttlichen Zug allein alles ankommt; also vielweniger darff man ohne jenen innern selbst den Beruff von aussen zu wege bringen, es sey auch unter noch so gutem Schein und Vorwand“.111 Der Berufungsbegriff erhält damit eine kritische Bedeutungsnuance: Die Rede von der göttlichen Berufung macht es immer erforderlich, dass der Lehrer – nicht nur im Vorfeld seiner Ordination, sondern immer wieder neu – sein Seelenleben genau beobachtet und ordnet, um beurteilen zu können, wer in ihm spricht, denkt und fühlt: Gott oder er selbst. Diese introspektive Selbstprüfung kann einerseits eine negative Abgrenzung mit sich bringen, insofern der Lehrer prüfen soll, „ob er nicht darunter [d. h. unter seinen guten Absichten] verborgentlich seine eigene Ehre, Commodität und gute Tage (wo nicht gar Vortheil oder Lüste) suche, und dazu alle Mühe und Fleiß anwende unter dem Mißbrauch des Namens GOTTES“.112 Andererseits kann die aufmerksame Selbstprüfung dem Lehrer auch die Erfahrung einer Entsprechung zwischen der eigenen Neigung zum Lehramt und dem „sonderbare[n] Zug […], der einen zu diesen oder jenen Umständen nach Personen, Ort und dergleichen determinire, bestimmte und einsetze“113 erschließen, so dass er eine göttliche, inwendige Bestätigung des äußerlichen Rufs zum Amt erhält.114 Die Selbstprüfung, wie Arnold sie vorschlägt, ist also bereits Teil eines weiterreichenden Prozesses der Selbsterschließung der Berufungserfahrung, insofern sie die „Actiuität und treibende[] Macht des Wil109 GG 61. 110 GG 58.
111 GG 48. Vgl. auch GG 41: „WEr demnach zu dem allerhöchsten und einigen Werck der neuen Geburt von dem Vater in dem Sohn gezogen und beruffen ist; der hat eben hierbey Beruffs gnug, so viel das inwendige betrifft, eben dieses mit der Zeit andern zu verkündigen.“ 112 GG 49. 113 GG 42. 114 Vgl. GG 41: „Gewißlich das scharffsichtige Auge des Oberhirten muß etwas wahrhafftiges und göttliches in einem sehen, dem er seine Schaafe und Lämmer anvertrauen sol.“
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lens“115 als wesentliches, dem inwendigen Zug Gottes im Wege stehendes Hindernis identifiziert und versucht zu supprimieren: Erst wenn der Lehrer seinen Eigenwillen aufgebe, würde sich die Berufungserfahrung einstellen,116 erst mit der Unterordnung seines Willens unter den Willen Gottes würden jene kognitiven Prozesse der Selbstprüfung und -befragung in Gang gesetzt werden, durch die der Lehrer seine Motivation zum Lehramt hinterfragen und schlussendlich klären könne, „von wem und wozu man beruffen werde“.117 Im Gegenzug dämpfe man den „Zug des Heil. Geistes, und bleibet in seinen Gewohnheiten und Meynungen halsstarrig stehen“,118 wenn man seinem Hochmut und seiner Gefallsucht nachgebe.119 Die Erfahrung der Berufung liegt nach Arnold also trotz ihres göttlichen Ursprungs niemals eindeutig und widerspruchsfrei vor, sondern muss immer wieder neu errungen werden.120 Im Quietismus hat diese kritische Nuancierung des Berufungsbegriffs eine auffällige Parallele, die Arnold zwar nicht verschweigt, jedoch einigermaßen kaschiert. In direktem Umfeld Giovanni Bonas lässt er Molinos zu Wort kommen, welcher im Wegweiser das Grundproblem der Unausgewogenheit zwischen dem eigenen Seelenheil und dem Drang, andere zu belehren, folgendermaßen angesprochen hat: „Und was hülffe es uns, wenn wir, so zu reden, eine gantze Welt von Seelen gewinnen könten, so wir an unserer eigenen Seele Schaden nähmen? Ja wenn du auch schon gründlich wüstest, daß deine Seele mit innerlichen Licht und gnugsamer Erfahrung begabet wäre: So ist es dir doch besser, daß du stille und gelassen in deinem Nichts bleibest, biß daß dich GOtt hervor ziehe, und zum Dienst und Nutzen anderer Seelen beruffe.“121
Molinos’ hiesige Problemanzeige hinsichtlich der Berufungsgewissheit des geistlichen Vaters dürfte Arnold viel stärker geprägt haben, als es dieses beiläufig eingestreute Zitat vermuten lässt, denn wie Arnold wendet Molinos im Wegweiser großen argumentativen Aufwand dazu auf, den Amtsanwärter eindringlich davor zu warnen, sich in das Amt zu drängen und seinem religiösen Eifer nachzugeben, mehr noch: Molinos’ an die Geistlichkeit gerichtete Forderung, in sich zu gehen und zwischen göttlicher Berufung und Selbst- oder Fremdermächtigung 115 GG 47.
116 Vgl. GG 43: „Den Willen aber machet er treu und unterthänig, daß er sich in GOttes Rath und Befehl einergiebt. Woraus denn folget, daß man hernach unter der steten Zucht und Regierung der Weißheit sein Thun und Lassen nach diesem Hauptzweck einrichtet, oder vielmehr den Heil Geist einrichten lässet.“ 117 GG 43. Vgl. auch ebd.: „Man muß durch lange Ubung und Erfahrung der göttlichen Wirckungen und Mittheilungen gewohnt seyn, wenn man solchen inwendigen wahren Beruff von den falschen Gedancken und Einbildungen unterscheiden sol.“ 118 GG 44. 119 Vgl. GG 44: „Sonst ergreifft man entweder die Einfälle des eigenen Geistes, der immer gern etwas vor andern seyn wil, und geräth in ungöttliche Wege und Vornehmen.“ 120 Dies sieht Arnold schon in der Erzählung der Berufung des Jeremia vorweggenommen (vgl. GG 45). 121 GG 56.
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zum Amt zu unterscheiden, ist für das zweite Buch des Wegweisers als Ganzes richtungsweisend und einschlägig. Wie Arnold verlagert Molinos das Problem der Berufung in die introspektive Selbstevaluation des Amtsanwärters. Auch er greift auf den Begriff „Eifer“ zurück, um das Problem einer vorzeitigen oder unzeitigen Annahme des geistlichen Amtes anzuzeigen,122 und auch er setzt dem Eifer Stille, Demut und Gelassenheit entgegen.123 Die aufwallende Begeisterung für das Pfarramt könne sich bei näherer Selbstprüfung auch als destruktive Eigenliebe entpuppen, der Eifer könne den Prediger dazu verleiten, sich von der eigenen Einkehr und Selbstversicherung der Gotteserfahrung ab- und vorschnell dem Nächsten zuzuwenden, um zu vermitteln, was er eigentlich (noch) gar nicht vermitteln kann.124 Seinen religiösen Aktionismus müsse der Lehrer daher kritisch hinterfragen:125 Gehörten zum Pfarramt „ein hohes Licht und Erkentniß, eine gäntzliche Gemüths=Befreyung / und Abziehung von allen Dingen“126 und 122 Molinos betrachtet den Eifer nicht ausschließlich, vor allem aber als Problem des geistlichen Standes. So erinnert er daran, dass Jesus die Jünger scharf ermahnen musste, als sie sich „freueten / als sie die Teuffel austrieben“ (GW 310 [2,4,21]), und Paulus habe, obwohl Gott ihn als ein „auserwehltes Rüstzeug, ein Bürger des Himmels, und von GOTT zu diesem Dienst“ auserkoren hatte, „zuvor geprüfet, gedemühtiget, und in einen engen Kerker verschlossen werden“ (GW 311 [2,4,21]) müssen. Molinos mahnt daher: „Und du wolltest dich für einen Prediger ausgeben, ehe du beydes der Menschen und der Teuffel Anfälle versuchet und erduldet hast? Und darfst dir die Hofnung machen, in diesem so hochwichtigen Amte Nutzen zu schaffen, ehe du durch das Feuer der Anfechtung, der Trübsal / und der in allerhand leiden bestehenden Läuterung und Reinigung gangen und bewähret bist?“ (GW 311 [2,4,21]). 123 Vgl. GW 311 f (2,4,22): „Es ist dir [dem Prediger] viel besser, daß du stille und gelassen, gleichsam in einem heiligen Müßiggange / bleibest, als daß du viel und grosse Dinge thust aus dem Trieb deines eigenen Willens und Gutdünckens. Du solst nicht meynen / daß die Helden= Thaten, so die grossen Diener GOttes in der Kirche verrichtet haben, und noch verrichten, ihrer eigenen Krafft und Geschicklichkeit zuzuschreiben seyn; O nein! Sintemal alles, was da ist oder geschicht, es sey Geistlich oder Zeitlich / von Ewigkeit her von der göttlichen Fürsehung also verordnet ist, so daß ohne dieselbe auch nicht das geringste Blat sich bewegen kann. Wer den Willen GOttes thut, der thut alles; Und darauf muß deine Seele einig und allein bedacht und geflissen seyn, und demnach stille / und in einer völligen Übergabe und Bereitschafft zu allem Wolgefallen GOttes beständig beiben. Erkenne dich für unwürdig zu einem so hohen Amte, die Seelen gen Himmel zu führen, auf daß du nicht, wenn du daranach trachten wolltest, deiner Seelen Ruhe und innerlichen Frieden zerstörest, und ihr Aufschwingen zu GOtt verhinderst.“ Vgl. auch GW 308 (2,3,18): „Halt nicht dafür, daß der am meisten von GOtt geachtet werde, der am meisten tut: Sondern der ist ihm der liebste, welcher am demüthigsten, am getreuesten / und am meisten gelassen ist / und der seinem innern Eingeben und göttlichem Wolgefallen sich am gehorsamsten erzeiget.“ 124 Für Molinos steht daher fest, dass der geistliche Führer den Weg, auf dem er andere leiten möchte, selber beschritten haben muss, weswegen das fünfte Kapitel des zweiten Buches die pointierte Überschrift trägt: „Wer ein Führer der Seelen seyn will / die selben in dem inner Wege zu leiten / der muß darzu Licht / Erfahrung / und einen göttlichen Beruff haben“ (GW 313 [2,5,23]). 125 Vgl. GW 313 (2,5,23): „Worüber du denn eine grosse Lust und Freude haben wirst: Allein solches wird vielleicht nichts anders, als ein heimlicher Hochmuth, ein geistlicher Ehrgeiz und eine offenbare Blindheit seyn.“ 126 GW 313 (2,5,23).
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eine Fülle von „Geschicklichkeiten“,127 so bleibe dies alles „Aufgeblasenheit und Selbstgefallen“,128 wenn Gott nicht die „Gnade eines Beruffs“129 erweise. Die naheliegende Rückfrage weiß Molinos gleich zu antizipieren: „Allein wie weist du, daß von GOtt hierinne eben dein Beruff bestimmet sey?“130 Seine Antwort lässt sich wohl am prägnantesten auf die Empfehlung zuspitzen: Besser das Amt gar nicht ergreifen, als es aus den falschen Gründen zu ergreifen. Molinos rät dazu, Gottes Berufung in der Stille abzuwarten, denn es obliege Gott allein, die „Tüchtigkeit und Verleugnung“ des Anwärters zu prüfen und ihn zum „Dienst und Nutzen anderer Seelen“ zu berufen.131 Dabei weist er der Kirche als ecclesia visibilis eine nicht unbedeutende Funktion zu, denn die göttliche Berufung stelle sich in Gestalt der mittelbaren Beauftragung des Priesters durch den Prälaten ein: Der Priesteranwärter solle eben so lange abwarten, „biß GOtt durch unsere Obern und geistliche Führer uns darein setze“.132 Molinos gibt also eine genuin römisch-katholische Antwort auf das Problem der Berufungsgewissheit, indem er sein Vertrauen in das lebendige Wirken Gottes innerhalb der römischen Kirchenhierarchie bekräftigt. Das bedeutet freilich nicht, dass Molinos die persönliche Berufungserfahrung durch die amtskirchliche Einsetzung ins Amt ersetzt sehen möchte, ja er schärft dem Anwärter ein, dass Gott generell nur sehr wenige Menschen zu geistlichen Führern auserwählt, nämlich diejenigen, „welche in der Verleugnung und Gelassenheit stehen, und die durch ein erschreckliches innerliches Gedränge, und eine leidender Weise gewirkte Reinigung zur vollkommenen Vernichtigung ihrer selbst gelanget sind“.133 Es sei also schlichtweg sehr unwahrscheinlich, von Gott zum Amt berufen zu werden – daher solle man seine eigenen Fähigkeiten und seinen Eifer für das Amt nicht überschätzen: In Stille und Gelassenheit, im „Abgrund [s]einer Unwürdigkeit und [s]einer Nichtigkeit“134 solle der Anwärter Gottes Urteil über seine Fähigkeiten und seine Berufung abwarten. Dass Gott den Priester durch die Bischofskirche beruft, entbindet jenen also nicht davon, seine Motivation zum Amt genau zu prüfen. Während sich Arnold und Molinos in der Hochschätzung der persönlich-subjektiven Berufungserfahrung als Voraussetzung der Amtsübernahme und Grundlage aller pastoralen Praxis entsprechen, liegt das Spezifikum der Pastoraltheologie Arnolds nun darin, dass dieser die Berufungserfahrung konsequent der Berufung durch die Kirche überordnet, ja letztere in berufungstheologischen Zusammenhängen überhaupt nicht thematisieren möchte. Ob und inwiefern die Kirche bei der Berufung der Geistlichen mitwirkt, spielt für Arnold – zumindest in der Erstauflage der Geistlichen 127 GW 314
(2,5,23). (2,5,23). 129 GW 314 (2,5,23). 130 GW 314 (2,5,23). 131 GW 315 (2,5,25). 132 GW 315 (2,5,24). 133 GW 316 (2,5,26). 134 GW 317 (2,5,27). 128 GW 314
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Gestalt – keine Rolle, seine Pastoraltheologie bleibt durchweg auf die subjektive Erfahrung des Amtsträgers bezogen und versteht sich als deren Reflexion.135 Der zweite quietistische Einfluss zeigt sich darin, dass Arnold in der Geistlichen Gestalt ein – wenn auch nur rudimentäres – kontemplatives Programm entfaltet, anhand dessen sich die Lehrer in die Rolle der „Rüstzeuge der Wahl und Auslesung“136 (nach Apg 9,15) einfinden und die Berufung im Sinne der Berufungserfahrung internalisieren können. Arnold nennt gleich im ersten Kapitel der Geistlichen Gestalt verschiedene Stücke der „Zubereitung“, die den Lehrer dazu anleiten sollen, „Thun und Lassen der Zucht und Regierung des H. Geistes desto ernstlicher [zu] untergeben“137 und ihn für die Inanspruchnahme durch Gott zu sensibilisieren. Diese Stücke stellen weniger aufeinander aufbauende Stufen (i. S. eines mystischen Prozesses), sondern vielmehr komplementäre Verhältnisbestimmungen hinsichtlich der Beziehung zwischen Gott und dem Lehrer dar. 1. Als erstes Mittel der „Zubereitung“ nennt Arnold die „Erkäntniß der eigenen Ohnmacht und Unwißenheit“,138 welche ganz der Theozentrik des Berufungsgeschehens entspricht: Indem der Lehrer seine eigene Unzulänglichkeit (an-)erkenne, sich also wirklich als Bedürftiger begreife, werde er herangezogen „zu desto feurigerm Kampff und Gebet vor GOtt, und dann zu begierigen, hungerigen Nehmen und in sich ziehen (so zu reden) der verheissenen Gnade und Kraft GOttes in CHristo JESU“.139 Dieses erste Mittel liegt gewissermaßen 135 In diesem Zusammenhang macht sich auch die biographische Lage Arnolds und der apologetische Zug der Geistlichen Gestalt bemerkbar: Arnolds eigener Eintritt ins Pfarramt würde von der Geistlichen Gestalt insofern gedeckt, als er schlüssig erklären könnte, warum er ein öffentliches Lehramt angenommen habe, obwohl er früher das Ideal der „Stillen im Lande“ als wesentliche Lebensform der Christen vertreten hatte. Es ist – angesichts der Hochschätzung, die Arnold ihm in seinen historischen Schriften entgegenbringt – nicht überraschend, wenn er hier Gregor von Nazianz als Vorbild nennt: „Er [d. h. Gregor, PB] habe das Vorsteheramt nicht abgeschlagen, da es ihm angetragen worden, aber auch nicht begehrt, da es ihm nicht angetragen worden. Mit der angehengten Ursache: Dieses stehe vermessenen Leuten, jenes ungehorsamen, beydes aber unerfahrnen zu“ (GG 61). Arnold zitiert hierbei aus Gregors Apologie (genauer: Gregor, Opera 1, 43). 136 GG 5. 137 GG 5. Die Lektüre der Heiligen Schrift oder der altkirchlichen Autoren solle den Lehrer dazu anleiten, sich von Gott als Werkzeug in Anspruch nehmen und sich „im tieffsten Grund der Seelen“ (GG 4) von ihm ausrüsten zu lassen. Die Heilige Schrift und die christliche Erziehung richteten sich auf den äußeren Menschen, wollten ihn aber dazu anleiten, sich „von den sinnlichen groben Dingen dieser Welt sich einwarts kehren zu dem verborgenenen GOtt, der sich in CHristo offenbaret hat, und als ein Geist auch im Geist wil gesuchet und genossen werden“ (GG 4). Arnold bekräftigt also den engen Zusammenhang von äußerlicher Hinführung und innerer Bereitung und antizipiert damit den Vorwurf der Vorordnung der „Psychologie“ vor der Schrift und dem Bekenntnis: Gott spricht den Menschen von außen an, die Ansprache realisiere sich aber im Geist (vgl. GG 3). 138 GG 58. 139 GG 58. Die Abschwächung „(so zu reden)“ ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich: Arnold möchte darauf hinweisen, dass es keinesfalls in der Kraft des Menschen steht, die Gnade zu ergreifen – dies werde vielmehr von Gott her ermöglicht.
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auf der Wahrnehmungsebene, insofern der Lehrer die Begrenztheit seiner Macht und Aktivität einsehen und akzeptieren muss, um der Berufungserfahrung teilhaftig zu werden, und berührt sich daher unmittelbar mit Arnolds Forderung, der Lehrer solle genau prüfen, ob es wirklich Gott ist, der ihn zum Amt beruft. 2. Als zweites Stück140 nennt Arnold Gottes Züchtigung und spricht damit eine moralische Ebene an, wobei er auf Grundmotive seiner früheren Sophienspekulation zurückgreift, diese jedoch der Rhetorik und Sache nach stark zurückbaut:141 Die göttliche Sophia berufe „bestimmte Gefäße von Kindesbeinen, ja von Mutterleibe an“, um sie „aus der verderbten Natur und Welt allmählich heraus zu reissen“.142 Das genaue Verhältnis zwischen dem Wirken der Weisheit und dem Wirken Gottes bzw. des Heiligen Geistes lässt Arnold in diesem Zusammenhang offen, er spricht der Sophia vor allem die Funktion einer vorausschauenden „Zuchtmutter“143 zu, die die Erwählten von der Welt absondert, vor „bösen Gesellschaften, und vor den ansteckenden Seuchen und Lüsten der Jugend“144 beschirmt und sie Gottes Gnade zuführt. Dabei kann sich Arnold auf Ps 71 und SapSal 7,27 berufen: Die Weisheit wolle die Menschen zu Freunden Gottes und zu Propheten berufen,145 Christus wiederum komme die Aufgabe zu, der Weisheit „unsträffliche Leute“ zuzuführen, die „GOTT ernstlich fürchteten, 140 Der unsträfliche Wandel stellt für Arnold das „nächste [also: zweite, PB] Stück der Zubereitung“ (GG 8) dar, womit das erste, nicht eigens nummerierte Stück offenbar die Grundbedingung der göttlichen Berufung selbst umfasst, nämlich Gottes Willen zur Berufung. 141 In seiner Schrift Das Geheimniss der göttlichen Sophia od. Weisheit, beschrieben u. besungen von Gottfried Arnold (Leipzig 1700) entfaltete Arnold – ausgehend von der Erwähnung der σοφία im Alten und Neuen Testament – eine umfangreiche und diffizile Spekulation über die Weisheit als göttliche Hypostase. In den ersten acht Kapiteln der Schrift entwickelt er die Prämissen seiner metaphysischen Weisheitslehre, wobei er auch seine (hernach berühmt-berüchtigte) Vorstellung der Androgynität der imago Dei darlegt: Die imago war ursprünglich mit der Sophia vermählt, bevor sie durch den Fall ihrer weiblichen Anteile beraubt wurde, woraufhin der Mensch der geschlechtlichen Vereinigung mit Eva anheimfiel. Im zweiten Teil, den Kapiteln 9–13, geht Arnold verschiedenen Mitteln und Wegen nach, der verloren gegangenen Sophia erneut teilhaftig zu werden, wobei er vor allem die Ehelosigkeit und sexuelle Askese vorschlägt. Im dritten Teil stellt Arnold die geistlichen Früchte jener Vereinigung dar (Kapitel 14–25), wobei er eben auch die durch die Sophia bewerkstelligte, moralische Reinigung des Menschen in den Blick nimmt, die er später in der Geistlichen Gestalt ansprechen wird: „Nunmehr befindet Sophia nach allen nöthigen züchtigungen und ersten milch=speisen die seele geschickt / auch stärckere nahrung anzunehmen / zu geniessen / und ins neue leben zu verwandeln. Denn nachdem das inwendige ohr durch so manches ankloppfen geöffnet / und zum vernehemen bequem worden / das gemüth auch darunter gebeuget / und der wille wol gebändiget ist pflegt sie ihre schätze in ein gereinigtes hertze gar willig einzulegen / auch mehr und wichtigere sache / als man gehoffet / anzuvertrauen“ (GGS 90). Vgl. hierzu den klassisch gewordenen Interpretationsansatz bei Ritschl, Geschichte des Pietismus, 316–318, den überaus instruktiven Vergleich zwischen Arnold und Böhme bei Albrecht, Sophia-Theologie Gottfried Arnolds, und den Beitrag von Vogel, Böhmerezeption, bes. 281–287. 142 GG 6. 143 GG 6. 144 GG 7. 145 Vgl. GG 8.
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ob sie schon zuweilen anfänglich im Glauben schwach waren, ehe sie ausgesandt wurden“.146 Nach Arnold ist moralische Tadellosigkeit also eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Berufungserfahrung zu erlangen.147 3. Von der Selbstdemütigung und Selbsterkenntnis des Lehrers aus befasst sich Arnold mit dem dritten Stück – „die dritte Art der Zurüstung zum Lehramt, nemlich die Erkäntniß und Erfahrung“ – und visiert damit das intellektuelle Vermögen des Lehrers an. Hier geht es um nicht weniger als die rechte Gotteserkenntnis, mithin die rechte Theologie:148 „Wer da geschickt seyn will, andere zu unterweisen, und zwar von göttlichen Dingen, der muß bey GOTT erst in die Schule gehen, und selbst lernen, was ihnen so wol vor seine Person, als auch vor andere noth und heilsam sey. Und zwar muß solches alles in einem ziemlichen Grad der Wiedergeburt bey ihm seyn, nicht aber, daß er bloß einigen Anfang der Bekehrung von sich wisse.“149
Mit dem Begriff „Schule“ zielt Arnold dezidiert auf die theologische Bildung des Lehrers ab: Seine ‚Schulung‘ gelinge ausschließlich „vermittelst göttlicher Erleuchtung“150 – Bibellektüre und Studium seien hilfreich, notwendig sei es aber vielmehr, dass „der Morgenstern und Tag selbst anbreche in den Herzen“.151 Dazu, so Arnold, müsse sich der Mensch in Stille üben, weil der „Erzhirte […] ein stilles, eingekehrtes und gesammeltes Hertz“ bei „seinem wahren Gesandten suche“.152 Dieses Schweigen erstrecke sich sowohl auf das äußerliche Schweigen als auch auf das der Affekte und Gedanken, was Arnold biblisch mit einer – freilich recht eigenwilligen – Auslegung des paulinischen Schweigegebots an die Frauen der korinthischen Gemeinde erklären möchte.153 Allein die Kontemplation – „mit Maria zu JEsu füssen“154 – sei für die Erlangung der Erleuchtung notwendig und der Lehrer müsse mit Paulus fragen lernen: „HERR! was wiltu, das ich thun sol?“155 Mit diesem dritten Stück der Selbstbereitung weist 146 GG 8.
147 Die Erfahrung der Zucht Gottes versteht Arnold zudem als notwendige Voraussetzung einer authentischen Verkündigung: Mit dem „unsträfflich[en] Wandel“ (GG 9) und dem „rein[en] Gewissen“ gehe „Erkenntnis sein selbst“ (GG 10) einher und nur durch die Selbsterkenntnis könne der Lehrer „andern erst nach warhafftiger Bekehrung und Versöhnung eben diesen Weg recht aus Erfahrung verkündigen“ (GG 9). Erst die durch die Weisheit ermöglichte Selbsterkenntnis mache den Lehrer hinsichtlich seiner Gemeinde auskunfts- und sprachfähig. 148 Vgl. GG 13. 149 GG 13. 150 GG 14. 151 GG 14. 152 GG 14. 153 Vgl. GG 14 f: „So gebühret gewißlich auch einem unerfahrnen und weibischen Mann, daß er so lange stille sey, biß er ein Mann in CHristo, und also geistliche Kinder zu zeugen und zu erziehen fähig werde.“ 154 GG 15. 155 GG 15. Mit diesem Pauluswort aus der Apostelgeschichte kritisiert Arnold den theologischen Snobismus seiner Amtskollegen: „O wie würde ein mensch, der diese Thorheit an
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Arnold darauf hin, dass es eine erfahrungsunabhängige Theologie und Gotteserkenntnis nicht geben kann: Gott kann nur durch Gott erkannt werden. Erst wenn der Mensch Gott in der passiven Haltung eines Fragenden begegne, könne sachgemäß von ihm geredet werden: „Man solte nicht ehe von GOtt reden, man hätte Ihn denn zuvor selbst erkannt und gesehen, Joh. V,37.“156 Zusammengehalten werden diese drei von Arnold genannten „Zubereitungen“ durch die Aufforderung, der Lehrer solle angesichts der Wirkungen Gottes in der Seele stets „passiue Stille und Gelassenheit“157 walten lassen: „Bey allen solchen Wirckungen GOttes aber hält sich ein göttlich Beruffener nur passiu und leidend, und siehet in allen Umständen GOTTE nach wie Ers ordne, dabey er sich bloß als ein Werckzeug einfältig brauchen läßet. Denn dabey kan man eben göttliches Willens recht gewiß seyn, wenn man Ihm nirgends zuvorläufft, oder aus Ubereilung einer scheinbaren guten Meynung in eigenes Lauffen und Wircken verfällt. Der Geist GOttes will in allen seinen Wercken nur gehorsame stillhaltende Gefäße haben / darein Er seine Gaben legen / und dadurch er sie wieder brauchen kan. Und demnach kostets der alten geschäfftigen Natur manchen Tod, ehe das selbstlauffen und Wircken unterdruckt und GOtte untergeben werde.“158
Arnold ruft also mit den ‚Zubereitungen‘ drei verschiedene Dimensionen auf, innerhalb derer die Wirkmächtigkeit des Lehrers und die Wirkmächtigkeit Gottes in Konkurrenz zueinander treten und innerhalb derer sich jeweils eine spezifische Form der Aktivität Gottes unter der Voraussetzung erfahren lässt, dass der Lehrer die schädliche Eigenaktivität seiner Seele zum Stillstand bringt. Die Mittel der Zubereitung enthalten daher nicht nur programmatische Aufforderungen zur Buße und Umkehr, sondern sind selbst rudimentäre Einstiegsmeditationen, die auf „die neue Geburt aus Gott“ als das „allerhöchste Werck“ zielen, ohne dass dem Gläubigen die Erlangung der Seligkeit, dem Pfarrer die Erfahrung der Berufung verwehrt bleibt.159 Dass der Lehrer die eigenen Seelenkräfte dämpfen, seine Ohnmacht anerkennen und sich von Gott in Anspruch nehmen lassen muss, um das Amt erfolgreich versehen zu können, sind Forderungen, die auch die Quietisten Molinos und Guyon erheben. Beide offerieren den Gläubigen im Allgemeinen und den Pfarrern im Besonderen spirituelle Wege, anhand derer die göttliche Inanspruchnahme des Menschen bewusst werden kann. Dabei teilen sie die Prämisse, dass die Geistlichen den gleichen spirituellen Prozess durchlaufen haben müssen, auf dem sie ihre Beicht- bzw. Pfarrkinder begleiten, so dass die erfolgreiche Beschreitung des inwendigen Weges (bei Molinos) oder das Erlernen des innerlichen Gebetes (bei sich merckete, alles leehre Geschwätze von göttl. Dingen erst in sich verhalten und gleichsam ersticken, biß er von GOtt wahrhafftig gelehret worden“ (ebd.). 156 GG 15. 157 GG 47. 158 GG 47. 159 Vgl. GG 27 f.
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Guyon) unhintergehbare Grundlagen ihrer pastoraltheologischen Konzeptionen bilden. So fordert Molinos zum Auftakt seines Wegweisers die konsequente innere Sammlung und Konzentration auf die Einwohnung der Gottheit in der Seele.160 Diese Einkehr kann er mit Stadt- und Festungsmetaphern beschreiben – z. B. als Zuflucht in eine Feste zur Abwehr von Feinden –,161 welche die innere Distanznahme von der Welt und den Affekten versinnbildlichen sollen. Alles hänge daran, dass sich der Mensch kontinuierlich transzendiert, indem er sich kontemplativ vor Gottes Angesicht versetzt.162 In dieser Selbstvergegenwärtigung vor Gott erfahre der Mensch seine Unzulänglichkeit und würde lernen, das Wirken Gottes in sich wahrzunehmen.163 Gottes vornehmliches und wirkungsvollstes Mittel, um den Menschen in diesen Prozess zu involvieren, sei die „Dürre“, in der die „Seele nicht mehr Acht giebet, noch siehet auf das, was sie thut“.164 Bei der Dürre handelt es sich um eine die Gottesbeziehung und die Existenz erschütternde Anfechtungserfahrung, in der die Seele lerne, (1) im Gebet zu verharren, (2) sich in Ekel von der Welt zurückzuziehen, (3) viele Gebrechen wahrzunehmen, die sie vorher nicht gesehen habe, (4) das Böse zu unterlassen, (5) sich in innerliche Betrübnis, (6) die Begierde zum Leid und zur Bewährung, (7) die Tugendhaftigkeit, (8) eine gründliche Selbsterkenntnis und (9) die Lust zur Demut einzuüben,165 160 Vgl.
GW 173–175 (1,1,1): „Du sollt wissen / daß deine Seele der Mittel=Punct, die Wohnung, und das Reich GOttes sey. […] Darum, so du willst, daß der höchste König auf dem Thron deiner Seele sich niederlassen soll / so must du sie rein, stille, ledig und friedlich erhalten; rein von Sünden und Gebrechen, stille und frey für Furcht, ledig von Begierden und Gedanken, und friedlich in Anfechtung und Drangsal.“ 161 Vgl. GW 176 (1,1,3). 162 Vgl. GW 181 (1,2,8): „Ich habe [….] vierzig Jahre lang dem Lesen und dem Gebet obgelegen: Aber ich habe keinen kürzeren noch sicherern Weg gefunden / die geheime Gottes= Gelehrtheit zu erlangen / als daß wir unsere Seele / wie ein Kind / oder wie einen Elenden / der sonst keine Hülffe hat / für GOtt darstellen.“ 163 Vgl. GW 186 (1,2,16): „Leide / schweige, stelle dich in GOttes Gegenwart, halt beständig an, verlaß dich auf seine göttliche Güte, welche dir einen unwankelbaren Glauben, eine wahre Erleuchtung, und himmlische Gnade mittheilen wird. Wandele gleichsam mit geschlossenen Augen, ohne Gedanken und Nachsinnen, befiehl dich seinen Väterlichen und liebreichen Händen, und begehre nichts zu thun, als was sein heiliger Wille von dir erfordert.“ Gebet und Selbstvergegenwärtigung sollen nach Möglichkeit unanschaulich seien, auch wenn Molinos für die Ungeübten vorübergehend externe Anschauungsgegenstände zulässt. Guyon schlägt als externes Mittel, welches den Einstieg in das Gebet erleichtern soll, das betrachtete Lesen vor, das ganz darauf abziele, dass der Beter sich „durch die Wirckung des lebendigen Glaubens in die Gegenwart GOttes gestellet hat“ (EVT 61). Man solle „etwas wesentliches Lesen / und sich stille dabey auffhalten / nicht mit Vernünffteley / sondern nur das Gemüthe stille zu halten / und zu bemerken / daß die Vornehmste Ubung seyn soll die Gegenwart GOttes / und durch die vorhabende Materie vielmehr das Gemüth zu stillen / als es in Vernunfft=Schlüssen zu üben“ (EVT 61 f). Die Lektüre dürfe also nicht um ihrer selbst willen erfolgen, sondern solle der Seele – abgeschirmt von den eigenen Vernunftschlüssen und ganz auf das Ziel hin orientiert – allein zur Vergegenwärtigung vor Gott verhelfen. 164 GW 197 (1,4,29). 165 Vgl. hierzu GW 198–200 (1,4,31).
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kurzum: die Angewiesenheit auf Gott zu internalisieren.166 Auch Madame Guyon schwebt ein mehrstufiger Prozess der kontemplativen Selbstvergegenwärtigung vor Gott vor, den sie entlang des Gebetsbegriffs entfaltet: Jedes (rechte) Gebet sei im Allgemeinen nichts anderes als eine Bewegung der Seele zu Gott hin. In dieser beschreibungssprachlich kondensierten Form grenzt Guyon den Gebetsbegriff freilich nirgendwo in ihrem Traktat ein, vielmehr bespiegelt sie ihn aus unterschiedlichen Perspektiven, reichert ihn metaphorisch an oder konnotiert ihn immer wieder neu. Das Kurtze und sehr leichte Mittel zu beten liest sich wie eine allmähliche, meditative Erschließung der Vollzugsformen, Potentiale, Gefährdungen und Wirkungen des Betens. Auf diesem Weg thematisiert auch Guyon das Problem der Unstetigkeit der Gottesbeziehung: Nur die völlige Unterwerfung unter den Willen Gottes würde den Eigenwillen bezwingen und einzig auf diese Weise würde die Seele lernen, die „Abweisungen GOTTes“167 zu ertragen. Die Dürre – sie meint wie bei Molinos die vorübergehende, aber immer absichtsvolle Abkehr Gottes vom Menschen – dürfe nicht als Ausdruck des Unwillens Gottes, sondern müsse vielmehr als Ansporn für die Seele verstanden werden, sich Gott ganz hinzugeben: „[…] also verbirgt er sich offt / sie [die Seele, PB] in ihrer Trägheit zu ermuntern / und sie zu nöthigen / daß sie ihn mit Liebe und Treue suche“.168 Diese Erwartungshaltung hinsichtlich des unsteten Gottesverhältnisses bringt Guyon auf die Begriffe „Verlaß= und Ubergebung“169: Die „Übergebung“ bzw. „Ergebung“ bestehe darin, „daß alles was uns von Augenblick zu 166 Vgl. GW 200 (1,4,31): „Endlich, so viel Sünden du unterlassen hast, von der Zeit, daß du dich zu dieser heiligen Ubung begeben, so viel Zeichen hast du, daß GOtt in deiner Seele würcke, ob du schon, so lange solcher trockene und mühselige Zustand währet, es nicht weist; welches du aber zu seiner Zeit wol erkennen und erfahren wirst.“ Die „Dürre“ erscheint damit als notwendige, zugleich aber auch als gefährlichste Etappe auf dem Weg der Einkehr, die der geistliche Führer bei seinen Beichtkindern antizipieren muss. Die Bilder, auf die Molinos in diesem Zusammenhang zurückgreift, sind teilweise äußerst drastisch: „Du wirst dich von allen Creaturen verlassen sehen, ja auch von denen, von welchen du am meisten Hülffe und Beystand hoffetest, und die deinem Bedünken nach billig Mitleiden mit deinem Elende haben sollten. Die Quellen, welche gleichsam deine Seelen=Kräffte befeuchten und fruchtbar machen, werden wie ein Regen=Wasser im Sommer vertrocknen / so daß du nicht mehr der Betrachtung wirst obliegen, noch auch einen guten Gedanken haben können. Der Himmel wird dich bedünken ehren zu seyn, und wird dir sein Licht nicht mehr geben; So wird auch die Erinnerung der himmlischen Strahlen, welche vormahls deine Seele erleuchtet haben, in dieser deiner Finsterniß dir nicht tröstlich seyn“ (GW 214 [1,8,48]). Indem Molinos das Leiden der Seele in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Leidensgeschichte Christi setzt (vgl. GW 220 [1,9,57]), fordert er vom Gläubigen Gehorsam gegenüber Gott und Unempfindlichkeit gegenüber den Anfechtungen ein – die Anerkennung der göttlichen Herkunft der Dürre als Reinigungsinstrument müsse dazu führen, dass die Seele Freiheit und Distanz gegenüber der Welt erlange und wahre: „Das einige Mittel wider die Anfechtungen und wider die bösen und gottlosen Gedanken, ist, dieselben verachten, und thun, als sehe man sie nicht; sintemahl nichts ist / das dem hoffärtigen Teuffel mehr verdriesse, als wenn er siehet, daß man seiner, und dessen, was er der Phantasie oder Einbildungs=Krafft eingiebet und vorstellet, nichts achtet“ (GW 223 [1,10,61]). 167 EVT 75. 168 EVT 76. 169 EVT 78.
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Augenblick widerfähret / GOttes Ordnung und Wille auch eben das sey / was uns nöthig ist“.170 Mit den Begriffen „Gelassenheit“ oder „Verlassung“ spezifiziert Guyon die Haltung der Ergebung hinsichtlich der innerweltlichen Gefährdung des Lebens, versteht also darunter „eine Beraubung alles Sorgens unser selbst / uns GOttes Führung gäntzlich zu überlassen“.171 Gelassenheit und Ergebung setzen den Menschen also in Freiheit: „Das Hertz bleibet durch die Mittel allezeit frey / zu frieden und entbunden.“172 In seiner vollendeten Form versteht Guyon das Gebet als Selbstvernichtung und völlige Unterordnung unter die Regentschaft Gottes, was sie in den Bahnen alttestamentlicher Opfermetaphorik ausdrücken möchte: „Das Gebeth soll zugleich Gebeth und Opffer seyn“,173 es sei „nichts anders / dann eine Hitze der Liebe / welche die Seele schmeltzet / aufflöset / subtil und auffsteigend zu Gott machet; nach der Maaße / als sie zerfliesset / giebet sie ihren Geruch / und dieser Geruch kömmt von der Liebe / so sie brennet“.174 Der Verlust der eigenen seelischen Integrität wird also durch die Präsenz Gottes kompensiert, er tritt ganz und gar an die Stelle der Seele, um im und durch den Menschen hindurch zu wirken.175 Die Parallelen zwischen Arnold, Guyon und Molinos sind auch hier deutlich erkennbar: Arnold versteht die Berufungserfahrung des Lehrers als eine perpetuierende, kontemplative Selbstvergegenwärtigung vor Gott, die jedoch nicht 170 EVT 78. 171 EVT 79.
172 EVT 80. Beides sind also dezidierte Abgrenzungsbegriffe, anhand derer Guyon eine Haltung kennzeichnet, mit der der Mensch den Widrigkeiten der Gottesbeziehung entgegentreten muss, um die Möglichkeit der Erfahrung Gottes offen zu halten: Den „eigenen Willen in dem Willen GOttes zu verliehren“ (EVT 80) beschirmt die Seele vor den „Neigungen“ (EVT 80), d. h. der Affizierung durch die Außenwelt. Guyon kann die Gelassenheit auch in zeitlichen Kategorien erfassen: Sie bedeute nichts anderes als das entschiedene Ausblenden von Vergangenheit und Zukunft und die Aufmerksamkeit für die Gegenwart als Gegenwart Gottes, vgl. EVT 81: „In allen Dingen / sie betreffen den Leib oder die Seele / sie seyn zeitlich oder ewig / gleich gesinnet seyn: das Vergangene in die Vergeßenheit / und das Zukünfftige in die Vorsehung GOttes gestellet seyn lassen / und das Gegenwärtige GOtt geben / uns befriedigen mit den würcklichen Augenblick / welches uns die Ordnung GOttes mit sich bringet / und welche uns eine so viel unbetrieglichere Eröffnung des Willens GOttes ist […].“ 173 EVT 124. 174 EVT 125. 175 Vgl. EVT 126 f: „Diese Seele steiget solcher Weise zu ihren GOtt; aber für solches muß sie sich zerstören und zernichten lassen durch die Gewalt der Liebe. Dieses ist ein Stand wesendlichen Opffers des Christlichen Gottesdiensts / durch welches die Seele sich zerstören und zernichten lässet / der Hoheit GOttes alle Ehre zu geben / wie geschrieben stehet: GOtt allein ist groß / und wird nur von den Demüthigen geehret. Eccles. 3/2. Und die Zerbrechung unsers Wesens bekennet das höchste Wesen GOttes. Man muß auffhören zu seyn / auff daß der Geist des Wortes in uns sey; damit er aber allda komme / so muß man ihm unser Leben überlassen / und sich absterben / auff daß er selbst in uns lebe.“ Dabei vergleicht Guyon die Vereinigung des Menschen mit der Eucharistie: Das Abendmahl müsse als „Bild des Mystischen Standes“ verstanden werden, insofern, wie durch die Transsubstantiation das Wesen des Brotes durch das des Leibes Christi ersetzt werde (EVT 127), auch die Gläubigen dem Leib Christi Platz machen und sich ihm gänzlich überlassen müssen (vgl. EVT 129).
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unangefochten, zweifels- und störungsfrei vorliegt, sondern immer gefährdet und durch Zeiten der Abkehr und der Zucht Gottes auf die Probe gestellt wird. Auch wenn hie und da von der Wieder- oder der „neuen Geburt“ die Rede ist, geht Arnold weit über die wiedergeburtsmetaphorisch konnotierten Überlegungen der Erklärung hinaus, insofern er die Konstituierung der geistlichen Gestalt des Lehrers als einen kontinuierlichen Prozess der mystischen Selbstvergewisserung auffasst, welcher die Inanspruchnahme durch Gott immer wieder neu ermöglicht. Indem Arnold auf quietistisches Gedankengut zurückgreift und den mystischen Weg der Selbstbereitung adaptiert, kann er die vocatio als Berufungserfahrung ausweisen, die sich nur unter der Voraussetzung einstellt, dass die Seelenkräfte des Pfarrers und seine Eigenaktivität zum Erliegen kommen. Der Lehrer muss sich in schierer Anfechtung, d. h. in einer aufrichtigen Bedürftigkeit hinsichtlich des göttlichen Wirkens und einer hoffnungsvollen Erwartung hinsichtlich der göttlichen Inanspruchnahme wiederfinden – in quietistischer Sprache: in der Dürre –, um der Berufungserfahrung teilhaftig zu werden. Der wesentliche Unterschied zwischen Arnold und seinen quietistischen Vorbildern liegt freilich in der Darstellungsweise: Der introspektive Zugang, den Arnold anhand der verschiedenen „Zubereitungen“ entwickelt, fällt im Vergleich zu Molinos und Guyon viel weniger formalisiert aus. Ihren spekulativen Weg möchte Arnold in der Geistlichen Gestalt nicht in seiner ganzen Komplexität ausschöpfen und nachzeichnen, sondern vielmehr auf wenige Erfahrungsdimensionen herunterbrechen und dadurch ein Stück weit gangbarer machen: Er entfaltet kein ausführliches, spekulatives Stufenprogramm, sondern verdichtet das quietistische Konzept schlagwortartig und oszilliert, wenn er von der Passivität des Lehrers hinsichtlich des Wirkens Gottes in seiner Seele spricht, zwischen mystischer Bilder- und theologischer Metasprache, so dass die metaphorischen Sprachformen immer wieder argumentativ gebunden werden. Mit anderen Worten: Arnold spitzt Guyons und Molinos’ geistliches Programm dezidiert auf das Predigeramt zu, ohne jedoch selbst ein solches Programm en detail entwerfen zu wollen. Wie sie fordert er Passivität und Stille, ohne jedoch eine ausgefeilte mystische Methode zu entwickeln, anhand derer beides zu erlangen wäre. Arnold wirbt also für einen quietistisch grundierten, erfahrungsfokussierten pastoraltheologischen Ansatz, verweist ja auch explizit auf seine quietistischen Vorbilder – sei es auf Molinos im Berufungskapitel, sei es auf Guyon im der Geistlichen Gestalt angehängten Traktat –, repristiniert sie jedoch nicht allzu offensiv. Arnolds – zweifelsohne durch seine besondere biographische Situation veranlasste – Vorsicht zeigt sich nicht nur in seiner Zurückhaltung, die quietistischen Prämissen seiner Berufungstheologie allzu stark zu konturieren, sondern auch darin, dass er sein Verhältnis zur lutherischen Amtstheologie weitestgehend in der Schwebe lassen möchte. Erst ganz am Schluss seines Kapitels über die göttliche Berufung des Lehrers sieht er sich zu einer kritischen Abgrenzung genötigt, jedoch nicht gegenüber der lutherischen Berufungstheologie als solcher, sondern
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vielmehr gegenüber der Ordinationspraxis seiner Zeit. Arnolds eigenes Ordinationsverständnis lässt sich einigermaßen schnell skizzieren, weil es dem einschlägigen Verfallsschema folgt. Arnold selbst rekonstruiert den ursprünglichen Sinn der Ordination aus dem Urchristentum: Wie zuvor im Judentum176 hätten die Apostel – bloß zum Zeichen und als Bestätigung der göttlichen Berufung – den Beauftragten die Hand aufgelegt. Die Papstkirche habe diesen Brauch zu einem Sakrament ex opere operato pervertiert, die Protestanten hätten sich anfänglich gegen diesen Aberglauben abgegrenzt, ihn jedoch letztlich übernommen. Arnold möchte die Ordination konsequent als Adiaphoron verstanden wissen und stellt sie daher dem freien christlichen Gebrauch anheim: „Nun mag zwar ein ieder Christ aus Bescheidenheit und Liebe zum Frieden sich solchen Ceremonien unterwerffen / zumal wo die Worte und Gebete bey denen gewöhnlichen Ordinationen mit Krafft und Ernst geschehen. Indessen gehen dennoch nichts desto weniger auch in unserer Lutherischen Kirche die Lehr-Sätze dahin / daß die Sache an sich selbst nicht absolut nöthig sei.“177
Nun sichert Arnold diese Position mit einer auffällig langen Kette von Zitaten, betreffend das Wesen und die Kraft der Ordination, ab: Confessio Augustana, deren Apologie und verschiedene orthodoxe Theologen wie Johannes Müller, Abraham Calov, Johann Hülsemann oder Johann Benedict Carpzov würden unisono den gewichtigen Unterschied zwischen göttlicher vocatio und kirchlicher Ordination unterstreichen.178 Arnolds Kritik wirkt also auf den ersten Blick maßvoll und konziliant. Wird die Perspektive auf die lutherische Berufungs- und Amtstheologie jedoch nur etwas geweitet, zeigt sich, dass Arnolds Missbilligung am Ordinationswesen die Kritik am lutherischen Amtsverständnis als solchem notwendigerweise miteinschließt, insofern die Ordination die mittelbare Berufung der Pfarrer durch die Kirche versinnbildlichen und den Ordinierten wie auch die Gemeinde dieser mittelbaren Berufung versichern soll. So mag es kaum überraschen, dass in Arnolds Liste orthodoxer Gewährsleute Johann Gerhard säumig ist, der im 23. Locus De Ministerio Ecclesiastico die verschiedenen Valenzen und biblisch-theologischen Grundlagen des 14. Artikels der Confessio Augustana wie auch die dogmatischen Hintergründe des Ordinationswesens des 16. Jahrhunderts so umfassend und nachhaltig ausgeleuchtet hat wie kaum sonst ein lutherischer Theologe seiner Zeit und seines Rangs.179 Arnolds durch den Quietismus beeinflusste Berufungstheologie ist mit zentralen Argumentationen und begrifflichen Grundunterscheidungen Gerhards unvereinbar, ja Gerhard weist jedes enthusiastische, mystische oder egalitäre Amtsverständnis als wiedertäuferische, photianische oder weigelianische Irrlehre zurück. Gerade im Spiegel der von ihm so 176 Vgl.
GG 65. GG 62 f. 178 Vgl. GG 64. 179 Vgl. Nüssel, Amt und Ordination, 153–158 und Nawar, Ordinationsliturgie und Amtsverständnis, 526–581. 177
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geflissentlich übergangenen Amtstheologie Gerhards wird deutlich, wie weit sich Arnold mit seinem Berufungsbegriff von der lutherischen Kirche entfernt und wie scharf seine Kritik am Ordinationswesen eigentlich gelesen werden muss. Zwar sieht auch Gerhard im Begriff der „vocatio“, welchem immer ein passives Moment inhärent ist – der Pfarrer wird berufen –, eine wichtige theologische Prämisse der protestantischen Amtstheologie ausgedrückt: Es sei unerheblich, ob man von Erwählung, Berufung oder Sendung zum Amt sprechen wolle,180 immer sei Gott der Berufende.181 In Abgrenzung zur römischen Kirche, die der lutherischen eine unordentliche Berufungspraxis vorwerfe,182 und zu den Spiritualisten, die eine äußerliche Berufung der Amtsträger ablehnen,183 unterscheidet Gerhard 180 Er unterscheidet verschiedene Begriffe, mit denen in der Bibel die vocatio ministrorum – „aus der übrigen Masse der Menschen“ (Gerhard, De ministerio, 33 [51]: „ex reliqua hominum multitudine“) – bezeichnet wird: Die vocatio (nach Hebr 5,4; Jes,1; Gal 1,15, vor allem aber Röm 1,1, wo Paulus sich als „vocatus apostolus“ bezeichne, vgl. a. a. O. 33 [51]) stehe neben der missio (am besten als „Sendung“ zu übersetzen, u. a. nach Jer 23,21), aber auch neben der electio (als „Wahl“, aber auch als „Erwählung“ zu übersetzen, u. a. nach 1 Chr 23,13; Lk 6,13; Joh 6,70; Apg 1,2.24, vgl. a. a. O. 33 f [51]). Insbesondere hinsichtlich der electio, die doppelt – heilsgeschichtlich und amtstheologisch – konnotiert ist, markiert Gerhard eine wegweisende Unterscheidung: „Von dieser Erwählung zu einem kirchlichen Dienst [electione ad functionem ecclesiasticam] ist sorgsam die Erwählung zum ewigen Leben zu unterscheiden [Gerhard führt nun entsprechende Schriftstellen an: Joh 13,18; Eph 1,4; 2 Thess 2,13]: Jene ist nämlich zeitlich, diese ist ewig [Gerhard gibt nun in einer Anmerkung zu bedenken, dass auch die Erwählung zum Amt auf einem ewigen Ratschluss Gottes beruhe. Im Folgenden dreht sich die Gegenüberstellung um, so dass „illa“ die ewige, „haec“ die zeitliche Erwählung bezeichnet]; jene wird natürlich allen Gläubigen fortwährend zuteil, diese vielleicht dann und wann auch den Heuchlern; jene gehört allen, die errettet werden sollen, diese bestimmten Personen [certarum personarum]; jene ist immer unmittelbar [immediata], diese über kurz oder lang tatsächlich mittelbar [mediata]“ (a. a. O. 34 [51]). Die electio ad ministerium umfasst damit keinen soteriologischen Statuswechsel und begründet keinen priesterlichen Exklusivismus. Ebenso problematisiert Gerhard Bellarmins Auffassung, dass zwischen der Erwählung (electio) i. S. einer öffentlichen Designation und der Berufung (vocatio) i. S. eines Handlungsvollzugs, d. h. der Weihe des Priesters, zu differenzieren sei. Der biblische Text unterscheide nicht trennscharf zwischen beidem, vielmehr müsse man sagen, dass, „wer rechtmäßig zum Amt gewählt wird, auch berufen ist, und wer berufen wird, auch gewählt ist“ (a. a. O. [52]: „Quicunque enim ad ministerium legitime eligitur, is etiam vocatus, et quicunque vocatur, is etiam eligitur, unde Scriptura indifferenter hisce appellationibus in hoc negotio utitur.“). 181 Vgl. a. a. O. 34 (53). Gerhard möchte daher keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass „jenes Werk der göttlichen Gnade“ – die Berufung – auf einen Ratschluss des Heiligen Geistes zurückgeführt werden kann (vgl. a. a. O. 34 [53]) und dass Gott sich darin wirksam (efficax) erweise, dass er aus Unberufenen Berufene mache, also aus Möglichem Wirkliches schaffe (vgl. a. a. O. 34 [54]). Aus diesem göttlichen Ratschluss, wie er sich in der Bibel an diversen Stellen nachweisen lasse (Gerhard bezieht sich auf Jes 49,1; 1 Kor 7,20; Röm 4,17; Mt 5,9; 1 Pet 2,9), würde nun die Confessio Augustana folgerichtig das nisi rite vocatus ableiten, das Gerhard selber folgendermaßen verstanden wissen möchte: „Diese Berufung zum Dienst ist gänzlich notwendig [omnino necessaria] für jene, die gemäß dem Willen Gottes mit gutem Gewissen und Frucht bei den Hörern ein Amt zu versehen wünschen […]“ (a. a. O. 34 [54]). 182 Vgl. ebd.: Die Berufung in der lutherischen Kirche sei „confuse et sine ordine“. 183 Die Wiedertäufer würden „ohne die Berufung von Kirchendienern […] allen das Lehramt erlauben, wobei sie aus eben diesem Grund eine barbarische Unordnung [barabaricam quandam ἀταξίαν] in die Kirche hineingetragen hätten“ (a. a. O. 35 [54]). Von den Wiedertäu-
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jedoch eine unmittelbare bzw. außerordentliche Berufung (vocatio immediata sive extraordinaria) von einer mittelbaren bzw. ordentlichen Berufung (vocatio mediata sive ordinaria) und führt damit eine Differenz ein, von der sich Arnold zwar nicht in der leiser tretenden Geistlichen Gestalt, wohl aber in der kurz zuvor veröffentlichten Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie entschieden distanziert hat, als er die unmittelbare Belehrung durch Gott als Ausweis des wahren Theologen behaupten wollte und dabei – bemerkenswerterweise – erneut auf Gregor von Nazianz als Idealbild des Lehrers zu sprechen kam: „Dahero unter andern Gregroius Nazianzenus diesen Titul unter den Griechen behalten hat / gleichwie sie sonst insgemein alle Propheten / Apostel und Männer Gottes also benenneten / als unmittelbahr [!] von GOtt gelehrte und lehrende Zeugen / und die H. Schrifft selbst die Theologie oder Gotteslehre hiessen.“184
Gerhard trifft die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Berufung angesichts einer überwältigenden Anzahl von biblischen Berichten über unmittelbare Berufungserfahrungen, die notwendigerweise fragen lassen, ob fern hebt Gerhard noch einmal die Photianer ab, die gänzlich „bestreiten, dass es eine göttliche Sendung zum Kirchenamt brauche […]“ (a. a. O. 35 [54]). Demgegenüber bekräftigt Gerhard die Notwendigkeit der vocatio aus mehreren Gründen: Erstens belegen diverse Schriftzeugnisse, dass Gott bestimmte Personen in seiner Kirche mit einer herausragenden Autorität und Legitimation ausstatten und darin von den anderen unterscheiden wolle; zweitens seien die Patriarchen, Propheten, Jünger, Apostel, Johannes der Täufer und Christus selbst allesamt von Gott berufen worden; drittens ließen sich „in der Schrift begründete Vernunftschlüsse“ (die zentralen, ausführlich besprochenen Schriftstellen sind hier: Jer 23,21; Jer 27,9.14.15; Joh 3,27; Röm 10,15; Hebr 5,4) geltend machen, welche sich wiederum auf die drei wesentlichen Konstituenten der Berufung – Gott, Hörer und Prediger – beziehen: „Wegen Gott. […] Er möchte nicht unmittelbar an uns handeln oder uns die Gelehrten unmittelbar schicken [immediate nobiscum agere ac nec doctores immediate mittere], sondern die Gelehrten durch eine rechtmäßige und ordentliche Berufung seiner Kirche beauftragen. Wer auch immer diese [Berufung] verachtet, widersetzt sich der göttlichen Anordnung [divinae ordinationi]. Wegen der Hörer, damit sie sich bezüglich der rechtmäßigen Berufung der Diener sicher sein können, dass Gott diese rechtmäßig berufenen Personen zum Werk der Bekehrung und Rettung der Menschen gebrauchen will. […] Wegen des Dieners selber, damit er aus der Berufung heraus sicher sein kann, dass Gott seiner Mühe im Amt bedarf, von daher festes Vertrauen [firmam fiduciam] fasst, dass Gott durch seinen Dienst wirksam zur Bekehrung und zum Heil der Hörer ist, und dass er ohne dieses Vertrauen nicht um den Erfolg des Amtes und das Heil der Hörer bitten noch sich im so großen Hass und in den Gefahren der Welt mit festem Trost aufrichten kann – deswegen sind Berufung und Bewahrung im Amt eng verbunden“ (a. a. O. 40 f [63]). 184 HBMT 3. Die pastoraltheologische Relevanz dieser Passage aus dem Auftaktkapitel der Historie und beschreibung zeigt sich nicht nur daran, dass Arnold explizit auf Gregor zu sprechen kommt, sondern auch daran, dass er im hiesigen Zusammenhang die göttliche Legitimation der Scheintheologen – auf Katheder oder Kanzel – bestreitet und die Fertigkeit und das Recht zur Theologie dem ganzen Kirchenvolk zuspricht (vgl. HBMT 5). Dass Arnold hier explizit die orthodoxe Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Berufung anvisiert, wird an der lateinischen Ausgabe der Historie und beschreibung noch deutlicher, in der die oben zitierte Passage folgendermaßen lautet (HDTM 3): „Hinc inter alios Gregorius Nazianzenus hoc Nomen apud Graecos retinuit, qui alias in genere omnes Prophetas Apostolos & homines divinos sic nominabant, ceu immediate [!] a Deo doctos & Deum docentes testes, imo ipsam Scripturam Theologiam vel Doctrinam Dei habebant.“
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eine solche unmittelbare Berufung i. S. eines Berufungserlebnisses nicht zwingend nötig für die Bekleidung eines kirchlichen Amtes sei,185 denn zwischen der vocatio mediata und immediata bestünden laut dem Zeugnis der Schrift gravierende Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der Autorität und der Fähigkeiten der Berufenen: 1. Die mittelbar Berufenen seien von Menschen, die unmittelbar Berufenen von Gott berufen. 2. Die unmittelbar Berufenen verfügen, wenn auch nicht kontinuierlich, über das Privileg der Irrtumslosigkeit („privilegium non errandi“). 3. Die unmittelbar Berufenen verfügen über die Fähigkeit der Wundertätigkeit („privilegium ac potestatem ebendorum miraculorum“). 4. Die unmittelbar Berufenen haben die Macht, überall zu lehren und zu predigen („potestatem ubivis docendi ac praedicandi“). 5. Die unmittelbar Berufenen dürfen sich in weltlich-politische Angelegenheiten einmischen, was den mittelbar Berufenen verwehrt sei. 6. Die unmittelbar Berufenen werden „per ipsum Deum“, die mittelbar Berufenen „per ordinaria media divinitus ad hoc constituta“ berufen.186
Dass sich die Frage, ob „auch heute noch eine unmittelbare Berufung Gottes zu erwarten sei“, ohne weiteres gegen die lutherische Amtstheologie ins Feld führen ließe, sieht Gerhard dann auch namentlich bei Valentin Weigel und seinen Anhängern heraufziehen, welche die göttliche Berufung und die Geistbegabung in ein unmittelbares Verhältnis zueinander gesetzt und den (mittelbar) durch die Kirche Berufenen ihre Geistbegabung abgesprochen haben.187 Gerhard räumt nun ein, dass Gott zu jeder Zeit „aus seinem freien Willensentschluss und seiner unbegrenzten Macht“ seine Diener – wie damals die Apostel oder Propheten – unmittelbar berufen könne, doch tue er es aus zwei gewichtigen Gründen nicht: Erstens seien ausweislich des Neuen Testaments (Gerhard verweist auf Eph 4,11) die Apostel, Propheten und Evangelisten von den Doktoren und Pastoren zu unterscheiden: Erstere seien auf außerordentliche, letztere auf mittelbare Weise berufen, erstere in der Anfangszeit der Kirche, letztere „temporibus scilicet subsequentibus“, so dass Gerhard resümieren kann: „Wenn nun in der Zeit der Apostel eine unmittelbare Berufung nicht auf sich hätte warten lassen müssen, hätten 185 Gerhard grenzt sich auch von einer dritten Form der Berufung, der vocatio mixta ab, bei der – etwa wie bei der Berufung Aarons durch Mose – „Gott selbst eine besondere Person benennt, aber möchte, dass diese durch andere Vermittler berufen wird“ (Gerhard, De ministerio, 48 [76]). Gerhard meint, diese vocatio mixta würde lediglich auf die unmittelbare Berufung verweisen, insofern es ja immer noch Gott selbst sei, der die Person auswählt und diese Entscheidung an einen Mittelsmann delegiert. Sie sei jedoch immer noch unmittelbar zu nennen, weil sie menschliche Autoritäten nicht anerkennt und dezidiert umgeht. 186 Zitate aus a. a. O. 49 f [78]. 187 Gerhard greift auf verschiedene Zitate Weigels zurück (vgl. a. a. O. 52 [82]). Die prägnantesten lauten: „Die von Menschen ausgewählt und berufen sind, bringen nicht den Heiligen Geist mit sich; ihre Predigt und Absolution kommen aus dem Nichts, sie reden und legen Zeugnis ab wie ein Blinder von den Farben, sie predigen menschliche Lehrsätze, nicht den gekreuzigten Christus.“ Das andere Zitat lautet: „Du bist ein Doktor, aber nicht vom Geist selbst promoviert, sondern von den Akademien, wo kein Geist gefunden, du bist nicht von Gott berufen und gesandt, sondern von Menschen ordiniert, ausgewählt, eingesetzt, und deswegen kannst du die geistlichen Dinge nicht lehren.“
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die Apostel wohl erwartet, dass andere unmittelbar berufen würden, bevor sie sich zur mittelbaren Berufung herabgelassen hätten.“188 Zweitens meint Gerhard, dass eine unmittelbare Berufung nicht mehr nötig sei, weil Gott der Kirche den Wert und die Würde der mittelbaren Berufung zugesichert habe.189 Und so kann er Weigel entgegenhalten: „Daraus kann man schließen, dass die, die die unmittelbare Berufung in Ehren halten und [damit] die göttlichen Offenbarungen zurückweisen, indem sie eine neue, von der Lehre Christi und der Apostel abweichende Lehre auftun, auf keinen Fall anzuhören, auch nicht für rechtmäßig Berufene zu halten sind, selbst wenn sie sich anschicken, mit Wundern ihre Berufung zu bekräftigen.“190
Hat Gerhard damit die bleibende Bedeutung der unmittelbaren Berufung in Frage gestellt, möchte er auch beweisen, dass die mittelbare Berufung „nicht weniger göttlich sei als die unmittelbare“, und zeigen, „was die ordentlichen Mittel sind, derer sich Gott bei der mittelbaren Berufung bedienen will“.191 Gerhard argumentiert auch hier ausgehend vom biblischen Befund: Die „rechtmäßige mittelbare Berufung der Lehrer der Kirche“ sei auf „Gott als Urheber“ zurückzuführen (in Analogie zu den nur indirekt berufenen Leviten am Tempel), stütze sich auf apostolische Autorität (die Apostel hätten ebenfalls ihnen nachgeordnete Amtsträger berufen) und bezeuge die göttlichen Heilsversprechen genauso kraftvoll wie die unmittelbare (was z. B. am nur mittelbar berufenen Timotheus deutlich werde, der trotzdem ein „efficax organum salutis“ gewesen sei).192 Aus der Tatsache, dass die mittelbare Berufung nicht minder göttlichen Ursprungs sei als die unmittelbare, folgert Gerhard, dass „die Verheißungen bezüglich der Frucht und des Erfolgs des Amtes, über den Schutz in Gefahren, über die Wiedergutmachung der Mühen etc., die von Gott auf seine Weise für die unmittelbar Berufenen getroffen wurden, auch für diejenigen fort gilt, die mittelbar von Gott berufen wurden“.193
Das höchste Recht (ius summum) zur Berufung der Lehrer habe Gott eben nicht an die Engel oder andere Gewalten delegieren wollen, einzig der Kirche in ihrer Gesamtheit seien die Schlüssel zum Himmelreich, d. h. die Verwaltung der Sakramente und die Wortverkündigung, übergeben worden.194 Die Kirche in der 188
A. a. O. 52 (82). ebd.: „Gott überlieferte nämlich durch die Apostel eine sichere Form und schrieb sie der Kirche vor, der gemäß er wollte, dass die Diener der Kirche zu berufen und einzusetzen sind (1 Tim 3, Tit 1), versprach durch die mittelbare Berufung die Bewahrung des Amtes bis zum Ende der Welt (Mt 28,19; 1 Kor 11,26) und band seine Kirche fest an die Lehre, die durch den Sohn offenbart und durch die unmittelbar berufenen Apostel auf dem ganzen Erdkreis ausgebreitet wurde (Gal 1,8; Apk 22,18).“ 190 Ebd. 191 A. a. O. 52 (83). 192 Vgl. a. a. O. 53 (83). 193 A. a. O. 53 (84). 194 Vgl. a. a. O. 54 (85): „Zur Kirche gehört also das delegierte Recht [jus delegatum; d. h. 189 Vgl.
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Gesamtheit ihrer drei Stände – Prediger, Magistrat und Volk – wirke bei der Berufung ihrer Amtsträger mit, wobei keiner der Stände übergangen werden dürfe und sich alle drei im Zuge des Berufungsverfahrens gegenseitig kontrollieren und beraten müssten, etwa um zu verhindern, dass ungeeignete Personen berufen werden, weil sie z. B. keinen guten Leumund haben oder strafrechtlich verfolgt würden.195 Gerhards diffizile Unterscheidungen des Berufungsbegriffs erweisen sich für das ganze 17. Jahrhundert als überaus wirkmächtig. Noch Johann Ludwig Hartmann greift in seiner Pastoraltheologie Pastorale Evangelicum, Seu Instructio Plenior Ministrorum Verbi (1678) vorbehaltlos auf sie zurück und macht sich auch Gerhards Abgrenzung gegenüber der schwärmerischen Berufungsskepsis unkritisch zu eigen.196 Ihren sinnfälligen, öffentlichen Ausdruck findet die von Gerhard erschlossene, mittelbare, kirchliche Berufung und Autorisierung des Amtsträgers wiederum in der Ordination.197 Gerhard definiert sie als „öffentliche und feierliche Kundgabe oder Bezeugung der Berufung, durch die das kirchliche Amt einer geeigneten Person, die zu diesem von der Kirche berufen worden ist, anvertraut wird, zu diesem durch Gebete und Handauflegung konsekriert, der rechtmäßigen Berufung versichert und ihres Dienstes im Angesicht der ganzen Kirche feierlich und ernst vermahnt wird, weswegen wir in unseren Kirchen einen unversehrten Brauch der Ordination bewahren“.198
Kraft und Würde der Ordination werden zwar auch von Gerhard durchaus ambivalent und vor allem in Abgrenzung zur römischen Priesterweihe beurteilt: Der Ritus sei nicht „aus einem herausragenden Grund irgendeines göttlichen Gebots“ angeordnet oder aber „aus dem Grund irgendeiner Wirksamkeit, die die Papisten ihr zubilligen, als würde durch sie irgendeine unauslöschliche Prägung [character aliquis indelebilis] aufgedrückt werden oder aus dem vollzogenen Werk [ex opere operato] die zum Amt benötigten Gaben übergeben“.199 Auch den Sakraments charakter der Ordination bestreitet Gerhard rundweg – der Ordination fehle schlichtweg das verbum promissionis gratiae –200 und möchte die Zeremonie auf die biblisch überlieferte Handauflegung reduziert wissen. Zudem erinnert Gerhard zur Berufung], geeignete Diener des Wortes einzusetzen und Gott will die Mühe der Kirche für die mittelbare Berufung frommer Doktoren aufwenden.“ 195 Vgl. a. a. O. 79 f (115 f). 196 Vgl. Hartmann, Pastorale Evangelicum, 57–62. 197 Vgl. zur Theologie der Ordinationsliturgie und ihrer Problematisierung durch Arnold Kapitel I.4.2. 198 Gerhard, De ministerio, 97 (139): „Vocationis publica et solemnis declaratio sive testificatio est ordinatio.“ 199 A. a. O. 97 (139): „Negamus tamen, ordinationem esse necessariam ratione pecularis alicujus praecepti divini, quale non potest ostendi; vel ratione talis cujusdam effectus, qualem Pontificii illi tribuunt, quasi scilicet per eam imprimatur character indelebilis vel quasi ex opere operato conferat dona ad ministerium requisita […].“ 200 Vgl. a. a. O. 98–105 (140–151).
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an den wichtigen Unterschied zwischen Amtserwählung und Heilserwählung: So wenig wie die electio der Amtsträger eine Heilserwählung mit sich bringt, die Amtsträger also in soteriologischer Hinsicht aus der communio sanctorum emporgehoben werden, so wenig dürfe die Ordination als heilsrelevanter Statuswechsel des Berufenen missverstanden werden: Sie sei Anlass zum Gebet, keine Weihe. Trotz dieser Demarkationen misst jedoch auch Gerhard der Ordination eine zentrale, deklarative Bedeutung hinsichtlich der Berufung des Pfarrers zu und sieht in ihr die Vermittlung exklusiver pastoraler Geistesgaben verwirklicht, unabhängig von der Frage nach der persönlichen Eignung und Berufungserfahrung des zu Ordinierenden.201 Die Ordination mag vielleicht kein Sakrament sein, dennoch bildet sie nach Gerhard ein göttliches Berufungsgeschehen und die Vermittlung einer herausragenden Amtswürde und spezifischen, klerikalen Geistbegabung ab – sie versichert Kirche und Amtsträger der vocatio mediata. Was Gerhard kritisiert – eine enthusiastische, die vocatio mediata unterlaufene, unmittelbare Form der Berufungstheologie, welche die biblischen Berufungserzählungen repristiniert –, macht Arnold, wie gezeigt wurde, geradewegs zur Grundlage seiner Pastoraltheologie und geht gleichzeitig über die Unterscheidung von mittelbarer und unmittelbarer Berufung hinaus, insofern er betont, dass die Berufung nicht biographisch-punktuell verstanden oder mit der Ordination gleichgesetzt werden könne.202 Zwar grenzt er sich nicht mehr wie in der Historie und beschreibung offensiv von der Unterscheidung der mittelbaren und unmittelbaren Berufung ab, kodiert aber die normative Forderung nach einer Berufung i. S. eines nisi rite vocatus erfahrungstheologisch und mystisch-quietistisch um, indem er dazu aufruft, die eigene Berufungsgewissheit (immer wieder neu) zu prüfen und das passive Moment der vocatio kontemplativ zu verinnerlichen. Damit beschwört er eben jene unmittelbare, spirituelle, subjektivistische und mystische Berufung des Lehrers durch Gott herauf, wie sie sich (den biblischen Berichten zufolge) in apostolischen und urchristlichen Zeiten ereignet habe und gegen die sich Gerhard offensiv wendet, weil sie die von Gott vorgesehene Mittlerschaft der Kirche wie auch die Gewissheit von Gemeinde und Prediger, was dessen Berufung und Amtsautorität angeht, erschüttert. Arnolds Kritik an der Ordination 201 Vgl. a. a. O. 112 (165): „Wir leugnen nicht, dass in der Ordination die Gaben des Heiligen Geistes für die zu erfüllenden Pflichten des Amtes gespendet und vermehrt werden, unterscheiden aber dennoch zwischen der Gnade der Versöhnung [inter gratiam reconciliationis] bzw. der Vergebung der Sünden [sive remissionis peccatorum] und der Gnade der Ordination [inter gratiam ordinationis], weil viele die Gnade der Ordination annehmen, die aber nicht die Gnade der Versöhnung annehmen; schließlich sagen wir, dass Spendung und Vermehrung der für das Amt notwendigen Gaben keinesfalls durch die Handauflegung zuzuteilen sind – als würde jemand sagen, sie ist ein sakramentales Zeichen, oder meinen, dass es von Gott angeordnet ist [tanquam symbolo alicui sacramentali vere sic dicto ac divinitus instituto] –, sondern durch die Gebete der Kirche und des Presbyteriums [also der Priesterschaft], durch die die Verheißung, wenn sie von Gott erhört werden [de exauditione divinitus], erfüllt werden.“ 202 Vgl. GG 44. Es sei erforderlich, die Berufung „in seinem Herzen zu vernehmen und zu adpliciren“.
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ist also keineswegs ein bloßer Appendix seiner Berufungstheologie und resultiert auch nicht aus einem reaktionären Vorbehalt gegenüber der Veräußerlichung und Verselbstständigung des Ritus, sondern hängt damit zusammen, dass er die Berufung des Lehrers als immer wieder neu zu erringende Gotteserfahrung versteht, die keine externe Versicherung brauche und die nicht durch eine solche ersetzt oder mit ihr verwechselt werden dürfe. In Arnolds Kritik artikuliert sich ein genereller Vorbehalt gegenüber der vocatio mediata, wie sie sich nach Gerhard in der Ordination liturgisch konkretisiert: Mit der Ordination drückt sich eine Berufungssicherheit der Lehrer, aber auch ihrer Zuhörer aus, die ungebührlich und theologisch fragwürdig ist, da sie die göttliche Souveränität im Berufungsgeschehen – d. h. das nisi rite vocatus im strengen Sinne – zu unterlaufen droht. Während Arnold auch in seinen späteren Amtsjahren mehrmals kritisch Stellung zur Ordination beziehen, ja sogar eine eigene Investituragende entwerfen und eine Investiturpredigt publizieren wird, in der er seine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber der Ordination bekräftigt,203 wird er das Verhältnis von mittelbarer und unmittelbarer Berufung neu und in diesem Zusammenhang die Funktion der Kirche als Vergewisserungsinstanz milder beurteilen. 1704 vertritt er jedoch entschieden den Primat der subjektiven Berufungserfahrung des Amtsträgers und lehnt alle anderen Berufungsformen ab: Die vocatio stellt eine rein spirituelle Erfahrung dar und kann nur durch eine achtsame Selbstbeobachtung entdeckt und verstetigt werden.204 Wie eingangs angekündigt, soll – in Anbetracht der bisherigen Überlegungen – erschlossen werden, was Arnold unter der „geistlichen Gestalt“ des Lehrers versteht: Die geistliche Gestalt umfasst offenbar alle von Gott in Anspruch genommenen kognitiv-voluntativen (1), moralischen (2) und intellektuellen (3) Potentiale des Menschen. Sie ist kein Habitus oder ein nachzuahmendes (archetypisches) Vorbild, sondern wird einzig durch die von Gott ermöglichte, gestaltete und verstetigte Berufungserfahrung konstituiert, bildet also emblematisch die Unverfügbarkeit der Berufungserfahrung ab. Indem Arnold vom Lehrer die Unterordnung seines Willens und die Anerkennung seiner moralischen Unwürdigkeit und intellektuellen Unreife einfordert, provoziert er eine Dissonanz 203 Dazu
mehr in Kapitel I.4.2. selbst verwendet hie und da Derivate des Achtsamkeitsbegriffes. So meint er, Grundlage der Heiligung des Lehrers sei dessen Achtsamkeit hinsichtlich der Außenwelt: Die Schrift (1 Tim 4,16) empfehle dem Lehrer „acht [zu] haben“ (ἐπέχειν) und „darinne beständig [zu] bleiben“ (ἐπιμένειν) (GG 150), wobei Arnold diese Empfehlung vor allem auf die Sinne des Menschen beziehen möchte, die diesen immer wieder von Gott ablenken. Dieser ständigen Konfusion hält Arnold entgegen: „Man bedencke, ob man deswegen nicht einen Bund machen und stets erneuern müsse mit Augen, Ohren und allen Sinnen und Gliedern, damit der Feind nirgends fichten und fällen könne?“ (GG 150) Selbst unter dem Guten und dem Schönen lauere die Gewahr des Leichtsinns und der Lässigkeit – man solle sich stets auch „vor den subtilesten Reitzungen in acht nehmen“ (GG 151), seien diese doch Einfallstor der Sünde und des Teufels. Die Achtsamkeit bestimmt damit auch Interaktion mit dem Nächsten, insbesondere der Gemeinde, „da man dem Feind stets so nahe stehet!“ (GG 150). 204 Arnold
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zwischen dessen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Der Lehrer ist stets dazu aufgerufen, die Ausübung seines Amtes und die Rechtmäßigkeit seiner Berufung kritisch zu hinterfragen, seinen Aktionismus zu zügeln und diejenigen Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, die seine Berufung i. S. einer Inanspruchnahme durch Gott verhindern. Arnolds Forderung nach Stille und Kontemplation entspricht damit vollumfänglich der Theozentrik seiner Berufungstheologie: Unter der Voraussetzung, dass ausschließlich Gott den Lehrer zum Lehramt beruft, muss dieser seine Sensibilität für das Wirken Gottes in seiner Seele schulen und die Formierung seiner Berufungserfahrung geduldig abwarten.
3.3.2. Die Gefährdung der geistlichen Gestalt durch die Gemeinde – Vermittlung zwischen lutherischer und quietistischer Pastoraltheologie In seinen kirchenhistorischen Abhandlungen ist Arnold detailliert auf das komplexe Verhältnis von Predigern und Gemeinde eingegangen und hat den Verfall der Kirche unter anderem auf eine unnatürliche, hierarchiebedingte Distanz zwischen beiden und eine zutiefst gestörte Grunddisposition im Predigtgeschehen zurückgeführt: Die Prediger seien ihrer genuinen Aufgabe nicht nachgekommen, die Sünden ihrer Zuhörer offen zu benennen, Buße einzufordern und die Vereinigung mit Christus zu predigen, weil sie ihre Stellung, Autorität und die materiellen Annehmlichkeiten in der Gemeinde nicht aufs Spiel setzen wollten. Die Zuhörer wiederum hätten sich ihren Predigern bereitwillig unterworfen und ihre Autorität kritiklos gestützt, damit sie die Buße umgehen und am äußerlichen, vermeintlich heilbringenden Ritus partizipieren konnten, ohne die geistliche Vereinigung mit Christus suchen zu müssen.205 In der Geistlichen Gestalt spitzt Arnold die historische Betrachtung dieses gestörten Verhältnisses zwischen Pfarrer und Gemeinde dahingehend zu, dass die Undurchschaubarkeit der Gemeinde die wesentliche Herausforderung und Gefährdung der Berufungserfahrung des Pfarrers darstellt, gegen die er sich unbedingt feien muss. Hinsichtlich seines Gemeindeverständnisses kann Arnold unmittelbar an seine Vorläufer anknüpfen: In der lutherischen und quietistischen Pastoraltheologie zeichnet sich die undurchschaubare, gefährdete wie gefährliche Gemeinde als eigener Topos ab, auch hier wird die Begegnung mit der Gemeinde als wesentliche Bewährungsprobe für die Gotteserfahrung des Predigers verstanden, freilich mit unterschiedlichen Tendenzen und Schwerpunkten. Niels Hemmingsen etwa bestimmt die Undurchschaubarkeit der Gemeinde als Undurchschaubarkeit ihrer Gefährdung: Wie der Schafhirte (der Pastor in seinem ursprünglichen Wortsinn) die Herde immerzu im Auge behalten und verteidigen müsse, da sie von verschiedenen Bedrohungen umzingelt sei, müsse auch der Pfarrer die vielfältigen, geistlichen Bedrohungen seiner Gemeinde wahrnehmen, was jedoch stets mit 205 Vgl.
die Kapitel I.2.1.1. und I.2.1.2.
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der Gefährdung seiner eigenen Gottesbeziehung einhergehe,206 da ihn die Vielfältigkeit der Bedrohung dazu verleiten könne, sich in blindwütigem Aktionismus einzelnen Gefahren entgegenzustellen, wo er sich doch stattdessen seines Gottesverhältnisses versichern solle, welches allein jene Undurchschaubarkeit lichten könne.207 Auch Molinos und Guyon erläutern das Problem des interdependenten Spannungsverhältnisses von ‚Wichtigkeit‘ und ‚Schwierigkeit‘ des Predigeramtes in Anbetracht der Diversität der Gemeinde. Indem sie dieses Problem in die psychologische Introspektive verlagern, ebnen sie Arnolds Argumentation den Weg. Auch sie fordern, dass der Prediger seine Gotteserfahrung verinnerlichen muss, um seine Zuhörer durchschauen und ihre Seelennöte empathisch nachvollziehen und vorwegnehmen zu können. Molinos hat vor allem die Gefahr vor Augen, dass die Undurchschaubarkeit der Gemeinde dazu führt, dass der Beichtvater eine ungesunde Nähe zu seinen Beichtkindern sucht, von der er sich erhofft, Einblick in ihr individuelles Seelenleben zu erhalten.208 Dem setzt Molinos die im Gebet erschlossene Gotteserfahrung entgegen: Allein durch sie könne die Welt in ihrer ganzen Vielfalt durchschaut werden: „Wer aber geistlich ist und erfahren, der siehet alles klar, und urtheilet davon, wie es ist.“209 Dazu zählt auch und besonders die dem Beichtvater anvertraute Gemeinde.210 Nur durch die Gotteserfahrung würde sich die Undurchschaubarkeit der 206
Schon der Begriff „Pastor“ weise nach Hemmingsen auf die vielfältige und vielgestaltige Sorge („cura varia et multiplex“) und die anfechtungsvolle Situation („conditio“) der ihm Anvertrauten hin (Hemmingsen, Pastor, 134). Hemmingsen vergleicht die Gemeinde – der Hirten-Metapher entsprechend – mit einer Schafherde, in der die einzelnen Tiere von individuellen Gefahren bedroht sind und den Wölfen, der Hitze, Krätze oder Pestilenz zum Opfer fallen können: „Die Sache verhält sich nicht anders in der Zusammenkunft der Menschen, die das Evangelium hören. Dieser wird durch die Vielfalt der Meinungen gleichsam zerfleischt. Diesen treiben die Versuchungen in die verkehrte Richtung; ein anderer wird durch die Gleichgültigkeit zerbrochen; einige, die in ihren Lüsten versunken sind, geraten ins Stocken; nicht wenige stürzen sich täglich in neue Übertretungen; es gibt auch die, die sich, weil sie sich an die Sünden gewöhnt haben, so verhärten, dass sie von ihnen nicht frei werden können. […] Weil die Kraftlosigkeit der Schafe Christi so groß ist, ist es ja wohl nötig, dass der Hirte nicht träge ist, der diesen ganzen Übeln kundig abhelfen soll. […]“ (a. a. O. 134 f). 207 Hemmingsens Vorschlag ist in seiner biblizistischen Simplizität denkwürdig: „Was ist also jene alleinige Ursache, die für den Hirten diese Sorgfalt [diligentia] hervorbringt? Es ist die Liebe zu unserem ersten Hirten und Herrn Jesus Christus, der sich ganz und leibhaftig für seine Schafe gegeben hat. Hier sagt er nämlich zu Petrus, wie im 21. Kapitel des Johannes-Evangeliums steht: Liebst du mich? Und er antwortet: Ich liebe dich. Und er antwortete ihm: Hüte meine Schafe. Und dies sagte er noch einmal, und noch ein drittes Mal: und dies bedeutet, dass niemand dazu fähig ist, die Schafe Christi zu hüten, wenn er nicht durch die Liebe zu Christus geführt wird“ (a. a. O. 136). Hemmingsen verweist den Lehrer also an Christus zurück – allein die Liebe zu Christus würde ihn dazu befähigen, der Gefährdung der Gemeinde entgegenzutreten. 208 Vgl. GW 328 (2,7,50). 209 GW 292 f (2,1,4). 210 Vgl. GW 294 (2,1,6): „Denn derselbe wird durch das innerliche Licht in ihm klar erkennen, was Anfechtung, oder was ein gutes Eingeben sey; Er wird leicht unterscheiden die Bewegungen / ob sie von der Natur, von dem bösen Geist, oder von der Seele selbst herkommen […].“
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Gemeinde lichten und die Erstarrung des Verhältnisses zwischen Prediger und Gemeinde aufgebrochen werden können.211 Madame Guyon reflektiert die Diversität der Gemeinde vor allem unter dem Gesichtspunkt der Intellektualität, d. h. hinsichtlich des Problems der vielfältigen, unterschiedlich ausgeprägten Bildungsbiographien und Glaubenserfahrungen der Gemeindeglieder. Auch sie betont, dass es völlig unangebracht sei, die Gemeinde durch äußerliche Mittel wie Kirchenzucht oder Bußübungen regieren zu wollen, denn diese müssten ja so unterschiedlich ausfallen, wie es Menschen gebe.212 Auch dürfe der Prediger die intellektuellen Unterschiede innerhalb seiner Gemeinde niemals zum Anlass nehmen, den einen oder anderen Gemeindegliedern die Anleitung zur Gottesbetrachtung im innerlichen Gebet zu versagen.213 Statt die Disparität seiner Gemeinde hinzunehmen oder gar zu befördern, fordert Guyon den Lehrer auf, sich in seinem Amt ganz und gar auf seine eigene Gottesbeziehung und die seiner Gemeindeglieder zu konzentrieren: „Ach! wann das Hertz gewonnen ist / so wird alle das übrige leicht geändert. Dieserwegen erfordert GOtt vornehmlich das Hertz.“214 Für Arnold ist der Topos der durch die Undurchschaubarkeit der Gemeinde gefährdeten Stabilität der Gottesbeziehung des Lehrers zentral. Ihm zufolge muss sich an der Gemeinde die geistliche Gestalt des Lehrers bewähren, ja an der Gemeinde erweisen sich – der Sprachgebrauch erinnert an Molinos – „Wichtigkeit und Schwerigkeit des Lehramtes“.215 Schon die altkirchlichen Autoren würden die Lasten und die große gemeindliche Verantwortung des Lehramts hervorheben 211 Vgl. GW 339 f (2,8,64): Die Stimme Gottes im Lehrer „ist von so grosser Krafft, daß sie verwirfft und unter die Füsse tritt die weltliche Ehre, die Hochachtung sein selbst / den geistlichen Ehrgeitz, die Begierde nach einen grossen Nahmen, den Hochmuht und die Vermessenheit, wodurch man sich einbildet, man sey in allem was besonders und sey allein weise, oder wisse und verstehe alles. […] Sie löschet aus die eigene Liebe, die grosse Einbildung, die Begierde andern zu befehlen, gerne von diesem oder jenem Nutzen, so man schaffet, zu reden / und die Brieffe, welche entweder er selbst, oder seine Pfarr=Kinder geschrieben haben / andern zu zeigen, damit sie also daraus schliessen mögen / man erweise sich als einen sonderlichen und wohlverdienten Arbeiter“. 212 Vgl. EVT 164: „So lange man aber die Sache im äußern nur angreifft / und an statt die Seelen zu JESUS Christo durch die Beschäfftigung des Hertzens in ihm / zu ziehen / man sie mit tausend Geboten zu äußern Ubungen beladet / so wird wenig Frucht geschaffet / und selbige dauret nicht lange.“ 213 Vgl. EVT 166: „O welche Rechenschafft werden diejenigen GOtt zu geben haben / denen Seelen auffgebürdet seynd / daß sie diesen verborgenenen Schatz nicht allen / denen sie durch den Dienst des Wortes dienen / entdecket haben! Man entschuldiget sich damit / daß man saget: Es sey Gefahr in diesem Wege / oder die Einfältigen Leute seynd nich fähig der Sachen des Geistes.“ 214 EVT 165. Vgl. auch EVT 171: Die Predigt wie auch das innere Gebet zu Gott, das die Gemeinde von ihrem Lehrer lernen soll, verfalle gern auf eine „gar zu zierliche Sprache“ und eine „dürre / eitele / vergebliche und unfruchtbare Kunst=Rede / wann sie gleichwohl gestudiret wäre“. Dabei liebe Gott vielmehr die „natürliche Sprache / sie sey noch so grob und plump / als sie immer wolle / für ihm ist sie es nicht“. 215 GG 66, so die Überschrift des dritten Kapitels.
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und ihm jedwede Leichtigkeit absprechen,216 über sie hinausgehend stellt Arnold eine markante Paradoxie hinsichtlich der Beziehungsdynamik zwischen Lehrer und Gemeinde fest: Je weiter dieser auf dem Weg der Selbstbereitung, Wiedergeburt und Offenheit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes voranschreite, desto deutlicher klaffe zwischen ihm und der Gemeinde ein Abgrund auf, ja in Anschluss an Röm 2,20 – einen Vers, der in seinem neutestamentlichen Kontext immerhin auf jene gesetzestreuen Juden gemünzt ist, welche die Offenbarung Christi zurückweisen! – meint Arnold gar, dass sich der Lehrer, je weiter er geistlich reife, mehr und mehr als „[e]in Lehrer der Unwissenden, ein Leiter der Blinden, ein Licht der Verfinsterten, ein Züchtiger der Unverständigen, ein Lehrer der Unmündigen“217 begreifen würde. Das Grundproblem im Verhältnis von Lehrer und Gemeinde sieht auch Arnold in der Diversität der Persönlichkeiten und Biographien der Zuhörer: Der Lehrer sehe sich ja nicht mit nur einer Seele konfrontiert, sondern mit einem vielstimmigen Kollektiv, in dem sich die zum Teil widerstrebenden Interessen, unterschiedlichen intellektuellen Voraussetzungen, geschlechterspezifischen Unterschiede, sozialen Milieus und Soziolekte vermischen – der Lehrer finde eine durch und durch fragmentierte Gemeinde vor.218 Solche „vielerley Gemüther“219 zu regieren, erfordere große Empathie: Manche müssen öffentlich ermahnt werden, manche im Geheimen. Manche können im Gottesdienst, manche „eher durch privat-Erinnerungen“ gewonnen werden.220 Über den bloßen Befund der Diversität, wie ihn auch Hemmingsen, Guyon und Molinos erhoben haben, geht Arnold jedoch hinaus, insofern er die Gemeinde gerade in ihrer Vielfältigkeit als Einfallstor einer numinosen, überindividuellen Bosheit versteht, die sich der Zuhörer bemächtigt.221 Es sei der Teufel, der sich die Diversität der Gemeinde zu 216 Isidor von Pelusium habe z. B. gezeigt, dass der Prediger im besonderen Fokus des Strafgerichts Gottes stehe: Er müsse sich vor Christus nicht nur für seine eigenen Sünden, sondern auch für die seiner Schutzbefohlenen verantworten (vgl. GG 50 [ep. 1,6; PG 78, 1327–1330]). 217 GG 67. 218 Vgl. GG 73. Hier verweist Arnold erneut auf Gregor von Nazianz: „Es ist nicht einerley Bewandniß mit Männern und Weibern, Alten und Jungen, Reichen und Armen, Freudigen und Traurigen, Gesunden und Kranken, Herren und Unterthanen, Gelehrten und Ungelehrten, Frechen und Schüchternen, Sanfftmüthigen und Zornigen, Fleißigen und Läßigen. Es ist ein großer Unterschied zwischen Bürgern und Bauern, Einfältigen und Verschlagenen: Beschäfftigten und Ruhiglebenden, im Creutz geübten und unerfahrnen. Solche Leute sind offt weiter von einander unterschieden nach ihren Gemüthsbewegungen, als nach der äussern Leibesgestalt, oder auch nach dem elementarischen Temperament, daraus wir Menschen bestehen.“ Arnold zitiert hier und im Folgenden nicht aus der von ihm im Denckmahl übersetzten und herausgegebenen ersten, sondern aus der zweiten Apologie Gregors (orat. 2,28 f) (vgl. SC 247; 126,6–11: Οὐ γὰρ τῶν αὐτῶν οὔτε λόγων οὔτε ὀρμῶν, οὔτε τὸ θῆλυ τῷ ἄρρενι, οὔτε γήρᾳ νεότης, οὔτε πενίᾳ οὔτε πλοῦτος, οὔτε εὐθυμῶν ἀθυμοῦντι, οὔτε ὁ κάμνων τῷ ὑγιαίνοντι, ἄρχοντές τε καὶ ἀρχόμενοι, σοφοί τε καὶ ἀμαθεῖς, δειλοί τε καὶ θρασεῖς, ὀργίλοι καὶ πρᾶοι, κατορθοῦντες καὶ πίπτοντες […]). 219 GG 74. 220 GG 74. 221 Dies möchte Arnold wiederum mit Gregor von Nazianz festhalten: „Denn die jenige
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Nutzen mache, um das Verhältnis zwischen ihr und dem Prediger zu zerrütten.222 Zum einen instrumentalisiere er einzelne Gemeindeglieder, indem er Zweifel über die moralische Integrität und geistliche Qualität ihres Lehrers säe, denn dieser steht als öffentliche Person ja geradewegs in der Mitte seiner Gemeinde und damit unter besonderer Beobachtung.223 Daher solle sich niemand von der Verheißung aus 1 Tim 3,1 verlocken lassen: Dass derjenige, der das Lehramt anstrebe, „ein köstliches Werk“ begehre, könne nur in der Weise verstanden werden, dass die hier angezeigte Würde des Amtes dem Anwärter abverlange, sich selbst immer genauestens zu prüfen,224 und, wie Arnold wiederum mit Isidor von Pelusium behauptet, darauf Acht zu haben, „alle Tugenden an sich [zu] haben“.225 Zum anderen bewerkstellige der Teufel eine schleichende Entfremdung des Lehrers „von der wahren Weißheit und Einfalt des göttlichen lauteren Sinnes Christi“,226 indem er in der Gemeinde Heuchler und „falsche[] Brüder“ bzw. „falsche[] Apostel“227 auf den Plan rufe, die der natürlichen Gefallsucht des Lehrers schmeicheln würden,228 ihn gefällig und träge werden lassen und ihn von der Weitergabe der Wiedergeburtserfahrung abhielten, wobei das in diesem Zusammenhang von Arnold aufgerufene, neutestamentliche Setting – die Gefährdung der paulinischen Heidenmission durch judaisierende Gegner, die die Beschneidung einfordern (nach Röm und Gal) – vor allem darauf hindeuten soll, dass die Evangeliumsverkündigung und fortschreitende Seelenbildung bzw. -führung immer mit der Steigerung von Widerständen und Hemmnissen einhergehen. Arnold folgt Hemmingsen, Guyon und Molinos auch darin, dass die Unüberschaubarkeit und Komplexität der Gemeindesituation nur dadurch überwunden werden können, dass sich der Lehrer seines Gottesverhältnisses immer wieder neu versichert. Angesichts der vielgestaltigen Anfechtung durch die Gemeinde solle er die „Ergötzung“, d. h. kontemplative Betrachtung Gottes, verstetigen, woraus wie ganz von selbst verschiedene Distanznahmen gegenüber den vielfachen gemeindlichen Herausforderungen erwachsen: Boßheit, die sich auf viele erstrecket, ist größer, als die, so nur einen betrifft, u. s.w“ (GG 68 – es handelt sich um ein Zitat aus der ersten Apologie, Arnold verweist hier auch auf DAC 2,313). 222 Vgl. GG 82: „Wer da weiß, in wie macherley Gestalten und Posituren sich die Schlange im Menschen verkleiden und verstecken kan, was für scheinbare Larven sie vorwendet, ihr eigen Leben zu behaupten. O wie schwer wirds da, die Leute nur recht kennen zu lernen, ihr Temperament und Neigung zu forschen, ihre Worte, Geberden und Wercke weißlich zu prüfen, was GOtt oder die verderbte Natur in ihnen wircke!“ 223 Vgl. GG 68: „Andere werden entschuldiget, wenn sie sündigen, er nicht. Er ist allen Zungen unterworffen, und allen Urtheilen, kluger und thörichter Leute“ (ein Zitat aus Joh. Chrys. in Act. hom. 3, vgl. PG 60, 39: Καὶ γὰρ οὕτος τοῖς ἁπάντων ὑπόκειται στόμασι, ταῖς ἁπάντων κρίσεσι, καὶ σοφῶν, καὶ ἀσοφῶν.). 224 Vgl. GG 70. 225 GG 71, ein Zitat aus ep. 4,219 (vgl. PG 78, 1314: Δεῖ γὰρ τὸν ἐπίσκοπον πάσαις κομᾷν ταῖς ἀπιστεῖς, τὰ ἀρεταῖς). 226 GG 77. 227 GG 78 f. 228 Vgl. GG 77.
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„Das Gemüthe muß continuirlich in Ausbreitung vor GOTTes Angesicht stehend und gleichsam ausgespannet bleiben, und darff auch die scheinbare Ergötzung kaum mit dem Willen oder einiger Gefälligkeit berühren. Geschweige denn, daß man seine Zeit noch vertreiben solte mit Lesung überflüßiger oder curioser angenehmer Bücher, mit unnützen Speculationen, Streitigkeiten und Wortkriegen, oder mit andern Ubungen oder Künsten, und dergleichen. Am allerwenigsten darff man sich aufhalten mit Sorgen vor Eitelkeiten, Wollüste, Pracht und s. f. welche das Gemüthe nur eitel und zerstreuet, auch folglich zum ernsten Vortrag des göttlichen Willens ungeschickt machen, wenn sichs dergleichen auch nur in Gedancken gelüsten ließe. Ach lieber GOTT! welch ein gesammleter und ausgerüsteter Geist ist zu solchem göttlichen Werck nöthig! Wie muß man seinen eigenen Willen doch stets brechen, und immer auf alle Minuten parat stehen, einem jeden zu begegnen, wie es der vollkommene GOTTES Wille erfordert! Wie bald ist man sonst von diesem oder jenem listigen Geist übervortheilet, der sich dem Gehorsam CHRISTI auf alle Weyse zu entziehen suchet!“229
Die Gotteserfahrung erweist sich als wesentliches Korrelat zwischen den diskrepanten Glaubensbiographien der Zuhörer und der des Lehrers, denn die Anfälligkeit der Gemeinde für den Teufel hat den gleichen Ursprung wie seine eigene: Die Gemeindeindividuen seien in ihren Seelen ungeordnet und noch nicht recht bereitet – Aufgabe des Lehrers sei es nun, sie zu instruieren und zu „wissen was einer jeden vor Speise von Zeit zu Zeit noth thut“.230 Dazu sei wiederum „tieffe Einsicht und lange Erfahrung und Geübtheit“ erforderlich.231 Die großen Diskrepanzen im Berufungsfortschritt der einzelnen Zuhörer werden auf die eine, unteilbare und immergleiche Berufung durch Gott heruntergebrochen: Nur die von Gott Berufenen können (nach 1 Joh 1,1 f) „andern verkündigen, was sie selbst gesehen und gehöret haben“.232 Die Gotteserfahrung ist also Basis und unabdingbare Voraussetzung der Kommunikation zwischen Zuhörern und Lehrern,233 sofern der Lehrer durch sie dazu in die Lage versetzt wird, seine Berufungserfahrung in ein konstruktives Verhältnis zu der seiner Zuhörer zu setzen.234 Und während die schlechten Lehrer „ohne genugsame Experienz“235 229 GG 80. 230 GG 83. 231 GG 83. 232 GG 84.
233 Vgl. GG 85 f: „Sie bewegen zwar wol die Gemüther zu einiger Andacht und Accommodation, aber ein Geübter mag wol sie gantz gewinnen und durch alle Gegensätze und Schwürigkeiten nach und nach zum wahren Kleinod anführen und wircklich bringen. Denn er hat den Proceß Christi nach einander an sich selbst zu erfahren angefangen, und manchen Vortheil im geistlichen Kampff probirt, der andern wiederum zur Nachricht, Warnung und Auffrichtung dienen kan.“ Dabei kann Arnold als wesentlichen Gewährsmann dieser Erfahrungstheologie Luther nennen, habe dieser doch gemeint, dass ein guter Prediger und Lehrer aus der Versuchung, Prüfung und Bewährung hervorgehe (vgl. ebd.). 234 Vgl. GG 83: „Wer nun in solchen inwendigen Geschäften und Umständen des Reichs GOttes geübt ist, dem wird vom Geist GOttes nicht gewehrt, sondern geboten die Wercke des HErrn zu verkündigen, die sie an sich selbst erfahren haben.“ 235 GG 84.
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predigen und dabei „viel schöne Gaben […] lehren und predigen“,236 hätten die klugen die ganze Fülle der Gotteserfahrung, ihre Potentiale, aber auch ihre Anfechtungen, kennengelernt, so dass sie für die seelischen Bedürfnisse der Zuhörer empathisch seien.237 Alle Ausführungen Arnolds zum Verhältnis von Pfarrer und Gemeinde und zur Interaktion zwischen beiden sind von einem charakteristischen Spannungsverhältnis zwischen der empfangenden Offenheit des Lehrers für das Wirken Gottes und der aktiven, zielgerichteten, gestalterischen Tätigkeit hinsichtlich der Gemeinde bestimmt. Diese Spannung kann sachgemäß mit den Begriffen Rezeptivität und Poiesis beschreibungssprachlich erfasst werden: Nach Arnold muss der Lehrer eine Balance zwischen der Verinnerlichung und Gestaltung seines Gottesverhältnisses und der Hinwendung zur Gemeinde halten: Erstere solle letztere maßgeblich bestimmen, letztere könne erstere ernstlich gefährden. Der Aufruf zur Rezeptivität ist tief verwurzelt im kirchenhistorischen Referenzrahmen Arnolds und formiert sich gleich im ersten Kapitel der Geistlichen Gestalt, wenn Arnold eine umfangreiche Katene zum biblischen Motto „Denn ein Narr schüttet seinen Geist ganz aus, ein Weiser aber hält ihn auf, und bewahret ihn aufs künfftige“238 (Weish 29,2) zusammenstellt, um das rechte Verhältnis zwischen der Erlangung und Bewahrung der Gotteserfahrung und der Bezeugung und Veranschaulichung dieser Erfahrung im pastoralen Handeln zu erörtern. Er ruft u. a. Isaacus Presbyterus auf, der den Prediger an das Wort „Arzt! hilff dir selber“239 erinnert und damit das Bemühen um das eigene Seelenheil über die Seelsorge am Nächsten stellt. Auch Gregor der Große kommt in diesem Zusammenhang zu Wort, der das Missverhältnis von Gottesbetrachtung und Seelsorgealltag kritisiert und einschärft, dass es eine heilsame Mitte brauche: Der eine vernachlässige die Gottesschau, der andere versäume, „was sonst zu thun ist“.240 Und Bernhard von Clairvaux rät dazu, das ‚zur Neige gehenden Lampenöl‘ besser für sich selbst zu bevorraten, als es vorschnell mit anderen zu teilen: „Darum, mein Bruder! der du nicht einmal dein eigen Heil noch fest gesetzet, und noch wenig oder gar schwache Liebe hast, daß du allem Wind weichest und allen Geistern glaubest: wie kannst du so thöricht seyn, daß du frembde Dinge versorgen willst oder magst, da du selbst dich gnug fühlest, wie es mit dir stehe.“241 236 GG 84. 237 Vgl.
GG 86.
238 GG 16. 239 GG 17.
833).
240
314 f).
Arnold verweist hier auf Isaaks Liber de contemptu mundi, Kap. 17 (vgl. PG 86/1,
GG 18. Arnold verweist auf das 25. Kapitel des 6. Buches der Moralia in Job (CCSL 143,
241 GG 18 f. Ein Zitat aus Cant. Serm. 18[,4] (SC 431; 94,1–6): „Ceterum tu, frater, cui firma satis propria salus nondum est, cui caritas adhuc aut nulla est, aut adeo tenera atque arundinea quatenus omni flatui cedat, omni credat spiritui, omni circumferatur doctrinae vento, immo cui tanta est caritas ut ultra mandatum quidem diligas proximum tuum plus quam teipsum […].“
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Doch nicht nur an den Schriften der Kirchenväter, auch am Neuen Testament kann Arnold zeigen, dass die unabdingbare Voraussetzung für die Berufungserfahrung der Rückzug in die kontemplative Stille ist. Dies hätten etwa Jesus und Paulus praktiziert, als sie (nach Lk 1,80 und Gal 1,17) zuerst die Einsamkeit suchen wollten, bevor sie sich dem Lehramt zuwandten,242 da auch sie wussten, dass Askese und Rückzug „bloß und allem zur nöthigen Vorbereitung entweder tzum Lehramte vor andere, oder auch zu eigenem Wachsthum“243 dienen. Freilich möchte Arnold unter dem Rückzug in die Einsamkeit keine radikale Separation verstanden wissen,244 man solle keineswegs „seinen jetzigen ordentlichen Beruff oder Lebensart verlassen, und in eine Wüste lauffen“,245 vielmehr stehe das Eremitendasein der Alten Väter typologisch für eine den individuellen Lebensumständen angemessene Weltabkehr: Die Einsamkeit des Lehrers sei dahingehend zu verstehen, „daß er den ordentlichen Verrichtungen unter gehörigem Kampff und Ubungen des Glaubens dem H. Geist Platz lassen, sich als ein Frembdling in dieser Welt halten, und mit seinen Sinnen und Begierden nirgend ausschweiffen oder sich fangen lassen müsse, damit er dem, so ihn annimmt, gefalle, und brauchbar werde“.246
Ziel dieser Einkehr sei die Sensibilisierung für die eigene Seelenverfassung, die Vorbereitung auf die Anfechtungen des pfarramtlichen Alltags und die Entdeckung der „neue[n] Geburt aus Gott“,247 welche die bleibende, unabdingbare Voraussetzung für das Amt des Lehrers darstellt, da dessen Vollmacht und Authentizität nur dadurch gewährleistet seien, dass er sich in die Rolle des „göttlichen Werckzeugs“ einfügt, so „daß GOTT allein durch daßelbe wircken könne“.248 Nur indem sich der Lehrer von Gott in Anspruch nehmen lasse, könne er sicherstellen, dass ihn die Gemeinde als authentischen Lehrer akzeptiert – analog zu Jesus, der in göttlicher Vollmacht gepredigt und gelehrt und darin den Kern des Lehramts zur Anschauung gebracht hätte.249 Mit seinem Aufruf zur asketischen Einkehr verweist Arnold den Lehrer also vor allem in die Rolle eines aufmerksamen Beobachters des Wirkens Gottes in seiner Seele.
242 Vgl.
GG 22.
243 GG 21.
244 Zum einen ist Arnold aus den altkirchlichen Quellen die durch übermäßige Askese hervorgerufene Soziophobie und Untauglichkeit zum kirchlichen Amt bestens bekannt, zum anderen schwebt ihm immer die Gefahr einer spirituellen Erstarrung und kirchlichen Domestizierung der geistlichen Einkehr vor Augen, wie sie sich historisch darin manifestiere, dass das Papsttum die inwendige Askese in die institutionellen Grenzen des Mönchsstandes gezwängt habe (vgl. GG 25). 245 GG 26. 246 GG 26 f. 247 GG 27. 248 GG 94. 249 Vgl. GG 93.
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Auch, wenn er sich der auf die Rezeptivität bezogenen Poiesis nähern und zum Ausdruck bringen möchte, dass der Lehrer seine in der kontemplativen Sammlung und Stille vertiefte Gotteserfahrung hinsichtlich der Gemeinde transparent werden lassen muss, stützt sich Arnold auf von Kirchenvätern ersonnene Metaphern und Allegorien: - Mit Dionysius Areopagita kann Arnold davon sprechen, dass der Lehrer „die göttliche Wirckung an sich selbst sehen lasse, daß sie, so viel möglich, an ihm hervor leuchte, sol sie nemlich in andern fruchtbar seyn“.250 - Georgius Pachymeres habe gemeint: „Wenn das Eisen nicht selbst schon glünd ist, so wird es nichts, das ihm nahe kommt, enzünden: Also auch wenn ein Priester durch die Krafft von oben nicht erleuchtet ist, so wird er andern kein Licht können mittheilen.“251 - Hilarius habe davon gesprochen, dass die Apostel und ihre Nachfolger „die vollkommene Bildniß und Gleichniß CHristi erlanget haben, und in nichts von den Kräfften ihres HERRN unterschieden gewesen, dadurch sie aus irdischen himmlischen Leute worden wären, weil der HERR seine Kräffte und Tugenden in sie übergeleitet hatte“.252 Arnold setzt erklärend hinzu: „welches er hernach auf das wahre Lehramt, so er Apostolatum nennet, ins gemein deutet.“253 - Der bereits zitierte Pachymeres gebrauche in ähnlicher Weise wie Hilarius das Bild vom Glas: „Solche Personen, durch welche die Menschen erleuchtet werden sollen, müssen der Gläser Art nachfolgen, daß, wenn sie vom hellem Schein und Glantz angefüllet seyn, sie das Licht auch auf andere, die es werth sind, austheilen können […].“254 - Mit Ambrosius greift Arnold den Begriff der „deifica[] professio[]“ bzw. des „deific[us] ord[o]“ auf: eine „Verwaltung, die da vergöttert oder göttlich-gesinnet machet“ – diese Profession beziehe ihre Kraft wiederum aus einem „gesammlete[m] Vorrath und Schatz“.255 250 GG 95, ein Zitat aus Dion. Areop. de hierarch. coel. 3,2 (PTS 67; 18,14–17): ἔστί γὰρ ἑκάστω τῶν ἱεραρχίᾳ κεκληρωμένων ἡ τελείωσις τὸ κατ‘ οἰκείαν ἀναλογίαν ἐπὶ τὸ θεομίμητον ἀναχθῆναι καὶ τὸ δὴ πάντων θειότερον ὡς τὰ λόγιά φησι ‚Θεοῦ συνεργὸν‘ γενέσθαι καὶ δεῖξαι τὴν θείαν ἐνέργειαν ἐν ἑαυτῷ κατὰ τὸ δυνατὸν άναφαινομένην. 251 GG 96.
Arnold gibt an, aus dem 1. Kapitel der Dionysius-Paraphrasen des Pachymeres zu zitieren, das Zitat findet sich jedoch in der Paraphrase zu Dion. Areop. de hierarch. coel. 3,1 (PG 3, 170 f): Εἰ μὴ γὰρ καθ’ ἕξιν ὅ σίδηρος ἐκπθρωθείη, οὐκ ἄν ἐπ’ ἄλλου τὴν καῦσιν πλησιάζοντος δράσειε. καὶ εἰ μὴ φωτισθείη καθ’ ἕξιν ὁ ἱεράρχης ἅνωθεν, οὐκ ἄν ἐνεργήσαι ἑτέροις τὸν φωτισμόν. 252 GG 97. Arnold zitiert Hil. in Matth. 10[,4] (SC 254; 218,1–6): „Tota deinde in apostolos potestas uirtutis dominicae transferetur, et qui in Adam in imaginem et similitudinem Dei erant figurati, nunc perfectam Christi imaginem et similitudinem sortiuntur, nihil a Domini sui uirtutibus differentes; et qui teresstres antea erant, coelestes modo fiunt.“ 253 GG 97. 254 GG 97, erneut ein Zitat aus den Dionysius-Paraphrasen, dieses Mal zur Kirchlichen Hierarchie (III,14) (PG 3, 470 f): Ὡς γὰρ ἐπὶ τῶν ἡλιακῶν ἀκτίνων καὶ τῶν ὑέλςν ἔχει, ὅτι πρῶτον τὸ φῶς δέχονται οἱ ὕελοι, ἤ τὸ κέρας, ἤ ἄλλο τι τῶν διαφανῶν, καὶ εἰθ‘ οὕτς τὸ φῶς πρὸς τὰ ἄλλα ἐποχετεύοθσιν. 255 GG 97. Arnold übernimmt die Begriffe aus (Ps.-)Ambr. dig. sac. 3 (PL 17, 570) und 6 (PL 17, 578).
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- Ignatius verwende das Bild vom „unbeweglichen felß“, der bildlich für Gott stehe, auf den sein „Sinn […] gegründet“ gewesen sei.256 Dazu erklärt Arnold: „Zu welcher Befestigung des von Natur immer ausschweiffenden und flatterhafften Sinnes und dessen Gründung in GOtt gewißlich eine langwierige Ubung und stetes Eindringen in GOttes Hertz und Liebe gehöret, sol ander die Communication und Einfluß auf andere unverbrüchlich erfolgen.“257 Er erweitert also das Bild vom Felsen hinsichtlich der Gemeindeverantwortung des Lehrers: Die Beständigkeit des Lehrers sorge für die Beständigkeit der Gemeinde. Mögen all diese Metaphern und Allegorien vor allem auf den patristischen Referenzrahmen der Pastoraltheologie Arnolds hindeuten – im Hintergrund seiner Erwägungen zum Verhältnis der Konsolidierung der Gotteserfahrung des Lehrers und dem gemeindebezogenen Handeln steht eine zentrale und strukturbildende Unterscheidung des Quietismus, welcher die Frage nach dem rechten Verhältnis von Rezeptivität und Poiesis intensiv erörtert und Arnold eine Grundeinschätzung der innerseelischen Verfasstheit des Menschen zwischen der Beanspruchung von Gott und Welt vorgibt: Die Störung der Konzentration auf das Gottesverhältnis bzw. die Störung der Selbstvergegenwärtigung vor Gott wird von Molinos und Guyon als wesentliche Gefährdung der mystischen Einheit verstanden, der Gläubige solle sich dieser Verflüchtigung unentwegt widersetzen und in die Einheit zurückfinden. Molinos entfaltet seine diesbezüglichen Überlegungen innerhalb eines psychologischen Koordinatensystems258 und versteht die Instanz der voluntas als den ersten und wesentlichen Reizpunkt der Wirkung Gottes in der Seele, von dem aus alle seelischen Aktivitäten und Betätigungen ihren Ausgang 256 GG 98. Arnold zitiert (nach eigenen Angaben) aus „Epist. II ad Polycarpum initio“, d. h. aus den Pseudoignatianen (Pseud-Ign. Pol. II,1) (PG 5, 860): Ἀποδεχόμενος τὴν ἐν Θεῷ σου γνώμην, ἡδρασμένην ὡς ἐπὶ πέτραν ἀκίνητον, ὑπερδοξάζω, καταξιωθεὶς τοῦ προσώπου σου τοῦ ἀμώμου, οὕ ὀναίμην ἐν Θεῷ. 257 GG 97. 258 Ausgehend von der theologischen Prämisse, dass beides – Herbeiführung und Gefährdung des Ruhezustandes, Etablierung und Irritation der Gotteserfahrung – von Gott selbst gewirkt wird, meint Molinos, dass die verschiedenen Seelenvermögen im Gebetszustand allesamt von Gott beansprucht und in Bewegung versetzt würden: „Denn ob gleich die Seele alsdenn nicht wirket durch das Gedächtniß, noch durch das Urtheil, als durch die andere Wirkung des Verstandes, noch auch durch die dritte, als wodurch man eins aus dem andern schliesset, so wirket sie doch durch die erste und vornehmste, nehmlich durch den einfachen Begrif oder blosse Verständnis, durch den Glauben erleuchtet, und durch die Gnade des Heiligen Geistes gestärcket. Worzu noch dieses kömmt, daß mehr Auffmerkung auff den Willen erfordert wird, eine einige Würkung desselben fortzusetzen, als derselben viel herfür zu bringen; Wiewol beydes die Würkungen des Verstandes und des Willens alsdenn so einfältig, so unvernehmlich, und so geistlich seyn, daß die Seele derselben kaum gewahr wird / und sie keines weges durch eine sonderbare Bemerkung und Betrachtung eigentlich erkennet.“ (GW 241 [2,12,84]). Der dritten Auflage des Wegweisers von 1712 ist diesem Textabschnitt eine erläuternde Tafel beigegeben, auf der die verschiedenen Seelenvermögen in ihrer interdependenten Bewegung im Einzelnen dargestellt werden (GW 242 [2,12,84]):
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)
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nehmen, so dass die perpetuierende Gottesschau primär als ein rein passives Geschehen erlebt wird, insofern Gott den Betrachtenden zur Schau befähigt, diese jedoch sekundär auch ein Wahrnehmungs- und Handlungspotential entfaltet und sich in eine Aktivität des Menschen nach außen vermittelt.259 Die achtsame Selbstbeobachtung ermöglicht also die Wahrnehmung der Wirkungen Gottes in der Seele und gewährt ihnen freien Lauf, damit sie sich – als Taten des Menschen – 1. Voluntas
Anima
1. Simplex apprehensio. Ein lauter einfältiges Erkennen Z. E. Daß GOtt gut ist
2. Intellectus 2. Judicium: Ein Umständliches Erkennen. Z. E. Daß GOttes Güte seyn muß, gleich wie Er selbst ist, von Ewigkeit biß in Ewigkeit. 3. Memoria
3. Discursus: Ein Schlußmachendes Erkennen: Z. E. Daß weil Gottes Güte von Ewigkeit biß in Ewigkeit währet, so könne die auch nicht fehlen in der Zeit.
Der Wille (voluntas) befindet sich demzufolge in der Ausgangsposition und reagiert auf die „simplex apprehensio“, d. h. hier setzt die Wirkung Gottes in der Seele ein, bevor der Intellekt weitere, vergleichende und urteilende Erwägungen treffen und die Seele – anhand eines Abgleichs mit der in der memoria gesammelten Erfahrung – einen Schluss ziehen kann. Die grundlegende Erkenntnisbewegung der Seele nimmt ihren Ausgangspunkt also immer bei Gott selbst, die nachgeordneten Seelenvermögen befinden sich in steter Rückbezüglichkeit auf Gott und können schon allein deswegen niemals untätig bleiben. 259 Hinsichtlich der Frage, wie sich Eigenaktivität und Passivität aufeinander abstimmen lassen, rät Molinos zu nüchterner Besonnenheit. Dass die „empfindliche[n]“ und „süsse[n] Empfindungen“ (GW 243 [2,13,86]) von Gott her ständig erneuert werden würden, und es immer wieder nötig sei, in die Ursprungssituation der ekstatischen, emotionalen oder sinnlichen Erweckung und Ergötzung zurückzufinden, weist Molinos schon allein deswegen zurück, weil derlei Gemütserregungen „mit eigener Liebe / und euserlichem Trost, den die Seele ausser ihr selbst suchet, vergeselschafftet seyn“ (GW 243 [2,13,86]). Wer in einer fortgeschrittenen Beschauung die Betrachtung hinter sich gelassen und die Dürre als einen wesentlichen Aspekt der Gottesbeziehung akzeptiert habe, könne auf die Verzückung und die Erweckung getrost verzichten. So kann Molinos die Sehnsucht nach der mystischen Erfahrung folgendermaßen karikieren: „Würde es nicht ungereimt, und ein Zeichen einer schlechten Ehrerbietung seyn, wenn du für dem Könige stündest, und je zu weilen sagtest: Herr! ich gläube / daß eure Majestät zugegen ist? Eben also würde es auch seyn, wenn die Seele, da sie GOtt mit dem Auge des Glaubens siehet, und in seiner Gegenwart stehet, ihre Zeit damit zubringen, und zum öftern sagen wollte: Mein GOTT / du bist da. Es ist ihr genug / daß sie glaube, wie sie glaubet: und, wenn denn die Zeit des Gebets herbey komet, alsdann wird sie durch diesen ihren Glauben und den Vorsatz zu beten, geleitet, und dahin geführet, daß sie GOtt in Lauterkeit des Glaubens und Vollkommenheit der gänzlichen Gelassenheit, und Ubergabe ihrer selbst beschaue“ (GW 260 f [1,14,104]). Vielmehr sei es nötig, „die Reinigkeit der geistlichen und vollkommenen That des Willens“ (GW 243 [2,13,86]) zu bewahren; in „allen Ubungen und Verrichtungen deines Standes und Beruffs“ (GW 263 [1,15,107]) genau zu beobachten, ob man sich „von einer unordentlichen Gemüths= Regung mit Wissen und Willen“ (GW 264 [1,15,109]) überwinden lasse; und „durch würkliche Wiederholung deines Glaubens=Bekäntnisses, und der Aufopfferung wieder zu GOtt zu nahen, und sein Angesicht von neuen zu suchen“ (GW 264 f [1,15,109]), denn Gott allein solle in der Seele wirken und sie – ausgehend von der voluntas – in Aktivität versetzen: „So hat man nun nicht zu sagen / daß die Seele müßig sey; Denn ob sie gleich nicht thätlicher Weise würket, so würket doch der heilige Geist in ihr“ (GW 205 [1,5,38]).
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nach außen darstellen können.260 Auch Madame Guyon kennt das Problem der Gefährdung und Verflüchtigung der Selbstvergegenwärtigung der Seele vor Gott und greift auf verschiedene Metaphern aus dem Bildfeld der Gravitation zurück, um das Gebet als stetige Konzentrationsübung zu erfassen, die gegen die zentrifugal wirkenden Seelenkräfte und Sinneseindrücke ankämpft.261 Gleichzeitig sind auch bei Guyon Stille und Ohnmacht nicht eigentliches Ziel dieser Konzentration, vielmehr überträgt Gott seine Bewegung auf den Menschen, was sich auf der Handlungsebene auswirkt. In dem Kapitel „Das man viel kräfftiger und edeler wircket durch dieses Gebeth / dann durch alle andere“262 widmet sich Guyon ausführlich dem Problem der guten Werke, weil sie sich gegen den landläufigen Vorwurf verwehren möchte, „daß die Seele unempfindlich / tod und ohne Würckung dableibe“.263 Die in sich gekehrte, konzentrierte und stille Seele wirke tatsächlich „viel vortrefflicher und mit grösserer Ausbreitung […] / weil sie von GOtt selbst beweget ist / und durch seinen Geist wircket“.264 Der Geist Gottes 260 Vgl. auch GW 205 (1,5,38): „Sich zu GOtt nahen, ihm anhangen / seinem Eingeben folgen, ihn im innersten Grunde des Hertzens anbeten, gottseligen Bewegungen des Willens ihn ehren, so viel eitele Gedanken und Einfälle / die uns zur Zeit des Gebets beunruhigen wollen, ersticken / wie auch sonst alle Anfechtungen sänftiglich und mit Verachtung abweisen und überwinden; Das sind lauter wahrhafftige Würkungen, ob sie wol / wegen der sonderbaren Stille / womit die Seele sie herfür bringet, sehr einfältig, geistlich, und bey nahe unempfindlich seynd.“ Dieser (hier voluntaristisch begründete) Autonomieverlust bezieht sich auch auf die Tugendhaftigkeit und die moralischen Anstrengungen des Menschen. 261 Im Kapitel zur „Bekehrung“ hält Guyon fest: „Die eintzige Ubung / welche sie mit der Gnade kann und soll thun / ist sich Gewalt anthun / sich inwendig einzukehren und zu sammeln / wornach nichts mehr zu thun ist / denn nur zu GOtt gewandt verbleiben / in einen stetigen anhangen“ (EVT 95). Gott sei der „Mittel=Punct“ (EVT 96) und übe seine Anziehungskraft auf die Seelen aus: „Das Centrum hat allezeit eine sehr starcke anziehende Krafft / und ie herrlicher und geistlicher dasselbe ist / ie hefftiger und stärcker ist sein Zug / ohne daß derselbe könnte auffgehalten werden. Ausser der anziehenden Krafft des Mittel=Punckts ist allen Creaturen eine starcke Neigung zu der Wieder=Vereinigung mit ihrem Centro gegeben / dermaßen / daß die Geistlichen und Vollkommensten diese Neigung stärcker haben“ (EVT 96 f). Diese „Centralische Neigung“ – sie entspricht einer zentripetalen Kraft – sorge dafür, dass die Seele sich von außen nach innen kehre: „[…] und ie mehr sie still und ruhig bleibet / ohne sich selbst zu bewegen / ie mehr gehet sie in der Geschwindigkeit fort / weiln sie dieser anziehenden und Centralischen Krafft mehr Raum giebt sie starck anzuziehen“ (EVT 97 f). Gegen die Eingewöhnung in die Gegenwart Gottes und den damit einhergehenden, allmählichen Autonomieverlust würde die menschliche Seele rebellieren, da Ruhe und Passivität ihrem natürlichen Aktionismus zuwider seien: „Aber die Creatur ist so verliebt in das / welches sie thut / daß sie meynt / sie thue nichts / wann sie nicht empfindet / erkennet uud [sic!] unterscheidet ihre Wirckung. Sie siehet nicht daß es die Geschwindigkeit ihres Lauffs sey / diese hindert ihren Fortgang zu sehen / und daß die Würckung GOttes / wenn sie überflüßiger wird / der Creatur ihre verschlinget“ (EVT 101). Die menschliche Natur begreift also fälschlicherweise die „Ohnmacht“ als „Mangel“, wohingegen Guyon die Ohnmacht der Seele geradewegs als eine Gabe des Gnadenhandelns Gottes ausweisen möchte: „So sage ich dann / daß diese Ohnmacht zu würcken nicht herkomme vom Mangel / sondern vom Uberfluß / wie eine Person / die dessen einen Versuch thun wird / solches leicht wird unterscheiden“ (EVT 102). 262 EVT 131. 263 EVT 131. 264 EVT 131.
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treffe für die Seele alle Entscheidungen, die Seele solle sich dementsprechend „bewegen und treiben lassen durch den lebendigmachenden Geist der in ihr ist / und folgen dem Triebe seiner Würckung und keinem andern“.265 Auch dieses Verhältnis – zwischen der Bewegung der Seele zu Gott, dem Bewegtwerden der Seele durch Gott und der Bewegung der Seele zur Welt – drückt Guyon in physikalischen Metaphern aus: „So balde die Seele in eine centralische Neigung ist / das ist / inwendig gekehret von sich selber durch die Sammlung / von dem Augenblick an ist sie in einer sehr starcken Würckung / welche ist ein Lauff der Seelen zu ihen Mittel=punckt / so sie zu sich ziehet / und die Geschwindigkeit aller andern Würckungen unendlich übertrifft / indeme der Geschwindigkeit der Centralischen Neigung nichts gleichet.“266
Wie Molinos beschreibt Guyon also beides: ein konflikt- und spannungsreiches Verhältnis von Rezeptivität und Poiesis – einen Streit zwischen den zentrifugalen Seelenkräften und der zentripetalen Gotteskraft – und eine Bewegungsübertragung dieser Gotteskraft auf die Seele.267 Arnold adaptiert den bei Molinos und Guyon detailliert beschriebenen Prozess von Konstituierung, Gefährdung, Konsolidierung und Transparentwerdung der Gottesbeziehung, von Rezeptivität und Poiesis, von Passivität und Aktivität, überführt ihn aber konsequent in pastoraltheologische Bahnen: Immer wieder neu müsse sich der Lehrer in sein Seelenleben zurückziehen, sich selbst beobachten, achtsam für das Wirken Gottes in seiner Seele werden und dürfe sich der Gemeinde erst zuwenden, wenn er sich gesammelt und sich seiner Gottesbeziehung versichert habe. Dass Konstituierung und Kultivierung der Gotteserfahrung des Lehrers jedem gemeindebezogenen Handeln vorgeordnet sein müssen, ja dieses erst hervorbringen, konkretisiert Arnold hinsichtlich mehrerer innerseelischen Bereiche, von denen hier nur einer exemplarisch in den Blick genommen werden soll, weil Arnold ihn in der Geistlichen Gestalt besonders ausführlich behandelt: das affektive Leben des Lehrers. Arnold kann in dieser spezifischen Hinsicht sowohl an die quietistische als auch an die lutherische Pastoraltheologie anknüpfen, ja er erweist sich gewissermaßen als Vermittler zwischen der psychologischen Introspektive des Quietismus und den anthropologischen Prämissen lutherischer Pastoraltheologie. 265 EVT 132. 266
EVT 133 f. Vgl. EVT 134: „Je mehr sie in Frieden ist / ie geschwinder läufft sie / dieweil sie sich dem Geiste übergiebt / der sie treibet und wirckend machet.“ Dieses Verhältnis zwischen GezogenWerden und Laufen kann Guyon auch mit dem Hohelied in Verbindung bringen: „Dieser Geist ist kein anderer denn GOtt / der uns ziehet / und im Ziehen und zu ihm lauffend machet / wie solches die Göttlich Liebhaberin wohl muste / wann sie sagte: Ziehe mich / so lauffen wir. Cant. 1/3.“ (EVT 135) In diesem Zusammenhang bringt Guyon auch die Weisheit als Bewegungsinstanz ins Spiel: „Wir müssen uns führen lassen durch die Weißheit; Die Weißheit ist mehr würckend / als die andern Dinge / die am meisten würcken / Sap. 7/24. Lasset uns dann in Gelassenheit ihres Würckens verharren / und wir werden sehr kräfftig wircken“ (EVT 137). 267
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Arnold möchte Demut und Sanftmut als Leiteigenschaften des Lehrers ausweisen, welche ihm durch seine Gotteserfahrung angedeihen und sein unbeherrschtes Gefühlsleben in geordnete Bahnen lenken. Demut und Sanftmut sind – vor dem Hintergrund der historischen Schriften Arnolds – auf den ersten Blick als Gegenbegriffe zum Hochmut zu erkennen, den Arnold in der Ersten Liebe und Kirchen- und Ketzerhistorie als eines der drei Hauptlaster der nachkonstantinischen Lehrer ausgewiesen und als ursächlich für die Entstehung und Festigung der hierarchischen Bischofs- und Klerikalkirche verstanden hatte.268 Während Molinos und Guyon keine ausgefeilte und differenzierte Affektlehre entwickelt haben, widmet sich vor allem der bereits erwähnte, dänische Reformator Niels Hemmingsen in seinem Pastor der Aufgabe, vor dem Hintergrund der in Melanchthons Loci dargestellten Affekttheorie das Gefühlsleben des Pfarrers theologisch zu reflektieren, und greift dabei auf Deutungsmuster zurück, die sich mit der quietistischen Grundunterscheidung von Rezeptivität und Poiesis berühren, auch wenn Hemmingsen in seiner Schrift kein dezidiert mystisches Proprium verfolgt.269 Vielmehr schaltet er seiner Pastoraltheologie ein komplexes, anthropologisches Grundsatzprogramm vor, in dem er die innerseelischen Instanzen voneinander unterscheidet, die Gefährdung des pastoralen Amtes durch die ungezügelten Affekte darstellt und die herausragende Bedeutung von Demut, Sanftmut und Willensstärke (studium) als Regulatoren der Emotionen hervorhebt. Hemmingsen bietet dem Pfarrer verschiedene spirituelle Heilmittel (remedia) an, um die Seelenfenster (fenestra)270 zu schließen, durch welche die Leidenschaften einfallen, sodass sie die Ausübung des Amtes erschweren. An dieser Stelle soll das diffizile anthropologische System, das Hemmingsen seiner Pastoraltheologie unterlegt, etwas detaillierter erschlossen werden, weil sich Arnold eng an Hemmingsens Terminologie und Grundanliegen orientiert. Im ersten Teil seiner Schrift, in dem er die Seelenbestandteile zergliedert – die mens, die cogitationes, zuletzt die affectus –, unterscheidet Hemmingsen zwischen den körperlichen und seelischen Affekten. Als „Mutter“ der körperlichen Affekte bestimmt er die Eigenliebe (φιλαυτία),271 die die Sorge um den Körper und dessen Zierde im Blick habe und von der Hemmingsen fordert, dass der Pfarrer „diese Pest sofort zerschlage […], damit seine Seele nicht wegen der übermäßigen Liebe des Körpers in die Hölle gestürzt wird“.272 Die beiden Töchter der φιλαυτία seien die Übermäßigkeit – d. h. Fress- und Trunksucht („gulositas seu crapula“) – und die Habsucht („avaritia“), welche sich als Wollust, Hoffart und Furcht vor künftiger Armut („metus futurae inopiae“) materialisiere.273 Gegen jede dieser drei Ausprägungen der Habsucht bietet Hemmingsen ‚Heilmittel‘ an, d. h. geistliche Schutzmechanismen, anhand 268 Vgl.
Kapitel I.2.1.2. Vgl. zur Melanchthon-Rezeption Hemmingsens den erhellenden Aufsatz von Rasmussen, Rationalität und Bibelauslegung, 239–245. 270 Vgl. Hemmingsen, Pastor, 18–20. 271 Vgl. a. a. O. 23. 272 Ebd.: „Hanc pestem (φιλαυτίαν dico) oportet pastorem in primis quantum fieri potest, contundere, ne propter nimium corporis amorem conijciatur anima in gehennam.“ 273 Vgl. a. a. O. 24 f. 269
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derer der Pfarrer die Affekte erkennen und regulieren kann, wobei es sich jeweils um aus der Bibel abgeleitete Vermahnungen handelt: 1. Hinsichtlich der Wollust erinnert Hemmingsen daran, dass dieser Affekt kaum mit der „Würde des Menschen, der durch Christi Blut versöhnt und gerettet wurde und schon Tempel des lebendigen Gottes ist“, vereinbar sei,274 denn in diesem Tempel müssten notwendig „Glaube, Liebe, Geduld, Mäßigung, Gerechtigkeit und die übrigen Tugenden“275 herrschen. 2. Der Hoffart (κενοδοξία) bzw. dem „gloriae inanis appetitio“ stehe die Demut gegenüber: „Diese [die κενοδοξία] würde, weil sie geradewegs entgegengesetzt mit dem Christentum kämpft, verdientermaßen von allen Frommen verlacht werden, nicht allein als Kot und stinkender Schmutz, sondern in der Tat als unheilvollstes Gift des Satans. Die christliche Demut kann nämlich nicht mit dem Durst nach nichtiger Ehre bestehen.“276 Hemmingsen vergleicht die Hoffart mit einem Basilisken, also einer tödlichen Schlange, und erinnert an die Mahnungen des Jeremia – „deine Arroganz hat dich getäuscht, und der Hochmut deines Herzens“ – wie auch des Petrus – „den Hochmütigen widersteht Gott – und Christi selber – „wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“.277 Der Pfarrer müsse sich diese „oracula Dei“ immerzu in Erinnerung rufen, um sich an die Strafwürdigkeit des Hochmuts zu erinnern. 3. Der Furcht vor künftiger Mittellosigkeit begegnet Hemmingsen mit einem Hinweis auf die „promissio“ von Mt 6,19–34, die er zuspitzend folgendermaßen kommentiert: „Hieraus [aus Mt 6,19–34] möge ein frommer Diener des Wortes die Beauftragung seines Hirten schließen: Seid nicht besorgt über den morgigen Tag. Er soll das heidnische Misstrauen verwerfen, er soll daran festhalten, dass Christus ihn nicht im Stich lässt, zumal da zuvor geschrieben ist [Lk 12,15]: Nicht im Überfluss des Menschen besteht sein Leben.“278 Von den körperlichen unterscheidet Hemmingsen die beiden seelischen Affekte (affectus animales) Zorn (ira) und Begierde (concupiscentia). Den Zorn untergliedert Hemmingsen nach drei Schweregraden: Zorn im Sinne von Verdruss (wörtlich: Galle, nach dem lateinischen bilis oder griechischem χόλος), Jähzorn (iracundia, μᾶνις) und Erbitterung (infensio, κότος).279 Im Alltag des Pastors würden alle drei Formen des Zorns immer dort in Erscheinung treten, wo er sich mit Widerständen gegen sein Amt konfrontiert sehe, und alle drei solle er mit christlicher Milde und Geduld bekämpfen.280 Auch gegen sie offeriert Hemmingsen mehrere remedia: „Wahrhaftig, damit er sich vor diesem Übel sehr eifrig in Acht nehmen kann, möge er folgendes bedenken: Erstens überlege er, wie oft er selbst gegen Gott aufbegehrt, und dennoch Gnade erlangt. Zweitens soll er sich daran erinnern, dass, wo es nicht Zorn und Auflehnung gegen die Vergebung gibt, auch keine Nachsicht gegenüber der Sünde bei Gott gibt; entsprechend dem Gleichnis vom Schuldner in Matthäus 18. Drittens soll er erwägen, dass er ein Mensch ist und auch anderen vor den Kopf stoßen 274 Im Wortlaut a. a. O. 25: „Primum conferat pius pastor turpitudinem huius persti, cum dignitate hominis, qui Christi sanguine ablutus & redemtus, iam templum Dei viuentis est.“ 275 A. a. O. 25. 276 A. a. O. 26 f: „Haec, quia ex diametro pugnat cum Christianismo, deberet merito ab omnibus pijs contemni, non fecus atque coenum foetens, imo veluti virus Diabolo perniciosossimum. Non enim potest cum siti inanis gloriae, stare Christiana humilitas.“ 277 A. a. O. 27. 278 A. a. O. 29: „Sequatur ergo pius verbi minister mandatum pastoris sui: Ne sitis soliciti de crastino. Abijciat Ethnicam dissidentiam, ac certo statuat, quod Christus non velit se deserere, praesertim cum scriptum sit, Non in abundantia hominis vita eius.“ 279 Vgl. a. a. O. 31. 280 Vgl. ebd.: „Pugnat enim cum lenitate, & patientia Christiana.“
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kann und dass es deswegen nötig ist, geduldig mit anderen zu sein. Viertens soll er genau abwägen, dass der Zornige sich selbst am meisten schadet, indem er die Seele aufwühlt. Fünftens soll er das Übel abschätzen, das von dort aus folgt. Der jähzornige Mann, sagt Salomon, ruft die Streitereien hervor; wer wahrhaft geduldig ist, besänftigt die Erregten. Sechstens soll er wissen, dass es eine große Tugend ist, den Zorn zu unterdrücken. […] Siebtens erwäge er den Schaden, der dem Zorn folgt. Durch den Zorn, sagt Gregor, geht die Weisheit abhanden, so dass das, was der Ordnung gemäß zu tun ist, vergessen wird. […].“281 Hemmingsen bricht den pastoralen Zorn also zum einen an Jesu Vergebungsgebot und zum anderen an der conditio humana, welcher der Pfarrer genauso wie diejenigen unterliege, über die er in Zorn geraten könne, insofern auch er ein sündiger Mensch sei und bleibe. Hemmingsen mahnt zur nachsichtigen Geduld mit denjenigen, die gegen Gott aufbegehren, und appelliert an die Pfarrer, die schwerwiegenden innergemeindlichen Konsequenzen ihrer Zornesausbrüche miteinzurechnen, da diese unter Umständen neuen Zorn provozieren könnten. Hinsichtlich der concupiscentia – eines zentralen, hamartiologischen Begriffs! – unterscheidet Hemmingsen eine natürliche und nicht natürliche Form, wobei die natürliche sich dreifach materialisiere – als Hunger, Durst und ἀλυπία, also als Wunsch nach Schmerzfreiheit –, während die unnatürliche, die unverkennbar in Hemmingsens Fokus steht, ein „Appetit auf eine fremde Sache, die durch ein einzelnes Gesetz Gottes verboten wird“,282 darstelle. Kurzerhand verortet Hemmingsen vor dem Hintergrund der paulinischen Anthropologie (konkret: der Ausführungen des Apostels in Röm 6 f) die concupiscentia im homo vetus bzw. im Fleisch und setzt ihr schließlich die concupiscentia spiritus im neuen Menschen entgegen.283 Er schlägt dem Pfarrer konkrete Formen der innerlichen Distanznahme und Selbstregulation vor,284 fordert, dass der Pfarrer zur Erweckung seiner Charismen die christliche Lehre studieren, um die Einwohnung des Geistes beten und – vor allem – allerlei Bußübungen verrichten solle, die ihm vor Augen führen, wie leicht er angefochten werden kann, wie ungefestigt sein Glauben ist und wie massiv die in ihm aufwallenden Affekte die Ausübung seine Amtes behindern. In solchen Bußübungen „wird der Geist erweckt, es wachsen die Gaben, und es tritt offen die Herrschaft des Geistes über das Fleisch zu Tage“.285 Indem sich der Pfarrer seine eigene Machtlosigkeit eingestehe, werde er von Gott dazu ermächtigt, sich von der Begierde zu befreien. In enger Anlehnung an Melanchthon, welcher in den Loci Affekte und Willensunfreiheit des Menschen in einem unmittelbaren Zusammenhang behandelt hatte,286 setzt 281
A. a. O. 32 f. A. a. O. 34: „Concupiscentia, est rei alienae appetito, quae peculiari lege Dei prohibetur.“ 283 Vgl. ebd. 34 f. 284 Vgl. a. a. O. 35 f: „Deshalb wird ein guter Pastor den Geist mit guten Übungen auferwecken, gemäß Paulus (2. Tim 1[,6]): Ich ermahne dich dazu, die Gabe Gottes, die in dir ist, zu erwecken. Die Gabe Gottes ist aber eine lebendige Flamme, die in den Herzen der Wiedergeborenen angezündet ist, auf die sie sich herzlich verlassen, um den Satan zu erwürgen. Also ermahnte Paulus seinen Pastoren, damit er jene Flamme noch mehr erwärmte und erweckte. Denn wie leicht wird die Flamme ausgelöscht, wenn, nachdem immer neue Holzscheite aufgelegt werden, sie nicht mit einem Fächer angefacht wird. So gehen nach und nach die Gaben Gottes und des Geistes in den Wiedergeborenen unter, wenn sie nicht unablässig erweckt werden.“ 285 A. a. O. 36. 286 Vgl. Melanchthon, Loci Communes, 25–47. 282
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Hemmingsen die Affekte in ein Verhältnis zur „disciplina voluntatis“,287 welche diejenige Instanz darstelle, die „den Bewegungen und Ratschlägen des Verstandes, der Gedanken und der Affekte zu folgen pflegt“.288 Hemmingsen möchte damit ein Bewusstsein für die eigentlich verborgenen Interdependenzen von Wahrnehmung, Gefühl und Willensäußerung schaffen289 und ordnet dabei dem Eifer (studium), der – wie bereits angedeutet wurde – bei Arnold und Molinos eine äußerst ambivalente, pastorale Eigenschaft darstellt, die Funktion einer Kontroll- und Ausgleichsinstanz innerhalb des annähernd undurchsichtigen Geflechts der innerseelischen Kräfte zu. Unter dem Eifer ist wohl am ehesten eine mentale Disziplin oder eine aufmerksame Achtsamkeit zu verstehen, er sei „nichts anderes als, dass sich der Pastor, wenn er sich vom Fleisch stetig gelöst hat, darum bemüht, dass in schöner Harmonie Verstand [mens], Gedanke [cogitatio], Affekt [affectus] und Wille [voluntas] übereinstimmen, weil sie sich Gott als einzigen Richtpunkt setzen [vnicum scopum Deum sibi proponentes]; so dass, was der Verstand [mens] richtig versteht, die Seele gründlich begreift [cogitet]; zu jenem, was die Seele begreift [cogitat], die Affekte [affectus] hingerissen werden; was die frommen Affekte raten, der Wille ernsthaft befiehlt“.290 Hemmingsen versteht unter dem Eifer also eine Instanz, die das Seelenleben ordnet und eine – von Sünde und Affekten ungeminderte – Kraftübertragung zwischen den verschiedenen innerseelischen Instanzen gewährleistet.
In den Eigenschaftskapiteln der Geistlichen Gestalt steht Arnold Niels Hemmingsen sehr nahe: Er übernimmt von ihm die wesentliche Begriffssprache, ordnet wie er die Affekte Zorn, Demut, Sanftmut etc. einander zu und möchte ebenfalls die Regulierung und „Temperierung“ der Affekte an die Besinnung auf die Berufungs- und Gotteserfahrung zurückbinden. Anders als Hemmingsen setzt Arnold dem ungezügelten Affektleben des Lehrers jedoch keine biblischtheologische Vermahnung entgegen und bestimmt auch nicht den Eifer, das „studium“, sondern vielmehr Demut und Sanftmut als diejenigen regulativen Instanzen, welche die Emotionen des Lehrers in geordnete Bahnen lenken sollen, weil beide unmittelbar mit der Berufungserfahrung und der Rezeptivität des Lehrers zusammenhängen. In beiden Begriffen verdichtet sich Arnolds Pastoral287 Hemmingsen, 288 Ebd.
Pastor, 37 (Sperrdruck aufgehoben).
289 Vgl. a. a. O. 37 f: „Der Wille ist eine natürliche Fähigkeit, durch die wir begehren, was uns gefällt, und vermeiden, was uns nicht behagt. Inwieweit er eine natürliche Fähigkeit ist, stammt er von Gott und von daher ist er hinsichtlich des Wesens [ad substantiam] immer gut. Tatsächlich weicht er aber ab, insofern es die äußere Verfassung [ad habitum] betrifft, denn mal ist der Wille böse, mal ist der Wille gut. Einen bösen Willen haben wir aus der Verderbtheit der Natur, einen guten aus der Gnade. Der böse Wille folgt dem Verstand, den Gedanken und den Affekten des Fleisches, der gute ist verbunden mit Verstand, Gedanken und Affekten des Geistes. Was der Mensch auch immer tut, es kann nicht gut sein, wenn es nicht aus einem guten Willen hervorgeht. Wie sich der Pastor deshalb mit großer Mühe anstrengen wird, sich vom Willen des Fleisches zu lösen, so wird er sich bemühen, den Willen des Geistes zu tun. Dieser Wille des Geistes muss fortwährende Herrin über das zu Beherrschende sein. Die Richtschnur des Herrschens ist aber im Wort Gottes enthalten.“ 290 A. a. O. 38.
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ethik, beides versteht er dezidiert als partizipative Eigenschaften, die dem Lehrer aus seiner Gotteserfahrung heraus zuteil werden: Die Demut nimmt ihren Anfang bei der Selbsterniedrigung und Selbstdemütigung des Lehrers, wenn er erkennt, dass ihm sämtliche intellektuellen, theologischen und pastoralen Gaben von Gott her angedeihen und er keineswegs über sie verfügen oder sie erzwingen kann.291 Unter Demut versteht Arnold eine verinnerlichte, aufrichtige Angewiesenheit auf Gott, mit der das grundsätzliche Misstrauen gegenüber den eigenen geistigen Kräften einhergeht.292 Sie ist in ihrem Kern ein Bewusstsein der Ohnmacht und eine innere Bereitschaft dazu, Gott in und durch sich hindurch wirken zu lassen.293 Hinsichtlich der Gemeinde konkretisiere sich die Demut im Selbstverständnis des Lehrers als eines dienenden Ratgebers,294 der von dem Bewusstsein getragen wird, „daß alles im Amte durch GOttes souuerainen Willen geschehen müsse, dieser aber handele mit seinen Geschöpffen als mit freyen Creaturen durch Uberzeugungen, nicht durch Zwang und Herrschsucht“.295 Der demütige Ratgeber respektiere also die Freiheit der Zuhörer und die Souveränität Gottes, während der hochmütige Pfarrherr beides verletze, insofern er den Hörern seinen Willen oktroyiert. Unmittelbar auf die Demut bezogen und zweite unabdingbare Eigenschaft des Lehrers ist nach Arnold die Sanftmut.296 Jesus habe „in solchen beyden 291 Vgl. GG 218: „So blöde, alber und veracht muß nun ein Diener des demüthigen Lammes seyn, daß er sich zuförderst und aus dem Grund der wahren Demuth solcher Ehren gantz unwerth achtet, und keiner göttlichen Wirckung zum Eigenthum in Gefälligkeit annehmen darff, wenn ihn auch die Leute noch sehr darüber lobeten. Ja, er schämet sich vielmehr solcher Dinge, und wickelt sich in CHristi Niedrigkeit ein.“ 292 Arnold verweist hier auf Tauler, der – wie schon andere vor ihm – das grammatisch ambige Christuswort, dass „den Armen das Evangelium gepredigt werden möge“ (Mt 11,5: καὶ πτωχοὶ εὐαγγελίζονται), i. S. von „die Armen sollen predigen das Evangelium“ (GG 218) auslegt, εὐαγγελίζονται also medial übersetzt, auf die Apostel bezieht und deren Armut als eine geistliche Armut interpretiert, also als ständige Angewiesenheit auf die Gnade – „und die fliesset in die Seel allein“ (GG 218). Die in Mt 11,5 genannte Armut beziehe sich nach Tauler (Arnold gibt als Fundstelle Nachfolge des armen Lebens Christi, 19 an, doch die von ihm verwendete Ausgabe ließ sich leider nicht ermitteln. Das Zitat findet sich jedenfalls im 60. Kapitel des ersten Teils) auf eine Seele, „die leer und arm ist aller Dinge, die GOTT nicht sind: Und wenn die H. Schrifft allein von Gnaden wird verstanden, und ein armer Mensch allein der Gnaden GOttes empfänglich ist: darum verstehet ein armer Mensch allein die Schrifft recht“ (GG 218 f). 293 Vgl. GG 220 f: „Ach wie fället da alle Selbstgefälligkeit (αυθάδεια Tit. I,7.) fein hinweg, wenn ein Lehrer bey allem seinen Thun auf sich wohl achtung gibt, und seine Ohnmacht erkennet! wie gering wird man in seinen eigenen Augen, gesetzt daß einen iederman für etwas hielte! Wie lernet man aus der Erfahrung täglich mehr mercken, daß man ohne die wahre Weisheit nicht capable sey, ein gut Wort mit Krafft auszusprechen, geschweige wirckl. mit der That zu beweisen!“ 294 Er führt den Ratgeber-Begriff auf Basilius den Großen zurück, der gemeint habe: „Ein Rathgeber überredet nur die, welche Lust haben von dem, was ihnen gut ist.“ (GG 239). Das Zitat stammt aus der 21. Homilie (vgl. PG 32,1364). 295 GG 239. 296 Auch hier spürt Arnold den antiken Bedeutungsnuancen und der neutestamentlichen Etymologie des Begriffes nach: Er möchte Sanftmut „positiv“ i. S. von „gütig und gelinde […], d. i. moderat, bescheiden oder sanfftmüthig […] der sich dem Zanck entziehet, und nicht lange wider-
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Stücken die Summa seiner Nachfolge und die Vollkommenheit seines Bildes gesetzet Matth. XI,29“.297 Wie die Demut sei auch die Sanftmut keineswegs eine „moral-Tugend[]“,298 vielmehr werde auch sie von Gott zugeteilt und stehe zusammen mit der Demut den natürlichen Grundeigenschaften des Menschen, der Hoffart und dem Zorn, kontradiktorisch gegenüber.299 Unter Sanftmut versteht Arnold die Rücksichtnahme auf die Schwachen in der Gemeinde,300 ohne sie mit „Weichlichkeit und Schmeicheley“301 gleichsetzen zu wollen: „O nein, der H. Geist meynet mit der Sanfftmuth bey den Lehrern nicht der Welt Freundschafft.“302 Damit kennzeichnet die Sanftmut im besonderen Maße die väterliche und mütterliche Verantwortung des Lehrers für seine Pfarrkinder und garantiert das familiäre Zusammenleben der christlichen Gemeinde. Von der Demut und Sanftmut aus erschließt Arnold die ganze Gemütsverfassung und sämtliche Affekte des Lehrers. Demut und Sanftmut versteht er als diejenigen Leiteigenschaften, die die anderen maßgeblich bestimmen, was vor allem im programmatischen, pneumatologisch akzentuierten Abschluss der Eigenschaftskapitel zum Ausdruck kommt. Was Arnold hier hinsichtlich des Ernstes und Fleißes formuliert, gilt im Prinzip für alle anderen Eigenschaften, Gemütsverfassungen und Affekte des Lehrers: „Eben dieser versprochene Geist der Weisheit wird denn auch seinen Werckzeugen den genauen Unterscheid zeigen zwischen dem eigenen Wircken, rennen und lauffen, und zwischen dem wahren Ernst und Fleiß, den er selbst wircket. Denn obschon bey den ungeübten jenes groß Aufsehen und Ruhm machet, so verzehret man doch seine Krafft also umsonst, weil man nicht Gotte nachsehen u. folgen, sondern in eigener Feuerskrafft des Willens durchbrechen will, und also seinen Lohn von Menschen dahyn nimmt. Im Gegentheil überwäget offt ein einiges in GOtt gesprochenes Wort alle lange Predigten und eifrige Bemühungen der Pharisäer. Und JESUS kann vielen armen Seelen auf einmal so klar und bekannt werden, da andere indessen viel Jahre hinbringen mit Aufladung allerley Lehren und Satzungen, dabey sie nicht ein Fünckgen von CHristi Liebe kriegen, ob sie schon als die eifrigsten Lehrer erhoben werden. strebet“ und „negativ“ i. S. von „nicht […] haderhafftig, oder ohne Streit […] 1. Tim. III,3., ein Knecht Gottes solle nicht streiten und fechten, 2. Tim. II,23.24“ (GG 248) verstanden wissen. Der Lehrer solle sich keinen „habitum aus disputiren und streiten“ (GG 249) zulegen und nichts „in Zorn und Widerspruch“ sagen und tun (GG 249). 297 GG 247. 298 GG 247. Vgl. auch ebd.: „[…] da ein Mensch aus natürlichen Kräfften sich befleißiget und zwinget, von aussen ohne die grobe Hoffart und Zorn sich aufzuführen; sondern so fern es inwendige Kräffte, Früchte und Eigenschafften des neuen Menschen sind, die aus der neuen Geburt und Gemeinschaft mit der Natur GOttes selbst entstehen, wenn jemand dieser ist theilhafftig worden.“ 299 Vgl. GG 247 f: Sie seien „als etwas beständiges, bleibendes und aus der Wiedergeburt herfliessendes zu betrachten […], über alle natürliche Kräffte und Gewonheit der Vernunfft, welche davon nichts verstehet“. 300 Vgl. GG 255. 301 GG 251. 302 GG 252.
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Daß also wol zuzusehen ist, damit man nicht aus heiml. Ehrgeitz oder andern falschen Absichten fleißig sey, sondern ja alleine GOTTes Geist sich zu allem erwecken und treiben lasse. Denn sonst wäre eine heilige und weise Stille viel seliger, als die grösseste Geschäfftigkeit der Natur und Eigenheit.“303
Dem „Eifer“ widmet sich Arnold in diesem Zusammenhang besonders ausführlich, wobei er – wie bereits angedeutet – auf eine recht zwiespältige Beurteilung dieses Affekts im Quietismus und in der lutherischen Pastoraltheologie zurückblicken kann. Nach Molinos hemmt der Eifer die Erfahrung der göttlichen Berufung. Auch bei Guyon wird der Eifer eher negativ und als ungerichteter Enthusiasmus verstanden.304 Hemmingsen hingegen versteht den Eifer (studium) hingegen als diejenige Ordnungsinstanz, die die sich gegenseitig (negativ) beeinflussenden Seelenkräfte regulieren soll. Arnold geht einen Mittelweg, insofern er den Eifer als ambivalente Gemütsverfassung des Lehrers – als persönliches Engagement, als Durchsetzungskraft oder als Nachdrücklichkeit – auffasst, welche ins Gute oder Schlechte umschlagen kann, so dass es stets eine „Mäßigung des Eifers“305 brauche. Arnold meint durchaus, dass der Eifer von Gott gewirkt sein, sich aber hinter dem „guten Schein“ und „Namen“ des Eifers genauso gut die „eigensinnige und hitzige Natur“ des Menschen verschanzen könne. Im Lehrer könne sich der „noch ungetödtete adfect“ regen, wenn er auf die entsprechenden „Reitzungen“ treffe306 und dabei den „Schein eines guten rechtmäßigen Eifers behalten“.307 Hier gelte es nun sauber zu unterscheiden zwischen „wahre[m] und falsche[m], göttliche[m] und menschliche[m], heilsame[m] und schädliche[m] Eifer, welches alles die natürliche Verderbniß und Blindheit mit einander confudiret, und sich damit selbst betreugt und verführet“.308 Nachahmenswertes Beispiel für einen angemessenen, zielgerichteten und gottgefälligen Eifer sei Jesu Tempelaustreibung, die allein „aus gründlichem Mitleiden, vermöge göttlicher Gerechtigkeit, Treue und Liebe geflossen“309 sei und die den Lehrer an den wichtigen Unterschied zwischen dem „Eifer um GOtt“ und einem scheinhaften, pharisäischen Eifer erinnern soll.310 Wie genau Arnold den Eifer zwischen den verschiedenen, 303
GG 343 f. Poiret berichtet in seiner Vorrede, davon, dass Guyon sich auf die Zinnen eines Hauses in Vaugirard, wo man sie nach ihren Konflikten mit der katholischen Kirche arretiert hatte, gestellt und gerufen habe: „Gebet mir Hertzen […] und ich will sie entflammen.“ (EVT 18) Diese Episode veranlasst den Herausgeber zu einer kritischen Bemerkung über den Eifer der Mystikerin: Augenzeugen und Anhänger der Guyon „bekennen / daß durch eine Hefftigkeit des Eifers und zuweilen aus Unwissenheit / daß sie die Krafft der Worte nicht gewust hat / zu weit gegangen sey. Jedoch sagen sie / daß sie in aufrichtigen Glauben stehe / sintemahlen sie allezeit unterwürffig gewesen / wenn man sie unterrichten wollen“ (EVT 19). 305 GG 265. 306 GG 265. 307 GG 266. 308 GG 266. 309 GG 266. 310 Vgl. GG 266. 304
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pastoralen Charaktereigenschaften verortet, lässt sich auf einer Tafel zusammentragen. So wird auch die Nähe seines Ansatzes zu Hemmingsens Affekttheorie deutlicher, der in ähnlicher Weise Hochmut, Zorn, Demut und Geduld einander zugeordnet hat: Zorn
Hoffart/Hochmut/Heuchelei falscher Eifer Eifer rechter Eifer
Sanftmut/Geduld
Demut
Der Eifer steht nach Arnold zwischen Demut und Sanftmut auf der einen und der „Hoffart und Heucheley“311 – „welche einen immer reitze über andere herzufahren“312 – und dem „natürlichen Zorn, aus welchem Unwille, Geschrey, Schelten und dergl. entstehe: wie er auch von aussen durch gehäßige relationes, Ohrenblasen und hefftige Impressiones gewaltig erwecket werden kan“313 auf der anderen Seite. Vor dem Zorn warnt Arnold nun eindringlich, denn „mit Schelten und Zorn bewegt man keinen Zuhörer, sondern reitzet ihn mehr zum Unglauben. […] Denn es ist ein schneller adfect, der uns leicht betreugt: Dahero muß man ihm allenthalben den Eingang versperren“.314 Ganz im Sprachduktus Hemmingsens – auch er verabreicht dem Pfarrer remedia und möchte die innerseelischen Konflikte durch eine Vitalisierung des Gottesverhältnisses überwinden – gibt Arnold dem Lehrer „Mittel darwider“315 zur Hand, verzichtet jedoch auf eine bibeltheologische Vermahnung, sondern verlagert die Kontrolle der Affekte ganz in den pneumatischen Bereich und erklärt, dass man seine Hilfe „in dem sanfften Licht und Leben des Geistes JEsu“316 suchen müsse. Konkret: Arnold möchte die Perspektive auf das Objekt des Eifers, d. h. die Schwachen und Gottlosen, lenken, was unmittelbar an Hemmingsens Überlegungen anschließt. Arnold schlägt fünf Strategien vor, anhand derer sich der Lehrer von derlei Konfliktsituationen distanzieren und seine Affekte regulieren könne: 1. Der Prediger solle diese nicht mit übermäßigem Zorn oder „mit Haß […] verfolgen“,317 sondern sie beweinen,318 und sie aus dem „Liebesgeist CHristi allein“ bestrafen, da der übermäßige Eifer eine Seele sonst auszuzehren und 311 GG 267. 312 GG 267. 313 GG 267. 314
GG 267 f. Marginalüberschrift. 316 GG 268. 317 GG 268 unter Rückgriff auf Diad. Phot. Lib. De Perfect. Spirit. 71 (Arnold gibt Kapitel 72 an) (vgl. SC 5/2; 130,14–131,10). 318 GG 268. 315 GG 268,
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auszudorren drohe.319 Der Lehrer müsse sich mit großer Vorsicht ereifern, könne er doch leicht ein wankendes Rohr zerbrechen oder einen glimmenden Docht ersticken.320 Dem Mitleid sei immer der Vorzug vor dem Eifer zu geben. 2. Darüber hinaus müsse – Hemmingsen meldet sich auch hier deutlich zu Wort! – ein gewissermaßen eschatologischer Vorbehalt bei der Beurteilung der Sünder gelten, woran der Areopagite nachdrücklich erinnert habe: „Denn es kan uns unter so viel falschen und scheinbaren Dingen dennoch das einige wahrhafftige und verborgene noch unbekannt bleiben.“321 3. Zum dritten macht Arnold ein pädagogisches Argument geltend: Nur ein Anfänger im Lehramt lasse sich durch die Macht des Eifers betrügen, „in welchem sich die eigene Liebe und Heucheley erstlich der zornigen und cholerischen Natur gebraucht, hernach unter dem guten Schein wider alle gerechte Urtheile versteckt, man meyne es gut, man folge dem Exempel der alten eiferigen Männer, Mosis, Eliä u. s.f. […]“.322 4. Christus – nun treten auch rechtfertigungstheologische Gedanken in den Vordergrund – habe „als Lamm“ und „mitleidiger Hohepriester“ agiert und suche und belehre „die allerbösesten und verirreten in Sanfftmuth“.323 Arnold möchte nur einen solchen Eifer erlauben, der der Christus-Nachfolge entspricht, der nämlich mit 2 Tim 2,24 die „Bösen mit Sanfftmuth“324 zu ertragen und sie mit Hebr 5,2 „[zu] erdulten und mitleidig [zu] tractiren“325 weiß. 5. Fünftens müsse der „Eifer Gottes“ immer im Sinne eines genitivus objectivus verstanden werden, also als „der göttliche reine liebvolle Eifer, welchen GOtt selber wircken, regieren und segnen kan“.326 Zusammenfassend bekräftigt Arnold: „Das alles thut GOTT in seinen Werckzeugen, den Seelen zu Nutz. Denn geistliche Dinge leiden keinen Zwang oder Ubereilung, sondern wollen langmüthiglich abge319 Es handelt sich um indirekte Zitate aus dem Leviticus-Kommentar Radulphus Flaviacensis. Die älteste mir zugängliche Ausgabe ist ein Marburger Druck von 1536: In mysticum illum Moysi Leuiticum libri XX. Hier findet sich das Zitat aus dem sechsten Kapitel des ersten Buchs auf Seite 19. 320 Vgl. GG 269 mit Bezug auf Jes 42,1–4. 321 GG 270, ein Zitat aus Dion. Areop. ep. 6 (ad Sosipatrem) (PTS 67; 164,1–8): Μὴ τοῦτο οἴου νίκην, ἱερὲ Σώπατρε, τὸ εἰς θρησκείαν ἤ δόξαν ὑβρίσαι μὴ ἀγαθὴν φαινομένην. οὐδέ γάρ, οὐδ’ εἰ κεκριμένως αὐτὴν ἐξελέγξεις, ἤδη τὰ Σωπάτρου καλά δυνατὸν γὰρ καὶ σὲ καὶ ἄλλους ἐν πολλοῖς τοῖς ψεύδεσι και φαινομένοις, ἕν ὄν καὶ κρύφιον, τὸ ἀληθὲς λανθάνειν. Οὐδὲ γάρ, εἴ τι μὴ ἐρυθρόν, ἤδη λευκόν. οὐδέ, εἴ τις μὴ ἵππος, ἐξ ἀνάγκης ἄνθρωπος. 322 GG 270. 323 GG 271. Diese Zitate stammen nach Arnolds Angabe aus Dion. Areop. ep. 8 (ad Demophilum) (PTS 67; 171–192). Sie treffen der Sache nach durchaus das Anliegen des Briefes, doch es scheint eine Kompilation verschiedener Textstellen vorzuliegen. 324 GG 272. 325 GG 272. 326 GG 272.
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wartet seyn: sonst wird entweder eine Heucheley daraus, oder eine desperation und furiosität.“327
Wer auf seinem eigennützigen Eifer beharre, müsse damit rechnen, dass „er nichts damit erwecket, als Unmuth und Verstockung bey den Leuten“.328 Immerzu müsse der Blick vom Nächsten auf das eigene Gemüt fallen, „biß man sein eigen Hauß oder Hertz wol bestellen und in göttliche Ordnung bringen lassen durch eine genaue Zucht der Weißheit“.329 Zusammengefasst: Die geistliche Gestalt des Lehrers läuft nach Arnold immer Gefahr, sich angesichts der komplexen Ansprüche und Herausforderungen der Gemeinde zu verflüchtigen. Dem kann der Lehrer nur entgegenwirken, indem er sich auf seine Gotteserfahrung zurückbesinnt, in deren Lichte die Komplexität der Gemeindesituation auf die wesentlichen (heilsrelevanten) Fragen und Probleme reduziert wird. Diese elementarisierende Gedanken- und Gemütsbewegung – von der Feststellung der Komplexität der Gemeindesituation in die Einfachheit des Gottesverhältnisses und von dieser zurück in die Bewältigung jener Komplexität – wurde hier auf die Begriffe Rezeptivität und Poiesis zugespitzt, anhand derer sich eine markante Strukturparallelität zwischen der Pastoraltheologie Arnolds und der quietistischen Mystik feststellen lässt, da auch dort die Dynamik der Verflüchtigung und Konsolidierung der Gottesbeziehung eine zentrale Bedeutung spielt und introspektiv-psychologisierend ausgeleuchtet wird. Arnold zeichnet diese Dynamik auf verschiedenen Sachebenen, anhand verschiedener Metaphern und mit unterschiedlichen Zielrichtungen nach. Im Zentrum der von ihm verwendeten Sprachbilder und Meditationen steht die Forderung, dass sich der Lehrer in Passivität üben, von Gott in Anspruch nehmen lassen und diese Erfahrung der Inanspruchnahme nach außen tragen, d. h. hinsichtlich seiner Gemeinde transparent werden lassen muss – nicht er selbst, sondern Gott handelt durch ihn an der Gemeinde. Eine besondere Nagelprobe für die rechte Balance von Rezeptivität und Poiesis ist die Kontrolle der Affekte. Hier knüpft Arnold unverkennbar an die anthropologisch disponierte Pastoraltheologie Niels Hemmingsens an, der dem Lehrer verschiedene Heilmittel in Form von biblischen Vermahnungen verabreichen wollte, um ihn von den aufwallenden körperlichen wie seelischen Affekten zu kurieren. Arnold fordert vom Lehrer nun im Besonderen die Temperierung des pastoralen Eifers, welcher stets vom Zorn und Hochmut auf der einen oder von Demut und Sanftmut auf der anderen gelenkt und beansprucht werden könne, womit die Unterscheidung von Rezeptivität und Poiesis auf eine habituelle Polarität umgelegt wird: Demut und Sanftmut seien deswegen die vorzüglichsten ‚Eigenschaften‘ des Predigers, weil er sie ausschließlich aus seiner Gottesbeziehung gewinnt – sie sind göttliche Ei327 GG 273. 328
GG 273 f.
329 GG 274.
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genschaften, an denen der Lehrer partizipieren, über die er jedoch nicht verfügen kann. Sie stehen dem Hochmut und dem Zorn kontradiktorisch gegenüber, die der ungezügelten Eigenmacht und Selbstgenügsamkeit des Lehrers entspringen und die in Geltungsdrang und Herrschsucht über die Gemeinde ausschlagen. Damit erweist sich die geistliche Gestalt als Inbegriff jener perfekt ausbalancierten Rückbezüglichkeit der Poiesis auf die Rezeptivität, als Relais für die sich in die Gemeinde bahnbrechende Wirksamkeit Gottes.
3.3.3. Die geistliche Gestalt und die Geschichte – pastoraltheologische Adaption historischer Begründungszusammenhänge Es ist bereits an mehreren Stellen deutlich geworden, dass Arnolds frühere historiographische Erkundungen des altkirchlichen Lehrerideals und dessen Verfall auch die Geistliche Gestalt prägen, wobei beides hier unter pastoraltheologischen Gesichtspunkten rekonfiguriert und systematisiert wird, weil sich Arnolds Fokus von der geschichtlichen hin zur mystischen, introspektiven, mitunter psychologischen Darstellungsweise verlagert. Auch in der Geistlichen Gestalt ruft Arnold die Verfallsgeschichte als kritisches Korrektiv der Pastoraltheologie auf. Vor allem in zwei Argumentationszusammenhängen drängt der kirchenhistorische Referenzrahmen den lutherischen und quietistischen in den Hintergrund. Zum einen spielt die Verfallsgeschichte eine zentrale Rolle, wenn Arnold auf das Problem der Inkongruenz von Lehre und Leben des Pfarrers zu sprechen kommt.330 Der Zusammenhang von Lehre und Leben ist zwar der im letzten Kapitel getroffenen (im Quietismus wurzelnden) Unterscheidung von Rezeptivität und Poiesis sachlich zugeordnet, insofern Arnold feststellt, dass nur ein geheiligtes, sittsames Leben den Lehrer zum Amt legitimiert und seiner Lehre Authentizität verleiht, wenn er mit seinem Lebenswandel zweifelsfrei demonstriert, dass Gottes Verheißung von Wiedergeburt und Geistbegabung glaubwürdig ist, weil sie bereits an ihm erfüllt worden ist.331 Zudem stellt die Forderung nach einem sittsamen, dem Glauben entsprechenden Leben des Pfarrers eine unstrittige Kernforderung der lutherischen Pastoraltheologie dar.332 Wenn er im sechsten Kapitel der Geistlichen Gestalt das Thema aufgreift und wahre und falsche Gottseligkeit eines Lehrers333 unterscheiden möchte, greift Arnold allerdings ostentativ jene pastoraltheologischen Kernforderungen der Alten Kirche programmatisch auf, die er in der Ersten Liebe auf breiter Quellenbasis erschlossen hat, und konstruiert eine kunstvolle, vielschichtige und zwischen Historiographie und Pastoral330 Vgl.
Kapitel I.2.1.2. GG 149: „Dieses muß er ihnen nicht nur mit Worten zeigen, sondern auch mit der That und seinem eigenen Exempel, damit die Unverständigen sehen, theils daß es Ernst und kein Spiegelfechten, theils daß es auch möglich und wol zu practiciren sey.“ 332 Vgl. Kapitel I.3.2.2., insbesondere die Referate zu Hemmingsen und Quenstedt. 333 GG 148. 331 Vgl.
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theologie oszillierende Argumentationslinie, um – auf der Grenze des Sagbaren und Approbierten – die Forderung nach der Kongruenz von Lehre und Leben auf die theologisch brisante, weil – historisch recht besehen und von Arnold auch als solche markierte – donatistische Grundanfrage zuzuspitzen, ob der Prediger die Wirksamkeit des Wortes Gottes durch seinen moralischen Lebenswandel hemmen kann. Jene Argumentationskette kann als Beispiel par excellence für die Transformation der Historie in die amtsmystische Programmatik der Geistlichen Gestalt gelten. Die folgende, detaillierte Rekapitulation des Argumentationsgangs gibt den Blick auf Arnolds subtiles Changieren zwischen Historiographie, Mystagogie und Pastoraltheologie frei. Arnolds Argumentation ist wohl disponiert und ruht auf zwei Prämissen. Zum einen gesteht er der protestantischen Theologie und Kirche freimütig zu, die Forderung nach einer Übereinstimmung von Lehre und Leben der Pfarrer längst zu vertreten,334 auch wenn diese Forderung dadurch relativiert und angefochten werden würde, dass sich „die Vernunfft und der heuchlerische alte Adam […] gerne hinter die Larve einer selbst erwählten moral-Frömmigkeit und äußerlichen Erbarkeit stecket“.335 Zum anderen argumentiert Arnold dezidiert vom biblischen Befund aus: Nach Tim 3,9 verlange der Heilige Geist vom Lehrer – als vollkommene Stufe der Tugendhaftigkeit und als Gottesgabe – ein völlig reines Gewissen, d. h. eine wirkliche moralische Erneuerung. Nach Sir 15,8 hätten solche Lehrer, „die sich vor seine Diener ausgeben, und doch ein H. Leben nicht einmal nöthig oder möglich achten, geschweige selbst führen“,336 den Geist nicht empfangen und können nichts Rechtes lehren, weil „es nicht von GOtt abgesandt ist (ἀπεστάλη)“.337 Nach Prov 26,6 f handele Gott „wol weiser mit seinen Worten, als ein kluger Mann“338 und entziehe dem Törichten, dem Narren, sein Wort: „Wie vielmehr wird Gott einem Menschen, der der Weißheit und ihrer steten Zucht selbsten niemals gehorchet, sein Krafft-Wort bey allem leeren Geschwätz aus dem Munde nehmen?“339
Dass tatsächlich zwischen einem Schriftwort und dem „Krafft-Wort“ Gottes zu unterscheiden340 und die Heiligkeit des Predigers maßgeblich für den Erfolg der 334 Es gelte als „gemeine[s] Bekäntniß“ (GG 158) und in den Lehrbüchern herrsche Konsens über diesen Punkt, was zeige, dass „diese Wahrheit unläugbar ist, und allen ungehorsamen ein Zeugniß vor GOTTES Richterstuhl seyn wird“ (GG 158). 335 GG 158. 336 GG 168. 337 GG 168. Vgl. ebd.: „Sintemal sie es nur aus der Bibel nehmen, (welches an sich selbst gut ist) nicht aber selbst erst in sich wahr und kräfftig werden lassen; dahero sie auch selbst keinen Schmack davon haben, sondern nur im Gewissen Verdammung fühlen.“ 338 GG 168. 339 GG 169. 340 GG 169 f.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
Lehre ist,341 legt Arnold nun in mehreren Schritten und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln dar. 1. Als historischen Ausgangspunkt markiert Arnold den altkirchlichen Streit über die lapsi: „So haben die alten Christen hiervon nach dem wahren Sinn des Heil. Geistes geredet, daß eines gottlosen Lehrers Dienst vor GOTT verhaßt und verloren sey. Sie setzten hier zum unbeweglichen Grund, daß der Mensch ohne dem Heil. Geist nichts in Geistlichen thun könne, und schlossen daraus so gar auch von der Tauffe also: [es folgt das CyprianZitat] Wie kan der das Wasser reinigen und heiligen, der selber unreine ist, und bey welchen der Heil. Geist nicht wohnet? […] Oder wie kan ein Tauffender den andern Vergebung der Sünden schencken, der selbst seine Sünden außer der Gemeine nicht ablegen kann?“342
Arnold eignet sich Cyprians rigoristische Beweisführung an und spitzt sie auf Joh 9,31 zu: „GOTT höret die Sünder nicht […].“343 Cyprians Problemanzeige, die sich ursprünglich ausschließlich auf die Taufe bezog, erweitert Arnold nun auch auf die Absolution344 und die Predigt, indem er sie mit einem Origenes-Zitat in Zusammenhang bringt: „Also muß der, so das Evangelium predigt, wol acht haben, daß kein Fehl oder Flecken in seiner Predigt wachse, kein Mangel in seiner Lehre, keine Schuld in seinem Dienst.“345
Mit Chrysostomos kann er die Anfrage des Cyprian wiederum auch auf die Ordination und Amtsautorität des Predigers beziehen: „Daß diejenigen der Würde des Lehramts nicht theilhaftig werden können, welche kein rechtschaffen Leben und Wandel führeten. […] Denn wer sein Amt redlich ausrichte, der sey gewiß gnug von und aus GOtt verordnet. Wer aber sein Amt nicht wohl vollbringe, der sey von Menschen verordnet.“346 341 In den Marginalüberschriften wird dieses Problem zweistufig erfasst: „ob der Dienst heilsam [sei]?“ und schließlich „ohne dem H. Geist“ (GG 170). 342 GG 170 f. Es handelt sich um ein Zitat aus Cyprians Brief an Januar (ep. 70,1) (CSEL 3/2; 767,14 f): „oportet uero mundari et sanctificari aquam prius a sacerdote, ut possit baptismo suo peccata hominis qui baptizatur abluere […]“. Vgl. zu diesem Abschnitt Bahl, Decay, 155–158. 343 GG 172. 344 Vgl. GG 172 f. 345 GG 173. Arnold zitiert nach eigenen Angaben aus dem zehnten Buch des Römerbriefkommentars des Origenes und dürfte Orig. in Rom. 10,11 (SC 555; 334,5–8=FC 2/5; 214,22–25) im Blick haben: „[…] ita et qui Euangelium sacrificat, et Verbum Dei adnuntiat, curare omnimodis debet ne qua in praedicando macula ne quod in docendo uitium, ne qua in magisterio culpa nascatur […].“ 346 GG 174. Arnold kompiliert zwei (vermeintliche) Chrysostomos Zitate: Das erste ist in Theodorets Kirchengeschichte überliefert (hist. eccl. 5,28) (GCS.NF 5; 329,12–14): οὐ χρῆναι λέγων τῆς μὲν τῶν ἱερέων ἀπολαύειν τιμῆς, τὴν δὲ τῶν ἀληθινῶν ἱερέων μὴ ζηλοῦν βιοτήν, das zweite stammt aus dem pseudepigraphen Opus imperfectum (op. imperf. 53 [zu Mt 25]) (vgl. PG 56, 935): „Ab exitu ergo rei cognoscitur qui a Deo ordinatus est, et qui ab hominibus. Qui enim ministerium suum bene consummaverit, apparet quia ex Deo fuerat ordinatus; qui autem ministerium suum non bene consummaverit, ex hominibus ordinatus est.“
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Arnolds altkirchlicher Quellenbefund – er ist unverkennbar einseitig und tendenziös, weil er anders votierende Kirchenväter und Synoden ausblendet – spricht also dafür, dass die Predigt und Spendung der Sakramente durch einen gottlosen Prediger nicht wirkungsvoll sein können. 2. Arnold dehnt diesen kirchenhistorischen Befund nun über die Alte Kirche aus und spiegelt ihn konfessionell. Dass der aktuelle Verfall der Kirche auf die Inkongruenz von Lehre und Leben zurückzuführen ist, würden auch katholische Autoren bemerken. Cesare Baronio habe in seinen Annales ecclesiastici a Christo nato ad annum 1198 die Gottlosigkeit des Papsttums beklagt347 und auch Robert Bellarmin meine, der Verfall rühre daher, dass „das Leben und die Seele mangelt, die Liebe, welche allein die Worte der Lehrenden beseelen und enzünden kan, und die Hertzen der Zuhörer entflammen und verändern“.348 Diesen Tadel überträgt Arnold nun auf die lutherische Kirche. Schon Luther habe pointiert herausgestellt: „Wo nicht die Wercke sind, da ist CHristus auch nicht. […] Darum die Bischöffe und Lehrer, die nicht CHristi Werck führen, sollen wir halten und meiden wie die Wölffe.“349 Dem Reformator zufolge müsse der Prediger ein „unschuldig Leben“ führen,350 damit „niemand Ursach habe, die Lehre zu lästern“,351 und eine „unsträffliche Lehre“ vertreten, damit „er niemand verführe, die ihm folgen“.352 Wenn also katholische wie lutherische Theologen den Verfall der Kirche auf die Inkongruenz von Lehre und Leben der Pfarrer zurückführen, scheint die altkirchliche Forderung nach der Heiligung der Geistlichen nach wie vor gerechtfertigt und keineswegs eingelöst zu sein. 3. Arnold lässt die historische Betrachtung mit einer i. e. S. pastoraltheologischen Perspektive korrelieren, indem er – zum ersten und m. E. zum einzigen Mal in der Geistlichen Gestalt – Hemmingsen, Gerhard und Quenstedt unmittelbar zueinander ins Verhältnis setzt, um zu demonstrieren, dass in der lutherischen Theologie Konsens darüber herrsche, „daß die Krafft des Worts nicht von dem Werckzeug herrühre, welches auch im wahren Sinn des H. Geistes richtig ist. Jedoch gestehet man zugleich aus der Erfahrung: daß durch der 347 Vgl. GG 176. Arnold zitiert aus dem zehnten Band der Annales Ecclesiasticae (Köln 1603), aus dem siebten Abschnitt zum Jahr 912 (Seite 778). 348 GG 177. Arnold zitiert wiederum aus dem vierten Kapitel des 6. Meditationsgrades von De ascensione, Seite 129: „Ego nullam inuenio causam, nisi quia vt plurimum conciones eruditae, & elegantes, & floridae fundantur, sed deest anima, deest vita, deest ignis, breuiter magna illa charitas deest, quae sola potest verba dicentium animare, & accendere, & corda audientium inflammare, & commutare.“ 349 GG 164. Arnold zitiert aus Luthers Kirchenpostille, seiner Predigt zu Mt 11 am dritten Advent (vgl. WA 10/I,1; 153,22 f). 350 GG 165. 351 GG 165. 352 GG 165. In diesem Zusammenhang bezieht sich Arnold auch auf andere, spätere lutherische Theologen, vor allem aber auf die unter Johann Samuel Stryks’ Vorsitz geführte Dissertation De jure sabbati (1702), Kap. 2, Seite 68.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
Prediger Gottlosigkeit dem Lauff der himmlischen Lehre und der Frucht des Worts keine geringe Hinderung und Auffenthalt geschehe [ein Zitat von Gerhard]“.353
Diesen Überlegungen Gerhards fügt Arnold ein Zitat aus Quenstedts Ethica pastoralis hinzu, um zu präzisieren, „daß die Rede eines bösen Predigers […] nichts als die Lufft und Ohren der Zuhörer treffe, das Hertz aber köne sie schwerlich gewinnen“.354 Um wiederum die naheliegende Deduktion näherhin zu begründen, dass das Wort Gottes die Herzen der durch einen liederlichen Pastor irritierten Hörer nicht erreiche, stößt Arnold eine doppelte Rezeptionskette an: Augustins Aphorismus „Die jenige Hand muß reine seyn, welche den Unflat an andern abwaschen sol, damit nicht durch ihr Anrühren das, was rein werden solte, noch ärger beschmutzet werde“ lässt Arnold von Niels Hemmingsen dahingehend kommentieren, dass aus einem „unreinen Brunnen“ auf keinen Fall „rein und klar Wasser“ geschöpft werden könne, so dass der Lehrer zusehen müsse, „welches die erbliche Unreinigkeit des Hertzens sey, und woher man Reinigkeit nehmen müsse, damit das Hertz rein und aus einem […] reinen Quell rein Wasser geschöpffet werde“,355 bevor Arnold zuletzt selbst erklärend hinzusetzt: „Wenn auch ein Lehrer nicht als ein Brunn, sondern nur als eine Röhre betrachtet würde, so dürffte er doch nicht beschmutzt und voll Sünden seyn, wo seine Lehre rein seyn solte.“356 4. Die kritische Tendenz der bisherigen Argumentationskette wendet Arnold nun in die positive Schlussfolgerung, dass die Kongruenz zwischen Leben und Lehre des Pfarrers im Willen Gottes verankert sei. Mit Nicolo a Jesu Maria wird die bisherige Beweiskette geradewegs umgedreht: „Wiewol es bißweilen sich zutragen mag, daß bey einer gesunden Lehre eines, der da lehret oder schreibet, ein böses Leben ist; ist doch gewiß, daß niemals eine böse Lehre mit einem guten Leben und H. Wandel verknüpfft ist oder seyn kan.“357
353 GG 182. Arnold zitiert aus Gerhards Locus de ministerio, Paragraph 275, vgl. 185 [275]: „Quamvis enim verbi et sacramentorum efficacia nequaquam dependeat a ministri dignitate vel indignitate, ut ostendimus in tract. de sacr. §. 30. res ipsa tamen manifestum facit, cursui doctrina colestis et fructificationi verbi non mediocrem remoram atque impedimentum objici per ministrorum improbitatem.“ 354 GG 182. Arnold zitiert aus Quenstedts Ethica, Monitum 28, 198: „Plane mali declamatoris oratio nil nisi aerem & aurem auditorum verberat, persvadere pectus vix potest.“ 355 GG 182. Er zitiert aus Hemmingsens Pastor, 35: „Manum enim illam mundam esse oportet, quae alienas diluere vult sordes, ne tactu suo quae mundari deberent, foedius inquinet. […] Certe fieri non potest, vt ex impuro fonte limpida & pura hauriatur aqua. Quare pastor hic videat, & quae sit mentis illa inquinatio haereditaria, & vnde puritas petenda, qua mens purgari possit, quo ex fonte purgato, purae depromantur aquae.“ 356 GG 182. 357 GG 183. Arnold zitiert aus Nicolaus a Jesu Marias „Elucid. Theol. Myst. Part. I. Cap. II. § 7“, womit die Schrift Phrasium mysticae Theologiae elvcidatio gemeint ist. Die älteste, mir zugängliche Ausgabe stammt aus dem Jahr 1631. Hier findet sich das Zitat auf Seite 22: „Etenim quamuis aliquando contingat prauos mores cum sana docentis, vel scribentis doctrina coniungi nunquam tamen cum optimis moribus, vitaeque sanctitate malitiosa doctrina sociatur, nec sociari potest.“
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)
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Die Wirksamkeit der Predigt ergebe sich also erst aus der wiedergeborenen Existenz des Lehrers und stellt daher den Lackmustest für die Kongruenz von Lehre und Leben dar.358 Das eine vom anderen abzukoppeln sei völlig unsinnig,359 darauf abzielende dogmatische Erklärungsversuche würden vom eigentlichen Kernargument ablenken,360 dass nämlich der Lehrer Gottes Wort – wie auch sein ganzes Leben – ausschließlich von Gott erhalte,361 d. h. aber von Gott ergriffen und umgestaltet werden müsse, um das Predigtamt recht versehen zu können.362 Dass das Wort Gottes nur durch geheiligte Prediger verkündigt werden solle, bedürfe deswegen eigentlich keiner weitergehenden theologischen Rechtfertigungen,363 seien doch die Pfarrer wie die Propheten „GOttes Gehülffen“ (nach 2 Petr 1,21 und 1 Kor 3,9).364 358 Vgl.
GG 186. Vgl. GG 186: „Und gewißlich kömmt auch der leere Lehrsatz von dem kräfftigen Wort eines Gottlosen nirgend anders her, als von der natürlichen Hoffart, welche, wenn sie durch den klaren Augenschein überzeuget ist, daß ihre Lehre nich [sic!] göttlich, und also nicht kräfftig sey, weil nemand [sic!] dadurch gebessert wird, dennoch freventlich ihr Ding vor GOttes Wort und Kraft auszugeben fortfähret, damit sie nicht zu Schanden werden.“ 360 Vgl. GG 187: „Zwar kan freylich der Menschen Unglaube GOTTES Glauben nicht aufheben. Allein der Unglaube läßet doch dem Menschen, der nicht glaubet, nicht zu, daß er nach dem Glauben lehre und lebe, durch welchen er dermaleinst gerichtet werden sol.“ 361 Vgl. GG 187 f. 362 Um dieses Spannungsverhältnis zu erläutern, bietet Arnold ein umfangreiches Exzerpt aus der Dissertatio de Officiis Et Notis Boni Doctoris Ecclesiae sub exemplo Aurelii Augustini, Episcopi Hipponensis von Gottfried Vockerodt, die schon aufgrund ihres breiten, kirchengeschichtlichen Horizonts für Arnold interessant gewesen sein dürfte: Arnold zitiert aus der Dissertatio die Klage Vockerodts darüber, dass die heutige Kirche die Mahnungen und Warnungen der Väter und der neuen Schriftsteller (Luther, Selnecker, Gerhard) nicht hören will und eine ungebührliche Diskurskontrolle ausübt, um die Frage nach der Integrität und Heiligung der Prediger zu unterbinden: „[…] so können doch solche, die fromme Lehrer erfordern, schwerlich denen Namen der Donatisten, Novatianer, Catharer und anderer alten Ketzer entgehen, oder werden als Verräther des Heil. Ministerii, Verräther der Kirchen, und Stöhrer der gemeinen Ruhe blamirt“ (GG 189). Vockerodt gebe ferner zu bedenken, dass „ein Blinder den andern führen könne“ und „daß dem Wort GOttes seine Krafft bliebe, wenn es von bösen Lehrern NB. ohne falsche Auslegungen hergesagt werde […] Ja daß solche offt durch GOttes Vorsehung hersagten, was sie selbst nicht wüsten oder erfahren hätten“ (GG 190). Letztlich komme er aber zu dem Schluss, „daß die Geheimniße der Christlichen Religion, deren Krafft nicht so wol von menschl. als göttl. Einsetzungen dependirt, recht von solchen administriret würden, [Arnold setzt erläuternd hinzu] welches mit der Augsp. Confeßion aus dem 8. Art. bekannt wird: Allein bey diesem allen könne doch nichts desto weniger ein jeder sehen, wie wenig Nutzen der Kirchen und der Menschen Seligkeit dergleichen Leute schaffeten!“ (GG 191). Daraus resultiere aber hinsichtlich der Gemeinde: „Und also bleiben die einfältigen Zuhörer solcher Lehrer, die den H. Geist nicht haben, gottloß, die verschlagenen aber Atheisten“ (GG 191). 363 Vgl. GG 192. 364 GG 193. Vgl. auch GG 194 f: „Zu dem kan eigentlich von einem unwiedergebornen Prediger nicht gesagt werden, daß er GOTTES Wort predige, ob er schon alle Wort, die er predigt, aus der Bibel bewiese; denn GOttes Wort predigen, ist eigentlich, zu sagen, nicht allein das jenige, was in der H. Schrifft stehet, und GOTT vor diesem durch seine Diener geredet hat, schlechter dinges reden und vortragen, sondern solches aus GOtt reden und predigen, also daß die Worte nicht aus menschlicher Weißheit und Beredsamkeit herkommen, sondern aus Eingeben GOttes und seines Geistes herfliessen. Dahero dann das jenige, was unwiedergeborne Geistlose Geist359
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5. Zuletzt sichert Arnold die Argumentationskette gegen den skeptischen Einwand ab, ob nicht die Prediger, wenn man wie Arnold annehmen wollte, dass sie von Gott berufen und zur Verkündigung ausgerüstet werden müssten, bevor sie ihr Amt versehen, zu ähnlichen Wundertaten wie die Apostel, etwa zu dem Sprachenwunder nach Apg 2, in der Lage sein müssten – ein Argument, das z. B. Gerhard gegen die vocatio immediata ins Feld führt.365 Dies kontert Arnold zum einen, indem er auf eine sich veränderte Zeit hinweist: Heutzutage habe man „solche Wundergaben und Wirckung des Heiligen Geistes nicht nöthig […], deswegen solche auch von GOtt eben nicht können erwartet und gebeten werden“.366 Zum anderen möchte er die eigentliche Wunderhaftigkeit des göttlichen Wortes darin erkennen, dass der Lehrer tatsächlich nicht aus sich selbst heraus bzw. aus einem „Naturlicht“ oder einem „natürliche[n] Licht“ spreche, sondern von Gott dazu veranlasst werde.367 Die Beweiskette ist ein eindrückliches Beispiel für Arnolds veränderte Perspektive auf die Geschichte, wie er sie in den Vorworten der Geistlichen Gestalt und der Historie und beschreibung einzunehmen angekündigt hat. Arnolds These lautet: Wenn der Lehrer nicht über eine stabile Gotteserfahrung verfügt, sich also nicht von Gott berufen lässt, steht er der Vermittlung des Wortes Gottes in der Predigt und der Spendung der Sakramente im Wege, insofern die Gemeinde durch die Inkongruenz von Lehre und Leben und die Ermangelung einer anschaulichen Gotteserfahrung irritiert und zurückgestoßen wird. Der lichen, auf der Cantzel aus der Bibel mit klugen Worten aus menschlicher Weißheit predigen, ein gestohlenes Wort ist, welches sie dem HErrn ihrem GOTT wider dessen Willen abgestohlen, und vorgebend, daß sie Diener und Boten GOttes seyn an CHristi statt, da sie doch von GOtt niemalen innerlich beruffen, oder er jemalen durch sie geredet hat, und folgends auch unkräfftig, die Menschen von ihren Sünden zu bekehren, oder doch von weitem so kräfftig nicht, als wann es durch seine Diener gelehret wird.“ 365 Vgl. Kap. I.3.3.1. 366 GG 197. Er setzt aber zugleich hinzu, dass Gottes „Hand noch nicht verkürzet“ (GG 197) sei und dass er natürlich, wo er für angemessen halte, derlei Wunder durch seine Berufenen vollbringen könne. 367 Gott gebe dem Prediger den Gegenstand seiner Predigt ein – das Pfingstwunder erscheint daher als Paradigma einer unmittelbaren Beauftragung und Instrumentalisierung des Predigers durch Gott: „gleichwie die Sonne das natürliche Licht, erstlich auf das Glas ihre Stralen wirfft, dasselbige erleuchtet und erwärmet, und vermittels desselben in einem grossen Saal alles hell, klar und warm machet“ (GG 197). Freilich sei für die Predigtvorbereitung eine Ordnung des Stoffes und auch die Lektüre „ein und ander gottselig Buch darüber“ (GG 198) nicht ganz unnütz, doch letztlich solle der Prediger aus dem „guten Schatz“ schöpfen, „nicht allein des Gehirns oder Gedächtnißes, sondern seines Hertzens“ (GG 198), d. h. aber aus seiner Gemeinschaft und Erfahrung mit dem Heiligen Geist. Entscheidend sei die Offenheit für das Wirken des Geistes im Lehramt, insbesondere aber während der Predigt: Die Prediger dürften nicht nur rein theoretisch das Wirken des Geistes bei der Predigt voraussetzen oder aus bloßer Gewohnheit darum bitten, sondern sie müssten ihre „Naturgaben“ (GG 199) und Gewohnheiten zum Schweigen bringen und dem „Beystand des H. Geistes“ (GG 199) Raum geben. Indem sie ihr eigenes Unvermögen zur Predigt und den Geschenkcharakter des Wortes ernstnehmen, könnten jedwede Scheinheiligkeiten – vor allem aber die Klage über die „gemeine Verderbniß“ (GG 200) – überführt und kritisch hinterfragt werden.
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kirchenhistorische Referenzrahmen bietet Ausgangspunkt und materiale Basis der Argumentation, anders als in seinen früheren Schriften steht die Geschichte jedoch nicht mehr im Zentrum der Darstellung, Arnold möchte den Lehrer vielmehr zur kritischen Selbstprüfung seiner Berufungserfahrung anregen – unter Rückgriff auf die Geschichte und die höchst kontroverse Position Cyprians, auch wenn diese an sich – weil sie später überholt worden ist – keine Evidenz für seine pastoraltheologische These beanspruchen kann und deswegen theologisch und empirisch aufgearbeitet und validiert werden muss. Das zweite nicht weniger eindrückliche Beispiel für Arnolds Adaption kirchenhistorischer Interpretamente in der Geistlichen Gestalt findet sich in den „Eigenschaftskapiteln“. Trotz seines dezidiert mystagogischen Ansatzes neigt Arnold in diesen Kapiteln dazu, die Notwendigkeit der geistlichen Erneuerung des Lehrers in ihrer historischen Tragweite zu erfassen. Er weist darauf hin, dass der Lehrer die Weitergabe der Wiedergeburtserfahrung maßgeblich verantwortet, und bekräftigt, dass eine nicht formierte geistliche Gestalt des Lehrers Schaden historischen Ausmaßes in der Kirche anrichtet. Für die Geistliche Gestalt ist eine ausgeprägte Generationen- und Familienmetaphorik charakteristisch, wie bereits im Zusammenhang mit Arnolds Überlegungen zur Demut und Sanftmut des Lehrers angedeutet wurde.368 Dort ist diese Metaphorik auf den liebevoll-nachsichtigen Umgang des Lehrers mit seiner Gemeinde zugespitzt, Arnold kann sie aber auch auf die Verantwortung des Lehrers für die Weitergabe der eigenen Wiedergeburtserfahrung an die Gemeinde anwenden. Die Wiedergeburtsmetapher, die im Zentrum der noch rudimentären Pastoraltheologie der Erklärung Vom Secten-Wesen stand,369 spielt in der Geistlichen Gestalt fast nur noch in denjenigen Zusammenhängen eine herausragende Rolle, in denen Arnold dem Leser in Erinnerung ruft, dass der Lehrer Sorge für die nächste Generation der Christen wie auch den Fortgang der Geschichte des Christentums insgesamt tragen müsse.370 Es stehe fest, dass das „gantze Amt des N. Bundes auf die Geburt geistlicher Kinder und auf die Fortpflantzung des göttlichen Samens und Geschlechts zielet“.371
In dieser Kette müsse, damit sie nicht abreiße, jedes Glied an der Wiedergeburt partizipieren,372 besonders aber das geistliche Amt ziele darauf, die nächste Generation zu stärken und zu rüsten und die Wiedergeburt, welche durch die Partizipation an der „wahre[n] Gemeinschafft und Correspondence“373 368 Vgl.
Kapitel I.3.3.2. Kapitel I.2.3. 370 Vgl. GG 28 f. 371 GG 29. 372 Vgl. GG 29: „So müssen nothwendig die, so geistliche Väter seyn und heissen wollen, auch selbst zuvor Starcke, Erwachsene und Männer in Christo worden seyn.“ 373 GG 31. 369 Vgl.
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von Vater und Sohn, d. h. am Geist, ermöglicht wird,374 authentisch zu bezeugen.375 Die Konsequenzen einer fehlenden oder unvollständigen Wiedergeburt des Lehrers für die Generationenkette des Christentums beschreibt Arnold mit drastischen Worten: „Der untaugbare göttliche Grund ist auch daselbst schon berührt, wie nemlich keiner andere mit Schmerzen gebähren könne, der selbst noch nicht wirklich aus GOtt geboren ist, wofern er nicht lauter geistliche Mißgeburten und Bastarde hervor bringen sol, wie die Erfahrung gnugsam ausweiset vor denen, die geistliche Augen haben. […] Also taugt er auch vor solcher Erneuerung zum Bilde GOttes noch weniger zum Dienste, dadurch andere zu eben diesem Bilder erneuert werden sollen.“376
Die Metapher der „Missgeburt“ deutet in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diejenigen, die nicht von einem wiedergeborenen Lehrer gezeugt worden sind, keine vollumfängliche, geistlich-seelische Integrität besitzen, d. h. als Christen nicht überlebensfähig sind. Die Metapher der „Bastarde“ deutet wiederum darauf hin, dass es nur Gott bzw. die von ihm beauftragte himmlische Sophia – und eben der evangelische Lehrer als Vater – sind, die die Kinder zur Welt bringen. Der „Bastard“ stammt von einem fremden Erzeuger ab, nämlich demjenigen, der in der Gemeinde etwas anderes als Christus lehrt, also nicht wahrhaft von Gott berufen ist.377 Konkret verfehle der Lehrer sein Amt, wenn sich seine Predigt in der Predigt des Gesetzes erschöpfe, worunter Arnold nicht nur den Dekalog, sondern auch alle Menschensatzungen, theologische Lehren und „Eigendünckel“378 zählen kann, also alles, was dazu führt, dass „das Werck der Wiedergeburt zu einem menschlichen eigenmächtigen Wercke“ gerate.379 Der Schaden eines solch falsch verstandenen Lehramtes sei kaum abzusehen: Wo der Lehrer seine eigene Wiedergeburt verfehle, verfalle er dem Hochmut, Intellektualismus und einer pfarramtlichen Attitüde,380 was in der Gemeinde zu einer kommunikativen Erstarrung führen müsse: Die Zuhörer bestätigen den Prediger in seiner Fehl374 Vgl.
GG 31. „Und aus dieser H. Communication wird der H. Geist reichlich über ihn ausgegoßen, daß Ströme von ihm auf andere fließen können, nach Joh. VII,38.“ 375 Vgl. zur Väter- und Familienmetaphorik insgesamt auch GG 106– 115. 376 GG 99. 377 Vgl. GG 100: „Nun sol aber diese Veränderung geschehen durch den Dienst göttlicher Werckzeuge und geistlicher Väter, wie die angezogenen Schriftstellen ausweisen. Darum müssen ja solche geistliche Väter allerdings zuvor selbst zu solchem Zweck des Neuen Bundes gelanget und vom neuen geboren, oder an Hertz und Sinn geändert und göttlicher Natur, Art und Krafft wircklich theilhafftig worden seyn. Folglich müssen sie die jenigen Kennzeichen und Früchte der neuen Geburt an sich haben, die der Heilige Geist von derselben deutlich setzte. Zum Exempel daß sie nicht Sünde thun, noch sündigen können, daß sie sich bewahren vor den Anläuffen des Argen, u. s. f. wie Johannes nach einander specificiret.“ 378 GG 32. 379 GG 32. 380 Vgl. GG 35–38.
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haltung, weil auch sie die Scheinhaftigkeit der authentischen Weitergabe der Wiedergeburt vorziehen.381 Während er das historische Ausmaß einer erfolgreichen Weitergabe der Gotteserfahrung allenfalls andeutet, spitzt Arnold die Folgen einer mangelhaften Berufungserfahrung des Lehrers allesamt historisch zu: Wo der Lehrer Demut, Sanftmut und Geduld nicht aufbringen kann, d. h. nicht an diesen göttlichen Eigenschaften partizipiert, kommt es zum Verfall der Kirche. Die Trias von Hochmut, Geiz und Wollust, wie sie für die Verfallsgeschichte der Prediger, die Arnold in Erster Liebe und Kirchen- und Ketzerhistorie rekonstruiert hat, prägnant ist, findet hier ihren pastoraltheologischen Widerhall. Das prägnanteste Beispiel für diese Tendenz zur Historisierung ist der Antagonismus von Demut und Hochmut. Wo die Demut zu einem „Schein der Demuth“382 gerate, komme es in der Kirche zwangsläufig zu einer Akkumulation von Macht und zur Unterdrückung der Gläubigen. Es mag daher nicht überraschen, dass sich Arnold in seinen Ausführungen zur Demut zum ersten Mal in der Geistlichen Gestalt explizit auf die Kirchen- und Ketzerhistorie und die Erste Liebe bezieht, die beide übereinstimmend dokumentiert hätten, dass in der Alten Kirche „die grosse Erhebung derselben [nämlich der Lehrer] von dem unverständigen Volck“383 oft thematisiert und kritisiert worden sei.384 Die Gefallsucht des Predigers schleiche sich immer dann ein, wenn der Lehrer „nach und nach unvermerckt durch den Beyfall, Liebe und Lob der Leute von seinem Zweck abkommt, daß er darnach mehr auf adplausum siehet, als auf die innere besserung, und also ein geistlicher Ehebrecher wird“.385 Das Bild vom geistlichen Ehebrecher borgt sich Arnold von Gregor dem Großen, es soll die Ausrichtung des Predigers auf die „Lust“ statt auf die „Frucht“ seines Wirkens karikieren.386 Weil die Gemeinde den Lehrer bewusst oder unbewusst in seinem Hochmut bestärke und selbst – durchaus eigenverschuldet – zur Projektions- und Präsentationsfläche pastoraler Selbstbezüglichkeit gerate,387 beginne der Lehrer, 381 Vgl. GG 39: „Denn da ist es alsdenn schon gut, wenn die Zuhörer einen loben, gern hören und fein viel Sprüche sagen können, sie nachschlagen, auch den Lehrer bedienen, Almosen geben, und in äusserlichen ehrbaren Schein einhergehen.“ 382 GG 223. 383 GG 215. 384 GG 215 f. 385 GG 216. 386 Vgl. GG 216. Arnold bezieht sich auf Gregors Lib. IIX Moralia in Job Cap 25, dürfte aber Gregors Kommentierung von Hiob 24,15 im Blick haben (PL 75, 1156): „Adulter quippe in carnali coitu non prolem, sed voluptatem quaerit. Et perversus quisque ac vanae gloriae serviens recte adulterare verbum Dei dicitur, quia per sacrum eloquium non Deo filios gegnere, sed suam scientiam desiderat ostentare.“ Arnold übersetzt: „Ein Ehebrecher suchet nicht die Frucht / sondern die Lust: also wenn ein Prediger eitelen Ruhm sucht / so verfälscht er Gottes Wort (oder huret damit / adulterat) weil er nicht durch dasselbe Kinder dem lieben Gott zeugen wil / sondern nur seine Kunst sehen lassen / saget ein alter Lehrer gar wol.“ 387 Vgl. GG 224: „Die scharffe Zuchtruthe GOttes muß einen erst rechtschaffen in die Enge und iu [sic!] sein Nichts hinein getrieben haben, ehe man seine eigene Worte und Wercke prüffen und kennen lernet. Sonst bricht man in der Blindheit mit unreiffen Lehren aus, indem
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„zu eiffern wider einige äusserliche Sünden, und machet einen grossen Schein“ und „bricht nach und nach in Hoffart und Herschsucht über andere aus, über welche Art Leute nichts elenders und unerträglichers seyn mag“.388 Und so verfolgen die Lehrer einen ungehemmten Missionseifer, doch „heimlich suchen sie nur den Namen zu kriegen, daß sie viele gewonnen haben“.389 Zwar etabliert sich damit nur auf lokaler Ebene eine monepiskopale Herrschaftsform, doch von der mikroskopischen, pastoraltheologischen Diagnose innergemeindlicher Machtstrukturen und Abhängigkeiten aus schließt Arnold auf eine allgemeine, historische Betrachtung des Verfalls der Kirche: „Und wenn auch GOTT in äusserlichen Dingen viel gutes befördert; so wird es doch durch den Fall der Menschen verderbet, wenn sie einen Gottesdienst daraus machen, und die Leute und ihr eigen gantz Gemüthe darauf führen, als auf ein Hauptwerck, das doch Christus allein seyn solte. Da entdecket sich bald die Eigenliebe, wenn jemand nicht alles so mit erheben wil, und er deßwegen verworffen wird. Aus welcher Abgötterey das Pabstthum und alle Secten entstehen, da man dem Geschöpffe mehr dienet und anhanget, als dem Schöpffer, der da ist über alles gelobet in Ewigkeit.“390
Ganz auf der Linie seiner historischen Schriften möchte Arnold daher prognostizieren, dass sich die theologische Blasiertheit391 im Kleinen zur kleinkrämerischen Streitsucht im Größeren auswachse – „Widersprüche, Wortkriege, Pralereyen und falschberühmte Künste im Predigen, Disputiren, Bücherschreiben, u. s.f“392 –, und dass die pastorale Arroganz und Herrschsucht notwendigerweise zu dogmatischer Engstirnigkeit und lähmender Geistlosigkeit in der Gesamtkirche führe, wenn diese auf ihre „Infallibität“ bestehen will393 und dabei jede Regung der wahren Kirche und die Erhebung der Wiedergeborenen unterdrückt.394 die hoffärtige Natur gern flug was grosses seyn will, und dahero gar schnell ist, andern Lasten aufzulegen, die sie selbst noch nicht angerühret hat. Man machet sich bald einen Anhang und praetendirt einen blinden Gehorsam von andern, und wer sich weigert, den druckt man nach Vermögen.“ 388 GG 225. 389 GG 225. 390 GG 228. 391 Vgl. GG 230: „Solche und dergleichen Warnungen [vor der Erhebung der Lehrer durch das Volk in der Alten Kirche] sind nach der Zeit noch viel nöthiger worden, nachdem man im Verfall und unter dem Antichrist angefangen. Denn obwol kein Stück der rechten Wissenschaft an ihm selbst zu verwerffen ist: So pflegt doch das Wissen aufzublehen, nach Pauli Zeugniß, und daher die Seele eines Christen ins gemein in Gefahr und Versuchung der Hoffart zu setzen, geschweige denn eines Lehrers. […] Wer bey solchen Reitzungen des natürlich-stolzen Hertzens nicht immer im Wachen und Beten bleibet, der geräth unvermerckt in den unerträglichsten Hochmuth, und kennet sich hernach selber nicht, und bleibet daher von aller wahren Besserung und Reinigung enternet [sic!] und fremde.“ 392 GG 230. 393 GG 230, Marginalüberschrift. Vgl. auch GG 232: „Es heist: Man verachte Christum selbst, wer einen Prediger verachte. Da doch der HErr JEsus dieses Priuilegium nur seinen wahren Jüngern und Gesanden gibt, nicht aber denen, die seinen Geist dämpfen, betrüben oder gar lästern, und die keinen göttlichen Beruff und Grund mit ihren Worten und Wercken darthun können.“ 394 Vgl. GG 230.
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)
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Dieses zweite Beispiel macht vor allem deutlich, auf welche Weise Arnold die elenktische Funktion der Kirchengeschichte in seine Pastoraltheologie integriert. Die Formierung der geistlichen Gestalt des Lehrers entscheidet über Wohl und Weh der Kirche und ihren Fortgang in der Geschichte. Nur wenn die geistliche Gestalt des Lehrers völlig ausgebildet ist, nur wenn der Lehrer an der Berufungserfahrung und an den göttlichen Eigenschaften vollumfänglich partizipiert, kann sich die Geschichte des wahren Christentums fortsetzen. Wo dies nicht der Fall ist, aktualisiert sich jener Verfall, der die konstantinische wie auch die reformatorische Kirche zugrunde gerichtet hat: Die Generationenfolge der wahren Kirche reißt ab. Tendierten die historischen Schriften der Anschaulichkeit, Erfahrungsvermittlung und polemischen Zuspitzung wegen ins Anthropologische, gemahnt die Implementierung der Verfallsgeschichte in die Geistlichen Gestalt den Prediger zur historischen Verantwortlichkeit: Um des Fortgangs der Geschichte der Kirche willen muss er die authentische, göttliche Berufung zum Amt unbedingt anstreben. Damit deutet sich auch eine markante Neubewertung der Relevanz des kirchlichen Amtes ab: Arnold postuliert aus historischer Perspektive, dass dem Pfarrer eine maßgebliche Funktion bei der Weitergabe der Glaubenserfahrung zukommt. Während die quietistische Pastoraltheologie die Legitimität und Funktion des Amtes in der geistlichen Erbauung des Beichtkindes verwirklicht sieht und die lutherische Amtstheologie die Würde des Amtes aus der im Ordinationsritus sichtbar werdenden vocatio mediata ableitet, legt Arnold die Verantwortung des Pfarrers für die Kirche auf die Solidität und Weitergabe der Gotteserfahrung um: Nicht aufgrund seiner Eignung als Beichtiger noch aufgrund seiner Ordinationswürde, sondern einzig aufgrund seiner persönlichen Verantwortung für die Überwindung der historisch evidenten und nach wie vor sich aktualisierenden Verfallsgeschichte ist der Pfarrer für den Fortbestand der Kirche von Nutzen und Bedeutung.
3.4. Zwischenfazit: Arnolds Amtsmystik im Spannungsfeld ihrer Referenzräume Im vorausgegangenen Kapitel wurde gezeigt, wie Arnold die Pastoralkritik, die er in seinen historischen Schriften und der Erklärung lautstark vorgebracht hat, unter Rezeption quietistischer und lutherischer Ansätze in eine originelle und konstruktive Pastoraltheologie überführt. Das urkirchliche Lehrerideal, wie Arnold es in der Ersten Liebe herausgearbeitet, im Denckmahl anhand der Apologie Gregors von Nazianz personengeschichtlich veranschaulicht und der lutherischen Kirche in der Kirchen- und Ketzerhistorie polemisch vorgehalten hat, wird in der Geistlichen Gestalt zum wesentlichen Leitbild erhoben: Wenn der Lehrer die Berufungserfahrung als Grundlage seines pastoralen Handelns
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I. Der Pfarrer bei Arnold
wiederentdeckt, seine eigenen intellektuellen Fähigkeiten, seinen Aktionismus und seinen Hochmut kritisch hinterfragt, sich Gott ergibt und sich von ihm zum Amt berufen lässt, verwirklicht sich das urkirchliche Ideal der christlichen Gemeinde – der Verfall des Lehrstandes, der mit der konstantinischen Kirche eingesetzt hat, wird überwunden. Über eine bloße Repristinierung jenes historischen Ideals geht Arnold in der Geistlichen Gestalt jedoch hinaus, indem er die quietistisch-mystische Introspektive und lutherische Ansätze umfänglich in seine Pastoraltheologie integriert. Auch wenn er mit der Geistlichen Gestalt kein in gleicher Weise ausgefeiltes, kontemplatives Stufenprogramm wie Molinos oder Guyon entwickelt, definiert er unter Rückgriff auf sie die Rahmenvoraussetzungen für das Erlangen der Berufungserfahrung: Arnolds Forderungen nach einem Rückzug in die kontemplative Stille und einer Einübung in die Passivität gegenüber der göttlichen Inanspruchnahme der eigenen intellektuellen, sprachlichen und affektiven Potentiale entsprechen der quietistischen Forderung nach einer stetigen Konzentration auf die Gottesbeziehung und deren Beschirmung gegen außer- und innerseelische Ablenkungen. Weil die Formierung der geistlichen Gestalt ganz von Gott ausgehe, könne der Lehrer sich gegenüber dem Berufungsgeschehen nur passiv verhalten und müsse lernen, seinen Willen dem Willen Gottes unterzuordnen und seine moralische wie intellektuelle Unwürdigkeit und Unfähigkeit zum Amt zu akzeptieren. Nur wenn der Lehrer demütig seine Ohnmacht und Angewiesenheit auf Gott einsieht, würde sich die Berufungserfahrung einstellen. Arnold und der Quietismus berühren sich auch darin, dass die Bewährung der geistlichen Gestalt in einem Spannungsverhältnis von Rezeptivität und Poiesis gefasst wird: Der Lehrer müsse im Amt die Balance zwischen der Offenheit für die sich immer neu einstellende Berufungserfahrung und der Zuwendung nach außen, d. h. zur Gemeinde, halten. Allein seine Gottesbeziehung dürfe ihn zur Arbeit antreiben, allein in ihrem Licht könne die strapaziöse Komplexität der Gemeinde elementarisiert werden und sie allein sei das Maß für die Interaktion des Lehrers mit seinen ‚Zuhörern‘. Stets laufe sie Gefahr, Schaden zu nehmen und sich zu verflüchtigen, wenn der Lehrer das Eigene – seinen Eifer, seinen Intellekt, seine Sprache – in die Gemeinde einzubringen und die geistliche Gestalt zu unterdrücken, einzuschränken und auszuschalten versuche. Nur der stete Rückzug in die Offenheit für die göttliche Formierung der geistlichen Gestalt könne ihn davor bewahren. Diese Bewegung kann Arnold auf verschiedenen Sachebenen und mit unterschiedlichen Sprachbildern zum Ausdruck bringen, in deren Zentrum die Überzeugung steht, dass sich die geistliche Gestalt des Predigers bemächtige, ihn moralisch, affektiv, intellektuell und charakterlich tiefgreifend neu gestalte und sich dadurch der Gemeinde offenbare. Im Gegenteil werde, wo die geistliche Gestalt unterdrückt wird, das göttliche Wort in seiner Wirksamkeit geschwächt. Gewiss weiß Arnold diese quietistischen Einflüsse ebenso zu kaschieren wie seine Positionierung hinsichtlich des pastoraltheologischen Diskurses der lu-
3. Die Geistliche Gestalt Eines Evangelischen Lehrers (1704)
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therischen Orthodoxie, welchen er jedoch sehr genau wahrnimmt und aus dem er seine Begriffssprache, einzelne Loci – de vocatione, de ordinatione, de auditoribus, de affectibus – und teilweise ganze Interpretamente übernimmt, etwa wenn er mit seiner Verortung der Affekte zwischen Hochmut und Demut bzw. Zorn und Sanftmut an Niels Hemmingsen anknüpft, der in seinem Pastor meinte, mit Hilfe körperlicher und geistlicher Askese jene Fenster schließen zu können, durch die die sinnlich-affektive Ablenkung und mit ihr das Böse, der Zweifel und die Sünde in die Seele des Lehrers einfallen. In einem wesentlichen Punkt, nämlich hinsichtlich der Vorstellung einer unmittelbaren vocatio, liegt Arnold jedoch mit seinen lutherischen Vorläufern über Kreuz. Seine theozentrisch akzentuierte Berufungstheologie bricht sich in der Geistlichen Gestalt in einer Kritik am veräußerlichten, evangelischen Ordinationswesen und am Opportunismus der Pfarramtskandidaten Bahn: Nach Arnold stellt sich die Formierung der geistlichen Gestalt als völlig subjektive Erfahrung dar und entzieht sich der Überprüfung durch eine äußerliche Instanz wie der Kirche. Insbesondere Arnolds schroffe Ablehnung des Ordinationswesens und der in diesem zum Ausdruck kommenden Berufungstheologie der lutherischen Kirche fällt mitunter so massiv aus, dass man seinem Kritiker Coler, der die Geistliche Gestalt von den radikaleren Schriften Arnolds abrückt und mit vorsichtigem Lob bedenkt, unterstellen muss, sie nicht oder nur oberflächlich gelesen zu haben. Obwohl Arnold seit der Historie und beschreibung Der Mystischen Theologie Abstand von seinen früheren historiographischen Arbeiten nehmen und sich ganz der Seelenführung widmen wollte, bleibt auch in der Geistlichen Gestalt der kirchenhistorische Referenzrahmen dominant. Die kirchengeschichtlichen Quellen liefern Arnold freilich nicht nur das Material, sondern auch eine – in seiner Konzeption keineswegs randständige – pastoraltheologische Grundidee. Dass Arnold der geistlichen Gestalt auch eine geschichtliche Bedeutung beimisst, war ausgehend von seinen historischen Schriften zu erwarten: Nur der von Gott berufene Lehrer – so hat er schon in der Ersten Liebe erklärt – könne die Gotteserfahrung authentisch vermitteln. Wo der Lehrer hingegen seine Berufungserfahrung preisgebe, gehe die Kirche mit ihm unter. Arnold bekräftigt diesen Ansatz in der Geistlichen Gestalt, wenn er die Generationenfolge der wahren Kirche auf dem Spiel stehen sieht, sofern der Lehrer es nicht vermag, seine Eigenaktivität zu sistieren und Gott durch sich hindurch an der Gemeinde wirken zu lassen. Trotz der immer noch allgegenwärtigen Verfallshermeneutik meldet sich in der Geistlichen Gestalt also auch ein subtiler Geschichtsoptimismus zu Wort. Insgesamt deutet sich mit der Geistlichen Gestalt eine fundamental veränderte Perspektive Arnolds auf das Pfarramt an. Hatte er in seinen historischen Schriften und in der Erklärung die Zentralstellung und den Infallibilitätsanspruch der Kleriker beanstandet und die Verantwortung für seine geistliche Entfaltung ganz dem Individuum überlassen – und damit abseits von der Kirche und der „Clerisey“ –, begründet er nunmehr die herausragende Bedeutung des Pfarrers
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I. Der Pfarrer bei Arnold
bei der Weitergabe der Gotteserfahrung, indem er seine frühere Kritik am Verfall der Prediger enthistorisiert und konstruktiv in seine pastoraltheologischen Überlegungen einbindet. Gewiss ist Arnolds veränderter Standpunkt vor allem biographisch bedingt: Er rechtfertigt und reflektiert in der Geistlichen Gestalt auch seine eigene Hinwendung zum kirchlichen Amt und seine mit der Allstedter Amtsübernahme einhergehende Abkehr vom radikalen Separatismus. Die Geistliche Gestalt ist jedoch nicht in erster Linie als Apologie zu lesen, sondern vielmehr als Marke einer tiefgreifenden werkgeschichtlichen Zäsur. In der Abmischung der drei genannten Referenzrahmen deutet sich ein Sprung im Denken Arnolds an: Die Historie wird mehr und mehr zum materialen Steinbruch seiner pastoraltheologischen Konzeption, welche in entscheidenden Teilen vom mystischen Quietismus geprägt ist, jedoch auch unverkennbar die Nähe zur lutherischen Pastoraltheologie sucht, ohne dass Arnold seine fundamentale theologische Prämisse aufzugeben bereit wäre, dass die individuelle Gotteserfahrung jedweden äußerlichen Versicherungs- und Legitimationsinstanzen übergeordnet und der Kritik, Domestizierung und Unterdrückung entzogen bleibt. Ist nun die Geistliche Gestalt die pastoraltheologische Utopie eines unbedarften Schlosspredigers, der die anfechtungsvolle Realität eines regulären Pfarramtes noch nicht persönlich kennengelernt hat? Arnolds Anforderungen an die Spiritualität und Selbstachtsamkeit des Pfarrers sind in der Tat hoch: Der Pfarrer soll sich fortwährend als ein von Gott erwähltes und berufenes Werkzeug verstehen und sich immerzu daran erinnern lassen, dass er angesichts unzähliger alltäglicher, gemeindlicher Herausforderungen dieser Berufung verlustig gehen und sich, ihrer ungeachtet, im pfarramtlichen Alltag verlieren kann – unter der dräuenden Aussicht, dass sich an ihm Wohl und Weh der ganzen Gemeinde entscheiden. Das Allstedter Schloss musste Arnold – trotz der Auseinandersetzungen mit dem Herzog und der Eisenacher Orthodoxie – wie ein pastoraltheologisches Reagenzglas vorkommen und tatsächlich dokumentiert die Geistliche Gestalt in ihrer Erstauflage eine gewisse Blindheit Arnolds für die alltäglichen Nöte und Lasten des Pfarrers in einer regulären Gemeinde, insofern er den Konflikt mit der Außenwelt und den Zuhörern ganz in das Innenleben des Pfarrers verbannen und ihn als ein solitäres, allein der Gottesbeziehung verpflichtetes Wesen zeichnen möchte, welches das Amt ausschließlich aus der Kraft der kontemplativen Gottesschau, der mystischen Selbstvergegenwärtigung vor Gott bewältigen muss. Arnold bleibt hier nicht stehen. Deutet sich bereits in Allstedt eine im Vergleich zu seiner früheren radikalen Kritik veränderte Perspektive auf das kirchliche Amt an, drängt sich Arnold mit dem Wechsel ins brandenburgische Werben und angesichts der pfarramtlichen Realität jenseits der Schlossmauern die Notwendigkeit auf, wesentliche Aspekte der Geistlichen Gestalt zu überdenken.
4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie in den Werbener und Perleberger Schriften (1705–1714) In seinen Werbener und Perleberger Amtsjahren entwickelt Arnold seine Pastoraltheologie, wie er sie in der Geistlichen Gestalt von 1704 dargelegt hat, in wesentlichen Punkten weiter, was sich plausibel von daher erklären lässt, dass sich sein Blickfeld entscheidend erweitert, seit er ab 1705 eine kirchenleitende Funktion übernimmt und in Werben und Perleberg zum Inspektor, d. h. zum örtlichen Bevollmächtigten des Superintendenten, berufen wird.1 Dass Arnold in den Brandenburger Amtsjahren seine früheren pastoraltheologischen Ansätze erprobt, konkretisiert und entfaltet und dabei auch nicht zögert, sie an die sich ihm neu erschlossenen, pfarramtlichen Realitäten anzupassen, wird aus mehreren Schriften ersichtlich, die von der Forschung bisher weitestgehend außer Acht gelassen wurden: Neben der Neuauflage der Geistlichen Gestalt, deren Vorrede auf das Jahr 1712 datiert ist, aber erst elf Jahre nach Arnolds Tod 1723 erscheinen konnte, sollen eine Investiturpredigt aus der Werbener Zeit, die Evangelischen Reden von 1709 und 1711 und zwei Katechismuserläuterungen herangezogen werden. Während die Predigt Aufschluss über Arnolds Verständnis der gegenseitigen (positiven wie negativen) Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Pfarrer und Gemeinde wie auch die Entwicklung seines Kirchenbegriffs insgesamt gibt, spricht Arnold in den Evangelischen Reden von 1709 und 1711 und den Katechismuserläuterungen wiederholt pastoraltheologische Grundsatzfragen an, übt zum Teil massive Kritik am Pfarrstand und möchte beide, Gläubige wie Pfarrer, an ihre gegenseitige Bezogenheit erinnern und dahingehend ermahnen, Kommunikationsblockaden auf und abseits der Kanzel zu durchbrechen, pfarr1 Vgl. zur Geschichte des Pietismus in Kurbrandenburg und Preußen den (älteren) Forschungsbericht Schicketanz, Berlin-Brandenburg, v. a. 117–121, Deppermann, Brandenburg-Preußen, v. a. 38–48 und Marschke, Brandenburg-Preußen, 246–253. Für die Rekonstruktion der parochialen und diözesalen Verhältnisse jener Zeit sind Bratrings Statistischtopographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg (1804) und Uwe Czubatynskis Evangelisches Pfarrerbuch für die Altmark unabdinglich. Dem Werbener Inspektor unterstanden demnach (vgl. Bratring, Beschreibung, 241) neben Werben selbst die neun Pfarrgemeinden von Behrendorf, Berge, Görne, Hindenburg, Iden, Krusemark, Polckritz, Rohrbeck, Walsleben. Dem Perleberger Inspektor unterstanden (vgl. a. a. O. 406) neben Perleberg gar 20 Gemeinden: Bentwisch, Gr. Berge, Blüthen, Bresche, Gr. Brese, Cumlosen, Dallmin, Düpow, Gr. Gottschow, Gulow, Kletzke, Krampfer, Nebelin, Neuhansen, Premslin, Quitzow, Rosenhagen, Suckow, Uentze und Vieseke.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
herrliche Allüren zu verhüten und scheingläubige Selbstgefälligkeiten abzustellen. Dass der Pfarrer dazu bereit sein muss, sich von seiner Gemeinde prüfen, ermahnen, ja demütigen zu lassen, da ihm nur seine aufrichtige Demut die Einkehr in die Berufungserfahrung ermöglicht, erweist sich als Quintessenz der Pastoraltheologie Arnolds nach 1705. Der Darstellung halber ist es sinnvoll, die Chronologie der genannten Texte zu unterlaufen und die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt zuerst in den Blick zu nehmen, da diese die pastoraltheologische Theorie von 1704 in Anbetracht der konkreten Erfordernisse des Pfarramts in Werben und Perleberg Punkt für Punkt aktualisiert und zudem eine valide Beschreibungssprache für Arnolds veränderte pastoraltheologische Perspektive konturiert, wie sie sich in Investiturpredigt, Reden und Katechismen unmittelbar und adressatenorientiert konkretisiert.
4.1. Die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt als ‚Fortschreibung‘ der ersten Pastoraltheologische Grundsatzfragen scheinen Arnold bis zu seinem Lebensende nicht losgelassen zu haben. Ab 1712 plant er in engem Austausch mit der Halleschen Druckerei eine Neuauflage der Geistlichen Gestalt, zu der es jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht kommt. Sie erscheint erst postum 1723 und nicht wie beabsichtigt in Halle, sondern in Frankfurt a. M. / Leipzig.2 Diese Zweitauflage ist von vornherein und von Arnold selbst als Doppelband konzipiert: Sie umfasst als erstes Buch die unveränderte Erstauflage von 1704 und als zweites Buch ein Supplement, das das erste weiterführen, kommentieren und entfalten soll. Mit Nachdruck verwahrt sich Arnold in seiner auf den 30. August 1712 datierten Vorrede dagegen, dass dieser zweite Teil eine Revision der Erstauflage von 1704 darstellt, im Gegenteil erklärt Arnold, dass ihm keine negativen Rezensionen der Geistlichen Gestalt bekannt seien, die eine solche nötig machen würden.3 Trotzdem wolle er auf einzelne Anfragen hinsichtlich der horrenden Ansprüche, die er in der Erstauflage an die Pfarrer gerichtet hat, replizieren: 2 Arnold fühlt sich durch Elers darin bestärkt, die Geistliche Gestalt neu herauszugeben (Brief vom 19.02.1711, Nachlass A. H. Francke 6,2/37: 33), verabredet ein neues Vorwort (Brief vom 29.06.1711, Nachlass A. H. Francke 6,2/37: 31) und übersendet dieses am 12.10.1711 (Nachlass A. H. Francke 6,2/37: 32). Zu der Neuauflage kommt es jedoch nicht. Arnold bittet in einem Brief vom 04.09.1712 Joachim Lange darum, zwischen ihm und Francke zu vermitteln und die Publikation doch noch zu ermöglichen (AFSt/H A 188a: 104). Dem kommt Lange offenbar nach, denn in einem Brief vom 02.02.1713 erkundigt sich Arnold danach, ob das Manuskript gedruckt werden kann (Nachlass A. H. Francke 6,2/37: 34), was jedoch auch im Verlauf jenen Jahres nicht geschieht. Arnold erkundigt sich ein Jahr später abermals (Brief vom 04.02.1714, Nachlass A. H. Francke 6,2/37: 35). Zu einer Publikation ist es in Halle jedoch nie gekommen – Arnold stirbt Ende Mai 1714. Die Zweitauflage erscheint 1723 bei Johann Georg Böhmen in Frankfurt. 3 GG2, neue Vorrede, **r.
4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie
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„Seit dem dieses Büchlein zum ersten mal ans Licht kommen ist, haben einige vornehmlich dieses daran desideriren wollen, als ob das Lehramt allzu schwer darinne vorgestellet sey, wodurch manche entweder davon gäntzlich abgeschreckt, oder doch verzagt gemacht und niedergeschlagen werden möchten.“4
Derlei Bedenken habe er seiner Zeit vorausgeahnt, die Ansprüche der ersten wolle er aber auch in der zweiten Auflage nicht zurücknehmen oder abmildern: Dass seine Darstellung Prediger und Anwärter mitunter überfordert habe, sei zu erwarten gewesen, behandle er doch ein gänzlich übermenschliches Amt, welches schon die „Alten“ als „onus Angelorum humeris tremendum“5 gefürchtet hätten. Tatsächlich sei die nachhaltige Irritation der Leser geradewegs Zweck und Sinn der Geistlichen Gestalt gewesen – insofern könne sie als voller Erfolg gewertet werden.6 Nach Arnolds eigenen Angaben geht der zweite Band auf seine konkreten Erfahrungen in solchen Gemeinden zurück, in denen er mit der ganzen Fülle pastoraler Arbeit konfrontiert gewesen ist. Während er auf Schloss Allstedt, wo er die Erstauflage verfasst hatte, hauptsächlich mit dem „Lehren und Catechisieren“ betraut gewesen, mit „actus ministeriales“ verschont geblieben sei und mit der Schlossgemeinde zudem eine im christlichen Glauben halbwegs gebildete Gemeinde vor sich gehabt habe, habe er erst in Werben und Perleberg wirklich begriffen, was es heißt, ein „Wegweiser der Blinden“ und ein „Lehrer der Unmündigen“ zu sein.7 Arnold möchte daher in der Zweitauflage die konkreten Amtsverrichtungen und kirchlichen Rahmenbedingungen, die er in der Erstauflage weitestgehend ausgespart hatte, in seine Überlegungen miteinbeziehen, denn die äußerliche Administration müsse wie die geistliche Gestalt selbst „von dem Heil. Geist regiert und angewendet […] werden“.8 Zudem sollte auch „von solchen externis nicht ohne alle Erfahrung gezeugt werden“ und es müssten „alle Handlungen und Umstände auf solche Erbauung und Gewinnung der Seelen“ ausgerichtet seien.9 Die Vorschläge bzgl. der „äußerlichen“ Amtsverpflichtungen des evangelischen Lehrers resultieren nun auch keineswegs, so beteuert er, aus einer „verkehrten Lust zu reformiren oder unnöthiger Neuerung“, sondern sollten vielmehr der kritischen Prüfung der kirchlichen Praxis dienen.10 Unerwähnt lässt Arnold in seinen Präliminarien freilich, dass er sich in seinen Aus4 GG2,
neue Vorrede, *4r. neue Vorrede, *4v. 6 Vgl. GG2, neue Vorrede, *5r: „Sollte demnach gleichwol jemand dabey in ein Zagen und Zweifeln an seinem Zustand gerathen seyn, so würde er solches nicht so wol dem Buche, als seinem eigenen Sinn und Zustand beyzumessen haben, welcher also bewandt gewesen, daß er darüber wancken müßen, und folglich würde er mehr Segen als Schaden davon erfahren, wo ers zur Besserung anwendete.“ 7 Vgl. GG2, neue Vorrede, *6r. 8 GG2, neue Vorrede, *6v. 9 GG2, neue Vorrede, *6v. 10 GG2, neue Vorrede, *7r. 5 GG2,
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I. Der Pfarrer bei Arnold
führungen vielfach auf den Dienstbeginn der Pfarramtskandidaten konzentrieren und den Übergang zwischen Examen und Ordination als eine besondere Zeit der anfechtungsreichen Selbstprüfung in den Blick nehmen möchte, wohingegen er sich noch in der Erstauflage an unterschiedslos alle Amtsträger gerichtet hat, so dass sich die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt mit der in vielen ihrer Kapitel einschlägigen Berücksichtigung der Zielgruppe der Kandidaten dem Grundanliegen vorgängiger, pietistischer Studienreformvorschläge annähert.11 In der Zweitauflage verändert sich Arnolds Arbeits- und Darstellungsweise merklich. Zwar rechtfertigt er sich erneut für das breit ausgebaute, kirchenhistorische Fundament seiner Argumentation: Indem er sich auf die Kirchenväter beruft, wolle er zeigen, dass Gott auch früher schon „viel Gutes öffentlich bezeugen“ ließ;12 darauf hinweisen, dass auch schon andere vor ihm bemängelt haben, was er in seinem Buch kritisiert; eine belastbare Grundlage für die weitere Diskussion über die Herausforderungen und Aufgaben des Pfarramts schaffen; auf prägnante, erinnerungswürdige Aphorismen zurückgreifen; und seiner präferierten Arbeitsweise folgen: Der kirchenhistorische Zugang liege ihm einfach und bereite ihm wenig Mühe. Aufs Ganze gesehen zeigt sich freilich, dass Arnold im zweiten Band viel eigenständiger arbeitet als im ersten, seine eigenen Gedanken und Ideen unbefangener und offensiver präsentiert und sich viel häufiger als zuvor auf Luther und den inzwischen verstorbenen Spener bezieht. Außerdem rezipiert Arnold nunmehr auch verstärkt evangelische Kirchenordnungen, vor allem die kurbrandenburgische von 1540/72, die in Werben und Perleberg in Gebrauch stand.13
Trotz Arnolds Zusage, auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt seinen pastoraltheologischen Prämissen im Allgemeinen treu bleiben zu wollen, zeigt bereits ein oberflächlicher Vergleich der Kapitelüberschriften beider Auflagen, dass er seine früheren Überlegungen teilweise begrifflich neu fassen, konkretisieren und weiterführen möchte. Erstauflage (1704)
2. Teil, Zweitauflage (1723) laut Inhaltsverzeichnis14
I. Von der Zubereitung eines rechten Lehrers
I. Von der Zubereitung eines Lehrers, ihrer Nothwendigkeit, Art und Frucht, insonderheit von der Unterweisung, Anfechtung und Gebet
II. Von dem Beruff eines Göttlichen Lehrers
II. Von der Beruffung, Verordnung, Prüfung und Einweisung
III. Von der Wichtigkeit und Schwerigkeit des Lehramts
III. Von Hinderung und Erleichterung des Lehramts
11 Vgl.
v. a. die Kapitel I.4.1.1. und I.4.1.2. neue Vorrede, *7v. 13 Vgl. zu dieser veränderten Quellenlage auch Arnolds Hinweise bzgl. der von ihm verwendeten Editionen Luthers, Speners und der Bekenntnisschriften GG2, neue Vorrede, **r. 14 Tw. weichen die Kapitelüberschriften marginal vom Inhaltsverzeichnis ab. 12 GG2,
4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie
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Erstauflage (1704)
2. Teil, Zweitauflage (1723) laut Inhaltsverzeichnis14
IV. Von eines Göttlichen Lehrers Vereinigung, Bekannt= und Gemeinschafft mit Gott in der neuen Geburt
IV. Von Sammlung und Vereinigung in und mit Gott
V. Von göttlicher Weisheit eines Boten Gottes
V. Von Göttlicher Weisheit und Vorsichtigkeit
VI. Von wahrer Gottseligkeit eines Lehrers insgemein, und von Vermeidung der falschen
VI. Von ungeheuchelter Gottseligkeit eines Lehrers und der Seinigen
VII. Von denen sonderbaren Eigenschafften eines Lehrers, und erstlich von seiner Demuth
VII. Von seiner Demuth, Autorität und Gewalt
IIX. Von deßen Sanfftmuth, Geduld und Liebe
IIX. Von der Sanfftmuth, Geduld, Liebe und Ernst
IX. Von seiner Mäßigkeit und Genügsamkeit, oder von seinem Verhalten in zeitlichen Dingen
IX. Von der Mäßigkeit, Genügsamkeit, Versorgung, Meidung des Geitzes, Ehestand u. s.w.
X. Von dem Ernst und Fleiß im Lehramt
X. Vom Ernst, Fleiß und Treue im Lehramt
XI. Von dem Hauptwerck eines Göttlichen Lehrers, nemlich der Verkündigung des wahren Evangelii
XI. Von Handlung des Gesetzes und Evangelii
XII. Von Handlung des Gesetzes XIII. Von denen öffentlichen Verrichtungen eines Lehrers insgemein
XII. Von öffentlichen Handlungen und Stücken des Kirchen=Dienstes
XIV. Von eben denselben, und insonderheit von dem Lehren
XIII. Vom Catechisiren, Predigen und privat=Unterricht
XV. Von Handlung der Tauffe, der Absolution, des Abendmahls, des Banns und anderer äußerlichen Dinge
XIV. Von Handlung der Tauffe, Absolution und Communion
XVI. Von der Wirckung des Lehramts, und zwar erstlich bey Ungeübten
XV. Von mancherley Folgen und Früchten des Lehramts
XVII. Von den rechten Früchten des wahren Lehramts
Tatsächlich scheint sich prima facie an der Grundkonzeption der Geistlichen Gestalt nichts zu ändern – die Anordnung der Kapitel bleibt unverändert, das Wesen der geistlichen Gestalt wird ausgehend von der Berufungserfahrung des Lehrers erschlossen und auf die Wirkung des Lehramts zugespitzt. Dabei wird das Doppelkapitel zur Predigt auf ein einziges reduziert, das finale Doppelkapitel der Erstauflage – von den Früchten des Lehramts – zusammengestrichen. Die
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I. Der Pfarrer bei Arnold
in den Überschriften bloß angedeuteten, spezifischen Weiterentwicklungen und Fortschreibungen der Überarbeitung von 1712 sollen im Folgenden anhand von vier markanten, für Arnolds Pastoraltheologie zentralen Kapiteln en detail nachvollzogen werden: - Die Rede von der „Zubereitung“ des Lehrers (Kapitel I) wird in der Zweitauflage sprachlich domestiziert, die quietistisch grundierte Berufungstheologie in die Sprache der Erfahrungstheologie Luthers überführt. - In die Berufungstheologie (Kapitel II) werden nun auch externe Berufungsinstanzen miteinbezogen, d. h. die mittelbare Berufung durch theologische Fakultäten, Kirche und Patrone, an der Arnold als Inspektor selbst beteiligt ist, erhält stärkeres Gewicht. - Im Kapitel „Von Hinderung und Erleichterung des Lehramts“ (Kapitel III) konkretisiert Arnold seine Ansichten zu den Kümmernissen und Herausforderungen des Pfarramts und gibt überraschend anschauliche, praxisnahe Hilfestellungen, um sowohl äußerliche Ärgernisse als auch innerseelische Konflikte im pfarramtlichen Alltag zu überwinden. - Die Demut stellt nach wie vor die pastorale Schlüsseleigenschaft dar, wird jetzt aber ganz und gar auf die Frage nach der Gemeindeleitung zugespitzt (Kapitel VII). Die nicht minder weitreichenden Ergänzungen und Zugaben in den Kapiteln zu Predigt und Sakramenten sollen hier zurückgestellt und im zweiten Teil der Untersuchung behandelt werden.
4.1.1. Klärung: Die quietistisch-mystische „Zubereitung“ des Lehrers in den Bahnen lutherischer Erfahrungstheologie Arnold erfindet das Zubereitungskapitel auf bemerkenswerte Weise neu, was dessen Überschrift freilich nur andeutet: Arnold ersetzt „Von der Zubereitung eines rechten Lehrers“ durch „Von der Zubereitung eines Lehrers, ihrer Nothwendigkeit, Art und Frucht, insonderheit von der Unterweisung, Anfechtung und Gebet“. Bei dem Kapitel handelt es sich um weit mehr als eine kommentierende Erläuterung und Bestätigung des entsprechenden Kapitels der Erstauflage, nämlich um eine subtile Überführung des quietistischen Weges der Selbstbereitung in die Sprache lutherischer Erfahrungstheologie. Die in der Überschrift angekündigten Punkte werden von Arnold geflissentlich abgearbeitet: 1. Notwendigkeit. Wenn Arnold in der Kapitelüberschrift von „ihrer Nothwendigkeit“, d. h. der Notwendigkeit der Zubereitung des Lehrers spricht, verhehlt er, dass es ihm in diesem Kapitel zuallererst entschieden darum geht, die Notwendigkeit des Pfarramtes an sich herauszustellen. Damit greift er ein wesentliches Anliegen der lutherischen Orthodoxie auf und stellt die eigenen ekklesiologi-
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schen Ansprüche – dem Pfarrer kommt eine bloß sekundierende, helfende, aber nicht hinreichende Funktion bei der Vermittlung der Gnade und Etablierung des Gottesverhältnisses zu – ein Stück weit hintan. Setzte er in der Erstauflage noch mit der programmatischen Forderung nach einer innerlichen Bereitung des Lehrers ein und konstatierte in diesem Zusammenhang die freie göttliche Wahl des zu Berufenden,15 bringt Arnold nunmehr die Heilsnotwendigkeit des Pfarramts in die kapiteleröffnende Position und kann dessen Autorität auch von externen Instanzen abgeleitet wissen: Die göttliche Gnade sei schlichtweg auf Menschen angewiesen, die anderen den Weg zu ihr weisen würden,16 ja es brauche – Arnold verweist explizit auf Röm 10,14 – das äußerliche Wort und „sichtbare Menschen“.17 Selbst diejenigen, die bereits zum Glauben gefunden hätten, bedürften des Pfarramtes, denn sie müssten sich immer wieder in den Zirkel aus Demütigung und Erbauung hineinbegeben und sich auf das Hören des Wortes einlassen, um im Glauben zu wachsen.18 Eine Gemeinde ohne Prediger sei schlechterdings nicht überlebensfähig.19 Einzig von dieser generellen Notwendigkeit des Lehramtes für die Gemeinde her begründet Arnold die Notwendigkeit der rechten Bereitung des Lehrers, wie er sie in der Erstauflage gefordert hat: Nicht ordentlich bereitete Prediger zum Amt zuzulassen, würde der Gemeinde schaden, womit er sich auf einer Linie mit verschiedenen lutherischen Theologen, Obrigkeiten und Kirchenordnungen sieht.20 2. Art und Frucht. Arnold bekräftigt das Anliegen der Erstauflage dahingehend, dass er meint, „ein Lehrer müsse durch wahre Bekehrung und Heiligung wohl praepariret werden“.21 Zudem setzt er die Erfahrungstheologie der Erstauflage vollauf ins Recht, indem er erklärt, dass der Prediger notwendigerweise die Gotteserfahrung, die er in seinem Amt kommunizieren und darstellen soll, selbst erlangt und verschiedenen Bewährungsproben ausgesetzt haben müsse: „Wie viel muß ein Prediger ihm selbst und andern schaden, der so vieles andern saget, was er selbst nie an sich probirt hat! Er leeret sich selber aus, ehe er sich hat füllen lassen von Gottes Geist und Krafft.“22
Das Wort „probiren“ ist hier im Sinne von „prüfen“ bzw. „sich selbst prüfen“ zu verstehen. Der Lehrer solle sich, indem er immer wieder Anfechtung und „einen Trost und Geschmack der Gnade“23 erlebt, eine gelassene Erwartungshaltung gegenüber dem Wirken Gottes in seiner Seele aufbauen. Anfechtung und Infra15 Vgl.
GG 3–5. 2,2. 17 GG2 2,2. 18 Vgl. GG2 2,3 f. 19 Vgl. GG2 2,4. 20 Vgl. GG2 2,4–6. 21 GG2 2,5. 22 GG2 2,8. 23 GG2 2,10. 16 GG2
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gestellung der eigenen Gottesbeziehung sollen den Lehrer immer wieder auf seine Ohnmacht hinsichtlich des Wirken Gottes zurückwerfen. Nur im Bewusstsein dieser Ohnmacht lasse sich die Beanspruchung Gottes erneut erfahren. Anders als in der Erstauflage versteht Arnold diese Zirkularität jedoch nicht mehr als einen dynamischen Erfahrungszusammenhang, der in den Begriffen der Dürre und Ergriffenheit situiert wäre, sondern überführt sie vollends in den Anfechtungsbegriff und die Kreuzestheologie: Der Pfarrer müsse sein Kreuz tragen und die Erfahrung des passiven Leidens verstetigen.24 3. Unterweisung, Anfechtung und Gebet. Arnold überführt die in der Erstauflage noch gänzlich vom Quietismus beeinflusste Rede von der Zubereitung in die Sprache der Erfahrungstheologie Martin Luthers.25 Bereits in der Erstauflage war er kurz auf Luthers Erfahrungstheologie zu sprechen gekommen,26 dort jedoch nicht im ersten, sondern im dritten Kapitel zur „Wichtigkeit und Schwerigkeit“ des Lehramtes, wo er Luthers Erfahrungsbegriff unter der Perspektive der Anfechtung entfaltet hatte: „Also saget unter andern Lutherus: Es wird ein guter Prediger und Lehrer daraus (nemlich aus einem / der von der Weißheit gezüchtiget und geprüfet worden) [ein erläuternder Zusatz Arnolds!] denn durch den Glauben verstehet er alle Dinge recht und durch die Anfechtung. Darnach versucht er dasselbe alles / daß ers gewiß wird / darum kann er gewißlich davon sagen / und jederman Unterricht geben. […] Der unversuchte Mensch ist noch nicht so hoch kommen / daß er des Geistes Gegenwärtigkeit prüfet und empfindet / biß das er versucht und probirt werde.“27
Auch in die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt, hier in das zweite Kapitel, implementiert Arnold Luthers berühmten Dreischritt von meditatio, oratio und tentatio, stellt nun aber die Reihenfolge in markanter Weise um, so dass die Anfechtung den Einstieg in die Gotteserfahrung bildet: „Und weil doch keine meditation und Betrachtung etwas nutzet ohne die wahre Prüfung und Bewährung: So gedencke ich billig der tentation zuerst, von welcher ietzt gedachter Mann so gar offt versichert, daß ohne sie kein Studiren oder Speculiren etwas tauge, sondern vielmehr verführe.“28 24 Vgl.
GG2 2,13. zu Luthers Erfahrungsbegriff Beutel, Erfahrungswissenschaft, bes. 503–506. 26 Vgl. GG 85 f. 27 GG 85 f. Ein Zitat aus der Epistelpredigt Luthers zum Johannistag über Sirach 15,1–15 in der Kirchenpostille, vgl. WA 10/I,1; 301,18–301,18. 28 GG2 2,15 f. Arnold legt dieser Umstellung eine Glosse zu Jes 28,19 aus Luthers entsprechender Vorlesung (vgl. WA 25; 189,16–18: „Cum autem tentatio venit, tum demum credunt esse vera ea, de quibus per verbum sunt admoniti. Sic etiam pii non sentiunt vim et fructum verbi nisi in tentatione.“) und seiner Auslegung von Gen 26,18 zugrunde (Arnold zitiert aus der Altenburger Ausgabe, Band 9, Seite 794: „[…] und wiewol wir mit harter und schwerer Anfechtung geübet unnd versuchet werden / daß sie uns doch gleichwol nicht schaden. Das ist unserer Theologia, die man nicht so leichtlich und halbe lernen kan / sondern man muß auff das Gesetz des HERRN dencken / davon Tag und Nacht reden / man muß immer zu 25 Vgl.
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Arnold bekräftigt seine Ansicht, dass nur die Anfechtung den rechten Theologen ausmache: „Diejenigen können am allerkräfftigsten lehren, die ihre Lehre an sich selbst erst erfahren haben. Daher geschiehet es, daß, je besser einer predigt, je mehr Anfechtung hat er gekostet, wodurch seine Rede wie beseelet wird.“29 Die Anfechtung vollbringe nämlich zweierlei: Sie demütige den Lehrer, insofern sie ihn auf seine Gottesbeziehung zurückwirft,30 und sie mache ihn sprachfähig und sensibel hinsichtlich der Erfahrung seiner Zuhörer, insofern er diese im Lichte seiner eigenen Erfahrung und im Lichte der Gnade Gottes reflektieren kann: Nur der geistliche Notstand, nur die selbst erlebte Angewiesenheit auf Gott befähige den Lehrer dazu, seine Gemeinde recht zu verstehen.31 Daher kann Arnold die Anfechtung als ständige Wegbegleiterin des Pfarramtes ausweisen, sie müsse „stuffen=weise immer fortgehen und bis ans Ende währen“.32 Die oratio versteht Arnold als die natürliche Antwort des gläubigen Menschen auf die tentatio. Die Anfechtung „lehret aufs Wort mercken, also lehret sie auch recht beten“,33 insofern nur dasjenige als rechtes Gebet gelten könne, das „ein vom H. Geist gewircketes Verlangen und Ringen des Glaubens um die nöthige Gnade ist“ und das sich vom „Geschwätz oder Formul=Wesen der Heuchler“ diametral unterscheide.34 Arnold begreift unter der oratio das „wahre Geistes= Gebet“, welches im kirchlichen Amt „unermüdet und hauptsächlich“ verrichtet werden müsse, weil es allein dem Pfarrer die Kräfte zuwachsen lasse, die er für die Erfüllung seines Amtes benötige.35 Nur in diesem Zusammenhang kommt Arnold auch auf die Weisheit zu sprechen. Während sie noch im ersten Kapitel der Erstauflage eine herausragende Rolle als Zuchtmutter und Berufungsinstanz gespielt hat, fasst er sie in der Zweitauflage als eine Gebetsweisheit auf, welche Felde ligen / und wider den Teuffel streiten […].“ Vgl. WA 43; 472,15–19: „[…] et quantumvis gravibus et difficilibus tentationibus exerceamur: non tamen nocere eas nobis. Haec Theologia nostra est, quae non facile aut subito discitur, sed assidue meditandum est in lege, standum est in acie contra Diabolum, qui conatur nos retrahere a studio verbi, et languefacere fidem nostram“). 29 GG2 2,17. Als Fundstelle gibt Arnold Balduinus, Institut. Min. Eccl. Cap. XII. an und meint damit Friedrich Balduins Brevis Institutio Ministrorum verbi, potissimum ex priore Epistola D. Pauli ad Timotheum Conscripta, Wittenberg 1621. Hier findet sich das Zitat auf Seite 133: „Ideo omnium efficacissime docere possunt, qui doctrinae suae experimenta habuere in semetipsis. Unde fere fit, quod, quo praestantiores sunt concionatores, eo plures ipsi degustarunt tentationes, quae sermonem ipsorum animant.“ 30 Vgl. GG2 2,18–20. 31 Vgl. GG2 2,20 f: „Wie im Gegentheil diejenigen, so nichts von der rechten Noth gekostet, und in ihrer harten ungebrochenen Natur und Sinn stehen, bey aller angenommenen Schmeicheley dennoch hart, ungütig, unwissend und verkehrt handeln, auch niemanden seine rechte Speise geben können, sondern mehr schaden als nutzen mit ihrem Unterricht und Trost: Alldieweil sie solchen nur von andern stehen, und gleich denen unerfahrnen Medicis ein Recept allen Patienten appliciren, welchen denn unmöglich ohne Verderben oder doch ohne grossen Aufenthalt und Hinderniß des Reichs Gottes abgehen kann.“ 32 GG2 2,18. 33 GG2 2,21. 34 GG2 2,21. 35 GG2 2,21.
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durch die Hinwendung zu Gott erlangt werden kann und jedes andere theologische Wissen obsolet macht.36 Auch hinsichtlich der oratio erfährt die Zubereitung eine entscheidende Entgrenzung: Arnold möchte das Gebet, welches Luther noch als predigtvorbereitendes Gebet verstanden habe, „vor allen Antritt solcher Verrichtungen“, d. h. vor jedes pastorale Handeln setzen, denn es gleiche alles aus, „was sie etwa an äusserlichen Studiren darüber versäumet zu haben meyneten“.37 Zuletzt kommt Arnold auf die meditatio zu sprechen, die bei Luther Ausgangspunkt jeder Theologie, bei Arnold Resultat der rechten Zubereitung des Lehrers ist.38 Arnold weist hier darauf hin, dass das Theologie-Treiben, vor allem aber die Schriftauslegung, nicht ohne eine „Erleuchtung“ durch den Heiligen Geist möglich sei.39 Gott offenbare sich nur den Demütigen, d. h. aber den „Unmündigen, die sich ihrer eigenen Klugheit verzeihen, und als Kindlein sein Reich und Licht in sich fassen“, und befähige sie zu einer Predigt „in Krafft“.40 Dass eine solche Vorstellung die Herabwürdigung der Lehre von der Selbstauslegung der Heiligen Schrift impliziere, möchte Arnold entkräften, indem er daran erinnert, dass die Schrift an sich völlig klar sei, die „natürliche[] Blindheit“ des Auslegers jedoch durch „des Geistes Licht und Kraft“ behoben werden müsse.41 Wesentliches Feld, auf dem sich die Balance von wissenschaftlicher Expertise und Frömmigkeit des Amtsanwärters bewähren muss, ist also auch in der Zweitauflage die Predigt: Man solle nicht allzu akribisch und penibel auf die philologischen Einzelprobleme des biblischen Textes eingehen, würde man doch auf diese Weise „nicht wol zu der Krafft und dem Kern durchdringen“: Indem man „am buchstäblichen Critisiren allzu sehr hangen“ bleibe, würde man „den Geist dämpffen“.42 Im ersten Kapitel der Zweitauflage zeigt sich also, dass Arnold die quietistischmystischen Grundzüge seiner Pastoraltheologie in lutherische Sprachformen überführt und auf den etablierten und anerkannten Dreischritt von meditatio, tentatio und oratio zurückgreift, um die schwer fassbare Berufungstheologie der Erstauflage transparent zu machen und zu elementarisieren. Diese begriffliche Engführung ist von daher zu erklären, dass Arnold – anders als noch in der Erst36 Vgl.
GG2 2,21. 2,22. 38 Vgl. GG2 2,23. 39 Vgl. GG2 2,23. Dies habe Spener in seiner Allgemeinen Gottesgelehrtheit ausführlich dargelegt, eben diejenige Schrift, die Arnold seinerzeit von seiner eigenen „Academischen Blindheit“ (ebd.) geheilt habe. 40 GG2 2,24. 41 GG2 2,25. Mehr zur Homiletik und Predigtweise Arnolds in Kapitel II.2.2. 42 GG2 2,29 f. Arnold bezieht sich hier auf einen Brief Arndts an Gerhard, wie er im 2. Band (Juliausgabe 1690) der Monatlichen Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten von Wilhelm Ernst Tentzel auf Seite 624 überliefert ist: „[…] sed vide, ne nimis scrupulosus sis in illa lingua, sufficit fundamentum jecisse. Sufficit etiam, sic satis, familiarem tibi reddidisse textum biblicum.“ Arnold übersetzt: „Man solle nicht allzu scrupulös seyn in der Ebräischen Sprache (also auch in andern) es sey genug, daß man einen guten Grund lege, und die Bibel sich wol bekannt mache.“ 37 GG2
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auflage – in der Zweitauflage des ersten Kapitels besonders die Situation der Pfarramtskandidaten und damit die Frage nach der frühzeitigen Amtsübernahme und die Diskussion um die Relevanz der akademischen Ausbildung in den Blick nehmen möchte. So kritisiert er, dass die durch das Studium erworbene theologische Expertise bisweilen mit der lebendigen Gotteserfahrung verwechselt und die Erfahrung des Kreuzes, d. h. der Anfechtung, verkannt werden würde,43 und bekräftigt den konstitutiven Zusammenhang von pietas und eruditio, wie er für den Pietismus insgesamt prägnant ist. Mit seiner Kritik und seinen Vorschlägen knüpft Arnold intuitiv an andere pietistische Reformcurricula seiner Zeit an, etwa Speners De impedimentis Studii theologici44 oder Franckes Idea studiosi Theologiae45: Der Theologe solle nichts anderes als Christ sein wollen und sich nicht damit begnügen, „den Kopff voller Wissen und Speculiren“ zu haben, während er „das Hertz und gantze Leben ferne von dem Gehorsam des Glaubens und dessen Früchten behalte“.46 Dies müsse aber bereits im Studium eingeübt und internalisiert werden, weswegen Arnold überraschend konkrete Vorschläge zur Absolvierung des Curriculums unterbreitet und zudem studienbegleitende Lektüre erbaulicher Literatur empfiehlt.47 Die theologische Bildung könne die Gotteserfahrung nicht ersetzen und würde den Pfarrer mitunter zum Hochmut verleiten, wenn er seine Gelehrsamkeit zum „Grund=Stein des Predig=Amts“ setze und nur darauf Acht geben wolle, für wie gelehrt er in der Gemeinde gehalten werde.48 So lässt sich Arnolds Abwägung des Verhältnisses von Bildung und Frömmigkeit sachgemäß auf die prägnante Marginalüberschrift „Fromm seyn 43 GG2 2,15. Dass Arnold seine Berufungstheologie auf die Pfarramtskandidaten zuspitzt, ist auch insofern von Bedeutung, als dass es im Pietismus verschiedene Bestrebungen gibt, Predigerseminare einzurichten, die den Übergang von der akademischen zur praktischen Ausbildung erleichtern und das Predigen und die Katechese einüben sollen. Das bekannteste Projektvorhaben geht auf Francke zurück (Francke, Vorschlag eines Seminarii Ministerii Ecclesiastici). Markanterweise spielt in diesem Projektvorhaben die geistliche Begleitung, d. h. die Reflexion der eigenen Berufungserfahrung jedoch keinerlei Rolle, Francke konzentriert sich vielmehr auf die Probepredigten (a. a. O. 75–77), die pädagogische Ausbildung (a. a. O. 77) und die Vertiefung der Allgemeinbildung (a. a. O. 79). 44 Vgl. v. a. Spener, De impedimentis, 51–57. 45 Vgl. v. a. Francke, Idea, 63–73. 46 GG2 2,14. 47 Vgl. GG2 2,27. Was zählt Arnold zu den nützlichen „disciplinae instrumentales“? Die Kirchengeschichte gebe „treffliche Nachricht in praxi sacra“, ebenso wie die „Naturkündigung“, worunter Chemie, Physik und Mathematik zu rechnen sind. Arnold erinnert zudem an die Bedeutung der biblischen Sprachen – Griechisch wie Hebräisch – und setzt die Katechetik, Thetik (Dogmatik) und die Moraltheologie ins Recht. Wolle man aber genauer wissen, „was darinne Göttlich und gut, oder von Menschen erdacht“ sei, solle man die „neuesten Vorstellungen und Untersuchungen der Erudition und ihrer Zugehör“ lesen, etwa Joachim Langes Medicina Mentis (Berlin 1704) (vgl. hierzu auch Beutel, Aufklärung, 132 f), Buddeus’ Schriften oder Musigs Licht der Weisheit, aber auch Pierre Poirets De eruditione solida, superficiaria et falsa (von Arnold fälschlich als Vera, falsa et superficiaria bezeichnet), zuletzt auch Franckes Idea Studiosi Theologiae. 48 GG2 2,29.
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ist besser als gelehret“ herunterbrechen,49 wenn auch nicht trivialisieren, denn immerhin geht es Arnold um ein anthropologisches, mithin hamartiologisches Problem: Eine vermeintliche, qua Studium erworbene und auf der Kanzel zur Schau gestellte Intellektualität begünstige die Selbsterhebung des Lehrers über die Gemeinde, durch die dieser versuche, seine mangelhafte Gotteserfahrung und geistliche Leere zu kaschieren.50 Dass Arnold in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt seine einigermaßen hochschwellige Erfahrungstheologie unter Rückgriff auf die bekannte, von Luther geprägte Trias aus Anfechtung, Gebet und Meditation elementarisiert, entspricht daher seinen pastoraltheologischen Prämissen wie auch seinem didaktischen Interesse: Zwar soll der Pfarrer seine Berufungserfahrung immer wieder neu reflektieren, doch auch und besonders die Pfarramtskandidaten müssen – am besten bereits während des Studiums, spätestens jedoch vor der Übernahme des Amtes – ihre Gotteserfahrung prüfen, festigen und vertiefen.
4.1.2. Erweiterung: Die Berücksichtigung externer Berufungsinstanzen Das zweite Kapitel des zweiten Teils der Zweitauflage gibt sich als eine differenzierte Kommentierung und Weiterführung des früheren, für die Geistliche Gestalt zentralen Berufungskapitels zu erkennen, was schon die Überschrift ankündigt: Hatte Arnold 1704 noch restriktiv und exklusiv „Von dem Beruff eines Göttlichen Lehrers“ handeln wollen, erläutert er in der Zweitauflage von 1712 „Beruffung, Verordnung, Prüfung und Einweisung“ (laut Inhaltsverzeichnis) bzw. „Prüfung, Berufung, Verordnung und Einführung eines Lehrers“ (laut Kapitelüberschrift und Kolumnentitel). Auch in diesem Kapitel richtet sich Arnold unverkennbar an die Pfarramtskandidaten und thematisiert die Übergangszeit zwischen Studium und Ordination, in der sich die Frage nach der Berufungsgewissheit im Besonderen stellt. Im Vergleich zur Erstauflage ergeben sich markante Feinjustierungen und Erweiterungen des Berufungsbegriffs. Grundsätzlich setzt Arnold den Primat der Berufungserfahrung und damit die unmittelbare vocatio ins Recht – es bedürfe in jedem Fall einer direkten göttlichen Inanspruchnahme zum Amt, d. h. des Bewusstseins einer göttlichen Sendung. Arnold meint in diesem Zusammenhang sogar, „weil es manchem möchte zu gegangen scheinen, da im I. Theil I. c. vornehmlich auf den inwendigen Ruff gedrungen worden“,51 dass er diese Form der unmittelbaren Ansprache noch viel radikaler hätte ausdrücken und z. B. von einem überwältigenden Berufungserlebnis hätte reden können, worauf er aber aus Rücksicht auf 49 GG2
2,33. vor allem GG2 2,33–37 und 2,41–44. 51 GG2 2,48. 50 Vgl.
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die Schwachen verzichtet habe.52 Was genau unter dem „innere[n] Beruff“53 zu verstehen ist, definiert Arnold in der Zweitauflage daher viel präziser als in der Erstauflage – und unter Berücksichtigung der Begriffsbestimmungen anderer: Die innere Berufung sei „eine innerliche Uberredung und Reitzung des H. Geistes im Hertzen“ (Voetius),54 eine „Einladung oder innigste Reitzung der Liebe, des Bruders Heil zu suchen, da der innere Mensch bewegt wird, wenn der Bräutigam da ist“ (Bernhard),55 ein „Göttlicher Zug, dessen sich ein Diener vor Gott bewust seyn muß, oder das gute Zeugniß unsers Hertzens, daß wir weder aus Ehr= noch Geld=Geitz noch anderer Absicht, sondern aus lauterer Furcht Gottes und Liebe zur Gemeine das angetragene Amt annehmen“ (Paul Tarnow).56 Arnold selbst spricht von einem „innere[n] Trieb und dessen besondere[m] Gefühl“, welches sich jedoch nicht unmittelbar und distinkt als ein Zug zum Pfarramt artikulieren müsse, sich also „bisweilen nicht so gleich vor dem äusserlichen Ruff mercken lasse“, sondern auch als ein „Zug […] Göttlichen Dingen obzuliegen und dem Nächsten damit zu dienen“, d. h. okkult vorliegen könne, bevor Gott ihn „offt plötzlich auf diese oder jene Bedienung insonderheit determiniren und adpliciren mag“.57 Die Berufung versteht Arnold also zunächst als einen Impuls, dem Nächsten mit Gottes Wort dienen zu wollen, was sich in der Berufung zu einem bestimmten Amt manifestieren kann, aber nicht muss. Freilich meint Arnold auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt nicht, dass es sich bei dieser Erfahrung um ein biographisch-punktuelles Berufungserlebnis handelt, das an und für sich genügen würde, um das Amt zu ergreifen, vielmehr macht er erneut deutlich, dass er den innerlichen Zug Gottes zum Dienst als Grundlage einer verstetigten Erfahrung und Beziehung zu Gott versteht. Prononciert fordert er die „unverrückte[] Continuation solcher Gewißheit und Correspondenz mit Gott, der da beruffen und erwehlet hat“.58 Mag Arnold also in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt die innere Berufung, die vocatio immediata, noch konkreter fassen als zuvor – er erweitert seine 52 GG2
2,48. 2,47, Marginalüberschrift. 54 GG2 2,47. Arnold zitiert hier seitenscharf aus der Amsterdamer Ausgabe (1669) von Voetius’ Politica Ecclesiastica, Teil II, Buch 3, Kapitel 1, Seite 529: „Vocatio interna est interna tractio & persuasio spiritus sancti in corde alicujus qui episcopatum & bonum opus hoc desiderat I Tim. 3. v. 1.“ 55 GG2 2,47. Arnold zitiert aus Bernhards Serm. 58 in Cant. (SC 472; 180,8–12): „Porro invitatio ipsa quid est, nisi intima quaedam stimulatio caritatis, pie nos aemulari fraternam salutem, aemulari decorem domus Domini, incrementa lucrorum eius, incrementa frugum iustitiae eius, laudem et gloriam nominis eius?“ 56 GG2 2,47. Arnold zitiert aus Paul Tarnows De Sacrosancto Ministerio Libri Tres, Buch 1, Kapitel 7, Seite 62: „Interior vocatio est tractus divinus, cujus sibi quisq[ue] minister coram Deo conscius est, seu bonum cordis nostri testimonium, quod neq[ue] ambitione, neq[ue] avaritia, neq[ue] ulla alia cupiditate, sed sincero Dei timore, & ecclesiae studio oblatum munus recipiamus.“ 57 GG2 2,47. 58 GG2 2,44. 53 GG2
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Berufungstheologie auch um eine neue Reflexionsebene, die in der Erstauflage dezidiert keinen Platz gefunden hatte: Zum ersten Mal berücksichtigt er externe Berufungsinstanzen, nachdem er das Berufungsgeschehen in der Erstauflage noch hermetisch von allen äußerlichen Einflüssen – Hinderungen wie Begünstigungen – abgeschirmt und die innerliche Berufung als alleingültig ausgewiesen hatte. Die Berufung zu prüfen ist laut der Zweitauflage nicht mehr allein die Aufgabe des vocandus, sondern auch der vocantes, konkret: der verschiedenen Stände. Als erste externe Berufungsinstanz sollen die Patrone, die für die Besetzung und Unterhaltung der Stelle verantwortlich sind,59 dafür Sorge tragen, dass nur geeignete Kandidaten, d. h. redliche und integre Anwärter, deren Berufungserfahrung sich in Lehre und Leben materialisiert, berufen werden. „Miethlinge“ und „selbstlaufende“ Prediger,60 worunter Arnold sich selbst ermächtigende Pfarrer und solche versteht, die nur aus fragwürdigen, etwa finanziellen Gründen oder Gefallsucht das Amt anstreben, dürfen nicht zugelassen werden.61 Die zweite externe Berufungsinstanz bildet die Kirche, die durch entsprechende Examina die Eignung der Anwärter zu prüfen hat. Arnold erinnert sogar ausdrücklich daran, dass weder eine äußerliche Berufung noch eine innerliche Berufungserfahrung das Examen ersetzen oder obsolet machen dürfen.62 Freilich schränkt Arnold ein, dass das besagte Examen von erleuchteten Theologen durchgeführt werden müsse, und rügt solche Examinatoren, die die Prüfungen zum Anlass nehmen würden, ihre eigene Intellektualität zur Schau zu stellen. Dräuend erinnert er die Prüfer daran, dass sie ihre Pflicht mit einer solchen Ernsthaftigkeit versehen sollten, als würden sie selbst vor Gottes Gericht stehen, insofern sie an der mittelbaren Berufung des Kandidaten Anteil haben und damit zum Seelenheil der ganzen Kirche beitragen würden.63 Arnold überlegt in diesem Zusammenhang auch, auf welche Gegenstände sich das Examen beziehen muss: Nicht die fachwissenschaftliche Expertise solle im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Frage, inwiefern Lehre und Leben des Kandidaten übereinstimmen,64 genauer: wie es um dessen Lauterkeit und Einfältigkeit bestellt sei.65 Kurzum: Seine Religion müsse geprüft werden – ein überaus bemerkenswerter Hinweis, denn der Religionsbegriff wird von Arnold überaus selten verwendet:66
59 Vgl.
GG2 2,46. 2,50. 61 Gerade in diesem Zusammenhang stellt Arnold entsprechende Passagen aus mehreren Kirchenordnungen zusammen, die an eben diese Pflicht der Patrone erinnern sollen (vgl. GG2 2,53 f). 62 Vgl. GG2 2,69. 63 Vgl. GG2 2,73. 64 Vgl. GG2 2,72. 65 Vgl. GG2 2,70. 66 Vgl. zum Religionsbegriff bei Arnold Feil, Religio, 320–327 – Feil untersucht hier Arnolds Verständnis von Religion in der Historie und beschreibung. 60 GG2
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„Religion aber ist ja keine blose theorie oder Zänckerey, sondern ein Werck des H. Geistes, das die Seelen wieder mit Gott verbinden soll in lebendigem Glauben und H. Leben. Eines ist demnach so nöthig als das andere, und weil ein Prediger beruffen wird, die Augen denen Seelen aufzuthun, daß sie sich bekehren von der Finsterniß zum Licht, und von der Gewalt des Satans zu Gott: So muß er ja auch selbst schon dahin kommen seyn. Folglich muß auch vornehmlich darnach gefraget werden, wie und wodurch er unter Göttl. Gnade gedencke die armen Seelen zu gewinnen, und nach Gottes Wort in die lebendige Ubung des Glaubens zu bringen, zur Liebe, Geduld und allen Guten zu erwecken u. s.w.“67
Bei Arnold scheint das Examen damit den Charakter eines Kolloquiums hinsichtlich der geistlichen Konstitution des Kandidaten, seiner Rezeptivität, zu haben. Tatsächlich sollen jedoch auch sein Pfarr- und Selbstverständnis Gegenstand der Prüfung sein, d. h. die Validität seiner Berufungserfahrung im Sinne der Poiesis: Er müsse seine Demut und Redlichkeit unter Beweis stellen und zeigen, dass er nicht über seine Gemeinde herrschen, sondern ihr dienen wolle.68 Die Prüfung dürfe daher nicht in erster Linie Wissensbestände abrufen, sondern solle sich vielmehr auf deren zweckgerichtete Anwendung beziehen: Die Prüfungen sollen ad practicam und ad catecheticam angelegt, die Prüflinge dazu in der Lage sein, die akademische Theologie hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit für die pfarramtliche Arbeit zu reflektieren.69 Diese praktische, berufungstheologische Zuspitzung der Examina konkretisiert sich auch in dem Vorschlag, die obligatorische Probepredigt um eine Probekatechese zu erweitern, denn die pfarramtliche Kunst bestehe nicht darin, eine monologische Rede zu memorieren, sondern mit den Gemeindegliedern ex tempore ins Gespräch zu kommen.70 Nur auf diese Weise könne die Eignung und Erfahrung des Kandidaten sachgerecht beurteilt werden.71 Die bemerkenswerte Pointe seiner berufungstheologischen Überlegungen in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt besteht nun darin, dass Arnold vocatio immediata und mediata in ein konstruktives Verhältnis zueinander setzen möchte. Er spielt nicht mehr die eine gegen die andere aus, sondern versteht – wohlgemerkt unter der Prämisse, dass kirchliches Examen und die Eignungsprüfung durch die Patrone in der Weise geschehen, wie er es vorschlägt – als Komplemente. Wie in der Erstauflage erinnert er die zu Berufenden daran, ihre Berufungserfahrung stichhaltig zu prüfen und genau zu bedenken, was sie zum Amt befähigt und bewegt und ob es sich tatsächlich um einen göttlichen Zug handele, der sie an ihre Nächsten verweise.72 In der Zweitauflage hält Arnold nun aber pointiert fest, dass der innerlich Berufene seine Berufung auch durch eine äußere bestätigen lassen, 67 GG2
2,72 f. GG2 2,74. 69 Vgl. GG2 2,74. 70 Vgl. GG2 2,75. 71 Vgl. GG2 2,76. 72 Vgl. GG2 2,55–59. Es gebe diejenigen, die sich selbst zum Amt ermächtigen oder es nur aus einem oberflächlichen, wirtschaftlichen Interesse ergreifen würden, diejenigen, die sich vor 68 Vgl.
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d. h. sich auch ganz realiter zum Amt heranziehen lassen solle:73 Die „ungesuchte Vocation“, d. h. die von außen an ihn herangetragene Berufung sei der Idealfall, denn hier würde der Kandidat tatsächlich Gott am Werk sehen, insofern er eine externe Bestätigung seiner inneren, vielleicht schwankenden Berufungserfahrung finden könne.74 Arnolds Berufungstheologie gewinnt also in der Zweitauflage von 1712 ungemein an Tiefenschärfe und Realitätsnähe: Wo seine Selbstprüfung dies nicht vermag, solle der Kandidat durch eine externe Begutachtung vom Amt ferngehalten werden, die Unentschlossenen jedoch, die sich ihrer göttlichen Berufung nicht sicher sind, würden durch eine externe Berufung Gewissheit über ihre Berufung erlangen können.75 Patrone und Kirche wirken also als externe Größen bei der Berufung des Lehrers unmittelbar mit. Das kontroverseste Thema des Berufungskapitels der Erstauflage der Geistlichen Gestalt war das kirchliche Ordinationswesen, dem Arnold unterstellte, dass es die notwendige innerliche durch die unzulängliche äußerliche Berufung überlagern und marginalisieren würde. Auch wenn er in der Zwischenzeit zum Inspektor berufen worden und qua Amt an Ordinationen und Investituren unmittelbar beteiligt gewesen ist, verschärft Arnold in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt seine Kritik an der lutherischen Ordinationspraxis: Sie lasse sich nicht vom apostolischen Brauch der Handauflegung ableiten, bei der es sich um die historisch einmalige Form einer mirakulösen Geistbegabung gehandelt habe, die schlechterdings nicht wiederholbar sei.76 Die Ordination könne missverstanden und leichtfertig missbraucht werden, als würde dem Kandidaten, wenn nicht ein character indelebilis wie in der römischen Kirche, so doch ein character singularis oder inviolabis aufgeprägt werden.77 Sie könne zum opus operatum, zur Komödie, zum theatralischen Aufzug verrotten,78 wo sie doch eigentlich Gelegenheit zur Mahnung und zum kräftigen Gebet sei.79 Würdigen möchte Arnold allein die Einweisung, Investitur oder introductio, d. h. die Einsetzung des Pfarrers in die jeweilige Ortsgemeinde, gebe diese doch tatsächlich Anlass, Prediger und Gemeinde in dem Amt fürchten, und sogar jene, die sich tatsächlich dem Amt entziehen, teilweise wegen völlig legitimer, geistlicher Skrupel. 73 GG2 2,49. 74 Vgl. GG2 2,55. 75 Einen Sonderfall, der in Arnolds eigener Biographie eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat, stellt die Berufung des Pfarrers auf eine andere Pfarrstelle, d. h. der Pfarrstellenwechsel dar. Der „andere oder dritte Beruf“ müsse sehr genau abgewogen werden. Ähnlich wie beim Eintritt ins Pfarramt solle man sich darüber im Klaren werden, ob man der Gemeinde durch seinen Weggang nicht schade, welcher Motivation der Wechsel entspringt, dass es legitime (andere Gemeinden bedürfen des Pfarrers mehr, die eigene Gemeinde folgt dem Pfarrer nicht u. a.) wie auch zwielichtige Beweggründe gebe (z. B. wirtschaftliche). In diesem Zusammenhang prangert Arnold auch die Strafversetzung von Pfarrern an, welche niemandem – weder Pfarrer noch Gemeinde – nütze (GG2 2,67–69). 76 GG2 2,76. 77 GG2 2,77. 78 GG2 2,78. 79 GG2 2,78.
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ihrer Komplementarität, Interdependenz und Gleichrangigkeit anzusprechen, zu vermahnen und zu erbauen, womit sie der altkirchlichen Berufungspraxis nähersteht als die Ordination.80 Arnold lehnt auch hier jede rituelle Überfrachtung ab,81 ihm geht es vielmehr – auch in Anbetracht der kurbrandenburgischen Ordinationsordnung, die sich im Artikel Welcher Gestalt die Pfarrer angewiesen werden sollen findet – um die gegenseitige Verantwortung und Verpflichtung von Pfarrer und Gemeinde: Durch die Investitur werde ein berufener, verordneter und bestätigter Diener an eine Gemeinde gewiesen und die Gemeinde an ihn.82 Es ist bemerkenswert, dass Arnold in seinen pastoraltheologischen Schriften weder ein Tauf- noch ein Abendmahlsformular entwirft, obwohl er die Sakramentspraxis seiner Kirche scharf kritisiert und diesbezüglich diverse Reformvorschläge unterbreitet,83 wohl aber eine eigene Investiturliturgie, die die kurbrandenburgische Agende an einigen, entscheidenden Punkten feinjustiert und teilweise unterläuft. Arnold erachtet folgende Teile als obligatorisch:84 Kurbrandenburgische Visitations- und Consistorialordnung von 1573: Welcher Gestalt die Pfarrer Arnold, Geistliche Gestalt 1712/1723 angewiesen werden sollen 1. Predigt des Einführenden, d. h. des Superintendenten oder Inspektors
2. Beliebiger Eingang oder Vorbereitung vor dem Altar oder Tisch86 3. „Anzeige“ des Berufs (der Einzuführende kniet zwischen zwei Assistenten), d. h. eine Ermahnung und Erinnerung an die Amtspflichten
80 GG2
„Und soll der superintendent oder andere pfarrer, denen es befohlen wirdet, die einweisung volgender meinung ausrichten: das er in die stadt oder dorf, dahin der pfarrer berufen, ziehe und doselbst auf einen sontag nach der predigt […].“85 „[…] mit dem neuen pfarrer vor den altar trete, ihm die kirche und gemeine in kegenwart aller zuhörer befehle […]“87 „[…] und ihm mit sonderm ernste aus den worten Pauli auflege, dieselbige mit treuem fleisse zu regieren, mit verwarnung, do er solchs nicht thun und jemands aus den befohlnen scheflein verseumen, verwahrlosen oder aber mit unrechter falscher lehre, die der wahren religion entkegen, auch sonst mit seinem rohlosen leben ergern, das er den ernsten zorne und strafe gottes auf sich laden würde […]“88
2,79. lehnt er die katholische Vorstellung einer symbolischen Vermählung des Pfarrers mit seiner Gemeinde ab (vgl. GG2 2,81). 82 GG2 2,82. 83 Vgl. Kapitel II.2. 84 Alles GG2 2,82–85. 85 Sehling, Kirchenordnungen III, 108. 86 Der Hinweis auf den Tisch ist bemerkenswert – zieht Arnold hier auch die Investitur von Pfarrern in reformierten Gemeinden in Betracht? 87 Sehling, Kirchenordnungen III, 108. 88 Ebd. 81 Zudem
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I. Der Pfarrer bei Arnold
Kurbrandenburgische Visitations- und Consistorialordnung von 1573: Welcher Gestalt die Pfarrer Arnold, Geistliche Gestalt 1712/1723 angewiesen werden sollen 4. Verlesung der Vocation und Confirmation – hierbei handelt es sich um den verwaltungstechnischen Teil der Investitur, d. h. die Berufung des Pfarrers und deren Bestätigung durch Konsistorium und Patrone 5. Empfehlung an die Gemeinde 6. (Sechs) Investitur-Fragen an den Einzuführenden89 6.1. Unverfälschte Lehre des Wortes Gottes in der Predigt; Ermunterung, Tröstung und Vermahnung der Gemeinde 6.2. Belehrung der Jugend 6.3. Verwaltung der Sakramente 6.4. Annahme der Armen und Elenden 6.5. Unsträflicher Lebenswandel 6.6. Geduldiges Ertragen von Leid und Bedrückung
Arnold knüpft der Sache nach an die folgende Passage an: „Dagegen sollen die ordinirten, desgleichen die andern praesentirten pfarrer, wann sie ihre institution erlangt, einen revers unter ihren henden und siegeln von sich geben, darinnen sie bei der warheit und ihren höchsten vermögen und treuen, unserm consistorio und superintendenten versprechen und zusagen, das sie mit gottes hülfe sich die zeit ihres lebens in lehre und leben unstreflich halten und ihren befohlenen scheflein keine böse exempel geben, sich vollsaufens, hurens, ehebrechens, wucherens und was dergleichen öffentliche laster mehr sein, eusern, in keinen krug oder öffentliche wirtsheuser, alda zu saufen, zu spielen und zu sitzen gehen, sich auch in priesterlichen kleidung und sitten erbarlich erzeigen, desgleichen in der lere, im rechten gottesdienst, mit reichung und administration der hochwirdigen sacrament, auch im ganzen kirchenamt, bei dem inhalt der augspurgischen confession und unserer christlichen kirchenordnung bleiben, darüber nichts neues anfahen oder darinnen wess endern oder fürnehmen wollen, es geschehe dann mit vorwissen und gemeiner bewilligung unsers consistorii und des superintendenten vorgehabten rathe und deliberation.“90
89 Arnold setzt diese sechs Fragen in Anführungszeichen, was damit zusammenhängen könnte, dass er sie als liturgische Formeln verstanden wissen möchte. Die Fragenreihe findet sich jedenfalls nicht in Philippe Duplessis-Mornays De sacra eucharistia: in quatuor libros distinctum opus, die Arnold im Umfeld der sechs Fragen zitiert. 90 Sehling, Kirchenordnungen III, 108.
4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie
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Kurbrandenburgische Visitations- und Consistorialordnung von 1573: Welcher Gestalt die Pfarrer Arnold, Geistliche Gestalt 1712/1723 angewiesen werden sollen 7. Ermahnung der Gemeinde und Empfehlung
„Darnach soll der superintendent oder pfarrer auch die gemeine vermahnen zu billigen gehorsam, reverenz und dankbarkeit kegen diesen ihren neuen pfarrer. Desgleichen gott ernstlich zu bitten, das er ihm zu seinem amt und lehre seinen segen und gedeien geben wolle, damit beide durch ihn und sie, die zuhörer, göttlicher name geheiliget, sein reich gemehret und sein wille volbracht werde. Und nach gesprochenen vater unser sol die gemeine singen: Nun bitten wir den heiligen geist, und Es wolt uns gott gnedig sein und seinen segen geben etc., item das te deum laudamus etc.“91
Arnold erteilt zudem verschiedene liturgische Regieanweisungen: Die Zeremonie solle mit großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit Augenmaß vollzogen werden. Der Einführende dürfe dem Einzuführenden weder kaltsinnig begegnen noch ihm Bange machen, solle in seiner Predigt gesetzliche Rigorismen ebenso vermeiden wie Plattitüden – er müsse den Amtsanwärter schlichtweg darauf verpflichten, dass er sein Amt einzig aus der Gnade und dem Beistand Gottes erfüllen könne.92 Verdichtete sich in der scharfen Ordinationskritik der Erstauflage sein genereller Vorbehalt gegenüber der mittelbaren Berufung, artikuliert sich in Arnolds Investiturliturgie der Zweitauflage ein Grundanliegen seiner Pastoraltheologie, insofern in ihr die Wichtigkeit des Amtes und seine Angewiesenheit auf Gottes Hilfe ebenso transparent werden sollen wie die enge Bindung zwischen Pfarrer und konkreter Ortsgemeinde: Nicht durch die Ordination, erst durch die Investitur, die Weisung des Pfarrers an seine örtliche Gemeinde erhält das Amt seine Funktion, Würde und Bedeutung. Hinsichtlich der bürokratischen und gesetzlichen Realitäten des Kirchen- und Berufungswesens präsentiert sich Arnolds Berufungstheologie in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt viel differenzierter und regelrecht konformistisch, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass Arnold in Werben und Perleberg das Amt des Inspektors versieht, dem eine zentrale Funktion bei der Berufung und Investitur des Kandidaten zukommt. Die Berufung des Lehrers erscheint in der Zweitauflage nicht mehr nur als eine individuale, subjektivistische Erfahrung, die vor dem Zugriff und der Prüfung durch externe Instanzen geschützt werden müsste. Vielmehr setzt Arnold die innere Berufung in ein konstruktives Verhältnis zu den äußerlichen, amtskirchlichen Legitimationsinstanzen, wodurch 91
A. a. O. 108 f. GG2 2,85 f.
92 Vgl.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
sie examinierbar und transparenter wird: Die vocatio mediata bekräftigt und veranschaulicht die immediata.
4.1.3. Konkretisierung: „Special-Anmerckungen“ zur Schwierigkeit des Lehramts Das dritte Kapitel der Neuauflage – es ist überschrieben mit „Von Hinderung und Erleichterung des Lehramts“ – weist Arnold als „andere Special-Anmerckungen“93 zum dritten Kapitel der Erstauflage „Von der Wichtigkeit und Schwerigkeit des Lehramts“ aus. In der Erstauflage hatte Arnold die hauptsächliche Gefährdung der geistlichen Gestalt in der Verflüchtigung der Gotteserfahrung angesichts innerlicher und äußerlicher Kontingenzen, vor allem aber in Anbetracht der Undurchschaubarkeit der Gemeinde bestimmt. In der Zweitauflage nimmt Arnold nun – freilich wiederum, ohne dies explizit zu äußern – Abstand von seiner früheren Auffassung, dass sämtliche vermeintlich äußerlichen Beschwernisse des Lehramts auf innerseelische Konflikte und eine defizitäre Gottesbeziehung zurückgeführt und daher ausschließlich innerhalb des Gottesverhältnisses überwunden werden könnten. Die kontrastive Abgrenzung von Innen und Außen – dies wurde bereits hinsichtlich seiner Berufungstheologie deutlich – hält Arnold in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt nicht mehr in aller Stringenz aufrecht. Für das dritte Kapitel gilt das umso mehr: Hier zeigt sich Arnold überaus empathisch für die vielfältigen Nöte und Anfechtungen des pfarramtlichen Alltags und möchte konkrete Hilfsangebote unterbreiten. Grundsätzlich unterscheidet Arnold zwar nach wie vor innerliche und äußerliche Ursachen, „woher einem Lehrer sein Beruff schwer werden mag“,94 und immer noch führt er, wenn er verschiedene innerliche Ursachen der Beschwernis des Amtes aufzählt, jede einzelne auf einen ungelösten Konflikt im Gottesverhältnis zurück und schlägt jeweils einen heilsamen Perspektivenwechsel vor, der sich vor allem in einer aufrichtigen Hinwendung zu Gott, d. h. im Gebet, konkretisieren soll, doch keineswegs sieht er den Lehrer ganz auf sich selbst zurückgeworfen: Weder ist er allein für seine Drangsal verantwortlich noch muss er sich allein aus ihr herauswinden. Äußerliche Umstände und innerliche Gemütslage bedingen sich einander. So zählt Arnold etwa unter die innerlichen Ursachen der Schwierigkeit das „eigene Elend“, worunter er nichts anderes als die drückende Erlösungsbedürftigkeit versteht, welcher sich der Pfarrer nicht stellen möchte, was im schlimmsten Fall den Umgang mit den Zuhörern vergiftet, weil er ihnen – wie sich selbst – die Erlangung der wahren Gottes- und Selbsterkenntnis versagt.95 Arnold kommt auch darauf zu sprechen, dass Ungeübtheit, mangelnde Souveränität und Unprofessionalität in verschiedenen pfarramtlichen Alltagssituationen einen Amtsträger 93 GG2
2,87. 2,87. 95 Vgl. GG2 2,88. 94 GG2
4. Erprobung, Konkretisierung und Justierung der Pastoraltheologie
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verzagen lassen könnten, was er wiederum auf dessen Eigenliebe und Perfektionismus zurückführt.96 Auch nagende Anfechtung,97 hypochondrische Verstimmungen i. S. unbestimmter seelischer und körperlicher Missempfindungen,98 selbstüberfordernder Aktionismus,99 Kleinmut,100 eine nahezu neurotische, lähmende Angst vor der Verurteilung im göttlichen Gericht,101 und Nachlässigkeit in der Leitung der Gemeinde102 nennt Arnold als weit verbreitete amtstypische Kümmernisse. Auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt möchte Arnold diese pastoralen Persönlichkeitsstörungen und seelischen Konflikte in das größere Ganze des Heilswillens Gottes eingeordnet und positiv in das Gottesverhältnis integriert wissen, neu ist allerdings, dass er sie teilweise auf äußerliche Ursachen zurückführen kann: So rühre etwa die Niedergeschlagenheit und Hypochondrie vom „viele[n] sitzen, lucubriren [d. h. dem nächtlichen Arbeiten], oder doch meditiren und nachsinnen“,103 während sich die Angst vor der Ungeübtheit recht besehen als Selbstüberforderung erweise: Der Selbstanspruch des Lehrers kollidiere mit den realen gemeindlichen Gegebenheiten, was eine massive innerseelische Dissonanz auslösen könne.104 In beiden Fällen möchte Arnold das Problem theologisch deuten und lösen: Die „Confundirung des Gemüths“ wirke der Teufel, weil er „alle wahre Ermunterung und Aufrichtung abzuschneiden trachtet, damit er im Trüben fischen, und in der Dunckelheit desto mehr schrecken könne“.105 Die Scham über die eigene Unprofessionalität müsse wiederum als göttliche Intervention verstanden werden: Gott wolle den Lehrer immerzu daran erinnern, dass dieser nicht aus sich selbst heraus, sondern allein mit seiner Hilfe das Amt versehen könne. Unprofessionalität gehört damit gewissermaßen zum pastoralen Tagesgeschäft, ja soll an sich überhaupt nicht überwunden werden, weil sie die Gottesbeziehung stärkt.106 Schlichte Durchhalteparolen erteilt Arnold also keineswegs, sondern er verweist den Lehrer in das betende Ringen mit Gott, so dass dieser ihm „gewisse Rettung und andere Erweckung zum Durchbruch aus solchem finstern Kercker zuschickte: Wie denn die Treue Gottes niemanden in solchen Nöthen verderben läßt, der sich wenigstens mit heimlichen Seuffzten und Klagen derselben einergiebt“.107 Ganz anders als zuvor beleuchtet Arnold in der Zweitauflage auch diverse äußerliche Ursachen der Schwierigkeit des Amtes, nennt allen voran neidische, 96 Vgl.
GG2 2,89. GG2 2,90. 98 Vgl. GG2 2,90 f. 99 Vgl. GG2 2,91 f. 100 Vgl. GG2 2,92 f. 101 Vgl. GG2 2,93 f. 102 Vgl. GG2 2,94 f. 103 GG2 2,90. 104 Vgl. GG2 2,89. 105 GG2 2,91. 106 Vgl. GG2 2,89. 107 GG2 2,91. 97 Vgl.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
stolze oder selbstgefällige Amtskollegen,108 die mit übler Nachrede die Verkündigung des Lehrers zu unterminieren versuchen109 und damit großen Schaden in der Gemeinde anrichten.110 Der Inspektor zählt zudem strukturelle Probleme auf, die die Pfarrer leicht überfordern können, etwa der Mangel an Gehilfen,111 zu große Parochien oder allzu weitläufig verstreute Landgemeinden,112 Obrigkeiten und Patrone, die den Zuhörern schlechte Vorbilder sind oder den Pfarrern ihren Unterhalt kürzen,113 „[v]ersäumte“ oder „verwilderte“ Gemeinden, in denen Amtsvorgänger ihre Pflichten vernachlässigt haben.114 Arnold begreift die Ortsgemeinde also erstmals in ihrer historischen Bedingtheit: Sie wird dem Lehrer von einem früheren Lehrer anvertraut und ist damit in ihrer geistlichen Konstituierung vorgeprägt, was Konfliktpotential in sich bergen kann. Darüber hinaus unterscheidet Arnold die Zuhörerschaft nach widrigen, unbußfertigen Zuhörern, die sich vom Lehrer völlig abkehren,115 Irrlehrern, die „falsche principia“, „kräfftige Irrthümer und Behelffe oder Einwürffe wider alle Besserung“ in die Gemeinde einbringen116 und die Arnold sogar Ketzer schimpfen möchte,117 und falschen Brüder,118 d. h. solche, „die in ihrem aufgeblasenen Sinn, nach welchem ihnen nichts gut genug ist, ihren Ruhm in Niederschlagung und Tadelung anderer suchen und also nur dem Evangelio Hinderung darlegen“.119 Damit deutet sich eine typologische Entfaltung desjenigen ekklesiologischen Problems an, das Arnold bereits in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt angesprochen hatte, als er die Berufungserfahrung des Lehrers in besonderem Maße durch die geistliche Diversität seiner Gemeinde herausgefordert sah. Erstmals gibt er dem Lehrer konkrete Maßstäbe an die Hand, um die Undurchschaubarkeit der Gemeinde ein Stück weit zu lichten und verschiedene, seinem Amt widerstrebenden Interessenslagen innerhalb der Gemeinde zu unterscheiden. Auch das Reformprogramm, das Arnold zur Abstellung dieser Schwierigkeiten vorschlägt, erstreckt sich auf innerliche und äußerliche Aspekte.120 Auf 108 GG2
2,99 f. 2,100 f. 110 GG2 2,102. 111 GG2 2,105. 112 GG2 2,109 f. 113 GG2 2,111. Vgl. zur Versorgung evangelischer Pfarrer im Allgemeinen Weber, Erben, 148–165, zur Versorgung der Pfarrer in der Altmark Czubatynski, Arm, aber gebildet?, bes. 21–27. 114 GG2 2,112 f. 115 Sehling, Kirchenordnungen III, 108. 116 GG2 2,115. 117 Vgl. GG2 2,115: „Wenn man also schon keine so genannte theoretische Ketzer oder Irrige in der Gemeinde hat, so hat man doch so viel practicos, als man Heuchler u. Gottlose hat.“ 118 GG2 2,116 f. 119 GG2 2,116. 120 Dabei schickt Arnold voraus, dass jeder Fatalismus fehl am Platze sei, denn trotz des allgemeinen kirchlichen Verfalls dürfe niemand seine persönliche Verantwortung von sich weisen: „Aber was hilfft alles betrachten und reden davon, wenn ein jeder vor sich nach seinem Stand u. 109 GG2
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der einen Seite zeichnet sich erneut die Grundbewegung von Rezeptivität und Poiesis ab, insofern Arnold deutlich macht, dass eine „Erleichterung“ des Amtes nicht auf fleischliche Weise zu erreichen sei, etwa durch eine bloße Verbesserung der Arbeits- oder Lebenssituation,121 sondern vielmehr durch eine Erneuerung der innerlichen Haltung, welche dazu führt, dass man in der Arbeit „munterer und getroster, auch zu mehrern Segen tüchtiger werden möge[]“.122 Arnold fordert die geistliche Erneuerung des Lehrers auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Folgen für dessen Seelenleben, meint u. a., dass der Prediger bereits vor seiner Amtsübernahme den Weg der Buße beschritten haben,123 seine Affekte kontrollieren und sich der Lenkung durch den Heiligen Geist überantworten124 und lernen müsse, „immer bei sich selbst in geistlicher Nüchternkeit und Wachsamkeit“125 zu bleiben und damit das eigene vom fremden Denken und Handeln zu unterscheiden, d. h. aber die Eigenaktivität seiner Seele kritisch zu hinterfragen.126 „Kindlicher Glaube u. Liebe“, d. h. eine rückhaltlose und – im besten Sinne – naive Bindung an Gott und eine sich aus dieser von selbst ergebenden Hingabe an den Nächsten sollten seine Amtsführung bestimmen,127 Hoffnung und Geduld das Leben mit der Gemeinde maßgeblich prägen.128 Zusammengehalten werden diese Vorschläge von dem Grundgedanken, dass der Lehrer eine Erwartungshaltung und eine innere Distanz gegenüber äußerlichen und innerlichen Hemmnissen und Widerwärtigkeiten aufbauen und sich in Beruff nicht auf alle weise durch Gnade daran zu bessern suchet? Erleuchtete Personen erfahren ohne dem täglich, was ihnen dißfalls im Wege steht: Unerleuchtete aber verstehens und glaubes dennoch nicht, wo sie es nur verspotten. Sind doch so viele Zeugnisse in gantzen Büchern, in so vielen Piis Desideriis, Wächterstimmen, Klagen und Vorstellungen am Tage, daß es nun auf die Sache selbst vornehmlich ankommt, in der erkannten Wahrheit treu zu werden“ (GG2 2,117). 121 Vgl. GG2 2,119: „Denn diese [Arnold spricht von den falschen Predigern] vergnügen sich an reichen Einkünfften, Geschencken, Anhang, Ruhm und Applausu der unverständigen Praecedenz und Herrschafft, Prangen und Prassen, lustigen Gesellschafften, Schmausen, Wollüsten des Fleisches und an dem gantzen Bauchdienst, der ein Gott der Feinde des Creutzes Christi ist.“ 122 GG2 2,120. 123 Vgl. GG2 2,120 f. 124 Vgl. GG2 2,121. 125 GG2 2,121. 126 Vgl. GG2 2,122. 127 Vgl. GG2 2,122: „Diß ist eben der kindliche Glaube, der alle Vernunffts Höhe und Ei= genwilligkeit übersteiget, auch eines Predigers Hertz und Sinn vornehmlich umzäunen und in Gleichheit bewahren muß. Sintemal der HErr auch nicht mehr von Haushaltern fodert [sic!], als Treue. Darinn steht er uns treulich bey, und hat mit uns Geduld, weil er nicht mehr sucht, als was er uns gegeben hat. In diesem Göttlichen Grunde des Glaubens wächset denn die süsse Frucht der Liebe hervor, welche alles erleichtert und nicht müde wird. […] Die Liebe macht den Menschen Flügel, im Dienst Gottes und des Nechsten gerne verzehrt zu werden, und überwindet auch die schwersten Dinge.“ 128 Vgl. GG2 2,123: „Denn die Gnade feyert nicht, sie bildet uns in Christi Sinn, der in und mit uns sodann durch alles durchgehet und sich von nicht gefangen nehmen oder unterwerffen läßt. Alle guten Kräffte und Eigenschafften Gottes sind Stuffen zu einer seligen Führung des Amts, und zwar alles in der Gemeinschafft mit dem, der uns dazu ermächtigt hat.“
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konzentrierter Selbstbeobachtung schulen müsse. Dabei bleibe die Berufungserfahrung stets das „Haupt=Fundament“ aller Regungen des Pfarrers: Gottes „Wille, Wort und Befehl“ müsse tatsächlich in die Seele „eingedrungen“ sein, damit er die alltäglichen Schwierigkeiten, denen er in seinem Amt begegnet, zuversichtlich entgegentreten und aus dem Weg räumen kann.129 Auf der anderen Seite unterläuft Arnold die der Erstauflage zugrundeliegende Prämisse, dass der Pfarrer angesichts seiner Anfechtungen und Beschwernisse auf sich selbst zurückgeworfen ist und die Konflikte „mit sich selbst“ und allein im Kontext seiner Berufungserfahrung ausmachen müsse, wenn er den Lehrer konsequent als Teil eines sozialen Gefüges, vor allem aber eines Pfarrkollegiums versteht. Alle Vorschläge, die Arnold hinsichtlich der äußerlichen Überwindung der Schwierigkeit des Pfarramtes erhebt, sind ganz und gar auf den Erfahrungsaustausch mit anderen Lehrern ausgelegt. Arnold fordert beständige „Mitgehülfen, Mitkämpffer und Mitbeter“,130 d. h. Kollegen in der jeweiligen Gemeinde, „gute Nachbarn“, d. h. räumlich nahe und vor Ort präsente Gesprächspartner,131 und zuverlässige „Vorarbeiter und Zuhörer“, d. h. Amtsvorgänger, die in der Gemeinde bereits ein gutes Fundament gelegt hätten, auf das der Lehrer aufbauen könne.132 Darüber hinaus empfiehlt er, „gute Bücher“ zur Erbauung der Lehrer wie auch der Zuhörer anzuschaffen und vor allem das Neue Testament und, womöglich, auch Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum der ganzen Gemeinde zugänglich zu machen,133 rät zu „besondere[n] Übungen“ – Kinder- und Jugendkatechesen, aber auch Erbauungsstunden –,134 und erhebenden Gottesdiensten, soweit es eben die Obrigkeit gestattet.135 Zuletzt schlägt Arnold auch „Correspondenz u. Consilia“, d. h. das Einholen brieflicher oder persönlicher Ratschläge bei Kollegen,136 und auch „Conventus“, also regionale Pfarrkonferenzen wie auch größere Synoden, vor. Letzterer Vorschlag ist einigermaßen bemerkenswert, denn, während die gemeindeübergreifende Ratgeberschaft ganz dem Lehrerideal der Alten Kirche entspricht, hat Arnold die Synoden in seinen kirchenhistorischen Schriften überaus ambivalent beurteilt, weil sie mitunter zur innerkirchlichen Disziplinierung missbraucht wurden. Um solchen Abusus abzuwehren, möchte Arnold ausdrücklich festhalten, dass derlei Konvente und Synoden keine Lehrentscheidungen herbeiführen, sondern vielmehr das Gebet und einen offenen Austausch über die eigenen Amtserfahrungen und die jeweiligen Zuhörer ermöglichen sollen.137 Zuletzt sollen auch die Visitationen nicht 129 GG2
2,123. 2,124. 131 Vgl. GG2 2,124 f. 132 GG2 2,125. 133 GG2 2,126. 134 GG2 2,125 f. 135 Vgl. GG2 2,126 f. 136 GG2 2,127. 137 Vgl. GG2 2,130 f. 130 GG2
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in erster Linie die wirtschaftlichen Grundlagen der Gemeinde, sondern vor allem die geistlich-religiöse Situation der Gemeinde evaluieren.138 Kurzum: Nicht nur räumt Arnold in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt den äußerlichen Beschwernissen einen größeren, pastoraltheologischen Stellenwert ein und gelangt auf diese Weise zu einer realistischeren Einschätzung der Gefährdung der Berufungserfahrung des Lehrers, er setzt zudem voll auf die interkollegiale Konsultation, was seine Arbeit als Inspektor unmittelbar widerspiegeln dürfte. Wenn er den geistlichen Ratschlag als das wesentliche Erbauungs- und Regulierungsinstrument der Lehrer untereinander ausweist und die Amtsbrüder zur gemeinsamen Reflexion über das eigene Pfarrbild auffordert, knüpft Arnold unverkennbar an die Pastoraltheologie der Alten Kirche an: Der Klerus darf nicht zur festgefügten Amtshierarchie erstarren, sondern muss sich als ein Kollegium von gotterfahrenen Lehrern gemeinsam den geistlichen wie weltlichen Beschwernissen des Amtes stellen.
4.1.4. Vertiefung: Paradigmen der Demut In der Erstauflage der Geistlichen Gestalt hatte Arnold die Demut – neben der Sanftmut – als maßgebliche Leiteigenschaft des Lehrers ausgewiesen. In der Zweitauflage bekräftigt Arnold diese Auffassung, sieht sich jedoch dazu veranlasst, die Demut noch deutlicher auf ihre Relevanz hinsichtlich der Gemeindeleitung hin zuzuspitzen, was in der Kapitelüberschrift unmittelbar anklingt: „Von eines Lehrers Demuth, Auctorität und Gewalt“. Autorität und Gewalt des Lehrers werden durch seine Demut konstituiert und reguliert. Wesentlicher Antagonist der Demut bleibt auch in der Zweitauflage die Hoffart, die Arnold nun jedoch deutlicher als zuvor als ein spezifisches Problem des Pastorenstandes ausweist: Würden überall im Christentum „Frechheit, Statisterey und Ruhmsucht“139 herrschen, würden doch gerade die Prediger einer „geistlichen Hoffart“140 oder – ein überaus prägnanter Begriff! – der „Theologische[n] Hoffart“ erliegen,141 da ihre Person qua Amt aus der Gemeinde emporragt und sie darob Gefahr laufen, Eigen- und Amtsinteressen zu vermischen. Ein erstes Anzeichen dieser Theologenkrankheit sei „die verborgentlich auffsteigende Spiegelung und Selbstgefälligkeit an eigenen Gaben, Beyfall, Success und dergleichen“.142 Werde dieses Übel nicht sofort beseitigt, würden sich schnell „Selbsterhebung“ und „Selbstruhm“ einstellen,143 so dass Verkündigung und Gemeindeleitung in Schieflage geraten und die Zuhörer um die Gnade Gottes gebracht würden. Letztlich würde die theologische Hoffart in die „Anmaßung einer infallibilität 138 GG2
2,132. 2,192. 140 GG2 2,193. 141 GG2 2,194. 142 GG2 2,195. 143 GG2 2,195. 139 GG2
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und Göttlichkeit, Erhebung über andere, Entziehung schuldigen Gehorsam gegen Vorgesetzte, Schmähung und Lästerung treuer Mitarbeiter und dergleichen“144 ausbrechen und damit jede Freiheit des Glaubens wie auch die Souveränität Gottes unterlaufen. Mitunter würde sich die Herrschsucht des Predigers über die Gewissen der Gläubigen auch subtiler Geltung verschaffen,145 wenn er ihnen z. B. Gesetz, Evangelium und Gnade geradewegs so verkündige, wie es der Stärkung seiner eigenen Autorität nützt.146 Als weitere stoffliche Manifestation der pastoralen Hoffart nennt Arnold die übertrieben prächtige Amtskleidung, welcher er schon in den historischen Schriften den Kampf angesagt hatte und die auch noch 1712 seinen Argwohn erregt, weil er in ihr ein seines Erachtens illegitimes Standesbewusstsein und eine unnatürliche Ferne zwischen Prediger und Gemeinde ausgedrückt sieht: „Wie es auch noch den innern Zustand anzeiget, wenn die sammeten Ermel oder Auffschläge und Westen, oder die guldene Ringe, it.[em] die größten Staats=Perruquen und dergleichen auf den Cantzeln hervor blicken. Und was ist gewöhnlicher, als daß solche Prediger, die etwa an wollüstigen Orten oder an Höfen stehen, sich auch in alle Moden mit schicken, um nicht so Pfaffenhafftig, wie sie sagen, aufzuziehen?“147
Arnold schlägt dem Prediger dagegen vor, auf jede Form der Amtstracht zu verzichten und in gewöhnlicher, schlichter Alltagskleidung aufzutreten, und richtet diese Forderung ganz nebenbei auch an die anhängige Pfarrfamilie.148 Die Demut versteht Arnold – wie in der Erstauflage – als „die wahre Niederträchtigkeit selbst“.149 Sie sei für Prediger „absolute nöthig und gar nicht indifferent, so gewiß er ohne Christi Geist und Sinn nichts gutes haben oder ausrichten kan“.150 Demut sei ein Affront gegen die Natur des Menschen, dem die Hoffart aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus eingeprägt ist, weswegen Arnold erneut bekräftigt, dass es sich bei der Demut nicht um einen Habitus, eine Moraltugend oder ein erlernbares Verhalten handelt,151 sondern vielmehr um eine Eigenschaft, welche dem Lehrer von Gott her angedeihen muss. Sie lasse sich nur auf zweierlei Weisen erlangen. Einerseits durch das Gebet: „Dahero wol Tag und Nacht muß um den Geist Christi vor dem Vater gerungen werden, daß er selbst seinen Sohn auch hierinn verklären und uns dessen Sinn schencken wolle.“152 144 GG2
2,196. GG2 2,215. 146 Vgl. GG2 2,215 f. 147 GG2 2,223. 148 Vgl. GG2 2,224. 149 GG2 2,196 f. 150 GG2 2,196 f. 151 Vgl. GG2 2,199: „Freylich findet man diesen Göttlichen Grund in keiner natürlichen Philosophie oder Sittenlehre, sondern allein in dem Reich JEsu Christi, wenn man demselben Gewalt thut.“ 152 GG2 2,197. 145 Vgl.
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Andererseits durch eine, mit diesem Gebet einhergehende, stetige Wachsamkeit gegenüber der Hoffart – ein „wachendes Auge über uns selbst“ –, die immer dann zum Tragen kommen soll, „ehe man etwas gutes redet oder thut, daß das Gemüth immer gewaffnet und wider alle arroganz und Anmassung der Eigenheit gerüstet stehe, weil diese auch wol mitten in der Arbeit überfällt“.153 Den Zusammenhang von Gebet und Wachsamkeit erachtet Arnold dabei als konstitutiv, denn es geht ihm nicht um eine künstliche, affektierte Demut, sondern um eine realistische Selbsteinschätzung vor Gott, die den Hochmut tatsächlich ins Wanken bringen kann, insofern sie die Grenzen des eigenen Aktionismus und der intellektuellen wie theologischen Urteilsfähigkeit aufzeigt, so dass sich der Lehrer ganz Gott überlässt: „Das heißt an sich selbst verzagen und Gott allein Alles in allen werden lassen, welches nicht nur nach, sondern auch vor der Arbeit noth ist.“154 In der geistlichen Armut sieht Arnold dasjenige Ideal des Amtes verwirklicht, von dem Jesus in Mt 11,5/Lk 7,22 gesprochen habe, als er meinte, dass nur die geistlich Armen das Evangelium empfangen, aber auch nur sie es verkündigen können.155 Freilich belässt es Arnold nicht bei diesen globalen Demutsforderungen. Er stellt einen bemerkenswert anschaulichen, für die gemeindlichen Verhältnisse jener Zeit überaus aufschlussreichen Katalog von Paradigmen der Demut zusammen, anhand dessen er demonstrieren möchte, wie aus der „inwendigen Niedrigkeit […] von selbst […] eine aufrichtige Ubung bey allen äusserlichen Gelegenheiten gegen andere“156 folgt – gegenüber Kollegen, Zuhörern und der Obrigkeit. Hinsichtlich der Amtskollegen erinnert Arnold an das Beispiel Speners, der konsequent zwischen „Amts= und Gewissens=“ und „privat-Sachen“ unterschieden habe und, obwohl er als Probst den Berliner Pfarrern vorstand, seine Stellung niemals zum Eigennutz missbraucht habe.157 Spener folgend solle der Lehrer stets die „methode Christi“ anwenden und – wie jener die Schmähungen der Pharisäer – die persönlichen Anfeindungen von Kollegen übergehen und – davon unbeeindruckt – sein Amt weiterführen.158 Auch solche Kollegen, die sich in ihren Gottesdiensten eines größeren Zulaufs erfreuen können als er, sollen den Lehrer nicht grämen, sondern ihm vielmehr Anlass dazu geben, Buße zu tun und 153 GG2
2,197. 2,98. 155 Vgl. GG2 2,199. Es handelt sich erneut um ein Spiel mit der doppeldeutigen Verbform εὐαγγελίζονται. Früher meinte Arnold, aus der Stelle ableiten zu können, dass nur die geistig Armen das Evangelium verkündigen können (vgl. Kapitel I.3.3.2.), nun geht er darauf ein, dass in der Ambiguität des genus verbi eine implizite Verheißung enthalten ist: Den geistlich Armen gelinge die Verkündigung nur deswegen, weil ihnen als geistlich Armen das Evangelium bereits verkündigt worden ist. 156 GG2 2,199. 157 GG2 2,201. 158 GG2 2,201. 154 GG2
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sich Gott zu überlassen.159 Ebenso dürfe er die Beförderung von Kollegen nicht missbilligen, denn diese geschehe „um guter Ordnung willen“160 und schmälere keineswegs die eigenen Leistungen. Der Obrigkeit solle man Demut erweisen, weil schon Christus eine Erhebung der Prediger über das weltliche Regiment verboten habe.161 Durchaus gebe es in der Praxis heikle Konfliktfälle, etwa, wenn ein Prediger an der niedrigeren Obrigkeit vorbei, Magistrat oder Patron, an eine höhere Obrigkeit appelliert.162 Würden solche Konfliktfälle mit einem „geistlichen Auge“ betrachtet werden, würde deutlich, dass der Christ Gott in allen „Göttlichen= und Gewissens=Sachen“ zu folgen, der Obrigkeit jedoch den ihr gebührenden Respekt zu schulden und sich ihr nicht zu entziehen habe.163 Jedweder Respektlosigkeit der Obrigkeit gegenüber den Pfarrern sei wiederum nur mit Geduld beizukommen – lediglich unter der Voraussetzung, dass sich der Lehrer als ein durch Gott Bevollmächtigter erweist, würde sich der Obrigkeit der „majestätische[] Eindruck“ des Amtes erschließen.164 Größte Bewährungsprobe pastoraler Demut sei die Zuhörerschaft: Wie weit muss sich der Pfarrer von seiner Gemeinde und ihren Ansprüchen abgrenzen, fragt Arnold: „Es fraget sich hier billig insonderheit, wie ein Prediger bey seinen Zuhörern sich zu halten habe, daß er weder durch allzu grosse familiarität sich mit ihnen gemein mache, und also alle nöthige autorität verliere, noch auch in allzu starcker Entziehung verliere, oder gar in Hochmuth und Singularite sie zurück stosse und ärgere?“165
Als Mittel der Wahl schlägt er – wie bereits in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt – „Gravität“ vor.166 Gravität sei keine gekünstelte Ernsthaftigkeit oder klerikale Reserviertheit, sondern gründe in „einer inwendigen Weisheit und guten Ordnung des Gemüths […], da man in Gottes Gegenwart sich stets übet 159 Vgl.
GG2 2,202. 2,203. 161 Vgl. GG2 2,204 f. 162 Vgl. GG2 2,205 f. Der autobiographische Reflex an dieser Stelle ist unverkennbar, denn Arnold wurde bereits in Allstedt vom preußischen Hof protegiert. 163 Vgl. GG2 2,206. Arnold geht in diesem Zusammenhang auf „das letzte betrübte Exempel zu Hamburg“ ein: „Denn was allda öffentlich ausgebrochen, das lieget in vielen Gemüthern heimlich verborgen; Ja so weit in jedem Prediger oder Zuhörer der Hochmuth und Eigensinn nicht getödtet ist, so weit wird ein heimlicher Rebelle im Busen geheget, ob er schon aus Furcht sich nicht äussern darff“ (ebd.). Dass Arnold an dieser Stelle auf den berühmten Hamburger Theaterstreit (1677–1688) anspielt, wäre naheliegend, denn in Hamburg waren unterschiedliche administrative Organe (Bürgerschaft, Rat) von verschiedenen kirchlichen Amtsträgern, die hinsichtlich der Eröffnung der Oper konträre theologische Positionen bezogen, instrumentalisiert und gegeneinander ausgespielt worden (vgl. Geffcken, Streit, 23–27, der auch herausstellt, dass der Theaterstreit noch um die Jahrhundertwende in aller Munde war). 164 GG2 2,207. 165 GG2 2,208. 166 Vgl. Kapitel I.3.3.2. 160 GG2
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ehrerbietig zu leben, und also seine Geberden und Bewegungen im Zaun hält, auch allem leichtsinnigen frechen Wesen sich entzieht“.167 Arnold erinnert daran, dass diese Gravität – wie alle Affekte und Eigenschaften des Predigers – von Liebe und Demut „temperirt“ sein, d. h. an der Selbstaufgabe und Hingabe an den Nächsten ihr Maß und ihre Richtung gewinnen müsse. Wo dies geschieht, würde „eine Art vom Göttlichen Bilde hervorleuchten, die da grosse Hülffe in Uberzeugung der Seelen thut“.168 Einzig aus dieser ständigen Selbstversicherung hinsichtlich des Wirkens Gottes in seiner Seele würde der Lehrer seine Autorität vor den Zuhörern gewinnen können. Versuche er, sich etwa durch „seltsame Inventiones und Künste“ Ansehen zu verschaffen – darunter zählt er etwa „Affectirte Geberden und Reden“ oder aber „eine grobe Stimme“ – würde er zwangsläufig fehlgehen, schlichtweg, weil die Zuhörer viel klüger und aufmerksamer seien, als der Pfarrer es vermutet, und dessen Scheinhaftigkeit durchschauen.169 Auf den ersten Blick mag dann auch Arnolds Beispiel des Mose, der verklärt und mit dem Glanz Gottes bekränzt vom Berg herabstieg, so dass sich das Volk vor ihm fürchtete,170 hoch gegriffen sein, es bringt allerdings Arnolds Ansicht von der wesentlichen, amtstheologischen Bedeutung der Demut hinsichtlich der Frage nach der Autorität des Lehrers auf den Punkt: Sein Ansehen gewinnt der Lehrer ausschließlich durch seine Gotteserfahrung. Gleichzeitig begrenzt diese seine Autorität in der Gemeinde aber auch, wie Arnold ebenfalls bemerken kann: Die „Gewalt der Prediger“ gründe nicht in Infallibilität und äußerlicher Herrschaft – beides schließt die Demut aus –, sondern im Dienst: Mit Worten des Rupert von Deutz erinnert Arnold daran, dass Prediger Diener, nicht Urheber, Knechte, nicht Herren, Kanäle, nicht Brunnen seien.171 Nach Arnold wurzelt also die Demut im Gebet und der Wachsamkeit des Lehrers, darüber hinaus gebe es jedoch auch andere probate Mittel, sie zu erlernen und zu internalisieren. Arnold nimmt unterschiedliche Wege der Demütigung in den Blick, wie sie dem Lehrer in seinem Arbeitsalltag begegnen können: So könne Gott die Demut durch „gewisse Anfechtungen“ bewirken, etwa durch „die wenige Frucht der Arbeit, die Anfechtungen darüber, die zunehmenden Sünden, der Spott der Gottlosen und Heuchler“172 – mit dieser unmittelbaren Anfechtung würde Gott seiner großen Liebe zu seinem berufenen Lehrer entsprechen, weil sie ihn dazu anleite, zu ihm umzukehren und nicht auf die eigenen Kräfte zu vertrauen. Darüber hinaus solle der Lehrer aber auch dazu bereit sein, sich durch Kollegen, vor allem aber durch seine Zuhörer – freilich 167 GG2
2,209. 2,210. 169 GG2 2,210. 170 Vgl. GG2 2,210 f. 171 Vgl. GG2 2,214. Arnold zitiert aus Ruperts 11. Buch des Johanneskommentars zum 13. Kapitel, vgl. PL 169, 252: „Ministri sunt in sacramento Christi; ministri isti sunt, non auctores; servi, non Domini; canales, non fontes.“ 172 GG2 2,225. 168 GG2
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nur die „erleuchteten Zuhörer“, d. h. die, die von Gott dazu autorisiert sind – prüfen und demütigen zu lassen, womit Arnold unverkennbar an die Erste Liebe anknüpft, in der er die Prüfkompetenz der Gemeinde als einen wichtigen Aspekt der vorkonstantinischen, urchristlichen Pastoraltheologie bestimmt hatte.173 Die Gemeinde bildet damit denjenigen Erfahrungs- und Kommunikationsraum, in dem der Lehrer sich immer wieder eines Besseren belehren und sich auf seine Gottesbeziehung zurückwerfen lassen soll. Er ist und bleibt auf diese äußerliche Prüfinstanz angewiesen. Pointiert schreibt Arnold: „Allein wer sich unter des H. Geistes innere Bestrafungen wirft, und seinen Sinn täglich lässt brechen und beugen, dem wird auch von aussen eine gute Erinnerung lieb seyn und nutzen.“174
Demut bleibt also – jenseits des Gebets und der Selbstachtsamkeit – kontingent. Sie wird dem Lehrer im Spiegel anderer Personen, vor allem seiner Gemeinde zuteil, welche ihn seine Unwürdigkeit und „Niederträchtigkeit“ immer wieder neu erfahren lässt.175
4.1.5. Ein Bruch mit der Pastoraltheologie der Erstauflage? In der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt konkretisiert, entfaltet und vertieft Arnold seine früheren pastoraltheologischen Überlegungen. Die Erstauflage der Geistlichen Gestalt war noch ganz auf die Innerlichkeit, das individuelle, subjektive Seelenleben des Pfarrers zugespitzt und schöpfte aus einem markanten Kontrast von Innen und Außen, von Öffentlichkeit seines pastoralen Handelns und asketischer, kontemplativer Zurückgezogenheit des Lehrers, von Rezeptivität und Poiesis. In dieser Konzeption spiegelte sich nicht nur Arnolds frühere historische und kritische Perspektive auf das Amt, sondern auch seine besondere Position als 173 GG2
2,225. Vgl. Kapitel I.2.2.3. 2,226. 175 Arnold kommt in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt auch auf die Frage zu sprechen, ob der Doktortitel die Berufung ersetzen könnte, was er natürlich verneint (vgl. GG2 2,227 f). Damit steht er Gerhard sehr nahe, der zwar bekräftigt, dass man am akademischen Promotionswesen festhalten solle, zum einen weil der Brauch altehrwürdig sei und sich bis in neutestamentliche Zeiten zurückführen lasse, in denen der für Christus gebrauchte Hoheitstitel „Rabbi“ die wesentliche Demarkation gegenüber falschen Lehrern, d. h. Pharisäern und Schriftgelehrten, dargestellt habe, zum anderen weil das Promotionswesen die Uniformität und Reinheit der Lehre garantiere und die Prediger gegenüber ihren Hörern autorisiere (Gerhard, De Ministerio, 95 f [137]). Dennoch müsse sauber zwischen der vocatio und der Graduierung unterschieden werden, denn bei letzterer handele es sich um ein „publicum et solenne testimonium eruditionis, virtutum et ἱκανότητος ad primaria officia ecclesiastica“ (a. a. O. 96 [138]). Zudem würde die Promotion von den Professoren durchgeführt werden, also nur von einer Partikularautorität der Kirche, während die vocatio von der ganzen Kirche, d. h. aller ihrer Stände ausgehen müsse. Weiterhin würde die vocatio (mediata) stets „ad certum locum“ geschehen, d. h. den Kandidaten an einen bestimmten Ort berufen, während sich die Lehrbefugnis der Doktoren auf die ganze universitäre Welt erstrecke (a. a. O. 96 f [138]). 174 GG2
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Schlossprediger wider, in der er in einem überschaubaren, ihm vertrauten Personenkreis Seelsorge zu leisten, zu predigen und Gottesdienste zu feiern, kaum jedoch darüber hinaus gehende Amtsverrichtungen zu absolvieren hatte und auch nicht in einem unmittelbaren Austausch mit Kollegen stand. In die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt von 1712 lässt Arnold seine Werbener und Perleberger Erfahrungen einfließen und stellt der konsequent subjektivistischen und individualistischen Erstauflage ein Supplement zur Seite, in dem er Anschluss an die kurbrandenburgischen Kirchenstrukturen und die Realität des pfarramtlichen Alltags in einer städtischen Parochie sucht. Wer nun wie Goebel nach einem Vermittlungsversuch, einer Versöhnung mit der lutherischen Kirche Ausschau hält, findet diese am ehesten auf dem Feld der Pastoraltheologie: Arnold kleidet seine quietistisch gefärbte Berufungstheologie in Luthers Sprachgebrauch und macht sie damit anschlussfähig, wo er früher noch mystisch-meditativ, kreisend und wenig präzise von ihr geschrieben hatte; er benennt die konkreten Schwierigkeiten des Lehramts und zeigt sich empathisch für die seelischen wie materialen Nöte der Amtskollegen, ruft zum interkollegialen Gespräch auf, wo er früher den Lehrer auf sich selbst zurückgeworfen sah – „Arzt, hilf dir selber!“ –, und er erinnert die Gemeinde an die Pflicht zur kritischen Prüfung des Pfarrers, die er schon in der Ersten Liebe als nota der Urkirche ausgemacht hat: Die Gemeinde ist weder das mal stumme, mal Beifall bekundende, in jedem Fall aber hörige Publikum des Lehrers noch ist sie – wie in der Erstauflage – die undurchschaubare Masse, die dem Lehrer gefährlich wird, weil sie ihn zum Hochmut oder zur Nachlässigkeit verleitet oder zur Verstellung veranlasst. Vielmehr ist die Gemeinde – einschränkend muss hinzugesetzt werden: die von Gott erneuerte, berufene, gläubige Gemeinde – als kritisches, lebendiges Gegenüber des Lehrers aufgerufen. Sie soll dem Lehrer zur Seite stehen, sich ihm aber auch entgegenstellen, wenn er seinen geistlichen Pflichten nicht nachkommt. Von der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt soll nun der Blick auf solche Quellen (zurück)fallen, die anschaulich zeigen, auf welche Weise Arnold seine – teilweise erneuerten, teilweise konkretisierten – pastoraltheologischen Forderungen während seiner Inspektorentätigkeit in Werben und Perleberg in die Tat umgesetzt und zur Sprache gebracht hat.
4.2. Werbener Investiturpredigt (1705/1706) Johann Gerhard hatte die Ordination pointiert eine „öffentliche und feierliche Kundgabe oder Bezeugung der Berufung“ genannt, „durch die das kirchliche Amt einer geeigneten Person, die zu diesem von der Kirche berufen worden ist, anvertraut wird, zu diesem durch Gebete und Handauflegung konsekriert, der rechtmäßigen Berufung versichert und ihres Dienstes im Angesicht der ganzen
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Kirche feierlich und ernst vermahnt wird […]“.176 Gebet, Vermahnung und Versicherung bilden die performativen Grundvollzüge des protestantischen Ordinationsritus und haben sich auch in der in Werben geltenden Ordinationsordnung – sie ist Teil der kurbrandenburgischen Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 – niedergeschlagen.177 Arnold hatte die Ordination in beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt recht ambivalent bewertet, ihren geistlich-erbaulichen Nutzen hervorgehoben, jedoch eindringlich davor gewarnt, Ordination und Berufung miteinander zu verwechseln. Dementsprechend befasst er sich in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt dann auch statt mit der Ordination vor allem mit der Investitur des Pfarrers in die Ortsgemeinde und entwirft sogar, wie gezeigt wurde, eine eigene Agende, welche – das besondere Proprium des Investiturgottesdienstes berücksichtigend – die gegenseitige Angewiesenheit von Pfarrer und Gemeinde besonders pointiert zum Ausdruck bringt. Mit tiefem Ernst solle der Einführende in seiner Predigt der Gemeinde wie auch dem Anwärter die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit des Amtes vor Augen führen, müsse sich jedoch davor hüten, den Kandidaten angesichts der vielfältigen Herausforderungen des Amtes zu verschrecken. Als Inspektor,178 d. h. vom Superintendenten Bevollmächtigter für Werben und die umliegenden Gemeinden, hat Arnold 1705 oder 1706179 eine Investiturpredigt zu 1 Thess 5,12 f gehalten, die unter dem programmatischen Titel „Von rechter glückseligkeit einer gemeine“ (Nr. 195 im Predigtkatalog) zusammen mit anderen Kasualpredigten der alttestamentlichen Postille Wahres Christenthum Altes Testaments (1707) angehängt ist und in der er seine späteren, in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt vorgebrachten, theoretischen Überlegungen zur Investiturpredigt vorwegnimmt.180 Hier soll nun keine eingehende homiletische Analyse der – so viel sei aber immerhin verraten – rhetorisch formvollendeten Predigt 176 Gerhard,
De ministerio, 97 (139). Ordnung verbietet eine Selbsteinsetzung von Pfarrern und macht die Anwesenheit der Patrone, Stadträte und Amtsbrüder sowie der Superintendenten oder anderer durch den Bischof bevollmächtigen Personen verbindlich (Sehling, Kirchenordnungen III, 108). Sie schreibt folgende liturgische und verwaltungstechnische Elemente als verbindlich vor: 1. Verpflichtung zur reinen Lehre und zur Verantwortlichkeit für alle Zuhörer durch den Superintendenten „auf einen sontag nach der Predigt“ und „vor de[m] altar“ (ebd). 2. Vermahnung der Gemeinde „zu billigen gehorsam, reverenz und dankbarkeit kegen diesen ihren neuen pfarrer“ und Gebet um Mehrung seines Reiches und Vollbringung seines Willens in der Gemeinde (ebd). 3. Vater Unser. 4. Lied: „Nun bitten wir den heiligen geist“, „Es wolt uns gott gnedig sein und seinen segen geben“, Te Deum (vgl. a. a. O. 109). 5. Abgleich der Visitationsregister, Inventarlisten und Verlustmeldungen. 6. Vermahnung der Obrigkeit zur Versorgung des Pfarrers (vgl. ebd.). 178 Vgl. ebd.: „Von den inspectorn, so an stat der superintendenten verordnet“. 179 In den Zuständigkeitsbereich des Werbener Inspektors fielen laut Czubatynskis Pfarrerbuch für die fraglichen Jahre 1705 und 1706 nur zwei Investituren: In Walsleben wurde 1705 Johann Gottfried zur Linden (vgl. Czubatynski, Pfarrerbuch, 98), in Polkritz 1706 Valentin Abel (vgl. a. a. O. 69) eingesetzt. 180 Arnold führt diese Investitur seinem Amt als Inspektor entsprechend und ausweislich der Predigt selbst durch (vgl. WCAT 786). 177 Die
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vorgenommen, sondern vielmehr anhand mehrerer thematischer Schneisen gezeigt werden, dass Arnold unter der programmatischen Disposition „Die wahre glückseligkeit einer gemeine / und zwar I der zuhörer bey einem rechtschaffenen lehrer / und II des lehrers bey rechtschaffenen zuhörern“181 und unter Berücksichtigung der Ambivalenz des Investiturrituals Überlegungen zur Sprache bringt, die für die Zweitauflage der Geistlichen Gestalt einschlägig sind.182 1. In der Predigt unterstreicht Arnold wie in der Geistlichen Gestalt die spirituelle Bedeutung der Investitur. Arnold weist im exordium seiner Predigt darauf hin, dass der Akt der Investitur des Anwärters – welcher „auff ordentlichen beruff hiesiger patronen nach GOttes sonderbarer vorsehung“, d. h. der brandenburgischen Kirchenordnung entsprechend, auf seine Stelle berufen worden ist – tatsächlich „eine heilbringende handlung“ sei, unterstreicht allerdings gleichzeitig, dass das Ritual immer dahingehend hinterfragt werden müsse, „wie es denn auch recht und nach GOttes sinn geschehe“.183 Anders als in der Geistlichen Gestalt greift Arnold das Berufungs-, Ordinations- und Investiturverfahren nicht frontal an, bleibt sich aber darin treu, als er es in ein kritisches Licht rücken und ganz Gottes Verifizierung und Legitimierung anheimstellen möchte: Es sei eine „wichtige sache um die bestellung eines christlichen lehrers“ und man müsse „vorsichtig […] dabey verfahren, so wol einen wahren gesalbeten und geübten diener Christi zu erwehlen und zu beruffen / als auch demselben die gemeine nachdrücklich anzuvertrauen“.184 Nur indem die Investitur mit großem „ernst“, d. h. – im Sinne der Geistlichen Gestalt – unter aufrichtiger, innerer Anteilnahme aller Beteiligten vollzogen wird, würde „alles, was geredet und gehandelt wird, in gehöriger krafft des heiligen Geistes geschehe[n]“ und ein Missverstehen des rituellen Aktes als eines opus operatum abgewendet.185 Die Investitur soll der Gemeinde vor allem Anlass zum Gebet186 wie auch zur geistlichen Solidaritätsbekundung gegenüber ihrem eingesetzten Pfarrer sein.187 181 WCAT
790. Am Rande sei hier ein eher seltenes Beispiel für Arnolds (wenn auch ziemlich trockenen) Humor auf der Kanzel notiert: Im Exordium der Predigt münzt er die an Jesus gerichtete Frage der Pharisäer, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als Anfrage an die Statthaftigkeit des von ihm durchgeführten Gottesdienstes um: „Ich darff anietzo wol nicht einmal fragen / obs auch recht sey / an diesem sonntag eine person diesen sämtlichen gemeinden auff königliche verordnung vorzustellen / welche zu heilung und besserung der seelen beruffen und von GOtt versehen ist. Niemand wird diß hoffentlich mißbilligen / zumalen rechtschaffene lehrer allerdings solche heilende werckzeuge seyn sollen / die da ihre zuhörer zu dem rechten heilmachenden Erlöser weisen und bringen“ (WCAT 786). 183 WCAT 787. 184 WCAT 787. 185 WCAT 787. Vgl. auch ebd.: „Wisset also alle zusammen / daß dieser actus von rechtswegen kein leer gauckelspiel oder bloß äuserlich werck seyn solle; sondern daß es mir und euch allen ein grosser ernst seyn müsse / damit alles / was geredet und gehandelt wird / in gehöriger krafft des heiligen Geistes geschehe.“ 186 Vgl. WCAT 787: „Welchen es nun hierin ein wahrer ernst ist / und die da verstehen / was 182
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2. Arnold bekräftigt den in der Geistlichen Gestalt behaupteten, engen Zusammenhang von innerlicher Berufungserfahrung und äußerer Amtsverrichtung. Ein zentrales Stichwort der Predigt ist „Arbeit“ – ein nach Arnold erklärungsbedürftiger, doppeldeutiger Begriff, insofern Paulus, wenn er im Predigttext „von nichts als von arbeit“ (1 Thess 5,12 f) spreche, sowohl äußerliche als auch innerliche Arbeit im Blick habe.188 Dessen eingedenk erinnert Arnold den Amtsanwärter daran, dass sich seine Amtspflichten keineswegs auf die äußerlichen Amtsvollzüge beschränken. Während manche Pfarrer meinen würden, „daß sie weiter nicht zu arbeiten schuldig wären / als etliche äuserliche handlungen im predigen / administriren und dergleichen“, betont Arnold, dass die Arbeit als „arbeit in dem HErrn“, d. h. aber „in dessen allerheiligsten gegenwart und in seiner göttlichen krafft / treue und liebe“ verrichtet werden müsse, womit das quietistische Motiv der Selbstvergegenwärtigung des Pfarrers vor Gott Eingang in die Ansprache findet.189 Arnold möchte die Arbeit des Pfarrers an und in der Gemeinde konsequent transzendiert wissen: Vom Pfarrer sei „eine geistliche arbeit des gemüths“ gefordert, immerzu solle er für sich und seine Gemeinde beten, seine Arbeit sei nichts anderes als ein „mühen / ringen und suchen der seelen nach dem geistlichen und himmlischen leben“ und mit „viel angstschweiß / viel kummer und viel flehens und ringens vor GOtt“ belastet – sie sei „arbeit im gebet / arbeit in gedult“.190 Auch wenn nach Arnold diese Arbeit – wiederum ganz im quietistischen Sinne! – in „leidender weise“ verrichtet werden solle, vor allem auf ein Ergriffenwerden durch Gott abziele und der Gemeinde damit weitgehend verborgen bleibe – „davon niemand sonst etwas erfährt oder weiß“ –, müsse der Pfarrer sie als sein „haupt=werck“ verstehen lernen.191 Auf der Linie von 1 Thess 5,12 (καὶ προϊσταμένους ὑμῶν ἐν κυρίῳ καὶ νουθετοῦντας ὑμᾶς) widmet sich Arnold nun zwei konkreten Formen der Arbeit, die sich deswegen als besonders ambivalent und herausfordernd erweisen, weil sie die kooperative Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde auf die Probe stellen: Das Vorstehen und das Ermahnen. Das Vorstehen kann – wenn es nicht als inneres, göttliches Werk verstanden wird, d. h. auf die Gotteserfahrung zurückbezogen wird – zum „hersch=süchtig[en] regiment“ ausarten,192 d. h. zur Selbsterhebung des Pfarrers über die Gemeinde. Demgegenüber verpflichtet Arnold den Prediger darauf, „ein göttliches regieren und führen“ auszuüben, worunter das „ermahnen / rathen / beten und dergleichen“ zu zählen ist, also die sache auf sich habe / die bitten von GOtt so viel gnade / damit diese heilsame handlung samt der vorhandenen betrachtung heute recht geschehe.“ 187 Vgl. WCAT 787: „Darum gewöhne ein ieder sich bey zeiten / sich im gläubigen verlangen nach der gnade mit seinem prediger zu vereinigen / und also alle nöthige heilmachung / erleuchtung / reinigung und vollendung mit ihm zu suchen und zu geniessen.“ 188 WCAT 790 f. 189 WCAT 791. 190 Alle Zitate stammen aus WCAT 791. 191 WCAT 793. 192 WCAT 794.
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diejenigen Tätigkeiten, die Arnold in der Geistlichen Gestalt im Zusammenhang mit der Demut (und Sanftmut) eingehend dargestellt hat.193 Nur indem sich der Pfarrer vom Geist Gottes in Anspruch nehmen lasse und sich seinem Wirken unterwerfe, werde er dazu befähigt, die Gemeinde in rechter Weise zu leiten: „O ein seliges fürstehen / wenn man sich drauff verlassen kann / daß nicht ein elender blosser mensch / sondern der ewige Geist GOttes eine gemeine regieret und weidet! Wenn das fürbild der gesunden heil=machenden lehre in allen reden / discoursen und exempleln des predigers hervorleuchtet!“194
Auch in der Ausübung der zweiten in 1 Thess 5,12 angesprochenen Arbeit, dem Ermahnen, laufe der Pfarrer Gefahr, der Gemeinde seinen Eigenwillen zu oktroyieren, indem er aus Eitelkeit, Unsicherheit oder in Ermangelung göttlicher Erfahrung von der Kanzel aus einzelne unliebsame Gemeindeglieder diskreditiert, mit dem Gesetz „auf die gewissen los[treibet]“, „in den tag hinein [verdammt]“ und die „frömmigkeit als ein gebot / das kein leben giebt“ befiehlt.195 Die rechte Art der Vermahnung sei hingegen „die göttliche weise der apllication des worts / und die besondere zuneigung und deutung der allgemeinen aussprüche GOttes auf die oder jene personen / dadurch ihnen ihre schuldigkeiten vorgehalten und zu gemüthe geführet werden“.196 Kurzum: Arnold anempfiehlt in seiner Investiturpredigt die für seine Pastoraltheologie zentralen, für die Leitung der Gemeinde alles entscheidenden Leitaffekte der Demut und der Sanftmut. 3. Arnold möchte in der Predigt Ressentiments gegenüber dem Pfarrberuf entkräften, indem er die geistliche Bedeutung des Dienstes an der Gemeinde und die langfristig positive Wirkung des Predigeramtes unterstreicht. Mehrmals thematisiert Arnold in der Predigt Ressentiments gegen den Pfarrberuf: Leichthin würden die Pfarrer als „tage=diebe und faullentzer“ verlacht und verachtet, da sie augenscheinlich „keine grobe äuserliche hand=arbeit thun / und hätten also gute tage / liessen sich von andern auffwarten / u. s.w.“.197 Diese Vorwürfe entkräftend erinnert Arnold die Gemeinde daran, dass sie die stille, geistliche Arbeit ihres Pfarrers schätzen lernen und ihren langfristigen Nutzen bedenken soll: „Habts also keinem ehrlichen prediger vor übel / wenn ihr ihn sehet über seiner gemeine ängstlich thun / kummer und sorge tragen / seine hände winden oder im gebet vor GOtt bleiben. Dencket / daß es eure wahre glückseligkeit ist / wenn nur viel euertwegen gearbeitet wird.“198
Auch die beiden hauptsächlichen Verrichtungen des Pfarrers – das Vorstehen und Vermahnen – könnten leicht als unangemessene Gängelung und deplatzierte Be193 WCAT
795. Hv. PB. 796. 195 WCAT 798. 196 WCAT 797. 197 WCAT 791. 198 WCAT 792. 194 WCAT
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vormundung aufgefasst werden. Arnold wirbt bei den Zuhörern um Gelassenheit, Geduld und konstruktive Mitarbeit – hinsichtlich des Vorsteheramtes: „Wer nun solche verachtet / der verachtet also GOtt selber / der seinen H. Geist in die seinigen gegeben hat und noch giebet. Achte es also niemand vor unnöthig und vor indifferent, daß ihm von redlichen dienern GOttes vorgestanden werde.“199
Und hinsichtlich der Vermahnung: „Glaubets nur / es liegt der rechte grund des trostes in solchen besondern ermahnungen verborgen. Ihr dürfft es nicht vor einen verdruß ansehen / sondern ihr werdet es erfahren / wie süsse euch das evangelium werden soll / wo ihrs mit glauben wollet fassen. Allen guten rath / alle zurechtweisung / alle zufriedenstellung könnet ihr hierbey finden.“200
Aus der geistlichen, verborgenen Arbeit des Pfarrers, so erinnert Arnold seine Zuhörer, kann die Gemeinde einen ebenso geistlichen, verborgenen Nutzen ziehen und ihren Ansporn gewinnen: Im gemeinsamen Gebet ringen beide um die Mitteilung und Bewahrung der Gotteserfahrung. 4. Arnold möchte die Gemeinde dazu befähigen, den Pfarrer zu prüfen. Es geht Arnold in der Predigt dezidiert um den von Gott berufenen Lehrer, was sich in Attributierungen wie „ehrliche[r] prediger“,201 „göttliche[r] prediger[]“,202 „redliche[r] prediger der gerechtigkeit“,203 „wahre[r] gesalbte[r] und geübte[r] diener Christi“204 andeutet und in der prägnanten Formulierung „rechtschaffene lehrer (von denen nur hier die rede ist)“205 kulminiert. Arnold eröffnet damit nicht nur subkutan eine Diastase zwischen den wahrhaft und scheinhaft Berufenen und knüpft damit an die Berufungstheologie der Geistlichen Gestalt an, er vermittelt der Gemeinde und dem Einzusetzenden auch den Eindruck, dass die Berufung des Predigers anhand bestimmter Merkmale, Verhaltensweisen und seinem pastoralen Selbstbild geprüft werden kann. Damit ist auch die Möglichkeit in den Raum gestellt, Loyalität und Solidarität gegenüber dem Prediger aufzukündigen, wenn dieser sich nicht als ein von Gott berufener Lehrer erwiesen hat. Arnolds Methode, durch eine zweckgerichtete und wohl kalkulierte Rhetorik die Berufungsgewissheit des Eingesetzten wie auch der Gemeinde zu irritieren, manifestiert sich insbesondere zu Beginn der Predigt, wenn Arnold auf die heilsgeschichtliche Bedeutung des Lehramts zu sprechen kommt und meint, dass das Lehramt auf die Verkündigung dessen abziele, was sich dem natürlichen Menschen nicht erschließt, da dieser „sich keinen andern 199 WCAT
797. 800. 201 WCAT 792. 202 WCAT 792. 203 WCAT 790. 204 WCAT 787. 205 WCAT 791. 200 WCAT
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begriff machen kan oder wil von GOttes heiligem willen und rath / als daß er ihn zum zorn gesetzet habe. Gleichwie ein verurtheilter übelthäter dem richter keine gnade / sondern straffe zutrauet / indem er darunter stehet und sie fühlet“.206 Gott habe dem Missverständnis und Misstrauen des unerlösten Menschen zuwider „alles dazu eingerichtet / und ordnet noch alles dahin / daß ihr die wahre seligkeit recht als ein eigen guth besitzen möget“.207 Dies gelte auch und besonders für das Predigeramt, das stets an diesem „guth“ gemessen und geprüft werden müsse. Gleichzeitig bleibe es aber immer angefochten und werde vom natürlichen Menschen verlacht, wobei unlautere Prediger durch den Missbrauch ihres Amtes dieser Fehlentwicklung Vorschub leisten.208 Wenn Arnold der Gemeinde nahelegen möchte, „daß euch GOtt auch durch verordnung eurer lehrer nicht zum zorn / sondern zu lauter glückseligkeit gesetzet habe und noch heute setzen wolle in JEsu Christo unserm HErrn“,209 hat das also eine andere Tendenz als der Hinweis Gerhards, dass in der Ordination Gemeinde wie Kandidat des göttlichen Ursprungs seiner Berufung versichert werden sollen. Arnold unterstreicht vielmehr konsequent den funktionalen und relativen Charakter des Lehramts, das Gott als eine, aber nicht als einzige Instanz seiner Selbstmitteilung erwählt habe. Indem er der Gemeinde den Prüfauftrag erteilt, entspricht er jener Programmatik der Demütigung, wie Arnold sie in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt theoretisch ins Auge fassen wird: Der Pfarrer muss bereit sein, sich von der Gemeinde hinterfragen und ggf. sogar demütigen zu lassen, weil ihn dies dazu veranlasst, seinen Eigenwillen und Hochmut kritisch zu hinterfragen und seine Gottesbeziehung zu reflektieren. 5. Arnold setzt einen Gemeindebegriff voraus, der an jenes Gemeindeideal der Alten Kirche angelehnt ist, welches er in seinen historischen Schriften entworfen hat, nämlich an das Ideal einer paritätischen und egalitären Liebesgemeinschaft. Bereits mit der dispositio wird das Ideal einer egalitären Gemeinschaft von Gemeinde und Pfarrer in den Mittelpunkt der Predigt gerückt: Es geht Arnold um die doppelte Glückseligkeit einer Gemeinde – die Glückseligkeit des Lehrers durch rechtschaffene Zuhörer und die der Zuhörer durch rechtschaffene Prediger. Dem Lehrer kommt eine Vorbildfunktion zu: An ihm sollen Liebe, Langmut, Sanftmut und Geduld anschaulich werden, durch ihn gehen diese Eigenschaften auf die Gemeinde über.210 Arnold entwirft das Bild einer einmütigen Gemeinde, in der jede unnatürliche, hierarchische Grenze zwischen Lehrern und Zuhörern überwunden ist: „Wo nun die leute sehen / daß der prediger seine worte und wercke auff liebe und einigkeit richtet / allen zanck möglichst meidet / lieber das unrecht erduldet / und das 206 WCAT
788. 789. 208 Vgl. WCAT 789. 209 WCAT 790. 210 Vgl. WCAT 801 f und 803. 207 WCAT
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böse mit sanfftmuth und wolthun überwindet / da schicken sie sich allmählich gewiß auch zum friedsamen wandel mit ihm.“211
Eine in solcher Weise konsolidierte Gemeinde könne nur noch von außen, nicht von innen angefochten werden: Indem Arnold seine Predigt mit der dräuenden Ankündigung kommender Anfechtungen durch den Teufel beschließt, der durch Zank, Hader und „wort=kriege“ Aufruhr in der Gemeinde stiften wolle, schärft er seinen Zuhörern ein, dass sie als christliche Gemeinschaft immer bedrängt bleiben und auf die Probe gestellt werden, und hält sie daher zu strenger Wachsamkeit an.212 Arnolds Investiturpredigt weist eine bemerkenswerte Ambiguität auf: Einerseits gemahnt der Inspektor den Einzusetzenden an die Unhintergehbarkeit und Bedeutsamkeit der göttlichen Berufung, thematisiert Hemmungen, Herausforderungen und Nutzen des Lehramts für die Gemeinde. Andererseits relativiert er Amt und Einsetzungsritus und will beides der Prüfung durch Gott und die Gemeinde ausgesetzt wissen: Die Investitur muss sich erst noch geistlich realisieren, ihre Wirkung bemisst sich an der – in der Proposition als zentrales Thema der Predigt ausgewiesenen – Glückseligkeit der Gemeinde, die sich ihrerseits als Liebesgemeinschaft konstituieren und sich im Angesicht ständiger Bedrohungen bewähren muss. Damit bildet die Predigt eine wesentliche Weiterentwicklung der pastoraltheologischen Ansätze Arnolds nach 1704 ab, wie sie sich theoretisch-metasprachlich in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt niederschlagen werden: Arnold baut die mystischen Elemente seiner Berufungstheologie allmählich zurück und orientiert sich ganz am bibeltheologischen Rahmen, wenn er die Investitur des Lehrers an der Schnittstelle von unmittelbarer und mittelbarer Berufung verorten möchte: Der Lehrer muss die Berufung immer wieder geistlich-innerlich erlangen, sie aber auch der Prüfung durch externe Instanzen aussetzen, um sich ihrer zu vergewissern.
4.3. Von stummen Teufeln und Dienern Christi – die Befähigung der Gemeinde zur kritischen Prüfung ihrer Lehrer in den Evangelischen Reden (1709/11) und den katechetischen Texten Arnolds in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt erhobene Forderung, dass sich der Pfarrer von seiner Gemeinde zuweilen in Frage stellen, ja demütigen lassen müsse, um sich vom Theologenhochmut ab- und Gott zuwenden zu können, schlägt sich auch in den predigtartigen,213 jedoch immer als Lesetexte konzipierten Evangelischen Reden zur sonntäglichen Evangelien- (1709) und Epistelreihe 211 WCAT
803. 803. 213 Vgl. Kapitel II.2.3. 212 WCAT
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203
(1711) nieder. Sie enthalten – 1709 noch unterschwellig und vereinzelt, 1711 offen und großflächig – eine teilweise so massive und polemische Predigerkritik, dass es den Anschein hat, Arnold würde hinter die Geistliche Gestalt von 1704 und in die Zeiten seiner separatistischen Kirchenkritik zurückfallen. Tatsächlich täuscht dieser Eindruck: Die kleruskritischen Töne beider Lesepostillen müssen vor dem Hintergrund eben jener pastoraltheologischen Prämisse Arnolds verstanden werden, dass die kritische Prüfung des Pfarrers eine wesentliche, für die Kirche insgesamt heilsame Aufgabe der Gemeinde darstellt. Zudem dürfte Arnolds in den Reden zu Tage tretendes Selbstverständnis als kirchenleitender Geistlicher insofern von seinen historischen Studien beeinflusst gewesen sein, als Arnold dort die bischöflichen Reden und Predigten der Kirchenväter – Gregor von Nazianz, Chrysostomus, Basilius, Gregor der Große – als wichtige Quellen für die Rekonstruktion der Pastoraltheologie und -kritik der Alten Kirche herangezogen hat. Jene Reden sind häufig auf zwei Adressaten, einen expliziten und einen impliziten, bezogen: In erster Linie waren sie dem Kirchenvolk gewidmet, mittelbar richteten sie sich allerdings auch an den Klerus. Nicht selten sympathisierten die Redner offensiv mit ihren Zuhörern und benannten – gewissermaßen an und auf ihrer Seite – schonungslos die Verfehlungen der Priester, um eine kritische Spannung zu erzeugen: Das Kirchenvolk wurde an seine Prüfkompetenz hinsichtlich der Priester erinnert, auf die Priester wurde Druck ausgeübt, sich zu bessern. Es handelt sich bei Arnolds Reden also keineswegs um die blindwütigen Polemiken eines resignierenden Inspektors, sondern vielmehr um wohl kalkulierte Affronts mit pastoraltheologischer Tiefenschärfe: Die Reden richten sich nicht in erster Linie an Prediger – diese sind vielmehr durchgehend als Gegenüber der Leser aufgerufen –, sondern an die erleuchteten, mündigen Gläubigen in den Gemeinden, die ausweislich der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt dazu befähigt und berechtigt sind, dem Prediger kritisch entgegenzutreten und seine Berufungserfahrung zu hinterfragen. Dabei variiert Arnold mit immer wieder neuen Bildern und im Kontext unterschiedlicher Auslegungen biblischer Texte ein und dasselbe Thema: Die falschen Lehrer bringen die Zuhörer um ihr Seelenheil. Um diesem Problem Abhilfe zu schaffen, stellt Arnold in den Reden unterschiedliche Pastoraltypen zusammen, anhand derer die Gläubigen prüfen können, ob sie einen redlichen oder einen falschen Prediger vor sich haben. a) der gleichgültige Lehrer. Arnold nimmt die Erzählung von der Austreibung eines „stummen teuffel[s]“214 (Lk 11,14–28 zum Sonntag Oculi) zum Anlass, um über die religiöse Sprachlosigkeit in den evangelischen Kirchen nachzudenken: Während man sich in der Öffentlichkeit und in heiterer Gesellschaft gerne dem geistlosen Geschwätz hingebe, würde man sich geradezu davor fürchten, vor aller Augen von Gott oder vom Glauben zu reden, laufe man doch dadurch Ge214 ERE
104.
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fahr, im Ansehen der weltverfallenen Menschen zu sinken.215 Durch alle Stände hinweg – Obrigkeit, Handwerk, Familien –216 lasse sich diese religiöse Sprachlosigkeit beobachten, auch unter den Predigern sei sie weit verbreitet und hier besonders fatal: Ihre Furcht vor Ansehensverlust unter den Zuhörern und damit auch die Angst vor dem Verlust ihres Einkommens217 würde dazu führen, dass die Prediger ein kaltes und stumpfsinniges Christentum predigen und damit die Zuhörer um ihre heilsame Bekehrung bringen: „Diejenigen / so selbst seel=sorger heissen / sorgen nur / daß sie bey zuhörern in gunst bleiben / und ihr leib die fülle habe; um die seelen wirds doch wohl nach ihrer meynung stehen / wie es kan. Läst sich jemand auch von den großen nur ein verlangen nach GOttes wort und willen mercken / so wird ihm stracks geschmeichelt / nicht aber der wahre grund zur buße und glauben gezeiget.“218
Arnold appelliert an seine Leser – ähnlich wie in der Investiturpredigt von 1705/1706 an die Zuhörer –, eine solche geistliche Erstarrung und Sprachlosigkeit in einem größeren Kontext, nämlich im Horizont des Kampfes zwischen Gott und dem Teufel zu begreifen. Er ruft Christus an, für die angefochtene, von der dämonischen Stummheit besessene Gemeinde einzutreten,219 appelliert aber auch an die Verantwortlichkeit der einzelnen Christen, die Sprachlosigkeit nicht hinzunehmen, indem er eine abendmahls- und zugleich amtstheologische Spitze setzt: Der wahrhaft suchende – hungernde – Christ steht der stummen Gemeinde mit ihren stummen Predigern gegenüber und soll offensiv gegen diese Stummheit angehen und sie überwinden: Wo der Lehrer den Zuhörern keinen Ansporn dazu gebe, sich Christus zuzuwenden, müsse der Gläubige sich von ihm abwenden.220 b) der falsche Tröster. Nach Arnold bewirkt Gottes Gnade im Menschen zuallererst Buße und Zerknirschung. In der Rede zu Tit 2,11–14 (aus den Evangelischen Reden von 1711) bekräftigt Arnold seine bereits früher vorgebrachte Ansicht, die Gnade mache der Seele „durch ihre züchtigung innerlich angst und bange […] über ihren irdischen sündlichen sinn“ und wolle damit den Menschen „zu einem 215 Vgl.
ERE 104. ERE 109 f. 217 Vgl. ERE 106 f. 218 ERE 105. 219 Vgl. ERE 107: „Darum o JEsu / treibe aus die stumme teufel / so möchte etwa recht können geredet werden / zu deiner ehre und der menschen heil. Alsdenn wird dich alles volck verherrlichen und preisen / auch GOttes wort hören / bewahren und reden / und dir frucht bringen.“ 220 Vgl. ERE 109: „Sprechet nicht: Ja / wer kan vollkommen seyn / sondern versuchts nur erst / um den rechten glauben bey GOtt beständig zu bitten / so werdet ihr erfahren / wie weit ihr von der vollkommenheit seyd / und sie noch vor euren augen verborgen ist. […] Aber ohne glauben und hungern ists unmöglich GOtt zu gefallen oder selig zu werden. Denn ob CHristus schon vor alle gestorben ist / so hilffts doch denen nicht / welche das Blut CHristi nicht achten noch annehmen zur reinigung / sondern mit füssen treten.“ 216 Vgl.
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205
göttlichen und heiligen leben“ anleiten.221 Der Lehrer dürfe diese Wirkung der Gnade nicht unterdrücken und den Zuhörern einen „falschen trost davon“ zusprechen.222 Nur ein erfahrungsleerer, selbstsüchtiger oder überheblicher Lehrer tröste „um des gewinns willen“ oder „zum eigenen ruhm und ansehen“ und möchte es um jeden Preis vermeiden, die Hörer gegen sich aufzubringen,223 so dass er z. B. behaupte, man solle sich nicht von der Anfechtung erschrecken lassen, denn „Christus habe alle ihre Sünden bezahlt / deßsollten [sic!] sie sich nur annehmen und trösten / hingegen diesen teufflischen eingebungen nicht glauben“.224 Arnold meint, ein solcher haltloser Gnadenzuspruch würde der Wirksamkeit Gottes schlichtweg zuwiderlaufen: Das Bewusstsein für die eigene Sündhaftigkeit zu unterdrücken, würde nicht weniger heißen als den Geist Gottes zu dämpfen und eine entscheidende Etappe in der Glaubensentwicklung auszulassen.225 c) der Enthusiast. Eine Variante des Trösters ist derjenige Lehrer, der noch vor jeder Anfechtungserfahrung die Heilserwählung seiner selbst und die seiner Zuhörer voraussetzt und damit jedes Sündenbewusstsein unterläuft: „Also wird zum exempel die göttliche zucht vereitelt / wenn ein prediger seine zuhörer allesamt vor auserwehlte / heilige und geliebte GOttes preiset / von welchen er doch selbst weiß und bekennet / daß sie solche in der That nicht sind.“226
Arnold bemängelt hier nicht nur den aus einem solchen Erwählungsenthusiasmus folgenden Libertinismus – „darüber vergisset und unterdrücket der eitle mensch alle gute gedancken / die ihn zur besserung treiben wollten / weil er denckt / er sey dennoch schon heilig und auserwehlt / er möge leben wie er wolle“227 –, sondern auch das mangelnde Differenzierungsvermögen des Predigers hinsichtlich seiner Gemeinde wie auch der Gnade Gottes: Auch in einem Gemeindekollektiv teile sich diese individuell, auf unterschiedliche Art und Weise und in unterschiedlicher Intensität mit – eine Pauschalpredigt, die allen Zuhörern das Heil aufzwingt, verkenne die Diversität der Gnadenerweise Gottes und die unterschiedlichen Lebens- und Glaubenssituationen der Zuhörer.228 d) der Autokrat. Der Autokrat befleißigt sich vor allem der Gesetzespredigt. Im Zusammenhang seiner homiletischen Überlegungen zur Dialektik von Gesetz 221 EREP
40. EREP 40 f. 223 EREP 41. 224 EREP 41. 225 Vgl. EREP 42. 226 EREP 44. 227 EREP 44. 228 Vgl. EREP 44 f: „Das helle licht / Christus / bestrafft die ungezogenen / weiset zu recht die irrenden / tröstet die traurigen / die starcken macht es durch seine gnade noch stärcker / die schwachen aber unterstützet es / und pfleget eines ieden / wie es recht ist. Denn es ist in seinem wort und zeugniß die allerweiseste ordnung.“ 222
206
I. Der Pfarrer bei Arnold
und Evangelium kommt Arnold häufig auf die überzogene Gesetzespredigt zu sprechen,229 aber auch in pastoraltheologischen Kontexten spielt sie als Machtinstrument des Pfarrers zur Unterdrückung und Beherrschung der Gemeinde eine große Rolle. Im Zuge einer Rede zu Apg 6,8–15 (die Perikope ist dem Stephanstag zugeordnet) bekräftigt Arnold in Hinblick auf die Funktion des Gesetzes im Heilsplan Gottes: „Insgemein sind alle schrifften und mündliche zeugnisse / auch wirklich verrichtungen derer alten heiligen eitel zeugnisse von Christo und seinem reiche biß auff seine zukunfft ins fleisch.“230 Auch das Gesetz ziele einzig auf die Gnade und finde in dieser ein Ende, insofern durch die Einwohnung des Geistes im Menschen das Gesetz vollständig erfüllt werde.231 Das „wahre apostolische amt“ würde nun geradewegs auf diese Einwohnung des Geistes und das Erwachen der göttlichen Liebe im Menschen abzielen und daher das Gesetz nur in seiner Vorläufigkeit und Relativität anerkennen: Nur dasjenige sei das „wahre apostolische amt“, das „die seelen nicht von einer seite auff die andere hinckend macht / sondern ihnen den lauteren sinn des evangelii von der klarheit Christi verkündiget“.232 Der autokratische Pfarrer würde hingegen das Gesetz instrumentalisieren, um die Gläubigen an sich zu binden: Indem er ihnen eine „neben=gerechtigkeit“ aufzwinge und „auf das eigene wircken nach dem gesetz“ dränge, so dass sie „zu keiner gewißheit noch freudigkeit der gnade kommen“, würde er Gesetz und Evangelium zu seinem Vorteil missbrauchen, „um über den glauben und seine krafft in den seelen herren zu bleiben“ und jene „verdammen“, die diese vom Pfarrer verordnete, gesetzliche Gnade überschreiten und hinter sich lassen wollen.233 e) Der wahre Diener ist nach Arnold daran erkennbar, dass er dem verschiedentlichen, innerseelischen und mitunter subtilen Wirken der Gnade Gottes in seiner Gemeinde Raum gibt und eine beobachtende, konsulatorische Funktion hinsichtlich seiner Zuhörer einnimmt, indem er deren Gotteserfahrungen im Horizont seiner eigenen zu deuten weiß (Rede über 1 Thess 4,1–7 zu Reminiscere): „Hiezu sind Christi diener von GOtt gesalbet und geordnet / wenn sie rechte knechte und Apostel sind / daß sie den glauben an Christum denen menschen kund machen sollen / und zwar in Christi namen und autorität / aber auch ihnen zugleich zeigen / wie aller glaube ohne gehorsam und die heiligung falsch sey / darinnen die fleisches=lüste abgethan werden müssen und können. Wo dieses nicht mit rechter göttlicher krafft geschicht / da ist der glaube eitel / und wirckt nur verdammniß / nicht aber leben und seligkeit.“234 229 Vgl.
Kapitel II.2.1.3. 65. 231 Vgl. EREP 68. 232 EREP 69. 233 EREP 71. 234 EREP 224. 230 EREP
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207
Derjenige, der lehrt, dass Gott im Menschen „raum und platz bekomme“, in ihnen Wohnung nehme, damit „dem verderben gesteuret / und der fall vernichtet / hingegen Gottes bild wiederum in unschuld und gerechtigkeit herwider bracht würde“, sei „ein wahrer diener Christi“.235 Arnold möchte Christus als eine lebendige, am Menschen wirkende Kraft Gottes gepredigt wissen: Seine Menschwerdung, Leiden und Auferstehung wie auch sein Verdienst solle der Lehrer „anpreisen“, um in seinen Hörern einen Glauben zu wecken, der abseits von Gesetzesfurcht oder falschem Trost aufrichtige Buße und ernsthafte Umkehr mit sich bringt.236 Ein „wahrer evangelischer diener“ würde die unmittelbare Nähe Christi predigen, von seiner eigenen Erfahrung künden und dazu in der Lage sein, sämtliche Gewissensanfechtungen als Lockungen der Gnade zu deuten.237 In diesem Zusammenhang möchte Arnold freilich auch entschieden darauf hinweisen, dass der wahre Lehrer an seiner moralischen Integrität, seinem Lebenswandel erkennbar sei, da sich soteriologischer und amtstheologischer Berufungsbegriff – berufen zum Heil und berufen zum Amt – zumindest in der Frage von Rechtfertigung und Heiligung überschneiden: Gott habe „keinen menschen beruffen zur unreinigkeit / oder zu ausübung seiner lüste / sondern zur heiligung“.238 Auch der zum Amt Berufene würde an dieser allgemeinen Berufung zum Heil partizipieren und müsse sie in seinem Lebenswandel transparent werden lassen. Arnolds Forderung nach einer Prüfkompetenz der Gläubigen hinsichtlich ihrer Lehrer, die Rede von der gegenseitigen geistlichen Abhängigkeit von beiden und die Betonung der Souveränität der Gemeinde gegenüber ihrem Prediger finden zuletzt auch Eingang in seine katechetischen Texte. In der 1709 in Berlin erschienenen, noch ganz auf Stichworte und Bibelstellen reduzierten Erläuterung des Kleinen Katechismus Luthers spiegelt sich Arnolds Pastoraltheologie vor allem in der Kommentierung der Haustafel wider.239 Seit der von Luft veranstalteten, lateinischen Ausgabe des Katechismus, dem Enchiridion von 1529, werden unmittelbar nach Bischöfen, Pfarrherren und Predigern auch die Zuhörer vermahnt, wodurch sich eine gewisse Doppelung mit der in der Haustafel zuletzt angesprochenen Gemeinde ergibt.240 Durch seine Kommentierung legt Arnold nahe, dass der Gehorsam der Zuhörer gegenüber ihren Predigern an deren göttliche Berufung und Lebenswandel gekoppelt und keineswegs Selbstzweck sei: Nur unter der Voraussetzung, dass die Prediger im Leben „unsträfflich“, in der Lehre „[l]ehrhafftig“ (beides nach 1 Tim 3,2), „[m]ächtig zu ermahnen“ und 235 EREP
225. EREP 71 f. 237 Vgl. EREP 46. 238 EREP 228. 239 Vgl. WA 30/I; 327–339 [1529]; 397–402 [1531]. 240 Vgl. WA 30/I; 328,13 f: „Quid Debeant Auditores Episcopus suis &c.“ bzw. 329,18 f: „Quid Debeant Auditores Episcopus suis“. Die Herausgeber der WA halten die Autorenschaft Luthers für unwahrscheinlich (vgl. WA 30/I; 328, Anm. 2). 236 Vgl.
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I. Der Pfarrer bei Arnold
„zu straffen“ (nach Tit 1,9) seien, müssen sich die Zuhörer „folgsahm“ (nach Hebr 13,17) und „[e]hrerbietig“ (nach 1 Tim 5,17) zeigen.241 In der sicher nach 1709 entstandenen, erst 1722 postum herausgegebenen Erweiterung und Entfaltung jener früheren Katechismuserklärung verfestigt sich dieses Bild. Arnold löst sich in dieser Erklärung von der Reihenfolge des Haustafelkommentars Luthers und ermahnt paarweise Kinder und Eltern, Gesinde und Herrschaft, Arme und Reiche, Ledige und Eheleute, Ehemänner und Ehefrauen, Obrigkeit und Untertanen, – außerhalb der Reihe – die Witwen,242 zuletzt aber Lehrer und Zuhörer, indem er jeweils ihre der Heilsordnung Gottes entsprechenden Pflichten bestimmt und ihnen Trost zuspricht.243 Die allesamt mit biblischen Belegstellen untermauerten Monita folgen maßstabsgetreu den Forderungen der Geistlichen Gestalt: Die „Liebe und Treue“ der Lehrer gegenüber Christus weist Arnold als Kardinalpflicht aus, von der sich alle Pflichten „insonderheit“ ableiten lassen, zu denen u. a. die Bestrafung der Sünden „ohne Ansehen der Person“, die strenge Enthaltung von „Aergernissen in Lehr und Leben“, das fleißige Gebet für die Gemeinde oder das Aushalten aller Anfechtungen zählen.244 Auch die Spannung von Wichtigkeit und Schwierigkeit des Amtes, von Rezeptivität und Poiesis, schlägt sich im Katechismus nieder, wenn Arnold den genannten Pflichten des Predigers denjenigen Trost gegenüberstellt, der ihm durch die Liebe und Bewahrung Jesu Christi, d. h. durch die Gotteserfahrung, zuteilwird.245 Dem entspricht spiegelbildlich die Ermahnung der Zuhörer, welche ebenfalls auf ihre Pflichten und ihren Trost hin angesprochen werden. In kaum einer seiner anderen Schriften verdichtet sich Arnolds Rede von der Souveränität der gläubigen Zuhörer und vom transitorischen Charakter des pastoralen Amtes dergestalt wie in Arnolds Haustafelkommentierung: Die erste Pflicht der Zuhörer ist eben nicht der Gehorsam, sondern vielmehr, „Gott um treue und rechtschaffene Lehrer [zu] bitten“.246 Die zweite Pflicht – völlig im Einklang mit den Reden – bestehe in der Prüfung des Lebens und der Lehre der Prediger „nach Wort und Geist“.247 Erst von hier aus ergebe sich die Pflicht zum Gehorsam gegenüber den „[t]reuen 241 Vgl.
KCS, ][11v. wird in Luthers Haustafel für gewöhnlich die Jugend gegenübergestellt (vgl. WA 30/I; 336,23 und 337,22). Auch Arnold orientiert sich in seiner früheren Erklärung von 1709 an diesem Schema. 243 Schon die ostentative Verwendung des Lehrerbegriffs zeigt die enge Verbindung mit den pastoraltheologischen Programmtexten an, vgl. KCS2 178. 244 KCS2 178. 245 Vgl. KCS2 179. Im Einzelnen besteht nach Arnold der Trost der Lehrer in folgenden Punkten: „1) Sie führen Christi Amt. […] 2) Gott fordert nur Treue von ihnen. […] 3) Er segnet ihre Arbeit. […] 4) Er liebet, schützet u. tröstet sie in allem Leiden. […] 5) Sie können im Glauben durch Christum freudig seyn. […] 6) Im Leiden haben sie Gemeinschafft mit allen Knechten Christi. […] 7) Die durch sie Bekehrte sind ihre Freude, Ehre u. Crone. […] 8) Sie sollen ihrer Treue und Arbeit ewiglich geniessen.“ 246 KCS2 179. 247 KCS2 180. 242 Ihnen
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Lehrern“ wie auch zur Abkehr von jeder „[f]remden Stimme“.248 Arnold ermahnt die Zuhörer dazu, die in den Lehrern manifest werdenden „Gaben des Geistes“ zu „ehren un[d] zu brauchen“, den Pastoren beizustehen, für sie zu beten und sie materiell zu versorgen.249 Ihren Trost fänden sie darin, dass Gott in den „treuen Lehrern seine Liebe und Verlangen nach ihrer [der Zuhörer] Seligkeit“ bezeuge250 und dass die Lehrer für sie beten, einstehen und sie mit ihren Gaben erbauen.251 Auf diese Weise würde sich dasjenige (altkirchliche) Ideal realisieren, das Arnold in den Reden und der Investiturpredigt zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen bestimmt hat: Eine vom Teufel unangefochtene Geistgemeinschaft von Lehrern und Zuhörern, die einzig und allein auf Christus als lebendiges Gegenüber bezogen ist und sich untereinander durch Ermahnung und Gebet erbaut und erhält.252
4.4. Zwischenfazit: Tendenzen der späten Pastoraltheologie Arnolds In diesem Kapitel hat sich gezeigt, dass Arnolds späte Pastoraltheologie unverkennbar von seiner Tätigkeit als Inspektor geprägt ist. Hatte er in seiner kritischen und separatistischen Phase das Pfarramt aus einer Außenperspektive scharf kritisiert, indem er dem gläubigen Subjekt eine Unabhängigkeit vom Pfarrer, der Kirche, der Predigt und den Sakramenten attestierte, leuchtete er in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt die ‚Psychologie‘ der Berufungserfahrung im Modus der mystischen Introspektive aus, wobei er die Gemeinde vor allem als geistliche Herausforderung und Strapazierung dieser Gotteserfahrung verstehen wollte. Als Inspektor nimmt Arnold nun eine Position jenseits des Verhältnisses von Pfarrer und Gemeinde ein: Er reflektiert nicht nur seine eigene Rolle als Teil der sichtbaren, mit Ordinationsrechten ausgestatteten Amtskirche, sondern würdigt auch die positive Funktion der Gemeinde hinsichtlich der Vertiefung der Berufungserfahrung. Arnolds Pastoraltheologie gewinnt in der Werbener und Perleberger Zeit an Konturen und Wirklichkeitsnähe, insofern er die Mittelbarkeit der Berufung wie auch die Mittelbarkeit der Erschütterung der Berufungserfahrung anerkennt und konstruktiv in seine Theologie integriert. Arnold stellt die pastorale Persönlichkeit, die geistliche Gestalt des Pfarrers nun in ihrer dyna248 KCS2
180. 180. 250 KCS2 180. 251 Vgl. KCS2 181. 252 Die Spiritualisierung der Haustafelerläuterung verdichtet sich in einem typographischen Scherz. Viele Ausgaben der Haustafel Luthers (auch die Arnolds von 1709) enden mit dem Verslein „Ein jeder lern’ sein Lection. So wird es wohl im Hause stohn.“ (vgl. WA 30/I; 339,19 f.22 f). In der Ausgabe von 1722 wird dieser Vers nun folgendermaßen abgedruckt (KCS2 181): [thu] [Hause] „Ein jeder sein Lection, So wird es wohl im stahn.“ [lern] [Hertzen] 249 KCS2
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I. Der Pfarrer bei Arnold
mischen Beziehung zur Gemeinde, zu den Kollegen und zur sichtbaren Kirche dar, freilich immer im Vertrauen darauf, dass sich auch in den sichtbaren Instanzen die unsichtbare Kirche als wirksam erweist und diese ihre Prüfkompetenz wahrzunehmen vermag. In ihrer Endgestalt hält Arnolds Pastoraltheologie die Waage zwischen mystischem Subjektivismus und kirchlicher Konformität und gewinnt so ein hohes Maß an Wirklichkeitssinn: Der Lehrer ist nicht mehr auf sich allein und sein Gottesverhältnis gestellt und auf die Defizite seiner Berufungserfahrung zurückgeworfen, sondern wird als Person des kirchlichen Lebens verstanden, die im Dialog und Austausch mit ihrem gemeindlichen und kollegialem Umfeld die geistlichen Herausforderungen des Amtes anerkennen, benennen und überwinden kann. Ist die späte Transformation seiner Pastoraltheologie hinreichend dadurch erklärbar, dass Arnold seine eigene Rolle als Teil des kirchlichen Berufungsapparats, als Teil der äußerlichen Kirche, reflektieren und theologisch rechtfertigen möchte, so bleibt die Frage nach Grenzen und Ausmaß dieser Transformation zu klären. Arnold modifiziert den Kern seiner früheren Pastoraltheologie – das durch den Quietismus beeinflusste Berufungsverständnis – in entscheidender Weise, indem er externen Berufungs- oder Versicherungsinstanzen eine tragende Bedeutung hinsichtlich der Berufungserfahrung einräumt, was im Rahmen der Erstauflage der Geistlichen Gestalt noch völlig undenkbar gewesen wäre. Kann hier noch sachgemäß von Konkretisierung, Weitung, Vertiefung gesprochen werden oder liegt nicht tatsächlich, insbesondere auf dem Feld der Berufungstheologie, ein Bruch im Denken Arnolds vor, den er geflissentlich dadurch zu kaschieren versucht, dass er den supplementären Charakter des Berufungskapitels der Zweitauflage unterstreicht, ohne die primäre Argumentation der Erstauflage aufgeben zu müssen, diese aber tatsächlich doch darin überwindet, dass er eine subtile Form der vocatio mediata in seine Berufungstheologie implementiert? In der Tat zeugt die Zweitauflage des Berufungskapitels davon, dass Arnold hinsichtlich seiner früheren unanschaulichen, mystischen Berufungstheologie Klärungsbedarf und die Notwendigkeit einer persönlichen Positionierung sieht: Ihn muss die Frage nach einer externen Vergewisserungsinstanz der subjektiven Berufungserfahrung schon allein deswegen umgetrieben haben, weil er selbst als eine solche agieren, anderen Pastoren vorzustehen und Ordinationen und Investituren durchzuführen hatte. Als Inspektor kann er nicht mehr aus der pastoralen Binnenperspektive heraus argumentieren und einzig die individuelle, geistliche Gestalt des Pfarrers thematisieren, sondern muss eine Position jenseits dieser Berufungserfahrung einnehmen – auch zu dem Preis, dass er die Systematik der hermetischen Abgrenzung von Innen und Außen, welche die Erstauflage maßgeblich bestimmt hatte, zugunsten einer konstruktiven Dialektik aufgeben muss. Freilich wäre es ein Missverständnis, aus der Tatsache, dass es Arnold verhältnismäßig leichtfällt, seine pastoraltheologischen Ansätze sprachlich und konzeptionell zu transformieren, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass er in seinen
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Amtsjahren in jeder Hinsicht zum Konformisten geworden ist. Auf dem Feld der Predigt und der Sakramente wird er – wie sich im zweiten Teil der Untersuchung zeigen wird – nicht nur an seinen radikalen, mystischen und spiritualistischen Ansichten festhalten, sondern diese zum Teil noch potenzieren und verschärfen.
II. Arnold als Pfarrer
1. Ziel, Quellenauswahl, Darstellung Im zweiten Teil der Untersuchung sollen Arnolds Homiletik und Predigtweise (2.) wie auch seine Sakramententheologie und seine Überlegungen zur liturgischen Gestaltung der Sakramentenfeier (3.) im Zentrum stehen. Die Engführung auf diese beiden Praxisvollzüge ist Arnolds eigenem, am lutherischen Kirchenbegriff orientierten, pastoraltheologischen Ansatz geschuldet: Als wesentliche Pflichten des Pfarrers begreift er die Verkündigung bzw. Lehre und die Verwaltung der Sakramente, womit er den notae ecclesiae der lutherischen Kirche aus pastoraltheologischer Perspektive gerecht wird. Andere Tätigkeitsfelder haben keinen vergleichbaren Stellenwert in seiner Darstellung und Arnold bezieht sie auch nicht auf seine pastoraltheologischen Prämissen zurück. Seelsorge, Katechese und Kasualien (abgesehen von der Taufe) werden im Zuge homiletischer Erwägungen gestreift, eigene Theoreme hierzu entwickelt Arnold nicht.1 Hinsichtlich der Untersuchung der beiden Praxisfelder zeichnen sich zwei Probleme ab, zum einen ein quellenheuristisches: Der Quellenbestand, was die gottesdienstlichen Gepflogenheiten in Allstedt, Werben und Perleberg angeht, ist einigermaßen schlecht,2 Informationen über Arnolds pastorales Handeln 1 Der
ab 1707 in mehreren Auflagen veröffentlichte Evangelische Herzens=Wecker oder der berühmte Paradiesische Lust-Garten voller andächtiger Gebet und Gesänge geben Aufschluss über Arnolds Wirken als Erbauungsschriftsteller, können jedoch kaum als Quellen für sein seelsorgerisches Handeln in Werben und Perleberg herangezogen werden, wie Dibelius, Arnold, 180, behaupten wollte. 2 In Hinblick auf die hier relevanten Aspekte des pfarramtlichen Handelns – Predigt und Sakramententheologie – sind wir nach wie vor auf die gedruckten Quellen zurückgeworfen. Selbst die Perleberger Archivalien geben kaum Aufschluss über das gottesdienstliche Geschehen zu Arnolds Amtszeit, Kommunikantenlisten sind nicht erhalten, die erste, erreichbare Liturgie für Perleberg stammt aus dem Jahr 1753. Aus Arnolds Zeit findet sich eine von Uwe Czubatynski edierte Stiftungsurkunde (Czubatynski, Findbuch, 294ff), wenige Quellen zur Armenfürsorge (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 129/128 Bl. 3) und Gehaltsquittungen für die Küster (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 59/468). Bedeutsam sind freilich Arnolds Nachschrifft einiger Kirchen= Sachen (1707) (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 1/502, Bl 35/36) und zwei Abkündigungen aus seiner Feder (1708) (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 1/502, Bl 36r), die bereits Dibelius gekannt und transkribiert hat (Dibelius, Arnold, 176–179) und die sich maßgeblich um die Disziplin im Gottesdienst drehen, leider jedoch wenig Aufschluss über die Perleberger Liturgie und Arnolds Predigtweise geben. In der Bestandsbeschreibung des Perleberger Pfarrarchivs wird bedauernd festgehalten: „Auch zu dem bedeutendsten Perleberger Theologen, Gottfried Arnold (1666– 1714), ist die Quellenlage überaus schlecht, so daß sich ein zutreffendes Bild von seiner Person nur aus zeitgenössischen Drucken gewinnen läßt.“ (Vgl. https://www.dom-brandenburg.de/ fileadmin/user_upload/archiv/findbuecher/Findbuch_Pfarrarchiv_Perleberg.pdf [letzter Abruf am 3.1.2023]).
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II. Arnold als Pfarrer
erhalten wir hauptsächlich aus seiner eigenen Hand: Zur Theologie von Predigt und Sakramenten wie auch zur Predigtmethode und liturgischen Gestaltung der Sakramentsfeier äußert sich Arnold ausführlich in der Geistlichen Gestalt beider Auflagen und in den Vorreden zu seinen Postillen. Was die konkreten Praxisvollzüge angeht, sind wir auf seine gedruckten Predigten, Vermahnungen und Katechismen angewiesen, die allerdings einen Literarisierungsprozess durchlaufen haben, welcher den unmittelbaren Blick auf die gottesdienstliche Situation erschwert. Hier und da weist Arnold freilich darauf hin, auf welche homiletischen Theorien, Kirchenordnungen und Agenden er sich im Einzelnen bezieht, so dass sich das Profil seiner Predigtweise und seines Sakramentsverständnisses zumindest annähernd erfassen lässt. Das zweite Problem ist methodologischer Art, da sich Theorie und Praxis beider pastoraler Aufgabenbereiche gegenseitig zur Anschauung bringen: Arnolds homiletische und sakramentstheologische Prämissen, wie er sie in seinen historischen Schriften erstmals dargelegt hat, konkretisieren sich in seinen Predigten und Ansprachen. Umgekehrt haben seine wachsenden Erfahrungen in Allstedt, Werben und Perleberg diese theoretischen Überlegungen maßgeblich angestoßen und beeinflusst. Theoretische Reflexion und praktischer Vollzug müssen also immer in ihrer gegenseitigen, werkgeschichtlich dynamischen Interdependenz untersucht und dargestellt werden.
2. Predigt Von seiner Berufung als Schlossprediger in Allstedt bis zu seinem Tod in Perleberg, d. h. mehr als zehn Jahre lang, predigte Arnold regelmäßig und publizierte diverse Postillen und Predigtsammlungen. Das Predigtwerk im engeren Sinne umfasst: - die frühe Anthologie Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott mit lediglich drei Predigten (1700), die vor Arnolds Amtsantritt und auf der Höhe der Auseinandersetzungen um die Kirchen- und Ketzerhistorie erschienen ist, - die Epistelpostille Die Verklärung JEsu Christi in der Seele / aus denen gewöhnlichen Sonn= und Fest=Tags=Episteln (1704) mit Predigten aus Arnolds Zeit als Allstedter Schlossprediger, - die Evangelienpostille Die Evangelische Botschafft Der Herrlichkeit GOttes in Jesu Christo / nach denen ordentlichen Sonn= und Fest=Tags=Evangelien vorgetragen (…) (1706) mit Predigten aus seiner Zeit als Pfarrer in Werben, - die alttestamentliche Predigtreihe zur Genesis Das wahre Christenthum Altes Testaments im heilsamen Gebrauch der vornehmsten Sprüche aus dem ersten Buch Mosis (…) (1707), die ebenfalls aus der Werbener Zeit stammt, - die separat veröffentlichte Predigt Die verursachte Und doch gemäßigte Sündfluth (…) (1709) anlässlich eines Hochwassers in Perleberg, - zwei separat veröffentlichte Leichenpredigten auf den Perleberger Bürgermeister Georg Krusemarck und den Apotheker Lorenz Giese aus dem Jahre 1709, - zwei Predigten vor der preußischen Königin Sophie Luise aus dem Jahr 1710, die in den Evangelischen Reden von 1711 (s. u.) enthalten sind, - diverse weitere Kasual-, vor allem Leichenpredigten, die in die genannten Postillen eingeflossen sind. - Der 1735 bei Andreae und Hort in Frankfurt am Main erschienene Anhang der Erfahrungs=Lehre, ein Supplement zur Neuauflage der Theologia Experimentalis (die freilich dann unter dem deutschen Titel Geistliche Erfahrungs-Lehre, Oder Erkäntniß und Erfahrung Von denen vornehmsten Stücken Des lebendigen Christenthums ebenfalls bei Andreae und Hort in Frankfurt am Main erscheint), enthält zehn Betrachtungen zum Kolosserbrief, drei Hochzeitsreden, drei Leichenreden und eine das Thema der Investiturpredigt von 1705/06 (zu 1 Thess 5,12) variierende Trostrede für Lehrer und Zuhörer, von denen jedoch einige Fragmente geblieben sind.1 1 Jene
Anthologie ist von der Forschung bisher nicht berücksichtigt worden, obwohl die
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II. Arnold als Pfarrer
Über diese Sammlungen hinaus finden sich noch weitere Bibelauslegungen im Postillenformat, die jedoch, da ihnen Predigtdisposition und Adressatenorientierung fast durchweg fehlen,2 wahrscheinlich von vornherein als Lesepredigten konzipiert waren und die allesamt in der zweiten Hälfte des pastoralen Wirkens Arnolds entstanden sind: - Evangelische Reden über die Sonn= u. Festtags=Evangelien (…) (1709), - Evangelische Reden über die Sonn= und Festtags=Episteln (…) (1711), - die Theologia Experimentalis (postum 1714 veröffentlicht), in der Arnold die Formate der Predigtanthologie und Lokaldogmatik miteinander verbindet und frühere, tatsächlich in Perleberg gehaltene Sonn- und Festtagspredigten jeweils auf einen prägnanten Bibelvers zuspitzt und frühere Auslegungen in eine systematische, heilsgeschichtlich orientierte Ordnung bringt, wobei er neben einem index rerum und index locorum biblicorum auch eine am Kirchenjahr orientierte Leseordnung anbietet. Auch wenn sich die Theologia Experimentalis damit als Postille lesen ließe, geht ihr der Predigtcharakter weitestgehend ab: Es fehlt durchweg die Angabe von Dispositionen, die Texte sind paragraphiert und mit umfassenden Anmerkungen versehen. Zudem bemüht sich Arnold merklich darum, frühere Auslegungen in eine zusammenhängende Systematik zu überführen, so dass der Theologia Experimentalis hinsichtlich der Predigtweise Arnolds nur eine sekundäre Bedeutung zukommen kann.3 Autographen sind leider nicht auffindbar, was hinsichtlich der Klärung des Verhältnisses von mündlicher und publizierter Predigt überaus misslich ist, vor allem weil Arnold dem Prediger empfiehlt, nur wenige Stichworte zu notieren, die Predigt aber ansonsten frei und im Vertrauen auf den Beistand des Heiligen Geistes zu halten.4 Der Herausgeber des bereits genannten Anhangs der Erfahrungs= Lehre von 1735 notiert, dass die von ihm veröffentlichten Predigtmanuskripte die letzten auffindbaren gewesen seien und dass „wohl schwerlich etwas weiters Manuskripte einen einzigartigen Einblick in den Prozess der Erschließung und Publikation der Predigten Arnolds geben. Sie zeigen zum einen, an welchen Stellen Arnold improvisiert hat, zum anderen, inwiefern er die spätere Publikation seiner Predigten schon in den Manuskriptfassungen antizipiert hat (vgl. hierzu II.2.2.2.). Dass die im Anhang gesammelten Manuskripte authentisch sind, steht außer Frage, denn Arnolds Sprachgebrauch, die rhetorische Gestaltung und Disponierung seiner Predigten sind unverkennbar. Besonders deutlich wird das an der enthaltenen „Trost=Rede“ (Nr. 223) zu 1 Thess 5,12, in der Arnold seine frühere Investituransprache zum gleichen Text (Nr. 195) aktualisiert, nun jedoch unabhängig vom früheren Anlass und ganz auf der Linie des modus parakletikon. Die Disposition der früheren Predigt lautete: „Die wahre glückseligkeit einer gemeine / und zwar I der zuhörer bey einem rechtschaffenen lehrer / und II des lehrers bey rechtschaffenen zuhörern“ (WCAT 790). Die Disposition der späteren Predigt lautet völlig analog: „Den rechten göttlichen Trost für rechtschaffene Lehrer und Zuhörer / und zwar I. Den Trost der Lehrer an den Zuhörern / II. Der Zuhörer an den Lehrern“ (AEL 163). 2 Vgl. hierzu II.2.3. 3 Vgl. auch hierzu II.2.3. 4 Vgl. hierzu II.2.2.2. und II.2.2.3.
2. Predigt
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zum Vorschein kommen dörfte; wenigstens hat man eines mehreren / als hiermit dem Publico communiciret wird / nicht habhaft werden können“.5 Trotzdem ist der Anhang für die Frage nach dem Verhältnis von Ausarbeitung, dem Halten, der Literarisierung und der Publikation der Predigten überaus bedeutsam, denn er belässt die Predigtmanuskripte in ihrer fragmentarischen Form, ja der Herausgeber beteuert, die Manuskripte unverfälscht „der Presse übergeben“ zu haben.6 Arnold sei durch seinen Tod im Jahr 1714 jäh aus der Kolosserauslegung herausgerissen worden, die ersten beiden Verse des ersten Kapitels habe er gar nicht und Kol 1,21 f nur skizzenhaft auslegen können. Auch die im Anhang gesammelten Manuskripte der Kasualpredigten seien nicht druckreif gewesen – vielmehr erinnert man daran, „daß solche / nach denen an verschiedenen Orten in Parenthesi vom seligen Herrn Auctore gemachten mit beygedruckten Anmerckungen / von ihme noch weiters amplificirt und applicirt / mithin völliger würden ans Licht getreten seyn / falls er / diese Sache dem Druck selbst überlassen und praepariren zu können / länger im Leben geblieben wäre“.7 Tatsächlich finden sich in den enthaltenen Manuskripten verschiedene rhetorische Platzhalter und nicht vollständig ausgeführte Anmerkungsapparate, die zeigen, dass Arnold gehaltene Predigten nachträglich erweitert, überarbeitet und mit Quellenmaterial unterfüttert haben muss, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird.8 Um sich diesem umfangreichen Œuvre zu nähern, sind drei Erschließungsfragen zentral: 1. Homiletische Theorie und konkrete Predigtweise Arnolds müssen im Horizont der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts interpretiert werden. Martin Schian (1912) bestimmte das Spezifische der Predigtweise Arnolds gegenüber seinen orthodoxen und pietistischen Zeitgenossen auf drei Ebenen: auf inhaltlicher Ebene in der Übersteigerung der mystischen Innerlichkeit und der Zentralstellung der Erfahrung der Christusgemeinschaft; auf der Ebene der Bibelauslegung in der konsequent allegorischen Bemächtigung der Schrift, in deren Anbetracht jede historisch-literale Auslegung obsolet wird; und auf formaler Ebene in der fast vollständigen Auflösung der herkömmlichen orthodoxen Disposition und Kunstpredigt.9 Schians pointiertes Urteil wird hier einer Revision unterzogen werden, denn er setzt Arnolds Homiletik nur punktuell und recht oberflächlich in ein Verhältnis zur orthodoxen Predigtweise seiner Zeit und berücksichtigt lediglich einen Teil seiner Postillen. Bereits die Untersuchung der Pastoraltheologie Arnolds hat deutlich werden lassen, dass sich Arnold die wesentliche Begriffssprache, einzelne theologische Interpretamente und konkrete Gedankenbewegungen der lutherischen Orthodoxie zu eigen macht oder sich von ihr abgrenzt, ohne dies 5 AEL,
Vorbericht, )(2v. Vorbericht, )(3r. 7 AEL, Vorbericht, )(3r. 8 Vgl. hierzu Kapitel II.2.2.2. 9 Vgl. Schian, Orthodoxie und Pietismus, 74–77. 6 AEL,
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in jedem Fall kenntlich zu machen. Daher verdienen diejenigen homiletischen Referenzpunkte besondere Aufmerksamkeit, die Arnold selbst geflissentlich verschweigt. Nur wenn man über seine Selbstverortung in der altkirchlichen und mystischen Theologie, wie sie sich aus seinen Zitaten und Anmerkungskatalogen aufdrängt, hinausgeht und danach fragt, wie sich seine Homiletik zur lutherischorthodoxen verhält, werden ihre Konturen wirklich erkennbar. 2. Es bedarf einer differenzierten Rekonstruktion der – wenn auch nur kurzen – Entwicklungsgeschichte der Arnold’schen Homiletik während seiner Amtszeit in Allstedt, Werben und Perleberg, die wiederum in eine Korrelation zu den tatsächlich gehaltenen, d. h. veröffentlichten Predigten gesetzt werden muss. Wie notwendig eine solche Rekonstruktion ist, zeigt vor allem Hans Martis Untersuchung der Homiletik und Lyrik Arnolds im Horizont seines Sprach- und Rhetorikverständnisses. Marti weist die „heroische Methode“, d. h. die freie, ungebundene, geistbegabte Redeweise, die Arnold im Vorwort zu den Evangelischen Reden von 1709 mit großer Vehemenz vertritt, als zentral für seine Homiletik aus und deutet damit an, dass Arnold die für seine Zeit typische, rhetorische Disponierung und artifizielle Überformung der Predigt rigoros ablehnt.10 Richtig ist daran gesehen, dass sich Arnold – jedenfalls der Theorie nach – ungefähr ab 1707 von der orthodoxen Predigtpraxis zu distanzieren scheint. Unbeachtet bleibt dabei jedoch, dass es sich bei dieser lautstarken Positionierung auch um eine öffentlichkeitswirksame Selbststilisierung Arnolds handelt: Mit der Vorrede zur methodus heroica erklärt und rechtfertigt Arnold den Duktus der 1709 und 1711 veröffentlichen Reden, welche ihrerseits aber wahrscheinlich nie als Predigten gehalten, sondern von vornherein als Lesepredigten konzipiert worden sind. Abgesehen von besagten Reden folgen Arnolds frühere wie auch spätere Predigten wie auch die im Anhang gesammelten Predigtfragmente den wesentlichen rhetorischen Kunstregeln ihrer Zeit, ja setzen diese nahezu pedantisch um. In der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt (1712/23) möchte Arnold sogar – entgegen seinem Plädoyer für die methodus heroica von 1709 – die Regeln zur inventio und dispositio der Predigt weitestgehend wieder ins Recht setzen, auch wenn er die Predigt nicht mehr als primäre Lehrform gelten lassen und dem katechetischen Unterricht den Vorzug geben möchte. 3. Homiletik und Pastoraltheologie müssen immer in ihrer werkgeschichtlichen Interdependenz beleuchtet werden und auch hier ist vor einseitigen Überblendungen zu warnen: Arnold versteht die Predigt nicht einfach als Elaborat einer ungeordneten, ungerichteten Wirksamkeit des Heiligen Geistes,11 sondern beschreibt einen überaus differenzierten Prozess der Predigterschließung, der 10 Vgl.
Marti, Rhetorik des Heiligen Geistes, 68–73. Vgl. a. a. O. 68: „Es ist der Heilige Geist Gottes, der in der Predigt eines Erleuchteten der christlichen Gemeinde das Evangelium verkündet, nicht die Person des Predigers; denn dieser hat seine Eigenheit verloren und ist zum bloßen Werkzeug des göttlichen Willens geworden.“ 11
2. Predigt
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im Wesentlichen durch die Erfahrung des Predigers – ein pastoraltheologischer Schlüsselbegriff! – geleitet und kanalisiert wird. Arnolds Pastoraltheologie und Homiletik entstehen und reifen gemeinsam. Die drei genannten Desiderate, welche die wesentlichen Impulse des derzeitigen – sehr überschaubaren – Forschungsstands berücksichtigen,12 sollen der folgenden Darstellung der Homiletik und Predigttätigkeit Arnolds ihren Rahmen geben. In drei Untersuchungsgängen sollen Arnolds homiletische Prinzipien (2.1.), seine Predigtmethode (2.2.) und das bereits angesprochene, intrikate Verhältnis zwischen den „echten“ Predigten und den Lesepredigten aus den Reden und der Theologia Experimentalis erschlossen werden (2.3.), wobei Arnolds Predigtprinzipien und -methode nicht isoliert, sondern immer in Bezug auf seine Predigtweise dargestellt werden sollen, wie sie in seinen Postillen vernehmbar wird.
2.1. Homiletische Prinzipien Zur Eröffnung seiner homiletischen Ausführungen in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt (1704) bestimmt Arnold die Pflichten des Predigers folgendermaßen: „DAs Hauptwerck eines wahrhafftigen Christen ist das jenige / worinne sein ewiges Leben bestehet. Das ewige Leben aber besteht in der Erkäntniß GOttes und seines Sohnes Joh. XVII,3. Dahero kann auch das Hauptwerck eines Evangelischen Lehrers nichts anders seyn / als daß er die Leute anweise / daß sie lernen JEsum CHristum und in Ihm den Vater durch den Heiligen Geist erkennen. Ich rede aber nur von einem Evangelischen Lehrer / und von keinem bloßen Zuchtmeister oder Gesetzgeber / wie Lutherus auch Dies sei „eine der Grundthesen der Anhänger der Geistrhetorik“ (ebd.), der Marti auch Arnold zurechnen möchte. 12 Die speziellere Forschungsliteratur wird in den einzelnen Untersuchungsgängen berücksichtigt. Dietrich Blaufuß markiert fünf Problemanzeigen hinsichtlich der Erschließung und Analyse des Predigtwerks Arnolds (vgl. Blaufuss, Predigt, 39–43): 1. Die Überlieferungsgeschichte der Predigten und das intrikate Verhältnis von originär mündlicher Predigt und deren Publikation (im Einzeldruck oder als Bestandteil einer Postille) müssen geklärt werden. 2. Es fehle eine Übersicht über den Bestand des Predigtwerkes Arnolds nebst Klärung des Ortes im Kirchenjahr, biblischem Bezugstext und „thematische[r] Festlegung“ (a. a. O. 40). 3. Es brauche eine predigtgeschichtliche Analyse der Predigten, die freilich ganz unterschiedliche Fragestellungen berücksichtigen und in unterschiedliche methodische Richtungen tendieren könne, indem sie etwa „Querbezüge vom Predigtwerk zum sonstigen Oeuvre“ (a. a. O. 41) aufdecke, einzelne Predigten exemplarisch und „zugunsten des Erkenntnisgewinns ‚am Stück‘“ (a. a. O. 41) untersuche oder aber einen „zusammenfassende[n] Überblick[] über das Predigtwerk Arnolds“ (a. a. O. 41) gewinne, der sich an seine Biographie anlehnt. 4. Die biographische Verortung der Predigten erweise sich als größtes Problem, weil mit Ausnahme zweier Abschiedspredigten, zweier Probepredigten und einer Antrittspredigt bei den Amtswechseln von Allstedt nach Werben 1705 und von Werben nach Perleberg 1707 kaum eine Predigt näher lokalisiert oder datiert werden könne. 5. Auch der Vergleich der Predigten Arnolds mit denen anderer Prediger stehe aus und mit ihm die Klärung der Frage nach einer spezifischen Homiletik Arnolds.
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diesen Unterscheid machet in der Glosse über 2. Cor. IV,6. Predigen und leuchten sol man / wie man Gottes Gnade erkennen sol / andere mögen Wercke und Gesetz leuchten.“13
In diesem Aperçu verdichtet sich die ganze Arnold’sche Homiletik: Sie ist pneumatologisch (1) und christozentrisch (2) grundiert („daß sie lernen JEsum CHristum und in Ihm den Vater durch den Heiligen Geist erkennen“) und problematisiert und relativiert die Gesetzespredigt („nur von einem Evangelischen Lehrer / und von keinem bloßen Zuchtmeister oder Gesetzgeber“) (3). Diese drei Leitideen stellen unveränderliche Konstanten der Homiletik Arnolds dar und sollen in diesem Kapitel systematisch erschlossen werden, wobei als Quellen vor allem Arnolds ausführliche Postillenvorreden und die Geistliche Gestalt heranzuziehen sind, in denen er sich kritisch mit der Predigtlehre seiner Zeit auseinandersetzt.14 Zudem soll – notwendigerweise exemplarisch – gezeigt werden, inwiefern diese Prinzipien in Arnolds Predigten zur Darstellung gelangen.
13 GG 344 f.
Vgl. WADB 7; 149 (Glosse zu 2 Kor 4,6). und Predigtweise der lutherischen Orthodoxie und des Pietismus sind gut erforscht. Bzgl. der Grundlagen sei verwiesen auf den Klassiker Schian, Orthodoxie und Pietismus, 34–78 und die neuere Untersuchung von Weber, Erben, 55–60, der sich vor allem auf Hartmanns Pastorale Evangelicum bezieht, vgl. zu Arnold im Besonderen 74–77; zur Homiletik Carpzovs vgl. Beutel, Konturen; zur Schrifthermeneutik Quenstedts Coors, Scriptura efficax, 133–338; zur Schrifthermeneutik Gerhards Hägglund, Deutung; zu Calov Jung, Hermeneutik, 87–128. Zu den methodologischen Problemen der Predigtanalyse vgl. Beutel, Lehre und Leben, v. a. 421–425; Wallmann, Prolegomena, 436–441. Erhellende Einzelstudien bieten: zum Tübinger Universitätskanzler Tobias Wagner (1598–1680) Beutel, Lehre und Leben, 425–449; zum Rostocker Hofprediger Lütkemann Deuper, Lütkemann, 155–217. Zum besonderen Format der Leichenpredigten in dieser Zeit vgl. Löffler, Leichenpredigt; Beyer, Beobachtungen. Zur orthodoxen Predigtpsychologie vgl. Strassberger, Memoria. Die bedeutendste, predigtgeschichtliche „Langzeitstudie“ bietet Hammann, Göttinger Leichenpredigten, vgl. v. a. 139–147; vgl. auch Holtz, Theologie und Alltag, 51–186. Welche Quellen kommen als „ständige Zeugen“ lutherisch-orthodoxer Homiletik für unsere Untersuchung in Frage? Wegweisend für die lutherische Predigtlehre und bis ins 17. Jahrhundert vielfach wieder aufgelegt sind Melanchthons Elementa Rhetorices (von ihm selbst 1532, 1536, 1539 überarbeitet und zu seinen Lebzeiten zum letzten Mal 1559 herausgegeben; im Folgenden wird aus der deutschen Übersetzung von Wels zitiert), die noch das Ganze der Rhetorik im akademischen, juristischen und kirchlichen Milieu im Blick haben und die gleichermaßen der reformatorischen Schriftauslegung wie auch dem humanistischen Bildungsideal verpflichtet sind. Als zweites hält Johann Gerhards weithin bekanntes und oft wiederaufgelegtes Studiencurriculum Methodus studii theologici (1620) prägnante Anweisungen für die Predigtvorbereitung bereit. Ein weiterer Meilenstein und ganz auf den Prozess der Erschließung der Predigt zugespitzt ist Johann Benedikt Carpzovs Hodegeticum brevibus aphorismis olim pro collegio concionatorio conceptum et nunc revisum (1636; im Folgenden wird aus der Übersetzung von Preul zitiert). Johann Andreas Quenstedts ausführliches und nicht ausschließlich auf den Predigtvollzug, sondern auch auf die wissenschaftliche Ausbildung und geistliche Verfassung des Predigers ausgerichtete Ethica pastoralis & instructio cathedralis (1678) stellt gewissermaßen schon ein Archiv der orthodoxen Homiletik dar und dokumentiert die Verflechtung von homiletischen und pastoraltheologischen Fragen wie auch die ganze Diffizilität der Predigterschließung in der Hochzeit der Orthodoxie, zu der sich Arnold positioniert. 14 Homiletik
2. Predigt
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2.1.1. Das Wirken des Heiligen Geistes als Voraussetzung der Predigt „Ut tibi grata feram, dicam, faciamque docendo, Cor, mentem, lingvam Tu rege Christe, meam!“15
Trotz aller Formalisierung und Theoretisierung des Predigterschließungsprozesses – dass der Prediger während der Vorbereitung und des Haltens seiner Predigt auf die Führung Gottes und insbesondere des Heiligen Geistes angewiesen ist und dass er sich während des Predigterschließungsprozesses dieser Angewiesenheit immer wieder neu versichern wie auch auf die Grenzen seiner eigenen Geisteskräfte und rhetorischen Fertigkeiten besinnen soll, ist eine unumstrittene Grundüberzeugung der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts, die in den Begriffen der seria oratio und pia praemeditatio ihren prägnanten Ausdruck findet. So meint Johann Gerhard in der Methodus Studii Theologici, dass der Prediger im ernsten Gebet und frommen Vorherbedenken lernen würde, seine eigene Person zurückzunehmen, seine Eloquenz zu zügeln und genauestens zu bedenken, ob seine Rede der Ehre Gottes zuträglich und „ausgefeilt“ („ad limam“), d. h. präzise und angemessen, oder aber selbstgefällig und rhetorisch überbordend ist.16 Auch Quenstedt versteht in der Ethica pastoralis unter den Begriffen oratio seria und 15 Quenstedt, Ethica, 106 weist dieses prägnante Zitat als Ausspruch des Ambrosius aus, wie es Melanchthon in seiner Rede De divo Ambrosio verwendet habe (vgl. CR 11; 566–598). In den mir zugänglichen Ausgaben der Rede (Oratio de sophistica habita a magistro Erasmo Reinhold Salueldensi. oratio de divo ambrosio habita a Magistro Marcello, Wittenberg 1541; Philippi Melanthonis cvm praefationum in quosdam illustres autores: tum orationum de clarißimorum uirorum uitis tomvs secvndvs, Straßburg 1546) ließ sich das Zitat jedoch nicht finden. Der zweite Teil des Verses scheint freilich weit verbreitet gewesen zu sein und wird hie und da auf Justus Jonas (vgl. Baudert, Apophthegmata Christiana, 412) zurückgeführt. Er zierte gelegentlich auch den Schalldeckel von Kanzeln (vgl. exemplarisch Lehfeld, Bau- und Kunst-Denkmäler Thüringens, 192). 16 Womit er begrifflich unverkennbar an Luthers Wesensbestimmung der Theologie zwischen oratio, meditatio und tentatio anknüpft (vgl. WA 50; 658,29–659,4). Gerhard definiert die beiden Begriffe folgendermaßen: „Zum Halten von Predigten schicke sich niemand an und es besteige keiner eine Kanzel, wenn er nicht 1. das ernste Gebet zu Gott vorausgeschickt hat, dass er seine Lippen zur Verkündigung des Lobes seines Namens öffnen und sein Herz und seine Zunge so beherrschen wolle, dass er nicht irgendein Wort hervorbringe, das die Ehre Gottes beschädigt oder den Zuhörern ein Ärgernis und Nachteil zufüge. 2. Wenn nicht ein frommes Vorherbedenken vorausgegangen ist, so dass ihm nicht auf gut Glück oder Hals über Kopf irgendwas in den Mund komme und ausgeplappert werde, sondern alle [Worte] zuerst zur Feile, dann zur Sprache zurückgewendet [oder: zurückgerufen] werden. Wenn nämlich sonst nirgendwo, dann muss doch die Ermahnung Christi aus Mt 12,35 sicherlich an diesem Ort hier gelten: Ich sage euch, dass die Menschen am Tage des Gerichts Rechenschaft über jedes sorglose Wort ablegen müssen“ (Gerhard, Methodus, 201: „Ad conciones habendas nemo accedat nec suggestum conscendat, nisi praemissa 1. seria ad Deum oratione, ut labia ad annunciandum nominis sui laudem aperire, ac cor & linguam ita regere velit, ne quod verbum excidat, quod gloriam Dei laedat, vel auditoribus scandalum aut nocumentum afferat. 2. pia praemeditatione, ne temere & praecipitanter quicquid in buccam venerit, effutiatur, sed omnia prius ad limam quam ad linguam revocentur. Si enim ullibi, certe hic locum obtinere debet gravis admonitio Christi Matth. 12. V. 35. Dico vobis quoniam de omni verbo otioso rationem reddent homines in die judicii […]“).
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praemeditatio17 zwei konstitutive Elemente der rhetorischen Selbstlimitierung des Predigers: In der oratio artikuliert sich die Unterwerfung unter das Wirken des Heiligen Geistes.18 Indem der Prediger inständig um das Wort Gottes bittet und sich vor, während und nach der Predigt für das Wirken des Heiligen Geistes offen hält,19 würde er die störungsfreie Verkündigung des Wortes Gottes erst ermöglichen,20 ja Quenstedt kann als Ziel des predigtvorbereitenden und -begleitenden Betens nicht weniger als das Verschwinden der Person des Predigers fordern.21 In der praemeditatio pia wiederum würde der Prediger seine intellek17 Vgl. Quenstedt, Ethica, 100: „Den Eifer im Gebet [Orandi studium] möge er [der Prediger] niemals unterbrechen und nie soll er auf die Kanzel steigen, wenn er nicht ein ernstes Gebet zu Gott vorausgeschickt hat [nisi praemissa seria ad Deum precatione].“ 18 Schon die heidnischen Römer hätten keine Auspizien „sine Deorum immortalium consilio“ durchgeführt (ebd.) und auch die alten Christen – namentlich Gregor von Nazianz oder Augustin – hätten mit Nachdruck darauf bestanden, dass die Kirchendiener zuallererst Beter und nur in zweiter Linie Doktoren bzw. Prediger sein sollen (vgl. a. a. O. 100 f). Auch ein Apostel Paulus habe zweifellos („sine dubio“) viel mehr gebetet als gepredigt, mehr Tränen vergossen und Gott sein Leid geklagt als exhortationes erteilt (Röm 1,9 f; 1 Kor 1,4; Eph 3,14; Phil 1,4; Kol 1,9; 1 Thess 1,2). Quenstedt erklärt zudem in Anschluss an Jak 1,17 – „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben und steigt vom Vater der Lichter herab“ (a. a. O. 101 f) –: „Deswegen leitet der Diener des Wortes den Auftakt der zu haltenden Predigt aus der Quelle her und verehrt Gott demütig, damit dieser ihn selbst auf dem Pfad der Wahrheit leitet und durch seinen Heiligen Geist den Verstand und den Griffel lenkt, damit er nichts denkt oder zusammenschreibt, was Gott nicht lobt oder der Kirche heilsam ist.“ (vgl. a. a. O. 101 f). 19 Vgl. a. a. O. 104: „Auch nachdem er die Predigt beendet hat, soll der Diener des Wortes, nachdem er Geist und Hand zu Gott erhoben hat, jene Gebete darbringen, und für die Offenbarung der göttlichen Wahrheit demütige Danksagungen verrichten.“ 20 Vgl. a. a. O. 106. 21 Vgl. das Ambrosius-Zitat a. a. O. 103: „Pone, quaeso, in ore meo, Verbum consolationis & aedificationis & exhortationis per Spiritum S. tuum, ut bonos ad meliora valeam exhortari, & eos, qui perverse gradiuntur, ad tuae rectitudinis lineam revocare verbo et exemplo.“ (= „Lege, ich bitte dich, in meinen Mund das Wort der Tröstung und Erbauung und Ermunterung durch deinen Heiligen Geist, damit ich die Guten zu Besserem ermuntern kann und die, die böse wandeln, zur Richtschnur deiner Gerechtigkeit zurückrufen kann im Wort und Beispiel.“). Die von Quenstedt angegebene Fundstelle ist einigermaßen rätselhaft („in S. Ambrosii […] Orationibus ad populum habitis Orat. III. hae leguntur preces“). Er scheint es aus Franz Eggelingks unter Joachim Hildebrand verteidigter Helmstedter Dissertation De veterum concionibvs (1661) zu übernehmen, denn er zitiert fast wörtlich auch die Einführung des Zitats (Abschnitt XIIX [h1v]): „Testem hujus rei adduco S. Ambrosium, in cujus orationibus ad populum habitis hae leguntur preces“). Auch Francisco Bernardino Ferrario nennt in seinen De ritu sacrarum ecclesiae catholicae concionum libri tres (Paris, 1654) Ambrosius als Urheber des Zitats (Seite 38). In den gängigen Ausgaben ließ sich das Zitat nicht bei Ambrosius nachweisen, wohl aber – wenn auch leicht abgewandelt – in Anselm von Canterburys Meditationes (med. 18) (PL 158, 798 f): „Gratias tibi ago, Domine, quia me vas vacuum, et inutilem idiotam replesti scientia, intelligentia; et dedisti semper hamilem scientiam, quae aedificet. Da mihi et mitissimam et sapientem eloquentiam, quae nesciat inflari, et de tuis bonis super fratres extolli. Pone, quaeso, in ore meo verbum consolationis et aedificationis et exhortationis per Spiritum sanctum tuum, ut et bonos valeam ad meliora exhortari, et eos, qui adverse gradiuntur, ad tuae rectitudinis lineam revocare verbo et exemplo. Sint verba, quae dederis servo tuo tanquam acutissima iacula, et ardentes sagittae, quae penetrent et incendant mentes audientium ad timorem et amorem tuum.“ Bemerkenswerterweise firmiert im 3. Band der Pariser Ambrosius-Ausgabe von 1586 diese Meditation unter einer
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tuelle Erschließungskraft und rhetorische Begabung kritisch hinterfragen und an seinem Verkündigungsauftrag messen,22 indem er sich in die Stille zurückzieht und auf die Stimme Gottes besinnt: „Je sorgfältiger wir vorherbedenken, desto angemessener und durchdringender reden wir hernach […].“23 Beides – oratio und praemeditatio – zielt also darauf, dass der Prediger die Angemessenheit seiner Predigtideen und Predigtrhetorik kritisch hinterfragt, selbst dann noch, wenn er bereits auf der Kanzel steht.24 Die Unterscheidung zwischen dem eigenen Reden und dem Reden Gottes vor und während der Predigt wie auch die Forderung nach einem predigtvorbereitenden Gebet bergen auch ein kritisches Potential, was besonders pointiert bei Spener zum Ausdruck kommt. In den Pia Desideria (1675) diagnostiziert er hinsichtlich der Predigten seiner Zeit ein eklatantes Missverhältnis zwischen der Gottergebenheit und dem rhetorischen und intellektuellen Eifer der Prediger.25 Diese Kritik muss vor eben jenem Hintergrund der in der lutherischen PredigtRede des Mailänder Bischofs „ex archiuis depromptae Cartusiae Parisiensis“ (Seite 667 f), freilich mit jener charakteristischen Änderung, die auch Quenstedt, Eggelingk und Ferrario bezeugen: „Obsecro Domine & suppliciter rogo, da mihi semper humilem scientiam, quae aedificet“ statt „Gratias tibi ago, Domine, quia me vas vacuum, et inutilem idiotam replesti scientia, intelligentia; et dedisti semper hamilem scientiam, quae aedificet“ (Seite 674). 22 Vgl. Quenstedt, Ethica, 106: „Die Fähigkeit, in rechter Weise, aus dem Ratschluss des göttlichen Willens und mit Frucht für die Seelen zu predigen, ist kein Werk menschlichen Fleißes [non est humanae industriae opus] und entspringt auch nicht den Regeln irgendeiner Kunstfertigkeit, sondern ist eine Gabe Gottes und hängt von diesem am allermeisten ab, wie schon Philipp Melanchthon in dem an Kaiser Karl gerichteten Vorwort auf seinen Orator Christianus recht geurteilt hat. Nichtsdestoweniger fordert Gott von uns auch Fleiß. Denn ohne Zweifel würde ein Heiliger Redner nicht allein den Makel der Nachlässigkeit, sondern auch den der Unüberlegtheit an sich tragen, wenn er nicht aus den ernstesten und göttlichsten Dingen seine Worte entwickeln [de rebus gravissimis ac divinissimis verba facturus] oder unvorbereitet zur Rede schreiten und sie ohne vorausgehende Meditation halten würde.“ Zur praemeditatio hätten schon heidnische Redner wie Demosthenes oder Cicero geraten, weil durch sie der zügellose Wortschwall und die weitschweifige Rede eingedämmt würden. Und zu Recht habe Erasmus Sarcerius gefordert, „studiert“ zu predigen und nicht „gleichwie eine Saw zum Troge“ zu laufen: „sey so gelehrt wie du kanst / und hast so lange geprediget / als es immer seyn mag / doch will es studiret seyn“ (a. a. O. 108, von Quenstedt auf deutsch zitiert). 23 Ebd. 24 Obwohl er die improvisierte, unvorbereitete Predigt kategorisch ablehnt (vgl. a. a. O. 109: „Eine verkehrte Ehrsucht [Perversa igitur ambitio] leitet jene Prediger, die ohne vorhergehende Meditation, ex tempore und sozusagen pede stantes auf einmal zu reden versuchen“), rät Quenstedt dazu, sich auch auf der Kanzel für das Wirken des Heiligen Geistes offen zu halten: „Deswegen schickt sich der Verkünder des göttlichen Wortes, der Gott fürchtet, frühzeitig zum Vorherbedenken der Predigt an, nachdem er ein ernstes, flehentliches Gebet um die Hilfe des Heiligen Geistes vorausgeschickt hat, und wägt nicht allein die zu sagenden Dinge, sondern auch die Art und Weise, die Sätze und die Worte des zu Sagenden ganz genau ab“ (a. a. O. 111). 25 Vgl. Spener, Pia Desideria (SpSt I/1; 116,12–17): „Da sie auß der schrifft / aber allein dero buchstaben / ohne würckung deß Heiligen Geistes auß menschlichem fleiß / wie andere in andern studiis dadurch etwas erlernen / die rechte lehr zwar gefast / solcher auch beypflichten / und sie andern vorzutragen wissen / aber von dem wahren himmlischen liecht und leben des glaubens gantz entfernet sind.“
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II. Arnold als Pfarrer
lehre geforderten oratio seria verstanden werden, denn Spener kommt explizit auf das Problem zu sprechen, dass die Prediger ihr Gebet vernachlässigen: „Aber gleichwol wird mir ein verständiger Christ nicht in abred seyn können / daß dergleichen leute / die selbs den wahren göttlichen glauben nicht haben / ihr ampt / umb denselben durch das wort bey den zuhörern zu erwecken / nicht dermassen zu thun vermögen / wie es sich gehörete / sondern nechst dem / daß sie zu erhörlichem gebet / dadurch ein gottseliger prediger vielen segen erlanget / untüchtig sind / die geziemende weißheit nicht haben können / welche von dem jenigen erfordert wird / welcher andere mit allem erforderenden nachdruck lehren und auff den weg deß Heils führen solte.“26
Gleichzeitig kritisiert Spener die intellektuelle und akademische Überfrachtung der Predigt, vor allem das auf die Kanzel getragene Disputationswesen. Er fordert – ganz im Sinne der praemeditatio – eine selbstkritische Rückbindung an den „grund“27 der Predigt, d. h. vor allem an das göttliche Wort, das von den Ablagerungen des „[F]remden“, Menschlichen, befreit werden müsse.28 Das Wirken des Heiligen Geistes konkurriere immerzu mit den Geisteskräften des Predigers – nur das Gebet könne diesen Kampf entscheiden.29 Die Kritik am geistlichen Stand in den Pia Desideria ist also im engeren Sinne als eine Kritik an der verfehlten, nicht an Gott und den Heiligen Geist zurückgebundenen Predigtweise zu verstehen,30 die auch in späteren Schriften Speners, etwa im Geistlichen Priestertum (1677) und in der Allgemeinen Gottesgelehrtheit (1680), deutlich vernehmbar nachhallt.31 26 Spener,
Pia Desideria (SpSt I/1; 116,30–118,2, Hv. PB). A. a. O. 120,19. 28 Vgl. a. a. O. 124,25 f. 29 Vgl. a. a. O. 126,7–14: „Man wird wahrhafftig finden / wann man es redlich herauß bekennen will / daß so viel geistreiche krafft / und in höchster einfalt vorgetragene weißheit in jenen angetroffen und darauß gefühlet wird / so lähr sind fast diese gegen jenen / und findet sich an den neuern etwa ein mehrer apparat von menschlicher prächtiger erudition, und verkünsteltes wesen / auch fürwitzige subtilitäten in dingen wo wir nicht über die schrifft weise seyn solten.“ Spener greift in diesem Zusammenhang Nikolaus Selneckers Unterscheidung von menschlichem und göttlichem Wort auf und spitzt mit Johannes Dinkel die Theologie auf eine theologia practica bzw. theologia spinosa zu, die allein auf die Veränderung der Herzen der Gläubigen zielt (vgl. a. a. O. 128,34–130,16). 30 Zum Ende seiner zweiten Klage über den Pfarrstand verweist Spener auf 1 Kor 2,4, wo Paulus erklärt, dass seine Predigt nicht auf menschlicher Weisheit und Überredungskunst, sondern auf dem Wirken des Geistes fuße: „Der so hocherleuchte Apostel / wo er jetzo zu uns käme / sollte wol selbst vieles nicht verstehen / so zuweilen solche lüsterende ingenia, an heiligen stätten vorbringen: Das macht / er hatte seine weißheit nicht von menschen kunst / sondern der erleuchtung deß Geistes / die als himmel und erde von einander sind. Und so wenig diese von jener begriffen werden kan / so wenig sind die mit dieser angefüllte seelen bequem / sich zu jenen krafftlosen phantasien herab zu lassen“ (a. a. O. 136,26–33). 31 Vgl. aus dem Geistlichen Priestertum die Abschnitte 25–40 (SpSt I/1; 449–462), vgl. in der Allgemeinen Gottesgelehrtheit vor allem die dritte Frage (SpSt 2/1; 60–106), in der das Problem des Verhältnisses von wissenschaftlich-theologischer Enzyklopädie und Geistbegabung eingehend behandelt wird (v. a. 104,21 ff; 100,10 ff). Auch in De impedimentis Studii theologici nimmt Spener kritisch auf die rhetorische Predigtlehre Bezug: „Man möchte daher fragen, ob ich denn dafür hielte, daß die Predigt=Kunst gar keinen Nutzen hätte? Das will ich zwar nicht sagen, so viel aber unterstehe ich mich zu behaupten, daß der Nutze nicht so groß sey, wie sich ihn die meisten 27
2. Predigt
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Der Kritik an der „geistlosen Predigt“ schließt Arnold sich unumwunden an und greift, auch wenn er die Begriffe oratio und praemeditatio nicht mehr ausdrücklich verwendet, der Sache nach das Anliegen Gerhards, Quenstedts und Speners auf, wenn er die Predigtvorbereitung auf das Gebet zuspitzt, sich die Unterscheidung von Gottes- und Menschenwort i. S. einer Kritik an der überkommenen Predigtpraxis aneignet und den Prediger dazu aufruft, eine (selbst-) kritische und (selbst-)regulative Distanz hinsichtlich der eigenen Geisteskräfte einzunehmen. Dabei spielt das Gebet um den Heiligen Geist eine Schlüsselrolle: Nach Arnold muss sich das Gebet des Predigers immer als aufrichtiger Offenbarungseid der eigenen Angewiesenheit auf das Wirken des Heiligen Geistes erweisen. Erstmals erläutert Arnold die pneumatologischen Grundzüge seines Predigtprogramms im 14. Kapitel der Geistlichen Gestalt von 1704 unter der Überschrift „Von denen Verrichtungen eines Predigers / und insonderheit von dem Lehren“.32 Ausgehend von den Parakletverheißungen des Johannes-Evangeliums erklärt er, dass sich Gott im Lehrer nur unter der Bedingung zur Sprache bringe, dass der Heilige Geist ihn zur Wahrheit leite, in ihm und durch ihn von Christus (nach Joh 15,26 f) Zeugnis ablege und Christus in seiner Seele verkläre (nach Joh 16,14). Nach Arnold kann allein die Geistbegabung den Lehrer zur Predigt qualifizieren und legitimieren, da sie Ausdruck der Liebe Gottes (nach Joh 6,44 f; Joh 14,24), also einer lebendigen von Gott her ermöglichten Beziehung zu seinem Geschöpf, sei.33 Einzig aus diesem unverfügbaren Gottesverhältnis erschließt sich nach Arnold der „Hauptzweck des Lehramtes […], nemlich daß die Seelen zu CHristo und seinem ewigen Licht gebracht werden“34 und erweist sich die Theologie als „eine Rede von Gott und zu Gott / welche der H. Geist durch seine Werckzeuge vorbringe und dadurch allein auf den Sohn als den rechten Meister weise und führe“.35 Die aus dem Johannes-Evangelium gewonnene Einsicht, der Lehrer sei auf die Inspiration durch den Heiligen Geist angewiesen, einbilden. Ich wünschte, daß man in den meisten Predigten mehr Beweisung des Geistes und der Kraft, als der Kunst und überredenden Worten menschlicher Weisheit antreffen möchte“ (Spener, De impedimentis, 50). 32 Bereits im Kapitel „Von göttlicher Weißheit eines Boten Gottes“ stellt Arnold fest, dass eine eklektische Exegese und eine kontroverstheologische Überfrachtung der Predigt der Heiligen Schrift Unrecht antue, während der Heilige Geist den Lehrer auf die wesentlichen, für seine Hörer heilsrelevanten Aspekte lenke (vgl. GG 122). Allein die Erfahrung des Lehrers, sein „geistl. Sehen und Hören des HERRN vor dem zeugen und predigen“ (GG 123) mache die Schrift lesbar. Auf welche Weise konkret der Prediger seine Gelehrsamkeit, seine Vernunft, seine theologische Expertise, seine Eloquenz supprimieren und dem Heiligen Geist Raum geben kann, deutet Arnold freilich jedoch allenfalls an, wenn er sein „pneumatologisches Kapitel“ mit einem kurzen Gebetsruf beschließt (vgl. GG 147): Im Gebet gibt und lässt der Lehrer Gott in seinem pastoralen Wirken Raum. 33 Vgl. GG 428. 34 GG 428. 35 GG 429.
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II. Arnold als Pfarrer
validiert Arnold anhand der in der Kirchengeschichte häufig getroffenen und weithin anerkannten Unterscheidung von verbum externum und internum: Nicht nur die altvorderen Christen, Augustin und Tauler hätten – wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen – darauf plädiert, dass der Prediger nicht ohne „das inwendige und lebendige Wort“,36 die Mitwirkung des Heiligen Geistes37 oder das in der Seele38 wirkende Wort predigen könne, sondern auch und vor allem Luther habe in De servo arbitrio die Unterscheidung von innerem und äußerem Wort aufgegriffen und mit Entschiedenheit vertreten.39 Der Prämisse, die Effektivität der Predigt resultiere allein aus der geistlichen Begabung des Predigers und der Wirksamkeit des verbum internum, entspricht bei Arnold die praktische Forderung, dass sich die Predigtvorbereitung ganz im Gebet erschöpfen soll, was den orthodoxen und Spener’schen Appell zur intensiven oratio und praemeditatio aufgreift und überspitzt. Wie Gerhard oder Quenstedt versteht Arnold das predigtvorbereitende Gebet nicht als ritualisierte Bitte, sondern als intensives Ringen zwischen dem biblischen Text und den Interpretationsvorurteilen des Lehrers, das in das Eingeständnis der eigenen exegetischen Hilf- und Geistlosigkeit mündet. In Anschluss an Tauler, welcher das Jesus-Wort πτωχοὶ εὐαγγελίζονται (Mt 11,5/Lk 7,22) medial – also mit: „die Armen sollen predigen das Evangelium / sie verstehen es allein recht“ – übersetzt, meint Arnold: „Was hat demnach ein rechter Prediger vor der Verkündigung des Wortes GOttes anders und nöthigers zu beobachten / als daß er arm am Geist sey. […] Dahero muß man drob ringen / daß man alle seine eigenen Geist oder eigenwillige Bewegungen des Hertzens und aller Gedancken / alle eigenwillige oder aus menschlichen Willen hervorgehende Weißsagungen / sammt den eigenen Einfällen und vernünfftlichen Auslegungen der Schrift mit großem Ernst und Kampf vor GOtt niederlege und ihnen absage: Hingegen sich lediglich dem Geiste CHristi als ein bloßes in sich selbst nichts habendes Werckzeug darlege / dadurch GOtt nach seinem Wille schalle und rede. Dazu gehöret aber gewaltiges Ringen und Anhalten im Gebet: welche schwere Vorarbeit wol allen Kitzel der eiteln Ehrsucht und andere fleischliche Affecten vertreiben / und das Gemüth in Ernst und heil. Ehrfurcht vor dem Heil. GOtt erhalten wird.“40 36 GG 431.
37 Die Predigt hat damit – wie das ganze Lehramt – eine transitorische Funktion: Das Lehramt verweist auf das innere Wort: „Wenn sie es auch von Menschen hören / so gibt es ihnen doch innerlich / was sie hören. Was thun wir (Prediger) nun / wenn wir zu euch reden? Wir machen ein Geräusch der Wörter vor euren Ohren. Wenn der jenige es euch nicht offenbaret / der in euch ist / was rede ich lange? Ich bin ein Pfleger des Baumes äusserlich; der inwendige ist dessen Schöpffer“ (GG 436). Arnold zitiert hier aus Aug. tract. in Ioh. 26,7 (vgl. CCSL 36, 263: „Et si ab hominibus audiunt, tamen quod intelligunt, intus datur, intus coruscat, intus reuelatur. Quid faciunt homines forinsecus annuntiantes? quid facio ego modo cum loquor? Strepitum uerborum ingero auribus uestris. Nisi ergo reuelet ille qui intus est, quid dico, aut quid loquor? Exterior cultor arboris, interior est creator“). 38 Vgl. GG 432. 39 Besonders pointiert habe Luther die Wert- und Wirkungslosigkeit einer Predigt bei geistlosen Zuhörern herausgestellt (vgl. GG 438). 40 GG 441.
2. Predigt
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Der Predigt muss demnach immer ein intellektueller Bußkampf vorausgehen, im Zuge dessen menschlicher Eigensinn und Heiliger Geist miteinander streiten, ein – wie bereits Gerhard oder Quenstedt angedeutet haben – „gewaltiges Ringen und Anhalten im Gebet“. Die pneumatologischen Konturen seiner Homiletik, wie sie in der Geistlichen Gestalt von 1704 zu Tage treten, profiliert Arnold in einem 1707 angefertigten Traktat, der 1709 als Vorrede Von recht Geistreichen Predigten in die Programmschrift Wohl=gemeynte Erinnerungen / darinnen Der wahre Gottesdienst / und die nothwendigen Stücke eines Christlichen Lebens (…) des Moißberger Pfarrers Nicolaus Schröder eingeht.41 Über seine früheren Überlegungen hinausgehend thematisiert Arnold in dieser Vorrede das spannungsreiche Verhältnis von Schriftauslegung, theologischer Enzyklopädie und rhetorischer Eloquenz des Predigers und greift damit die in der Orthodoxie behandelte Frage nach Nutzen und Notwendigkeit der praemeditatio erneut offensiv auf. Arnold bekräftigt, dass die wahrhaft geistreiche Predigt nur vom „göttlichen / guten und reinen Geist“ gewirkt werden könne,42 und verteidigt diese These in drei Richtungen. 1. In eine schrifttheologische: Im ersten der drei eng aufeinander abgestimmten Teile der Vorrede verwahrt sich Arnold entschieden gegen den Vorwurf, er stelle die Schrift in ihrer Würde als sich selbst auslegendes, normatives Gotteswort in Frage. Selbstverständlich sei sie „vollkömmlich / als des H. Geistes Wort / und als die Regel und der Quell guter Lehre“.43 Als ein solches, geistinspiriertes Dokument führe sie dem Prediger jedoch auch immer wieder vor Augen, dass die Geistbegabung nicht nur notwendige Bedingung ihrer Entstehung, sondern auch ihrer Auslegung sei.44 Dass (nach Röm 14,23) „alles Sünde sey / was nicht aus dem Glauben gehe“45 will Arnold daher geradewegs auf das Predigtgeschehen übertragen,46 um zu unterstreichen, dass die Schrift ihre Autorität nicht aus sich selbst heraus erhalte, sondern vielmehr durch den in ihren Auslegern wirkenden Heiligen Geist.47 Der Buchstabe bleibe immer ambig und auslegungsbedürftig, 41 Arnolds Vorrede ist auf den 26. September 1707 datiert und in „Perlberg“ lokalisiert (RGP 48). Schröders eigene Vorrede ist auf den 24. Oktober 1706 datiert. 42 RGP 5. 43 RGP 6. 44 Vgl. RGP 6: „Ja wir werden eben aus denen biblischen Worten und Exempeln aufs kräfftigste bestätiget / wer in und durch uns reden müsse und wolle.“ 45 RGP 14. 46 Vgl. RGP 14: „So muß nothwendig auch alles Reden sündlich seyn / was nicht aus dem Glauben geschicht. Nun kann aber niemand aus eigener Vernunfft oder Krafft an JEsum Christum glauben / sondern der H. Geist muß sowol Lehrer als Zuhörer dazu durchs Evangelium beruffen / mit seinen Gaben erleuchten / und im rechten Glauben heiligen und erhalten. Wenn nun ein Prediger den H. Geist nicht beständig in sich wohnend hat und behält / oder der Zuhörer demselben nicht in seinem Hertzen Raum giebt im Glauben / so ist freylich solch predigen und zuhören geistlos / und folglich unnütze / ja gar verführisch / und dienet nur zu mehrer Verdammung […].“ 47 Vgl. RGP 17 f.
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II. Arnold als Pfarrer
solange „er allein ist“.48 Es sei daher ein fulminanter Irrtum zu glauben, dass das Wirken des Geistes mit der Abfassung der biblischen Schriften an ein Ende gekommen sei.49 2. In eine pastoraltheologische: Im zweiten Teil der Vorrede möchte Arnold erörtern, warum die Geistbegabung für das Verstehen und Predigen der Schrift unerlässlich ist: Seien geistlose Prediger lediglich dazu in der Lage, „aus der Bibel […] ein Phrases-Buch [zu] machen“,50 d. h. Schriftstellen aneinanderzureihen, könne der durch den Heiligen Geist begabte Ausleger den biblischen Text in ein sachgemäßes Verhältnis mit der Lebens- und Glaubenswelt der Zuhörer setzen, da ihm vom Geist die substantiellen Leitfragen eingegeben werden, auf die hin er die Schrift zu interpretieren habe.51 Würde der Prediger innigst darum bitten, bringe der Geist „die wahre Bekehrung und Reinigung seines Hertzens“ zu Stande, worunter Arnold nichts anderes als die Überwindung aller weltlichen Abhängigkeiten des Predigers versteht, die seinen Blick auf den Text verstellen, so dass es ihm möglich wird, sich ganz auf das Wirken Gottes in seiner Seele zu konzentrieren, sich „vor GOtt als todt und untüchtig zum Guten erkennen und halten“ und als ein – wiederum erinnert Arnold an Mt 11,5 – geistlich Armer zu begreifen,52 dem der Geist offenbare, worum es in der Predigt zu gehen habe.53 3. In eine ‚phänomenologische‘: Im dritten Teil der Vorrede beantwortet Arnold die Frage, „[w]oran denn vornehmlich eine geistreiche Predigt zu erkennen sey“.54 Völlig übereinstimmend mit seinen vorigen Überlegungen erklärt er, dass eine geistgewirkte Predigt die Zuhörer nahezu überwältigen würde, alle Widerstände der 48 RGP 18. Arnold zitiert aus Franz Lambert von Avignons Traktatanthologie Commentarii de Prophetia, Eruditione & Linguis, de[que] Litera et Spiritu, IV,5. In der Straßburger Ausgabe von 1516 findet sich das Zitat auf Seite 39v: „Proinde tu quisquis accedis ad divinorum studium, orare debes, ut is qui literam tribuere dignatus est, spiritum etiam donet ne ipsa litera tibi uertatur in perniciem, dum solitaria est. Litera enim occidit.“ 49 Im Gegenteil: Ohne den Heiligen Geist sei die Schrift völlig unnütz und zu Recht sei der Geist von der lutherisch-orthodoxen Theologie als causa efficiens der Predigt und als der „rechte Schlüssel der heil. Schrifft / das rechte Buch / daraus alle Lehrer der Kirchen lernen müssen“ bezeichnet worden (RGP 18 f. Hierbei nimmt Arnold u. a. Bezug auf Johann Arndts Postilla in der Frankfurter Ausgabe von 1675, Seite 875), womit die „hochtheure Evangelische Wahrheit / daß wir allein durch den heil. Geist predigen sollen“ (RGP 20) in ihrer ganzen Tiefe erfasst sei. 50 RGP 22. 51 Vgl. RGP 22: „Unser Predigen soll nicht nur im Wort / sondern auch in der Krafft und in dem heil. Geist geschehen / 1.Thess. I,5 und was wir aus der Schrifft anziehen / muß uns und denen Zuhörern durch den heil. Geist lebendig und kräfftig werden: so heißt es zugleich Schrifft= und Geistreich geprediget.“ 52 RGP 24. 53 Vgl. RGP 28: Der Prediger müsse seine ganzen Predigtvorbereitungen auf das „ernste Gebet und Seuffzen“ konzentrieren und dürfe sich nur in zweiter Linie mit früheren Auslegungen und anderweitiger theologischer Literatur befassen. 54 RGP 30.
2. Predigt
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menschlichen Vernunft brechen könne und damit schlichtweg einem Wunder gleichkomme.55 Arnold meint, dass im Fall einer wahrhaft geistreichen Predigt die Zuhörer der Erleuchtung des Predigers teilhaftig würden,56 während der Misserfolg der Predigt auf den Mangel der persönlichen Erleuchtung des Predigers zurückgeführt werden könne.57 Ob der Prediger vom Geist Gottes inspiriert worden ist, sei jedoch nicht nur an der Hörerreaktion zweifelsfrei erkennbar – die geistreiche Predigt wirke auch auf den Prediger selbst zurück: Würde sie ihm tatsächlich gelingen, würde er sich umso mehr im Gehorsam gegenüber Gott und in der „gründliche[n] Hertzens-Niedrigkeit und Armuht des Geistes“ üben58 und – gegen jeden Höhenflug und jede Selbstverliebtheit – zu einer vertieften Demut und einem ausgeprägten Gespür für seine Angewiesenheit auf das Wirken des Heiligen Geistes gelangen.59 Möchte man nun Spuren seines Anliegens einer kontemplativen Predigtvorbereitung in Arnolds Predigten wiederentdecken, liegt das Problem auf der Hand, dass es kaum möglich ist, aus den überlieferten Texten zu rekonstruieren, ob und in welcher Weise Arnold vor oder während seiner Predigten die oratio seria oder praemeditatio gepflegt hat. Dennoch manifestieren sich in seinen Predigten die pneumatologischen Prämissen seiner Homiletik, insofern er, insbesondere in den exordia, introitus und perorationes, d. h. in den rahmenden Stücken seiner Predigten, Leerstellen für das souveräne Wirken des Heiligen Geistes offenhalten möchte und betont, dass dieses Wirken an und für sich unverfügbar sei und der Prediger selbst lediglich darauf verweisen könne – und: dass der Gläubige wie der Prediger um dieses Wirken bitten müsse. Ein illustratives Beispiel für diese pneumatologischen Akzentsetzungen ist Arnolds Pfingstpredigt zu Joh 14,23–31 (Nr. 110), die in die Evangelische Botschafft (1706) eingeflossen ist, wahrscheinlich am 11. Mai 1704 auf dem Allstedter Schloss gehalten wurde und schon allein aufgrund ihres festtäglichen Propriums unter pneumatologischen Vorzeichen steht. Arnold gibt als Thema der Predigt „Die höchste seligkeit in der liebe zu GOtt“ an und arrangiert die verschiedenen 55 Vgl.
RGP 31. auch RGP 34: „Also ist dies ein gewisses Merckmahl eines erleuchteten und geistreichen Predigers / wenn durch ihn andere erleuchtet und bekehret werden / und er lebendige Briefe und Siegel seines heiligen Beruffs bekömmt.“ 57 Vgl. RGP 36: Wenn etwa „ohne lebendigen Geschmack des Worts / ohne Erfahrung und ohne Ernst und Nachdruck so laulich hingeredet wird / davon die Hörenden weder Geist noch Krafft empfinden.“ 58 RGP 39. 59 Arnold bekräftigt die ‚pneumatologische Komplementarität‘ des Predigtgeschehens: Prediger und Zuhörer müssen vom Geist ergriffen sein, damit die Predigt erfolgreich ist. Deswegen sollen nicht nur die Prediger, sondern auch die Zuhörer um den Heiligen Geist bitten, „daß sie verstehen / was geredet wird“, sie sollen es aber auch nicht unterlassen, „auch für ihre Prediger eifrig [zu] beten / damit selbige von dem Geist der Weisheit und der Wahrheit allein regieret werden mögen“ (RGP 46). Der Misserfolg der geistlosen Predigt dürfe also nicht den Predigern allein angelastet werden. 56 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
Aussagen der theologisch satten und in sich kreisenden Abschiedsrede Jesu zu einer Collage bzgl. des Wesens der Gottesliebe. Die Predigt handelt davon, dass Gott im Menschen eine zweckfreie und absichtslose Gottesliebe bewirkt, die sich – wiederum ohne Zutun des Menschen – als uneigennützige Nächstenliebe äußert, so dass beide Valenzen des in Joh 14,23 zum Ausdruck kommenden Liebesbegriffs – die Liebe zu Gott und das Halten der Gebote – gleichberechtigt in der Predigt zur Sprache kommen. Ausgehend vom ersten Vers der deutschen Übersetzung des Veni creator spiritus („Komm Heiliger Geist“) – es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Lied in seiner von Luther besorgten deutschen Übersetzung im Pfingstgottesdienst auf dem Allstedter Schloss gesungen wurde –60 entwickelt der Prediger im exordium eine ausgiebige Bußmeditation, in die das Gebet um den Heiligen Geist kunstvoll eingeflochten ist: Wiederholt stellt Arnold den Mangel an Geist und Gottesliebe bzw. am „Geist der Göttlichen liebe“61 fest, weil Hass, Selbstliebe, Misstrauen und Argwohn den Menschen regieren würden,62 was nur durch das Kommen des Heiligen Geistes überwunden werden könne: „Ach liebe / du reines leben GOttes / darin die ewige Gottheit allein selig ist: Dich suchet unser finsteres und starres hertz. Zünde dich selbst in uns an / du Heiliger Geist / der du wesentliche liebe bist / und erfülle mit deinem feuer den gantzen grund und das vornehmste von unserer menschheit: so wird dasselbe auch ausleuchten und den gantzen menschen durchdringen und voll liebe machen!“63
Der johanneische Dualismus von Gott und Welt findet damit in der Predigt eine prononcierte Wiederaufnahme: Der im Menschen tobende Bußkampf werde zwischen dem Geist der Welt und dem „Geist der liebe GOttes“ ausgetragen, wobei sich nur einer von beiden Gehör verschaffen könne, während der andere unterliegen müsse.64 Buße versteht Arnold in diesem pneumatologischen Zusammenhang als die der Welt entsagende Konzentration des Menschen auf Gottes Inanspruchnahme seines Willens, seiner Seele, Imaginationskraft und Wahrnehmung: Im Menschen brenne der Geist Gottes wie ein Feuer, das ihm „in keinem dinge ruhe läst / als dem erkanten geliebten ewigen guth“.65 Die pneumatologische Linie setzt sich auch im tractatus, d. h. im Hauptteil der Predigt, ungebrochen fort. Im Zuge der Auslegung des Parakletspruchs von Joh 14,26 („Der Tröster der Heilige Geist / welchen mein Vater sendet in meinem namen / derselbe wird euch alles lehren / und euch erinnern alles / was ich euch gesaget habe.“66) greift Arnold auf Komponenten der klassischen augustinischen Trini60 Vgl.
EBH 682. 682. 62 Vgl. EBH 682 f. 63 EBH 682. 64 EBH 683. 65 EBH 684. 66 EBH 688. 61 EBH
2. Predigt
231
tätslehre zurück: Im Parakletspruch möchte er die „drey haupt=quellen der liebe zu GOtt“ ausmachen: „die versöhnung des Vaters“, „die erwerbung des Sohns“ und die „zukunfft des Heiligen Geistes selber“.67 Die Sendung des Heiligen Geistes werde nur dadurch ermöglicht, dass Christus mit dem „schlüssel Davids“ das abgewandte und verschlossene Herz des Vaters aufschließe.68 Damit ist die Sendung des Geistes vom Vater in Christi Namen als Liebeserweis Gottes gegenüber den Menschen zu verstehen, die Pneumatologie ist in die Christologie und Versöhnungslehre integriert. Im weiteren Verlauf der Predigt rückt Arnold die Person des Geistes als „die vollkommene und nächste Quelle der liebe zu GOtt“ in den Fokus:69 Während Joh 14,26 vor allem die Belehrung und Tröstung als Wirkung des Geistes hervorkehre, wobei Arnold exkursartig auch die mannigfachen Erkundungen zur Etymologie von παράκλητος in Alter Kirche und mittelalterlicher Theologie einfließen lässt, möchte der Prediger selbst die Funktion des Geistes – ausgehend von der innertrinitarischen Beziehung zwischen Vater und Sohn – auf die Ermöglichung der Gottesliebe zuspitzen: Das „vornehmste werck des Heiligen Geistes“ sei „die ausgiessung der liebe GOttes in unser hertz / als die rechte wesentlichen salbung / wodurch der gefallene mensch wieder mit Göttlicher krafft durchdrungen und also neu gesinnet wird / an statt der creaturen und sein selbst GOtt in liebe wieder zu suchen und zu fassen“.70
Die weiteren Werke des Parakleten, wie sie ihm vom johanneischen Christus zugeschrieben werden – Trost, Lehre und Erinnerung –, bestimmt Arnold als nachgeordnete Manifestationen dieser Ausgießung.71 In der peroratio laufen die Grundlinien der Predigt zusammen. Arnold formuliert ein trinitarisches Gebet zum Vater als „zweck und ziel / darauff wir immer mit dem einfältigen auge des glaubens mercken / und also redlich gegen ihn werden“, zu Christus als „vorgänger und vollkommen exempel im leiden und thun“ und zum Geist, als „lebendiger führer und regent“,72 wobei er die Einheit der drei Personen besonders betont: „Seine einigkeit sey unsere wohnung und burg gegen alle feinde / sein wort sey unsers fusses leuchte / seine warheit unser grund / darauff wir uns verlassen / seine weißheit unser rath in allen scrupeln / seine krafft unsere stärcke bey der schwachheit / seine gerechtigkeit unser trost wider unsern alten menschen / seine heiligkeit unsere demüthigung und richtschnur / und sein leben unser leben / seine liebe unsere liebe und vollkommenste seligkeit.“73 67 EBH
688. 688. 69 EBH 689. 70 EBH 690. 71 Vgl. EBH 690–692. 72 EBH 703. 73 EBH 703. 68 EBH
232
II. Arnold als Pfarrer
Im Spiegel der lutherischen Homiletik jener Epoche und unter exemplarischer Beachtung seiner Allstedter Pfingstpredigt treten die pneumatologischen Konturen der Predigtweise Arnolds deutlich hervor. Arnold knüpft an die Ansätze früherer lutherischer Theoretiker an, wenn er meint, dass in der Predigt Gottes Wort nur unter der Bedingung zur Sprache und Geltung kommt, dass der Prediger seine eigene Beredsamkeit hintanstellt und sich selbst als Werkzeug des Heiligen Geistes zu verstehen lernt. Im Gegenzug führt er Geistlosigkeit und Ineffektivität der Predigt auf eine in spiritueller Hinsicht defiziente Predigtvorbereitung zurück. Arnolds Homiletik schattet damit unverkennbar seinen pastoraltheologischen Ansatz ab: Die rechte Balance von Rezeptivität und Poiesis erstreckt sich nicht nur, aber besonders auf den Prozess der Vorbereitung und des Haltens der Predigt. Arnolds Forderung, der Prediger solle eine Gebetshaltung einnehmen und sich offen für das Wirken des Heiligen Geistes zeigen, entspricht völlig seiner Prämisse der Unverfügbarkeit der Gotteserfahrung. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass Arnold es vermeidet, seine Ausführungen zum Predigtvorbereitungsprozess mit einer theologisch oder homiletisch distinkten Begriffssprache zu unterlegen, die dahingehend missverstanden werden könnte, dass oratio und praemeditatio bloß Mittel zum Zweck der Predigt und reine Formalitäten seien. Im vorgeführten Predigtbeispiel zeigt sich zudem, dass Arnold das Gebet um den Heiligen Geist nicht nur als Grundsatz der Konzeptionierung von Predigten versteht, sondern seine homiletischen Prinzipien auch dezidiert in seinen Predigten veranschaulicht: In der Predigt möchte Arnold die Zuhörer lediglich auf das souveräne Wirken Gottes im Menschen verweisen, ohne sich dazu in der Lage zu sehen, dieses zu vermitteln – die Predigt ergründet die Eigenmächtigkeit Gottes und kann allenfalls zu einer dieser Eigenmächtigkeit entsprechenden Frage und Bitte des Menschen, zum Gebet, anleiten.
2.1.2. Die Christozentrik der Predigt In der Geistlichen Gestalt von 1704 grenzt sich Arnold entschieden von der Predigt eines geschichtlichen Jesus ab, da dieser „der Seelen nicht nahe wäre“.74 Stattdessen möchte Arnold Christus als „GOttes Krafft und Gottes Weißheit“,75 also als lebendiges Wesen predigen, welches in den Gläubigen Wohnung nehmen und dort wirksam werden wolle. Darin wähnt er sich nicht nur mit den altvorderen Kirchenlehrern in voller Übereinstimmung,76 die Christozentrik der Predigt sieht er auch in der Bibel selbst begründet, hätten doch schon die in den Evangelien überlieferten Predigten Jesu selbstverweisenden Charakter, sofern sie ihre Überzeugungskraft allein aus seiner Person und Sendung beziehen und Christus der bloße Aufruf zur Umkehr genüge, um die Hörer für sich zu gewinnen. Auch 74 GG 346. 75 GG 346 76 Vgl.
nach 1 Kor 1,24. GG 346.
2. Predigt
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die schlichte Predigt der Apostel, man solle „an JEsum glauben“,77 hätte ihrer Zeit vollends dazu genügt, dass „in den Seelen bald etwas neues aufgieng“,78 weil die Apostel nichts anderes „als Christum und sein Creutz“79 gekannt und eine lebendige Gemeinschaft mit ihm gepflegt hätten, also aus einer authentischen, ungetrübten Christus-Erfahrung schöpfen konnten. Die Forderung, dass die Predigt allein Christus bezeugen solle, entwickelt Arnold vor allem aus dem Johannes-Evangelium, das wie kein anderes die Bedeutsamkeit der lebendigen Begegnung mit Christus (und dem Parakleten) hervorzuheben und dabei – jenseits der paulinisch-lutherischen Dialektik von Gesetz und Evangelium – auf die Unmittelbarkeit der Christusbeziehung abzuzielen scheint: Allein das Zeugnis Christi im Geist – so Arnold – bringe die Zeugenschaft Christi mit sich (nach Joh 15,26 f) und die wahren Prediger „führten die Menschen durch das kräfftige Wort in ihr eigen Hertz / darinne / Christus / das wahrhafftige Licht sie erleuchten solte“ (nach Joh 1,9). Christus erweist sich als eine Kraft Gottes im Menschen, die die Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, Seligkeit und ewiges Leben ermöglicht,80 den Menschen also rundweg erneuert, so dass dieser zu einem gottgefälligen Leben und zur Verrichtung guter Werke in der Lage ist.81 Mit diesem am Johannes-Evangelium orientierten homiletischen Ansatz korrespondiert bei Arnold eine der Alten Kirche82 entlehnte Licht- bzw. Illuminationsmetaphorik, mit deren Hilfe er prägnant einfängt, dass allein Christus in der Seele beleuchte, was vorher nicht beleuchtet, sichtbar und durchschaubar gewesen ist, und die Unwissenheit bzw. mangelnde Gotteserkenntnis, d. h. die Sünde, aufdecke und beseitige.83 Nicht das Gesetz oder eine natürliche Gotteserkenntnis, sondern die reine Christuspredigt überführe die Seele ihrer defektiven Gottesbeziehung und sporne sie zum Guten an, wie Arnold in Hesychios von Jerusalems De temperantia et uirtute centuriae nachlesen möchte, wo davon die Rede ist, dass „die Lusst des Gemüths von Jesu erleuchtet und mit herrlicher Erkäntniß bestrahlet [wird]“.84 Ohne einen nomologischen oder hamartiologischen ‚Umweg‘ gehen zu müssen, gelangt Arnold auf diese Weise zu einer umfassenden, jenseits der Dialektik von Gesetz und Evangelium angesiedelten Predigthermeneutik, die das Lebendigwerden Christi in der Seele in ihr Zentrum rückt.85 77 GG 347. 78 GG 347. 79 GG 347. 80 Vgl.
GG 350 f. GG 351. 82 Arnold folgt hier Gregor von Nazianz, Chrysostomos, Caesarius und Fulgentius. 83 Vgl. GG 351. 84 GG 352. Arnold zitiert aus Hes. Temp. cent. II,94 f, hier II,95 (PG 93, 1541): Καὶ διασκεδασθέντων μὲν νεφῶν, ἀὴρ καθαρὸς δείκνυται. Φανταςίαι δὲ ὑπὸ τοῦ Ἡλίου τῆς δικαιοςύνης Ἰησοῦ Χριστοῦ διασκεδασθεῖσαι καὶ λεανθεῖσαι, φεγγοειδῆ καὶ ἀστεροειδῆ νοήματα γεννᾶσθαι ἐν καρδίᾳ ἐκ παντὸς πεφύκασι τοῦ ἀέρος αὐτῆς διὰ Ἰησοῦ φωτισθέντος. 85 Vgl. GG 353 f. Auch Luther habe „diese eintzige göttliche Art der Bekehrung und Erleuchtung“ gebilligt, in der Johannesprolog-Auslegung der Kirchenpostille die Nähe Christi als 81 Vgl
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II. Arnold als Pfarrer
Basierend auf diesen Überlegungen zur Christozentrik der Predigt möchte Arnold auch den Evangeliumsbegriff neu erschließen: Evangelium müsse als „gute Verkündigung und Zeitung von der wahren Bekehrung und Erlösung der gefallenen Menschen“86 verstanden werden. In diesem Zusammenhang kommt Arnold auffälligerweise immer wieder auf den Wirklichkeitsbegriff zurück: Der Fokus des Predigers müsse darauf liegen, dass er „die Leute auf die wirckliche Bekehrung und Erlösung von allen Sünden und Feinden weisen müsse / wie sie der HErr JEsus in der That vollenden wolle“,87 d. h. dass Christus das Heil des Menschen wirklich und wirksam vollbracht hat und nach wie vor vollbringt. Die Predigt der Wirklichkeit des Evangeliums, d. h. der tatsächlichen Heilstat Christi pro me, könne jedoch nur dann zielführend sein, wenn „ein solcher Evangeliste [gemeint ist hier der Prediger] die wirckliche Errettung von Sünde / Tod und Teuffel in sich selbst müsse erfahren haben / wenn er sie andern recht anpreisen und aus Erfahrung den wahren Proceß vorlegen sol“.88 Der Prediger müsse kraft der Wirklichkeit, der er selbst angehört, den Zuhörern die Wirklichkeit des Evangeliums erschließen und sich gegen die vermeintliche Wirkungslosigkeit Christi behaupten. Es geht Arnold also in der Predigt vor allem um die Affirmation der Faktizität des Heilsgeschehens, wie sie in der Person des Predigers selbst zur Anschauung gelangt – gegen die Lüge der Sünde und des Unglaubens: „So nun das Evangelium eine wirckliche Krafft aus GOtt ist / so hat ein Lehrer ja wohl zuzusehen / daß er mit dem Leben GOttes und seines Sohnes wahrhafftige Gemeinschafft kriege. Denn also wird er auch andern verkündigen / was er selbst gesehen und gehöret hat in der Bekannt= und Gemeinschafft mit dem Vater und Sohn. Folglich wird er gerne alles vergessen / was dahinter gehöret / auch in der Lehre / als Menschensatzungen / eigene Gerechtigkeit und dergleichen. Hingegen wird er nichts vor sich und die Seinigen zu wissen und zu gewinnen suchen / als CHristum.“89
Zweifel an der Wirklichkeit dieses Heilsgeschehens zu säen, etwa durch eine verstellte Hamartiologie, kritisiert Arnold aufs Schärfste: Jene, die meinen, dass durch die Gnade zwar die Sünde vergeben werde, der Mensch aber nicht völlig von der Sündenherrschaft befreit worden sei und nicht so heilig leben könne, wie Gott es fordere, „verkündigen und preisen die Sünde / lösen GOttes Gebot auf / und lehren die Leute anders / als CHristus geboten hat“.90 Damit attackiert des Lichts als wesentlichen Gegenstand der evangelischen Predigt ausgewiesen (GG 354; Arnold zitiert aus der Christfestpredigt, vgl. WA 10/I,1; 216,5–12) und die Prediger als „Vorläuffer und Gezeugen“ des Lichts und „Thürhüter und Diener des rechten Hirten Christi“ verstanden, welche dem „rechten Hirten“ die Türe aufhalten, „daß der komme / und selbst die Schaafe weyde.“ (GG 355; es handelt sich wiederum um Zitate aus Luthers Kirchenpostille [Crucigers Sommerpostille 1544], vgl. WA 21; 501,8–15). 86 GG 356 f. 87 GG 358. 88 GG 358. 89 GG 359 f. 90 GG 362.
2. Predigt
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Arnold das Axiom des simul iustus et peccator ebenso wie eine Heilslehre, die unter eschatologischem Vorbehalt steht: In der Wirklichkeit des Evangeliums hat die Sünde tatsächlich ihre Macht verloren, die Gemeinschaft mit Gott ist ungebrochen wiederhergestellt, der Mensch rundweg erneuert und zur ethischmoralischen Vollkommenheit, zum Vollbringen guter Werke in der Lage.91 Auch die Bußpredigt möchte Arnold lediglich als eine Funktion der Predigt dieser Wirklichkeit des Evangeliums verstehen: Buße i. S. einer Umkehr könne keine Bedingung für den Empfang des Glaubens sein, sondern würde vielmehr eine Entsprechung zu dieser Wirklichkeit darstellen. Die Umkehr der Zuhörer verifiziert die Evangeliumspredigt, insofern es sich beim Glauben nicht um einen „blossen Wahnglauben“ handeln könne, sondern um die Gotteskindschaft, die die Wirklichkeit der Heilstat Christi so internalisiert, dass sie einen das Leben verändernden Bruch mit der Lüge der Sünde und der Welt notwendig miteinschließt.92 Ein Evangelium, das dem Menschen nicht die Wirklichkeit der Heilstat Christi in einer Weise vor Augen führt, dass er sein Leben von Grund auf umgestaltet und erneuert, kann Arnold nicht im eigentlichen Sinne Evangelium nennen, da es jener Wirklichkeit des Heils nicht entspricht – es sei ein „falsche[s] Evangelium“.93 Unter dieser Voraussetzung kann Arnold die Wirklichkeit der geistlichen Gemeinschaft der Nachkommenden mit Gott in der Wirklichkeit der physischen, ersten Gemeinschaft der Jünger mit Jesus vorabgebildet sehen: Sie hätten von ihm nicht zeugen können, wenn sie nicht die Wirklichkeit dieser unmittelbaren Gemeinschaft erlebt hätten.94 Wenn er die Bezeugung der Wirklichkeit des Evangeliums als Hauptgegenstand der Predigt ausweist und darauf besteht, dass der Prediger diese Wirklichkeit verkörpert und in der Predigt affirmieren soll, rückt Arnold einen Predigtmodus in den Mittelpunkt seiner Homiletik, der in der orthodoxen Predigtlehre als genus parakletikon bezeichnet und klassischerweise im Zusammenhang mit den Affekten der Hoffnung und des Vertrauens behandelt worden ist: Im genus parakletikon tröstet der Prediger seine Hörer, indem er die vermeintlich unüberwindliche Wirklichkeit der Welt und Sünde konsequent in Frage und ihnen die Wahrhaftigkeit der Gnade Gottes vor Augen stellt. Carpzov etwa unterscheidet in Anschluss an Melanchthon drei rhetorisch relevante Kategorien von Leitaffekten (Liebe, Zorn bzw. Hass, Hoffnung bzw. Vertrauen) und behandelt das Problem der sich widerstreitenden Wirklichkeiten – der der Gnade und der der Anfechtung – im Kontext der letzten beiden, nämlich Hoffnung und Vertrauen. Carpzov nennt 91 Vgl. GG 364: Die Predigt „kan ja nicht anders als die sonst trägen Hertzen zu Hochachtung des Evangelii und zu Gegenliebe gegen GOtt und seine Boten entzünden. Ja gleichwie das Gesetz nur Zorn / Unmuth und knechtische Furcht anrichtet: Also kann die Bekantmachung CHristi und seiner erworbenen Wohltaten den Menschen an Hertz / Muth und Sinn ändern / und den Geist der Liebe und des Glaubens schencken.“ 92 Vgl. GG 367 f. 93 GG 371. 94 Vgl. GG 372.
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II. Arnold als Pfarrer
verschiedene Fundorte für die diesem Affekt angemessenen Argumente und die darauf abgestimmten, rhetorischen Strategien, wobei die Parallelen zu Arnold unmittelbar ins Auge fallen: „Hoffnung und Vertrauen können entzündet werden, wenn eindrücklich vorgehalten wird: 1. die Größe des göttlichen Erbarmens, 2. das Ausmaß des Verdienstes Christi, 3. der universale Charakter der Verheißungen des Evangeliums, 4. die Unverbrüchlichkeit des göttlichen Eides, 5. die Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente, 6. die Untrüglichkeit des inneren Zeugnisses des Geistes, 7. die Gewissheit der Verheißung, 8. eine große Zahl von Beispielen.“95
Die hier ganz auf die Affirmation der Heilsbotschaft zugespitzten Argumente dienen der Versicherung des angefochtenen Predigthörers im Gegenüber einer diesem Zeugnis widersächlichen Welt. Dabei ist sogar eine annähernd trinitarische Struktur erkennbar, sofern Carpzov die Verdienste Christi, den göttlichen Eid und das Zeugnis des Geistes als hauptsächliche Garanten der Wirklichkeit Gottes ausweist. Johann Gerhards Überlegungen bzgl. des genus parakletikon sind noch deutlicher als bei Carpzov christologisch profiliert, insofern er die theologia crucis als Kern der Tröstung versteht: „1. Als Materie der Tröstungen taugen die göttlichen Verheißungen. 2. Genauso die Beispiele der Heiligen, welche die göttliche Befreiung von eben denselben Widerwärtigkeiten der Preisgabe erfahren haben. 3. Die Sprüche über die Barmherzigkeit Gottes, über die Wohltaten Christi, über die Freude des ewigen Lebens usw. Schön hat Bernhard gesagt: Die Leidenschaften dieses Zeitalters sind unvergleichbar mit der vergangenen Schuld, die [euch] erlassen wird, mit dem gegenwärtigen Trost, der [euch] zugeführt wird, mit der künftigen Herrlichkeit, die [euch] versprochen wird. 4. Die Gründe, wegen derer sich die Frommen in diesem Leben dem Kreuz unterwerfen, bieten, wenn sie richtig und wiederholt dargestellt werden, üppigen Stoff für den Trost. 5. Der Vergleich zwischen den innerlichen Gütern, die uns durch die göttliche Freundlichkeit gewährt wird, und den schlechten, äußerlichen Dingen, die wir ertragen sollen, stärkt die Duldsamkeit erheblich. 6. In Christus liegt, wie die Regel aller wahren Frömmigkeit, auch die ausreichende Arznei gegen die bösen Dinge aller Art, die duldsam zu ertragen sind. Bernhard sagt: Es ziemt sich nicht, dass das Glied wohlbehalten [delicatum] ist, wenn es unter dem Dornenhaupt mitgekreuzigt ist. 7. Wie die innerlichen Anfechtungen den Menschen schwerer herausfordern als die äußerlichen bösen Dinge, so sind auch die häufigeren und gewichtigeren Tröstungen jenen entgegenzustellen.“96 95 Carpzov,
Hodegeticum, 67.69 (1/IX,3). Methodus, 224 f: „1. Materiam consolationum suppeditant divinae promissiones. 2. Item Sanctorum exempla, qui iisdem adversis obnoxii divinam tandem liberationem sunt experti. 3. Dicta de misericordia Dei, de beneficiis Christi, de gaudio vitae aeternae &c. Pulchre Bernhard. de convers. cap. 30. Non sunt condignae passiones hujus seculi ad praeteritam culpam, quae remittitur; ad praesentem consolationis gratiam, quae immittitur, & ad futuram gloriam, quae promittitur. [Das Zitat stammt aus Bernhards berühmter Pariser Rede Ad clericos de conversione, 21,37, vgl. SC 457; 412,15–18] 4. Causae, propter quas pii in hac vita cruci subjiciantur, recte & crebro expositae uberrimam consolationis materiam subministrant. 5. Comparatio inter 96 Gerhard,
2. Predigt
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Arnolds Ansatz, die Predigt von Christus als einer lebendigen Gotteskraft in den Vordergrund der Predigt zu stellen und damit die lebens- und wirklichkeitsverändernde Macht der Predigt zu unterstreichen, findet also eine unmittelbare Entsprechung im genus parakletikon der orthodoxen Homiletik. Die orthodoxe Trostpredigt, in der die Heilstatsachen affirmativ erschlossen und gegen die Widerstände und Anfechtungen aufgewogen werden, stellt Arnold als präferierten und dem Evangelium Jesu Christi einzig angemessenen Predigtmodus heraus, so dass andere Formen, vor allem die Gesetzespredigt, obsolet werden. Die in seinen Traktaten geforderte Christozentrik der Predigt konkretisiert sich nun auf anschauliche Weise auch in Arnolds Predigten, vor allem in seinen Predigten zum Johannes-Evangelium. Für Arnold zeigt sich im Johannes-Evangelium ein unmittelbarer Christus in doppelter Hinsicht: Zum einen steht der johanneische Christus in einer unmittelbaren, mystischen Beziehung zu Gott und möchte die Gläubigen, insbesondere die Jünger, an dieser Gottesbeziehung teilhaben lassen. Zum anderen bedient sich der johanneische Christus einer Sprache, die Arnolds Ansatz einer mystisch-allegorischen Auslegung der Bibel nicht nur entgegenkommt,97 sondern diese auch ein Stück weit antizipiert, insofern sich der johanneische Christus der diskursiven, theologischen Argumentation weitgehend enthält und in seinen zirkulären, bildhaften und selbstverweisenden Reden geradewegs in die Seele der Leser hineinspricht, so dass vom Prediger allenfalls eine Kontextualisierung oder strukturierende Zuspitzung der Texte gefordert ist. Für Arnold scheint im Johannes-Evangelium – da Christus durchweg abwechselnd auf sich selbst und die Jünger verweist – der Graben zwischen dem Literalsinn des Textes und der Erfahrungswelt der Predigtzuhörer müheloser zu überwinden sein als in anderen neutestamentlichen Texten (s. u.). So möchte Arnold in der bereits erwähnten Predigt zu Joh 14,23–31 pointiert feststellen, dass die Gottesliebe nicht auf den Erwerb eines persönlichen Vorteils aus, also keineswegs eine getarnte Eigenliebe ist. Die Gottesliebe bestehe nicht in einer „blossen betrachtung oder selbst gemachten guten gedancken und meynung / oder in lauter süßigkeit und trost“,98 „[s]ondern der geist der liebe treibet in die that und lebendige übung nach allem heiligen willen GOttes. Er lehret in der weißheit licht den gantzen tag / was gut sey / und schencket krafft und licht ins hertze / den weg der gebote mit freuden zu lauffen. bona interna divina benignitate nobis concessa, & mala quae toleramus externa patientiam valde roborat. 6. In Christo, ut omnis verae pietatis regula, ita quoque adversus omnis generis mala patienter ferenda sufficiens medicina. Bernhard. cap. 4. super ego vitis col. 1602. Non decet membrum delicatum esse, sub capite spinis confixo. [Gerhard bezieht sich hier auf die Kölner Ausgabe von Bernhards Vitis mystica seu tractatus de passione domini super Ego sum vitis vera aus dem Jahr 1602, vgl. PL 184, 647: „quia non decet membrum delicatum esse sub capite crucifixo.“] 7. Ut internae tentationes gravius hominem exercent, quam mala externa, ita quoque & crebriores & ponderosiores consolationes illis sunt opponendae.“ 97 Vgl. Kapitel II.2.2.1. 98 EBH 695.
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II. Arnold als Pfarrer
Da disputirt und fragt man nicht lange / ob Christi wort könne oder müsse gehalten werden / sondern ehe man fragt / hats der glaube in liebe schon gethan / und ist immer im thun und halten / nach Lutheri bekäntnis“.99
Der in der Perikope erwähnte Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes wird vor allem in der Person Jesu selber anschaulich und exemplarisch, wobei sich Arnold eines aus Joh 14,31 abgeleiteten Autoritätsarguments bedient: Wie der Sohn den Vater geliebt und sich gehorsam gezeigt habe, sollten es auch die Gläubigen tun.100 Dabei stehen sie in der gleichen wesenhaften Verbundenheit mit dem Vater und können beobachten, wie „unauffhörlich […] uns Gottes heilige befehle im gemüth wiederholet und eingeschärffet [werden]: wir können stets mercken und wissen / was wir thun oder lassen sollen / wo wir nur lust haben / mit David zu lauffen den weg seiner gebotte“.101 Wenn Jesus am Ende der Perikope fordert: „lasset uns von hinnen gehen“ (Joh 14,31), versteht Arnold dies daher konsequent als Aufforderung zur Selbstverleugnung in der Nachfolge Jesu und Unterwerfung unter Gott: Wenn Christus im status inanitionis die Größe des Vaters und seine Unterwerfung unter ihn predige (Joh 14,28), offenbare sich jene Demut, die stets mit der Gottesliebe einhergehe. Die Eigenliebe suche immerzu ihren Vorteil – Gott suche sie etwa um des ewigen Lebens oder der Selbstperfektionierung willen, d. h. um etwas anderes zu erlangen als ihn selbst –, in Christus personifiziere sich jedoch die Gottesliebe in ihrer reinsten Form, nämlich als völlige Hingabe an Gott um seiner selbst willen. Christus verkörpert das Ideal der Gottesliebe, der Demut und der Unterwerfung unter Gottes Willen. Dezidiert christozentrisch predigt Arnold auch die deutlich diskursiveren, von der persönlichen Christus-Begegnung abständigeren Paulustexte: In einer Predigt zu Röm 12,1–4 weist Arnold mit großer Entschiedenheit darauf hin, dass allein die Einwohnung Christi in der menschlichen Seele eine Gleichförmigkeit mit Gott ermögliche. In dieser Hinsicht materialisiert sich in Röm 12,1–4 die der Postille ihren Titel gebende Verklärung Christi im Herzen des Menschen: „JE mehr der HErr JEsus einer seele bekannt und nahe werden mag / je treuer und redlicher wird sie im gehorsam gegen den Vater: Und je gehorsamer sie also GOtt wird / je mehr verkläret sich der Heyland in ihrem hertzen.“102
Markant ist die bibeltheologische Argumentationslinie der Predigt: Arnold versteht die Forderung des Paulus, dem Willen Gottes zu entsprechen (Röm 12,2) nicht nur in Analogie zur Willensunterwerfung Christi unter den Vater, sondern konstatiert darüber hinaus eine Interdependenz zwischen beidem, was er jedoch aufgrund fehlender Evidenzen im Corpus Paulinum nur aus dem Johannes-Evangelium entwickeln kann (Joh 4,34; Joh 5,30; Joh 6,38). Er sieht den Gehorsam 99 EBH
695. EBH 695 f. 101 EBH 696. 102 VJC 106. 100 Vgl.
2. Predigt
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Christi gegenüber dem Vater transzendiert: Auch als der erhöhte Christus zur Rechten des Vaters entspreche er dessen Willen und „wircket […] eben denselben wolgefallen des Vaters auch in allen / die an ihm warhafftig gläuben“.103 Arnold entgrenzt also die Willensunterwerfung des geschichtlichen Jesus und meint, seine fortwährende, transzendente Willensunterwerfung würde die der Gläubigen erst hervorbringen. Christus regiere im Geist „alle glieder seines heiligen leibes“ und heilige sie „in Gottes willen“.104 Nicht nur als Überleitung zur Predigtproposition, sondern auch als handfeste theologische Fundierung dieser transzendenten Willensgemeinschaft, in die die Gläubigen miteinbezogen werden, bekräftigt Arnold seine versöhnungs- und opfertheologischen Prämissen: Jesu Opfer am Kreuz würde völlig missverstanden, wenn es als historisch einmaliges Ereignis begriffen wird, welches für die spätgeborenen Menschen bedeutungslos ist. Im Sinne der Willensunterwerfung unter Gott dauere sein Kreuzesopfer vielmehr an,105 insofern er sich mit den Gläubigen solidarisch zeigt, sich „mit und in uns“ Gott dem Vater „zum heiligen wohlgefallen“ darstelle, „damit wir seinen sinn erlangen und seiner krafft gehorsam würden“.106 Arnold legt also einen Schwerpunkt auf die Illustration der göttlichen Liebe und des innertrinitarischen Versöhnungsgeschehens. Mit dem priesterlichen, kultischen Setting, dem Rekurs auf Christus als Hohepriester und der Ablehnung der rein äußerlichen Opfer im Alten und Neuen Testament (nach Hebr 10,5 f) deutet Arnold auf den Skopus der Predigt hin: die Hingabe der eigenen Person an Gott in Analogie zu Christus. In der auf die Predigt zu Röm 12,1–4 folgenden Predigt zu Röm 12,5–8 am 2. Sonntag nach Epiphanias107 setzt sich diese christozentrische Tendenz fort. Arnold möchte erklären, wie sich die „mitgetheilte krafft des glaubens / damit du die heilsame gnade fassest[,] in allen guten wercken sich hervor thue“,108 und stellt Gläubige und Ungläubige hinsichtlich ihrer Erwartung an das Wirken Christi gegenüber. Während der Ungläubige sich davor fürchte, dass sich Christus seiner Seele nähere, würde der Gläubige es für die „ärgste pein“ halten, wenn Christus seine Seele zurückweise – wie er es etwa mit seiner Mutter in dem für den 2. Sonntag nach Epiphanias vorgesehenen Evangelientext über die Hochzeit zu Kana getan habe (Joh 2).109 Umso trostreicher müsse die Verheißung klingen, dass sich Christus den nach ihm Hungernden „in innigster gemeinschafft und 103 VJC
107. 107. 105 Vgl. VJC 108: „Was gefiel denn dem Vater? das thun seines willens v. 7 [Hebr 10,7]. In diesem hat er selbst durch leiden gehorsam gelernet / und ist gestorben / damit er uns GOtte opfferte oder darstellete I. Petr. 3. verß. 18.“ 106 VJC 107. 107 Vgl. VJC 116: „Wie aber diese mitgetheilte krafft des glaubens / damit du die heilsame gnade fassest in allen guten wercken sich hervor thue / davon wird in der folgenden epistel aus denen nachgehenden worten zu vernehmen seyn.“ 108 VJC 116. 109 Vgl. VJC 117. 104 VJC
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II. Arnold als Pfarrer
verbindung“110 mitteilen wolle. Arnold stellt nun die „vollkommene communication“ zwischen den Gläubigen als Gliedern des Leibes und Christus als dem Haupt des Leibes in den Vordergrund, von dem aus diese „wieder neues leben ziehen und geniessen sollen“.111 Die Pointe der Leibmetapher erblickt Arnold nun vor allem im Aspekt der Instrumentalisierung der einzelnen Teile durch das Haupt als Willens- und Motivationszentrum: Erstens betont Arnold, dass das Haupt jede Wahrnehmung und jedes Leid seiner Glieder wahrnehme und darauf reagiere,112 womit die Glieder dem Haupt „alle ehre / herrlichkeit und liebe / auch alle treue und folgsamkeit“113 schulden. Zweitens meint er, wie sich die Glieder eines Körpers nur auf Geheiß des Verstandes regen würden, würde auch Jesus „ein jedes glied seines heiligen leibes führen und anweisen in allen dingen“.114 Drittens führt er auch die Umsetzung der Willensäußerung in die Tat ganz auf Christus zurück. Arnold degradiert die Glieder also in jeder Hinsicht zu bloßen Empfängern eines Handlungsimpulses, ihre Autonomie scheint völlig aufgehoben zu sein und jede Selbstsetzung kommt einer unbotmäßigen Erhebung über die anderen Glieder gleich: „O werdet gläubig und muthig / euch in sein hertz einzudringen mit steten seuffzen und sehnen / die ihr seine wahren glieder seyn wollet. […] Diesem haupt JEsu Christo meinem HErrn / suche ich einen anhang zu machen / und nicht mir / wie der satan lästert: wir predigen nicht uns / sondern Christum; Ja ich habe von anfang nichts wissen wollen unter euch als JEsum und sein creutz.“115
Auch in Arnolds Predigten zu alttestamentlichen Texten materialisieren sich seine christozentrischen Prämissen, jedoch nicht in Form eines holzschnittartigen Schemas von Gesetz und Evangelium bzw. Verheißung und Erfüllung. Arnold würdigt in seiner knappen Vorrede auf die Genesis-Postille von 1707 das Alte Testament in seinem Eigenwert als Schatz der reichhaltigen Erfahrungen Gottes in der Seele des Menschen. So zeige sich in der Genesis das titelgebende „wahre Christenthum Altes Testaments“ insofern besonders eindrücklich, als sich auch hier Zeugnisse „aus dem Geist der warheit“ finden lassen, die es wert und würdig seien, zur Sprache gebracht und ausgelegt zu werden.116 Im Alten Testament artikuliere sich die göttliche Weisheit auf jene subtile Weise, wie sie sich in der ganzen Schöpfung zum Ausdruck bringe117 – Gott lasse eben „predigen in allerley sprachen“, um die Menschen zu rufen.118 In der Vorrede 110 VJC
117. 117. 112 Vgl. VJC 118: Arnold zitiert Apg 9,4: „Saul / was verfolgst du mich?“ 113 VJC 119. 114 VJC 118. 115 VJC 118. 116 WCAT, Vorrede, a2r. 117 Vgl. WCAT, Vorrede, a2v. 118 WCAT, Vorrede, a3r. 111 VJC
2. Predigt
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formiert sich nun kein begriffsscharfes homiletisches Konzept zur Predigt des Alten Testaments, aber Arnold möchte seiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass sich Gott souverän im Menschen Geltung verschaffen kann, unabhängig von der Kirche und der Autorität des Neuen Testaments – auch in den Zeugnissen des Alten Testaments. So stülpt er den alttestamentlichen Texten dann auch keine christologische Predigt über, sondern setzt sie vielmehr in ein korrelatives Verhältnis zur Christuserfahrung der Gläubigen. Dass er für seine Wochenpredigten gerade das Buch Genesis gewählt habe, erklärt er damit, dass es „erstlich den gantzen ursprung und guten zustand des menschen nebenst dem elenden abfall in sich hält / nachmals auch uns vornemlich die herllichsten exempel und zeugnisse der allerersten gläubigen nach einander lebendig vorstellet / und also mit recht ein kurtzer begriff des gantzen Christlichen lebens heissen mag“.119 In der Genesis sei Christus figürlich zu finden,120 die Auslegung könne nur in ehrfürchtiger Ansehung „der göttlichen Majestät“ gelingen, würde jedoch dem „reichthum der geheimnisse / so in diesem buch verboren liegen“ niemals ganz gerecht werden können.121 Arnold artikuliert daher auch nie den Vorwurf einer defizienten Gotteserkenntnis Israels, wie das Neue dient ihm das Alte Testament lediglich als Spiegel der mystischen Gotteserfahrung, so dass auch die Genesistexte Grundmomente des Glaubensgeschehens benennen, die Arnold fluide, unkompliziert und ohne erkennbaren Skrupel mit Christus in Zusammenhang bringen kann. So symbolisiere etwa in Gen 28 die Erzählabfolge von Schlaf, Himmelsleitertraum und dem Aufwachen Jakobs in Bet-El die Notwendigkeit, dass der Mensch zuerst passiv und aller Affekte und Weltbindungen ledig werden müsse, bevor sich Gott ihm mitteilt.122 Diese Selbstmitteilung geschehe zwar im „licht der klarheit GOttes in dem angesicht JEsu Christi“,123 Jakobs vorchristliche Gotteserfahrung wird jedoch keineswegs als ungenügend disqualifiziert, der Erzvater vielmehr als ein noch ungefestigter und ungeübter Gottessucher umfassend gewürdigt.124 Einzig solche Texte, die traditionellerweise als Verheißungstexte verstanden werden, wie etwa Gen 12,3; 18,18; 22,18 („Von dem segen in Christo“125), Gen 14,18–20 („Von denen hohenpriesterlichen würckungen JEsu Christi in und an seinen guten streitern“126) oder Gen 49,10.18 („Von dem glauben an den warhafftigen 119 WCAT,
Vorrede, a3v. WCAT, Vorrede, a4r. 121 WCAT, Vorrede, a2v. 122 Vgl. WCAT 488: „Aber man muß erst recht auffwachen / wie Jacob von seinem schlaff / d. i. nüchtern werden von allen frembden und ungöttlichen dingen / die da Gottes heilige mittheilung hindern. Denn solche leute können freylich die göttliche gnade nicht gewahr werden / die in ihren affecten und begierden ersoffen beiben / daß keine warheit bey ihnen platz findet.“ 123 WCAT 489. 124 Vgl. WCAT 486. 125 WCAT 196–212. 126 WCAT 225–240. 120 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
Heyland“127) werden offensiv christologisch, d. h. vor allem typologisch, ausgelegt. In den hier besprochenen Predigten zeigt sich sehr anschaulich, was es für Arnold heißt, Christus als lebendige Gotteskraft zu predigen: Konsequent allegorisiert er Werk und Person Jesu und versteht Christus als souverän handelnde, mit Geist und Vater interagierende göttliche Person, die sich der Gläubigen bemächtigt und in eine Willensgemeinschaft mit Gott überführen möchte. Der geschichtliche Jesus spielt in den Predigten so gut wie keine Rolle, allenfalls als Beispiel und Vorbild einer hingebungsvollen, vollkommenen Gottesliebe, wobei Arnold die Aktivierung dieser Gottesliebe in den Gläubigen nicht von der Nachahmung dieses Beispiels, sondern ganz von der Wirkung Christi in deren Seele abhängig macht. Auch das Kreuzesgeschehen wird entschieden enthistorisiert, insofern Arnold das Opfer Jesu als perpetuierende Willensunterwerfung des erhöhten Christus unter den Vater ausweist und auf sein Gebet für die Gläubigen zuspitzt, welches die Sendung des Heiligen Geistes erst ermöglicht. Konsequent wird dem Gläubigen seine Autonomie im Gottesverhältnis abgesprochen, durchweg wird Christus als lebendig wirkende Kraft ausgewiesen, welche die Glaubensgemeinschaft formiert und sich auf diese Weise in der Welt realisiert. Damit spitzt Arnold die konsolatorische Tendenz des genus parakletikon, wie es die lutherische Homiletik definiert hat, auf den mystischen Herrschaftswechsel in der Seele des Zuhörers zu: Die Wirklichkeit ist eine Wirklichkeit der lebendigen Herrschaft Christi in der Seele des Gläubigen, die sich gegen die vermeintliche Wirksamkeit von Sünde und Anfechtung auflehnt und jede Eigenaktivität des Menschen sistiert.
2.1.3. Problematisierung der Gesetzespredigt Arnolds Überzeugung, dass durch die Predigt des Evangeliums, d. h. des lebendigen Christus als in der Seele des Menschen wirkenden Kraft Gottes, die ganze Wirklichkeit Gottes erschlossen und der Menschen vollkommen erneuert wird, führt zu einer konsequenten Infragestellung der Gesetzespredigt, genauer: der homiletischen Bedeutung des dialektischen Verhältnisses von Gesetz und Evangelium. In der lutherischen Homiletik des 16. und 17. Jahrhunderts spielt die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium eine zentrale Rolle bei der exegetischen Erschließung des biblischen Textes – Aufweis und Vergebung der Sünden sind die zwei wesentlichen Äußerungsformen des Wortes Gottes, die sich im zu predigenden Text konkretisieren und daher genau unterschieden werden müssen –,128 127 WCAT
682–694. bestimmt Melanchthon, der in den Elementa Rhetorices insgesamt kein herausragend großes Interesse an der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zeigt, erst im Zuge seiner Überlegungen zur inventio beide als die „[d]ie äußersten loci [Extremi tamen loci]“ für die Er128 So
2. Predigt
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vor allem aber ist sie Gegenstand hörerpragmatischer Erwägungen, insofern sie die affektive Konstitution der Predigthörer berührt: Diese reagieren notwendigerweise emotional auf das Neben- und Nacheinander von Anklage – das Gesetz deckt die Sünde auf – und Zusage – im Evangelium wird die Vergebung der Sünde verheißen. Melanchthon etwa betont die affektive Bedeutung der Gesetzespredigt, wenn er in seinen Heubtartikeln auf den usus elenchticus legis zu sprechen kommt und meint, dass die Zornespredigt – Melanchthon unterscheidet sie nicht explizit von der Gesetzespredigt, deutet aber an, dass die Gesetzespredigt ein Subtyp der Zornespredigt ist – den Menschen „erschreckt und in […] angst treibt“.129 Freilich solle die Gesetzespredigt keine oberflächliche oder sich leicht verflüchtigende, situative Verstimmung des Predigthörers, sondern vielmehr seine tiefgreifende Erschütterung in Anbetracht des Wesens Gottes herbeiführen: Durch die Gesetzespredigt werde nicht nur deutlich, „was sund sey, sondern auch, wie gott ist. Denn also muß man lernen, was sund ist, wenn man erkennet, wie gott ist und was gottlicher weißheit und ordnung widerwertig ist“.130 Das Predigtamt müsse vor allem darauf zielen, diese grundlegende Erschütterung zu bewirken, um den Hörer empfänglich für die Verkündigung des Evangeliums zu machen, jedoch ohne ihn zu lähmen: „[…] [es] straffet die sund und wirket damit in den hertzen warhafftig und grausam schreken, darinn man erkennet und fuelet, das gott warhafftiglich richter ist und zurnet uber die sund.“131
Die von der Zornespredigt strapazierte Gemütslage des Hörers steht auch im Fokus der nachreformatorischen Homiletik. Allenthalben macht man darauf aufmerksam, dass der Prediger große Empathie aufbringen müsse, wolle er zur Zornespredigt anheben. So meint etwa Gerhard im Zusammenhang mit dem genus didaskalikon, bei dem die Erhellung der Lehre (doctrina) aus dem biblischen Text („ex eo [textu] deducantur“) im Fokus steht, dass die doctrina legis et evangelii132 stets die Glaubenslage der Hörer berücksichtigen müsse: schließung des biblischen Textes, „zwischen denen sich derjenige bewegen muß, der die Schrift auslegt“ (Melanchthon, Elementa, 199), betrachtet sie jedoch keineswegs als die einzigen. 129 Vgl. u. a. Melanchthon, Heubtartikel, 228: „Der ander Brauch des gesetzes ist der furnemist, nemlich die zornpredig, das ist, das gott durch die predig des gesetzes krefftiglich das hertz anklagt, erschreckt und in solche angst treibt, da von Ezechias redet: Wie ein Lau hatt ehr alle meine beyn zersmettert, das der mensch gottes zorn wider die sund fuelet.“ 130 A. a. O. 230 f. 131 A. a. O. 148. Vgl. ebd.: „Wer alß denn in disen schreken und in dieser angst nicht in verzweiflung fallet, sondern hatt zuflucht zum Son gottes und trostet sich mit seiner zusag, wie ernach weiter zusagen, in disem wirkt gewißlich der Son gottes durch den heiligen geist und zundet an im hertzen rechten glauben und vertrauen uff yhn […].“ 132 Vgl. Gerhard, Methodus, 216: „[2. Canon de διδασκαλία] Et Legis & Evangelii doctrina in concionibus tractanda, interim tamen cum hominum impoenitentium ac securorum major sit numerus in promiscuo illo Ecclesiae coetu, ideo conciones legales crebrius urgendae & inculcandae; addeo, quod salutaris Evangelii usus non habeat in cordibus locum, nisi malleo legis eadem prius sint contrita.“ = „Zudem muss in den Predigten [des genus didaskalikon] die
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II. Arnold als Pfarrer
„Mit größter Mühe muss die Vermischung von Gesetz und Evangelium vermieden werden. Nach dem Zeugnis Luthers besteht das erste Gebot des theologischen Verstehens darin, die Lehre des Gesetzes akkurat vom Evangelium zu unterscheiden. (Den Kirchendienern wird in 2 Tim 2,15 befohlen, das Wort der Wahrheit mit rechtem Maße auszuteilen. Wenn den Unbußfertigen und Frevlern das Evangelium gepredigt wird, ohne das Gesetz vorauszuschicken, werden sie in ihrem Unglauben bestärkt; wenn die Strenge des Gesetzes gegen die Zerknirschten ins Feld geführt wird, ohne das Evangelium vorauszuschicken, verfallen sie der Verzweiflung).“133
Gesetz und Evangelium müssen also genau aufeinander abgestimmt werden, um bei der diversifizierten Hörerschaft wirkungsvoll zu sein. Dazu müsse der Prediger seine Hörer sehr genau kennen und antizipieren können, wie sie auf das Droh- oder Erlösungswort Gottes reagieren. Auch Carpzov bringt die Zornespredigt mit einer differenzierten Affektlehre in Zusammenhang und unterscheidet – wie bereits erwähnt – drei Leitaffekte, die in allen Predigten erregt werden, wobei die Zornes- und Gesetzespredigt vor allem im Zusammenhang mit dem „(1.) Hass auf Sünde und Laster“ und der „(2.) Liebe zur Tugend und Frömmigkeit“ eine Rolle spielt.134 Carpzov zählt diverse „argumenta“ auf, die das odium (1.) aktivieren würde, wobei er jedoch bemerkenswerterweise das Gesetz an sich nicht explizit erwähnt: „Den Hass auf Sünde und Laster können entfachen: 1. die Schrecklichkeit der Sünde, 2. die Majestät Gottes, 3. der Reichtum göttlicher Zuwendungen, 4. die Bitterkeit des Leidens des Herrn, 5. das Gewicht des göttlichen Zornes, 6. die Beschwerlichkeit des Todeskampfes, 7. die Strenge des Jüngsten Gerichts, 8. das Sortiment der Höllenstrafen.“135
Von einer schlichten, moralistischen Zornespredigt ist damit auch Carpzov weit entfernt: Wie der Sündenhass der Hörer zu stimulieren ist, wird hier nicht unmittelbar mit dem locus „de lege“ in Zusammenhang gebracht, vielmehr wird unter homiletischen Gesichtspunkten entfaltet, was schon Melanchthon in seinen Heubtartikeln als theologisches Axiom hervorgehoben hatte: Hass auf die Sünde und Angst vor dem Zorn Gottes gehen mit der Erkenntnis seines Wesens und Lehre von Gesetz und Evangelium behandelt werden, auch weil es inzwischen eine immer größere Zahl von unbußfertigen und frevelhaften Menschen in jener gemischten [promiscuo] Kirchenversammlung gibt – und deswegen müssen auch Gesetzespredigten häufiger gehalten und verschärft werden; ich füge aber hinzu, dass der heilsame Gebrauch des Evangeliums keinen Platz in den Herzen hat, wenn diese nicht vorher durch den Hammer des Gesetzes [malleo legis] zerknirscht [contrita] worden sind.“ 133 A. a. O. 216 f. „[3. Canon de διδασκαλία] Summo studio caveatur legis & Evangelii confusio. Luthero teste, praecipua συνέσεως Theologicae pars in eo constitit, ut legis doctrina ab Evangelio accurate discernatur. (Jubentur Ecclesiae ministri 2. Timoth. 2.v.15. ὀρθοτομεῖν [sic!] τὸν λόγον τῆς ἀληθείας.) Si impoenitentibus & securis praedicetur Evangelium praeter missa lege, confirmantur in impietate; si legis rigor urgeatur contra contritos praeter misso Evangelio, solicitantur ad desperationem.“ 134 Carpzov, Hodegeticum, 67 (1/IX,3). 135 Ebd.
2. Predigt
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seiner Majestät einher. Während Melanchthon diese Gotteserkenntnis in erster Linie an das Gesetz zurückbindet und selbiges als Spiegel des göttlichen Wesens bestimmt, möchte Carpzov zeigen, dass der Hass auf die Sünde auch in ‚psychologischer‘ (Angst vor dem Todeskampf), christologischer (Christi Leiden) oder eschatologischer (Jüngstes Gericht) Hinsicht entfacht werden könne. Umso auffälliger ist es, dass Carpzov einen Hinweis auf das göttliche Gebot im Zusammenhang mit der Darstellung des zweiten Leitaffekts – der Liebe zur Tugend und Frömmigkeit – platziert: „Liebe und Frömmigkeit werden hervorgerufen durch: 1. das göttliche Gebot [per Divinum praeceptum], 2. unsere Schuld, 3. das durch die Passion des Herrn erworbene Verdienst, 4. unser gemeinsames Los mit Christus, 5. die Zierde und den Lobpreis der Tugenden, 6. das Beispiel der Heiligen, 7. den verheißenen Lohn, 8. den dementsprechenden Verlust.“136
Carpzov scheint die Gesetzespredigt in diesem Zusammenhang auf einen tertius usus zuspitzen und das Gesetz als Lebensregel für die Gerechtfertigten ausweisen zu wollen. Das Gebot wird vor allem als Ansporn zur Liebe Gottes und zu einem tugendhaften Leben verstanden, nicht in erster Linie als Anlass zur contritio. Arnold knüpft an diesen Diskurs an, wenn er sich im zwölften Kapitel der Geistlichen Gestalt von 1704 – „Von Handlung des Gesetzes“ –, in der Vorrede auf Schröders Predigttraktat (1707) und in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt von 1723 intensiv der Frage widmet, ob angesichts der im Neuen Testament zu Tage tretenden und geforderten Christozentrik der Predigt noch andere Verkündigungsinhalte, vor allem das Gesetz, eine Rolle spielen dürfen.137 Er hinterfragt im Zuge dessen (a) die Verträglichkeit der Gesetzespredigt mit der christozentrischen Evangeliumspredigt insgesamt, wägt (b) deren Wirkung auf das Affektleben der Zuhörer ab und kritisiert (c) ihre moralistische Verengung. a) Arnold stellt das dialektische Verhältnis von Gesetzes- und Evangeliumspredigt von einer grundsätzlichen, theologischen Warte aus in Frage. In der Erstauflage der Geistlichen Gestalt erinnert er an die zentrale reformatorische Einsicht, dass die Tatsünden lediglich auf den Unglauben als Ursünde hindeuten und die Predigt eben diesen Unglauben erweisen und bezwingen müsse, womit er den fundamental-elenktischen Zug der Zornespredigt, wie Melanchthon ihn betont – die Zornespredigt erweist nicht nur den Menschen als Sünder, sondern auch Gott selbst in seiner ganzen Gerechtigkeit und Majestät –, ins Recht setzt.138 136 Ebd.
137 Vgl. GG 373: „WAnn aber nun die Verkündigung Jesu CHristi allein sol getrieben werden / so möchte jemand fragen / ob man denn sonst gar nichts lehren dürffe? Item: wenn das Evangelium nur nöthig sey zur Seligkeit / ob denn gar kein Gesetz mehr zu beobachten sey?“ 138 Vgl. GG 385 f: „Denn die Leute wissen nicht einmal recht / was Sünde ist: Sie machen bald dieß bald jenes zur Sünde / da doch der Geist der Wahrheit bezeuget / daß dieses die allergrösseste Unglaubenssünde sey / daß GOTT nicht recht erkant / und so knechtisch von ihm gezeuget wird.“
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II. Arnold als Pfarrer
Wenn der Prediger auf das Gesetz rekurriert, dürfe er es niemals aus einem homiletischen Kalkül heraus tun, so dass er Gesetz und Evangelium so zueinander in Beziehung setzt, dass das erste die Hörer erschrecke und das zweite sie tröste, ohne dass sie wirklich berührt und erschüttert werden würden.139 Eine solch oberflächliche Gesetzespredigt verfehle letztlich die Buße i. S. der Anerkenntnis der Wirklichkeit des Heils und der Wirksamkeit Gottes im Menschen.140 Ein erfahrener Lehrer hingegen solle stattdessen die Anfechtungen, die durch das Gesetz entstehen könnten, als „die ersten Überzeugungen des züchtigenden Geistes“ und damit als Wirkungen des Evangeliums begreiflich machen,141 da sie sich als solche, von Gott bewirkte Seelenzustände nicht durch „vorige Sicher= oder Frechheit“ oder „äußerliche Scheinwercke“142 relativieren lassen können. Die Anfechtung stellt also weder einen durch die Gesetzespredigt induzier- oder reproduzierbaren Zustand dar noch ist sie ausschließlich aus dem Gesetz ableitbar, sie ist vielmehr ein kontingentes Erleben, das von Gott selbst in der Seele des Menschen bewirkt wird und damit der Macht des Predigers entzogen ist. Dieser kann lediglich auf die Erschütterung verweisen und sie verbalisieren. In der zweiten Auflage der Geistlichen Gestalt (1723) profiliert Arnold diese Kritik an der Gesetzespredigt, wobei sich schon mit der Überschrift des elften Kapitels eine nicht unerhebliche Schwerpunktverlagerung andeutet: Arnold benennt nunmehr beides – „Von Handlung des Gesetzes und Evangelii“143 – als aufeinander bezogene Themenkomplexe, nachdem er sie in der ersten Auflage noch getrennt voneinander behandeln wollte. Er bindet hier die Predigt des Gesetzes noch deutlicher an die des Evangeliums zurück und beschwört die Unterscheidung von beidem als eine geheimnisvolle, nie ganz auszulotende Grundunterscheidung des christlichen Glaubens herauf, die immer wieder neu reflektiert und erschlossen werden müsse.144 So ordnet Arnold Gesetzes- und Evangeliumspredigt verschiedenen seelischen Dispositionen des Menschen zu: Das Evangelium wird nur von den geistlich unmündigen Gläubigen empfangen,145 deren Seelenkräfte, Wille und Geist zum Erliegen gekommen und die ganz Gott ergeben sind. Die Scheingläubigen hätten nur einen rein historischen und buchstäblichen Jesus-Glauben, „nebst vielen guten Meynungen und Vorsätzen, hie und da etwas Gutes zu wircken.“146 Auf eben jener Grenze zwischen 139 Vgl.
GG 392 f. GG 394. 141 GG 395. 142 GG 396. 143 GG2 2,310, Hv. PB. 144 Vgl. GG2 2,310: „Es bleibet doch von dieser Tieffe immer etwas übrig, so nicht zu erreichen stehet.“ 145 Vgl. GG2 2,311: „[…] wohingegen eigene Klugheit, Verschlagenheit, Selbstspiegelung, Gefälligkeit an sich selbst, Eigenwircken und Wollen behauptet und gehegt wird, da bleibt diß Licht wol verschlossen und diß Buch des Lamms versiegelt.“ 146 GG2 2,311. 140 Vgl.
2. Predigt
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wahrhafter Christus-Verinnerlichung und unvollkommener Scheinhaftigkeit siedelt Arnold die Gesetzespredigt an: „Zwar gibt es auch ausser dem Evangelio vielerley Demüthigungen durchs Gesetz, auch selbst=gewirckte Arten der Verleugnung und Selbstverschmähung: Wie denn die Anklagen des Gesetzes bey solchen immerfort währen, und sie weder Rast noch Ruh mit allen ihren Wercken haben: welches sie aber vor die rechte Arten der Evangelischen Gnade halten. Jedoch können sie daraus das Gegentheil leicht mercken, weil unter dem Gesetz der Mensch immer mit seinen eigenen Dingen will wieder gnug thun und Gottes Anforderungen stillen, indem man sich immer wieder vornimmt, das Versehen nun zu verbessern und anders zu machen, in heimlichen Vertrauen und reflexion auf seinen eigenen Willen und Vermögen, nicht aber daß man sich Christo gantz als ein Toder hinwürffe, ja als Nichts, damit er Etwas aus uns machen könne.“147
Das Gesetz kann Arnold nur als einen Weg der Demütigung der menschlichen Natur neben anderen gelten lassen – es bleibt immer ambig: Von Heuchlern könne es missbraucht, von aufrichtigen Christen zum Anlass wahrer Selbstverleugnung genommen werden. b) Arnold kritisiert das Kalkül hinsichtlich der durch die Gesetzespredigt hervorgerufenen Affekte der Zuhörer. Die Gesetzespredigt löse bei den Zuhörern konfuse Emotionen aus, was sich weder homiletisch nutzbar machen noch theologisch rechtfertigen ließe: Wenn man den Zuhörern „knechtische[] Furcht“148 einimpfen und sie „eine Art der Krafft und des Posaunen-Schalls mit Donner und Blitz von dem Berg Sinai / der mit Feuer brennete / spüren lassen“149 wolle, würde man vielleicht ihre Gewissen erschrecken, doch kaum den Geist der Liebe und Kindschaft hervorbringen, den Gott ihnen eigentlich abverlange.150 Wolle man durch die Gesetzespredigt versuchen, die „Lüste äuserlich [zu] dämpfen“, würde man nicht selten das Gegenteil bewirken und diese geradewegs stimulieren, so dass der Mensch „immer schuldbarer bey allen äusseren Bemühungen“151 werde. Vor allem fordert Arnold vom Prediger – wie schon seine orthodoxen Vorläufer – ein hohes Maß an Empathie: Der Prediger müsse seine Hörer genau kennenlernen und sie „daran probiren / ob sie noch unter dem Gesetz oder unter der Gnaden sind“,152 indem er (in Anlehnung an Röm 6,14 und Gal 5,18) herausfindet, ob sie noch unter der Macht der Sünde stehen oder nicht,153 so dass er seine 147 GG2
2,313 f.
148 GG 386. 149 RGP
43. RGP 43. 151 GG 387. Arnold zitiert nach eigenen Angaben aus Joh. Cass. Collat. Pat. 22,33, das Zitat ließ sich jedoch nicht verifizieren. 152 GG 389. 153 Vgl. GG 389: „Nemlich wenn sie sich durch die theuren Verheissungen des Evangelii haben von den irdischen Dingen und ihren Lüsten und Begierden ab- und zum himmlischen Wandel mit CHristo bringen lassen / so stehen sie in der wahren Krafft des Evangelii. Hänget 150 Vgl.
248
II. Arnold als Pfarrer
Predigt dahingehend justieren kann. Die Unterscheidung der Frommen und Unbußfertigen sei alles entscheidend für den Predigterschließungsprozess: Der Prediger dürfe nichts anderes als „den Blinden den Weg weisen / die thörichten züchtigen / die Unmündigen lehren“,154 doch er dürfe ihnen weder „allerhand Menschengebote und Satzungen von äuserlicher Scheinheiligkeit und Pharisäischen Wercken“155 auferlegen noch mit „Hefftigkeit und Schärffe des Gesetzes“156 predigen, kurzum: „aus diesem Stecken des Treibers kein Hauptwerck“157 machen, da er sonst Gefahr laufe, die Zuhörer zu verschrecken oder aber zu Heuchlern oder „[z]ornigen Lästerern und Spöttern“158 zu machen. Die Seelenlage der Zuhörer genau zu kennen, ergebe sich wiederum allein aus der Gotteserfahrung des Predigers: Unerfahrene Prediger würden in ihren Predigten nur ihren eigenen „ungestorbenen Eigensinn und Hochmuth“ befriedigen und sich über die Zuhörer erheben,159 auch weil sie fürchten, „daß sie nicht genug Materie zu predigen haben würden / wenn sie nur den Einfältigen geraden Weg durch CHristum zu GOtt annähmen und verkündigen“.160 Die vom Geist erleuchteten Prediger hingegen würden nichts anderes als eben jenen „Geist der Liebe und des Evangelii“161 predigen.162 Damit möchte Arnold dem Gesetz, vor allem aber dessen für die paulinisch-lutherische Theologie bedeutsamen usus elenchticus eine nur nachrangige Funktion im Predigtgeschehen zubilligen und bestimmt die Adressaten von Gesetz und Evangelium – ähnlich wie Gerhard – im Horizont einer dichotomischen Ekklesiologie: Das Gesetz im usus elenchticus richte sich lediglich an die „rohen Sünder[] zur Erweckung der Busse aus dem offenbahrten strengen Willen GOttes“.163 Diejenigen jedoch, „so da glauben“, seien auf das „Gesetz des Geistes / wie solches in Hertz geschrieben wird“164 zu weisen, welches „nichts man aber seinem eigenen natürlichen Sinn in Fleisches=Augen= [sic!] und Hoffarts=Lust (obschon unter dem Schein des Guten bey frommen Reden und Wercken) nach / so ist man unter dem Anspruch / Verdammung und Fluch des Gesetzes / welches sein Recht im Gewissen fordert und exequiret.“ 154 GG 379 f. 155 GG 380. 156 GG 381. 157 GG 381. 158 GG 381. 159 GG 382. 160 GG 383. 161 RGP 44. 162 Vgl. RGP 42: „Und das ist abermahl eine unausbleibliche Frucht geistreicher Predigten / wenn darinnen nicht klugen Fabeln gefolget / oder von andern Dingen geredet wird / sondern nur von Christo / also daß man auch ohne und ausser denselben mit Paulo nichts zu wissen oder zu sagen begehret. Daß man nicht sich selbst / sondern Christum JEsum den HErrn verkündiget / 2.Cor. IV,5. Auch nicht bloß und allein das Gesetz und dessen verdammende Krafft / sondern vornehmlich und eigentlich die Krafft des Evangelii / und die Gnade in Christo JEsu zur Erlösung und neuen Gebuhrt der verlohrnen Seelen.“ 163 GG 374. 164 GG 374.
2. Predigt
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als Liebe ist“ und das allein die „innerliche Zucht und Unterweisung des Geist CHristi“ zu Wege bringt.165 c) Nach Arnold besteht die einzige Möglichkeit, den Unglauben und mit ihm die Tatsünden des Menschen nicht nur zu benennen, sondern auch zu überwinden, darin, das Evangelium zu predigen, da nur das Evangelium eine geistliche Erneuerung des Menschen herbeiführen könne.166 Da die Gesetzespredigt die guten Werke lediglich einfordere und Furcht vor Sündenstrafen einflöße, würde sie das eigentliche Ziel der Verkündigung nicht nur verfehlen, sondern es auch untergraben, nämlich die „Umschmeltzung des gantzen Menschen“.167 Besonders gefährlich sei die Gesetzespredigt dann, wenn sie die Hörer dazu verleite, die Beseitigung der Fehler und Missstände, die durch das Gesetz aufgedeckt werden, als eigentlichen Gegenstand und wesentliches Ziel des Glaubens glaubhaft zu machen, denn einer moralischen Besserung würde sich der Mensch gerne und offenherzig verschreiben, offeriere diese ihm doch einen Weg der Selbsterlösung, welcher die Souveränität des Wirkens Gottes zu unterlaufen versucht und seine eigene Autonomie erhält und bestärkt. Auch die Forderung nach „Lesen, Hören u. Wissen“, d. h. nach einer vertieften Frömmigkeitspraxis und religiösen Bildung würde dieser Eigenmächtigkeit der Zuhörer entgegenkommen und die eigentliche Frage nach der Existenzerneuerung verdrängen.168 Auf diese Weise würde in der Gesetzespredigt der Existenzbruch, der mit dem Wirken des Geistes in der Seele und dem Lebendigwerden Christi im Menschen vollzogen wird, immer wieder aufgeschoben: „Unter dem Gesetz kann sich das eigene Leben noch fristen und erhalten / aber unter der Gnade muß es alles Christo in seinen Tod übergeben seyn.“169 Nur unter der Voraussetzung, dass der Prediger die Erneuerung durch Christus selber erfahren hat,170 würde er es zu Wege bringen, die Gesetzespredigt in rechter Weise zu gebrauchen, nicht um einen Weg der Selbsterlösung zu offerieren, sondern vielmehr um die Ohnmacht der Zuhörer zu vergegenwärtigen und sie auf die Inanspruchnahme durch Gott vorzubereiten:
165 GG 375.
166 Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium stellt nach Arnold eine Fertigkeit dar, die der Heilige Geist dem Prediger zueignet: „Das allervornehmste aber / wodurch der Evangelische Zustand der Seele vom Gesetzlichen entschieden wird / ist das Amt des Heiligen Geistes / welches er sodann in der Seele verrichtet / durch stetige Erleuchtung und Reinigung / wenn sie aus dem Dienst der Verdammung des Todes nach denen blossen Buchstaben (des Gesetzes) in das helle Licht des Evangelii gesetzes wird / nach Pauli klarer Beschreibung“ (GG 388 mit Bezug auf 2 Kor 3,7). 167 GG2 2,315. 168 GG2 2,319. 169 RGP 45. 170 Vgl. GG2 2,320: „Da wird endlich Mosis Krafft und Sinn weichen und Christi Geist das Regiment behalten, daß man auch andere diesen Weg führen kann, wenn man ihn erst selbst gegangen hat.“
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II. Arnold als Pfarrer
„Summa: es soll alles auf Christum gehen, was denen Leuten gesaget wird, auch die schärffsten Entdeckungen der Sünde, auch die genauesten Vermahnungen zum Guten müsse alle in Christum hinein weisen, wie in ihm alles zu finden sey.171
Die Frage nach der Effektivität dieses Glaubens und nach den guten Werken ist für Arnold dabei zweitrangig, insofern sich diese aus der in der Evangeliumspredigt gestifteten Christus-Gemeinschaft von selbst ergeben würden.172 Apodiktisch kann Arnold daher feststellen, dass sich ausschließlich in der Begegnung mit Christus die Niederwerfung (Buße) und Erneuerung bzw. Heiligung (Lust) des Menschen vollziehen.173 Werden Arnolds homiletische Überlegungen nun ins Praktische gewendet und an seinen Predigten nachvollzogen, zeichnen sich konkrete Strategien ab, anhand derer er seinen christozentrischen Ansatz durchsetzt – mitunter auch gegen die gesetzlichen Implikationen der biblischen Texte. Arnold tendiert dazu, jede Art von gesetzlichem Rigorismus und jede Form von göttlichem Gebot, wie sie in manchen neutestamentlichen Texten ja durchaus zu Tage treten, in eine Aufforderung zur Verinnerlichung der Gotteserfahrung umzugießen, was vollends seiner homiletischen Prämisse entspricht, dass nur die Begegnung mit dem lebendigen Christus die Erneuerung des Menschen und mit ihr dessen ethische Vervollkommnung bewirken kann. Dieses homiletische Manöver ist z. B. in der bereits angesprochenen Pfingstpredigt zu Joh 14,23–31 (Nr. 110) erkennbar: Während in der Auslegungsgeschichte des Textes immer wieder der Zusammenhang zwischen dem Halten der Gebote und der Gottesliebe thematisiert und problematisiert worden ist, drängt Arnold die Gebotsfrage völlig an den Rand seiner Auslegung, ja thematisiert sie im Grunde kaum. Stattdessen rückt er die Zweckfreiheit und Ungebundenheit der Gottesliebe in den Vordergrund seiner Predigt und ordnet diese dem Problem der Gesetzesbefolgung konsequent vor. Freilich betonen schon Luther oder Spener den Primat der Gottesliebe vor der Einhaltung der Gebote, doch auch ihre Predigten sind vornehmlich darauf abgezweckt, zu erklären, inwiefern der Glaube die guten Werke hervorbringt oder aber inwiefern die guten Werke als Indikator der Gottesliebe verstanden werden können.174 Arnold antizipiert und entkräftet 171 GG2
2,321. GG2 2,316: „Sondern es muß der gantze JEsus in uns anfangen Gestalt zu gewinnen, und sein völlig Bildniß eingedrücket werden, und zwar durch die innigste Einwohnung und Gemeinschafft mit seinem Geist; da der Bund in seinem Blut beständig bleibe, nichts mehr zu reden noch zu thun, es thue es denn der Einige, der allein dem Vater wohlgefällt.“ 173 Was Arnold mit Worten Luthers bekräftigen möchte: „Es ist keine Predigt / […] die da bessert / denn das Evangelium […] Aus den Worten von der Gnade GOttes fleußt erst Lust und Freude zu GOttes Werck und Busse über unserer Schwachheit. Solche Lust kann Moses (der gesetzliche Geist) mit allen glühenden Zangen nicht heraus locken“ (RGP 46) (Arnold zitiert aus einer Ostersonntagspredigt Luthers über Joh 10,12–16 [vgl. WA 10/I,2; 246,28–30] und aus einem Sermon über Hebr 8,3 f aus dem Jahr 1537 [vgl. WA 45; 399,33–35]). 174 Gregor der Große möchte die Gottesliebe und das Halten der Gebote in einem elenkti172 Vgl.
2. Predigt
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jede mögliche Fehldeutung der jesuanischen Aufforderung in solchem Sinne, dass die Gottesliebe um der guten Werke willen erlangt werden muss, und schwört die Hörer darauf ein, dass das Halten der Gebote deswegen keiner weitergehenden schen Verhältnis zueinander verstehen: Er ermahnt seine Predigthörer dazu, ihre Gottesliebe zu prüfen, insofern diese notwendigerweise mit dem Halten der Gebote einhergehe, wie Jesus in Joh 14,23 ausdrücklich betone. So kann Gregor unter Zuhilfenahme von 1 Joh 4,20 erklären: „Wer nämlich noch in den unerlaubten Begierden zerfließt [diffluit], der liebt Gott in der Tat nicht, weil er ihm in seinem Willen widerspricht.“ (FC 28/2, 552: „Nam qui adhuc per illicita desideria diffluit, profecto Deum non amat, quia ei in sua voluntate contradicit.“) Die Liebe ist nach Gregor also nicht nur die Inbesitznahme des Geliebten, sondern erweist sich auch als die Gleichförmigkeit mit seinem Willen. Erst diejenige Gottesliebe, die das Halten der Gebote miteinschließt, ziehe die Einwohnung Gottes nach sich (Joh 14,23), denn sie sei eine Bewegung auf Gott zu und damit notwendigerweise eine Bewegung von der Welt weg – sie durchdringe den Menschen und beschirme ihn vor der Weltverfallenheit (vgl. FC 28/2, 553 f: „Wer also Gott wahrhaft liebt [vere diligit], wer seine Gebote beachtet, in dessen Herz kommt Gott und nimmt Wohnung [mansionem facit]: weil ihn die Liebe der Gottheit so durchdringt, dass er von dieser Liebe in der Zeit der Versuchung nicht zurückweicht [non recedat]. Jener liebt also wirklich, dessen Geist sicherlich nicht ein falsches Vergnügen durch Zustimmung überwindet. Denn ein solcher trennt sich so sehr von der Liebe nach oben [a superno amore], so sehr er erfreut wird von dem niederen“). Auch Luther konzentriert sich in seinen Pfingstpredigten auf den Zusammenhang von Gottesliebe und Werken bzw. das Verhältnis der Liebe des Menschen zu Gott und dessen Liebe zum Menschen. Luther möchte dabei – ausgehend von Apg 2 – den Primat der Liebe Gottes hervorheben: „Nun muß je GOTT den ersten Stein legen / der fähet am ersten an / und nimmt mich zu Gnaden / daß ich in seiner Huld stehe; aber darum fühle ichs noch nicht so bald / wiewol sein Werck schon da ist / wie wir auch gesehen haben; da der heilige Geist kam / kam er also / daß er ein solch groß Brausen machet / und die Jünger erschrecket / daß sie nicht wusten / wo sie bleiben sollten“ (Luther, Postille, 652). Die Gottesliebe sei unmittelbare Folge der Geistbegabung: Der Heilige Geist nahe sich dem Herzen, entzünde es, „daß es die Liebe fühlet / da hebt es denn auch an zu lieben“ (a. a. O. 652). Dabei erinnert Luther daran, dass das Gefühl, von Gott geliebt zu sein, jeder Liebe des Menschen zu Gott sowie dem Halten der Gebote vorausgehe. Er kann daher Jesu Sentenz „Wer micht liebt, wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben“ folgendermaßen paraphrasieren: „Das ist / wenn ich gemachet habe / daß der Mensch meine liebe fühlet / so wird er anfahen mich wieder zu lieben etc.“ (a. a. O. 652). Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Liebe und dem Tun der guten Werke ist bei Spener das zentrale Thema der Lehr=puncte, die er unter der Fragestellung entfaltet: „Wie thätlich die liebe Christi seye“ (Spener, Christenthum, 2,13). Spener bringt vier Punkte und ein Bedenken vor. Er konstatiert erstens, dass die Liebe immer tätig sei und den ganzen Menschen in Anspruch nehme. Dazu gehöre notwendigerweise auch das Einhalten der Gebote, soweit es Gott dem schwachen Menschen einräume und ermögliche (vgl. a. a. O. 2,13). Zweitens meint Spener, dass der Mensch die guten Werke nicht alleine vollbringe, sondern den Heiligen Geist zum Beistand habe, so dass das Halten der Gebote auf einem Synergismus von Gott und Mensch beruht: Ein körperlich schwacher Schütze würde sein Ziel verfehlen, selbst wenn er es anvisieren könne. Wenn jedoch ein körperlich stärkerer Helfer den Bogen für ihn halten würde, so dass er nur zielen müsse, ließe es sich leicht treffen (vgl. a. a. O. 2,15 f). Drittens gibt Spener zu bedenken, dass Gott mit den guten Werken auch dann zufrieden sei, wenn sie nicht vollkommen seien: Wer Gott liebe, würde erkennen, dass Gott sich geduldig und nachsichtig mit dem Menschen zeige, so dass dieser seine Werke mit Freude und größter Hingabe vollbringe (vgl. a. a. O. 2,16). Viertens und zuletzt erklärt Spener, dass viele schwere, mühevolle Werke aus Liebe zur Welt vollbracht werden, ohne dass man deren Beschwerlichkeit hinterfragen würde (vgl. a. a. O. 2,17). Spener geht nun auch auf mögliche Widersprüche gegen diese Überlegungen ein. Er verwahrt sich gegen das Missverständnis, „es seye bloß dahin unmüglich / Gottes gebote zu halten“ (a. a. O. 2,17), argumentiert also gegen eine Verzerrung der
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exegetischen oder theologischen Erörterungen bedarf, weil es sich aus der Gottesliebe und Gleichförmigkeit des Willens mit Gott notwendigerweise von allein ergibt: Jesus würde nirgendwo weitschweifig erklären, „was lieben sey / sondern sagt mit einem wort die sache selbst / und beschreibet hernach nur die wirckung der liebe. So jemand mich liebe / sagt er / und wer mich nicht liebet; das ist seine gantze beschreibung“.175 In der dezidiert unterspezifizierten Rede Jesu liege der universale Anspruch der Gottesliebe begründet: Jesus fordere den ganzen Menschen dazu auf, sich Gott in Liebe zuzuwenden.176 Die Pointe dieser Forderung erblickt Arnold freilich darin, dass der natürliche Mensch sie niemals einlösen, schon gar nicht gesetzlich zu deren Erfüllung gezwungen werden könne. Er kann ihr einzig „aus purer gnade / und freyem trieb des evangelii“177 entsprechen. Auch die Vorstellung, der von der Gottesliebe in Anspruch genommene Mensch würde sich in einem Zustand ständiger ekstatischer Verzückung wiederfinden, weist Arnold als Illusion einer fragmentarischen und einseitigen Gotteserkenntnis und als Ausdruck eines zwanghaften Wunsches nach Selbsterlösung zurück.178 Im Gegenteil: Indem Gott dem Menschen die süßen Empfindungen mitunter vorenthalte, erinnere er ihn daran, dass die Empfindungen nicht mit der Begabung des Heiligen Geist identisch, sondern vielmehr „vergängliche[] früchte[]“ seien, während der Mensch seine Konzentration darauf richten solle, dass er „im wesen der liebe selbst lerne[] wurtzeln und gründen“.179 Gott wolle einzig um seiner selbst willen geliebt werden, was wiederum der Mensch nur unter der Bedingung einlösen könne, dass er von der Liebe Gottes berührt wird. Die Predigtstrategie liegt also auf der Hand: Damit der Konnex zwischen dem Halten der Gebote und der Gottesliebe nicht verkürzt, moralisch zugespitzt oder gar dialektisch fehlinterpretiert werden kann, blendet Arnold ihn kurzerhand aus.
paulinischen und lutherischen Theologie i. S. eines ethischen Libertinismus. Spener erinnert daran, dass die Gebote „unmüglich nach der schärffe des gesetzes“ einzuhalten seien, „wo Gott an uns bloß das werck selbs / und ausser Christo ansehen will“ (a. a. O. 2,17). Anders sei es aber „nach der gnade des Evangelii / wie Gott jetzo zu frieden seyn will umb Christi willen / daß wir unsern neuen gehorsam nach allem vermögen / so er uns giebet / in das werck richten / ob wir wol damit jene hoheit des gesetzes nicht erreichen“ (a. a. O. 2,17). Spener warnt in diesem Zusammenhang eindringlich vor einer einseitigen Gesetzespredigt, die „gefährlich[] und mißlich[]“ (a. a. O. 2,18) sei, weil sie einen falschen Fokus auf das Unvermögen des Menschen lege, das Gesetz zu halten, ja Spener nennt es dezidiert die Aufgabe der Prediger, diesem Missverständnis der Gesetzespredigt entgegenzuwirken (vgl. a. a. O. 2,18). 175 EBH 692. 176 Wobei Arnold auch auf das Sch’ma Jisrael bzw. das höchste Gebot verweisen kann (vgl. EBH 692). 177 EBH 692. 178 Vgl. EBH 693: „Und dahero dürffen wir unsere liebe zu GOtt nicht allzeit und durchgehends aus unserer empfindung abmessen / daß wir dencken wolten: Wenn wir GOttes liebe nicht so empfindlich schmecketen / und so tröstlich fühleten / so wäre deßwegen keine liebe zu GOtt da.“ 179 EBH 693.
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Freilich gibt sich Arnold nicht damit zufrieden, darauf hinzuweisen, dass die Gottesliebe in der Person Jesu Christi exemplarisch sichtbar werde und der Gläubige darauf angewiesen sei, im Gebet um das Geschenk der Gottesliebe zu bitten, sondern er versucht, die Gottesliebe zu verbildlichen. Statt den Zusammenhang zwischen Gebotsobservanz und Gottesliebe im Sinne eines Folgsamkeits- oder Dankbarkeitsethos zu klären, breitet er vor den Ohren seiner Hörer verschiedene Facetten der Gottesliebe aus, indem er im zweiten, dicht gedrängten Teil des tractatus die Seligkeit der Liebesgemeinschaft von Gott und Mensch spekulativ ergründet. Jene „innige[] verbindung und gemeinschafft“180 würde sich auf eine dreifache Weise realisieren, die auch dem tractatus seine Disposition vorgibt: „(1) Die liebe GOttes gegen uns / (2) seine einwohnung / und (3) seine befriedung.“181 Alle drei Realisierungsformen bezieht Arnold unmittelbar auf den Evangelientext und von allen dreien meint er, dass man „wegen ihrer unermeßlichen wichtigkeit und hoheit“ von ihnen „nur auff kindische art“ reden könne:182 Den ersten Punkt erklärt Arnold von Joh 14,23 und – jenseits des Evangelientextes – von Joh 14,21 aus, wobei es ihm vor allem darum geht, biblisch zu untermauern, dass durch die gegenseitige Liebe von Mensch und Gott eine exklusive Gemeinschaft entsteht, dass nämlich „kein ander band oder verknüpffung zwischen GOtt und seiner creatur wider seyn kan / als Göttliche liebe“.183 Der zweite Punkt – die Einwohnung – ist unmittelbar auf den ersten bezogen und speist sich aus Joh 14,23.28: Die Beständigkeit der Liebe und Gemeinschaft sei von Gott her garantiert: „[…] an GOtt liegt es nicht / er ist mehr als zu begierig darnach.“184 Seine Einwohnung sei eben keine „flatternde bewegung“, sondern ein beständiges „bleiben und inwohnung“, eine ständige Konnektivität, in der das Herz des Menschen mit Gott und „GOttes liebes=hertz“ mit ihm vereinigt bleibe.185 In der menschlichen Seele betrachte sich Gott wie in einem Spiegel: „So lernen wir in seiner täglichen zuchtschule stille werden / damit sich das ewige leben / GOtt selbst in uns spiegeln und sein leben fest in uns gründen könne zur ewigen wohnung und besitzung. Sintemahl es ein unaussprechlicher trost ist / daß wir eine rechte bleibe=stätte GOttes seyn sollen / wo wir GOtt seinen sabbath und ruhe nicht stöhren.“186
Damit leitet Arnold bereits zum letzten Punkt über, der Seligkeit des Friedens, welche sich von Joh 14,27 her nahelegt: „Den friede laß ich euch / sagt er / den frieden den meinen geb ich euch.“187 Erneut warnt Arnold davor, in der Gottesliebe 180 EBH
698. 698. 182 EBH 698. 183 Vgl. EBH 698–700. Das Zitat stammt aus EBH 699. 184 EBH 700. 185 EBH 700. 186 EBH 701. 187 EBH 703. 181 EBH
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ein eigennütziges Kalkül zu verfolgen, d. h. den Frieden als Zweck der Gottesliebe aufzufassen. Man ginge völlig fehl, wolle man Gott um des verheißenen Friedens willen lieben, etwa um „äusserlich wolleben“, Ruhe des Fleisches oder die Zufriedenheit des äußeren Menschen willen,188 vielmehr bleibe der von Christus verheißene Frieden immer ein angefochtener, gefährdeter Frieden, der sich erst darin als eine Seligkeit der Gottesliebe erweise, dass der Teufel die äußere Not steigere, wenn Gott im Menschen seine Wohnung nehme und ihm einen rein geistlichen Frieden geben wolle, der von der Welt nicht angefochten werden könne, weil er eben nicht von der Welt ist (vgl. Joh 14,27). Der Frieden sei „wesentlich und wircklich lauter vergnügung und zwar am meisten im leiden“, also immer Frieden auf Bewährung.189 Statt also einen expliziten, wie auch immer gelagerten Zusammenhang zwischen Gottesliebe und Gebotsobservanz herzustellen, setzt Arnold in seiner Pfingstpredigt darauf, erstere rhetorisch und spekulativ in einer solchen Weise zu entfalten, dass die Hörer in dieser Gottesliebe verfangen und ihrer teilhaftig werden. Der Schwerpunkt liegt ganz darauf, die Gemeinschaft mit Christus beschreibend einzufangen und auf diese zu verweisen – eine Moral oder einen Imperativ möchte Arnold aus dieser Liebesgemeinschaft dezidiert nicht ableiten. Auch in seiner Predigt zu Röm 12,5–8, die ähnlich wie Joh 14,23–31 die Frage aufwirft, wie denn eigentlich Glauben und Werke zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, setzt Arnold konsequent darauf, Glauben und ChristusGemeinschaft zu profilieren und die gesetzlichen Implikationen des Textes zu dämpfen, die sich freilich überdeutlich zu Wort melden: „regieret jemand, so sey er sorgfältig. Ubet jemand barmhertzigkeit / so thue ers mit lust“.190 Arnold legt den Text konsequent mystisch-allegorisch aus und möchte in seiner Predigt von der „Wirckung des hauptes in seinen gliedern / I. Nach seinem einfluß / II. und ausfluß“191 handeln. Im Zuge der Predigt macht Arnold deutlich, dass sich jede tätige Wirkung des Gläubigen nach außen aus der mystischen Gemeinschaft mit Christus ergeben würde. Dabei befasst sich Arnold jedoch in großer Entschlossenheit mit der Bildhaftigkeit des Einflusses Christi in der Seele des Gläubigen.192 Ausführlich spricht er von der „Jacobs=leiter / darauff die kräffte und engel Gottes zur communication immer auff und abfahren / und sich den creaturen mittheilen“,193 der „einigkeit im geist“,194 dem „sanfften zug in dir“;195 Christus sei der „führer, der kennet seine glieder am besten“.196 Vor allem aber weist Arnold mit 188 EBH
702. 702. 190 VJC 116. 191 VJC 119. 192 VJC 122. 193 VJC 122. 194 VJC 122. 195 VJC 122. 196 VJC 122. 189 EBH
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Nachdruck darauf hin, dass der Gläubige trotz der ihm verliehenen Geistesgaben immer „in der niedrigkeit“197 verbleiben müsse. Immer wieder müsse er in die innere Tatlosigkeit und Stille zurückfinden, damit er durch das lenkende, erkennende und empfindsame Haupt des Leibes in Anspruch genommen werde. Die Emanation des Einflusses, die „worte und wercke“,198 die aus dieser Gemeinschaft resultieren, behandelt Arnold eher kleinlaut, versteht sie lediglich als unwillkürliche Regungen einer verzückten Seelengemeinschaft mit Christus. Einem Gehorsams- oder Dankbarkeitsethos entspringen sie nicht, wie Arnold vor allem im zweiten Teil der Predigt deutlich macht: Wenn er sich hier mit dem „Ausfluss“ befasst, erinnert er zuvorderst daran, „daß der HErr Jesus mit solchen geschenckten guten immer wieder auf andere ausfliesse zum gemeinen nutz“,199 womit er auf die Tätigkeit und Lebendigkeit des Glaubens Bezug nimmt. Jener Ausfluss sei stets an die Christusbeziehung zurückgebunden: Die Tätigkeit der Glieder nach außen sei dem Einfluss Gottes konsequent unterworfen und Arnold erinnert die Adressaten daran, dass sie ohne den in sich wirkenden Schöpfer nichts vermögen.200 Die selbstkritische Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem, Geliehenem und Verliehenem erscheint als Crux der Partizipation der Gläubigen am Leib Christi: Lehre, Dienst, Weissagung, Ermahnung oder die Beanspruchung von Autorität innerhalb der Kirche müssten immer der Regierung Christi unterstellt bleiben und seien allein durch Christi Ermächtigung legitimiert.201 Weniger für den unreligiösen oder ungläubigen Menschen, vielmehr für den gläubigen Christen sei diese Einsicht ein Affront, da er den Kampf zwischen der eigenen Aktivität und der Gottes immer wieder neu aufnehmen und ausfechten müsse: „Dahero entstehet so viel eigenes rennen und lauffen. Der natürlich=hoffärtige mensch will gerne Herr vor sich seyn / in eigener klugheit und krafft alles thun / und nicht erstlich GOtte bey allen dingen gute worte geben. Woraus denn so viel sünden und schanden entstehen / so viel actiones in der welt man siehet.“202
Arnold möchte also die Wirksamkeit und Tätigkeit der Glieder an die lebendige Wirksamkeit Gottes zurückbinden, die nur dann frei walten würde, wenn der Mensch sich preisgibt. Konsequent oberflächlich bleibt er daher auch hinsichtlich der in Röm 12,5–8 genannten Gnadengaben und ist eher an deren kritischer Regulation interessiert: Die „Weissagung“ sei etwa am besten verstanden, wenn sie nicht als Prophezeiung, sondern als auf die Tröstung der Menschen bezogene Schriftauslegung, also als „Lehre“ und „Ermahnung“, d. h. aber als Dienst begriffen werde.203 Er spitzt seine Überlegungen dahingehend zu, dass auch ein 197 VJC
123. 125. 199 VJC 124. 200 Vgl. VJC 124: „[O]hne deinen Schöpffer nichts nichts [sic!] im geringsten vermagst.“ 201 Vgl. VJC 124. 202 VJC 125. 203 Vgl. VJC 125. 198 VJC
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II. Arnold als Pfarrer
Kind zur Theologie befähigt und allen kirchlichen Auslegern weit überlegen sei, wenn es bloß durch Christus dazu ermächtigt würde, womit er deutlich macht, dass sich einzig an der Inanspruchnahme durch Christus der Ausfluss der Worte wie auch der Taten, ja jede Interaktion der Glieder untereinander oder hinsichtlich der Außenwelt, messen lassen müsse: „Und in summa: wo der HErr JEsus wahrhafftig wohne und wircke / da gehe es auch nach seinen sinn zu. Und wer also recht wolle ausfliessen in was gutes / der müsse auch erst Christum und seinen Geist in sich einfliessen lassen.“204
Das gesetzeskritische Moment der Arnold’schen Homiletik drückt sich also in der Predigt darin aus, dass die Heiligung und die guten Werke ganz in der Abwägung von „Einfluss“ und „Ausfluss“ behandelt werden. Arnold begreift den Gläubigen lediglich als Relais dieses Flusses – er ist nur dazu in der Lage, sich selbst in dieser Inanspruchnahme zu beobachten und Gott an sich wirken zu lassen. Lautstark meldet sich der gesetzeskritische Zug der Homiletik Arnolds auch in seinen alttestamentlichen Predigten zu Wort, in besonders pointierter Weise in einer Wochenpredigt zu Gen 6,11–13, dem Auftakt der Noah- und Sintfluterzählung. Arnold stellt die Predigt unter die Überschrift „Von der macht der sünde“ und kritisiert noch im exordium jede rein äußerliche, applikative Vergebung der Sünde, etwa im Beichtinstitut,205 jede Heuchelei in Bezug auf die eigene Sündhaftigkeit206 und jeden Vergebungsautomatismus, wie man ihn aus der paulinischen Rechtfertigungslehre ableiten könnte, etwa indem man die Rede von der überströmenden Gnade in Röm 5,21 libertinistisch fehldeutet.207 Einerseits möchte Arnold gegen derlei Verzerrungen der Rechtfertigungslehre den Apostel selbst anführen, der in Röm 6,1; Röm 7,18 f oder 1 Kor 15,56 entschieden darauf hinweise, dass die Sünde als solche und in ihrer ganzen Übermacht allein vom bekehrungswilligen Menschen erkannt werde: „Daraus ist klar / was eigentlich hier die sünde sey. Nemlich die krafft den menschen in seinem gewissen zu ängstigen / anzufechten und zu verdammen / ihn auch zu reitzen und wider seinen willen und guten vorsatz zu überwältigen und darnieder zu werffen.“208 204 VJC
128. WCAT 129: „Daraus kommt hernach / daß die leute immer in den hinein sündigen / weil sie sich drauff verlassen und einbilden / daß es um ein wenig äusserliche worte in der absolution zu thun sey / so werde ihnen alles wieder vergeben / und könten sie hernach schon aufs neue wieder anfangen und biß in den tod damit fortfahren.“ 206 Vgl. WCAT 129: „Das ist: Man wil zwar immer die sünde in sich und seinen gliedern / worten und wercken herrschen lassen: aber sie soll einen nicht im gewissen anklagen / beissen oder verdammen.“ 207 Vgl. WCAT 129: „Da [in Anbetracht von Röm 5,20] meinet der rohe mensch / die bibel gebe ihm selber freyheit / daß er immer mehr sündige und es ärger mache / als bißher / weil dadurch die gnade desto grösser werde. Könte auch eine gottlosere und abscheulichere einbildung erdacht werden als diese?“ 208 WCAT 130. 205 Vgl.
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Andererseits dienen die Genesisverse, welche der Predigt zugrunde liegen, dieser Erfahrung der Übermacht der Sünde als adäquater Resonanzraum. Naheliegend wäre es ja, die Erkennbarkeit und Macht der Sünde anhand des Gesetzes zu plausibilisieren, wie es auch Paulus selbst tut, Arnold möchte jedoch ausgehend von Gen 6,11–13 zeigen, dass die Macht der Sünde allein in Anbetracht der Gegenwart Gottes erkenn- und überwindbar ist. Die Predigt wird von drei Gedanken getragen: 1.Weil der Text davon spreche, dass Gott die Erde ansehe und sie für verderbt erachte (Gen 6,11: )ותׁשחת הארץ לפני האלהים ותמלא הארץ חמס, müsse dieser Allwissenheit Gottes entsprechend auch der Mensch schonungslos auf seine Sünde blicken und dürfe sie nicht ausblenden.209 Wahre Sündenerkenntnis erfordere die Erkenntnis eines „gegenwärtigen alles durchdringenden und alles in sich schliessenden GOttes“,210 sie sei schonungslos und schmerzhaft, weil sie dem Blick Gottes auf die Welt entspricht: „Man muß dadurch in steter gegenwart GOttes leben lernen / und vor dessen augen wandeln / wie die gläubigen gethan haben: so wird man alle augenblick gleichsam inne werden / wie GOtt alles sehe.“211 2. Eigentliches Objekt der argwöhnischen Betrachtung Gottes sind die durch die Sünde verderbten Wege allen Fleisches, von denen Gen 6,12 spricht ()כי־הׁשחית כל־בׂשר את־דרכו ﬠל־הארץ. Verdorben seien die Wege des Menschen, weil sie die Wege des Fleisches sind.212 Auf dem rechten Weg zu wandeln, ist nach Arnold nichts anderes, als in der Willensgemeinschaft mit Gott zu leben: „Lasset uns derowegen unser heil mit furcht und zittern würcken lernen / in demuth und bescheidenheit unsere dinge thun / und säuberlich fahren mit unsern armen neben=menschen / ob uns gleich derselbe nach der ordnung unterworfen seyn müste.“213 Arnold argumentiert in diesem Zusammenhang dann auch nicht kasuistisch oder rigoristisch, im Gegenteil unterscheidet er sehr subtil zwischen den Sünden, derer sich auch der Gottgläubige zwangsläufig und aus natürlicher Schwachheit schuldig macht, und den vorsätzlichen Sünden der Frevler und Heuchler,214 doch diese Unterscheidung zu treffen sei nicht im Lichte des Gesetzes (weder der Gebote des Mose noch der Bergpredigt) möglich, sondern werde einzig durch den Geist Gottes bewerkstelligt.215 3. Anhand von Gen 6,13, Gottes Vernichtungsbeschluss angesichts des Verderbens von Fleisch und Erde (כי־מלאה 209 Vgl. WCAT 132: „Wilt du also / lieber mensch / die sünde recht erkennen / damit derselben macht und krafft / so nimm dich ja in acht / daß du dir nicht selbst heuchelst / und so manches böse an und in dir übergehest / als wäre es eben keine sünde. Denn so machens alle / die nicht an die wahre busse und besserung wollen.“ 210 WCAT 132 f. 211 WCAT 134. 212 Vgl. WCAT 136: „Wer nun anietzo fleisch und fleischlich gesinnet ist / der ist in lauter solchen verderben begriffen / eben indem er ihm selbst durch geitz / arglist und unrecht am besten zu heissen und zu rathen meint / ja indem er offt auff dem bösen wege feste stehet oder halsstarrig bleibe / wie David davon saget im 36. Ps.“ 213 WCAT 138. 214 Vgl. WCAT 138. 215 Vgl. WCAT 138.
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)הארץ חמס מפניהם והנני מׁשחיתם את־הארץ, möchte Arnold zeigen, dass nicht nur der Mensch, sondern auch die Welt, in der dieser lebt, von der Sünde instrumentalisiert wird: Die Geschöpfe sind Opfer des sündigen Menschen und daher ebenfalls durch die Sünde kontaminiert.216 Aus dieser Beobachtung zieht Arnold den bemerkenswerten Schluss, dass die vorfindliche Erde ein Fanal jener durch die Sintflut vollzogenen Bestrafung der Sünde darstellt, während die Welt vor der Flut noch eine ganz andere, viel erhabenere, im Status der ersten Schöpfung erhaltene gewesen sei: Sie solle „uns noch heute ein zorn=spiegel seyn / wie so gar mächtig die sünde zum verderben sey“.217 Nicht das Gesetz, sondern die Einübung in Gottes Blick auf den Menschen und die Beobachtung der gefallenen, seufzenden Welt selbst sollen dem Menschen als Sündenspiegel und als Anlass zur Umkehr in die Willensgemeinschaft mit Christus dienen, welche übrigens – das soll hier nicht vergessen werden – die Schonung der Schöpfung zwangsläufig miteinschließt: „Alsdenn lernet der mensch auch mit der creatur Gottes wieder demüthig / mäßig und göttlich handeln / und also mit Gottes willen übereinstimmen und zu frieden seyn. Denn das wars / was GOtt wiederum an uns suchte und haben wolte.“218 Nur im Lichte dieser umfassenden Sündenerkenntnis lasse sich Paulus’ Rede von der Herrschaft der Sünde und der überströmenden Gnade in Röm 5,20 f rechtfertigen. Von einer Defizienz der Gotteserkenntnis, einer Abständigkeit zwischen alttestamentlicher Gesetzeskasuistik und evangelischer Gnadenzusage oder einem Verheißungs-Erfüllungsschema ist in der Predigt keine Rede, im Gegenteil: In den alttestamentlichen Versen sieht Arnold die Chance, eine mögliche Fehlbestimmung der paulinischen Rechtfertigungslehre schöpfungstheologisch zu korrigieren und die Sündenerkenntnis zu einer Sache der unmittelbaren Gotteserfahrung zu machen. Zusammengefasst zeigt sich, dass Arnold auch in seiner Kritik an der Gesetzespredigt vorfindlichen homiletischen Tendenzen der lutherischen Orthodoxie folgt: Bereits Gerhard, Carpzov und Quenstedt thematisieren im Fahrwasser Melanchthons die Gesetzespredigt vor allem in ihrer affektiven Dimension, warnen vor moralistischer Verflachung und rhetorischer Effekthascherei, durch die die Zuhörer eingeschüchtert und zu guten Werken gezwungen werden sollen. Diese Kritik macht sich Arnold zu eigen: Auch er sieht die Gefahren der Gesetzespredigt in der moralischen Verkürzung, in der Tendenz zur geistlichen Terrorisierung und spirituellen Lähmung der Zuhörer, vor allem aber darin, dass mit ihr – 216 Vgl. WCAT 141: „Also verderbete GOtt nicht allein die menschen / als die rechten verbrecher und urheber der sünde / sondern auch so gar die erde selbst / oder den schauplatz / darauff sie gesündigt hatten. Woraus unstreitig folgt / daß die sünde / wo sie zur herrschafft kommt / nicht allein über den menschen herrschet zum tode und untergang / sondern auch so gar über die geschöpffe selbst / sie darzu mißbrauchet werden.“ 217 WCAT 143. Arnold schließt sich hier den Pentateuchkommentaren Brunos von Segni und Eucherius’ von Lyon an (letzteres ist eine Falschzuschreibung). Die Welt vor der Sintflut sei viel ebenerdiger gewesen, die Berge erst durch die Wassermassen entstanden (vgl. WCAT 143). 218 WCAT 144.
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im Gegensatz zur Evangeliumspredigt – die Erneuerung des Menschen nicht zu Stande gebracht werden kann, weil sich in ihr die entscheidende Erfahrung der Wirklichkeit Gottes nicht artikuliert: die Inanspruchnahme durch Christus. Um diese Gefahren zu umgehen, bedient sich Arnold zweier konkreter Predigtstrategien: Konsequent stellt er die Eigenmächtigkeit des Menschen hinsichtlich seiner Moralität und Frömmigkeit in Frage und ruft ihn in die kontemplative Gottesschau zurück, so dass der Konnex zwischen Glauben und Werken dezidiert ausgeblendet wird. Auf diese kritische Abgrenzung ist eine positive Strategie bezogen: Arnold überblendet die Erfahrung der Inanspruchnahme durch Gott auf rhetorischer, affektiver und spekulativer Ebene. Im Fokus der Predigten steht die Verschmelzung der Seele mit der Gottheit, nicht die durch das Gesetz induzierte Anfechtung oder dessen moralischer Anspruch.
2.2. Predigtmethode Hinsichtlich der Predigtmethode tut sich bei Arnold eine nicht unproblematische Kluft zwischen Theorie und Praxis auf. Auf der einen Seite setzt er sich in seinen pastoraltheologischen Programmtexten und in den Vorreden zu seinen Postillen ausgesprochen kritisch mit der Predigtmethode seiner Zeit auseinander,219 ja in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt (1704) vertritt er einen regelrecht antirhetorischen Ansatz, indem er deutlich macht, dass der pneumatologische Akzent seiner Homiletik notwendigerweise eine negative Abgrenzung hinsichtlich der Predigtmethodologie mit sich bringt: Der Prediger solle in der Vorbereitung und beim Halten der Predigt immer wieder innehalten, um zu beten und Gott anzurufen,220 und dabei allen anderen formalen, liturgischen oder rhetorischen „Nebendingen“221 „indifferent“222 begegnen – er soll schnörkellos und unprätentiös predigen.223 Auf der anderen Seite scheint Arnold seiner eigenen Forderung nicht zu entsprechen: Die Allstedter und Werbener Predigten sind allesamt formund regelgetreu konzipiert, es handelt sich um rhetorisch ausgefeilte, zünftige Barockpredigten auf der Höhe ihrer Zeit.
219 Der Begriff „Methode“ wird hier informell und als Bezeichnung für den ganzen Akt der Erschließung und Abfassung der Predigt verwendet, obwohl er zu Arnolds Zeiten nur einen Teilschritt der Predigterarbeitung bezeichnet: Die methodus meint im engeren Sinne die Darstellungsweise, die Anordnung des in der inventio gefundenen Stoffes in Hinblick auf den zu predigenden, biblischen Text (vgl. Kapitel II.2.2.2.). 220 Vgl. die Zusammenstellung der Zitate auf GG 442. 221 GG 445. 222 GG 445. 223 Immerhin macht er in der 1704 erschienen Verklärung die Konzession, dass er „umb der einfältigen willen einige eintheilung und andere deutliche methode beobachten [habe] müssen / der nöthigen wiederholung und erinnerung zu helffen“ (VJC, Vorbericht, (*)2r).
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II. Arnold als Pfarrer
Die Klärung des Verhältnisses zwischen Arnolds Predigttheorie und -praxis erweist sich als noch schwieriger, wenn eingerechnet wird, dass Arnold mit den Evangelischen Reden von 1709 einen öffentlichen Bruch mit seiner früheren Predigtpraxis und der Homiletik seiner Zeit vollzieht. In der Vorrede de Methodo heroica oder von der freyen und einfältigen Predigt=Art erhebt er die geistgeleitete, schlichte und vor allem undisponierte Parrhesie (παρρησία) zur einzig legitimen Predigtform. Dieser Vorrede entsprechend unterscheiden sich die in der genannten Postille enthaltenen, titelgebenden „Reden“ hinsichtlich ihres Stils, ihrer Länge und Struktur völlig von den früheren Predigten. Hat Arnold nach 1709 also tatsächlich anders gepredigt als vorher? Er veröffentlichte nach 1709 jedenfalls nur noch wenige, als solche bezeichnete Predigten: Die Sintflutpredigt (1709), zwei Leichenpredigten (beide 1709) und die Predigten vor der preußischen Königin (1710). Es handelt sich bei diesen Predigten allesamt um extraordinäre Predigten, die jedoch wie die früher publizierten absolut form- und regelgetreu konzipiert sind. Weitere, reguläre Sonntagspredigten präsentiert Arnold der Öffentlichkeit nach 1709 nicht mehr – im Gegenteil: 1711 bringt er eine weitere RedenPostille heraus, dieses Mal zur Epistelreihe, und bestätigt damit erneut die freie Rede als vollkommene Predigtform. Dass Arnold in der Perleberger Gemeinde trotz seiner Vorbehalte auch nach 1709 form- und methodengetreue Predigten gehalten hat,224 lässt sich nur annähernd, und zwar in Anbetracht der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt, in der Arnold sein antirhetorisches Programm etwas entschärft, und auf der Grundlage der Predigtfragmente aus dem Anhang der Erfahrungs=Lehre nachweisen. Zudem kann gezeigt werden, dass es sich bei den Reden von 1709 und 1711 um Reduktionen der früheren authentischen Predigten von 1700–1707 handelt, mit denen sich Arnold an ein Lesepublikum richten möchte, um seine antirhetorische Programmatik abseits der Kanzel zu veranschaulichen. Auch bei der 1714 erschienenen, nach dogmatischen Themen erschlossenen, aber ebenfalls als Postille verwendbaren Theologia Experimentalis dürfte es sich ausweislich der Vorrede um nachträgliche Systematisierungen von in Perleberg gehaltenen Predigten handeln, deren ursprüngliche Gestalt jedoch kaum mehr aus dem Text rekonstruierbar ist (Kap. II.2.3.). Arnolds Überlegungen hinsichtlich der Predigtmethode lassen sich nur im Horizont der lutherischen Homiletik des 16. und 17. Jahrhunderts sachgemäß verstehen. Obwohl er nur selten explizit auf diese verweist und seine Ausführungen nirgendwo dem für die lutherischen Entwürfe charakteristischen Handbuchcharakter entsprechen, bezieht sich Arnold durchweg auf die Begriffe, Kategorien und Produktionsprozesse der orthodoxen Homiletik. Die Produktionsstadien der inventio (der Findung des Predigtstoffes), der methodus nebst dispositio und elocutio (die Aufbereitung, Anordnung und Verbalisierung des Stoffes) und der actio (das Halten der Predigt) dienen der folgenden Untersuchung daher als Dar224 Vgl.
zu der Frage ausführlich Kapitel II.2.3.
2. Predigt
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stellungsrahmen. Inwiefern sich Arnolds theoretische Überlegungen in seinen Predigten konkretisiert haben, mit was für einer Methode er den biblischen Text auslegt und welche rhetorischen Strategien er anwendet, soll schrittweise und vergleichend an zwei Predigten zu Lk 19,41–48, der Erzählung von der Tempelreinigung, nachvollzogen werden.
2.2.1. Inventio: Mystisch-allegorische Bibelauslegung im Horizont der Gotteserfahrung In der lutherischen Homiletik des 16. und 17. Jahrhunderts dient die Rhetorik der Interpretation des biblischen Textes und der Vorbereitung der Predigt gleichermaßen.225 Die genaue exegetische Untersuchung der zu predigenden Perikope markiert den Ausgangspunkt der Predigterarbeitung und schließt das Auswendiglernen wie auch die philologische Analyse der Syntax, Semantik und Bilderwelt der Textsequenz ein. Unter Zuhilfenahme der Rhetorik soll der Predigende das genus des Predigttextes (etwa Unterrichtung, Widerlegung, moralische Besserung oder Tröstung)226 und den diesem genus entsprechenden scopus, d. h. die zentrale Textaussage, welche der Perikope ihre Richtung gibt und von der aus sich ihr ganzer theologischer Sachgehalt erschließt, bestimmen.227 Damit der Prediger diesen Skopus aufgreifen und die originäre Grundbewegung des Textes imitierend nachvollziehen kann,228 muss er ihn – in einem zweiten 225 Wenn der inventorische Prozess hier unter diesen Gesichtspunkten entfaltet wird, handelt es sich um eine Systematik, die den einschlägigen Lehrbüchern jener Zeit entlehnt ist. Freilich berücksichtigen jene Lehrbücher auch den mitunter intuitiven, assoziativen und kreativen Charakter der inventio. So schlägt etwa Quenstedt eine Methode vor, die dem modernen mind-mapping nahesteht: „[10] Er [der Prediger] soll für jedes einzelne sonntägliche und festtägliche Evangelium eigens vorgesehene Bögen haben, auf denen er vermischt und ohne Ordnung zusammenträgt, was auch immer zur Erklärung dieses, jenes und anderen Evangeliums beizutragen scheint [ad istud, illud aliudve Evangelium explicandum facere videtur].“ 226 Vgl. Quenstedt, Ethica, Monitum 61. 227 Vgl. a. a. O.: „[51] Er [der Prediger] wähle keinen anderen Gegenstand für seine Predigt als den biblischen Text.“ „[52] Er [der Prediger] soll den in der Predigt darzulegenden biblischen Text vollkommen verstanden und durchschaut haben [cognitum, perspectumque], ihn im privaten Studium nicht allein in Übersetzungen, sondern auch in den Quellen [fontibus] lesen, mit griechischen und hebräischen Konkordanzen abgleichen, seinen Hauptgedanken und Aufbau [summam & partitionem] gründlich prüfen und dessen Kommentatoren und Interpreten, vor allem orthodoxe, hinzuziehen und mit sorgfältigem Bemühen entfalten [evolvat].“ Vgl. auch Carpzov, Hodegeticum, 44 f (1/II) und 46 f (1/II,2). 228 Vgl. Carpzov, 46–49 (III,1–4). Carpzov nennt als Subgenera der Predigt Lehre, Überführung, Erziehung, Wiederherstellung und Trost. Er erinnert daran, dass die Redegenera in einem biblischen Text vermischt sein könnten, fordert vom Prediger allerdings, die unterschiedlichen Valenzen und Nuancen des genus eines Textes genau auseinanderzuhalten, um eines von ihnen für die Predigt fruchtbar machen zu können (vgl. a. a. O. 48 [III,4]). Schon Melanchthon unterscheidet demonstrativum (Lob und Tadel), deliberativum (Raten und Abraten), iudicale (gerichtliche Auseinandersetzung) und fügt ihnen das genus didaskalikon hinzu, da dieses – obwohl es ursprünglich die schmucklose, nüchterne, dialektische Lehrweise bezeichnet – neben dem deliberativum das klassische Predigtgenus sei. Das didaskalikon unterrichte die Menschen „über
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II. Arnold als Pfarrer
Arbeitsschritt – einer triplex analysis unterziehen, d. h. in grammatischer, logischer und rhetorischer Hinsicht eruieren, welche theologischen Lücken des Textes in der Predigt gefüllt und auf welche Weise seine rhetorischen Potentiale ausgeschöpft werden sollen.229 Von hier aus erfolgt der dritte Schritt der inventio: die Befragung der Loci. Melanchthon entwarf noch ein sehr komplexes, an die antike inventio angelehntes System von Loci, das helfen sollte, die aus dem biblischen Text gewonnenen Predigtideen zu entfalten.230 Die Komplexität dieses Systems hat sich in der lutherischen Homiletik nicht halten können, lediglich die aus der Dialektik stammenden Grundfragen der Definition eines Gegenstandes – Was ist es? Woraus besteht es? Welche Wirkung hat es? Was ist ihm entgegengesetzt? – finden auch noch in späteren Lehrbüchern Anwendung bei der Findung des Predigtstoffes. Carpzov etwa verschlankt die Loci-Methode, indem er sie völlig auf die Erfordernisse der Predigt zuspitzt und als Loci allenfalls die Definition und Opposition, den Vergleich, die Untersuchung von Ursachen und Folgen, Beispiele, Gleichnisse und fremde Autoritäten, etwa Kirchenväter oder pagane Schriftsteller, aufzählt.231 Quenstedt nennt, ohne dass er eine ausgeklügelte Loci-Hermeneutik entwerfen würde, lediglich eine große Bandbreite die Lehrinhalte der Religion“ (Melanchthon, Elementa, 33), damit sie sie aufs Beste verstehen („perfecte cognoscere possint“, a. a. O. 32). Zudem möchte Melanchthon anhand einer rhetorischen Analyse des Psalms 110 exemplarisch zeigen, dass deliberativum und demonstrativum immer auf der Definition und Erklärung eines sachlichen Gegenstandes fußen und damit im Grunde als amplificationes des didaskalikon verstanden werden müssen (vgl. a. a. O. 32 f). 229 Die dreifache Analyse befragt den Text unter grammatischen Gesichtspunkten, insofern sie Übereinstimmungen mit anderen Texten aufzudecken versucht, unter logischen Gesichtspunkten, indem sie nach denjenigen Argumenten fragt, die im Text begründet, verworfen oder bekräftigt werden, unter rhetorischen Gesichtspunkten, indem sie danach fragt, wie sich die zentralen Gegenstände des Textes erweitern, amplifizieren und den Zuhörern vermitteln lassen (vgl. Carpzov, Hodegeticum, 50 [1/IV,1]). Ist mit der Entdeckung seines genus der Zweck der ihm entsprechenden Predigt vorgegeben, setzt mit der triplex analysis also bereits die Fortschreibung des biblischen Textes ein: Der Prediger hat die Aufgabe, sich auf die „argumenta textus“ zu konzentrieren, diese auf den Skopus zu beziehen, d. h. ihren Bezug zur Hauptlinie des Textes zu prüfen und ggf. argumentative Defizite des Textes aufzuspüren („investigari debent, & deinde per ipsorum defectum“ [a. a. O. 52 (V,2)]), um diese in der späteren Predigt auszugleichen (vgl. a. a. O. 56 [VI,3]). 230 Vgl. Melanchthon, Elementa, 36: „Docenti in Ecclesia, certa materia in sacris literis praescripta est, quam explicare debet.“ Der am Text gewonnene Skopus – Melanchthon nennt ihn auch finis orationis, praecipua intentio oder summa consilii (vgl. a. a. O. 36 f) – bildet den Richtpunkt für die Befragung der Loci. Für das didaskalikon, dem die Predigt am nächsten steht, kommen vor allem die klassischen dialektischen Loci in Frage, die auf der Definition eines Gegenstandes fußen: Quid sit („was?“)? Quae sint partes uel species („welche Bestandteile und Arten hat es?“)? Quae causae („welche Ursachen?“)? Qui effectus („welche Wirkungen?“)? Quae cognata et pugnantia („was ist verwandt, was entgegengesetzt?“)? (vgl. a. a. O. 42 f). Melanchthon meint zudem, dass auch in der Bibel die Loci-Methode angewendet worden sei: Im Römerbrief gewinne Paulus seinen Stoff aus den Loci des genus iudicale, genauer des status legitimus, Ps 51 – er sei dem genus demonstrativum zuzuordnen – aus den Loci der Nützlichkeit und Ehrhaftigkeit (vgl. a. a. O. 129). 231 Carpzov, Hodegeticum, 56 (VI,3).
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von Möglichkeiten der Stofffindung, rät gleichzeitig zur Mäßigung und schließt manche Materien von vornherein aus der inventio aus:232 „[4] Die frommen, gebildeten und orthodoxen Ausleger und Kommentatoren der Heiligen Schrift möge er heranziehen und die Konkordanzen befragen.“ „[27] Der Verkündiger des göttlichen Wortes möge aufrichtig und rechtgläubig [sincere & orthodoxe], d. h. der wahren Lehre, wie sie in den prophetischen und apostolischen Schriften verordnet und in den Symbolischen Büchern unserer Kirchen unverfälscht [γνησίως] wiedergegeben wird, verpflichtet sein.“ „[57] Er möge in der Kirche nicht seine Träume – d. h. menschliche Erfindungen oder Zusätze – öffentlich bekannt machen, sondern die göttlichen Weissagungen [divina oracula], also das reine und verlässliche Wort Gottes.“ „[63] Witze, Scherze, Skurrilitäten, die Erzählungen nichtsnutziger Sachen soll er von der Kanzel verbannen.“ „[64] Auch abstruse Dinge soll er nicht erwähnen oder sich wenigstens bemühen, dass sie durch die Erklärung verständlich werden; vor allem soll er sich aber von subtilen Abhandlungen und unnützen Disputationen [quaestionibus subtilibus & disputationibus] fernhalten.“ „[65] Bei der Erklärung der Artikel des Glaubens soll er dasselbe durch dasselbe sagen [eadem de iisdem]; er soll keinen eitlen Redeschmuck gebrauchen [ambitioso ornatu], sondern die Eigentlichkeit der Worte und diese allein herausstellen, damit durch eine beweiskräftige und volksnahe Predigt der Heilige Geist den Sinn [des Textes] den Seelen der Zuhörer einträufele.“ „[96] Die besonders vorzüglichen Lehren soll er aus dem Text ableiten [deducat] und auf seine Zuhörer applizieren.“ „[97] Er befestige seine eigenen Darlegungen mit ausgewählten und möglichst passenden Zeugnissen der Schrift und, wie viel Gewicht in einem jeden ist, soll er kurz zeigen.“ „[98] Hinsichtlich der heranzuziehenden Bücher der Schrift und der Anzahl der Kapitel soll er es nicht übertreiben [non sit nimius].“ „[99] Er besprenge die Predigt mit kurzen und knappen Sprüchen und Zeugnissen der Väter, begieße sie aber nicht damit.“ „[100] Er soll sparsam sein bei den Aussprüchen der heidnischen Philosophen und der Dichter und bei den heranzuziehenden Profanhistorien.“ „[101] Prosopopoeia, Dialogismus, Hypotyposis und am meisten Gleichnisse [similitudines] soll er nicht verachten.“ 232 Der Prediger solle sich nach Quenstedt bereits im Studium eine breite Enzyklopädie aneignen. Die ersten drei Mahnungen seiner Ethica richten sich an die Studenten: „[1] Der künftige Diener des göttlichen Wortes möge Kenntnis der Sprachen, der lateinischen, griechischen und hebräischen haben.“ „[2] Er möge die Kenntnis der Logik, Rhetorik, Physik, Metaphysik, Ethik, Politik, Kirchen- und Profangeschichte [Historiae Ecclesiasticae & Profanae] und der Mathematik nicht hintansetzen [destituatur].“ „[3] Er möge sich auf die Lektüre der Heiligen Schrift und ihr Studium stürzen und die vorzüglichen Aussprüche auch auswendig lernen.“
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„[102] Nicht selten soll er Beispiele gebrauchen, denn ihre große Kraft ist es, die Seelen der Menschen zu verändern; er soll diese allerdings nicht einfach aufzählen, wie er sie auswählt; und die heiligen den profanen vorziehen.“ „[103] Bei der Erklärung [enarratione] des Alten Testaments schaue er auf die Entsprechung im Neuen Testament; bei der Erklärung des Neuen Testaments rufe er aber den Seelen der Zuhörer die Weissagungen und Vorverweise [vaticinia ac typos] des Alten in Erinnerung.“
Die Menge der abzurufenden Loci ist also schier unendlich groß und erstreckt sich einerseits auf die Bibel selbst, d. h. andere Schriftstellen, die den zu predigenden Text erhellen könnten, aber auch auf die altkirchliche, reformatorische und lutherisch-orthodoxe Kommentarliteratur, die Dogmatik und die nichttheologischen Wissenschaften, vor allem die Kirchen- und Profanhistorie. Vom Prediger werden also gleichermaßen exegetische Fertigkeit, auslegungsgeschichtliche Kompetenz und eine umfassende enzyklopädische Bildung erwartet, denn nur durch die Befragung der Loci gewinnt der durch die philologische und rhetorische Methode erschlossene Skopus der zu predigenden Perikope hinsichtlich der Lebens- und Glaubenswelt der Hörer Aktualität und Relevanz. Arnold grenzt sich von der filigranen inventorischen Theorie der lutherischen Homiletik ab und spitzt den Prozess der Stofffindung auf eine geistgeleitete mystisch-allegorische Exegese im Horizont der individuellen Gotteserfahrung des Predigers und der Hörer zu, wobei mehrere Aspekte zum Tragen kommen. (a) mystisch-allegorische Hermeneutik. In der Vorrede auf die 1706 erschienene Evangelienpostille Die Evangelische Botschafft spezifiziert Arnold den in der Epistelpostille von 1704 bereits am Rande angedeuteten „mystischen oder geheimen und allegorisch gebrauch der schrifft“233 und überführt damit seine christozentrischen und pneumatologischen Predigtprinzipien in eine Predigtmethode: Die mystische oder allegorische Schriftauslegung – Arnold verwendet beide Begriffe fast durchweg gleichbedeutend – stellt sich als notwendige Konsequenz aus der behaupteten Interdependenz von Schriftauslegung und Geistbegabung dar: Arnold möchte die 233 EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )(2v. In der Verklärung (1704) schrieb Arnold, er wolle „mystisch / oder wie mans sonsten nennen mag“ (VJC, Vorbericht, (*)3r) predigen, so dass man nicht glauben solle, dass seine Predigten der Vernunft der Zuhörer leicht entgegenkämen, da die Vernunft immer „Schlupflöcher“ finden und sich von der Wahrheit des Evangeliums abwenden wolle: „Man will manchmal den lieben Heyland in seinen zeugnissen nicht verstehen / damit man nicht alles verlassen und ihm allein folgen dürffe“ (VJC, Vorbericht, (*)2v– (*)3r). Die Predigten in der Verklärung seien ganz und gar zugespitzt auf die zentralen Heilstatsachen, ja eine Predigt müsse den Text immer auf die wichtigsten christlichen Glaubensinhalte reduzieren bzw. konzentrieren: „Und weil also dieses gantze buch nach der gelehrten redens=art homiletisch ist / so mag es auch billig das jenige recht mit geniessen / welches dergleichen sachen zukommt. Nemlich es sind nicht lehr=sätze oder streit=fragen / darüber man disputiren soll; sondern practica oder die allernöthigsten anweisungen zum göttlichen leben in Christi JEsu / denen man ohne bedencken in der praxi folgen mag / wenn man nur will / so bald man deren göttlichen grund erkennen lernet“ (VJC, Vorbericht, (*)3r).
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Schrift „nach der zusammenhängung und krafft des geistlichen und zwar allerreichsten sinnes“ auslegen, welcher sich der „menschlichen und unerkäntnlichkeit und eitelkeit“ entzieht.234 Der „excessive[n] lust zu allegorisieren“ will Arnold dabei ebenso wenig das Wort reden – auch diese würde bloß „menschlicher vernunfft und phantasie“235 entspringen – wie den buchstäblichen Sinn der Schrift in Frage stellen, vielmehr möchte er den biblischen Sinngehalt auf das nach wie vor fortwährende Wirken Christi in der Seele beziehen und in dieser Hinsicht den Zuhörern einen verborgenen Sinn der Schrift aufzeigen, der über den literalen, historischen hinausgeht.236 Arnold strebt eine konzise, ganz auf den Glauben i. S. der Inanspruchnahme des Menschen durch Christus ausgerichtete Bibelauslegung an, die er – entgegen der Kritik an der allegorischen Schriftauslegung im Protestantismus –237 sogar auf Luther selbst zurückführen möchte, der zwar den mehrfachen Schriftsinn nicht besonders geschätzt, das Allegorisieren aber unter der Voraussetzung für zulässig gehalten habe, dass es christologisch fokussiert sei: „Eine allegorie solle die lehre vom glauben / creutz / hoffnung / liebe und gedult in sich halten“.238 Hätten Luther in dieser Hinsicht auch andere Theologen beigepflichtet,239 möchte Arnold sich selbst in der Tradition Arndts verorten: „Es muß alles […] im menschen geschehen durch Christum im Geist und glauben / was die Schrift äusserlich lehret. Und nach vielen exempeln und beweiß schleust er also: Summa: GOtt hat die gantze heilige Schrifft in Geist und glauben gelegt / und muß alles in dir geistliche geschehen.“240
Die mystische Allegorie zielt nach Arnold also auf nichts anderes als die Wirkung Christi im Seelenleben des Menschen bzw. die lebendige Glaubenserfahrung von Predigern und Zuhörern in ein Verhältnis zum Zeugnis der Schrift zu setzen, um jeweils das eine durch das andere sichtbar zu machen. 234 EBH,
Nothwendige Vorerinnerung, )(3r. Nothwendige Vorerinnerung, )(2v. 236 Vgl. EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )(3r. 237 Vgl. EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )(3v. 238 EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )()(1r. Arnold zitiert hier aus Luthers GenesisVorlesung (vgl. WA 43; 665,37–40: „Quia exempla et vestigia patrum me terrent, qui suis allegoriis obscurant doctrinam et aedificationem caritatis, pacientiae, spei in Deum, quando speculationibus illis allegoriarum nos avocant a doctrina et genuino sensu verborum.“) 239 Vgl. EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )(4v.: Diese hätten erklärt, „daß das bloß buchstäbliche allegorisieren und verdrehen oder verstümmeln der Bibel himmel=weit unterschieden sey / von dem heiligen reellen und verborgenen sinn des heiligen Geistes / der da ungezwungen durch eben denselben guten Geist / der die Schrifft eingegeben hat / erkannt und entdecket wird“. 240 EBH, Nothwendige Vorerinnerung, )()(2r. Arnold zitiert hier aus dem 6. Kapitel des ersten Buchs vom Wahren Christenthum (in der ersten, 1610 in Magdeburg erschienen Gesamtausgabe finden sich die Zitate auf den Seiten 53 und 55). Er bezieht sich in diesem Zusammenhang ferner auf Heinrich Varenius’ Schriftmäßige wohlgegründete Rettung der Vier Bücher vom Wahren Christentum, Lüneburg 1624, in der eine Fülle orthodoxer Auffassungen zur allegorischen Bibelauslegung zusammengestellt und ausgewertet werden, und kommt auf dieser Grundlage zu dem Schluss, dass die Allegorese legitim und allerorten praktiziert worden sei. 235 EBH,
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II. Arnold als Pfarrer
In der Tat kann Arnold auf eine längere Geschichte der positiven Würdigung der Allegorie in der lutherischen Homiletik zurückblicken. Das Problem der allegorischen Predigt wird bereits von Melanchthon ausführlich behandelt, aber auch noch Gerhard, Carpzov und Quenstedt241 befassen sich mit ihr, jedoch ohne jene psychologische Komponente zu betonen, auf die Arnold hier einen besonderen Schwerpunkt legt.242 Aufschlussreich und wegweisend für Arnolds Ansatz sind vor allem Melanchthons Versuche zur Klärung der christologischen Voraussetzungen der Anwendung dieser Auslegungsmethode. Der Reformator warnt ausdrücklich davor, die Allegorie überzustrapazieren, so dass sie die Rede unverständlich macht, weist aber zugleich darauf hin, dass sie vermeintliche Dunkelheiten der Schrift ausgleichen könne,243 wenn auch nur in engen Bahnen und unter Berücksichtigung strikter Regeln: So fordert Melanchthon, dass der Prediger den Zusammenhang der unverständlichen Stelle mit dem Skopus des Textes beachten und diesen Zusammenhang in ein Verhältnis zu den dogmatischen Loci setzen solle, bevor er zur Allegorie greifen darf. Er nennt folgendes Beispiel: Statt mechanistisch die Rede vom Priester nach der Ordnung Melchisedeks (Ps 110,4) historisch, tropologisch, allegorisch und anagogisch auszulegen, müsse der Redner sich des rhetorischen Kontextes, des genus und scopus des Psalms versichern: Der Psalm sei ja überhaupt nicht auf David, sondern auf einen ewigen König, d. h. aber auf Christus gemünzt, so dass sich im Rahmen des genus didaskalikon die inventorischen Fragen ergäben, was das Priesteramt Christi eigentlich ausmache und welche Ursachen und Wirkungen es habe.244 Diese Fragen können aber nur im Rahmen eines dogmatischen Systems geklärt werden, d. h. der Loci theologici, in diesem Fall der Christologie. Nun unterscheidet Melanchthon sehr strikt zwischen biblischen „Geschehnisse[n] und Zeremonien“ („facta […] et ceremoniae“),245 die mitunter dunkel bleiben, über sich hinaus deuteten und einer allegorischen Auslegung bedürften, und solchen Texten, die auf keinen Fall allegorisch auszulegen seien, etwa die Predigten der Propheten des Alten Testaments, die Worte Jesu und die „theoretische[] Erörterung von Lehrinhalten, wie etwa bei einem Brief von Paulus“.246 Die allegorische Methode soll also nur auf narrative, niemals aber auf diskursive Texte angewendet werden: „Während die 241 Letzterer ermahnt etwa: „[14] Allegorien soll er [der Prediger] in den Predigten umsichtig und maßvoll behandeln und sie nicht in jedem einzelnen Satz oder jeder Handlung der Schrift suchen.“ 242 Vgl. Steiger, Gerhard, 123–134. Steiger gelangt zu der pointierten Schlussfolgerung (a. a. O. 127 f): „Die allegorische Auslegungskunst ist also bibel-hermeneutisches Ingrediens der typisch orthodoxen theologischen Rhetorik, innerhalb deren sich die verschiedensten biblischen Texte gegenseitig verstärken und auslegen, einander unterstreichen und amplifizieren, sich auf metaphorische Weise gegenseitig visualisieren und biblisch-theatralisch inszenieren. Die allegorischen Auslegungen sind Teil einer großen Veranschaulichung, die im katechetischen und poimenischen Interesse geschieht: Insofern ist die Allegorie selbst konkrete Ausdrucksform des typisch reformatorischen ‚pro me‘, weil sie auf bildliche Weise bei der Aneignung der Glaubensartikel behilflich ist, somit das Heilsereignis in Christo ergreifen hilft und die Glaubenserfahrung poetisch und hymnisch zu versprachlichen lehrt.“ 243 Freilich würden sich diejenigen „lächerlich“ (Melanchthon, Elementa, 192: „ineptissimi“) machen, die schlichtweg alle Schriftstellen ins Allegorische überführen wollen (a. a. O. 192: „qui in sacris literis omnia transformant in allegorias“). Eine starre, vierfache Auslegung der Bibel, wie sie von wissenschaftlich, d. h. rhetorisch ungebildeten Menschen jahrhundertelang praktiziert worden sei, lehnt Melanchthon rundweg ab (vgl. a. a. O. 192–195). 244 Vgl. a. a. O. 198 f. 245 A. a. O. 200 f. 246 A. a. O. 201.
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Allegorie mehr beim Auslegen von Geschehnissen am Platz ist, muß man die Methode der Argumentation bei der Erklärung von Äußerungen [dictis explicandis], in den prophetischen Schriften und Verheißungen anwenden.“247 Vor allem erzählende Texte wie der dreitägige Aufenthalt Jonas im Bauch des Wales oder die Schlachtung des Passahlammes würden einer allegorischen Auslegung entgegenkommen, auch weil sie aus sich selbst heraus keinen sicheren Beweis, d. h. kein sachlich-theologisches Argument zur Predigt beisteuern könnten, sondern allenfalls veranschaulichen würden, was aus festeren Beweisen hergeleitet werden könne.248 Diskursive Lehrtexte, etwa von Paulus, dürften hingegen niemals allegorisch ausgelegt werden. Immer solle die Schrift, wenn sie Anlass zur allegorischen Auslegung gebe, mit anderen, klar und einfach ausgedrückten Sachverhalten im gleichen Text oder im weiteren Kontext der christlichen Lehre ausgelegt werden,249 d. h. aber auf dem Boden der theologischen Loci.250 Auf keinen Fall – so die goldene Regel Melanchthons – dürfe die allegorische Auslegung zu Unsicherheit oder Unruhe unter den Zuhörern führen.251 Auf vorbildliche Weise hätte Luther die Methode in seinen Deuteronomiums- und Prophetenkommentaren angewendet, wenn er die Verheißungen und Prophezeiungen zunächst auf die Loci des christlichen Glaubens bezogen und aus ihnen heraus Allegorien entwickelt hätte.252 Melanchthon verknüpft also in prononcierter Weise christozentrische und allegorische Bibelauslegung, insofern er die erste zum Korrektiv und Richtpunkt der zweiten macht.
(b) die Gotteserfahrung als inventorische Konstante. Wir müssen auf die postum herausgegebene Theologia Experimentalis253 von 1714 zurückgreifen, um verstehen zu können, welche homiletische Relevanz Arnold der Gotteserfahrung des Predigers beimisst.254 Hier kompiliert er auf recht waghalsige Weise verschiedene Erfahrungsbegriffe miteinander – Luthers, Sibbes’, Zergerius’ und Sandaeus’ –255 247 A. a. O.
209 (Hv. PB). Vgl. a. a. O. 200 f. 249 Vgl. a. a. O. 202 f. 250 Vgl. a. a. O. 202 f, insb. a. a. O. 203: „Es ist aber nun nicht jedem, der die Kunst anwendet, gegeben, Allegorien geschickt zu behandeln oder zu sehen, wo sie angemessen sind. Denn niemand, der die Kunst anwendet, wird hierfür geeignet sein, wenn er nicht eine vollkommene Kenntnis der Loci besitzt, die ich gerade aufgezählt habe.“ 251 Vgl. a. a. O. 202 f. 252 Vgl. a. a. O. 204–207. 253 Die Widmung seiner Witwe Anna Maria ist auf den 17. Juli 1714 datiert, seine eigene Vorrede auf den 16. April 1714, d. h. kurz vor seinem Tod am 30. Mai. Der Übersichtlichkeit halber werden im Folgenden die Zitate aus der überaus umfangreichen Einleitung der Theologia Experimentalis unter Nennung des Druckbogens und der Nummerierung der Abschnitte erbracht. Auffällig ist schon allein die Wahl des Begriffs „Einleitung“, wo Arnold sonst den Begriff „Vorrede“ oder „Vorbericht“ verwendet. In der Theologia leistet die Einleitung weitaus mehr als eine Vorrede: Hier gliedert Arnold den Stoff und gibt einen detaillierten Überblick über den systematischen Zusammenhang der einzelnen Abschnitte, womit er den dogmatischen Anspruch des Werkes untermauert. 254 Für Arnolds Homiletik ist vor allem jener Abschnitt der Einleitung relevant, in dem er die Erfahrung als notwendig und unentbehrlich „[z]um Gebrauch der H. Schrifft“ herausstellt (vgl. TE, Einleitung, h2r). 255 Zusammenstellung und Übersetzung der lateinischen Zitate fallen recht abenteuerlich aus. Luther wird noch einigermaßen wortgetreu wiedergegeben. Der Reformator habe pointiert festgehalten: „Reden und lehren können sie alle / aber die Erfahrung und der Brauch muß 248
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und hält pointiert fest, dass sich die Gotteserfahrung als eine Erwartungshaltung gegenüber Gott aufgrund bestimmter Einzelerfahrungen und Bewährungsproben etablieren muss und erst dadurch als ein Prüfkriterium hinsichtlich geistlicher Vorgänge und Gotteserfahrungen anderer dienen kann: „Die Art und Weise / wie man zu einer lebendigen Erfahrung komme / ist schon ausgedruckt / daß nemlich der göttliche Glaube in dem Licht des Heil. Geistes (nicht aber die blosse Vernunfft / die lieber das Gegentheil immer schliesset) aus so manchen widerholten und wol erkanten Exempeln und Proben eine gemeine Regel lernet ziehen / wornach er so dann in diesem oder jenem Fall sich richten und gewisse Tritte thun könne. Denn ein geistlicher Mensch richtet und unterscheidet alles I. Cor. II,15. und beurtheilet oder vergleichet geistliche Dinge mit Geistlichen v. 13.“256
Homiletische Relevanz hat der Erfahrungsbegriff insofern, als dass Arnold konsequent auch die Heilige Schrift der erfahrungsgeleiteten Prüfung ausgesetzt sieht.257 Damit steht die heikle Frage im Raum, „ob und wie ferne die Ereinen Theologum machen […].“ (TE, Einleitung, b3r [§ 10]) (vgl. WA 40/III; 64,6 f). Röm 5,4 habe Luther dahingehend kommentiert, dass „Erfahrung ist / wenn einer wol versucht ist / und kann davon reden / als einer / der dabey gewesen ist“ (TE, Einleitung, b3r [§ 11]) (vgl. WADB 7; 43 [Marginalerläuterung]). Richard Sibbes gibt Arnold wie folgt wieder: „Sie [die Erfahrung] ist nichts anders als eine vermehrte Gedächtniß und Gewißheit des vorigen Segens / welche auff die Vermehrung des Glaubens zielt: damit geprüffte Wahrheit und geprüffter Glaube herrlich bey einander stehen mögen“ (TE, Einleitung, b3r [§ 12]). Arnold zitiert damit (sehr unsauber) aus der deutschen Übersetzung des Traktats The Soul’s Conflict and Victory over itself by faith (1635), Der Seelen Selbst=Streit und derselben Überwindung über sich selbst durch den Glauben (1675), 236. Die Passage lautet in der deutschen Übersetzung: „Erfahrung ist nichts anders / als eine vermehrte Gedächtnis des vorigen Segens / welche auf die Vermehrung unsers Glaubens / zielt; geprüffte Warheit / und ein geprüffter Glaube stehen herrlich beieinander.“ Auch der Humanist Tacitus Nicolaus Zegerus wird von Arnold ziemlich ungenau zitiert. Er verstehe die Erfahrung als „wirkliche Erkäntniß besonderer göttlicher Dinge / welche man durch den geistlichen Sinn oder Empfindung erlanget / und dadurch ihre Wahrheit und Gewißheit in sich selbst durch Gottes Gnade empfindet und schmecket“ (TE, Einleitung, b3r [§ 12]). Arnold bezieht sich hier nach eigenen Angaben auf eine Auslegung Zegerus’ zu Phil 1,9. Falls es sich um die entsprechende Scholie aus dem Scholion in Omnes Novi Testamenti Libros, Band 2, Köln 1553 (hier Seite 106) handeln sollte, wofür auch Kerding, Theologia, 149 plädiert, wäre auch dieses Zitat einigermaßen verfälscht: „In omni scientia & in omni sensu. id est, in omni cognitione & intellegentia iudicioque, vt non temere omnibus benevolentiam impertiamini.“ Zuletzt wird auch eine Stelle aus Sandaeus’ Pro theologia mystica clavis elucidarium onomasticon, Köln 1640 (hier Seite 204) ziemlich verzerrt wiedergegeben. Arnold übersetzt Sandaeus’ Definition „[Experimentalis] Est perceptio Divinae bonitatis habita per amoris vnitiui complexum“ folgendermaßen: „Und sonderlich in der geheimen Gottesgelehrtheit ist die Erfahrung eine Empfindung des Guten in GOtt / welche man durch die vereinigende Liebe mit ihm erlanget […]“ (TE, Einleitung, b3r–b3v [§ 12]), wobei Arnold selbst erklärend hinzusetzt: „[…] aus welchen allen man siehet / wie weit diese Sache von der blossen müssigen theorie und Speculation entschieden / und wie viel edler sie vor dieser seyn mag“ (TE, Einleitung, b3r [§ 12]). Die Tendenz der Kompilation ist aufs Ganze besehen leicht zu durschauen: Arnold möchte ein möglichst breites konfessionelles Spektrum berücksichtigen, um seine Auffassung der Erfahrung als einer unmittelbaren, mystischen Gotteserkenntnis abzusichern und von einem überkonfessionellen Standpunkt aus zu legitimieren. 256 TE, Einleitung, b3v (§ 14). 257 Vgl. zur Bedeutung der Bibel im Pietismus Brecht, Bibel, v. a. 106–108 und den wichtigen Aufsatz von Schmidt, Spener und die Bibel, 11–25.
2. Predigt
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fahrung eine Regul und Richtschnur in göttlichen Dingen seyn könne / oder nicht“,258 wobei mit „Regel“ und „Richtschnur“ Würdetitel aufgerufen sind, die im Luthertum traditionell der Heiligen Schrift zukommen.259 Weist Arnold zwar darauf hin, dass sich die Erfahrung am „klare[n] Wort Gottes“ prüfen und beurteilen lassen müsse260 und meint er in fast überbordender Schrifthörigkeit: „Ein wahrer Gläubiger wird auch gewiß dem theuren Worte Gottes diese Ehre allezeit geben / daß er alles glaubet / was darinn stehet / ob er schon nicht alles bereits an sich erfahren hat“,261 beharrt er darauf – und hierauf entfällt auffälligerweise der größte Argumentationsaufwand in der Vorrede –, dass beides ineinandergreifen müsse: Das „äussere Zeugniß der Schrifft“ zusammen mit der „innere[n] Krafft und Befindung in dem H. Geist“262 mache den bekehrten Menschen „göttlich gewiß“.263 Trotz aller apologetischen Beteuerungen – so versucht Arnold die Befürchtung, dass die Erfahrung zum „Comprincipio nebst der Heil. Schrift“ geraten könne, als „vergebliche Beysorge der Vernunfft“ zu zerstreuen –264 bestimmt er das Verhältnis zwischen beidem auffällig vage265 und tendiert in letzter Konsequenz dazu, die Erfahrung der Heiligen Schrift überzuordnen. Die für diese Argumentation maßgebliche Unterscheidung findet Arnold bei Quenstedt vor, der die „inwendige Offenbahrung“ auf die „Wirckung des H. Geistes in den Herzen“ zurückführt, welche „die äusserliche Offenbahrung im Wort voraus setzet / wenn er nemlich nach angehörten und gelesenen Wort die Wahrheit des äussern Zeugnisses in denen Hertzen bekräfftiget und uns zueignet und versiegelt“.266 Diejenigen, die der Geistbegabung ermangeln, würden wie „unver258 TE,
Einleitung, b1r (§ 3). Einleitung, b1r (§ 3). Vgl. die Epitome der Konkordienformel (BSLK 767,8–24). 260 TE, Einleitung, b1r (§ 3). 261 TE, Einleitung, b1r (§ 3). 262 TE, Einleitung, b1v (§ 4). 263 TE, Einleitung, b1v (§ 4). 264 TE, Einleitung, b1v (§ 5). 265 Vgl. TE, Einleitung, b1v (§ 5): „Denn so gewiß als die Schrifft dennoch von denen als die einige Glaubens=Regel erkant wird / die doch die Erleuchtung auch dazu erfordern / so gewiß wird auch dem Worte Gottes nichts entzogen / sondern vielmehr die wahre Krafft und Frucht beygelegt / wenn man die Erfahrung nach der Schrifft Zeugniß dazu nöthig achtet. Massen diese Erfahrung nicht als der Grund / sondern als die unentbährliche Folge der Gnade / welche uns alles Gute zu nutze machet anzusehen ist / soll anders der Mensch geistliche Dinge geistlich verstehen und richten. Ein Grund aber und eine Folge sind ja weit von einander unterschieden. Im Gegentheil wird auch denen / die ohne des Heil. Geistes Licht und Gnade die Schrifft handeln / solcher sonst theurer Grund der Apostel und Propheten nichts helffen / und zwar um ihrer Blindheit und Unglaubens Willen.“ 266 TE, Einleitung, b2r (§ 7). Arnold zitiert hier Quenstedts Disputatio theologica de Certitudine Salutis, § 31. In der Wittenberger Ausgabe von 1702 findet sich das Zitat auf Seite E3r. Gegen eine solche Unterscheidung lasse sich, so Arnold weiter, auch nicht einwenden, dass die für das Schriftverständnis nötige Gotteserfahrung bei den Angefochtenen nicht vorausgesetzt werden könne, diese also zur Auslegung der Schrift nicht in der Lage seien. Arnold meint stattdessen, dass auch in der Anfechtungssituation die Gotteserfahrung keineswegs gänzlich ausgelöscht und „alle Krafft und Erfahrung gantz verlohren“, sondern vielmehr „benebelt und unterdruckt“ sei 259 TE,
270
II. Arnold als Pfarrer
ständige Thiere“, die „von solchen hohen Sachen im Hertzen nichts erfahren noch gefühlet“ haben, „auch den rechten Wort=Verstand“ nicht treffen,267 sie taumeln gewissermaßen durch den biblischen Text und würden dessen Skopus, Bedeutsamkeit und existentiellen Gehalt nicht sachgemäß erfassen können. Ausschließlich die Gotteserfahrung „weise […] die Krafft der Worte / was da sey Leben / Tod / Trost / etc.“268 und lenke die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung des Predigers auf die wesentlichen Sinnpotentiale des biblischen Textes.269 Diese Form der vorverstehenden Gotteserfahrung lasse sich im Predigterschließungsprozess daher auch nicht durch ein methodisch reglementiertes Verfahren, z. B. durch eine philologische oder theologische Analyse des Textes ersetzen. Andere Loci und Auslegungsparameter als die persönliche Gotteserfahrung des Predigers berücksichtigt Arnold kaum. In der zweiten Auflage der Geistlichen Gestalt (1723) meint er en passant, dass sich der Prediger in großer Zurückhaltung üben solle, wenn er in seiner Predigt weitere Schriftstellen heranziehen wolle, da dies die Predigt leicht überfrachten und eher der theologischen Gelehrsamkeit des Predigers Ausdruck verleihen als den Zuhörern nützen würde.270 Zudem hält er fest, dass das Plagiieren von Predigten streng verboten sei und von Gott aufs aller Schärfste bestraft werden würde.271 Obwohl Arnolds Predigten klar darauf hindeuten, dass er Auslegungsansätze der Alten Kirche und Reformationszeit rezipiert und damit dem Kernanliegen der lutherischen Homiletik entsprochen hat, der Prediger müsse herausragende auslegungsgeschichtliche Kompetenz in die Predigterschließung einbringen, hat er diesen für ihn unerlässlichen inventorischen Bezugsrahmen nirgends erwähnt, geschweige denn theoretisch reflektiert.272 (c) die Erfahrung des Predigers und die Situation des Hörers. In der Predigtvorbereitung erweitert sich das Verhältnis von Ausleger und Text notwendigerweise (vgl. TE, Einleitung, b2v [§ 9]). Im Unverständnis der Schrift und im Ekel drücke sich die „Erfahrung und ihre Nothwendigkeit am allergewissesten“ aus, so dass die völlige Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Wirksamkeit deutlich werde: Auf diese Weise „erfährt man erst recht sowol sein eigen Nichts / als GOttes alles“ (TE, Einleitung, b2v [§ 9]). 267 TE, Einleitung, d2r [§ 42]. Arnold zitiert hier eine Glosse Luthers zu Jon 2,5 (vgl. WADB 11/II; 265). 268 TE, Einleitung, d2r [§ 42]. Arnold bezieht sich hier auf Viktorin Strigels Auslegung von Phil 1,9 in den YΠΟΜΝΉΜΑΤΑ In Omnes Libros Novi Testamenti, Leipzig 1566, Band 2, Seite 180: „Ait & sensu opus esse, id est, experientia monstrare vim vocabulorum, vt experientia ostendit, quid significent vita, mors, dolor, timor, consolatio, laeticia, fides, &c.“ 269 Vgl. TE, Einleitung, d2r (§ 40): „Es wird ihm [dem Menschen] aber nicht recht nach GOttes Sinn und Zweck zu gute kommen / wo er nicht das an und in sich erfüllen und wahr werden läst / was er erkennet. Denn darum setzet der Geist Erkäntniß und Erfahrung zusammen / Phil. I,9. und den Schmack mit dem Wort / Ebr. VI,4. Ja er setzet das Schmecken vor das Sehen / Ps. XXXIV. […].“ 270 Vgl. GG2 2,367. 271 Vgl. GG2 2,368 f. 272 Vgl. dazu die Predigtstudien in diesem Kapitel.
2. Predigt
271
um die Dimension der Zuhörer. Nach Arnold konvergieren in der Predigt die Gotteserfahrung des Predigers und die der Hörer unter der Bedingung, dass Gott sich in doppelter Hinsicht als wirksam erweist: Wie bereits erwähnt, lenkt er den Prediger auf diejenigen Lebens- und Glaubensfragen, unter denen er die Schrift auszulegen hat, doch auch die Zuhörer würden der Bedeutsamkeit und Fülle der Predigt nur dann gewahr werden, wenn der Geist die in der Predigt zur Sprache kommende Gotteserfahrung des Predigers beglaubigt: „Ein erleuchteter Christe wird es bald gewahr / ob eine Weissagung / Auslegung und dergleichen geistliche Reden aus eigenen Willen herkomme / oder aus Erfahrung und göttlicher Gewißheit […].“273 Arnold erinnert den Prediger daran, dass sich die Qualität seiner Predigt an ihrer Lebens- bzw. Glaubensdienlichkeit messen lassen muss und ihr Erfolg ausschließlich von Gottes Wirksamkeit abhängt. Und so möchte Arnold Luthers weithin bekannten Aphorismus „die Theologia (oder Gottesgelehrtheit) ist eigentlich eine Lehre des Creutzes / und die Erfahrung macht rechte Doctores und Theologos“274 um einen Aphorismus Neanders aus der Theologia Tauleri erweitern, um zu einem vertieften Verständnis des Predigtgeschehens zu gelangen: „Die Theologie ist keine Theorie / sondern entweder die lebendige Hölle / oder der lebendige Himmel. Sie ist die offene Pforte des Paradises / das neue Gesicht / und die güldene Glosse der Schrift.“275 Dass in der Predigt die Gotteserfahrung des Predigers, das Vorverständnis der Hörer und der Text miteinander korrelieren und dass die Hörer dazu in der Lage sind, die in der Auslegung artikulierte Gotteserfahrung in ihre eigene zu integrieren, begreift Arnold als das Resultat eines sensiblen wie komplexen, in jedem Fall aber von Gott begleiteten Interaktionsgeschehens. Der wohl gravierendste methodologische Unterschied zwischen Arnolds Überlegungen hinsichtlich der predigtvorbereitenden Bibelauslegung und der orthodoxen inventio besteht darin, dass er nirgends suggeriert, dass die Befolgung rhetorischer Kunst- oder Auslegungsregeln den Sinn des biblischen Textes erschöpfend eingrenzen und eine Predigtidee generieren könne. Den Auslegungsvorgang an sich möchte er nicht regulieren, sondern als einen kreativen und durchaus assoziativen Prozess verstehen, der im Wesentlichen durch das Wirken des Heiligen Geistes 273 TE,
Einleitung, d3v (§ 45). Einleitung, e1v (§ 51). Arnold zitiert hier ein geflügeltes Wort Luthers. Kerding, Theologia, 174 rekonstruiert mehrere mögliche Quellen, die jedoch allesamt nicht das ganze Zitat abdecken, u. a. WA 25; 106,26 f; WA 40/III; 193,6 f.19 f; WA 40/III; 64,25; WA 43; 472,13–17; WATR 1; 16,13. 275 TE, Einleitung, e1v (§ 51). Arnold zitiert hier Neanders Theologia Tauleri nach Josua Stegmanns Studii Pietatis Icon, Christognosia, Ad Praecipua Totius Anni Festa, De Persona & Officio Christi Agentia, Accomodata (er dürfte die Leipziger Ausgabe aus dem Jahr 1689 heranziehen, denn er zitiert seitenscharf aus dem Vorwort). Das Zitat findet sich auf den Seiten c2r–c2v: „Contra vero de practica & experimentali, ut ita loquar, Christognosia cum Neandro in Theologia Christiana, audacter exclamo: Scientia haec est aperta Paradisi porta, haec illa nova facies, ac aurea glossa scripturae […].“ 274 TE,
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II. Arnold als Pfarrer
ermöglicht und gesteuert wird. Die theoretischen Überlegungen Arnolds müssen daher – notwendigerweise exemplarisch – ins Praktische gewendet werden, um zu verstehen, wie Arnold die mystisch-allegorische Auslegungsmethode auf den biblischen Text anwendet und wie sich die historische, im biblischen Text greifbare und Arnolds eigene, vitale, subjektive Gotteserfahrung gegenseitig zur Anschauung bringen. Hier und in den folgenden Kapiteln zur Predigtmethode Arnolds sollen zwei Predigten von 1700 und 1704 zu Lk 19,41–48 (Jesu Wehruf über Jerusalem und die Austreibung der Händler aus dem Tempel) im Fokus stehen, die liturgisch am 10. Sonntag nach Trinitatis verortet sind. Es handelt sich um einen fast einzigartigen, werkgeschichtlichen Glücksfall, dass uns zwei Predigten Arnolds zu einer Perikope vorliegen, da er nur jeweils eine einzige vollständige Postille zu Evangelien und Episteln herausgegeben hat. Die hier besprochene, erste Predigt von 1700 findet sich in der Predigt-Trilogie Der Richtigste Weg, die Arnold auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Kirchen- und Ketzerhistorie 1700 veröffentlicht hat, so dass der Vergleich der beiden Predigten, welche in unterschiedlichen Gemeindekontexten (in Aschersleben und auf Schloss Allstedt) und Lebenssituationen Arnolds, vor allem aber unter Anwendung unterschiedlicher homiletischer Methoden und mit zwei völlig divergierenden Dispositionen gehalten wurden, einen Einblick in Arnolds exegetische und inventorische Arbeitsweise gewährt: Was nimmt er als Prediger am biblischen Text wahr? Woher bezieht er seine Predigtideen? Welche Textsignale reizen ihn? Mit Lk 19,41–48 trifft Arnold auf eine durchaus herausfordernde Perikope: Wenn die traditionelle Leseordnung den Text als Evangelium für den 10. Sonntag nach Trinitatis vorsieht, ist der Prediger dazu aufgefordert, die Tempelreinigung (Lk 19,45 f) im Kontext der Klage und des Wehrufs Jesu über Jerusalem (Lk 19,41–44) auszulegen und damit einen Zusammenhang herzustellen, der vom Evangelisten selbst nicht in dieser Deutlichkeit vorgegeben ist. Lukas ist zwar der einzige Synoptiker, der beide Episoden unmittelbar aufeinander folgen lässt,276 möchte jedoch durchaus ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit voneinander betonen, insofern er zwischen beiden Erzählsequenzen einen Ortswechsel (Lk 19,45: καὶ εἰσελθὼν εἰς τὸ ἱερόν; in Luthers Bibelübersetzung letzter Hand: „VND er gieng in den Tempel“) und einen gravierenden Umschlag der Emotionen Jesu anzeigt: In der ersten Passage weint Jesus (Lk 19,41: ἔκλαυσεν ἐπ’ αὐτὴν) – an sich schon ein brisanter, auslegungsbedürftiger Erzählaspekt! –, in der zweiten scheint er zornig zu sein und greift zu Gewaltmitteln, um die Händler aus dem Tempel zu treiben (Lk 19,45: ἤρξατο ἐκβάλλειν τοὺς πωλοῦντας), wobei die lukanische Darstellung im Vergleich zu den Parallelüberlieferungen in Mt 21,12 f, Mk 11,15 f und Joh 2,15 f deutlich abgemildert ist. Zuletzt stellt sich die Frage, ob Jesu Lehre im Tempel und der Tötungsbeschluss der Hohenpriester, 276 Matthäus und Markus berichten wie Lukas von Jesu Tempelaktion im Zusammenhang mit seinem Einzug in Jerusalem, erwähnen jedoch weder Weinen noch Wehruf. Johannes erzählt von der Tempelaktion bereits am Anfang des Evangeliums (Joh 2).
2. Predigt
273
von denen in Lk 19,47 f die Rede ist, als eigenständige Erzählmomente von der Tempelaktion abgehoben werden müssen, denn Lukas deutet mit der Wendung καθ’ ἡμέραν (Luther: „Vnd [Jesus] leret teglich im Tempel“) an, dass die tägliche Lehrtätigkeit Jesu von seiner Tempelaktion als singulärem Ereignis unterschieden werden muss. Arnold unterzieht Lk 19,41–48 sowohl im Jahr 1700 als auch 1704 einer konsequent allegorischen Auslegung. In beiden Predigten möchte Arnold die Interaktion zwischen Christus und seiner Umwelt, wie sie im biblischen Text greifbar wird, in einen mystischen und damit gewissermaßen zeitlosen Aussagegehalt überführen und auf die Wirkung Gottes in der Seele des Menschen hin deuten. Seine inventorischen Überlegungen nehmen ihren Ausgang jedoch an jeweils unterschiedlichen Textbeobachtungen. In den Vorarbeiten zu seiner ersten Predigt über Lk 19,41–48 scheint Arnold den Skopus des Textes nicht in einem bestimmten Vers oder einer eindeutig zu greifenden Textaussage, sondern im narrativen Itinerar der Perikope zu entdecken. Arnolds Predigtidee entzündet sich daran, dass sich Jesus in Lk 19,41–48 in mehreren Stationen dem Tempel annähert: Jesus weint über die Stadt, als er ihr entgegenkommt (Lk 19,41–44), er nimmt den Tempel in Besitz (Lk 19,45 f) und beginnt zu lehren (Lk 19,47 f). Die der Textpassage inhärente spatiale Dimension regt Arnold dazu an, über die verschiedenen Grade der Annäherung Gottes an die Seele des Menschen nachzudenken. Damit berücksichtigt der Prediger einerseits intertextuelle Verbindungslinien innerhalb des Neuen Testaments, da in anderen kanonischen Texten der Tempel als Metapher für die Seele der Gläubigen verwendet oder aber die Bedeutung des Jerusalemer Tempels als Ort der Anbetung Gottes relativiert wird.277 Andererseits dürfte Arnold auch frühere Ausleger des Textes herangezogen haben, die ihm aus seinen historischen Studien oder seiner Herausgebertätigkeit bestens vertraut gewesen sind.278 Konsequent außer Acht lässt er dabei alle historisch-literalen oder 277 So kündigt Christus nach Lk 21,5 f die Zerstörung des Tempels an. In Joh 4,20–23 redet Jesus von der ortsungebundenen, geistlichen Anbetung Gottes. Paulus spricht in 1 Kor 3,16; 6,19 davon, dass die Gläubigen Tempel Gottes seien. 278 Wie bereits erwähnt, plädieren die lutherischen Predigthandbücher dafür, auch die Auslegungsgeschichte des biblischen Textes zu berücksichtigen, um seiner habhaft zu werden. Arnold als ausgewiesenem Kenner der altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Literatur liegt ein auslegungsgeschichtlicher Zugang natürlich nah und der Bibliothekskatalog Arnolds führt tatsächlich diverse Kirchenväterpostillen wie auch Taulers, Luthers oder Speners Predigtreihen auf. In manchen seiner Postillen bringt Arnold sogar kurze Exzerpte altkirchlicher und mittelalterlicher Auslegungen unter. Im Folgenden sollen solche Auslegungen berücksichtigt werden, die Arnold ausweislich des Bibliothekskatalogs vorgelegen haben. So konnte Arnold auf die weit verbreitete Postille Homilie hoc est Conciones populares sanctissimorum ecclesie doctorum (Basel 1516) (CBA Nr. 43) zurückgreifen, in der herausragende Predigten verschiedener Kirchenväter zu jedem Sonn- und Festtag des Kirchenjahres zusammengestellt sind. Für den 10. Sonntag nach Trinitatis bietet jene Postille die 39. Homilie Gregors des Großen, in der dieser Lk 19,41–47a (ohne die Verse 47b.48) zunächst seinem historisch-literalen Sinn nach (Gregor, Homilia, 138b [= FC 28/2, 810]: „Haec iuxta historiam breviter tractando transcurrimus“), dann geistlich auslegt (ebd. [= FC 28/2, 812]: „debemus ex rebus exterioribus introrsus aliquam
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II. Arnold als Pfarrer
kirchenkritischen Auslegungsansätze, die sich ihm aus der Auslegungsgeschichte aufgedrängt haben dürften. So hatte etwa Gregor der Große die Inbesitznahme des Tempels in letzter Konsequenz kleruskritisch im Sinne der Austreibung der Simonie gedeutet,279 Luther hatte die Austreibung der Händler als Vorwegnahme der Reformation verstehen wollen,280 Spener kaprizierte sich in einer Passage seiner Predigt auf die Bedeutung der Ermahnung Jesu, der Tempel solle echtes „Bet-Haus“ sein, was er auf die Teilnahmslosigkeit der protestantischen Kirchgänger zuspitzen wollte.281 Arnold interessiert sich hingegen ausschließlich für die introspektiv-mystischen Implikationen des Textes und kann in dieser Hinsicht nicht nur auf Speners „Lehrpunkte“ bzgl. Lk 19,41–48 zurückgreifen, in denen dieser darauf hinweist, dass Gott nicht nur von Zeit zu Zeit in den Gläubigen similitudinem trahere“). Die Nachweise aus dieser Predigt werden im Folgenden seitenscharf aus der FC-Ausgabe erbracht. Von Johannes Tauler findet sich eine Predigt zu Lk 19,41–48 in Speners Tauler-Edition von 1703, welche auch Arnold vorgelegen hat (CBA Nr. 95). Von Luther sind in der Edition der Kirchenpostille, die Spener 1700 veranstaltet und Arnold 1710 um einen vierten Teil und ein Register vermehrt und mit einer eigenen Vorrede versehen hat, vier Predigten zu Lk 19,41–48 enthalten. Die Nachweise werden im Folgenden aus Arnolds Edition erbracht. In Speners Postille Deß thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit aus dem Jahr 1687, die Arnold ausweislich des Bibliothekskatalogs (CBA Nr. 257) vorgelegen hat, findet sich eine dreiteilige Auslegung von Lk 19,41–48, die sich nach der für Spener einschlägigen Abfolge von „Erklärung des Texts“, „Lehrpuncte“ und „Inhalt des Evangelii“ richtet. 279 Vgl. v. a. FC 28/2, 811. Die Verkäufer würden diejenigen Priester symbolisieren, die den Gläubigen die „Gerechtigkeit zu verkaufen“ versuchen (FC 28/2, 819), sich also bestechen lassen, um die Sündenvergebung zu gewähren, mit dieser unrechten Form der Absolution die Seelen der Gläubigen jedoch geradewegs töten. 280 Luther setzt in seinen Predigten den korrumpierten Jerusalemer Tempeldienst mit der verfallenen altgläubigen Kirche gleich. Hatte sich Jesus zuerst der verbalen Attacke, der „Vermahnung und Reitzung zu dem Glauben“ (Luther, Postille, 897), bedient, wolle er mit der Tempelaustreibung – „mit Ernst und Faust“ (ebd.) – die kultische securitas der Juden vollends destruieren. Wie die Juden hätten die Altgläubigen ihre steinernen Kirchen und Klöster errichtet, ohne jedoch in ihnen die Predigt des Evangeliums zuzulassen, und sie auf diese Weise zu einem „Jahrmarckt=Hauß“ (a. a. O. 898) verunstaltet. Auch in der zweiten, im spenerschen Stammteil der Postillenausgabe abedruckten Predigt bezieht Luther den Handelsbetrieb im Tempel auf die Papstkirche: Der „grosse Ratten=König zu Rom / mit seinem Judas=Beutel“ (a. a. O. 900) habe die Kirche in eine Mördergrube verwandelt, indem er das Evangelium von der Rettung der Sünder dem armen Volk vorenthalten habe (vgl. ebd.). 281 Spener befasst sich im ersten Teil seiner Predigt, der „Erklärung“, vor allem mit der Bedeutung des Verses „Und sprach zu ihnen: es stehet geschrieben: Mein hauß ist ein bethauß“ (Spener, Christenthum, 345). Er sieht in der Erzählung von der Tempelaustreibung das protestantische Schriftprinzip vorabgebildet und die Schrift als normative Größe des Glaubens bestätigt. Zudem versteht Spener Jesu Rede vom „Bethaus“ als Hinweis auf die Besitzansprüche Gottes hinsichtlich des Tempels – er allein dürfe bestimmen, was in seinem Haus vor sich geht – (vgl. a. a. O. 348), auf die grundsätzliche Offenheit des Tempels – niemandem dürfe der Zugang verwehrt werden – (vgl. a. a. O. 349), vor allem aber auf seine eng gefasste Funktion: Im Tempel solle vor allem gebetet werden! Damit stellt er den Tempel als Bethaus in einen schroffen Kontrast zur Profanisierung der (auch evangelischen!) Kirchen als „schlaffhäuser“, „wasch= oder plauderhäuser“, „prachthäuser“, „schandhäuser“ (ebd.) und kritisiert die Teilnahmslosigkeit der Gottesdienstbesucher, die die Kirchen lediglich als „predighäuser“, nicht aber als „bethäuser“ verstehen wollen (ebd.). Gebet und Gesang dürften nicht als liturgisches Beiwerk oder als „anhang“ des Gottesdienstes verstanden werden, sondern seien dessen „hauptwerck“ (a. a. O. 351).
2. Predigt
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wohnen, sondern seine „ordinari residentz bey ihnen“282 haben wolle und die Entweihung oder Verheerung dieses Seelentempels streng bestrafe, indem er Reißaus nehme,283 so dass Gottes Heiligkeit einen kontinuierlichen Kult und eine anhaltende Pflege des Tempels erfordere, d. h. der Mensch stete, innerliche Andacht halten solle.284 Einen prominenten mystischen Deutungsansatz findet Arnold vor allem bei Tauler vor, der die Tempelaktion konsequent als Allegorie für die Wirksamkeit Christi in der menschlichen Seele deutet. Der Tempel stehe für „des Menschen Leib und Seele / welche viel eigendlicher GOttes Hauß und Tempel sind / als alle Tempel / so aus Holtz und Stein gebauet“285 – er ist Gottes Eigentum und will von ihm in Besitz genommen werden. Die im Tempel geschäftigen „Kauffleute[ ]“286 deutet Tauler wiederum als solche, die „eines vertauschen um das ander / nemlich / das sie haben / um das / das sie nicht haben“287: die Weltliebe mit dem freien Willen.288 Die Psychologie dieses Kaufgeschäfts spielt für Tauler eine zentrale Rolle: Das Geschäft und der Handel mit der Welt würden für „stete Unruhe und Unfriede in ihrem Gewissen“289 sorgen, d. h. zu einer andauernden Unzufriedenheit und Weltsucht führen, wobei der weltverfallene Mensch seines Mangels gar nicht gewahr werden würde.290 Ausschließlich in der konsequenten Weltabgewandtheit und Selbstverlassenheit, die einzig die Befriedigung lebenswichtiger Bedürfnisse zulassen, sei es möglich, dass Gott seinen Tempel in Besitz nehmen würde.291 Tauler schlägt – der Vision aus Ez 8 folgend – vor, dass sich der Mensch durch die Wand des Tempels, d. h. seines Herzens, graben muss, um die dort wohnenden Gräuel zu erblicken und diese zu beseitigen.292 Die Beseitigung der Bilder aus dem Tempel würde notwendigerweise dessen Auskleidung mit göttlich-himmlischem Schmuck nach sich ziehen: „Alsdenn kan er mit der BRaut sprechen aus dem Hohen=Liede: Unser Bette grünet / (verstehe von lieblichen Blumen und Rosen /) das ist / es ist voll himmlische Bilde und Gedancken.“293 Die Tempelaustreibung Jesu entspricht 282 Spener,
Christenthum, 352. Vgl. a. a. O. 352 f. 284 Vgl. a. a. O. 354: „In dem alten tempel mußte das feuer niemahl außgehen / sondern fort und fort brennen / und morgens und abends holtz zugetragen werden / dasselbe zuerhalten / welches feuer man zu den opffern und dem räuchern gebrauchte.“ 285 Tauler, Predigten, 1099. 286 Ebd. 287 Ebd. 288 Vgl. ebd. 289 A. a. O. 1101. 290 Vgl. ebd. 291 Vgl. a. a. O. 1102. 292 Vgl. a. a. O. 1103: „Der Tempel / darinnen allerley Bilde gemahlet sind [d. h. der Tempel, den Ezechiel in seiner Vision gesehen hat] / bedeutet nichts anders / als einen Menschen mit einem ungeordneten Gemüthe / der auch darum manche ungeordnete Traurigkeit leiden muß. Und hierdurch werden die Auserwählten unterschieden von den Unauserwählten. Denn die Auserwählten können keine vollkommene Ruhe und Trost haben in ungeordneten Dingen.“ 293 A. a. O. 1102. 283
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II. Arnold als Pfarrer
also der Entbildlichung der Seele, das Abtun der „Bilde aller seiner Dinge“ und das Halten des Tempels „als ledig / als wenn er nie keine darinn gehabt“.294 Mit dieser Entbildlichung forciert Tauler auch den Autonomieverlust des Menschen: Gott allein belebt ihn und treibt ihn zum Guten und zur ständigen Anbetung an.295 Die Taulersche Predigtidee dürfte Arnold sehr entgegengekommen sein, insofern auch er in seiner Predigt die Substituierung des menschlichen Aktionismus durch die göttliche Wirkmächtigkeit in den Blick nehmen möchte und alles daran setzt, die Inanspruchnahme der Seele durch Gott allegorisch zu überblenden und seinen Hörern deren absolute Passivität innerhalb dieses Geschehens einschärft. Es ist jedoch seine originelle Idee, die Dynamik dieser Wirksamkeit Gottes ausgehend von der Dreistufigkeit des Textes differenziert darzulegen und den Hörern zu veranschaulichen, dass die Annäherung Christi an den Menschen von einer unbestimmten, irritierenden Kontaktaufnahme (Jesu Wehruf) ausgeht und über einen eskalativen Bußkampf (Austreibung der Händler) zu einer völligen Inanspruchnahme der Seelenkräfte (tägliche Lehre im Tempel) führt. Fließen darüber hinaus noch weitere Erwägungen Arnolds in seine Predigtvorarbeiten ein? Wer hofft, in der Predigt von 1700 autobiographische Reflexe auf den zu jener Zeit schwelenden Konflikt Arnolds mit der lutherischen Orthodoxie bzgl. der Kirchen- und Ketzerhistorie zu entdecken, wird enttäuscht. Selbst wenn Arnold den Todesbeschluss der Jerusalemer Tempelelite dahingehend deutet, dass es für die gläubige Seele immer ein gutes Zeichen sei, „wenn sie auch von denen verworffen wird / die einen schein der gottseligkeit haben“,296 dass also der Konflikt mit externen, pseudosakralen Autoritäten dem Gläubigen vor Augen führe, dass er sich auf einem gottgefälligen Weg befinde –, dürfte Arnold wohl kaum auf seine schwierige, persönliche Lage anspielen, vielmehr handelt es sich um ein allgemeines Verfallsinterpretament, das auch Spener der Perikope entlocken konnte.297 Arnold scheint die eigene biographische Situation, aber auch spezifische, tagesaktuelle Probleme der Ascherslebener Gemeinde nicht in seine inventorischen Überlegungen miteinbeziehen zu wollen. Arnold vereinnahmt die Heilige Schrift nicht, um eine theologische, weltanschauliche, polemische oder persönliche Erklärung abzugeben, sondern möchte vielmehr Sprachformen oder – in diesem Fall – Erzählstrukturen nachgehen, die es ihm möglich machen, die per se unverfügbare und unanschauliche Gotteserfahrung intersubjektiv zu vermitteln. 294 Ebd.
295 Taulers Predigt gipfelt in einer eindringlichen Mahnung, Gottes Wort zu ergreifen und es sich „zu nutz“ zu machen (a. a. O. 1104). 296 RWCG 36. 297 Vgl. Spener, Christenthum, 364 f. Auch Spener enthistorisiert den fehlgeleiteten Tötungsbeschluss der Hohenpriester und Schriftgelehrten (Lk 19,47b): Jesu Konflikt mit der Autorität der Jerusalemer Tempelaristokratie spiegele den zeitlosen Konflikt zwischen Gotteswort und dessen menschlicher Verzerrung zum Eigennutz wider.
2. Predigt
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Eine gänzlich andere Predigtidee steht hinter der Predigt von 1704. Auch hier nimmt Arnold den Text zum Anlass für eine mystische Introspektive, scheint seinen Skopus jedoch vor allem an Lk 19,41 gewinnen zu wollen: Jesus weint über Jerusalem und konfrontiert die Stadt mit ihrer Ignoranz – sie will nicht erkennen, was gut für sie ist, nämlich die Annahme des Retters. Auch hier verzichtet Arnold darauf, Wehruf und Tempelaktion historisch zu deuten oder sie zum Anlass zu nehmen, kirchliche Missstände zu kritisieren. Indem Arnold die „Stadt“ konsequent als Symbol für die Seele des Menschen versteht, erschließt sich ihm in Jesu Drohwort vielmehr die Notwendigkeit, die Gotteserfahrung um die Erfahrungsnuance der Mahnung und Drohung zu erweitern und damit die anfechtungsvolle Not als Züchtigung und Liebesäußerung Gottes zu akzeptieren. Auch für diese Predigtidee lassen sich prominente Vorbilder in der Auslegungsgeschichte ausfindig machen. Den früheren Interpreten des Textes ging es bei der Erklärung von Lk 19,41 immer um die Bekräftigung des Zusammenhangs zwischen dem Wehruf Jesu und dem liebenden Wesen Gottes. Gregor etwa meint, die Seele könne, solange sie unter der Macht der Sünde stehe, ihren eigenen Untergang nicht absehen und müsse von einer externen Stimme aufgerüttelt werden, damit sie beginne, „mit sich selbst zu hadern, weshalb sie die Verdammnis, die sie erleidet, nicht gefürchtet habe“.298 Die Zerlegung der Stadt in ihre kleinsten Bausteine (Lk 19,44) versteht der Bischof als Symbol der völligen Desintegrierung des in der Seele von der Sünde aufgeschichteten „Gedankengebäude[s]“ („illa cogitationum suarum constructio“299): Wie Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt habe (Lk 19,44), missverstehe die in der Sünde gefangene Seele die verschiedenen Prüfungen Gottes (durch Gebot, Plage oder Wunder) als kontingente Schicksalsschläge, nicht aber als Gottes Zurechtweisungen, die den Menschen zur Umkehr leiten wollen.300 Tauler versteht die Stadt Jerusalem als Symbol für „die gantze Christenheit auff Erden“, in die „die weltliche[n] Hertzen oder Weltkinder“301 miteingeschlossen sind, also als die Kirche im Sinne eines corpus permixtum. Jesu Klage stehe dabei in einem diametralen Gegensatz zur Freude und Fröhlichkeit der Stadtbewohner, die „Freude und Frieden“302 in zeitlichen Gütern und Annehmlichkeiten gefunden hätten und ihren Glauben lediglich aus Gewohnheit pflegten, weil sie denken „es stehe gantz recht und wohl um sie in allen Dingen“.303 Die Jerusalemer würden nicht auf den Glauben, sondern die Weltliebe als „Fundament“ ihrer Stadt vertrauen – mit seinem Wehruf möchte Jesus demgegenüber darauf hinweisen, dass nur ein unerschütterliches Glaubensfundament gegen die kom298 FC
28/2, 813. 28/2, 816. 300 Vgl. FC 28/2, 819–822. 301 Tauler, Predigten, 1096. 302 Ebd. 303 Ebd. 299 FC
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mende Heimsuchung und Zerstörung gefeit sei.304 Auch Luther nimmt, wenngleich abseits jedes allegorischen Deutungsversuches, den Wehruf zum Anlass, Christi Wesenseigenschaften zu reflektieren: Im Wehruf zeige sich Christi unbändige Nächstenliebe, insofern er die rein äußerliche Sicherheit der Einwohner Jerusalems erschüttert und ihnen in prophetischer Manier vorhält, dass sie die Zeit ihres wahren Friedens, d. h. ihrer Bekehrung zu Gott, verkennen, wenn sie die ihnen verkündete Zeit der Heimsuchung nicht bemerken wollen.305 In diesem Zusammenhang geht Luther auch auf die Widerstände ein, die eine Annahme des Evangeliums in der Welt verhinderten: Während die, die „GOtt gläuben“, Sicherheit und Wohlstand ihm allein anheimstellen und sich einzig auf ihn verlassen würden, vor allem aber die Anfechtung und die Not nicht fürchten, weil sie sie als gottgegeben anerkennen,306 würden diejenigen, denen der „stinckende Bauch“307 ihr Gott ist, d. h. die sich auf eine rein äußerliche Sicherheit und ihren Wohlstand verließen, das Evangelium nicht annehmen, und sich damit in der Nachfolge der Bewohner Jerusalems wiederfinden.308 Auch Spener sieht Jesu Weinen (Lk 19,41) im Kontrast zum vermeintlichen Wohlstand Jerusalems und versteht wie Luther den Wehruf als Ausdruck seiner Liebe zu ihr:309 Jesus weint „über die verstockte boßheit seines volcks / welches sich nit wollte helffen lassen / sondern mit stäter boßheit fortfuhr / biß sie das gericht ihnen über den halß zogen“.310 Dass Jerusalem nicht erkenne, was ihm zu seinem Frieden gereiche (Lk 19,42a), deutet Spener dahingehend, dass sich die Jerusalemer, obwohl schon allein der Name ihrer Stadt etymologisch auf den einzig wahren, göttlichen Frieden verweise, auf einen falschen Frieden einließen statt den göttlichen zu ergreifen.311 Der Wehruf (Lk 19,43 f) wird ganz im Kontext des prophetischen Bußaufrufs verstanden: Wie Sodom und Gomorrha würde Jerusalem als Fanal des göttlichen Zorns in Schutt und Asche gelegt, um die Nachkommen zur Umkehr zu ermahnen.312 Die Auslegungsgeschichte lenkt Arnold also zur Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Drohwort Jesu und der wesenhaften Liebe Gottes, der Umstand, dass die früheren Ausleger nicht allein den Tempel als Allegorie für die Seele, sondern die ganze Stadt Jerusalem als Allegorie für die Kirche verstehen wollen, verschiebt Arnolds exegetischen Fokus auf ein zentrales ekklesiologisches Problem wie auch auf die Frage nach der Theodizee: In der sichtbaren Kirche wird die in Jesu Wehruf zu 304
Vgl. a. a. O. 1097 f. Luther, Postille, 895. Luther meint in diesem Zusammenhang auch, Gott wolle Jerusalem dafür bestrafen, dass es die Propheten vor Jesus abgewiesen und verfolgt habe. 306 A. a. O. 897. 307 Ebd. 308 Ebd. 309 Vgl. Spener, Christenthum, 357. 310 A. a. O. 358. 311 Vgl. a. a. O. 359. 312 Vgl. a. a. O. 360–362. 305 Vgl.
2. Predigt
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Tage tretende Diskrepanz zwischen der Erfahrung der Prüfung und der Erfahrung der Liebe Gottes unterschiedlich beantwortet. Den Gläubigen erschließt sich der konstitutive Zusammenhang zwischen der Anfechtung und der Gottesliebe, die Ungläubigen sind auf die drückende Not, das drohende Mahnwort Jesu, mithin den deus absconditus, zurückgeworfen. Bevor nun Arnolds nächster Schritt der Predigterschließung zu Lk 19 – die Klärung und Sondierung der Predigtidee und die Strukturierung des gefundenen Materials – nachvollzogen werden soll, ist ein kurzes Resümee angebracht. Die orthodoxe Homiletik entwickelt – an die antike Rhetorik anknüpfend – ein komplexes System der inventio, in dem der Skopus des biblischen Textes, die theologischen (und sonstigen) Loci und die Erwartungshaltung und Enzyklopädie der Hörer in ein sich gegenseitig erschließendes Verhältnis zueinander gesetzt werden sollen. Arnold grenzt sich sachlich in dreifacher Hinsicht von diesem Ansatz ab: Statt einer akkuraten philologischen Analyse fordert Arnold erstens, den verborgenen, mystischen Sinn des biblischen Textes zu erschließen, d. h. den Text unter der Prämisse zu lesen, dass er von der zeitlosen Wirkung Christi in der Seele des Menschen kündet. Zweitens und dementsprechend bestimmt er die Gotteserfahrung des Predigers als wesentlichen Findungsort für das Material der Predigt, während er andere Loci und Findungskategorien geflissentlich ausblendet. Drittens meint Arnold, dass diese Gotteserfahrung den Prediger auf eben diejenigen Aspekte des Textes lenkt, die auch für die Hörer relevant, lebensdienlich und glaubensfördernd sind. Die Gotteserfahrung von Predigern und Hörern soll in der Predigt korrelieren, was nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass sich Gott selbst im Predigtgeschehen als wirksam erweist. Der biblische Text bietet dem Prediger also Anlass dazu, die eigene Gotteserfahrung zu spiegeln, zu hinterfragen, zu systematisieren und zu versprachlichen. Arnolds gleichermaßen theologische und homiletische Prämisse lautet, dass Gott nach wie vor in der Seele der Gläubigen lebendig ist und sich ihrer bemächtigen will. Diese an sich flüchtige, unanschauliche, rein subjektive Glaubenserfahrung lässt sich anhand der Sprachund Bilderwelt des biblischen Textes veranschaulichen und vermitteln. Obwohl nach Arnold die Gotteserfahrung im Zentrum des Predigterschließungsprozesses stehen soll und sich diese durch keinen inventorischen Faktor substituieren lässt, zeigt ein auslegungsgeschichtlicher Abgleich seiner Predigtideen, dass er durchaus traditionelle Auslegungsansätze berücksichtigt hat, selbst wenn er diese nicht explizit als Findungsort benennt. Sie steuern weiterführende Auslegungsideen, illustratives Bildmaterial und erhellende Textbeobachtungen bei, die Arnolds Blick auf den biblischen Text leiten, wobei er freilich vor allem die allegorischen und mystischen Obertöne wahrnimmt und die literalen und historischen Deutungen übergeht.
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II. Arnold als Pfarrer
2.2.2. Methodus, dispositio, elocutio: Zwischen homiletischer Etikette und methodus heroica Arnold geht in seinen Schriften ausführlich auf die Frage nach der Methode ein. Der Begriff im engeren Sinne bezeichnet in der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts nicht den ganzen Prozess der Erschließung, Disposition und Ausfertigung der Predigt, sondern spezifischer die Herangehensweise bei der Präsentation des in der inventio erschlossenen Materials. Die Methode stellt also gewissermaßen die Vermittlungsinstanz zwischen dem biblischen Text und dem über die Loci erschlossenen Predigtstoff dar und bestimmt im Wesentlichen Struktur und Sprachgestalt der Predigt. Grundsätzlich wird dabei eine analytische von einer synthetischen Methode unterschieden:313 Die analytische Predigt geht deduktiv vor, orientiert sich eng am biblischen Text und seiner rhetorischen Gestalt und hat häufig den Charakter einer Homilie, während in der synthetischen Predigt ein dogmatisches Thema im Horizont des biblischen Textes erschlossen und entfaltet wird.314 Mischformen werden gemeinhin als zulässig erachtet, am sichersten sei es jedoch, das „analytice enarrare“ sauber vom „dogmatice incedere“ zu unterscheiden.315 Richtpunkt und wesentlicher Parameter der Methode bleibt immer der biblische Text: Ihm dürfe die Methode nicht aufgezwungen werden, er lege sie vielmehr nahe und begrenze ihre Anwendung.316 Die Wahl der Methode hat weitreichende Konsequenzen für die Disposition und Versprachlichung der Predigt. Auch wenn die Abfolge der einzelnen 313 So setzt Quenstedt den Methodenbegriff in dieser Weise als allgemein bekannt voraus: „[83] Er [der Prediger] soll in dem auf seine Quellen zurückgeführten Text und mit den vorhergehenden und folgenden ähnlichen Stellen und einer erprobten Methode abwägen und erkennen, wie er bei der Erklärung des Textes vorgehen will.“ Carpzov definiert folgendermaßen: „Die analytische Methode wird bezüglich der Aufordnung und Erläuterung des Textes [Ordinatione & explicatione textus] in Anspruch genommen; sie zergliedert den Text in seine Teile, erklärt darin vorkommende Worte und Sätze, hebt hervor, was der Heilige Geist mit ihnen bewirken will [quid Spiritus S. illis velit] und verknüpft sie mit den daraus herleitbaren Lehraussagen. Die synthetische Methode greift aus dem Text und seinem Skopus einen bestimmten dogmatischen Topos in Gestalt eines Gedankens heraus, den sie dann auf eine gewisse Weise nicht nur mit Argumenten, die im Text enthalten sind, sondern auch mit solchen, die von woanders her genommen sind, durchführt“ (Carpzov, Hodegeticum, 69 [1/X,1]). 314 A. a. O. 76 f (1/X,5) führt alle anderen Methoden – etwa heroica, paraphrastica, articulata und thematica – auf die analytische oder synthetische Methode zurück (76 f [1/X,5]). Hinsichtlich der synthetischen Predigt warnt er eingehend davor, dass sie sich niemals in eine concio libera i. S. einer frei flottierenden Predigt verflüchtigen dürfe (vgl. a. a. O. 70 f [1/X,2]). 315 Vgl. a. a. O. 70 f (1/X,2). 316 Vgl. a. a. O. 78 (1/X,6). Carpzov warnt vor drei grundlegenden handwerklich-methodischen Fehlern, die dem Text Unrecht tun (ebd.: „injuriam textui inferunt“): Erstens dürfe man den Predigttext nicht zu starr (in ein oder zwei Teile) gliedern. Zweitens dürfe man sich nicht in grammatikalischen Spitzfindigkeiten und komplizierten, theologischen Fachdiskussionen verlieren; drittens dürfe man nicht Neben- und Einzelaspekte der Perikope rhetorisch überbetonen und dadurch in den Mittelpunkt der Auslegung rücken (vgl. a. a. O. 76–81 [1/X,2 f]). Auch bei der Methodenwahl geht es Carpzov also immer um die Souveränität des Textes gegenüber seiner Auslegung: Er allein ist Parameter seiner Interpretation und kritischer Bezugspunkt der Predigt.
2. Predigt
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Redeteile flexibel gehandhabt werden dürfe, dient eine klar strukturierte, formvollendete dispositio der rhetorischen οἰκονομία – der Hervorhebung der vorteilhaften Argumente und der Kaschierung der argumentativen Schwachstellen –,317 kommt dem Erinnerungsvermögen der Prediger entgegen, die ihre Predigt für gewöhnlich auswendig lernten, und unterstützt die Zuhörer dabei, der ja nicht selten eine Stunde lang dauernden Rede zu folgen.318 Im Großen und Ganzen orientieren sich die lutherischen Predigtlehren an der klassischen, antiken Abfolge der Redeteile und fügen ihr nur wenige, spezifisch liturgische Elemente hinzu, so dass sich eine idealtypische Abfolge von introitus, Lesung des Predigttextes, exordium, propositio, partitio, tractatio und peroratio ergibt. Der introitus (1) soll zur Verlesung des biblischen Textes hinführen und verzahnt damit die Predigt mit dem vorigen Gottesdienstgeschehen. Er kann dem Prediger als ein liturgischer introitus communis vorgegeben oder selbst verfasst sein. Dass hinsichtlich des letzteren Falls Carpzov und Quenstedt zu Prägnanz und Kürze mahnen, lässt darauf schließen, dass manche Prediger den introitus überstrapaziert und allzu weitschweifig gestaltet haben.319 Es folgt die Verlesung des Predigttextes (2) „mit klarer Stimme, deutlich und mit höchster Achtung und mit höchstem Ernst“.320 Das hierauf folgende exordium (3) ist Gegenstand weitreichender homiletischer Erörterungen, weil es – wie der introitus – offenbar anfällig für rhetorische Überfrachtungen ist. Schon Melanchthon möchte das exordium auf seine drei klassischen Ziele zurückstutzen: Es solle Wohlwollen durch die Selbstempfehlung des Predigers,321 Aufmerksamkeit durch den Erweis der Gewichtigkeit des Sachgegenstandes der Predigt322 und Aufnahmebereitschaft durch die Eingrenzung des zentralen Aspekts der Rede vermitteln.323 Nach dem exordium solle man geradlinig zur propositio (4) gelan317 Vgl. Melanchthon, Elementa, 154 f. Die dispositio ziele auf die οἰκονομία: Die für die Rede vorteilhafteren, zuträglichen Sachverhalte sollen „in die vorderste Linie“ („in prima acie“) gestellt, die dem Redeziel abträglichen in der Masse versteckt werden („in turba latere“). 318 Vgl. Quenstedt, Ethica: „[20] Er soll sich die Idee, die Ordnung, die außerordentlichen Teile und die Abfolge der Teile [ideam, dispositionem, partes praecipuas, partiumque periodos] sicher in seinem Gedächtnis einprägen.“ „[18] Die Predigt soll er eigenhändig geordnet und elegant schreiben.“ „[84] Er soll die Predigt ordentlich gliedern und die einzelnen im Text enthaltenen Themen in Glieder oder Abschnitte einteilen.“ 319 Vgl. a. a. O.: „[85] Er [der Prediger] bereite äußerst kurze Eingänge [introitus brevissimos] vor und diese mit einem kurzen, vorangeschickten Votum, das durch ein Beispiel oder ein pathetisches, jedenfalls nicht gewöhnliches und allgegenwärtiges Wort hervorsticht, und er nehme auf den Text oder die mit ihm zusammenfallenden Umstände Bezug.“ Schon Carpzov kritisiert die Überformung und Weitschweifigkeit des introitus, fordert eine deutlichere Unterscheidung zwischen exordium und introitus und hebt die Nutzen des introitus communis hervor (vgl. Carpzov, Hodegeticum, 90 f [2/I,7]). 320 Quenstedt, Ethica, Monitum 86. 321 Melanchthon, Elementa, 68 f. 322 Vgl. ebd. 323 Vgl. a. a. O. 70 f. Carpzov, Hodegeticum, 88 f (2/I,4) schlägt u. a. vor, die geistlichen Vorzüge des auszulegenden Textes zu loben, auf die Predigtsituation, d. h. die äußeren Umstände der Predigt einzugehen oder allgemeine Aussagen („Generales sententiae“) aus dem Text zu gewinnen, welche den Zuhörern den Einstieg in die Predigt erleichtern. Konkret: Wer die analytische Methode gewählt habe, könne den literarischen Kontext des zu predigenden Textes erhellen. Wer den synthetischen Weg gehe, könne den biblischen Text erst einmal paraphrasieren (vgl. ebd.).
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II. Arnold als Pfarrer
gen.324 Sie ist Herzstück der Predigt und absolut unverzichtbar,325 denn hier müssen die Skopen des biblischen Textes und der Predigt „manifeste apparere“326 zur Synthese gelangen. Dabei könne nach Carpzov bei der analytischen Methode beides – die Idee des Textes und der Predigt – in eins fallen, während bei der synthetischen Methode der Lehrbegriff, der „Locus Communis“ benannt werden müsse, auf welchen der Prediger den biblischen Text beziehen wolle.327 An die propositio könne sich eine partitio (5), d. h. die Angabe der Gliederung, anschließen. In keinem Fall dürfe diese mit der propositio vermischt werden, denn sonst würde jene ihre Leit- und Orientierungsfunktion für die Hörer verlieren.328 Quenstedt fügt der propositio und partitio als eigenständiges Stück noch das Votum hinzu, das die eigentliche Auslegung des Textes eröffnen soll.329 Die tractatio (6) müsse die propositio gemäß der partitio entfalten. Sie enthalte entweder explicatio oder applicatio oder sei eine Mischung aus beidem.330 Explikation und Applikation entsprechen der Darlegung der Lehre und deren 324 Carpzov, Hodegeticum, 90 f (2/I,6). Dem schließt sich auch Quenstedt an, der das exordium begrenzen und enger an die Erfordernisse der Auslegung des biblischen Textes binden möchte: „[87] Er [der Prediger] schließe das Exordium nach zwei, drei, höchstens vier Satzperioden ab und fahre dann mit dem übrigen, was er vorbereitet hat, fort.“ „[88] Zum Exordium gehe er über aus der Empfehlung des Textes, dem Zusammenhang zwischen diesem und dem vorherigen Text oder anderswoher, aber in jedem Fall so, dass sich das Exordium nicht völlig vom Skopus und Thema der Predigt unterscheidet, weit entfernt, affektiert, pompös, überstürzend, geläufig, oder allzu allgemein oder gewöhnlich ist […].“ „[89] Es ist dem Prediger hin und wieder erlaubt, auf das Exordium zu verzichten oder ein Exordium ohne rhetorisches Exordium zu gestalten.“ 325 Nach Melanchthon, Elementa, 72 darf die propositio nie entfallen, denn sie ist „praecipua pars […] totius certaminis“ (ebd.) und ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Predigt. Ohne die propositio könne der Hörer unmöglich begreifen, worum es in der Predigt geht (vgl. a. a. O. 72 f). 326 Carpzov, Hodegeticum, 92 (2/II). 327 Vgl. a. a. O. 92 f (2/II,1). Carpzov gibt ein Beispiel: Wer über das Evangelium des 11. Sonntags nach Trinitatis (Lk 18,9–14) synthetisch predigen wolle, würde vielleicht folgende propositio aufstellen: „[D]ie wahre Beschreibung der ernsthaften und rechten Buße“ (a. a. O. 93 [2/ II,1]). Ein handwerklicher Fehler sei es nun, wenn bereits in der propositio die Anwendung, d. h. die applicatio des Lehrgegenstandes vorweggenommen werden würde, denn die propositio müsse sich in erster Linie auf die explicatio des biblischen Textes beziehen, aus der sich die Applikation erst zum Ende der Predigt hin ergebe (vgl. a. a. O. 92–95 [2/II,2–3]). 328 Wählt man die analytische Methode – so Carpzov –, würde der biblische Text selbst die partitio vorgeben und die Predigt zur Homilie tendieren. Wählt man die synthetische Form, würde der biblische Text die Auffächerung des in der propositio genannten dogmatischen Gegenstandes bedingen (vgl. a. a. O. 96–99 [2/III,1]). Auch hier gibt Carpzov ein wiederum an die Perikope zum 11. Sonntag n. Trinitatis angelehntes Beispiel: Eine analytische partitio würde die Erklärung und ethische Anwendung des Gleichnisses, eine synthetische das Subjekt, den Akt und die Wirkung der wahren Buße ankündigen. Deswegen dürfe die Gliederung nie mehr Punkte aufweisen, als der biblische Text sie vorgebe (vgl. a. a. O. 100 f [2/III,3]). 329 Vgl. Quenstedt, Ethica, Monita 90–93: „[90] In der anzukündigenden propositio soll er [der Prediger] 1. durchschaubar wegen der Vernunft, 2. kurz wegen des Gedächtnisses sein.“ „[91] Der propositio soll er die partitio ohne abzusetzen und unverzüglich anhängen.“ „[91] Er soll eine Unordnung der Teile immer vermeiden und den [biblischen] Text auf möglichst wenige Teile zurückbeziehen.“ „[93] Das Votum, das die propositio und die tractatio zu unterbrechen pflegt, soll kurz und aus den Teilen des Textes gegriffen oder aus dem Allgemeinen, was die Schrift gesagt hat, geschöpft sein, weil es entweder die Aufmerksamkeit der Zuhörer anregen oder kleine Bitten zu Gott enthalten soll.“ 330 Vgl. Carpzov, Hodegeticum, 106 f (2/IV). Vgl. Quenstedt, Ethica: „[94] Dem
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Anwendung in Form einer Vermahnung oder eines Ansporns. Die Explikation erfüllt nach Carpzov drei Funktionen: Sie solle erstens zu Tage fördern, was der Skopus bzw. die occasio des Textes ist, d. h. plausibel machen, worauf die Predigt zielt.331 Zweitens müsse durch eine grammatische Analyse gezeigt werden, welchem Redegenus der Predigttext zugehörig, wer Subjekt, wer Objekt, was Prädikat sei, was die einzelnen Worte bedeuten, wobei auch hier größtmögliche Prägnanz angestrebt werden soll: Stets solle man nur eine einzige Bedeutung einer Bibelstelle präsentieren, und zwar diejenige, die sich angemessen auf den Skopus des Textes beziehen lässt.332 Drittens müssen die Stimmigkeit des Textes hervorgehoben und Verständnisschwierigkeiten ausgeräumt werden: Der Hörer dürfe über keinen Gegenstand der Predigt in Zweifel gelassen werden.333 Konkret schlägt Carpzov vor – unabhängig davon, ob der Prediger den analytischen oder synthetischen Weg wählt –,334 den Text nicht auf einer theoretischen, theologischen Metaebene zu besprechen, sondern ihn durch eine Paraphrase lebendig werden zu lassen,335 wobei er freilich weder eine einfache Nacherzählung noch eine theologisch-akademische Auslegung des Textes vor Augen hat, sondern eine geist- und erfahrungsgeleitete Interpretation.336 In der applicatio leitet der Prediger konkrete, ethische oder religiöse Folgerungen aus der explicatio ab.337 Die applicatio kann ganz unterschiedliche Tendenzen aufweisen, welche z. B. Carpzov katalogartig zusammenstellt: Sie kann der Bekräftigung der Lehre dienen (Doctrinae Confirmatio), wenn die Predigt etwa auf einen Artikel der Bekenntnisschriften zugespitzt wird; ebenso der confutatio eines gegnerischen Glaubenssatzes; der Tröstung der Angefochtenen und Notleidenden oder der moralischen Erziehung, der Zurechtweisung.338 Immer solle der Prediger sich am Hörerverständnis orientieren und das dogmatische Thema, das er in der Predigt behandelt, auf die religiöse Praxis und den geistlichen Nutzen zuspitzen („ad Loci ostensi Praxin ac Usum“339). Wie beide Formen in der tractatio zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, stellt Carpzov dem Urteil des Predigers anheim, grundsätzlich sei es jedoch klug, zwischen explicatio und applicatio zu alterieren und einzelne explikative Sequenzen auf Applikationen zuzuführen.340 Immer müsse dabei der Skopus des biblischen Textes beachtet werden, d. h. die einzelnen applicationes müssen sich an ihm messen lassen.341 Der exitus (7) der Predigt dürfe zwar durchaus abrupt sein, u. a. Carpzov empfiehlt jedoch Votum füge er die tractatio oder explicatio hinzu, in der er den wahren und literalen Sinn des Textes und seine eigene Interpretation darlegt; und diese soll er anhand des Skopus, der vorhergehenden und folgenden Dinge des Textes prüfen und mit angemessenen Worten und Sätzen oder mit parallelen Stellen [locis parallelis], dann aber auch mit passenden Vergleichen und Beispielen untermalen.“ 331 Vgl. Carpzov, Hodegeticum, 110 f (2/V,1). 332 Vgl. a. a. O. 110 f (2/V,2). 333 Vgl. a. a. O. 112–115 (2/V,3). 334 Vgl. a. a. O. 118 f (2/V,7). 335 Vgl. a. a. O. 114 f (2/V,4). 336 Vgl. a. a. O. 117 (2/V,5): „[…] eine Interpretation und Applikation des Textes, mittels derer der Text in demselben Geist, durch den er inspiriert wurde, verstanden, durchforscht, erklärt und angewendet wird, dieses durch Einbringung nicht nur frommer Bitten, sondern auch einer sehr bedachten Aufspürung aller Umstände und vieler Anfechtungen und der Erfahrung.“ 337 Vgl. a. a. O. 120–123 (2/VI,1 f). 338 Vgl. a. a. O. 126–133 (2/VI,6–11). 339 A. a. O. 124 (2/VI,5). 340 Vgl. a. a. O. 134 f (2/VII,2). 341 Vgl. a. a. O. 136 f (2/VII,5).
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einen kurzen Epilog bzw. eine peroratio,342 die einen bleibenden Schlusseindruck bei den Hörern hinterlassen soll.343
Wie die Strukturierung hängt auch die Versprachlichung, die elocutio, von der Wahl der Methode ab. Mit der elocutio wird die rein virtuelle inventorische Vorarbeit der Ideenfindung, Stoffsammlung und -sondierung in eine sprachliche Struktur überführt. In der elocutio geht es darum, die rechten Worte für die in der inventio erschlossenen res zu finden. So meint Melanchthon, wer das Volk über erhabene, religiöse, rechtliche oder politische Angelegenheiten unterrichten wolle, müsse erhabene Worte finden, um jenen res gerecht zu werden.344 Daher erstrecke sich die elocutio auf drei Teilbereiche: die Grammatik i. S. einer exakten Semantik,345 die Figuren346 und die Amplifikationen.347 In jedem dieser Bereiche geht es um den korrekten, angemessenen Bezug von Wort (verbum) und Sache (res) wie auch um die Erschließung der semantischen Potentiale eines Begriffs, die sich dazu eignen, ihn groß oder klein, peripher oder zentral erscheinen zu lassen. Das Theorem der semantischen Angemessenheit spiegelt sich auch in späteren homiletischen Entwürfen zur elocutio wider, etwa in Carpzovs knappem Regelwerk für eine stilistisch gute Predigt: „(1.) wesentlich und rein, (2.) einfach und nicht gekünstelt, (3.) ernsthaft, alle komödiantische Leichtigkeit ausschlie342 Vgl.
a. a. O. 138 f (2/VIII,2). Vgl. a. a. O. 140 f (2/VIII,3). Vgl. auch Quenstedt, Ethica, Monitum 104: „Der Epilog, den die Lateiner peroratio nennen, sei klar, kurz, deutlich und in feierlichen Worten gehalten, um eine kräftige Bewegung zu verursachen. In diesem läuft bisweilen die anakephalaiosis der ganzen Predigt zusammen.“ 344 Vgl. Melanchthon, Elementa, 169. 345 Vgl. a. a. O. 172–181. Die Grammatik beschäftigt sich nach Melanchthon mit der korrekten, möglichst eindeutigen und treffenden Bezeichnung einer Sache durch ein Wort. Dabei vertraut der Reformator darauf, dass sich die Dinge (res) zumeist durch herkömmliche Worte ausdrücken lassen und neuartige Bezeichnungen oder gar Neologismen vermieden werden können (vgl. a. a. O. 174–179). Eine ungewöhnliche, künstliche Sprache lasse gar auf den schlechten Charakter des Redners zurückschließen: Es nehme kein Wunder, dass sich Scholastiker, spekulative Denker wie Dionysius Areopagita, Kabbalisten oder Häretiker ungewöhnlicher, dunkler und uneigentlicher Sprache bedient hätten (vgl. a. a. O. 176–179). 346 Vgl. a. a. O. 181 f. Die Verwendung von Figuren sei ein Zugeständnis an die Aporie, dass sich manche, wenige res nicht auf andere Weise ausdrücken lassen, oder aber an die Erwartungshaltung der Hörer. Dem Redner stehen Metapher, Metalepsis, Synekdoche, Metonymie, Antonomasie, Onomatopoeia, Katachrese (vgl. a. a. O. 182–191) sowie die Hyperbel, Allegorie, das Rätsel, die Ironie, Mimesis, der Sarkasmus, die Fabel und der Mythos (vgl. a. a. O. 190–217) zur Verfügung. Die Tropen können durch die Schemata flankiert werden. Dabei handelt es sich um Redegesten (etwa sprachliche oder syntaktische Mittel wie die Wiederholung), welche die Wortbedeutung unangetastet lassen, doch der Sprache mehr Grazie („plus gratia“) verleihen (vgl. a. a. O. 216). 347 Vgl. a. a. O. 281. Die Amplifikation beruhe auf der Verbindung von ὑπόθεσις und θέσις, d. h. casus und locus communis (vgl. a. a. O. 236–239). Wolle man etwa mit seiner Rede zum Krieg gegen die Glaubensfeinde aufrufen (Melanchthon hat hier konkret die Türken vor Augen), sei es zielführend, sowohl darauf hinzuweisen, dass es die unbedingte Pflicht des Fürsten sei, sein Volk, das Recht und die Religion zu verteidigen, als auch auf die Unmenschlichkeit der Feinde hinzuweisen (vgl. a. a. O. 238 f). 343
2. Predigt
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ßend, (4.) frei von Fachterminologie, (5.) voll kurzer Sätze, (6.) nie unbedacht, so dass er fähig ist, dort, wo es angebracht ist, ausführlicher zu werden, gewichtig, lieblich, streng, reichhaltig zu sein.“348 Obwohl die elocutio einen neuralgischen Punkt in der Predigterschließung darstellt, möchte man diesen Arbeitsschritt in der orthodoxen Homiletik nicht übertheoretisieren: Mal meint man, dass sich die elocutio kaum der Theorie nach, sondern nur durch Imitation, insbesondere der klassischen Redner, erlernen lasse;349 Melanchthon kann die elocutio gar mit der Malerei vergleichen und hebt dadurch ihren künstlerisch-kreativen Charakter hervor: Der Künstler könne auf einem Gemälde das eine hervor-, das andere zurücktreten lassen – gleiches gelte für den Prediger und seine Sprache.350 Arnolds Haltung zur Predigtmethode, Disposition und elocutio schwankt. In der Vorrede zur Verklärungs-Postille von 1704 weist Arnold beiläufig darauf hin, dass seine Predigten nur „das offenbarte Wort GOttes / worauff allenthalben treulich gewiesen wird“351 zum Ziel haben, jedoch – die captatio benevolentiae springt ins Auge – „schlecht[er] und unaffectiret[er]“ seien, „als es die wichtigkeit und der ernst der sachen erfordert“.352 Hinsichtlich der Struktur- und Methodenfrage räumt er ein, dass er „umb der einfältigen willen einige eintheilung und andere deutliche methode [hat] beobachten müssen / der nöthigen wiederholung und erinnerung zu helffen“,353 bekräftigt aber gleichzeitig, dass es unerlässlich sei, dass der Heilige Geist das nötige Verstehen „von so manchen hochwichtigen göttlichen sachen“ bewirke.354 Gleichlautend erinnert Arnold auch in der Geistlichen Gestalt aus demselben Jahr daran, dass der Prediger den äußerlichen, formalen oder liturgischen „Nebendinge[n]“355 der Predigt „indifferent“ begegnen solle.356 Diese frühen, eher flüchtigen Reflexionen wachsen sich in der bereits erwähnten Vorrede de Methodo heroica oder von der freyen und einfältigen Predigt=Art zur Postille Evangelische Reden über die Sonn= und Festtags=Evangelien von 1709 zu einer handfesten Methodenkritik aus. Hier vertritt Arnold die radikale Position, dass ausschließlich die freie, ungebundene Redeweise dem Wirken des Geistes genügend Raum in der Predigt lasse.357 Dass er seine Predigten in Perleberg dennoch weiterhin disponiert und rhetorisch kunstfertig ausgestaltet hat, ist an den wenigen späten Predigtveröffentlichungen und an den im Anhang von 1735 veröffentlichten Manuskripten ersichtlich. Arnold scheint seine Reden dezidiert als literarische Erzeugnisse konzipiert zu haben, die seinen Ansatz der Parrhesie 348 Carpzov,
Hodegeticum, 81 (1/XI,1). Melanchthon, Elementa, 168. 350 Vgl. a. a. O. 168 f. 351 VJC, Vorbericht, (*)2r. 352 VJC, Vorbericht, (*)2r. 353 VJC, Vorbericht, (*)2r. 354 VJC, Vorbericht, (*)2r. 355 GG 445. 356 GG 445. 357 Vgl. hierzu Kapitel II.2.3. 349 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
veranschaulichen sollen, jedoch kaum im sonntäglichen Hauptgottesdienst vorgetragen worden sein dürften. Für die Frage nach seiner konkreten Predigtweise ist zudem jener Kompromissvorschlag aufschlussreich, den Arnold in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt (1712/23) vorbringt, wenn er – mittlerweile auf seine Tätigkeit in Perleberg zurückblickend – erneut die Frage erörtert, „ob man sich nach gewissen menschlichen Vorschrifften, Inventionen, Methoden und Gewohnheiten zu richten, oder bloß dem lautern, einfältigen und doch Göttlich weisen Regiment, Trieb und Zug des Geistes Christi nachzugehen habe“.358 Im Gegensatz zu seinen Überlegungen in der Vorrede über die methodus heroica, auf die er in diesem Zusammenhang explizit verweist,359 bestechen die methodischen Überlegungen der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt durch ihre große Praxisnähe und ihren sehr konziliaren Ton. So meint Arnold hinsichtlich der Länge der Predigt, dass man die Zuhörer leicht „übertäuben“360 könne. Überlange Predigten seien typisch für alteingesessene Pfarrer, die sich „im Reden so diffundiren, auch wol mit tavtologien und unnöthigen evagationibus und digressionibus die Zeit nur hinbringen“,361 weil sie sich selbst gerne reden hören. Weiter sieht Arnold wie seine orthodoxen Vorläufer gerade im exordium großes Einsparpotential: Müssen es gleich zwei Exordien, vor und nach der Verlesung des Bibeltextes, sein?362 Zwar grenzt sich Arnold nach wie vor von jeder rhetorischen Überfrachtung wie auch „menschlichen Redner=Kunst und Ohrenjuckenden Eloquenz“363 ab, da solche einzig dem Hang danach entspringe, „bey der Welt favorem“ zu suchen.364 Wenn die Gestaltung der Predigt auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeht, wie Arnold abermals bekräftigt,365 dürfe sie nicht überkonzipiert sein, am besten sei es gar, sie frei zu extemporieren. Das bedeute jedoch keineswegs, dass man die Predigt „aus den Ermeln schütteln“ oder sich selbst „vor einen Apostel oder unmittelbar Erleuchteten“366 halten soll. Arnold schlägt vor, die Predigt im Vorfeld zu disponieren, etwa „in einer kleinen Tabella von einer halben Octav-Seite“,367 die elocutio aber dem Heiligen Geist zu überlassen: 358 GG2
2,359. GG2 2,360. 360 GG2 2,369. 361 GG2 2,370. 362 GG2 2,370. Arnold spielt hier wahrscheinlich auf die künstliche Unterscheidung von exordium und introitus an. 363 GG2 2,360. 364 GG2 2,360. 365 Arnold zitiert in diesem Zusammenhang Johann Valentin Andreaes Menippus sive dialogorum satyricorum centuria: „‚Darum werden die Predigten am kräfftigsten im Sabbath des Geistes concipirt. Denn der H. Geist wird selbst die vollkommenste Prediger=methode eingeben, wenn er andächtig darum gebeten wird. Und dessen Eingeben oder afflatum muß man nicht ohne Ursache erwarten: da hingegen andere nur ihr Gedächtnis an statt des Geistes brauchen‘“ (GG2 2,362) Die von Arnold verwendete Ausgabe ließ sich leider nicht verifizieren. 366 GG2 2,365. 367 Vgl. GG2 2,367. Dies habe etwa der Dresdener Oberhofprediger Martin Geier getan. 359 Vgl.
2. Predigt
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„Hingegen ists besser, wenn man nach ernster Anrufung Gottes das nöthigste zwar auffschreibt und sich imprimirt, aber wegen der Worte und ihren Unterscheid frey bleibt, und sich dem freyen Trieb des H. Geistes mit zuversichtlichem Hertzen überläßt.“368
Inwiefern hat Arnold seine Predigten im Vorfeld des Gottesdienstes ausformuliert, inwiefern hat er sich „dem freyen Trieb des H. Geistes“ überlassen? Es ist unwahrscheinlich, dass er, wie er in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt meinte, lediglich das Predigtkonzept im Vorfeld ausarbeitete und die Worte spontan und assoziativ auf der Kanzel gefunden hat, so dass die veröffentlichten Predigten nachträgliche Systematisierungen, mithin Selbstprotokolle der tatsächlich gehaltenen Kirchenreden darstellen würden. Zumindest vage Rückschlüsse auf die Dynamik des Predigtgeschehens, auf das Arnold so großen Wert legt, lassen die aus dem Nachlass herausgegebenen, im Anhang der Erfahrungs=Lehre von 1735 gesammelten Predigtmanuskripte zu. So finden sich in zwei seiner Trauansprachen tatsächlich mehrere rhetorisch-technische Regieanweisungen. 1. So notiert er etwa in der zweiten der drei Traureden nach jeweils zwei Abschnitten: „(Exaggeretur!)“,369 d. h.: „Dies möge gesteigert werden!“, und „(Amplificetur!)“,370 d. h.: „Dies möge hervorgehoben werden!“ 2. In der dritten Traurede schreibt er: „(Digressio de scopis mundi perversis in conjugio.)“,371 d. h.: „Abschweifung über die unrechten Ziele der Welt in der Ehe“. 3. Am Ende der ersten Predigt, die sich um das „vollkommene Band Christlicher Eheleute“ dreht, verzeichnet er: „Fiat applicatio ad sponsos &c. &c. Hoc vinculum vobis opto.“,372 d. h.: „Es erfolge die Anwendung auf die Eheleute etc. etc. Dieses Band wünsche ich euch.“ Am Ende der dritten Predigt, die sich um den „rechte[n] Braut=Schatz frommer Eheleute“ dreht, notiert er „Applic. ad neonymphos, cum voto impletionis.“,373 d. h. wohl: „Anwendung auf die jungen Leute, mit dem Wunsch der Erfüllung“, womit er sich unmittelbar auf den letzten Predigtabschnitt bezieht, in dem er von der Erleuchtung der Eheleute durch die fortschreitende Christuserfahrung spricht. Sind diese Platzhalter rhetorische Platzhalter, an denen Arnold während der Predigt improvisieren wollte, oder handelt es sich um Lücken, die im Lauf des Publikationsprozesses gefüllt werden sollten? Beachtenswert ist, dass es sich bei den ersten beiden Anweisungen um termini technici handelt, die im TheorieAls Negativbeispiel nennt Arnold in diesem Zusammenhang die pedantisch konzipierten und ausformulierten Predigten Speners. 368 GG2 2,366 mit einem Zitat aus Johann Ludwig Hartmanns Pastorale Euangelicum, Seite 359 in der Nürnberger Ausgabe von 1678. 369 AEL 123. 370 AEL 123. 371 AEL 127. 372 AEL 118. 373 AEL 130.
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II. Arnold als Pfarrer
segment der elocutio zu stehen kommen, welche Arnold ja ganz dem Heiligen Geist anheimstellen möchte: ‚Steigerung‘ und ‚Vergrößerung‘ werden in der antiken Rhetorik wie auch in der lutherischen Schulhomiletik als im engeren Sinne semantische Operationen aufgefasst. Auch die digressio ist ein kunstvolles Surplus, kein integraler Bestandteil der Rede. Im dritten Fall lässt Arnold offenbar die an die Eheleute gerichtete applicatio offen, war also offenbar dazu bereit, die persönliche Ansprache der Eheleute zu extemporieren. Die Manuskripte zu den Trauansprachen dürfte Arnold also im Vorfeld der Trauungen ausformuliert, besagte Stellen während des Gottesdienstes improvisiert haben. Leider sind derartige Improvisationslücken nur in den besagten Traureden zu finden. Die Manuskripte zu den Kolosserpredigten zeichnen ein nahezu gegenteiliges Bild, denn hier bringt Arnold umfassende Anmerkungen mit altkirchlichem Quellenmaterial unter und verfasst sogar eine kleine Einleitung zur Predigtreihe. Beides ist unverkennbar für die Veröffentlichung bestimmt gewesen.374 Kurzum: Wir erhalten aus dem Anhang vage Hinweise auf den Grad der Verschriftlichung der Predigten im Vorfeld des Gottesdienstes. Einerseits dürfte Arnold in seinen Predigten Lücken für rhetorische Improvisationen offengelassen haben, andererseits dürfte er auch schon während der Vorbereitung die spätere Publikation seiner Predigten antizipiert und umfassende altkirchliche Recherchen angestellt haben. Auch wenn also vom Anhang der Erfahrungs=Lehre ein einzigartiges Licht auf den Gestaltungsund Publikationsprozess seiner Predigten fällt, bleiben wir letztlich auf die zu Arnolds Lebzeiten veröffentlichten Postillen zurückgeworfen und müssen, soweit es eben möglich ist, deren Methode, Gestalt und Wortwahl im Horizont seiner homiletischen Erwägungen und der Usancen der lutherischen Predigtlehre analysieren. Was die Wahl der Methode angeht, so repräsentieren die beiden Predigten zu Lk 19,41–48 in bemerkenswerter Maßstabstreue die beiden klassischen Predigttypen der analytischen und synthetischen Predigt. Dass Arnold in der Predigt von 1700 die analytische Methode wählt, liegt nahe, da er den Perikopentext auf „[d]ie ersten verrichtungen Christi in der Seele“ hin auslegen und anhand der Klage und des Wehrufs Jesu, seiner Tempelaustreibung und seiner täglichen Lehre im Gotteshaus zeigen möchte, „wie er [Christus] (I.) zu ihr [d. h. der Seele] nahet / (II.) eingehet / (III.) lehret“.375 Die zweite Predigt zu Lk 19,41–48, die in die Evangelische Botschafft (1706) eingeflossen ist und die Arnold wahrscheinlich am 27. Juli 1704 auf dem Allstedter Schloss gehalten hat, fällt hinsichtlich der 374 Vgl. die Einleitung zu den Kolosserbriefen (AEL 1 f) und die Quellenapparate zur vierten (AEL 35, 36 f), sechsten (AEL 57, 65 f), siebten (AEL 71 f, 74 f, 75 f, 79, 80), achten (AEL 88, 90), neunten (AEL 101–103) und zehnten (AEL 111) Predigt. Die Anmerkungen sind häufig zu größeren Einheiten zusammengefasst und haben den Charakter von Exzerpten. Teilweise verweist Arnold auch auf seine früheren Postillen und Arbeiten (vgl. AEL 111). Die Kolosserauslegung scheint also von vornherein zur Publikation bestimmt gewesen zu sein. 375 RWCG 13.
2. Predigt
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Methode und Durchführung völlig anders aus als die von 1700. Arnold legt hier den Schwerpunkt ganz auf den Wehruf Jesu und thematisiert den konstitutiven Zusammenhang zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes, welcher ausschließlich vom gläubigen Menschen positiv in sein Gottesbild integriert werden könne. Dazu wählt er die synthetische Methode, stellt also einen dogmatischen locus in das Zentrum der Predigt und entfaltet diesen im tractatus. Er predigt über „GOttes warnung vor dem zukünfftigen zorn“ und erschließt den Gegenstand unter drei Gesichtspunkten: „I. Warum: II. Wovor: und III. Wodurch sie geschehe“.376 Es ist also ersichtlich, dass Arnold in den Predigten die beiden konventionellen Predigtmethoden zur Anwendung bringt, die in der lutherischen Homiletik jener Zeit üblich sind – er entspricht dem homiletischen Zeitgeist. Das gilt auch für die rhetorische Ausführung der Predigtidee: Beide Dispositionen setzt Arnold in formvollendete Kanzelreden um, was hier lediglich exemplarisch an drei illustrativen Predigtsequenzen gezeigt werden kann. Ein erstes Beispiel für Arnolds außerordentliche rhetorische Gestaltungskraft ist die Feinabstimmung zwischen introitus und exordia der beiden Predigten. Wenn Arnold in der Predigt von 1700 den Zuhörern schrittweise das subtile, omnipräsente Wirken Gottes in ihrer Seele erschließen möchte, führt er sie bereits im introitus von einer schöpfungstheologischen Warte aus an dieses Thema heran, indem er mit großer Verve erklärt, dass Gottes Wille unbedingt darauf abziele, die Seele des Menschen in Besitz zu nehmen, selbst wenn der Mensch sich von Gott abwende.377 Gott sei sämtlich darauf aus, vom Menschen angenommen zu werden, er „kan […] nicht anders / als diesen seinen zweck suchen und befördern“,378 denn seine „unveränderliche liebe und neigung“379 treibe ihn unablässig zur Kontaktaufnahme mit seinen Geschöpfen an – sie tritt bildhaft über die Ufer und überflutet den Menschen.380 Gleich zum Auftakt der Rede versetzt Arnold damit seine Predigthörer in die Rolle passiver Beobachter von „spuren“381 des göttlichen Verlangens in ihrer Seele, unter die er auch und ganz selbstverständlich Gewissensnot oder geistlichen Überdruss rechnen kann, welche eine gewissermaßen verhüllte Antwort auf Gottes Kontaktaufnahme darstellen.382 Mit dem introitus korrespondiert nun aufs Engste das exordium, in dem Arnold dem universalen Handeln Gottes in der Seele des Menschen dessen Ab376 EBH
996. 1–5. 378 RWCG 1. 379 RWCG 1. 380 RWCG 2. Dass Gott den Menschen unablässig in Anspruch nehmen wolle, stellt also für Arnold keineswegs eine erfahrungsunabhängige Leerformel dar, er verweist aber auch entschieden darauf, dass Gottes Neigung zum Menschen objektiv und bibeltheologisch in der Rede von seiner Schöpfungsmacht, der Ebenbildlichkeit des Menschen und der Einhauchung des Heiligen Geistes im Garten Eden verankert ist (vgl. RWCG 3). 381 RWCG 2. 382 Vgl. RWCG 4. 377 RWCG
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II. Arnold als Pfarrer
kehr entgegensetzt. Wenn sich der Mensch der Inanspruchnahme durch Christus entziehe, verfalle er auf alle möglichen „wege“383 der Selbsterlösung wie der Werkgerechtigkeit,384 der geistlosen Gottesdienst- und Abendmahlsteilnahme385 oder der stumpfsinnigen Rezitation biblischer Plattitüden.386 Mit dem exordium begrenzt Arnold die Aktivität der Zuhörer hinsichtlich der im introitus behaupteten Wirklichkeit Gottes auf die reine Selbstbeobachtung und Offenheit jener gegenüber.387 Exordium und introitus entfalten damit die wesentlichen Prämissen in Hinblick auf das Herzstück der Predigt, den tractatus: Unter der Voraussetzung, dass Christus sich und sein Heilswerk von „vor 1700. jahren“ souverän und unabhängig von der Erschließungskraft des Menschen in der Seele zur Anschauung bringt,388 ist es Ziel der folgenden Predigt, die von Gott in der Seele freigesetzten Zustände und Kräfte zu benennen, zu beurteilen und diesen gegenüber eine Erwartungshaltung zu formulieren. Auch in der Predigt von 1704 sind introitus und exordium eng aufeinander bezogen: Der introitus wird von 1 Thess 1,10 her entfaltet („Jesu / der uns von dem zukünfftigen zorn erlöset hat“389) und zielt darauf ab, zu zeigen, dass die Erlösung kein abgeschlossener Vorgang, kein historisches Ereignis sei, vielmehr müsse Christus „uns noch täglich erlösen“390 und bete in seiner Funktion als ewiger Hohepriester nicht allein für die Seinen, sondern ermahne sie auch wie ein „guter freund / der einen vor schaden warnet“, indem er „uns zuvor verkündiget / wie GOtt nothwendig die sünden straffen und rächen müsse / wo wir nicht umkehren“.391 Das exordium spiegelt nun den introitus, insofern Arnold unter Verweis auf Jesu Wehruf deutlich macht, dass Gottes Warnungen die Gläubigen nicht in Verzweiflung stürzen sollen, als wären sie seiner Willkür und seinem Strafgericht gnadenlos ausgesetzt – vielmehr sollen sie durch die Wehrufe in eine Aufmerksamkeit für ihre Angewiesenheit auf Gott versetzt werden und dadurch zu einer vertieften Gotteserkenntnis gelangen: „[…] daß wir alle warnungen und zuvor verkündigungen GOttes / als perlen ernstlich sammlen und bewahren müssen / wo wir unversehrt durch die welt durchkommen wollen“.392 Im so aufgerufenen Spannungsverhältnis von Erlösung 383 RWCG
6. RWCG 6 f. 385 RWCG 7. 386 RWCG 7. 387 Vgl. RWCG 11: „Was könnte dir näher / leichter und heilsamer seyn / als daß du auf dein hertz lernest achtung haben / und mercken / was darinne vorgehet / was der HErr JEsus aus seinem worte dir darleget und von dir fordert? diese innerliche göttliche krafft kanstu allezeit und überall in dir haben und geniessen / ohne geräusch und mühsame umstände.“ 388 Vgl. RWCG 11–13. 389 EBH 990. 390 EBH 990. 391 EBH 992. 392 EBH 995 f. 384 Vgl.
2. Predigt
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und Warnung entfaltet Arnold im weiteren Verlauf der Predigt den tractatus: Auch die Gläubigen bleiben mit Not und Anfechtung konfrontiert, sollen diese aber in ihre Gotteserfahrung positiv integrieren. Angesichts der in der lutherischen Homiletik und auch von Arnold selbst, wenngleich später, geäußerten Bedenken, dass introitus und exordium zu ‚Predigtchen in der Predigt‘, d. h. allzu weitschweifig und prätentiös geraten können, scheint durchaus die Frage berechtigt, ob Arnold nicht auch dazu neigt, beides überzustrapazieren. Doch weit gefehlt: Die beiden Beispiele aus den Predigten zu Lk 19,41–48 zeigen die integrale, hörerpragmatische Bedeutung der beiden Redeteile. Zwar stehen der in introitus und exordium jeweils eingenommene dogmatische Standpunkt bzw. der aufgerufene Bibelvers in keinem unmittelbaren Verhältnis zur späteren Argumentation – was, wie wir gesehen haben, typisch für beide Redeteile ist –, dennoch aktiviert Arnold seine Zuhörer, indem er in den Eröffnungspassagen beider Predigten eine Spannung zwischen Gottes souveräner und allwirkender Macht in der Seele und der Passivität und Rezeptivität des Menschen markiert. Innerhalb dieser Spannung bildet die eigentliche Predigt einen Erfahrungsraum, in dem der Prediger auf eine unverfügbare und unanschauliche Interaktion zwischen Gott und Mensch verweist, ohne diese selbst etablieren oder gar vermitteln zu können. Mit anderen Worten: In introitus und exordium schränkt Arnold seine eigene Macht über das Predigtgeschehen ein und liefert die Zuhörer der Wirkung Gottes aus. Das zweite Beispiel für Arnolds rhetorische Kunstfertigkeit ist die Strukturierung und sprachliche Gestaltung der beiden tractatus. Generell orientiert sich Arnold in beiden Predigten strikt an seiner dispositio und greift zu einer expressiven, bilderreichen Sprache, die die Zuhörer in den biblischen Text involvieren, ja die Grenzen zwischen ihrer Erfahrungswelt und der Sprach- und Bilderwelt des biblischen Textes aufheben soll. Eine deskriptive, geschweige denn akademische Metasprache vermeidet Arnold weitestgehend. In der Predigt von 1700 möchte Arnold den Hörern ermöglichen, an sich selbst die pluriformen, unanschaulichen und subtilen Wirkungen Gottes in ihrer Seele anhand der aus Lk 19,41–48 gewonnenen Etappen der Annäherung, Einwohnung und Belehrung zu erkennen und ihnen gegenüber eine Erwartungshaltung aufzubauen. Arnold muss im tractatus daher beides zur Anschauung bringen: die Souveränität Gottes und die Passivität der Zuhörer. Dementsprechend sollen die Zuhörer ihre Rolle als aufmerksame Beobachter der Wirksamkeit Gottes annehmen und internalisieren. Im ersten Teil des tractatus, der sich mit der Annäherung Christi an die Seele befasst (1), setzt Arnold dieses Anliegen um, indem er die Betrübnis und Klage Christi über die Seele als eine religiöse Irritation des Menschen beschreibt.393 Die „ersten beklemmungen und bedrängniße“,394 die intuitive Abkehr der Seele von 393 Vgl.
RWCG 14. 15.
394 RWCG
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II. Arnold als Pfarrer
Gott,395 die „ängstliche[] blocqvade oder belagerung“396 durch die Sünde möchte Arnold allesamt auf die Annäherung Gottes selbst zurückführen und die Zuhörer dessen versichern, dass – neben frommen Erinnerungen der Seele, der Heiligen Schrift oder der Heilsverheißungen – auch alle seelischen Missempfinden Marken auf dem Weg der göttlichen Lockung sind.397 Das Eingehen Christi in die Seele (2) sei die zweite Verrichtung und wird in Analogie zu Jesu Inbesitznahme des Tempels verstanden. Die Austreibung der Händler kommt der Austreibung der Dämonen und Teufel gleich, die um der zeitlichen und weltlichen Dinge des Menschen „edle kräffte / seine liebe und begierde abstehlen und gleichsam abhandeln“.398 Pointiert macht Arnold nun darauf aufmerksam, dass es ausschließlich Christus sei, der diesen Kampf um die Seele ausfechten und gewinnen könne, nicht der Mensch selbst: In die Mördergrube der Seele könne nur Christus Licht und Ordnung bringen,399 Christus würde eingehen, wenn sich die Seele ihm ergibt, d. h. „ihm nicht länger widerstehet“.400 Die Tempelaustreibung avanciert bei Arnold also vor allem zum mahnenden Beispiel für die Passivität des Menschen, möchte aber nicht in erster Linie zum Bußkampf anspornen, mit dem der Mensch die widergöttlichen Kräfte der Seele selbst zu überwinden versucht. Die Zuhörer in ihre Passivität zu verweisen, findet im letzten Punkt des tractatus eine Zuspitzung: Die letzte Verrichtung Christi in der Seele, die Lehre (3) (nach Lk 19,47), möchte Arnold vor allem auf das intellektuelle Vermögen der Seele und die Eingewöhnung in die Gotteserfahrung beziehen: „Zuvorher findet er [Christus] viel zu straffen / zu schelten und auszumustern im gemüth / oder das böse wegzuräumen: Nun aber fängt er an das gute zu pflantzen und einzudrucken. Denn er lehret den nicht anders / als den willen des vaters. Was ist aber dieser wille? Daß / wer den sohn siehet / in seinem hertzen / und gläubet an ihm / der habe das ewige leben / wie er sagt / Joh. VI,40.“401
395 Gottes Wirken im Menschen wird ausgehend vom Predigttext als das Fremde, Heilige und dem Wirken des Menschen Entgegenstrebende bzw. ihn Irritierende bestimmt. Der Mensch verfügt nicht über seine Empfindungen, sondern erlebt sich als Gott völlig ausgeliefert: „So wisset nun / L. seelen / daß es auf lauter aller süsse vergnügung angesehen sey [nämlich auf die Inbesitznahme der Seele durch Christus] / wenn ihr in eure hertzen etwas gewahr werdet / das euch über dem bösen bestrafft / beschämt / angst und bange macht / oder zum guten reitzet. Denn dieses kan niemand thun in euch / als GOtt in seinem sohn / als die ewige liebe / weil es eine heilige und geistliche sache ist / die euer ewigs wohl betrifft“ (RWCG 18 f). 396 RWCG 21. 397 RWCG 21. Zudem gebe es in jedem Menschen ein okkultes, nicht zielgerichtetes Fragen nach Gott: „Wie offt habt ihr ein verborgenes seuffzen in euch gefühlet / und nicht gewust / woher es komme / oder was es auff sich habe?“ (RWCG 22) Aber wie oft – fragt Arnold weiter – werde dieses Seufzen zurückgewiesen und beiseite gedrängt (vgl. ebd.)? 398 RWCG 25. 399 Vgl. RWCG 27–30. 400 RWCG 24. 401 RWCG 31.
2. Predigt
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Dabei ist es überaus markant, dass Arnold jene Belehrung der Seele durch Christus begrifflich nicht weitergehend erschließt, sondern sie in ihrem durchweg übernatürlichen, supranaturalen Charakter bekräftigt: Arnold bezeichnet Jesu Lehre als Licht,402 als Geheimnis403 und eine Einprägung „dieser oder jener himmlischen güter selbst ins hertz“.404 Ebenso flüchtig sind Arnolds zwei, in diesem Zusammenhang platzierte pragmatische Ratschläge: Erstens solle man Christus beständig zuhören, denn er sei kein „stummer Götze“.405 Zweitens müsse man sich darauf einstellen, von den Vertretern der Scheinreligion angefeindet zu werden, sei doch im Predigttext von der Tötungsabsicht der Jerusalemer Priesterelite die Rede (Lk 19,48).406 Der tractatus ist also durchweg von einer Spannung zwischen der unbeschränkten, allgegenwärtigen Wirksamkeit Gottes und der Einfindung des Menschen in eine reine passive Haltung dieser gegenüber gekennzeichnet. Konzeptionell wie auch rhetorisch werden die Zuhörer in die Schranken der Rezeptivität verwiesen: Gott handelt an ihnen, formt sie, bringt sich in ihnen zur Geltung, sie werden von ihm beschienen, ihnen werden die Güter des Himmels eingeprägt, sie werden von Gott oder den dämonischen, widergöttlichen Mächten belagert. Im Vergleich zur Predigt von 1700 wirkt Arnolds Predigt von 1704 viel textferner und weitschweifiger, was jedoch kein rhetorischer Missgriff ist, sondern vielmehr damit zusammenhängt, dass der Prediger die synthetische Methode wählt. Ausgehend von der Überlegung, dass die Stadt Jerusalem die ganze Kirche als corpus permixtum symbolisiert, so dass Jesu Wehruf nicht nur die scheinhaften, sondern auch die wahren Gläubigen ergreife, möchte Arnold in seiner Predigt die Ernsthaftigkeit und Bedrohlichkeit des Wortes Gottes für die Frommen herausstellen und zeigen, dass sich Not und Bedrängnis positiv in das Gottesverhältnis integrieren lassen müssen. Dieses Ziel kennzeichnet bereits den ersten Teil des tractatus, in dem Arnold (1) zwei Ursachen der Warnung Christi vor Gottes Zorn benennt: „Auff seiner seite / seine tieffe erbarmung und gerechtigkeit; auff unserer die übergrosse unwissenheit.“407 Die erste Ursache – die Zusammengehörigkeit von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – könne sich nicht dem natürlichen Menschen erschließen, dem es unsinnig vorkommen könne, dass ein Richter, der ein Todesurteil fällen wolle, dies unter Tränen tue.408 Der geistbegabte Mensch jedoch könne „dem HErrn JEsu recht ins hertz sehen / wie ers meyne“ und erkennen, „wie es innerlich blute und weine / wenn er äusserlich noch so scharff scheinet zu reden oder zuzuschlagen“.409 Die zweite Ursache sei schlichtweg die 402 Vgl.
RWCG 32. 32. 404 RWCG 32. 405 RWCG 34. 406 Vgl. RWCG 35 f. 407 EBH 996. 408 Vgl. EBH 996 f. 409 EBH 998. 403 RWCG
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II. Arnold als Pfarrer
grobe Unwissenheit, Selbstzufriedenheit und Selbstbezogenheit des Menschen, welche nur durch große Gesten und markige Drohworte erschüttert werden können.410 Hat Arnold damit in diesem ersten Abschnitt die Allgemeingültigkeit des Drohwortes herausgestellt, wendet er sich im zweiten Teil des tractatus dem Gegenstand der Warnung Christi zu (2): Gottes Zorn ergehe über Ungläubige und Fromme gleichermaßen, beide Gruppen würden sich jedoch hinsichtlich des Umgangs mit ihm unterscheiden.411 Während die Gefallenen ihm schonungslos ausgesetzt seien, würden ihn die Frommen zum Anlass nehmen, ihren „alten Menschen“ zu züchtigen und sich Gott ganz und gar zu ergeben.412 Das Böse in der Welt und deren Nöte – Armut, Krieg, Krankheit und Trübsal – müssen notwendigerweise ihren Ursprung in der Gerechtigkeit Gottes haben: „Woher brennt jetzo die halbe welt in der greulichsten kriegs=flammen? Ists nicht der gerechte HErr / der solches alles thut?“413 Die Gläubigen verstehen die Drohungen Gottes als Aufruf zur Wachsamkeit hinsichtlich der steten Gefährdung der eigenen Seligkeit: Entgegen seiner „leichtfertige[n] natur / die noch immer spricht: Es ist friede / und hat keine gefahr“414 müsse sich der Mensch immer wieder Gott unterwerfen. Die Mittel bzw. „methode“415 der Warnung Gottes (3), denen Arnold sich im dritten Teil des tractatus zuwendet, kann er unmittelbar aus dem Predigttext herleiten: Gott warne mit Worten, sei es durch seine Propheten, durch Christus oder die – freilich subtilere – Rührung des Gewissens: „Diß ist dein eigener tag / da dich GOtt noch gnädig heimsucht. Versaumest du es / so folgen schlage drauff.“416 Zuletzt warne Gott mit Werken, wobei Arnold – ausgehend von der Tempelaktion Jesu – diese vor allem als „austreiben des bösen“ und (der darauf folgenden) „eingebung des guten“ versteht.417 Die Austreibung der Käufer geschehe um des Menschen willen, der „in seinen unruhigen sinnen und 410 Vgl. EBH 999. Dabei unterscheidet Arnold wie in der Predigt von 1700 zwischen dem Scheinglauben auf der einen und der wahren Ergriffenheit und Betroffenheit angesichts der Warnung Jesu auf der anderen Seite: Auch den Juden habe es offen gestanden, Christus als Messias anzuerkennen – Arnold spielt auf die Messiasverheißungen des Alten Testaments an – (vgl. EBH 999 f), Voraussetzung des Glaubens sei es aber (nach Lk 19,42), sich „durch den Heiligen Geist erleuchten zu lassen / und lernen / was uns zum frieden dient“ (EBH 1000). Dazu müsse Christus den Menschen antreiben: Wie Ezechiel auf Zuruf Gottes die Wand seines Herzens durchgraben sollte (nach Ez 8) – eine Reminiszenz an Tauler! –, solle der Mensch erkennen lernen, „warum wir unsern frieden nicht erkennen / oder was uns GOttes friedens=vorschläge unbekant oder doch bitter mache“ (EBH 1000). 411 Vgl. EBH 1003. 412 Vgl. EBH 1004: „Daher kommts auch / daß die heiligkeit GOttes einen glaubigen immer in der enge hält / und über allen unrechten worten und gedancken durch die zucht ihm bange macht. […] Item / daß die innerliche anfechtungen eine seele offt so pressen und an allen orten quälen / daß kein stein auf dem andern bleibt / kein guter gedancke fast scheint übrig zu seyn im hertzen / sondern alles wüste / ausgebrannt und zerstört / was gut schiene.“ 413 EBH 1005. 414 EBH 1006. 415 EBH 1006. 416 EBH 1006. 417 EBH 1007.
2. Predigt
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wildem unbändigem willen lernt stille werden / und sich zu JEsu füssen in niedrigkeit hinwerffen“.418 Nur auf diese Weise würde sich der Mensch der Lehre Jesu, von der im Predigttext die Rede ist, unterwerfen können.419 Ähnlich wie in der Predigt von 1700 geht es Arnold darum, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die unbemerkten Wirkungen Gottes in ihrer Seele zu lenken. Dieses Mal möchte er jedoch vor allem ein Bewusstsein für die Zwielichtigkeit der eigenen Selbstsicherheit und Willensautonomie schaffen: Der Wehruf Jesu ziele ganz darauf, Frommen wie Ungläubigen in Erinnerung zu rufen, dass Gott die betäubende Selbstsicherheit des Menschen immer wieder und auf unterschiedliche Weise erschüttert. Physische Not wie auch geistliche Bedrängnis erfüllen insofern eine positive Funktion im Gottesverhältnis, als sie jede Selbstermächtigung des Menschen in Frage stellen und ihn in seine Angewiesenheit auf die Inanspruchnahme durch Gott verweisen. Das dritte und letzte Beispiel für Arnolds rhetorische Brillanz ist die gezielte Alterierung von Explikation und Applikation und die persuasive Zuspitzung der Predigt auf die Zuhörer, wie sie in der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts gemeinhin gefordert und als Qualitätsmerkmal einer Predigt ausgewiesen wird. Diese Alterierung manifestiert sich vor allem in den Schlusspassagen der Predigten, in denen Arnold seine Erwägungen in entsprechende Handlungsimpulse bzw. Perspektivveränderungen überführt. So mündet der tractatus der Predigt von 1700 in eine peroratio, in der Arnold eine Rückfrage fingiert, die er rein sachlich bereits im tractatus beantwortet hat: „Was denn nun an seiten des menschen nöthig sey / wenn sie Christum also in sich wirckend haben wolle?“420 Hier möchte Arnold noch einmal jedwedes „eigen wircken“421 des Menschen hinterfragen und erschüttern. Ihm bleibe nur dies: „Drum mercke diß einige zuförderst du solst den lieben GOtt um seinen H. Geist bitten / daß du nur sein Werck in dir nicht hinderst.“422 Diese Bitte um den Heiligen Geist und die Einübung in die Passivität und Offenheit für das Wirken Gottes stellen jeden menschlichen, d. h. aber auch kirchlichen Heilsweg in Frage.423 Alles komme darauf an, das Anklopfen Christi an die Tür der Seele abzuwarten und Gott „raum und zeit“ zu lassen, damit er die Weltverfallenheit der Seele – die Wechsler und Händler – austreibe.424 Mit dem Hinweis, Jesu Anklopfen sei keine Überwältigung der Seele, kein Einbruch, sondern eine vorsichtige Annäherung, scheint Arnold den Zuhörern einen Finger auf die Lippen legen und sie zum gespannten Horchen in sich selbst hinein bewegen zu wollen:425 418 EBH
1010. EBH 1010. 420 RWCG 36. 421 RWCG 37. 422 RWCG 37. 423 Vgl. RWCG 38. 424 RWCG 38. 425 Vgl. RWCG 39 f. 419 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
„So wagets dann auff Christum / der sich in euch nicht unbezeugt läst. Denn ich weiß / er klopffet in euch allen an / keinen ausgenommen! […] Drum gehet dieser spur nach / und haltet ob diesem wort des lebens / das gewiß ist. […]“426
Mit einem ähnlichen Hinweis auf das fortwährende Wirken Gottes in der Seele möchte Arnold auch die Predigt von 1704 beschließen: Christus habe keineswegs aufgehört, zum Menschen zu reden, immer noch klopfe er an dessen Herzenstür an.427 In jener Predigt hat dieser Hinweis freilich eine ganz andere Tendenz, insofern er im Kontext des markerschütternden Wehrufs Jesu zu stehen kommt: Eine Überwindung der Anfechtungen und der Not sei nicht in der sichtbaren, äußerlichen Kirche – unter den jüdischen Schriftgelehrten so wenig wie unter den Papisten und den vermeintlich evangelischen Lehrern –,428 sondern nur in Christus selbst, d. h. aber in der Erfahrung seiner innerlich-geistlichen Belehrung möglich: „O last uns dieser erscheinenden züchtigenden gnade in JEsu Christo wohl warnehmen / und seine holdseligste lehren / die aus seinem munde trieffen / einfältig auffassen / ihnen von hertzen folgen / und also dem verderben entgehen / das über den erdboden kommt.“429
Arnold verpflichtet also ein letztes Mal seine Zuhörer auf die gespannte Erwartung der kommenden Anfechtung und mahnt sie – anders als in der Predigt von 1700, die auf das stille Hineinhorchen zugespitzt war – zur Wachsamkeit hinsichtlich jeder trügerischen Selbstsicherheit und Weltliebe. Fassen wir die Beobachtungen kurz zusammen: Arnold ist hinsichtlich der Disposition, Methodenwahl und elocutio nicht nur auf der Höhe seiner Zeit, sondern setzt die Kunstmittel der lutherischen Homiletik nahezu vorbildlich um. Er vermischt die Methoden nicht miteinander, gibt sich hinsichtlich der Disposition überraschend konformistisch und versteht sich darauf, die ihm zur Verfügung stehenden rhetorischen Mittel – Sprachbilder, Pleonasmen, Allegorien, Metaphern – so einzusetzen, dass die Zuhörer für das göttliche Wirken in ihrer Seele sensibilisiert werden.
2.2.3. Actio: Temperierung, Selbstbeherrschung, Nachbesprechung Wie der Prediger auf der Kanzel auftreten, wie er seine Stimme modulieren und gestikulieren soll, wird in der lutherischen Orthodoxie ebenso ausführlich reflektiert wie die inventio und Ausarbeitung der Predigt. Insbesondere Quenstedt geht ausführlich auf die actio ein und entwirft das Idealbild eines besonnenen und zurückhaltenden Predigers: 426 RWCG
42. EBH 1010. 428 Vgl. EBH 1011 f. 429 EBH 1011. 427 Vgl.
2. Predigt
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„[110] Er soll eine klare, artikulierte, süße und ernste Stimme gebrauchen, angemessen [accommoda] der Person des Redenden, des zu besprechenden Gegenstandes und schließlich der Person des Hörers.“ „[111] Er soll seine Stimme so temperieren, dass die Ausführung und Betonung [Actio & Pronunciatio] hinsichtlich des Wesens und der Beschaffenheit der Angelegenheiten dasjenige nach und nach erwecke und gleichsam erhitze, was am Beginn der Predigt noch beschwichtigt wurde, vor allem aber in den Ermahnungen, Warnungen und Züchtigungen.“ „[112] Die Monotonie, ständige Klage, anhaltendes Gebrüll, eine gequälte Stimme und das Gelalle soll er tunlichst fliehen.“ „[113] Er soll bedächtig sprechen und seine Äußerungen nie überstürzen.“ „[114] Gesten soll er angemessen und ernst gebrauchen.“ „[115] Künstelei [Affectatio] soll er vermeiden.“ „[116] Er soll zwei Extreme beim Halten der Predigt vermeiden: Waghalsigkeit und zu große Behutsamkeit oder Kleinmut.“ „[117] Er überschreite bei der Rede keine Stunde ohne ernsten Grund.“ „[118] Er soll im Stehen predigen, es sei denn das Alter belastet ihn oder eine Krankheit zwingt es ihm auf, Platz zu nehmen [sessionem].“
Nach Quenstedt muss der Prediger dazu in der Lage sein, während der Predigt sich selbst und seine Hörer genau zu beobachten und seine laufende Kanzelrede gegebenenfalls zu modifizieren, wenn er bemerkt, dass sie nicht den gewünschten Effekt erzielt und die Zuhörer verfehlt – er müsse dazu im Stande sein, das Gesagte ad hoc zu korrigieren, zu profilieren oder klarzustellen: „[119] Wenn irgendetwas während der Rede schlecht gesagt wird, soll er es entweder sofort oder im weiteren Verlauf der Predigt verbessern.“
Quenstedts Überlegungen zur actio stehen in einem engen Zusammenhang mit seiner Pastoraltheologie. Entsprechend seiner Rolle innerhalb der Gemeinde soll der Prediger auf der Kanzel familiär reden: „[54] Seine Zuhörer soll er aufrichtig lieben, wie ein Vater, wie ein Bruder.“ „[57] Er soll sich seinen Hörern, dem Ort und der Zeit anpassen [accommodet].“
Über Arnolds Predigttätigkeit liegen keine externen Zeugnisse vor, wenn man von dem kurzen Bericht über sein tragisches Dienstende auf der Perleberger Kanzel 1714 im Gedoppelten Lebens=Lauff absieht. Am Rande seiner homiletischen Überlegungen kommt er jedoch hin und wieder auf die actio und die Nachbereitung der Predigt in der Gemeinde zu sprechen. Arnolds verstreute Überlegungen, die sich mit Quenstedts Monita teilweise überschneiden, lassen sich auf einem kleinen Plakat zusammentragen:
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II. Arnold als Pfarrer
- Im Zusammenhang mit der Gesetzespredigt weist er darauf hin, dass der Prediger sich maßvoll verhalten, seine Zuhörer z. B. nicht anschreien soll. Die Temperierung der Affekte, die er in der Geistlichen Gestalt als Ausdruck einer reifen, mystischen Gottesbeziehung ausgewiesen hat, möchte er auch für die Predigt veranschlagen: Der Prediger soll seine Zuhörer als Gleichgestellte und als Ratsuchende verstehen, sich selbst als Ratgeber.430 - Über die Länge der Predigt solle der Prediger sich nicht den Kopf zerbrechen, beides – eine lange oder kurze Predigt – habe seine Vorzüge, wobei Arnold spürbar mit der kürzeren Form sympathisiert.431 Tatsächlich lassen sich seine ordentlich disponierten Predigten aus der Verklärung und Botschafft – langsam und prononciert vorgetragen – in ungefähr einer Stunde zu Gehör bringen, was den damaligen Usancen entsprechen würde. - Ob Arnold seinem eigenen Rat gefolgt ist, lediglich wenige Stichworte zu notieren und die Predigten weitestgehend frei zu halten, um der Wirksamkeit des Geistes größtmöglichen Raum zu geben, muss, wie bereits angemerkt, offenbleiben. Wenn er jedoch meint, dass man sich nicht davor fürchten solle, die Predigten „ex tempore“ zu halten, und dies bei ihrer Vorbereitung von vornherein miteinzuplanen,432 dürfte es sich durchaus um einen konkreten Erfahrungswert handeln, wie die Fragmente im Anhang der Erfahrungs=Lehre andeuten.433 Gleiches gilt für den Hinweis, dass es mitunter ergiebiger sei, den Geist wirken zu lassen, als den eigenen „vorsatz oder so genanntes concept“434 auszuführen. Homiletische und theologische Flexibilität sind also unabdingbare Voraussetzungen für die Predigt. Nimmt man ihn beim Wort, so dürfte Arnold als ein milder, besonnener, selbstdistanzierter und achtsamer Prediger aufgetreten sein, der seine Predigten wahrscheinlich im Vorfeld ausgearbeitet, auswendig gelernt und dann frei und nur mit Hilfe der dispositio und weniger Stichworte vorgetragen hat. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, wenn auch nur in einem sehr weiten Sinne dem Theoriefeld der actio zuzuordnen, sind Arnolds späte Äußerungen zur Bedeutung der Predigt im Gemeindealltag in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt (1712/1723). Hinsichtlich der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Predigt stellt sich mittlerweile eine spürbare Ernüchterung ein, welche mit der Methodenkritik, die sich ab 1709 in den Rede-Postillen Bahn bricht, Hand in Hand geht.435 Hatte Arnold noch in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt unter 430 Vgl.
Kapitel I.3.3.2. GG 447. 432 Vgl. ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)7v: „Denn da wird man im glauben desto getroster an solche arbeit gehen / je mehr man sich vom H. Geist aus seinem wort fein lange zuvor hat lehren und gewöhnen lassen / in Göttlicher einfalt und lauterkeit allezeit zum volck zu reden.“ 433 Vgl. Kapitel II.2.2.2. 434 ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)8r. 435 Vgl. zur Predigtmüdigkeit im 17. Jahrhundert Sträter, Meditation, 73–90. 431 Vgl.
2. Predigt
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Verweis auf Luther die Predigt als vornehmliche Art der Lehrtätigkeit des Pfarrers ausgewiesen, was auch den Obliegenheiten seines Amtes als Schlossprediger entsprach,436 billigt er in der Zweitauflage der katechetischen Unterweisung (nicht nur der Jugend, sondern der ganzen Gemeinde!) einen deutlichen Vorrang in der Lehrtätigkeit des Pfarrers zu – vor der Predigt. Mag diese auch noch so gut disponiert und ausgearbeitet sein, Arnold bringt verschiedene Formen des gemeindlichen Nachgesprächs und der Rekapitulation der Predigt ins Spiel, was freilich nicht heißt, dass man mit den Zuhörern die Disposition der Predigt und jeden einzelnen Gedankengang erneut durchgehen solle. Wenn man aufrichtige, ernst gemeinte Nachgespräche führen wolle, möge man sich vielmehr auf den „Kern und die rechte Krafft der Predigt“ – in den Worten der Theologia Experimentalis: deren Erfahrungsrelevanz – besinnen. Dies fördere die Hörerkonzentration und hinterlasse einen bleibenden Eindruck.437 Mit diesen Hinweisen auf das Predigtnachgespräch stehen Arnolds Überlegungen zur Einrichtung und Durchführung eines collegium pietatis in unmittelbarem Zusammenhang, welches neben Predigt und Kinderunterricht die dritte Form der pastoralen Lehrform darstellt. Wenn Arnold darauf hinweist, dass derlei „privat-Zusammenkünffte“438 die im Gottesdienst, d. h. aber vor allem die in der Predigt behandelten Themen oder auch andere erbauliche Bücher zum Gegenstand haben können, entspricht dies passgenau dem Spenerschen Ideal.439 Freilich ist sich Arnold dessen bewusst, dass die Konventikel nach wie vor umstritten sind, doch ihr herausragender Nutzen – ganz im Gegensatz zur Predigt und zum Gottesdienst insgesamt – bestehe in der Freiwilligkeit der Anwesenden, seien es doch vor allem die aufrichtig „[g]ottsuchende[n] Seelen“, die sie besuchen würden, während Heuchler und Ungläubige sie mieden oder nach kurzer Zeit ihre Teilnahme absagen würden.440 Arnold gibt sich daher zuversichtlich: „Damit hat man denn einen feinen Selectum von hungrigen Gemüthern, denen man nach Christi Exempel die Gleichnisse der Wahrheit besonders auslegen kann, und viel sicherer in allen reden mag, als wo man viel Spötter und Widrige darunter hätte.“441 436 Vgl.
GG 447: „Bey den übrigen Puncten / was die öffentl. Predigt= und Lehrart betrifft / werde ich mich nicht aufhalten […].“ Arnold verweist hinsichtlich der „privat=Unterrichtung“ auch auf die Erste Liebe (2,10,19), entfaltet seine historische Rekonstruktion aber an dieser Stelle nicht noch einmal. Stattdessen formuliert er eine Problemanzeige (GG 447 f): „Denn es ist freylich der öffentliche Vortrag nicht allezeit hinlänglich und gnugsam / die Leute zubekehren [sic!] / oder auch weiter fortzuführen. Es richten auch die andern Anstalten und privat=Handlungen nicht alles auf einmal aus. Denn wenn man dabey aufs blosse Wissen oder Wiederhersagen dringet und siehet / so werden die Leute gemeiniglich nur bloße Mundschwätzer und Heuchler / die es vor eine Ehre halten / wenn sie dem Prediger hurtig antworten / die Sprüche nachschlagen oder anziehen / und damit vor gute Christen paßiren können.“ 437 GG2 2,376. 438 GG2 2,377. 439 Vgl. GG2 2,377. 440 GG2 2,378. 441 GG2 2,379. Der Umfang des Anmerkungsapparates zum Wesen, Nutzen und zur
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II. Arnold als Pfarrer
Die gute Ordnung müsse auch in den Collegia gewahrt bleiben. Sie sollen – auch hier folgt Arnold Spener – „von einem erleuchteten Vorsteher dirigirt werden, so daß dabey alle Unordnung und Anlaß zum Bösen verhütet, niemanden leicht ohne Prüfung zu reden verstattet und sonst alle Unordnung und Anlaß zu Lästerungen verhütet werde“.442 Der Leiter, d. h. der Pfarrer, müsse darauf achten, dass alles sittsam, ruhig und andächtig zugehe, was natürlich auch bedeutet, dass Frauen und Männer getrennt voneinander tagen.443 Nicht nur die Gemeindeglieder, sondern auch der Pfarrer selbst könne von den Collegia ungemein profitieren: Sie würden ihm zum einen eine individuelle Förderung der Frömmigkeit seiner Gemeindeglieder ermöglichen, zum anderen gelinge es ihm hier, „auch die Gemüther näher zu erkennen, und also manchen insonderheit zu dienen, die sonst aus Blödigkeit zurücke blieben“.444 Kurzum: Arnolds Unzufriedenheit über die Predigt als Lehrform scheint sich vor allem an ihrer Monologizität zu entzünden, die er durch dialogische Formen der Nachbesprechung eingeholt und aufgebrochen sehen möchte. Von dieser späten Kritik Arnolds fällt auch ein Schlaglicht auf die 1709 und 1711 publizierten Reden und die 1714 herausgegebene Theologia Experimentalis.
2.3. Zum Verhältnis von Predigten, Reden und Theologia Experimentalis Obwohl auch die Evangelischen Reden (1709 und 1711) und die Theologia Experimentalis (1714) das Postillenformat bedienen und predigtähnliche Bibelauslegungen darstellen, wurden sie bisher aus der Untersuchung weitestgehend ausgeklammert, weil sie für Arnolds Predigtweise im engeren Sinne nur von nachrangiger Bedeutung sind: Die Reden stellen keine authentischen Predigten dar, sondern sollen die methodus heroica, die freie, ungebundene Rede veranschaulichen und sind offenbar als Lesepredigten konzipiert gewesen. In der Theologia systematisiert Arnold seine früheren Predigten zu zusammenhängenden, dogmatischen Erörterungen, so dass die einzelnen Kapitel literarisch überformt und kaum mehr als Predigten erkennbar sind. Dies gilt es nun in gebotener Kürze und – der Anschaulichkeit halber – wiederum zugespitzt auf Arnolds Auslegungen von Lk 19,41–48 zu erweisen. In der Vorrede zu den Reden von 1709 greift Arnold eine kontroverse Frage der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts auf, nämlich ob Luther – „sonst aber niemanden nach ihm“ – als einem „ausserordentlichen werckzeug und bothen GOttes“ die so genannte methodus heroica445 und damit eine prophetischDurchführung der Collegia gibt Aufschluss über die apologetische Tendenz der Passage: Arnold beruft sich auf Schomer, Spener, Seckendorff, Winkler, Lange u. a. 442 GG2 2,379. 443 Vgl. GG2 2,380. 444 GG2 2,380. 445 ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)2r.
2. Predigt
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apostolische Überzeugungskraft jenseits aller rhetorischer Konventionen oder akademisch erworbener Eloquenz zugekommen sei. Die methodus herocia sei – Arnold bedient sich einer Definition Christoph Schleupners (1566–1635) – die „ungekünstelte art zu reden (genus dicendi ἄτεχνον) da die lehrer des himmlischen worts / die mit einem sonderbaren Geist und Göttlicher krafft begabet seyn / eine heilige sache meist ohne eintheilung und mit verschweigung der proposition, auch mit hindansetzung der andern stücke aus der Logic und Rhetoric, bloß nach dem trieb und eingeben des H. Geistes mit wundersamen eifer weißheit und geschicklichkeit in der versammlung abhandeln als eine Prophet= und Apostolische rede“.446
In der Vorrede auf die Postille verfolgt Arnold nun zwei Argumentationslinien. Zum einen verteidigt er die methodus heroica, indem er betont, dass ein Verzicht auf die „eintheilung“, d. h. dispositio, und „proposition“ nicht bedeutet, dass die durch eine methodus heroica erschlossene Rede dunkel, ziellos und unstrukturiert sei.447 Auch wenn er sie nicht für unbedingt notwendig hält, gesteht Arnold von einer pneumatologischen Warte aus den Arbeitsschritten der dispositio und elocutio 446 ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)2v–(*)2r. Arnold zitiert aus Schleupners Tractatus de quadruplici methodo concionandi (Leipzig 1608). Er hat laut CBA die Zweitausgabe von 1610 besessen (vgl. Marti, Rhetorik, 69 Anm. 167). In der mir zugänglichen (dritten) Ausgabe von 1613 findet sich das Zitat auf Seite 5 f: „Methdous concionandi Heroica est genus dicendi ἄτεχνον, ubi verbi coelestis Doctores peculiari spiritu & Divina virtute praediti, materiam quandam sacram, omissa plerunque partitione & suppressa propositione, neglectisque alijs Logices & Rhetorices requisitis, ad Spiritus sancti dictamen & incitamentum, zelo, sapientia & dexteritate admirabili, instar orationis Propheticae & Apostolicae, pro concione tractant.“ Arnold vermerkt ausdrücklich, dass auch Quenstedt im 83. Monitum auf Schleupner verweist (Quenstedt, Ethica, 613 [nicht 503, wie Arnold angibt]). Carpzov kommt ebenfalls auf den vermeintlich unkonventionellen Predigtstil Martin Luthers zu sprechen, stellt allerdings klar, dass der Reformator keineswegs, wie man landläufig meine, unmethodisch (ἀμεθόδως) gepredigt habe, sondern, wie schon Chrysostomus, beide Methoden nebeneinander verwendet, d. h. seine Predigten durchaus regelgetreu ausgefertigt habe. Carpzov möchte sogar in einer kleinen Fallstudie den analytischen als auch den synthetischen Predigttypus in einer Predigt Luthers nachweisen (vgl. Carpzov, Hodegeticum, 72–76 [1/X,5]). Trotzdem hebt auch Carpzov hervor, dass die Predigtweise Luthers exzeptionell, genial und im Grunde unnachahmlich sei, und mahnt dazu, „ein gewisses Etwas vom Geist unseres Helden (aliquid Heroici Spiritus), das wir weder nachahmen können noch sollen, in Ehren zu halten“ (a. a. O. 70 f [1/X,4]). 447 Im Einzelnen erwägt Arnold vier Punkte. Erstens dürfe auch der Prediger, der auf die methodus heroica zurückgreife, niemals aufs Geratewohl und „in seiner natürlichen frechheit und vermessenheit“, sondern nur nach einer eingehenden Meditation und Selbstprüfung auf die Kanzel treten, so dass jeder Predigtmethode die Vergewisserung des Gottesverhältnisses vorausgehe (ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)2v). Zweitens finde die geistbegabte Predigt die Grenze ihrer Freiheit an der Verständlichkeit: Die Predigt des Wortes Gottes erfordere „hohe[n] ernst und grosse[n] fleiß“ und dürfe nicht zur unbedachten Plauderei auswachsen, da der Geist, der sie bewirke, der „Geist der weisheit und des verstandes“ sei (ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)2v). Drittens sei in der Predigt eine „Göttliche Ordnung“, „verständige einrichtung“ oder „rechte eintheilung des worts“ (nach 2 Tim 2,15) erforderlich, weil das menschliche Herz darauf angewiesen sei, „daß ihm die geheimnisse des reichs Gottes auf eine vernehmliche und unverworrene art vorgeleget werden“ (ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)3r). Viertens stellt Arnold klar: Keineswegs wolle er „dem affectirten gekünstelten wort gepränge und bloß vernünfftlichen dispositionen / inventionen und philosophischen menschen satzungen derer Weltgelehrten“ das Wort reden, denn eine derartige
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ihre bleibende Berechtigung zu, denn er sieht auch die methodus heroica von der Prämisse der Akkommodation getragen: Der Geist Gottes, der den ‚heroischen Prediger‘ leitet, passe sich dem Verständnisvermögen der Menschen an, rede gern und freiwillig auf „menschliche vernehmliche art“, binde sich aber nicht an von Menschen erlassene „Methoden und lehrarten“ oder die „vorschrifften der praeceptorum homileticorum“.448 Wie Christus die Worte des Vaters gesprochen habe, so verkündige auch der Prediger die Worte Gottes und müsse sich keiner Methode verschreiben oder einer homiletischen Technik unterwerfen.449 Arnold setzt daher Johann Hülsemanns Wesensbestimmung der dispositio als „forma externa“ oder „assistens einer Predigt“ voll und ganz ins Recht, da sie keiner „innerliche[n] nothwendigkeit“, sondern allein „dem willen des Predigers“ folge.450 Auf einer zweiten Argumentationslinie wendet sich Arnold entschieden gegen die Behauptung, dass die methodus heroica nur Luther als dem Übervater der lutherischen Predigtkunst zugekommen sei. Heldenhaft an Luthers Predigtweise sei ja, dass dieser „in der wahren freiheit des Geistes nach dessen trieb und regiment aus völligen glauben“451 gesprochen habe.452 Wolle man die methodus heroica zu einem archaischen Ideal stilisieren, das von keinem Nachgeborenen eingelöst werden könne, würde man unter den Predigern letztlich nur den falschen Ehrgeiz wecken, es dem Kanzelhelden Luther gleichzutun, und damit den Kern der methodus heroica gründlich verkennen, denn was landläufig als heldenhaft verstanden werde, bezeichne ja im Grunde genau das Gegenteil eines selbstermächtigten „confuse[n] und geistlose[n] geschwätze[s]“,453 nämlich eine Unterwerfung unter das Wirken „kunst=methode“ gehe keineswegs aus der „krafft des heiligen Geistes“ hervor (ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)3v–(*)4r). 448 ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)8v. 449 ERE, Vorrede des Ausgebers, (*)8v–(**)1r. 450 ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)1r. Arnold zitiert hier aus Hülsemanns Oratoriae ecclesiasticae liber unus, in der Wittenberger Erstausgabe (1633) findet sich die von Arnold zitierte Passage auf Seite 62 f (VI,II/1 f): „1. Forma Externa Concionis est ejusdem, secundam partes communis Oratoriae, artificialis dispositio. 2. Dicta est Assistens & Externa, quod nulla intrinseca necessitate, sed Concionatoris voluntate, in concionis essentiam, perferatur potius, quam ingrediatur; cum Prophetarum & Apostolorum, Patrum, etiam plaeraeque conciones, etsi partes illas Orationis, quoad materiam ordinem, &, ut plurimum sine Exordio, dicendi faciant exordium, sine Propositione proponant, & sine confutationis mentione adjecta, confutent.“ Zwar hätten die Prediger, auch die herausragendsten der Alten Kirche w ie Ambrosius, Augustin, Basilius, Chrysostomus, Gregor von Nazianz, ihren Predigten eine Ordnung zugrunde gelegt, doch von einer „eigentliche[n] Methode im reden“ könne nicht die Rede sein (vgl. ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)1v): Die freie, ungekünstelte Rede zum einfachen Volk sei nahezu charakteristisch für die Alten Lehrer gewesen, weswegen ihre Predigten – getreu der Etymologie der ὁμιλητική τέχνη – als „familiäre reden“ bezeichnet werden konnten (vgl. ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)2r). 451 ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)3r. 452 Vgl. ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)3r–(**)3v. Arnold meint sogar, an Luthers Predigten nachweisen zu können, dass der Heilige Geist den Reformator einige Male von seinem Predigtkonzept abgebracht und in eine andere Richtung gelenkt habe. 453 ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)4r. Der Prediger darf sich ebenso wenig dazu ermäch-
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des Geistes, der an Stelle des Predigers spreche.454 Die nahe liegende Pointe der Vorrede lautet daher, dass die methodus heroica nicht nur jedem Prediger zugänglich, sondern die einzige, dem Wirken des Geistes angemessene Predigtweise sei. Der Begriff „heroisch“ müsse also ganz anders verstanden werden, als es die Verehrer Luthers tun: „In summa: Es wird solche einfältige art / wenn sie gleich nicht heroisch / sondern nur lauter und vom Geist GOttes gelehret ist / (davon eigendlich geredet wird) ein unaussprechlicher seegen über lehrer so wol als zuhörer seyn und bleiben / dessen sie in ewigkeit nicht gereuen wird.“455
Lässt sich – jenseits der programmatischen und apodiktischen Vorrede Arnolds – der „Sitz im Leben“ der Reden näher bestimmen? Dass sie die Predigten des Hauptgottesdienstes nicht ersetzt haben, ist zum einen an einer formalen Beobachtung festzumachen. Die Bezeichnung der Auslegungen als „Reden“ weist darauf hin, dass es sich um keine Predigten im eigentlichen Sinne handelt, denn Arnold verwendet den Begriff „Rede“ in dezidierter Abgrenzung zur Predigtform: So finden sich in der Evangelienpostille von 1706 neben Sonn- und Festtags-„Predigten“ auch zwei „Reden“, die zum Abschied in Allstedt und zum Dienstantritt in Werben gehalten wurden. Beide Reden sind geistlichen Charakters, wurden jedoch nicht im Laufe des sonntäglichen Hauptgottesdienstes gehalten und verfügen über keine klassische Predigtdisposition.456 Auch in der Vorrede von 1709 hebt Arnold die Reden deutlich von den Predigten ab – nicht ohne sarkastischen Seitenhieb auf die technische Sprache der Homiletik seiner Zeit: „Hievon zu reden hat mir dißmal gelegenheit gegeben das gegenwärtige büchlein / welches aus gantz ungekünstelten aber ernstlich=gläubigen discursen über die gewöhnlichen Sonntags=Evangelia bestehet. Wenn jemand davon urtheilen möchte: Es sey ja keine disposition und methode / keine erudition und dergleichen darinn zu finden: tigen, „wider die ketzer in den tag [zu] schreyen und offt selbst nicht [zu] wissen / was sie sagen oder setzen“ (ebd.). 454 Vgl. ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)4r: „Der Geist Christi ist zwar / als der Geist der weißheit / scharff / aber auch sanfft / klar / behend und beredt / und wo Christus sein Evangelium kund thut / da pfleget er nicht zu schreyen oder zu poltern / oder confuß zu handeln / sondern fähret weißlich / sanfft und doch kräfftig und gewaltig; worinne eben seine rede von der schrifftgelehrten ihren unterschieden ist und bleibet.“ 455 ERE, Vorrede des Ausgebers, (**)8r. Man müsse also Luther selbst des Enthusiasmus zeihen, da er „durch des H. Geistes leitung zu predigen pflegte“ (a. a. O. (***)1r). 456 Wenn die Herausgeber des Anhangs zur Erfahrungs-Lehre 1735 die drei enthaltenen Trauansprachen und Leichenpredigten als „Reden“ bezeichnen, trifft das nicht Arnolds eigenen, sehr distinkten Sprachgebrauch. So bezeichnet er seine früheren Traueransprachen durchweg als Predigten. Sie beziehen sich allesamt auf einen biblischen Text, oft einen einzelnen Vers, und weisen eine reguläre zwei- oder dreigliedrige Disposition auf. Die im Anhang enthaltenen Trauansprachen folgen ebenfalls einer klar ausgewiesenen Disposition, beziehen sich aber wiederum nicht auf einen einzelnen Vers oder eine Perikope, womit sie wiederum der Abendmahlspredigt von 1703 sehr nahestehen, die Arnold selbst als „Sermon“ bezeichnen möchte.
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II. Arnold als Pfarrer
Der kann hierauff in dieser vorrede genugsame Satisfaction antreffen / wo er anders der warheit nicht widerstreben will: wiewol es auch eigendlich nur discurse und keine förmliche predigten sind. Sollte aber auch etwa ein leser diesen scrupel darüber haben / es sey gleichwol kein dictum darinne alligirt: So wolle er nur die worte selbst ponderiren / ob sie nicht alle durchgehends schrifftgemäß und in Gottes wort genugsam gegründet seyn / welches sich zur gnüge ausweitet.“457
Wenn Arnold die Reden hier als „discurse“ bezeichnet, könnte dies zumindest einen vagen Hinweis auf ihre Situierung in der Perleberger Gemeinde geben. So notiert Arnold in einer im Perleberger Pfarrarchiv erhaltenen, von ihm selbst aufgesetzten „Nachschrifft von einigen bißhero geschehenen Veränderungen in hiesigen Kirchen=Sachen so zuvor nicht gewesen“ von 1708 unter Punkt 6 bzgl. der in Kurbrandenburg verordneten,458 sonntäglichen Katechismuspredigten: „Anstatt der langen Catechismus Predigten, so an denen Sonntagen früh im Sommer geschehen, ist mit Consens des Magistrats beliebet, nur einen kurtzen Discurs über die vorhabenden Catechismus=materien zu halten, od. ein deduc tion [unles.] zu beßerer Einübung auff das Examen publicum [unles.].“459 Arnold nennt hier also Kurzformate, die der längeren, vollendeten Predigtform gegenüberstehen. Auch entspräche der Hinweis aus der „Nachschrifft“, dass der „kurtze[] Discurs“ über die Katechismen auf deren „materien“ zugespitzt sein solle, dem Anliegen der „methodus heroica“, rhetorisch formlos und stringent auf den zentralen Punkt der Auslegung zu kommen. Allein: Arnold selbst gibt keine genaueren Auskünfte zu der originären Kommunikationssituation der Reden, wie er es bei seinen früheren Predigtpostillen aus Allstedt und Werben durchweg getan hat. Stattdessen hebt er in beiden Postillen den paradigmatischen Charakter der Reden hervor und betont ihren formalen Abstand zur regulären Predigt. Mit anderen Worten: Es wäre durchaus möglich, dass Arnold seine Reden in der Perleberger Gemeinde, aber definitiv abseits vom Hauptgottesdienst, gehalten hat. Auf diese Umstände kommt Arnold jedoch nirgends explizit zu sprechen und streicht stattdessen ihre Bedeutsamkeit als Anschauungsobjekte seines Programms der kirchlichen Parrhesie heraus. 457 ERE,
Vorrede des Ausgebers, (***)2v–(***)3r. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 59: „Ob auch etliche befunden, die zu iren jaren komen und im glauben noch nicht recht und gnugsam unterrichtet weren, sollen die bischofe die pfarherrn und paten ernstlicher meinung darum strafen und aufs hertest gebieten, das ein jeder seine pfarkinder und paten nachmals aufs fleissigst unterrichte, das sie furbas wissen, was sie gleuben, und wie sie sich halten sollen, welchs dann wol geschehen kan, wenn der catechismus fleissig gepredigt und getrieben wird.“ Vgl. auch die Instruktionen zur Visitation der Neumark (1551) a. a. O. 39: „Zum eilften sollen sie allen dorfpfarrern, auch denen in fleken, mit ernst den catechismum auf alle sonntage durchs jahr auszupredigen befelen, damit das arme gemeine volk sampt der jugent also reichlich und stets vorsorget, ein summ christlicher lehre begreifen haben und durch solche so leichte wege zum vorstand der andern predigten und erkentnuss Christi zum ewigen leben kommen mag.“ 459 Pb 1/502, Bl 36r. Vgl. Laminski, Profil. 458 Vgl.
2. Predigt
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Diese formalen Erkundungen zum Format der Rede bestätigen sich nun auch in materialer Hinsicht: Die Reden stellen Kondensate der früheren Predigten Arnolds dar, wobei er auf propositio und dispositio verzichtet, die Auslegungen auf nur noch wenige Druckseiten reduziert und sich mit nur jeweils einem zentralen Aspekt des biblischen Textes befasst, d. h.: dem Ideal der methodus heroica entspricht und tatsächlich die wesentlichen „materien“ der biblischen Bezugstexte behandelt. Im Fall von Lk 19,41–48 konzentriert sich Arnold etwa auf die allegorische Deutung des Tempels: Der Tempel Gottes müsse heilig gehalten werden, seine Verunreinigung betrübe den Heiligen Geist, welcher – an Jesu Stelle – über den Tempel klage und dessen Zerstörung ankündige: „Alles nun / was in solchen hertzen geheget wird / ohne des heil. Geistes bewegungen / das betrübet denselben göttlichen Geist / und er wird darüber traurig und weinend gemacht. Und o welche geisseln kommen hernach über einen solchen menschen / der den tempel seines hertzens muthwillens verderbet!“460
Dabei tritt auch der für die Reden insgesamt charakteristische, pastoralkritische Zug deutlich zu Tage461: Arnold wirft den Priestern „im tempel des HErrn“ vor, dass sie „die alten geschichten zum zeit vertreib hervor suche[n]“,462 sich also auf den geschichtlichen Jesus fokussieren. Er ruft die Gläubigen – wie bereits in den früheren Predigten – dazu auf, ihre Aufmerksamkeit auf die Inbesitznahme des inneren Tempels durch Gott zu richten: „O arme seelen / suchet doch JEsum in den tempel eurer hertzen / da will er zu euch kommen und in euch wohnen und wandeln. Er will daraus die käuffer und verkäuffer austreiben / welche sind des satans kräffte / als zorn / stoltz / geitz / fleisches=lüste.“463
Arnolds konkrete Empfehlung lautet nun, eben diese Austreibung im Gebet zu erflehen: „Fraget ihr aber / wie man dazu komme / so geschiehet solches anders nicht / als daß ihr den HErrn JEsum täglich / stündlich / ja augenblicklich bittet um den heil. Geist / der wird euch in alle Wahrheit leiten / und alle irdische handelschafft aus euch austreiben / damit er selbst in euch wohnen und lehren könne. Also sollet ihr GOttes haus und himmlisches Jerusalem werden / darinn ihr angebetet.“464
In der kurzen Rede von 1709 zeigt sich exemplarisch die Programmatik der methodus heroica: Die Rede spitzt den Text auf eine Grundaussage zu, bewegt sich fast ausschließlich auf der Bildebene, ohne einen explikativen Transfer zu leisten. Weder die diffizile introspektive Seelenschau der Predigt von 1700 noch der problemorientierte Blick auf den Zorn Gottes in der Predigt von 1704 werden 460 ERE
275. Kapitel I.4.3. 462 ERE 276. 463 ERE 276. 464 ERE 277. 461 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
eingeholt. Die Rede dient vor allem der Meditation und Affirmation eines aus dem Text gewonnenen Bildes für die Wirkung Gottes auf die Seele. Dabei geht ihr jede konkrete Adressatenorientierung und gottesdienstliche Situierung ab, welche die wenigen nach 1709 veröffentlichten Predigten zur Sündflut, vor der preußischen Königin und die beiden Leichenpredigten deutlich aufweisen. Angesichts der Kritik Arnolds an der Monologizität des Predigtgeschehens, wie er sie in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt vorgebracht hat, dient die Rede aber nicht nur der Illustration der Methodenkritik, wie er sie in der Vorrede über die methodus heroica von 1709 vorbringt, sondern auch der Aktivierung der Gläubigen: Die Predigerkritik, die in die Rede einfließt, spitzt die Kritik an der Unmündigkeit und Inaktivität der Predigthörer dahingehend zu, dass sie selbst für ihre Gotteserfahrung Verantwortung tragen und sich in dieser Hinsicht nicht auf den Prediger verlassen dürfen. In den Reden wird damit auch Arnolds Forderung nach einer dialogischen Auseinandersetzung über den Predigttext manifest.465 In der Theologia Experimentalis, die 1714 kurz nach Arnolds Tod erschienen ist, geht er einen anderen, nahezu gegensätzlichen Weg und systematisiert seine früheren Auslegungen jeweils hinsichtlich einer dogmatischen Kernfrage. In der Vorrede erwähnt er zwar, dass die Theologia auf Perleberger Predigten zurückgehe, und tatsächlich besticht die Schrift durch ihren hybriden Charakter zwischen Lokaldogmatik und Postille, doch ist der Predigtduktus in den einzelnen Kapiteln kaum noch zu erkennen und einer traktathaften Auslegung im Paragraphenstil gewichen. Die Auslegung von Lk 19,41–48 steht im Zentrum des vierten Kapitels „Von der Harmonie göttlicher Barmhertzigkeit und Gerechtigkeit“, welches im Postillenregister liturgisch sachgemäß dem 10. Sonntag nach Trinitatis zugeordnet wird. Das Motto des vierten Kapitels ist dann auch nicht dem Evangelientext selbst, sondern Röm 11,22 entnommen: „Schaue die Güte und den Ernst GOttes!“466 Damit wird unverkennbar die Predigtidee von 1704 aufgegriffen, nämlich die Frage danach, wie sich Gottes Zorn und seine Güte zusammendenken lassen.467 Gott könne seine Barmherzigkeit durchaus „zurück ziehen und sich hart halten“,468 ja man könne auch sagen, dass Gott zwei Hände habe, wobei er mit der Hand seiner Gnade helfe und stärke, mit der Hand seiner Gerechtigkeit strafe und schlage.469 Auf welche Weise beides zusammenhängt, bedürfe allerdings einer genauen Erörterung, zu der Arnold mit dem markanten – und seiner christozentrischen Predigttheorie völlig entsprechenden – Hinweis hinführt, er wolle sich zuerst der Barmherzigkeit widmen, bevor er sich dem Zorn zuwende, weil Gottes Barmherzigkeit nach Ex 33,19 das erste sei, was der Mensch von ihm zu Gesicht bekomme.470 465 Vgl.
Kapitel I.4.3. 1,55. 467 Vgl. TE 1,55. 468 TE 1,56. 469 Vgl. TE 1,56 f. 470 Vgl. TE 1,57. 466 TE
2. Predigt
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Die Auslegung muss hier nicht im Einzelnen rekapituliert werden, da die Theologia Experimentalis die Predigtideen von 1700 und 1704 aufgreift und synthetisiert. Das vierte Kapitel zerfällt in drei Argumentationssequenzen: In einer ersten, eng an Lk 19,41–48 angelehnten Betrachtung werden die Wirkungen der Barmherzigkeit Gottes in der Seele völlig analog zur Predigt von 1700 beschrieben: „I. GOttes Barmhertzigkeit ist zwar von Natur bekannt, | aber mehr (I) aus den Wercken | als (II) der zuvorkommenden Gnade | (a) die sich nahet | und züchtiget | und suchet heim | klopfft ans Hertz | (b) hat Mitleiden | und sorget | (c) warnet | sagt zuvor | zur Verwahrung | und Bekehrung der Bösen | und zur Stärckung der Frommen | (d) reiniget | und bestrafft äusserlich | und innerlich | (e) lehret | von aussen | und innen“.471
Annäherung (a), Mitleid (b), Warnung (c), Reinigung (d) und Lehre (e) folgen dem in der Predigt aus der Anthologie von 1700 erschlossenen Itinerar des Predigttextes. In einer zweiten Sequenz, einer Übergangspassage, entfernt sich Arnold nun ein Stück weit von Lk 19,41–48 und möchte „noch näher beschauen, wie sich die Gnade mit dem Ernst verbinde“472: „Insonderheit straffet sie (I) nicht von Hertzen / sondern der Boßheit wegen | (2) bleibt verborgen / (3) gehet langsam | und der Menschen Besserung | aus Langmuth | die vor den Zorn hergehet | (4) mässiget die Straffen | Und bedencket sich wol | (5) Erbarmt sich wieder. | (6) Erhält die Seinen | (7) Züchtiget zu Nutz“.473
Damit leitet er zum zweiten Gegenstand des Kapitels – der Gerechtigkeit Gottes – über, wobei Arnold vor allem auf die Predigt aus der Evangelischen Botschafft zurückgreifen kann, insofern er Gottes Gerechtigkeit in Jesu Wehruf über Jerusalem zur Sprache kommen sieht: „II. Gottes Gerechtigkeit | (I) Ihre Ursachen. | (a) Blindheit | in der Zeit | welche dreyerlei ist | (b) Bosheit | in Welt=Liebe | Verfolgung | (2) ihr Werck | und Ausbruch | rechter Gebrauch“.474
Die Theologia Experimentalis kompiliert also die Predigten von 1700 und 1704 zu einer systematischen Einheit und versucht dabei, beiden Aspekten des Predigttextes Lk 19,41–18 in Anbetracht der Frage nach Wahrnehmung und Bewährung der göttlichen Barmherzigkeit trotz der dieser entgegenstehenden Strafwürdigkeit des Menschen gerecht zu werden. Insbesondere im Zwischenstück, das anhand der Reflexion über die Dynamik und Heilsamkeit der Abkehr Gottes die beiden Auslegungsansätze von 1700 und 1704 verbindet, zeigt sich der dogmatisch 471 So
die jeweiligen Marginalüberschriften. 1,61. 473 So die Marginalüberschriften. 474 So die Marginalüberschriften. 472 TE
308
II. Arnold als Pfarrer
systematisierende Bibeltheologe Arnold, der seine früheren exegetischen Ansätze in ein geschlossenes und organisches Argumentationsgefüge überführt. Fassen wir zusammen: Auch wenn es sich bei den Reden und der Theologia um Bibelauslegungen im Postillenformat handelt, sind sie für die Frage nach Arnolds Predigtweise nur bedingt aufschlussreich, da es sich bei beiden um dezidierte Lesetexte handelt, in denen der Perleberger Pfarrer seine früheren Auslegungsansätze profiliert, systematisiert und miteinander auszugleichen versucht. Freilich sind insbesondere die Reden in werkgeschichtlicher Hinsicht bedeutsam, da sie Arnolds ungebrochenes, exegetisches Interesse dokumentieren und ebenso zeigen, in welcher Weise er seine Ernüchterung hinsichtlich des monologischen Predigtformats konstruktiv überwindet, indem er – wenn auch nur auf dem Papier! – eine pointierte, die klassische Predigtgattung durchbrechende Form entwickelt, welche die Predigerzentriertheit konterkariert und die Leser zur eigenständigen Aneignung der Predigtidee aktiviert. Was Arnold in seinen ‚echten‘ Predigten nur innerhalb einer artifiziellen, homiletischen Rahmentheorie und vor allem unter Berücksichtigung ihres strukturellen, rhetorischen Korsetts vermitteln konnte, wird in seinen Reden vollends entfesselt: Die Adressaten seiner Bibelauslegung sind ganz auf ihre religiöse Eigenverantwortlichkeit zurückgeworfen und haben sich in die rein rezeptive Haltung hinsichtlich des Wirkens Gottes einzuüben.
2.4. Zwischenfazit: Arnolds Homiletik und Predigtpraxis im Spiegel ihrer Zeit und in Anbetracht der Forschungslage Die Ergebnisse der Untersuchung der Homiletik und Predigten Arnolds sollen nun hinsichtlich der eingangs formulierten Problemanzeigen und Desiderate gebündelt werden. 1. Homiletik und Predigtweise Arnolds sind im Horizont der lutherischen Homiletik des 17. Jahrhunderts erschlossen worden. Wie schon bei der Untersuchung seiner Pastoraltheologie ist dabei deutlich geworden, dass sich Arnold an vielen Stellen auf die Begriffssprache, die homiletischen Diskurse und teilweise auch auf zentrale Forderungen der lutherischen Orthodoxie einlässt. So knüpft er an die orthodoxen Forderungen nach einer predigtvorbereitenden praemeditatio und oratio ebenso an wie an das Konzept des modus parakletikon, in dem der Prediger in einen offenen Wettstreit mit der anfechtungsvollen, vermeintlich trostlosen Realität der Zuhörer tritt. Hinsichtlich der Predigtmethode vertritt er zwar in den Reden die freie methodus heroica, dürfte diese jedoch niemals in seinen Predigten in die Tat umgesetzt haben. Vielmehr hat er durchweg disponiert und methodisch gepredigt, ja in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt die Notwendigkeit einer dispositio weitgehend wieder ins Recht gesetzt. Ein markanter
2. Predigt
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Konfliktpunkt zeichnet sich hinsichtlich der inventio ab: Zwar begibt sich auch Arnold auf die Suche nach dem Skopus des Predigttextes, geht aber nicht wie die orthodoxe Homiletik davon aus, dass dieser durch eine philologische Analyse des Textes, sondern nur durch die persönliche Gotteserfahrung des Predigers erschlossen werden kann. Gleichzeitig zeigt sich anhand des Abgleichs der Predigten Arnolds mit ihm zeitgenössischen, aber auch altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Predigten, dass er die Auslegungsgeschichte der Perikopen als inventorischen Faktor berücksichtigt und damit wiederum an die lutherische Homiletik anknüpft, welche die (natürlich ausschließlich orthodoxe) Auslegungsgeschichte der Perikopen als Quelle für die Findung des Predigtmaterials in Betracht zieht. Freilich verlegt sich Arnold auch dabei auf die mystische, allegorische, ja mitunter psychologische Auslegung der biblischen Texte, während jede historisch-literale Erschließung des Textes und damit jede buchstäbliche, moralische oder dogmatische Auslegung an Bedeutung verliert. Arnold spitzt den Text konsequent auf das Seelenleben der Gläubigen zu und legt ihn durchweg allegorisch aus: Am Text spiegelt sich das Wirken Gottes in der Seele des Predigers wie auch der Zuhörer – die Bibel kann kein von diesem Wirken losgelöstes Sinnpotential entfalten und gibt, ohne dass Gott in der Seele des Auslegers wirken würde, absolut nichts von sich preis. Vor dem lutherischorthodoxen Hintergrund zeigt sich, dass weder Arnolds Homiletik übermäßig radikal noch die orthodoxe scholastisch verklemmt und ausschließlich auf die Verfertigung artifizieller, prätentiöser Lehrpredigten fokussiert ist. Kurzum: Arnold wendet die homiletischen Methoden seiner Zeit an, spitzt homiletische Entwürfe seiner Vorgänger pneumatologisch und christologisch zu, seine „echten“ Predigten stellen Produkte eines formalisierten Erschließungsprozesses dar und bewegen sich in rhetorischer Hinsicht völlig auf der Höhe ihrer Zeit. 2. Mit dem letzten Punkt hängt die Frage nach der Entwicklungsgeschichte der Arnold’schen Homiletik während seiner Amtszeit in Allstedt, Werben und Perleberg zusammen. Wenn Hans Marti die „heroische Methode“, d. h. die freie, ungebundene, geistbegabte Redeweise als zentral für Arnolds Homiletik ausweist, erliegt er ein Stück weit der Selbststilisierung Arnolds.475 Der Duktus der 1709 und 1711 veröffentlichen Reden folgt maßstabsgetreu der methodus heroica, es dürfte sich bei ihnen jedoch kaum um authentische Predigten gehandelt haben, denn Arnolds vereinzelte, nach 1709 überlieferte Predigten, sein Plädoyer für die dispositio der Predigt in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt (1712/23) und die im Anhang (1735) herausgegebenen Predigtmanuskripte laufen der methodus heroica von 1709 geradewegs zuwider. Zweifellos ist ein Überlieferungsproblem festzustellen: 1707 erscheint die letzte „echte“ Postille Arnolds, in denen die Werbener Genesis-Predigten gesammelt werden, und in der Tat scheint sich bei Arnold spätestens in der Perleberger Zeit eine gewisse Ernüchterung hinsicht475 Vgl.
Marti, Rhetorik des Heiligen Geistes, 68–73.
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II. Arnold als Pfarrer
lich der Erfolgsaussicht seines Predigens einzustellen und er verzichtet darauf, weitere Sonntagspredigten zu publizieren. Alles in allem muss man also davon ausgehen, dass Arnold bis zu seinem Lebensende disponiert, d. h. regulär und in formaler Hinsicht konventionell gepredigt hat. Das Verhältnis zwischen den gehaltenen Predigten und ihrer publizierten Form lässt sich freilich nur ansatzweise klären. Arnold empfiehlt in seinem letzten, zusammenhängenden homiletischen Entwurf (Geistliche Gestalt 1712/23), lediglich die Disposition der Predigt und wenige Stichworte parat zu haben, die elocutio, d. h. die Einkleidung der Predigtidee in Worte, jedoch weitgehend dem Heiligen Geist zu überlassen. Es wäre also durchaus denkbar, dass Arnold seine Predigten frei gehalten und erst im Nachhinein zu Papier gebracht hat. Dagegen sprechen jedoch drei Gründe: Erstens ist in den Postillen der mündliche Charakter der Predigten weitestgehend erhalten geblieben, was bei einer nachträglichen Verschriftlichung wohl kaum in dieser Form hätte fingiert werden können. Wenn Arnold sich etwa für die Redundanz seiner Überlegungen in der Predigt zu Röm 12,1–8 entschuldigt oder in der Pfingstpredigt zu Joh 14,23–31 auf ein im Gottesdienst gesungenes Lied anspielt, handelt es sich sicherlich nicht um nachträgliche Protokollnotizen. Auch aus einem zweiten Grund scheint es unwahrscheinlich, dass Arnold seine Predigten frei gehalten und erst im Nachhinein verschriftlicht hat: Die Reden von 1709 und 1711, die programmatischen Charakter haben und zur theologischen Verdichtung neigen, weisen so gut wie keine Hörerorientierung und einen hohen Literarisierungsgrad auf. Es handelt sich um Lesepredigten, die immer als solche konzipiert gewesen sind, so dass ihnen jede authentische Hörerorientierung abgeht, was aber geradewegs nicht für seine Predigten gilt. Drittens zeigen die im Anhang von 1735 veröffentlichten Predigtmanuskripte, dass Arnold nur wenige Improvisationslücken offengelassen und die gehaltenen Predigten nachträglich für die Publikation aufbereitet und mit (altkirchlichen) Belegstellen versehen hat. All dies deutet darauf hin, dass die Predigten im Vorfeld des Gottesdienstes zu einem hohen Grad ausformuliert und dem gottesdienstlichen Anlass entsprechend auf die Zuhörer zugeschnitten gewesen sind. 3. Homiletik und Pastoraltheologie müssen in ihrer Interdependenz beleuchtet werden. Arnold legt seinem Konzept der Predigterschließung eine erfahrungsabhängige, mystische, christozentrische Schriftauslegung zugrunde, deren pastoraltheologische Prämisse lautet, dass der Prediger über eine Gottesbeziehung verfügt, die in der Predigt zur Sprache kommt und die mit der Glaubenswelt der Zuhörer korreliert: Nur der Gläubige erkennt den Skopus des biblischen Textes, weil dieser Skopus mit einer konkreten, lebendigen Gottes- bzw. Christuserfahrung im Zusammenhang steht. Das gläubige Vorverständnis des Predigers lenkt den Blick des Auslegers auf die Essenz des Textes. Predigen im eigentlichen Sinne kann nach Arnold also nur der erleuchtete Christ, der berufene Lehrer, der im Gegenüber von Gemeinde und Predigttext seine Glaubenserfahrung zur Sprache
2. Predigt
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bringt. Arnold ist in seinen Predigten insgesamt sehr zurückhaltend mit autobiographischen Reflexen, er schreibt sich selbst kaum irgendwo in die Texte ein, ihr biographischer Wert erweist sich jedoch darin, dass sie Arnolds ureigenen, subjektiv-individuellen Zugang zum biblischen Text veranschaulichend dokumentieren. Wer sich über Arnolds religiöses Bewusstsein zwischen mystischer Erfahrung, biblischer Offenbarung und historischer Tradition im Klaren werden möchte, muss vor allem seine Predigten lesen, zeugen sie doch eindrücklich davon, wie Arnolds mystischer Geist die Reizpunkte, die Text und Auslegungsgeschichte ihm bieten, zum Anlass nimmt, sich in ihrem Spiegel zur Anschauung und Sprache zu bringen.
3. Sakramente In der Ersten Liebe (1696) veranschlagt Arnold für die Alte Kirche einen weiten Sakramentsbegriff: Der Begriff μυστήριον bezeichne ganz allgemein eine „geheime verborgene Sache“, „bisweilen“ bedeute Sakrament „ohne Unterschied die Zeichen der heiligen und Göttlichen Dinge / oder was sonst etwa unter der Opinion der Heiligkeit angesehen und angenommen worden“.1 In der Confessio Augustana halle dieser unspezifische Begriffsgebrauch nach: Das Bekenntnis halte fest, dass man über den „Verstand des Worts Sacrament […] nicht […] zancken wolle / weil es theils in der Schrifft nicht stünde / […] theils auch bey den Alten so vielerley bedeute“,2 so dass es zwar Taufe, Abendmahl und Absolution als Sakramente im engeren Sinne bezeichne,3 doch auch in „gewissen und rechten Verstand der Ehestand / das Gebet / die Allmosen und dergleichen Sacramente heissen können / indem die Alten auch also geredet“.4 Hinsichtlich des für ihn zeitgenössischen kirchlichen Sakramentsverständnisses zieht Arnold daraus die Schlussfolgerung, dass der Sakramentsbegriff in jeder Hinsicht offen und interpretationsbedürftig sei: Man solle nicht über die Zahl der Sakramente streiten, solange sie „GOttes Befehl und Verheissungen“5 hätten, und es sei naheliegend, „das der Name Sacrament ohne Unterschied von allerhand Sachen genommen werde / die nur einige verwandschafft mit Geistlichen Verrichtungen / Personen und anderen Dingen haben“,6 so dass Taufe und Abendmahl lediglich als zwei „exempel“ unter vielen Sakramenten gelten können.7 Dieser Relativismus hinsichtlich der Sakramente wächst sich in der Kirchen- und Ketzerhistorie und der Erklärung Vom Gemeinen Secten-Wesen zu einer handfesten Kritik am lutherischen Sakramentsverständnis, insbesondere aber an der Abendmahlstheologie und -praxis, aus und führt Arnold in die Separation, sieht er doch im Zwang zur Gottesdienst- und Abendmahlsteilnahme eine unzulässige Bevormundung und Unterdrückung der wahren Gläubigen durch die verfallene Großkirche.8 Arnolds historisch bedingter Relativismus und seine Gewissensskrupel hinsichtlich der Sakramente treffen, noch nicht so sehr auf Schloss Allstedt, wo Arnold vor allem 1 EL 2,303. 2 EL 2,303. 3 Vgl.
EL 2,303.
4 EL 2,303. 5 EL 2,303. 6 EL 2,304. 7 EL 2,304. 8 Vgl.
dazu im Einzelnen Kapitel I.2.3.2. und II.3.2.1.
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II. Arnold als Pfarrer
mit dem „Lehren und Catechesieren“ befasst und von anderen „actibus ministerialibus“9 – ob dazu auch die Abendmahls- und Beichtverwaltung zu zählen ist, lässt er offen – weitestgehend befreit gewesen sei, jedoch spätestens in Werben und Perleberg auf eine hochliturgische Form der Tauf- und Abendmahlspraxis, die ihre verbindliche Gestalt in der 1540 erlassenen, 1542 und 1572 erweiterten und aktualisierten brandenburgischen Kirchenordnung Joachims II. gefunden hatte.10 Die Präambel der Agende von 1540 hält die folgenden sakramententheologischen Grundsätze fest: 1. Die rechtfertigungstheologische Grundlage der Sakramententheologie wird bekräftigt: In Taufe und Abendmahl vermittelt sich – wie auch in der Predigt – die Gnade Gottes.11 2. Die anthropologischen Grundlagen des lutherischen Sakramentsverständnisses werden hervorgehoben: Die Sakramente zielen auf das sinnliche Vermögen des Menschen.12 3. Die Zeremonien, die den Sakramentenvollzug begleiten, werden nach missbräuchlichen – also solchen, die „die einsetzung Christi verändert, verkert zu anderm, denn von Christo verordnet und befolhen, gebraucht, auch 9 GG2,
neue Vorrede, *6v. Ordnung behandelt Taufe, Beichte und Abendmahl im Abschnitt Von dem Gebrauch der heiligen sacramenten, auch von den ceremonien, so darbei gehalten, und andern kirchenuebungen, die in unserm churfürstenthum und anden abgethan oder behalten werden sollen. Vgl. zur Geschichte, Durchsetzung und Rezeption dieser Ordnung Gericke, Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik, 13–22. Sehr erhellend sind in diesem Zusammenhang auch Stegmanns Miszellen zur konfessionellen Kultur im frühneuzeitlichen Brandenburg (vgl. Stegmann, Kirchenordnung, und Stegmann, Gottesdienst). Stegmann hält (a. a. O. 224–228) fest, dass neben der in der brandenburgischen Kirchenordnung festgeschriebenen diverse andere, von dieser abweichende Lokalliturgien in Gebrauch gestanden haben dürften. Zudem erfreute sich die Agendensammlung des Frankfurter (O.) Pastors Joachim Goltz großer Beliebtheit (erstmals erschienen 1614, in einer erweiterten Ausgabe noch 1697 [!] neu herausgegeben). Welche Ausgaben der Brandenburgischen Agende Arnold vorgelegen haben, ist nicht zweifelsfrei festzustellen. In der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt zitiert er jedoch seitenscharf aus einer, anlässlich der Novelle der Agende durch Johann Georg herausgegebenen Prachtausgabe aus dem Jahr 1572 (er zitiert in GG2 2,432 Seite 175r), in welcher neben der Augsburgischen Konfession und dem Kleinen Katechismus auch die beiden brandenburgischen Agenden enthalten sind: Die Augspurgische Confession / aus dem Rechten Original / welches Keyser Carolo dem V. auff dem Reichstage zu Augspurg Anno 1530. ubergeben / Der Kleine Catechismus. Erklerung und kutzer Außzug aus den Postillen und Lehrschrifften des thwren Mans Gottes D. Lutheri / daraus zusehen / wie derselbe von fürnembsten Artickeln unserer Christlichen Religion gelehret / Aus verordnunge des Durchlauchtigsten / Hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Johann Georgen […] Vor die Kirchen in seiner Churfürst. G. Landen / Neben einer allgemeinen Agenden oder Ordnung / nach welcher sich die Pfarrherr und Kirchendiener zuuorhalten / zusamen gedruckt. Im Folgenden wird aus der kritischen Ausgabe Sehlings zitiert. 11 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 51: „[…] das wir durch die gnad unser herrn Jesu Christi, allein durch den glauben, on zuthun der verdienst und wirdigkeit unser werk, gerechtfertigt und geseligt werden u. s.w.“ 12 Der Mensch sei „nicht allein geist, besonder auch fleisch und blut“ und brauche „neben dem göttlichen wort auch christliche eusserliche erinnerung und anreizung“, was in der Stiftung der Sakramente durch Christus zum Ausdruck komme (a. a. O. 52). 10 Die
3. Sakramente
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letzlich Christi ordnung aufgehaben, verboten und verdamlich gemacht“ – und zulässigen – solchen, die die Teilnehmer „zu mehrer andacht“ reizen – unterschieden. Viele vorreformatorische liturgische Elemente werden in ihrer traditionellen Form bestätigt.13 4. Die Uniformität der Sakramentspraxis in Brandenburg wird betont und die Pfarrherren werden auf die Ordnung verpflichtet.14 Arnold verweist in seinen Werbener und Perleberger Schriften immer wieder auf diese Kirchenordnung und sieht sich – wenn auch nicht kritiklos – an sie gebunden. In der Spannung zwischen seinem eigenen historischen Relativismus und seiner Selbstverpflichtung gegenüber der Sakramentsauffassung der kurbrandenburgischen Kirche entwickelt und profiliert Arnold sein Verständnis von Taufe und Abendmahl und nutzt verschiedene Bewältigungsstrategien, um im eng gesteckten liturgischen und theologischen Rahmen der Agenden seiner eigenen Auffassung der Sakramente Geltung zu verschaffen. Die Forschung hat Arnolds Abendmahlsverständnis bisher nur sehr selektiv und im werkgeschichtlichen Kontext seiner historisch grundierten Kirchenkritik untersucht.15 In 13 Ebd. Großen Aufwand verwendet die Kirchenordnung in diesem Zusammenhang darauf, die vielen in Brandenburg erhalten gebliebenen Begleitzeremonien zu Abendmahl und Taufe ins Recht zu setzen: Allesamt dienten sie dem Zweck, dass „christliche ordnung und zucht erhalten und mit gebürlicher reverenz und ehrerbietung die hochwirdigen sacrament tractiret und gehandelt, und das göttliche wort dem einfeltigen beide mit predigen, singen, lesen, zu bequemer zeit, und anderer eusserlichen ubunge desterbas eingebildet werde“ (ebd.). In diesem Fall greift das Traditionsargument: Die „löbliche[n], alther gebrachte[n], christliche[n] ceremonien und kirchenubungen“ sollen – so sie nicht wider die Heilige Schrift stehen – erhalten bleiben (ebd.). 14 Vgl. a. a. O. 53: „[…] denn wir gerne wolten, das in unserm lande, soviel möglich, gleichförmigkeit darinnen gehalten und unnötig trennung verhütet und dem furwitz vieler leute gesteuret und gewehret werde.“ Es dürfe keine Verwirrung gestiftet werden und die Pfarrherren sollen die Zeremonien nicht „propria autoritate“ (ebd.) verändern, abschaffen oder neue einführen – aus Rücksicht auf die Schwachen. Die Ordnung präsentiert sich in diesem Zusammenhang zudem als eine dezidiert nationale Ordnung in Abgrenzung zu anderen evangelischen Fürstentümern. 15 Vgl. zur pastoraltheologischen Dimension der Sakramentenadministration und Kirchenzucht im 17. Jahrhundert Weber, Erben, 61–69. Interessanterweise ist die pietistische Sakramententheologie noch nicht umfassend aufgearbeitet worden. Vgl. allenfalls Lehmann, Heilshandeln Gottes, 121–123.128–133, der Christian Hoburgs spiritualistisches Sakramentsverständnis gegen Speners Erläuterung des vierten und fünften Hauptstücks aufwiegt. Auch im Pietismus Handbuch (2021) fehlt ein entsprechender Artikel. Erich Seeberg hat – als bisher einziger, allerdings stark komprimiert – Arnolds Ablehnung der Kindertaufe und seine Kritik an der rituellen Veräußerlichung des Abendmahls dargestellt (Seeberg, Gottfried Arnold, 185–192), wobei er vor allem die Arnolds Ausführungen zugrunde liegenden Quellen aus der Täuferbewegung und den Täuferhistorien und damit die historischen Hintergründe der Arnold’schen Sakramentenkritik beleuchtet (vgl. a. a. O. 188 f). Büchsel, Kirche, 182–184 skizziert Arnolds Abendmahlsverständnis in aller Kürze, rekapituliert seine entsprechenden Äußerungen in der Ersten Liebe und notiert hinsichtlich seiner späteren Haltung im Amt, dass er „die äußere Handlung des Abendmahls“ als „Hilfsmittel“ zur Erbauung versteht (a. a. O. 184). Er zieht daraus den Schluss: „Hier wird ganz deutlich, daß der Lutheraner Arnold mit dem sursum corda eine Calvinsche Abendmahlslehre vertritt“ (ebd.), und meint weiter: „Das äußere Abendmahl muß
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diesem Kapitel wird gezeigt, wie sich Arnolds Vorstellungen zur Feier der Sakramente, die er in der Geistlichen Gestalt von 1704 skizziert und – unter dem Eindruck der Werbener und Perleberger Amtszeit – in deren Zweitauflage von 1712/23 konkretisiert, aus seinen kirchenhistorischen Erkundungen und seiner mitunter massiven Sakramentenkritik vor 1704 entwickeln, wie sie sich zu den in Kurbrandenburg geltenden Kirchenordnungen verhalten und welche Bedeutung den geistlichen Reden, Vermahnungen und Katechismen Arnolds, die den liturgischen Vollzug flankierten, zukommt.16
3.1. Taufe Arnolds Tauftheologie, wie sie sich ab seiner Amtsübernahme in Allstedt programmatisch formiert, ist maßgeblich durch die Sakramentenkritik seiner früheren, historischen Schriften bestimmt (3.1.1.). In der Geistlichen Gestalt von 1704 durch das innere erfüllt und überboten werden, das an keine Zeit gebunden ist. Denn der Christ bedarf der steten Verbindung mit Gott“ (ebd.). 16 Entstehung und Überlieferung der hier berücksichtigten katechetischen Texte Arnolds sind überaus komplex, konnten aber durch Cohrs Aufsatz „Zwei vergessene Katechismen Gottfried Arnolds. Zugleich ein Beitrag zu seiner Bekehrung zur Kirche“ von 1930 und Reinhard Breymayers Entdeckung und Erschließung des Bibliothekskatalogs Arnolds erhellt werden. Breymayer geht im Auktionskatalog mehreren Einträgen zu Erläuterungen des Kleinen Katechismus’ Luthers nach, die auf Arnold selbst zurückgehen könnten: Es handelt sich um zwei Berliner [Nr. 168 und 196 im Katalog], eine Stendaler [Nr. 189] sowie um eine Ausgabe, die unter Nr. 186 aufgeführt und als „Arnolds Catechismus mit Spruechn erleutert / Berlin | Eben derselbe ausführlicher mit der Haußtaffel. Stend[al].“ bezeichnet wird. Eine weitere, nicht näher bezeichnete [Nr. 228] könnte ebenfalls auf Arnold zurückgehen. Breymayer hat nun die Katalogangaben mit verschiedenen Bibliotheksregistern abgeglichen und kommt zu dem Schluss, dass sich drei katechetische Texte Arnolds zweifelsfrei identifizieren lassen (vgl. Breymayer, Katalog, 135–143): eine Erläuterung des Kleinen Katechismus, die 1709 in Berlin erschienen ist und in der die Hauptstücke stichwortartig und unter Angaben von Bibelstellen erklärt werden; eine postum 1722 in Altona (hier unter Angabe der Verfasserschaft Arnolds) und Frankfurt / Leipzig (hier anonym) zeitgleich erschienene Ausgabe, in der zunächst der Kleine Katechismus Luthers vollständig abgedruckt wird, die erläuternden Stichworte neu geordnet und ausgearbeitet, die Bibelstellen ausführlich zitiert und die Luther zugeschriebenen Christlichen Fragestücke für die, so zum Sakrament gehen wollen, mit ihren Antworten sowie Arnolds eigene ausführliche Erläuterung der Haustafel und die auf Freylinghausen zurückgehende, hier jedoch anonymisierte „Ordnung des Heyls“ (in Freylinghausens Compendium, oder Kurtzer Begriff der gantzen christlichen Lehre, Halle 1705, findet sich die ‚Ordnung‘ auf den Seiten 143–150) eingepflegt werden (bei dieser Ausgabe könnte es sich um die unter Nr. 186 genannte Ausgabe „Eben derselbe ausfuerlicher mit der Haußtaffel“ handeln); zuletzt ein 1722 in Berlin unter Angabe der Autorenschaft Arnolds erschienener Christlicher Unterricht, der zwar Luthers Katechismus voraussetzt und sich an ihm orientiert (vgl. CU 9), sich jedoch in Darstellung und Ausführung viel weiter als die Erläuterungen von ihm entfernt und programmatisch drei Adressatenkreise voraussetzt: Unterricht für die „Einfältigen“, d. h. für die Kinder, „Milch“ für die „Jugend“ als „Handleitung zum Christlichen Glauben und Leben für die Fortgehenden“ (CU 19) und „starcke Speise“ bzw. „nähere[n] Unterricht“ für die „Erwachsenen im Glauben“ (CU 69). In der folgenden Untersuchung sollen alle drei Erläuterungen berücksichtigt werden.
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nimmt Arnold erstmals ausführlich Stellung zum Taufformular und unterbreitet liturgische Reformvorschläge, die er in der Zweitauflage der Schrift – ausgehend von seinen Erfahrungen in den brandenburgischen Kirchengemeinden Werben und Perleberg – profiliert und zuspitzt (3.1.2.). Gleichzeitig entwickelt Arnold verschiedene Strategien der Bewältigung der liturgischen Veräußerlichung der Tauffeier, die sich in seinen Predigten, seinen Katechismen und seinen Lesepredigten, den Reden, umfassend niederschlagen (3.1.3.).
3.1.1. Arnolds Kritik an der Kindertaufe in seinen historischen Schriften Arnolds etwas sprunghafte und exkurslastige Darstellung der Taufe in der Ersten Liebe und der Kirchen- und Ketzerhistorie kreist um die drei für die Tauffeier wesentlichen Konstituenten: Täufling, Taufvollzug und Täufer. Arnold kritisiert – in der Ersten Liebe noch andeutungsweise, in der Kirchen- und Ketzerhistorie offen gegen die lutherische Kirche gerichtet – die Praxis der Kindertaufe, die rituelle Überfrachtung der Taufliturgie und die mangelnde Anteilnahme und Ernsthaftigkeit des Täufers. 1. Kritik an der Kindertaufe. Wenn Arnold zu Beginn des Taufkapitels der Ersten Liebe die Erwachsenentaufe als einzig anerkannte Form der Taufe in der Alten Kirche voraussetzt,17 ist die theologische Legitimität der Kindertaufe auf einen Schlag bestritten. Arnold bemüht sich zwar sichtlich darum, diesen steilen Einstieg abzumildern, indem er sich dahingehend entschuldigt, die Kindertaufe nur deswegen thematisieren zu müssen, weil Cave es in seiner Schrift ebenfalls tue, und sich zu historiographischer Neutralität verpflichtet, indem er sich als „blosse[r] Referent[]“ zu erkennen geben möchte, der „redlich und ohne Partheylichkeit in wahrer Furcht GOttes“ die Taufpraxis der Alten Kirche darstellen wolle.18 Er lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass Kindertaufe und Kindertauftheologie aufs Engste mit der Verfallsgeschichte der Kirche verwoben sind, da sich im Neuen Testament und der Alten Kirche, d. h. bis zum dritten Jahrhundert kein Beleg für die Kindertaufe finden lasse, ja wenn Cave meine, die Praxis der Kindertaufe bis in die Urkirche zurückverfolgen zu können, würde er sich lediglich auf das Hören-Sagen späterer Schriftsteller stützen können.19 Ursprüng17 Vgl. EL 2,303: „Nachdem die Leute also im Christenthum gründlich unterwiesen waren / tauffte man sie in den HErren Namen.“ 18 EL 2,307. 19 EL 2,307. Jesu Aufruf „Lasset die Kinder zu mir kommen“ (Mt 19,14) lasse sich nur schwerlich als Einladung zur Kindertaufe verstehen, was schon Tertullian polemisch bemerkt habe: „So laßet sie dann kommen / wenn sie erwachsen / und gelehret worden / wohin sie kommen sollen. […] Die Christen werden gemacht / nicht geboren“ (EL 2,307; Arnold zitiert hier Tert. bapt. 18 [vgl. CSEL 20; 216,19–22]: „ait quidem dominus: nolite illos prohibere ad me uenire. ueniant ergo, dum adolescunt; ueniant, dum discunt, dum quo ueniant docentur; fiant Christiani, cum Christum nosse potuerint.“). Exemplarisch für Arnolds subtile Argumentationstechnik hinsichtlich der von Luther konsequent verteidigten Kindertaufe ist der Paragraph
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lich, so Arnold, sei die Kindertaufe ein auf die afrikanischen Kirchen begrenzter, extraordinärer Ritus gewesen, der mit der Verfolgungssituation der dortigen Christen zusammenhing, wie sich aus den von Cyprian geführten Diskussionen zum korrekten Tauftag wie auch den Dokumenten zum karthagischen Kindertaufstreit, mit dem der pelagianische Streit seinen Anfang nahm, rekonstruieren lasse.20 Die Kindertaufe sei dann zu einem Gewohnheitsrecht der Kirche stilisiert und schließlich retrospektiv zur apostolischen Tradition erhoben worden, was aber bereits als Ausdruck eines großkirchlichen, katholischen Selbstbewusstseins gewertet werden müsse.21 Am Ende dieser historischen Fehlentwicklung habe 2,14,8 in der Ersten Liebe. Um die Kindertaufe zu problematisieren, rekonstruiert Arnold einen nicht unbedeutenden Streit über das augustinische Taufverständnis im 16. Jahrhundert: Der spanische Humanist Juan Luis Vives habe Aug. civ. 1,27 dahingehend kommentiert, dass in der Alten Kirche niemand zur Taufe zugelassen worden sei, „ohne in seinen erwachsenen Alter / und wenn er wuste / was dieses Wasser bedeute / und wenn er bate / daß er damit abgewaschen wurde / und zwar muste er nicht nur einmal darum bitten“ (EL 2,308). Die Erstausgabe der Annotationes Vives’ stammt aus dem Jahr 1521 und war Heinrich VIII. von England gewidmet. Die älteste mir zugängliche Ausgabe ist eine Baseler Ausgabe von 1542, in der sich der von Arnold zitierte Kommentar zu civ. 1,27 auf Seite 77 findet: „Quibus baptizantos alioquendo, Ne quis fallatur hoc loco, nemo olim sacro admovebatur baptisterio, nisi adulta jam aetate, & cum idem ipse & sciret quid sibi mystica illa vellet aqua, & se ablui illa peteret, nec semel peteret.“ Diese Kommentierung habe nun wiederum der Lugoser Bischof Fernando Vellosillo Barrio als lutherisch diffamiert, als er, ohne es besser zu wissen, meinte, dass auch Luther gefordert habe, dass die Kinder bei ihrer Taufe „ihr Christenthum bekennen könnten“ (EL 2,308). Arnold zitiert hier aus Vellosillos Advertentiae Theologiae Scholasticae sive animadversiones in S. Augustini opera. Es war mir leider jedoch nicht möglich, das Zitat nach Arnolds Angabe „I,146“ aufzuschlüsseln. Vellosillos Verwerfung der Auslegung Vives’ findet sich jedoch im Schlusskapitel des 4. Teils, das mit „Cavenda in eo ex Ludovico Vives“ überschrieben ist und alle Irrtümer des Humanisten auflistet. In der mir vorliegenden Kölner Ausgabe von 1616 findet sich das Zitat auf Seite 74: „Assertio haec sapit Lutheranismum, nam cum non reprobet morem adultos baptizandi, consentit Luthero, qui pueros afferit non esse baptizandos, donec vsum perfectum rationis habeant, & ipsi respondeant se velle baptizati, & professionem Christianismi suspectione baptismi facere.“ Tatsächlich sind die Annotationes später auf Betreiben der Jesuiten indiziert worden. Arnold kommentiert nun zwar hinsichtlich der Unterstellung Vellosillos: „Welches aber bekannter massen ohne Grund geschrieben wird“ (EL 2,308) und nimmt damit Luther augenscheinlich aus der Schusslinie, fügt aber sogleich mehrere Zeugnisse – u. a. von Walahfrid Strabo, Basilius dem Großen und Hieronymus – an, in denen die katechetische Unterweisung als Zulassungsvoraussetzung der Taufe betont und der Missionsbefehl von Mt 28,26 in dem Sinne interpretiert wird, dass die Menschen zuerst zu Jüngern gemacht und dann getauft werden sollten: Erst müsse die Seele „die Wahrheit des Glaubens annehmen“, dann könne der Leib „das Geheimnis der Tauffe“ empfangen (EL 2,308). Arnold nimmt also einen kirchenhistorischen Anlauf von Tertullian und Augustin, um die lutherische Tauftheologie aus katholischer Perspektive zu problematisieren, gibt dann wiederum vor, diese in Schutz zu nehmen, zeigt aber schlussendlich große Sympathien für die Erwachsenentaufe. 20 Vgl. EL 2,308. 21 Vgl. EL 2,308 f. Hierbei referiert er Augustins berühmte Definition aus bapt. 4,24 (vgl. CSEL 51; 259,1–4: „Et si quisquam quaeret in hac re auctoritatem diuinam, quamquam, quod uniuersa tenet ecclesia ne conciliis institutum, sed semper retentum est, non nisi auctoritate apostolica traditum rectissime creditur […]“): „Was die gantze Kirche in acht nimmt / und gleichwol von keinem Concilio angeordnet / sondern nur allzeit so beybehalten worden ist / davon glaubet man gar recht / daß es durch Apostolische Autorität also übergeben sey.“
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man den für die Alte Kirche konstitutiven Konnex von Katechumenat und Taufe aufgelöst und die liturgischen Vollzüge, die ursprünglich der Erwachsenentaufe vorbehalten waren – Waschung, Salbung, erstes Abendmahl etc. –, auf die Kindertaufe transferiert.22 Diese Fehlentwicklung lastet Arnold auch den spätantiken Konzilen an, welche die Kindertaufe zum Zwecke der Vereinheitlichung und inneren Stabilisierung der Kirche vereinnahmten, als obligatorisch vorschrieben und eine Ablehnung mit dem Kirchenbann bedrohten.23 Es sind vor allem zwei miteinander aufs Engste verknüpfte theologische Probleme, die Arnold im Zuge dieser skizzierten Verfallsgeschichte der Kindertaufe anvisiert: der Heilsstatus der getauften Kinder und die Einrichtung des Patenamts. Die religiöse Erkenntnisfähigkeit der zu taufenden Kinder sei schon in der Alten Kirche, insbesondere in der Auseinandersetzung zwischen Augustin und den pelagianischen Leugnern der Kindertaufe in Karthago, umstritten gewesen. Der Kirchenvater sei sich unsicher gewesen, ob in den getauften Kindern der Heilige Geist wohne oder sie „nicht mit dem Hertzen zur Gerechtigkeit glauben und mit dem Munde bekennen können“,24 so dass er – wie auch sämtliche Verfechter der Kindertaufe nach ihm – auf das fragwürdige Argument einer fides aliena von Paten, Eltern oder Kirche habe zurückgreifen müssen.25 Und während die einen Kirchenväter und Konzile die ungetauften Kinder verdammt hätten, hätten andere einen „Mittelweg“26 vorgeschlagen und die Kinder von der Verdammung wie auch der Erlösung ganz ausnehmen wollen. Mit der Umwidmung des Patenamtes habe man diese Unentschiedenheit zu überwinden versucht, was Arnold jedoch ebenfalls scharf kritisiert: Hätten noch in der Alten Kirche die Paten als geistliche Führer fungiert, die die Täuflinge mit Ernst und Eifer auf die Taufe vorbereiteten,27 sei im dritten Jahrhundert die Sitte der Kindertaufpaten aufgekommen, wobei man zwischen Taufpaten und Täuflingen eine „neue geistliche Verwandtschafft erdich22 Vgl.
EL 2,309. EL 2,309. 24 EL 2,311. Arnold spielt hier Aug. bapt. 4,24 (vgl. CSEL 51; 259,26–28: […] ita in baptizatis infantibus praecedit regenerationis sacramentum et, si christianam tenuerint pietatem, sequetur etiam in corde conuersio cuius mysterium praecessit in corpore.“) und Aug. tract. in Ioh. 80,3 (vgl. CCSL 36, 529: „Hoc uerbum fidei tantum ualet in Ecclesia Dei, ut per ipsum credentem, offerentem, benedicentem, tinguentem, etiam tantillum mundet infantem, quamuis nondum ualentem corde credere ad iustitiam, et ore confiteri ad salutem.“) u. a. gegen Augustins Äußerung in „Epist. 57“ aus: „Der H. Geist wohne in ihnen / ob sie es gleich nicht wüsten.“ Welche Ausgabe der Briefe Augustins Arnold verwendet hat, ließ sich nicht rekonstruieren. Das Zitat findet sich in ep. 98 ad Bonifatium, in der Augustin sein Verständnis der Kindertaufe und des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kinder und dem der Kirche erläutert: „potest enim et in hoc et in ollo homine esse unus spiritus sanctus, etiam si inuicem nesciant“ (CSEL 34; 522,11 f). Vgl. hierzu die Untersuchung zur Darstellung des Pelagianischen Streites in der Historiographie des 17. und 18. Jahrhunderts von Bergermann, Historia Pelagiana, bes. 80–86.101–106 (zur Kirchen- und Ketzerhistorie und in Arnolds Werken ab 1703). 25 Vgl. EL 2,311. 26 EL 2,311. 27 Vgl. EL 2,311. 23 Vgl.
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tet[]“28 habe, ohne auch nur prüfen zu wollen, ob die Taufpaten dazu in der Lage seien, ihr Amt redlich zu versehen und die Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit ihrer Patenkinder zu fördern.29 Die Problemgeschichte der Kindertaufe dehnt Arnold in der Kirchen- und Ketzerhistorie auch auf die Reformation aus: Bereits innerhalb der Reformationskapitel meldet Arnold en passant Zweifel daran an, dass die von den Reformatoren, vor allem aber von Luther angeführte Begründung der Kindertaufe schlüssig gewesen sei,30 indem er aus verschiedenen Quellen rekonstruieren möchte, dass zu Beginn der Reformation die Erwachsenentaufe favorisiert, zumindest aber „die kinder=Tauffe in die Christliche freyheit gestellet / und die leute nicht eben dazu gezwungen / oder im fall der unterlassung verfolgt [worden seien] / wie hernach geschehen“.31 Anlass zu dieser Beobachtung gibt Arnold die Nördlinger Kirchenordnung, die Renovatio Ecclesiae Nordlingensis, aus der Feder Theobald Gerlachers,32 in der tatsächlich die Rede davon ist, dass solchen Eltern, die ihren Kindern die Taufe vorenthalten und ihnen nur die Hände auflegen lassen wollten, keinerlei Sanktionen drohten.33 Freilich sei auch in diesen Gemeinden die Kindertaufe nicht verboten gewesen und selbst radikalere Täufer wie Balthasar Hubmaier hätten glaubensschwachen Eltern die Kindertaufe zugestanden.34 Mit seiner Darstellung möchte Arnold jedoch insgesamt insinuieren, dass die Reformatoren die Kindertaufe zunächst – in Abgrenzung zur altgläubigen Kirche – in Frage gestellt hatten, bevor sie – wiederum in Abgrenzung zur Täuferbewegung – auf ein Taufverständnis ex opere operato zurückgefallen seien. Offene Kritik an der lutherischen Kindertauftheologie und -praxis äußert Arnold vor allem im recht umständlichen Wiedertäuferkapitel seiner Kirchenund Ketzerhistorie, das hier nicht im Einzelnen rekapituliert werden muss – Arnold selbst gesteht, dass es sich um eine „sehr weitläuffige und verworrene Historie“35 handle, die er weitestgehend aus ihm vorliegenden Darstellungen exzerpiert habe –, es genügt darauf hinzuweisen, dass Arnold die Erwachsenentaufe der Wiedertäufer als Renaissance der altkirchlichen Taufpraxis auffassen und ins Recht setzen möchte, während er im gleichen Zuge die evangelische Kindertauftheologie diskreditiert.36 In den Wiedertäuferkapiteln zeichnet Arnold das Bild einer in sich widersprüchlichen und unausgewogenen Tauf28 Vgl.
EL 2,310. EL 2,310. 30 UKKH 2,133: „Zugeschweigen / wie man sich von dem glauben der kinder noch schwerlich vereinigen können / und mancher in seinem hertzen mehr zweiffel als festigkeit davon haben mochte.“ 31 UKKH 2,133. 32 Vgl. Voges, Nördlingen, 11–45. 33 UKKH 2,133. 34 UKKH 2,133. 35 UKKH 2,263. 36 Vgl. UKKH 2,272: „Im übrigen sieht man auch aus ihrer widersacher schrifften / daß sie offt um rechte beständige gründe von der Kinder=Tauffe sehr bekümmert und ängstlich 29 Vgl.
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theologie der Reformatoren, welche die Kindertaufe nur mit großer Mühe und unter bewusster Ausblendung der bibeltheologischen Grundlagen retten konnten. Melanchthon etwa habe gegenüber dem Kurfürsten verlautbaren lassen, dass Augustin die Kindertaufe lediglich „mit der gewohnheit“ begründen konnte, was auch Luther insgeheim bemerkt habe.37 Auch Bucer habe laut Capito mit der Kindertaufe gehadert, weil ihr der Schriftbeweis fehle.38 Calvin hätten manche Lutheraner unterstellt, viele Kinder ungetauft zu lassen, und Zwingli sei nachgesagt worden, dass er die Kindertaufe nur aus Furcht vor den Papisten vertreten habe.39 Manche Reformierte hätten gar solche Kinder, die von Frauen getauft worden seien, erneut getauft, was Arnold für genauso widersinnig hält wie das Ansinnen von Katholiken, Taufen zu wiederholen, die in deutscher Sprache vollzogen wurden.40 Wieder andere protestantische Denominationen wie die Böhmischen Brüder oder die Pikardier hätten die Kindertaufe überhaupt nicht praktiziert.41 Von der historischen Warte aus betrachtet Arnold die Kindertaufe also als schriftwidriges, theologisch fragwürdiges und von der apostolischen Tradition völlig abständiges Ritual, das der verfallenen – konstantinischen wie lutherischen – Großkirche als Kontroll- und Unterdrückungsinstrument dient. 2. Rituelle Überfrachtung der Taufe. Die theologische Leerstelle, die sich durch die Auflösung des für die Alte Kirche konstitutiven Zusammenhangs von Buße, Katechese und Taufe ergeben habe, sieht Arnold durch die zeremonielle Überfrachtung der Kindertaufe gefüllt, welche der Veräußerlichung und Verflachung des urkirchlichen Rituals Vorschub geleistet habe.42 Vor allem die für die luthegewesen / und einander inständig um mittheilung derselben gebetn / weil sich die Wiedertäuffer dagegen so zu rühmen pflegten / und das volck so sehr und geschwind überreden könten.“ 37 UKKH 2,272. Arnold bezieht sich hier auf Seckendorffs Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo (Leipzig / Frankfurt 1692), Band 2, Seite 193. 38 UKKH 2,272. Arnold zitiert einen Brief Capitos nach Fechts Historiae ecclesiasticae saeculi XVI supplementum (Frankfurt / Speyer 1684), Seite 844. 39 UKKH 2,272. Hinsichtlich Calvin beruft sich Arnold hier auf „kurtzte anzeigungen und wiederlegungen der zugemessenen artickel wider die Prediger zu Brehmen 1582.4to“. Gemeint ist die Kürtze anzeigüng vnd widerlegung der zugemessenen Artickel vnd Puncten / in welchen die Prediger zu Bremen allerhand vermeinter jrrthümb vnd Sectereyen vnglücklichen bezichtiget […] in der Zweitausgabe des Jahres 1582, vierter Artikel, Seite B4r: „Darauff sagen die Bremische Prediger mit Calvino […] Das von frommen vnd Gotfürchtigen Eltern / frommen vnd Gotfürchtige heylige Kinder werden geboren / welchs ist contra Augustinum […]“. Hinsichtlich Zwingli bezieht sich Arnold auf Johann Heinrich Ottius’ Annales Anabaptistici (Basel 1672), Seite 335: „Zuinglium cum Grebelio & Mantzio deliberasse ait de Reformatione, eisdem assensum praebuisse circa baptismum adultorum, adeoq[ue] hos etiam Reformatores vocat, Anabaptismum autem Z uinglium introducere non ausum ne offendiculum adversariis daret.“ 40 Vgl. UKKH 2,272 f. Auch hier beruft sich Arnold auf eine Notiz aus Ottius’ Annales Anabaptistici (Basel 1672), Seite 188: „Infantes a mulieribus baptizatos rebaptizandos a Synodo Tigurina statutum; quia prior baptismus pro nullo habendus.“ 41 Vgl. UKKH 2,272 f. 42 Das Taufritual an sich könne keine Heilsrelevanz für sich beanspruchen, weil es ein vor-
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rische Tauf- und Bußtheologie prägnante Vorstellung eines ‚Zurückkriechens in die Taufe durch die Buße‘ will Arnold für die Alte Kirche gradewegs umgedreht sehen: Hier sei die Buße als Voraussetzung der Taufe verstanden, die Wassertaufe keineswegs unisono als heilsstiftend betrachtet,43 ja die Effektivität der Wassertaufe i. S. eines opus operatum scharf kritisiert worden. Als Kronzeugen dieser Auffassung will Arnold niemand anderen als Augustin nennen, der in seiner antidonatistischen Schrift De Baptismo festgestellt habe: „Die Vergebung der Sünden folget nicht auf die Tauffe / woferne sie nicht allein rechtmässig ist / sondern auch rechtmässig behalten wird.“44 Dies stimme nun mit der originären, d. h. vororthodoxen reformatorischen Tauftheologie völlig überein, was Arnold dezent andeutet, wenn er Luthers Kleinen Katechismus anzitiert: „Sie [die wahren Lehrer der Alten Kirche] bezeugten denen Sicheren und Heuchlern / wie das Wasser freylich nicht solche große Dinge thun könne / sondern der mit dem Wort vereinigte Glaube des Menschen.“45
Gerade Augustin, der bekanntermaßen in seinen antidonatistischen Schriften die Selbstgenügsamkeit des Sakraments ein ums andere Mal bekräftigt, jedoch gleichzeitig die Effektivität der schismatischen Taufe bestritten hatte, gilt Arnold im weiteren Verlauf seiner Darstellung nicht nur als wichtigster Referenzpunkt seiner Kritik an einer operativen Tauftheologie,46 verschiedene Auslegungsansätze des christliches Ritual sei, das bereits von den Juden und Johannes dem Täufer vollzogen und nur deswegen von Gott als Zeichen erwählt wurde, „damit er ihrer desto mehr gewinnen möchte“ – die Taufe ist also ein Akt seiner „freundlichen Herunterlassung […] und Bequemung zu dem / was damals schon gebräuchlich gewesen“ (EL 2,305). 43 Ambrosius etwa habe den taufwilligen, jedoch vor seiner Taufe verstorbenen Kaiser Valentinian als durch Christus Getauften bezeichnet (EL 2,314, Arnold bezieht sich hier offenbar auf Amb. ob. Val. 53 [CSEL 73; 355]); Augustin habe den Schächer am Kreuz als Beispiel für eine Rettung ohne Wassertaufe angeführt (EL 1,314, mit Verweis auf Aug. bapt. 4,22 [CSEL 51; 257,1–10]); Bernhard meint, der Heilige Geist würde „schon allein Genüge thun / wo die Noth die Tauffe nicht zugelassen“ (EL 2,314 mit einem allgemeinen Verweis auf Bernhards 77. Brief, dem berühmten, an Hugo von Sankt Viktor adressierten Tauftraktat. Als Referenztext für Arnolds Paraphrase kommt der folgende siebte Abschnitt in Frage, in dem Bernhard das Taufverständnis der Alten Kirche zusammenfasst und Augustin zitiert [SC 458; 330,22–27: „Quantam itaque, ait, valeat etiam sine visibili sacramento baptismi quod ait Apostolus: Corde creditur ad iustitiam, ore autem confessio fit ad salutem, in illo latrone declaratum est. Sed tunc, inquit, impletur invisibiliter, cum mysterium baptismi non contemptus religionis, sed articulus necessitatis excludit“]). Arnold weist durchaus darauf hin, dass es sich bei diesen Äußerungen um rhetorische Überspitzungen handelt und dass die von ihm zitierten, in Tauffragen vermeintlich liberalen Autoren durchaus die Wassertaufe als heilsnotwendig, d. h. als notwendig zur Vergebung der Sünde, betrachteten. 44 EL 2,314, mit Verweis auf Aug. bapt. 5,8 (CSEL 51; 270,1–3): „nec remissio inreuocabilium peccatorum consequitur baptisma, nisi non solum legitimum, sed etiam legitime habeatur“. 45 EL 2,314. Hv. PB. Vgl. WA 30/I; 311,25–30. 46 Vgl. EL 2,315: „In welchen und andern Worten die Weißheit solcher Lehrer dem verderblichen operi operato treulich begegnen wollten / oder der jenigen unseeligen Einbildung der Gottlosen / da sie meynen / das äußerliche Werck und Verrichtung (zum Exempel die Tauffe) bringe dem Menschen alsbald die Gnade Gottes / Bekehrung und Wiedergebuhrt / er möge
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Kirchenvaters47 veranlassen Arnold sogar zu dem Schluss, dass man in der Alten Kirche der Auffassung gewesen war, der Heilige Geist wirke völlig unabhängig von der Taufe: „die alten Christen seyen auch meistens vor der Tauffe von dem H. Geist erleuchtet und geheiliget gewesen“.48 Während Arnold die Bedeutung des Taufrituals als einer heilsvermittelnden Instanz in der vorkonstantinischen Kirche umfassend bestritten sieht, weist er durchweg auf die Zentral- und Vorrangstellung des Gebets im altkirchlichen Taufformular hin, was auch für seine spätere Tauftheologie wegweisend sein wird. Im „hertzliche[n] Gebet“, wie es als Katechumenengebt in die Constitutiones Apostolorum eingegangen ist, erachtet Arnold das altkirchliche Taufverständnis als Ganzes ideal verwirklicht. Er übersetzt es in voller Länge: „O Herre GOtt / gütig und von grosser Liebe gegen die Menschen: Erhöre gnädiglich unser Gebet und Flehen. Nimm auf dieser seiner Diener Gebet / und hilff ihnen / und gieb ihnen / was sie bitten / damit ihnen das Evangelium deines Gesalbten offenbahret werde. Erleuchte sie und lehre sie dein Erkäntnis / und zeige deine Gebote und Rechte. Gieb ihnen dein Heil. Furcht in ihre Seelen / und eröffne die Ohren ihrer Hertzen / daß sie Tag und Nacht in deinem Gesetze verbleiben / und bekräftige sie in deinem Dienst. Bringe und vereinige sie mit deiner Heil. Heerde / und schencke ihnen das Bad der Wiedergebuhrt / und das Kleid der Unsterblichkeit eines wahrhaftigen Lebens. Befreye sie aber von allen gottlosen Wesen / und gieb dem fremden Buße und Glauben zu Gott in Christo haben oder nicht. Denn dieser greuliche Irrthum risse auch vor dem Pabstthum schon mit dem Verfall der Christen in die Kirchen ein / gleichwie er nach dem vermeynten Fall desselben annoch herrschet.“ 47 So erzähle etwa Apg 10, dass der Heilige Geistes in Kornelius noch vor dem Vollzug der Wassertaufe durch den Apostel Petrus gewirkt habe. Dies habe Augustin dahingehend kommentiert, dass in Kornelius die „Heiligung des Geistes vorher gegangen [ist] / in der Gabe des Heil. Geistes / und das Sacrament der Wiedergebuhrt in dem Wasserbad der Tauffe ist dazu kommen“ (EL 2,315, mit einem Verweis auf Aug. bapt. 5,24. Das Zitat findet sich tatsächlich in Aug. bapt. 5,22 [CSEL 51; 259,20–22]: „[…] sicut Cornelio praecessit sanctificatio spiritalis in dono spiritus sancti et accessit sacramentum regenerationis in lauacro baptismi“). 48 EL 2,316. Letztlich habe auch „ein bekandter Mann zu seiner Zeit“ – gemeint ist wiederum Augustin (Arnold neigt typischerweise zur rhetorischen Distanznahme und Anonymisierung seiner Gewährsleute, wenn er seine Argumente überspitzt) – darüber geklagt, „wie etliche auch offenbahre Gottlosen zur Tauffe zulieffen / und wol gar unverschamter Weise dieses vor eine verkehrte Weise hielten / daß man erst einen lehren wolle / wie ein Christen sollen leben / und darnach erst tauffen.“ (EL 2,316. Arnold verweist hier auf Aug. fid. et op. 1 [CSEL 41, 35 f]; 12 [CSEL 41, 57–59]; 13 [CSEL 41, 59–61]; 14 [CSEL 41, 61–64]; 17 [CSEL 41, 74–78]; 18 [CSEL 41, 78 f]; 19 [CSEL 41, 79–81]). Zuletzt bestätige auch die Existenz der Bluttaufe – das Martyrium – die Relativität der Wassertaufe in der Alten Kirche: „Also hielte man dieses vor eine wahre und gültige Tauffe / so gar / daß sie die Wasser=Tauffe vertreten sollte / bey denen / die sie noch nicht empfangen / aber wiederum verlohren hatten“ (EL 2,317). Arnold bezieht sich zum einen auf Aug. civ. 13,7 (vgl. CSEL 40/1; 623,8–13): „Neque enim tanti sunt meriti, qui, cum mortem differe non possent, baptizati sunt deletisque omnibus peccatis ex hac uita emigrarunt, quanti sunt hi, qui mortem, cum possent, ideo non distulerunt, quia maluerunt Christum confitendo finire uitam quam eum negando ad eius baptismum peruenire.“ Zum anderen verweist er auf Tert. bapt. 16 (vgl. CSEL 20; 214,19–23): „hos duos baptismos de uulnere perfossi lateris emisit, quatenus qui in sanguinem eius crederent, aqua lauarentur, qui aqua lauissent, etiam sanguinem portarent. hic est baptismus qui lauacrum et non acceptum repraesentat er perditum reddit.“
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II. Arnold als Pfarrer
Geist nicht Raum wider sie / sondern reinige sie / und nimm hinweg alle Befleckung des Fleisches und des Geistes. Lasse in ihnen allzeit wohnen und wandeln deinen Gesalbten / und segne ihren Aus= und Eingang / und richte alle ihr Thun zu ihrem Heyl.“49
Angesichts seiner Kritik an der Taufe in der ‚verfallenen Kirche‘ mag es kaum überraschen, dass dieses Gebet in Arnolds Augen eine vorbildliche Tauftheologie repräsentiert, insofern es das operative Verständnis des Rituals konsequent unterläuft, während sich in ihm die völlige Angewiesenheit des Täuflings auf die Erfüllung der Taufverheißung und die Geistbegabung artikulieren. Die Bestätigung der Taufe wird hier von Gott erbeten, Vollzug und Wirksamkeit des Sakraments werden ihm allein anheimgestellt, das Ritual und seine Verifikation distinkt unterschieden. Mit dem Verfall der Kirche hätten jene abergläubischen Elemente Einzug in die Tauffeier gehalten, die teilweise auch noch in den für Arnold zeitgenössischen Taufliturgien Bestand haben, wie etwa die Salbung von Mund, Nase und Ohren, die Darreichung von Wein, Milch und Honig, der Wunsch, sich von Prälaten oder aber nur unter der Voraussetzung taufen zu lassen, dass die Familie oder Freunde anwesend seien.50 Vor allem der Exorzismus – zu Arnolds Zeiten fester, wenn auch nicht mehr unumstrittener Bestandteil der lutherischen Taufliturgie – sei erst nachträglich in den Taufakt eingeschoben worden. In neutestamentlicher Zeit sei er ausschließlich zur Heilung von Besessenen angewendet worden,51 die Urkirche habe „von diesen Gebrauch bey der Tauffe das geringste nicht gewust.“52 Ein recht ambivalentes Verhältnis hat Arnold auch zur Konfirmation bzw. Hand-Auflegung. In der Alten Kirche sei sie fester Bestandteil der Erwachsenentaufe gewesen: Sie habe diese bestätigt, zugleich sei sie Anlass zum Segenswunsch und zur Erinnerung an den Taufbund gewesen.53 In ihrem Kern stelle sie eine jüdische Sitte dar, an der man im Urchristentum nur als ein Zugeständnis an die „schwachen Jüden und Heyden […] / die immer gerne etwas äußerliches und sichtbares wollten haben“54 festgehalten habe. Den Sakramentscharakter der Konfirmation bestreitet Arnold ebenso wie ihre strikte Bindung an das Bischofsamt.55 Ursprünglich sei sie dem Bischof Anlass gewesen, seinen Seelsorgepflichten nachzukommen, die Neugetauften in seiner Diözese auf die rechte Lehre hin 49 EL 2,321. Arnold zitiert nach eigenen Angaben „Const. Apost. 8,5“, das Zitat findet sich (nach abweichender Zählung) in const. Apost. 8,6 (vgl. SC 336; 152,10–154,38). 50 EL 2,318. Auch die Festlegung eines bestimmten Ortes sei noch für die Alte Kirche unüblich gewesen: Die Taufe sei allerorten, wo es möglich war, vollzogen worden: In Gefängnissen, auf christlichen Friedhöfen, ja im Grunde überall dort, wo Gottesdienst gefeiert werden konnte, d. h. aber immer in der Gegenwart der Gemeinde (EL 2,321). Auch Baptisterien würden – so Arnold – eine späte Entwicklung darstellen und sollten sicherstellen, dass das Volk bei der Taufe zugegen sein und diese bezeugen konnte (vgl. EL 2,321). 51 EL 2,321. 52 EL 2,322. 53 EL 2,322. 54 EL 2,322. 55 Vgl. EL 2,323.
3. Sakramente
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zu prüfen und im Glauben zu stärken.56 Die Handauflegung sei eine Art Präsentation vor den Ältesten und Vorstehern der Gemeinde gewesen, durch welche die Taufe bestätigt und der Heilige Geist zugesprochen wurde.57 Daher betrachtet Arnold die Art der Konfirmation in der Alten Kirche – selbst wenn sie kein Sakrament im eigentlichen Sinne gewesen sei – als einen unerlässlichen Akt der Bestätigung der Taufe, insofern erst durch die Handauflegung der Heilige Geist vermittelt, während durch die Taufe bloß die Erbsünde vergeben wurde.58 Während aus seiner Sicht die Kindertaufe eine unordentliche Entwicklung der Kirchengeschichte darstellt, möchte Arnold daher an der Konfirmation – gewissermaßen als Kompensation des Bedeutungsverlustes der Taufe – festhalten und erklärt, dass „die Alten außer dieser Bestätigung keinen zur völligen Gemeinschafft der Heiligen gelaßen / weil sie sie noch fähig dazu vor dem öffentlichen Gebet hielten“.59 Er schließt sich daher Martin Chemnitz an, der der Konfirmation sechs wesentliche Funktionen beigemessen habe: Die Tauferinnerung, das Bekenntnis des Glaubens, dessen Prüfung, die Absage an Irrlehren, die Vermahnung „zum Wachsthum im Glauben und Liebe“ und „ein öffentliches Gebet / samt der Aufflegung der Hände ohne Aberglauben“.60
Mit der Kindertaufe ist nach Arnold der konstitutive Zusammenhang von Umkehr und Taufe aufgelöst, die altkirchliche Taufpraxis, die vor allem auf das Gebet um die unmittelbare Bestätigung der Taufe durch Gott zielte, verdrängt und das Ritual zu einem opus operatum entstellt worden. Diese Verfallsgeschichte überträgt Arnold in der Kirchen- und Ketzerhistorie maßstabsgetreu auf die Tauftheologie der reformatorischen Kirchen, wobei sich an der Grundtendenz seiner Kritik nichts mehr ändert. Seine Missbilligung der Kindertaufe kulminiert in einem Zitat aus den Kurfürstlichen Generalartikeln von 1557, die beanstanden, dass „bey vielen das hochwürdige Sacrament der Heil. Tauffe um das einbinden / geschenck und sonderlichen nutzens / etwan auch umziemlicher prachts und hoffarts willen mit grosser menge der gebetenen gevattern in ärgerlichen mißbrauch gezogen / und etliche hierdurch krämerey / fast dergleich wie verruckter zeit die Meß=Pfaffen im Pabsthum dem Nachtmahl des HErrn getahn […]“.61
Im Einzelnen kritisiert Arnold die übermäßige Anzahl an Paten,62 das „fressen und sauffen sampt allen uppigkeiten“,63 das Gepränge von Kleidern und die 56 Vgl.
EL 2,323. EL 2,322. 58 Vgl. EL 2,323. 59 EL 2,324. 60 EL 2,324. Arnold zitiert aus dem zweiten Teil des Examen Concilii Tridentini von Martin Chemnitz (Erstausgabe 1566–1573). Ihm dürfte die Genfer Gesamtausgabe aus dem Jahr 1641 vorgelegen haben, denn dort findet sich die Rede von der sechsfachen Funktion der Konfirmation, wie von Arnold angegeben, auf Seite 259 bzw. 258 f. Chemnitz’ Kritik am Tridentinum ist durchweg historisch fundiert und speist sich gleichermaßen aus Schrift- und Kirchenväterzitaten, weswegen das Examen in Arnolds Blickfeld gerückt sein dürfte, als er die Konfirmationstheologie der Alten Kirche erschließen wollte. 61 UKKH 2, 132. Es handelt sich um den Artikel über die Taufe (vgl. Sehling, Kirchenordnungen I, 318). 62 Vgl. UKKH 2,132. 63 UKKH 2,133. 57 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
horrenden Kosten für die Tauffeiern. All dies zeige eindrücklich, dass auch in den protestantischen Kirchen die Taufe als opus operatum missverstanden worden sei, als würde ihr bloßer Vollzug die Gnade vermitteln können und „die sünde so weg[nehmen] / daß es hernach keines glaubens / kämpffens / leidens / betens und anderer mittel brauche“.64 3. Das Problem der Würdigkeit des Täufers. Grundsätzlich sieht Arnold die Spendung der Taufe in der Alten Kirche nicht an den Klerikerstand gebunden: Alle Christen – Apostel, Diakone und Älteste – tauften, weil sie selbst qua ihrer eigenen Taufe dazu ermächtigt waren.65 Selbst die Taufe von Kindern durch Kinder sei anekdotenhaft überliefert.66 Arnold grenzt sich in diesem Punkt entschieden von Cave ab, der meinte, die Taufe sei auch in vorkonstantinischer Zeit von der Erlaubnis der Bischöfe abhängig gewesen, was jedoch schon allein deswegen nicht möglich sei, weil es das Bischofsamt in dieser Form und „eminenz“ noch nicht gegeben habe.67 Wichtiger als die Autoritätsfrage ist für Arnold ohnehin die Frage nach der Würdigkeit des Spenders. Während in der Alten Kirche ein tadelloser Leumund und ein herausragendes katechetisches Engagement vom Täufer gefordert wurden,68 seien mit dem konstantinischen Verfall die Lehrer nachlässig darin geworden, ihre Täuflinge sorgfältig zu unterrichten, so dass sie sie „ohne vorhergehende Vorbereitung und Unterweisung taufften / auch damit nur den Hauffen der rohen sicheren Maul=Christen zu ihren und der anderen Gerichte vermehrten“.69 Vor allem aufgrund der Achtlosigkeit der Lehrer sei die lebensverändernde Bedeutung der Taufe in Vergessenheit geraten: So wie sich die Getauften ganz auf das opus operatum verließen, weil es ihnen keinerlei Bußanstrengung abverlangte, begnügten sich die Prediger damit, den bloßen Ritus der Taufe zu vollziehen, um niemanden zu verprellen.70 Dass Arnold diesen Verfallsprozess in der Kirchen- und Ketzerhistorie auch in der Geschichte der reformatorischen Kirchen wiederentdecken kann, mag kaum überraschen.71 64 UKKH
2,133. EL 2,305. 66 Vgl. EL 2,305. Arnold bezieht sich hier auf die Anekdote, dass Athanasius als Kind seine Spielgefährten getauft habe. Er gibt als Quelle Soz. hist. eccl. II,17 an (vgl. GCS.NF 4; 131,10– 132,5), wo sich die Episode allerdings nicht finden ließ. Verbürgt ist sie jedoch bei Ruf. hist. eccl. 10,15 (vgl. GCS.NF 6,2; 981,9–15): „[…] Athanasium, qui ludi illius puerillis episcopus fuerat simulatus. tum ille diligenter inquirens ab his, qui baptizati dicebatur, quid interrogati fuerint quidve responderint, simul et ab ei, qui interrogaverat, ubi videt secundum religionis nostrae ritum cuncta constare, conlocutus cum concilio clericorum statuisse traditur illis, quibus integris interrogationibus et responsionibus aqua fuerat infusa, iterari baptismum non debere, sed adimpleri ea, quae a sacerdotibus mos est.“ 67 EL 2,305. 68 Vgl. EL 2,307. 69 EL 2,318. 70 Vgl. EL 2,320. 71 Vgl. UKKH 2,132. Die Fehlentwicklung der Tauftheologie in der Reformationszeit geht nach Arnold auf einen reziproken Verfallsprozess zurück: Die Pfarrer wollten das Kirchenvolk 65 Vgl.
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Fassen wir zusammen: Arnolds Kritik an der lutherischen Taufpraxis, wie sie sich in der Ersten Liebe und Kirchen- und Ketzerhistorie darstellt, fällt – trotz aller Neutralitätsbekundungen – überaus scharf aus: Er wendet sich gegen wesentliche theologische Prämissen und Vollzugsformen des lutherischen Taufverständnisses wie die Kindertaufe, den Exorzismus oder die Selbstwirksamkeit des Sakraments. Bereits in seinen historischen Schriften formiert sich darüber hinaus die Forderung, den originalen Sinngehalt des Taufsakraments – die Abkehr von der Sünde – auf eine andere Weise zu vermitteln als durch den sakramentalen Vollzug an sich: Damit die Taufe als lebensveränderndes Sakrament, als Übergang von einem gottlosen zu einem heiligen Leben, mithin als Ritual der Umkehr wiederentdeckt werden könne, bedürfe es der eingehenden Vermahnung zur Umkehr – und des Gebets.
3.1.2. Reformvorschläge in den pastoraltheologischen Programmschriften Arnolds liturgische Reformvorschläge konzentrieren sich in der Erst- und Zweitauflage der Geistlichen Gestalt, wobei seine Überlegungen in der Erstauflage noch einigermaßen schwebend ausfallen und eher auf die Kritik am lutherischen Taufverständnis zielen, während er in der Zweitauflage sehr konkrete Empfehlungen zur Reform des Taufvollzugs unterbreitet, was nicht zuletzt damit zu tun haben dürfte, dass er erst in Werben und Perleberg mit den konkreten liturgischen Problemen des Taufritus und den damit verbundenen Missverständnissen auf Seiten der Gemeinde konfrontiert worden ist, während der Vollzug der Taufe auf dem Allstedter Witwensitz eher die Ausnahme gewesen sein dürfte. Wichtigster liturgiegeschichtlicher Bezugspunkt ist für Arnold in beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt Martin Luthers Taufbüchlein (1523/26). Mit Sicherheit bezieht er sich auf die gegenüber der ersten Fassung von 1523 noch einmal deutlich reduzierte Fassung von 1526, die als Anhang zum Kleinen Katechismus ab 1529 weite Verbreitung und sogar teilweise Eingang in das Konkordienbuch fand.72 In der noch auf Schloss Allstedt verfassten Erstauflage der Geistlichen Gestalt (1704) befasst sich Arnold – entsprechend seinem Anliegen, nur die geistliche, d. h. inwendige Gestalt des Lehrers und nicht seine äußerlichen Amtsverrichtungen darzustellen – nur auf wenigen, gerade einmal zwei Seiten, mit der Taufe. Dabei unterlässt er jede explizite Kritik an der Kindertaufe – man darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht außer Acht lassen, dass Arnold in der Geistlichen Gestalt insgesamt etwas leiser tritt –,73 bekräftigt jedoch seine frühere nicht mit dem Bußaufruf, der mit der Taufe verbunden ist, verprellen, das Kirchenvolk stimmte stillschweigend in die Veräußerlichung des Taufgeschehens ein, um sein religiöses Sicherheitsbedürfnis befriedigt zu wissen. 72 Vgl. Kolb/Schilling, Einleitung, 883 f. Vgl. aber auch GG2 2,390, wo Arnold aus der Neuauflage von 1526 zitiert (WA 19; 537,29–538,1). Die Erstfassung von 1523 verfügt über keine Vorrede. 73 Vgl. Kapitel I.3.1.
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II. Arnold als Pfarrer
Missbilligung an der Veräußerlichung des Sakraments und verweist in diesem Zusammenhang ganz unverhohlen auf die Erste Liebe und die Kirchen- und Ketzerhistorie, so dass deutlich wird, dass seine früheren historischen Untersuchungen des Gegenstandes nach wie vor maßgebend sind. Vor allem die Zentralstellung des Taufgebets in der Alten Kirche, wie sie Arnold in der Ersten Liebe rekonstruiert hat, prägt seine Argumentation und bestimmt seine Lesart des Taufbüchleins. So zitiert er ostentativ Luthers Vorrede, in der der Reformator auf die Bedeutung des Gebets während der Tauffeier eingeht: „[…] daß es wol noth sey / dem armen Kindlein aus gantzem Hertzen und starckem Glauben beystehen / auf das andächtigste bitten / daß ihm GOTT nach laut dieser Gebote nicht allein von den Teuffels Gewalt helffe / sondern auch stärcke / daß es mög wider ihn ritterlich im Leben und Sterben bestehen.“74
Auch in der folgenden Argumentation beansprucht Arnold Luther als Gewährsmann einer einzig auf das Gebet fokussierten Taufliturgie, ja dieser habe pointiert herausgestellt, dass die „meisten Handlungen“ der Taufe allein „im Gebet“75 bestünden. Tatsächlich wird Arnold damit Luthers Vorrede im Einzelnen wie auch seinem Taufbüchlein insgesamt nur zu einem Teil gerecht, in dem ja durchaus auch die rechtfertigungstheologischen Implikationen des Sakraments in den Blick genommen werden und der Taufexorzismus, wenn auch in reduzierter Form, als obligatorische Vorbereitungshandlung in Geltung bleibt. Arnold übergeht diese Aspekte jedoch entschieden und betont, dass die von Luther nahegelegte Konzentration des Ritus auf das Gebet alle äußerlichen Zeremonien relativieren und gleichzeitig den Taufakt an sich revitalisieren könne:76 „Ernst und Kampff“,77 mit denen die Gebete während der Taufe verrichtet werden sollen, würden die äußerliche Form und Zeremonie des Sakraments „vergessend machen“ und „auf diesen heilsamen und nöthigen Zweck allein (welcher das gegenwärtige unschuldige Kindlein betrifft) führen und halten können“.78 Mit keinem Wort geht Arnold auf die Frage ein, ob mit der Taufe die Erbsünde ausgelöscht wird, und gibt fernerhin zu bedenken, dass – wolle oder dürfe man nicht auf ihn verzichten – der Exorzismus, welcher auch in Luthers Taufbüchlein mit der Erbsündenproblematik aufs Engste verknüpft ist,79 „nach den Grund= Regeln des Christenthums“ solange als Adiaphoron ertragen werden solle, „biß GOTT auch darinne das Gewissen zu Ruhe brächte“,80 d. h. bis Gott ihn auch den Schwachen als obsolet zu verstehen gebe. Den eigentlichen Sinn und Zweck 74 GG 452. 75 GG 452. 76 Vgl.
Vgl. WA 19; 537,26–29.
GG 452.
77 GG 452.
78 GG 453. Wie der in Klammern gesetzte Relativsatz „welche das gegenwärtige unschuldige Kindlein betrifft“ hier zu verstehen ist, erläutert Arnold nicht. 79 Vgl. WA 12; 42 f. 80 GG 453.
3. Sakramente
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der Taufe erachtet Arnold also in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt darin, dass sich die Gemeinde zum Gebet für den Täufling versammelt. Auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt (1712/23) nimmt Arnold seine Vorbehalte keineswegs zurück, im Gegenteil entschuldigt er sich, dass seine früheren Ausführungen zur Taufe „allzu kurtz“81 gewesen seien, und tatsächlich fällt seine Kritik nun noch schärfer aus als 1704: Ein leichtfertiger Vollzug der Taufe verzerre – Arnold weist wiederum umstandslos auf seine historischen Schriften zurück – das Sakrament zum „opus operatum“.82 Manch ein Prediger begnüge sich damit, „wenn die Worte und alles andere so kaltsinnig dabey geschehen“, profaniere das Geschehen „durch crebros actus [zahlreiche Handlungen]“ und entstelle damit – Arnold greift auf das berühmte Diktum Heinrich Müllers zurück – den Taufstein zum Götzen.83 Auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt verweist Arnold stereotyp auf Luthers Taufbüchlein, wobei diese Referenz nun jedoch ein deutlich kritischeres Potential als noch 1704 in sich trägt, da im direkten Vergleich des Büchleins mit der kurbrandenburgischen Agende,84 der Arnold als Pfarrer in Werben und Perleberg verpflichtet ist, klar wird, dass die demonstrative Hochschätzung des Taufbüchleins eine subversive Kritik an der kurfürstlichen Agende miteinschließt, insofern Luther nicht nur eine Konzentration des Taufaktes auf das Gebet fordert, sondern eine im Vergleich zur Agende viel schlankere Form des Tauf- und Exorzismusformulars vorschlägt. Wie radikal das von Arnold herangezogene Taufbüchlein von der kurbrandenburgischen Tauf agende abweicht, wird in der folgenden Synopse deutlich (siehe folgende Seiten). Im Vergleich zur von Arnold präferierten Zweitauflage des Taufbüchleins85 legt die kursächsische Agende einen deutlichen Akzent auf den Exorzismus und behält zudem eine Reihe von Begleitzeremonien bei, die das eigentliche Taufgeschehen rahmen (Salbung, Chrisamsalbung und Anzünden der Taufkerze). Die kurbrandenburgische Taufliturgie unterstreicht damit aufs Ganze gesehen die konstitutive Bedeutung des stellvertretenden Glaubens der Paten, die Heilsnotwendigkeit 81 GG2
2,389. 2,390. 83 GG2 2,390. 84 Die Agende regelt die Taufe in drei Abschnitten: Präambel, Liturgie zur Nottaufe und Liturgie zur regulären Taufe. 85 Im direkten synoptischen Vergleich wird erkennbar, dass sich die beiden Fassungen des Taufbüchleins deutlich unterscheiden (vgl. hierzu ausführlich Peters, Taufbüchlein, 157–190): Die zweite Fassung von 1526 reduziert den Exorzismus massiv, so dass sich eine von der Fassung aus dem Jahr 1523 abweichende liturgische Kontextualisierung des Sintflutgebets und des Gebets um die geistliche Wiedergeburt des Täuflings ergibt, die nun nicht mehr in den Beschwörungsritus eingebunden, sondern deutlicher auf den Taufakt selbst bezogen sind. Damit verlagert sich auch die markante Eröffnungsbeschwörung, in der der Täufer den Satan zum „Ausfahren“ auffordert und den Heiligen Geist anruft, insofern in der Fassung von 1526 der Schwerpunkt eher auf der Anrufung als auf der Austreibung liegt. Insgesamt wird die Zeremonie im Taufbüchlein von 1526 deutlich verschlankt, von den verschiedenen rituellen Begleitelementen bleibt nur noch die Bekleidung des Täuflings mit dem Westerhemd übrig. 82 GG2
(Neu-)Eröffnung (Gruß und Antwort: „Der Herr sey mit euch“ – „Und mit deynem geyst“) ohne Kreuzzeichen
Gabe von Salz und Gebet um die Erfüllung mit geistlicher Speise „Sintflutgebet“ (daran schließt sich unmittelbar an:) Dreimalige Beschwörung des Satans, letzte Anrede als inclusio zum Sintflutgebet: „Ich beschwere dich, du unreyner geyst, bei dem namen des vaters und des sons und des heyligen geists, das du ausfarest und weichest von diesem diener gotis N. denn der gepeutt dyr, du leydiger, der mit fussen auff dem meere ging, und dem synckenden Petro die hand reych.“92 Abschlussgebet mit Bitte um Erleuchtung des Täuflings
Zweites Gebet um die geistliche Wiedergeburt des Täuflings
Erstes Gebet um die Überwindung des Teufels
Eröffnung des Exorzismus mit dreimaligem Blasen unter die Augen: „Far aus, du unreiner geyst, und gib raum dem heyligen geyst.“88 Kreuzzeichen an Brust und Stirn des Täuflings
Taufbüchlein (1523)
Abschlussgebet mit Bitte um Erleuchtung des Täuflings (größtenteils identisch mit Luther 1523) (Neu-)Eröffnung (Gruß: „Der herr sei mit euch“) Kreuzzeichen über dem Kind
Dreimalige Beschwörung des Satans mit Refrain „Darumb, du vermaledeiter teufel, erkennen dein urteil …“93 (in der dritten Anrede größtenteils identisch mit Luther 1523)
Gabe von Salz und Gebet um die Erfüllung mit geistlicher Speise
Erstes Gebet um die Überwindung des Teufels (in großen Teilen identisch mit Luther 1523) Zweites Gebet um die geistliche Wiedergeburt des Täuflings (tw. im Wortlaut identisch mit Luther 1523)
Kreuzzeichen an Brust und Stirn des Täuflings91
Abfrage der Personendaten des Täuflings und Anfrage, ob er bereits getauft ist86 „Ermanung“ mit besonderer Berücksichtigung der hamartiologischen Prämissen des Taufgeschehens (Adamssünde, Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit der „armen kindlein“) und der Bewährung der Taufgnade in der Anfechtung87 Eröffnung des Exorzismus: „Fare aus, du unreiner geist, und gib raum dem heiligen geist.“89
Kurbrandenburgische Agende (1540)
Einmalige Beschwörung des Satans (einfache Ausführung: „Ich beschwere dich, du unreyner geyst, bei dem namen des vaters und des sons und des heyligen geists, das du aus farest und weichest von disem diener Jhesu Christi.“94)
Gebet um die geistliche Wiedergeburt des Täuflings „Sintflutgebet“
Eröffnung des Exorzismus: „FAr aus, du unreiner geist, und gib raum dem heiligen geist.“90 Kreuzzeichen an Brust und Stirn des Täuflings
Taufbüchlein aufs Neue zugerichtet (1526)
330 II. Arnold als Pfarrer
87
Kirchenordnungen III, 55. A. a. O. 55 f. 88 WA 12; 42,4. 89 Sehling, Kirchenordnungen III, 56.
86 Sehling,
Anlegen der „hauben“ und Proklamation der Sündenvergebung Anzünden der Taufkerze und Übergabewort
Salbung des Hauptes Vergebungszuspruch
Frage nach dem Taufbegehren (Paten) Taufe
Entsagung und Beantwortung der Tauffragen durch die Paten
Übergangsgebet am Kirchenportal
Gemeinsame Berührung des Hauptes des Täuflings durch Priester und Paten; gemeinsames Vaterunser (gekniet) Ephata-Ritus
Biblische Lesung Mk 10,13–16 mit Versikel („Ehre sey dyr herre“).
19; 539,4. Kirchenordnungen III, 56. 92 WA 12; 44,25–28. 93 Sehling, Kirchenordnungen III, 57.
91 Sehling,
90 WA
Vergebungszuspruch über dem Taufstein Chrisamsalbung Anlegen des westerheubleins (also des Chrismale) und Proklamation der Unschuld des Täuflings Anzünden der Taufkerze, berührt von Paten und Täufer; Übergabewort als „licht des christlichen glaubens“ Segen
Apostolisches Glaubensbekenntnis95 Beschwörung des Satans (der Täufer hält seine Hand allein über dem Kind) Übergangsgebet am Kirchenportal („Der herr beware deinen eingang und ausgang von nu an bis in ewigkeit, amen“96) In der Kirche: Entsagung und Beantwortung der Tauffragen durch die Paten Salbung an Brust und zwischen den Schultern Frage nach dem Taufbegehren (Paten) Taufe: „Ich taufe dich im namen des vaters und des sons und des heiligen geists“97
Vermahnung der Paten Gemeinsame Berührung des Hauptes des Täuflings durch Priester und Paten; gemeinsames Vaterunser
Biblische Lesung Mk 10,13–16
3. Sakramente
97 Ebd.
96 Ebd.
19; 540,4–6. Kirchenordnungen III, 58. 95 Sehling,
94 WA
Anlegen des Westerhemds und Proklama tion der Sündenvergebung
Frage nach dem Taufbegehren (Paten) Taufe
Entsagung und Beantwortung der Tauffragen durch die Paten
Übergangsgebet am Kirchenportal
Gemeinsame Berührung des Hauptes des Täuflings durch Priester und Paten; gemeinsames Vaterunser (gekniet)
Biblische Lesung Mk 10,13–16
331
332
II. Arnold als Pfarrer
der Kindertaufe und die durch die Taufe gewährte Vergebung der (Erb-)Sünde, gleichzeitig treten die Vermahnungen, Involvierung und Ansprache der Gemeinde in den Hintergrund und die Interaktion beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wechselgebete, die Entsagungsformel, das gemeinsame Sprechen von Vaterunser und Apostolikum. Hinzu kommt, dass die Gebete, die nach Arnold ja das zentrale Element der Tauffeier darstellen sollen, in der brandenburgischen Ordnung vor allem in den Exorzismus eingebunden oder aber auf zweitrangige liturgische Elemente (Salbung, Kerze etc.) bezogen sind, nicht jedoch das vom Taufakt unabhängige Wirken Gottes am Täufling affirmieren. Dass Arnold in der Geistlichen Gestalt auf das Taufbüchlein zurückgreift, erweist sich also auf den zweiten Blick als subversive Kritik an der brandenburgischen Ordnung. Arnold möchte es als allgemein verbindliche Grundlage der Tauffeier ins Recht setzen und damit die Taufagende Kurbrandenburgs einer kritischen relecture unterziehen. Auch seine frühere Problemanzeige hinsichtlich einer mangelnden innerlichen Partizipation der Teilnehmenden löst Arnold nun ein und appelliert an die Gemeinde, Prediger wie Eltern und Paten, die Gebete aufrichtig und andächtig mitzusprechen: „Ich bitte alle die, so taufen, wollten zu Hertzen nehmen das treffliche Werck und den grossen Ernst, der hierinnen ist, u. s.f. Ja er [Luther] saget zu jedermann Warnung, daß eben hievon die Welt voll böser Christen werde: Ich besorge, daß darum die Leute nach der Tauffe so übel gerathen, daß man so kalt und läßig mit ihnen umgegangen, und so gar ohn Ernst für sie gebeten hat in der Tauffe.“98
Wiederum in Anschluss an Heinrich Müller empfiehlt Arnold, dass auch die Paten „auf den Knien liegen, und zu Gott seuffzen [sollen], daß er sich der armen Kindlein erbarme“,99 was womöglich auf die Verinnerlichung des – laut Taufbüchlein explizit auf Knien gebeteten – Vaterunsers abzielt. Die Kaltherzigkeit der Paten und die Kraftlosigkeit ihrer Gebete seien jedenfalls – so Arnold weiter im Fahrwasser Müllers – Ausdruck einer großen Erfahrungsleere und würden im Jüngsten Gericht scharf geahndet werden.100 Müllers Kritik möchte Arnold unter Rückgriff auf Arnold Mengerings Scrutinium conscientiae (Altenburg, 1643) dann auch auf die Prediger ausweiten. Vor allem die feierliche Haltung und Ernsthaftigkeit des Predigers würde einen bleibenden Eindruck bei der Taufgemeinde hinterlassen, während ein nachlässiger Vollzug des Rituals „das Werck des H. Geistes quoad renovationem an solchem Tauff=Kindlein hindert, und den Grund=Schaden der Erbsünde ungesteuert und ungewehrt läst“.101 Vor dem 98 GG2 2,390. Ein Zitat aus der Vorrede zur zweiten Fassung des Taufbüchleins (WA 19; 537,29–538,1). 99 GG2 2,390. Arnold zitiert hier wiederum aus einer Frankfurter Ausgabe von Heinrich Müllers Göttliche Liebes-Flamme Oder Auffmunterung zur Liebe Gottes (1677), Seite 97. Müller richtet die mahnenden Worte dabei jedoch an die Taufeltern. 100 GG2 2,391. 101 GG2 2,392. Arnold zitiert hier (seitenscharf) aus der Frankfurter Ausgabe von 1687,
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Vorwurf des Donatismus möchte Arnold Mengering freilich sogleich in Schutz nehmen, stelle dieser doch keineswegs die Gültigkeit und Würde des Sakraments in Frage, sondern schaue vielmehr auf den Glauben, „ohne welchen ja alles Thun Sünde ist, und also auch unfruchtbar. Daher fordert er billig, daß der Täuffer vom H. Geist dazu gesalbet seyn müsse“.102 Auch den „Umstehenden“ – Arnold greift hier auf einen terminus technicus zurück, welcher in der brandenburgischen Kirchenagende von 1540 die Taufgemeinde bezeichnet –103 würde sich die fundamentale Bedeutung des Taufakts nur dann erschließen, wenn der Prediger die Taufe mit Ernst, Inbrunst und Glaubenseifer vollziehe. Nur unter dieser Voraussetzung würden Taufzeugen, Familien und Paten dem heranwachsenden Täufling den lebensverändernden Charakter der Taufe in Erinnerung rufen, deren Bedeutung als Initiation der lebenslangen Buße vermitteln und ihrer Aufgabe als Christenmenschen gerecht werden können.104 Abgesehen von der Abschaffung des Exorzismus fordert Arnold keine weiteren konkreten Maßnahmen zur Umgestaltung der Tauffeier. Ihm liegt vor allem an der inneren Anteilnahme des Predigers und der Taufgemeinde, von welcher die Wirksamkeit der Taufe bzw. ihre Eindrücklichkeit und Nachhaltigkeit maßgeblich abhänge, insofern aus dem authentischen Handeln des Zelebranten der Taufakt seine Strahlkraft gewinnt und einen bleibenden Eindruck auf die „Umstehenden“ hinterlässt, was sich wiederum positiv auf die christliche Erziehung des Täuflings und sein geistliches Wachstum auswirken würde. Freilich betont Arnold durchweg, dass Gottes Wirken in der Taufe unverfügbar sei: Die Taufgemeinde müsse um den Beistand Gottes bitten, er werde dem Täufling nicht qua Taufe vermittelt. Der in Erster Liebe und Kirchen- und Ketzerhistorie festgestellte Verfall der lebenseinschneidenden Erwachsenen- zu einer ritualisierten und formalisierten Kindertaufe wird also insbesondere durch die geistliche Gestalt des Predigers, mit anderen Worten: durch die im Prediger anschaulich werdende, wirksame Macht Gottes, überwunden. Im inbrünstigen Gebet, nicht in der Observanz gegenüber der Liturgie, wird der ursprüngliche Sinn der Taufe als Übereignung des Täuflings an Gott wiederhergestellt und ihre Selbstmächtigkeit i. S. eines opus operatum unterlaufen.
1253 f. Mengering entfaltet entlang Luthers Katechismus einen Beichtspiegel für alle christlichen Stände. In der ersten Gewissensfrage des 4. Hauptstücks, mit der er zu den Sakramenten überleitet, fragt er „Prediger und Täuffer: Ob sie mit rechten Ernst / Reverentz und Andacht solch Sacrament administriret: Oder ob sie trunckener Weise / und wohlberauschet / in tollen vollen Sinne / ohn Andacht die Tauffe verrichtet und vollzogen.“ 102 GG2 2,392. 103 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 54. 104 GG2 2,393.
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3.1.3. Bewältigungsstrategien Inwiefern Arnold seiner eigenen Forderung eines andächtigen und ernsten Vollzugs der Taufe Folge leistete, lässt sich nicht ermitteln, doch in einigen Predigten, Ansprachen und in seinen Katechismen zeichnen sich verschiedene Bewältigungsstrategien ab, anhand derer Arnold das Problem einer veräußerlichten Taufpraxis aufzufangen, auf die lebensverändernde Bedeutung des Taufgeschehens hinzuweisen und die Taufe trotz und im Rahmen der für ihn anfechtungsvollen kurbrandenburgischen Liturgie zu ‚retten‘ versucht. 3.1.3.1. Mystische Aneignung der Taufe im Modus der Taufanamnese – die Predigt über Röm 6,3–11 von 1703 Schon bevor er in Werben und Perleberg mit einer aus seiner Sicht problematischen Taufpraxis konfrontiert gewesen ist und in der Geistlichen Gestalt seine Überlegungen zur Reform des Taufritus entfaltet hat, befasst sich Arnold in einer auf dem Allstedter Schloss gehaltenen Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis 1703 (Nr. 51, 15.07.1703) mit dem Problem des in der Kindertaufe aufgelösten Konnexes von Taufe und Buße und setzt ihm eine konsequent mystische Tauferinnerung und -erneuerung entgegen. Indem er das Ritual der Taufe als vollzogen voraussetzt, dessen Heilsrelevanz jedoch von der Erneuerung des Bundes und vom Nachvollzug des Todes Jesu im Sinne einer Lebens- und Wesenserneuerung abhängig macht, kann er die Kindertaufe ins Recht setzen und gleichzeitig ihren geistlichen Charakter und Nutzen unterstreichen. Gegenstand der Predigt ist Röm 6,3–11 und damit ein Schlüsseltext der neutestamentlichen Tauftheologie. Im exordium der Predigt relativiert Arnold die Bedeutung der Kindertaufe und bekräftigt, dass in der alten, verfolgten Kirche „meist erwachsene und solche getauffet [wurden] / die da den sinn hatten / die welt und alles böse zuvelassen [sic!] / und bei Christo in lieb und leid auszuhalten / und sich ihm mit leib und seel und geist gantz zu übergeben […]“.105 Im gleichen Zuge kann er die Kindertaufe, obwohl ihr der Bußcharakter im Laufe der Zeit abhandengekommen sei, als „bund (oder die angelobung und zusage) eines guten gewissens mit GOtt“106 bezeichnen. Indem er die Taufe ausgehend von 1 Pet 3,21 als Anlass zur Bitte um die Erneuerung des Lebens bestimmt und dieses Verständnis in den Predigttext hineinträgt, insofern er meint, dass auch Paulus seine Adressaten „auff diese zusage und resolution“ führe, kann er der Kindertaufe einen Heilscharakter abringen, der eigentlich nur der Erwachsenentaufe zukommt: Ein Mensch, der sich „in gar ernster umkehrung dem HErrn JEsu zur erlösung nahet und hingibt“ und dadurch den Geist Christi empfange,107 werde der Erneuerung des Bundes 105 VJC
573. VJC 573. 107 Vgl. VJC 574. 106 Vgl.
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teilhaftig, welchen Gott mit ihm einst in der Taufe geschlossen hat. Nur auf diese Weise werde „die krafft der tauffe“ mächtig: „Alsdenn entstehet ein neuer bund zwischen Christo und der seele / daß sie einander ewig treu seyn wollen: Die seele gibt ihm ihre willens=krafft ein und über / und Christus nimmt sie in die krafft seines heiligen leidens und sterbens ein / und durchdringet / tingirt [benetzt, PB] und imbuirt [tränkt, PB] sie gleichsam damit. Auf solche weise wird die krafft der tauffe mächtig / daß der mensch mit gepflantzet wird der gleichheit des todes Christi / wie hier [im Predigttext] weiter stehet.“108
Der als Kind getaufte Mensch bleibt also sein Leben lang dazu verpflichtet, sich dem Heiligen Geist zu ergeben und sich von ihm ergreifen zu lassen – sonst sei die „euserliche tauffe“ nichts nutze.109 Die Kindertaufe harrt nach Arnold also der Bestätigung und Beglaubigung durch Christus selbst. Diese Beglaubigung vollzieht Arnold nun paradigmatisch und repräsentativ in seiner Predigt. Er stellt sie unter die propositio der Herrschaft Christi über die geistlich Toten und Lebendigen und rückt damit Röm 6,8 ins Zentrum seiner Auslegung: „Sind wir aber mit Christo gestorben / so gläuben wir / daß wir auch mit ihm leben werden.“110 Arnold geht es in seiner Predigt darum, die Realität der gebrochenen Sündenherrschaft und damit die lebensverändernde Kraft der Einwohnung Christi zu bekräftigen. Arnolds Christozentrik und der modus parakletikon bestimmen daher Form und Anspruch der Predigt: Nicht die heilsgeschichtliche Tatsache, dass der Kreuzestod die Erlösung von der Sünde bewirkt habe, steht im Fokus, sondern vielmehr die Internalisierung und Realisierung dieses Geschehens anhand der Illustration des Sterbens Christi in seinen verschiedenen Facetten, wie sie Röm 6,3–11 einfängt. Während die der menschlichen Erfahrung in der Regel unzugängliche Kindertaufe das wesentliche Initiationsritual darstellt, durch das der unmündige Täufling in den Prozess des Sterbens Jesu involviert wird (Röm 6,3), ist dessen imitierender Nachvollzug dem nunmehr erwachsenen und mündigen Gläubigen anheimgestellt. Dazu schreitet Arnold die im Predigttext dargestellten Stationen der Passion Jesu ab: Die Taufe i. S. der „einweihung oder zurüstung der seele“ verifiziert sich im Nachvollzug von Kreuzigung, Sterben und Begraben-Werden mit Christus nach Röm 6,3–11, wobei die Unterwerfung des eigenen Willens unter den Willen Gottes Ziel dieser allegorischen Aneignung des Predigttextes ist. So symbolisiere die Kreuzigung die Fesselung und Bewegungslosigkeit des Willensvermögens: „Das ist der anfang der treue in einer seele / daß sie sich selber und ihre begierden lernet zwingen / und bändigen / damit das arge falsche leben sich nicht mehr in seiner starcken willens=macht so darff regen und nehren.“111 Wer am Kreuz hänge, könne seine Glieder nicht mehr willentlich gebrauchen; wer auf 108 VJC
574. 574. 110 VJC 569. 111 VJC 576. 109 VJC
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Christi Tod getauft sei, sei daher dazu verpflichtet, „aus scheu und liebe gegen ihn nicht mehr sich selbst zu regieren / zu belustigen / zu besorgen / zu ehren / zu hegen und so weiter“.112 Die Kreuzigung müsse immer als Kreuzigung des alten Menschen in dem Sinne verstanden werden, dass dessen Lüste und Begierden gebunden und ruhiggestellt werden – die quietistische Mystik meldet sich hier unüberhörbar zu Wort.113 Das Absterben – die zweite Stufe – möchte Arnold als Internalisierung des Sündentodes verstehen. Arnold betont die uneingeschränkt geltende Erlösungsrealität: Auf die Kreuzigung folge „das wahre absterben der sünde“, wobei es sich um einen „wirckliche[n] tod der sünden“ handele.114 Die Bindung der Seelenkräfte und die Bewegungslosigkeit der gekreuzigten Seele entzieht der Sünde ihr Operationsgebiet, so dass sie stirbt.115 Das Begraben-Sein beziehe sich wiederum auf die Unumkehrbarkeit dieses Erlösungsgeschehens: „Nemlich wie ein todter cörper ohne regung und wercke mehr ist / also soll auch die sünde in uns ihre wercke und früchte nicht maher vollbringen / wir sollen ihr nicht mehr dienen / und sie solle nicht mehr herrschen / […].“116 Arnold geht hier der Etymologie von καταργηθῆναι (Röm 6,6: ἵνα καταργηθῇ τὸ σῶμα τῆς ἁμαρτίας) nach und zieht unterschiedliche Bedeutungsvalenzen – „ohne wirckung (oder nicht mehr wirckend) gemacht werde[n]“ und „zu nicht / unnütz / auffhörend / stille machen“ –117 in Betracht. Übereinstimmend deuten sie darauf hin, dass die Aktivität des Sündenleibs tatsächlich zum Erliegen gekommen sei. Wenn Paulus das Verb καταργηθῆναι gebrauche, wolle er jeden Zweifel über die Erlösungsrealität ausräumen: Wenn auch die „wurtzel der erbsünde und ihre geheime krafft“ noch vorhanden sei, sei ihre Herrschaft definitiv gebrochen und der Mensch insofern tatsächlich und vollgültig gerechtfertigt (Röm 6,7). Die Sündlosigkeit des Christen sei keine bloß theoretische Möglichkeit, stehe auch nicht unter einem eschatologischen Vorbehalt118 oder dürfe im Sinne eines simul iustus et peccator relativiert werden, denn all dies unterminiere die Erlösungswirklichkeit, wie sie in Röm 6,3–11 zum Ausdruck komme.119 Nur wenn die Überwindung der Sünde tatsächlich vorbehaltlos angenommen werde, könne sachgemäß davon geredet werden, dass Christus Herr der Toten sei, insofern unter diesen Toten die in ihm Gestorbenen verstanden würden. 112 VJC
576. VJC 576 f. 114 VJC 577. 115 Vgl. VJC 577. 116 VJC 577 mit Verweis auf Röm 6,12.14. 117 VJC 578. 118 Vgl. VJC 579: „Und demnach bleibet es eine göttliche Wahrheit / daß uns in CHristo eine vollkommene erlösung erfunden sey / und daß daher ein aus Gott gebohrner nicht sündigen oder die sünde herrschen lassen könne / sondern wer noch sünde thue mutwillig und vorsetzlich / der sey noch aus dem Teuffel / dessen wercke doch CHristus zerstöhren wolle / wie Johannes mit so vielen worten immer wiederholet / I. Joh. 3/4.8. u. s.w.“ 119 Vgl. VJC 579 f. 113 Vgl.
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Das eigentliche Ziel dieser Tauferinnerung ist natürlich nicht die völlige Inaktivierung des Menschen, vielmehr findet der hier nachvollzogene, geistliche Tod des Menschen seine Überwindung in der Auferweckung. Inwiefern jedoch Christus auch ein Herr der Lebendigen ist, legt Arnold nur vergleichsweise kurz aus, was einerseits dem Predigttext entspricht, in dem die Auferstehung nur am Rande behandelt wird, andererseits die göttliche Souveränität im Akt der Lebendigmachung unterstreicht. Obwohl der zweite Teil der Predigt so überaus knapp ausfällt, ist er von zentraler Bedeutung für Arnolds Taufverständnis und überaus prägnant für seine Predigtstrategie der mystischen Tauferinnerung. Arnold liest Röm 6,4 und 6,9 f zusammen120 und möchte die Auferweckung als Lebendigmachung im Tode verstehen: „[M]itten in solchen sterben“ breche „ein strahl des göttlichen lebens hervor“, wenn der Geist Christi im Menschen wirke und dessen Ebenbildlichkeit wiederherstelle.121 Arnold bewegt sich ganz im paulinischen Sprachduktus, wenn er erklärt, dass dieses auferstandene Leben ein Leben für Gott in Christus sei (nach Röm 6,11), womit er den affirmativappellativen Charakter von Röm 6,11 nachvollzieht: So auch ihr! Das neue Leben erweist sich damit als Prüfstein für die Effektivität der Taufe und des Todes des Sündenleibes: „Und wer denn wissen will / ob er neu lebe / der sehe zu / ob er GOtte lebe / und zwar in seinen Sohn und in dessen sinn und willen / worinnen er allezeit seinem himmlischen Vater wohlgefält durch lieben. Das ist aber die wahrhafftige Liebe zu GOtt / daß wir seine gebote halten / und durch solche reine liebe sind seine gebote nicht schwer. Denn der HErr JEsus lebet in Gottes liebe in den hertzen. Er ist die lautere liebe des Vaters / und wo er lebet / da ist auch göttliche liebe und das ewige leben.“122
Bereits die Predigt von 1703 zeigt eindrücklich, auf welche Weise Arnold versucht, seine eigenen Skrupel hinsichtlich der Kindertaufe, wie er sie in seinen historischen Schriften ausführlich artikuliert hat, konstruktiv zu überwinden. Mit seiner Predigt möchte Arnold das nicht wiederholbare, der Erfahrung des Getauften eigentlich unzugängliche Ritual der Kindertaufe nachträglich authentifizieren, indem er den Taufakt unter Rückgriff auf die Bildwelt von Röm 6,3–11 mystisch überblendet. Die Bedeutung und lebensverändernde Macht der Taufe werden nur vom Standpunkt einer mystischen Verinnerlichung des Sterbens und Todes Jesu erkenn- und nachvollziehbar. Indem der Getaufte in Ansehung der Kreuzigung und des Todes Jesu seine Seelenkräfte bändigt und seine Hilflosigkeit und Angewiesenheit akzeptiert, verifiziert sich der in der Säuglingstaufe geschlossene Bund und die dort verheißene Herrschaft und Inanspruchnahme Gottes. 120 VJC 580: „CHristus ist aufferwecket aus den todten durch die herrlichkeit des Vaters [aus Röm 6,4]. Weiter: CHristus aufferweckt aus den todten stirbet hinfort nicht mehr / der tod wird über ihn forthin nicht herrschen: denn daß er gestorben ist / das ist er der sünden gestorben zu einem mal: daß er aber lebet / des lebet er GOtte [aus Röm 6,9 f].“ 121 VJC 581. 122 VJC 582.
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3.1.3.2. Erschütterung der Taufgewissheit im Modus der Verfremdung – die Rede über Röm 6,3–11 von 1711 In den 1711 erschienenen Evangelischen Reden findet sich erneut eine Auslegung zu Röm 6,3–11. Im Zentrum dieser Rede – von der kritischen Tendenz und überspitzten Rhetorik der Reden ist bereits anderenorts gehandelt worden –123 steht Röm 6,3: „Wisset jr nicht / Das alle / die wir in Jhesum Christ getaufft sind / die sind in seinen Tod getaufft?“,124 vor allem aber die Satzeröffnung „Wisset jr nicht …“ (ἢ ἀγνοεῖτε). Arnold kapriziert sich in seiner Rede auf die Taufgewissheit und spielt mit dem Wissensbegriff: Mal ironisch, mal polemisch kommt er an entscheidenden Stellen seiner Argumentation auf ihn zu sprechen, kontrastiert dessen landläufige und dessen paulinische Auffassung und ringt ihm unterschiedliche Bedeutungsnuancen hinsichtlich der Erschließung des Taufrituals ab. Ganz zu Beginn der Rede stellt Arnold das „Wissen um die Taufe“ dem Mangel an innerlicher Anteilnahme und fehlender Umkehrbereitschaft gegenüber: „ES gilt allen denen / die sich Christi rühmen / was der Geist der warheit allhier fraget: Wisset ihr nicht / daß alle / die in Christum getaufft sind / in seinen tod eingetauchet worden / und mit ihm begraben? Hierinnen öffnet sich der wahre grund und bund der tauffe / und beschämet die / so sich immer derselben trösten wollen / der sünde aber nicht absterben.“125
In diesem Zusammenhang vergleicht Arnold die Taufe mit der Beschneidung, welche – so sie nicht auch eine Beschneidung der Herzen nach sich zieht – wirkungslos bleiben würde. Beide – Beschneidung und Taufe – würden ausschließlich auf „die reinigung der hertzen“126 zielen, die Taufe im Besonderen führe jedoch die Inkorporation in den Tod Christi und damit das Absterben der Sünde herbei.127 Von dieser Ersterkundung des Begriffes aus formuliert Arnold die paulinische Ausgangsfrage ein erstes Mal um und spitzt sie polemisch zu: „Drum wird gefragt: Weist du es nicht / oder willt du es nicht wissen?“128
Er beschuldigt die Getauften, sich dem Wissen um die Taufe insofern zu verschließen, als sie den mit diesem Wissen einhergehenden Existenzwechsel unbedingt vermeiden wollen. Diese Anschuldigung entfaltet Arnold nun in zwei Richtungen: Zum einen konstatiert er einen „unbeschreibliche[n] schade / wenn Christen nicht wissen / wozu ihnen ihre taufe nütze sey / oder nicht / sondern vergessen und 123 Vgl.
Kapitel I.4.3. und Kapitel II.1.2. Luthers Übersetzung letzter Hand. 125 EREP 453. Hv. PB. 126 EREP 453. 127 Vgl. EREP 453 f. 128 EREP 454. Hv. PB. 124 So
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verlassen die reinigung ihrer sünden“.129 Die Taufe bleibe in diesem Fall wirkungslos – und noch mehr: Unter der Voraussetzung, dass der Mensch nicht „weiß“,130 „daß der sünden=mensch abgethan / und Christus / der neue mensch / erwecket werden soll / und zwar in krafft seiner aufferstehung“,131 würde sie ihm sogar zum Nachteil gereichen, da Gott ihn zur Rechenschaft ziehen und sein Gewissen quälen würde, indem er ihn in moralische und religiöse Skrupel stürze.132 Zum anderen meint Arnold, dass sich ein solches Nicht-Wissen um die Taufe an die nächste Generation vererbe: Solchen Taufeltern, die ihren Kindern „den tauf= bund so wenig einschärfen / und ihnen nicht täglich kund machen / oder auffs neue bedeuten / wozu er sie reitzen müsse“,133 stellt Arnold das Beispiel Abrahams als eines vorbildlichen Vaters vor Augen, der seine Kinder ganz selbstverständlich katechetisch unterwiesen habe, weil er seiner eigenen Glaubensüberzeugung Folge leisten wollte.134 Der Vorwurf der unterlassenen Glaubensunterweisung gerät auf diese Weise zu einer polemischen Anfrage an den Glauben der Eltern, die ihre Kinder nur aus Gewohnheit taufen würden, ihnen „[d]as rechte göttliche leben […] meist vorenthalten“ und sie stattdessen „zu äusserlichen stellungen und ceremonien“ gewöhnen.135 Auf diese Weise würde aber die geistliche Blüte der Heranwachsenden unterbunden und ein Kind, das im Kindes- oder Erwachsenenalter seine Taufe tatsächlich annehmen und dem Sakrament entsprechend Buße tun wolle, würde nicht selten darüber von seinem Umfeld verlacht und angefeindet werden.136 Man begünstigt also – so Arnolds Vorwurf – das rein äußerliche Zeremonialverständnis der Taufe, um deren eigentlichen Sinn und ihre lebensverändernde und existenzerschütternde Kraft zu verhehlen.137 Arnold gelangt zu einer zweiten Reformulierung des paulinischen ἢ ἀγνοεῖτε, wenn er die Frage erörtert, was denn genau von der Taufe zu „wissen“ sei bzw. was an der Taufe die Existenzveränderung des Menschen bewirke: „Dieses [die Ineffektivität der Taufe für die weltgesinnten Menschen] kommt mit daher / wenn der mensch die krafft der tauffe Christi nicht verstehet / sonst würde er sich GOtte williger überlassen und wissen / daß es GOtt nicht böse meinen oder machen 129 EREP
454. 454. 131 EREP 454. 132 Vgl. EREP 454. 133 EREP 454. 134 Vgl. EREP 455: „Der glaube bringets auch nicht anders mit sich / wo er im hertzen ist / da kan er sich nicht bergen / er thut den seinigen kund / was GOtt ergötzet / und lehret auch seine übungen andere / ja / wo es möglich wäre / alle menschen.“ Arnold verzichtet interessanterweise in diesem Zusammenhang auf einen Hinweis auf die Beschneidung, was von Röm 4 herkommend durchaus naheliegend wäre. 135 EREP 455. 136 Vgl. EREP 455. 137 Der Mensch wolle die Taufe gar nicht in ihrer wahren, geistlichen Bedeutung annehmen, weil er ein „welt=weiser“ sei, der die Taufe zwar gerne bekenne, sein Leben aber nicht ändern lassen wolle (EREP 456). 130 EREP
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II. Arnold als Pfarrer
könne. Da würde auch der kampff nicht so schwer / und das absterben nicht so bitter seyn. Denn wer da weiß und erfähret / wie so ein herrlicher tausch dabey erfolget / der fürchtet sich nicht davor. Denn die irdisch-gesinnete vernunfft begräbet da GOtt in Christi tod / und die himmlische weißheit schenckt er wieder in seiner aufferstehung.“138
Um was für ein Wissen handelt es sich hier? Es handelt sich um kein Wissen im Sinne einer notitia oder eines assensus, sondern vielmehr um ein subjektives Erfahrungswissen. Arnolds Rede schlägt just an dieser Stelle um, weg von der kritisch-konfrontativen Anklage hin zur mystischen Spekulation, anhand derer er die wirklichkeitsverändernde Macht des Sakraments als geistliche Erfahrung erschließen möchte. Er fragt: „Sollte das [gemeint sind Tod und Auferstehung in der Taufe] wol fürchtens wehrt seyn?“139 Durch die Taufe komme doch „ein neuer sinn“ in den Menschen, ein „reiner wille“; die Menschen erhielten einen „himmlischen sinn / der GOtt in Christo erkennet / und Christum im Vater ehret / liebet und anbetet“; die Gottheit werde Wohnung in den „mit Christo sterbenden / und wieder aufferstehenden seelen“ nehmen; und Arnold bricht enthusiastisch aus: „O ein seliger tod / o ein süsses mitsterben mit Christo / und ein triumphierendes aufferstehen in ihm auch noch in diesem leben.“140 Der Mensch schaue fortan nur auf die „himmlischen dinge[]“, sein „wandel ist im himmel / und nicht auff erden“. Die Belebung durch Christus entrücke ihn, er verliere den Blick für die Welt: „Die welt ist ihm viel zu geringe / denn sie ist nicht seine rechte heimat und vaterland.“141 Der Getaufte führe auf diese Weise eine pneumatische Existenz, sei mit dem Herrn „ein geist“ und habe bei ihm „ruhestätte“ und nur an ihm „lust“.142 All diese Äußerungen entsprechen einer mystischen Redeweise und stellen keine Argumentation oder Textauslegung im eigentlichen Sinne dar. Vielmehr sollen die Erfahrungswelt des Gläubigen, das mystische Wissen um die innerseelische Wirkung der Taufe, illustrierend und affirmativ erschlossen werden. Eine dritte Übersetzung der paulinischen Redeeinleitungsformel platziert Arnold, wenn er sich mit der Frage befasst, welche Folgen und welchen geistlichen Nutzen die Taufe mit sich bringt: „Ein gläubiger weiß wohl / daß ihn die welt nicht lieb hat; denn er ist sich eckel und verdrießlich: deßwegen aber betrübet er sich nicht / denn er mag ihrer auch nicht. Ihr narren=titul ist ihm lieber / als alle ihr lob / weil sie ihn nicht kennet.“143
Das rechte Wissen um die Taufe setzt den Menschen in eine Feindschaft zur Welt: Der Christ müsse seinen „irdisch=gesinnten willen ihm [Gott] willig zum 138 EREP
456. Hv. PB. 456. 140 EREP 457. 141 EREP 457. 142 EREP 458. 143 EREP 458. Hv. PB. 139 EREP
3. Sakramente
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tode übergeben / damit seine tauffe / die er zuvor nicht geachtet hat / noch an ihm kräfftig werde“.144 Die Taufe als Auferstehung setze immer ein Sterben des alten Menschen voraus. Solange dies nicht nachvollzogen worden sei, bleibe die Rede von der Auferstehung „spiegel=fechten“.145 So meint Arnold, dass „rechte gläubige“ letztlich nur diejenigen sein können, die „wircken und arbeiten alle dahin / daß Christi taufe an ihnen kräfftig werde / und also ein gottselig leben daraus folge“ – aus dieser Überzeugung definiert er das Wissen um die Taufe ein viertes Mal: „Wers nun weiß in seinem gewissen durch den heiligen Geist / daß er mit Christo gestorben ist / der weiß auch eben so gewiß / daß sein Heyland nun GOtte lebe. Also ist er zwar der sünde tod / lebet aber GOtte in Christo JEsu seinem HErrn.“146
Damit ist das Problem der Spannung zwischen der Annahme des Heilsgeschehens und seiner Wirksamkeit nach außen hin angesprochen: Was die Taufe mit sich bringt – die Befreiung von Sünde und Tod –, muss im Lebenswandel anschaulich werden. Es gilt also, die eigene Existenz in eine Entsprechung zur Taufexistenz zu bringen, denn die Taufe „bleibet zwar auff GOttes seite ewig feste / und hat Christo genug gekostet: Aber wenns der mensch selbst unkräfftig machet / und nicht im glaubigen gehorsam annimmt / der durch die tauffe auffgerichtet werden sollte / so ist die schuld seine / daß er verdammt wird“.147
Dabei zieht Arnold keineswegs einen moralischen oder asketischen Weg in Betracht. Vielmehr ermögliche es das Wissen um den wahren Charakter der Taufe den Menschen, um Gottes Geist und die rechte Kraft der Taufe zu bitten und sich Gott ganz zu überlassen.148 Der Gläubige ist darauf angewiesen und kann nur inständig darum beten, dass Gott ihm die Erfahrung der Taufe immer wieder neu erschließt. Unverkennbar ergibt sich daher eine inclusio, wenn Arnold ein fünftes und letztes Mal die paulinische Frage ἢ ἀγνοεῖτε in dem Sinne interpretieren möchte, dass Gottes Wirksamkeit dem echten Wissen um die Taufe vorausgeht: „Er giebt und thut doch noch mehr / als wir bitten oder wissen.“149
Die von Gott erschlossene Tauferfahrung übersteigt das Wissen um die Taufe und das erbetene Gut bei weitem. Durch sie geraten äußerlicher Ritualvollzug und eigentlicher Sinngehalt der Taufe in Übereinstimmung und nur auf diese Weise könne das opus operatum den feststehenden Heilswillen Gottes repräsentieren:
144 EREP
459. 459. 146 EREP 459 f. 147 EREP 459. 148 Vgl. EREP 461. 149 EREP 461. 145 EREP
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II. Arnold als Pfarrer
„Worzu sollten wir uns länger von ihm scheiden und enthalten? Nur zusammen / was zusammen gehöret: GOtt muß im menschen / und der mensch in GOtt seyn. Christus muß unser HErr / hirte / könig / meister und alles seyn. Dazu ist er mensch worden / und wieder erhöhet / ein HErr über alles / hochgelobet in ewigkeit.“150
Indem Arnold Schritt für Schritt den von Paulus verwendeten Wissensbegriff aus verschiedenen semantischen Perspektiven beleuchtet, erschließt er in der Rede von 1711 die geistliche Bedeutung der Taufe als Umkehr und Initiation der Wesenserneuerung des Menschen. Dabei geht es ihm darum, das kognitiv und intellektualistisch verengte Verständnis des Sakraments erfahrungstheologisch zu weiten: Um die Taufe in einer Weise zu wissen, wie Paulus in Röm 6,3 von den römischen Christen verlange, meine in erster Linie, die neue Existenz, wie sie durch Gott erschlossen und eröffnet wird, anzunehmen. Im Gebet überlässt sich der Gläubige Gott und gibt dessen Wirken Raum in der Seele, womit Arnold seinen Ausführungen in der Geistlichen Gestalt vollends entspricht: Nicht das Ritual verbürgt das Heil, es bietet vielmehr Anlass zum Gebet und zur Anrufung Gottes, welcher allein den Menschen zu erneuern vermag. 3.1.3.3. Taufmystik in Arnolds Katechismen Arnolds katechetische Texte haben eine doppelte Relevanz für die Untersuchung seines Sakramentsverständnisses: Sie spiegeln die didaktische Aufbereitung seiner Sakramententheologie innerhalb des an Luthers Kleinem Katechismus orientierten Kinderunterrichts wider und sie lassen Rückschlüsse auf seine Katechismuspredigten zu, die er jeden Sonntag zur Unterweisung der ganzen Gemeinde zu halten verpflichtet war.151 Konzeptionell entfernt sich Arnold in seinen katechetischen Texten nach und nach von Luthers Kleinem Katechismus: Während der Katechismus von 1709 noch ganz in der Tradition der Katechismen 150 EREP
462. zu den Katechismuspredigten Kapitel II.2.3. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Arnolds Programmrede Der Woleingerichtete Schul=Bau, die er zur Einführung von Schulbediensteten in Perleberg am 11. August 1709 (11. Sonntag nach Trinitatis) gehalten hat und die 1711 publiziert wurde. Hier weist er auf die Bedeutung des Katechismus im Schulunterricht, aber auch auf die Notwendigkeit einer Unterweisung der Erwachsenen hin und ermahnt (WSB 15 f) die Lehrer zu pädagogischem Engagement: „Mit welch einem Göttl. Eifer und Nachdruck sollte nich zu dem Ende der Catechismus und bey denen Erwachsenen die rechte Gottes=Gelehrtheit getrieben werden? wie sollen da die Schüler bey allen Vortrag an dem Lehrer selbst einen brünstigen Glauben und heil. Ernst gewahr werden! […] Da hingegen der Unglaube und atheismus bey jungen Leuten über die maaße vest gesetzet wird / wo die Theologie und der Catechismus gleich einer andern Kunst mit einem ungebrochenen Sinn / aus blos natürlichen Trieb ohne Geist und Krafft dociret wird.“ Dass auch Arnold sonntagmorgendliche Katechismuspredigten gehalten hat, geht aus der bereits erwähnten „Nachschrifft von einigen bißhero geschehenen Veränderungen in hiesigen Kirchen=Sachen so zuvor nicht gewesen“ von 1708 hervor: „Anstatt der langen Catechismus Predigten, so an denen Sonntagen früh im Sommer geschehen, ist mit Consens des Magistrats beliebet, nur einen kurtzen Discurs über die vorhabenden Catechismus= materien zu halten, od. ein deduction [unles.] zu beßerer Einübung auff das Examen publicum [unles.]“ (Pb 1/502, Bl 36r). 151 Vgl.
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des 16. Jahrhunderts steht, d. h. erläuternde Bibelstellen akkumuliert und damit seine Bedeutung als examensrelevantes Lernmaterial unterstreicht, ist dessen Weiterentwicklung und Entfaltung (postum Altona/Frankfurt/Leipzig 1722) der Gattung des exponierten, d. h. um Erklärungen angereicherten Katechismus zuzurechnen.152 Der Christliche Unterricht (postum 1722) wiederum lässt den Schulunterricht im engeren Sinne hinter sich und befasst sich nur auf der untersten der drei Stufen mit der Katechese der Kinder und richtet sich fernerhin vordringlich an Jugendliche und Erwachsene. Im Unterricht orientiert sich Arnold nur noch auf der ersten Stufe – dem Kinderunterricht – an Luthers fünf Hauptstücken, folgt jedoch in den einzelnen Erklärungen kaum mehr dem Duktus des Reformators. Dass Arnolds katechetische Schriften mit seinen pastoraltheologischen und kirchenhistorischen eng verzahnt sind, ist bereits im Rahmen der Untersuchung seiner Pastoraltheologie deutlich geworden.153 Auch seine Erläuterung des vierten Hauptstücks des Kleinen Katechismus ist unmittelbar von seiner Sakramentenauffassung und -skepsis geprägt, wie sie sich in der Geistlichen Gestalt verdichten. In seiner Katechismuserläuterung von 1709 lässt sich dies nur annäherungsweise nachvollziehen, da es sich lediglich um eine Stichwort- und Bibelstellensammlung handelt, die Luthers Katechismus flankieren soll. Luthers Erklärung des sakramentalen Zusammenhangs von Zeichen und Wort tangiert Arnold nur flüchtig, indem er im Sakrament leibliche und geistliche Materie unterscheidet, und die von Luther besonders exponierte sündenvergebenden Kraft der Taufe blendet Arnold konsequent aus seiner Erläuterung aus.154 Er unterstreicht stattdessen die durch die Taufe ermöglichte Lebenserneuerung und damit Luthers Rede von der „Ersäufung des alten Adams“.155 Die „Krafft“ der Taufe erkläre sich aus 1 Petr 3,21, womit Arnold die bleibende Relevanz der Tauferinnerung unterstreicht.156 Wie schon in seiner Predigt zu Röm 6,3–11 hebt Arnold auf die Erneuerung des in der Taufe geschlossenen Bundes ab, wobei er bemerkenswerterweise Mk 16,16, Joh 1,12 und erneut 1 Pet 3,21 als Belegstellen heranzieht, welche jedoch allesamt kein explizites Verständnis der Taufe als Bund transportieren.157 Luthers Frage nach der „Bedeutung“ der Taufe – „Was bedeut denn solch Wasser teuffen?“158 – rückt damit ins Zentrum der Erklärung Arnolds und tatsächlich verweist er erneut auf die charakteristische Frageeinleitung von Röm 6,3 („wisst ihr nicht“), mit der er in seiner Rede zu Röm 6 die Adressaten auf ihren in der Kindertaufe geschlossenen Bund hinweisen möchte:159 Die Taufe in ihrem Vollzug spielt keine herausragende Rolle, vielmehr ihre „Bedeutung“ 152 Vgl.
Fraas, Katechismen, 714–719. Kapitel I.4.3. 154 Vgl. KCS ][10r in Anbetracht von WA 30/I; 380,6–9. 155 Vgl. WA 30/I; 382,6–383,2. 156 Vgl. KCS ][10r. 157 Vgl. KCS ][10r. 158 WA 30/I; 382,7. 159 Vgl. KCS ][10v. 153 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
als „Tod des alten“, als „Schenckung des Heil. Geistes“, als „Wiedergeburt“ und als „Erneuerung“.160 Damit lenkt Arnold die Erklärung des Katechismus von der Sündenvergebung und der Frage nach Wert und Würde des sakramentalen Zeichens auf die Bekräftigung der bleibenden Relevanz der Taufe im Sinne einer stetigen Tauferneuerung. In die spätere Erläuterung des Katechismus (Altona/Frankfurt und Leipzig 1722) kann Arnold seine eigene Auffassung von der Taufe noch profilierter einbringen. Mehrere charakteristische Aspekte seines Taufverständnisses stechen hier hervor: 1. Alle Fragen, die mit dem Vollzug des Sakraments zusammenhängen, werden nur knapp und vor allem unter Verweis auf Luthers eigenen Wortlaut behandelt,161 mit besonderem Nachdruck möchte Arnold jedoch darauf hinweisen, dass die Taufe „[o]rdentlicher Weise“ vom Prediger, „im Nothfall“ aber auch von jedem „gläubigen Christen, als geistliche Priester“ vollzogen werden dürfe und dass alles auf den andächtigen Vollzug ankomme,162 ganz wie er es in der Geistlichen Gestalt fordert: „Mit grossem Ernst, Andacht, Gebet und Glauben, ohne alle Leichtsinnigkeit, in heiliger Furcht vor dem gegenwärtigen Dreyeinigen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist.“163
Arnold weist sogar erneut darauf hin, dass schon Luther einen Zusammenhang zwischen der nicht ernstlich vollzogenen Taufe und dem tugendlosen Leben des Täuflings festgestellt habe.164 2. Arnold legt erneut die sündenvergebende Kraft der Taufe, die er anders als in der Erläuterung von 1709 nunmehr in seine Ausführungen miteinbezieht, auf die im Taufbund verheißene Unmöglichkeit des Sündigens um. Wie in der Predigt zu Röm 6 erlaubt es ihm dieses Bundesverständnis, Kindertaufe und Tauferinnerung in Übereinstimmung zu bringen. Er bekräftigt, dass die Vergebung der Sünde bedeute, „daß die Sünde nicht mehr verdammen und herrschen kann“.165 Die Taufe sei eben nicht das „Abthun des Unflaths am Fleisch, sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott“,166 so dass die Taufe eine Seligkeit mit sich bringe, die ein sündloses Leben uneingeschränkt ermöglicht.167 Arnold kommt 160 Vgl.
KCS ][10r–][10v. Vgl. KCS2 144 f. Die Taufe sei „nicht allein schlecht Wasser“, sei von Christus eingesetzt, man solle alle taufen, die selig werden wollen (nach Mt 28,19), und auf den dreieinigen Gott taufen. 162 KCS2 144. 163 KCS2 145. 164 Vgl. KCS2 145. 165 KCS2 145. 166 KCS2 145. 167 Vgl. KCS2 146. 161
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es ganz auf die mit der Taufe verheißene Verinnerlichung der Wiedergeburt und Lebenserneuerung an, die sich als radikaler Bruch mit der Welt äußert.168 3. Auch die Kritik am Taufexorzismus hallt im Katechismus nach, insofern Arnold die Entsagung an den Teufel vom Vollzug des Sakraments löst und dem einst unmündig getauften, nun gläubig gewordenen Christen in den Mund legt. Die Entsagungsformel wird in die Bundeserneuerung integriert: „[Der Bund vonseiten] der Menschen, in Entsagung des Teufels mit allen seinen Wercken und Wesen, rechtschaffenen Glauben und Ubergebung an Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist, nebst der Bewahrung des guten Gewissens.“169 Es ist bezeichnend, dass sich Arnold nur auf der untersten der drei Stufen seines Christlichen Unterrichts (1722) mit den Sakramenten befassen möchte, während er auf den beiden höheren Stufen die Bekehrung und Vereinigung mit Gott thematisieren, nach und nach Abstand von jeder Vermittlungsinstanz – der Predigt, aber auch der privaten Schriftlektüre – nehmen und die Gottesbeziehung ganz in die Innerlichkeit verlagern möchte. Die Fragen 33–38 des Kinderunterrichts drehen sich um die Taufe. Anders als beim fünften Hauptstück, dem Abendmahl, in dem die Fragen über Stichworte miteinander verbunden sind und eine regelrechte Fragenreihe bilden,170 beleuchtet der Katechismus die Taufe aus mehreren Perspektiven (die Bedeutung des Rituals in 33 f, der Tod Adams in 35 f und das Leben des neuen Menschen in 37 f) und bringt dabei zentrale sakramententheologische Ansätze Arnolds pointiert zur Sprache. In der ersten Frage hallt die Skepsis gegenüber der sündenvergebenden Kraft des Taufrituals nach – erneut zieht Arnold in diesem Zusammenhang 1 Pet 3,21 heran: „33. Was ist die Tauffe? Nicht das Abthun des Unflats am Fleisch, sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott durch die Auferstehung Christi. 1. Pet. 3,21.“171
Es gehe bei der Taufe nicht in erster Linie um eine Überwindung des Bösen, sondern die Stiftung einer sich verstetigenden Gottesbeziehung – die Sündenvergebung erscheint nicht als zu vollziehender Akt, sondern vielmehr als bleibende Zusage der Gottesnähe. Die zweite Frage schließt unmittelbar an die Rede von 1711 an, insofern Arnold hier die Bedeutung der rhetorischen Frage von Röm 6,3 wieder aufgreift: 168 Arnold schärft ein, dass diese Abkehr radikal sein muss, Sünde und Wiedergeburt völlig inkompatibel sind und mit der erneuten Sünde der Bruch des in der Taufe geschlossenen Bundes einhergeht: „[…] so sie entflohen sind dem Unflath der Welt, werden aber wiederum in dieselbigen geflochten und überwunden, ist mit ihnen das letzte ärger worden, denn das erste. Die Sau wältzet sich nach der Schwemme wieder in den Koth“ (KCS2 149). 169 KCS2 147. 170 Vgl. Kapitel II.2.2.3. 171 CU 16. Absatzumbrüche aufgehoben.
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II. Arnold als Pfarrer
„34. Was bedeutet aber das Abwaschen? Alle die in Christum getaufft sind, die sind in seinen Tod getauffet, daß sie mit ihm in einem neuen Leben wandeln. Röm 6,3.“172
Die Taufe schließt den Existenzwechsel ein und markiert den Einbruch der Neuheit des Lebens. Dies wird in der nächsten Frage spezifiziert: „35. Was ist der Tod des alten Adams? Daß die, so Christum angehören, ihr Fleisch creuzigen mit seinen Lüsten und Begierden. Gal. 5,24.“173
Dass Arnold hier implizit zur Buße aufruft, ganz wie er es auch in der Rede von 1711 tut, wird erst in der nächsten Frage deutlich, wenn er die Hinwendung Gottes auf diejenigen Gläubigen beschränkt, die sich ihm tatsächlich überlassen wollen: „36. Was hilft zu diesem Tod sonderlich? So wir die Züchtigung Gottes erdulden, so erbeut sich Gott als Kindern. Ebr. 12,7.“174
Mit der 37. Frage erörtert Arnold, wie dieses neue Leben aussehen soll – die Antwort entspricht dem mystischen Kerngedanken der Rede von 1711, insofern Arnold bekräftigt, dass die Taufe eine Übereinstimmung mit dem Kreuzestod und der Auferweckung Christi mit sich bringt: „37. Was ist das Leben des neuen Menschen? Daß wir im neuen Leben wandeln, wie Christus von Todten erwecket ist. Röm 6,4.“175
Dass dieses Leben grundsätzlich unanschaulich, seine Gewährung kontingent ist, wie Arnold bereits in der Predigt von 1703 und der Rede von 1711 erklärt hat, findet Widerhall in der Schlussfrage des vierten Hauptstücks: „38. Wie geschicht das? Wenn der HErr JEsus mit dem H. Geist und mit Feuer taufet. Luc. 3,16.“176
In Arnolds Katechismen fließen unverkennbar seine frühere Taufkritik und der Ansatz einer mystischen Tauferinnerung ein, wie er sie auch in der Predigt und Rede demonstriert. Arnold nutzt den katechetischen Unterricht zur Multiplikation seiner Sakramententheologie: Das Ritual der Taufe bedarf einer geistlichen Erläuterung und Verifikation, für sich genommen läuft es immer Gefahr, in seiner bloßen Ritualität wahrgenommen zu werden und zum opus operatum zu verkommen. Indem er den operativen Wert des Sakraments durchweg bestreitet, möchte Arnold die Getauften in ihrer Heilsgewissheit irritieren – nicht um sie zu brüskieren, sondern um sie dazu zu befähigen, geistlich nachzuholen, was ihnen in der Kindertaufe verwehrt wurde: Buße, Bundeserneuerung, Lebensver172 CU
16. Absatzumbrüche aufgehoben. 17. Absatzumbrüche aufgehoben. 174 CU 17. Absatzumbrüche aufgehoben. 175 CU 17. Absatzumbrüche aufgehoben. 176 CU 17. Absatzumbrüche aufgehoben. 173 CU
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änderung, mit anderen Worten: die Inaktivierung der eigenen Seelenkräfte zum Ziel der Inanspruchnahme durch Gott.
3.2. Abendmahl Arnolds Abendmahlstheologie entwickelt sich in ähnlichen Bahnen wie seine Tauftheologie. Seine in den historischen Schriften und der Erklärung vorgebrachte Kritik, insbesondere an der Abendmahlsteilnahme der offenkundigen Sünder und Heuchler und am Abendmahlszwang, (3.2.1.) revidiert er auch in seinen späteren Amtsjahren nicht, weder in den beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt (3.2.2.) noch in seinen Predigten, Katechismen, den Reden oder der Theologia Experimentalis (3.2.3.). Freilich empfiehlt er als Pfarrer nicht mehr die radikale Separation vom Abendmahl und Gottesdienst, sondern greift stattdessen auf verschiedene Strategien zurück, um die Veräußerlichung und liturgische Überhöhung des Abendmahls zu konterkarieren und seinen geistlichen Nutzen hervorzuheben.
3.2.1. Arnolds Kritik an der Veräußerlichung des Abendmahls in den historischen Schriften und der Erklärung Ähnlich wie bei der Taufe zieht Arnold die Darstellung der Abendmahlspraxis und -theologie der Alten Kirche und Reformationszeit in Erster Liebe und Kirchenund Ketzerhistorie an den wesentlichen Konstituenten des Sakraments – Spendern, Empfängern und eigentlichem Vollzug – auf und richtet sich gegen die lässliche Darreichung, die Unbußfertigkeit der Kommunikanten und die liturgische Veräußerlichung des Sakraments. 1. Würdigkeit und Ernsthaftigkeit des Spenders. In der Ersten Liebe hält Arnold fest, dass die Darreichung des Abendmahls in der vorkonstantinischen Kirche nicht ausschließlich an das ordinierte Amt gebunden gewesen sei. Für gewöhnlich sei es zwar von den Lehrern, d. h. den Bischöfen, gespendet worden, diese hätten ihr Amt aber auch an die Diakone delegieren können, was erst im Papsttum untersagt worden sei.177 Insbesondere während der Christenverfolgung seien ganz selbstverständlich auch die Laien, sogar Frauen, zur Spendung des Abendmahls befugt gewesen, Arnold meint sogar, dass die Laien das Sakrament lediglich dann nicht spenden durften, wenn Älteste, Diakone oder Bischöfe, d. h. von der Gemeinde berufene Funktionsträger, bei der Feier zugegen gewesen seien.178 Die restriktive Einschränkung des Spenderkreises auf den ordinierten Klerikerstand 177 Vgl.
EL 2,325. Vgl. EL 2,326. Arnold zitiert aus dem 58. Kanon des Konzils von Trullo (vgl. Balsamons Kommentar PG 137, 712). 178
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II. Arnold als Pfarrer
sei eine spätere, papistische Erfindung.179 Überhaupt möchte Arnold ausgehend von einer Reminiszenz bei Clemens von Alexandrien nachweisen, dass es allgemein üblich gewesen sei – „[s]onsten aber hielten es die meisten also“180 –, dass das Brot von den Spendern lediglich aufgeteilt worden sei, jeder Kommunikant aber selbst davon habe nehmen können, sich das Abendmahl also selber zuführte. Den Verfall der nur kurz wiedererblühten altkirchlichen Abendmahlspraxis in der Reformationszeit lastet Arnold vor allem der Zanksucht der evangelischen Theologen und der Gier der Pfarrer an. Da die Prediger ihre lukrative Position sichern und ihre Gemeinde in deren Heilssicherheit nicht irritieren wollten, nahmen sie von der Kirchenzucht und jeglichen Zulassungsbeschränkungen Abstand.181 Unverkennbar schlägt sich also in Arnolds Rekonstruktion der altkirchlichen und frühreformatorischen Abendmahlstheologie sein Kirchen- und Amtsverständnis nieder: In der egalitären, unhierarchischen Geistgemeinschaft stellte die Feier des Abendmahls eine liturgisch zwanglose, geschwisterliche Mahlfeier dar. 2. Die Bußfertigkeit der Kommunikanten. In der Alten Kirche seien katechetische Unterweisung und Taufe die unabdinglichen Zulassungsvoraussetzungen, strenge Kirchenzucht an der Tagesordnung, einzelne Berufsstände (wie etwa Schauspieler) grundsätzlich vom Abendmahl ausgeschlossen gewesen:182 „[…] in den ersten Gemeinen ward kein Gottloser zum Abendmahl gelaßen / da man meynte / es könnte nicht genug Sorgfalt und Behutsamkeit angewendet werden […]“.183 Alle, die nicht mit der Gemeinde versöhnt gewesen seien, hätten nicht kommunizieren dürfen und immer sei der Abendmahlsteilnahme eine ernste Selbstprüfung vorausgegangen.184 Auch in der Abendmahlsliturgie seien diese Beschränkungen sichtbar gewesen: „Tά ἅγια τοῖς ἁγίοις“, habe der Diakon vor der Feier der Eucharistie ausgerufen,185 um die Heiligkeit der Handlung zu unterstreichen und jene auszuschließen, die sich nach ihrer Selbstprüfung als unwürdig erachteten oder aufgrund anderer Restriktionen nicht zugelassen waren. So sei sichergestellt worden, dass „kein Catechismus=Schüler / kein Unglaubiger / kein Ketzer / kein Zancksüchtiger / kein Heuchler“186 an der Mahlfeier teilnahm. Der Abend179 Vgl.
EL 2,326. Arnold gibt als Fundort „Strom, I, p. 271“ an und dürfte eine Bemerkung in Clem. strom. I, I,5,1 (GCS 52; 5,16–20) im Blick haben: Ἀνάγκη τοίνυν ἄμφω τούτω δοκιμάζειν σφᾶς αὐτούς, τὸν μὲν εἰ ἄξιος λέγειν τε καὶ ὑπομνήματα καταλιμπάνειν, τὸν δὲ εἰ ἀκροᾶσθαί τε καὶ ἐντυγχάνειν δίκαιος· ᾗ καὶ τὴν εὐχαριστίαν τινὲς διανείμαντες, ὡς ἔθος, αὐτὸν δὴ ἕκαστον τοῦ λαοῦ λαβεῖν τὴν μοῖραν ἐπιτρέκουσιν. 181 Vgl. UKKH 2,134. 182 Vgl. EL 1,327. 183 EL 1,327. 184 Vgl. EL 1,328. 185 Vgl. EL 1,328. 186 EL 1,328. Arnold gibt als Fundstelle Const. Apost. Lib 8, c. 15 und 20 an. In den mir zugänglichen Ausgaben ließ sich das Zitat anhand dieser Angaben nicht verifizieren. Womöglich zitiert Arnold die sog. Constitutio Jacobi Zebedaei in const. Apost. 8,12 (SC 336; 176,3–6): Μὴ τις 180 EL 2,326.
3. Sakramente
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mahlsausschluss als „der letzte Grad der Kirchen=Buße“187 hätte erst durch ein öffentliches Bekenntnis und eine öffentliche Buße aufgehoben werden können. Die Verfallsgeschichte des Abendmahls macht Arnold bereits in der Ersten Liebe vor allem an der Aufweichung der Kirchenzucht und der Aufhebung jeglicher Beschränkung der Abendmahlsteilnahme fest: „Der allergrößeste Mißbrauch fand sich wol nach den ersten und lauteren Christen thum darinnen / daß man nicht mehr / wie zuvor / so ernstlich / genau und sorgfältig einen Unterscheid unter Frommen und Bösen oder Heuchlern machte / noch diese mehr aus der Gemeine und also auch von der Communion außschließen wollte.“188
Ähnlich wie bei der Kindertaufe189 habe die allmähliche Untergrabung der Teilnahmebedingungen zu einer Veräußerlichung und Aufblähung der Abendmahlsliturgie geführt: Die Heuchler und Sünder hätten „mit dem bloßen äußerlichen Werck ohne vorhergehende gäntzliche Bekehrung zu GOtt die Gnade vermeynet zu erlangen / und alles in der Kirche mitmachet / was nur dem alten Adam zum Deck=Mantel seiner Heucheley dienen kann“.190 Gleichzeitig sei die Teilnahme erzwungen worden, weil die Menschen den Sinn des Sakraments nicht mehr zu erfassen vermochten und freiwillig nicht mehr an der Eucharistie teilnehmen wollten, was wiederum den Zulauf der Heuchler befördert habe.191 Insbesondere in der Papstkirche habe man die Abendmahlteilnahme, vor allem an den hohen Feiertagen, bei Androhung des Verlusts der Seligkeit gesetzlich vorgeschrieben.192 Vor allem Kinderabendmahl, die Verabreichung des Abendmahls an bereits Verstorbene und zur Grabbeigabe – er behandelt alles drei in einem Zusammenhang! – versteht Arnold als Ausdruck dieses kirchlichen Zwangs bzw. der lehramtlich verordneten „absoluten Nothwendigkeit des Abendmahls zur Seeligkeit“.193 Bereits in der Ersten Liebe kann Arnold Spuren des altkirchlichen Rigorismus in der Reformation wiederentdecken und würdigen: Wenn er betont, dass die Apologie der Confessio Augustana, die Schmalkaldischen Artikel und Luthers Großer Katechismus bekräftigen würden, dass sich die „frechen Sünder[]“ vom Abendmahl zu enthalten hätten,194 macht er deutlich, dass die frühe reformatorische Abendτῶν κατηχουμένων. Μή τις τῶν ἀκροωμένων. Μή τις τῶν ἀπίστων. Μὴ τις τῶν ἑτεροδόξων. […] Μὴ τις κατά τινος. Μὴ τις ἐν ὑποκρίσει. 187 EL 1,329. 188 EL 1,334.
189 Nach Arnold stehen beide Verfallsprozesse in einem engen Zusammenhang, vgl. EL 1,334: „Und in Summa / wie wir bey der Tauffe die verkehrte Art der verderbten Christen gesehen / also ist sie auch bey dem Abendmahl offenbahr.“ 190 EL 1,334. 191 Vgl. EL 2,334. 192 Vgl. EL 2,334[b]. 193 EL 2,334[b]. 194 EL 2,329 mit Verweis auf Artikel 5 der AC, wobei es sich jedoch offenbar um einen Irrtum handelt. Hat Arnold womöglich AC 7 im Blick, wo es um die Verhältnisbestimmungen
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II. Arnold als Pfarrer
mahlstheologie in einer ungebrochenen Kontinuität zu der der Alten Kirche gestanden habe. In der Kirchen- und Ketzerhistorie sieht er die restriktive Einladungspraxis und die Beschränkung des Abendmahls auf die Gläubigen freilich in einer anderen Quelle, nämlich einem Brief Luthers an Nikolaus Hausmann aus dem Jahre 1523, dokumentiert: Hier meint der Reformator, dass es die einzig „rechte art“ des Abendmahls sei, „wenn man nicht öffentlich und mit zulassung alles volcks ohne unterscheid / sondern wenn nur ernstliche Christen zusammen kämen / und in einem hause Tauffe und Abendmahl und alles verrichteten“.195 Auch die Etablierung der Privatbeichte als Zulassungsvoraussetzung des Abendmahls kritisiert Arnold in der Kirchen- und Ketzerhistorie als Irrweg: Der Beichtzwang sei nicht in Luthers Sinne gewesen, von der Obrigkeit eingeführt worden und als Mittel der Kirchenzucht – aufgrund der Laxheit der Prediger – völlig bedeutungslos gewesen.196 Auch Arnolds Kritik an der Privatbeichte und -absolution reicht bereits in die Erste Liebe zurück.197 Schon dort zählt Arnold die Beichte zusammen mit der vermeinten Infallibilität der Kirche und den Konzilen zu den unrechten Herrschaftsformen der Lehrer über die Gemeinden. In der vorkonstantinischen Kirche habe man die öffentliche Generalbeichte praktiziert, seine Sünden der Gemeinde öffentlich bekannt, woraufhin die Gemeinde gemeinschaftlich über die Sünde geurteilt und sie ggf. vergeben habe. Die Binde- und Lösegewalt sei also der ganzen Gemeinde zugekommen: „Da denn die gantze Gemeine / welche mit diesen Sünden beleidiget und geärgert war / auch wiederum durch solche freywillige Bekänntnis versöhnet / umb ihre Vorbitte ersuchet und gleichsam in allen ihren Gliedern zu Richtern darüber gesetzet ward. […] Daher muste alles öffentlich und vor dem Angesichte aller Glieder der Gemeine geschehen / ob wol nach und nach und sonderlich bey unruhigen Zeiten die Lehrer sonderlich dieses auf sich nahmen / daß sie an statt der gantzen Gemeine die Bekänntniß solcher Personen annahmen […].“198 Während die Gemeinde das Forum für die Beichte gewesen sei, habe sich die Funktion der Lehrer im Beichtakt allein darauf beschränkt, auf Gott als die eigentliche Appellationsinstanz zu zur sichtbaren und unsichtbaren Kirche geht (vgl. BSLK 236,28–21)? Arnold verweist weiter auf den neunten der Schmalkaldischen Artikel, in dem der Bann als vorübergehender Ausschluss vom Abendmahl definiert wird (vgl. BSLK 456,20–457,5). Arnold zitiert außerdem aus dem Abendmahlsartikel des Großen Katechismus eine Passage, in der Luther die Kommunikanten nach ihrer geistlichen Disposition unterschieden wissen möchte (vgl. BSLK 719,31–33: „Derhalben soll man hie die Leute unterscheiden: Denn was freche und wilde sind, den soll man sagen, daß sie davon bleiben“), wie auch aus der Präambel des Artikels (BSLK 708,7–10: „Denn wir sind’s nicht gesinnet, dazuzulassen und zu reichen denen, die nicht wissen, was sie da suchen oder warümb sie kommen“). 195 UKKH 2,134. Arnold übersetzt hier aus dem zweiten Band der von Aurifaber veranstalteten Jenaer Briefausgabe Luthers aus dem Jahr 1565 (Epistulae Martini Lutheri, 133): „Propositum tamen est, futuris diebus communicationis, nullum admittere [sic!] nisi auditum, & dextre pro fide sua respondentem, caeteros excludemus.“ 196 Vgl. UKKH 2,136–140. 197 Vgl. zur Kritik an der lutherischen Beichtpraxis in der Kirchen- und Ketzerhistorie den induktiven Beitrag von Berthold, Kritik, v. a. 13–15, insb. zu Arnolds Darstellung des Hallenser Beichtkritikers Peter Moritz a. a. O. 18–29. 198 EL 2,367.
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verweisen, welcher „alleine Sünde vergeben könne“.199 Die Lehrer – Arnold zitiert hier Ambrosius – „leihen nur ihren Dienst her bey Vergebung der Sünden / braucht aber kein Recht einiger Gewalt dabey“.200 Dass öffentliche Beichte und Absolution aus der Kirche verschwunden seien, führt Arnold auf die (einem wahren Gläubigen völlig unangemessene!) Scham über die Sünden zurück, konkret: auf die „Furcht vor ein wenig eingebildete Schande / welche die Sünder vor der Gemeine dabey gelitten haben“.201 So habe Leo der Große drei Gründe für die Abschaffung der öffentlichen Beichte genannt: 1. Nicht alle Sünden seien für die Öffentlichkeit bestimmt. 2. Die Bekennenden müssten sich vor ihren Feinden fürchten, die ihnen nachstellen oder sie verklagen könnten. 3. Der Zwang zur öffentlichen Beichte schrecke die Beichtbegierigen ab.202 Arnold möchte keinen dieser Gründe gelten lassen und entkräftet sie im Kontext des urchristlichen Gemeindebegriffs allesamt als „aus der Vernunfft zusammen gesuchte Schein=Ursachen / die sich auff kein Wort GOTTES gründen“,203 indem er darauf hinweist, dass die urchristliche Gemeinde ja nur deswegen das öffentliche Sündenbekenntnis praktizierte, weil (1.) der Beichtende nicht den Ehrverlust fürchten musste, da doch die „Verläugnung auch seiner eigenen Ehre erfordert wurde“;204 weil es (2.) so etwas wie Feindschaft in der Gemeinde nicht gegeben habe;205 und (3.) weil das Verschweigen der Sünde als „Hoffart der Sünder“ nicht geduldet 199 EL 2,367.
200 EL 2,368. Arnold gibt als Quelle Amb. spri. sanct. 3,18[,137] an (CSEL 79; 208): „Ecce quia per Spiritum sanctum peccata donantur! Homines autem in remissionem peccatorum ministerium suum exhibent, non ius alicuius potestatis exercent […].“ 201 EL 2,369. 202 Vgl. EL 2,369. Arnold zitiert aus Leos 78. Brief (PL 54, 909): „et qui vos, ut res ipsa demonstrat, ad hoc ut fides catholica ab insidiis inimicorum suorum defenderetur, elegit, gloriosissime.“ Sodann weist er auf Leos 80. Brief hin – vielleicht hat er dabei 80,2 im Blick (PL 54, 913 f): „De fratribus vero quos et epistolis tuis et legatorum nostrorum relatione communionis nostrae cupidos esse cognovimus, eo quod doleant se contra potentiam contraque terrores non tenuisse constantiam, sed alieno sceleri praebuisse consensum, cum ita eos formido turbasset ut in damnationem catholici atque innocentis antistitis, et in receptionem detestabilis pravitatis trepido famularentur obsequio, illud quidem quod praesentibus et agentibus nostris constitutum est approbamus, ut suarum interim Ecclesiarum essent communione contenti […].“ Leos Anliegen sieht Arnold zudem bei Gratian wiedergegeben: Er gibt als Fundstelle „ap. Gratianum dist. I. c.39. de Poenit.“ an und bezieht sich damit auf Gratians Tractatus de Penitentia, der in seine berühmte Concordia Discordantium Canonum eingeflossen ist (PL 187, 1544): „Hinc etiam Leo Papa ait epist. LXXVIII. al. LXXX. ad Episcopos Campaniae; C. LXI. Sufficit poenitenti illa confessio, quae primum Deo offertur, tum etiam sacerdoti, qui pro delictis poenitentium precator accedit.“ In Larsons Neuedition des Tractatus kommt es zu einigen textkritischen Revisionen (hier findet sich der Verweis auf Leo auch nicht in dist. I,39, sondern dist. I,89 [Larson, 86]): „Item Leo Papa: Sufficit illa confessio, quae primum Deo deinde sacerdoti offertur. [Hier folgt in manchen Handschriften des Tractatus die Beigabe eines Abschnitts aus Leos 54. Brief, der für Arnolds Rekonstruktion der Beichttheologie Leos richtungsweisend gewesen sein dürfte:] Quamuis plenitudo fidei uideatur esse laudabilis, que propter Dei timorem apud omnes erubescere non ueretur, tamen, quia non omnium huiusmodi sunt peccata, ut ea, qui penitentiam poscunt, non timeant publicare, remoueatur improbabilis consuetudo, ne multi a penitentie remediis arceantur dum aut erubescunt aut metuunt inimicis suis sua facta reserare, quibus possint legum percelli constitutione. Sufficit enim illa confessio que primum Deo offertur, tunc etiam sacerdoti, qui pro delictis penitentium precator accedit. Tunc enim plures ad penitentiam poterunt prouocari, si populi auribus non publicetur conscientia confitentis.“ 203 EL 2,369. 204 EL 2,369. 205 Vgl. EL 2,369.
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II. Arnold als Pfarrer
worden sei.206 Kurzum: Arnold macht deutlich, dass die Privatbeichte von der verfallenen Kirche ersonnen worden sei und dass Leos Skrupel hinsichtlich der Generalbeichte eine fragwürdige Ekklesiologie widerspiegeln.207
Überaus heftig fällt Arnolds Kritik an der Aufweichung der Kirchenzucht in der lutherischen Kirche in der gegen Cyprian gerichteten Erklärung aus. Wie bereits an anderer Stelle gezeigt wurde,208 tritt Arnold in der Erklärung streckenweise hinter einen anonymen, lutherischen Kritiker zurück, der seine eigene Separation vom Gottesdienst und vom Abendmahl eingehend rechtfertigt. In der dritten Argumentationssequenz jener Selbsterklärung möchte der Autor zeigen, warum der Rückzug vom Abendmahl der einzig richtige Umgang mit dem Problem der verfallenen Kirche sei und vor allem öffentlichkeitswirksam vollzogen werden müsse. So flüchtig das erste Argument abgehandelt wird – dem Christen sei stets geboten, „sich keiner fremden sünden theilhafftig zu machen“209 –, so ausführlich und differenziert wird das zweite Argument entfaltet: Der Verfasser habe nur durch die Separation „solche öffentliche greul und ärgernisse“210 anprangern können, habe es ihm doch „um der ordnung willen“211 nicht frei gestanden, die Sünder in der Gemeinde zu bestrafen, weil dies allein den Predigern obliegen würde.212 Diese seien jedoch nicht willens oder dazu in der Lage, Kirchenzucht und Abendmahlsausschluss konsequent durchzusetzen. Angesichts der Undurchschaubarkeit der Gemeinde und der unterschiedlich weit fortgeschrittenen Gläubigen gelinge es ihnen nicht, die passenden „lectionen eingerichteter Christlicher erbauungs=art“213 mitzuteilen. Der Autor kritisiert, „daß so gar schlechter wachßthum und förderung des rechtschaffenen Christenthums bey uns zu spühren ist / weil die wahren gläubigen / die denen ungläubigen nebst den ordentlichen kirchen=dienern als lichter vorleuchten sollten / dermassen unter 206 Vgl.
EL 2,369. habe es auch in der vorkonstantinischen Kirche den Fall gegeben, dass sich ein bußfertiger Sünder einem Lehrer und Beichtvater unterwerfen und bessern wollte. Arnold bezieht sich hier auf Orig. hom. 2 in Ps. 37[,6]: „Prüfe erst den Arzt / welchen du die Ursache deiner Kranckheit entdecken könnest. – Damit du alsdenn erst seinen Rath folgest / wenn er sich dir als einen geschickten und mitleidigen Arzt erwiesen hat“ (EL 2,370). Vgl. SC 411; 318,14–20: „Proba prius medicum, cui debeas causam languoris exponere, qui sciat infirmari cum infirmante, flere cum flente, qui condolendi et compatiendi noverit disciplinam: ut ita demum si quid ille dixerit, qui se prius et eruditum medicum ostenderit et misericordem, si quid consilii dederit, facias, et sequaris, si intellexerit et praeviderit talem esse languorem tuum […].“ Damit habe Origenes aber keineswegs das rigide Beichtinstitut der Kirche begründen wollen. Vielmehr stehe die freie Wahl des Beichtvaters dem kirchlich verordneten Beichtzwang diametral gegenüber, denn die Ohrenbeichte, eine Erfindung der „Clerisey“ (vgl. EL 2,370), verenge die confessio und Absolution unsachgemäß auf den Priester. 208 Vgl. Kapitel I.2.3.2. 209 ES 63. 210 ES 64. 211 ES 64. 212 Vgl. ES 65. 213 ES 79. 207 Freilich
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dem grossen hauffen verstecket sind / daß sie nicht ans tagelicht kommen / ihnen selbst einander unbekannt bleiben / und also aus mangel rechtpflegender Christlicher gemeinschafft und erbauung der theuren gaben der Göttlichen gnade / die in manchen edlen seelen liegen / indem sie keine gnugsame erweckung haben / gleichsam müssen versauren und vergraben seyn“.214
Die akademische Diskussion darüber, ob auch Judas am Abendmahlstisch gesessen habe, ob also der ungläubige von den frommen Abendmahlsteilnehmer toleriert werden müsse oder diese sich vom Abendmahl separieren dürfe, sei eine realitätsferne Posse, habe sich doch unter den zwölf Aposteln nur ein Judas gefunden, „jetzo aber sind bey der communion zuweilen wohl eher 12. Judae als ein rechter Jünger Christi zu finden / also daß zwischen diesen und jenen eine grosse disparität erscheinet“.215 In der jetzigen Situation, in der „fast keine kirchen=zucht mehr platz finden kann“,216 habe der Verfasser durch seine Separation den wahrhaft Gläubigen signalisieren wollen, dass Paulus’ Gebot, sich vom Bösen loszusagen (nach 1 Kor 5), nur durch die Separation erfüllt werden könne.217 Alle Glieder des Leibes Christi seien dazu berufen, das Böse zu strafen. Wenn Hände und Haupt des Leibes diesem Ruf nicht mehr nachkommen, dürften auch die Füße aktiv werden und – um im Bild zu bleiben – aus der Kirche rennen.218 Die Separation vom Gottesdienst und Abendmahl erfolgt also als Reaktion auf das unbotmäßige Verhalten der Prediger. Wer aus Skrupeln dem Abendmahl fernbleibt, erweist der Kirche einen Gefallen, denn er zeiht die Prediger öffentlich ihrer Pflichtvergessenheit, irritiert das corpus permixtum und stellt die Bedeutung des Sakraments als äußerliche Instanz der Heilsvermittlung in Frage. Die Erklärung des anonymen Separatisten vollstreckt damit Arnolds eigene historisch erschlossene Kritik an Predigern und Kommunikanten. 3. Liturgische Überfrachtung der Feier. Die elenktische Tendenz der Darstellung der Ersten Liebe bricht sich vor allem in denjenigen Passagen Bahn, in denen Arnold nachweisen möchte, dass einzelne, im 17. Jahrhundert nicht nur in der katholischen, sondern auch in der protestantischen Kirche praktizierte Abendmahlsgebräuche und liturgische Elemente nicht in die Alte Kirche zurückverfolgt werden können: Das Aufbewahren der Hostien nach der Wandlung, wie es in der römischen Kirche Tradition sei, könne ebenso wenig auf das Urchristentum zurückgeführt werden wie das Krankenabendmahl oder die intinctio, die damalig nur Kindern oder Kranken vorbehalten gewesen sei. Allenfalls die Beimischung von Wasser sei eine altkirchliche Tradition gewesen, gehe aber entweder auf eine allegorische Deutung von Joh 19,34 zurück oder sei ein Zugeständnis an die 214 ES 79. 215 ES 74. 216 ES 66. 217 ES 65. 218 Vgl.
ES 68.
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Verfolgungssituation gewesen, da der Weingeruch die Christen verraten hätte.219 Auch Ort und Zeit des Abendmahls seien nicht fest reglementiert gewesen. Man habe es in der Alten Kirche vermutlich täglich gefeiert, wie in Apg 2,42 deutlich werde.220 Gleichwohl sei dieses tägliche Abendmahl nicht erzwungen, sondern als eine „freywillige Ubung / die der freudige willige Geist in ihnen erweckte“221 angeboten worden, habe man doch täglich mit Verhaftung und Tod rechnen müssen. Das Abendmahl lediglich am Sonntag, dann nur noch an Ostern, Pfingsten und Weihnachten zu feiern, sei eine spätere Verfallserscheinung.222 Auch die Sitte, das Abendmahl wie bei seiner ursprünglichen Einsetzung am Abend zu feiern, sei völlig in Vergessenheit geraten, obwohl die Feier am Morgen in der Alten Kirche lediglich die Ausnahme gewesen und nur von solchen bußfertigen Christen vollzogen worden sei, die die Nacht hindurch fastend gewacht hatten.223 Auch bei der Wahl des Ortes sei man – aufgrund der Verfolgungssituation – recht flexibel gewesen: Man habe das Mahl in Privathäusern wie auch in Gefängnissen oder auf Friedhöfen gefeiert.224 Auch das Sammeln von Oblaten – Arnold gebraucht den Begriff dezidiert in seiner Grundbedeutung als Opfergaben für die Bedürftigen – sei obligatorisch, die Trennung zwischen Abendmahl und Abendessen nicht allzu scharf gewesen. Beides habe – Arnold erinnert vor allem an Paulus’ Kritik in 1 Kor 11,20 – stets zusammengehört, so dass in dem der eigentlichen Eucharistie vorgeordneten Liebesmahl die Bedürftigen versorgt worden seien.225 Eine „Consecrirung“ der Gaben habe es nicht gegeben, lediglich eine „Heiligung“ im Sinne einer „Absonderung und Bestimmung der äußerlichen Elemente Brodts und Weins“ zum liturgischen Gebrauch,226 wobei dieses konsekrierte Brot bisweilen auch von den Gläubigen mit nach Hause genommen, aufbewahrt und später verzehrt worden sei.227 Dementsprechend sei – für Arnold ein offenbar wichtiger und daher sehr detailliert ausgeführter Punkt – auch das Abendmahlsgeschirr gänzlich schmucklos gewesen, während man später zu Gold- und Silbergeschirr griff bzw. sich dieses von reichen Gemeindegliedern stiften ließ.228 Ob die Alte Kirche eine 219 Vgl.
EL 2,330. EL 2,330. 221 EL 2,331. 222 EL 2,330. 223 Vgl. EL 2,331[v]. 224 Vgl. EL 2,330[v]. 225 Vgl. EL 2,331. 226 EL 2,331[v]. Arnold bezieht sich hier primär auf Aug. Faust. 20,13, wahrscheinlich auf den folgenden Abschnitt (CSEL 25/1; 552,26–553,4): „noster autem panis et calix, non quilibet – quasi propter Christum in spicis et in sarmentis ligatum, sicut illi desipiunt –, sed certa consecratione mysticus fit nobis, non nascitur. proinde quod non ita fit, quamuis sit panis et calix, alimentum est refectionis, non sacramentum religionis, nisi quod benedicimus gratiasque agimus domnio in omni eius munere non solum spiritali, verum etiam corporali.“ 227 Vgl. EL 2,331[v]. 228 Vgl. EL 2,332. 220 Vgl.
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Wandlungstheologie kannte oder die Realpräsenz Christi im Mahl voraussetzte, thematisiert Arnold mit keinem Wort. Wesentlich für die Feier des Mahls in altkirchlicher Zeit seien das Gebet – vor allem das Vaterunser –, die Erinnerung an das Leiden Christi und der Gemeinschaftscharakter gewesen. Arnold grenzt sich hinsichtlich des erstens Punkts entschieden von Cave ab, der verschiedene hochliturgische Gebetsformeln seiner Zeit aus der Alten Kirche herleiten möchte, aber, so Arnolds Vorwurf, nur auf Berichte aus zweiter Hand zurückgreifen könne.229 Arnold zufolge sei bei der Abendmahlsfeier in der Alten Kirche alles auf die innere Andacht und Anteilnahme im Gebet angekommen, nicht auf den äußerlichen, formellen Vollzug: „Auff solche Weise sahen rechtschaffene Lehrer weiter / als auff die äußerlichen Worte / Gesänge / Gebete / oder anderen Pracht der Ceremonien / und forderten das Hertz und den Geist zu solchen Handlungen. Damit sie denn dem einreißenden greulichen operi operato steuren wollten / da die Leute (wie noch geschicht) bey dem verderbten Christenthum meynten / wenn sie nur vor den Tisch hinträten / alles / was die andern thäten / äusserlich in großer Ehrbarkeit mitmachten / so paßirten sie vor GOtt und Menschen / als gute andächtige Christen.“230
Der Erinnerungscharakter des Abendmahls sei im Gesang solcher Psalmen zum Ausdruck gekommen, die den Raum für ein „Gedächtnis des Todes JEsu Christi“ schafften (Arnold nennt u. a. Ps 23, 34, 42, 145),231 womit auch Jesu Wiederholungsbefehl in 1 Kor 11,26 und Lk 22,19 Folge geleistet worden sei. Der Gedächtnischarakter sei so bedeutsam gewesen, dass das Abendmahl fast ausschließlich im Lichte des Gedächtnisses an Jesu Tod „Eucharistie“ genannt worden sei,232 Irenäus habe sogar das dargereichte Brot als Danksagung, Chrysostomus das „Geheimniß / das wir bey aller Versammlung der Gemeine haben“ als Eucharistie bezeichnen können, jedenfalls nicht in erster Linie die Handlung an sich.233 Das „seelige und freudige Andencken ihres HErren und Meisters / und aller seiner Wolthaten“ sei „unzertrennlich mit solcher hertzlichen Dancksagung verknüpffet“ gewesen.234 Erinnerung wird von Arnold also letztlich als Vereinigung mit Christus verstanden: Erinnerung an den Tod Christi stifte eine „kräfftige Erinnerung seiner Liebe“, durch die die Gläubigen „immer mehr und 229 Vgl.
EL 2,331.
230 EL 2,331[v]. 231 EL 2,332[v]. 232 Vgl.
EL 2,332[v]. EL 2,332[v]. Zum einen bezieht sich Arnold nach eigenen Angaben auf „Lib IV, 34“ und möchte damit offenkundig auf Adversus Haereses verweisen. Nach morderner Zählung findet sich das entsprechende Zitat in 4,18,5 (SC 100/2; 610,117–611,120): „Quemadmodum, enim qui est a terra panis, percipiens invocantionem Dei, jam non communis panis est, sed Eucharistia, ex duabus rebus constans, terrena et caelesti […].“ Zum anderen zitiert er aus Chrysostomos’ „Hom. 16 in Matth.“, das genannte Zitat findet sich jedoch in Chrys. in Matth. 25 (PG 57, 331): Διὰ δὴ τοῦτο καὶ φρικώδη μυστήρια, καὶ πολλῆς γέμοντα τῆς σωτηρίας, τὰ καθ’ ἑκάστην τελούμενα σύναξιν, Εὐχαριστία καλεῖται […]. 234 EL 2,332[v]. 233 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
genauer mit ihm im Glauben verbunden würden“.235 Die Erinnerung umfasst daher die Erinnerung an die Versöhnung mit Gott, die Vergebung der Sünden und eine Vergegenwärtigung der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes.236 Der dritte konstitutive Aspekt der Abendmahlstheologie der Alten Kirche ist nach Arnold die im Sakrament ausgedrückte Gemeinschaft der Gläubigen gewesen. In Analogie zum Brot, das aus vielen Reben, und zum Wein, der aus vielen Trauben zusammengefügt sei,237 ziele das Abendmahl auf die Konstitution der „Communion oder Gemeinschafft“,238 d. h. der Bruder- und Schwesterliebe, von der die Zanksüchtigen und unverbesserlichen Sünder ausgeschlossen gewesen seien. Das Abendmahl, vor allem wenn es als Liebesmahl und als diakonisches Sättigungsmahl gefeiert würde, setze auf diese Weise die Gemeinschaft der Gläubigen instand und gemahne zu geschwisterlicher Versöhnung und Liebe.239 Der Bruderkuss sei Ausdruck dieses communio-Gedankens gewesen, sein „Endzweck“ nichts anderes als „die Versöhnung und Verknüpffung der Brüder untereinander zu ungefärbter Liebe / bey der so süssen und kräfftigen Erinnerung der allgemeinen Liebe und Vergebung CHRISTI / die er ihnen allen gegeben hatte“.240 In der Kirchen- und Ketzerhistorie wird die Geschichte von Ideal und Verfall der liturgischen Feier des Abendmahls für die reformatorischen Kirchen erneut durchgespielt. Wiederum anhand der Nördlinger Kirchenordnung möchte Arnold zeigen, wie man „anfänglich“ in der Reformation Abendmahl gefeiert habe, was „zweiffels frey an vielen orten geschehen [ist] / anders als hernach bey dem verfall“,241 und projiziert die ideale Abendmahlstheologie der Alten Kirche in die frühe Reformationszeit: „Wir kommen […] zusammen und haben gemeinschafft in dem brod und wein des HErrn / […] nicht gezwungen / sondern freywillig / und erheben mit unermeßlichem lob und geistlichen liedern die herrlichkeit der gnade GOttes des Vaters / die und in JEsu Christo geschehen / der uns die sünde vergeben / und durch das opffer seines Gesalbten gereiniget / uns gemeinschafftlich zu erben gemacht hat des himmlischen Reichs und zu seinen bürgern. Also begehen wir das gedächtnis Christi / und hegen die liebe / wie himmelsbürgern zukommt / daß wir in einem brod und kelch mit dem leib und blut des HErrn gemeinschafft haben / uns untereinander bekennen und erkennen / als einmüthige erben des himmlischen Reichs. Wenn aber etliche nicht an dem tisch mit communiciren / und doch an den himmlischen gütern / an der gerechtigkeit Gottes und liebe gemeinschafft haben / die stossen wir nicht aus der Gemeine auß / ob wir schon wünschen / daß 235 EL 2,332[v]. 236 Vgl.
EL 2,333. EL 2,333. Arnold leitet diesen Gedanken aus Cyprians fünftem Brief an Magnus ab (CSEL 3/2; 754,6–11): „nam quando Dominus corpus suum panem uocat de multorum granorum adunatione congestum, populum nostrum quem portabat indicat adunatum: et quando sanguinem suum uinum appellat de botruis adque acinis plurimis expressum adque in unum coactum, gregem item nostrum significat commitione adunatae multitudinis copulatum.“ 238 EL 2,333. 239 Vgl. EL 2,333[v]. 240 EL 2,333[v]. 241 UKKH 2,134. 237 Vgl.
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alle brüder in dem HErrn nach dem worte Christi auch bey dem äusserlichen Abendmahl mitsässen.“242
Bemerkenswerterweise sind alle altkirchlichen Abendmahlsmerkmale in dieser Schilderung verwirklicht: der communio-Gedanke, das Gebet, die Liebesmahlfeier, die Zwanglosigkeit des Abendmahls, die Egalität innerhalb der feiernden Gemeinde. Den Verfall dieses für kurze Zeit wiedererrungenen Ideals führt Arnold vor allem auf die Abendmahlsstreitigkeiten des 16. Jahrhunderts zurück und erweckt den Eindruck, dass die theologischen Verwerfungen über das Sakrament einzig aus dem Grund entstanden seien, dass die liturgische Form des Abendmahls überbewertet wurde, um dessen Kernanliegen vergessen zu machen: Durch „streit und verkehrte[s] disputiren über den einsetzungs=worten“, welches „das hochschädliche opus operatum den nutzen des Abendmahls gleichfals verkehret hätte“, hätten längst überwunden geglaubte, abergläubische Riten wieder Einzug in die Kirche gehalten und viele Leute würden „nur aus einer verkehrten gewohnheit zum Abendmahl gehen / die auch nicht betrachten / noch sehen / was sie im Abendmahl empfangen / und warum sie hingehen“, d. h. solche, die auf eine entsprechende Vorbereitung, Buße und Gewissensprüfung verzichteten.243 Arnold äußert es nicht explizit, doch er scheint die Effektivität und Wirkmächtigkeit der Abendmahlsworte ohne innerliche Beteiligung des Menschen zu bestreiten und damit die Auffassung einer durch die bloße Rezitation der Einsetzungsworte oder die Sakramentsfeier gestifteten Realpräsenz unabhängig vom Glauben der Kommunikanten abzulehnen.244 Nach Arnold ist mit der Verzeichnung des Abend242 UKKH 2,134. Arnold übersetzt hier einen Brief des Nördlinger Reformators Theobald Gerlacher (Billicanus), der in Abrahams Scultetus’ Annalium evangelii passim per Europam decimo quinto salutis partae seculo renovati decas prima (Heidelberg 1618), Seite 313 ediert worden ist. 243 UKKH 2,134. 244 So widmet er dem Abendmahlsstreit zwischen Reformierten und Lutheranern gerade einmal ein, nur eine Spalte langes Kapitel und zitiert hier verschiedene Dokumente, die die Nähe zwischen lutherischem und katholischem Abendmahl beweisen sollen, u. a. Äußerungen Melanchthons nach Lucas Osianders Epitomes historiae ecclesiasticae Centuriae decimae sextae Pars Altera (Tübingen 1603), Seite 687; Emmius nach Abrahams Scultetus’ Annalium evangelii passim per Europam decimo quinto salutis partae seculo renovati decas secunda (Heidelberg 1620), Seite 162; und einen Brief des Erasmus’ an Heinrich Stromer aus der großen Baseler Ausgabe (1540) von Froben: Omnia Opera Des. Erasmi Roterodami Qvaecvnqve Ipse Avtor Pro Svis Agnovit, Novem Tomis Distincta, Tertius Tomvs Epistolas Complectens universas, Seite 604. Arnolds Eigenanteil an diesem Kapitel fällt einigermaßen gering aus, doch seine eigene Auffassung zum Problem der Realpräsenz und zur Bedeutung der Einsetzungsworte schimmert durch das Quellenarrangement deutlich hindurch: „Wie denn aus allen umständen zu erkennen ist / daß man dazumal / beym streit von der gegenwart Christi im Abendmahl / seiner wahren vereinigung vergessen / und weil man sie nur meist in den äusserlichen handlungen gesucht / und sich mit einer einbildung beholffen / dahero zu keinem wahren wachsthum im Christenthum gekommen“ (UKKH 2,134). Arnold legt nahe, dass die Frage nach der Realpräsenz deswegen völlig unerheblich sei, weil sie den Kern des Abendmahls gar nicht trifft. Dass Arnold das Schlusswort in dieser Sache Karlstadt sprechen lässt und mit der Marginalüberschrift „Endzweck des Abendmahls“ dessen Position legitimiert wird, muss als schroffe Absage an ein operationales Abendmahlsverständnis gelesen werden: Karlstadt habe den Leuten mit Recht die „Einbildung“ nehmen wollen, dass
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mahls zu einem opus operatum auch die lutherische Kirche zu einer sakramentalen Heilsanstalt erstarrt, was sich in der Abendmahlsliturgie unmittelbar erweise: Elevation, Glockenläuten während der Konsekration, Messgewänder etc. – alles Sitten, die noch lange Zeit in Wittenberg in Gebrauch standen – seien Ausdruck der Verflachung und Verfälschung des Abendmahls gewesen, wie Christus es eingesetzt habe.245 Dass die Kirche „im alten aberglauben ersoffen“246 sei, kann Arnold einigermaßen genüsslich mit einer Anekdote zweier Stettiner Theologen belegen, die über das Abendmahl so heftig zerstritten gewesen seien, dass der eine es dem anderen mit der linken Hand und ohne Spendeworte reichte, um ihn vor der Gemeinde bloßzustellen.247 Abendmahlslethargie und Gleichgültigkeit gegenüber dem Sakrament seien die langfristigen Folgen jener infantilen Streitigkeiten gewesen.248 Angesichts dieser dreifachen Kritik stellt sich die Frage, inwiefern Arnold überhaupt von einer Notwendigkeit des Abendmahls sprechen und es als „medium salutis“ bezeichnen möchte. Insbesondere in der Ersten Liebe unterstellt er der Alten Kirche eine regelrecht gleichgültige Haltung gegenüber dem äußerlichen Sakramentenvollzug, die mitunter sogar in der Bestreitung der Heilsrelevanz des Abendmahls gipfeln konnte. Von einer rein geistlichen Nießung des Abendmahls – sprich: Christi „Gedächtnis also mit einander in der Liebe begehen“249– sei vor allem in der Ausnahmesituation der Verfolgung häufig die Rede gewesen. Das biblische Beispiel par excellence für diesen rein geistlichen Empfang des Abendmahls sieht Arnold im Schächer am Kreuz, der zwar nicht das Abendmahl empfangen habe, aber trotzdem selig geworden sei.250 Tertullian habe hinsichtlich des Abendmahls durchweg auf die „himmlische Speise“ verwiesen; die Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser sei nie wörtlich, sondern als „immerwährendes Bleiben“ in Christus verstanden worden.251 Solchen Christen, die das Abendmahl in seiner rein geistlichen Form zu empfangen begehrten, habe „sich der HERR selbst zur Speise [gemacht] / und erfüllte ihre Seelen mit geistlicher Freude / weil er ein „im Abendmahl vergebung der sünden ertheilet werde / da es doch nur zum gedächtnis und verkündigung des todes Christi geschehen sollte: Worüber hernach so hefftiger streit entstund“ (UKKH 2,134). 245 Vgl. UKKH 2,135. 246 UKKH 2,136. 247 UKKH 2,136. Die Anekdote ist überliefert in Johannes Micraelius Syntagma Historiarum Ecclesiae Omnium, Stettin 1644, Seite 375. Der hier Genannte sei niemand anderer als Salomon Gesner gewesen, ein strammer Gnesiolutheraner und späterer Wittenberger Professor. 248 UKKH 2,134. 249 EL 2,335. 250 EL 2,335. Vgl. erneut Aug. bapt. 4,22 (CSEL 51; 257,1–10). 251 EL 2,335. Arnold bezieht sich auf Tert. Orat. 6 (CSEL 20; 184,25–185,3): „Christus enim panis noster est, quia uita Christus et uitae panis. Ego sum, inquit, panis uitae, et paulo supra: panis est sermo die uiui, qui descendit de caelis, tunc quod et corpus eius in pane censetur: hoc est corpus meum. itaque petendeo panem quotidianum perpetuitatem postulamus in Christo et indiuiduitatem a corpore eius.“
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lebendiges brodt ist“.252 Arnold möchte in diesem Zusammenhang sogar behaupten, die Abendmahlseinsetzung durch Christus sei ein Akt der Anpassung an die menschliche Geistesschwäche gewesen, wie er es auch für die Taufe behauptet hat: Gott habe die jüdische Sitte des Freundschaftsmahls aufgegriffen und „das Gedächtnis seines Todes hinzu gesetzet“.253 Und noch mehr: Arnold weist mit Nachdruck darauf hin, dass diese akkommodierende Metaphorik des Mahls von den ersten Christen immer als eine solche durchschaut und in ihrer Verweisfunktion verstanden worden sei: „Und darauff haben ohne Zweiffel die ersten Christen vornehmlich gesehen / wenn sie bey allen ihren Mahlzeiten / da ihrer etliche zusammen kamen / sonderlich bey ihren Liebes=Mahlen das Abendmahl hielten; nach dem ihr Heyland eben dieses gesagt hatte / so offt sie es thäten / und also miteinander äßen / so sollten sie dieses zu seinem Gedächtnis thun.“254
Dem habe dann auch die in das Abendmahl integrierte Opfertheologie der Alten Kirche voll entsprochen: Nicht der Priester opfere Christus im Abendmahl, wie es die Messopfertheologie später voraussetzen wollte, sondern die Gläubigen würden ihr ganzes „Thun und Laßen / ja sie selbst mit Leib / Seel und Geist“255 für Christus opfern. Das Abendmahl sei als eine Opferung aller Seelenkräfte und der ganzen Person in typologischer Entsprechung zum israelitischen Brandopfer verstanden worden: „Denn es ist kein sichtbahres Feuer vom Himmel kommen / sondern der Heilige Geist von dem Vater durch den Sohn erleuchtet die Gemeine.“256 Kurzum: In der Alten Kirche sei die geistliche Bedeutung des Abendmahls auf den Punkt genau erfasst, jede Ritualisierung kritisch relativiert und der äußerlichen Feier 252 EL 2,335.
Arnold übersetzt aus den Homilien des Macarius Mac. hom. 4,12 (PTS 4; 36,180–185): Εἰ δὲ καὶ εἰς ἓν τῶν κτισμάτων ἑαυτὸν ἀφομοιῶσαι βούλεται διὰ ἀγαλλίασιν καὶ εὐφροσύνην τῶν νοερῶν κτισμάτων, οἷον ἢ πόλις φωτὸς Ἱερουσαλὴμ ἢ ὄρος Σιὼν ἐπουράνιον, δύναται ὡς θέλει πάντα καθὼς εἴρηται· ὑμεῖς δὲ προσεληλύθατε Σιὼν ὄρει καὶ πόλει θεοῦ ζῶντος, Ἱερουσαλὴμ ἐπουρανίῳ. πάντα εὔκολα αὐτῷ ἐστι καὶ εὐχερῆ, εἰς ἃ θέλει, μεταμορφουμένῳ ταῖς ἀξίαις αὐτοῦ καὶ πισταῖς ψυχαῖς. 253 EL 2,335[v]. 254 EL 2,335[v]. 255 EL 2,336. 256 EL 2,336. Arnold zitiert an dieser Stelle Kyrill: „Daß nun ihre Opffer geistlich gewesen in allen Handlungen / die sie dem HErren zu Ehren anstellten / bekenneten sie frey nach der Vorschrifft des Neuen Testaments. [Es folgt das Kyrill-Zitat] Wir opffern nunmehr / sagten sie / viel besser als die Juden. Denn es ist kein sichtbahres Feuer vom Himmel kommen / sondern der Heilige Geist von dem Vater durch den Sohn erleuchtet die Gemeine. Wir brauchen aber auch geistliche und innerliche Opffer. Wir verlassen den groben Dienst / und sind befehliget einen subtilen und geistlichen darzubringen. Denn wir opffern GOTT zum süssen Geruch allerhand Tugenden / Glauben / Hoffnung / Liebe / Gerechtigkeit / Enthaltung / stetiges Lob und andere Kräffte.“ Arnold zitiert nach Cyr. c. Jul. 10 (GCS. NF 21; 714,13–23): Οἱμ ὲν γὰρ ἐξ αἵματος Ἰσραὴλ βοῦς τε καὶ ὄϊς, τρυγόνας καὶ περιστερὰς καὶμέν τοι τὰ ἐξ ὡρῶν καὶ σεμίδαλιν ἐλαιοβραχῆ, πόπανα καὶ λιβανωτοὺς προσε κόμιζον τῷ θεῷ· ἡμεῖς δὲ τὴν οὕτω παχεῖαν ἀφέντες λατρείαν ἰσχνὴν καὶ ἀπεξεσμένην νοητὴν καὶ πνευματικὴν ἀποπληροῦν προστετάγμεθα. Προσκομίζομεν γὰρ ‘εἰς ὀσμὴν εὐωδίας’ τῷ θεῷ πάντα τρόπον ἐπιεικείας, ‘πίστιν, ἐλπίδα, ἀγάπην’, δικαιοσύνην, ἐγκράτειαν, τὸ εὐπειθὲς καὶ εὐήνιον, ἀκαταλήκτους δοξολογίας καὶ τὰς ἑτέρας τῶν ἀρετῶν.
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II. Arnold als Pfarrer
des Abendmahls nie eine herausragende Bedeutung beigemessen worden. Trotz seiner offenkundigen Sympathien für ein spiritualistisches oder symbolisches Abendmahlsverständnis und seiner Kritik an der liturgischen Überfrachtung des Abendmahls positioniert sich Arnold aber niemals explizit im reformierten Spektrum, wie Büchsel es ihm am Rande seiner Untersuchung zum Kirchenverständnis Arnolds unterstellt hat.257 Dies wäre aber auch angesichts seines überkonfessionellen Standpunkts, welcher sich freilich mit seiner biographisch bedingten Selbstverortung im Luthertum ohne weiteres vertragen konnte, nicht zu erwarten gewesen.258 Tatsächlich resultiert Arnolds Abendmahlsskepsis weniger aus einer dogmatischen oder kontroverstheologischen Abwägung als aus einer profunden Auseinandersetzung mit der Geschichte der Alten Kirche. Als Pfarrer wird sich Arnold niemals offen von der lutherischen Abendmahlsauffassung distanzieren, selbst wenn er meint, dass diese sich, verfallsgeschichtlich bedingt, uneinholbar von der idealen Sakramententheologie der Alten Kirche entfernt hat. Es ist die lutherische Abendmahlsliturgie seiner Gemeinde, die er in entscheidenden Punkten einer kritischen Revision unterzieht, ohne sie ganz abschaffen zu wollen oder zu können, und in manchen seiner Abendmahlspredigten zeigt sich tatsächlich, dass er die Lehre von der Realpräsenz unausgesprochen voraussetzt, wenn er das Abendmahl im Sinne einer mystischen Vereinigung mit Christus interpretiert.
3.2.2. Gebet, Vermahnung, Erinnerung – Arnolds Abendmahlstheologie in seinen pastoraltheologischen Schriften In der Erstauflage der Geistlichen Gestalt spitzt Arnold seine Kritik am Beichtzwang und an der liturgischen Überhöhung des Abendmahls aus pastoraltheologischer Perspektive zu, während er in der Zweitauflage angesichts seiner konkreten Erfahrungen in den Werbener und Perleberger Amtsjahren verschiedene Vorschläge zur Reform der Abendmahlsliturgie und Beichtpraxis unterbreitet. Die Zweitauflage spiegelt auch Arnolds Haltung zur kurbrandenburgischen Kirchenordnung von 1540 wider, die eine reichhaltige Abendmahlsliturgie und einen rigiden – wenn auch durch den aufsehenerregenden Berliner Streit von 1697–1698 bereits angefochtenen – Beichtzwang vorhält. Arnolds Abendmahlstheologie und -praxis soll im Folgenden auf mehreren Feldern, im Vergleich der beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt von 1704 und 1712/23 und im Kontext der brandenburgischen Kirchenagende untersucht werden. 257 Büchsel, Kirche, 184 schlussfolgert – auf der Grundlage von zwei Fundstellen in der Verklärungs-Postille (VJC 274) und der Evangelischen Botschafft (EBH 1314) –: „Hier wird ganz deutlich, daß der Lutheraner Arnold mit dem sursum corda eine Calvinische Abendmahlslehre vertritt.“ 258 Vgl. Kapitel I.2.3.2. zur Erklärung Vom Secten-Wesen.
3. Sakramente
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3.2.2.1. Kritik am Beichtzwang In der Geistlichen Gestalt von 1704 bestreitet Arnold – auf der Linie seiner historiographischen Schriften und unter Berufung auf die Confessio Augustana –, dass es sich beim Beichtgebot um ein biblisches Gebot handele, vielmehr entspringe die Beichte dem ius humanum.259 Arnold befürwortet die Praxis der freiwilligen Beichte und „general=Absolution“,260 wie sie in der Alten Kirche gepflegt, von Luther empfohlen und nunmehr in den preußischen Residenzen „durch GOTTes sonderbare direction“261 eingeführt sei. Mit dem Hinweis auf die „preußischen Residenzen“ spielt Arnold auf das kurfürstliche Decisum, wegen der Freyheit des Beichtstuhls in Dero Residentien (1698) an, das den von Johann Kaspar Schade losgetretenen Berliner Beichtstuhlstreit über die Einzelbeichte entscheiden sollte, indem neben der Einzelbeichte ein samstäglicher Bußsermon verordnet worden war, an den sich eine Privatbeichte anschließen konnte,262 gleichzeitig aber – man verwies auf die evangelische Freiheit wie auch darauf, dass in anderen evangelischen Fürstentümern die Einzelbeichte unüblich sei –263 die Pflicht zur Einzelbeichte aufgehoben und ein finanzieller Ausgleich für den entgangenen Beichtpfennig in Aussicht gestellt worden war.264 Gleichwohl wurde an der Pflicht zur Voranmeldung am Abendmahl festgehalten, damit kein „Anlaß geben werde / das heilige Sacrament zu prophaniren“.265 Arnold wähnt sich hier in Übereinstimmung mit dem Decisum: Die Privatbeichte, insbesondere als Zulassungsvoraussetzung zum Abendmahl, lehnt er ab, da sie in den Beichtkindern entweder „keinen Grund“ finde, „weil sie nicht wahre Buße gethan / noch auch den lebendigen Glauben haben“,266 oder aber von Menschen begehrt werde, die „so genau von der Zucht des Heiligen Geistes gehalten [werden] / daß sie auf menschliche Rechtsprechung nicht beruhen dürften / sondern von GOtt dessen versichert seyn wollen in ihren Hertzen“.267 So oder so: Die Beichte würde ihr Ziel verfehlen.268 Einem durch die Obrigkeit verordneten Beichtzwang solle der redliche und treue Prediger nur in der Hoffnung nachkommen, dass der Heilige Geist die Gläubigen durch die Beichte „zum weiteren Nachdencken und 259 Vgl.
GG 453 mit Verweis auf CA 25. GG 454. Arnold zitiert aus der Schöne[n] tröstliche[n] Unterricht Schrifft D.[oktor] M.[artin] L.[uthers] und anderer Wittemberger Theologen / an einen Erbarn Raht zu Nürnberg / von gemeiner / und sonderer Absolution. Er zitiert aus der Altenburger Ausgabe, Band 7, 399. 261 Vgl. GG 454. 262 Vgl. Friedrich, Decisum, 4 f. 263 A. a. O. 5 f. 264 Vgl. a. a. O. 7. Vgl. zum Beichtstuhlstreit Obst, Beichtstuhlstreit, 114–122 und den umfassenden Beitrag von Drese, Beichtstuhlstreit, vor allem den pointierten Exkurs zum lutherischen Beichtverständnis a. a. O. 62–65. 265 Friedrich, Decisum, 6. 266 GG 455. 267 GG 456. 268 Vgl. GG 455. 260 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
zur Buße nach und nach“269 ziehen würde und die Obrigkeit den Beichtzwang letztlich abschaffe. In der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt erneuert Arnold seine Kritik an der Beichtpraxis nicht nur, er stellt sie sogar auf eine breitere theologische Basis. Als Prämisse seiner Überlegungen schickt er voraus, dass die Beichte wie alle anderen Sakramente auch von Laien gespendet werden dürften, wobei er vom geistlichen Notstand – es ist kein ordinierter Priester zugegen, so dass die Laien, etwa die Hausväter, die Sakramente spenden dürfen – auf den alltäglichen Gebrauch schließen möchte.270 Zweitens erinnert er daran, dass, „obschon die Krafft der Sache selbst von keinem Menschen dependirt“, der Spender „von Gott dazu ausgerüstet und folglich auch mit ihm vereiniget und also geheiliget seyn“, also gotterfahren sein müsse:271 Wer die Absolution spenden wolle, müsse erst zum Jünger Christi werden und den Heiligen Geist empfangen haben.272 Drittens problematisiert Arnold den Zusammenhang von Beichtgeld und Beichtzwang: Wo die Beichte verordnet ist, gleichzeitig aber mit dem Beichtpfennig vergütet werden soll, stehe der Verdacht im Raum, dass sie einzig der Selbstbereicherung der Pfarrer dient – ein eklatanter Missstand, dem nur damit Einhalt geboten werden könne, dass der Beichtpfennig zu diakonischen Zwecken verwendet wird.273 Viertens – sein schärfster Vorwurf – meint Arnold, dass die Beichte keine Absolution in dem Sinne bewirken könne, dass sie den Beichtkindern ohne eine – wie Luther gemeint habe – „condition des Glaubens“,274 d. h. ohne die Bereitschaft zur Buße und den Willen zur Lebensveränderung die Vergebung der Sünden gewährt. Arnold lehnt eine absolutio collativa ab, bei der der Priester an der Stelle Gottes die Sünden vergibt, was einer ungebührlichen Erhebung über die Gläubigen gleichkäme, sondern vertritt die absolutio declarativa, mit der lediglich zugesprochen werden würde, was aus Gottes Wort ohnehin zu hören sei.275 Alles andere sei ein „grausame[r] Mißbrauch der Gnade“,276 Vergebung der Sünden könne nur demjenigen zuteilwerden, der ihrer wirklich bedarf und sich Gott aufrichtig zuwendet.277 Wem Arnold daher in der Geistlichen Gestalt „Trost wegen des Beichtstuhls“ zusprechen möchte – den Pfarrern oder den Beichtkindern –, bleibt offen, er geht aber davon aus, dass sich das Beichtinstitut nicht auf Dauer 269 GG 456. 270 Vgl.
GG2 2,398 f. 2,401. 272 Vgl. GG2 2,401. 273 Vgl. GG2 2,418–421. 274 GG2 2,424. Arnold verweist in diesem Zusammenhang erneut auf Luthers Schöne[n] tröstliche[n] Unterricht […] an einen Erbarn Raht zu Nürnberg / von gemeiner / und sonderer Absolution. Er zitiert aus dem 7. Band der Altenburger Ausgabe, 399, gibt aber fälschlicherweise Seite 395 an. 275 Vgl. GG2 2,422 f. 276 GG2 2,425. 277 Vgl. GG2 2,426. 271 GG2
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in der lutherischen Kirche halten und Gott den Gläubigen den Sinn der Beichte als geistliche Erbauungsübung wiedererschließen werde.278 Über die vier Kritikpunkte hinaus trifft Arnold im Zuge seiner Erwägungen zu Beichte und Abendmahl eine subtile Unterscheidung zwischen „Beichte“ und „Anzeigung“, die deswegen eingehender betrachtet werden soll, weil sie zeigt, wie Arnold in Werben und Perleberg mit den ihn bindenden Kirchenordnungen umgegangen ist und auf welche Weise er selbst die Beschränkungen der Teilnahme am Sakrament durchsetzen wollte. Grundsätzlich sieht Arnold sich mit der Confessio Augustana und deren Apologie in Übereinstimmung, wenn er feststellt, dass das Abendmahl „niemals ohne vorhergehende Prüfung derer Gäste und nöthige Unterweisung“ ausgeteilt werden dürfe.279 Diese Prüfung bzw. Unterweisung sei auch in der kurfürstlich-brandenburgischen Kirchenagende von 1540 verwurzelt, die Arnold in diesem Zusammenhang wörtlich zitiert: „Wenn sich die Leute vorhin anzeigen, sollen die Kirchendiener sie mit aller Bescheidenheit nach Gelegenheit der Personen erforschen, und worinn es ihnen mangelt, sie fleißig und gütig unterweisen.“280 Auch in der Kirchenagende Johann Georgs (der Neufassung der Agende von 1540) – so Arnold weiter – sei eine solche „Anzeigung“ vorgeschrieben. Zudem würden viele andere deutsche Agenden, namentlich die „Nieder=Sächsische“, kursächsische, magdeburgische und mecklenburgische, eine vorherige Prüfung und Vermahnung verlangen.281 Arnold möchte nun entschieden darauf aufmerksam machen, dass es sich bei dieser „Anzeigung“ keineswegs um eine Beichte im Sinne einer Privatbeichte handele, deren theologische Legitimität und vor allem Schriftgemäßheit nachweislich und zu Recht, u. a. von Luther, bestritten werde:282„Die Beichte solle frey und nur gelobet seyn.“283 Nun hat zwar die von Arnold getroffene Unterscheidung zwischen „Anzeigung“ und „Beichte“ durchaus Anhalt an der kurbrandenburgischen Agende, aber nicht in der Weise, wie Arnold es in der Geistlichen Gestalt vorgibt, denn die beiden Komponenten werden in der Ordnung nicht als alternative, sondern vielmehr als komplementäre Zulassungsvoraussetzungen zum Abendmahl ausgewiesen. Die kurbrandenburgische Abendmahlsagende schreibt die Beichte vor dem Abendmahl unbedingt vor und regelt eben diese in der Ordnung „Von der beicht und absolution“, ja die Kirchenordnung behandelt die Beichte fast ausschließlich in ihrer Funktion als Zulassungsvoraussetzung zum Abendmahl, nicht als eigenständige, etwa seelsorgerliche Institution.284 Das wird vor allem daran deutlich, dass die Frage nach einer Doppelung der Sündenvergebung in Beichte und Abend278 Vgl.
GG2 2,421 f. GG2 2,405, mit Bezug auf CA 25 und AC 11. 280 GG2, 2,408. Das Zitat stammt aus dem Kapitel von der Beichte (vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 59 f). 281 Vgl. GG2, 2,408. 282 Vgl. GG2, 2,410 f. 283 GG2 2,412. 284 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 59 f. 279 Vgl.
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mahl eingehend thematisiert wird, d. h. die Frage, wozu es die Beichte eigentlich brauche, wenn doch die Sünden im Abendmahl vergeben werden.285 Gleich an mehreren Stellen wird die Generalbeichte dann auch explizit verboten286 und stattdessen bekräftigt, dass, wer in öffentlichen Sünden stehe, nicht zum Abendmahl zugelassen und solange ausgeschlossen werden solle, bis Besserung gelobt werde.287 Zudem wird das Abendmahl als Anlass zur Buße und zur Besserung des Lebens ausgewiesen: Wer sich nicht bessern wolle, versündige sich schwer gegen das Sakrament.288 Konkret solle die Beichte auf dem Beichtspiegel der Zehn Gebote beruhen.289 Im Kapitel zur Beichte und Absolution wird nun auch jene „Anzeigung“ behandelt, von der Arnold in der Geistlichen Gestalt spricht. Sie wird in der Tat deutlich von der Beichte unterschieden und stellt laut Kirchenordnung eine Prüfung der fünf Hauptstücke dar, ohne die die Zulassung zum Abendmahl nicht erfolgen könne, dürfe aber bei solchen Gemeindegliedern entfallen, die erwiesenermaßen in den Hauptstücken unterrichtet sind.290 Die ‚Anzeigung‘ solle die „öffentliche[n] sünder“ vom Mahl abhalten, die „gar nicht gedenken, darvon [von ihren Lastern] abzusehen und sich zu bessern“291 und dient damit der Aufklärung über den Nutzen des Abendmahls ebenso wie der Klärung, „ob sie gegen jemand feindschaft oder zorn tragen, denn diesem heiligen sacrament nichts mehr entgegen ist, denn unglaube und uneinigkeit“.292 Anders als die Beichte stellt die ‚Anzeigung‘ also den Anlass für eine katechetische Unterrichtung über das Abendmahl dar, welche auch innerhalb der Predigt ihren Ort finden könne: Man solle „die leut in der predig fleissig vermanen, das sie von inen selbs fragen und unterricht begeren wollen, wenn sie mangel an verstand oder schwere fell der gewissen haben“.293 Mit anderen Worten: Arnold spielt die ‚Anzeigung‘ gegen die (Privat-)Beichte aus bzw. möchte letztere in der ersten aufgehen lassen, indem er die Sinnhaftigkeit der Privatbeichte bestreitet, die Selbstprüfung von der Privatabsolution loslöst und der Verantwortung des Einzelnen anheimstellt und damit den operationalen Charakter der Beichte bestreitet. Anhalt an der kurbrandenburgischen Ordnung hat das freilich nicht, durch die Brille des kurfürstlichen Decisum zum Beichtstuhlstreit gelesen stellt jedoch die ‚Anzeigung‘ für Arnold die einzig legitime Form der Abendmahlszulassung dar, da er die theologische Legitimität der Privatbeichte anfechtet. Dass Arnold tatsächlich in Perleberg 285
Vgl. a. a. O. 60. ebd.: „Desgleichen der misbrauch, so an etlichen orten furgenomen, das auf einen haufen etliche personen zugleich ein gemeine beicht thun und öffentliche absolution empfahen, und es denn dabei wenden lassen, sol nicht gestattet, sondern ein jeder in sonderheit notturftiglich gehört und absolvirt werden.“ 287 Vgl. a. a. O. 67. 288 Vgl. ebd. 289 Vgl. a. a. O. 62. 290 Vgl. a. a. O. 60. 291 Ebd. 292 Ebd. 293 Ebd. 286 Vgl.
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keine Privatbeichte abnehmen musste, folglich seine theologischen Vorbehalte geltend machen konnte, notiert er selbst im Vorwort der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt.294 Gleichzeitig bilden Arnolds Ausführungen zur ‚Anzeigung‘ und Generalbeichte die theoretische Grundlage seiner Abendmahlspredigten. Wie zu zeigen sein wird, hat er in verschiedene geistliche Ansprachen zum Abendmahl Beichtelemente und die katechetische Vermahnung, wie sie bei der ‚Anzeigung‘ erfolgen soll, integriert. In ähnlicher Weise behandelt Arnold auch die Exkommunikation als Mittel der Kirchenzucht. Der zeitweilige und dauerhafte Abendmahlsausschluss nimmt bereits in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt weit über drei Viertel des Sakramentenkapitels ein. Dabei zeichnet sich auch hier die Tendenz zur Spiritualisierung ab: Der Ausschluss vom Abendmahl soll rein geistlich, innerlich vollzogen, d. h. von Gott selbst ausgesprochen werden, die Exkommunikation als kirchliche Sanktion sei hingegen immer anfällig für menschliche Fehleinschätzungen. Arnold rät dem Lehrer zu großer Vorsicht. Kein Verdikt über einen Kommunikanten dürfe endgültig sein, denn „ein jeder handelt in solchen äußerlichen Dingen nach seiner Erkäntniß so lange / bis ihm GOTT etwas nähers und bessers zeiget“.295 Auch den Ausschluss vom Abendmahl legt Arnold auf die allgemeine Unterweisung zum Abendmahl um und rät dazu, die Abwehr der Unwürdigen „von GOtt zu erbitten“296: Gott selbst solle in ihrem Gewissen Skrupel hervorrufen, „daß sie sich selbst freywillig enthalten“.297 Die öffentliche „gewaltsame Zurückstoßung“ sei hingegen eine „mißliche Sache“, nicht nur weil sie zu einem Eklat in der Gemeinde führen könne, sondern auch, weil die geistliche Verfassung der Gläubigen nicht offen zu Tage liege und die Auswirkungen einer äußerlichen Zurechtweisung auf das vielleicht aufgewühlte Seelenleben des Gläubigen kaum abzusehen sind.298 Während also Gottes Blick in die Seele des Menschen unbestechlich und klar sei, bleibe der des Lehrers immer unscharf und befangen.299 Mit diesem Argument kann Arnold die Kirchenzucht, die 294 GG2,
neue Vorrede, *6v.
295 GG 461. 296 GG 462. 297 GG 462. 298 Vgl.
GG 462 f. dieser Stelle muss die diffizile und kirchenhistorisch ausladende Argumentation zum Bann nicht im Einzelnen nachvollzogen werden – Arnold kritisiert im Allgemeinen die öffentliche Verketzerung, Exkommunizierung und interkonfessionelle Lehrverurteilung –, zentral für die Frage nach der Kirchenzucht sind vor allem drei Aspekte: Erstens stellt Arnold nicht „den rechten geistlichen und göttlichen Bann“ in einer solchen Form in Frage, „wie ihn die H. Schrifft als eine innerliche Wirckung der Gerechtigkeit GOttes beschreibet“ (GG 464). Ausgehend vom biblischen locus classicus Mt 18 – der Aufforderung Jesu, mit einem sündhaften Bruder „nach drey unterschiedenen Graden der Ermahnung“, der Privatunterredung, zusammen mit einem Bruder, dann mit der ganzen Gemeinde (vgl. GG 468) – möchte Arnold danach fragen, was es denn genau heißt, wenn der auf diese Weise Ausgestoßene zu einem Heiden und Zöllner erklärt werde (vgl. GG 468–470). Arnold meint: „Der gantze Context des Capitels weiset also einem Unpartheyischen klar / daß es von privat-Aktionen und von derselben Abthuung und 299 An
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II. Arnold als Pfarrer
als wesentliche Sanktion den Abendmahlsausschluss kennt, insgesamt problematisieren. Exemplarisch greift er jene Bedenken auf, die sich gegen Speners Forderungen nach einer schärferen Kirchenzucht formierten: Eine solche würde Gottes Forderung nach einem „freywilligen Dienst“ völlig unterlaufen, allein „[d]ieses muß die Liebe thun. Die Liebe zu GOTT und unserm JESU muß die bewegende Ursache seyn / welche die Leute aufmuntert ihm so viel hertzlicher zu dienen“.300 Arnold schließt sich dieser Kritik an: Der Gottesdienst müsse „aus dem tieffsten Centro der Gottheit selber / die nichts als reine Liebe ist“ motiviert sein.301 Der Lehrer wiederum müsse in Sanftmut und Geduld die „Gefäße des Zorns“ ertragen und sie öffentlich zurechtweisen, ohne sie jedoch auszuschließen.302 Den Jüngern sei keine andere Waffe als die „Krafft des H. Geistes“ gegeben worden –303 bei diesem Aperçu handelt es sich nicht um eine Plattitüde, sondern um Aussöhnung handele / nicht aber einen öffentlichen Bann ziele“ (GG 470). Die Pointe der Erzählung sei doch letztlich, dass sich die Gemeinde auch dazu bereit erklären müsse, den exkommunizierten „Zöllner“ oder „Heiden“ zu reintegrieren und ihm die Sünden zu erlassen (vgl. GG 470). Zweitens stehe die Exkommunikation am Ende einer komplexen historischen Fehlentwicklung, die ihren Ausgang bereits im Judentum, das den Synagogenausschluss praktiziert habe, und im Heidentum, das politische und religiöse Ausschlusszeremonien kannte, genommen habe. Beim Bann handele sich um eine fremdartige, ins Christentum implementierte Tradition (vgl. GG 474–476). Drittens meint Arnold, dass in einem rein äußerlichen Vollzug des Banns immer der persönliche Eigennutz des Vollziehenden eingemischt sei, nicht nur, wenn der Bann von einem kirchlichen Machthaber, einem Papst oder einem Bischof, sondern auch dann, wenn er – „nach denen principiis der Protestirenden“ (GG 491) – durch die ganze Gemeinde ausgesprochen würde. Die Objektivität der Bannung könne nicht garantiert werden, „weil der Satan in allen Ständen gar zu mächtig wäre“ (GG 488). Auf reformierter Seite habe man daher auf die Wiedereinführung des Banns ganz verzichtet, schlichtweg, weil man dieses Machtinstrument keinem Prediger oder Ältesten anvertrauen wollte, der es u. U. wegen „privat=Hasses / wegen gewisser Lehrsätze oder Meynungen / und noch unter dem Vorwand der Gottseligkeit“ anwenden könnte (GG 489). Arnold zitiert hier Benedikt Aretius, Theologiae problemata, h. e. loci communes christianae religionis, brevi methodo explicati, seinen eigenen Angaben zufolge aus „Part. II. Loc. 112. p. 223. sqq.“. Diese Angabe ließ sich leider nicht verifizieren, da mir die genannte zweiteilige Ausgabe der Theologiae problemata nicht zugänglich war. In der Berner Ausgabe von 1604 findet sich das Zitat auf Seite 340: „Accedit periculum: nam paucis res illa tuto committi potest: mox solet subrepere dominandi studium, & sub praetextu pietatis luunt poenas ob priuata odia, aut dogmata, vel talia.“ 300 GG 495. Arnold zitiert eine, in Frankfurt erschienene, deutsche Ausgabe der Pia Desideria (1706) mit dem Titel: Hertzliches Verlangen / Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen / sampt einigen dahin einfälti abzweckenden Christlichen Vorschlägen / Philipp Jacob Speners / D. Predigers und Senioris zu Franckfurt am Mayn; Sampt angehengten Zweyer Christlichen Theologorum darüber gestellten / und zu mehrer auferbauung höchstdienlichen Bedencken […], hier Seite 245. 301 GG 495. 302 Vgl. GG 496: „Alle andere Zwangsmittel und Inuentiones entspringen aus der bittern Wurtzel der Eigenliebe / und daher entstehenden Eifers und Grimmes. Dieser äußerte sich auch so subtil und scheinbar / als er wolle / so kan man ihn doch weder an sich / noch an andern vor eine Evangelische Krafft oder Wirckung ausgeben / und die Erfahrung weisets gnug / daß solch Tractament der Seelen bey ihnen eben auch nur Zorn und Unwillen / oder wenns hochkommt / Heucheley anrichte […].“ 303 GG 498.
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die Zuspitzung einer komplexen Unterscheidung des kurzsichtigen Strafhandelns des Menschen von der nicht sichtbaren Strafverfolgung Gottes. Auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt urteilt Arnold vorsichtig. Inzwischen hatte seine rigorose Infragestellung von Bann und Exkommunikation, wie er sie in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt vertreten hatte, die Streitschrift des Rostocker Theologen Johann Fecht De excommunicatione ecclesiastica eiusque indole & aeqvitate tractatio theologica Godofredo Arnoldo opposita (Leipzig, 1712) provoziert, auf die Arnold nun antwortet. Die Auseinandersetzung im Einzelnen nachzuvollziehen, ist hier nicht nötig, als zentral erweist sich Arnolds Vorwurf, dass Fecht „die gewaltsame Ausschliessung mit der äusserlichen“ durcheinanderbringe und vorgebe, Arnold hätte beides verworfen, wogegen er sich entschieden verwehrt, weil er nur die kirchlichen und obrigkeitlichen Zwangsmaßnahmen kritisiert habe.304 Zudem greift Arnold Fechts klerikale Verengung der Exkommunikation an: Der Bann gebühre, wenn überhaupt, der ganzen Gemeinde.305 Arnold bekräftigt, dass die Vermahnung vor der Kommunion – eine Privatbeichte lehnt er erneut ab – „mehr mit Flehen und kräfftigen Überzeugungen, als mit Drohen / Schelten oder Verdammen“306 vonstattengehen, die Zurückweisung von Unwürdigen „per modum consilii“ geschehen müsse, d. h. man müsse ihnen raten, dass es schlichtweg besser sei, „wenn sie um ihres gefährlichen Zustands willen eine Zeitlang sich des Abendmahls enthielten / und indessen ihr Hertz und Leben durch Gnade liessen bessern“.307 Eine solche Form der Kirchenzucht sei zulässig, dürfe nicht vom Landesherrn reglementiert werden und würde dafür sorgen, dass schon allein durch den innergemeindlichen Druck die Unwürdigen beschämt würden und auf eine Abendmahlsteilnahme verzichten.308 Arnolds Haltung zu Beichte und Bann spiegelt also unmittelbar seine Anthropologie und Theologie wider: Gott wirke unmittelbar und unablässig in den Seelen der Gläubigen und könne, unvergleichlich scharfsichtiger als der Pfarrer, die Gläubigen von den Ungläubigen, die Würdigen von den Unwürdigen, die Frevler von den Frommen unterscheiden und individuell und unmittelbar den Ausschluss vom Mahl geistlich aussprechen. Dem Pfarrer bleibt zur Kirchenzucht allenfalls die katechetische Unterweisung, die an diese Unterscheidung Gottes erinnert. Selbst vornehmen kann und darf er sie nicht.
304 GG2
2,451. GG2 2,453 f. 306 GG2 2,431. 307 GG2 2,431. Auch hierin bezieht sich Arnold auf die Agende Johann Georgs, er zitiert aus der Ausgabe von 1572, Seite 175v (vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 61): „In der Prüfung möchte bey manchem so viel Gelegenheit gefunden werden, daß ihm mehr ‚zu rahten vom Sacrament zu bleiben, wo er anders das zum Gericht nicht nehmen wolte. Ja es möchten auch die Ursachen fürkommen, daß es derhalben keins wegs zu reichen wäre.‘“ 308 Vgl. GG2 2,431 f. 305 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
3.2.2.2. Das Abendmahl als Bewährungsprobe für die geistliche Gestalt des Lehrers Schon in der Erstauflage der Geistlichen Gestalt bindet Arnold die Nützlichkeit und Wirksamkeit des Abendmahls an die Gotterfahrung und das Charisma der Prediger zurück: Nur diejenigen können „mit grosser Begierde und Freude die Menschen zu dem rechten Abendmahl des Lammes ein[laden] mit Worten und Wercken“, die in sich den „Grund des lauteren Evangelii“ haben legen lassen, Christus „wahrhafftig kennen / und in ihren Hertzen wohnend haben“,309 so dass sie – eine drucktechnisch hervorgehobene Formulierung! – „mit ihm das Abendmahl inwendig immerhin halten“.310 In der Zweitauflage profiliert Arnold diesen Ansatz: Zwar erfordere die Austeilung des Abendmahls nicht wie in der römischen Kirche eine „gratia personalis, sed solum auctoritas Ordinis, per qvam qvasi Vicarius (Christi) constituatur“,311 d. h. das ordinierte Priesteramt, wohl aber dürften die wesentlichen geistlichen Komponenten des Abendmahls – Gebet und Segen – „nur von einem geheiligten und erleuchteten Diener geschehen“, wobei sich Arnold explizit auf Luther beruft, der festgestellt hatte, dass Opfer und Gebet eines „ruchlosen Priesters“ kraftlos bleiben.312 Arnold bewegt sich damit erneut auf dem schmalen Grat zwischen der donatistischen Forderung nach der Würdigkeit des Spenders und der Auffassung von der Selbstwirksamkeit des Sakraments, so dass er – zur vermeintlichen Klar- und Richtigstellung – Luthers Kritik noch einmal in eigenen Worten erläutert: „Hiermit gestehet er, daß zwar das Sacrament selber bleibe, wie es ist, aber ein böser Prediger könne unmöglich dabey recht kräfftig beten und vor Gott treten.“313 Trotz dieser Beteuerung lagert Arnold das Problem offenkundig einfach um: Mag das Sakrament an sich unabhängig wirken – Prüfung, Belehrung, Ermahnung, Erweckung und Gebet, welche Arnold allesamt als konstitutive Elemente des Sakraments ausweisen möchte und ohne die es zum opus operatum verkommen würde, tun es nicht. Arnold argumentiert also trotz seines gegenteiligen Bekenntnisses zur Selbstwirksamkeit des Sakraments donatistisch: Der Prediger dürfe nur „mit Ernst und
309 Alle
Zitate stammen aus GG 457.
310 GG 458.
311 GG2 2,403, ein Zitat aus Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae de veritate, q. 29 a. 5 ad 3: „Ad tertium dicendum, quod minister Ecclesiae non agit in sacramentis quasi ex propria virtute, sed ex virtute alterius, scilicet Christi; et ideo in eo non requiritur gratia personalis, sed solum auctoritas ordinis, per quam quasi Christi vicarius constituitur. Christus autem operatus est nostram salutem quasi ex propria virtute, et ideo oportuit quod in eo esset gratiae plenitudo.“ 312 GG2 2,403. Arnold zitiert hier aus der deutschen Übersetzung von De Captivitate, wie sie im Appendix des sechsten (nicht, wie Arnold angibt, fünften) Bandes der Altenburger Ausgabe abgedruckt wurde, Seite 1390, vgl. WA 6; 526,10–13: „Cum enim non Missa sed orationes offerantur deo, clarum est, oblationes impii sacerdotis nihil valere, sed, ut idem Gregorius ait, cum is qui indignus est ad deprecandum mittitur, animus iudicis ad deterius provocatur.“ 313 GG2 2,404.
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Krafft“ die für das Sakrament wesentlichen Abläufe vollziehen,314 sonst bleibe alles „kaltsinnig“315 und ohne bleibenden Eindruck auf die Teilnehmer. 3.2.2.3. Spiritualisierung des Abendmahls – Relativierung des äußerlichen Vollzugs Christus habe das Abendmahl – auch hier bekräftigt Arnold einen zentralen Punkt der Ersten Liebe – „zu seinem Gedächtniß“ eingesetzt, was Arnold mit dem „heilsame[n] Andencken seiner Liebe und Treue“ gleichsetzt und als Kernanliegen des Sakraments ausweist.316 Trotz der zweifelsfrei von Christus vorgenommenen Einsetzung des Sakraments distanziert sich Arnold konsequent von der äußerlichen Handlung: Sie sei zwar von Christus – als Akt der Akkommodation – in der Kirche eingeführt, aber „mit vielen Mißbräuchen und Menschensatzungen überladen worden“,317 so dass der Lehrer dazu aufgefordert sei, seinem „Hauptwerck“ nachzukommen und auch im Abendmahl „die Seelen in GOttes Reiche und an den Tisch seiner Liebe herein zu nötigen / den Hungerigen die rechte Nahrung in dem Heiland anzuweisen“.318 Arnold meint, dass die Feier des Abendmahls vor allem eine Gelegenheit zur Unterweisung darstelle.319 Der Prediger solle „vor diesem actu“ der Abendmahlsfeier, „in der Krafft des Geistes die Busse zu GOtt und den Glauben an den HErrn JEsum“ bezeugen320 und die Angewiesenheit der Gläubigen auf Gott bzw. – in der Mahlmetaphorik – den Hunger „nach dem rechten Brod / ohne welche man todt und ohne göttl. Leben ist“ reizen.321 Darin liege der geistliche Sinn des Mahls: „Wie sich hierzu die Begierde des Glaubens / als der rechte Mund der Seelen aufthun / und GOttes Liebe und Leben begierig in sich fassen und nehmen müsse.“322
Jeder Zwang zum Abendmahl und jedes Verständnis des Mahls im Sinne eines „op[us] operat[um]“ – Arnold setzt in Klammern hinzu: „(da man einen Character und gemeines asylum aller Unbußfertigen draus machet)“323 – seien damit hinfällig: Das Abendmahl soll die Gläubigen als geistliche Bedürftige sättigen, es 314 Vgl.
GG2 2,404 (Marginalüberschrift).
315 GG2 2,404. 316 GG 458. 317 GG 458. 318 GG 459.
319 Vgl. GG 459. Arnold zitiert aus Johann Brunnemanns De Iure Ecclesiastico: Tractatus Posthumus In Usum Ecclesiarum Evangel. et Consistoriorum Concinnatus (…) und gibt als Fundstelle „Lib. 1. Cap 6. Mem. 4 § 5“ an, wo darauf aufmerksam gemacht werde, „daß zu solcher Zeit die Vermahnungen am besten eindringen / da die Hertzen etwas weicher und tractabler / als sonst seyn“. Das Zitat findet sich in der Erstauflage aus dem Jahr 1681 auf Seite 188: „Nam in quibus vel paucae reliquiae sunt Christiani pectoris, solent eo tempore esse dociliores ac tractabiliores, ut multum profuturae sperentur tales hoc tempore admonitiones.“ 320 GG 459. 321 GG 459. 322 GG 459 f. 323 GG 460.
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II. Arnold als Pfarrer
sei eine „durch den Heiligen Geist“ angewandte „Ubung“, die sich nur dann als segensreich erweisen würde, wenn die frommen „Vorstellungen“ der Gläubigen „mit lebendiger Erfahrung und Glaubenskrafft begleitet und in den Zuhörern bekräfftiget werden“.324 Eine realpräsentische Auffassung vertritt Arnold in diesem Zusammenhang nicht prononciert, bereits 1704 versteht Arnold – ganz im Einklang mit seinen früheren historischen Erkundungen – das Abendmahl in erster Linie als eine deiktische Handlung. Ermahnung und Gebet bleiben auch in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt die konstitutiven Elemente des Abendmahls, nun geht Arnold jedoch viel detaillierter auf die verschiedenen, in der lutherischen Kirche vorgesehenen liturgischen Vollzüge ein, die das Abendmahl begleiten und – so die Kritik – seinen eigentlichen Sinn verdunkeln. Tatsächlich sieht sich Arnold in der kurbrandenburgischen Kirchenordnung mit einer reichen, konservativen und eng am römischen Missale orientierten Abendmahlsliturgie konfrontiert, die seiner deiktisch-spiritualisierenden Deutung des Mahls diametral entgegensteht. Die Agende von 1540/72 sieht folgenden idealtypisch Ablauf vor: a) Präfation (lateinisch) b) Sanctus (lateinisch vom Chor) c) Fürbitten parallel zum Sanctus (deutsch, vom Priester gesprochen; für Obrigkeit, Kirchendiener, Sündenvergebung) d) Einsetzungsworte (deutsch, vom Priester gesungen) mit Elevation e) Responsorium (lateinisch in den Städten; deutsch in Dörfern ohne Chor) f) Vaterunser (deutsch) g) Friedensgruß (deutsch) mit „Amen“ der Gemeinde h) Agnus Dei (lateinisch; Chor) i) Abendmahlsgebete Domine Iesu Christe, qui dixisti …, Domine Iesu Christe, fili dei vivi, Sacramentum corpori tui (vom Priester gesprochen, parallel zum Agnus Dei) j) Vermahnung (adhortatio) k) Austeilung mit deutschen Spendeworten, währenddessen entweder das lateinische Responsorium discubuit Jesus, ggf. weitere Abendmahlslieder (deutsch; von Gemeinde gesungen) l) Dankgebet m) Gebete Corpus tuum domine und Quod ore sumpsimus n) Segen325 Die Ordnung gibt darüber hinaus weitere Hinweise zur theologischen Sinnlinie der Liturgie und enthält verschiedene Durchführungsbestimmungen: Man solle 324 GG 460.
325 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 67–71 unter Berücksichtigung von Pahl, Coena Domini, 71.
3. Sakramente
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nach Möglichkeit täglich Kommunion halten,326 das (der Nürnberger Ordnung von 1533 entnommene) Element der Vermahnung (adhortatio) solle verschiedene Deutungsperspektiven auf das Abendmahl eröffnen: Sie könne z. B. die Kommunikanten zur Selbstprüfung aufrufen, welche „allerlei greuliche sund und den tod, den wir mit der sund verschuldet haben“327 zu Tage fördern solle, womit der geistlichen Bedürftigkeit der Kommunikanten Ausdruck verliehen würde.328 Dieser Bedürftigkeit kann wiederum in besagter Vermahnung das Erbarmen Christi entgegengehalten werden, wobei die Konsekrationsworte paraphrasiert werden, zunächst das Brotwort, das auf das Gedächtnis des Sterbens Jesu und dessen Bedeutung pro me bezogen wird: „[…] das ist, das ich mensch bin worden und alles, das ich thue und leide, ist alles euer eigen, für euch und euch zu gut geschehen; des zu einem gewissen anzeigen und zeugnis gib ich euch mein leib zur speise.“329
Dann das Kelchwort, das in erster Linie auf die Sündenvergebung gedeutet wird: „[…] das ist, dieweil ich mich eur angenommen und eur sunde auf mich geladen hab, will ich mich selbs für die sunde in tod opfern, mein blut vergiessen, gnad und vergebung der sunde erwerben und also ein neu testament aufrichten, darinnen die sunde vergeben und ewig nicht mehr sol gedacht werden, des zu einem gewissen anzeigen und zeugnis, gib ich euch mein blut zu trinken.“330
Es lässt sich nicht genau ermitteln, welche der genannten liturgischen Elemente zu Arnolds Zeit in Perleberg in Geltung stehen, viele seiner Äußerungen zur liturgischen Gestaltung des Abendmahls in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt lassen sich aber unschwer als kritische Anfragen an die kurbrandenburgische Agende verstehen, auch wenn er sich nirgends offen gegen sie abgrenzt. Generell sollen Arnold zufolge Vermahnung und Gebet im Vordergrund stehen, alle anderen liturgischen Elemente des Abendmahls kann er nur als Adiaphora auffassen, d. h. er lehnt sie nicht rundweg ab, problematisiert sie aber und möchte nur solche Zeremonien zulassen, die – mit Johann Gerhards Worten – der „Erweckung, Beförderung und Vermehrung einer danckbaren Erinnerung des Todes des HErrn dienen“.331
326 Vgl.
Sehling, Kirchenordnungen III, 67. A. a. O. 70. 328 Vgl. ebd. 329 Ebd. 330 Ebd. 331 GG2 2,437. Arnold übersetzt hier aus Gerhards Loci, die Angabe bleibt jedoch unvollständig: „Gerh. I. c. §.“ Das Zitat findet sich im 21. Locus de sacra coena, im 26. Kapitel De ceremoniis hujus sacramenti, vgl. Gerhard, De coena, 243 [263]: „Quaecunque ceremoniae ad salutarem communicantium probationem et gratam mortis Dominicae annuntiationem excitandam, promovendam et augendam faciunt, eae quamvis non sint expresso aliquo Christi mandato requisitae, tamen ob salutarem illam finem adhiberi possunt ac debent.“ 327
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II. Arnold als Pfarrer
Im Einzelnen nimmt er zu folgenden Punkten Stellung: a) Arnold verlagert die geistliche Deutung des Abendmahls ganz auf die Vermahnung, wobei er beides in den Blick nimmt: die der Spendung vorausgehende adhortatio und die vor dem Abendmahl platzierte Predigt. Arnold spezifiziert die Anweisungen der Agende bzgl. der adhortatio: In der Vermahnung sollen die Prediger beides leisten, zum einen die skrupulösen Abendmahlsteilnehmer zu einer genauen Gewissensprüfung anregen, zum anderen die „Begierigen“ erwecken.332 Der Fokus solle darauf liegen, „von der inneren stetigen Geniessung oder dem geistlichen Abendmahl“ zu handeln und so jede Ungewissheit der Gläubigen zu zerstreuen.333 Auch der Erinnerungscharakter soll unbedingt zum Ausdruck gebracht werden: Die Prediger sollen den Kommunikanten „kräfftig zu[]reden, und sie sonderlich der dabey zu preisenden Liebe Christi […] erinnern, damit sie doch einen lebendigen Geschmack und Genuß davon bekommen, und nicht als Todte dazu und wider davon gehen“.334 b) Was das Gebet angeht, so empfiehlt Arnold, zusätzlich zu dem für die Abendmahlsliturgie obligatorischen Vaterunser auch ein „ernstes Gebet nach Bedürffniß der Gegenwärtigen“ zu sprechen. Es soll am besten vor dem Mahl gesprochen werden, was womöglich als Reflex auf die in Brandenburg übliche Praxis verstanden werden kann, die Fürbitten zwischen Präfation und Einsetzungsworten zu platzieren.335 c) Arnold empfiehlt statt der die Feier begleitenden Orgelmusik – er kritisiert sie als „üppige[] Tänze“ und spielt damit womöglich auf die Parallelität von Chorgesang und Gebeten während der Abendmahlsfeier an, wie sie in der Agende vorgesehen ist – „recht erbauliche Lieder zu singen“,336 was die Ordnung von 1540 lediglich im Anschluss an das Responsorium Discubuit Jesus vorsieht.337 d) Arnold rät davon ab, die Einsetzungsworte zu singen, weil der Zelebrant auf diese Weise nur auf die Intonation der Worte, nicht aber „auf den Verstand acht hat“.338 Der Gesang ist jedoch in der kurbrandenburgischen Agende für den Messgottesdienst in Stadt- und Landgemeinde als obligatorisch vorgeschrieben.339 332 GG2
2,435. 2,435. 334 GG2 2,436. 335 GG2 2,437. 336 GG2 2,438. 337 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 70. Zudem erlaubt sie in Landgemeinden, die über keinen eigenen Chor verfügen oder in denen nur wenige Kommunikanten zusammenkommen, dass wichtige liturgische Stücke wie das Credo oder Vaterunser auch deutsch von der Gemeinde gesungen werden. 338 GG2 2,438. 339 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 69. 333 GG2
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e) Die Spendung, d. h. „Darreichung derer Zeichen“ soll mit „rechtem Ernst und Nachdruck einiger erbaulicher Worte“ geschehen, womit er wie schon in der Erstauflage die liturgische Präsenz der Zelebranten in den Blick nimmt.340 f) Hinsichtlich des Empfangs des Abendmahls heißt Arnold es gut, wenn nicht nur die „Jungfern“ während des Mahls knien würden, sondern auch die „Manns=Personen“, so dass auch diese ihrer Demut vor dem Sakrament Ausdruck verleihen.341 g) Abergläubische Begleitriten sollen konsequent abgeschafft werden – ein eklatantes Beispiel sei etwa die Verwendung von Wachs, das während des Abendmahls von Kerzen getropft sei, zu Heilungszwecken.342 h) Die Verwendung von Messgewändern kritisiert Arnold als papistisch, heidnisch und insofern gefährlich, als dass sie den Blick auf den Vollzug des Abendmahls und weg von seinem geistlichen Sinn lenken.343 i) Die Verwendung von Hostien sei ein Adiaphoron, die Verteilung von „Hausbrod“ sei zulässig und knüpfe an die Praxis der Alten Kirche an.344 Zudem beklagt sich Arnold, dass die Hostien so klein und dünn seien, dass die Gläubigen sie gar nicht bemerken würden.345 Auch das Brechen der Hostie zu den Einsetzungsworten sei nicht verpflichtend und dürfe schon gar nicht als Hinweis auf die Realpräsenz des Leibes, sondern müsse vielmehr figürlich als Erinnerung an das Leiden Christi verstanden werden.346 j) Die Krankenkommunion wird verworfen, da sie den operationalen Charakter des Mahls unterstreicht, das Abendmahl aus dem gottesdienstlichen Kontext löst und die Buße von der Kommunion abkoppelt.347 Tatsächlich ist in der kurbrandenburgischen Ordnung vorgesehen, dass die Konsekration der Elemente in der Kirche vor Zeugen stattfinden und die konsekrierten Gaben sodann zu den Kranken gebracht werden sollen.348 k) Die Diskussion darüber, ob ein Prediger sich selbst das Mahl spenden kann, tut Arnold als völlig unsinnig ab: Natürlich sei dies zulässig, denn es werde im Neuen Testament nirgends verboten, im Gegenteil: Christus habe den Jüngern Kelch und Brot gereicht und diese dürften sich beides wahrscheinlich untereinander „applicirt“349 haben. Aufs Ganze besehen begegnet Arnold all denjenigen liturgischen Elementen kritisch, die den Vollzug der Handlung überhöhen und ihren geistlichen Sinn 340 GG2
2,438. 2,438. 342 Vgl. GG2 2,439 f. 343 Vgl. GG2 2,440 f. 344 Vgl. GG2 2,442. 345 Vgl. GG2 2,443. 346 Vgl. GG2 2,443. 347 Vgl. GG2 2,444. 348 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen III, 77. 349 GG2 2,444. 341 GG2
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II. Arnold als Pfarrer
verdunkeln, indem sie ihre sinnliche Bedeutung unterstreichen. Arnold forciert einen ungekünstelten, natürlichen Umgang mit dem Abendmahl, wie er für die Alte Kirche beispielhaft gewesen sei. Dass er keinerlei Äußerungen zur Realpräsenz trifft, bleibt bemerkenswert: Anders als noch in der Kirchen- und Ketzerhistorie bekundet er in der Geistlichen Gestalt weder offen Sympathie für u. a. Karlstadts symbolisches noch für ein dezidiert reformiertes Abendmahlsverständnis, seine Reformvorschläge hinsichtlich der liturgischen Vollzüge zielen jedoch allesamt darauf, die Bedeutung des Rituals und der Elemente zu relativieren und stattdessen den symbolischen Gehalt zu unterstreichen, was einer Restitution der urkirchlichen Abendmahlspraxis gleichkommt. Dies zeigen auch seine geistlichen Ansprachen und sein Katechismus, in denen er seine abendmahlstheologische Agenda in die Tat umsetzt, indem er im Modus der Vermahnung die liturgischen Vollzüge offen problematisiert und den geistlichen Nutzen des Abendmahls hervorhebt.
3.2.3. Bewältigungsstrategien Wie genau Arnold die Liturgie in Allstedt und Perleberg vollzogen hat, entzieht sich unserer Kenntnis, denn es liegen keine Berichte Dritter vor. Die ersten beiden, hier vorgestellten Abendmahlspredigten aus Arnolds Allstedter Zeit zeigen jedoch, in welcher Weise Arnold seine historisch grundierte Abendmahlskritik und sein mystisches Abendmahlsverständnis homiletisch erprobt und seiner Gemeinde mitgeteilt hat. Auch die weiteren, hier untersuchten Texte aus der Perleberger Zeit – eine Rede zum Gründonnerstag, ein Kapitel aus der Theologia Experimentalis und die Katechismuserläuterungen – liegen ganz auf der Linie seiner Kritik und Reformüberlegungen hinsichtlich des Abendmahls: In ihnen konkretisiert sich Arnolds in der Geistlichen Gestalt skizzierte Auffassung, dass der Gedächtnis- und Verweischarakter des Abendmahls vor allem durch das Gebet und die Ermahnung der Gemeinde zur Geltung kommen sollen, und dass die kritikwürdige, liturgische Überhöhung des Abendmahls demonstrativ konterkariert werden muss.350 3.2.3.1. Spiritualisierung der Zulassungsvoraussetzungen – die Gründonnerstagspredigt von 1703 Bereits in einer Gründonnerstagspredigt auf dem Allstedter Schloss aus dem Jahr 1703 (Nr. 28, 05.04.1703), die ungefähr zeitgleich mit der Ausarbeitung der Erstauflage der Geistlichen Gestalt entstanden sein dürfte, setzt Arnold seine 350 Vgl. zur Abendmahlsmeditation im Sinne einer Bußbetrachtung den kleinen Exkurs bei Sträter, Meditation, 90–93. Er untersucht Justus Gesenius’ Abendmahlsmeditation Vom Heiligen Abendmahl, der ähnlich wie Arnold in seinen Sermon eine an den zehn Geboten orientierte Bußmeditation implementiert.
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Forderung nach einer strengen Vermahnung zum Zwecke der Selbstprüfung der Kommunikanten in die Tat um, indem er den Episteltext 1 Kor 11,23–32 – die paulinische Überlieferung der Abendmahlsworte – auf den Ruf zur Umkehr und zum Gebet zuspitzt. Das exordium dieser Predigt leistet zweierlei: Zum einen fordert Arnold seine Hörer dazu auf, jegliches Selbstvertrauen zu hinterfragen und „eigenliebe / eigenheit oder selbheit“ zu fliehen, so dass Gott „zugreifen“ und „alle nöthige reinigung“ befördern kann, seine „strenge anforderung nach seiner gerechtigkeit und zornigen eigenschafft in dem tode Christi gestillet“ ist, das Gericht vollzogen wird und die Gläubigen „zum Leben“ durchbrechen können.351 Damit greift Arnold eben jene Form der Ermahnung auf, die er in den historischen Schriften und der Geistlichen Gestalt eingefordert hatte: Seine Predigt soll die Zuhörer zur Selbstprüfung anleiten, die Schwankenden bestärken und die Unwürdigen beschämen: „Was ist nun diß selbstrichten anders / als mit einen wort die busse oder bekehrung und veränderung des hertzens zu dem lieben GOtt? Und was ist nöthiger / als diese vor den gebrauch des nachtmahls?“352
Zum anderen relativiert Arnold im exordium die Mahlfeier an sich: Das Abendmahl soll Anlass zur Wiederherstellung der Gottesbeziehung sein, sein Vollzug ist aber nicht mit dieser Wiederherstellung identisch. Das „bloß äußerliche[] abendmahl[]“ sei eine „heilsame übung“, solle aber vor allem dabei helfen, das Anklopfen Christi im Herzen zu vernehmen, der in der Seele „das innerliche Abendmahl unauffhörlich mit der Seele halten wolle“, auch unabhängig von und „bey mangel des äusern gebrauchs“.353 Von hier aus erschließt Arnold Buß- und Verweischarakter des Sakraments in einem dreiteiligen tractatus, welcher Stiftung (a), Zubereitung (b) und Wirkung (c) des Mahls behandelt. Mit der Einleitung in die Abendmahlsworte – „vom HErrn empfangen / was er ihnen übergeben hat“ – weise Paulus auf die göttliche Einsetzung und Herkunft (a) des Sakraments hin. Dies nimmt Arnold zum Anlass, die Spender des Mahls in die Pflicht zu nehmen: Sie müssen sich genau prüfen, woher sie ihre Legitimation zur Austeilung des Mahls empfangen hätten, und „recht männer in Christo oder starcke Christen seyn / die capabel wären / andere durchs evangelium zuzeugen / und auch durch die geistliche kost zu ernehren und auffzuziehen“.354 Kurzum: Sie müssen wie Paulus „vom HErrn empfangen“ haben, was sie anderen austeilen.355 Nicht der bloße Vollzug des Mahls, sondern die innere Beteiligung des Zeleb351 Alle
Zitate stammen aus dem Exordium der Predigt (VJC 266). 267. 353 VJC 267. 354 VJC 268. 355 VJC 268. 352 VJC
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ranten ist von Bedeutung, weil erst durch sie die herausragende Bedeutung des Mahls als „communion / mittheilung oder gemeinmachung des HErrn JEsu und seiner heiligen menschheit / wie sie mit der Gottheit vereinigt ist / darinn sich GOttes liebe und erbarmung wiederum denen menschen offenbahren will“356 zum Ausdruck komme. Diese communio könne sich jedoch auch abseits der Mahlfeier einstellen: Gemeinschaft mit Christus zu haben, dürfe „nicht nur alle viertel jahr“, d. h. während des Abendmahls geschehen:357 Wenn in der paulinischen Abendmahlsüberlieferung Jesus vom „blut des neuen bundes“ spreche, habe er eine Erneuerung des Menschen im Sinn, wie sie etwa in Hebr 10,15 ff zum Ausdruck komme – die Stiftung des neuen Testaments ist nicht weniger als die Einprägung des heiligen Willens Gottes in das Herz, die Schaffung eines neuen Gehorsams und das Absehen von den Sünden des Menschen.358 Wenn Arnold also auf die Einsetzung des Abendmahls abhebt, zielt er vor allem auf eine Relativierung der äußerlichen Feier des Mahls und hebt dessen deiktische Funktion hervor. Die Zubereitung (b) steht im Zeichen der geistlichen Zurüstung der Kommunikanten, wie Arnold sie im exordium bereits andeutungsweise vorweggenommen hat. Der Mensch solle sich selbst „untersuchen / damit er sehe / ob er begierig und bedürfftig sey“, solle darauf achten, „was in ihm vorgehe und sich rege / warum es ihm in der welt zu thun sey / was sein sinn / verlangen und absehen sey bey thun und lassen / item / was hie und da von ihm in gedancken / reden und wercken geschehen sey / und wie er damit vor GOtt auskommen werde […]“.359 Eine solche umfassende Selbstprüfung könne freilich nur im „licht des heil. Geistes“360 geschehen, der natürliche Mensch sei nicht dazu in der Lage, seine versteckten Sünden zu erkennen. Ist in der Geistlichen Gestalt die Rede davon, dass die Unwürdigen nicht öffentlich und namentlich vom Mahl auszuschließen, wohl aber in einer solchen Form zu ermahnen seien, dass es eine Privatbeichte nicht mehr brauche, konkretisiert Arnold in der Predigt von 1703 diese Forderung anhand einer Auslegung der beiden Tafeln des Dekalogs. Solange der Heilige Geist die Selbstprüfung des Menschen nicht zustande bringe, solle man sich an den Zehn Geboten orientieren: „lasset euch Gottes Geist daraus examiniren“.361 Zu beiden Tafeln formuliert Arnold einen kleinen Katalog von Beichtfragen und implementiert damit in die Abendmahlspredigt die Situation der Privatbeichte, in der die Zehn Gebote als Sündenspiegel fungieren.362 Zur ersten Tafel paraphrasiert er:
356 VJC
269. 269. 358 Vgl. VJC 270. 359 VJC 271. 360 VJC 272. 361 VJC 272. 362 Vgl. VJC 272. 357 VJC
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„[…] wie stehts um die liebe zu Gott in dir? liebest und fürchtest du nicht die creatur wohl mehr / als den schöpffer? worauff stehet deine zuversicht / auff den lebendigen GOtt / oder auff dir selbst / auff vorrath / auff Patronen und der gleichen. [Es beginnt ein neuer Absatz zur Entfaltung des zweiten Gebots] Mißbrauchest du nicht etwa noch immer Gottes heiligen nahmen und willen zur heucheley? lernest du aus GOttes wort reden ohne krafft? Stellest du dich nicht etwan nur fromm an / und thust doch heimlich deinen eigenen willen? leugst du nicht etwan in falschheit und der gleichen. [es folgt ein dritter Absatz für das dritte Gebot] Lässest du auch GOtt in deinen hertzen ruhen / oder hinderst du ihn mit deinen begierden? wie gehest du mit Gottes wort und allen Göttlichen dingen um? wendest du auch deine beste zeit auff den wahren inwendigen dienst Gottes und so w. O was wird da im hertzen offenbahr werden / wie es überall noch sehr fehle!“363
Diese Beichtfragen sind unverkennbar an Luthers Katechismen angelehnt: Das erste Gebot wird im Sinne eines Bekenntnisses zum Schöpfer und der Absage an die Welt,364 der Missbrauch des Namens im Sinne des aufrechten, ungeheuchelten Vertrauens auf Gott365 und das Sabbatgebot als Gebot zur stillen Passivität gegenüber Gottes Wirken ausgelegt.366 Ähnlich verfährt Arnold mit der zweiten Tafel: Er lotet die Beziehungen zu und die Verfehlungen gegenüber Vorgesetzten und Herrschaften aus und knüpft damit an Luthers Ausweitung des Elterngebotes auf alle lebensfördernden Instanzen an;367 wie schon Luther thematisiert Arnold im Kontext des Tötungsverbots die Affekte wie „haß / neid und zorn“;368 er spricht von Ehebruch (sechstes Gebot) und der Ausnutzung des Nächsten (achtes Gebot), fragt danach, ob der Gläubige „in allen vor GOtt redlich und treu“ handelt und Hab und Gut des Nächsten achtet (neuntes und zehntes Gebot).369 Auch hinsichtlich der zweiten Tafel zieht Arnold eine vernichtende Bilanz – „O welche eine tieffe der unreinigkeit wird da im hertzen offenbahr werden!“370 – und erinnert 363 VJC
272. WA 30/I; 132,31–139,12, bes. 133,18–25: „Es ist mancher der meinet, er habe Gott und alles gnug, wenn er gelt und gut hat, verlest und bruestet sich drauff so steiff und sicher, das er auff niemand nichts gibt. Sihe dieser hat auch einen Gott, der heisset Mammon, das ist gelt und gut, darauff er alle sein hertz setzet, welchs auch der aller gemeynest Abgott ist auff erden.“ 365 Vgl. WA 30/I; 139,13–143,14, bes. 142,12–15: „Denn das ist die rechte ehre des namens, das man sich alles trosts zu yhm versehe und yhn daruemb anruffe, Also das das hertz (wie droben gehoeret) zuvor durch den glauben Gotte seine ehre gebe, darnach der mund durch das bekentnis.“ 366 Vgl. WA 30/I; 145,4–10: „Und zwar wir Christen sollen ymerdar solchen feyertag halten, eitel heilig ding treiben, das ist teglich mit Gottes wort umbgehen, ym hertzen und mund umbtragen. Aber weil wir (wie gesagt) nicht alle zeit und musse haben, muessen wir die wochen etliche stunde fur die iugent odder zum wenigsten einen tag fur den gantzen hauffen dazu brauchen, das man sich allein damit bekuemere und eben die zehen gepot den glauben und Vater unser treibe, und also unser gantzes leben und wesen nach Gottes wort richte.“ 367 Vgl. WA 30/I; 152,19–35. 368 Vgl. WA 30/I; 158,3–19. 369 Vgl. VJC 272 f. 370 VJC 273. 364 Vgl.
378
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zugleich daran, dass die am Dekalog orientierte Selbstprüfung keine individuelle, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe der Gemeinde sei, wobei er unverkennbar an die Darstellung der Ersten Liebe anknüpft: Man solle einander ermahnen und die Unwürdigen vor dem großen Schaden warnen, wenn sie die Abendmahlsgemeinschaft verletzen und sich dadurch selbst zum Gericht essen würden.371 Die Wirkung des Abendmahls (c) unterscheide sich nun fundamental für Würdige und Unwürdige. Dieser letzte Teil des tractatus dient ganz dazu, erstere zur Teilnahme zu ermutigen und letztere vom Abendmahl abzuschrecken, denn den Würdigen werde im Abendmahl tatsächlich die Sünde erlassen, aber nur in dem Sinne, dass den Bußfertigen, d. h. den „Hungrigen“, tatsächlich die Überwindung der Sündenmacht eröffnet und ein heilsamer Existenzwechsel ermöglich wird. Arnold antizipiert hier die später von ihm getroffene Unterscheidung von absolutio collativa und absolutio declarativa: Die im Abendmahl verheißene Sündenvergebung dürfe ausschließlich im Sinne einer individuellen Vergebung der Sünde durch Gott verstanden werden. Wenn der Mensch nach dem Abendmahl kein reines Gewissen habe und die Lust zur Sünde nicht erloschen sei, „so hast du gewiß die absolution durch heuchlerisches beichten nur gestohlen und das abendmahl dazu. Denn wo vergebung der sünden wäre / da wäre auch leben und seligkeit in deinen hertzen / nach Lutheri worten. Ist nun das nicht / so hast du auch keine busse gethan und also auch keine vergebung / wenn du auch also 1000mal zum abendmahl giengest“.372
Die zweite Wirkung des Abendmahls auf die Würdigen sei das „gedächtniß des Heylands“,373 womit Arnold einen zentralen Begriff der altkirchlichen Abendmahlstheologie aufruft, wie er sie in der Ersten Liebe rekonstruiert hat. Dies Gedächtnis sei „kein blosser müßiger gedancke / da man einmal an Christum so denckt / wie etwa sonst an jemanden“,374 vielmehr müsse sich das durch das Abendmahl initiierte Gedächtnis verstetigen. Hier tauchen nun auch realpräsentische Denkfiguren auf, die jedoch ganz und gar auf das innerliche, geistliche Abendmahl bezogen sind. Das Abendmahl sei eingesetzt, um dem leichtfertigen Vergessen Jesu entgegenzuwirken: „Wenn nun eine seele in lebendigen ungeheuchelten glauben das nachtmahl auch euserlich nimmt / so dencket sie an JEsum nicht als einen abwesenden / sondern der ihr mit aller lieb und gnade nahe ist und bleiben will.“375
Die Realpräsenz Christi im Abendmahl wird also als eine „würckliche [!] vereinigung und gemeinschafft mit den HErrn JEsu“376 verstanden und auf das ganze 371 Vgl.
VJC 273. 274. 373 VJC 274. 374 VJC 274. 375 VJC 275. 376 VJC 275. 372 VJC
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379
Leben ausgedehnt. Das Abendmahl verbürgt den Einbruch einer inwendigen, anhaltenden Christusgemeinschaft in eine Welt, die sich konsequent von Gott abwendet.377 Wie eng dieser Gedanke mit der lutherischen Auffassung einer Realpräsenz im Mahl verknüpft ist, wird auch daran erkennbar, dass Arnold die Hinneigung der menschlichen zur göttlichen Natur nicht nur als Anziehen Christi und „seine[r] sanfft= und demuth / gedult und gantze liebes=natur“,378 sondern auch in Analogie zu den zwei Naturen Christi verstehen möchte und damit einen zentralen Topos der Abendmahlstheologie Luthers aufruft.379 Wenn er – nur knapp – von der Wirkung des Mahls auf die Unwürdigen spricht, rückt Arnold das klassische biblische Bild von der Selbstverspeisung zum Gericht ins Zentrum seiner Auslegung. Die Unwürdigen würden nicht nur keinen Nutzen aus dem Abendmahl ziehen, sondern seien nach wie vor mit einer „stete[n] hölle voll anklagen / zorn / wiederwille gegen GOtt“380 belastet und von Gott mit äußerlichen Nöten und Plagen bestraft. Die Ermahnung der Unwürdigen bildet dann auch den Kulminationspunkt seiner Predigt. Arnold zitiert aus einer Fronleichnamspredigt Taulers „als Lutheri vorgänger“: „So jemand erkennen will / ob er diese speise habe würdig genossen / der nehme wahr ob seyn hertz von allen / das GOtt nicht ist abgezogen worden / und ob das leben / so in ihm würcket / auch euserlich erscheine / oder in den euserlichen menschen und an seinen gantzen wandel sich hervor thue und würcklich mercken lasse.“381
Die Predigt von 1703 ist für Arnolds Abendmahlsverständnis und -praxis überaus aufschlussreich, denn in ihr materialisieren sich seine historischen Explorationen zur urchristlichen Mahlfeier wie auch seine pastoraltheologischen Überlegungen zum Vollzug des Sakraments. Die Bedeutung der sakramentalen Mahlfeier wird konsequent relativiert, sie hat deiktischen Charakter, d. h. sie weist auf die Gemeinschaft mit Christus hin, ohne diese selbst gewährleisten zu können. Das Abendmahl veranschaulicht und ermöglicht die Vereinigung mit dem realpräsenten Christus, diese kann sich aber auch als eine individuelle Glaubenserfahrung jenseits des Ritus einstellen. Der urkirchliche Gemeinschaftscharakter schlägt sich darin nieder, dass Arnold die Kommunikanten zur gegenseitigen Ermahnung und Erbauung ermuntert. Recht gebraucht wird das Abendmahl ausschließlich von den „Hungrigen“, also denjenigen, die die Gemeinschaft mit Christus begehren, während die Unwürdigen durch eine Reihe von investigativen Beichtfragen vom Mahl abgehalten werden sollen. Die Predigt imitiert also die Beichtsituation, ohne jedoch die Absolution zuzusprechen – die im Abendmahl von Gott her ermöglichte Überwindung der Sündenmacht muss vom Gläubigen selbst erfahren werden. 377 Vgl.
VJC 275 f. 276. 379 Vgl. VJC 276 f. 380 VJC 277. 381 VJC 278. 378 VJC
380
II. Arnold als Pfarrer
3.2.3.2. Inszenierung des Gedächtnismahls – Allstedter Sermon von 1703/1704 Im Sermon bey Begehung des Gedächtnisses CHristi im Heil. Abendmahl (Nr. 146), der in der Evangelischen Botschafft von 1706 enthalten und ebenfalls in Allstedt (1703 oder 1704) gehalten worden ist, hebt Arnold andere abendmahlstheologische Aspekte als in der Gründonnerstagspredigt der Verklärungspostille von 1704 hervor. Bereits Titel und Disposition des Sermons sind aufschlussreich: Arnold unterstreicht den Gedächtnischarakter des Mahls und rückt die Erinnerung an die göttliche Liebe, wie sie sich im Leiden Christi offenbart, ins Zentrum seiner Ansprache. Er wählt die synthetische Methode: Ohne klar abgegrenzten biblischen Referenzrahmen vereinigt der Prediger verschiedene Abendmahlstexte unter einer programmatischen propositio: „Die nahrung des glaubens und Die vernichtung des unglaubens und des aberglaubens bey dem Heil. Abendmahl.“382
Arnold geht nun einen anderen Weg als in der Gründonnerstagspredigt zu 1 Kor 11, insofern er vor allem die erbauliche und anamnetische Bedeutung des Abendmahls für die Würdigen herausstreicht, während die Vermahnung in den Hintergrund tritt. Mehrere, prägnante Leitgedanken lassen sich voneinander abheben: a) Abendmahl als göttliche Akkommodation. Bereits im exordium hebt Arnold hervor, dass Christus das Abendmahl als Zugeständnis an die Verständnisschwierigkeiten und natürliche Verblendung des Menschen eingesetzt habe:383 Arnold kann explizit von „accommodation“384 oder „condescendentz“385 sprechen, wenn er erklärt, Christus begebe sich in die Menschheit hinein „[g]leichwie etwan einer / der einen im schlamm steckenden menschen retten will / nothwendig mit in den morast hinein waden und also hand anlegen muß“.386 b) Der deiktische Charakter des Sakraments und das Wiedergedächtnis des Leidens Christi. Unter Rückgriff auf Joh 6,32 f (einem Schlüsselvers der Lebensbrotrede) macht Arnold klar, dass Christus sich dem Menschen offenbaren müsse, da dieser nicht dazu in der Lage sei, sich „zu ihm in sein himmlisch licht und leben auff[zu] schwingen“.387 Dass sich Christus als Knecht erniedrigt habe, sei aus Solidarität geschehen. Indem er sich der Kosten seiner Rettung erinnere, würde der Mensch zur Gemeinschaft mit Christus eingeladen werden.388 382 EBH
1311. EBH 1311: Vor allem die Vernunft macht Arnold für die Geringschätzung des Abendmahls verantwortlich, denn „so tieff sind die geheimnisse seines willens darunter [unter dem äußerlichen Zeichen des Sakraments] versteckt / daß sie nur denen unmündigen offenbahr werden mögen.“ 384 EBH 1310. 385 EBH 1309. 386 EBH 1310. 387 EBH 1312. 388 Vgl. EBH 1312. 383 Vgl.
3. Sakramente
381
c) Communio. Ausgehend von 1 Kor 11,16 – Paulus redet hier von der Gemeinschaft mit dem Leib Christi durch Kelch und Brot – weist Arnold darauf hin, dass durch das Abendmahl eine bleibende Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch gestiftet werde. Arnold geht davon aus, dass im Abendmahl der „Hunger“ des Menschen, d. h. das auch nach dem Sündenfall intakt gebliebene „verborgen sehnen und verlangen nach dem ewigen guth“,389 welches wiederum nichts anderes als der Glaube selbst sei, der „etwas zu zehren und zu nehmen“ haben wolle,390 gestillt werde. Durch den Genuss des Brotes ereigne sich eine „wirckliche mittheilung des leibes Christi“, d. h. des getöteten und verherrlichten Christus, und in der Darreichung des Kelchs geschehe die „einflössung und durchdringung des bluts Christi und seiner ausgegossenen liebes=krafft zum leben“.391 Arnold bringt hier prägnant zum Ausdruck, was er in der Geistlichen Gestalt fordert: Er schürt den „Hunger“ auf das Abendmahl und reichert die Metaphorizität des Sakraments an, um darauf hinzudeuten, dass Gott die Gemeinschaft mit dem Menschen nur unter der Voraussetzung herstelle, dass der Mensch dieser tatsächlich bedarf. d) Verstetigung und Vergeistigung der Realpräsenz. Wenn sich Arnold im zweiten Teil des Sermons der Befreiung „von unserem noch übrigen unglauben und aberglauben“392 zuwendet, hat dies nicht die gleiche Tendenz wie in der Gründonnerstagspredigt von 1703: Arnold stößt nicht die Ungläubigen und Abergläubischen, d. h. diejenigen, die das Abendmahl als opus operatum falsch verstehen und sich der Buße entziehen wollen, zurück, sondern möchte die Willigen und Begierigen in einen nicht abgeschlossenen Erkenntnisprozess involvieren, in dem die Reste des Unglaubens und Aberglaubens durch das Abendmahl beseitigt werden können. Unglaube und Aberglaube sind zwar begrifflich voneinander unterschieden, überschneiden sich in der Predigt aber darin, dass sie die lebensverändernde Bedeutung und die Wirklichkeit des Abendmahls verkennen: „Der unglaube bestehet hauptsächlich darinnen / wenn es der mensch blos vor eine gemeine sache ansiehet / die nichts importire oder mit sich bringe / weder schade noch helffe / dabey man sich auch verhalten oder glauben dürffe / was man wolle.“393 „[Der Aberglaube] bestehet darinnen / wenn die blinde natur in ihrem abgöttischen sinn aus der eusserlichen sache und handlung an sich selbst einen götzen machet / und also damit von der geistlichen inwendigen krafft / und von dem gantzen göttlichen zweck elendiglich abirret und abfällt.“394
Nur wenn Christus nicht für einen toten geschichtlichen Jesus, d. h. das Abendmahl für ein bloßes, nichtsnutziges Zeichen, also für „ein wenig brod und 389 EBH
1313. 1314. 391 EBH 1314. 392 EBH 1315. 393 EBH 1315. 394 EBH 1318. 390 EBH
382
II. Arnold als Pfarrer
wein“395 gehalten werde, werde es recht verstanden und entspreche seinem urkirchlichen Charakter als Gedächtnismahl i. S. einer Vergegenwärtigung des lebendigen Christus: „Ja wo wir gehen und stehen / was wir essen und trincken / hören oder dencken / dabey wil er gerne in und mit uns kräfftiglich seyn und wircken. Denn er ist nach seiner erhöhung und verklärung ein lebendigmachender Geist / sint der zeit er aufferstanden ist von den todten / der uns überall und allezeit durchdringen / regieren und beleben will / wie er zugesagt hat.“396
Von den Abendmahlselementen möchte Arnold den Blick der Hörer dennoch entschieden weglenken, da die menschliche Vernunft und die Sinne versuchen, Christi Präsenz in diese hineinzuprojizieren und „aus der eusserlichen sache und handlung an sich selbst einen götzen“397 zu machen. Arnold möchte die Realpräsenz Christi im Mahl ganz von der körperlich-sinnlichen Wahrnehmung entkoppeln: „[W]er sich dabey auffhalten wil / daß er nur immer etwas schönes / scheinbahres / angenehmes sehen / hören / schmecken und fühlen wil / der findet die fülle dazu bey den creaturen.“398 e) Reformulierung der Einsetzungsworte. Insbesondere die Einsetzungsworte sieht Arnold in der Gefahr, als Wandlungs- oder Konsekrationsworte mechanistisch fehlgedeutet zu werden. In der peroratio des Sermons, der der Abendmahlfeier unmittelbar vorgeschaltet gewesen sein dürfte, verwehrt sich Arnold gegen dieses Missverständnis, indem er die Einsetzungsworte deutend vorwegnimmt: „Last uns zu dem ende das füncklein des glaubigen hungers nach Gott im hertzen ernstlich auffblasen durch den heiligen geist / der gerne in uns wohnen will. Last uns zu Christo dem stiffter dieser sache eyferig schreyen umb die Erfüllung unsers innersten mit Ihm selbst. Sein fleisch werde uns die rechte speise / und die krafft seiner heiligen menschheit durchdringe unsere menschheit zur erneuerung. Sein blut sey unser rechter tranck / und der außfluß seiner holdseligsten sanfften liebes=fluth durchsüsse unser bitteres und unreines wesen. […] Unterdessen last uns dißmahl den befehl des HErrn wol behertzigen und zu erfüllen suchen / da er gesagt hat: wir sollen es thun zu seinem gedächtniß oder Wiedererinnerung. Denn wir sind von natur leyder! mehr als zu vergeßlich und fahrläßig / außschweiffend und abweichend / darum haben wir immer neue vorstellungen und auffweckungen nöthig. […] Solchein erwünschtes gedächtniß wünsche ich uns allen auch vor dißmal; so wird es keine vorbeygehende oder vergängliche kurtze handlung / sondern eine lebendige krafft in allen werden / die an ihn glauben zum ewigen leben.“399
Arnold fordert die Kommunikanten dazu auf, am Abendmahl im Allgemeinen und an den Elementen im Besonderen ihre Gotteserfahrung zu spiegeln, zu 395 EBH
1317. 1315. 397 EBH 1318. 398 EBH 1311. 399 EBH 1319 f. 396 EBH
3. Sakramente
383
prüfen und zu vertiefen. Die unmittelbare Wirkung Gottes in der Seele des Menschen sei während des Gedächtnismahls besonders deutlich wahrzunehmen, solle sich aber auch nach dem Genuss des Sakraments bewähren und verstetigen. Relativierung und Entgrenzung der Mahlsituation gehen also Hand in Hand. Der einladende Gestus des Sermons steht dem Bußaufruf der früheren Gründonnerstagspredigt nur scheinbar widersprechend gegenüber. Beide verhalten sich komplementär zueinander und repräsentieren die beiden wesentlichen Ausdrucksformen, die Arnold für die dem Abendmahl vorgeschaltete Ermahnung der Gemeinde vorsieht. Feier, Verständnis und Wirkmächtigkeit des Abendmahls sind maßgeblich bestimmt durch dessen vorherige Deutung, die zwischen der Vermahnung der Unwürdigen und der Ermunterung der Begierigen, zwischen Einschluss und Ausschluss, aber auch zwischen der grundsätzlichen Anerkennung des Rituals und dessen Relativierung und Transzendierung oszillieren muss, damit der operative Charakter des Sakraments konterkariert und die Gemeinde zur echten Partizipation und Auseinandersetzung mit Anspruch und Wirkung des Mahls aktiviert werden kann. 3.2.3.3. Mystische Überhöhung des Sakraments – Rede zum Gründonnerstag von 1711 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Arnolds Reden aus den Jahren 1709 und 1711 einen anderen Charakter als seine authentischen Predigten haben. Sie sind als Lesepredigten konzipiert und fallen teilweise recht polemisch aus. In der für den Gründonnerstag vorgesehenen Rede zu 1 Kor 11,23–32 (1711) – sie entsteht in die Perleberger Zeit und gut fünf Jahre nach dem Sermon zum Abendmahl – bekräftigt Arnold seine früheren abendmahlstheologischen Ansätze vollumfänglich. Die Auslegung bedient nun aber beides, sie gibt sich als Vermahnung der Unwürdigen und Ermutigung der Schwankenden zu erkennen. Hier soll auf nur drei solche Aspekte hingewiesen werden, die über Arnolds frühere Äußerungen zum Abendmahl hinausgehen und sich nun in den Vordergrund drängen. Sie komplettieren das Bild des Abendmahlsverständnisses Arnolds: a) Spiritualisierung der Abendmahlselemente. In seinen früheren Predigten war Arnold hinsichtlich der Deutung der Abendmahlselemente sehr zurückhaltend und legte stattdessen den Akzent auf Christusanamnese, Buße und Ermahnung. Es ging ihm weder um die Realpräsenz Christi in den Elementen noch um die Bedeutung des Abendmahls als einer der menschlichen Sinneswahrnehmung adäquaten Form der Selbstmitteilung Gottes. In der Rede von 1711 widmet sich Arnold nun dezidiert der metaphorischen Bedeutung von Brot und Wein bzw. Leib und Blut. Indem er die Abendmahlselemente allegorisch ausdeutet und überhöht, unterstreicht Arnold ihre deiktische Funktion. Wie in den meisten seiner Reden greift Arnold auch in der zu 1 Kor 11,23–32 kaum noch auf theologische Metasprache zurück und argumentiert auch nicht mehr im eigentlichen Sinne.
384
II. Arnold als Pfarrer
Stattdessen verknüpft er verschiedene Metaphern und Bildfelder miteinander, um die mystisch-allegorische Bedeutung der Abendmahlselemente bewusst zu überblenden. So meint er, dass das Blut Christi – nicht Christus! – mit den Gläubigen kommuniziere, es „redet ja viel besser / denn Abels blut / und wo es also in göttlicher liebe mit glauben genossen und getruncken wird / da wird auch den HErrn tod verkündigt“400 und „dringet in die tieffsten seelen=wunden / und heilet den schlangen=biß der so tieff verletzet hat“.401 Das Brot sei das geistliche Wüstenmanna, welches die Väter Israels noch leiblich verspeist, gerade deswegen aber keine nachhaltige Kraft aus ihm bezogen hätten.402 Arnold kann auch die Lamm-Metapher des Johannesevangeliums aufgreifen: „Diß Osterlamm ist in liebe vor uns gebraten / so geben wir uns auch in liebe wieder hin / in seine liebe hinein / die er gegen uns brennen hat.“403 In diesem Zusammenhang spricht Arnold nun jedoch auch einige Male davon, dass der verborgene, geistliche Genuss der Elemente vom äußerlichen unterschieden werden müsse, um die Diskrepanz zwischen dem äußerlichen Vollzug des Ritus und seiner mystischen Internalisierung zu unterstreichen: „Da giebt er ihnen einen unterscheid / daß sie des HErrn leib unterscheiden können ohne alle phantasie und wort=streit: Wer ihn aber nicht unterscheidet / und sich selbst nicht prüfet / der leidet schaden. Dazu hat es aber der HErr nicht geordnet / sondern giebts gerne zum leben / und will uns lebendig machen.“404 „Wer aber ohne rechten unterscheid äusserlich hinzu läufft / dem gehets wie den vätern in der wüsten / die das manna assen / das vom himmel fiel / wobey sie hätten den HErrn ihren GOtt sollen kennen lernen / und an ihn glauben: Aber sie vergassen es / und blieben im unglauben / als im tode / liegen.“405
Ziel der konsequent hyperbolischen, mystischen Deutung der Elemente ist also die Verinnerlichung der Christus-Gemeinschaft, in der die eigene Person ausgelöscht wird und sich die völlige Selbstvergessenheit und Überantwortung an Christus einstellt: „Ja HErr / unser brod und tranck sey in dir / unser gantzer wille / und alles was wir sind und haben / sey dein. Schaffe du selbst dein bild wieder neu in uns / und belebe uns wieder.“406
Arnolds Allegorese ist darauf abgezweckt, die Angewiesenheit des Kommunikanten auf Gott zu unterstreichen: Die Entsühnung durch das Einsickern des Blutes in die Seele und die Selbstkomplettierung durch den Genuss des Leibs bilden die Vereinigung mit Gott ab, die geistlichen Elemente stillen den „glaubens= 400 EREP
275. 278. 402 Vgl. EREP 283. 403 EREP 281. 404 EREP 281. Hv. PB. 405 EREP 283. Hv. PB. 406 EREP 279. 401 EREP
3. Sakramente
385
mund und hunger“.407 Indem er auf sämtliche Vergleichspartikel verzichtet und den Gleichnischarakter seiner Rede bewusst verschleiert, durchbricht Arnold das Ritual: Um das Missverständnis einer Realpräsenz Christi in den Elementen zu umgehen, setzt Arnold geradewegs auf ihre mystische Überhöhung. b) Reziprozität der Vermahnung. Während die ekklesiologische Komponente des Abendmahls in den früheren Schriften einigermaßen unterrepräsentiert war, erklärt Arnold in der Rede von 1711 an mehreren Stellen, dass sich die Abendmahlsteilnehmer nicht nur gegenseitig ermahnen, sondern sich zudem gemeinschaftlich den geistlichen Charakter des Mahls erschließen sollen: „Diß ist die verkündigung / die wir einer dem andern eröffnen sollen / daß wir nemlich mit Christo der sünde gestorben / und nun krafft seines mit uns vereinigten heiligen leibes und bluts ihm in neuem leben dienen sollen und anhangen. […] Diese verkündigung sind wir einander einzuschärffen schuldig.“408
Diese vermeintliche Nebenbemerkung hat für die Rede eine große Bedeutung, denn die ‚eucharistische Verantwortung‘ der Kommunikanten untereinander schlägt sich auch grammatikalisch nieder, insofern Arnold die Rede fast durchgehend in einer teils affirmativen, teils adhortativen 1. Person Plural formuliert, also auf rein sprachlicher Ebene eine communio etablieren möchte, in welcher die Vermahnung, Prüfung und Erbauung an die einzelnen Kommunikanten delegiert sind. c) Analogie zur Predigtlehre? Luther konnte Predigt und Sakramente insofern auf einer Stufe behandeln, als dass beide das Verheißungswort Gottes auf spezifische Sinnvermögen des Menschen applizieren.409 Auch bei Arnold findet sich ein solcher anthropologischer Konnex zwischen Abendmahlstheologie und Predigtlehre: Die „krafft“-Komposita spielen wie im Predigtkapitel der Geistlichen Gestalt auch in der Rede von 1711 eine herausragende Rolle. Mit dem „Krafft-Wort“410 Gottes unterschied Arnold das von Gott authentifizierte Predigtwort vom äußerlichen Wort des Predigers und konnte damit die Überzeugungskraft der Predigt 407 EREP
276. EREP 275 f. 409 Vgl. in Hinblick auf Luther pointiert Wendebourg, Taufe und Abendmahl, 463: „Das Medium, um das es hier geht [gemeint ist: die Predigt], ist das hörbare Wort, der Sinn, den es anspricht, das Ohr. So kommt den Menschen das Evangelium nah. Aber so sehr das hörbare Wort für Luther, zumal in der Frühzeit der Reformation, die erste Stelle innehat, steht ihm doch auch fest, dass es daneben noch andere sinnliche Weisen gibt, in denen, verbunden mit dem Wort, Gott die Gabe des Evangeliums dem Menschen nahebringt – das sichtbare und fühlbare Zeichen der Taufe und die sichtbaren und schmeckbaren Zeichen des Abendmahls. Ebenso wie das hörbare Evangelium zielen sie allerdings nicht auf die Sinne. Was über sie erreicht werden soll, ist vielmehr das Herz – das hörbare Wort und die sichtbaren Zeichen wollen das Herz zum Glauben führen, der allein sie mit heilvoller Wirkung empfängt. Ohne den Glauben haben sie keine heilvolle Wirkung.“ 410 GG 169. 408
386
II. Arnold als Pfarrer
an die göttliche Berufung und Gotteserfahrung des Predigers zurückbinden, ohne offen donatistisch zu argumentieren.411 In der Abendmahlsrede von 1711 gebaucht Arnold die Begriffe „krafft=blut“ und „krafft=leib“,412 markanterweise jedoch nicht die Begriffe „krafft=wein“ oder „krafft=kelch“ und „krafft=brod“, als würde es ihm bloß um die Unterscheidung der äußerlichen Zeichen von den geistlichen gehen. Analog zum „Krafft-Wort“ möchte er vielmehr die mystische Bedeutung der Elemente für das individuelle Seelenleben des Menschen erläutern: „Es ist ein verborgener krafft=leib / ein verborgenes brod / das den tod vertreibt / die sünde tilget / und ein neues leben schafft. Es ist ein geheimes krafft=blut / so das gewissen von toden wercken reinigt. Wer diese früchte nicht in sich findet / der betrügt sich selbst damit / daß er den leib des HErrn nicht unterscheidet. Er hat den HErrn nie gesehen noch erkant / geschweige denn von ihm genossen. Er giebt seiner allmacht nicht raum / daß aus seinem tod ein neues göttliches leben hervor gehen könne.“413
Mit dieser Unterscheidung legt Arnold die Effektivität des Abendmahlsgenusses auf die souveräne Wirksamkeit Gottes um und führt – Zelebranten wie Kommunikanten – vor Augen, dass sich die Kraft der Abendmahlselemente nur im Sinne einer Bewusstwerdung der sich durch sie hindurch wirksam erweisenden Kraft Gottes erschließt, also nicht qua Vollzug des Sakraments oder durch die bloße Teilnahme verfügbar ist. Die Rede von 1711 wirft Schlaglichter auf einige wichtige Aspekte des Abendmahlsverständnisses Arnolds, die in seinen früheren Predigten lediglich angedeutet waren. An seiner Grundannahme ändert sich zwar nichts: Das Abendmahl dient den Gläubigen zur Konsolidierung, Vertiefung und Erneuerung ihrer Gotteserfahrung. Dennoch zeigt die Rede eindrücklich, auf welch raffinierte Weise Arnold die Ritualität des Sakraments konterkariert: Die hyperallegorische Deutung der Abendmahlselemente, die inkludierenden Verbformen und die subtilen Begriffsunterscheidungen marginalisieren die Abendmahlsfeier an sich, transzendieren jedoch gleichzeitig das sakramentale Geschehen. Diese Tendenz schlägt sich auch in Arnolds letzter Schrift, der Theologia Experimentalis, nieder. 3.2.3.4. Systematisierung und Überwindung – das 50. Kapitel der Theologia Experimentalis (1714) Das Abendmahlskapitel in der Theologia Experimentalis (1714) kann als Schlussstein der abendmahlstheologischen Überlegungen Arnolds verstanden werden, denn hier reifen seine früheren kritischen und konstruktiven Überlegungen zu einer eingehenden, kirchengeschichtlich, liturgisch und dogmatisch fundierten systematisierten Gesamtdarstellung des Abendmahls. Die Theologia Experimentalis 411 Vgl.
Kapitel II.3.3.3. 277. 413 EREP 277. 412 EREP
3. Sakramente
387
zeugt davon, dass sich Arnolds Abendmahlstheologie bis zu seinem Tod als überaus stabil erweist, ja mehr noch: in ihrer Systematisierung eine endgültige Bestätigung erhält. Das Abendmahlskapitel – es ist das 50. der Theologia – ist für die Lektüre am 2. Sonntag nach Trinitatis vorgesehen und wird unter das Motto von Lk 14,15 gestellt: „Seelig ist / der das Brod isset im Reich GOttes.“414 Hier setzt Arnold die verschiedenen Valenzen seiner Abendmahlstheologie, wie er sie in seinen historischen Schriften, den Predigten und den beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt dargestellt hat, zueinander ins Verhältnis. In den ersten sieben Paragraphen befasst sich Arnold mit der dem physischen Hunger entsprechenden geistlichen Bedürftigkeit des Menschen nach einer Speisung durch Gott. Nur wer des Abendmahls wirklich bedarf, empfängt es richtig: Paragraphen 1–7: „Der natürlichen Menschen | Mangel | an rechter Nahrung | wird gemerckt | in Busse | am hunger.“
Sodann entfaltet Arnold den bereits früher formulierten Akkommodationsgedanken: Gott neigt sich den Hungernden zu: Paragraphen 8–11: „GOttes Jammer darüber | und Anstalt | zur Sättigung.“
Im folgenden, ersten großen Abschnitt systematisiert Arnold sein abendmahlstheologisches Programm in einem positiven Sinne, indem er die göttliche Stiftung und Funktion des Mahls, seine konstitutiven Merkmale – die Erinnerung und Vergegenwärtigung des durch Christus erschlossenen Versöhnungsgeschehens – wie auch die Dialektik von innerem und äußerem Wort darlegt: Paragraphen 12–64: „Das göttliche Abendmahl | I. dessen Antrag | 1. Ursache Gott selbst | als das reichste Guth | und zwar allein | wonach die Seele | hungern muß 2. Wesen | Unterscheid | ein Mahl wircklich | doch geistlich Mahl | a) in Gerechtigkeit | b) Friede und Freude und Versöhnung | d) [sic!] Sättigung | 3. Der Grund | Christus selbst | durch Wort | und Sacrament | nach dem äussern | und innere | dessen Nothwendigkeit | durch Glauben | und Geniessen | und stätiger Genuß | 4. Einladung | a) in Liebe | und Ernst | b) an alle | sonderlich Elende | c) zu rechter Zeit | d) durch Gottes Stimme | so äusserlich | als innerlich | durch Christum | und des Vaters Zug | auch im Creutz.“
414 TE
2,69.
388
II. Arnold als Pfarrer
Das Problem der Unwürdigkeit der Abendmahlsteilnehmer, das er als Grundproblem der Abendmahlstheologie bestimmt, erörtert Arnold im zweiten Teil des Kapitels: Paragraphen 65–103: „II. Das ausschlagen | und entschuldigen | dessen Ursachen 1) Geitz 2) Wollust Mißbrauch des Abendmahls | bey Lehrern und Zuhörern | als Verächtern | im austheilen | und nehmen | nach der Zeit | und falsche Zwecke | falsche Früchte davon | eingebildete Versöhnung | Wegzehrung | Gewissenszwang | Schade davon | hier | und dort.“
Das Abschlussgebet – jeder Locus der Theologia Experimentalis wird mit einem solchen beschlossen – ist vielleicht die interessanteste Passage des Kapitels, denn Arnold hatte in den historischen Schriften das Gebet als ein wesentliches Charakteristikum der urkirchlichen Mahlfeier bestimmt. Das hier Abgedruckte hat über weite Strecken den Charakter eines Bußgebets, etwa in der Auftaktpassage, in der Arnold es ganz Gott anheimstellt, den ‚Hunger‘ auf das Abendmahl zu wecken: „Ach führe uns selbst in unsern Mangel tieff hinein / und laß uns sehen / was uns fehlet / damit wir genöthiget werden / mit dem verlohrnen Sohn immer im Umkehren zu bleiben / und nach seinem wahren Abendmal im Geist zu hungern.“415
Gott wird regelrecht darum angefleht, dem Menschen die Existenzgrundlagen zu entziehen, ihn anzufechten und ihm seine Not und Bedürftigkeit vor Augen zu führen. Arnold bittet im Namen der Mitbetenden darum, sie wie eine Hirschkuh lechzen (nach Ps 42,2) und von nichts satt werden zu lassen außer von ihm selbst. Gott solle dem Menschen jedes falsche Brot entziehen, welches „Welt oder Fleisch“ anbieten.416 Im Gegenzug solle sich Christus im Menschen selbst Geltung verschaffen, dessen Begierden überwinden und innerlich mit ihm Abendmahl halten. Das Gebet ist auch insofern bemerkenswert, als es das Abendmahl nur noch als eine Möglichkeit der innigen Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Fleisch und Blut stehen nur noch sinnbildlich für die Inanspruchnahme des Menschen durch Christus und werden aus ihrem sakramentalen Kontext gelöst. Das ganze Gebet gibt sich als Bitte um den Vollzug des geistlichen Mahls unabhängig vom äußerlichen zu verstehen: „Verkläre auch in uns dein H. Fleisch / und mache uns dein kostbar Bluth so erquickend / daß es uns ein Brunn werde ins ewige Leben.“417 415 TE
2,96. 2,96. 417 TE 2,96. 416 TE
3. Sakramente
389
Das Gebet der Theologia vollendet damit das Programm der Spiritualisierung des Abendmahls, das Arnold fast zwanzig Jahre zuvor mit der Ersten Liebe grundgelegt hat, indem es die liturgische Feier konsequent entgrenzt. Das Gebet kann zwar auf das Abendmahl bezogen werden, doch eigentlich möchte Arnold mit der Theologia zeigen, dass eine Feier im engeren, liturgischen Sinne nicht mehr nötig ist: Nicht mehr die Deutung der Feier, sondern die Deutung der geistlichen Mahlgemeinschaft als sich immer und überall realisierende Gottesbeziehung steht im Vordergrund. Das Abendmahl symbolisiert lediglich zwei elementare Gotteserfahrungen: die Angewiesenheit auf die Gotteserfahrung und ihre Erfüllung, den Hunger und die Sättigung. 3.2.3.5. Vermahnung und Gedächtnis in katechetischer Synthese Charakteristisch für Arnolds frühere, noch rudimentäre Erläuterung des fünften Hauptstücks im Katechismus von 1709 sind die Frontstellung der Erklärung zur Vorbereitung auf die Mahlfeier und die konsequente Auslassung der Sündenvergebung. So erklärt Arnold – Luthers Katechismus geradezu gegenläufig –, dass dem Mahl eine dreifache Vorbereitung vorausgehen müsse, welche die Buße (in ihrem Dreischritt von Reue angesichts der Sündenerkenntnis, Glauben und Besserung), die Versöhnung und die „Selbstprüffung“ im Sinne von 1 Kor 11,28 umfasst.418 Damit implementiert Arnold unverkennbar jenes Beichtverständnis in die Erläuterung, das er in der Geistlichen Gestalt dargelegt hat: Die Beichte soll auf die Eigenverantwortlichkeit der Kommunikanten umgelegt werden, die sich im Lichte der Abendmahlsvermahnung und ‚Anzeigung‘ prüfen und bestärken lassen oder vom Abendmahl ferngehalten werden sollen. Die Sündenvergebung rückt Arnold vom Abendmahl an sich ab und bestimmt den Zweck des Sakraments in „Christi Gedächtniß“, „Vereinigung“, „[g]eistl. Niessung“, „Nachfolge“, „Beständigkeit“, „Liebe […] zu ihm [d. h. zu Christus] […] und den Nächsten“, „Uberwindung“ und „Seligkeit“,419 betont also vor allem den communio-Gedanken und den Gedächtnischarakter. In seiner erweiterten Erläuterung des Katechismus (Altona/Frankfurt/Leipzig 1722) erhebt Arnold mehrere Forderungen hinsichtlich der Zulassung zum Sakrament und entfaltet damit wesentliche Prämissen seines Sakramentsverständnisses: 1. Die „Prüfung sein selbst, wie es ums Hertz und Gewissen stehe, ob man Glauben habe und in der Gnade stehe oder nicht“420 wird nun innerhalb der Zulassungsvoraussetzungen erstplatziert. Auf sie folgt unmittelbar die Rede von der Versöhnung mit Gott und dem Nächsten. Damit unterstreicht Arnold die Eigenverantwortlichkeit der Kommunikanten hinsichtlich der Zulassung zum 418 KCS
][10v. ][11r. 420 KCS2 155. 419 KCS
390
II. Arnold als Pfarrer
Sakrament. Die daraufhin folgende Unterscheidung von Unwürdigen und Würdigen ist unmittelbar auf die Selbstprüfung bezogen, daher keine Frage der Kirchenzucht, sondern der aufrichtigen Selbsterkenntnis.421 2. Explizit nennt Arnold als Zweck des Mahls das Gedächtnis der Liebe und des Todes Christi, die Vereinigung mit ihm und die Gemeinschaft mit den Gläubigen.422 Die Sündenvergebung spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, die Vereinigung mit Christus ziehe zwar eine Weltabkehr nach sich, welche Arnold jedoch nicht explizit hamartiologisch konnotiert.423 Erst als Antwort auf die Frage „Was wircket Christi Gemeinschafft noch weiter?“424 nennt Arnold die „Schenckung, Versicherung und Versiegelung der Vergebung der Sünden“ in einer Reihe mit u. a. der Überwindung von Übeln und der Erlangung der Seligkeit, löst die Vergebung also vom Vollzug des Abendmahls und bezieht sie auf die geistliche Vereinigung mit Christus. Die Sündenvergebung spielt damit eine untergeordnete Rolle in der Erklärung des fünften Hauptstücks, Arnold kommt es auf die unmittelbare Christuserfahrung an. 3. Der äußerliche Vollzug des Mahls wird durchweg relativiert und problematisiert. Zwar bejaht Arnold Christi Realpräsenz sub pane et vino,425 nennt als Belegstelle dafür jedoch nicht die Einsetzungsworte, mit denen Luther die Stiftung des Sakraments und die Wahrhaftigkeit der Anwesenheit Christi begründete,426 sondern geradewegs 1 Kor 10,16 und hebt damit auf die Teilhabe an der geistlichen Gemeinschaft mit Christus ab.427 In den Fragen 213 und 214 wird schließlich beides verneint: Die rein äußerliche Teilnahme am Mahl sei nicht ausreichend zur Erlangung des Heils und die Vereinigung mit Christus sei nicht auf das Sakrament beschränkt, vielmehr fordere Christus eine innerliche und bleibende Vereinigung mit ihm und teilt sich den Gläubigen auch abseits des Sakraments mit.428 4. Arnold vertritt in der Geistlichen Gestalt die Auffassung, dass die Privatbeichte der ‚Anzeigung‘ weichen soll, die für die Unkundigen und Glaubensschwachen eine katechetische Unterweisung bereithält. In der 1722 erschienenen Fassung der Erläuterung sind auch Luthers „Christliche Frag=Stücke für die, welche zum 421 Vgl.
KCS2 156 f. KCS2 157. 423 Vgl. KCS2 158. 424 KCS2 159 f. 425 KCS2 156. 426 Vgl. WA 30/I; 388,1–390,3. 427 Vgl. KCS2 156. 428 Vgl. KCS2 158 f: „213. Muß man allein das Abendmahl äusserlich geniessen? Nein, sondern auch vornehmlich innerlich und geistlich. [Arnold zitiert sodann Offb 3,20 und verweist auf Joh 6] 214. Kan und muß man denn Christum ausser dem äusserlichen Gebrauch geniessen? Ja. [Arnold verweist erneut auf Offb 3,20 und zitiert Joh 15,4 f. Dann verweist er auf Joh 6, Joh 14,21.23 und Joh 17,26].“ 422 Vgl.
3. Sakramente
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Heil. Abendmahl gehen wollen“ abgedruckt. Sie berühren sich auf das Engste mit Arnolds Auffassung, dass nur derjenige zum Abendmahl zugelassen sein soll, der sich „hungrig“, d. h. bedürftig fühlt. Diese Bedürftigkeit festzustellen, d. h. den Hunger zu wecken, ist zentrales Anliegen der Fragestücke, insbesondere in der letzten Frage: „Wie soll ihm aber ein Mensch tun, wenn er solche Noth nicht fühlen kan, oder keinen Hunger noch Durst des Sacraments empfindet?“ Hier wird geraten, sich seiner eigenen Fleischlichkeit und Hinfälligkeit, seiner ausweglosen Verflechtung mit der Welt und seiner Gefährdung durch den Teufel zu vergewissern.429 Auch im postum herausgegebenen Christlichen Unterricht verdichtet sich die Abendmahlstheologie Arnolds in katechetischer Prägnanz. Arnold weist als wesentliches Charakteristikum des Abendmahls die Gemeinschaft zwischen den Gläubigen und Christus aus, auf die die Gläubigen angewiesen sind und für die sie sich öffnen sollen. Beides – die Verheißung der Gemeinschaft mit Christus und die Unverfügbarkeit dieser Gemeinschaft – konstituieren das Abendmahl. Die Kohärenz der Katechismusfragen wird – gattungstypisch – im Abschnitt zum Abendmahl über koordinierende Partikel, Konjunktionen und Stichworte hergestellt, anhand derer sich die innere Logik des fünften Hauptstücks erschließt und die im Folgenden hervorgehoben sind: „39. Was ist des HErrn Tisch? Die Gemeinschafft des Leibes und Blutes Christi. 1. Cor. 10,16. 40. Wie kommt man zu solcher Gemeinschafft? So wir im Licht wandeln, so haben wir Gemeinschafft mit Ihm, und das Blut JEsu Christi reiniget uns von allen Sünden. 1. Joh. 1,7. 41. Was gehört also zum Nutzen des Abendmahls? Wenn wir Christo aufthun, so gehet er ein, und hält das Abendmahl mit uns, und wir mit Ihm. Offenb. 3,30. 42. Was folgt hieraus? Wer sein Fleisch isset und trincket sein Blut, der bleibet in Ihm und er in Ihm, und hat das ewige Leben. Joh 6,54.55. 43. Was ist das Ewige Leben? Daß sie den Vater und JEsum Christum erkennen. Joh. 17,3. Und daß sie in solcher Gemeinschafft wachsen in allen Stücken an dem Haupte Christo. Eph. 4,15.“430
Der mystische Gemeinschaftsgedanke steht im Zentrum der Fragereihe: Christus und die Gläubigen durchdringen einander, das ewige Leben wird mit der Christus-Gemeinschaft gleichgesetzt („in solcher Gemeinschafft“), so dass sich ein Zirkelschluss ergibt, insofern die im Abendmahl erlebte Gemeinschaft mit dem ewigen Leben gleichgesetzt wird. Der Verweis auf das Licht bedient die für Arnold typische Illuminationsmetaphorik, mit der hier die Wirksamkeit des Sakraments an die Berufung der Gläubigen, d. h. den Glauben zurückgebunden 429 Vgl. 430
KCS2 185. CU 17 f.
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II. Arnold als Pfarrer
wird: Nur wer im Licht wandelt, hat Gemeinschaft mit Gott. Der geistliche Charakter des Mahls kommt insofern deutlich zum Ausdruck, als dass Christus von denjenigen, die sich ihm ergeben und öffnen, Besitz ergreift, in sie eingeht und ein geistliches Mahl mit ihnen feiert, das vom rein äußerlichen Mahl unterschieden ist. Jegliche Referenzen auf die Elemente, die Realpräsenz oder die Buße unterbleiben.
3.3. Zwischenfazit: Arnold und die Sakramente – historische Kritik, pastoraltheologische Aufarbeitung, praktische Bewältigung und eine johanneische Pointe Auf der Basis seiner historischen Untersuchungen und deren programmatischer Auswertung in beiden Auflagen der Geistlichen Gestalt möchte Arnold durch eine entsprechende Kommentierung, Vermahnung und katechetische Aufarbeitung die liturgische Überhöhung und Veräußerlichung der Sakramente konterkarieren und überwinden. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass Arnold in der Ersten Liebe und der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie einen sehr weiten, unspezifischen Sakramentsbegriff vertritt – Sakramente seien in der Alten Kirche „ohne Unterschied die Zeichen der heiligen und Göttlichen Dinge / oder was sonst etwa unter der Opinion der Heiligkeit angesehen und angenommen worden“431 –, um die aus seiner Sicht unangemessene Fixierung auf Taufe und Abendmahl als Heilsmittel zu problematisieren. Eine markante Pointe findet dieses relativistische Sakramentsverständnis in einer 1705 auf Schloss Allstedt gehaltenen Gründonnerstagspredigt über die Fußwaschung nach Joh 13,1–15 (Nr. 98, 09.04.1705). Die Fußwaschung stellt für Arnold eine herausragende Zeichenhandlung Jesu in doppelter Hinsicht dar: Zum einen verbindet sie Taufe und Abendmahl miteinander, insofern sie den Charakter einer Abwaschung und Reinigung in sich trägt und im Umfeld des letzten Abendmahls vollzogen wird, das zwar bekanntermaßen vom Johannes-Evangelium nicht erzählt, von Arnold und in der Tradition allerdings explizit als Handlungsrahmen der Waschung vorausgesetzt wird.432 Zum anderen hält Arnold fest, dass die Fußwaschung niemals als Sakrament praktiziert worden sei, wie er in einer ausführlichen Anmerkung aus verschiedenen altkirchlichen Quellen rekonstruieren möchte.433 Aus diesen beiden Gründen zeichnet Arnold die Fußwaschung als eine besonders erhabene Zeichenhandlung aus, die den beiden eigentlichen Sakramenten übergeordnet ist, ja beide in sich einschließt: „SO jemand diese historie [Joh 13,1–15] vor ein blos bild oder vergangenes werck ansiehet / der betreugt sich selbst gewaltig / und verstehet noch nicht / wie er wissen 431 EL 2,303. 432 Was
433 Vgl.
Joh 13,4 nahelegt, wenn davon die Rede ist, dass Jesus vom Mahl aufstand. EBH 469.
3. Sakramente
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soll. Denn ich bin in aller warheit versichert / daß hierinne so viel geheimnisse unter dem verächtlichen fußwaschen verborgen liegen / als in einer action Christi sonsten. Nur will es alles mit geistlichen augen geforschet / und in demuth angenommen werden. […] Ja / es schleust dieses werck alle andere particular-wercke Christi in sich: alles tauffen und abendmahl zielt auff ein reinigen und waschen. Summa: es ist der kurtze begriff des gantzen neuen bundes […].“434
Arnold legt damit nahe, dass die Fußwaschung, obwohl sie lediglich eine biblisch überlieferte Zeichenhandlung ohne historisch evidente Nachahmungsgeschichte darstellt, viel prägnanter als Taufe und Abendmahl zum Ausdruck bringen könne, worum es Christus gegangen sei. So sieht Arnold den Ursprung, d. h. die Einsetzung der Fußwaschung, gemäß Joh 13,1–5 in der unbändigen Liebe Gottes zu den Menschen,435 wobei er auf verschiedene Metaphern zurückgreift, die vor allem im maritimen Bildspektrum angesiedelt sind und allesamt mit der Taufe in Zusammenhang stehen: „O wer doch in diesem meer / als in einem geistlichen tauffbade sich recht eintauchen liese! Wie würde darinn alles elend verschwinden / und allein gnade und barmhertzigkeit offenbar werden?“436
Die Taufmetaphorik verbindet Arnold nun wiederum mit der Abendmahlsmotivik, indem er das „bade=wasser“ der Fußwaschung mit der „krafft des reinigenden blutes JEsu Christi unsers theuren Erlösers“ in eins setzt und damit die soteriologische und christologische Komponente des Reinigungsrituals unterstreicht.437 Insbesondere im Detailreichtum der Schilderung der Vorbereitung auf die Waschung sieht Arnold ihre mystische, enthistorisierende Selbstauslegung verbürgt:438 Die Erzählung wolle sich gar nicht wörtlich verstanden wissen, sondern vielmehr zeigen, dass der Mensch immer der Inanspruchnahme durch Gott – in der Sprache der Perikope: der Reinigung – bedürfe und Gott diesem Begehren gerne nachkomme – den Menschen also auch reinigen wolle. Im Widerspruch des Petrus (Joh 13,6–10) sieht Arnold den menschlichen Widerstand gegen die Abwaschung, die „Hemmnisse“, zur Sprache kommen: Die menschliche Vernunft rebelliere gegen die Abwaschung der Sünden, möchte selbst dazu beitragen, gereinigt zu werden, obwohl sie die Reinigung nur leidend-passiv hinnehmen könne: „Man suchts in diesem und jenem / dadurch man GOtt gefallen will / und das ists doch zu der zeit nicht / was GOtt an uns sucht: er hat wol gantz das gegentheil mit uns vor.“439 Sei dieser Widerstand jedoch erst gebrochen, erkenne der Mensch vollumfänglich, wie gründlich und allumfassend die Reinigung ausfallen müsse, was Arnold im plötzlichen Begehren des Petrus 434
EBH 468 f. EBH 469–471. 436 EBH 472. 437 EBH 473. 438 Vgl. EBH 473. 439 EBH 475. 435 Vgl.
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II. Arnold als Pfarrer
ausgesprochen sieht, sich neben den Füßen auch die Hände und das Haupt waschen lassen zu wollen.440 Die Wirkung der Waschung, ihre „Früchte“, wird nun – ganz im Sinne der Sakramententheologie Arnolds – als eine effektive, d. h. die Existenz des Menschen verändernde Sündenvergebung verstanden, die sich in der Nächsten- und Feindesliebe – immerhin würden ausweislich des Evangeliums auch dem Verräter Judas die Füße gewaschen! – Bahn bricht, also eine „Christliche (aber reine und heilige) liebe“, die „unpartheyisch und ohne ausnahme seyn soll“.441 Nur die Gläubigen, die Bußfertigen partizipieren an dieser Vergebung und erlangen – in der Bildersprache der Perikope – die Reinheit und Einheit mit Gott: „Denn die hochtheuren klaren aussprüche und versprechungen von versöhnung und heiligung / sind vor dem vater so mächtig und gültig / daß sie einer seele den vollen zutritt im glauben verstatten / als wäre sie auch von ihrer erbsünde und allen fehlern schon rein. Denn das ist eben des glaubens macht / daß er wider alles fühlen / haben / seyn / hoffen und dencken / dennoch aus nichts etwas macht / welches allein der Heil. Geist lehren kann und geben.“442
Ausgerechnet in einer Predigt über die johanneische Fußwaschung verdichten sich also Arnolds ganzes Tauf- und Abendmahlsverständnis und seine konsequente Kritik an der Selbstwirksamkeit und liturgischen Überhöhung der Sakramente. Im Gegensatz zu Taufe und Abendmahl sei die Fußwaschung niemals als unabhängig vom biblischen Text in Gebrauch genommenes Sakrament in Erscheinung getreten, ihr allegorischer, deiktischer Charakter also immer erhalten und unbestritten geblieben, so dass sie nicht zu einem Ritus erstarren konnte, bei dem äußerlicher Vollzug und geistlicher Gehalt in eine solche Diastase treten konnten, dass ersterer letzteren völlig überlagert und verdunkelt. Damit zeigt sich in der Gründonnerstagspredigt noch einmal auf besonders prägnante Weise, dass Arnold kein geringeres Ziel verfolgt, als den äußerlichen Vollzug der Sakramente zu desavouieren, indem er auf ihre konsequente Spiritualisierung setzt: Die Taufe wird auf das Gebet, das Abendmahl auf die Stillung der Sehnsucht nach Gott eng geführt. Beide Sakramente führen dem Menschen vor Augen, dass Gott sich ihm gnadenhaft zuwendet – was er aber auch abseits der Sakramente und unabhängig von ihnen tue. Arnold vertritt – als Historiker, als Separatist und als lutherischer Pfarrer – das Ideal eines Sakraments, das sich selbst vergeistigt, seine Äußerlichkeit und leibliche Wahrnehmbarkeit abstreift und damit sein sakramentales Wesen als verbum visibile hinter sich lässt.
440 Vgl.
EBH 476. 479. 442 EBH 480. 441 EBH
Resümee
Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer „Freilich, als Arnold’s Lebensschifflein nach dem Sturm auf offner See in den Hafen des stillen Pfarramts einlief: da hatte er seine besten Lieder gesungen, seine bedeutendsten Werke edirt; seine noch folgende Wirksamkeit bleibt zum größten Theil auf kleinere Kreise beschränkt und entzieht sich darum auch der historischen Kritik.“1
In gleich dreifacher Hinsicht muss Dibelius’ bündiger Einschätzung zu Arnolds Amtsjahren widersprochen werden. Erstens irrt er sich insofern, als Arnold, besonders auf dem pastoraltheologischen, aber auch auf dem homiletischen und sakramententheologischen Feld, die Arbeit mit seiner Amtsübernahme in Allstedt 1702 erst richtig aufnimmt: Mit der Geistlichen Gestalt von 1704 überführt er seine früheren historiographischen Erkundungen zur altkirchlichen Pastoraltheologie und seine scharfe Kritik an der lutherischen Amtstheologie in eine konstruktive Programmschrift. In den Folgejahren konkretisiert, entfaltet und aktualisiert Arnold das in der Geistlichen Gestalt entworfene Pfarrbild und verfeinert seine homiletischen und sakramententheologischen Auffassungen in Anbetracht seiner Erfahrungen als Pfarrer in den kurbrandenburgischen Gemeinden Werben und Perleberg. In einer zweiten Hinsicht irrt sich Dibelius, insofern Arnolds Allstedter, Werbener und Perleberger Zeit ausweislich seiner Programmschriften, Postillen, Tauf- und Abendmahlssermone alles andere als ein „Hafen des stillen Pfarramts“ gewesen sein dürften: Noch nicht so sehr auf Schloss Allstedt 1702–1705, aber in vollem Maße in Werben und Perleberg ab 1705 war Arnold mit den Herausforderungen des Gemeindepfarramts konfrontiert: Hier musste sich seine Pastoraltheologie bewähren, hier musste er sich den Realitäten des Gemeindealltags stellen. Arnold hat sich keineswegs zurückgehalten und sein „Lebensschifflein“ im Hafen festgemacht, sondern zeichnet sich auch in seinen Schriften nach 1702 als spröder und unbequemer Denker aus, der um sein Pfarrbild, seine Homiletik und sein Sakramentsverständnis ringt. In dritter Hinsicht irrt sich Dibelius, wenn er meint, dass sich Arnolds Spätwerk der Kritik entzieht, weil es sich nur an einen kleinen Adressatenkreis gerichtet habe. Wollten auch seine orthodoxen Gegner den Perleberger Inspektor und Pfarrer ausblenden und Arnold auf die Kirchen- und Ketzerhistorie festlegen – auch als Pfarrer publizierte er eine Fülle von Traktaten und Postillen, die sich auch über seinen Tod hinaus, in den 1720er und 30er Jahren, größerer Bekannt- und Beliebtheit erfreuten. 1 Dibelius,
Arnold, 302.
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Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer
In diesem Fazit sollen die Ergebnisse der Untersuchung im Einzelnen gebündelt (1) und hinsichtlich der eingangs genannten Forschungsdesiderate ausgewertet werden (2). Zuletzt gilt es, nach einer systematischen Mitte, nach zentralen Denkstrukturen und Begriffen und nach der historischen Stellung der Pastoraltheologie Arnolds zu fragen (3).
1. Untersuchungsergebnisse Im ersten Teil der Untersuchung wurde Arnolds Pastoraltheologie erschlossen. Dabei konnten drei Entwicklungsphasen unterschieden werden: Arnold entwickelte seine Pastoraltheologie aus einer kritischen Außen- (1696–1702), einer konstruktiven Innen- (1702–1705) und einer episkopalen, das Amt und die Gemeinde umgreifenden Metaperspektive (1705–1714). Die erste Phase reicht bis 1702. Bis zu diesem Jahr widmet sich Arnold der Pastoraltheologie aus der kirchenhistorischen Deckung heraus und überwiegend im Modus der polemischen Kritik. Arnold verfolgt in seiner Kirchengeschichtsschreibung durchweg das Ziel, die lutherische Kirche seiner Zeit ihrer Unvollkommenheit und Entfremdung von ihrem Ursprung, der vorkonstantinischen Urkirche mit ihrer unmittelbaren, lebendigen und mystischen Gotteserfahrung, zu überführen. In den bisherigen Untersuchungen zur Kirchengeschichtsschreibung Arnolds ist weitestgehend vernachlässigt worden, dass vor allem der Verfall der Prediger in seinem Fokus steht, weil er ihn als die wesentliche Ursache und als hervorstechendstes Phänomen des Niedergangs der Kirche bestimmt. Gewiss versteht er diesen Verfallsprozess weder in der Ersten Liebe noch in der Kirchenund Ketzerhistorie als eine rein historische Entwicklung, vielmehr legt er beiden Darstellungen einen hamartiologischen Deutungsansatz zugrunde und geht damit über die rein historiographische Darstellungsweise hinaus: Dass sich die Lehrer der göttlichen Berufung entziehen, sich von Gott abkehren und darob den drei Hauptlastern Hochmut, Wollust und Geiz preisgegeben werden, erweist sich nach Arnold als Konsequenz der Bequemlichkeit und Trägheit einer etablierten, privilegierten Staatskirche und insofern als zeitloser und andauernder Verfallsprozess. Indem er diese Dekadenzvorstellung in der Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie explizit auch auf die lutherischen Prediger anwendet, enthistorisiert er sie vollends: Zwar bleiben die Vorwürfe dieselben wie zuvor – Erfahrungslosigkeit, Ermangelung der göttlichen Berufung, Hochmut, Wollust, Geiz –, Arnold spezifiziert sie nunmehr aber dahingehend, dass die evangelischen Lehrer die von Luther wiederentdeckte Rechtfertigungslehre in manipulativer Absicht und zu ihrem eigenen Nutzen im libertinistischen Sinne verdreht hätten. Arnolds Darstellung hat jedoch nicht nur eine polemische Tendenz: Dem hamartiologischen Ansatz und dem Nachweis eines überzeitlichen, ja zeitlosen Verfalls der Prediger setzt Arnold schon in der Ersten Liebe, aber noch deutlicher im Denckmahl, das
1. Untersuchungsergebnisse
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Ideal der urkirchlichen Lehrer entgegen: In der alten, vorkonstantinischen Kirche entdeckt er den Archetyp eines geistlichen Lehrers, der von Gott berufen, von dieser innerlichen Berufungserfahrung durchweg getragen und immer wieder neu von Gott zum Amt befähigt und für es gerüstet wird. Diese Berufungserfahrung habe die Gemeinde anhand verschiedener Kriterien prüfen können: So besteche nur der wahre Lehrer durch eine schlichte und geradlinige Predigt, die die Hörer zu fordern und, etwa wenn sie sie ihrer Sünden zeiht und an ihre Erlösungsbedürftigkeit erinnert, mitunter zu empören weiß, aber auch durch sein tugendhaftes Leben, das seine durch Gott bewirkte Wesenserneuerung und authentische Berufung nach außen hin dokumentiert. Dass es dem Lehrer durch die Wiederentdeckung und Kultivierung seiner Gotteserfahrung möglich sei, den Verfall der Kirche umzukehren, wenn auch zum Preis der Anfeindung und Repression, illustriert Arnold vor allem anhand des Lebens und bischöflichen Wirkens Gregors von Nazianz, der, wenn auch letztlich vergeblich, versuchte, seine mystische, unmittelbare Gotteserfahrung im Bischofsamt zu bewahren, ein demütiges Leben zu führen und der Gemeinde gegenüber nicht gleichgültig oder herrisch, sondern sanftmütig und verständig zu begegnen. Explizit durchbricht Arnold die historische Darstellung der Verfallsgeschichte des pastoralen Amtes erstmals, als er durch die Kritik Ernst Salomon Cyprians dazu herausgefordert wird: In seiner Erklärung Vom gemeinen Secten-Wesen bringt Arnold die Ergebnisse seiner kirchenhistorischen Studien zur Pastoraltheologie der Alten Kirche erstmalig in eine systematische Ordnung und skizziert programmatische Grundzüge seiner Berufungstheologie, wobei er noch ganz die Wiedergeburtsmetaphorik ins Zentrum seines Amtsverständnisses rückt: Nur der wiedergeborene Lehrer sei dazu legitimiert, die Gläubigen zu führen, ihnen zu predigen und die Sakramente auszuteilen. Die zweite Phase erstreckt sich auf die Zeit von 1702 bis 1705. Bis 1704 reift mit der Geistlichen Gestalt Eines Evangelischen Lehrers Arnolds bis dahin vor allem in der altkirchlichen Gedankenwelt und Quellensprache verhaftete Pastoraltheologie unter der Rezeption quietistischen Gedankenguts, im Austausch mit dem pastoraltheologischen Diskurs der lutherischen Orthodoxie und im Angesicht der neuen Herausforderungen seines Amtes als Allstedter Schlossprediger, das er 1702 übernommen hat, zu einer ausführlichen, nicht mehr in erster Linie kirchengeschichtlichen, sondern systematischen Programmschrift heran. Mit der Geistlichen Gestalt nimmt Arnold eine selbstkritische Innenperspektive auf das Pfarramt ein. Das Pfarrideal, wie er es in der Ersten Liebe dargestellt, im Denckmahl anhand des Beispiels Gregors von Nazianz personengeschichtlich entfaltet und in der Kirchen- und Ketzerhistorie polemisch gegen die lutherische Kirche gewendet hat, wird nun zum ultimativen Leitbild erhoben. Die Wiedergeburtsmetaphorik tritt dabei in den Hintergrund, zentrale Bedeutung hat nunmehr die mystische Gotteserfahrung: Unter der Bedingung, dass der Lehrer seine Berufungserfahrung als Grundlage seines pastoralen Handelns versteht, seinen
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Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer
Aktionismus und Hochmut kritisch hinterfragt und dem Wirken des Heiligen Geistes Raum in seiner Seele gibt, werde der Verfall des kirchlichen Lehrstandes überwunden. Arnold rezipiert in der Geistlichen Gestalt die (von ihm selbst edierten) Quietisten Molinos und Guyon und begreift von dort die Berufungserfahrung durchweg in mystischen Kategorien und Begrifflichkeiten: Die eigene Seele muss, da sie gewissermaßen als Spiegelfläche des Handelns Gottes gegenüber der Gemeinde dient, von allen Trübungen freigehalten werden – dies sei aber nur möglich, wenn sich der Pfarrer in asketische Stille zurückzieht, sich in Passivität gegenüber dem Wirken Gottes übt und die eigenen intellektuellen, rhetorischen und affektiven Potentiale unterdrückt. Die quietistischen Einflüsse versucht Arnold freilich ebenso geflissentlich zu kaschieren wie die Rezeption des pastoraltheologischen Diskurses der lutherischen Orthodoxie, welchen er jedoch sehr genau wahrnimmt: Von hier aus gewinnt er seine Begriffssprache, die Loci seiner Darstellung – Berufung, Ordination, Gemeinde, Anfechtung, Affektlehre – und übernimmt – insbesondere von Niels Hemmingsen – teilweise auch ganze Interpretamente: Der Ansatz, die eigene Seele zu reinigen und zu rüsten, bevor man sich der Gemeinde zuwende, ebenso wie die Zentralstellung des Berufungsbegriffs und die Gliederung der Geistlichen Gestalt anhand der lutherischen notae ecclesiae zeigen, dass Arnold den Anschluss an die Amtstheologie des 17. Jahrhunderts sucht, auch wenn er sich im Einzelnen deutlich von ihr distanziert und z. B. die unmittelbare Berufungserfahrung konsequent über die kirchliche, mittelbare Form der Berufung (im Sinne einer vocatio immediata) stellt. Mit seiner Übernahme des Prediger- und Inspektorenamtes in Werben 1705 setzt die letzte Entwicklungsphase der Pastoraltheologie Arnolds ein – sie gewinnt noch einmal an Kontur und Wirklichkeitsnähe, insofern Arnold nun der Mittelbarkeit der Berufung wie auch der Mittelbarkeit der Irritation der Berufungserfahrung einen größeren Stellenwert beimisst. Die geistliche Gestalt des Pfarrers erfasst er nun deutlicher als zuvor in ihrer dynamischen Beziehung zur Gemeinde, zu den Pfarrkollegen und zur sichtbaren Kirche. In ihrer Endgestalt, wie sie sich in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt, aber auch in den Evangelischen Reden von 1709 und 1711 und der Werbener Investiturpredigt von 1705 niederschlägt, möchte Arnold die Balance zwischen mystischem Subjektivismus und ekklesiologischer Relationalität halten: Der Lehrer ist nicht mehr auf sich allein und sein Gottesverhältnis gestellt, sondern kann im geistlichen Austausch mit seinem gemeindlichen und kollegialen Umfeld die Herausforderungen des Pfarramtes konstruktiv überwinden. Arnold nimmt eine episkopale Perspektive auf das Pfarramt – jenseits des Lehrers und der Gemeinde – ein, die vor allem seinem Amt als Inspektor, d. h. als leitender Geistlicher in Werben und Perleberg, geschuldet sein dürfte. Im zweiten Teil der Untersuchung sind Arnolds Predigt- und Sakramentsverständnis untersucht worden.
1. Untersuchungsergebnisse
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Homiletik und Predigtweise Arnolds wurden vornehmlich im Horizont der lutherischen Predigtlehre des 16. und 17. Jahrhunderts erschlossen, denn wie in seiner Pastoraltheologie greift er auch auf diesem Feld, freilich ohne dies durchweg explizit zu machen, an die Begriffssprache, den Diskurs und teilweise auch an zentrale Forderungen der lutherischen Orthodoxie an, etwa hinsichtlich seiner Predigtprinzipien: In Übereinstimmung mit seinen orthodoxen Vorläufern fordert er vom Prediger, den ihm aufgetragenen, biblischen Text zu meditieren, d. h. ihn betend zu erschließen, um Gott in sich zur Sprache kommen zu lassen. Auch entspricht Arnolds christozentrischer Ansatz im Wesentlichen dem in der lutherischen Homiletik entwickelten modus parakletikon, d. h. dem Typus der Trostpredigt. Zudem orientiert sich Arnold in Theorie und Praxis am konventionellen Predigterschließungsprozess und den Arbeitsschritten der inventio, Methodenwahl, dispositio und elocutio und den rhetorischen Strukturen des geltenden Paradigmas seiner Zeit. Freilich treten auch einige gewichtige Diskrepanzen zu Tage. So argumentiert Arnold hinsichtlich der inventio strikt erfahrungstheologisch: Die Texterschließung, die in der lutherischen Homiletik auf einer exakten, philologisch-exegetischen Analyse des Textes beruht, basiert bei Arnold auf einer erfahrungsabhängigen Schriftauslegung. Den Skopus des Perikopentextes könne nur der von Gott wahrhaft berufene Prediger im Licht seiner eigenen Gottes- bzw. Christuserfahrung erschließen. Arnold verlässt sich damit völlig auf die allegorische, psychologisierende Auslegung der biblischen Texte und unterlässt konsequent jede literale oder historische Interpretation. Der biblische Text bildet in Arnolds Predigten nicht mehr, aber auch eben nicht weniger als eine Spiegelfläche für die Wirkungen Gottes in der gläubigen Seele des Predigers. Hinsichtlich der Methode und dispositio vertritt Arnold im Vorwort zu den Reden von 1709 den Ansatz der methodus heroica und der Parrhesie, d. h. der freien, ungebundenen, geistinspirierten Rede, ohne dass er diese jedoch jemals in echten Predigten umgesetzt haben dürfte. Im Gegenteil, in der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt gibt er sich hinsichtlich der dispositio wieder recht konformistisch, wohl auch, weil sich in der Perleberger Zeit eine spürbare Ernüchterung bzgl. der Effektivität des Predigtgeschehens einstellt: Arnold empfiehlt neben Predigtnachgesprächen die sorgfältige Strukturierung der Predigt, denn der Heilige Geist wolle durch den Prediger nicht aufs Geratewohl reden, sondern geordnet und in einer für die Zuhörer nachvollziehbaren Weise. Und so sind die wenigen, nach 1709 veröffentlichten (anlässlich einer Überflutung in Perleberg, zwei Kanzelreden vor der preußischen Königin und mehrere Leichenpredigten) wie auch die aus seinem Nachlass 1735 herausgegebenen Predigten ordentlich disponiert und rhetorisch sorgfältig ausgearbeitet. Ob also Arnold, wie er es in seinen Programmtexten fordert, die Kanzel mit nur wenigen Stichworten erklommen, die elocutio ganz dem Heiligen Geist überlassen und erst nachträglich die Manuskripte zum Zwecke der Veröffentlichung ausgefertigt hat, ist einigermaßen fraglich. Gerade die aus dem Nachlass herausgegebenen
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Perleberger Predigtmanuskripte legen eher nahe, dass Arnold seine Predigten weitgehend ausformuliert und lediglich rhetorische Amplifikationen, Exkurse und konkrete Applikationen auf die Gemeinde frei improvisiert hat. Die Untersuchung seines Tauf- und Abendmahlsverständnisses konnte zeigen, dass Arnold den durch die brandenburgischen Agenden vorgeschriebenen, hochliturgischen Vollzug der Sakramente und die damit einhergehende Aufwertung der sakramentalen Zeichen durch entsprechende Kommentierungen und katechetische Aufarbeitungen zu dämpfen und konterkarieren versuchte. Bis zu seinem Lebensende und mit großer Beharrlichkeit kritisiert er die zeremonielle Überfrachtung der Sakramente, ohne diese jedoch abschaffen zu wollen oder zu können. Ohne sich explizit von Kernelementen der lutherischen Sakramententheologie, etwa der Vorstellung einer Realpräsenz Christi, zu distanzieren und ohne sich explizit der reformierten Abendmahlstheologie anzunähern, setzt Arnold in seinen Schriften, Predigten und Vermahnungen auf die konsequente Spiritualisierung der Sakramente: Die Taufe wird ganz auf das Gebet um die Annahme des Täuflings, das Abendmahl auf die Stillung der geistlichen Sehnsucht nach Gott zugespitzt. Dezidiert vertritt Arnold das Ideal eines Sakraments, das sich selbst vergeistigt und seine Äußerlichkeit ablegt, denn die Rede vom verbum visibile erweist sich für Arnold – gemessen an der Pervertierung und Operationalisierung der Sakramente im Laufe auch der protestantischen Kirchengeschichte – als Verhängnis. Am deutlichsten materialisiert sich dieser kritische Ansatz bezeichnenderweise in einer Gründonnerstagspredigt über die Fußwaschung nach Joh 13,1–15: Sie stellt für Arnold deswegen das ideale Sakrament dar, weil sie schlichtweg keines ist, nur in der Virtualität des biblischen Textes Bestand hat und Jesu gnadenhafte Zuwendung zum Menschen eindrücklich abbilden kann, ohne jemals von der Kirche als Sakrament in Gebrauch genommen worden zu sein. Für heilsnotwendig hält Arnold die Sakramente nicht. Auch abseits und unabhängig von ihnen wende sich Gott den Menschen gnadenhaft zu.
2. Der Ertrag der Untersuchung hinsichtlich der aufgezeigten Forschungsdesiderate Hinsichtlich der drei in der Einleitung skizzierten Forschungsdesiderate ergeben sich auf der Basis der Untersuchungsergebnisse folgende Erträge. 1. Die Frage nach dem werkgeschichtlichen Zusammenhang von Kirchenkritik und konstruktiv-programmatischer Pastoral-, Predigt- und Sakramententheologie konnte geklärt werden, indem Arnolds in der Forschung weitestgehend außer Acht gelassene Postillen, Reden, Katechismen und vor allem die Erst- und Zweitauflage der Geistlichen Gestalt konsequent in ihrem Verhältnis zueinander interpretiert wurden. Auf diese Weise wurde deutlich, dass Arnold ab 1702 seine historisch
2. Der Ertrag der Untersuchung hinsichtlich der aufgezeigten Forschungsdesiderate 401
fundierte Pastoral-, Predigt- und Sakramentenkritik in eine konstruktive Pastoral-, Predigt- und Sakramententheologie überführt, indem er das altkirchliche Ideal des Lehrers und dessen Verfall aus einer psychologischen Innenperspektive heraus systematisch erschließt. Lutherische Orthodoxie und Quietismus geben ihm dabei die grundlegenden Gedankenbewegungen und Loci vor, angereichert, abgesichert und entfaltet werden sie wiederum durch das in den historischen Schriften erschlossene Quellenmaterial. In seinen kurbrandenburgischen Amtsjahren öffnet sich Arnold dann nach und nach lutherischen und kirchlich approbierten Positionen, wobei jedoch die Transformation seiner theologischen Ansätze auf den drei untersuchten Feldern unterschiedlich ausfällt. Auf dem Feld der Pastoraltheologie erweist sich Arnold als einigermaßen kompromissbereit. Er entwickelt seinen quietistisch-mystischen Ansatz, wie er ihn in der Geistlichen Gestalt dargelegt hat, konzeptionell, theologisch und begrifflich weiter, um anschluss- und sprachfähig zu bleiben, was sicherlich auch seinem kirchenleitenden Amt als Inspektor geschuldet ist: Unter dem Eindruck der Erfordernisse der Werbener und Perleberger Gemeinden gelangt Arnold zu einer realistischeren Einschätzung der Wichtigkeit und Gefährlichkeit des Amtes. Sprünge, die durchaus auch als Brüche verstanden werden können, vollführt er vor allem hinsichtlich seines subjektivistischen und mystischen Berufungsbegriffs, wenn er ihn in der Zeit nach 1705 mit Luthers Dreischritt von oratio, meditatio und tentatio synchronisiert sowie von dem apodiktischen Verständnis einer unmittelbaren Berufung durch Gott abrückt und auch kirchlichen Instanzen eine Bedeutung bei der Berufung des Pfarrers beimisst, insofern diese die unmittelbare Berufung beglaubigen oder dem Kandidaten zu Bewusstsein bringen können. Dennoch ist Vorsicht geboten: So wie die Erstauflage der Geistlichen Gestalt unverändert in die Zweitauflage übernommen, ihr also ein Supplement in Form der eigentlichen Zweitauflage zur Seite gestellt wird, so ist Arnolds ganze späte Pastoraltheologie von der Spannung gekennzeichnet, dass er sie demonstrativ als eine Fortschreibung ausweisen will, um sich lutherischen Sprachformen und Begrifflichkeiten annähern zu können, ohne jedoch seine früheren pastoraltheologischen Positionen revidieren zu müssen. Arnolds Homiletik durchläuft eine weniger geradlinige Entwicklung. Hinsichtlich seiner Predigtprinzipien bleibt sich Arnold Zeit seines Lebens treu: Er predigt allegorisch, christozentrisch, gesetzeskritisch, mystisch. Hinsichtlich der formalen Gestaltungen schwankt seine Haltung jedoch merklich: In seinen Predigten aus den Jahren 1700–1706 predigt Arnold regelkonform, kunstfertig und auf der Höhe seiner Zeit, passt sich also insofern der Erwartungshaltung seiner Hörer an, als er seine Predigten sorgfältig disponiert und sich am Predigterschließungsprozess der lutherischen Homiletik orientiert. Dann beginnt er jedoch nach und nach, das Predigtgeschehen aus verschiedenen Perspektiven zu problematisieren: So dienen die Reden von 1709 und 1711 der Veranschaulichung und Verteidigung einer radikal ungebundenen Predigtweise, welche Arnold jedoch nur in Form der
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Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer
Lesepostille, d. h. in Publikationsform umgesetzt haben dürfte. In der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt artikuliert sich schließlich eine gewisse Skepsis gegenüber der Monologizität der Predigt, welche Arnold nun doch wieder durch eine ordentliche Strukturierung der Predigt, aber auch durch Nachgespräche, Erbauungsversammlungen oder eine predigtorientierte Katechese aufbrechen möchte. Allen Vorbehalten zum Trotz entsprechen die wenigen Predigten, die Arnold nach 1707 einer Veröffentlichung für wert erachtete, völlig den homiletischen Konventionen seiner Zeit und setzen die frühere Linie seiner Predigtweise fort. Auf dem Feld der Sakramente fällt Arnolds Positionierung wiederum weniger ambivalent aus als auf dem der Predigt. Hier ist eher eine Verschärfung zu beobachten. Als Pfarrer ruft Arnold natürlich nicht mehr zur Separation vom Gottesdienst auf, überträgt seine historische Kritik jedoch maßstabsgetreu in die Geistliche Gestalt und bekräftigt sie auch in deren Zweitauflage: Die Sakramente, die er im Rahmen der kurbrandenburgischen Agende zu verwalten hat – das Abnehmen der Beichte war ihm erlassen worden –, bereiten ihm ausweislich seiner Katechismen, Predigten, Reden und der Theologia Experimentalis größtes Unbehagen. Er unterlässt zwar nach 1702 jegliche öffentliche Sympathiebekundung für Wiedertäufer oder spiritualistische Auffassungen, positioniert sich auch nicht dezidiert im reformierten Spektrum, übt jedoch weiterhin massive Kritik an der liturgischen Überfrachtung der Abendmahls- und Taufliturgie und versucht mit seinen Predigten und geistlichen Reden konsequent dagegenzuhalten. Alles in allem ist also „[a]uf der Pfarrstube dort an der Elbe oder nicht weit davon auf dem ‚Perlberg‘“ keineswegs der „schwärmerische Separatist aus Quedlinburg“2 am Werk, ebenso wenig hat Arnold – wie Ritschl oder Büchsel andeuten –3 seine Positionen nach 1704 nicht mehr verändert. In Allstedt, Werben und Perleberg steht ein realitätsnaher, durchaus kompromissbereiter und gemeindeerfahrener Arnold auf der Kanzel, ein dynamischer Theologe und flexibler Denker, der die Separation – sogar das Verständnis einer bloß innerlichen Separation des Pfarrers im Sinne eines Rückzugs in die eigene, subjektivistische Gotteserfahrung – hinter sich gelassen und die Realität der Gemeinde als corpus permixtum anerkannt hat, ohne jedoch den Kern seiner Pastoral-, Predigt- und Sakramentenkritik aufgegeben zu haben. Hinsichtlich der Berufungstheologie zeigt er sich kompromissbereit, hinsichtlich der Predigt ringt er um das rechte Format, ohne seine hermeneutischen Prinzipien zu revidieren, hinsichtlich der Sakramente geht er auf Konfrontationskurs und versucht, deren liturgische Veräußerlichung rhetorisch und katechetisch zu dekonstruieren. 2. Dem theologiegeschichtlichen Kontext der Pastoraltheologie und pastoralen Tätigkeit Arnolds wurde in dieser Untersuchung ein großer Stellenwert eingeräumt, während viele frühere Forschungsbeiträge einen Schwerpunkt auf eine bio2 Dibelius, 3 Büchsel,
Arnold, 302. Kirche, 162; Ritschl, Geschichte des Pietismus, 319.
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graphisch fokussierte Werkgeschichte gelegt, d. h. die früheren mit den späteren Werken, den „radikalen“ mit dem „kirchlichen“ Arnold verglichen und dabei vor allem die patristische Quellenbasis in den Blick genommen haben, welche sich ja auch tatsächlich massiv aus seinen Schriften aufdrängt. Indem in dieser Untersuchung Arnolds Pastoraltheologie nicht nur im Horizont seiner eigenen kirchenhistorischen Explorationen, sondern auch im Kontext der quietistischen und lutherisch-orthodoxen Pastoraltheologie erschlossen wurde, konnte der synthetische Charakter seines Ansatzes deutlich werden: Arnold ist kein Eklektiker, der aufs Geratewohl Fremdzitate und quellensprachliche Versatzstücke miteinander kompiliert, vielmehr konzipiert er in deutlicher Anlehnung an die quietistische Erfahrungstheologie und unter Berücksichtigung der lutherischen Begriffssprache eine in sich geschlossene evangelische Pastoralmystik. Indem auch seine Predigtlehre in einen unmittelbaren Zusammenhang zur lutherischen Schulhomiletik gebracht und seine Predigten in einem auslegungsgeschichtlichen Horizont untersucht wurden, zeigte sich zudem, dass Arnold in vielen seiner homiletischen Ansichten weit weniger radikal war, als er – etwa in den Vorworten auf seine Reden – den Anschein erwecken wollte. Sein Plädoyer für die freie, ungebundene Rede stellt sich als steile Provokation heraus, rhetorisch-formal arbeitet der Perleberger Inspektor so pedantisch wie kaum ein anderer pietistischer Prediger seiner Zeit und hinsichtlich seiner Predigtprinzipien ergeben sich diverse Berührungspunkte mit der lutherischen Schulhomiletik des 17. Jahrhunderts. Arnolds Sakramentsverständnis wurde im Kontext der brandenburgischen Agenden erschlossen, weil er selbst diese Agenden und Kirchenordnungen als wichtige Referenzpunkte seiner pastoralen Praxis und als verbindliche Autoritäten aufruft. Dadurch wurde verständlich, gegen welche Sakramentenpraxis sich Arnold in seinen Schriften im Einzelnen konkret abgrenzt und welche Relevanz und liturgische Sprengkraft seine Vermahnungen und Predigten haben: Die Werbener und Perleberger Gemeinden sollten dazu in die Lage versetzt werden, das liturgisch überhöhte sakramentale Geschehen im wahrsten Sinne zu durchschauen, nämlich als Ausgangspunkt einer geistlichen Selbstvergegenwärtigung vor Gott, welcher unmittelbar und unabhängig von den Sakramenten am bedürftigen Menschen handeln möchte. 3. Zuletzt zeigt sich, dass sich die drei Segmente Pastoraltheologie, Homiletik und Sakramententheologie, die von der Arnold-Forschung bisher, wenn überhaupt, unabhängig voneinander in den Blick genommen worden sind, aufs Engste berühren und nur in ihrer Interdependenz angemessen dargestellt werden können: Arnold bezieht sämtliche Formen pastoraler Praxis auf die Berufungserfahrung des Lehrers zurück. In der Predigt und der Feier der Sakramente soll sich eine pastorale Persönlichkeit als wirksam erweisen, deren Autorität, Selbstbewusstsein und Authentizität einzig in ihrer Berufung zum Amt, d. h. ihrer Gottesbeziehung wurzeln. Zentrale Begriffe, die Pastoraltheologie, Predigt und Sakramentsverständnis miteinander verbinden, sind Erfahrung, Demut und das Begriffspaar Lehre und Leben. Die Erfahrung er-
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weist sich als das wesentliche Regulativ des Predigtprozesses und des liturgischen Vollzugs. Inwiefern der Predigttext, aber auch die Feier der Sakramente für die Glaubenswelt der Zuhörer relevant sind, lässt sich nach Arnold nicht wissenschaftlich-theologisch und exegetisch bzw. aus der agendarisch verordneten Liturgie erschließen, vielmehr muss sich in Predigt und Sakramenten die Erfahrung der Wirksamkeit Gottes in der Seele des Pfarrers zur Anschauung bringen, so dass die Glaubens- und Gotteserfahrung der Zuhörer angesprochen und bereichert werden können. Demut ist die Haltung der aufrichtigen Angewiesenheit des Lehrers auf das Wirken Gottes in seiner Seele. Sie ist unverfügbar und nicht habituell erlernbar, sie stellt sich durch die absichtsvolle Abkehr Gottes vom Lehrer wie auch durch alltägliche Anfechtungen und Demütigungen ein. Als homiletische und liturgische Demut tritt sie dort in Erscheinung, wo der Lehrer den Radius seiner eigenen Wirkmächtigkeit kritisch hinterfragt und in einer Weise Predigten hält und Sakramente feiert, dass die souveräne Wirkmächtigkeit Gottes in seiner eigenen Person und in der seiner Zuhörer anschaulich und nicht ungebührlich in dem Sinne eingeschränkt wird, dass suggeriert werden würde, durch das Predigtwort bzw. den Vollzug des Sakraments an sich könne die Gotteserfahrung appliziert werden. Mit dieser Demut ist auch der in allen drei untersuchten Segmenten verwendete Begriff ‚Ernst‘ bzw. ‚Gravität‘ verwandt. Im Ernst drückt sich die Rückbezüglichkeit des Predigers auf Gott aus. Der ernste Lehrer bringt seine Gotteserfahrung mit seiner ganzen Persönlichkeit, seiner Mimik, Gestik, Stimme, Körperhaltung zum Ausdruck und demonstriert auf diese Weise seine bloß kooperative, verweisende, transitorische Funktion innerhalb der Gemeinde. Seine laute Forderung nach einer Übereinstimmung von Lehre und Leben sah Arnold selbst dogmatisch umstritten und – völlig zu Recht – dem Vorwurf des Donatismus ausgesetzt: Kann der Pfarrer lehren, was er selbst nicht gelernt hat? Darf er moralische Forderungen erheben, denen er selbst nicht genügt, und Gehorsam einfordern, wenn er nicht dazu autorisiert ist? Der Zusammenhang von Lehre und Leben erweist sich auf jedem der drei Felder als Anfrage an die Gottesbeziehung des Lehrers, insofern die Wirkung von Predigt und Sakramenten durch einen Mangel an innerer Anteilnahme geschwächt wird. Arnolds Forderung entspringt also keineswegs einem ethischrigoristischen Reflex, vielmehr bleibt die Frage nach einer Übereinstimmung von Lehre und Leben immer auf die Frage nach der Authentizität des Zeugnisses und der Glaubwürdigkeit des Predigers bezogen.
3. Mitte und historische Bedeutung der Pastoraltheologie Arnolds Im Zentrum von Arnolds Nachdenken über den Pfarrer, die Predigt und die Sakramente steht die geistliche Gestalt, die seiner pastoraltheologischen Programmschrift von 1704 den Titel gegeben hat und unter der er nichts anderes als die
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pastorale Persönlichkeit des Lehrers versteht, wie sie durch die Erfahrung der Berufung zum Amt durch Gott konstituiert und geformt wird, sich im Gemeindealltag behaupten muss und die Weitergabe der Gotteserfahrung an die nächste Generation der Gläubigen ermöglichen soll. Indem der Lehrer seine Ohnmacht gegenüber dem Wirken Gottes anerkennt, sich von der Welt ab- und seinem innerlichen, geistlichen Leben zuwendet, könne er seine göttliche Berufung wahrnehmen lernen. Keine Form der mittelbaren, äußerlichen Berufung – etwa durch die Kirche – könne diese völlig subjektive Berufungserfahrung ersetzen. Nun laufe die geistliche Gestalt angesichts der mannigfaltigen Herausforderungen des Pfarramtes stets Gefahr, sich zu verflüchtigen und instabil zu werden: Nach Arnold ist der Lehrer in seiner Arbeit immer wieder versucht, das Eigene – seinen Eifer, seinen Intellekt, seine rhetorische Begabung, sein Autoritätsbewusstsein – an die Stelle dieser unverfügbaren Gotteserfahrung zu setzen und damit seine geistliche Gestalt zu unterdrücken. Nur ein steter Rückzug in die Rezeptivität, d. h. in die erwartungsvolle Offenheit gegenüber der göttlichen Inanspruchnahme, könne ihn vor den Gefahren der Poiesis, der geschäftigen Hinwendung zur Gemeinde, bewahren. Dass Arnold die geistliche Gestalt außerdem als eine geschichtsmächtige Größe bestimmt, liegt in Anbetracht seiner historischen Schriften auf der Hand: Nur aus seiner geistlichen Gestalt heraus könne der Lehrer seine Gotteserfahrung der Gemeinde authentisch vermitteln, doch dort, wo er seine Berufungserfahrung preisgibt, trete der fatale, aus der Geschichte der Kirche evidente Verfall ein: Hochmut, Wollust und Geiz bemächtigen sich des Lehrers und zusammen mit ihm gehen seine Zuhörer und in letzter Konsequenz die ganze Kirche unter. Die theologische Prämisse dieses pastoraltheologischen Ansatzes ist eine mystische: Gott erweist sich als unmittelbar in der Seele des Menschen wirksam und verschafft sich Geltung, indem er die verschiedenen seelischen Vermögen des Gläubigen, seine Affekte, seinen Intellekt, seinen Willen in Anspruch nimmt und in seinem Sinne lenkt und formt. Dieses Wirken Gottes liegt freilich nicht immer gleichförmig vor, sondern muss stets in seiner Dynamik verstanden werden: Arnold geht wie seine quietistischen Vorläufer nicht davon aus, dass Gott den Menschen überwältigt und ihn sich unterwirft, vielmehr ‚klopft er vorsichtig an die Seele an‘, will vom Menschen wahrgenommen und zum Bleiben eingeladen werden. Dann wieder kehrt er sich vom Menschen ab, um dessen Integrität und Handlungsspielräume hinsichtlich der Gottesbeziehung in Frage zu stellen und ihn zurück in die Rezeptivität zu zwingen. Der Mensch bleibt in dieser mystischen Beziehung also durchweg das passive Gegenüber eines souveränen, lebendigen, unvorhersehbar und frei handelnden Gottes. Von dieser allgemeinen Glaubenserfahrung ist die Erfahrung der Berufung zum pastoralen Amt nur insofern unterschieden, als dass der Berufene sich an den Nächsten gewiesen weiß. Arnold präsupponiert also die Unterscheidung einer soteriologischen und amtstheologischen vocatio: Alle Gläubigen sind zum Heil berufen, die zum Amt
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Berufenen sollen darüber hinaus jedoch mit ihrer Gotteserfahrung ihren Nächsten und der Kirche dienen. Der Lehrer ist dazu aufgefordert, die Berufung, den Zug Gottes zum Amt in seiner Seele wahrzunehmen und zu internalisieren. Wie die quietistische zielt auch Arnolds eigene Pastoraltheologie auf die Beseitigung einer fundamentalen Wahrnehmungsstörung des Menschen, die er nicht in erster Linie hamartiologisch kodiert, d. h. in einer Dialektik von Sündenerkenntnis und Vergebungsgewissheit aufgehen sehen möchte: Nach Arnold sind es die Seelenkräfte, vor allem aber die Aktivität des Eigenwillens und der intellektuelle Geltungsdrang, die das Wirken Gottes überlagern und dazu führen, dass der Lehrer versucht, die authentische Berufungserfahrung zu umgehen, indem er sich auf äußerliche Legitimationsinstanzen zu stützen versucht. Schon allein die Notwendigkeit einer solchen externen Versicherung der Berufung, etwa in der Ordination, stellt für Arnold ein Zeichen des Verfalls dar. Die einleuchtende, überwältigende Kraft der Berufungserfahrung der Lehrer in der Alten Kirche, welche anhand weniger geistlicher Kriterien durch die Gemeinde festgestellt werden konnte, sei der Kirche abhandengekommen, so dass Arnold die mittelbare Berufung als Unterminierung jener exklusiven, erfahrungsbezogenen Berufung durch Gott versteht und damit als eine Bestreitung der Freiheit und Souveränität Gottes. Berufung validiere sich eben nicht im biographisch punktuellen Ritus der Ordination, sondern als subjektive Gewissheit der göttlichen Inanspruchnahme, welche jedoch nie unangefochten vorliegen könne, sondern – weil Gott mit dem Menschen dynamisch und unmittelbar interagiere – immer wieder bestritten werden, sich erneut stabilisieren und auf diese Weise mit der Zeit Tiefe und Reife erlangen müsse. Arnold schlägt verschiedene kontemplative Übungen – der Lehrer solle sich in die Stille zurückziehen und sich im Geiste selbst vor Gott vergegenwärtigen – und Imaginationen – der Lehrer sei wie Glas, durch das Gottes Licht in die Gemeinde fällt, oder wie ein Spiegel, in dem sich Gott der Gemeinde zeige – vor, anhand derer der Lehrer die intellektuelle und affektive Eigenaktivität bändigen, vor allem aber seine ‚Transzendenzsensibilität‘ schulen solle,4 so dass er die Berufung Gottes in seiner Seele wahrzunehmen lernt. Arnolds Berufungstheologie bringt daher eine negative Abgrenzung und ein positives Potential mit sich: Die negative Abgrenzung besteht in der Aufforderung, sich mit den subtilen Erscheinungsformen des eigenen pastoralen Hochmuts – dem zügellosen Aktionismus, den aufwallenden Affekten, der kaltsinnigen Intellektualität – kritisch auseinanderzusetzen. Das positive Potential kommt darin zum Ausdruck, dass Arnold den Lehrer auf seine Angewiesenheit auf Gott zurückwerfen möchte. Die Gotteserfahrung stellt sich also nur unter der Voraussetzung einer aufrichtigen, ungekünstelten und verinnerlichten Ohnmacht gegenüber Gott ein.
4 Den
prägnanten Begriff verwendet u. a. Ihben-Bahl, Wirklichkeit, 261.
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Bewährungsort der mystischen Gotteserfahrung im Allgemeinen ist nach Arnold die Welt, Bewährungsort der Berufungserfahrung im Besonderen ist die Gemeinde. Arnolds Gemeindebild verändert sich im Laufe seiner Amtszeit spürbar: In der Erstauflage der Geistlichen Gestalt und noch ganz im Sinne seiner historischen und apologetischen Schriften bestimmt er die Gemeinde vor allem als Ort der Anfechtung und Strapazierung des Lehrers. Der Lehrer sei durch seine Berufung notwendigerweise an eine Gemeinde verwiesen (die Wichtigkeit), sie fordere ihn jedoch kontinuierlich dazu heraus, seine Gotteserfahrung zur Sprache und Anschauung zu bringen und damit in eine Öffentlichkeit zu stellen, die diese Glaubenserfahrung beurteilen und anfechten kann (die Schwierigkeit). Im Kern liegt die Herausforderung der Gemeinde nach Arnold vor allem in ihrer religiösen Diversität: Die Gemeinde erweist sich als eine undurchschaubare Masse mit unterschiedlich entwickelten Gottesbildern und Glaubenserfahrungen. Versuche der Lehrer, dieser Diversität gerecht zu werden, laufe er Gefahr, ihr nachzulaufen und sie, unabsichtlich oder nicht, zu affirmieren, indem er z. B. klientelabhängig predigt oder die einen oder anderen Gemeindeglieder bevorzugt. Arnold setzt dieser Diversität das Konzept einer innerlichen Distanznahme und Transzendierung der Beziehung zur Gemeinde entgegen. Die Komplexität der Gemeindesituation zu reduzieren; die diversen religiösen Erfahrungen zu erfassen und im Horizont der eigenen Gotteserfahrung erklären und nachempfinden zu können, um sie gewinnbringend in das pastorale Handeln zu integrieren; kurzum: die Gemeinde zu durchschauen, ist nach Arnold nur durch das Gebet und die kritische Befragung der eigenen Gotteserfahrung möglich. Wo der Lehrer dies nicht vermag, weil ihm die entsprechende Erfahrungstiefe fehlt, verfalle er dem Hochmut, der Herrschsucht und Beliebigkeit, fraternisiere mit der Gemeinde oder stoße sie von sich weg. Die Rede von der Gefährdung der geistlichen Gestalt durch die Gemeinde relativiert Arnold auch in späterer Zeit nicht, ringt ihr aber deutlicher als zuvor einen Nutzen hinsichtlich der spirituellen Nachhaltigkeit der Berufungserfahrung ab: Die Demütigung durch die Gemeinde könne sich insofern als heilsam erweisen, als sie dem pastoralen Hochmut entgegenwirken kann. Der Pfarrer solle sich gerne von der Gemeinde in Frage stellen, prüfen und anfechten lassen, weil er auf diese Weise zu einem vertieften Verständnis seiner Berufungserfahrung gelange. Arnold betrachtet das Verhältnis zwischen Lehrer und Gemeinde also in einer ständigen ‚spirituellen Dynamik‘: Der Lehrer solle der Gemeinde mit Liebe, Nach-, aber auch Vorsicht begegnen, dürfe ihr nicht zu nahe kommen, sich aber auch nicht zu weit von ihr entfremden, vor allem aber solle er seine eigene Verflechtung mit ihr genauestens beobachten und im Lichte seines Gottesverhältnisses reflektieren. Im Spannungsverhältnis von Konstitution und Gefährdung der geistlichen Gestalt erweist sich dann auch die Demut und mit ihr die Sanftmut, die für Arnold jedoch letztlich nur eine auf die Gemeinde gerichtete Konkretionsform der Demut darstellt, als Leiteigenschaft des Lehrers. Demut ist nach Arnold die ungekünstelte, aufrichtige Anerkennung der eigenen
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Unzulänglichkeit bzw. eine vollkommen internalisierte Angewiesenheit auf Gott. Die Anfälligkeit des Lehrers, die Reichweite seiner eigenen geistlichen Autorität zu überschätzen und damit Gottes Herrschaft über die Gemeinde in Frage zu stellen, ist für Arnold historisch evident – auf diese Weise seien Papst- und lutherische Konfessionskirche in ihrer vorfindlichen Form entstanden –, er bestimmt sie aber auch als eine typische, nach wie vor virulente Theologenkrankheit, die mit der Grundambivalenz des pastoralen Amtes – zwischen Dienst und Leitung – zusammenhänge. Der Prediger müsse immer wieder die Funktionalität seines Amtes anerkennen, jede Anmaßung von Infallibilität und autokratischer Autorität würde die Mündigkeit der Gemeinde ebenso wie die Souveränität Gottes verletzen, denn so wenig wie die Zuhörer Untertanen des Lehrers seien, so wenig sei Gott bloßes Objekt seiner pastoralen Praxis, sondern lebendiges, wirksames Gegenüber der ganzen Gemeinde. Freilich ist nach Arnold diese Demut unverfügbar, insofern sie sich als Ergebnis der Demütigung durch Gott selbst oder durch eine externe Instanz einstellt: Dass Arnold vom Neuen Testament und den Kirchenvätern herkommend dem Lehrer Demut im Sinne der „Niederträchtigkeit“ abverlangt, findet seine Zuspitzung in der Überzeugung, dass die Gemeinde dem Lehrer in ihrer religiösen Pluralität und Eigenheit gänzlich entzogen bleibt, d. h. dass Gott – auch an Predigt und Sakramenten vorbei – die Gläubigen berufen kann und kein religiöses Expertentum in seiner Gemeinde duldet, sondern vielmehr den Lehrer – durch die Gemeinde hindurch – mit der Frage nach seiner eigenen Glaubenserfahrung konfrontiert und auf diese Weise all seine intellektuellen und moralischen Überlegenheitsansprüche und Großmachtphantasien zerstreut. Die Predigt und die Feier der Sakramente erweisen sich als anspruchsvolle Bewährungsproben der geistlichen Gestalt des Lehrers. Die psychologische Subtilität und verfangende Sprachgewalt der Predigten Arnolds beeindrucken genauso wie sein atemberaubend ahistorischer und unkritischer Umgang mit den biblischen Texten. In seinen Predigten kleidet er seine eigene, an sich kaum zu verobjektivierende mystische Erfahrung Gottes in eine biblisch-theologische Sprache, um sie seinen Zuhörern wenigstens annähernd zu vermitteln, sie anschaulich und nachvollziehbar zu machen. Indem er die Erzählabläufe, einzelne theologische Bildmotive oder moralisch-ethische Forderungen des biblischen Textes konsequent psychologisch dekonstruiert und einer allegorischen Auslegung unterzieht, setzt Arnold einen markanten Kontrapunkt gegenüber einer solchen exegetisch-dogmatischen Erschließung des Textes, welche die spontanen Assoziationen von Prediger und Hörern, die ja nach Arnold Resultate einer lebendigen Gotteserfahrung und damit Zeugnis der fortwährenden Wirksamkeit Gottes sind, zu marginalisieren oder zu regulieren versucht. Gewiss argumentiert Arnold dabei demonstrativ antiintellektualistisch und theologiekritisch, doch seine reiche Kenntnis der Auslegungsgeschichte, seine Sensibilität für die theologischen und psychologischen Potentiale des Textes, sein Gespür für die Poly-
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valenz des Predigtgeschehens, seine Kritik an der böswilligen und manipulativen Verzerrung der Dialektik von Gesetz und Evangelium und zuletzt sein Vertrauen auf das predigtbegleitende Gebet und die demütige Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes verbinden ihn aufs Engste mit der Schulhomiletik seiner Zeit. Nicht die Kritik an der orthodoxen Predigtform ist das Spezifikum seiner Homiletik, sondern vielmehr die konsequente Überordnung der Gotteserfahrung über die Heilige Schrift, mit der die Relativierung der exegetisch-dogmatischen Texterschließung dann jedoch notwendig einhergeht: Was die Bibel zu sagen hat, so Arnold, kann sie nur sagen, weil Gott in den Predigern und Hörern nach wie vor am Werk ist. Eine philologisch-rhetorisch-theologische triplex analysis könne diesen subjektiven Zugang nicht ersetzen, die Schrift sich in dieser Hinsicht nicht selbst auslegen. Nach Arnold vermag Gott allein Intellekt und religiöse Erfahrung des Predigers, den biblischen Text und die Erfahrungswelt der Zuhörer in ein konstruktives und korrelatives Verhältnis zueinander zu setzen und damit auf den entscheidenden Skopus der Schrift zu lenken. Auch die Sakramente bringen, so Arnold, als bloße Rituale die geistliche Erneuerung des Menschen nicht zustande, sondern bedürfen immer einer die äußere, liturgische Form dekonstruierenden, ja verfremdenden Deutung. Lässt Arnold auch die agendarisch festgelegte Ordnung der Sakramentsfeier weitestgehend unangetastet, stellt er in seinen den Sakramenten gewidmeten Predigten, Ansprachen und katechetischen Texten ihre geistliche Bedeutsamkeit und die immerwährende Gefahr einer Überlastung der Zeichen und Handlungen heraus, indem er sie mystisch überblendet oder ihre archaischen, urchristlichen Bedeutungspotentiale zur Geltung bringt: Ausschließlich der gotterfahrene, ernste Prediger könne dem geistlichdeiktischen Charakter der Zeichen entsprechen, den sie bei ihrer jesuanischen Einsetzung und in der Zeit der frühesten Kirche hatten. Sie dürfen nicht von einem teilnahmslosen Pfarrer an eine teilnahmslose Gemeinde appliziert, sondern müssen im Bewusstsein und als Vergegenwärtigung der Offenheit für das Wirken Gottes in der Seele des Menschen gefeiert werden. Hatte Arnold in der Erklärung Vom Secten-Wesen den transitorischen Charakter des Pfarramtes deutlich herausgestellt, tritt dieser egalitäre Zug in den Schriften nach 1704 merklich in den Hintergrund, verschwindet jedoch nie ganz, da Arnold die pastoraltheologischen Fragen immer im ekklesiologischen Horizont erörtert und damit die Bedeutsamkeit des Amtes stets kritisch betrachtet und relativiert. Der berufene Lehrer allein entscheidet nach Arnold nicht über Wohl und Weh der Kirche, Gott erweise sich auch außerhalb der verfassten Kirche und unabhängig von Predigt und Sakramenten als wirksam. Keineswegs seien die Zuhörer – wohlgemerkt: die gotterfahrenen Zuhörer! – von ihrem Pfarrer abhängig, dürfen von ihm übermannt, manipuliert, klein gehalten werden, vielmehr versteht Arnold die Mündigkeit der Gläubigen als ein entscheidendes pastoraltheologisches Korrektiv. Arnolds Forderung nach Parität und Hierarchielosigkeit in der Kirche entspricht seiner am Studium der Alten Kirche gewonnenen, ekklesiologischen
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Grundüberzeugung, dass es sich bei der Gemeinde um eine lebendige Christusgemeinschaft handelt, welche Gott allein durch seine Selbstmitteilung in der Seele der einzelnen Gläubigen konstituiert und in der er fortwährend und unmittelbar am Werk ist. Damit ist der Lehrer in eine rein transitorische Funktion verwiesen. Er solle sich nicht als Herrscher, sondern als Ratgeber verstehen, der sich von den Gläubigen im Konflikt- und Beratungsfall konsultieren lässt, sie zu eigenverantwortlichen, nur Gott Gehorsam und Achtung schuldenden Christen erzieht, schließlich jedoch bereit ist, sie in ihre geistliche Freiheit zu entlassen. Arnold entfaltet seine Pastoraltheologie immer im Horizont der Geschichte der Kirche. Historiographische und pastoraltheologische Perspektive überschneiden sich dort, wo Arnold auf die Eigenschaften des Lehrers zu sprechen kommt, denn die Berufungserfahrung des Lehrers wie auch ihr Mangel materialisieren sich als konkrete Eigenschaften – Demut, Sanftmut, Freigebigkeit oder eben Hochmut, Herrschsucht und Geiz – und werden ausschließlich auf diese Weise geschichtlich evident. Einerseits bildet die Geschichte damit das maßgebliche Feld der Selbstevaluation des Pfarrers, denn die hamartiologische Auslegung der Geschichte des Predigerstandes erscheint als warnendes Fanal der Erfahrungslosigkeit des Klerus und seiner Selbsterhebung über die Gemeinde. Andererseits konkretisiert und individualisiert sich die Geschichte der Kirche und ihrer Lehrer – Ideal wie Verfall – in der einzelnen Gemeinde und ihrem Lehrer. Arnold ruft den Pfarrer dazu auf, aus der Geschichte des eigenen Berufsstandes zu lernen, um die zerstörerischen Auswirkungen der Ermangelung der Berufungserfahrung sofort registrieren und abstellen zu können. Die genaue Kenntnis der Kirchengeschichte avanciert bei ihm zu einer pastoraltheologischen Kernkompetenz. Welche historische Bedeutung kommt Arnolds Pastoraltheologie nun zu? Die dialektische Spannung von Bedeutsamkeit und Schwierigkeit des kirchlichen Amtes, von Sendung und Zurückweisung, von Zuspruch und Anspruch, charakterisiert die ganze Geschichte der Pastoraltheologie und ist auf unterschiedliche Art und Weise auszugleichen versucht worden. Die Kirchenväter wollten der dem Priesterdienst inhärenten Spannung von gloriosum et tremendum5 mit sittlicher Achtsamkeit und Eloquenz beikommen: Nach Chrysostomos etwa sollte das ehrfurchtgebietende Amt – himmlisch, überirdisch, weil in unmittelbarer Nähe zum Schauer erregenden Mysterium der Eucharistie – nur ausgerüstet mit „diamantenen Waffen“ (ἀδαμαντίνα ὅπλα)6 – konkret: in steter Vorsicht vor einem moralischen Fehltritt, aus dem die Widersacher innerhalb und außerhalb der Gemeinde dem Priester einen Fallstrick legen konnten – und mit der „Hilfe des Wortes“ (λόγου βοήθεια)7 – d. h. unter Anwendung einer meisterhaften, fluiden und vielseitigen 5 Dieses Begriffspaar lehnt sich an die lateinischen Zwischenüberschriften zu Chrys. sac. III,2 und III,4 an, die in PG 48, 641 verwendet werden. Sie gehen freilich nicht auf Chrysostomos selbst zurück, fangen jedoch den Inhalt der Abschnitte sehr treffend ein. 6 Chrys. sac. III,14 (PG 48, 650). 7 Chrys. sac. IV,5 (SC 272; 262,23).
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Rhetorik – ergriffen werden.8 In seinem Bestreben, die officia der Kirchendiener näherhin zu bestimmen, entwickelte Ambrosius von Mailand eine an Cicero angelehnte Pflichtenlehre, nicht ohne dieser eine dezidiert biblisch-theologische Meditation über das abwartende Schweigen, die wachsame Selbstbeobachtung und die Mäßigung des Wortes vorzuschalten9 und damit das Lernen konsequent vor das Lehren zu setzen: „homines autem discunt prius quod doceant, et ab illo accipiunt quod aliis tradant.“10 Nur indem der Priester Gott zuhöre, könne er sein Amt würdevoll und gottgefällig – gleich den Leviten im Alten Bund –11 versehen, ohne in eine unbotmäßige Herrschsucht zu verfallen.12 Noch eindringlicher forderte Gregor der Große vom Priester ein sittsames Leben in Übereinstimmung mit seiner Lehre,13 um den allgegenwärtigen Gefahren des Hirtenamtes zu begegnen, wobei die Ausgeglichenheit von Eloquenz und Schweigsamkeit dieser moralischen Interdependenz in rhetorischer Hinsicht entspricht:14 In der Kenntnis der schieren Masse von stofflichen und rhetorischen Möglichkeiten der Predigt und in der Antizipation des vielgestaltigen Seelenlebens der Gemeinde sah Gregor die größte Chance, die Spannung von Erhabenheit und Gefährlichkeit des Amtes zu überwinden.15 Reformation, Orthodoxie und Pietismus erkannten 8 Beides entspreche dem Gehorsam gegenüber Christus und seinem Gebot der Bruderliebe nach Joh 15,13 (vgl. Chrys. sac. II,6 [SC 272; 126,29–128,55]). 9 Vgl. Ambr. off. I,2–6 (PL 16, 25–31). Vgl. v. a. I,4,14 (PL 16, 28): „Haec si custodiat aliquis, fit mitis, mansuetus, modestus. Custodiendo enim os suum, et retinendo linguam suam, nec prius loquendo quam interroget, et expendat atque examinet verba sua, si dicendum hoc, si dicendum adversus hunc, si tempus sermonis hujus est: is profecto exercet modestiam, ac mansuetudinem, et patientiam“. 10 Vgl. Ambr. off. I,1,3 (PL 16, 24). 11 Ambrosius’ Ausführungen zu den Leviten in Ambr. off. I,50 (PL 16, 96–102) sind nur schwerlich als Exkurs aufzufassen. Sie schließen das erste Buch sachgemäß ab, insofern Ambrosius die Leviten als Betrachter der Geheimnisse Gottes wie auch als Wahrer aller wesentlichen christlichen Tugendpflichten charakterisiert (vgl. Ambr. off. I,50,251–253 [PL 16,99 f]). In diesem Kapitel wie auch in der Eingangsreflexion über das Schweigen und den über Gott nachsinnenden David zeigt sich das bibeltheologische Fundament des pastoraltheologischen Zugangs des Ambrosius und das Spezifikum seiner eigenen gegenüber der philosophischen Pflichtenlehre. 12 Vgl. vor allem Ambr. off. II,7 (PL 16, 111–114). 13 Gregor variiert diese Forderung immer wieder (vgl. u. a. Greg. past. 1,10 f; 2,2 f), besonders eindringlich schreibt er jedoch in Greg. past. 1,2 (SC 381; 134,3–7): „Et sunt nonnulli qui sollerti cura spiritalia praecepta perscrutantur, sed quae intelligendo penetrant, vivendo conculcant; repente docent quae non opere, sed meditatione didicerint; et quod verbis praedicant, moribus impugnant.“ 14 Vgl. v. a. Greg. past. 2,4: „Sit rector discretus in silentio, utilis in uerbo, ne aut tacenda proferat, aut proferenda reticescat. Nam sicut incauta loquutio in errorem pertrahit, ita indiscretum silentium hos qui erudiri poterant, in errore derelinquit“ (SC 381; 186,2–188,5). 15 Vgl. Greg. past. 3,1 (SC 382; 262,1–266,57). Gregor bietet unter der Überschrift „qualiter rector bene vivens debeat docere et admonere subditos“ im dritten Buch einen umfangreichen Katalog von Loci für die Predigt, in Abstimmung auf die jeweiligen geistlichen Bedürfnisse der Gemeindeglieder: „Aliter namque uiri, aliter ammonendae sunt feminae. Aliter iuuenes, aliter senes. Aliter inopes, aliter locupletes. Aliter laeti, aliter tristes. Aliter subditi, aliter praelati. Aliter serui, aliter domini. Aliter huius mundi sapientes, aliter hebetes. […]“ (SC 382; 262,2–8).
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Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer
gleichermaßen in der biblischen und christologischen Selbstversicherung des Amts und der damit verbundenen Verheißung seines ökodomischen Nutzens die wesentliche Strategie zur Bewältigung des Pfarrdienstes. In der lutherischen und reformierten Pastoraltheologie des 16. und 17. Jahrhunderts fungierte die Heilige Schrift als schlechthinnige Instanz der pastoralen Selbstversicherung und Tröstung. Zwingli wollte den Prediger in die „waffenkamer Christi“16 führen, wo er sich mit Weltdistanz,17 Gelassenheit18 und mit Liebe zur Gemeinde19 gegen Verfolgung und Anfeindung wappnen lassen sollte. Martin Bucer, der die Kirchendiener ebenfalls mit großem Nachdruck auf ihre schriftgemäße Einsetzung verpflichtete, wollte das Hirtenamt im ekklesiologischen Horizont von 1 Kor 12 – der paulinischen Rede von den vielen Geistesgaben – auf gleich mehrere geeignete Personen in der Gemeinde verteilen: Der Vielgestaltigkeit der Gefährdung begegnete er mit der Teilung der Verantwortung unter Pfarrern und Ältesten.20 Niels Hemmingsen meinte, die Fenster der Seele schließen zu müssen, durch die die störenden Affekte auf den Pastoren einfielen, und setzte ganz auf die Meditation von Christuszeugnis, Davidspsalmen und Melanchthons Loci: Im gläubigen Vertrauen auf Christus solle der Hirte die Herde weiden, an Christus selbst könne er die wesentlichen pastoralen Eigenschaften erkennen und erlernen, die es ihm ermöglichen, der mannigfaltigen Gefährdung seiner Schafe zu begegnen.21 Johann Gerhard sah das Amt durch die vocatio der Kirche legitimiert und verstand die Ordination als performativen Akt der Autorisation des Lehrers, welcher ihm selbst wie auch der Gemeinde seine geistliche Leitungsfunktion vor Augen führen, aber auch des göttlichen Zuspruchs versichern sollte.22 Philipp Jacob Spener, der eindringlich vor der Sittenlosigkeit, Herzenskälte und aka16 CR
90, 36. CR 90, 37: „Das rych gottes ist hie. Die krancken machend gsund, reynigend die sundersiechen, erweckend die todten, vertribend die tüffel unnd predigend: Das rych gottes ist hie. Vergeben hand ir’s empfange, vergeben gebend’s hin. Ir söllend nit noch gold, noch silber, noch müntz in üwre seckel noch bulgen bstellen uff den weg, nitt zwen röck, nit schuoch, nit ein stab; denn der arbeyter ist siner narung wirdig etc. Sich, hie wil Christus gar nit, das sich der hirt mit einigerley zytlicher narung beware, denn allein mit dem fürnemen der trüwen arbeit. Dero zwyfflet er nitt, daß ir etwas noturfft oder narung gebrästen werde. Denn arbeytind sy trülich, so werdind all weg erfunden, die inen nit mangel lassind.“ 18 Vgl. CR 90, 39: „Glych nachdem er vil stucken, die über den hirten gan werdend, gezellt hat, spricht er: Ir söllend sy nit fürchten. Und bald darnach: Ir söllend die nit fürchten, die den lychnam tödend, aber die seel nit mögend töden; sonder fürchtend weger den, der lyb unnd seel in die verdamnus verderben mag. Nit förchten ist der harnesch. So du nun sprechen wilt: Das wüßt ich on dis wol, ob glych Christus nit also geredt hette, das, wo ich mir nit förchte, das ich alle ding dapffer wurd angryffen.“ 19 Vgl. CR 90, 41: „So nun dem hirten die liebe notwendig ist, muessend wir anzeygen, warumb und wannen sy imm verlihen werd. Darumb ist die liebe notwendig, das alle ding nach iro gericht unnd gemessen werdind. Dann der zimmerman ist so grad mit dem ougenmess nitt, im ist ouch darzuo das richtschyt not.“ 20 Vgl. DS 7; 117,27–120,12. 21 Vgl. Hemmingsen, Pastor, 18–20; 134–136. 22 Vgl. Gerhard, De ministerio, 112 (165). 17 Vgl.
3. Mitte und historische Bedeutung der Pastoraltheologie Arnolds
413
demischen Engstirnigkeit der Prediger warnte, wollte die Spannung zwischen Kostbarkeit und Anfechtbarkeit des Pfarramtes durch die „Göttliche weißheit“, mithin die Frömmigkeit des Amtsträgers, überwunden sehen, welche bereits während des Studiums eingeübt, internalisiert und gefestigt werden sollte.23 Gottfried Arnold fasst jene pastoraltheologische Grundfrage – über welche Fertigkeit muss der Pfarrer verfügen, um ein Amt bewältigen zu können, das von einem Menschen eigentlich nicht zu bewältigen ist? – durchweg als eine Anfrage an die Spiritualität des Pfarrers und damit insofern als ein grundlegend theologisches Problem auf, als die Frage nach der Gotteserfahrung und -beziehung ein entsprechendes Gottesbild voraussetzt. Konsequent ruft Arnold den Pfarrer von seiner alltäglichen Geschäftigkeit in sein Inneres zurück und meint, nur der vitale Umgang mit Gott – in Form des Gebetes, der Einkehr, der achtsamen Meditation, der kontemplativen Schau – setze ihn in eine solche Freiheit, innere Distanz und Gelassenheit, dass er die Strapazen des Amtes zu bewältigen und ins Konstruktive zu wenden weiß. Mystik und Protestantismus – geistliche Gestalt und evangelischer Lehrer – treffen sich in Arnolds Überzeugung, dass eine solche Erfahrung wie auch ihre Anfechtung unverfügbar sind. In der Erschütterung des Selbstbewusstseins, der Anfechtung des Glaubens und der drohenden Verflüchtigung der Berufungserfahrung liegen Chance und Aufforderung zugleich, sich Gott erneut zuzuwenden und die Erfahrung mit ihm zu vertiefen und zu festigen. Gewissermaßen vollendet Arnold damit eine pastoraltheologische Epoche. Er ist zwar nicht der letzte, der das Amt innerhalb jenes markanten Spannungsverhältnisses begreift, doch der letzte, der die Legitimation des Amtes und die Authentizität seines Trägers in Abhängigkeit zu dessen subjektiver Gotteserfahrung begreift, bevor die heraufziehende Aufklärungstheologie – Mosheims Pastoral=Theologie24 (1754) und Spaldings Nutzbarkeit des Predigtamtes25 23 Spener, Pia Desideria (SpSt I/1; 222,10–21: „Wie aber der Predier ampt in allen diesen dingen / die der Kirchen besserung betreffen / das allermeiste thun muß / daher gleichwie die mängel an ihnen grossen schaden thun / also soviel mehr daran gelegen ist / daß man solche leute habe / die zum allerförderisten selbs wahre Christen seyen / und dann die Göttliche weißheit haben / auch andere auff den Weg deß HErrn vorsichtig zu führen; so würde dann ein grosses zu der Kirchen besserung thun / ja gantz nöthig seyn / daß man keine andere als solche leute die darzu tüchtig wären beruffete / und ins gesampt in dem beruffswerck auff nichts anders als die Ehre GOttes […] einig und allein abzweckte.“ 24 Mosheim spricht immer noch explizit von den „Schwierigkeiten“ und der „Vortreflichkeit“ (Mosheim, Pastoral=Theologie, 13) des Amtes, fügt allerdings noch seine „Rechte“ hinzu. Quelle für seine Pastoraltheologie sei die Heilige Schrift (a. a. O. 4), wobei freilich „die Erfahrung und Vernunft […] zu Hülfe“ (a. a. O. 4) kommen müsse. Der Erfolg des Amtes sei von den natürlichen und den erlernten „Gaben“ (20) des Pfarrers abhängig, neben körperlicher Robustheit, Zugewandtheit, Gelassenheit, Empathie, Duldsamkeit (a. a. O. 20–23) – alles Gaben, denen frühere Entwürfe einen großen Stellenwert eingeräumt hatten –, also seine wissenschaftliche, philosophische i. S. der „Vernunftlehre“ (a. a. O. 26) und theologische (a. a. O. 26) Expertise. Damit verabschiedet Mosheim auch stillschweigend das pietistische Predigerideal: „Ein unbekehrter Lehrer arbeitet zwar nicht ohne Nutzen, wenn er die reine oder unverfälschte Wahrheit lehret; Aber ein geheiligter und bekehrter Lehrer hat doch viel vor ihm voraus, und
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Resümee: Der Pfarrer bei Gottfried Arnold – Gottfried Arnold als Pfarrer
(17721–17913) sind hier vor allem zu nennen – das Amt jenseits aller vermeintlich vernunftwidrigen Legitimierungsversuche und dezidiert als theologischen Beruf fassen möchte. Die Spiritualität des Amtsträgers als eine pastoraltheologische Leitkategorie, wie sie sich von der Alten Kirche über die Reformationszeit bis in den Pietismus mehr oder weniger offensichtlich, aber doch durchweg erhalten und bei Arnold vielleicht ihre stärkste Beachtung gefunden hat, rückt nach ihm einstweilen in den Hintergrund. Ob sie der Wiederentdeckung wert ist und ob Arnolds Pastoraltheologie und seine Arbeit als Pfarrer auch dem „rechtschaffnen“ Lehrer, der „rechtschaffnen“ Lehrerin heutiger Tage Anlass dazu bieten können, ihre Berufung zum Amt auch als eine geistliche Erfahrung zu erfassen und zu reflektieren, muss hier offen gelassen werden. Der Verfasser des eingangs zitierten Epitaphs, welches der Zweitauflage der Geistlichen Gestalt vorangestellt ist, meinte dies jedoch freimütig bekennen zu können: „Willst du ein lebend Bild rechtschaffner Lehrer sehn, Laß sein Exempel dir vor deinen Augen stehn.“
kann sich in seinen arbeiten viel mehr Segen und Nutzen als jener versprechen“ (a. a. O. 28). Mosheim macht für die Amtsanwärter daher drei wesentliche Elemente der Vorbereitung auf die Berufung (hier i. S. der kirchlichen Berufung) geltend: Die Einübung in einen unsträflichen, gottesfürchtigen Wandel (a. a. O. 30 f), die Vertiefung der wissenschaftlichen Studien und Schärfung der Menschenkenntnis (a. a. O. 32–34) und die Prüfung der eigenen Motivation zum Pfarramt (a. a. O. 34 f). 25 Auch Spalding kann noch von der „Wichtigkeit“ des Amtes sprechen (SpKA I/3;21,6), wobei er darunter jene Bedeutung hinsichtlich der Förderung der christlichen Religion verstanden wissen möchte, die Amtsträger, Kirche und Gesellschaft dem Amt beizumessen gedenken und die durch den Vertrauensverlust in den Klerikerstand als Ganzes, ja durch die handfeste Krise der „Profession“ des Pfarrers massiv bestritten und angefochten ist (vgl. die luzide Besprechung der Hume’schen Kritik am Priesterbegriff a. a. O. 26–33). Viel schroffer als Mosheim spricht Spalding jeder vermeintlich vernunftwidrigen oder biblizistischen Legitimation des Pfarrers die Berechtigung ab und lässt damit zugleich jeden spirituellen, erfahrungsbasierten Zugang zum Berufungsbegriff, wie Arnold ihn geprägt hat, hinter sich: „Wir wissen es, wie wir zu unsern Aemtern kommen und wie sehr natürlich es damit zugehet. Wir sind uns auch keiner übernatürlichen Gaben und Kräfte zur Führung derselben bewust; und beides macht einen so grossen Unterschied zwischen den Aposteln und uns, daß wir unmöglich von demjenigen, was sie von sich behaupten, etwas weiter auf uns ziehen können, als in so ferne die wirkliche Beschaffenheit unseres gegenwärtigen Geschäftes uns dazu Befugniß giebt“ (a. a. O. 25). Gegen jeden Despotismus, Selbstzweck und Aberglauben begründet Spalding das pastorale Ideal des Gelehrten der christlichen Religion, der „die Religion, die er lehren will, hinlänglich in ihren Quellen und Gründen studiert hätte“ (a. a. O. 43), um den Zweifeln und Einwürfen, ja der Anfrage der Vernunft an die Religion, beikommen zu können (vgl. a. a. O. 43). Erst unter dieser Voraussetzung erweise sich die Nutzbarkeit von beidem: „So ist also die Religion nützlich; und so sind auch diejenigen nützlich, welche sie lehren; nur daß es für alle, die etwas dazu thun können, auch wirklich ein genugsam erhebliches Objekt sey, diese Nutzbarkeit zu erhalten und zu vergrößern“ (a. a. O. 98).
Anhang
Katalog der Predigten Arnolds Im nachstehenden Katalog sind die Predigten verzeichnet, die zu Arnolds Lebzeiten in Postillen oder als Einzeldrucke erschienen sind. Dabei werden nur solche berücksichtigt, die eine klare Predigtdisposition aufweisen, also nicht die Reden von 1709 und 1711 oder die Theologia Experimentalis von 1714. Nicht berücksichtigt werden hier zudem die Wiederauflagen der Postillen nach Arnolds Tod. Die Nummerierung der Predigten (Spalte 1) soll den Zugriff auf die Daten erleichtern, folgt aber nicht der (teilweise hier zum ersten Mal erschlossenen) chronologischen Abfolge der Predigten von 1700–1710, sondern der besseren Übersichtlichkeit halber der Abfolge in den Postillen. Dabei werden andere Texte, die in den Postillen enthalten sind, nicht verzeichnet. Die Perikopenabgrenzung (Spalte 2) folgt den Angaben Arnolds, es sei denn, es liegen eindeutige Fehlbezeichnungen vor. Die jeweiligen Bezeichnungen der Sonn- und Festtage (Spalte 3) werden ebenfalls aus den Postillen übernommen, da sie schwanken, z. B. wird das Epiphanias-Fest in der einen Postille als „Epiphanias“, in der anderen als „Hoch-Neujahr“ bezeichnet. Die Datierung und Lokalisierung der Predigten (Spalte 4) gestaltet sich als überaus schwierig. Sie kann nur erschlossen werden, indem die absolute Chronologie der unbeweglichen Festtage mit der relativen Chronologie der beweglichen Festtage des Kirchenjahres in ein Verhältnis gesetzt wird. Im Fall der Predigtreihen zum Alten Testament und zum Kolosserbrief gelingt eine solche Datierung nicht, da es sich offenbar um Wochenpredigten handelt. Die stets vom Text abgehobenen und tabellarisch präsentierten Dispositionen der Predigten (Spalte 5), die – wie in den Predigtstudien gezeigt werden konnte – sehr genauen Aufschluss über den Predigtstoff geben, werden hier in gerafftem Druckbild, d. h. ohne Absatzumbrüche geboten. In der letzten Spalte (Spalte 6) werden die Fundstellen der Predigten in den zu Arnolds Lebzeiten erschienenen Erstausgaben angegeben.
1. Der richtigste Weg (1700) Die ersten homiletischen Gehversuche unternimmt Arnold bereits 1700, d. h. vor der Annahme eines kirchlichen Amtes. 1700 erscheint unter dem Titel Der richtigste Weg Durch Christum zu Gott: Bey öffentlichen Versammlungen in dreyen Sermonen oder Predigten ausgewiesen und auff Begehren ausgefertiget von Gottfried Arnold eine Anthologie von drei Predigten, deren Titel bereits ihre apologetische
416
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Bedeutung andeutet: Arnold vertritt keine Geheimlehre und verwirft keineswegs das öffentliche Predigtamt, wie ihm vor allem Cyprian vorwirft, sondern ergreift in öffentlichen Gottesdiensten selber das Wort. Die Ausgabe wartet außerdem mit einem bereits im Titel annoncierten Anhang, Einer näheren Erklärung von seinem Sinn und Verhalten in Kirchen=Sachen, auf, in der Arnold unmittelbar auf die Verwerfungen im Zuge der Veröffentlichung der Kirchen- und Ketzerhistorie reagiert. Gewidmet ist der Band dann auch nicht unbedacht Paul von Fuchs, dem einflussreichen preußischen „Ober=Director[] der Lehns= und Kirchen=Sachen“ und „Consistorial-Praesident[]“, an den Arnold auch die auf den 12. November 1700 datierte und in Quedlinburg lokalisierte Vorrede richtet. Hier beteuert er seine theologische Rechtschaffenheit und erinnert erneut daran, dass er die Kirchengeschichte „bloß und allein ex officio Historici, gleich anderen Scribenten / als ein Referente erzehelt / die Wiederlegungen aber denen Herren Theologis überlassen habe“.1 Die vorliegenden Sermone würden dokumentieren, dass er „nichts zu wissen noch zu sagen verlangt ausser dem / was von Christo in der H. Schrifft geredet worden“.2 Schon in der Erklärung habe er darauf hingewiesen, dass er sich der kirchlichen Ordnung in gebotener christlicher Freiheit gerne unterwerfe, mit den vorliegenden, in öffentlichen Gottesdiensten gehaltenen Predigten werde diese Absicht nun offenkundig.3 Arnold stellt sich mit der Vorrede zudem explizit unter den Schutz der Deklaration Friedrichs III. von Brandenburg vom 22. September 1700. In der Deklaration billigte der Kurfürst den Rezess vom 24. Juni und gewährte Toleranz gegenüber pietistischen Predigern, Arnold zitiert das Schreiben dahingehend, dass „kein Prediger aus ungeziemenden und blinden Eiffer un=Christliche Spaltungen machen / die Frommen in der Gemeine betrüben / andere gegen unschuldige Leute sündlich erbittern / die Hand der Unwissenden oder Gottlosen stärcken und ihre Busse hindern und Churfürstl. Durchl. Befehle gröblich übertreten möchte“.4 Die Anthologie ist also vor allem als eine Schutzschrift zu verstehen: Der Kurfürst habe ihn bisher „gegen alle widrige Attentata in gnädigsten Schutz genommen“,5 so dass ihm die Freiheit zum Genuss des Abendmahls nicht streitig gemacht werden konnte und als „Nothzwang durch wieder=Christliche Befehle“ verordnet wurde.6 Nun solle sich dies auch in der öffentlichen Predigt erweisen. Die Anthologie versammelt drei Predigten, die allesamt genau datiert und lokalisiert sind:
1 RWCG,
Vorrede, ):(4r. Vorrede, ):(5r. 3 Vgl. RWCG, Vorrede (unpag.), 6. 4 RWCG, Vorrede, ):(5v–):(6r. 5 RWCG, Vorrede, ):(6r. 6 RWCG, Vorrede, ):(6r. 2 RWCG,
Lk 6,36
Lk 14,11
2
3
17. Sonntag nach Trinitatis (Erntedank)
4. Sonntag nach Trinitatis
10. Sonntag nach Trinitatis
Fabri, Magazin, 200.
Lk 19,41–48
1
Tag im Kirchenjahr
RWCG 78–111
„den richtigsten Weg oder proceß durch die Erniedrigung zur Erhöhung.“ (RWCG 86)
Halberstadt, unbekannte Predigtstätte, 03.10.1700
RWCG 1–42
„Die ersten verrichtungen Christi in der seele / wie er (I.) zu ihr nahet / (II.) eingehet / (III.) lehret.“ (RWCG 13) „das erneuerte bild GOttes / und zwar in der RWCG 43–77 göttlichen liebe.“ (RWCG 53)
Fundstelle
Disposition
Quedlinburg, Schlosskirche, 04.07.1700
Aschersleben, „gemeinschafftliche kirche“ (Marktkirche),7 15.08.1700
Datierung und Lokalisierung
1. Der richtigste Weg (1700)
7 Vgl.
Predigttext
Nr.
417
418
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704) Die Predigten aus dieser Anthologie stammen allesamt aus Arnolds Zeit als Schlossprediger in Allstedt und lassen sich – mit wenigen Ausnahmen – sehr genau datieren. Arnold tritt seine Stelle als Schlossprediger Anfang 1702 an,8 die Vorrede auf die Verklärung ist auf den 28. November 1703 datiert. So ergäbe sich ein kompletter Predigtzyklus, beginnend mit dem 1. Advent des Jahres 1702 (03.12.1702) bis zum letzten, d. h. 25. Sonntag nach Trinitatis des Jahres 1703 (25.11.1703). Arnold hat allerdings auch einen unvollständigen Predigtzyklus des Jahres 1701/1702, nämlich zwischen Januar 1702 – seiner Ankunft auf dem Schloss – bis zum letzten Sonntag des Kirchenjahres 1701/1702 (26.11.1702) absolviert. Die Abfolge der Predigten zwischen Weihnachten und Fastenzeit entspricht nun der Abfolge des Kirchenjahres von 1702/1703, nicht der des Kirchenjahres 1701/1702,9 und die Predigt zum Michaelstag am 29. September ist zwischen den Predigten zum 16. und 17. Sonntag nach Trinitatis platziert, die nur im Jahr 1703 auf den 23. und 30. September fielen, so dass die Postille wahrscheinlich die Predigten aus dem Kirchenjahr 1702/1703 sammelt. Es ergeben sich allerdings zwei Datierungsprobleme: 1703 fällt der Johannistag am 24. Juni 1703 mit dem 3. Sonntag nach Trinitatis zusammen, Arnold bietet jedoch zwei separate Predigten zu diesem Tag. Im Jahr 1702 fällt der Johannistag auf den Vortag zum 2. Sonntag nach Trinitatis, was die Abfolge der abgedruckten Predigten völlig unterlaufen würde, so dass sich auch für die Datierung des Johannistages am ehesten das Jahr 1703 ergibt. Vielleicht hat Arnold eine Sonn- und eine Festtagspredigt vorbereitet. Ein nicht zu lösendes Problem stellt die Platzierung der Predigt zu Jes 11,1–5 an Mariae Heimsuchung dar. Diese Predigt ist zwischen den Predigten zum 5. und 6. Sonntag nach Trinitatis platziert, müsste aber eigentlich – möchte man, wie hier vorgeschlagen, die Chronologie des Kirchenjahres 1702/1703 voraussetzen – vor der Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis zu stehen kommen. Will man das Kirchenjahr von 1701/1702 annehmen, wäre sie freilich noch weiter von der in der Verklärung vorgesehenen Abfolge entfernt, denn sie müsste dann zwischen dem 2. und 3. Sonntag nach Trinitatis platziert oder sogar mit dem 3. Sonntag, dem 02.07.1702, zusammenfallen.
Wenn das Kirchenjahr 1702/1703 angenommen wird, ergibt sich folgender Katalog: 8 Vgl.
Dibelius, Arnold, 161 f, Büchsel, Gottfried Arnolds Verteidigung, 98–100. Abfolge der Sonntage zum Jahreswechsel 1701/1702 lautet: 25.12.1701 Weihnachtsfest als 1. Sonntag nach dem Christfest, 01.01.1702 Neujahrstag, 06.01.1702 Epiphanias, 08.01.1702 Erster nach Epiphanias, 15.01.1702 Zweiter nach Epiphanias, 22.01.1702 Dritter nach Epiphanias, 29.01.1702 Vierter nach Epiphanias, 02.02.1702 Mariä Verkündigung, 05.02.1702 Fünfter Sonntag nach Epiphanias, 12.02.1702 Septuagesimae. Die Abfolge zum Jahreswechsel 1702/1703, der auch die Verklärung folgt, lautet: 31.12.1702 Sonntag nach dem Christfest, 01.01.1703 Neujahrstag, 06.01.1703 Epiphanias, 07.01.1703 Erster nach Epiphanias, 14.01.1703 Zweiter nach Epiphanias, 21.01.1703 Dritter nach Epiphanias, 28.01.1703 Vierter nach Epiphanias, 02.02.1703 Mariä Verkündigung, 04.02.1703 Septuagesimae. 9 Die
Röm 15,4–13
1 Kor 4,1–5
Phil 4,4–7
Joh 1,1–14
1 Joh 1,1–4
5
6
7
8
9 26.12.1702, Allstedter Schloss
25.12.1702, Allstedter Schloss
24.12.1702, Allstedter Schloss
17.12.1702, Allstedter Schloss
„Sondern es muß bey der zukunfft Christi vorgehen die würckliche veränderung des menschen. darvon hier Paulus anzeiget / I. die Ursache und dann worinnen sie bestehe / nemlich II. in ablegung des alten und III. in anziehung des neuen Menschen.“ (VJC 2)
„Wie wir denn kein ander wort in unsern text hören / als von der gemeinschafft mit GOtt durch Christum / was massen dieselbe I. aus erfahrung verkündigt ist und II. durch erfahrung genossen wird.“ (VJC 56)
VJC 54–65
VJC 43–54
VJC 34–43
„Es gibt die Epistel eine schöne anleitung / bey dieser feyerlichen zeit zu bedencken Die rechte zuschickung des hertzens auff die geburt des HErrn JEsu. Wie sie geschehen soll I. In ansehung des Herrn. II. des nächsten. III. unser selbst.“ (VJC 36) „Wir wollen also vor uns nehmen zu erkennen Christum JEsum / das ewige wort des Vaters / so ferne es ist I. in GOtt II. unter den menschen III. in den hertzen.“ (VJC 46)
VJC 22–34
„Wir sehen in der heutigen epistel zum unterricht Den dienst des Geistes oder Evangelii / wie er I. treulich verrichtet II. von der vernunfft angefochten aber III. von Christo selbst gerechtfertiget und bestätiget wird.“ (VJC 25)
„Es findet sich im text eine zulängliche vorstellung dieser seligkeit VJC 12–22 in CHristo JEsu wie sie I. verheißen II. erlanget III. genossen wird.“ (VJC 14)
Fundstelle VJC 1–12
Disposition
den Kolumnen erscheint als Bezeichnung durchweg „Christ=Tage“, als Überschrift verwendet Arnold „Weynacht=Feyertag“.
II. Weynacht= Feyertag bzw. II. Christ= Tage10
I. Christ= Tage
4. Advent
3. Advent
10.12.1702, Allstedter Schloss
03.12.1702, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
10 In
1. Advent
Röm 13,11–14
4
2. Advent
Tag im Kirchenjahr
Nr. Predigttext
419
Dritter Weynacht= Feyertag11
Sonntag nach dem Christ= Tag
Neu=Jahrs= Tage
Fest der Erscheinung Christi
1. Sonntag nach dem hohen Neuen Jahr
2. Sonntag nach dem hohen Neuen Jahr
3. Sonntag nach dem hohen Neuen Jahr
11 Gal 4,1–7
12 Gal 3,23–29
13 Jes 60,1–7
14 Röm 12,1–4
15 Röm 12,5–8
16 Röm 12,17–21
Tag im Kirchenjahr
10 Tit 3,4–8
Nr. Predigttext VJC 65–76
VJC 77–87
„Paulus leget uns hier in der epistel vor Die würckliche erscheinung des Heylandes / nach ihrem I. ausbruch. II. beweiß. und III. nutzen.“ (VJC 67 f) „Drum weiset Paulus heute am ende des alten jahres Die rechte erlaß= oder befreyungs=zeit der seele: und dabey I. die knechtschafft. II. Die befreyung.“ (VJC 79)
27.12.1702, Allstedter Schloss
„So bittet selbst den anfänger eures glaubens umb sein helles VJC 87–96 licht / daß ihr verstehen und erfahren lernet / was aus der heutigen fest=lection soll gezeuget werden: Nemlich Das rechte Göttliche neue jahr / oder den neuen zustand der seelen: bestehend in I. zurücklegung des alten / und II. antretung des neuen standes.“ (VJC 89) VJC 96–106
VJC 106–116
VJC 116–128
VJC 128–139
„Lasset uns also einander aus dieser weissagung erinnern Der rechtfertigung des HErrn JEsu im Geist / so wohl in seinem licht / als in seiner krafft.“ (VJC 98) „Lasset und also ietzund aus der Epistel mit einander bedencken: Womit dem lieben GOtt am besten gedienet sey? Nemlich mit der auffopfferung unser selbst. und zwar nach I. dem leibe / II. der seele / III. allen kräfften.“ (VJC 108) „Wir wollen aus der heutigen epistel uns weiter davon unterrichten lassen und betrachten Die wirckung des haupts in seinen gliedern / I. Nach seinen einfluß / II. und ausfluß.“ (VJC 119) „Zu solchem ende leget der Apostel vor. Die liebe gegen alle menschen / und dabey I. Den grund / II. die liebe selbst / III. die frucht davon.“ (VJC 130)
01.01.1703, Allstedter Schloss
06.01.1703, Allstedter Schloss 07.01.1703, Allstedter Schloss 14.01.1703, Allstedter Schloss 21.01.1703, Allstedter Schloss
31.12.1702, Allstedter Schloss
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
420 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Septuagesimae
Sexagesimae
Quinquagesimae
Invocavit
Reminiscere
19 1 Kor 9,24–27
20 2 Kor 11,19– 12,9
21 1 Kor 13
22 2 Kor 6,1–10
23 1 Thess 4,1–7
04.03.1703, Allstedter Schloss
25.02.1703, Allstedter Schloss
18.02.1703, Allstedter Schloss
11.02.1703, Allstedter Schloss
04.02.1703, Allstedter Schloss
02.02.1703, Allstedter Schloss
VJC 151–163
„Denn wir wollen bedencken Die reinigung der seelen durch den HErrn JEsum. I. Die vorbereitung / II. die reinigung selbst / III. die erfolgte reinigkeit.“ (VJC 153)
VJC 185–199
VJC 199–210
VJC 210–219
„Woraus wir also bemercken wollen Der Christen beruff zum leiden I. Worinn er gegründet / II. womit er erfüllet werde.“ (VJC 202) „Wird es also den tieffen sinn der weißheit gantz gemäß seyn / wann wir daraus bemercken Wie GOtt Treu und glauben von uns I. fordere / II. anweise.“ (VJC 213)
VJC 174–185
„Wir wollen daraus auffs einfältigste anmercken Den vorzug der wahren Göttlichen liebe wie sie ist I. Unvergleichlich / II. unüberwindlich / und III. unendlich.“ (VJC 188)
„Wir werden also dißmahl sehen / Gottes ruhm über allen ruhm: wie zwar Menschen ruhm groß seyn kann / aber Gottes ruhm allein hoch bleibet.“ (VJC 178)
„Wir werden ein herrliches muster von dem ernsten und strengen VJC 163–174 kampff eines wahren Christen finden in den worten Pauli / daraus wohl zuerwegen ist Der Streit eines Christen / Welcher geschicht I. Bey den meisten vergeblich / II. bey etlichen aber selig.“ (VJC 166)
VJC 140–150
„Wie denn ganz einfältig soll gezeiget werden Die liebe des nächsten / I. Warum? oder ihre ursach / II. Wie? oder ihre art / III. Wozu? oder ihre wirckung.“ (VJC 141)
stimmen Kolumnentitel und Kapitelüberschrift überein.
Mariä Reinigung
18 Mal 3,1–4
28.01.1703, Allstedter Schloss
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
11 Hier
4. Sonntag nach dem hohen Neuen Jahr
17 Röm 13,8–10
421
05.04.1703, Allstedter Schloss 06.04. und / oder 07.04.1703, Allstedter Schloss
Judica
Palm=Sonntag
26 Hebr 9,11–15
27 Phil 2,5–11
28 1 Kor 11,23–32 Grüne[r] Donnerstag
29 Lk 22,1–23,56
Kurtze Anmerckungen bey der lesung der Paßions= Historie Aus dem Evangelisten Luca
01.04.1703, Allstedter Schloss
Laetare
25 Gal 4,21–31
25.03.1703, Allstedter Schloss
18.03.1703, Allstedter Schloss
11.03.1703, Allstedter Schloss
Oculi
24 Eph 5,1–9
Datierung und Lokalisierung
Tag im Kirchenjahr
Nr. Predigttext
Fundstelle VJC 219–229
VJC 229–241
VJC 241–253
VJC 253–264
VJC 264–279
VJC 279–310
Disposition „Wir werden alles diß aus der epistel umständlicher bedencken / nemlich Die wahre lichts=geburt oder die neue lichte natur aus GOtt / und zwar I. Ihren grund / II. Ihre art / III. Ihre Frucht.“ (VJC 221 f) „Wird also ein jeder auch ietzund wohltun / wenn er achtung giebt nach Pauli beschreibung auff Die kennzeichen der alten und neuen natur / und zwar I. Auff ihrer beyder herkommen / II. Verhalten / III. Ausgange.“ (VJC 231) „Den würcklichen eingang der gläubigen ins heiligthum zu GOtt / und zwar I. Womit / II. Wodurch / III. Wozu er geschehen müsse.“ (VJC 244) „Es ist darinn [in der Epistel] vorgelegt Die Erniedrigung und erhöhung der glieder mit dem haupte.“ (VJC 256) „Wir wollen itzund gantz einfältig von Dem wahren abendmahl betrachten I. Die stifftung / II. Die zubereitung / III. Die würckung.“ (VJC 267) Homilie zur Lukas-Passion
422 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Erste[r] Oster= Tag[]
II. Oster=Tag[]
III. Oster=Tag[]
Quasimodogeniti
Misericordias Domini
Jubilate
Cantate
30 1 Kor 5,6–8
31 Apg 10,34–43
32 Apg 13,36–47
33 1 Joh 5,4–10
34 1 Petr 2,21–25
35 1 Petr 2,11–20
36 Jak 1,17–21
06.05.1703, Allstedter Schloss
29.04.1703, Allstedter Schloss
22.04.1703, Allstedter Schloss
15.04.1703, Allstedter Schloss
10.04.1703, Allstedter Schloss
09.04.1703, Allstedter Schloss
08.04.1703, Allstedter Schloss
VJC 310–322
VJC 323–335
VJC 335–342
VJC 342–355
VJC 355–376
VJC 376–388
VJC 388–399
„Lasset uns feyren oder ostern halten / nicht in alten sauerteig / wie wir denn daraus bemercken wollen: Das rechte Fest der aufferstehung Christi / I. Dessen Grund / und denn wie es bestehet II. In Erledigung von dem Alten / und III. In Erfüllung mit dem neuen Leben oder Sinn.“ (VJC 313) „Es soll nemlich daraus [der Epistel] vorgeleget werden Die wahrhafftige erkäntniß Christi nach ihrer I. Nothwendigkeit / II. Möglichkeit / III. Seligkeit / IV. Gewißheit.“ (VJC 325) „Wir wollen also bey der Göttlichen ordnung zum ewigen leben bedencken / wie dasselbe I. erworben und II. angetragen ist / III. von etlichen verworffen[,] von andern angenommen wird.“ (VJC 338) „So möget ihr denn nun recht gründlich [aus der Epistel] lernen Der wahren kinder Gottes neues leben / und also insonderheit I. Ihren gewissen glauben / II. Ihren würcklichen sieg / III. Ihre stete unterhaltung.“ (VJC 344 f) „Zu dessen bekräftigung und unser auffmunterung / lehre uns der Geist JEsu ietzt aus den Apostolischen zeugniß / dazu ohren und hertzen offen seyn mögen. Lasset uns beschauen das bild JEsu in der seele als des hirten an den schaafen / wie es I. Gegründet / II. Gebildet wird.“ (VJC 357) „Denn der text weiset uns Eines geistlichen pilgrams verhalten I. Gegen GOtt / und II. Den Nechsten.“ (VJC 379) „Die allerhöchste Gabe der neuen natur / welche I. Von GOtt geschaffen / II. Von menschen aber entweder verhindert oder gefördert wird.“ (VJC 391)
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
423
Tag im Kirchenjahr
Rogate
Himmelfahrts= Tag[]
Exaudi
I. Pfingst=Tag[]
II. Pfingst= Tag[]
III. Pfingst= Tag[]
Nr. Predigttext
37 Jak 1,22–27
38 Apg 1,1–11
39 1 Petr 4,7–12
40 Apg 2,1–13
41 Apg 10,42–48
42 Apg 8,14–17 29.05.1703, Allstedter Schloss
28.05.1703, Allstedter Schloss
27.05.1703, Allstedter Schloss
20.05.1703, Allstedter Schloss
17.05.1703, Allstedter Schloss
13.05.1703, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung
VJC 410–423
VJC 423–435
„Die ersten stuffen zur himmelfahrt mit Christo / nemlich I. Den ersten gehorsam / II. Das neue leben / III. Die krafft des Heil. Geistes.“ (VJC 413) „Den ausfluß des heil. Geistes bey den gläubigen / I. In der liebe / II. In würcklichen dienst / III. In lobe Gottes.“ (VJC 427)
VJC 449–461
„Es ist aber Der eingang oder die thüre zum leben / nach diesem VJC 461–472 exempel I. Die annehmung des worts / II. Ernstes gebeth / III. Gemeinschafft des Geistes.“ (VJC 464)
„Und weil in denen ordentlichen texten nicht leicht so gar fügliche anlaß zu solcher materie ist / wie etwa in der heutigen epistel / also wollen wir daraus lernen Die offenbahrung der allerheiligsten Dreyeinigkeit durch dero hauptwürckungen bey unserm Heyl: Des Vaters im gericht / als Des Sohnes im versöhnen / Des heiligen Geistes im heiligen.“ (VJC 451 f)
VJC 435–448
VJC 399–410
„Insgemein redet GOtt mit den menschen durch sein heil. wort / und durch alles / womit er seinen heiligen willen zu erkennen giebt. Wie wir aber solcher rede Gottes annehmen / und dabey handeln sollen / das lehret die epistel. Nemlich wie wir Gottes rede zu uns I. Anhören / II. Zu hertzen nehmen / III. Und erfüllen sollen.“ (VJC 401)
„Zur mehrern beförderung solcher heilsamen selbstprüffung / bemercket mit mir aus dem text und dessen historie Die wahren kennzeichen des empfangenen H. Geistes / wie sie zusehen sind I. An dem hertzen selbst / II. An der empfahung / III. An der würckung.“ (VJC 438)
Fundstelle
Disposition
424 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Fest der heiligen Dreyeinigkeit
1. Sonntag nach Trinitatis
2. Sonntag nach Trinitatis
3. Sonntag nach Trinitatis
Johannis=Tag[]
4. Sonntag nach Trinitatis
43 Röm 11,33–36
44 1 Joh 4,16–21
45 1 Joh 3,13–18
46 1 Petr 5,6–11
47 Jes 40,1–15
48 Röm 8,18–23
01.07.1703, Allstedter Schloss
24.06.1703, Allstedter Schloss
24.06.1703, Allstedter Schloss
17.06.1703, Allstedter Schloss
10.06.1703, Allstedter Schloss
03.06.1703, Allstedter Schloss
VJC 472–482
VJC 493–505
VJC 505–517
VJC 517–530
VJC 531–543
„Lasset uns also im hertzen immerfort schreyen und stöhnen / ihr lieben / damit uns der Geist der liebe begegne und alles verkündige / wenn wir ietzo weiter hören werden / was das äussere wort in der epistel anweiset: nemlich Das rechte leben in der liebe / und Den gewissen tod in dem haß.“ (VJC 496) „So mercken wir nun dißmahl Die tägliche Erlösung von dem übel / I. Der hoffart / II. Der Sorgen / III. Der versuchung / und endlich IV. Von allem übel.“ (VJC 507 f) „Und wir wollen uns daraus [der Epistel] vorstellen Den einigen wahren trost der seelen / bestehend in I. Versöhnung / II. Vereinigung / und III. Verherrlichung.“ (VJC 520) „Die verwandelung der leiden in die herrlichkeit.“ (VJC 533)
„Denn der liebes=prediger Johannes legt uns solche kennVJC 482–493 zeichen vor / die an unserm täglichen wandel müssen offenbahr werden / also daß wir nicht leicht fehlen können / wenn wir nur eifferig seyn in diesem beruff der liebe. Wir wollen also nach der handleitung des Geistes besehen / und zwar ohne eintheilung bloß nach den textes worten Den rechten Character oder das bild Gottes im Menschen.“ (VJC 484)
„Die ewige Gottheit als den ursprung I. Aller weißheit / II. Aller fülle und reichthümer / III. Ja aller dinge.“ (VJC 475)
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
425
5. Sonntag nach Trinitatis
Mariä Heimsuchung
6. Sonntag nach Trinitatis
7. Sonntag nach Trinitatis
8. Sonntag nach Trinitatis
9. Sonntag nach Trinitatis
50 Jes 11,1–5
51 Röm 6,3–11
52 Röm 6,19–23
53 Röm 8,12–17
54 1 Kor 10,6–13
Tag im Kirchenjahr
49 1 Petr 3,8–15
Nr. Predigttext
05.08.1703, Allstedter Schloss
29.07.1703, Allstedter Schloss
22.07.1703, Allstedter Schloss
15.07.1703, Allstedter Schloss
02.07.1703, Allstedter Schloss
08.07.1703, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung Fundstelle VJC 544–555
VJC 556–569
VJC 569–582
VJC 583–594
VJC 595–606
VJC 607–620
Disposition „Laßt uns vernehmen / welch ein richtiger weg zu solchem heil uns vorgeschlagen wird / da wir aus Petri worten erkennen Den segen wahrer Christen / so wohl Vor sie selbst als Vor andere.“ (VJC 546) „Da werden wir nun erkennen lernen CHristum als den weinstock mit seinen reben nach ihrer I. Pflantzung. II. Begiessung und III. Frucht.“ (VJC 558) „So wird Christus über todte und lebedige HErr. Wie dieses alles ferner aus der epistel erhellet / daraus uns vorkommt JEsus Christus / der HErr über I. Todte / und II. Lebendige.“ (VJC 572) „Denn es sol unsere betrachtung seyn zur gemeinen besserung Wie sich böses und gutes allezeit selbst vergilt / oder: Die vergeltung des bösen / und Guten.“ (VJC 585) „Bleibet euch aber JEsus unbekant / siehe so werdet ihr auch mit dem Vater als einem unbekanten und desto strengern richter zu thun haben. Und weil uns denn hieran alles liegt / so laßt und bey betrachtung unserer epistel auff Die bekannt= und gemeinschafft der kinder Gottes mit ihren Vater / wie dieselben I. Durch sterben / II. Ins leben / und also III. Zur bekantschafft / und IV. Gewißheit kommen.“ (VJC 597 f) „Das ist also / was wir erkennen lernen / nemlich: Das über einander halten der Geliebten / als GOttes und der seele / Wie die seele sich alles dinges enthält / und GOtt sie dabey erhält.“ (VJC 609)
426 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
10. Sonntag nach Trinitatis
11. Sonntag nach Trinitatis
12. Sonntag nach Trinitatis
13. Sonntag nach Trinitatis
14. Sonntag nach Trinitatis
15. Sonntag nach Trinitatis
55 1 Kor 12,1–11
56 1 Kor 15,1–10
57 2 Kor 3,4–9
58 Gal 3,15–22
59 Gal 5,16–24
60 Gal 5,25–6,10
16.09.1703, Allstedter Schloss
09.09.1703, Allstedter Schloss
02.09.1703, Allstedter Schloss
26.08.1703, Allstedter Schloss
19.08.1703, Allstedter Schloss
12.08.1703, Allstedter Schloss
VJC 620–631
VJC 632–644
VJC 644–659
VJC 659–671
VJC 672–684
VJC 685–697
„Die auffrichtung des neuen Jerusalem in der seele / und zwar I. Den baumeister / II. Den bau / III. Dessen gebrauch.“ (VJC 623) Summa (aus Sir 1,13): „GOtt lieben ist die aller schönste weißheit: Und wer sie ersiehet / der liebet sie: Denn er siehet / welch groß wunder sie thut.“ (VJC 631) „Und wir wollen zu dem ende ietzund aus der Epistel zu hertzen nehmen Das Evangelium von JEsu CHristo / Und zwar I. Dessen Ankündigung II. Fassung und III. Wirkung.“ (VJC 634) „Deswegen uns diese gelegenheit gar bequem fället / daß wir aus der heutigen epistel mit einander betrachten den unterscheid des buchstabens und Geistes / und zwar von einem jeden so wohl Das wesen oder die sache selbst / als auch Ihren ausdruck oder vortrag / und endlich Die folge oder frucht.“ (VJC 646) „Diß ist die summa und der sinn der heutigen Lection / nemlich Die unverbrüchliche verheissung Gottes in Christo / wie sie I. Von GOtt gegeben / II. Durchs gesetz nicht auffgehoben / sondern III. Durch die gnade erfüllet wird.“ (VJC 662) „[…] zu dem ende forschet mit mir vor dißmal zu einer seligen unterweisung aus der Epistel Den unterscheid des fleischlichen und geistlichen lebens. Mercket dabey von beyderley so wol Das leben selbst als dessen Innerliche bewegungen und dann Die äusserlichen wirckungen.“ (VJC 674) „Und also soll ietzo die rede seyn Das wort der gedult JESU / wie es zubewahren ist in JEsu Sanfftmuth / Demuth / und Mittheiligkeit.“ (VJC 687)
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
427
16. Sonntag nach Trinitatis
Michaelis Tag[]
17. Sonntag nach Trinitatis
18. Sonntag nach Trinitatis
19. Sonntag nach Trinitatis
20. Sonntag nach Trinitatis
62 Offb 12,7–12
63 Eph 4,1–6
64 1 Kor 1,4–9
65 Eph 4,22–28
66 Eph 5,15–21
Tag im Kirchenjahr
61 Eph 3,13–21
Nr. Predigttext
21.10.1703, Allstedter Schloss
14.10.1703, Allstedter Schloss
07.10.1703, Allstedter Schloss
30.09.1703, Allstedter Schloss
29.09.1703, Allstedter Schloss
23.09.1703, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung VJC 697–708
VJC 708–720
„So mercket nun mit einfältigen hertzen auff das grosse geheimniß der Inwohnung Christi in der seele / nach den Zugang dazu / seinen Eingang / und den Aushang oder ausbruch und wirckung.“ (VJC 699) „Nun wem es rechter ernst ist / der lerne mit mir aus dem vortrefflichen gesichte Johannis zur stärckung und auffmunterung erkennen Den Streit und sieg der gläubigen.“ (VJC 711)
VJC 731–741
VJC 742–753
VJC 753–765
„Zur abermahligen auffmunterung / wollen wir aus der Epistel überlegen: Wie die erkäntniß CHristi zwar selig / Aber die gemeinschafft CHristi noch Weit seliger sey.“ (VJC 733) „Und nach solchen grund / darauff uns der heilge Geist JEsu stets weiset / laßt uns nun sehen aus dem text Den bau des innern tempels / und zwar I. Die einreissung des alten / II. Die auffbauung des neuen.“ (VJC 745) „An diesen Göttlichen grund und brunnquell lasset uns stets zurück dencken / und unsern glaubens=mund begierig daran legen und saugen / wenn wir ietzo aus der Epistel vernehmen werden Der Christen wahre weißheit / In ansehung I. GOttes / II. Der zeit / III. Aller creaturen.“ (VJC 757)
VJC 720–731 „Darum lasset uns auch ietzo bey solchen ruff vernehmen / was der Geist der gemeine saget Von der höchsten glückseligkeit / nemlich Der vereinigung Mit GOtt Und Menschen. Bey dem ersten wird im text klar gemeldet / wie die vereinigung geschehe. Aus dem Vater / In dem Sohn / Durch den Heiligen Geist / Zu einen neuen leben und wesen.“ (VJC 723)
Fundstelle
Disposition
428 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Anmerckung zu dem Eingang / über die Worte Psalm. 85.
21. Sonntag nach Trinitatis
22. Sonntag nach Trinitatis
23. Sonntag nach Trinitatis
24. Sonntag nach Trinitatis
[Ps 85
67 Eph 6,10–17
68 Phil 1,3–11
69 Phil 3,17–21
70 Kol 1,9–14
18.11.1703, Allstedter Schloss
11.11.1703, Allstedter Schloss
04.11.1703, Allstedter Schloss
28.10.1703, Allstedter Schloss
21.10.1703 (?), Allstedter Schloss
VJC 768–783
VJC 783–795
VJC 795–807
VJC 807–817
„Schreyet zu GOtt immer heimlich / wenn von aussen ietzo erinnert wird und vorgestellet Die überwindung des feindes in der seele Und zwar I. Der feind / II. Die waffen / III. Die überwindung.“ (VJC 771) „Zu dem ende wollen wir die epistel zum muster nehmen / und daraus sehen / was zubedencken sey von unsern zustand und zwar in ansehung I. Des vergangenen / II. Gegenwärtigen / und III. Zukünfftigen.“ (VJC 786) „Dazu leget die weißheit Gottes und beyderley vor / damit wir lernen / als kinder / uns prüfen und das beste wehlen. Wie denn in der Epistolischen Lection sich klar zeigen wird Der Irrdische und Himmlische wandel: mit ihrer beyderley Art und ausgang.“ (VJC 798) „Es ist uns aber in der sonntags=epistel die art deutlich vorgelegt / wie wir uns gegen die dargereichte gnade verhalten müssen / daß nemlich Des Vaters liebe in dem Sohn der liebe / I. Von ihm geschenket / II. Von uns gegessen [sic!] / III. Und recht angewandt werde.“ (VJC 809)
VJC 765–768]
2. Die Verklärung Jesu Christi (1704)
429
430
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
3. Die Evangelische Botschafft (1706) Die Datierung der in der Evangelischen Botschafft von 1706 enthaltenen Predigten erweist sich als schwierig. Ausweislich Arnolds Vorrede sind alle in der Botschaft versammelten Predigten Allstedter Predigten. Arnold weilt – wie bereits erwähnt – von Januar 1702 bis zum Frühsommer 1705 auf dem Schloss, seine Abschiedsrede hält er am Sonntag Exaudi 1705 (24.05.1705), die auf den 31. Juli datierte Vorrede zur Botschafft ist schon in Werben lokalisiert. Arnold hat damit die Kirchenjahre 1701/1702 und 1704/1705 nur teilweise, die Kirchenjahre 1702/1703 und 1703/1704 komplett absolviert. Unter der Voraussetzung, dass Arnold 1702/1703 die Epistelpredigten zur Veröffentlichung gesammelt hat, um diese unmittelbar nach dem Ende des Kirchenjahres nebst einer Vorrede herauszugeben, die Evangeliumspredigten also nicht aus dem gleichen Jahr stammen, und gesetzt den Fall, dass die Abfolge der Predigten in der Postille Rückschlüsse auf die tatsächliche Abfolge der Predigten im Kirchenjahr zulässt, ergeben sich folgende Überlegungen. Die Predigten vom 1. Advent bis zum Sonntag Exaudi könnten aus dem Kirchenjahr 1704/1705 stammen, denn die Abfolge der um den Jahreswechsel herum abgedruckten Predigten weist ein markantes Profil auf: 1. III. Weihnachtsfeiertag (27.12.) 2. „Am Sonntage nach dem Christtage / oder am Tage der unschuldigen Kindlein“ (28.12.) 3. „Am Neujahrstag“ (01.01.) 4. „Am Sonntag nach dem Neuenjahr“ 5. „Am Fest der Erscheinung Christi / oder hohen Neuenjahre“ (06.01.) 6. „Am I. Sonntag nach dem hohen Neuenjahr“ 7. „Am II. Sonntag nach dem hohen Neuenjahr“ 8. „Am III. Sonntag nach dem hohen Neuenjahr“ 9. „Am IV. Sonntag nach dem hohen Neuenjahr“ 10. „Am tage Mariä Reinigung oder Lichtmeß“ (02.02.) Auffällig sind das Zusammenfallen des Sonntags nach Weihnachten und des unbeweglichen Tags der unschuldigen Kinder (28.12.), eine eigene Sonntagspredigt zwischen Neujahr und Hochneujahr (Epiphanias), sowie die lange Epiphaniaszeit bis Mariä Lichtmess (02.02.). Dieses Profil weist nur das Kirchenjahr von 1704/1705 auf. Auch die Platzierung der Predigt zu Mariä Verkündigung (25.03.) zwischen den Predigten zu Laetare und Iudica spricht für das Kirchenjahr 1704/1705, als diese Fastensonntage auf den 22.03.1705 und 29.03.1705 fielen. Diese Predigtsequenz ließe sich dann hypothetisch bis zum Sonntag Exaudi verlängern, an dem Arnold eine Abschiedsrede – es handelt sich keineswegs um eine
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
431
Predigt! –12 in Allstedt gehalten hat, in der er Bezug auf die Predigt jenes Sonntags nimmt, nämlich das „elende[] tractament seiner jünger und deren nachfolger in dieser argen welt“,13 wie er es in der (in der Postille abgedruckten Predigt) zu Exaudi zu Joh 15,26 f; 16,1–4 dargestellt hat, zu der die Disposition lautete: „Massen wir denn nun nacheinander gewahr werden mögen Das Tractament der gläubigen so wohl von GOTT / als der Welt.“14 Wenn man also annehmen möchte, dass Arnold sofort nach seinem Amtswechsel die Publikation in Angriff genommen hat, lassen sich die Predigten von Weihnachten, aber wahrscheinlicher noch die Predigten vom ersten Advent, bis Exaudi in das Kirchenjahr 1704/1705 datieren. Es ergibt sich gleichwohl eine Schwierigkeit in der Datierung: Der „V. Sonntag nach dem hohen Neujahr“, d. h. Epiphanias, ist nur in Arnolds erstem Allstedter Jahr, nämlich am 05.02.1702, vorgesehen. Auch im Kirchenjahr 1704/1705, das hier für die Predigten präferiert wird, würde auf Mariä Lichtmess unmittelbar Septuagesimae folgen. Die Einfügung einer solchen Predigt in die Chronologie von 1705 könnte der Komplettierung des Kirchenjahres dienen, wäre also aus editorischen Gründen erfolgt.
Wie steht es nun aber um die Predigten zwischen Pfingsten, dem Sonntag nach Exaudi, bis zum 27. Sonntag nach Trinitatis? Sie dürften auf Predigten aus dem Kirchenjahr 1703/1704 zurückgehen, denn der Johannistag (24.06.) fällt nur im Jahr 1704 zwischen den 5. (22.06.1704) und 6. Sonntag (29.06.1704) nach Trinitatis, dementsprechend ist auch Mariä Heimsuchung (02.07.1704) korrekt zwischen 6. (29.06.1704) und 7. Sonntag nach Trinitatis (06.07.1704) platziert. Zudem weist nur das Kirchenjahr von 1703/1704 27 Sonntage nach Trinitatis auf, zu denen allesamt eine Predigt in der Botschafft enthalten ist. Die Predigten zwischen Pfingsten und dem Ende des Kirchenjahres dürften also dementsprechend aus dem Jahr 1703/1704 stammen.15 Die Predigt zum Michaelistag (29.09.) wird von Arnold hinter der Predigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis platziert. Auch diese Konstellation ergibt sich nicht im Kirchenjahr 1703/1704, das für diese Predigten präferiert wird auf, sondern nur in Arnolds erstem Allstedter Jahr: 1702 fällt der Michaelistag zwischen den 15. (24.09.1702) und 16. (01.10.1702) Sonntag nach Trinitatis. Es könnte sich aber auch um eine Fehlplatzierung 12 Wie
Dibelius, Arnold, 171 meint.
13 EBH 1321. 14 EBH 669.
15 Als sicher datierbare Sonntage ergäben sich dann in der Postille: Sonntag nach Weihnachten (Tag der unschuldigen Kindlein), 28.12.1704, Neujahrstag, 01.01.1705, Sonntag nach Neujahr, 04.01.1705, Epiphanias, 06.01.1705, 1. Sonntag nach Epiphanias, 11.01.1705, 2. Sonntag nach Epiphanias, 18.01.1705, 3. Sonntag nach Epiphanias, 25.01.1705, 4. Sonntag nach Epiphanias, 01.02.1705, Mariä Lichtmeß, 02.02.1705, [5. Sonntag nach Epihanias, 05.02.1702], Mariä Verkündigung, 25.03.1705, Predigt zu Exaudi, 24.05.1705 und Abschiedsrede, Johannistag, 24.06.1704, Mariä Heimsuchung, 02.07.1704, Michaelistag, 29.09.1704 (dann in der Botschafft fehlplatziert) oder 29.09.1702, 26. Sonntag nach Trinitatis, 19.11.1704, 27. Sonntag nach Trinitatis, 23.11.1704.
432
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
handeln, denn der Michaelistag würde im für die Trinitatispredigten präferierten Jahr 1703/1704 zwischen den 18. und 19. Sonntag fallen.
Auf dieser relativen Chronologie fußt der folgende Katalog. Die Postille enthält über die hier verzeichneten Predigten hinaus noch die erwähnte „Kurtze Abschieds=Rede / Auff dem Hoch=Fürstl. Schloß zu Allstädt“16 vom 24.05.1705, die nicht datierte „Antritts=Rede / Gehalten zu Werben in der Alten Marck Brandenburg / Bey Antrettung des Pastorats und der Insepction selbiger Diceses“17 und die Psalmenauslegung „Geheime und innige Betrachtungen der Psalmen Davids, vornehmlich auf den inneren Menschen gerichtet“,18 die Arnold von „einer gewissen person“ erhalten habe, welche auch die Geistlichen Ratschläge verfasst hatte.19
16 EBH 1321–1328. 17 EBH 1329–1336. 18 EBH 1337–1359. 19 EBH,
Nothwendige Vorerinnerung, )()(2r–)()(2v.
Mt 21,1–9
Lk 21,25–36
Mt 11,2–10
Joh 1,19–28
Lk 2,1–14
Lk 2,15–20
71
72
73
74
75
76
Nr. Predigttext
II. Weihnachtsfeyertag
Christtag / oder I. Weihnachtsfeyertag
IV. Advent= Sontag
III. Advent= Sontag
II. Advent= Sontag
I. Advent= Sontag
Tag im Kirchenjahr
26.12.1704, Allstedter Schloss
25.12.1704, Allstedter Schloss
21.12.1704, Allstedter Schloss
14.12.1704, Allstedter Schloss
07.12.1704, Allstedter Schloss
30.11.1704, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung EBH 1–16
EBH 16–32
„so wollen wir mercken Den Gehorsam des Glaubens / wie derselbe I. Von Christo gefordert / II. Vom Glauben geleistet / und III. Vom Geist versiegelt wird.“ (EBH 5) „Sol also mit diesem beding unsere anmerckung seyn: Wie der Glaube Bey aller zerstörung seine auffrichtung / und Bey der enthaltung seine befreyung findet.“ (EBH 20)
EBH 50–65
EBH 65–81
EBH 81–95
„Wir wollen also einfältig vor uns nehmen Die zuschickung der hertzen zu CHristo durch wahre Erniedrigung; und zwar / wie man nach Johannis exempel zwar I. Zur Hoffart versuchet wird / aber II. Dawieder streitet / und III. Sich zur niedrigkeit bestätigen lässt.“ (EBH 55) „[…] Die allerfrölichste botschafft von JEsu CHristo / daß er I. In unser elend kommt / II. Sich dessen annimmt / und III. Dasselbe wegnimmt.“ (EBH 70) „Sol also diß unsere bekümmernis recht im ernst dißmal allein seyn / wie wir uns bezeigen sollen bey aller der angebotenen gnade: indem wir erkennen wollen Das verhalten der glaubigen bey der frölichen botschafft von JEsu CHristo. Und weil eine seele zu handeln hat / theils mit CHristo selbst / theils mit dem ewigen Vater und dann mit andern leuten; so bedencken wir mit gutem grund das verhalten I. Gegen dem HErrn JEsu / II. Gegen dem nechsten / III. Gegen GOtt.“ (EBH 85)
EBH 32–50 „Denn wir wollen nun einfältig lernen erkennen / durch die gnade des Evangelii Das Evangelium der armen / welche dasselbe I. Ausfragen / II. Erkennen / und III. Recht unterscheiden.“ (EBH 36)
Fundstelle
Disposition
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
433
Joh 21,15–24
Mt 2,13–23
Lk 2,21
Lk 2,33–40
Mt 2,1–12
Lk 2,41–52
77
78
79
80
81
82
Nr. Predigttext
I. Sontag nach dem hohen Neuenjahr
11.01.1705, Allstedter Schloss
Fest der 06.01.1705, Erscheinung Allstedter Christi / oder Schloss hohe[s] Neuenjahr[]
EBH 159–179
EBH 179–197
„Diesem nach bemercket mit mir in allem ernst an dieser geschicht Die ersten kräffte des neuen lebens JEsu / und der ordnung halber sehet an I. Das leben selbst II. Dessen krafft.“ (EBH 184)
EBH 142–159
„Und weil uns dieses alles zu grosser nachricht in der täglichen praxi dienen kann / so wird es gut seyn zu mercken / Wie das Evangelium und CHristus selbst gerathen kann so wol Zum fall / als Zur aufferstehung.“ (EBH 146) „Kommet demnach / und sehet an dem exempel der weisen mit mir einfältig Die beste führung GOttes / I. Von der eigenen zur Göttlichen weisheit / II. Von der hoheit zur niedrigkeit / III. Vom verderben zur errettung.“ (EBH 164 f)
EBH 127–142
„Also wollen wir in GOttes namen bedencken Die weise verEBH 110–126 bergung und verwahrung des lebens JEsu / und dabey insonderheit anmercken I. Die verbergung selbst / II. Die ursachen derselben / und III. Die bewahrung oder erhaltung.“ (EBH 114)
28.12.1704, Allstedter Schloss
„So wird uns auch dißmal unter allem neid und schnauben der bösen welt nicht gereuen / vernommen und angenommen zu haben Das Evangelium von dem glauben in den namen JEsu / nach dessen I. Ewigen grund / II. Prüfung der zeit und III. Seligen gebrauch.“ (EBH 130 f)
EBH 95–110
„Darum sol nun die rede eigentlich seyn von dem Genuß der botschafft von JEsu CHristo / nach ihrem I. Anfang / II. Fortgang / III. Hindernissen / und IV. Bekräfftigung.“ (EBH 99)
27.12.1704, Allstedter Schloss
01.01.1705, Allstedter Schloss
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
Sontag nach 04.01.1705, dem Neuenjahr Allstedter Schloss
Neujahrstag
Sonntag nach dem Christtage / oder am Tage der unschuldigen Kindlein
III. Weihnachtsfeyertag
Tag im Kirchenjahr
434 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Joh 2,1–11
Mt 8,1–13
Mt 8,23–27
Lk 2,22–32
Mt 13,24–30
Mt 20,1–16
83
84
85
86
87
88
Septuagesimae
V. Sontag nach dem hohen Neuenjahr
Mariä Reinigung oder Lichtmeß
IV. Sontag nach dem hohen Neuenjahr
III. Sontag nach dem hohen Neuenjahr
II. Sontag nach dem hohen Neuenjahr
EBH 197–213
EBH 213–232
EBH 232–247
„In dergleichen ungefälschtem sinn lernet mit mir Das auffsehen des glaubens auff JEsum / Wie es I. Durch liebe gereitzet / II. Durchs creutz geprüfet / III. Durch gehorsam geübet / Und endlich IV. Durch fülle gekrönet wird.“ (EBH 201) „Wir wollen demnach einfältig bedencken Die frucht des glaubens und des unglaubens: Nemlich wie GOtt den glauben annehme und gleichsam ehre / aber den unglauben beschäme und verwerffe.“ (EBH 218) „Wir lassen uns also nicht befremden / wenn wir im Evangelio die jünger in solcher schwachheit antreffen; sondern lernen vielmehr daraus diese hochnöthige lection, Wie der glaube Zwar I. CHristo folget / Aber II. Versuchet / Und doch III. Gestärcket wird.“ (EBH 236)
25.01.1705, Allstedter Schloss 01.02.1705, Allstedter Schloss
EBH 266–282
EBH 282–301
„Massen auch das Evangelium uns anlaß gibt zu behertzigen / GOttes und des satans werck in uns unter den menschen.“ (EBH 271) „Und wird also diß wol das beste seyn / was wir aus dem tieffgrundenden gleichnis CHristi durch des Heil. Geistes gnade nehmen können / nemlich Das einfältige auge des glaubens I. Bey der Arbeit. II. Bey der belohnung.“ (EBH 287)
05.02.1702 (?), Allstedter Schloss 08.02.1705, Allstedter Schloss
EBH 247–266
„Zu solchem ende behertzigen wir in rechtem ernst / und nicht zum schein nur / aus dem text Die übergabe an GOtt zu einem seligen hingang: Und mercken dabey so wol was auff unserer / als was auff GOttes seiten dabey geschehen müsse.“ (EBH 251)
02.02.1705, Allstedter Schloss
18.01.1705, Allstedter Schloss
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
435
Tag im Kirchenjahr
Sexagesimae
Fastnachts= Sontag / sonst Quinquagesimae oder Esto mihi genant
Quadragesimae oder Invocavit
Reminiscere
Oculi
Laetare
Nr. Predigttext
89 Lk 8,4–15
90 Lk 18,31–43
91 Mt 4,1–11
92 Mt 15,21–28
93 Lk 11,14–28
94 Joh 6,1–15
22.03.1705, Allstedter Schloss
15.03.1705, Allstedter Schloss
08.03.1705, Allstedter Schloss
01.03.1705, Allstedter Schloss
22.02.1705, Allstedter Schloss
15.02.1705, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung Fundstelle EBH 301–321
EBH 322–341
EBH 341–359
EBH 359–376
EBH 377–395
EBH 395–412
Disposition „Wir wollen dahero einfältiglich nach CHristi exempel (der auch so einfältig mit gleichnissen geredet hat) bedencken Den Göttlichen samen / wie er I. Nach dem empfang / II. Durch versuchungen der furcht und lust III. Endlich zur frucht gedeyen muß.“ (EBH 304 f) „Wer aber dazu geneigt ist / der lerne mit mir ein wenig erkennen Das geheimnis der leiden JEsu / so fern es I. Von CHristo angekündigt / II. Von den menschen nicht verstanden / und also III. Mit erleuchteten augen nur erkannt wird.“ (EBH 326) „Demnach wollen wir uns begnügen lassen / in einfalt des hertzens zu bemercken Den streit in den versuchungen CHristi und seiner glieder / nach dessen I. Anfang / II. Fortsetzung / und III. Ende.“ (EBH 346) „Wir finden ein augenscheinlich exempel an der person im text: nach dessen umständen wir also ansehen wollen Den glauben als GOttes krafft / von welchem er I. Erwecket / II. Geprüfet / und III. Angenommen wird.“ (EBH 363) „Wer diesen sinn ohne falsch nach Christo JEsu begehret / der wird auch willig und geschickt seyn / mit kennen zu lernen Das reich des satans / sowol wie es befestiget / als auch / wie es zerstöret werde.“ (EBH 382) „In solchem absehen mag uns dienlich seyn / uns selbst durch den Heil. Geist vorzustellen Den rechten zehrpfennig im leben und sterben: wie man dabey sol I. Sich bußfertig enthalten / II. An CHristum glauben / III. Dem Vater dancken / IV. Sammeln und bewahren.“ (EBH 400 f)
436 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Judica
Palm=Sontag
Grüne[r] Donnerstag
Charfreytag
Erste[r] Ostertag[]
96 Joh 8,46–59
97 Mt 21,10–17
98 Joh 13,1–15
99 Jes 52,13–15; 53,1–1320
100 Mk 16,1–8 12.04.1705, Allstedter Schloss
10.04.1705, Allstedter Schloss
09.04.1705, Allstedter Schloss
05.04.1705, Allstedter Schloss
29.03.1705, Allstedter Schloss
25.03.1705, Allstedter Schloss
EBH 413–431
EBH 450–465
EBH 466–481
EBH 482–497
EBH 497–515
„Die drey haupt=vorurtheile wider Christum / als erstlich von seiner unbekantheit wider sein prophetisch amt / hernach von seiner strengigkeit wider sein königlich amt / und endlich von seiner verächtlichkeit wider sein hohespriesterhum.“ (EBH 454 f) „Aber last uns nunmehro aus dem text selber sehen Das werck der abwaschung von den sünden / nach dessen I. Ursprung II Hindernissen. und III. Früchten.“ (EBH 470) „Auff das einfältigste wollen wir aus diesen hochtheuren weissagungen betrachten Unsers verklärten HErrn JEsu leiden / wie es zwar I. Nicht erkannt / und II. Doch ausgeführet / auch III. Erklärt wird.“ (EBH 487) „Mag also unsere hauptsache vor dißmal seyn Der lebendige Heiland JEsus CHristus / wie er I. Vom unglauben vor todt gehalten / aber II. Vom glauben lebendig befunden wird.“ (EBH 502)
EBH 431–450 „Von dem streitenden und siegenden wort / Christo JEsu / wie es bestreitet und besieget I. Im willen die unheiligkeit durch seine heiligkeit. II. Im verstand die taubheit durch seine vernehmlichkeit. III. In den affecten den tod durch sein leben.“ (EBH 436)
„Der folgende bericht wird’s klar machen / welchen wir um der ordnung willen also eintheilen wollen / daß wir vor uns nehmen Das geheimnis der empfängnis CHristi / wie es zwar I. Liebreich vorgetragen / aber II. Unwissend abgelehnt / und doch III. Glaubig angenommen wird.“ (EBH 418)
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
20 Arnold weist in der Predigt auf die Besonderheit hin, dass er einen alttestamentlichen Text anstatt des Evangeliums predigt: „[…] zumahl da der Prophet den gantzen lebenslauff CHristi so umständlich und deutlich beschreibt / als ihn fast kein Evangelist N. Test. nach seinen geheimnissen vorgelegt hat“ (EBH 485).
Mariä Verkündigung
95 Lk 1,26–38
437
Zweite[r] Ostertag[]
Dritte[r] Ostertag[]
Quasimodogeniti
Misericordias Domini
Jubilate
Cantate
Rogate oder Vocem Jucunditatis
Fest der Himmelfahrt Christi
102 Lk 24,36–47
103 Joh 20,19–31
104 Joh 10,12–16
105 Joh 16,16–23
106 Joh 16,5–15
107 Joh 16,23–30
108 Mk 16,14–20
Tag im Kirchenjahr
101 Lk 24,13–35
Nr. Predigttext
Fundstelle EBH 515–537
EBH 537–550
EBH 550–569
EBH 569–588
EBH 588–606
EBH 606–625
EBH 626–643
EBH 643–663
Disposition
„Die ordnung des hertzens durch CHristum / wie sie geschicht durch seine worte und wercke.“ (EBH 539) „Nun so wollen wir auch in diesem sinn und vorsatz ansehen die macht JEsu CHristi / welche er beweiset I. an seiner / und II. an unserer seiten.“ (EBH 555) „Mercket also mit mir an: Welches CHristi rechte schaffe seyn / und welche nicht?“ (EBH 574) „Von der angst=geburt zum leben. Dabey also I. Die geburt / und II. Das leben zu bedencken vorkommt.“ (EBH 593) „Von dem geist des Evangelii als einem geist I. Der zucht / II. Der krafft / III. Der liebe.“ (EBH 611) „Die übung des gebets I. Im Glauben. II. Liebe. und III. Hoffnung.“ (EBH 630) „Die zurechtbringung der menschen I. Durch Bestraffen / II. Lehren / und III. Würcklich helffen.“ (EBH 649)
10.05.1705, Allstedter Schloss 17.05.1705, Allstedter Schloss 21.05.1705, Allstedter Schloss
03.05.1705, Allstedter Schloss
26.04.1705, Allstedter Schloss
19.04.1705, Allstedter Schloss
14.04.1705, Allstedter Schloss
13.04.1705, Allstedter Schloss
„Und wird es also keine leere oder vergebliche betrachtung seyn / die wir jetzo durch den Heiligen Geist anstellen werden / von der todten und lebendigen erkäntnis CHristi.“ (EBH 521)
Datierung und Lokalisierung
438 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Exaudi
Erste[r] Pfingst=Tag[]
Ander[er] Pfingst= Feyertag
Dritte[r] Pfingsttage
Fest der H. Dreyeinigkeit [auch „Trinitatis= Fest“]
I. Sontag nach Trinitatis
II. Sontag nach Trinitatis
III. Sontag nach Trinitatis
109 Joh 15,26 f; 16,1–4
110 Joh 14,23–31
111 Joh 3,16–21
112 Joh 10,1–10
113 Joh 3,1–15
114 Lk 16,19–31
115 Lk 14,16–24
116 Lk 15,1–10
08.06.1704, Allstedter Schloss
01.06.1704, Allstedter Schloss
25.05.1704, Allstedter Schloss
18.05.1704, Allstedter Schloss
13.05.1704, Allstedter Schloss
12.05.1704, Allstedter Schloss
11.05.1704, Allstedter Schloss
24.05.1705, Allstedter Schloss
EBH 663–681
EBH 682–703
EBH 704–722
EBH 722–740
EBH 740–762
EBH 763–781
EBH 781–799
EBH 800–821
„Das tractament der gläubigen so wohl von GOTT / als der welt.“ (EBH 669) „Die höchste seligkeit in der liebe zu GOtt; und zwar I. Die Liebe / II. Die Seligkeit derselben.“ (EBH 687) „Wie GOtt dem menschen begegne / und wie der mensch GOtt begegne.“ (EBH 709) „Die wahre und falsche führung der seelen.“ (EBH 727)
„Der neuen geburt I. Nothwendigkeit / II Natur. und III. Leben oder frucht.“ (EBH 746)
„Deswegen wollen wir vor uns nehmen Den unterscheid der gerechten und ungerechten I. In diesem= und II. In jenem leben.“ (EBH 767 f) „Das offene hertz GOttes / Und das zugeschlossene hertz der menschen.“ (EBH 787) „GOttes langmuth gegen arme sünder I. Im suchen / II. Finden / und III. Auffnehmen.“ (EBH 804)
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
439
IV. Sontag nach Trinitatis
V. Sontag nach Trinitatis
Johannistag
VI. Sontag nach Trinitatis
Mariä Heimsuchung
VII. Sontag nach Trinitatis
VIII. Sontag nach Trinitatis
IX. Sontag nach Trinitatis
118 Lk 5,1–11
119 Lk 1,57–80
120 Mt 5,20–26
121 Lk 1,39–56
122 Mk 8,1–9
123 Mt 7,15–23
124 Lk 16,1–921
Tag im Kirchenjahr
117 Lk 6,36–42
Nr. Predigttext
20.07.1704, Allstedter Schloss
13.07.1704, Allstedter Schloss
06.07.1704, Allstedter Schloss
02.07.1704, Allstedter Schloss
29.06.1704, Allstedter Schloss
24.06.1704, Allstedter Schloss
22.06.1704, Allstedter Schloss
15.06.1704, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung
EBH 859–883
EBH 883–906
EBH 906–928
EBH 929–949
EBH 949–969
„Was aus den kindern des neuen bundes werde? Darauff die antwort aus dem lobgesang ist: Es werden I. Erlösete / II. Erfahrene / und III. Geheiligte kinder.“ (EBH 866) „Und also betrachtet in dem licht des allsehenden / auge [sic!] mit mir Die verwerffung der falschen= Und behauptung der wahren gerechtigkeit.“ (EBH 889) „Die gnädige heimsuchung JEsu Christi bey glaubigen seelen durch I. seine Auffmunterung / II. Gemeinschafft / III. Demüthigung / und IV. Erfüllung.“ (EBH 912) „Also wollen wir in dessen [des Evangeliums] licht und krafft mit einander erwegen Wie bey Christo nichts mangele: Und zwar I. Wem nichts mangele / II. Warum nichts mangele / und III. Was denn nicht mangele.“ (EBH 934) „Die menschliche verführung und Die Göttliche zurechtweisung.“ (EBH 954)
EBH 969–990
EBH 840–859
„Den wandel nach GOttes beruff: wie seyn muß I. Nicht eigenwillig / sondern II. Von GOtt herrührend / und III. Zu GOtt wieder führend.“ (EBH 845)
„Die rechte und unrechte klugheit: I. Die unrechte an dem ungerechten haußhalter / II. Die rechte an einem gerechten.“ (EBH 974)
Fundstelle EBH 821–840
Disposition „Das regiment der liebe / so sich beweiset I. Im erbarmen / II. Im nicht=richten.“ (EBH 826)
440 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
XII. Sontag nach Trinitatis
XIII. Sontag nach Trinitatis
XIV. Sontag nach Trinitatis
XV. Sontag nach Trinitatis
Michaelis=Fest
XVI. Sontag nach Trinitatis
127 Mk 7,31–37
128 Lk 10,23–37
129 Lk 17,11–19
130 Mt 6,24–34
131 Mt 18,1–11
132 Lk 7,11–17
07.09.1704, Allstedter Schloss
29.09.1704 (?), Allstedter Schloss
31.08.1704, Allstedter Schloss
24.08.1704, Allstedter Schloss
17.08.1704, Allstedter Schloss
10.08.1704, Allstedter Schloss
03.08.1704, Allstedter Schloss
als Lk 10,1–9 ausgewiesen.
XI. Sontag nach Trinitatis
126 Lk 18,9–14
27.07.1704, Allstedter Schloss
EBH 1072–1084
EBH 1085–1099
„Die stetige hinzuwendung des glaubens zu GOtt / I. Nach ihrem Anfang / II. Nach ihrer fortsetzung.“ (EBH 1075) „Die wahre seeligkeit in dem einen / I. In einem dienst / II. In einer sorge.“ (EBH 1088)
EBH 1114–1127
EBH 1051–1072
„Von der seligkeit eines rechten Christen / welche er I. Im glauben geneust / und II. Im leben beweist.“ (EBH 1058)
„Die hervorbringung des geistlichen lebens aus dem tode / und zwar I. Den vorhergehenden tod / II. Das hervorgehende leben.“ (EBH 1118)
EBH 1033–1051
„Die wiedererstattung der verlohrnen kräfften / Dabey der ordnung workommen wird I. Der Verlust. II. Die Erstattung. und III. Die Kräfften.“ (EBH 1038)
EBH 1099–1114
EBH 1012–1033
„I. Die selbst=erhebung / wie sie ist I. Ohne grund / II. Ohne lohn. II. Die selbst=erniedrigung nach ihrem I. Grund / und II. Lohn.“ (EBH 1017)
„Die wahre gemeinschafft der heiligen Engel / als ein groß theil der seligkeit / und zwar I. Die mittel / II. Die gemeinschafft selbst.“ (EBH 1103)
EBH 990–1012
„GOttes warnung vor dem zukünfftigen zorn / und [man] forsche dabey einfältig I. Warum: II. Wovor: und III. Wodurch sie geschehe.“ (EBH 996)
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
21 Fälschlich
X. Sontag nach Trinitatis
125 Lk 19,41–48
441
XVII. Sontag nach Trinitatis
XVIII. Sontag nach Trinitatis
XIX. Sontag nach Trinitatis
XX. Sontag nach Trinitatis
XXI. Sontag nach Trinitatis
XXII. Sontag nach Trinitatis
XXIII. Sontag nach Trinitatis
XXIV. Sontag nach Trinitatis
134 Mt 22,34–46
135 Mt 9,1–8
136 Mt 22,1–14
137 Joh 4,47–54
138 Mt 18,23–35
139 Mt 22,15–22
140 Mt 9,18–26
Tag im Kirchenjahr
133 Lk 14,1–11
Nr. Predigttext
02.11.1704, Allstedter Schloss
26.10.1704, Allstedter Schloss
19.10.1704, Allstedter Schloss
12.10.1704, Allstedter Schloss
05.10.1704, Allstedter Schloss
28.09.1704, Allstedter Schloss
21.09.1704, Allstedter Schloss
14.09.1704, Allstedter Schloss
Datierung und Lokalisierung Fundstelle
EBH 1127–1138
EBH 1138–1151
EBH 1152–1164
EBH 1164–1177
EBH 1178–1189
EBH 1189–1203
EBH 1204–1216
EBH 1216–1230
Disposition „Die selbst=erhebung des stoltzen hertzens I. Uber GOtt / und II. Uber menschen. Wie sie getilget wird durch Die selbst=erniedrigung I. Unter GOtt / und II. Unter menschen.“ (EBH 1131) „Die drey haupt=zustände oder grade eines menschen / wie er ist Erstlich ein Sadduceer / Hernach ein Phariseer / und dann Endlich ein Christe.“ (EBH 1141) „Die wahrhafftige wegnehmung der sünden / Wie sie I. Von Christo ausgesprochen / II. Von der vernunfft in zweiffel gezogen / III. Von Christo mit der thatt bestätiget wird.“ (EBH 1154) „[…] er [Jesus] zeiget Den genuß Göttlicher herrlichkeit / Wie er I. Angeboten / II. Ausgeschlagen / und III. Doch behauptet wird.“ (EBH 1167) „Die rechte gewißheit des glaubens / Wie sich dieselbe gründet / I. Nicht auff äusserliche zeichen / sondern II. Auff des HErrn JEsu wort / und III. Auff seine that.“ (EBH 1181) „Das Göttliche gerichte / wie man es I. Vermeiden / II. Erwecken kan. Bey der vermeidung des gerichts GOttes sehen wir aus Christi erzehlung (1) das gerichte selbst / (2) dessen strengigkeit / (3) dessen entgehung.“ (EBH 1194) „Di falsche natur / wie sie durch den HErrn JEsum gewiesen wird von der falschheit zur redlichkeit I. Gegen GOtt / II. Gegen menschen.“ (EBH 1207) „Welchen Seelen noch könne geholffen werden? Da denn nach denen im text vorkommenden exempeln der ausschlag und die antwort seyn wird / daß es geschehen könne I. Ernst brauchenden. II. Niedrig gesinneten. III. Auffrichtigen. und IV. Einfältigen seelen.“ (EBH 1220)
442 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
1703/1704?
1703/1704?
XXVII. Sontag nach Trinitatis
Eine Buß=Betrachtung vom verlohrnen Sohn
Eine [sic!] Sermon bey Begehung des Gedächtnisses CHristi im Heil. Abendmahl
144 Mt 25,1–13
145 Lk 15,11–32
146 Joh 6,32 f; 1 Kor 11,24; Mt 26,28; 1 Kor 11,16
23.11.1704, Allstedter Schloss
16.11.1704, Allstedter Schloss
XXVI. Sontag nach Trinitatis
143 Mt 25,31–46
EBH 1291–1308
EBH 1309–1320
„Die nahrung des glaubens und Die vernichtung des unglaubens und des aberglaubens bey dem Heil. Abendmahl.“ (EBH 1311)
EBH 1273–1288
Homilie zum Predigttext, drei Lectionen über die Buße
„Die thorheit der natur / und Die klugheit der gnade: jene Bey den heuchlern / diese Bey wahren Christen.“ (EBH 1278)
„Den ausgang aller menschen / so wohl guter / als böser.“ (EBH 1261) EBH 1257–1273
EBH 1244–1256
„So wohl von der gefahr unserer seelen / als auch von der rettung daraus.“ (EBH 1246)
09.11.1704 (?), Allstedter Schloss
Eine andere Predigt über dieses Evangelium auff den XXV. Sontag nach Trinitatis
142 Mt 24,15–28
EBH 1230–1244
„Von der herannahung des HErrn JEsu zur seele / I. nach der Bewegung dazu / II. nach den Hindernissen / III. nach der Erfüllung.“ (EBH 1234)
09.11.1704, Allstedter Schloss
XXV. Sontag nach Trinitatis
141 Mt 24,15–28
3. Die Evangelische Botschafft (1706)
443
444
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
4. Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707) Das Wahre Christenthum Altes Testaments vereinigt vier Corpora unter seinem Titel: 1. Eine Predigtreihe über die Genesis. Die hier versammelten Predigten weisen eine explizite Predigtdisposition auf, sind jedoch in eine systematische Ordnung eingebunden und nehmen den Ansatz der Theologia Experimentalis von 1714 insofern vorweg, als dass Arnold den Genesis-Perikopen christliche Glaubenssätze voranstellt. 2. Predigten „von besondern materien“, d. h. zu Eheschließung oder Investitur, und Leichenpredigten, 3. 110 geistliche Ratschläge aus anonymer Feder, die Traktatcharakter haben und verschiedene Aspekte geistlichen Lebens beleuchten, 4. Gebete bzw. „Etliche ernstliche reden zu GOtt“. Zusammen mit der Antrittsrede aus der Botschafft22 dokumentieren die Predigten aus dem Wahren Christenthum Arnolds Predigertätigkeit in Werben und können (nur recht ungefähr) in das Kirchenjahr 1705/1706 datiert werden (die Vorrede datiert auf den 18.11.1706). Arnold erklärt in der Vorrede, er habe die Genesis „in denen wöchentlichen predigten“23 ausgelegt, so dass anzunehmen ist, dass die 44 Predigten im Laufe eines Kirchenjahres, gehalten wurden, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass die lectio continua durch außerordentliche Feiertage unterbrochen worden sein könnte. Auch die Kasualpredigten dürften allesamt aus der Werbener Zeit stammen, denn Arnold wird auf dem Allstedter Schloss kaum Gelegenheit für immerhin eine Trau-, eine Investitur- und sieben Leichenpredigten gehabt haben. Sie sind allesamt anonymisiert und geben daher nicht mehr zu erkennen, wann genau sie gehalten wurden. Genauere Datierungen sind nur in wenigen Fällen möglich: Für die Bußpredigten im zweiten Teil (Nr. 190–192) wäre die Passionszeit des Jahres 1706 zu erwägen, insbesondere die Predigt zur „betrachtung des leidens JEsu Christi“ (Nr. 192) dürfte im Umfeld des Karfreitags gehalten worden sein. Die Erntepredigt (Nr. 193) ist nach Arnolds eigenen Angaben am 14. Sonntag nach Trinitatis gehalten worden, was eine zuverlässige Datierung am 05.09.1706 ermöglicht. Die Predigt christlicher Haushaltung (Nr. 194) soll am 15. Sonntag nach Trinitatis, d. h. wohl am 12.09.1706, gehalten worden sein.
22 EBH 1329–1336. 23 WCAT,
Vorrede, a3v.
Titel der Predigt
Von des Menschen Erschaffung zu GOttes Bilde
Von dem Fall des Menschen
Von des gefallenen Menschen Vergebung
Von der versprochenen erlösung
Von dem streit wider die sünde
Von dem streit des fleisches wider den geist
Von der boßheit des unbekehrten hertzens
Von einem bußfertigen wandel
Nr. Predigttext
147 Gen 1,27
148 Gen 3,1–6
149 Gen 3,8–13
150 Gen 3,15
151 Gen 4,7
152 Gen 6,3
153 Gen 6,5 f
154 Gen 6,8 f
WCAT 1–14
WCAT 15–31
„Wie der gute GOtt den menschen gut erschaffen habe / und also I. den guten Schöpffer. II. das gute Geschöpff. III. die gute Schöpffung.“ (WCAT 4) „[…] von der ersten seligkeit / und zwar wie sie I. geschencket / II. eingeschräncket / und III. verlohren worden.“ (WCAT 18)
„[…] Die allererste unterredung GOttes mit dem sünder / oder was WCAT 31–48 zuerst zwischen GOtt und dem sünder vorgehe / wenn er sich bekehret. Dabey denn ordentlich vorkommen wird I. GOttes frage / und II. des sünders antwort.“ (WCAT 34)
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
WCAT 49–65
WCAT 66–81
WCAT 81–96
WCAT 96–112
WCAT 112–128
„den streit wider die sünde / wie er theils unterlassen / theils geführet wird.“ (WCAT 69) „Den streit des fleisches wider den geist; Wobey nach der ordnung wird vorkommen zu bedencken I. der geist / II. das fleisch / und III. der streit oder widerstand.“ (WCAT 85) „Die boßheit des natürlichen hertzens / welche I. vom menschen geheget / II. von GOtt aber beklagt wird.“ (WCAT 100) „[…] das muster eines bußfertigen lebens an Noah nach dem I. grund und II. leben selbst.“ (WCAT 115)
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
„den allerersten bund GOttes mit den menschen nach dem fall / nach dessen I. grund / und II. ausführung.“ (WCAT 53)
1705/1706, Werben
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
4. Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707)
445
WCAT 209–223
WCAT 223–236
„Die friedfertigkeit und verträglichkeit der gläubigen in dieser bösen welt / und zwar derselben I grund / II ursachen / III mittel.“ (WCAT 213) „Die hochpriesterlichen würckungen JEsu Christi in seinen guten streitern / die er I als ein König stärckt und speiset / und II als ein Priester segnet und heiliget.“ (WCAT 227)
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
Von der friedfertigkeit und verträglichkeit in dieser bösen welt
161 Gen 14,18–20 Von denen hohenpriesterlichen würckungen JEsu Christi in und an seinen guten streitern
160 Gen 13,8 f
WCAT 194–209
„Den segen in JEsu Christo / dem Meßia / und zwar I den Meßiam / II dessen segen.“ (WCAT 198)
1705/1706, Werben
Von dem segen in Christo
159 Gen 12,3; 18,18; 22,18
WCAT 177–194
1705/1706, Werben
„Den ausgang oder die verleugnung der welt / und nach der ordnung fraget I. wovon? II. wie? und II. wozu wir die welt verlassen und verleugnen müssen?“ (WCAT 182)
Von der verleugnung der welt
158 Gen 12,1 f
WCAT 162–177
„Die Babelische verwirrung der natürlichen menschen: I. wie sie sich verwirren / II. wie sie GOtt noch mehr verwirret. oder kürtzer: Wir wollen dabey sehen so wol das sünden=übel / als das straff= übel.“ (WCAT 165)
1705/1706, Werben
Von der Babelischen verwirrung der menschen
157 Gen 11,1–9
WCAT 144–162
„die schonende gedult GOttes / und zwar I. die bewegenden Ursachen / und II. die gedult selbst.“ (WCAT 149)
1705/1706, Werben
Von der verschonenden gedult GOttes
WCAT 129–144
156 Gen 8,21
Fundstelle
Disposition „Die macht der sünden / und also nach der ordnung theils die sünde selbst / theils die macht derselben.“ (WCAT 132)
Von der macht der sünde
155 Gen 6,11–13
Datierung und Lokalisierung 1705/1706, Werben
Titel der Predigt
Nr. Predigttext
446 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
WCAT 283–299
WCAT 300–317
WCAT 317–332
WCAT 332–348
„Der wandel aus der gegenwart GOttes / Zu besserer erkäntniß sehen wir dabey nach der ordnung I GOttes gegenwart / II Den wandel darinnen / wie er soll seyn 1 beständig / 2 auffrichtig.“ (WCAT 288) „Die freundschafft zwischen GOtt und den gläubigen wie sie bestehet I in der einigkeit und II. in der vertraulichkeit mit Gott.“ (WCAT 303) „[…] von denen himmelschreyenden sünden / und zwar ordentlich I von den sünden / II ihrem geschrey / und III GOttes dreinsehen oder heimsuchung.“ (WCAT 320) „ES ist uns in dieser erzehlung gantz offenbar Die errettung der gläubigen von I sünde / und II straffe.“ (WCAT 336)
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
Von dem wandel in der gegenwart GOttes
166 Gen 18,17–19 Von der freundschafft eines gläubigen mit GOtt
167 Gen 18,20 f
168 Gen 19,15–22 Von rettung der gläubigen aus sünden und strafen
Von denen himmel= schreyenden sünden
165 Gen 17,1
WCAT 269–283
„Den liebes=blick GOttes nach der seele und der seele nach Gott.“ (WCAT 273)
1705/1706, Werben
Von dem liebes= blick GOttes auf die seele / und der seele auf GOTT
164 Gen 16,13
WCAT 252–266
„Die wahre glaubens=gerechtigkeit / mithin I den glauben / und dessen II gerechtigkeit. […] 1. Wer da gläube? 2. Wem er gläube? 3. Wie man gläube?“ (WCAT 255)
Von des wahren Glaubens gerechtigkeit
163 Gen 15,6
WCAT 237–251
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
„Die allgenugsamkeit GOttes gegen seine gläubige / oder wie man alles genug an GOtt haben könne / wenn man wolle / und zwar insonderheit so wol schutz wider das böse / als grund zu allem guten.“ (WCAT 244)
Von der allgenugsamkeit GOttes für gläubige
162 Gen 15,1
4. Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707)
447
Von bewahrung der gläubigen in versuchungen
Von zweyerley zuständen der seelen
Von der höchsten glaubens=probe
Von dem ursprung unsers beruffs
Von der ernsten und doch liebreichen wahl GOttes
Von denen vortheilen der gottseligkeit
169 Gen 20,6
170 Gen 21,10
171 Gen 22,1 f
172 Gen 24,50
173 Gen 25,23
174 Gen 26,2–5
175 Gen 28,11–15 Von der seelen auffsteigen zu GOtt / und GOttes herunterlassung zur seele
Titel der Predigt
Nr. Predigttext
WCAT 365–381
WCAT 381–403
WCAT 403–417
WCAT 417–439
WCAT 440–459
„In diesem sinne wollen wir uns vorstellen Zweyerley zustände der seelen / I Unter dem gesetz / II Unter dem evangelio.“ (WCAT 369) „Die höchste probe des glaubens / und also I den glauben und II dessen probe.“ (WCAT 384) „[…] alle unsere dinge sollen I von GOtt herrühren / und II auch also angenommen werden.“ (WCAT 407) „[…] die wahl GOttes mit den menschen / oder / was GOtt für einen unterscheid mache unter den leuten / wie etliche verloren / etliche selig werden; und zwar / wie solche wahl ist zwar I ernstlich und gerecht / aber doch II liebvoll und heilsam.“ (WCAT 423) „Die vortheile der gottseligkeit.“ (WCAT 445)
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
„Die rechte himmels=leiter / und dabey insonderheit I des hertzens WCAT 459–480 auffsteigen zu GOtt / und II GOttes herunterlassung zu uns.“ (WCAT 463)
WCAT 348–365
„Die bewahrung der gläubigen in versuchung / und theilet sich also ordentlich ein / daß wir zu sehen haben I die versuchung / II die gläubigen / III die bewahrung.“ (WCAT 352)
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
448 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Von dem offenen himmel auf der erden
1705/1706, Werben
WCAT 555–568
WCAT 568–586
WCAT 585–597
WCAT 597–610
„Den güldenen grund des gebets: und also I das gebet / II den grund.“ (WCAT 559) „Den rechten glaubens=kampff / nach seinen I gesetzen und II lohn.“ (WCAT 572) „Demnach erkennen wir nun ohne bedencken aus Jacobs exempel Der liebe sieg über den zorn / durch I demuth / II sanfftmuth und III würckliche liebe.“ (WCAT 588) „Den warhafftigen dienst GOttes im geist / darinnen GOtt I lebendig erkannt / II durch busse gesucht / und III durch glauben bedienet wird.“ (WCAT 600)
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
Von dem wahren grund des gebets
181 Gen 32,24–30 Von dem kampff= gesetz und lohn
Von dem sieg der liebe über den zorn
Von dem wahren dienst GOttes im geist
182 Gen 33,10 f
183 Gen 35,1–3
WCAT 536–555
„Die leib=wache der kinder GOttes / und also I die kinder GOttes / und II ihre leib=wache.“ (WCAT 540)
180 Gen 32,9–12
1705/1706, Werben
Von der leibwache der kinder GOttes
WCAT 517–536
„Das privilegium oder den frey=brief der frommen wider die feinde / und zwar insonderheit erkennet I die frommen / II ihre feinde und III den freybrief.“ (WCAT 522)
179 Gen 32,1 f
WCAT 499–516
„Den gläubigen entschluß oder das gelübde der seele gegen GOtt / und dabey I das vertrauen / als den grund / und II den daraus gefaßten entschluss oder gelübde.“ (WCAT 504)
Von dem privilegio der frommen gegen ihre feinde
WCAT 480–498
„Den offenen himmel auf erden / wie er I nicht erkannt / II doch empfunden und III geglaubet wird.“ (WCAT 484)
178 Gen 31,24
1705/1706, Werben
1705/1706, 177 Gen 28,20–22 Von dem gläubigen gelübde Werben der seele gegen GOtt
176 Gen 28,16 f
4. Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707)
449
WCAT 663–678
WCAT 678–694
WCAT 696–712
WCAT 712–730
„Wunder=regiment GOttes / wie es I die menschen böse machen / und II GOtt so gut machet.“ (WCAT 667)
Von dem glauben an den warhafftigen heyland
I. Buß=predigt Von Heilung der sünden=wunden
II. Bußpredigt Vom rechten geistes=gebet
189 Gen 49,10.18
„Den glauben an den wahren Meßiam / wie er sich äußert I im warten / II anhangen.“ (WCAT 684) „Er [der Hl. Geist] / als ein weiser arzt / arbeitet auf gründliche heilung / wol dem / der ihm will helfen lassen. Wir wollen zu dem ende anstellen Eine behertzigung des schadens / und zwar I reden vom schaden / II von der heilung.“ (WCAT 701) „[…] von dem wahren geistes=gebet / wie es geschehe I zu GOtt als einem Geist / und dann auch II von und durch seinen Geist.“ (WCAT 716)
1705/1706, Werben
190 Jer 30,12
Passionszeit 1706 (?), Werben
191 Joh 4,24 Passionszeit 1706 (?), Werben
Von GOttes wun 1705/1706, Werben der=regiment im bösen zum guten
188 Gen 37,18 f; 45,2; 50,20
WCAT 649–663
„Der einige segens=brunn / wie er fleußt I aus dem Vater II in dem Sohn III durch den Geist.“ (WCAT 651)
1705/1706, Werben
Von dem einigen segens= brunnen in GOtt
187 Gen 48,15 f
WCAT 636–648
„Die kurtze und elende wallfahrt / und zwar insonderheit I nach ihrer kürtze / und II nach ihrem elend.“ (WCAT 639)
1705/1706, Werben
Von des menschen kurtzer und elender wallfahrt
186 Gen 47,9
WCAT 623–636
„Das selbst=gerichte über die eigenen sünden=schulden / und zwar I über die sünden / II über die schulden.“ (WCAT 627)
1705/1706, Werben
Von dem selbst= gericht über unsere sünden= schuld
WCAT 611–623
185 Gen 42,21
Fundstelle
Disposition „Von bewahrung der sünden durch gottesfurcht / und insonderheit I von der sünde / und II von der bewahrung.“ (WCAT 613)
1705/1706, Werben
Von bewahrung vor sünden durch Gottesfurcht
184 Gen 39,9
Datierung und Lokalisierung
Titel der Predigt
Nr. Predigttext
450 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
WCAT 824–847
„Die recht seligen todten / oder welche verstorbene denn recht selig seyn? Dabey wir um der ordnung willen zu bemercken haben I die todten / und II ihre seligkeit.“ (WCAT 830)
Die andere leich=predigt
197 Offb 14,13
WCAT 805–824
„Eine lebensvolle leichen=predigt vor lebendige von lebendigen und zwar nach ihrem lebens=vollen grund / vortrag oder erklärung / und gebrauch.“ (WCAT 809)
1705/1706, Werben
1705/1706, Werben
Die erste Leich= Predigt
196 Joh 11,25 f
WCAT 786–804
„Die wahre glückseligkeit einer gemeine / und zwar I der zuhörer bey einem rechtschaffenen lehrer / und II des lehrers bey rechtschaffenen zuhörern.“ (WCAT 790)
Walsleben 1705 oder Polkritz 1706 (vgl. Kap. I.4.2.)
VI. Investiturpredigt von rechter glückseligkeit einer gemeine
195 1 Thess 5,12 f
WCAT 765–786
„[…] was denn eine heydnische und was eine christliche haußhaltung sey […].“ (WCAT 768)
12.09.1706, Werben
194 1 Sam 1,22.24 V. Eine predigt von christlicher haußhaltung und kinder=zucht / gehalten am 15. sonntag nach Trinitatis
WCAT 745–765
„Die rechte erkäntniß GOttes / wie sich dieselbe eintheilet I in hinzuwendung des hertzens zu GOtt / II in anwendung seiner wohltaten.“ (WCAT 750)
05.09.1706, Werben
193 Apg 14,15–17 IV. Eine erndte= predigt / gehalten am vierzehenden sonntage nach Trinitais
WCAT 730–744
„Die zuschickung aufs leiden auff seiten Christi / auff seiten seiner feinde.“ (WCAT 734)
Passionszeit 1706 (?), Werben
III. Bußpredigt: Vorbereitung auf die betrachtung des leidens JEsu Christi
192 Mt 26,1–5 (Fälschich als Mt 36,1–5 über-schrieben)
4. Das wahre Christenthum Altes Testaments (1707)
451
Titel der Predigt
Die dritte leich= predigt
Die vierde leich= predigt
Die fünffte leich=predigt
Die sechste leich=predigt
Die siebende leich=predigt
Nr. Predigttext
198 Ps 25,17 f
199 Weish 3,1
200 Ps 71,20 f
201 Ps 90,12
202 Lk 24,29
WCAT 847–864
WCAT 864–882
WCAT 882–901
WCAT 901–918
WCAT 918–936
„Das ruffen in der angst / und also nach der ordnung I die angst / II das ruffen.“ (WCAT 852) „Die predigt von den gerechten / und zwar in drey fragen: I wer sie seyn? II wohin sie kommen? III wie gut sie es haben?“ (WCAT 868) „Das wunderspiel GOttes mit den gläubigen / die er I in den tod setzet / II ins leben bringet.“ (WCAT 887) „eine selige sterb=schule / und darinnen I. die lection / und II. derselben ausübung.“ (WCAT 905) „Die gläubige abrede der seele mit Christo / und dabey I. auff die zeit / II. die bitte / und III. die absicht derselben.“ (WCAT 922)
1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben 1705/1706, Werben
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
452 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
5. Einzelpredigten, Fragmente, Manuskripte
453
5. Einzelpredigten, Fragmente, Manuskripte Nachdem er sich in der Vorrede auf die Evangelischen Reden von 1709 von der traditionellen, disponierten Predigtform distanziert hat, gibt Arnold keine Postillen mit regulären Predigten mehr heraus, sondern weicht auf das RedenFormat aus. Nach 1709 finden sich lediglich fünf Einzelpredigten, die allesamt zu extraordinären Anlässen gehalten worden sind, jedoch zeigen, dass Arnold trotz seiner Vorbehalte immer noch disponiert und methodisch akkurat gepredigt hat. 1709 wird die Sündfluth-Predigt als eigenständiger Libellus von 80 Oktavseiten herausgegeben, wobei ein historischer Abriss und eine Zusammenstellung von Quellen zu Überschwemmungskatastrophen von der Antike bis zur Neuzeit angehängt sind. Die Predigten vor der preußischen Königin Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin sind in den Evangelischen Reden von 1711 enthalten und wurden in einem Abstand von 14 Tagen in Berlin und Grabow, der Residenzstadt Friedrichs zu Mecklenburg und Geburtsort der Königin, gehalten, wobei eine noch genauere Lokalisierung nicht mehr möglich ist.24 Wie die Vermittlung zwischen Arnold und der Königin zustande kam, lässt sich nicht mehr ermitteln, Sophie Luise unterhielt aber bekanntermaßen Kontakte zu Francke und blieb auch nach ihrer Vermählung mit Friedrich I. ihrem lutherischen Bekenntnis treu, was zu schwerwiegenden Konflikten am reformierten Hof in Berlin führte.25 Zudem sind zwei separat publizierte Leichenpredigten auf den Perleberger Apotheker Lorenz Giese und den Bürgermeister Georg Krusemarck erhalten. Im Anhang der Erfahrungs=Lehre von 1735 sind eine zehnteilige Predigtreihe über das erste Kapitel des Kolosserbriefes, drei Trauansprachen, drei Leichenpredigten und eine Trostpredigt enthalten. Alle im Anhang versammelten Predigten und Ansprachen sind ausweislich der Herausgeber unvollendete und nicht für die Publikation freigegebene Manuskripte. Sie dürften in Perleberg entstanden sein. Über die gottesdienstliche Situierung der Kolosserpredigten machen weder Arnold noch die Herausgeber Angaben, der Kolosser-Auslegung ist jedoch eine kurze „Einleitung“ vorangestellt, in der Arnold Würde und Wert des Schreibens hervorhebt: Es enthalte „die gantze Summe des lebendigen Christenthums in sich […], und zwar nach dem wahren Wachsthum in Christo“.26 Vielleicht bilden die Kolosser-Predigten – ähnlich wie die Werbener Genesis-Predigten – eine Wochenpredigtreihe, das Format einer versweisen, thematischen Auslegung erinnert jedenfalls stark an das Wahre Christenthum Altes Testaments. Wenn die Herausgeber des Anhangs zur Erfahrungs-Lehre 1735 die drei enthaltenen Trauansprachen und Leichenpredigten als „Reden“ bezeichnen, trifft das nicht Arnolds eigenen, sehr distinkten Sprachgebrauch: Seine früheren Leichenpredigten bezeichnete er 24 Wigger berichtet von häufigen Besuchen der Königin in Grabow. Vgl. Wigger, Sophie Louise, 48–50.60 f.66–68. 25 Vgl. a. a. O. 24.36 f.42 f. 26 AEL 1.
454
Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
durchweg als Predigten, denn sie beziehen sich allesamt auf einen biblischen Text und weisen eine ordentliche dispositio auf. Auch die im Anhang enthaltenen Trauansprachen warten mit einer Disposition auf, beziehen sich jedoch allesamt nicht auf einen einzelnen Vers oder eine Perikope, sondern auf eine ganze Reihe von biblischen Bezugstexten, womit sie wiederum der synthetischen Abendmahlspredigt von 1703/1704 (Nr. 146) sehr nahestehen, die Arnold selbst als „Sermon“ bezeichnen möchte. Jedenfalls haben die hier versammelten „Reden“ in formaler Hinsicht nichts mit den freien, ungebundenen „Evangelischen Reden“ von 1709 und 1711 zu tun. Aufgenommen sind hier zudem die Perleberger Antrittspredigt, die sich in der Zweitauflage der Epistelpostille (1708) findet, und mehrere Leichenpredigten, die in der postum veröffentlichten Sammlung Sonderbare Predigten Zu unterschiedlichen Zeiten gehalten aufgenommen wurden (1722).
Predigttext
2 Petr 2,5
1 Tim 1,15
1 Tim 1,16
2 Kor 5,14
Mk 8,1–9
Kol 1,3 f
Kol 1,5
Nr.
202
203
204
205
206
207
208
-
-
7. Sonntag nach Trinitatis
5. Sonntag nach Trinitatis
Quasimodogeniti [Leichenpredigt auf Lorenz Giese]
Sexagesimae [Leichenpredigt auf Georg Krusemarck]
Invocavit
Tag im Kirchenjahr/ Titel der Predigt
EREP 676–726
„Die fülle der gnade und gabe in CHristo JEsu / nemlich I die fülle seiner gnade und liebe / II Die Fülle seiner gabe und krafft.“ (EREP 691)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
03.08.1710, Grabow
AEL 11–20
EREP 629–675
„Die Liebes=krafft JEsu CHristi / und zwar I. die liebe JEsu / und II. derselben liebe krafft.“ (EREP 639)
20.07.1710, Berlin
„Die Bekehrung zu einer lebendigen Hoffnung.“ (AEL 12)
RQ 3–40
„Lasset uns nur so gleich zu seiner eigenen Bekänntniß eilen / und dasselbe also ansehen / dast [sic!] wir in itzt bewiesenen Sinn des Heil. Geistes daraus fassen und kennen lernen Einen rechten Quasimodogenitum, oder Ein gleichsam neugebohren Gnaden=Kind GOttes / I. Nach seiner gnädigen Annehmung / II. Nach seiner erbaulichen Darstellung.“ (RQ 11)
07.04.1709, Perleberg
AEL 2–11
RSB 3–51
„Das ruhige Sterbe=Bette eines Bekehrten und Gläubigen Wie daßelbe recht ruhig werden mag Durch I. des Vaters Verheißung II. des Sohnes Erlösung III. des heiligen Geistes Überzeugung.“ (RSB 11)
03.02.1709, Perleberg
„Den erkannten Ursprung alles Guten / und also ordentlich: I. Den Ursprung / II. Dessen Erkäntniß / III. Das Gute.“ (AEL 4)
VGS 4–67
„Die verursachte und doch gemäßigte Sündfluth / und zwar nach der Ordnung I. Die Sündfluth / II. Ihre Ursachen / III. Ihre Mäßigung.“ (VGS 10)
17.02.1709, Perleberg
Fundstelle
Disposition
Datierung und Lokalisierung
5. Einzelpredigten, Fragmente, Manuskripte
455
Predigttext
Kol 1,6–8
Kol 1,9 f
Kol 1,11
Kol 1,12–14
Kol 1,15–17
Kol 1,18
Kol 1,19 f
Kol 1,21 f
Wesentliche Bezugstexte: Kol 1,17; 2,19; 3,11; 3,14
Nr.
209
210
211
212
213
214
215
216
217
Manuskript (Perleberg?) Manuskript (Perleberg?)
„Eine Hochzeit=Rede. Das vollkommene Band Christlicher Eheleute.“
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?)
Datierung und Lokalisierung
-
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-
-
-
Tag im Kirchenjahr/ Titel der Predigt
AEL 107–112
AEL 113–118
„Das vollkommene Band Christlicher Eheleute / wie es I. Geknüpfet; II. Befestiget und III. Genossen wird.“ (AEL 114)
AEL 68–81
„Ein vortrefflicher Lob=Spruch des Sohnes GOttes I. Von seinem Wesen / II. Von seinen Wercken.“ (AEL 70)
„Einen aus GOttes Feind gewordenen Freund. Und also I. Einen Feind GOttes. II. Einen gewordenen Freund GOttes.“ (AEL 109)
AEL 53–68
„Von der Haupt=Veränderung eines Menschen / so wohl überhaupt / als auch ins besondere nach ihren beyden Hauptstücken.“ (AEL 55)
AEL 93–106
AEL 41–52
„Die Stärckung zum getrosten Leiden. Nemlich I. Die Stärckung, II. Das Leiden / und III. Die Getrostheit darin.“ (AEL 44)
„JEsum Christum / als das Band der Vollkommenheit. Und zwar I. Seine Vollkommenheit. II. Seine Verbindlichkeit oder verbindende Kraft.“ (AEL 94)
AEL 30–41
„Das göttliche Licht und Recht in dem Hertzen eines Christen. I. Das Licht. II. Das Recht.“ (AEL 32)
AEL 81–92
AEL 20–30
„Auf die fruchtbare Botschaft des Evangelii / und zwar I. Die Botschaft / und II. Ihre Fruchtbarkeit.“ (AEL 22)
„Dieses voraus gesetzt, ersehen wir aus diesem Zeugniß den Preiß JESU CHRISTI des Hauptes an seinen Gliedern / und zwar I. An Lebendigen; II. An Todten.“ (AEL 84)
Fundstelle
Disposition
456 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Wesentlicher Bezugstext: Ps 128,1–4
Wesentlicher Bezugstext: Hos 2,19 und Phil 3,12
Ps 130,5 f
Hi 1,21
Ps 73,28
1 Thess 5,12
Mt 13,45f
218
219
220
221
222
223
224
22. Sonntag nach Trinitatis / „Die Perle des Reiches GOttes / in einer Anzugs= Predigt zu Perleberg am 22. Sonntag nach Trinit. 1707 vorgestellet, von Gottfried Arnold, P. u. Ins.“
„Trost=Rede für rechtschaffene Lehrer und Zuhörer.“
„Dritte Leich=Rede. Das selige Anhangen des Glaubens an Gott“
„Zweyte Leich=Rede. Die Anbetung GOttes im Leiden.“
„Erste Leich=Rede / am Tage Michaelis. Bekehrte Christen / als Aufwärter GOttes.“
AEL 130–141
„Die Anbetung GOttes im Leiden, und zwar I. So wohl AEL 141–152 wenn er gibt, II. Als auch wenn er nimmt.“ (AEL 143) AEL 152–160
AEL 161–175
„Bekehrte Christen / als Aufwärter GOttes / Wobey ordentlich vorkommen werden I. Die Aufwärter. II. Ihre Aufwartung. III. Der HErr / dem sie aufwarten.“ (AEL 132)
„Des Glaubens seliges Anhangen an GOtt, und insonderheit I. Den Glauben, II. Sein Anhangen, III. Die Seligkeit darinne.“ (AEL 154) „Den rechten göttlichen Trost für rechtschaffene Lehrer und Zuhörer / und zwar I. Den Trost der Lehrer an den Zuhörern / II. Der Zuhörer an den Lehrern.“ (AEL 163)
Manuskript (Perleberg?)
Manuskript (Perleberg?) Manuskript (Perleberg?)
Ein recht gesegneter perlen=sucher; Dabey wir Perleberg, 20. November fragen wollen I. Was er suche? II. Was er finde? 1707 (VJC2 825f)
Manuskript (Perleberg?)
VJC2 821–848
AEL 125–130
„Den rechten Braut=Schatz frommer Eheleute / wie er bestehet aus 3. Kleinodien / davon das I. ist Glaube / das II. Liebe / und das III. Hoffnung.“ (AEL 126)
Manuskript (Perleberg?)
„Dritte Hochzeit=Rede. Der rechte Braut=Schatz frommer Eheleute.“
AEL 119–124
„Die bey der Hochzeit=Freude nöthige Furcht GOTTES. Und zwar I. Bey dem Eintritt / und II. Fortgang in der Ehe.“ (AEL 120)
Manuskript (Perleberg?)
„Zweyte Hochzeit=Rede. Die bey der Hochzeit= Freude nöthige Furcht GOttes.“
5. Einzelpredigten, Fragmente, Manuskripte
457
Predigttext
Num 21,5–9
Röm 8,18
Dan 12,13
Röm 8,38f
Nr.
225
226
227
228
Die dreyzehende leich= predigt aus Röm. VIII, v. 38.39
Die zwölffte leich=predigt aus Daniel. XII. v. 13
SPUZ 215–228
Fundstelle
Den gesegneten Aus= und Eingang eines Gottfürchtenden Danielis, und insonderheit I. den ausgang aus der zeitlichkeit, und II. den eingang in die ewigkeit (SPUZ 299) Das unzertrennliche liebes=band Christi und der seinen, als des Hirten und seiner schaafe. Wie deren trennung I. Zwar versucht, II. Aber nicht vermocht wird; Oder wie es I. Zertrennlich scheint, und II. doch unzertrennlich bleibt (SPUZ 317)
-
SPUZ 311–339
SPUZ 295–311
Der Himmel im Creutz Oder Die unter dem Leiden SPUZ 272–295 verborgene Herrlichkeit, und zwar also, daß man erkenne I. Das Leiden, und II. Die darunter verborgene Herrlichkeit (SPUZ 276)
Jesu[s] Christu[s] Das Panier der Gläubigen in noth und tod; und zwar 1. Die Noth, II. Das Panier dagegen. (SPUZ 218)
Disposition
-
-
-
Die achte leich=predigt aus 4. B. Mos. XXI. v. 5=9
Die eilffte leich=predigt aus Röm. VIII. v. 18
Datierung und Lokalisierung
Tag im Kirchenjahr/ Titel der Predigt
458 Anhang: Katalog der Predigten Arnolds
Quellen- und Literaturverzeichnis Die Abkürzungen folgen: Redaktion der RGG4 (Hg.), Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, Tübingen 2007. Über die eingangs genannten Abkürzungen für Arnolds Werke hinaus werden folgende verwendet: BDS BSELK CR SpKA SpSt WA WAB WADB
Buceri opera omnia/Martin Bucers Deutsche Schriften Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche Corpus Reformatorum J. J. Spalding. Kritische Gesamtausgabe Ph. J. Spener. Studienausgabe D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Deutsche Bibel
1. Quellen und Editionen 1.1. Arnolds eigene und von ihm herausgegebene Schriften Genannt werden nur die Erstauflagen, es sei denn in der Untersuchung wird explizit auf die Zweitauflage Bezug genommen. Arnold, G., Anhang | der | Erfahrungs=Lehre, | Herrn Gottfried Arnolds, | Weyland Königlich=Preußischen Inspectoris zu Perleberg, | Aus dessen eigenhändigem Manuscripto hinzugefüget; | bestehend in | Zehen Betrachtungen | über die Epistel Pauli an die Colosser Cap. I. v. 3=23. | wie auch einigen erbaulichen | Hochzeit= und Leich=Reden, | benebst einer | Trost=Rede | für rechtschaffene Lehrer und Zuhörer, Frankfurt a. M. 1735. [VD18 11819715] [Arnold, G.], D. Martin Luthers | Kleiner | Catechismus | Mit Sprüchen der | Heil. Schrifft | Kürtzlich | erläutert | Für die liebe Jugend, Berlin 1709. [VD18 13123564] [Arnold, G.], D. Martin Luthers | Kleiner | Catechismus | mit | Sprüchen | der heiligen Schrifft für | die liebe Jugend kützlich | erläutert. | Nebst denen | Christlichen | Frag=Stücken | für die, | welche zum Heil. Abendmahl | gehen wollen, | wie auch | der | Ordnung des Heyls, Frankfurt a. M. / Leipzig 1722. [VD18 1129146X] Arnold, G., D. Martin Luthers | Kleiner | Catechismus | mit | Sprüchen | der heiligen Schrifft für | die liebe Jugend kützlich | erläutert | Von Gottfried Arnold, | Kön. Preuß. Inspector. | Nebst angehängten | Christlichen Frag=Stücken für die, | welche zum H. Abendmahl | gehen wollen, | Wie auch | Der Ordnung des Heyls, Altona 1722. [VD18 10448713]
460
Quellen- und Literaturverzeichnis
Arnold, G. (Hg.), D. Martini Lvtheri | Kirchen=Postille / | das ist / | Auslegung | Der | Episteln und Evangelien | auff alle Sonntage und Feste | durchs ganze Jahr / | wie auch über andere erbauliche Materien / | Aus denen dreyen zu des seligen Autoris Lebzeiten herausgekommenen | vornehmsten Editionibus 1528 / 1532 und 1543 nach langwierigen Verlangen | vieler Christlichen Leute also eingerichtet / daß / was alle solche in sich fassen zu= | gleich vor Augen geleget wird: | Ehemals Anno 1700 heraus gegeben durch den Fleiß | und mit einer Vorrede | Des sel. Herrn D. Philip Jacob Speners / | von der Gnade GOttes durch Lutherum der Kirchen erzeiget / | und absonderlich von der Kirchen=Postill und dieser Edition: | Nunmehro aber | in dieser andern Edition | mit dem gantzen | Vierdten Theil und nützlichen Registern vermehret / | nebst einer neuen Vorrede | Gottfrid Arnolds / | Predigers zu Perleberg und desselbigen Kreises Inspectoris, Leipzig 1710. [VD18 11431806] Arnold, G. (Hg.), Der | geistliche | Wegweiser / | Dienende | Die Seele von den sinnlichen Din= | gen abzuziehen / und dieselbe durch den in= | nerlichen Weg zu der vollkommenen Be= | schauung und zum innerlichen Frieden | zu führen: | Erstlich geschrieben | Von | Michael de Molinos, | der H. Schrifft D. und Predigern / | Nunmehro in die Hochteutsche Sprache | mit besondern Fleiß übergesetzet / zusamt des | Autoris Lebens=Lauff | und einem | Sendschreiben | Von seinem inwendigen Zustand, Frankfurt a. M. 1699. [VD17 39:147282F] Arnold, G. (Hg.), Ein Denckmahl | Des | Alten Chri= | stenthums / | Bestehend in des | Heil. Macarii | und anderer | Hocherleuchteten Männer | aus der Alten Kirche | Höchsterbaulichen und Außerlesenen | Schrifften / | Ausgefertiget | Von | Gottfried Arnold, Goslar/Leipzig 1699. [VD17 23:243235F] Arnold, G. (Hg.), Etliche vortreffliche | Tractätlein | aus der Geheimen | GOttes= Gelehrtheit: | Nehmlich | I. Der Madame Guion | Kurtzes und sehr leichtes Mittel zu beten / | und Auslegung des Hohen Liedes | Salomonis: | II. Des berühmten Laurentii de | la Resurrection | Geistliche Regeln / Sendschreiben / | Sitten und Gespräche / | Wie auch | Ubung der Göttl. Gegenwart: | Zu Erbauung ernstlich=suchender Ge= | müther auff dem geheimen Weg | zum Leben / | Und zu Erläuterung des ietzigen Streits | in Franckreich wegen des Qvietismi, | ohnlängst aus dem Frantzösischen übersetzt / | und ietzo nebst einem historischen | Vorbericht | heraus gegeben von | G. Arnold, Frankfurt a. M. / Leipzig 1701. [VD18 1243762X] Arnold, G., Das | Geheimniß | Der | Göttlichen | Sophia | oder | Weisheit / | Beschrieben und Besungen | von | Gottfried Arnold, Leipzig 1700. [VD17 1:073401X] Arnold, G., Das Ruhige Sterbe=Bette | eines bekehrten | und Gläubigen | Aus | der I. Epistel an Timoth. am I. Cap. 15. | Bey ansehnlicher Leichen=Begängnis | Des Weiland | Wohl=Edlen und Rechts Wohlgelahrten Herrn/ | Herrn Georgi | Krusemarcken / | Wohlmerirten Burgermeisters | bey der Prignitzschen Hauptstadt Perleberg / | am Sontage Sexagesimae | War der 3. Februarii | 1709. | in einer Gedächtniß=Predigt | Vorgestellet | und auf begehren zum Druck überlassen | Von Gottfried Arnold / | Past. und Inspectore daselbst, Berlin 1709. [VD18 90729641] Arnold, G., Das wahre | Christenthum | Altes Testaments | im heilsamen Gebrauch | der vornehmsten Sprüche aus dem | ersten Buch Mosis: | nebenst | einigen Predigten | über | sonderbaren Materien / | wie auch einer | Fortsetzung Gottesgelehrter | Rathschläge und Antworten / | ans Licht gestellet | von Gottfried Arnold / Insp., Frankfurt 1707. [VD18 13937286] Arnold, G., Der | richtigste Weg | Durch | Christum zu Gott: | Bey öffentlichen Versammlun= | gen in dreyen Sermonen oder | Predigten angewiesen / | und auff Be-
1. Quellen und Editionen
461
gehren ausgefertiget | von | Gottfried Arnold: | Nebenst | Einer näheren Erklärung von seinem | Sinn und Verhalten in Kirchen= | Sachen, Frankfurt a. M. 1700. [VD17 3:602484H] Arnold, G., Der | Woleingerichtete | Schul=Bau | Nach denen vornehmsten | Stücken | einer wohlbestelleten | Christlichen Schule | In | Einer Introductions-Rede | Summarisch entworffen / | Nunmehro aber auf Begehren in | etwas erläutert / | Von | G. Arnold / | P. und Insp. | Nebst einem Anhang | Etlicher Königlicher Preußischer / auf | Verbesserung des Kirchen und Schul= | Wesens abzielender | Verordnungen, Leipzig/Stendal 1711. [VD18 11090618] Arnold, G., Die Erste Liebe | Der Gemeinen JESU Christi / | Das ist / | Wahre Abbildung | Der | Ersten Christen / | Nach Ihren | Lebendigen Glauben | Und | Heiligen Leben. | Aus der ältesten und bewährtesten Kirchen=Scribenten | eigenen Zeugnissen / Exempeln und Reden / | Nach der Wahrheit der Ersten Einigen Christ= | lichen Religion / allen Liebhabern der Historischen Wahr= | heit / und sonderlich der Antiquität, als in einer | nützlichen | Kirchen=Historie / | Treulich und unpartheyisch entworffen / | Worinnen zugleich des | Herrn William Cave | Erstes Christenthum | Nach Nothdurfft erläutert wird / | Von | Gottfried Arnold, Frankfurt a. M. 1696. [VD17 23:271597C] Arnold, G., Die Evangelische Botschafft | Der | Herrlichkeit GOttes | in | Jesu Christo / | nach denen ordentlichen | Sonn= und Fest=Tags=Evangelien | vorgetragen / | Aus denen alten Kirchenlehrern erläutert / und nebenst | einigen andern geistlichen reden / | Wie auch Kurtzen betrachtungen über den Psalter | auf begehren ans licht gestellet | von | Gottfried Arnold / | Kön. Preuß. Inspectore zu Werben, Frankfurt a. M. 1706. [VD18 1142799X] Arnold, G., Die Geistliche | Gestalt | Eines | Evangelischen | Lehrers | Nach dem Sinn und Exempel | Der Alten | Auff vielfältiges Begehren | Ans Licht gestellet | Von | Gottfried Arnold, Halle 1704. [VD18 11089660] Arnold, G., Die Geistliche | Gestalt | Eines | Evangelischen | Lehrers | Nach dem Sinn und Exempel | Der Alten | ans Licht gestellet, | und in dieser Andern Ausfertigung | mit dem II. Theil | vermehret, | So daß fast alle zum Predigamt gehörige Puncte | untersuchet werden, | Nebst einem vollständigen | Register, | von Gottfried Arnold, | Kön. Preuß. Inspectore, Frankfurt a. M. / Leipzig 1723. [VD18 11401354] Arnold, G., Die | Verklärung | JEsu Christi | in der Seele / | aus denen gewöhnlichen Sonn= und Fest=Tags= | Episteln / | auf dem Fürstlichen schlosse zu Allstedt | gezeiget | durch | Gottfried Arnold. | Nebenst kurtzen anmerckungen über die Paßion, Frankfurt a. M. 1704. [VD18 10284346] Arnold, G., Die | Verklärung | JEsu Christi | in der Seele, | aus deren gewöhnlichen Sonn= und Fest=Tags= | Episteln, | auf den Fürstlichen Schloße zu Allstedt gezeiget | durch Gottfried Arnold, Inspect. | Nebenst kurtzen anmerckungen über die Paßion und einer | anzugs=predigt in Perleberg, Frankfurt a,. M. 1708. [VD18 11423765] Arnold, G., Die verursachte | Und doch gemäßigte | Sündfluth / | Bey der | Am 14. und 15. Februar. 1709. | Zu Perleberg ergangenen | Wasser=Fluth / | In einer am Sonntage Invocavit | darauff gehaltenen | Predigt / | Aus 2. Petr. II. 5. wolmeinend vorgestellet / | Und nun nebst einem | Historischen Anhang | Von merckwürdigen Zeichen solcher | Wasserfluthen und ungewöhnlichen | Kälte zum Druck überlassen / | Auf Begehren | Von | Gottfried Arnold / Past. und Inspect. | zu Perleberg, Berlin 1709. [VD18 10310134]
462
Quellen- und Literaturverzeichnis
Arnold, G., Ein rechter | Quasimodogenitus, | oder | Gleichsam neugebohren Gnaden=Kind | GOTTES / | nach desselben | Gnädiger Annehmung / | und | Erbaulichen Darstellung / | Bey Volckreicher Beerdigung | Des weiland | Edlen / Wohlweisen und Wohlfürnehmen | Herrn | Laurentii Giesen / | Wohl=meritirten Raths=Verwandten / des | Hospitals S. Spititus Vorstehers und berühm= | ten Apotheckers in Perleberg / | Am Sonntag Quasimodogeniti, war der 7. April. | des 1709. Jahres / Bey öffentlicher Versammlung / | in einer | Leich= und Gedächtniß=Predigt / | Der Gemeinde daselbst / durch Göttliche Gnade / gezeiget | von | Gottfried Arnold / Past. und Insp., Berlin 1709. [VD18 10485457] Arnold, G., Erklärung / | Vom gemeinen | Secten=wesen / Kirchen= und Abend= | mahl=gehen; | Wie auch | Vom recht=Evangel. Lehr=Amt / und recht=Christl. Freyheit: | Auff veranlassung | derer von | Ernest. Salom. Cypriani, | Extraord. Prof. Philos. Helmst. | Vorgebrachten beschuldigungen wider seine Person / | unpartheyisch vorgetragen, Leipzig 1700. [VD17 3:633626K] Arnold, G., Evangelische | Reden | über die | Sonn= u. Festtags=Evangelien / | zu einer bequemen | Hauß= und Reise=Postill | heraus gegeben; | mit einer Vorrede | de Methodo heroica, | oder | von der freyen und einfältigen | Predigt=Art / | durch Gottfried Arnold / | Past. und Inspectorem zu Perleberg, Leipzig 1709. [VD18 11428082] Arnold, G., Evangelische | Reden | über die | Sonn= und Festtags=Episteln | zu einer bequemen | Hauß= und Reise=Postill / | nebst | zweyen vor Ihro Königl. Majestät | der Königin in Preußen gehaltenen | Predigten / | und einer Vorrede | von recht= Evangelischer Abhandlung | derer Sonntags=Episteln / | herausgegeben von | Gottfried Arnold / | Königl. Preuß. Inspect., Frankfurt a. M. 1711. [VD18 10225668] Arnold, G., Gottfried Arnolds | Historie und beschreibung | Der | Mystischen | Theologie / | oder | geheimen Gottes Gelehrtheit / | wie auch | derer alten und neuen | Mysticorum, Frankfurt a. M. 1703. [VD18 1142365X] Arnold, G., Gottfrid Arnolds | Unparteyische | Kirchen- | und | Ketzer=Historie / von Anfang des Neuen Testaments | biß auff das Jahr Christi 1688, Bände 1 und 2, Frankfurt a. M. 1699/1700. [VD17 12:116524K] Arnold, G., Gothofredi Arnoldi | Historia | et | descriptio | theologiae | mysticae, | Seu | theosophiae arcanae | et reconditae, | itemq[ue] | veterum & novorum | mysticorum, Frankfurt a. M. 1702. [VD18 11359587] Arnold, G., Gottfried Arnolds, | Kön. Preuß. Inspect. | Christlicher | Unterricht, | So in sich hält: | I. Kurtze Fragen | vor die gar Einfältigen. | II. Milch vor die Jugend, | oder | Handleitung zum Christlichen Glau= | ben und Leben für die Fort= | gehenden. | III. Starcke Speise. | oder | Näherer Unterricht von den Geheim= | nissen des Evangelii für die Erwachse= | nen im Glauben. | Alles mit Biblischen Sprüchen auf | das einfältigste und nach dem lautern | Sinn des. H. Geistes in Frage und | Antwort vorgetragen, Frankfurt a. M. / Leipzig 1722. [VD18 1030715X] Arnold, G., Göttliche | Liebes= | Funcken / | Aus dem | Grossen Feuer | Der | Liebe Gottes | in | CHristo JESU | entsprungen; | und | gesammlet | von | Gottfried Arnold, Frankfurt a. M. 1698. [VD17 39:146898M] Arnold, G. (Hg.), Michael de Molinos, | Theol. Doctoris und Predigers | Geistlicher | Weg=Weiser / | Die Seele von den sinnlichen Dingen | abzuziehen / und durch den innerlichen Weg | zur völligen Beschauung und innern | Ruhe zu führen: | Aus fremden Sprachen in die | Hochteutsche übersetzt, | Und ehemals | Nebst des Autoris Lebens=Lauf | und Send=Schreiben von seinem inwendigen Zustand heraus= | gegeben, | In dieser dritten Ausfertigung aber | mit einer Anleitung zu unanstößiger |
1. Quellen und Editionen
463
Lesung dieses Buchs vermehret | Von | Gottfried Arnold / | Kön. Preuß. Inspectore, Frankfurt a. M. 1712. [VD18 10490590] Arnold, G., Seel. Hn. Gottfried Arnolds | Ehemals Professoris Historiarum zu Giessen | letztens Pastoris zu Perleberg und desselben Crayses | Inspectoris, wie auch Königl. Preußischen | Historiographi | Gedoppelter | Lebens=Lauff | Wovon der eine von Ihm selbst projectiret | und aufgesetzt worden | Auf vieler eyfriges Verlangen zum Druck | befodert, Leipzig/Gardelegen 1716 (in: G. Arnold, Gießener Antrittsvorlesung sowie andere Dokumente seiner Gießener Zeit und gedoppelter Lebenslauf, hg. v. H. Schneider, Leipzig 2012, 138–183). Arnold, G., Sonderbare | Predigten, | Zu unterschiedenen Zeiten gehalten | Von Gottfried Arnold, | Inspect. | Als ein Anhang zu seiner Epistel=Postill, Leipzig 1722. [VD18 11428015] Arnold, G., Theologia Experimentalis, | Das ist: | Geistliche | Erfahrungs=Lehre / | Oder | Erkäntniß und Erfahrung | Von denen vornehmsten Stücken | Des | Lebendigen Christenthums / | Von Anfang der Bekehrung biß zur Vollendung: | Nach Anleitung derer | Sonn= und Festtäglichen / wie auch Buß= | und anderer Texte / | Ehemals der Gemeine zu Perleberg vorgetragen: nun aber auff Verlangen | mit allerhand Anmeckungen / wie auch Beystimmung alter und neuer Lehrer | erläutert / und zu gemeinem Gebrauch dargeleget | Von | Gottfried Arnold / Königl. Preussischen | Inspectore des Perlebergischen Kraises / und Pastore | der Kirchen zu S. Jacob daselbst, Frankfurt a. M. 1714. [VD18 10423869] Arnold, G., Vorrede | Von recht | Geistreichen Predigten (in: N. Schröder, Nicolai Schröders / | gewesenen Predigers in Moißburg / | Wohl=gemeynte | Erinnerungen / | darinnen | Der wahre Gottesdienst / und | die nothwendigsten Stücke eines | Christlichen Lebens / nach denen Zeug= | nissen der heiligen Schrift ange= | wiesen werden. | Sonderlich der Gemeine zu Moiß= | burg zu ihrer Erbauung vorgeleget / dabey | aber auch zugleich andern Seelen zum allgemeinen | Nutzen mitgetheilet. | Nebst einer Vorrede | Herrn Gottfried Arnolds / | Past. und Inspect. zu Werben / | Von | recht geistreichen Predigten, Frankfurt 1709, 3–48). [VD18 12594814]
1.2. Archivalien Arnold, G., Abkündigungen Pfingstsonntag- und Montag 1708 (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 1/502, Bl 36r). Arnold, G., Nachschrifft von einigen bißhero geschehenen Veränderungen in hiesigen Kirchen=Sachen so zuvor nicht gewesen (Pfarrarchiv Perleberg, Sign. Pb 1/502, Bl 35/36). Brief von Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers, Perleberg 19.02.1711 (Berlin Staatsbibliothek, Nachlass A. H. Francke, Sign. 6,2/37: 33). Brief von Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers, Perleberger 29.06.1711 (Berlin Staatsbibliothek, Nachlass A. H. Francke, Sign. 6,2/37: 31). Brief von Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers, Perleberg 12.10.1711 (Berlin Staatsbibliothek, Nachlass A. H. Francke, Sign. 6,2/37: 32). Brief von Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers, 02.02.1713 (Berlin Staatsbibliothek, Nachlass A. H. Francke, Sign. 6,2/37: 34). Brief von Gottfried Arnold an Heinrich Julius Elers, Perleberg 04.02.1714 (Berlin Staatsbibliothek, Nachlass A. H. Francke, Sign. 6,2/37: 35).
464
Quellen- und Literaturverzeichnis
1.3. Kirchenväter und andere antike Autoren Ambrosius Mediolanensis De obitu Valentiniani (CSEL 73,327–367 Faller). De officiis ministrorum (PL 16, 23–184). De Spiritu Sancto (CSEL 79 Faller). Divi | Ambrosii | Mediolanensis | episcopi | operum | tomvs tertivs, Paris 1586. (Ps.-)Ambrosius Libellus de dignitate sacerdotali (PL 17, 567–598). Augustinus Hipponensis Contra duas epistulas Pelagianorum (CSEL 60, 421–570 Urba/Zycha). Contra Faustum Manichaeum (CSEL 25/1, 249–797 Zycha) De baptismo contra Donatistas libri VII (CSEL 51, 143–375 Petschenig). De ciuitate Dei (CSEL 40/1 Hoffmann). De fide et operibus (CSEL 41, 33–97 Zycha). Epistulae (CSEL 34,1; 34,2; 44; 57; 58 Goldbacher). Tractatus in Euangelium Ioannis (CCSL 36 Willems). Opera Omnia, Bände 1–11, hg. v. J. Amerbach, Basel 1506. (Ps.-)Barnabas Epistula (in: Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe, hg. v. A. Lindemann/H. Paulsen, Tübingen 1992, 26–75). Basilius Caesariensis De spiritu sancto (SC 17/2 Pruche; FC 12 Sieben). Epistulae (Saint Basile. Lettres I, II, III, hg. v. Y. Courtonne, Paris 1957, 1961, 1966). Sermones viginti quatuor (MPG 32, 1115–1382). Bernardus Claraeuallensis Epistulae (42–91: SC 458 Duchet-Suchaux/Rochais). Sermo de conuersione ad clericos (SC 457, 324–421 Callerot/Miethke/Jaqinod). Sermones super Cantica Canticorum (16–32: SC 431 Verdeyen/Fassetta; 51–68: SC 472 Verdeyen/Fassetta). Vitis mystica seu tractatus de passione domini super Ego sum vitis vera (PL 184, 635–740). Iohannes Chrysostomus De sacerdotio libri I–VI (PG 48, 623–692; SC 272 Malingery). In Acta apostolorum homiliae I–LV (PG 60, 13–384). In epistulam ad Philippenses argumentum et homiliae I–XV (PG 62, 177–298). In epistulam ad Titum homiliae I–VI (PG 62, 663–700). In Matthaeum homiliae I–XC (PG 57, 13 – 58, 794). (Ps.-)Chrysostomus Opus imperfectum in Matthaeum (PG 56, 611–946). Clemens Alexandrinus Stromata (GCS 52 Füchtel/Treu). Constitutiones apostolorum Liber VII – Liber VIII (SC 336 Metzger).
1. Quellen und Editionen
465
Cyprianus episcopus Carthaginensis Epistulae (CSEL 3/2 Hartel; CCSL 3 Diercks). Cyrillus Alexandrinus Contra Iulianum imperatorem (GCS.NF 21 Kinzig/Brüggemann). Diadochus Photicensis Capita centum de perfectione spirituali (SC 5/2 Places). (Ps.-)Dionysius Areopagita De coelesti hierarchia (PTS 67, 7–59 Heil/Ritter). De ecclesiastica hierarchia (PG 3, 369–569). Epistulae (PTS 67, 156–210 Heil/Ritter). Gregorius episcopus Neocaesariensis thaumaturgus Epistula canonica (PG 10, 1020–1048). Eusebius Caesariensis Vita Constantini (GCS 7 Winkelmann). Historia ecclesiastica (GCS.NF 6 Schwartz/Mommsen/Winkelmann). Georgius Pachymeris Paraphrasis (PG 3, 120–1064). Gregorius magnus Homiliae XL in Euangelia (PL 76, 1075–1312; FC 28 Fiedrowicz). Moralia siue expositio in Iob (PL 75; 509–1160; CCSL 143 Adriaen). Regula pastoralis (SC 381 f Rommel). Gregorius Nazianzenus Carmina dogmatica I–XXXVIII (= Carm. I 1 1–38) (PG 37, 397–521). Carmina moralia I–XL (= Carm. I 2 1–40) (PG 37, 521–968). Orationes XLV (PG 35 f; 1–3: SC 247 Bernardi). Opera, 3 Bände, hg. v. J. de Billy de Prunay, Köln/Leipzig 31690. Über die Bischöfe (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums. Neue Folge, II,7), hg. v. B. Meier, Paderborn 1989. Gregorius Presbyter Vita sancti patris nostri Gregorii Theologi Episcopi Nazianzeni, a Gregorio Presbytero Graece conscripta (PG 35, 244–304; in: S. P. N. Gregorii Nazianzeni Opera I, hg. v. J. de Billy de Prunay, 1690, initio [unpag.]). Hesychius sinaita De temperantia et uirtute. Recensio longior (Centuriae II) (PG 93, 1479–1544). Hieronymus presbyter Epistulae (CSEL 54–56 Hilberg). Hilarius episcopus Pictaviensis Commentarius in Euangelium Matthaei (Caput I–XIII: SC 254 Doignon). (Ps.-)Ignatius Epistula II ad Polycarpum (PG 5, 857–872).
466
Quellen- und Literaturverzeichnis
Irenaeus Lugdunensis Aduersus haereses (PG 7, 437–1224; Lib IV: SC 100 Rousseau). Isaacus syrus Liber de contemptu mundi (PG 86/1, 811–886). Isidorus Pelusiota Epistulae (PG 78,177–1645). Iustinus Martyr Iustini martyris Apologiae pro Christianis (PTS 38 Marcovich). Lactantius Diuinae Institutiones (CSEL 19 Brandt). Leo I papa Epistulae (PL 54, 593–1218). (Ps.-)Macarius Homiliae spirituales (PG 34, 449–822; PTS 4 Dörries/Klostermann/Kroeger). Origenes Homiliae in Psalmos (36–38: SC 411 Prinzivalli/Crouzel/Brésard). In Epistulam Pauli ad Romanos libri X (PG 14, 833–1292; Liber XI–X: SC 555 Fédou/ Brésard; Neuntes und zehntes Buch: FC 2/5 Heither). Rufinus Presbyter Historia Ecclesiastica (GCS.NF 6 Schwartz/Mommsen/Winkelmann). Rupertus abbas Commentaria in Evangelium S. Joannis (PL 169, 201–827). Sozomenos Historia Ecclesiastica (GCS.NF 4 Hansen). Tertullianus Apologeticum (CSEL 69 Hoppe). De oratione (CSEL 20, 180–200 Wissowa; CCSL 1, 257–274 Diercks). De pallio (PL 2, 1029–1050; CCSL 2, 733–750 Gerlo; CSEL 76, 104–126 Bulhart). Theodoretus episcopus Cyri Historia ecclesiastica (GCS.NF 5 Parmentier/Hansen).
1.4. Autorinnen und Autoren des Mittelalters und der Neuzeit [Stryk, J. C.], ΛΟΓΙΚΗ ΛΑΤΡΕΙΑ | sive | Observationes necessariæ | Ad Tertium Præceptum Decalogi | De Sabbati Jure & Officiis | collectae | a | J. C. S., Frankfurt a. M./ Leipzig 1703. [VD18 11236159] Albrecht-Birkner, V. / Breul, W. u. a. (Hg.), Pietismus. Eine Anthologie von Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts, Leipzig 2017. Anselm von Canterbury, Liber meditationum et orationum (PL 158, 709–820). Aretius, B., S. S. | Theologiae problemata | Hoc est: | loci communes | Christianae religionis, | methodo explicati […], Bern 1604. [VD17 12:119402P]
1. Quellen und Editionen
467
Arndt, J., Postilla, | Das ist: | Geistreiche Erklärung | Der Evangelischen Texte durchs | gantze Jahr auff alle Sonn Hohe und andere Fest= | und Apostel=Tage: | Sampt einer dreyfach-durchgehenden Betrachtung über | die gantze | Passions-Historia. | Alles also eingerichtet / | Daß durchgehends auff jeden Text zwo / drey / vier / auch zuweilen fünff | unterschiedliche Predigten zu finden / Mit höchstem Fleiß | Zur Ehre Gottes und Erbauung deß | wahren Christenthumbs / Gestellet durch | Herrn Johann Arndten […], Band 1, Frankfurt a. M. 1675. [VD17 12:633789B] Arndt, J., Vier Bücher | Von wahrem Christenthum / | Heilsamer | Busse / | Hertzli= | cher Rewe vnd Leid vber die Sün= | de vnd wahrem Glauben: auch heili= | gem Leben vnd Wandel der rechten | wahren Christen. | Derer Inhalt nach dem Titul zu finden. | Das Erste Buch […], Magdeburg 1610. [VD17 1:039797F] Balduin, F., Brevis | Institutio Mi- | nistrorum verbi, potissi- | mum ex priore Epistola D. Pauli | ad Timotheum | Conscripta, Wittenberg 1621. [VD17 3:022732V] Baronio, C., Annales ecclesiastici a Christo nato ad annum 1198, Band 10, Köln 1603. [VD17 12:116710H] Baudert, W., Apophthegmata Christiana. | Ofte | Ghedenck-weerdighe | Leer= | saeme / ende aerdighe Spreucken / van vele ende | verscheyden Christelijcke ende Christen-ghelijcke Per= | soonen ghesproken […], Arnheim 1616. Bellarmin, R., De | ascensione | mentis in Devm | per scalas rerum | creatarvm | opusculum, Köln 1615. [VD17 32:664026R] Bona, G., Principia | Et | Documenta | Vitae Christianae, Rom 1674. Bretschneider, K. G. / Bindseil, H. E., Corpus Reformatorum. Serie I. Philipp Melanchthon, Opera Quae Supersunt Omnia, Bände 1–28, 1834–1860. Brunnemann, J., De | Iure Ec- | clesiastico, | tractatus posthumus | in usum | Ecclesiarum Evangel. et Consistoriorum | Concinnatus […], Frankfurt a. O. 1681. [VD17 15:742607E] Bucer, M., Bestendige Verantwortung, auß der Heiligen Schrifft, vnd war Catholischer Lehre, vnd haltung der Algemeinen Christlichen Kirchen, des Bedenckens vonn Christlicher Reformation […] (BDS 11,3; 23–672). Bucer, M., Von der waren Seelsorge und dem rechten Hirtendienst (BDS 7,67–241). Carpzov, J. B., Hodegeticum brevibus aphorismis pro collegio concionatorio conceptum / Ein Wegweiser für Prediger in Leitsätzen: Lateinisch-Deutsch, hg. u. übers. v. R. Preul, Leipzig 2014. Casaubon, I., De rebus sacris | & Ecclesiasticis | exercitationes XVI […], Frankfurt a. M. 1615. [VD17 12:116615R] Cave, W., William Cave | erstes | Christenthum / | oder | Gottesdienst der alten | Christen in den ersten zei= | ten des evangelii; | Aus dem englischen anitzo übersetzet, Leipzig 1694. [VD17 39:143787D] Cave, W., Primitive Christianity: | or, the | Religion | Of the Ancient | Christians | In The First Ages | of the | Gospel, Bände 1–2, London 1672. Chemnitz, M., Examinis | concilii | Tridentini, per D. | D. Mart. Chemicivm | scripti, | opvs integrum, quatvor partes, | in quibus praecipuorum capitum totius doctrinae Papisticae firma & solida | refutatio, tum ex sacrae Scripturae fontibus, tum ex orthodoxorum | Patrum consensu sollecta est, Volumine complectens […], Genf 1641. Colerus, J. C., Historia | Gothofredi Arnoldi | qua | de vita, scriptis actisque | illius | non copiose magis quam vere | atque idonea fide exponitvr […], Wittenberg 1718. [VD18 11383704]
468
Quellen- und Literaturverzeichnis
Colerus, J. C., Summarische | Nachricht | Von | Gottfried Arnolds | Leben und Schrifften / | bevorab der bruffenen | Kirchen= und Ketzer=Historie / | und denen dieserwegen gehabten deme- | leen, seinen Lehren, und Meynungen, Gege= | gnern und Verthädigern, etc. und was sonst mit ihm vorgegangen […], Wittenberg 1717. [VD18 14650932] Cyprian, E. S., Allgemeine Anmerckungen | über | Gottfried Arnolds | Kirchen= | und | Ketzer=Historie / | Worinnen bescheidentlich und gründ= | lich erwiesen wird / daß Arnold, vermöge sei= | ner vorgefaßten Meynungen / nothwendig par= | theyisch schreiben / seine Klagen wider die Kirche auf | schwache Gründe bauen / und einiger Scribenten Meynung / | so gar verdrehen müssen / daß auch nur in einem halben para- | grapho der Sinn und die Worte Augustini, denen Do- | natisten zum Behuff / über sechsmahl ver= | fälschet worden, Helmstedt 1700. [VD17 12:118829X] Dingel, I. (Hg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Göttingen 2014. Duplessis-Mornay, Ph., De sacra | evcharistia, | in quatuor libros | distinctum opus […], Hannover 1605. [VD17 1:074015S] Egardus, P., Mundus Immundus, Das ist: Das falsche Christenthumb der Welt, Lüneburg 1623. [VD17 23:275553P] Eggelingk, F. / Hildebrand, J., De | veterum | concionibvs | dissertatio | quam | divina favente gratia | conscripsit | et | svb praesidio | Ioachimi Hildebrandi […] publice examinandam proponit, Helmstedt 1661. Erasmus von Rotterdam, Des. Erasmi Rot. opervm | tertius tomvs epi | stolas complectens vniversas […], Basel 1540. [VD17 12:109788Z] Fabri, J. E., Johann Ernst Fabris geographisches Magazin, Band 2, Heft 58, Dessau/ Leipzig 1783. [VD18 90281012] Fecht, J., De | excommunica- | tione | ecclesiastica, | eiusque | indole & aeqvitate | tractatio theologica | Godofredo Arnoldo opposita, Leipzig 1712. [VD18 11390719] Fecht, J., Historiae ecclesiasticae | saeculi XVI. | supplementum; | pluriforum et celebrimorum ex illo aevo | theologorum epistolis […], Frankfurt a. M./Speyer 1684. [VD17 1:049398V] Ferrario, F. B., De ritv | sacrarum | ecclesiae catholicae | concionvm | libri tres, Paris, 1664. Flaviacensis, R., In mysticum illum Moysi | Leuiticum libri XX […], Marburg 1536. [VD16 B 3019] Francke, A. H., Idea studiosi Theologiae, 1712 (in: Vom Orde, K. [Hg.], Pietas et eruditio. Pietistische Texte zum Theologiestudium, Leipzig 2016, 60–74). Francke, A. H., Project des Seminarii Ministerii Ecclesiastici (in: vom Orde, K. [Hg.], Pietas et eruditio. Pietistische Texte zum Theologiestudium, Leipzig 2016, 75–82). Franz Lambert von Avignon, Commentarii de Prophetia, | Eruditione & Linguis, de= | [que] Litera et Spiritu, Straßburg 1526. [VD16 L 135] Freylinghausen, J. A., Compendium | oder | Kurtzer | Begriff | der gantzen | Christlichen Lehre | in XXXIV Articuln/ | nebst einer | Summarischen Vorstellung | Der göttlichen | Ordnung des Heyls | in Frage und Antwort | einfältig und Schriftmässig entworfen […], Halle 1705. Friedrich von Brandenburg, Sr. Churfürstl. Durchl. | zu Brandenburg / | Gnädigstes | Decisum, | Wegen der Freyheit | Des Beicht=Stuhls / | In Dero Residentien, Berlin 1698. [VD17 75:679379N]
1. Quellen und Editionen
469
Gerhard, J., Locus vicesimus primus de sacra coena (in: Ders., Loci theologici cum pro adstruenda veritate tum pro destrunda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervose solide et copiose explicati. Tomus Quintus, hg. v. E. Preuss, Leipzig 1867, 1–265). Gerhard, J., Locus vicesimus tertius de ministerio ecclesiastico (in: Ders., Loci theologici cum pro adstruenda veritate tum pro destrunda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervose solide et copiose explicati. Tomus Sextus, hg. v. E. Preuss, Leipzig 1885, 1–265). Gerhard, J., Methodus | studii theo- | logici | Publicis praelectionibus in Aca- | demia Jenensi Anno 1617 […], Jena 1620. [VD17 23:245131D] Gerhard, J., Patrologia, | sive | De primitivae Ecclesiae Christianae | Doctorum Vita ac Lucubrationibus | Opusculum posthumum. | Accesserunt de Scholasticis ac Historiae Ec- | clesiasticae scriptoribus […] judicia varia. | Item Laudationes Funebres in diversis Germaniae | Academiis dictae, in quibus Auctoris vita ac | scripta pertractantur, Jena 1653. [VD17 23:245152Z] Gratian, Concordia Discordantium Canonum (PL 187). Gratian, Tractatus de Penitentia. A New Latin Edition with English Translation (Studies in Medievil and Early Modern Canon Law 14), hg. v. A. A. Larson, Washington 2016. Hartmann, J. L., Pastorale | evangelicum, | seu | instructio plenior | ministrorum verbi, | libris quatuor partoris […], Nürnberg 1678. [VD17 1:080173G] Hemmingsen, N., Pastor | sive | pastoris | optimus vi- | vendi agendi- | que modus […], Leipzig 1565. [VD16 H 1869] Hemmingsen, N., Pastor. | Vnterrichtunge / Wie ein | Pfarherr und Seelsorger in lehr / | leben und allem wandel sich Christlich | verhalten soll […], Leipzig 1566. [VD16 H 1873] Hülsemann, J., Oratoriae ec- | clesiasticae | liber unus, | Quo, | Methodica ratio concipiendi | conciones sacras, | in usum tironum, | paucis delineator […], Wittenberg 1633. [VD17 3:316036H] König, G. M., Casus con- | scientiae, | qui | in sex capitibus do- | ctrinae catecheticae, una | cum tabula oeconomica […], Altendorf 1654. [VD17 39:134683U] Kortholt, Ch., Historia ecclesiastica Novi Testamenti και ἐπιτομήν, a Christo nato usque ad saeculum decimum septimum […], Nürnberg u. a. 1697. [VD17 12:116147Y] Kromayer. H., Ecclesia in politia | id est | historiae ecclesiasticae centuriae XVI | cum praesente dimidiate, | quibus propter synchronismos | imperatorum res gestae | praecipue praemißae, | Nucleum & medullam utriusque partis | succincta brevitate complexae, observationisbus rarioribus | passim insertis exornatae, glossisque marginalibus in | Collegiis privatis illustratae […], Leipzig 1673. [VD17 3:013649A] Luther, M., Biblia: | Das ist: Die | gantze Heilige Schrifft / | Deudsch / Auffs new | zugericht, Wittenberg 1545. [VD16 B 2719] Luther, M., D. Martin Luthers Werke. 120 Bände (WA), Weimar 1883–2009. Luther, M., Der Erste (bis Neunde) Teil | aller Deutschen Bücher | und Schrifften des theuren / seeligen | Mannes Gottes / Doct. Martini Lutheri […] | Aus denen Wittenbergischen / Jehnisch= und | Eißlebischen Tomis zusammen getragen, 9 Bände, hg. v. J. C. Sagittarius, Altenburg 1661–64. [VD17 3:307859P] Luther, M., Tomus secundus Epistularum Martini Lutheri, hg. von J. Aurifaber, Jena 1565. [VD16 L 4652]
470
Quellen- und Literaturverzeichnis
Mathesius, J., Historien / | Von des Ehrwirdigen in | Gott Seligen thewren Manns Gottes / | Doctoris Martini Luthers / | anfang / | lehr / leben vnd sterben / | Alles ordendlich der Jarzal nach / | wie sich alle sachen zu jeder zeyt ha= | ben zugetragen […], Nürnberg 1567. [VD16 M 1491] Melanchthon, Ph., Elementa Rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik (Bibliothek der seltenen Texte. Band 7), hg. u. übers. v. V. Wels, Berlin 22001. Melanchthon, Ph., Heubtartikel Christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner Loci theologici nach dem Autograph und dem Originaldruck von 1553, hg. v. R. Jenett/J. Schilling, Berlin 2002. Melanchthon, Ph., Loci communes 1521. Lateinisch-Deutsch, übers. v. H.‑G. Pöhlmann, Gütersloh 21997. Melanchthon, Ph., Oratio | de sophistica ha= | bita a magistro | Erasmo Reinhold. | Salueldensi. | Oratio de divo | Ambrosio habita a Magistro | Marcello, Wittenberg 1541. [VD16 M 3884] Melanchthon, Ph., Philippi | Melanthonis cvm | Praefationum in quosdam illustres Autores: tum | Orationum de clarißimorum uiro= | rum uitis: | tomvs secvndvs, Straßburg 1546. [VD16 M 3558] Mengering, A., Scrutinium conscientiae | catecheticum, | Das ist / | Sünden=Ruge | und | Gewissens=Forschung / | Wie man nach dem Catechismo Lutheri sein Gewissen / | bekanter und unbekanter Sünden und Fehler wegen / gründlich | durchforschen / examinieren und befriedigen soll / Nicht allein denen Theologis und Beicht= Vätern / sondern auch | allen und jeden Gewissenhafften Christen und Beicht=Kindern zu Nutz und Dienst […], Frankfurt a. M. 1687. [VD17 32:691082W] Micraelius, J., Syntagma | Historiarum | ecclesiae | omnium | in quo | Piorum aeque ac | impiorum coetus, | ab initio mundi ad | haec usque tempora, | compendiosa methodo | describuntur, Secunda editione Magnam partem auctius et emendatius, Stettin 1644. [VD17 23:253360W] Mosheim, J. L. von, Pastoral= | Theologie | von denen | Pflichten und Lehramt eines | Dieners des Evangelii, Frankfurt a. M./Leipzig 1754. [VD18 10398422] Müller, H., Apostolische | Schluß=Kette / Und / Krafft=Kern / | Oder | Gründliche Außlegung der ge= | wöhnlichen Sontags=Episteln / worinnen nicht | allein der Buchstabe nach dem Sinn deß Geistes erkläret / | sondern auch die Glaubens=Stärckung / und Lebens Besserung / auß den Krafft=Wörtern der Grundsprachen heraußgezogen / | vorgetragen wird / | In öffentlichen Predigten vorgestellet / numehr | aber auff vieler Gott=liebenden Hertzen bewegliches | Anhalten zum Druck befördert […], Lübeck 1663. [VD17 23:302595W] Müller, H., Göttliche | Liebes=Flamme / | Oder | Auffmunterung zur Liebe | Gottes: | Durch Vorstellung dessen un=endlichen Liebe gegen uns. | Mit vielen schönen Sinnebildern | gezieret / und drey nöthigen | Registern versehen […], Frankfurt a. M. 1677. [VD17 39:156196M] Nicolaus a Jesu Maria, Phrasium | mysticae Theologiae | V. P. F. Ioannis a Cruce | Carmelitarum excalceatorum | Parentis primi | elvcidatio […], o. O. 1631. O. N., Catalogus bibliothecae b[eati]. Godofredi Arnoldi, inspectoris et pastoris Perlebergensis (CBA), o. O. 1714 (in: D. Blaufuss/F. Niewöhner [Hg], Gottfried Arnold [1666–1714], Wiesbaden 1995, 337–410). O. N., Die Augspurgische Confession / | aus dem Rechten Original / welches Keyser Carolo dem V. | auff dem Reichstage zu Augspurg Anno 1530. ubergeben / Der Kleine Cate= | chismus. Erklerung und kutzer Außzug aus den Postillen und Lehr-
1. Quellen und Editionen
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schrifften des thewren | Mans Gottes D. Lutheri / daraus zusehen / wie derselbe von fürnembsten Artickeln vnserer | Christlichen Religion gelehret / Aus verordnunge des Durchlauchtigsten / Hochgebornen Für= | sten und Herrn / Herrn Johansen Georgen […] Vor die Kirchen in sei= | ner Churfürst. G. Landen / Neben einer allgemeinen | Agenden oder Ordnung / nach welcher sich die | Pfarherr und Kirchendiener zuuorhal= | ten / zusamen gedruckt, Frankfurt a. O. 1572. [VD16 C 4778] O. N., Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 132010. O. N., Gespräche | Im | Reiche der Todten | Zwischen Dem Hochberühmten Wittenbergischen | General-Superintendenten und Professore | Theologiae | D. Gottlieb Wernsdorffen | Und dem gleichfalls | Weltkundigen Perlebergischen | Inspectore und Pastore | Gottfried Arnolden, | Darinn beyder Männer merckwürdiger Lebens-Lauff | nebst anderer curieusen Particularitäten anzutreffen, Freystadt 1729. [VD18 14117754] O. N., Homilie hoc est Conciones | populares sanctissimorum ecclesie doctorum | Hieronymi, Ambrosij, Augustini, Gregorij, | Origenis, Joannis Chrysostomi, Bede | presbyteri. Maximi episcopi et | aliorum, hg. v. J. Froben, Basel 1516. [VD16 P 1053] O. N., Kurtze anzeigung | vnd widerlegung der zugemessenen Artickel | vnd Puncten / in welchen die Prediger zu Bremen al= | lerhand vermeinter irrthumb vnd Sectereyen vngutlichen bezich= | tiget / vnd dadurch bey hohes vnd nidriges standes | Personen zum eussersten verunglim= | pffet worden sind […], Bremen 1582. [VD16 K 2618] Osiander, L., Epitomes | historiae | ecclesia- | sticae | Centuriae XVI. | Pars Altera, Tübingen 1603. [VD17 23:230273A] Ott, H., Annales | anabaptistici | hoc est, | Historia | universalis de ana- | baptistarum origine, progressu, factionibus & | schismatis, paradoxis, tumultibus, colloquiis, pacifi- | cationibus, locis & sedibus, scriptis hinc illinc | emissis, edictis & iudiciis, ac quicquid | praeterea ad rem facere | videtur. | His praemissa prolegomena | 1. Ad lectorem. 2. de variis Anabaptistarum sectis | tractatio duplex. 3. collatio cum veteribus haereticis. | 4. de Donatistis. 5. quomodo tractandi eiusmodi | homines; | una cum indice copioso, Basel 1672. [VD17 12:119791F] Pfeiffer, J., Gebete für evangelische Geistliche auf alle Tage der Woche sowie vor und nach den Amtsverrichtungen. Ein Taschenbüchlein, Nürnberg 1870. Quenstedt, J. A., Antiqvi- | tates | biblicae | et | ecclesiasticae, | Accedit ejusdem autoris tractatus | De | Antiqvis Ritibus Sepulchralibus Grae- | corum, Romanorum, Judaeorum | & Christianorum […], Wittenberg 1688. [VD17 12:116167M] Quenstedt, J. A., Disputatio theologica | de | certitudine | perseverantiae | et salutis […], Wittenberg 1702. [VD18 10454950] Quenstedt, J. A., Ethica pastoralis, | & | instructio cathedralis, | sive | Monita, | Omnibus ac singulis, Munus | Concionatorium ambientibus & | obeuntibus, | Cum quoad Vitam, tum quoad Concio- | nem formandam scitu & obeservatu | necessaria […], Wittenberg 1678. [VD17 1:080077G] Ratzenberger, M., D. Matthäi Ratzenbergers | geheime Geschichte | von den | Chur= und Sächsischen | Höfen | und den | Religions=Streitigkeiten | seiner Zeit | mit erläuternden und widerlegenden | Anmerkungen […], hg. v. G. Th. Strobel/ L. Schüpfel, Altdorf 1774. [VD18 14824159] Rechenberg, A., Summarium | historiae | Ecclesiasticae, | In. | usum | Studiosae Juventutis | adornatum […], Leipzig 1697. [VD17 23:282616F] Reitz, J. H., Historie | der | Wiedergebohrnen / | Oder | Exempel gottseliger / so bekannt= | und benannt=als unbekannter | Christen / | Männlichen und Weiblichen | Geschlechts, | In allerley Ständen / | Wie | Dieselben erst von GOTT gezogen und |
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Register (kursive Angaben verweisen auf den Predigtkatalog)
1. Bibelstellen Altes Testament Genesis Gen 1,27 Gen 3,1–6 Gen 3,8–13 Gen 4,7 Gen 6,3 Gen 6,5 f Gen 6,8 f Gen 6,11–13 Gen 6,11 Gen 6,12 Gen 6,13 Gen 8,21 Gen 11,1–9 Gen 12,1 f Gen 12,3 Gen 13,8 f Gen 14,18–20 Gen 15,1 Gen 15,6 Gen 16,13 Gen 17,1 Gen 18,17–19 Gen 18,18 Gen 18,20 f Gen 19,15–22 Gen 20,6 Gen 21,19 Gen 22,1 f Gen 22,18 Gen 24,50 Gen 25,23 Gen 26,2–5 Gen 26,18 Gen 28 Gen 28,11–15
445 445 445 445 445 445 445 256 f, 446 257 257 257 446 446 446 241, 446 446 241, 446 447 447 447 447 447 446 447 447 448 448 448 446 448 448 448 172 241 448
Gen 28,16 f Gen 28,20–22 Gen 31,24 Gen 32,1 f Gen 32,9–12 Gen 32,24–30 Gen 33,10 f Gen 35,1–3 Gen 37,18 f Gen 39,9 Gen 42,21 Gen 45,2 Gen 47,9 Gen 48,15 f Gen 49,10 Gen 49,18 Gen 50,20
449 449 449 449 449 449 449 449 450 450 450 450 450 450 241, 450 241, 450 450
Exodus Ex 33,19
306
Numeri Num 21,5–9
485
Samuel 1.2 1 Sam 1,22 1 Sam 1,24
451 451
Chronik 1.2 1 Chr 23,13
120
Psalmen Ps 23 Ps 25,17 f Ps 34 Ps 36 Ps 37,6 Ps 42
355 452 270, 355 257 3, 52 355
484
Register
Ps 42,2 Ps 51 Ps 71 Ps 71,20 f Ps 73,28 Ps 85 Ps 91,12 Ps 110,4 Ps 128,1–4 Ps 130,5 f Ps 145
388 262 112 452 457 429 452 266 457 457 355
Sprüche Prov 26,6 f
151
Hoheslied Hoh 1,3
139
Jesaja Jes 1 Jes 11,1–5 Jes 28,19 Jes 40,1–15 Jes 42,1–4 Jes 49,1 Jes 52,13–15 Jes 53,1–14 Jes 60,1–7
120 418, 426 172 425 148 120 437 437 420
Jeremia Jer 23,21 Jer 27,9 Jer 27,14 Jer 27,15 Jer 30,12
120 f 121 121 121 450
Ezechiel Ez 8
275, 294
Hosea Hos 2,19
457
Daniel Dan 12,13
485
Sapientia Salomonis SapSal 7,24 139 SapSal 7,27 112 SapSal 10,20 104
Jesus Sirach Sir 15,1–15
172
Neues Testament Matthäus Mt 4,1–11 Mt 5,9 Mt 5,20–26 Mt 6,19–34 Mt 6,24–34 Mt 7,15–23 Mt 8,1–13 Mt 8,23–27 Mt 9,1–8 Mt 9,18–26 Mt 2,1–12 Mt 2,13–23 Mt 11 Mt 11,2–10 Mt 11,25 f Mt 11,5 Mt 12,35 Mt 13,24–30 Mt 15,21–28 Mt 18 Mt 18,1–11 Mt 18,23–35 Mt 19,14 Mt 20,1–16 Mt 21,10–17 Mt 21,1–9 Mt 22,1–14 Mt 21,12 f Mt 22,15–22 Mt 24,15–28 Mt 22,34–46 Mt 25 Mt 25,1–13 Mt 25,31–46 Mt 26,1–5 Mt 28,19 Mt 28,26 Mt 26,28
436 120 440 141 441 440 435 435 442 442 434 434 153 433 25 144, 191, 226, 228 221 435 436 365 441 442 317 435 437 433 442 272 442 443 442 153 443 443 451 123, 344 318 443
Markus Mk 7,31–37 Mk 8,1–9
441 440, 455
Mk 11,15 f Mk 10,13–16 Mk 16,1–8 Mk 16,14–20 Mk 16,16 Lukas Lk 1,7 Lk 1,26–38 Lk 1,39–56 Lk 1,57–80 Lk 1,80 Lk 2,1–14 Lk 2,15–20 Lk 2,21 Lk 2,22–32 Lk 2,33–40 Lk 2,41–52 Lk 5,1–11 Lk 6,13 Lk 6,36–42 Lk 6,36 Lk 7,11–17 Lk 7,22 Lk 8,4–15 Lk 10,23–37 Lk 11,14–28 Lk 12,15 Lk 14,1–11 Lk 14,11 Lk 14,15 Lk 14,16–24 Lk 15,1–10 Lk 15,11–32 Lk 16,1–9 Lk 16,19–31 Lk 17,11–19 Lk 18,9–14 Lk 18,31–43 Lk 19,41–48
485
1. Bibelstellen
272 331 437 438 343
79 437 440 440 134 433 433 434 435 434 434 440 120 440 417 441 191, 226 436 441 203, 436 141 442 417 387 439 439 443 440 439 441 282, 441 436 261, 272–274, 288–291, 300, 305–307, 355, 417, 441 Lk 19,41–47a 273 Lk 19,41–44 272 f Lk 19,41 272, 277 f Lk 19,42 294 Lk 19,42a 278 Lk 19,43 f 278
Lk 19,44 Lk 19,45 Lk 19,45 f Lk 19,47 f Lk 19,47b Lk 19,48 Lk 21,5 f Lk 21,25–36 Lk 22,1–23,56 Lk 24,13–35 Lk 24,29 Lk 24,36–47
277 272 272 f 273 276 293 273 433 422 438 452 438
Johannes Joh 1,1–14 Joh 1,12 Joh 1,9 Joh 1,19–28 Joh 2 239, Joh 2,1–11 Joh 2,15 f Joh 3,1–15 Joh 3,16–21 Joh 3,27 Joh 4,20–23 Joh 4,24 Joh 4,34 Joh 4,47–54 Joh 5,30 Joh 5,37 Joh 6 Joh 6,1–15 Joh 6,32 f Joh 6,38 Joh 6,40 Joh 6,44 f Joh 6,54 f Joh 6,70 Joh 7,38 Joh 8,46–59 Joh 9,31 Joh 10,1–10 Joh 10,12–16 Joh 11,25 f Joh 13,1–15 Joh 13,1–5 Joh 13,4 Joh 13,6–19
419 343 233 433 272 435 272 439 439 121 273 450 238 442 238 114 390 436 380, 443 238 292 225 391 120 158 437 152 439 250, 438 451 392–394, 400, 437 393 392 393
486 Joh 13,18 Joh 14,21 Joh 14,23–31
Register
Joh 14,23 Joh 14,24 Joh 14,26 Joh 14,27 Joh 14,28 Joh 14,31 Joh 15,4 f Joh 15,13 Joh 15,26 f Joh 16,1–4 Joh 16,5–15 Joh 16,16–23 Joh 16,23–30 Joh 16,14 Joh 17,3 Joh 17,26 Joh 19,34 Joh 20,19–31 Joh 21,15–24
120 253, 390 229, 237, 250, 254, 310, 439 230, 251, 253, 390 225 230 f 253 f 238, 253 238 390 411 225, 233, 431, 439 431, 439 438 438 438 225 219, 391 390 353 438 434
Apostelgeschichte Apg 1,1–11 Apg 1,2 Apg 1,24 Apg 2 Apg 2,1–13 Apg 2,42 Apg 6,8–15 Apg 8,14–17 Apg 9,4 Apg 9,15 Apg 10 Apg 10,34–43 Apg 10,42–48 Apg 13,17 Apg 13,36–47 Apg 14,15–17 Apg 20,17 Apg 20,28
425 120 120 156, 251 424 354 206 424 240 111 323 423 424 26 423 451 26 26
Römer Röm 1,1 120 Röm 1,9 f 222 Röm 1,18–32 40
Röm 2,20 130 Röm 4 339 Röm 4,17 120 Röm 5,4 268 Röm 5,20 f 258 Röm 5,20 256 Röm 5,21 256 Röm 6 f 142 Röm 6 343 f Röm 6,1 256 Röm 6,3–11 334–341, 426 Röm 6,3 335, 338, 342 f, 345 f Röm 6,4 337, 346 Röm 6,6 336 Röm 6,7 336 Röm 6,8 335 Röm 6,9 f 337 Röm 6,11 337 Röm 6,12 336 Röm 6,14 247, 336 Röm 6,19–23 426 Röm 7,18 f 256 Röm 8,12–17 426 Röm 8,18–23 425 Röm 8,18 485 Röm 8,38 485 Röm 10,14 171 Röm 10,15 121 Röm 11,22 306 Röm 11,33–36 425 Röm 12,1–8 310 Röm 12,1–4 238 f, 420 Röm 12,2 238 Röm 12,5–8 239, 254 f, 420 Röm 12,17–21 420 Röm 13,8–10 421 Röm 13,11–14 419 Röm 14,23 227 Röm 15,4–13 419 Röm 15,4 49 1. Korinther 1 Kor 1,4–9 1 Kor 1,4 1 Kor 1,24 1 Kor 2,4 1 Kor 3,4 1 Kor 3,5
428 222 232 224 70 26
1 Kor 3,9 155 1 Kor 3,16 273 1 Kor 1,1–5 419 1 Kor 5 353 1 Kor 5,6–8 423 1 Kor 7,20 120 1 Kor 9,24–27 421 1 Kor 10,6–13 426 1 Kor 10,11 49 1 Kor 10,16 390 1 Kor 11 380 1 Kor 11,16 381, 443 1 Kor 11,20 354 1 Kor 11,23–32 375, 383, 422 1 Kor 11,24 443 1 Kor 11,26 123, 355 1 Kor 11,28 389 1 Kor 12 412 1 Kor 12,1–11 427 1 Kor 13 421 1 Kor 15,1–10 427 1 Kor 15,56 256 2. Korinther 2 Kor 3,4–9 427 2 Kor 3,6 26 2 Kor 3,7 249 2 Kor 3,17 82 2 Kor 4,6 220 2 Kor 5,14 455 2 Kor 11,19–12,9 421 2 Kor 6,1–10 421 Galater Gal 1,8 Gal 1,15 Gal 1,17 Gal 3,15–22 Gal 3,23–29 Gal 4,1–7 Gal 4,21–31 Gal 5,16–24 Gal 5,18 Gal 5,24 Gal 5,25–6,10 Epheser Eph 1,4
487
1. Bibelstellen
123 120 134 427 420 420 422 427 247 346 427
Eph 3,13–21 Eph 3,14 Eph 4,1–6 Eph 4,11 Eph 4,15 Eph 4,22–28 Eph 5,1–9 Eph 5,15–21 Eph 6,10–17
428 222 428 122 391 428 422 428 429
Philipper Phil 1,3–11 Phil 1,4 Phil 1,9 Phil 2 Phil 2,1–4 Phil 2,5–11 Phil 3,12 Phil 3,17–21 Phil 3,19 Phil 4,4–7
429 222 268, 270 47 31 422 457 429 38 419
Kolosser Kol 1,3 f Kol 1,5 Kol 1,6–8 Kol 1,9–14 Kol 1,9 f Kol 1,9 Kol 1,11 Kol 1,12–14 Kol 1,15–17 Kol 1,17 Kol 1,18 Kol 1,19 f Kol 1,21 f
455 455 456 429 456 222 456 456 456 456 456 456 217, 456
1. Thessalonicher 1 Thess 1,2 1 Thess 1,5 1 Thess 1,10 1 Thess 4,1–7 1 Thess 5,12 f 1 Thess 5,12
222 228 290 206, 421 196–202, 452, 457 198 f, 215 f
2. Thessalonicher 2 Thess 2,13 120 120
488 1. Timotheus 1 Tim 1,15 1 Tim 1,16 1 Tim 3 1 Tim 3,1 1 Tim 3,2 1 Tim 3,3 1 Tim 4,16 1 Tim 5,17 2. Timotheus 2 Tim 1,6 2 Tim 2,2 2 Tim 2,15 2 Tim 2,23 f 2 Tim 2,24
Register
455 455 123 131 29, 61, 96, 207 145 126 208 142 89 244, 301 145 148
Titus Tit 1 123 Tit 1,5 26 Tit 1,7 26, 29, 31, 144 Tit 1,9 208 Tit 2,11–14 204 Tit 3,4–8 420 Hebräer Hebr 5,2 Hebr 5,4 Hebr 8,3 f Hebr 9,11–15 Hebr 10,5 f Hebr 10,7 Hebr 10,15
148 120 f 250 422 239 239 376
Hebr 13,17
208
Jakobus Jak 1,17–21 Jak 1,17 Jak 1,22–27 Jak 2,8 Jak 2,12
423 222 424 82 82
1. Petrus 1 Pet 2,9 1 Pet 3,21
120 334, 343, 345
2. Petrus 2 Pet 1,21 2 Pet 2,5
155 455
1. Johannes 1 Joh 1,1–4 1 Joh 1,1–3 1 Joh 1,1 f 1 Joh 1,7 1 Joh 3,4 1 Joh 3,8 1 Joh 3,13–18 1 Joh 4,16–21 1 Joh 4,20 1 Joh 5,4–10
419 48 132 391 336 336 425 425 251 423
Offenbarung Offb 3,20 Offb 12,7–12 Offb 14,13
390 428 451
2. Personen
489
2. Personen (Ps.-)Ambrosius 135 (Ps.-)Chrysostomos 152 (Ps.-)Dionysius Areopagita 30, 135, 148, 284 (Ps.-)Ignatius 136 (Ps.-)Macarius 17, 19, 46, 57, 67, 359 Albrecht-Birkner, V. 15, 92 Ambrosius von Mailand 52, 135, 221 f, 302, 322, 351, 411 Anselm von Canterbury 222 Aretius, B. 366 Arndt, J. 174, 188, 228, 265 Arnold, C. 101 Augustinus von Hippo 29, 33, 36, 52, 154, 222, 226, 230, 302, 318 f, 321–323 Bahl, P. 12, 41, 152 Balduin, F. 173 Barnabas 31 Baronio, C. 153 Basilius von Caesarea 22 f, 31, 52 f, 59, 64, 94, 144, 203, 302, 318 Baudert, W. 221 Bellarmin, R. 153 Bendiscioli, M. 101 Benrath, G. A. 68 Bergermann, M. 319 Berneburg, E. 33 Bernhard von Clairvaux 40, 52, 133, 177, 236 f, 322 Berthold, B. 350 Beutel, A. 4, 41, 172, 175, 220 Beyer, M. 220 Bienert, W. 20 Blaufuß, D. 8, 219 Bona, G. 106, 108 Bratring, F. W. A. 165 Brecher, A. 42 Brecht, M. 19, 101, 268 Breul, W. 8, 15, 41, 92 Breymayer, R. 316 Brunnemann, J. 369 Bucer, M. 92, 321, 412
Büchsel, J. 8–10, 20, 34, 41, 68, 74, 87, 214, 315, 360, 402, 418 Carpzov, J. B. 119, 220, 235 f, 244 f, 261 f, 266, 280–285, 301 Casaubon, I. 94 Cassian 35 Cave, W. 20–27, 32 f, 36 f, 53, 67, 317, 326, 355 Chemnitz, M. 325 Chevallier, M. 101 Clemens von Alexandrien 348 Cohrs, F. 316, Coler(us), J. C. 3 f, 7, 94, 97 f, 163 Coors, M. 220 Cyprian, E. S. 20, 45, 68–82, 84, 97, 352, 397, 416 Cyprianus von Karthago 22, 34, 52, 152, 157, 318, 356 Czubatynski, U. 186, 196, 213 Daley, B. 47 Delius, W. 9 Demacopoulos, G. E. 47 Deppermann, K. 165 Deuper, Ch. 220 Diadochus von Photice 147 Dibelius, F. 7, 9–11, 15, 20, 92, 395, 402, 418, 431 Dixon, C. S. 68 Dörries, H. 34 Drese, C. 361 Duplessis-Mornay, Ph. 182 Egardus, P. 73 Eggelingk, F. 222 Erasmus von Rotterdam 223, 357 Euseb von Caesarea 34, 71 Fabri, J. E. 417 Fecht, J. 367 Feil, E. 178 Ferrario, F. B. 222 f Flaviacensis, R. 148 Fraas, H.‑J. 343
490
Register
Francke, A. H. 8, 93, 101, 166, 175, 453 Fransen, P.‑I. 47 Franz Lambert von Avignon 228 Freylinghausen, J. A. 316 Friedrich III. von Brandenburg (König Friedrich I. in Preußen) 361, 416 Geffcken, J. 192 Georgius Pachymeres 135 Gerhard, J. 52, 119–126, 153–156, 174, 194–196, 221, 226 f, 236 f, 243, 248, 258, 266, 371, 412 Gericke, W. 314 Gerlacher, Th. 357 Goad, K. 47 Goebel, M. 6 f, 94, 195 Goeters, J. F. G. 20 Gratian 351 Gregor der Große 35, 133, 142, 159, 203, 250 f, 273 f, 277, 368, 411 Gregor der Presbyter 58 Gregor von Nazianz 19, 46–68, 84, 111, 130, 161, 203, 222, 233, 302, 397 Gregor von Nyssa 52 f, 64 Gregorius Thaumaturgos 23 Greschat, K. 21 Gundlach, H. 47 Guyon (du Chesnoys), J. M. 17, 101–105, 114–118, 128–131, 136–140, 146, 162, 398 Hägglund, B. 220 Hammann, K. 220 Hartmann, J. L. 124, 220, 287 Hauschild, W.‑D. 47 Hemmingsen, N. 94 f, 97–99, 101, 127, 130 f, 140–143, 146–150, 153 f, 163, 398, 412 Hennies, M. 9 Heppe, H. 101 Hermann, R. 9 Herzog, J. J. 15 Hesychius von Jerusalem 233 Heuberger, J.‑M. 102 Hieronymus 26, 29, 38, 52, 318 Hilarius von Poitiers 135 Hildebrand, J. 222 Hirsching, F. C. G. 3
Hoffmann, B. 21 Holtz, S. 220 Hülsemann, J. 119, 302 Ihben-Bahl, S.‑J. 406 Irenaeus von Lyon 93, 355 Isaacus Presybyterus (Isaak der Syrer) 133 Isidor von Pelusium 130 f James, N. C. 101 Jesus (Christus) 61, 104, 109, 128 f, 134, 144 f, 160, 191, 197, 226, 232, 234 f, 238–240, 242, 246, 250–252, 255 f, 272–274, 277 f, 290, 305, 337, 346, 376, 381, 392 Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach 87 Johannes Chrysostomos 30 f, 35, 37, 52, 93, 152, 233, 355, 410 Judas 353, 394 Jung, V. 220 Justin der Märtyrer 24 Kantzenbach, F. W. 34, 41, 68 Karlstadt, A. 357, 374 Kellner, D. 15, 92 Kerding, V. 8 f, 15, 92, 268, 271 Kirn, H.‑M. 15 Koch, E. 89 Kolb, R. 327 König, G. M. 37 Konstantin der Große 22, 32 f Kortholt, Ch. 52 Kromayer. H. 52 f Kyrill von Alexandrien 3, 37, 359 Lagny, A. 101 Laktanz 36 Lange, J. 166 Laude, P. 101 Lee, S. J. 15, 41, 92 Lehfeld, P. 221 Lehmann, Ch. 315 Leo der Große 351 Löffler, K. 220 Luther, M. 1, 41–44, 74 f, 99, 106, 132, 153, 155, 168, 170, 172, 174, 176, 195, 207–209, 221, 226, 230, 232, 234,
2. Personen
244, 250 f, 265, 267 f, 270–274 , 278, 299–302, 316–318, 320–322, 327–329, 332 f, 338, 342–344, 349 f, 361–363, 368, 377, 379, 385, 389 f, 396, 401 Maria (Schwester Martas) 113 Marschke, B. 165 Marti, H. 3, 8, 41, 101 f, 218 f, 301, 309 Martin, I. 41 Mathesius, J. 44 Matthias, M. 77 Matz, B. 47 McLynn, N. B. 47 Meier, B. 47 Melanchthon, Ph. 98, 140, 142, 220 f, 223, 235, 242–245, 258, 261 f, 266 f, 281 f, 284 f, 321, 357, 412 Mengering, A. 332 f Merkel, F. 16, 92 Meyer, D. 3 Micraelius, J. 358 Molinos, M. de 17, 101–105, 108–110, 114–118, 128–131, 136–140, 143, 146, 162, 398 Mosheim, J. L. von 16, 92, 413 f Müller, H. 75, 329, 332 Nawar, A. 119 Nicolaus a Jesu Maria 154 Nüssel, F. 119 Obst, H. 361 Oelke, H. 41 Origenes 25, 34, 37, 152, 352 Osiander, L. 357 Ott, H. 321 Pahl, I. 325 Paulus 22, 25, 31, 38, 40, 49, 70, 109, 113, 120, 134, 142, 198, 222, 238, 257 f, 262, 266 f, 273, 334, 336, 342, 353 f, 375, 381, 419 f Peters, A. 329 Poiret, P. 101, 104, 146 Quenstedt, J. A. 52, 100 f, 150, 153, 221–223, 226 f, 258, 261–263, 269, 280–282, 284, 296 f, 301
491
Rasmussen, T. 140 Ratzenberger, M. 42 Rechenberg, A. 52 Reinhardt, K. 102 Reitz, J. H. 3 Ritschl, A. 10, 68, 88, 101, 112, 402 Rössler, D. 94 Rudolph, H. 41 Rufinus von Aquileia 326 Rupert von Deutz 193 Sander, H.‑J. 12 Schäufele, W.‑F. 20 Schian, M. 217, 220 Schicketanz, P. 165 Schilling, J. 327 Schindler, A. 34 Schleupner, Ch. 301 Schmidt, M. 8, 10, 15, 19, 21, 68, 77, 83, 92 f, 95, 268 Schneider, H. 6, 15, 20, 68 Schrader, H.‑J. 102 Scultetus, A. 357 Seckendorff, V. L. 52, 300 Seeberg, E. 34, 315 Sehling, E. 181 f, 186, 196, 304, 314, 325, 331, 333, 363, 367, 370–373 Sicherl, M. 47 Sommer, A. U. 9 Sophie Charlotte von Sachsen-Eisenach 87 Sophie Luise, Königin in Preußen 215 Sozomenos 33, 326 Spalding, J. J. 413 f Spener, Ph. J. 7 f, 18, 73, 76, 83, 93, 101, 168, 174 f, 191, 223–226, 250–252, 268, 273–276, 278, 287, 299 f, 315, 366, 412 f Sprögel, Anna Maria 3, 87 Stählin, T. 57 Steel, J. 101 Stegmann, J. 314 Steiger, J. A. 266 Strassberger, A. 9, 220 Sträter, U. 298, 374 Strigel, V. 270 Stryk, J. C. 153 Suitner, R. 2
492 Tarnow, P. 177 Tauler, J. 144, 226, 271, 273–277, 294, 379 Tentzel, W. E. 174 Tertullian 69, 317, 323, 358 Theodoret von Kyrrhos 152 Theodoros Balsamon 347 Thomas von Aquin 368 Thomke, H. 36 Varenius, H. 265 Vellosillo Barrio, F. 318 Vives, J. L. 318 Vockerodt, G. 155 Voetius, G. 177 Vogel, L. 9, 112
Register
Voges, D. H. 320 Vogt, H. J. 47 Vom Orde, K. 19, 102 Wallmann, J. 2, 20, 24, 45, 47, 220 Weber, W. 94, 186, 220, 315 Wendebourg, D. 385 Wetzel, J. C. 4 Wetzel, K. 4, 21, 41 Wigger, F. 453 Wyrwa, D. 47 Ziegler, C. 27 f Zierold, J. W. 53 Zwingli, H. 92, 321, 412
3. Orte
493
3. Orte Allstedt 2–5, 7, 9, 11, 15, 83, 85, 87, 102, 164, 167, 192, 213–215, 218 f, 272, 303 f, 309, 313, 316, 327, 374, 380, 392, 395, 402, 418 Aschersleben 272, 417
Kletzke 165 Konstantinopel 35, 52 f, 59, 65, 67 Krampfer 165 Krusemark 165 Leipzig 166
Behrendorf 165 Bentwisch 165 Berge 165 Berlin 191, 316, 360 f, 453 Blüthen 165 Bresche 165 Cumlosen 165 Dallmin 165 Dresden 286 Düpow 165 Eisenach 9, 87, 92, 164 Frankfurt a. M. 166 Görne 165 Gr. Berge 165 Gr. Brese 165 Gr. Gottschow 165 Grabow 453 Gulow 165 Halberstadt 417 Halle 166 Hamburg 192 Hindenburg 165 Iden 165 Jerusalem 272–274, 276–278, 293, 305, 307
Nebelin 165 Neuhansen 165 Nördlingen 320, 356 f Perleberg 2–4, 6 f, 9 f, 15, 165–168, 183, 195, 213–216, 218 f, 260, 285 f, 309, 314, 317, 327, 329, 334, 342, 363 f, 371, 374, 395, 398 f, 402, 453–457 Pol(c)kritz 165, 196 Premslin 165 Quedlingburg, 10, 402, 416 f Quitzow 165 Rohrbeck 165 Rosenhagen 165 Suckow 165 Uentze 165 Vieseke 165 Walsleben 165, 196 Werben 2–4, 7, 15, 164–168, 183, 195 f, 209, 213–219, 259, 303 f, 309, 314–317, 327, 329, 334, 360, 363, 395, 398, 401–403, 430, 432, 444–453 Wittenberg 1 f, 42 f, 358
494
Register
4. Sachen Abendmahl 8, 23, 72–76, 88, 96 f, 117, 290, 313 f, 347–394, 400, 402, 416, 443, 454 Absolution 97, 122, 152, 169, 274, 313, 351 f, 361–364, 379 Affekte 30, 60, 98, 100, 113, 115, 139–149, 162 f, 187, 193, 199, 235 f, 241–247, 258 f, 298, 377, 398, 405 f, 412 Agende 181, 196, 314, 329–331, 363, 370–374, 402 Agnus Dei 370 Allegorese, allegorische Bibelauslegung 261–271, 275, 384 Altes Testament (in der Predigt) 240–242 Amtskleidung 36, 43, 182, 190 Anthropologie 139–143, 149, 161, 176, 314, 367, 385 Apostel(amt) 25 f, 28, 33, 36 f, 49, 64, 77, 119, 121–123, 131, 135, 144, 206, 233, 256, 269, 326, 353, 414 Askese, Asketen 17, 19, 46, 48, 58 f, 65 f, 106, 112, 134, 163, 194, 341, 398 Auferstehung 207, 337, 340 f, 345 Bann, Exkommunikation 39 f, 97, 169, 319, 350, 365–367 Beichte 33, 39 f, 75, 88, 103 f, 128, 256, 314, 350–352, 360–368, 376–379, 389 f, 402 Beichtpfennig 361 f Beichtstuhlstreit 361–365 Bekenntnisschriften 75, 87, 168, 283 Beruf, weltlicher 28 Berufung (vocatio) 11, 16 f, 20, 22, 27–29, 33–35, 39, 41, 45, 51, 68, 78, 88, 90, 95, 98–101, 105–127, 132, 146, 161, 164, 170, 176–180, 182 f, 194–196, 200–202, 207, 209, 215, 386, 396–398, 401–407, 414 Berufung, mittelbare (vocatio mediata) 120–122, 125 f, 161, 179, 184, 194, 210 Berufung, unmittelbare (vocatio immediata) 120–122, 156, 177, 179, 184, 398
Bibel (Heilige Schrift) 40, 50, 113, 120, 141, 147, 151, 155 f, 174, 202, 219–312, 409, 411 Bischof(samt) 33, 47, 51, 99, 196, 324, 366 Bund 126, 250, 334–339. 343–345, 411, 445 Buße 77 f, 102, 114, 127, 187, 191, 204, 207, 230, 235, 246, 250, 282, 321–323, 333 f, 339, 346, 349, 357, 361 f, 364, 373, 381, 383, 389, 392 Cathedra Lutheri 43 Confessio Augustana 106, 119 f, 313, 349, 361, 363 Delikatessen 38 f Demut 30 f, 45, 47, 84, 109, 115, 140–149, 157–159, 163, 166, 170, 179, 189–194, 199, 229, 238, 373, 403 f, 407 f, 410 dispositio (Predigt) 260, 280 f, 291, 298, 301 f, 305, 308 f, 399, 454 Donatismus 40, 71, 74, 151, 155, 322, 333, 368, 386, 404 Egalität 22, 24, 32, 119, 409 Eifer 98 f, 102, 106, 108–110, 143, 146–149, 162, 222 f, 301, 319, 342, 405 Einsetzungsworte (Abendmahl) 357, 370, 372, 382, 390 Einung (unio) 21, 79, 95, 103, 112, 117, 127, 138, 169, 198, 253, 268, 323, 345, 355, 357, 360, 362, 376, 378 f, 384 f, 389 f, 425, 428 elocutio (Predigt) 101, 260, 284–286, 288, 296, 302, 310, 399 Erfahrung (Gottes) 11, 13, 16, 30, 34, 47, 55, 60, 73, 79, 81, 93, 103, 105 107–114, 117, 126, 132 f, 137, 144, 146, 149, 153, 156, 158, 163, 167, 170–177, 179, 183, 199, 207, 217, 225, 229, 233 f, 259, 261–280, 283, 296, 311, 335, 337, 340 f, 366, 370, 403–405, 408 f, 413, 414
4. Sachen
Ernst(haftigkeit) (gravitas) (im Amt) 40, 74, 96, 101, 119, 124, 145, 150, 169, 192 f, 197, 226, 229, 274, 281, 285, 297, 301, 304, 306 f, 319, 328, 332 f, 342, 344, 368, 373, 389, 404 Evangelisten (Amt) 25, 122, 234 exordium (Predigt) 197, 230, 256, 281 f, 286, 289–291, 302, 334, 375 f, 380 Exorzismus 324, 327–333, 345 explicatio und applicatio (Predigt) 282, 283, 287 f Frauenordination 102, 321, 347 Freigeisterei 70 Fußwaschung (als sakramentale Handlung) 392–394 Gebet 21, 24, 27, 30, 80, 104, 111, 114–119, 124 f, 128 f, 136–138, 146, 168, 170, 172–174, 176, 180, 184, 188, 190 f, 193–200, 208 f, 221–232, 242, 253, 286, 305, 313, 321, 323–333, 342, 344, 355–357, 360, 368, 370–375, 388 f, 394, 400, 407, 409, 413 Geduld 65, 96, 101, 127, 141 f, 147, 159, 169, 179, 182, 187, 192, 200 f, 251, 366 Geistliche Gestalt (als Konzept) 93, 126, 129, 149 f, 157, 161 f, 167, 209 f, 333, 368, 398, 404 f, 413 Geiz 33 f, 35–39, 41 f, 45, 96, 98, 100, 159, 396, 405, 410 genus didaskalikon (Predigt) 243, 261, 266 genus parakletikon (Predigt) 235–237, 242 Gericht (Gottes) 49, 178, 185, 245, 332, 375, 378 f Geschichte (der Kirche) 12, 15, 19, 22–46, 47–51, 55, 57, 69–72, 96, 105, 150–161 Gesetz und Evangelium 206, 233, 240, 242–259, 409 Glossolalie 25 Heiliger Geist 30, 40, 48, 60, 65, 70, 74, 77, 79, 80, 82, 89–91, 95–98, 100, 104, 108, 111, 114, 117, 122, 132, 134, 137–139, 145 f, 151 f, 155, 156, 158, 160, 167, 171, 173 f, 183,
495
187, 190, 196, 199 f, 205, 218–220, 222, 224–233, 235, 237, 239, 240, 242 f, 245–251, 254, 256 f, 263, 265, 269–271, 280, 285 f, 288, 294 f, 298, 301–305, 310, 319, 322–325, 329 f, 333, 335, 337 f, 340, 341 f, 344–346, 359, 361 f, 370, 376, 382, 394, 399 Heiligung 71, 100, 126, 153, 155, 171, 206 f, 250, 256, 323, 354, 394 Heterotopie 12 Hierarchie 21, 26, 32, 35, 43, 66, 90, 110, 127, 135, 189, 409 Hochmut 7, 33, 35 f, 39–45, 55, 91, 96, 100, 106, 108 f, 140 f, 144, 147, 149 f, 158–163, 175, 191 f, 195, 201 f, 248, 396, 398, 405–407, 410 Humor, trockener 197 Hypochondrie 185 introitus (Predigt) 229, 281, 286, 289–291 inventio (Predigt) 193, 218, 242, 259, 261–280, 284, 286, 296, 301, 309, 399 Investitur 99, 180–184, 195–202, 210, 215, 216, 398 Katechetik 11, 29, 35, 175, 179, 188, 202–209, 213, 218, 266, 299, 316, 318, 321, 326, 339, 342–348, 364 f, 367, 389–392, 400, 402, 409 Kindertaufe 315, 317–327, 332–337, 343 f, 346, 349 Kirchenzucht 39, 41, 43 f, 74, 83, 129, 315, 348–352, 365–367, 390 Konventikel 299 f Konzil 22 f, 25, 33 f, 39, 41, 52 f, 319, 350 Kreuz 78, 172, 236, 239, 322, 335 f, 358 lapsi 152 Lehre und Leben 19, 29, 39, 45, 51, 54, 61, 65, 70, 96, 98, 150–156, 178, 220, 403 f Lehrer (Begriff) 89 Licht, Erleuchtung (illuminatio) 6, 55, 60, 62, 103, 108 f, 116, 128, 130, 135, 147, 156, 174 f, 179, 205, 217, 225, 233, 237, 241, 246, 249, 268 f, 293, 376, 380, 391 f, 399 Lieddichtung 54–57
496
Register
meditatio, oratio, tentatio 172–175, 221, 401 methodus heroica (Predigt) 218, 280–288, 300–309, 399 Mystik 15, 17, 23, 32, 37, 66 f, 81, 83 f, 101–127, 170–176, 261–280, 334–338, 342–345, 374–380, 383–386 Ordination 16, 27, 88, 92, 95, 99, 102, 107, 118–127, 152, 161, 163, 168, 176, 180–183, 195–197, 201, 209 f, 398, 406, 412 Orthodoxie, lutherische 1 f, 7, 9 f, 15, 20, 43 f, 51 f, 68, 87, 119, 121, 163 f, 170, 217–220, 226 f, 235, 237, 247, 258, 260, 264, 266, 271, 276, 279, 285 f, 296, 308 f, 322, 395, 397–401, 403, 409, 411 Pastoraltheologie (Begriff) 12, 15–17 Patron, Patronatswesen 42, 99, 192 Pelagianismus 318 f peroratio (Predigt) 231, 281, 284, 295, 382 Perücken 190 Pfarrkollegen 13, 15, 101, 113, 186, 188, 191–193, 195, 398 Priester(tum) 21, 23, 25 f, 29, 32 f, 35 f, 38 f, 56 f, 59, 65, 71, 76, 89, 110, 120, 124 f, 135, 203, 274, 305, 331, 344, 352, 359, 362, 368, 370, 410 f propositio (Predigt) 239, 281 f, 301 f, 305, 335, 380, Psychologie 16, 47, 111, 209, 275 Quietismus 101–149, 161 f, 170–176, 195, 198, 210, 336, 397 f, 401, 403, 405 f Realpräsenz (Abendmahl) 355, 357, 360, 373 f, 378 f, 381–383, 385, 390, 392, 400 Rechtfertigung, Rechtfertigungslehre 44, 84, 148, 207, 256, 258, 314, 328, 396 Reden (als Gattungsbezeichnung) 300–308, 338–342, 383–386 Reformation 12, 15, 19, 41–44, 51, 270, 274, 320, 326 f, 347 f, 349, 356, 385, 411, 414
Reinigung (purgatio) 61, 98, 109 f, 112, 160, 198, 204, 228, 249, 307, 338 f, 375, 392 f Rezeptivität und Poiesis 58, 133, 136, 139 f, 149 f, 162, 187, 194, 208, 232 Sanftmut 84, 96, 140, 143–150, 157, 159, 163, 189, 199, 201, 366, 397, 407, 410 Schöpfung 240, 258, 289 Schriftprinzip 274 scopus (Predigt) 261, 266 Seelsorge 7, 10–12, 44, 95, 133, 195, 213, 324, 363 Sintflut 256–258 Sünde(n) 29, 45, 49 f, 62, 126, 141, 143, 158, 163, 227, 233–235, 242–245, 247, 250, 256, 258, 277, 292, 322, 326 f, 332 f, 335 f, 338, 341, 344 f, 350 f, 356, 371, 378, 385 f, 445–447, 450 Tanz 42 Taufe 23, 35, 75, 96 f, 152, 169, 181, 313–350, 359, 385, 392–395, 400 Tauferinnerung 325, 334, 337, 343 f, 346 Taufkerze 329, 331 f Taufpaten 313, 319 f, 325, 329, 331–333 Teufel 130–132, 185, 202, 204, 209, 254, 292, 330, 345, 391 Theater 12, 36, 55 f, 192 tractatus (Predigt) 230, 253, 289–295, 301, 375, 378 Undurchschaubarkeit (der Gemeinde) 127–129, 184, 186, 195, 352, 407 Verfall(sgeschichte) 15, 20–46, 51, 54–57, 62–64, 67 f, 72–74, 78, 83 f, 90, 93 f, 96 f, 105 f, 114, 119, 127, 129, 150– 164, 186, 204, 244, 276, 317, 319, 321, 323–326, 333, 348 f, 352, 354, 356 f, 360, 396–398, 401, 405–407, 410 f Vergebung (s. auch Absolution) 125, 141 f, 152, 233, 242 f, 256, 274, 322, 331 f, 344 f, 351, 356, 358, 362 f, 370 f, 378, 389 f, 394, 406 Verheißung 123, 125, 131, 150, 191, 225, 236, 239–241, 258, 267, 292, 294, 324, 385, 391, 412
4. Sachen
Weisheit (Sophia) 31, 59, 61, 95, 105 f, 108, 112, 131, 139, 149, 151, 155, 156, 158, 172, 225, 232, 322 Werke, gute 138, 233, 235, 249–251, 254, 256 Wiedergeburt 76–79, 82–84, 102, 113, 118, 130 f, 142, 145, 150, 155–160, 322 f, 329 f, 344 f, 397 Wollust 33, 35, 38 f, 41 f, 45, 96, 132, 140 f, 159, 187, 190, 388, 396, 405
497
Wort Gottes 73, 99, 143, 151, 154 f, 222, 238, 244, 263, 269, 285, 351, 385 Wunder 25, 122 f, 156, 229, 277 Zorn (Affekt) 98, 130, 141–143, 145, 147, 149, 163, 235, 305, 364, 366, 377 Zorn (Gottes) 181, 201, 243–245, 258, 278, 289 f, 293 f, 306, 375