Johann Gottfried Seume: Geschichte seines Lebens und seiner Schriften [Reprint 2019 ed.] 9783111482002, 9783111115191


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German Pages 730 [736] Year 1898

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Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Litern, Heimat und Kinderjahre. Poserna 1763-1770
Schulzeit 1770-1780
Studienzeit auf der Universität i« Leipzig
Soldat in hessischen Diensten. Juli 1781 bis September 1783
Soldat in preußischen Diensten. Oktober 1783 bis Mai 1787
In Leipzig Fortsetzung und Beendigung der akademischen Studie«, Erzieher beim Grafen von Jgrlström, Magister-Promotion und Habilitation. Sommer 1787 bis August 1792
In russischen Diensten Sekretär und Adjutant des Generals von Jgelström. Oktober 1792 bis Ende 1796
In Krimma Korrektor bei Georg Joachim Göschen. Oktober 1797 bis Dezember 1801
Spaziergang nach Syrakus. Dezember 1801 bis Ende August 1802
In Leipzig. Ocktöber 1802 bis März 1805
Nordische Meise. April bis September 1805
In Leipzig. September 1805 bis Mai 1810
In Tepliss. Letzte Lebenstage, Tod und Begräbnis. Ende Mai bis 15. Juni 1810
Nachrufe, Nachlaß und Würdigung
Seumes Schriften
Register
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Johann Gottfried Seume: Geschichte seines Lebens und seiner Schriften [Reprint 2019 ed.]
 9783111482002, 9783111115191

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oljann Gollfmd Stumt. (öeschichie seines Oeöens und seiner Kchristen

von

Oskar Planer und Camilla Nrißmann.

(Mit bem Gikdnis Seumeo in Ktahkstich.

Leipjig.

G. I. Göschcn'sche Verlagshandlung. 1888.

Alle Rechte von der BerlagShandlung vorbehalten.

Druck von C. H. Schulze » Co. in Gräfenhainichen.

Vorrede. as vorliegende Buch, das wir nicht nur Forschern, sondern auch gebildeten Lesern von Sinn für die kulturgeschichtliche Entwicklung unsrer Nation übergeben, füllt in der deutschen Litteraturgeschichte in­ sofern eine Lücke aus, als bisher noch keine umfaffende Lebensbeschreibung

Seumes vorhanden war. Es wurde auf Grund einer reichhaltigen Handund Druckschriftensammlung verfaßt, die das Ergebnis eines jahrzehnte­ langen Sammelns ist und neben einer großen Anzahl völlig unbekannter Briefe und Gedichte Seumes auch ein reiches, größtenteils noch unbenutztes Material von zeitgenössischer Brief- und Tageslitteratur enthält. Seume zählt zu den Besten der Nation; vieles in seinen Schriften aber ist unsrer Zeit fremd, manches sogar unverständlich geworden. Dies erklärt sich aus Seumes schriftstellerischer Eigenart: er strahlte nur das zurück, was er selbst erlebt hatte, und kleidete dies meist in die Form vertraulicher Mitteilungen an Freunde. Die Geschichte seiner Schriften mußte uns demnach ebenso wichtig erscheinen als die seines Lebens, wie wir dies auch schon im Titel andeuteten. Die Lebensgeschichte Seumes bedurfte in vieler Hinsicht der Auf­ hellung. Was bisher von ihr bekannt war, fußte in der Hauptsache auf Seumes unvollendeter Selbstbiographie mit der Fortsetzung von Göschen

und Clodius.

In jenem Fragment schildert Seume seine früheste Jugend,

die Schuljahre und seine Soldatenzeit bis zur Flucht in Bremen, ohne sich an genauere Angaben über Zeit und Personen zu binden. Die Fortsetzung ist skizzenhaft und darum zum größten Teil sehr ungenau: der Forschung blieb somit ein weites Feld. Wohl kein andrer deutscher Schriftsteller erweckt durch seine Lebens­ schicksale soviel rein menschliche Teilnahme als Seume. Der erste Schritt, den er selbständig that, war entscheidend für sein ganzes Leben.

Ein

IV

Borrede.

dunkler Drang, dem Zusammenhänge der Dinge nachzuspüren, die Wahr­

heit zu ergründen, trieb ihn in die Welt hinaus und machte den achtzehn­

jährigen Jüngling zum Spielball eines widrigen Geschicks.

Er wurde

zuerst ein Opfer des herrschenden, barbarischen Söldnertums und sodann

ein steter Augenzeuge von besten Willkür und Ungerechtigkeiten.

Nach­

einander Soldat in hessischen, preußischen und russischen Diensten, lernte er die Tiefen wie die Höhen der menschlichen Gesellschaft kennen.

Aber

weder das Feld noch die Welt vermochte nach Böttigers treffendem Aus­

spruch von dem Gepräge dieses harten Thalers etwas abzuschleifen. Seume blieb in allen Lagen seines wechselvollen Lebens der reine, unbestechliche,

selbständige Charakter, frei, selbst in Feffeln, und erhaben über alles, was er vom Leben zu hoffen oder zu fürchten hatte.

So starr und un­

beugsam er sich gegen Anmaßung und Bedrückung jeder Art zeigte, so bescheiden und ehrerbietig war er gegen wahres Verdienst und den Adel

der Gesinnung, so empfänglich für Freundschaft, Menschen- und Vaterlands­

liebe, für alles Gute, Große und Schöne, kurz: er war mit echtem Griechen-

und Römersinn in seltener Verschmelzung ein echter Deutscher! Hervorragende Geister, die auf diese Weise ihre eigenen Wege gehen,

ziehen uns um so mehr an, je näher wir mit ihrer Eigenart vertraut werden.

Die Verfaster lassen deshab überall da, wo es angebracht erschien,

Seume, seine Freunde und sonstigen Zeitgenossen selbst zum Leser sprechen.

Sie durften dies um so mehr, als die Menge des vorhandenen neuen

Materials diese Art biographischer Verwertung durchgängig ermöglichte. Bei Anführungen aus Seumes Schriften wird auf die Hempelsche Gesamt­

ausgabe, die vollständigste, die wir besitzen, Bezug genommen.

Um Seumes persönliche und schriftstellerische Wirksamkeit zugleich im Lichte der gesamten geistigen Entwicklung seines Zeitalters darzustellen,

erhielten alle diejenigen, mit denen er in nähere Berührung kam, einen

gebührenden Platz in seinem Lebensbilde.

Wo es nötig erschien, wurden

gewissenhafte biographische Noten wie auch kurze Schilderungen der ein­

schneidenden Zeitereignisse beigefügt.

Die kulturgeschichtliche Bedeutung Seumes ist nicht in erster Reihe auf dem Gebiete der Dichtkunst zu suchen.

Diese galt ihm nicht als

Endzweck, sondem nur als ein Mittel seiner Bestrebungen.

Er dichtete,

wie sein Zeitgenosse Garlieb Merkel kritisch sagt, wie eine Nachtigall singt, oft bezaubernd, aber ohne Takt zu halten.

Seumes Hauptbedeutung liegt

unstreitig auf politischem Gebiete, in seiner Wirksamkeit als Charakter

und deutschnationaler Patriot. Zwar huldigte auch er im Anfänge dem von Frankreich ausgehenden

Gedanken eines allgemeinen Weltbürgertums, brach aber mit jenen Träume-

V

Vorrede.

reien, als er sah, daß die Franzosen einer vernünftigen staatlichen Freiheit

selbst nicht fähig waren, und wendete den Blick auf die nächstliegenden, der Lösung harrenden Aufgaben im Vaterlande.

Mit kraftvoller Stimme

verkündet er in der Schrift „Mein Sommer 1805":

Dichtung ist vorbei, die Wirklichkeit ist angekommen!" nun

zum

Herold

der

heraufsteigenden

neuen

Zeit.

„Die Zeit der

Er machte sich

Sein

galt von da ab ausschließlich nur dem deutschen Vaterlande.

Streben Kühn und

unerschrocken schleudert er allen denen, die das Geschick der Nation in ihren Händen hielten, seine politischen Überzeugungen ins Gesicht, jede

Stunde bereit, für diese in die Schranken zu treten oder, wenn es sein

Seume war ein Politiker im vornehmsten

mußte, für sie zu sterben.

Sinne, denn er war selbstlos.

„Nur der ist der Edelste, der das Meiste

für das Vaterland thut und das Wenigste dafür genießt!" ruft er seinen Zeitgenossen zu.

Politisch nannte er alles, was zum allgemeinen Wohle

etwas beiträgt oder beitragen soll: quod bonum publicum promovet.

Stürmen wollte er nicht; er richtete seine Mahnungen nur an Männer seines Bildungsgrades, denn er war der Ansicht, die Aufklärung müsse

von oben herab nach dem Gebot der Menschenliebe und der Gerechtigkeit auf die Massen übertragen werden, wenn das Wohl des Ganzen gedeihen

Unter Aufklärung verstand er die richtige, volle, bestimmte Einsicht

solle.

in unsre Natur,

unsre Fähigkeiten und Verhältnisse,

und den hellen

Begriff über unsre Rechte und Pflichten und ihren gegenseitigen Zusammen­

hang.

Wer Gegner einer solchen Aufklärung sei, der sei gewiß ein

Gauner oder ein Dummkopf, vielleicht auch beides.

So stellt Seume sich uns als Politiker dar, als wahrer Menschenund Vaterlandsfreund, als ein todesmutiger Vorkämpfer für die Befreiung

unsres Volkes, nicht allein von der Schmach der Fremdherrschaft, sondern auch von dem Drucke des ungleichen Rechtsverhältnisses der deutschen

Staatsbürger untereinander, der jede nationale Entwicklung lähmte. Es war Seume vom Schicksal nicht beschieden, die Saat, die er aus­

streute, aufkeimen und den Funken nationaler Begeisterung, den er weckte, zur Flamme emporlodern zu sehen, aber sein Geist blieb wirksam in unserm Volke.

Seumes Wahrheiten und Lehren sprechen zu uns wie

ein „gutes, altes deutsches Gewissen", sie sind noch heute gültig und werden es immer bleiben.

Sie waren allen denen, die nach ihm kamen

und berufen waren, für die geistige Entwicklung unsres Volkes weiter zu

kämpfen,

eine

unerschöpfliche Quelle

der

Kraft.

So

urteilte

z. B.

Wander, der Herausgeber des deutschen Sprichwörterlexikons, über Seumes

Schriften: „In jedem Hause ein Seume, und dieser Seume in Fleisch

und Blut — und das deutsche Volk feiert seine Auferstehung!"

Und

VI

Borrede.

in der That, ein Teil des Dankes, den wir den Vorkämpfern für das

große nationale Einignngswerk schulden, gebührt auch dem wackeren Spazier­ gänger nach Syrakus. So möge denn das Buch hinaus gehen, um sich einen Platz nicht

nur in der Bibliothek des Litterarhistorikers, sondern auch auf dem Bücher­ brett der deutschen Familie zu erobern. Der Jüngling und der Mann

werden darin vielleicht manches finden, was sie erhebt und ihnen Mut und Kraft verleiht im Kampfe ums Dasein. Wenn das Werk vermöchte,

die Person wie auch die Schriften Seumes unsrer Zeit näher zu rücken, so wäre sein Zweck erreicht, und die darauf verwendete Mühe belohnt.

Lützen, Ostern 1898.

Btt Verfasser.

Inhalt. Eltern, Heimat und Kinderjahrc.

Poserna 1763 bis 1770 .................................

Seite 1

Schulzeit 1770 bis 1780. In der Schule zu Knauthain.

1770 bis 1777 .....................................

Beim Rektor Korbinsky in Borna. Auf der Nitolaischule in Leipzig.

Studienzeit auf der Universität Leipzig.

9 14

.......................

24 46

Sommer 1787 bis August 1792 ...........................................................

65

In russischen Diensten.

Oktober 1792 bis Ende 1796 ..........................................

81

. .

149

In Grimma Korrektor bei Göschen. Spaziergang nach SyrakuS.

Oktober 1797 bisDezember 1801 .

Dezember 1801 bis EndeAugust1802 ....

293

Oktober 1802 bis März 1805 ................................................................

387

April bis September 1805 ............................................................

476

Nordische Reise.

In Leipzig.

Juni 1779 bis Michaelis 1780

Oktober 1783 bis Mai 1787 .............................

Soldat in preußischen Diensten.

In Leipzig.

7

Oktober 1780 bis Ende Juni 1781

Juli 1781 bis September 1783

Soldat in hessischen Diensten.

In Leipzig.

4

Ostern 1777 bis Juni 1779 .

September 1805 bis Mai 1810.....................................................

527

In Teplitz. Letzte Lebenstage, Tod und Begräbnis. Ende Mai bis 15. Juni 1810

661

Nachrufe, Nachlaß und Würdigung.............................................................................

670

Schriften.................................................................................................................................

705

Register.....................................................................................................................................

713

Litern, Heimat und Linderjahre. Poserna 1763-1770.

ohann Gottfried Seume wurde am 29. Januar 1763 in Poserna als der Sohn eines dort ansässigen, wohlhabenden Landwirts geboren. Seine Eltern stammten ebenfalls aus Poserna. Der Vater, Andreas Seume'), war ein ernster, streng rechtlicher Mann, der sich nicht scheute, seine Meinung offen zu bekennen und, wenn es galt, auch hartnäckig zu verfechten. Die Mutter, Regina Christina, geborene Siebing*2), hatte ein

stilles und freundliches Wesen.

Sein Elternpaar nannte Seume zwei

schöne, sehr lebendige Menschenwesen. Wie das Kirchenbuch bekundet, wurde Seume am 31. Januar 1763 in der Kirche zu Poserna von dem Pfarrer Christian Leberecht Webel auf das evangelisch-lutherische Glaubensbekenntnis getauft. Den Namen Gottfried erhielt er, weil er zur Zeit des Hubertusburger Friedens ge­ boren war, den Namen Johann, weil es ein alter Vetter, der in der Familie viel galt, durchaus so haben wollte. Taufzeugen waren Anna Regina Brauer, geborene Held und Christoph Kleppel aus Poserna sowie Andreas Seume, Schenkwirt in Pörsten. — Seumes Geburtsort Poserna gehört zum Kreise Weißenfels im Regierungsbezirk Merseburg und liegt in einer Thalsenkung unweit der alten Poststation Rippach.

Vor dem westlichen Eingänge des Dorfes

breitet sich der stattliche Herrensitz aus; in seiner Nähe liegen Kirche und ') Geb. 20. April 1739. 2) Geb. 17. September 1738. Planer u. Reibmann, Seume.

s

Geburtsstätte. — Erste Kindcrjahre.

Schule, letztere auf einer kleinen Anhöhe, vor welcher sich nach dem Dorfe zu ein Rasenplatz dehnt, auf dem eine Quelle, die „Heilige", ober,,

nach dem dortigen Dialekt, die „Heleke", entspringt. Die Abhänge des nach dem Dorfe zu ziemlich steil abfallenden Plateaus der Lützner Ebene sind mit Laubholz bewachsen, wodurch dem Dorfe eine anmutige

Lage in der landschaftlich sonst wenig reizvollen Gegend verliehen roirL Es waren eng begrenzte, echt ländliche Verhältnisse, welche Seume in seiner ersten Jugend umgaben. Das Haus seines Vaters, sein Ge­ burtshaus, war mit Stroh gedeckt und stand inmitten des Dorfes mit der Giebelseite nach der Dorfstraße. Den geräumigen Hof neben dem Hause begrenzten die weiter zurücktretenden Wirtschaftsgebäude, hinter denen sich ein großer Obstgarten befand, der sich bis zum Uferrande des Dorfbaches, der Rippach, erstreckte. In diesem Garten, dem Tummel­ platz des Knaben, streifte der Tod zum erstenmal sein junges Haupt.

Im Alter von etwa drei Jahren wurde er von dem Geäst eines fallenden Baumes, der im Garten ausgerodet werden sollte, getroffen, und seinen Eltern für tot ins Haus gebracht. Alle Bemühungen das Kind ins Leben zurückzurufen schienen erfolglos zu sein, und schon trafen

die verzweifelnden Eltern Anstalten zur Beerdigung, als der Knabe nach mehr als zwölfstündiger Betäubung das sehr verletzte linke Auge auf­ schlug und wieder zum Leben erwachte. Von den damals erlittenen Quetschungen blieb außer einem Fleck im linken Auge, den man bei Seume noch in seinem zwanzigsten Lebensjahre wahrnehmen konnte, nur wenig zu sehen. SeumeS Geburtshaus steht nicht mehr. ES ist vor etwa fünfzig. Jahren abgebrochen und später durch einen Neubau ersetzt worden. An diesem wurde zu SeumeS hundertjährigem Geburtstag am 29. Januar 1863 auf Anregung des Dichters Ludwig Storch eine von Ernst Keil, dem Begründer der „Gartenlaube", gestiftete Gedenktafel angebracht, die folgende Inschrift trägt: Geburtsstätte

deS Dichters

Johann Gottfried Seume, geb. 29. Januar 1763,

gest. 13. Juni 1810. Natur-, Menschen-, BaterlandSsreund.

Rauhe Schale, edler Kern.

Darüber wurde im Jahre 1865, am 15. Juni, an dem Begräbnis­

lage Seumes, ein eisenbronziertes Medaillon mit seinem Reliefbild ein-

Vorfahren. — Charakter der Ellern.

gemauert,

3

das Professor P. Niese, geistlicher Inspektor in Schulpforta

und nachmals Pfarrer zu Bahrendorf bei Altenweddingen, dem Andenken des Dichters gewidmet hat.

Wie Seume

in

seiner

Selbstbiographie

sagt,

vermochte er sich

seiner Großeltern nicht zu erinnern, wohl aber eines Urgroßvaters von Vaters seilen, gemeiniglich der alte Jobst genannt, der in einem Nach­ bardorfe wohnte,

aber oft trotz seiner mehr als neunzig Jahre

fast

über eine Stnnde Wegs herüber kam, um dem kleinen Urenkel einen

Korb Frühkirschen oder dergleichen ju bringen.

Wenn dies für seine

Gutmütigkeit spricht, so scheint er doch andrerseits auch ein hartnäckiger, streitbarer Charakter gewesen zu sein, der fein Unrecht leiden mochte, denn Senme sagt von ihm, daß er bei Kollisionsfällen seiner Gemeinde

immer für den Riß gestanden habe.

Namentlich hatte er sich wegen einiger

Zweifel über die Richtigkeit gewisser Zehntforderungen bei dem Pfarrer

mißliebig gemacht, weshalb dieser auch, als

der alte Mann gestorben

war, bei seinem Leichenbegängnis lauter Straflieder, darunter das bekannte „O Ewigkeit, du Donnerwort,"

singen ließ

Abschreckung eine wahre Galgenpredigt hielt,

und

zur Erbauung und

worüber indes SeumeS

Vater, der sich unter den Leidtragenden befand, in so heftigen Zorn geriet, daß er sich beinahe thätlich au dem Geistlichen vergriffen hätte.

Wegen dieses und ähnlicher Vorkommnisse galt Andreas Seume bei

seinen Bekannten als ein Hitzkopf, bei einigen Edelleuten in der Gegend aber als ein unruhiger Geist, den man unterdrücken müsse.

Und doch

entsprang die Heftigkeit des Mannes zumeist nur seinem raschen und tiefen moralischen Empfinden, das auch auf den Sohn überging; nur

äußerte es sich bei diesem nicht mit so leidenschaftlicher Heftigkeit, so daß sein Wesen mehr dem ruhigen und besonnenen Charakter der Mutter glich.

Den ersten Unterricht erhielt Seume schon vor seinem sechsten Jahre

durch den Schulmeister Joh. Gottfr. Held') in Poserna, dessen Tochter seine Patin war.

Der würdige Alte behandelte ihn deshalb in seiner

Weise mit viel Vorliebe, aber nach echt pädagogischen Grundsätzen auch mit Strenge. *) Held war seit 1729 Substitut seines Vaters, seit 1749 sein Nachfolger im Amte, wurde 1778 emeritiert und starb 1791.

Lchlcheit 1770-1780.

In der Schule z« Knauthain. 1770-1777. ehrfache Mißhelligkeiten mit der Patrimonialgerichtsbarkeit be­

wogen den Vater, feine Grundstücke in Poserna zu verkaufen und die Pachtung eines Wirtshauses mit beträchtlicher Ökonomie in

Knautkleeberg bei Knauthain zu übernehmen.

Es war dies der Gasthof

zum weißen Roß, an dem neuerdings auch eine Gedenktafel angebracht worden ist, die darauf hinweist, daß Seumes Vater 1770 den Gasthof

übernommen,

und

der Dichter dort

seine Jugend

verlebt

hat.

Der

Antritt dieser Pachtung aber fiel gerade in die Hungerjahre 1770/71 die in Sachsen als allgemeines Landeselend bekannt sind.

In dieser Periode

verlor Andreas Seume durch die Härte seines Pachtgebers, des Leipziger Stadtrichters Dr. Romanus Teller, der ohne Rücksicht auf die herrschende

Notlage buchstäbliche

Erfüllung

des

Pachtvertrags

forderte,

fast sein

ganzes Vermögen. Als die Familie nach Knautkleeberg übersiedelte, zählte Gottfried

sieben Jahre.

Er hatte sich für sein Alter

kräftig

entwickelt,

war

körperlich gewandt und mutig und hatte öfters schon Proben seiner Un­ erschrockenheit abgelegt, mochte es im Faustkampfe mit einem Gegner unter

der Dorfjugend sein, oder auf dem Rücken eines Pferdes, das er dann immer zur schnellsten Gangart anzutreiben wußte; denn reiten hieß bei

ihm jagen, daß die Mähnen flogen und die Haare sausten.

Dieser kecke

Reitermut hätte ihm aber einmal bald das Leben gekostet, als er eines

Tages

gegen den

Schwemme ritt.

Willen des

Vaters ein Pferd in

die Elster

zur

Das Tier, das er nicht zu zügeln vermochte, begann

Pfarrer M. Schmidt. — Tod des Vaters. — Geschwister.

5

sich im Flusse zu wälzen; der kleine Reiter geriet unter das Pferd,

verlor die Besinnung und wurde vom Strome mit fortgeriffen, aber von Leuten, die noch rechtzeitig hinzukamen, gerettet.

Es war dies in seinem

jungen Leben schon das zweitemal, daß er in ernstlicher Lebensgefahr geschwebt hatte.

Sonderbar erging es ihm in der Schule zu Knauthain, wo er mit der andern Jugend von Knautkleeberg unterrichtet wurde.

Hatte

er sich in Poserna des Lobes und der vollen Gunst des alten Schulmeisters

Held zu erfreuen gehabt, so gelang es ihm jetzt in der Schule zu Knaut­ hain eine Zeit lang gar nicht, sich die Zufriedenheit des dortigen Lehrers Johann Adam Weyhrauch zu erwerben.

Dieser hielt ihn sogar für einen

ausgemachten Dummkopf und hatte ihm bald das Prädikat „der dumme

Junge von Thüringen" beigelegt, obschon Poserna nicht in Thüringen

Der erste, der höhere Geistesgaben in dem Knaben entdeckte, war

liegt.

der Pfarrer M. Benjamin Traugott Schmidt**), der seit Oktober 1771

das Pfarramt zu Knauthain und Rehbach bekleidete.

Er machte den

Schulmeister auf den eigenartigen Jdeengang dieses Schülers aufmerksam und empfahl für denselben eine andere Unterrichtsmethode, deren An­ wendung denn auch zur Folge hatte, daß Seume alsbald alle Mitschüler

überflügelte und mit seinem zehnten Jahre der Erste in der Schule war. Um diese Zeit trat zu den immer ungünstiger werdenden äußeren

Verhältnissen der Familie noch die

Erkrankung des Vaters an einem

schweren Blasenleiden hinzu, das ein dreijähriges Siechtum und seinen Tod

herbeiführte.

Andreas Seume

starb am 25. Juli 1776

im achtund­

dreißigsten Lebensjahre und hinterließ seine Frau und fünf Kinder, von

denen Gottfried das älteste war, in der mißlichsten Lage.

Es entstand

eine Art Konkurs, bei dem zwar niemand etwas verlor, der Familie aber

nur die Summe von etwa zweihundert Thalern verblieb, wofür man der

Witwe ein kleines Haus kaufte.

Das Mitleid mit den Hinterbliebenen war

allgemein; insbesondere nahm sich der Justitiar der Gräflich Hohenthalschen

Patrimonialgerichte, August Gottfried Laurentius, der Familie in menschen­ freundlicher Weise an.

Seumes Geschwister hießen: Johanna Reginas,

Maria Reginab), Johann Andreas*) und Abraham").

Ein sechstes Kind,

Johanna Rosina"), war schon vor dem Vater im ersten Lebensjahre ver­

storben. ’) Geb. 1733 in Freiberg, gest. 1. Juli 1790 in Knauthain.

*) Geb. 26. August 1764 in Poserna. *) Geb. 29. Dezember 1766 in Poserna.

4) Geb. 25. Februar 1769 in Poserna. 6) Geb. 6. Dezember 1773 zu Knautkleeberg. •) Geb. 17. Februar 1772 in Knautkleeberg.

Graf v. Hoheuthal-Knauthain.

6

In Knautkleeberg hatte Seumes Vater zuletzt ein kleines Anwesen

mit etwa sechzehn Ackern Feld besessen, das er nach Ablauf des Tellerschen

Pachtvertrages kurz vor seinem Tode gekauft hatte. stücke lastete Frone.

Auf diesem Grund­

Es gab aber für den stolzen Charakter des Mannes

nichts Niederdrückenderes als diese Frondienste, die er selbst verrichten

mußte, wenn nicht sogleich alles zu Grunde gehen sollte.

Hieran knüpfte

sich eine der schmerzlichsten Jugenderinnerungen SeumeS.

Als sein Vater

immer kränker wurde und oftmals von der Fronarbeit weg nach Hause gehen mußte, weil die Kräfte ihm zu versagen begannen, machten die anderen Arbeiter, wie auch der Vogt, bittergrobe Bemerkungen darüber, die den rechtschaffenen Mann in tiefster Seele schmerzten.

Noch drei

Tage vor seinem Tode wurde er in dieser Weise gekränkt, und Gottfried war Zeuge dieses häßlichen Vorfalls, den er sein lebelang nicht wieder

vergessen konnte, ja er bezeichnete ihn selbst als eine Milursache seiner späteren konzentrierten, nicht selten finster mürrischen Sinnesweise. Zu denjenigen, welche sich der verwaisten Familie am thatkräftigsten

annahmen, gehörte auch der schon erwähnte würdige Pfarrer M. Schmidt.

Er verwandte sich für die Familie beim Grafen von Hohenthal,

und

dieser erkärte sich auf die Empfehlung hin „Gottfried sei ein Knabe guter

Art, der Segen seines Vaters ruhe auf ihm", bereit,

für sein Fort­

kommen zu sorgen, zumal er selbst ihn schon bei Schill- und Kirchen­

prüfungen mit Wohlgefallen bemerkt hatte.

Der Graf Friedrich Wilhelm

von Hohenthal') lebte meistens auf seinen Besitzungen, vorzugsweise auf Schloß Knauthain, und wirkte als ein milder und gerechter Herr höchst

segensreich. Zunächst ließ er Schule zu Knauthain.

seinen Schützling

bis zur Konfirmation in der

Während dieser Zeit wurden jedoch seine Kenntnisse

nur wenig gefördert, weil er seinen Mitschülern weit voraus war.

Er

beschäftigte sich damals viel auf eigene Hand mit biblischer Geschichte

aus Hübners biblischen Historien und Luthers Bibel selbst,

und

las

einige alte Erbauungsschriften, die ihm der Schulmeister gegeben hatte. Von dieser Lektüre rührte seine große Kenntnis der Bibel her, die zuweilen

selbst Theologen in Verwunderung setzen konnte.

Als die Wahl eines

Berufs an ihn herantrat, konnte er lange zu keinem Entschlüsse kommen, da ihm, wie jedem Knaben seines Alters, bestimmte Vorstellungen vom Leben ') Geb. 18. Mai 1742 in Groß-Städteln, gest. 21. August 1819 ebendaselbst. Er war Erb-, Lehn- und Gerichtsherr aus Groß- und Klein-Städteln, Oetzsch. Großund Klein-Deuben, Knauthain, Lauer, Krostewitz, Sestewitz und Kröbern. Erst in späterem Alter vermählte er sich mit der geborenen Gräfin Sophie Karoline Henriette Bachoff von Echt, verw. von Pannewitz. Die Ehe blieb kinderlos, und so erlosch mit dem Tode des Grafen die ältere Linie Derer von Hohenthal zu Städteln.

7

Wahl dkS Berufs.

noch mangelten.

Sein Vater hatte ihn eigentlich zum Kaufmann bestimmt;

mit seinem frühen Tode aber war dieser Plan hinfällig geworden.

Nun

sollte er ein Handwerk erlernen, und so entschloß er sich endlich, Grobschmied zu werden, aus angeborener Neigung zum Soliden, wie er sagte.

Die

Mutter erschrak, und der Pfarrer lachte, denn Gottfried war von kleiner

Statur und für Hammer und Ambos jedenfalls nicht geschaffen; es ge­ lang aber erst nach vieler Mühe, ihn von diesem Gedanken abzubringen. Nun wollte er im praktischen Hinblick auf Weyhrauchs behagliche Stelle Dorsschulmeister werden und beharrte dabei, obschon der Pfarrer auch hiergegen sein Bedenken äußerte. Auf des Pfarrers Bericht an den Grafen ließ dieser den Knaben zur weiteren Ausbildung nach Borna

M Korbinsky, dem Rektor der dortigen Stadtschule, bringen.

Beim Rektor Korbinsky in Borna. Ostern 1777 bis Juni 1779.

In das Haus des Rektors Johann Friedrich Korbinsky') kam Seume

nach seinem eigenen Ausspruch als ein halber Hurons, moralisch gut ge­ bildet, wenigstens völlig unverdorben, aber wiffenschaftlich ganz roh und wild.

Er war der älteste, aber unwiffendste unter Korbinskys Pensionären,

holte aber binnen Jahresfrist alles nach und war am Ende des zweiten Jahres

entschieden

der

erste

an

Kenntniffen

unter

ihnen.

In

dem

patriarchalisch guten Hauswesen des Rektors fühlte sich Seume äußerst wohl, zumal ihm dieser sowohl wie auch seine Gattin Johanna Christiana

-geb. Albrecht die liebevollste Behandlung

zu teil werden

ließ.

Sein

-ganzes Leben hindurch bewahrte er darum diesem biederen Schulmann

ein dankbares Andenken, wovon sein Gedicht „Meinem theuern Lehrer, dem Herrn Rektor Korbinsky in Borna"

(Obolen 1. Bd. S. 143ff.;

Hemp. Ausg. V. S. 76 ff.) das schönste Zeugnis ablegt: „Lieber, guter, alter, verehrungswürdiger Graubart, Nimm den Dank hier meines HerzenS in dieser Epistel, Den nur ein reines Gefühl, und nicht schön klingende Phrasen, Froh dir bringt für so viel mannigfaltige Wohlthat Jetzt noch schweben auf luftigen Schwingen die goldenen Tage, Bei dir einst so heiter verlebt, mir im Geiste vorüber: Wie ich am Eintritt in deine patriarchalische Hütte, Hochausblickend der neuen, fremden Erscheinungen, dastand; Rektor in Borna von 1751 bis zu seinem Tode am 28. Nov. 1792.

8

Familie Korbinsky in Borna. Wie du dann väterlich traulich den wilden, trotzigen Krauskopf

Rechts, links, vorwärts und rückwärts tief in der Bibel herumführt'st, Und ob meiner kernigen Exegese den Kopf nickt'st."

Auch in seiner Selbstbiographie nennt Seume von. allen

seinen

Lehrern Korbinsky denjenigen, dem er am meisten zu verdanken habe. Korbinsky hatte selbst sechs Söhne, von denen aber zwei schon im

frühesten Alter verstarben. studiert.

Die übrigen vier haben sämtlich in Leipzig

Der älteste Sohn, Karl Heinrich'), befand sich bereits auf der

Nikolaischule in Leipzig, als Seume nach Borna kam.

Die jüngeren Söhne

hießen: Christian Friedrichs, Johann Gottlob'), und August Gottlieb').

Mit diesen vier Korbinskys,

welche alle zu geachteten Lebensstellungen

gelangten, blieb Seume durch innige Freundschaft verbunden, am nächsten von ihnen stand ihm Johann Gottlob.

Und mit den Beziehungen zu

den Söhnen pflegte Seume zugleich das Andenken an ihren Vater, der

alle seine Zöglinge wie die eigenen Kinder hielt und auch noch später, wenn sie ihm

längst entwachsen waren, den wärmsten Anteil an ihren

Schicksalen nahm.

Es galt als ein Unglück in seinem Hause, wenn einer

seiner ehemaligen Schüler etwas gethan hatte, was einem schlechten Streiche ähnlich sah. Über Seume soll er in der Folge oft abwechselnd gejubelt und getrauert haben, bis er sich endlich fest überzeugt hatte, er

werde seiner Erziehung auf keine Weise Schande machen; dann sei er ruhig geworden. Während

der

Schulzeit

in Borna

besuchte

Seume

auch einmal

seine Mutter in Knautkleeberg, von der man ihm in unzarter Weise erzählt hatte, Lage befände.

daß sie sich mit seinen Geschwistern in der traurigsten Er war daher schon halb entschloffen,

seine Studien

aufzugeben und der Mutter mit seiner Hände Arbeit zu helfen.

Zu Hause

angekommen fand er jedoch, daß die Leute wie gewöhnlich übertrieben

hatten.

Er wurde namentlich durch die Versicherung des Pfarrers, daß

seine Angehörigen vor Mangel geschützt seien, wieder beruhigt und von

seinem Vorhaben abgebracht.

Auch seinem Gönner, dem Grafen von

Hohenthal, stattete er bei dieser Gelegenheit einen Besuch ab. Nach etwa zweijährigem Studium in Borna war Seume soweit vor­ gebildet, daß der Rektor seine Unterbringung auf einer höheren Lehranstalt *) Geb. 29. August 1757 in Borna. 8) Geb.

Siehe ferner Seite 12.

1. Oktober 1759 in Borna, gest. 27. Mai 1818 in Großenhain als

Amtsinspektor.

•) Geb. 8. Februar 1761 in Borna.

Siehe ferner Seite 50.

4) Geb. 23. Februar 1766 in Borna, gest. 18. Mai 1815 in Borna als Postmeister.

Schulzeit in Borna.

beim

9

Grafen befürworten konnte, umsomehr als Seume den übrigen

Schülern weit voraus war und sein Geist Bedürfnisse hatte, die inKorbinskyS Institut nicht befriedigt werden konnten. Alle dort vorkommenden Lehr­

gegenstände waren ihm bald verbrauchte Sachen; dem Rektor aber fehlte es an Zeit, sich einzeln mit ihm zu beschäftigen.

Doch gab er ihm noch einigen Unterricht im Hebräischen. Im übrigen hatte er ihn soweit ge­ fördert, daß er den Cicero und ein leichtes griechisches Buch ziemlich ge­ läufig lesen konnte; ebenso verdankte Seume ihm den festen Grund in der Geschichte, der Geographie und den anderen Fächern. Schließlich war es aber hohe Zeit geworden, daß Seume von Borna wegkam. Seine Überlegenheit über die anderen Schüler machte ihn zuweilen übermütig

und üppig, zuweilen verursachte sie ein Alleinstehen, das ihn verdroß. Da wurde denn auch mancher tolle Streich verübt, dessen Urheber er war, worüber der Rektor jedoch nicht allzustreng mit ihm rechtete, da der alte Pädagog die Ursache recht wohl kannte, und Seume ihn durch doppelten

Fleiß wieder zu versöhnen wußte. In dieser Zeit entstand auch Seumes erste Dichtung „Der Hasenschwanz", eine Satire nach dem Muster Gellertscher oder Hagedornscher Fabeln auf einen seiner Mitschüler, der unbeliebt und faul war. Diese Fabel geißelte das beständige alberne Spiel desselben mit einem Hasenpörzel, den man zum Abwischen der Wandtafel zu be­ nutzen pflegte. Das Gedicht fand unter den Zöglingen großen Beifall; mehrere Abschriften davon liefen um und fanden Verbreitung, doch sagt Seume in seiner Selbstbiographie, er hoffe zu Gott, daß keine derselben

mehr vorhanden sei. Auf Wunsch des Grafen bezog Seume Ende Juni 1779 die Nikolai­ schule in Leipzig, wobei ihm der Rektor KorbinSky das glänzende Zeugnis ausstellte, er habe während der beiden Jahre bei ihm mehr gethan als

andere in sechs Jahren.

Auf der Nikolaischule in Leipzig. Juni 1779 bis Michaelis 1780.

Leipzig war, als Seume die Nikolaischule daselbst bezog, noch keine

sehr große Stadt; es zählte ungefähr 27000 Einwohner'). Die innere Stadt war mit einer Ringmauer umgeben, um welche ringsherum eine *) Bergl. F. G. Leonhardt, Geschichte uud Beschreibung der Kreis- und Handels­ stadt Leipzig nebst der umliegenden Gegend. Leipzig 1799, S. 255.

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Die Stabt Leipzig. — Die Rikolaischule.

schöne Lindenallee führte.

Außer dem Schloßportale führten vier Haupt-

thore, das Ranstädter, das Hallische, das Grimmaische und das Peters­ thor sowie das Thomas-, das Barfüßer- und das Hallische Pförtchen

uach den Vorstädten. Auch die Vorstädte hatten Thore, die aber nicht wie die inneren Stadtthore im Stile der Befestigung mit Turm und architektonisch verzierten Portalen erbaut waren, sondern nur auö zwei großen hölzernen Flügeln bestanden mit einem Pförtchen und Wärterhaus seitwärts. Vor diesen war ein Schlagbaum angebracht, der des Abends

herabgelassen wurde. Die Straßen und Plätze der Innenstadt waren meist gut gepflastert und des Nachts durch Laternen beleuchtet. Die verkehrreichsten Straßen des heutigen Leipzigs galten auch schon damals als Hauptstraßen, wie z. B. die Grimmaische Straße, die Petersstraße u. f. w. Der belebteste Teil der Lindenallee war der zwischen dem Schloßportale und dem Barsüßer-Pförtchen, uud dieser wurde deshalb vorzugsweise Promenade genannt; hier gab sich die vornehme Welt Dabei gehörte cd zu den Gepflogenheiten der Leipziger Studentenschaft, in langen Reihen auf den die Allee umfriedigenden Holz­

Stelldichein.

geländern zu sitzen und über den geputzten Menschenschwarm Musterung abzuhalten. Was die damaligen kirchlichen Verhältnisse Leipzigs anbelangt, so war die protestantische Gemeinde in die beiden Hauptkirchen zu St. Thomä und St. Nikolai eingepfarrt. Der einzige Begräbnisort war der Fried­ hof bei der St. Johanneskirche in der Grimmaischen Vorstadt. Die katholische Gemeinde hatte ihre Kapelle in der Pleißenburg, während -er Gottesdienst der reformierten Gemeinde im kurfürstlichen Amthause, Ecke der Klostergasse und des Thoniaskirchhoss, abgehalten wurde. Die beiden Gymnasien Leipzigs waren die Thomasschule und die Nikolaischule; Rektor der letzteren war M. Georg Heinrich Martini'), als Seume dieselbe bezog. Durch den am 14. August 1774 verstorbenen

früheren Rektor Joh. Jakob Reiske war die Nikolaischule zu großem Ansehen gelangt, doch wäre Seume lieber nach Schulpforta gegangen, weil Klopstock dort gewesen war und einige von Seumes Mitschülern in Borna sich dort befanden. — Die Nikolaischule lag der Nikolaikirche gegenüber. Die Zahl der Schüler war unbeschränkt; dieselben wohnten, wenn sie nicht einheimische waren, zumeist als Kostgänger bei den Lehrern. Das Schulgeld betrug vierteljährlich nur 16 Groschen. Die Anstalt hatte sechs Klassen, wovon Sexta und Quinta abgesondert in den Lehr*) Er >var 1722 in Tanneberg bei Annaberg geboren, hatte in Leipzig stubiert

unb 1751 promoviert.

1775 wurde er Rektor bet Nikolaischule und starb in diesem

Amte am 23. Dezember 1791.

Studien auf der Nikolaischule.

11

stuben des Erdgeschosses, Quarta und Tertia in einem gemeinschaftlichen

Lehrsaale des zweiten Stockwerks, Sekunda und Prima zusammen in einem Lehrsaale desselben Stockwerks untergebracht waren.

Im ersten

Stock befand sich die Wohnung des Rektors. Die Lehrstunden währten vormittags im Sommer von sieben bis zehn Ühr, im Winter von acht bis elf Uhr, worauf die Schreibstunde folgte, und nachmittags von zwei bis vier Uhr. Die Eintragung im Schülerverzeichnis der Nikolaischule, Seume betreffend, lautet:

„Rectore Martini inscripti anno 1779. no. 161 Johann Gott­ fried Seume aus Knauthkleeberg ad aet. 17. Sohn eines verstorbenen Häuslers daselbst, wohnte auf der Nikolaischule selbst, kam in Klasse II

d. 30. Juni, ging nach l1/« Jahren auf die Akademie, und 8/4 Jahr hiernach in alle Welt." Seume war also gleich nach Sekunda gekommen, wo er anfangs der zehnte Schüler war. Von Michaelis 1779 bis Ostern 1780 ward er der sechste, und Michaelis 1780 der dritte in der Klasse. Anfangs hatte er wieder zu thun, um mit den andern gleichen Schritt zu halten,

zumal, wie schon erwähnt, die erste und zweite Klasse gemeinsam Unterricht hatten, doch ging seiner Meinung nach das Studieren ganz gut. Dem

Rektor aber wollte seine Art und Weise zu lernen gar nicht behagen, eben so wenig wie Seumen die Methode des Rektors, und doch sollte er sich streng nach dieser richten. Das führte zwischen beiden alsbald zu Zwistigkeiten, die eine mit der Zeit immer zunehmende gegenseitige Abneigung hervorriesen. Seume läßt in seiner Selbstbiographie Martinis Ansehen als das eines eklektischen Gelehrten und Altertumsforschers gelten, fügt aber hinzu, daß er als Schulmann kaum zu ertragen ge­ wesen sei. Mehr Sympathie als für Martini hegte, Seume für den Konrektor M. Gottlieb Samuel Farbiger'), der ihm durch seine ernst­

hafte, gründliche Methode, namentlich im Griechischen, reichlichen Ersatz bot. Seume nennt ihn einen Mann von weit ausgebreiteten Kenntnissen, den es nur manchmal zu verdrießen schien, sich zu den Zöglingen so weit

herabzulassen. Eines dritten Lehrers, des Tertius M. Joh. Nik. Hübsch­ mann8), gedenkt Seume in seiner Selbstbiographie in drastischer Weise. Seume war bei dem Rektor in Wohnung, Kost und Heizung ver­ dungen; er bewohnte aber eine Dachstube in der Nikolaischule und erhielt *) Geb. 4. Oktober 1751 in Leipzig, gest. 2. Mai 1828 in Leipzig als Rektor der Nikolaischule. *) Geb. 12. Juni 1730 in Rabenau bei Dresden, gest. 20. August 1782 in

Leipzig.

Freunde u. Mitschüler. — Romane „Siegwart" u. „Werther".

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seine Speisen durch die Magd dorthin.

Beziehungen

Er hatte also keinerlei nähere

zu dem Rektor und vermißte dämm anfangs das schöne

Familienleben doppelt, das er im Hause des Rektors Korbinsky genossen

hatte.

Sein Stubenkamerad und Studienleiter war Karl Heinrich Kor­

binsky'), der älteste Sohn des Rektors in Borna, der seit Ostern 1778

Theologie studierte.

Von diesem erhielt Seume noch einigen Unterricht im

Hebräischen. Stubennachbam waren zwei veterane Studenten, der spätere Pro­

fessor der Philosophie und der hebräischen Sprache, Gottlieb Immanuel Dinndorf, und Franz Ludwig Brunnemann, nachmals Archidiakonus in Borna.

Von seinen Mitschülern erwähnt Seume den späteren Buchhändler Sommer in Leipzig sowie die beiden Juristen Heinrich Blümner, den späteren Oberhofgerichtsrat, und Christian Gottlieb Haubold, der 1789 außerord.

Professor an der Universität Leipzig wurde.

Dem nachmals rühmlichst

bekannten Sprachforscher Prof. Joh. Georg Höpfner gab Seume schon als Nikolaischüler

Sprache.

Unterricht in den Anfangsgründen der

hebräischen

Er schrieb es später, halb im Scherz, halb im Ernst, seiner

guten Unterrichtsmethode zu, daß der Schüler dem Lehrer so gewaltig

zu Kopfe gewachsen sei. In dieser Zeit kam ihm auch zum erstenmal ein Roman in die

Hände; es war dies der „Siegwart", jene bekannte Klostergeschichte von Joh. Mart. Miller, in welcher die ganze thränenreiche Empfindsamkeit der

damaligen Litteraturepoche Ausdruck findet.

Diesen dreibändigen Roman

las er in einer Nacht: so gewaltig war die erste Wirkung desselben auf

seine Phantasie.

nicht von Dauer.

Als er aber näher prüfte, zeigte sich dieser Eindruck Schon damals begann sein Interesse nur am Wirk­

lichen zu haften, weshalb er von solchen Spielwerken menschlicher Ein­

bildungskraft bald wieder zu der den Geist nährenden, gediegenen Be­

schäftigung mit der Geschichte zurückkehrte.

Auch Goethes „Werthes

spielte dem jungen Kopfe gewaltig mit und zwar umsomehr, als darin alles

der Wirklichkeit so nahe kommt.

Da aber seine Seele noch ohne

jede Leidenschaft war, außer dem allgemeinen Enthusiasmus

für das

Wahre, Gute und Schöne, so war auch hier die Wirkung nur flüchtig vorübergehend. Indessen war die gegenseitige Unzufriedenheit zwischen dem Rektor

und Seume immer mehr zum Ausdruck gekommen. aus nicht den Weg gehen,

wollte wieder seinerseits

Seume wollte durch­

den der Rektor ihm vorschrieb, und dieser

Seumes Eigenart nicht gelten lassen.

Dazu

kam, daß Seumes Stubenkamerad Korbinsky den lateinischen Stil des

*) Er wurde 1782 Magister in Leipzig und im März 1789 Prediger in Wald­ heim, woselbst er am 26. Oktober 1790 verstorben ist.

Zwistigkeiten mit dem Rektor. — Abgang von der Schule.

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Rektors verdächtigt hatte, was auch nicht dazu beitrug. Martinis An­ sehen bei den Schülern zu erhöhen, zumal die Sache ihre Richtigkeit hatte. Fortwährende Nörgeleien, die schließlich auch Verstöße Seumes

gegen die Subordination mit sich brachten, — sein Streit mit dem Rektor über die grammatische Auflösung eines schweren Wortes in Lenophons Denkwürdigkeiten, wobei Seume Recht behielt, sowie sein nächtliches Ausbleiben im Mai 1780, als ein Lager sächsischer Truppen bei dem Dorfe Schönau unweit Leipzigs aufgeschlagen war, — ver­ schärften das Verhältnis zuletzt so weit, daß der Rektor glaubte, Seume ein Stipendium von zehn Thalern, welches ihm damals zuerkannt worden

war, mit der Rüge auszahlen zu müssen „der Stipendiat habe zwar Talente und sei nicht müßig, aber seine Sitten hätten diese Belohnung kaum

verdient." Solche und ähnliche Vorkommnisse machten Seume den Aufenthalt auf der Nikolaischule höchst zuwider, so daß er schließlich beim Grafen von Hohenthal mit der Bitte einkam, ihn noch einige Zeit nach Grimma oder Pforta zu schicken, da er auf der Nikolaischule fernerhin seine Zeit

ohne großen Nutzen zubringen würde. Der Graf schien anfangs damit nicht einverstanden zu sein, mochte aber bei näherer Nachfrage gehört haben, daß Seume nicht ganz Unrecht habe; er ließ ihn jedoch, bevor er eine Änderung beschloß, durch die beiden Theologe» M. Johann August Wolf und Prof. Samuel Friedrich Nathanael Morus prüfen. Diese Prüfung fiel so glänzend aus, daß man ihm sogleich das Reifezeugnis zur Uni­ versität erteilte. Seume war demnach in einer Zeit von etwa drei Jahren, wie er selbst von sich sagte, ein wilder, unwissender Landjunge, ein gänzlicher Analphabete und — Leipziger Student. „Alles recht gut, nur etwas zu früh," sagte der freundliche Konrektor Forbiger beim Ab­

schiede zu ihm, während ihn der Rektor mit Kälte und Würde entließ, ohne indes weitere Empfindlichkeit zu zeigen.

Studienzeit auf der Universität i« Leipzig. Oktober 1780 bis Ende Juni 1781.

juiEuf das Zeugnis der beiden Examinatoren hin, das Seume ver-

siegelt in Empfang

genommen

hatte,

ordnete

der

Graf von

Hohenthal an, daß er an der Universität Leipzig Theologie studieren solle.

Hier

ließ er

sich

also am 9. Oktober 1780 immatrikulieren.

Rektor der Universität war damals Prof. Karl Andreas Bel').

Von

seiner ersten Studentenzeit sagt Seume, daß er sich nun in der Freiheit herumgetummelt und sie zwar nicht ganz weise, aber doch so gebraucht habe, daß man es eben nicht Mißbrauch hätte nennen können.

Er hatte

nachzuholen und that es mit redlichem Fleiße durch hartnäckiges häus­

liches Studium.

Vorher hatte er die Klassiker nur fragmentarisch ge­

lesen, jetzt begann er sie streng ganz durchzugehen.

Da er nicht Philolog

werden wollte, so bekümmerte er sich dabei weniger um das Partikelwesen

und andere Sprachfeinheiten, als um die Sache selbst, und die Sprache beschäftigte ihn nur, insofern sie zur Sache gehörte und schön war. Über die Griechen hörte er weniger, doch that er mehr in ihnen als in den

Lateinern, weil ihr Geist ihn mehr ansprach, weshalb er auch später

oft zu sagen pflegte:

„Was ich Gutes an und in nur habe, verdanke

ich meiner Mutter und dem Griechischen." Als Seume

zur Universität ging,

gab er seine Wohnung in der

Nikolaischule auf und mietete sich bei einem Bäcker ein.

Karl Heinrich

KorbinSky zog mit ihm und blieb auch fernerhin sein Studienleiter, ohne ’) Geb. 1717 in Preßburg, gest. 5. April 1782 in Leipzig.

15

Brief an den Grafen v. Hohenthat.

Verbindlichkeit auf beiden Seiten.

Der Gesellschaft dieses jungen Mannes

verdankte er manche bessere Einsicht in die Alten und manchen guten Wink, den er nachher benutzte. Korbinskys Brüder, Christian Friedrich und Johann Gottlob, waren schon ein Semester früher als Seume zur

Universität Leipzig gekommen, wo sie am 13. April 1780 immatrikuliert wurden. Sie gehörten wie auch Seunie später der „Meißner Nation" an. Die seit Gründung der Leipziger Universität im Jahre 1409 be­ stehende, mit der Zeit aber gegenstandslos gewordene Einteilung der­

selben in vier Nationen, nämlich die Sächsische, Meißnische, Bayerische oder Fränkische, und Polnische Nation, hatte damals noch Geltung, da sie erst im Jahre

1830 aufgehoben worden ist.

Bis dahin er­

folgten auch die Rektorwahlen wechselweise in den vier Nationen nach dem bekannten Verse: „Saxo, Misnensis, Bavarus tandemque Polonus.“

Für Seumes Unterhalt sorgte nach wie vor der Graf, gewährte aber aus berechtigten Gründen an Mitteln nur gerade so viel, als der

junge Student brauchte, um bei größter Einfachheit eben knapp damit auszukommen. So hatte er z. B. für seine Beköstigung monatlich nur

fünf Thaler, womit er, wie man sich denken kann, trotz aller Wohl­ feilheit der damaligen Zeit nicht sehr ins Weite greifen konnte. Alle Mehrausgaben mußte er sich vom Grafe» besonders erbitten, wie aus folgendem Briefe hervorgeht:

„Leipsic, le XXI. Oct. 1780.

Monseigneur,

Votre sentiment si gracieux, dont j’ai vu les exemples les plus grands, me fait espörer, que Vous ne seres jamais indignes contre moi, que j’ose de Vous incommoder par ma lettre et par mes prieres. Je dois ä la genörosite de Votre coeur tont ce que m’est n^cessaire pour vivre, et je suis parfaitement convaincu de la grandeur de Vos benefices, que je n’en puisse jamais remercier partoute ma vie ä, Süffisance. Le temps dernier pouvoit declarer expressement les exemples les plus 6videns dc la grace, dont Vous me dignes. Maintenant, Monseigneur, Vous me pardonneres,. il saut, que je me serve de la permission, que Vous m’aves faite souvent, c’est que je Vous exposse avec soumission qu’ä present Votre volonte gracieuse m’est plus nöcessaire que jamais. C’est pourquoi j’ose de Vous prier trfcs-humblement de me secourir. Les dons, que Vous m’avös donnös les derniers jours sont döjä ernploiös. Par ce que je ne pouvois pas acheter les livres d’un antiquaire,

16

Brief an den Grafen v. Hohenthal.

car ces, qu’on a dans les lebens acaddmiques etoient promptement vendus, je les ai achetäs des libraires, et ä cause de cela ils coutoient beaucoup plus. Vous m’aväs ordonnl d’äcrire tont ce que j’achete, et je le Vous mets avec une liste des choses, dont je ne peux pas manquer. Je Vous demande, pardonnes ma liberte; je sais, que Vous 6tes d’une humanitä singulare, ä qui je dois tout mon bonheur.. Je suis avec un trfcs-profond respect de Vous

Monseigneur le tr6s-humble Jean Godefroi Seume.“ Adresse:

„ä Monseigneur Monseigneur Frederic Guillaume Baron de Hohenthal, Seigneur de Knauthain, Lauer, Grossstaedeln etc. mon Patron le plus respecte L Knauthain/1

Dieser in der damaligen Orthographie wiedergegebene Brief, zugleich der erste, der von Seume noch erhalten ist, lautet in Übertragung: „Gnädiger Herr, Ihre gütige Gesinnung, von der ich die

größten Beispiele

gesehen habe, läßt mich hoffen, daß Sie mir nicht zürnen werden, wenn ich »vage, Sie durch meinen Brief und meine Bitten zu belästigen.

Ich schulde der Großmut Ihres

Herzens alles, was mir zum Leben nötig ist, und bin so vollkommen von der Größe Ihrer Wohlthäter» überzeugt, daß ich mein Leben lang nicht genugsam dafür danken kann.

Die letzte Zeit

konnte besonders die augenscheinlichsten

kunden, deren Sie mich gewürdigt haben.

Beispiele der Gnade

be­

Jetzt, gnädiger Herr, Sie werden eS

mir verzeihen, muß ich mich der Erlaubnis bedienen, die Sie mir ost gegeben haben, Ihnen mit Ehrerbietung darzulegen, daß mir gegenwärtig Ihre Güte nötiger ist

als jemals.

Darum wage ich, Sie ganz ergebenst zu bitten, mich zu unterstützen.

Die Geschenke, die Sie mir in den letzten Tagen gemacht haben, sind bereits ver­ wendet. Weil ich die Bücher nicht bei einem Antiquar kaufen konnte, denn diejenigen, welche man in den akademischen Vorlesungen braucht, waren schnell vergriffen, so

habe ich sie von Buchhändlern gekauft, weshalb sie viel mehr kosteten.

mir beföhlen alles aufzuschreiben,

Sie haben

was ich kaufe, und ich setze es Ihnen auf mit

einer Liste derjenigen Sachen, die ich nicht entbehren kann. Ich bitte Sie, meine Freimütigkeit zu entschuldigen; ich weiß, daß Sie von einer seltenen Menschenfreund­ lichkeit sind, der ich mein ganzes Glück schulde.

Ich bin mit tiefster Ehrfurcht Eurer

Gnaden ganz ergebener Johann Gottfried Seume."

Seine Universitätslehrer.

17

In dieser ersten Periode seiner Universitätsstudien hörte Seume über

Philosophie den Professor Carl Adolph Cäsars; über Geschichte den Pro­

fessor Friedr. Aug. Wilh. SBend*2); 3 über die hebräische Sprache und einige Bücher des Alten Testaments den Professor Joh. Aug. Dathe") und

über lateinische und griechische Schriftsteller den Professor Sam. Friedr. Rath. Morus 4). An dessen Vorlesungen, namentlich die über die Annalen des Tacitus, erinnerte sich Seume noch später mit vielem Vergnügen, wie er überhaupt zu Professor Morus bis zu dessen Tode in näherer freundschaftlicher Beziehung gestanden hat. Mit besonderem Eifer widmete sich Seume damals auch dem Studium der hebräischen Sprache, in der er Dutzende

von Psalmen und ganze Kapitel aus den anderen Büchern auswendig wußte. Er trieb dies aber ohne tieferes Bedürfnis des Wissens nur in dem Streben, nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Doch hätte ihm das Hebräische bald einmal einen üblen Handel zugezogen. Er wohnte, wie schon gesagt, bei einem Bäcker, wo Mutter und Tochter fast immer in ihrem offenen Laden

Gesellschaft von jungen Leuten bei sich sahen, die bei ihnen ihr Frühstück einnahmen. Seume war ziemlich düster und ernsthaft und bekümmerte sich wenig um die Wirtinnen und ihre Gesellschaft. Sein Aufzug war seinen Verhältnissen angemessen, weder glänzend noch zierlich; zudem führte er damals zumeist einen großen, schweren hebräischen Codex unterm Arme mit sich, den er mühsam hin und her schleppte. Ein junger Edelmann aus Thüringen, der wohl anch einmal etwas Hebräisch getrieben haben mochte, glaubte den jungen Theologen hänseln zu können, denn er rief Seume jedesmal eine Regel aus der hebräischen Grammatik nach, wenn dieser an der offenen Ladenthür vorüberging. Einmal und zweimal ließ Seume sich das ruhig gefallen, das dritte Mal aber kehrte er um und sagte dem jungen Manne, was zu sagen war. Dieser ant­ wortete nicht artig, worauf Seume meinte, die Sache könne sogleich mit dem Degen geschlichtet werden und war schon im Begriffe ihn von seinem Zimmer zu holen, als die Bäckerin und ihre Tochter als Vermittlerinnen herbeieilten und nicht eher nachließen, als bis sie die beiden Streitenden mit den gehörigen Gründen auseinander gebracht hatten. Von nun an

ließ der Baron ihn ruhig seines Weges ziehen. Eine unwiderstehliche Anziehungskraft hatte in dieser Zeit das Theater für Seume, und zwar nm so mehr, als die Welt, die es bedeutet, ihm noch 12. April 1744 in Dresden, gest. 13. Jan. 1811 in Leipzig. 20. Sept. 1740 in Idstein, gest. 15. Juni 1810 in Leipzig. 4. Juli 1731 in Weißenfels, gest. 17. März 1791 in Leipzig. 30. Nov. 1736 in Lauban, gest. 11. Nov. 1792 in Leipzig. Planer ». Ncibmann, Seume. 2

*) ■) 3) 4)

Geb. Geb. Geb. Geb.

Theaterleidenschaft. — BendaS „Ariadne".

18

vollkommen fremd war.

Leidenschaft.

Der Theaterbesuch wurde damals bei ihm fast zur

Er hatte, wie schon erwähnt, monatlich fünf Thaler zu

verzehren, davon trug er, durch das künstlerische Spiel des Schauspielers Reinecke') angelockt, vier ins Theater. Mehrere Tage lebte er von trockenen

Dreilingen, um nur einige Lieblingsstücke sehen und dabei vorzüglich Reineckes

Darstellungskunst genießen zu können, die sich von dem falschen Pathos der französischen Schule losgesagt hatte, um zur Naturwahrheit zurückzukehren. Auch für Musik hatte Seume einen sehr empfänglichen Sinn; tief gegriffene,

einfach erhabene Stellen von Mozart, Haydn, Händel oder Bach konnten ihn in die größte Rührung versetzen. Das erste Theaterstück, das er sah, war Georg Bendas **) Melodrama „Ariadne auf Naxos", das 1774 auf

die Bühne kam.

Dieses vorzüglichste Werk Bendas ist Seumes Lieblings­

stück geblieben. Wie er selbst sagt, kannte er in der ganzen Peripherie seiner

musikalischen Litteratur nichts Lieblicheres als die Morgenröte und nichts Malerischeres als den Sonnenaufgang in diesem Stücke.

Meist kam die

Truppe der kurfürstlich sächsischen privilegierten deutschen Hofschauspieler zu

den Oster- und Michaelismeffen von Dresden nach Leipzig, um daselbst zu spielen. Der Unternehmer oder Direktor dieser Gesellschaft, Pasquale Bondini,

— später Franz Seconda, — bezog vom Kurfürsten eine jährliche Unter­

stützung für seine Truppe. Die Vorstellungen fanden im Schauspielhause, dem jetzigen alten Theater statt, das von einem Konsortium Leipziger Bürger

aus dem Grunde der 1764 niedergelegten Ranstädter Thorbastei von 1766

an erbaut worden war.

War die privilegierte Schauspielertruppe nicht in

Leipzig anwesend, so kamen oft auch italienische Operngesellschaften dahin,

die beim Publikum nicht minder beliebt waren, weil die privilegierten Schauspieler Singstücke überhaupt nicht gaben. Während der Meffen wurde täglich, sonst aber nur drei- bis viermal in der Woche gespielt; immer­ hin war somit

dem

jungen Theaterenthusiasten,

dem siebzehnjährigen

Studenten Seume, oft genug Gelegenheit geboten seiner Neigung nach­

zuhängen, soweit sich eben die Mittel dazu am Munde abdarben ließen. Jetzt aber nahte für Seume eine Zeit schwerer Prüfungen und

Seelenkämpfe, die ein düsteres Verhängnis über ihn bringen sollte.

Die

Schriften der beiden Engländer Shaftesbury (1671—1713) und Boling-

broke (1668—1751) waren ihm in die Hände gefallen, und deren frei­ geistige Richtung bewirkte, daß ihn

die Glaubensformel und orthodoxe

*) Johann Friedrich Reinecke, am 1. Nov. 1747 in Helmstadt geboren, war seit 1777 Mitglied, dann Regisseur der Bondinischen Schauspielgesellschaft; er starb

am 1. Nov. 1787 in Dresden.

*) Geb. 1721 in Jungbunzlau, war 1748—87 Kapellmeister in Gotha. starb 6. Nov. 1795 in Köstritz.

Er

Skeptische Anschauungen über die Dogmen.

19

Bibelerklärung nur noch mit sehr schwachen Fäden an der Kirche fest­ hielten. Einige Artikel aus den Schriften des Franzosen Pierre Bayle

(1647—1706), vermutlich aus dessen Dictionnaire hiatorique et critique, kannte er auch schon und wurde durch diese in seinen skeptischen An­ schauungen über die Dogmen der positiven Religion nur noch bestärkt. Dazu kam noch, daß sein Stubengenosse Korbinsky mit einigen seiner Freunde zuweilen in etwas freimütiger Weise über die von Lessing 1777 herausgegebenen „Wolfenbüttler Fragmente" gesprochen hatte, die damals ungeheures Aufsehen erregten. Man kann sich die Wirkung denken, welche diese Schriften und Lehren auf den jungen Studenten machen mußten; sie warfen vollends über den Haufen, was von religiösen Grund- und

Glaubenssätzen seiner orthodoxen Erziehung noch in ihm war. Es war in ihm zum Durchbruch gekommen; nur wagte er nicht etwas darüber verlauten zu lassen. Er glaubte, wie er sagte, nur das, was er begriff, und er begriff von den Kirchendogmen eben nur sehr wenige. Der Pfarrer M. Schmidt, der Vermittler zwischen ihm und dem Grafen, Seumes wahrer väterlicher Freund, aber ein heftiger Orthodoxer, hatte von seiner veränderten Richtung doch etwas erfahren und machte ihm nun die bittersten Vorwürfe darüber. Der Klagepunkte waren viele, vorzüglich folgende: Er wäre nicht ordentlich in die Kirche gegangen und meistens nur zu Zollikofer, dem Prediger an der reformierten Gemeinde in Leipzig, der als

Theologe der sogenannten Aufklärung huldigte; dann hätte er über einige Dogmen frei und profan gesprochen, hätte sich oft gebadet (!) und was der­ gleichen Dinge mehr waren, weswegen ihn der gute Mann schon leibhaftig in der Hölle brennen sah. Das Theater wurde nicht berührt; und das wäre doch wohl das Schlimmste gewesen, weil es ihm Geld kostete, das er nicht hatte. Vornehmlich drohte der Pfarrer mit dem Grafen, der gewiß seine Hand von ihm abziehen würde, wenn er von seiner verkehrten Sinnesrichtung erführe. Diese letzte Bemerkung wirkte aber gerade das Gegenteil von dem, was sie wirken sollte; sie machte ihn stolz, anstatt ihn demütig zu machen. Von seiner Mutter, an der er mit kindlicher Zärtlichkeit hing, war gar nicht die Rede, und doch hätte dies den heil­ samsten Einfluß auf ihn ausgeübt. Er nahm die Strafpredigt des Pfarrers mit Stillschweigen hin; er leugnete nicht und verteidigte sich

nicht, versprach aber auch keine Besserung, da er nicht wußte, worin er sich hätte ändern sollen. Mit jeder neuen Forschung kam ihm ein neuer Zweifel, und die Mystik, deren keine ausgebildete Religion entbehren

kann, fing an ihm verhaßt zu werden, weil er in ihr oftmals nur welt­ liche Klugheit zu erblicken glaubte. Um aber den erzürnten Pfarrer etwas zu besänftigen, bat er ihn um die Erlaubnis zu einer Predigt, die 2*

Predigt in Knauthain und Rehbach.

20

er über das Evangelium vom Pharisäer und Zöllner verfaßt hatte und zugleich

im Manuskript überreichte, dem er das Motto: „Pectus est,

qnod facit disertos“ aus dem Quintilian vorgesetzt hatte.

Er hielt auch

die Predigt in Knauthain und Rehbach mit vielem Beifall vor der ver­

sammelten Kirchengemeinde, unter der sich auch der Graf von Hohenthal

befand.

Auf die Anwesenheit desselben bezieht sich der bemerkenswerte

Schluß dieser Predigt: . Und mit welcher Empfindung siehe ich heute hier an dieser heiligen Stelle vor der Versammlung des Herrn,

seiner Majestät!

Meine

vor dem Angesicht

in

diesem

Augen­

blicke zusammen und füllen meine Seele mit gerührtem Dank.

Meine

Gefühle

drängen

sich

Kindheit, meine Knabenjahre, meine ganze Jugend, jeder Auftritt der­ selben schwebt mit neuer

lebhafter Erinnerung vor meinem Geiste.

Jenes Schulhaus, wo ich die ersten Begriffe von Tugend und Religion

hörte und anfing, mich zum künftigen Menschen und Christen zu bilden; jenes Chor, wo meine schwache Zunge mit in die Lobgesänge der

Gemeine, dem Herrn ein angenehmes Opfer, stammelte; diese Stelle,

auf welcher ich als Knabe die eingesammelten Lehren in öffentlichen Prüfungen bekannte, von der aus reiner Quelle der Offenbarung heil­

same Schätze in mein junges Herz sich ergossen; jener Altar, an dem

ich den Bund der Bruderliebe schwor; die ganze Gegend, wo meine Jugend in unschuldigen Freuden hinschwand; Alles, Alles, die ganze Vergangenheit steht vor mir und fordert mich auf, mit dankdurch­

drungener Seele das Bekenntniß zu thun: Herr, Deine Wohlthaten sind ohne Maß!

würdig.

Dieser Ort ist mir heilig,

diese Versammlung ehr­

Ich sehe hier die Gefährten meiner frühesten Jahre, meine

ersten Schulfreunde, die ganze Gemeine, vor der ich als Knabe stand, die Lehrer meiner Jugend, und auch ihn, den großmüthigen Menschen­

freund, von dessen Güte Viele, von dessen Gnade besonders auch ich die ersten Aufmunterungen eines jugendlichen Fleißes erhalten habe,

dessen wohlthätige, dessen edelmüthige Theilnehmung meinem Loose eine

Wendung gab, die mich der angenehmsten Zukunft entgegensehen ließ. — Vereiniget Euern Dank mit dem meinigen, meine Theuren, und singet

Lob dem Höchsten". — (Hemp. Ausg. VII, S. 247 ff.) Infolge dieser Predigt schien, wie Seume sagt, seine Ketzerei vergessen

zu sein; desto fester aber und tiefer saß sie in ihm.

Selbstverständlich

hatte man in der Predigt nichts davon entdecken können; dennoch war

es im Grunde nur ein Thema der reinen, allgemeinen Moral gewesen.

Seelenkämpfe. — Heimlicher Weggang von Leipzig.

das er behandelt hatte.

21

Die Predigt hätte darum wie die Vorträge

Zollikofers *) ebenso gut für Juden, Türken und Heiden gepaßt. Auch noch eine andere Predigt „über die Vortrefflichkeit des gött­

lichen Wortes" verfaßte Seume damals, doch giebt es keinen Anhalt dafür, ob er sie auch gehalten hat.

Es begann furchtbar in ihm zu

Er glaubte als ehrlicher Mann auf diesem Wege nicht weiter

gären.

wandeln zu können, Heuchelei aber war ihm unerträglich.

Er sagte

immer nur, was er dachte, obgleich er nicht alles sagte, was er dachte. Die Gedanken 'unter der Ägide der Vernunft galten schon dem acht­

zehnjährigen Studenten als das heilige Palladium der Menschennatur.

Seine Lage war sehr bedenklich, da alle» von der subjektiven Überzeugung anderer abhing.

Es war natürlich, daß der Graf schließlich alles erfahren

mußte, und das Schlimmste dabei war, nicht aus dem Gesichtspunkte, wie

es Seume ansah.

Dieser scheute aber die Auseinandersetzungen mit dem

Grasen, weil e» ihm peinlich war vor diesem undankbar zu erscheinen, und weil seine Vorhaltungen ihn wohl niederdrücken, aber nicht bekehren

würden.

Ohne Unterstützung des Grafen konnte er den Wiffenschaften

jedoch nicht weiter leben, und darum wollte er der Katastrophe zuvorkommen.

Er zog sich in sich selbst zurück und faßte den Entschluß, auf alle Fälle

seine eigene Kraft zu versuchen.

Das konnte indes in Leipzig und über­

haupt im Vaterlande nicht geschehen.

Nach vielen Kämpfen, die ihm

da» Ansehen eines Melancholikers gaben, ging er auf und davon ohne einen bestimmten Vorsatz, wohin und wozu.

Er nahm sein Monats­

geld, verkaufte einige Bücher, bezahlte seine kleinen Schulden und machte sich mit einer Barschaft von ungefähr neun Thalern gegen Ende Juni 1781

auf den Weg, wobei ihm als Ziel zunächst Paris vorschwebte.

Von dort aus gedachte er vielleicht in die Artillerieschule zu Metz ein­ treten zu können, zumal er damals angefangen hatte etwas ernsthaft Französisch und Mathematik zu treiben. Das übrige überließ er billig dem Schicksal.

Da er heimlich von Leipzig fort mußte, so konnte er auch von

seiner Mutter keinen Abschied nehmen; dies war der qualvollste Ge­ danke, der ihn begleitete.

Er wanderte über die Dörfer nach Dürren­

berg, setzte dort über die Saale und übernachtete zuerst im Dorfe Zeugefeld bei Freyburg a. d. Unstrut.

Hier schrieb er in seiner Verlassenheit und

mit schwerem Gefühl des Abends eine rührende Elegie über seinen Zustand, *) In Georg Joachim Zollikofer verehrte man damals nicht nur den bedeutenden

Kanzelredner, sondern auch den würdigen Charakter.

Er war 5. August 1730 in

St. Gallen geboren und wirkte seit 22. Januar 1758 bis zu seinem Tode 1788 in der reformierten Gemeinde zu Leipzig.

22

Fällt hessischen Werbern in die Hände. — Ausruf in der „Leipziger Zeitung",

die, wie er sagt, zu den Heiligtümern seiner Seele gehörte.

Niemand

hat sie gesehen, und sie hat sich aus seinem Taschenbuche verloren, sobald seine Stimmung sich wieder etwas erheiterte und mehr in stoischen Gleich­ Den Gedanken an seine Mutter suchte er zu unterdrücken,

mut überging.

weil er die Unmöglichkeit sah seine Sinnesart zu ändern.

Seine Mutter

war zwar keine Glaubenseifrerin und würde ihn nicht sogleich verdammt haben; aber ihr ruhiges Wesen würde es widersprechend gefunden haben,

daß Ein Kopf sich nicht bei dem beruhigen könne, wobei sich so viele Hunderttausende ehrsam beruhigten.

Auf alle Fälle würde' ihr seine Lage,

wenn er geblieben wäre, fast ebenso schmerzlich gewesen sein wie seine

So suchte er sich denn das Herz zu erleichtern, das ihm

Entfernung.

viel schwerer war als sein Ränzel.

Einige Hemden darin, der Degen

an der Seite und mehrere Klassiker in der Tasche, das war die ganze Ausrüstung, mit der er in die Welt ging, das Glück zu suchen. Den

kam den

zweiten Abend blieb dritten

die Hände

fiel.

Abend

Die

nach

er

in einem Dorfe vor Erfurt und

wo

Vacha,

er

hessischen

Werbem

seiner Selbstbiographie, doch sind sie nicht schwer zu erraten.

von Jugend noch

gänzlich

in

näheren Umstände dabei verschweigt Seume in

auf Vorliebe

unerfahren,

für den Soldatenstand, wurde er

daher um

und

Er hatte

in der Welt

so leichter nach dem

System jener Zeit durch die listige Freundlichkeit eines Werbeoffiziers

angelockt, der ihm im Wirtshause fleißig zutrank, dem Halbberauschten

eine kleine Summe Geldes (den Werbeschilling) aufnötigte und dann mit ihm auf das Wohl des gnädigen Landesherrn anstieß. die Formalitäten der Werbung erfüllt;

Damit waren

der Ahnungslose war Soldat

und wurde auf einen Wink des Offiziers von den Mannschaften des Werbekommandos in Gewahrsam genommen.

Oftmals betrog man die

Unglücklichen auch noch um den Werbeschilling. In Leipzig hatte das spurlose Verschwinden SeumeS allgemeines

Aufsehen erregt; allerlei Gründe wurden hervorgesucht, die wahre Ursache

aber ahnte niemand.

Im 141. Stück der „Leipziger Zeitung" von 1781

findet sich folgender Aufruf: „Es ist am 28sten oder 30sten Juni d. I. ein

Student aus

Leipzig unter dem Vorgeben, seine Anverwandten zu besuchen, verreiset, und zur Zeit weder zu seinen Verwandten, noch

gekommen.

nach Leipzig zurück­

Er war 18 bis 19 Jahr alt, mittler Statur, trug sein

schwarzbraun Haar, welches ein wenig tief in die Stirn gewachsen

war, in einem steifen Zopfe, und hat sehr starke schwarze Augenbrauen. Bei seiner Abreise trug er ein braunes Kleid von feinem Tuche mit

Ausruf in der „Leipziger Zeitung". — Graf von Isenburg.

SS

Stahlknöpfen, eine grüne gewirkte Weste, schwarze Beinkleider und Stiefeln. Seine Degenscheide war mit Schlangenhaut überzogen und seine Wäsche mit J. G. 8. bezeichnet. Man befürchtet, daß diesem jungen

Menschen ein Unglück begegnet sein möchte, und ersucht Diejenigen, welche eine zuverlässige Nachricht von ihm ertheilen können, dieselbe gütigst in die Zeitungsexpedition zu Leipzig zu geben. Die deshalb anfgewendeten Kosten sollen mit ergebenstem Danke bezahlt werden. Leipzig, den 19. Juli 1781."

Besondere Mühe den eigentlichen Zusammenhang der Sache aus­ findig zu machen gab sich der alte Graf Karl Ludwig von Isenburg

und Büdingen-Wächtersbach, ein pensionierter preuß. Obristlieutenant, der

für gewöhnlich bei dem Grafen von Hohenthal lebte und Seume immer mit vieler Güte behandelt hatte. Der alte Herr ließ sich keinen Weg verdrießen, er stieg in Leipzig Treppe auf Treppe ab, wo er nur immer glaubte, eine Nachricht über den Verschwundenen erhalten zu können, aber alles umsonst. ES blieb schließlich nichts übrig als anzunehmen, Seume habe sich in einem Anfalle von Schwermut, die man allerdings einige Zeit vor seinem Weggange sehr an ihm bemerkt hatte, ein Leid angethan, wobei man namentlich den Umstand, daß er vorher seine Schulden bezahlt hatte, als ein starkes Argument gegen seinen Verstand betrachtete.

Lol-at in hessischen Diensten. Juli 1781 bis September 1783.

EA/ron Vacha brachte man Seume als Halbarrestanten nach der Festung

Ziegenhain a. d. Schwalnr, wo schon viele Leidensgefährten aller Stände und aus aller Herren Ländern lagen, um an England verkauft und im nächsten Frühjahre nach Amerika geschafft zu werden. So hat

der Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (1760—1785) an England für den Krieg mit den Nordamerikanischen Kolonien (1776—1783) etwa zwanzigtausend Mann verkauft, wofür er einundzwanzig Millionen Thaler erhielt, die er größtenteils für seine prunkvolle Hofhaltung ver­ wendet haben soll. Das Werbesystem der damaligen Zeit war fast zur Menschenjagd geworden; kein Mann war davor sicher. Was Überredung

und List nicht vermochten, das wurde mit Betrug oder Gewalt erreicht; alle Mittel galten zu dem verdammlichen Zwecke. Seumes einzige Legitimation, seine akademische Inskription, zerriß man ihm, so daß ihm weiter nichts übrig blieb als sich in das Unabänderliche zu schicken. Er ergab sich mit Gleichmut in sein Schicksal und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Während des Aufenthalts in Ziegenhain diente er dem alten General Gore als Schreiber, und wurde von ihm mit Freundlichkeit behandelt. Von hier aus richtete er auch Briefe an seine Mutter und an seine Gönner, den Pfarrer Schmidt und den Grafen von Hohenthal, worin er als Grund für seinen heim­ lichen Weggang den unbestimmten Drang die Welt zu sehen angab, und nur durch einige Hindeutungen auf die wahre Ursache schließen

ließ. Die Herren antworteten nicht; der Graf schien die Sache für eine gewöhnliche Jugendthorheit und Seume für einen Menschen zu nehmen,

Überfahrt nach Amerika.

den man seinem guten oder bösen Genius überlassen müsse.

26 Somit war

er seinem Schicksal preisgegeben. Nachdem ein von den Angeworbenen geplantes Komplott zu ihrer Befreiung durch Verrat fehlgeschlagen war, brachte man den Transport

im Frühjahr 1782 von Ziegenhain nach Kassel, wo er vom Landgrafen besichtigt wurde. Hierauf eskortierte man ihn am 10. April 1782 von

Kassel bis nach Hannovrifch-Münden, schiffte ihn auf sogen. Bremer Böcken ein und führte ihn die Weser abwärts bis nach Bremen. Von dort brachte man die Mannschaften auf anderen Fahrzeugen bis Bremer­ hafen, wo sie von englischen Transportschiffen ausgenommen wurden. In diese förmlich eingeschichtet und eingepfercht, trat der Truppen­ transport endlich Anfang Juni 1782 die überfahrt nach Nordamerika an,

nördlich um die britischen Inseln herum, an den Orkney-Inseln vorbei, weil im Kanal und in den spanischen Gewässern feindliche Flotten kreuzten; doch wurden die Schiffe durch Stürme bald bis nach Grönland verschlagen und landeten erst gegen Ende September in der Bucht von Halifax. Ein anonymer Reiseschriftsteller aus jener Zeit giebt in seiner Schrift „Briefe eines Reisenden Über den gegenwärtigen Zustand von Kassel", Frankfurt und Leipzig 1781, aus eigener Wahrnehmung folgende Schilderung über einen solchen hessischen Rekrutentransport: „Ich sah den Transport der dieses Jahr nach Amerika bestimmten Rekruten von ungefähr tausend Mann, welche einstweilen in den Festungen bewahrt wurden, durch das Prinz Friederichsche DragonerRegiment bewacht, hierher führen und auf der Rennbahn aufmarschieren. Der Herr Landgraf durchgingen die Reihen, und hörten die Beschwerden

an, die hin und wieder einer vorzubringen hatte; gleich nachher wurden sie zur Stadt hinaus und weiter geführt. Einigen, welche gut aussahen, bot man an, da zu bleiben, welche es aber nicht an­ nahmen, andere, die gerne da bleiben wollten, mußten marschieren; — wie es meistens in der Welt zu gehen pflegt, wo nicht alle Wünsche

befriediget werden. Diese Rekruten bestanden meist aus Ausländern. Das ansehnliche Handgeld, die sehr gute Löhnung, so sie bekommen, die Hoffnung auf Schätze, so sie zu erwerben gedenken, viele andere Ursachen, da mancher auch keine Aussicht zu seines Lebens Unterhalt hat, alles dieses macht

diese Werbung leicht; auch sahe ich viele darunter, von welchen ich glaube, daß es gut wäre, wenn Deutschland von allen solchen Leuten, die ihnen ähnlich sind, gesäubert werden könnte. Alle diese Rekruten

26

^Schreiben aus Amerika.

waren mit ganz blauen, roth gefütterten Röcken und weißen Westen montiert, worauf alsdann, wenn sie nach Amerika kommen, die Klappen

von den Regimentern, worunter man sie vertheilt, aufgesetzt werden. Die Jäger ausgenommen, welche grüne Röcke mit rothen Westen und

Klappen, und in allem ein besseres Ansehen hatten, auch in einträglicherm

aus dem Dienst boten

Sold stehen. — Verschiedene junge Offiziere

sich an, mit diesem Transport zu gehen, auch in der Hoffnung,

Welt zu sehen, sich zu versuchen und ihr Glück zu machen.

die

Verschiedene

aus dem preußischen Dienst gekommene Offiziere nahmen auch Dienst dabei, so daß an Offizieren kein Mangel war." —

Seume hat diese Episode seines Lebens zuerst in Joh. Wilh. v. Archenholtzenö Journal „Neue Litteratur und Völkerkunde" für das Jahr 1789,

2. Bd. S. 362—381, ausführlich beschrieben; später bezeichnete er diese Veröffentlichung, die seitdem nicht wieder gedruckt ist, als die Ouvertüre seines Schriftstellerwesens.

Die Schilderungen in dieser sechs bis sieben

Jahre nach jenen Erlebnissen verfaßten Erzählung sind von großer Anschaulich­ keit und Kraft, weshalb dieselbe im wesentlichsten hier wiedergegeben wird. „Schreiben aus Amerika nach Deutschland.

Halifax, 1782. Liebster Freund!

Bleib zu Hause, und verliere Dich nicht weiter als bis an die Saale und Elbe.

Es

ist

viel bequemer

die Abentheuer Anderer

hinter dem Ofen im Schlafrocke und der Nachtmütze zu durchblättern, als selbst nur den geringsten Anhang davon zu bestehen.

Welcher

Kakodänion mir ins Gehirne fuhr und mich von Leipzig wegjagte, kann ich mir bis diese Stunde nicht entziffern.

Soviel weiß ich wohl,

daß ich ein Narr war; und doch wird mir'ö äußerst schwer, Narrheit zu bekennen, oder nur zu bereuen.

ich bin tüchtig

angelaufen;

und

weiß

der Himmel,

Metamorphosen ich mich noch winden muß,

diese

Aber ich bin bestraft,

durch welche

um endlich

den Hals

.zu brechen, oder als Bettler zurückzukehren. Meines Lebens beste Jahre Weih' ich dem Soldatenstand; Endlich bring' ich graue Haare Mit mir in mein Vaterland,

singt mein Kamerad K., der eben so starke Sottisen gemacht hat, als

Dein ehemaliger Busenfreund.

Schreiben aus Amerika.

27

Der alte Unglücksprophete, mein Rector (Martini), hat mir das wohl gesagt, daß ich mit meinem albernen, störrigen und unbiegsamen Kopfe nicht weit kommen würde.

Ob er sich nun wohl im wörtlichen

Verstände geirrt hat, so empfinde ich doch nur allzusehr, daß seine eigentliche Meinung wohl ziemlich wahr sein mag. Thut aber nichts,

Bruder! ich werde schon auch durch das bischen Leben mich durchtrollen; ob auf Extrapost oder im Schubkarren, das ist im Ganzen kein so großer Unterschied, wenn mich nur niemand eines Schurken zeihen kann. Willst eine kleine Erzählung von meinem Kreuzzuge haben? Das sollst Du; mußt mir aber verzeihen, wenn Du alles so mischmaschmäßig durcheinander findest. Denn Du weißt wohl, daß ich gar kein Methodist

und folglich eben nicht geschickt bin, ein sehr genauer und ordentlicher Beobachter durch alle Kleinigkeiten zu sein. Gleich einige Tage nach meiner Ausflucht, da ich nach Frankreich wandern wollte, fanden es die Hessen, als ich ganz unschuldig einen Schwanz von ihrem Gebiete auf der Frankfurter Straße passierte, nach ihrer Gewohnheit für dienlich, mich als einen Fremden ad saccum zu nehmen. Da hier kein Protestieren etwas half, mußte ich mir den Arrest gefallen lassen, und mich bequemen, mit nach Ziegenhain zu schlendern; «in Teufelsnest, wo gewiß vor Zeiten eine Öffnung nach dem Styx ge­

wesen sein muß; denn die ganze Atmosphäre ist noch so pestilenzartig, und das Wasser so avernisch, daß eine ekelhafte Art von Scorbut oder Fäulniß, oder Krätze, wie man's nennen will, das Antheil fast des ganzen Transports wurde, die nur darin noch etwas glimpflicher als der jüdische Aussatz war, daß sie doch endlich wieder abheilte, wenn man in Gottes bessere Welt kam. Du weißt, daß ich immer ein Kerl war, der mit über den Graben springen durfte, und der für seine Portion Leben eben nicht die zärtlichste Sorge trägt. Der Transport war ungefähr 1500 Mann stark, und unter diesen entspann sich ein kleines Komplott von etwa 100 Mann,

weil es niemandem behagen wollte, sich so ohne sein gegebenes Gutachten mit den armen Teufeln von Amerikanern zu schlagen, denen wir alle herzlich gut waren, und alles mögliche Glück wünschten. — Man hatte

Lust mich mit in die Entreprise zu flechten, und da mich meine Jncarcerierung selbst auch ziemlich mürrisch machte, war ich nicht abgeneigt, eine der ersten Rollen am Ruder zu spielen, wenn mich nicht ein Fuchs von einem preußischen Deserteur von der Artillerie, mein Kamerad, und eine abgeschliffene Seele in dergleichen Fällen, gewarnt und zurückgezogen hätte. Ich entfernte mich also von den Sessionen, kam nicht in den

Kriegsrath, und weigerte mich schlechterdings eine Feder anzusetzen, und

28

Schreiben aus Amerika.

entging dadurch der Verdrießlichkeit, mich mit hängen zu lassen; denn ob man gleich überzeugt sein kann, man ist eine ehrliche Haut, und kann, wenn man sonst kein Schurke war, mit gutem Gewissen in jene Welt absegeln, so ist doch diese Art von Luftschifferei bei weitem nicht die an­ genehmste und anständigste. — Der Entwurf scheiterte; die Rädelsführer

und Hauptpersonen, weil man unmöglich die ganze Menge setzen konnte, wurden ergriffen, und der Hof (des Kriegsgerichts) setzte mit exemplarischer

Genauigkeit den abscheulichen Verbrechern ihre Strafen fest, vom Galgen

an stufenweise herunter, bis zn der großen Gnade von zwei Tagen Gassen­ laufen (Spießruten), jeden Tag zwölfmal, und nach Kassel in die Eisen.

Wie froh war ich, daß mich der Cataracte nicht mit ergriff, obschon die armen Teufel so ehrlich in die Karre wandelten, als wir nach Amerika. Der Buchhalter Faucit (der englische Bevollmächtigte bei diesem Seelen­ verkauf, Oberst Sir William Faucitt,) empfing uns auf der grünen Wiese bei Bremerlee (Bremerhafen), besichtigte jede Rotte mit dem Falken­ auge eines verständigen Kaufmanns, und ließ die Fracht einpacken.

Wir hielten eine Seefahrt wie andere Seefahrten; segelten hinter den Orcaden herum, und wurden hier so weit nordwärts getrieben, daß wir bei schon ziemlich hohem Sommer froren, daß uns die Zähne klapperten. Stürme hatten wir oft, und einen sehr gefährlichen, wie man uns nachher gestand. Der oberste Aufsatz des Mittelmastes brach, zwei Segel­ stangen sprangen, verschiedene Segel und Taue zerrissen, daß es bei dem schlechten Wetter auf dem Schiffe aussahe wie in Rom, da die Gallier einquartierten. So lange aber der Capitain noch auf dem Quarterdeck lärmte, und die britischen Tritonen noch ihr „God dämm“ und „Give here the bottle“ hören ließen, ließ ich mir's nicht zu Herzen gehen, und sahe ganz stoisch zu. Es gab mitunter ganz schnurrige Auftritte, wo man bei dem größten Spleen und den tiefsten Miseriis sich kaum des Lachens enthalten konnte. — Es waren wunderliche Karikaturen an Geist und

Leib aus allen Reichen von Europa auf unserm Zuge, und die verschiedenen Subjekte, in einen so engen Raum zusammen gekerkert, gaben zumal

abends bei stürmischem Wetter den auffallendsten Kontrast, den man sich denken kann. Hier sangen ein Paar: „Run ruhen alle. Wälder"; dort leerte eine Gesellschaft ihren letzten Rum aus; hier erzählte ein Abentheurer

ein Märchen aus „Tausend und Eine Nacht"; dort betete eine Berliner Matrone ihr Abendgebet. Hier standen etliche voll Furcht und Harren der Dinge, die da kommen sollten; dort zankten sich andere um ihr

winziges Lager, und pökelten zwischen Tornister und Matratzen sich wie schwedische Heringe zusammen. — Ich sehe das Schrecken noch recht leb­

haft, das uns an einer der Orcaden überfiel, als sich der Wind so schnell

Schreiben aus Amerika.

29

drehte und in den Segeln verwirrte, daß man sie nicht so geschwind als

nöthig war, herumwenden konnte. Das Schiff schlug mit einem Stoß auf die Seite, und schon stürzte das Wasser zu den Kanonenlöchern herein. Da wir keinen sonderlich starken Sturm hatten, war das Schrecken desto plötzlicher und unvermutheter. Ich, als Menagemeister, war eben

beim Tranchieren des Rindfleisches, und konnte kaum geschwind genug alles in den Schnappsack werfen, um auf das Verdeck zu eilen. Hier fing alles an zu schreien, was Matrose war, und was nicht Matrose, war, noch

viel mehr. — Alles war in Verwirrung, und es war mir selbst linker­ seits unter dem Commißhemde gar nicht wohl, bis der Capitain mit eigner Hand ein halb Dutzend Taue kappte, die Segel herumschlugen, und das

Schiff sich wieder in sein gehöriges Gleichgewicht warf. — Unsere Kost war erbärmlich genug, und für einen deutschen Magen gewaltig unbehaglich. Pease and pork, and pork and pease, Erbsen mit Speck, und vice versa, waren unser ewiges Traktament; aber der Speck war verdorben, und die Erbsen ziemlich so alt wie ich. Zuweilen hatten wir noch Habergrütze mit Baumöl, und Pudding; aber nicht wie der des Lord Mayors. Wasser und Mehl waren alle seine Bestandtheile, und doch war er unser bestes Essen; und eine Sumpflache wäre Nektar gegen unser Wasser ge­ wesen, das wir in so geringem Maaße erhielten, daß oft mancher seine Tagesportion in einer halben Stunde austrank, und hernach bei den ent­ setzlichen Salzspeisen und der Salpeterluft dursten mußte, wie ein Tantalus. Weiche und unmäßige Seilte fielen auf diese Art hin wie Fliegen und starben. Ich hielt mich immer stark und aufrecht. — Unsere Todten packten wir in einen Sack mit Steinkohlen, und überlieferten sie so den Fischen; diese Art des Begräbnisses aber machte dem Capitain vermuthlich zu viel Aufwand; sie bekamen also an jedes Bein eine zwölspfündige Kanonenkugel, und so traten sie ihre Fahrt nach der Tiefe oft im bloßen Hemde an. — Ein solches Gemisch von Bosheit und Elend habe ich nie angetroffen als hier; aber nicht durchgängig. Es gab auch edle Seelen darunter, oft ein großes Menschenherz unter einem Rocke, wo Du nur ein gemeines gesucht hattest, wie Du oft ein gemeines, manchmal weniger als ein gemeines, unter einem Kleide findest, das Dich mehr erwarten hieß. Ich habe hier Charaktere von beiden Extremen

kennen gelernt, und ihre äußeren Verhältnisse waren ebenso auffallend, als ihre innere Verschiedenheit. Hier lagen in einer Bettstelle zusammen ein braunschweigischer Edelmann, ein gothaischer Postillon, ein hessischer Lieutenant und meiningischer Amtmann; dort ein Würzburger Mönch, ein französischer Adjutant, ein Jenaischer Student, ein Halberstadter Jäger und ein Wiener Kaufmann; versteht sich, alles gewesen, nnd jetzt

30

Schreiben aus Amerika.

jedermänniglich Professores designati der hessischen Muskete. — Be­ sonders war der meininger Amtmann, mein sehr guter Freund, ein eifriger Anhänger von Jakob Böhm, dessen Theosophie er mir brachte und gar höchlich empfahl, wenn ich Erleuchtung des Glaubens und geistiges Licht zu erlangen wünschte. Ich war aber so verblendet, daß

ich lieber eine Elegie aus einer alten Schwarte von Ovid las, wes­ wegen er mich nur sein Wellkind zu nennen pflegte, und doch immer

mein beständiger, treuer und väterlicher Freund blieb. Wir langten endlich nach 17 Wochen Herumkutschen eben so jämmerlich, wie Äneas in Lybien in Halifax an; nur liefen uns nicht gleich die Hirsche in die Hände, wie ihm, und keine gastfreundliche Dido be­ mühte fich, uns unsere ausgestandenen Gefahren und Mühseligkeiten ver­

gessen zu machen. Wir kamen vielmehr aus dem Regen in die Traufe. Das Lager mit dem Schiffe verwechselt, war für uns grüne Helden, die kaum einen Zeltpflock gesehen, noch weniger ihn zu behandeln wußten, eine schwerere Arbeit. Stelle Dir eine Cohorte solchen Mischmasch vor, als wir waren, wovon kaum der Zehnte einst ein Gewehr getragen und ein Zelt aufgeschlagen hatte, bisher in der größten Entfernung von allem, was Waffen hieß, gehalten, und nun auf einmal mit Zucht und Ordnung,

wie es der Kriegsdienst verlangt, ins Lager zu treten, und das noch dazu an einem Orte, denn die Engländer und Deutschen vor uns hatten natürlich schon die besten Plätze eingenommen, an einem Orte, der dem steinigten Arabien so ähnlich sahe, als unser alter Tertius (Hübschmann) einem Pedanten; Zeltstangen und Zeltpflöcke aus dem Walde zu holen, wovon keiner wußte, wie sie aussahen, das war ein schönes Gemälde von Trojanern! An verschiedenen felsigten Abhängen von Hügeln waren die Compagnie-Gassen hingekleckst, wie hebräische Punkte, daß man den größten Mathematiker hätte auffordern können, eine gerade Linie von zehn Ellen an dem ganzen CorpS zu finden. Gleich

die erste Nacht kam ein orkanisches Donnerwetter, das eine entsetzliche Verwüstung unter den neuen Felsenbewohnern anrichtete. Mein Zelt war eben an einer Art von kleinem Defilee zu stehen gekommen, worein der ganze Vorrath von Regenwasser herunterstürzte, und uns gar lieblich durch unsere Lagerstätte hinrollte. Ein Zeltpflock riß nach dem andern los, und wir zankten uns gar wirthlich, wer hinaus in den offnen Sturm schreiten sollte, ihn fest zu machen. Ein jeder fürchtete sich, sich umzu­ drehen, und seine andere Seite auch vollends zu baden, bis ein Nordstoß endlich den ganzen Sack aufriß, und wir da sub dio squalido, gar nicht säuberlich beisammenkrochen. Nun war geschwinder Rath dringend, und ein jeder legte Hand ans Werk, den geborstenen Pavillon so gut wie

Schreiben aus Amerika.

möglich bis auf den Morgen wieder zusammen zu flicken.

31

Und als

der Tag erschien, wie sah da unsre jKarawane aus! Kaum zehn Zelte im ganzen Lager standen unversehrt, und einige hatte der Sturm bis in den Wald gejagt. Es wurde plötzlich eine Kälte zum Er­

starren ; das Wetter fragte nichts nach unserer Verwirrung. Da brauchte man nicht erst zur Arbeit zu treiben; wer nicht vor Kälte und Nässe zittern wollte, griff zu, die zerstörte Horde wieder in Ordnung zu bringen. Nun ging's an ein Exerzieren. Von meiner Personalität hatte man

die vortheilhafte Meinung, ihr den hohen Posten eines Sergeanten anzuvertrauen. Da hättest Du mich sehen sollen, wie ich junger unbärtiger Kriegspräceptor da stand, und selbst nichts wußte, und wie die meisten

unserer neuen Offiziere noch weniger verstanden, als wir und die Rekruten.

Hier half mir ein wenig Windbeutelei und die Unwissenheit der anderen aus der Klemme. Ich war klug genug, mir einen alten, graubärtigen

Preußen von den Stechauschen Grenadieren zum Schlafkameraden zu ver­ schaffen, der mich in kurzem heimlich so weit brachte, daß ich mich wenigstens nicht zu schämen brauchte, wenn man mich Herr Sergeant begrüßte; und jetzt glaubt der Oberste des Corps immer schon, daß ich ein Mann sei, der den Dienst mit Beobachtung treibt, Application zeigt, wie sein militärischer Terminus lautet, und dessen Beförderung er dem Regimente, zu dem ich stoße, empfehlen könne. Werden sehen! So leben wir denn hier ein Leben, das der Galeerensclave gar nicht beneiden wird, und was das (englische) Parlament weiter noch aus uns machen wird, will ich in Gelassenheit und Geduld erwarten, über­ haupt bin ich der Meinung, schlimmer als bisher könne es schwerlich gehen; und dann habe ich noch Stoicismus genug, mich die Schnurren nichts anfechten zu lassen.

Wie es hier aussieht? Hier ist eigentlich die Welt mit Brettern be­ schlagen; denn in der ganzen Stadt giebt es kein Haus, das etwas mehr von Stein als ein bischen Kamin hätte, außer dem Gefängniß, das des­ wegen auch das Steinhaus genannt wird. Diese Stadt, die vor dreißig Jahren nur noch etliche Fischerhütten ausmachte, ist jetzt der Hauptort der Provinz (die Hauptstadt von Neuschottland im Britischen Nord­

amerika); wenn es nur nicht gar der Hauptort der britischen Provinzen wird; die Aspecten lassen sich ziemlich so an.

Wenn Menschen Felsen und Steine zu fruchtbarem Erdreich um­ schaffen könnten, so wäre diese Stadt ihrer vortheilhaften Lage wegen eine der glücklichsten der Erde. Die verschiedenen Inseln an dem Eingänge des Meerbusens decken die Schiffe in dem Hafen gegen alle Stürme, —

Schreiben aus Amerika.

32

und die vielen sehr vortheilhaft angelegten Schanzen machen es auch ohne

Wälle und Mauern äußerst schwer, dem Orte beizukommen.

— Die

Stadt liegt am Abhange des Berges, und giebt von weitem nach der Seeseite keinen üblen Anblick, der aber verschwindet, sobald man hinein­

tritt, denn die Häuser sind meistens sehr schlecht, keines über ein Stock

hoch, und die Straßen übel gepflastert. Es ist nur eine englische und

eine kleine deutsche Kirche da, nebst einem katholischen Bethause.

Es

mag die Stadt ungefähr 6000 Einwohner haben, und es ist wirklich zu

verwundern, daß eine junge Colonie. in etlichen dreißig Jahren so hat wachsen können, an einem Orte, mit dem die Natur so stiefmütterlich

umgegangen ist, und der weiter nichts einladendes hat, als eine bequeme

Lage zur Schiffahrt.

Rund herum ist es unauflöslicher Fels, und eine

Wildniß, die sich nordwärts und südwärts über 40 Meilen erstreckt. In diese

armseligen Gegenden haben sich die ursprünglichen Einwohner des Landes zurückgezogen, da die Engländer für billig hielten, ihnen die beste Lage

zum Fischfang und der Jagd abzunehmen, und sich dieselbe zuzueignen.

Boll gerechtem Unwillen steckten die Indianer rund herum den Wald in Brand, ein Einfall, den sie oft fremden Gästen entgegensetzen, und welcher

beinahe der jungen Colonie sehr theuer zu stehen gekommen wäre.

Sie

mußte eilends flüchten und sich nach der andern Seite des Meerbusens retten, wo sie sich auch lange Zeit aufhielt, ehe sie den Ort,, wo die Stadt steht, wieder behaupten konnte.

jetzt

Man sieht noch viele Meilen

weit rund herum die schrecklichsten Zeichen von diesem Brande, und es ist noch bis jetzt der fürchterlichste und ödeste Anblick, den ich in meinem

Leben je gesehen habe.

Stelle Dir vor Fels an Fels gegürtet, aus ihren

Klüften, gleich einem Wunder,, die dicksten Stämme hervorgetrieben, ehr­

würdig und alt wie die Sündfluth, noch nie zu dem Eigenthum eines Forstes abgemeffen; diese Stämme, die ihre Jahre selbst schon niedersenkten, von

der Flamme kreuzweis zusammengeborsten; den felsigten Boden schwarz gebrannt und mit Asche bedeckt, und kaum alle zwanzig Schritte ein Gräschen sich hervordrängend.

Zuweilen stehen noch einige Eichen auf­

recht, die dem Feuer Trotz boten, bis eine Regennacht die immer um sich

greifende Flamme dämpfte, traurige Bilder der angerichteten Verwüstung. Die Äste sind verbrannt und herabgestürzt, die Stämme, ohne Rinde und schwarz, heben sich melancholisch über den gewesenen Wald empor. Solche Scenen dauern meilenlang fort, hier uud da von einem kleinen

Landsee unterbrochen, in dessen Wasser die herabstürzenden Bäume fielen, die das Wilde und Schreckliche des Ganzen noch tiefer zeigen.

Du wirst begierig Landes zu hören.

fein,

auch etwas von den Eingeborenen des

Da sie der Gewalt weichen mußten, haben sie sich

Schreiben aus Amerika.

lief in die Wälder zurückgezogen.

33

Sie gehören vermuthlich zu dem

großen Stamme der Mahoks, find sehr wohlgebaut, stark und ziemlich groß; denn ich habe noch keinen gesehen, der so klein als ich gewesen wäre, und ich bin denn doch auch noch kein Zwerg, da die Hessen mich

unter ihr Gewehr zwangen, und ich unter ihnen immer noch nicht der

Kleinste bin.

Die meisten unter ihnen sind ungefähr 7 Zoll preußisches

Maaß, und nicht viele unter ihnen sind größer oder kleiner.

jetzt nicht so viel Mißtrauen gegen die Europäer

Da sie

haben und ganz

vertraulich zu ihnen kommen, so zeigen sie, daß sie, gleich den meisten

Wilden, eine sehr gute, freundliche und offenherzige Art von Menschen sind.

Ihre Physiognomie ist zwar beim ersten Anblick nicht sehr ein­

nehmend,

aber ihr ehrliches, gefälliges Wesen endeckt sich bald; dann

sind sie so frei,

so dienstfertig und so zudringlich,

scheiden zu sein, daß man unmöglich

ohne doch unbe­

und seine

Mitleid

ihnen sein

Freundschaft versagen kann. — Jede ihrer kleinen Republiken hat ge­ wöhnlich ihren Vorsteher und Obersten, horchen.

dem

sie sehr pünktlich ge­

Ein Berliner Tuchmachergeselle bekleidet den Posten einer

solchen Majestät nicht weit von hier schon seit

18 Jahren, ist ganz

unter ihnen nationalisiert, und soll in großem Ansehen auch unter den

übrigen Horden stehen. — Da ich mit meinen Kameraden mich jetzt, da wir wieder einen Schatten von Freiheit genießen, besonders mit

der Jagd vergnüge, so kommen wir oft auf unseren kleinen Ausfällen unter die ehrlichen Wilden, die uns allezeit so viel Höflichkeit erzeigen, als wir nur von ihnen erwarten können. Ihre Hütten sind halb unter,

halb über der Erde, sehr warm, und für den Sohn der Natur bequem

genug.

Ein Stück Bärenschinken und Moosthierfleisch (Elentier), nebst

Fischen und Vögeln aller Art, die meisten an einem hölzernen Spieß gebraten, von dem sie die Mahlzeit verzehren und den sie hernach ins

Feuer werfen, sind ihre gewöhnlichen Gerichte, und Mahlzeiten sehr nach meinem Geschmack gefunden.

habe ich



diese

erzählt

aber du wirst

noch allerhand wunderliche Gewohnheiten von ihnen,

vermuthlich schon müde sein, meine Schreiberei zu lesen.

hier schließen.

Man

Ich will also

Leb wohl! Grüße die von meinen Freunden, die noch

an mich denken; — doch die andern waren keine. mit vieler Richtigkeit und vielem

Ich lese jetzt, aber

Nachdruck, Vater

Horazen.

Mit

mehr Energie, als mein Rektor hineinloben konnte, besonders meine

jetzige Leibode: „Angustam amice pauperiem.“

(Hör. carm. III, 2.)

Warum? ich mache alle Tage selbst den Versuch, und

bleibe dabei,

daß eine solche Reise, eine solche Campagne gar herrliche Commentare für dergleichen Stellen sind: „Inaequitur clamorque virum atridorque Planer u. Relhmann, Scume.

3

Bekanntwerden mit Münchhausen.

34

rudentum“

(Virgil), male Dir'S einmal so lebhaft, als ich mir'S

denke! Ob ich aber meine kleine Erfahrung nicht gern mit einer warmen Stube, einem guten Schlafpelze, einem artigen Mädchen und einem einträglichen Dienstchen vertauschte? Das kann ich so stracks nicht be­

stimmen; vermuthlich! Leb wohl!" Diese Beschreibung ergänzt vielfach die Schilderungen, die Seume über seinen Aufenthalt in Nordamerika seiner Selbstbiographie ein­ geflochten hat. Das Schicksal hatte ihn hart geschlagen. Es hatte ihn

zum Sklaven eines barbarischen SöldnertumS gemacht, mit Menschen zusammengewürfelt,

die

zum

großen Teile

dem Auswurf

Europas

gehörten, und ihn dann in dieser Gemeinschaft hinauSgestoßen in un­ wirtbare Einöden eines fremden Erdteils, um dort gegen Männer ins Feld zu ziehen, die ihren Arm erhoben hatten zur Befreiung von dem britischen Ausbeutungssystem. Der siebenjährige Unabhängigkeitskampf, den die nordamerikanischen Kolonien seit 1776 zuerst allein, später von den Franzosen unterstützt, gegen die Engländer führten, war jedoch durch Washingtons glänzenden Sieg bei Dorktown am 18. Oktober 1781 schon

so gut wie entschieden. Deshalb fand auch der für die englische Armee bestimmte Rekrutentransport, dem Seume angehörte, zu eigentlichen kriegerischen Aktionen keine Verwendung mehr. Er war schon bei seiner Ankunft in Amerika infolge der mißlichen Lage der Engländer anstatt in New-Jork oder einer andern Provinz, in dem entlegenen Halifax ausgeschifft worden, wo dann die Mannschaften, in ein Bataillon formiert, das von Seume beschriebene Lager bezogen, welches der Oberst Hatzfeld befehligte. Hier nun sollte sich Seume einen treuen Freund erwerben. Er hatte eine tragikomische Elegie auf das jammer­ volle Dasein verfaßt, zu welchem er und seine Leidensgefährten verdammt fwaren; das Gedicht hatte unter den Soldaten die Runde

gemacht, viele wußten es auswendig, und schließlich hatte sich auch eine passende Melodie gefunden, nach der es gesungen wurde. Auf diese Weise gelangte es zur Kenntnis der Offiziere, von denen der Freiherr Karl Ludwig August Heino von Münchhausen'), der als hessischer Lieutenant die nordamerikanische Expedition freiwillig mitmachte, nicht' eher ruhte, als bis er den Dichter des Liedes ausfindig und feine persönliche Bekanntschaft gemacht hatte. Seitdem waren beide fast überall

*) Er stammte aus dem Geschlecht Derer von Münchhausen-Oldendorf und war

am 11. Februar 1759 auf einer Weserinsel in der Grafschaft Schaumburg geboren.

35

Münchhausen über Seume.

zusammen, wenn der Dienst sie nicht trennte, und so wurde Seume unvermerkt in einen kleinen freundschaftlichen Zirkel mit hinein ge­ zogen, der sich unter den Offizieren gebildet hatte, und in dem Münch­ hausen durch seine Mischung von Ernst, Bonhomie und heiterer Laune stillschweigend als Hauptperson galt.

Auch Münchhausen hat über jene nordamerikanischen Erlebnisse Auf­

zeichnungen gemacht, aber erst im Sommer 1822, also vierzig Jahre später, so daß man sich nicht wundern darf, wenn sie in mancher Be­ ziehung von dem abweichen, was Seume in seiner Selbstbiographie sagt. Diese scheint Münchhausen absichtlich nicht gelesen zu haben, weil er nach seiner Angabe ein erklärter Feind aller Selbstbiographien war, von denen er nur die „Selbstbekenntnisse" Jean Jacques Rousseaus gellen lassen wollte. Münchhausens biographische Notizen über seine Beziehungen zu Seume sind von dem Herzog!. Braunschweigischen Kammersekretär H. Bernstorff aus dem Münchhausen-Oldendorfschen Familienarchiv ge­ sammelt und zur Benutzung in dieser Bearbeitung bereitwilligst überlassen

worden. ES wird darin etwa folgendes erzählt: Es war im November 1782, als Münchhausen, eines Abends die ausgestellte Postenkette des Lagers bei Halifax entlang gehend, die Mannschaften einer Feldwache ein Lied singen hörte, dessen Text und Melodie ganz verschieden von den anderen Soldatenliedern waren und ihm deshalb auffiel. Er trat näher und auf sein Befragen erhielt er die Antwort, es sei das „Trauerlied von Ziegenhain," das der Rekrut

Seume, ein ehemaliger Student, der in der Kompagnie des Hauptmanns Fenner stehe, gedichtet habe. Das Lied hatte einige zwanzig Strophen, von denen die erste ungefähr wie folgt lautete: „Wir leben hier betrübt, Es fliehen unsre Stunde», Die uns der Himmel giebt. Unnütz und unempsunden Tief zur Vergangenheit Auf schwarzen Flügeln hin, — Wo blieb die Heiterkeit, Wo blieb der freie Sinn?"

Mit jeder neuen Strophe wurde die Schilderung des Lebens im Lager anschaulicher, und der Name „Ziegenhain" kam dabei so oft vor, daß kein Zweifel übrig blieb, daß einer der Soldaten der Dichter sein mußte. Münchhausen wollte sich noch an demselben Abende Gewißheit darüber verschaffen, begab sich ins Lager und fragte nach Seume.

Man

führte

ihn

zu

einem

Zelte,

aus

dem

auf 3*

seinen

Münchhausen über Seume.

36

Ruf Seume hervorkam: ein kleiner Mensch in eine alte Schiffsdecke ge­

hüllt, der etwas unwirsch über die Störung und voller Mißtrauen auf

den Offizier blickte.

Von diesem mit „Sie" angeredet bat er, doch seiner

nicht zu spotten und sich des üblichen „Du" zu bedienen.

befahl ihm, am nächsten Tage in sein Zelt zu kommen. festgesetzten Zeit erschien,

saß Münchhausen

vor

Münchhausen Als Seume zur

seinem Zelte

beim

Frühstück, wobei er zugleich vor seinen Augen eine furchtbare Prügel­

strafe an einem Soldaten aus dem Lager, einem verkommenen fran­ zösischen Marquis und Vicomte Namens Dechar') vollstrecken ließ, der

ihm als ein Erztaugenichts vom Oberst Hatzfeld zur Bestrafung auf Tod

und Leben übergeben worden war.

Diese Strafe bestand darin, daß man

den entblößten Körper des Unglücklichen mit Seewasser übergoß und mit Tauenden so lange peitschte, bis der Gezüchtigte ohnmächtig oder tot zu­ sammenbrach.

„Man denke sich die Gegensätze," schreibt Münchhausen, „hier

die frechste Schuld, da die purste Unschuld: Seume, der in diesem Augen­ blicke nicht anders glauben mochte, als daß es nachher ebenso über ihn her­ gehen sollte." Mit höchstem Mißtrauen in dem ohnehin schon finsteren Gesicht

trat er langsam heran und fragte nach Münchhausens Befehlen, die zu­

nächst darin bestanden, Platz zu nehmen und von dem aufgetragenen Frühstück frisch zuzulangen, sich sonst aber an nichts zu kehren.

Ein

scheuer Blick des Zweifels aus Seumes Augen richtete sich auf Münch­

hausen, glitt dann über den Delinquenten und zuletzt über seine eigene Montierung, die seit seiner Einstellung in Ziegenhain nicht wieder erneuert worden war, und dann erst ließ sich Seume am Tische nieder.

Münch­

hausens Frage, ob er der Dichter des „Trauerliedes von Ziegenhain" sei,

bejahte Seume, fügte aber hinzu, daß man zwar etwas Trauer und Klage über die üble Lage, sonst aber wohl nichts Böses darin erblicken werde. Beide

jungen Männer betrachteten sich aufmerksam; einer suchte den anderen zu

erforschen.

Seume wurde aber erst dann sichtlich freier, als er den jämmer­

lich um Gnade flehenden Franzosen auf sein ritterliches Ehrenwort, sich zu bessern, von Münchhausen nach kaum begonnener Züchtigung entlassen

und sonach immerhin noch menschlich behandelt sah.

Mit Genugthuung

berichtet Münchhausen, daß der Franzose sein Wort auch gehalten und

sich gebessert habe.

Wenn diese humane Handlungsweise Münchhausens

geeignet war, bei Seume Zutrauen zu erwecken, so war Münchhausen vorderhand noch im Zweifel, ob ihm Seume die Wahrheit gesagt hatte.

Bisher war Münchhausen der Meinung gewesen, einem Dichter müsse man die Begabung auch äußerlich ansehen können, und fand sich nun in dem ihm •) Bergt. Seumes „Mein Leben" Hemp. AuSg. I. S. 55.

37

Münchhausen über Seume.

gegenüber sitzenden, noch nicht zwanzigjährigen unscheinbaren Manne im

zerrissenen Soldatenrocke ziemlich enttäuscht.

Um sich zu vergewissern,

gab er ihm ein Thema auf, da» eine poetische Schilderung eines der dortigen

militärischen

Tage

enthalten

und

in

der

Hauptsache

ein

Spottgedicht auf den spleenigen englischen Feldmarschall Patterson in Halifax sein sollte, der zuweilen die unsinnigsten militärischen Übungen

auüführen ließ, wie z. B. an einem Tage das zweimalige Ein- und Aus­

schiffen des ganzen Feldlagers bei einem wolkenbruchartigen Regen rc. Seume löste seine Aufgabe zu Münchhausen« Zufriedenheit; einige Strophen dieses Spottgedichts, die Münchhausen aus dem Gedächtnis niedergeschrieben

hat, lauten: „Wenn Regulus den Römern rieth,

Nicht um sein Leben bat, Und als ein echter Römer schied, — So nm&f er, was er that. Er ging des hohen Geistes voll,

Und sprach nach seiner Pflicht. —

Mich fragte jemand: „Seid Ihr toll?" Ich sprach: „Wir wissen's nicht!"

„Der Donner schlägt die Regenfluth In Orkus finstern Graus,

Sie überschwemmt mit Wogenwuth

Mein kleines Leinenhaus. Was thut's? man saßt den Feind beim Schopf,

Ein Mutius, ein Tell:

Denn in des Helden Hellem Kopf Jst's, wie zu Gosen, — tycU."

Wenn diese aus dem Zusammenhangs herausgegriffenen Strophen auch weiter nichts besagen, so ist in ihnen doch SeumeS Ausdrucksweise un­

verkennbar, und dies spricht für die Richtigkeit von Münchhausens An­

gaben. Dieser war nun auch von SeumeS dichterischer Begabung über­ zeugt und lud ihn ein, oft, ja täglich zu ihm zu kommen, wo er sich

wenigstens erträglicher befinden würde als unter seinen Zeltkameraden. Sie gingen nun zusammen auf Jagd und Fischerei, und was sie erbeuteten, verzehrten sie gemeinschaftlich.

So durchstreiften sie miteinander Küsten-

und Binnenlandgegenden und fanden manches, was sie interessierte.

Eine

ganz neue, fremdartige Welt lag vor ihnen, die sie gerne ganz durchwandert

Umgang mit Münchhausen.

38

hätten.

Gesund, mutig und rüstig, wie sie waren, schreckten sie vor Ge­

fahren nicht zurück, und die abenteuerlichsten Pläne spukten in den Köpfen

Durch den täglichen Umgang mit Seume wurde

der jungen Männer.

Münchhausen von dem Verkehr mit den übrigen Offizieren mehr und

mehr abgezogen, was ihm um so lieber war, als diese mit wenigen

Ausnahmen Leute gewöhnlichen Schlages waren, die Trunk und Spiel liebten.

Trotz ihres

Spottes über

Seumes

zerlumpten Rekrutenrock

stieß dieser ihn nicht so ab, wie die Roheit seiner Kameraden; der Mann an sich, und nicht der Rock, interessierte ihn. Der Rekrutentransport, der bis zum Frieden zusammenblieb, war nach

Münchhausens Angaben tausend Mann stark und in vier Kompagnien ein­ geteilt, von denen Münchhausen die erste, die sogenannte Oberstenkompagnie,

befehligte. Da Seume in einer anderen Kompagnie stand, so konnte Münch­

hausen nur mittelbar für ihn wirken; doch brachte er es dahin, daß man ihn die Stelle eines Vice-Korporals versehen ließ.

Als Zeichen dieser

Würde schnitt er sich einen tüchtigen Korporalstock und grub darauf Mit diesem Instrument an einem der zinnernen Uniform­

„plus ultra“ ’).

knöpfe erschien er

Dienst es zuließ.

fortan

in Münchhausens

Gesellschaft,

so oft

der

Dieser war für Seume beschwerlich genug, zumal ihn

der Oberst während der Freistunden zu Schreiberdiensten heranzuziehen pflegte, die oftmals bis in die Nacht hinein währten und natürlich ohne Entgelt geleistet werden mußten.

Schließlich protestierte Seume gegen

diese Dienstüberbürdung, freilich aber auf seine Weise.

Denn als man,

wie er selbst erzählt, das von ihm geflissentlich zur Schau getragene

Stirnrunzeln und seinen Mißmut nicht zu bemerken schien, entfernte er sich eines Tages vom Lager, um nicht da zu sein, wenn der Oberst nach

ihm schicken würde.

Der Oberst schickte, und da man Seumes Entfernung

sogleich die Absichtlichkeit angemerkt hatte und dies mit ziemlich

bos­

haften Zusätzen durch die üblichen Instanzen meldete, so erhielt Seume Arrest, d. h. er kam auf vierundzwanzig Stunden in die Eisen.

andern Tage

wieder

entlassen, geriet er

bei der Meldung

Am

mit dem

Oberst in eine Auseinandersetzung, die drollig genug war, aber doch zur Folge hatte, daß Seume vom gewöhnlichen Dienst befreit wurde und, wenn nicht das ganze Bataillon manövrierte, fast nur Schreiberdienste

zu verrichten hatte.

Zudem bewilligte ihm der Oberst noch eine monatliche

Zulage von einigen spanischen Thalern. Run ging es besser; Seume schrieb viel Regimentslisten, wobei eines

zerbrochenen Gewehrteils wegen, der nicht zwei Pfennige wert war, oft ’) „Immer vorwärts!"

Charakteristik Münchhausens.

39

mehrere Bogen abgeschrieben werden mußten, denn das papierne Zeit­

alter hatte eben begonnen.

Bei Münchhausen

und seinen Freunden,

den besser gesinnten unter den Offizieren, konnte er freilich nun noch weniger oft sein,

als beide Teile e» wünschten, und auch zu eigenen

Arbeiten hatte er jetzt wenig Zeit und Lust, obschon Münchhausen ihn

Nur ein einziges Stück von den damals

immer zum Dichten ausmunterte.

entstandenen Gedichten erachtete Seume für wert auf die Nachwelt zu

kommen, und auch dieses schrieb er erst in der letzten Zeit seines Lebens

aus dem Gedächtnis nieder. Es ist das Gedicht: „Laß uns ruhen, Freund, in dieser Höhle" rc. (Hemp. Ausg. I. S. 69.) Über Münchhausen sagt Seume u. a. in seiner Selbstbiographie:

„Münchhausen war damals ein Mann von gesundem, gediegenem, ungelehrtem Menschenverstände, welches mir und ihm sehr zu Statten kam; denn ich hatte verdammt viel Schulstaub und nicht wenig Schul­ dünkel an mir, obgleich meine klassischen Kenntnisse noch sehr seicht

waren.

Sein Beifall war nun meine beste Belohnung und seine Kritik

meine beste Belehrung.

Ich begriff, daß bloße Schule nicht Alles sei,

und er fand, daß die Schüle doch Vieles sei, und desto mehr, wenn sie durchaus Zögling und Folgerin der besseren Natur ist."

Geistige Nahrung sog Seume damals aus Horaz, Virgil und Homer, von denen er fast immer ein Exemplar bei sich führte; ebenso waren

ein Exemplar von Hölty und ein alter Hagedorn seine fast steten Be­

gleiter.

Das Beste von Hölty wußte er auswendig, und davon hielt er

wiederum die beiden Gedichte „Elegie auf ein Landmädchen" und „Elegie

bei dem Grabe meines Vaters" bis zuletzt für die lieblichste Wehmut, die er

in der Litteratur kannte.

Er zeigte Münchhausen die Schönheiten und

ihre Gründe und konnte keine für wahre Schönheit empfänglichere und enthusiastischere

Seele finden,

als die seinige.

Münchhausen schreibt

hierüber in seinen Aufzeichnungen:

„Seume blieb mein steter Begleiter und ging oft, wie so war, stumm neben mir her.

er nun

Er war eigentlich von Natur stolz

und Sonderling, gab diesem Hange nach, und gefiel sich in der Nolle, welches ihm bei Anderen nicht zum Vortheil gereichte.

Sagte ich

manchmal,

nun, was

wenn er so stumm neben mir einher schlich,

wird jetzt wieder kalmüsiert,

so war er ganz wo anders, oder kam

mit einer Sarkasme, einem Epigramm, oder dergleichen, wie z. B.

folgendes:

40

Einfluß auf Münchhausen. „Meinetwegen mag die Welt sich freun,

Meinetwegen mag sie traurig sein.

Ich höhne ihren Prunk und Tmg — Warum? ich bin mir selbst genug."

„Eine Duodez-Ausgabe von Homer und von Horaz trug er stets in der Tasche,

zufällig

oft auch im Säbelkoppel, und mit dorthin

Gedichte

StollbergS

genommen.

Kindheit waren höchst prosaische Seelen.

hatte jemand

Lehrer

Die

meiner

Senme war's, der mich zuerst

mit den ästhetischen Schönheiten dieser Autoren bekannt machte und mir das Thor zu dem Wie und Warum

im

Worte

der Geister

ausschloß. — Die Winterquartiere, d. h. die Kasernen (Baracken) in Halifax, wurden bezogen, und hier war es,

oder das andere Stück mit mir durchging.

wo er täglich das eine Ich merkte

und

wußte

jetzt, warum dieses oder jenes ansprach und anderes nicht, und griff

selbst drein,

ohne

jedoch

von

eigenen Versuchen etwas zu

meinen

äußern, die ich ihm aber oft als „fremdes Machwerk" mitt heilte, und

worüber wir dann disputierten.

So war Seume mein erster Lehrer

in diesem Fache, ohne daß er selbst es wußte, und so entstand mein

allererstes Gedicht „An mein teutsches Mädchen".

Gedichtet am Ge­

stade des Meeres ohnweit Halifax in Neuschottland am 23. Heumonds sJuli) 1783').

Ich munterte Seume stets

dichten, von dem manches auch nicht gerieth. Zeit auf dem nämlichen Flecke.

sondern

wir selbst füllten sie.

auf,

etwas Neues zu

So verschlich uns die

Nicht die Begebenheiten der Zeit,

War

Gesellschafter, um nicht zu sagen,

Seume

eine Decke über seiner Geschichte und tragen, — so fühlte ich dennoch,

gleich

ein einsilbiger

ein finster Gemüth, auch

fast über

lag gleich seinem

Be­

er war einer der Befferen, er

wollte da» Gute, und ich hatte eine Seele, an die ich mich anschließen konnte.

Trotz unseres täglichen Umgangs und meines Zutrauens hatte

Seume gegen mich noch nie weder seines Herkommens, noch der Sache erwähnt, die ihn von Leipzig weg und in den hessischen Rekrutenrock gebracht hatte.

Aus Schonung hatte ich ihn noch nie darum gefragt.

Ich wollte dieses Produkt seines Zutrauens verdienen und nicht er-

. zwingen, aber es wuchs mir nicht zu." Seume beobachtete

gegenüber,

und

seiner

die

ihren

also eine

natürlichen

bedrängten Lage

gewisse Zurückhaltung Münchhausen Grund

haben mochte,

in

seiner

Verschlossenheit

zum Teil aber auch in

mancherlei Münchhausen anhaftenden Vorurteilen, welche sein Adel und *) Bergt. „Versuche vom Freyh. v. Münchhausen." Neustrelitz u. Leipzig 1801. S. 13.

Geplante Flucht nach Boston. — Der Friede.

41

sein Stand mit sich brachten. Es fehlte demnach ihrem Freundschafts­ verhältnis in manchen Punkten die völlige Übereinstimmung.

Anders mar das Verhältnis Seumes zu einem gewissen Serre von der französischen Kolonie in Halberstadt, einem Anverwandten des bekannten Physiognomikers Lavater, von dessen Enthusiasmus er den besseren, ver­ nünftigeren Teil besaß. Serre war ebenfalls Unteroffizier in englischem Sold, ein junger, mutvoller, leichtsinniger Kerl, wie Seume ihn nennt, aber der besten Freunde einer, die er je besessen. Mit diesem hatte er den Entschluß gefaßt, beim ersten feindlichen Zusammenstoß zu ent­ fliehen, um in das republikanische Heer überzutreten, wo sie ihr Glück

eher zu machen hofften. Da sich diese Gelegenheit aber nicht bieten wollte, weil der Ersatz — Seume war mit etwa zwanzig Mann dem Regiment „Erbprinz" zugeteilt — nicht zu den Regimentern stoßen konnte, so plante Serre dieFlucht auf eine andereWeise. Er wollte durch die großenWaldungen über die Buchten von Halifax und um die Fundy-Bai herum bis nach Boston gehen, freilich ein Unternehmen auf Tod und Leben. Serre hatte schon alles in Bereitschaft gesetzt, sich nach den englischen Militärposten erkundigt und für Munition und Proviant gesorgt. Auch Münchhausen hegte ähnliche Pläne, denn er schreibt in seinen Aufzeichnungen: „Wir hatten sogar heimlich vor, eine Reise bis zum Niagara und Lac mort u. s. w. zu machen, wo wir höchst wahrscheinlich umgekommen sein würden. Unsere

Vorbereitungen, lebendige Fische und Hummer, rohes Wildbret und grüne Birkenborke zu verzehren, würde uns wohl schwerlich vor dem Unter­ gänge gerettet haben." Daß bei Seume und Serre aber die Flucht bereits beschlossene Sache war, davon wußte Münchhausen nichts, denn Seume schreibt in seiner Selbstbiographie ausdrücklich, daß ihn nichts so sehr zurückgehalten habe, als der Gedanke Münchhausen zu verlassen, der mit so redlicher Freundschaft an ihm gehangen; doch litt das Vorhaben natürlich durchaus keine Mitteilung. Der Waffenstillstand vor dem Präliminarfrieden, dem erst am 3. September 1783 der eigentliche Friede zu Versailles folgte, vereitelte jedoch das waghalsige Unternehmen, und da die jungen Männer, die nur nach Thätigkeit verlangten, keineswegs Lust hatten, ihr Leben

unter Huronen und den neuen Republikanern weiter zu verbringen, so zogen sie es vor, mit dem Transport nach Europa zurückzukehren, zumal die Engländer schon im August 1783 begannen, den größten Teil ihrer Truppen aus Amerika zurückzuziehen. Einmal wieder in Europa,

durften sie eher hoffen, auf eine jedenfalls minder gefahrvolle Weise den Fesseln ihrer schmählichen Knechtschaft zu entrinnen. Auf der Rückfahrt war Seume von Münchhausen getrennt; sie kamen

Rückkehr nach Europa.

42

auf verschiedene Fahrzeuge. In Münchhausens Aufzeichnungen findet sich über die Rückfahrt folgende bemerkenswerte Stelle:

,.@S ward Friede zwischen England und Amerika, Friede zu meinem und unserer aller Verdruß. Er nahete, ohne daß ich Amerika näher hätte kennen lernen, weswegen ich doch aus Westphalen her die weite Reise eigentlich gemacht hatte, und ohne daß, außer meinem Bruder, den ich als vierzehnjähriges Jüngelchen mitnahm, und der Offizier dort wurde, ich sage: ohne daß nur einer von uns mehr geworden wäre, machten wir die Heimfahrt. Kein Gewinn auf keiner Seite, außer der mageren Seereise und der Hoffnung, die ich so gern

festhielt, mir in Seume einen Freund erworben zu haben. Das Glück war also dort für uns rar, wie alles höchst theuer, außer schönen Frauen, deren jeder von uns eine, so schön wie in der Fabel, hätte

mitbringen können; aber sie waren mit wenig Ausnahmen unwissend, träge und frivol. Auch hier war Seume mein Vorbild, und sein stoisches Beispiel mir oft eine Stütze in meinen Kämpfen. — Ich hatte alles daran gesetzt, Seume zu mir auf mein Schiff zu bekommen, konnte es aber nicht erlangen. Ich selbst sprach den Oberst darum

an, aber vergebens. — Ich konnte nun weiter nichts für ihn thun, als ihn seinem Schiffskommandanten empfehlen, ebenfalls einem Münchhausen, dem ich sagte, daß ich Seume habe freihalten wollen. O, das kann ich auch wohl thun, war seine Antwort; — er hat sein Wort redlich gehalten. Bei unserer Trennung verhieß mir Seume, wo er auch hingerathen würde, auf den Scheitel des Vesuvs oder in Algiers Ketten, mir zu schreiben. Aber er hielt sein Wort mir nicht. — Unterwegs kamen unsere Schiffe nur einmal so nahe zusammen, daß wir uns mit dem Sprachrohr erreichen konnten. Ich fragte nach Seume und er antwortete: „Bei Ihrem Vetter fehlt mir nichts als — Sie selbst!" — Dies war das letzte Wort, was ich von ihm vernahm auf lange Zeit."

Im Gegensatze zu der langwierigen Hinfahrt dauerte die Rückfahrt nach Europa nicht länger als dreiundzwanzig Tage. Mit dem Transport zugleich liefen wohl über zweihundert Schiffe aller Arten und aller

Nationen, nach Einstellung der Feindseligkeiten den Häfen ihrer Bestimmung zustrebend, in den Kanal ein. Da» Schiff, auf dem Seume sich be­ fand, ging einige Zeit bei Deal an der englischen Küste vor Anker. Seume benutzte hier den Urlaub, auf einige Stunden an Land zu gehen, um englischen Boden zu betreten, — sein einziger Aufenthalt in Alt-

Ankunft in Bremen.

England.

43

Die letzte Nacht, bevor das Schiff den Hafen von Deal er­

reichte, nennt Seume eine der schönsten, die er auf dem Waffer erlebt habe. Er beschreibt sie in seiner vorzüglichen Prosa wie folgt:

„Es war ein gewaltiger Gewittersturm auf dem Kanäle in der Gegend von Portsmouth. Die zusammengeengte Flotte, das Heulen des Sturmes, das Schlagen des Tauwerks, das Rollen des Donners, das Leuchten der Blitze, das grelle Aufhellen der glühenden Wogen und das augenblickliche Schließen zur schwärzesten Stacht, das Rufen und Schreien

der Matrosen, das Geläute der Glocken, der ferne, dumpfe Hall der Signal­ schüsse, das Dröhnen und Krachen der Schiffsfugen, und die Angst, daß

wir vielleicht über Klippen stürzten, — man denke sich die Wirkung des Ganzen auf die entzündete Einbildungskraft! Und mit dem sich heiternden Morgenhimmel waren wir wirklich in der Nähe der Kreideberge, die dem Lande den Namen Albion geben. Es war still und frisch und freundlich

wie nach einer Gewitternacht, und die Schiffe schaukelten nur noch un­ willkürlich heftig auf der empörten See!" Nach stürmischer und langweiliger Fahrt durch die Nordsee gelangte das Schiff endlich gegen Mitte September 1783 nach Bremerlee, von wo die Truppen in anderen Fahrzeugen bis Bremen stromaufwärts bugsiert wurden. Während dieser Fahrt verbreitete sich das Gerücht, die Mannschaften sollten bei Minden zum zweitenmal, und zwar diesmal an die Preußen, verkauft werden. In dieser Besorgnis faßten Seume, sein Freund Serre und ein gewisser Wurzner aus Gotha, den Entschluß

zu entfliehen. Einige Nächte lauerten sie ohne Erfolg auf Gelegenheit, denn die wachhabenden hessischen Jäger standen überall mit geladenen Gewehren Posten, als aber Seume, der aus Verdruß und Müdigkeit auf seinem Habersack eingeschlafen war, eines Morgens erwachte, waren Serre und Wurzner auf und davon. Vermutlich hatten sie Seume nicht mit Sicherheit wecken können, und waren deshalb ohne ihn ge­ flohen. Ärgerlich blickte Seume nach dem Kahne, der sie glücklich in

die Freiheit geführt hatte, und die Sehnsucht nach Befreiung wurde nur noch lauter in ihm. Das Gespenst der Preußen saß ihm fest im Gehirn, und so bewerkstelligte er denn seine Flucht bald darauf in Bremen allein und auf eigene Hand mit großer Verwegenheit am hellen, lichten Tage. Er hatte sich ganz gegen seine Gewohnheit und ohne alle Absicht in einigen Gläsern Wein etwas warm getrunken, war mit dein Feld­ webel wegen Brotlieferung in Streit geraten, und als der kommandierende

Offizier sich in diesen handgreiflich hinein mischte, sprang er kurz und

44

Flucht in Bremen. — In Oldenburg.

gut auf und davon. Er lief am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Alt­

stadt hinein, und al- er dort hörte, der Magistrat habe Kartell mit dem Land­ grafen, zum nächsten Stadtthor hinaus. Hier drängte sich eine Anzahl gut­ mütiger Bürger zwischen ihn und seine Verfolger, die hessischen Jäger, um so dem Flüchtling einen weiteren Vorsprung zu verschaffen. Seume war ein

vortrefflicher Läufer, er flog wie ein Pfeil dahin; deffenungeachtet waren die Jäger bald hart hinter ihm und trieben ihn endlich nach wilder Hatz in den Sack zwischen den beiden Flüssen Hunte und Weser, wo er verloren schien.

Denn der von dem rasenden Laufe durch und durch Erhitzte mußte seinen

Tod finden, wenn er gewagt hätte sich durch Schwimmen zu retten. In diesem verzweiflungsvollen Augenblicke sah er hinter einem Weidenbusche am Ufer der Hunte einen Fischerkahn, — ohne Besinnen sprang er hinein, und der mitleidige Fischer, der der Menschenjagd schon lange

zugesehen hatte, stieß sogleich voni Ufer ab und brachte den Flücht­ ling, den er sich platt im Boote niederlegen hieß, trotz der nach­ gesandten Kugeln seiner Verfolger glücklich nach dem anderen Ufer, auf

oldenburgisches Gebiet. Bewegt dankte Seume dem braven Manne, der ihm das höchste Gut seines Lebens, die Freiheit gerettet hatte. Zur Erinnerung an diese Flucht schenkte der bekannte Marschendichter Hermann AllmerS im Jahre 1864 das Relief-Brustbild SeumeS dem Bremer Künstlerverein mit der Bedingung, dasselbe entweder im Vereinslokale oder an einem öffentlichen Platze in der Stadt anbringen zu lassen. Das von Viktor v. Meyenburg modellierte bronzene Medaillonbild ist mit einer schönen Einfassung von hellgrauem schlesischem Granit umgeben und trägt

die Inschrift: „Johann Gottfried Seume, 1783 durch Bremer Bürger vor seinen Verfolgern gerettet". Dies Denkmal wurde 1864 an Seumes Geburtstage (29. Januar) an der östlich von dem Hause „Herrlichkeit 16" befindlichen Grenzmauer des Grundstücks angebracht, über das Seume seine Flucht nach der kleinen Weser zu nahm. Seume war also glücklich entkommen und auf oldenburgischem Ge­ biet vor weiterer Verfolgung sicher. Am folgenden Tage kamen hessische Offiziere mit freundlichen Worten, brachten Pardon, boten Geld und ver­

sprachen Beförderung; aber Seume ließ sich nicht bewegen, mit ihnen zurückzukehren; er sagte ihnen Lebewohl und wandte sich zunächst nach der Stadt Oldenburg. Hier wurde die Ankunft eines hessischen Soldaten, der aus dem nordamerikanischen Kriege zurückgekehrt und in Bremen

desertiert war, binnen wenigen Stunden (man bedenke die damalige Zeit!) zum Stadtgespräch, und viele Neugierige versammelten sich um ihn.

Auch der Prinz Peter Friedrich Ludwig von Oldenburg, der später als Herzog Peter I. dieses Land regierte, hatte von der Ankunft des

Von preußischen Werbern ergriffen.

45

Deserteurs gehört und ließ diesen vor sich kommen. Er fand Gefallen an dem interessanten jungen Manne, unterstützte ihn und machte ihm Vorschläge zur besseren Gestaltung seines künftigen Lebens. Aber die Sehnsucht nach seiner Mutter und der Heimat zog Seume nach Sachsen zurück, und so entließ ihn der edelmütige Fürst mit einem ansehnlichen Geldgeschenk. Durch diese Großmut konnte der Verkaufte und so lange Geplagte nun

froh und frei die Rückkehr nach der Heimat antreten. Aber kaum hatte er die oldenburgische Grenze überschritten, als ihn seine Unvorsichtigkeit

gerade in den Dienst bringen sollte, dem er durch seine Flucht in Bremen hatte entgehen wollen. Er hatte vergessen, die hessische Uniform mit einem Civilrock zu vertauschen. So griffen ihn preußische Werber auf und brachten ihn als hessischen Deserteur ohne weitere Umstände nach Emden in Ostfriesland in preußische Dienste.

Soldat in preußischen Diensten. Oktober 1783 bis Mai 1787.

n Emden wurde Seume als gemeiner Soldat eingestellt und hatte dort als solcher die ganze Strenge und barbarische Behandlung des ehe­

maligen preußischen Militärdienstes durchzukosten.

Darum beseelte ihn

nur der eine Gedanke, den Käfig zu zerbrechen, in den man ihn eingesperrt

hatte. In einer sternenhellen Nacht entfloh er. Etwa eine Stunde weit mochte er gelaufen sein, als die Lärmkanone seine Flucht verkündigte, und die ganze

Gegend zum Verfolgen aufrief.

Seume ließ sich dadurch nicht schrecken;

bevor der Tag anbrach konnte er oldenburgisches Gebiet erreicht haben. Aber ein dichter Nebel trat ein, verhüllte ihm den Weg und täuschte ihn In der Nähe des Dorfes Simonswold,

in der Richtung.

östlich von

Emden, verirrte er sich in der von Sümpfen und bmchigem Moorland

durchzogenen Gegend, und zu

seinem Unglück

Weg

zurück,

den

Mit Schrecken bemerkte er am andern Morgen, lichten

begann,

daß Emden,

unmittelbar vor ihm lag.

das er schon

weit

er

gekommen

war.

als sich der Nebel zu

hinter

sich

wähnte,

Da er die Uniform trug, war an ein Ent­

rinnen nicht mehr zu denken;

auf die Wache gebracht.

lief er

anstatt ostwärts weiter zu laufen,

denselben

er wurde ergriffen und als Deserteur

Hier schrieb er mit Kreide an die Thür der

Wachtstube jenen bekannten Spruch aus dem Virgil, den die Cumäische Sibylle an Äneas richtet:

„Tu ne cede malis, sed contra audentior

ito“, gleichsam um seinen tief gebeugten Mut daran wieder aufzurichten. Der wachhabende Offizier fragte, wer das Latein geschrieben habe, und

Mißglückter Fluchtversuch. — General CourbiSre.

die Sache von

47

kleinen schwarzen Deserteur, der Latein verstehe,

dem

sprach sich unter den Offizieren herum.

Unter diesen hatte ein Kapitän

behauptet, daß der Vers kein formgerechter Hexameter sei, und es be­

gann daher am andern Tage das kriegsgerichtliche Verhör, wie wohl

keines je vorher oder nachher, sonderbar genug, mit einer Untersuchung Hexameter.

den

über

Seume,

dieserhalb

befragt,

bewies

aus

der

Prosodie, daß der Vers vollkommen schön sei, und legte vor seinen militä­ rischen Richtern dar, was zu einem guten Hexameter gehöre.

Als der

Kapitän dennoch auf seiner Behauptung bestand, zog Seume seinen Virgil

aus der Tasche und zeigte, daß jener Vers diesem berühmten römischen

Dichter

entnommen

Seume

in

den

war.

Dies

führte schließlich zu

Dienst gekommen sei; finster

der Frage,

antwortete

er:

wie

„Durch

Gewalt von den Preußen wie von den Hessen," und gab seine Lebens­ schicksale näher an.

Seine Richter empfanden Mitleid mit dem gelehrten

Soldaten, ließen Gnade für Recht ergehen und befreiten ihn aus dem Arrest. Die Angelegenheit machte in

der Garnison wie in der Bürger­

schaft begreifliches Auffehen, und auch der Gouverneur von Emden, der Generalmajor Courbiöre *), in dessen Bataillon leichter Infanterie Seume

stand,

wandte diesem

sein Wohlwollen zu.

Er

ließ Seume vor sich

kommen, unterhielt sich mit ihm, und da er seine wissenschaftliche Bildung

bemerkte, so suchte er ihm manche Erleichterung im Dienst zu verschaffen. Auch

trug

er

ihm

auf, seinen Kindern Sprachunterricht

zu erteilen

und empfahl ihn in dieser Hinsicht anderen angesehenen Familien in der Stadt.

Daher kam es, daß Seume alsbald eine sehr bekannte Per­

sönlichkeit in Emden wurde, der man allseitiges Wohlwollen entgegen­ brachte.

Einer seiner besten Freunde daselbst war der Lehrer Jacques

1778 bei der

Tapernon, der

seit

angestellt war.

Dieser nahm sich des Schwergeprüften eifrig an, suchte

französischen Gemeinde

in

Emden

sein hartes Los nach Kräften zu lindern und ihm durch seine Fürsprache

neue Gönner zu erwerben. Nachdem Seume in Emden nahezu drei Jahre die preußische Muskete

getragen hatte, suchte er im Sommer 1786 die seit seinem Fortgänge von

Leipzig unterbrochene Verbindung mit der Heimat und seinen Angehörigen

*) Guillaume Rene Courbiöre, Baron de l'Homme, bekannt als der helden-

niütige Verteidiger von Graudenz im Jahre 1807 gegen die Franzosen, wurde 25. Febr. 1733 in Mastricht geboren und

und Gouverneur von Westpreußen.

starb 23. Juli 1811 als Feldmarschall

Brief aus Emden an den Pfarrer M. Schmidt.

48

anzuknüpfen.

wieder

In

Absicht richtete er an den Pfarrer

dieser

M. Schmidt in Knauthain folgenden Brief:

„Hochwohlehrwürdiger Herr!

Hochzuehrender Herr Magister! Dieß Packet wird Ihnen vielleicht aus dem Reiche der Todten

kommen; oder vielleicht wird Ihr gerechter Unwille, wenn Sie dessen undankbaren Urheber erkennen, es bei dem ersten Anblick zurückwerfen.

Glauben Sie, ich bin nicht verwildert;

indem

an Sie abschicke, und ich kann vor Scham keinem

ich dieses

meiner niedrigen Kameraden wie könnt' ich das sein?

eines

Schwelle

an

Ich bin nicht unglücklich,

Ich wäre sonst nicht werth, daß ich je die

philosophischen

meine

Hörsaals an

Verwandten,

martert

Freunde,

weil ich

in die Augen sehen,

kühn

meine ganze Lage zu verrathen.

befürchte,

denken

meine ganzen Gefühle beben,

meine

betreten.

meine

Empfindung

mit

Nur

Wohlthäter,

den

das

an

An­ meine

Vor­

beißendsten

würfen, nur der Gedanke, die schönsten, die angenehmsten Aussichten,

in

die

Falls

Zukunft

zu sein,

Schmerzen.

zu

sehen,

selbst

nur dieß füllt

meine

Seele mit

entflohen

der

Urheber

stillen

meines

nagenden

Ich bekümmere mich nicht nm meine äußem mißlichen

Umstände, bloß in den Augen derer, die Zeugen und Urheber meines vorigen Glücks waren, als ein Niederträchtiger und Undankbarer be­

urtheilt zu werden, ist mir schmerzlich.

Ich

will Ihnen

nichts von

meinen Empfindungen weiter vorsagen; wenn Sie glauben, daß nicht

alle Redlichkeit in meiner Brust ganz erloschen ist, und sich dann an meine Stelle setzen, so werden Sie ganz sich meine Lage denken.

Ich

bin jetzt Preußischer Soldat, und Entwürfe zn einer andern Zukunft, schon den Gedanken daran macht mir meine Pflicht zum Verbrechen.

Gegenwärtige Piöcen wage ich noch, Ihnen als Geburten einer un­

glücklichen Einsamkeit zu überreichen; betrachten Sie dieselben wie eine ausschweifende, unreife Muse, die nunmehr alle Hoffnung verliert, sich höher zu schwingen.

Wenn Sie mich einer Antwort würdigen, und

wenn ich Ihnen damit noch einiges Vergnügen ersetzen kann, so werde

ich Ihnen mehrere schicken.

Wollen Sie

selbige dem Herrn Baron

(Grafen von Hohenthal) zeigen, steht es bei Ihnen; ich wage es nicht an Ihn zu schreiben, noch nur einen günstigen Blick von Ihm zu

hoffen, denn ich bin's nicht werth.

Nur dieses einzige thun Sie noch

an mir, schreiben Sie mir, wie es um meine Mutter, um meine

Familie steht; dieß ist mein erster unerträglicher Gedanke, vor dem ich

Brief an M. Schmidt. — Poetische Versuche.

49

jederzeit wie ein Wild vor dem Jäger zurückschrecke. Ich für meine Person fürchte nicht«; denn nicht nur hinter dem Folianten-Haufen,

im Schlafrock und in der Nachtmütze muß man Philosoph sein, — da ist's wohl keine große Kunst, — rebus in arduia vir sortis appare —! Ich werde nie aufhören, Wissenschaften zu lieben und zu schätzen, denn ich habe gefunden, daß sie jeder Vernünftige, sowohl im schwarzen als blauen Rocke, hoch hielt, und wie unglücklich würde ich gewesen

sein, wenn mir nicht ein römischer Oden- oder Heldensänger zuweilen zugerufen hätte — et haec olim meminisae juvabit. — Patientia fit levius. quidquid corrigere est nefas.

Ich will Sie nicht mit meinen Phrasen beschweren; glauben Sie, ich bin unglücklich, und glücklich. Ihren Brief an mich, — diese letzte Wohlthat hoffe ich noch fest, — adressieren Sie an den Herrn Premier-

Lieutenant Longolius in Emden in Ostfrießland. Schreiben Sie mir, und erlauben mir, Ihnen mehrmals zu schreiben, so werde ich mich über verschiedene Umstände genauer erklären. Ich halte unterdeffen noch für mein einziges größtes Verdienst, daß ich jederzeit auch in fremden entfernten Welttheilen mit Ehrfurcht und Hochachtung verharre

Ew. Hochwohlehrwürden gehorsamster

Dieser Brief hatte weder Datum noch Unterschrift.

Das demselben

beigefügte Packet enthielt eine handschriftliche Sammlung von Gedichten und Aufsätzen, die den Titel „Poetische Versuche eines unglücklichen jungen Deutschen" und das Motto trug: „Tu ne cede malis, sed contra audentior ito. Virg.“ Den Wortlaut des Briefes, sowie zum größten Teil auch die Überschriften der in der Handschrift enthaltenen Gedichte

und einige bemerkenswerte Stellen daraus hat Prof. C. A. H. Clodius im Taschenbuch „Minerva" für das Jahr 1812, S. 283 ff. veröffentlicht;

das Manuskript scheint seitdem verloren gegangen zu sein. Von den Gedichten bezeichnete Clodius im allgemeinen nur die Überschriften als romantisch und für die Lebensbeschreibung des Dichters von Jntereffe, so

z. B. folgende: „Als ich über den Wahlplatz bei Roßbach ging." — „Meine Nachtwache in Ziegenhain." — „Schilderung meines Lebens zu Ziegenhain." — „Am Abend auf dem Meere." — „Mein Spaziergang an einer wilden amerikanischen Küste." — „Abschied eines Hessen, der nach Amerika ging, an seine Freunde." — „Als ich Deutschland verPlancr u. Reitzmaiin, Seume. 4

Poetische Persuche. — Brief an Joh. Gottlob KorbtnSky.

50

ließ." — „Auf der Nordsee." — „Abendlied auf dem Meere." — „Im

Lager bei Halifax." — „Der Preußische Husar." — „Gedanken

eines

deutschen Jünglings über sein Schicksal." — „Am Abend auf meiner Wacht,"

— dieses letzte mit folgender Schlußstrophe: „Stille Ruh' umschattet meine Tritte,

Wenn das Schicksal lacht, und wenn eS stößt. Und ich zittre nicht in morscher Hütte, Wenn mein Engel rufet: „abgelöst!"

Hieran reihten sich noch eine Anzahl Lieder geistlichen Inhalts in

Gellerts Ton, ein anderer Teil war philosophisch-moralisch

hielt Nachahmungen deutscher und englischer Schriftsteller.

oder ent­

Seume ist

später wieder in den Besitz dieser Gedichtsammlung gelangt, denn er hat, wie Clodius schreibt, die einzelnen Stücke darin mit kritischen Bemerkungeil versehen und noch eine Anzahl Gedichte hinzugefügt.

Die

erhofften

Nachrichten

aus

der

Heimat

blieben

nicht

aus.

Pfarrer M. Schmidt antwortete und beruhigte Seume über das Schicksal

seiner Angehörigen.

Auch sein Jugendfreund Johann Gottlob KorbinSky*),

der inzwischen seine juristischen Studien beendet hatte und seit

1785

Aktuarius des Grast. Hohenthalschen Patrimonialgericht» zu Knauthain war, schrieb an ihn, als er vom Pfarrer die Kunde von dem Briefe

erhalten hatte, und es entspann sich zwischen beiden ein lebhafter Brief­ wechsel, aus dem vier Briefe Seumes erhalten geblieben sind.

Diese

tragen sämtlich als Unterschrift das Pseudonym „Normann" und geben

ein treues Bild seiner äußeren Verhältniffe wie seines Seelenzustandes in jener trostlosesten Zeit seines Lebens.

Wehmütige Erinnerungen an

die glückliche Schulzeit in Borna, sowie das Bewußtsein, sich in einer

unwürdigen und für die Zukunft ganz aussichtslosen Lebenslage zu be­

finden, führten ihm in diesen Briefen die Feder, aber auch der todes­ mutige Entschluß, noch einmal den Versuch zu wagen, seine Feffeln zu

sprengen.

Seumes Antwort auf Korbinskys ersten Brief lautet: „Bruder,

Laß Muskete und Pandekten weg; ich sehe, daß Du noch Freund bist. Ich kannte sogleich Deine Hand auf der Ueberschrift, sehe nach dem

Orte und wunderte mich, und konnte nicht ganz reimen, wie es zu­

sammenhing. — Ich wünsche Dir Glück, von Herzen wünsch ich's! Es *) Er wurde später Kreissteuerrevisor und starb 15. Nov. 1813 in Zwenkau.

51

Brief an Iah. Gottlob KorbinSky.

ist eine von meinen unverzeihlichsten Nachlässigkeiten,

daß ich noch

nicht an Deinen Vater geschrieben. Ich habe seit geraumer Zeit alle Schmeicheleien verschworen und hassen gelernt und spreche kühn wie ein Soldat die Wahrheit heraus; Dein Vater ist der Mann, dem ich noch den größten Theil meiner jetzigen Freuden verdanke. Ich verehre den Alten als Lehrer; das ist meine Pflicht; ich liebe ihn aber auch als Vater, denn er hat mein Herz gewonnen. Die Zeit in seinem Hause ist und bleibt gewiß einer der glücklichsten Punkte in meinem Leben. Noch oft wandle ich in Gedanken unter seinem kleinen Gefolge

die ländlichen Spaziergänge durch, wo er uns die ersten Grundsätze der Wissenschaften zeigte, auf die Natur merken lehrte, das große Buch, Bruder, das große Buch, das Homere, Sokraten und OssianS bildete. Wie lasen wir da den Holberg, raisonnierten eins über Hannibal, das Römerschrecken, und lagerten uns hinter den Erdbeerhecken, der schwülen Sonne zu entwischen! Bruder, Du weißt's! — und wirst von meiner Redlichkeit überzeugt sein. Sage Deinem Vater meinen wärmsten Dank; ich werde ihn gewiß noch mit meinem letzten Odem segnen. Warum ich mein Vaterland verließ? — Du hast in meine Seele gerathen; und konnte das niemand anders als Du. — Muß ich das erst weitläufig bekennen und erklären? Es ließe sich viel über diese Sache sprechen, Du kennst mich. Ich bin zuweilen sehr klug, aber noch öfter sehr närrisch; und ich muß Dir gestehen, ich habe Epochen, wo meine Seele finsterer ist als Shakespeare's schwärzestes Trauerspiel.

Die Verhältnisse, die Verhältnisse, Freunde, Freiheit, Vaterland! hätte ich nur Pflichten gegen Gott und mich und das Menschengeschlecht überhaupt, der Ganges sollte meine Heimath, der Orinoco meine Wohnung und der Zwischenraum mein Observatorium werden. Schwärme ich? Ja, Bruder,

das ist die Arznei meiner Seele, wenn das Gehirn lange genug auf Alpen herum geklettert, von Lappland bis Capland gewandert und von Californien bis Jndostan herum geirrt ist, dann bin ich etwas ruhiger, dann fühle ich ganz, welch ein unerklärliches Räthsel das mensch­ liche Herz ist, und welch ein Funke überirdisches Feuer in meinem Busen lodert. Ich Embryo! Bruder, Du magst für mich fühlen! Doch laß, — Embryonen sind auch noch nicht verloren. Hoffen soll ich? Ja, ja, wie sollt ich nicht hoffen, da ich nichts fürchte, gar nichts, auch das Ärgste nicht. Der Knoten entwickelt sich doch wie die Parze

gesponnen. Gern wollte ich warten, aber ich verwarte Jahre und Jugend! das, das möchte die Bande zerreißen. Mein Kinn zeigt mich als Mann, und mein Gehirne — vielleicht als Knabe. Horaz mag immer sein Diis relinquimus predigen, er saß auf seinem Sabino 4*

62

Brief an Joh. Gottlob KorbinSky. hinter dem Falerner Fasse, da hatte er gut Znfriedensein, aber bei

Philippi, relicta non bene parmula, wird er gewiß ganz anders ge­ sungen haben, und davon hat der Schuft nichts geleiert. — Krieg giebt'S nicht? Ich hoffte, und muß bekennen, wünschte es sehr; denn

da wollte ich kecklich der ersten Batterie meinen Kopf zum Kauf ge­ bracht haben, oder hätte den Staub ein wenig vom Hute blasen lassen. Glaube nicht, daß ich ein Thraso bin; ich habe den Tod gesehen, ganz in der Nähe, mehrmals auf mich losgehen, bin einige Mal fast in seinen Klauen gewesen; er hat für einen braven Kerl nichts fürchter­ liches, und daß ich kein Schurke bin, behaupte ich ganz kühn. — Wo ich war, sahe man mich immer bei dem ersten Anblicke für einen

Dummkopf, näher für einen Idioten, und ganz nahe für einen uner­ klärlichen Menschen an; aber überall hatte ich das Lob als integer vitae scelerisque purus. Ich habe schon das Vergnügen gehabt, als ein Muster der Redlichkeit und Pünktlichkeit in meinen übernommenen Sachen vorgestellt zu werden. Und ich kann Dir versichern, trotz meiner Patrontasche ist mir mein Wort heiliger als zehn Eidschwüre, denn mein Wort, mein freies Wort, kann mich allezeit binden, ein Eidschwur *) aber vielmals nicht. Herr Justinian ist's wahr? Ich glaube es wenigstens, denn Mutter Vernunft sagt mir's, und sie ist heilig. — Doch was plaudre ich? ich könnte drei Bogen voll schreiben und würde nicht fertig, wenn ich ins Gleiß käme. Freundschaftsversicherungen sind Dir von mir nicht nöthig; ich bin's. Glaube, Bruder, Dein und des Herrn Magisters Brief hat mich bis ins innerste gerührt, ich hätte geweint, wenn ich konnte, aber das kann ich nicht mehr. — Dir geht's wohl, das hoffe ich, und Deinen Brüdern? Carl und Fritz und August, lassen sie mich immer noch so vertraut sprechen? Ich wünsche ihnen alles Gute; empfiehl mich ihnen insgesammt. Unsere übrigen Universitätsfreunde? Grüße sie, wenn sie

ein warmer Wunsch vom kalten Nordmeer erfreuen kann. — Sub­ skribenten auf meine Schriften könnte ich hier eine ziemliche Menge haben; aber ich bin zu eigensinnig, zu stolz, oder wie man's nennen

mag: ich bin Soldat und halb Sklav. — Wenn sie gedruckt wären, weiß ich, daß ich hier bis 40 Exemplare gemächlich unterbringen könnte. Wie gefällt Dir'e in Deiner melancholischen Wohnung, denn ich glaube sie ist's, wenn es die des alten ActuarS ist. Daß Du ein Freund

meiner Mutter und meines Bruders bist, ist mir eine Wohlthat, denn bloß meiner Familie Schicksal kann mich noch rühren, ich bin ganz Stoiker. — Welch eine Zukunft! wie schwarz!

Und wenn ich jetzt

*) Damit ist der ihm abgezwungene Fahneneid gemeint.

Brief an Joh. Gottlob Korbinsky.

53

frei wäre, was dann? Auf keinen Monat Lebensunterhalt! Was an­ fangen, stipuliren, bücken und antichambern? Vater, Vater, wäre

ich ein Grobschmied worden! dann kennte ich' Ramlern und Klopstock

nicht und dächte nicht ans Odendichten, aber ich könnte den Ambos schlagen und mein Schurzleder setzte mir nicht Jliaden ins Gehirn. Warum wurde der Funke geschlagen, daß er zündete und — konnte nicht ausspringen? Schriebe gerne mehr, habe aber nicht Platz. Der Herr Magister wird Dir vielleicht eins und das andere erzählen. Leb wohl, bin

Emden, den 13. Oktober 1786. Dein ic. Normann.

Mußt mir verzeihen, wenn ich vielleicht so viel Zeugs unterein­

ander hingeschrieben. Die Poeten pflegen immer eine starke Licentiam zu haben, und ich bin doch nur ein Poetaster! Muß Dir noch was erzählen. Ich gelte hier für einen starken Engländer, und geborene Britten haben die Reinigkeit meiner englischen Verse gelobt, ob ganz mit Recht, weiß ich so eben nicht. Doch nein, will Dir'» nicht so rund herausplatzen. Man weiß nicht — Autodidactus Ventilator so so! Die Welt will betrogen sein; wenn's ehrlicher Weise geschieht, kann man wohl ein bischen mithelfen. That'S nnd thut's doch mancher große Mann und ist doch ein Lumen mundi. Sag' meinem Bruder, sein Bruder wäre ein gelehrter Narr, wenn er so werden wollte, thäte er beßer, er blieb ein wenig dumm! Valeas." Adresse: „An des Herrn Herrn Gerichts-Actuarii Korbinsky Hochedelgeb.

in

durch Einschl.

Knauthain."

Bald darauf schickte Seume ein weiteres Schreiben an Korbinsky, eine gereimte Epistel mit folgendem tragikomischem Inhalt: „Herr Bruder, Hast du eben Zeit, So lies nur zu; ich bin bereit Dir jetzt gewaltig viel zu skribeln; Allein Du mußt mir's nicht verübeln,

Wenn krumme, radgebrechte Stanzen Ganz polnisch durch einander tanzen. Die Zeiten sind verhenkert schlecht, Daü überlege doch nur recht.

64

Gereimte Epistel an Joh. Gottlob Korbinsky.

Du kannst wohl denken, Aganippe Befeuchtet jetzt nicht meine Lippe,

Zug ab, Zug auf: Ist alles recht? Wie sieht da- aus? Ist das geputzt?

Und daß ein Mann, der Wasser trinkt.

Hut, Säbel, Tasche sind beschmutzt!

Auch wäßrig und elegisch singt,

Die Haare sind verteufelt schlecht!

DaS wirst Du leicht mir zugestehen

Wie ich Euch will zusammenhauen!

Und deutlich hier bewiesen sehen. — Klingt's wie ein Stück vom Gaßenhauer?

Euch Schuften soll der Buckel grauen!

Nun mag's! Dann wird mir s auch nicht

horcht Ein wenig auf, — und gehr und borgt

sauer. Und siehst du, daß ich Federn kauen

Und weidlich Hintern Ohren klauen.

So geht's.

Der Lieutenant lärmt, man

Hier einen Schnaps, dort Morgenbrod,

Erbarm' dich, Herr, der großen Noth!

Daß ich mich hypochondrisch sitzen

Man ißt und betet, flucht und trinkt,

Und Jamben und Trochäen schwitzen

Und zankt und streitet, lärmt und singt

Und Dactiln und Spondäen wechseln

Wild durcheinander, jeder thut,

Und hinkend Elegien drechseln,

So gut er kaun, höchst wohlgemuth.

Daß ich mir's Hirn erhitzen sollte, Wenn mir der VerS nicht klappen wollte,

Der Alte kommt auf seinem Fuchs,

Da wär' ich wohl ein rechter Geck, Nein, wenn's nicht geht, dann schmeiß ich'S

Lauscht unterm Hute wie ein Luchs. Lockt, Tambour, Bataillon heran!

weg. Jetzt aber hab ich Lust zu leiern.

Geschwind gericht', rasch schließt Euch an!

Und wenn man Lnst zu leiern hat,

Zurück, hervor! Halt! Herr Major,

So leiert man sich gerne satt; Drum gieb Dich nur mit meinen Dreiern

Wo Teufel haben Sie die Ogcn,

Ein wenig jetzo in die Ruh, Und höre mir ein bischen zu!

Wie's mir noch geht? Nun ja, so so;

Ost für Muskate Haberstroh; Da muß man denn zufrieden sein Und schicken sich geduldig drein.

Was, ist das eine Front? Hervor,

Das Glied steht wie ein Fiedelbogen! Nun fort. Rechts schwenkt und abmarschirt.

Halt' Schritt; brecht ab; gerade zu! Du krummer, dummer Teufel Du! Herr Hauptmann, dort den Kerl notirt, Daß man ihm brav den Buckel schmiert! So trollen wir denn in das Feld*

Und tummeln da für unser Geld

Der Exerzierlag rückt heran,

Uns rüftifl ab. Man deployirt, Schießt auf der Stelle, avancirt,

Da geht der Rommel doppelt an. Des Morgens, wenn die Hähne krähn,

Forrnirt QuaneeS und retirirt, Und defilirt und manövrirt,

Bequemet man sich aufzustehn. Der Tambour lärmt, der Corporal

Und denkt man wohl, wie gut es sei,

So daß man fast den Kopf verliert.

Durchflucht den Gang wohl zwanzigmal

So sprengt der Alte rasch herbei,

Und donnert an die Stubenthür

Und lärmt herab von seiner Mähre,

Dem vielgeplagten Musketier.

Als ob er Gergesener wäre.

Den Fuß gestiefelt in Gamaschen, Gewehr polirt, der Säbel blank,

Da geht es dann von Neuem an Peloton und Marsch! Hinab, hinan.

Rauscht man zu Hausen durch den Gang Mit hellgewichsten Pulvertaschen

Bis Puls und Herz vor Hitze klopft

Laut auf den Hof. — Heran, rangirt,

Und uns der Dampf die Nase stopft. Nach vier bis fünf recht lustgen Stunden,

Die Compagnie wird rechts formirt,

Wenn uns daS heiße Sonnenlicht

Und mancher fühlt den schweren Stock

Um zwölf Uhr auf den Schädel sticht,

Durch seinen leichten blauen Rock.

Läßt er uns endlich dann mit wunden

Gereimte Epistel an Joh. Gottlob Korbinsky. Und müden Füßen über Holpern

Bon Süden, Westen, Nord und Ost

Zurück in die Baracken stolpern.

Die Alpen, Pyrenän und Anden,

55

Verkehrt umschultert das Gewehr!

Den Pik, den Brocken, und die Kanten

Dieß Tempo lieb' ich gar zu sehr, Das ist der Kern vom Exerzieren!

Des großen Ochsen; und dabei Sitz ich in meiner Klausnerei

Warum, Herr, das begreift Er nicht?

Auf einer preußischen Matratze,

Drum hör' Er, wenn ein Kriegsknecht

Und komme nicht ein Haar vom Platze.

spricht, Weil wir alsdann nach Haus marschiren.

Laß sein, Herr Bruder, das ist wahr, Zuweilen bin ich wohl ein Narr;

Nach Haus, es donnern schon die Treppen,

Doch ist's ein Wunder? — Wenn die

Die zentnerschweren Kolben schleppen Und krachen laut auf Thür und Dielen,

Grillen Mir meinen Kasten weidlich trillen.

AlS wenn ein Dutzend Henker fielen.

Wenn eine stets die andre treibt

Rasch abgehängt! Der Magen bellt,

Und mir den Kopf elektrisch reibt,

Menage her! Mit Erbsen, Grütze, Kraut, Rüben, Körbeln mit der Mütze,

Wenn ich verwirrt und wurmigt zapple.

Wird Bachus' Ranzen angeschwellt. Ein schön Dessert, nun ja, für mich; In meinen militärschen Magen

Daß ich alsdann ein wenig rapple? Nun, nun, das giebt fich alles noch!

Ein jeder Fuchs bekommt sein Loch; Denn sieh, ich bin wohl nur ein Schuft,

Kann ich es baß hinunter jagen.

Und werde hier und da geknufft,

Vermuthlich wär es nichts filr Dich.

Doch hab ich meine Herzensfteude,

Und traun, Horaz, der Leiermann,

Wenn ich Dir da die dicken Leute

Wie's Jedermann wohl lesen kann

Mit winz'gem Hirne sehe trollen.

In seinem Buch, genannt die Oden, Mit wenig Text und vielen Noten,

Zu hoffen hab ich so nicht viel,

Hat wohl ganz Recht, indem er spricht:

Der Himmel mach es, wie er's will.

Die beste HauSphilosophie Lernt man in der Menagerie Der Söhne MarS! Und ist das nicht?

Ich will mich schicken. Unser Gott Hat für mich allenthalben Brod.

Die Sache Nam satis Da sitz' ich Bald fährt

weiß ich um und um, diu doctus sum. ost, ich armer Tropf; mir dies, bald das zu Kopf.

Bon Nimrod an, bis zu Voltaire,

Geht alles durcheinander her: Empedocles und die Pantoffeln, Und Robinson und die Kartoffeln;

Die auch für Menschen gelten sollen.

Hab ich nicht Arrak und Burgunder,

So rollt doch von dem Fels herunter Ein klarer Bach auch mit für mich. Und keine Gicht schleicht heimlich sich Durch meine Kehl' in meine Glieder

Und schneidet meine Nerven nieder. Kann ich nicht perfianisch speisen. Nicht wie Lncull im Schmause sein.

So bleibt dafür mein Magen rein, Und süß vergist'te Brühen reißen

Euclides mit dem Winkelmaaß Und Diogen mit seinem Faß;

Mich nicht aufs Schwanenbette hin.

Und Henn Spinozen seine Zweifel, Und Doktor Fausten seine Teufel;

Zum Nachtisch durch ein Lied gekrönt,

Ein Butterbrod, mit frohem Sinn

Cartesius mit seinen Kreisen, Und Küster Klimm mit seinen Reisen,

Wie'S Bürgers deutsche Leier tönt,

Von Japan bis nach Halifax

Und wie'S an Wodans Hochaltären

Durchsegelt mein Gehirne stracks

In hohen vollen Sängerchören

Aus Meister Blanchard's*) Extrapost

Des Barden Klopstock Laute klingt.

Wie's Gleim und Kleist und Göckingk singt.

’) Derzeitig berühmter franz. Luftschiffer.

56

Gereimte Epistel an Joh. Gottlob Korbinsky.

Ja, dann schwillt meine Seel' empor;

Und glaube, Bruder, wär' ich König,

Mein Geist begegnet seinem Chor

Ich wollte kecklich baß ein wenig

Und schauet in vergangnen Welten

Den alten guten Eisenfuß,

Die Götterkraft der alten Helden,

Wie man'- in Sparta sehen muß,

Der Helden aus dem Vaterland,

Dem ganzen Bolt zu nutz und frommen,

Siegmar und Hermann, deren Hand

In beßre Uebung lasten kommen.

Den aufgeschwollnen Adler faßte,

Das Ding hat seine Schwierigkeiten,

Daß ZeuS im Capitol erblaßte:

Das sahe Solon schon vor Zeiten,

Thuiskons Macht, die, hoch wie Felsen,

Denn jedes Volk hat sein Genie;

Sie in die Legionen wälzen.

Worüber man in Sparta schrie

Wild gellt das Horn, der Abend macht

DaS war bei den Atheniensern,

Kein Ende der erwürgten Schlacht.

EinVolk von Dichtern und von Tänzern, -

Der stolze Capitoler schäumt

Wo man Sokraten Schierling giebt,

Ob seinem Ruhm, der Reuter bäumt

Aristophane hört und liebt,

Und flucht, die Feuerrosse stampfen,

Ein Volk von flüchtigem Gehinre,

Zerttetene Cohorten dampfen

Von Schwindelkopf und stolzer Stirne, —

Am deutschen Speer; laut heult die Rache

Das war bei ihnen hochgeacht'.

Teuts Söhnen zu, umsonst, eS ficht

Das wußte Herr Pisistratus,

Der Götter Gott mit Hochgericht

Drum hat er Lacedämotts Fuß

Selbst für der Freiheit alte Sache.

Auch in Athen nicht angebracht!

Die Latier fliehn, das Schwert verfolgt, Kaum melden noch entkommne Boten

Dem Abgott Roms die Zahl der Todten, Die Hermanns Jugend niederdolcht.

WaS ist das nicht für fein Geschmiere; Wenn ich das Ding noch weiter führe

So schrieb im Tafelrundeton Ich, Kyrie Eleison,

Was mach ich doch ? Fast schreib' ich Oden!

Wohl gar politische Maximen,

Das sind so meine Schwärmereien,

Die doch für meine Wenigkeit,

Die mußt du mir nun schon verzeihen;

In aller Rücksicht dieser Zeit

Denn bin ich einmal auf dem Boden

Sich gar nicht schicken und geziemen.

So ist's, als hielte mich Magnet,

WaS ich Dir da für Zeugs gepfiffen?

Daß Fuß an Fuß geheftet steht.

Wenn ich erst recht im Plaudern bin

Daß mich Fortuna ganz vergaß,

Dann, weiß der Geier, plaudr' ich hin.

Als sie PandorenS Büchse maß,

Das ist wohl etwas ungeschliffen,

Und mir von ihrem ganzen Trab

Und fällt tyir eins umS andre ein,

Richt-, als ein Dutzend Verse gab,

Wie Doktor Samntten sein Latein;

Das will mir so nicht recht behagen;

Doch hätt' ich Platz, ich schriebe wohl

Denn hätt' ich armer Lumpenhund

Ein Buch von solchem Schnickschnack voll.

Rur jährlich etwa vierzig Pfund,

Allein für Verse Postgeld geben,

Wollt ich nach ihr den Kuckuck fragen.

Und noch für solche, glaub', ist eben

So aber ganz! — Ja, der Lykurg,

Richt ganz vernünftig. — Wenn ich so

Der war mir doch noch ein Demurg,

Auf meiner Bank, ut soleo,

Der Herz und Hirn an rechten Flecken

Bedenke, wie der Weltlauf rummelt,

Trotz seiner Grobheit hatte stecken.

Und alles durcheinander hummelt,

Ich lobe mir sein eisern Geld;

So bunt und krauß in Stutzperücken,

Das ist doch endlich Geld für Leute,

In seidnen Strümpfen, und an Krücken,

Wo noch ein Mann im Purpurkleide

Mit Ordensbändern und in Jacken,

Auf seine schwarze Suppe hält.

In goldnen Röcken, und mit Hacken,

57

Brief an Joh. Gottlob Korbinsky.

Und Schusterschädel mit Ministern,

Gelehrt und albern, reich und arm, So drolligt, wie ein Bienenschwarm,

Den Mischmasch da zusammen schuffelt

Nicht etwa Honig einzutragen. Nur Kleinigkeiten nachzujagen:

Wenn dann fein friedlich beieinander

Und wie Dir dann der Spatenmann,

Achill, Thersit, und Alexander,

Auf seinem Kirchhof lobesan,

Lips Tüll und Roauelaure ruhn,

Und Hosrath wie Prälate muffelt,

Sein hochgebietend Grabscheit schwenkt,

Und gar nichts sich zu Leide thun:

Und alles durcheinander mengt,

Dann greif ich kalt an meinen Scheitel

Die Doktorknochen mit Philistern,

Und spreche: ES ist alles eitel!

Den 23. Oktober 1786.

ic. Normann.

Emden.

ES ärgert mich sehr, daß der Bogen schon voll ist, denn ich glaubte

kaum, daß ich recht angefangen habe. Aber vielleicht hast Du schon übergenug! Nun ja, dann ists eben gut- Kann Dir nicht helfen, daß ich Dich ein bischen gequält habe! — Bin eben nicht bei Casse, sonst

hätte ich franquirt.

Wenn Du's ohngefähr glaubst, daß es sich der

Mühe verlohnt, kannst Du dem Herrn M. Schmidt die Grille auch zeigen; soll gar nicht gut sein, benn’d war nur ein Abend zum Zeit­ vertreib. Wenn'S Deiner Freundschaft nicht mißfällt, ist's schon am besten.

Mein Compliment."

Adresse:

„Des Herrn Herrn Gerichts-Acluarii Korbinsky Hochedelgeb. in Knauthain Bei Herrn Schmidt

Seifensieder in der Nicolai-Straße

Leipzig."

(6 Gr. 3 Pfg. Porto.)

Aus dem folgenden Briefe geht hervor, daß der menschenfreundliche General Courbiöre es gut mit Seume vor hatte und ihn, obschon er

nicht von Adel war, bei einer paffenden Gelegenheit zum Cadetten und später vielleicht zum Offizier befördern wollte. Aber da» Glück war Seume auch hierin nicht hold. Er schreibt an Korbinsky:

„Ja, Bruder, ob mir ein Kakodämon oder ein guter Geist damals

das Studiren eingeplaudert hat, kann ich Dir nicht entscheiden. Wär's nicht besser, ich wär ein Schneider geworden, und setzte mich so per secula hin, Strümpfe zu besohlen und Hosen zu flicken? Ich bin denn doch beim Geier noch nicht der Albernste und Abgeschmackteste

58

Brief an Joh. Gottlob KorbinSky.

unter dem Helikonegeschmeiße, und muß so hier sitzen und mich herum

hudeln lassen, als wie SilenuS Eselein. — Dein Brief traf mich aber heute früh in einer Laune an, wo ich mich ganz gewiß mit dem

heiligen Michael geprügelt hätte, wenn er mich mit einer Zufriedenheits­ predigt hätte trösten wollen. Fortuna, die Vettel, nicht genug mich so stiefmütterlich behandelt zu haben, unterläßt nichts, jedes Ohngefähr zu meinem Nachtheil zu drehen und mit jedem Quodlibet mir einen Streich zu spielen. Da war ich soeben auf dem Wege, nicht eben mein Glück zu machen, aber doch ein wenig den Staub abzuschütteln, um es nach und nach machen zu können. Also, daß ich platt spreche, da wollte mich der General zum Junker oder Freikorporal oder Cadet oder wie man die Espfcce nennen will, machen. Es war Promotion beim Bataillon. Zwei Capitains sind auf Pension gesetzt und der Major marschiert zu einem neuen Regimente. Da schickt der König querdurch zwei fremde Lieutenants her, und unsere Junkers bleiben sitzen, weil vielleicht der eine zu jung, der eine zu albern, der eine zu diffolut pp.

ist, und dann, mein lieber Normann, perge quo subatitimua, — präsentirtS Gewehr! Der König mag da wohl so Unrecht nicht haben; aber mich wurmt's doch ein wenig! Fiat denn! quidquid corrigere est nefas, sagt Herr Horaz. — Ich verliere nun freilich vielleicht nicht sogar viel! aber 's wurmt mich doch. — Ich hatte mich da so hübsch empfohlen; ganz unwissend, unschuldig nnd zufälliger Weise,

denn man weiß wohl, daß ich nicht zudringlich bin. Also ich hatte eine Gedächtnißrede und ein Gedicht auf den alten großen Friedrich geschrieben, das, durch die dritte Hand vielleicht, in des Generals Hände kam. Man liest und glaubt darinnen attische Zierlichkeit und spartanische Stärke zu finden; ich kann sie Dir wegen Weitläufigkeit nicht schicken, — kurz, der Herr nimmt die Schrift ad deliciaa, läßt sie in seiner Familie oft vorlesen, et concluditur, ich sollte avanciren, sed nunc, vero, autem, quidem, quoque, ruptum est. Nun ja! Indessen hat Er doch die Rede abschreiben lassen und sie dem GeneralInspektor von Gaudi, wie ich höre, nach Wesel zum Präsent geschickt, der ihn mit einer von seinem Feldprediger bewirthet hat. Haec hactenus. Sonst geht es hier bei mir noch nach dem alten, lieben, erbärmlichen Schlendrian. Es geht mir wie Phädrus seinen Römern, 4ui multum agendo nihil agebant. Da arbeite ich denn den Tag

durch pro cibo et potu recht stattlich, und lebe übrigens, wie man als ein halbes Epicuri de grege porcus leben kann. Das darfst Du nun eben so strict nicht nehmen; denn wir sind doch noch immer ehrlichen Menschen ähnlich; aber preußische • Oekonomie sollte Dir

Brief an Joh. Gottlob KorbinSky.

«59

wohl komisch genug vorkommen. Manchmal, wenn ich meinen Paroxysmus bekomme, und es ist sehr natürlich, daß das ziemlich ost ist, kann ich Dich versichern, daß ich grillenhaftere Grillen grillisire, als Wielands Biribniker nimmermehr gethan hat. Wie ost hab ich gewünscht, daß ich kein Buch, als den Catechismus, und kein Land, als das Knauthainer Kirchspiel inclusive Albertsdorf kennte und ....')

oder Ambos säße. Würde ich nicht weit ruhiger und viel glück­ licher sein? würde ich nicht ohne Gloffen mit leben und „Nun ruhen alle Wälder" singen, ohne mich um Logik und Metaphysik zu be­ kümmern, die im Grunde doch wenig behaupten und noch weniger beweisen. Doch ich will nicht murren. Das Schicksal prüfte mich vielleicht, um mich stark zu machen, prüft mich vielleicht noch härter, um mich noch mehr zu stärken. Es ist mir eine unerklärliche Sache um die Seelenmaschinerie; manchmal bin ich so rasch, so kühn, so

muthig, ich wollte die Alpen nach Kalifornien tragen; und zuweilen ist meine Faulheit, Unthätigkeit und Indolenz so groß, daß ich kaum einen Floh wegjagen kann, der mich belästigt. Ich muß Dir über­ haupt bekennen, wenn ich mich in meinen Gedanken verliere, kann ich mich in diesen oder anderen Punkten nur sehr schwer wieder aus dem Labyrinthe herausfinden. A little learning is a dangeroua thing pp. spricht Pope. Ja so. Du bist wohl kein Engländer. Wenn ich einmal wieder in Muse käme, da wollt ich greulich studiren. Ich, N. B., und nicht andere für mich aus dem Catheder, denen man nach­ betet, mein Gehirn, ohne Compendien-Schwulst. Höre, was wollt ich für Bücher lesen! Newton, Pope, Addison, Malebranche, Rousseau, Corneille, und unsere Matadors und die Römer und Griechen, alle ex fontibus et rivulis, sagt Burschen Apropos! was werdet Ihr

denn noch mit meinem Mischmasch von Geschreibsel machen?--------Ich hätte noch vielen Schnickschnack, den ich schicken könnte, aber manches geht nicht gut an, manches will ich nicht pp., darum mag's fein. Musa vetat loqui — Mache meine Empfehlung an den Herrn

Magister Schmidt, Deine Familie, meine Familie, und fei mein Freund

wie ich bin Emden, d. 11. Dec. 1786.

Der Deinige Normann.

Unser Bataillon ist: Leichte Infanterie von Courbiöre; mein

*).... beschädigte Stelle des Briefes.

60

Gedicht an Joh. Gottlob KorbinSky.

Capitain Maaß. — Non dubito fore plerosque, qui hoc genus scripture leve et non satis dignum judicent etc. — sed tu tenuitati ignoscas amici et excuses rogo. — Siehst Du, ich kann noch hinter der Muskete quelque chose aus dem Cornel." — Durch das Fehlschlagen seiner Aussichten auf baldige Beförderung noch hoffnungsloser gemacht, richtete Seume, wie es nur natürlich war, all sein Denken wiederum auf die Flucht. Das folgende Schreiben an Korbinsky, ein Gedicht mit Nachschrift, spricht es unverhohlen aus: „Und bin ich denn so ganz ein Sklavensohn, Und schleppt mein Knochenbau

In seinem Mark der faulen Wollust Lohn,

Daß ich so furchtsam um mich schau? Bin ich so lies Sardanapalens Troß?

Ist meine Sehnenkraft In feiger Weichlichkeit vergift'ten Schoß

So ganz zum Joch herabgeschlafft? War denn mein Baler nicht ein deutscher Mann?

Schlägt nicht in mir sein Blut?

Und stumm und zahm legt man mir Fesseln an. Wie man's dem seilen Perser thut?

Der Aster trag'S und bücke seine Stirn; Bei Gott, ich thu' es nicht.

Ich thu' es nicht! — Schon wirbelt mein Gehirn Wild wie der Nord am Hochgericht. —

Wer gab dir. Mensch, ein Recht auf meinen Kopf? So greift ein Waldtyrann Mit blitzgeschärstem Stahl den armen Tropf Bon unbewehrtem Wandrer an. —

Zög' ich hoch für mein Vaterland mein Schwert, Mit Feuer wollt' ich's ziehn, Und wie ein Dryier für Altar und für Heerd

Um Opfertod der Feinde glühn. Wer aber schuf dir, Fremdling, solch ein Recht,

Daß du zum Sklav mich machst,

Und wie der Afrikaner seinen Knecht Mit deinem Donner mich bewachst. Stahl ich dein Gut, beraubt' ich deine Flur Mit mörderischer Hand?

Durchplünderte ich deine Flecken, schwur

Mein Haß Verderben deinem Land? Dort steht der Grenzpfahl, Pilger, lest und flieht,

Eh' euch das Land verschlingt; — Hah, Unbesorgte, Kühne, ihr verzieht

Bis euch das Netz in Kelten zwingt! —

Gedicht mit Nachschrift an Joh. Gottlob KorbinSky.

61

Wie Boa sich um Ceylons Tiger schnellt.

Und wie ihr Niesenzahn Tief in den Bug des falben Löwen fällt. So jagt man hier den Wandersmann.

Wohin ich trete, ist mein Tritt gezählt; Ein Krokodillenblick Schielt, wenn mein Kopf im eisern Hause fehlt

Despotisch stracks nach mir zurück.

Glüht nicht mein Auge noch von Jugendkraft? Und fließt nicht durch mein Blut In meinen Adern unverdorbner Saft,

Hat meine Brust nicht Männermuth?

Noch schlägt in mir ein Herz für Freiheit warm, Noch trägt mein festes Knie,

Noch hat mein Schädel Hirn, noch wiegt mein Arm Des Krieges Waffen ohne Müh.

Und soll ich, bis mein graues Hanpt sich bückt, Und mir das Eisenjoch Das Angesicht in hohle Falten drückt, Hier ftohnen? — Sklav', ich zaudre noch? Brutus, du schläfst, erwache! — ruft mir tief

Mein Genius in das Ohr!

Ich höre dich; Hah, Schande, daß ich schlief! Ich hebe kühn die Faust empor Und brech' es los mit freier Hand Das Band, das ein Tyrann Hohnsprechend mir um Fuß und Nacken wand; Wo nicht, so sterb' ich denn als Mann!

Sind sie finster, die Verse? Ja, ja, 's ist alles schwarz, was ich

jetzt schreibe, alles stürmisch wie die Nacht, wo Macbeth Duncan mordete. Bin ich reif? Nun gut, dann kann ich abgemähet werden; noch brauche ich meine Hände nicht vom Blut zu waschen, upb ob meine Atome nach Norden oder Süden zerstäuben, kümmert mich nicht. Du siehst hier die Lage meiner Seele! Es ist keine Poesie, es ist ein reifer Entschluß.

Mag ihn Kriegsdogmatik verdammen, gilt mir gleich. Das Naturrecht vertheidigt ihn, das Naturrecht, nicht wie's Zoller und Sammet peitschen,

sondern wie's der Schöpfer in die Seele siegelte. — Vielleicht trifft mich noch ein Brief von Euch, wenn er bald kommt. Zeig dem Herrn Magister den Brief. Grüße meine Freunde. Bete fiir mich, ich hab's

nöthig, Bruder, hab's sehr nöthig.

Ein Tag gilt jetzt Jahre.

Ich kann Dir nichts mehr sagen.

Leb wohl, vielleicht auf ewig.

Emden, den 3. Januar 1787.

Dein Freund Normann."

62

Abermaliger Fluchtversuch.

Und Seume entfloh abermals. In einer kalten Januarnacht 1787 verließ er seinen Wachtposten und entkam unbemerkt ins Freie. Ehe man seine Flucht bei der Ablösung bemerken und durch die Lärmkanone

verkünden konnte, mußte er schon ein gutes Stück von der Stadt entfernt sein. Er nahm seinen Weg querfeldein, denn um nicht an die zu seiner Verfolgung ausgeschickten Streifpatrouillen verraten zu werden, mußte er die Landstraße vermeiden und die Dörfer umgehen. Auf den hartgefrorenen Äckern und Feldwegen hoffte er gut vorwärts zu kommen und bald

oldenburgisches Gebiet zu erreichen.

Aber noch in derselben Nacht trat

Tauwetter ein; der Regen fiel in Strömen vom Himmel und machte alsbald den Pfad des unglücklichen Flüchtlings grundlos. Länger als

vierundzwanzig Stunden war er durchnäßt und erhitzt fortgewatet, oft durch das morschwerdende Eis in tiefe Gräben einfinkend, und hatte mit fast übermenschlicher Anstrengung sich bis nahe an die Grenze gearbeitet, als er sich vollständig erschöpft fühlte und einer Ohnmacht nahe, in dem Dorfe Detern Hilfe suchte. Die Leute halfen ihm; aus seinen Stiefeln floß da» Blut: man legte ihn in ein Bett. Der Amtmann des Dorfes be­ suchte ihn und gab ihm Erquickungen, sandte ihn aber am nächsten Tage

auf einem Wagen sorgfältig in Stroh verpackt und unter einer hand­ festen Bedeckung nach Emden zurück in die Ketten. Wer sollte jetzt den Unglücklichen, den jedermann schon froh in Sicherheit glaubte, den seine Offiziere selbst mit Jammer wieder eingeliefert sahen, retten? Vor ein Kriegsgericht gestellt, sah er einer furchtbaren Strafe ent­

gegen. Seine Verteidigung — Seume verfügte über eine große Bered­ samkeit — konnte seine Richter wohl rühren, aber ihr Urteilsspruch und die Strafabmeffung waren an die Strenge der geltenden Militärstraf­ gesetze gebunden. Man verurteilte ihn wegen abermaliger Desertion zu zwölfmaligem Gassenlaufen, das heißt zu jener barbarischen körperlichen Züchtigung, die zur Zeit der Landsknechte aufkam und sich als Militär­ strafe bis zu Anfang unseres Jahrhunderts erhalten hat. Bekanntlich mußte der zum Gassen- oder Spießmtenlaufen Verurteilte mit nacktem Oberkörper durch zwei Reihen seiner Kompagniekameraden (die Gasse) in einem langsamen, durch Trommelschlag angegebenen Tempo hin und her marschieren, wobei ihm jeder Soldat in der Reihe mit einer Rute einen Hieb auf den Rücken versetzte, so oft der Verurteilte vorüber kam. Die zwölfmalige Vollstreckung dieser Strafe führte nicht selten zu lebens­ länglichem Siechtum, wenn nicht zum Tode; deshalb verwendeten sich für

Seume nicht nur feine Offiziere, sondern auch die angesehensten Bürger Emdens. Alle Schritte aber schienen vergeblich zu sein. Zum Unglück stand der General Courbiöre mit dem Oberst des Regiments auf ge-

Kriegsgerichtliche Verurteilung u. Begnadigung.

63

spanntem Fuße, weshalb keiner es vor dem andern auf sich nehmen wollte, in diesem Falle abermaliger Desertion von der Strenge der be­ stehenden Vorschriften abzuweichen.

und Seumes Schicksal für besiegelt.

Da» Urteil galt als unabänderlich Finster und schweigend hatte er

den Spruch des Kriegsgerichts hingenommen; er sah nur noch die grau­ same Gewißheit vor sich, daß es vergeblich sei gegen sein widriges Geschick

anzukämpfen. „Bete für mich, Bruder, ich hab's nötig, hab's sehr nötig, lebe wohl, vielleicht auf ewig!" so hatten die Abschiedsworte in

seinem letzten Briefe an Korbinsky gelautet, — sollten sie wirklich seinen Tod in der Heimat verkündigt haben? Der Tag der Urteilsvollstreckung war gekommen, das Offizierkorps

versammelt, die Mannschaft zur Gasse aufmarschiert und die halbe Stadt in Bewegung. Schon war Seume vorgeführt und die Prozedur sollte beginnen, als eine Schar von Kindern, Zöglinge Seumes, die er in seinen dienstfreien Stunden unterrichtet hatte, Knaben und Mädchen, voran die eigenen Kinder des Generals, in den Kasernenhof drang und mit Thränen und Händeringen für ihren geliebten Lehrer um Gnade flehte. Tief ergriffen standen die Zuschauer, und aller Blicke richteten sich auf den General. „Kinder", sagte dieser und konnte vor Rührung kaum sprechen, „Kinder, ich kann nicht, so gern ich auch wollte." Da trat der Oberst vor und gebot Halt. Er rief Seume heran und eröffnete ihm, daß das Kriegsgericht in Rücksicht auf sein sonstiges gutes Betragen, seinen mora­ lischen Lebenswandel und den guten Gebrauch, den er von seinen Talenten mache, auch wegen der Art und Weise, wie er in den Dienst gekommen sei, die verwirkte Strafe in sechswöchentlichen Arrest bei Wasser und Brot verwandelt habe, wobei der General halblaut hinzufügte, daß der Arrestant es wohl auch nicht übelnehmen werde, wenn ihm die Bürger zuweilen ein Stück Braten schicken würden. Dieser Wink wurde ver­ standen, und die Gutmütigkeit der Bürger sorgte reichlich mit Speise und Trank für den Arrestanten. Vornehmlich waren es die Kaufherren Bast­ hagen und Bauermann in Emden, die sich Seumes annahmen und ihm ihr Wohlwollen in reichem Maße zu teil werden ließen. Im Arrest verfaßte Seume damals „das Opfer", ein Gedicht über

die Freiheit, das er zuerst im „Göttinger Musen - Almanach 1790" ver­ öffentlichte. (Hemp. Ausg. V. S. 107 ff.) Er sagt darüber in seiner Erläuterung zu diesem Gedichte: „Dieses Gedicht über die Freiheit wurde im Arrest (!) gemacht, in welchen mich meine naturrechtliche Ungeduld durch eine militärische Tod­ Ich muß es der Menschlichkeit meiner damaligen Richter zum Ruhme nachsagen, daß sie meine Verteidigung so viel statt-

sünde gebracht hatte.

64

Rückkehr in die Heimat.

finden ließen, als es nur die strengen willkürlichen Kriegsgesetze erlaubten. Glovers Leonidas, eines meiner Lieblingsbücher, war in dieser Periode mein vorzüglichster Genuß. Man sieht es gegenwärtigem Stück an, daß es durch jenes Gedicht veranlaßt worden ist."

Die geschilderte Episode, wohl die ergreifendste in SeumeS Leben, hatte keine nachteiligen Folgen für ihn. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde ihm der Dienst nicht schwerer gemacht und seine Freiheit nicht

beschränkter, als sie vor seiner Desertion gewesen war.

Er nahm auch

seine Lehrstunden wieder auf und erteilte selbst einigen Offizieren seines Bataillons Unterricht in der englischen Sprache. Im übrigen hatte ihn seine letzte Flucht, die ihm drohende blutige Strafe und die unerwartete glückliche Wendung nur noch bekannter gemacht, als er schon war, und ihm allgemeine Teilnahme erweckt. Endlich aber sollte die Stunde der Erlösung auch für den Viel­ geprüften schlagen. Einer seiner bürgerlichen Gönner in Emden, ver­

mutlich einer der schon genannten Kaufherren, fragte ihn eines Tages,

warum er denn nicht einmal Urlaub nach seiner Heimat nähme. Seume antwortete, daß er Urlaub nicht bekommen würde, wenigstens nicht ohne Kaution, zu der er das Geld nicht habe. „Das Geld habe ich", sagte der andere. „Ich komme nicht wieder," gab Seume zurück, worauf der edelmütige Mann erwiderte, das sei ihm gleichgültig und gehe ihn nichts an, die achtzig Thaler Kaution stünden bereit. Dankbaren Herzens ergriff

Seume das Anerbieten, welches ihm den Weg zur Freiheit öffnete; er bat um Urlaub, erhielt ihn und kam im Sommer 1787 wohlbehalten bei seiner Mutter in Knautkleeberg an.

In Leipzig Fortsetzung und Beendigung der akademischen Studie«, Erzieher beim

Grafen von Jgrlström, Magister-Promotion und Habilitation. Sommer 1787 bis August 1792.

n die Heimat zurückgekehrt faßte Seume auf Anraten seiner Freunde und Gönner den Entschluß, sich nun dem Studium der Rechts­

wissenschaft zuzuwenden, wozu ihm der Graf von Hohenthal die nötigen Geldmittel vorstreckte. Seine akademischen Lehrer waren Dr. Joh. Gottfr.

(Sammet1), **4 Prof. * August Friedr. Schott"), Prof. Christian Stau8) und

später Prof. Christian Gottlieb Haubold1); auch besuchte er Prof. Ernst

Platners6)* philosophische und Prof. Christian Daniel Becks") philologische

Vorlesungen.

Neben seinen Studien gab er Unterricht in der englischen

Sprache, womit er sich zum großen Teil seinen Unterhalt erwarb.

Er

wohnte damals am Markte in dem Hause, worin sich jetzt das Baarmannsche Restaurant befindet, in der Mansarde mit dem Türmchen.

Ob­

schon ihm die Mittel zu seinem Lebensunterhalt nur kärglich zugemessen

waren, so blieb doch seine hauptsächlichste Sorge darauf gerichtet, dem wackeren Manne in Emden, der für ihn die Kaution gestellt hatte, die achtzig

Thaler wiederzuerstatten.

Der

Kreissteuereinnehmer

Christian

Felix Weiße in Leipzig, der allbekannte Verfasser des „Kinderfreundes" und liebenswürdige Beschützer aller aufkeimenden Talente, verhalf ihm *) s) •) 4) •) •)

Geb. 26. Aug. 1719 in Leipzig, gest. 17. Nov. 1796 in Leipzig. Geb. 11. April 1744 in Dresden, gest. 10. Okt. 1792 in Leipzig. Geb. 5. Mai 1744 in Leipzig, gest. 22. Jan. 1818 in Leipzig. Geb. 4. Nov. 1766 in Dresden, gest. 14. März 1824 in Leipzig. Geb. II. Juni 1744 in Leipzig, gest. 27. Dez. 1818 in Leipzig. Geb. 22. Jan. 1757 in Leipzig, gest. 13. Dez. 1832 in Leipzig.

Plan er u. Rcißmann, Seume.

6

Übersetzungen aus dem Englischen. — Christian Felix Weiße.

66

dazu.

Er übertrug ihm die Übersetzung des englischen Romans „Honoris

Warren" und ging, als diese fertig war, mit ihr zu dem Buchhändler Georg Joachim Göschen in Leipzig, erzählte diesem die Lebensschicksale des Übersetzers, nannte den Zweck der Arbeit und bot sie zum Verlage an.

Göschen verlegte den Roman; derselbe ist 1788 erschienen. Eine längere Besprechung desselben findet sich in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung" Ankündigung:

Englischen. Titelkupfern,

von

1790,

Nr.

253,

„Frankfurt und Leipzig:

S.

ff., unter der

561

Honorie Warren,

aus

dem

Erster Band 282 S. Zweiter Band 306 S., 8°, mit zwei 1788."

Der Titel dieses Romans ist zugleich der Name

seiner Heldin, die, „ein Kind des

Unglücks und der Tugend",

nach

dem damaligen Zeitgeschmäcke allerhand Gefahren für Leib und Leben zu bestehen hat, bis sie endlich, aus allen Fahrnissen oft auf die wunder­ samste Weise errettet, in den Armen eines braven Mannes Schutz und

das wohlverdiente Eheglück findet. Der bis auf einen kleinen Teil des zweiten Bandes in Briefform geschriebene Roman enthält mancherlei politische Persiflagen, und dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb sich weder der Übersetzer noch der Verleger genannt hat. Ersteren bezeichnet übrigens die Kritik als einen Mann, der bei dieser nicht leichten Über­ tragung bewiesen habe, wie sehr er beider Sprachen mächtig sei. — Mit

dem

von Göschen gezahlten

Honorar

tilgte Seume

seine Schuld

in

Emden, wo man gar nicht darauf gerechnet hatte.

Au« derselben Zeit stammt vermutlich auch Seumes bisher noch ungedruckt gebliebene deutsche Übertragung von Oliver Goldsmith' Dichtung „The deserted village“ (London 1770) „Das

verödete Dorf".

In

seiner Anmerkung hierzu sagt Seume: „Der Übersetzer weiß sehr wohl, wie weit er hier und da hat

zurückbleiben müssen;

aber er wollte aus Gründen weder das Vers­

maß noch die Verszahl des Originals verlassen, und e» wird ihm sehr lieb sein, wenn es andere besser gemacht haben, oder besser machen

werden." Christian Felix Weiße ') ist sein Leben lang Seumes väterlicher

Freund geblieben.

Er war durch seine pädagogischen Jngendschriften nach

Gellerts Tode litterarisch der populärste Mann in Deutschland und galt in

allen Fragen der Jugenderziehung als Autorität.

Dieses Ansehen und seine

fast sprichwörtlich gewordene Gutmütigkeit brachten es mit sich, daß durch seine Vermittlung fast ganz Deutschland mit Hofmeistern versorgt wurde. ’) Er war am 28. Januar 1726 in Annaberg geboren,

halte in Leipzig

studiert und bekleidete seit 1761 den Posten eines Kreissteuereinnehmers in Leipzig.

Erzieher beim Grafen v. Jgelström. — Brief an den Grafen v. Hohenthal.

Auch für Seume vermittelte er eine solche

Stellung.

67

Noch während

dessen Universitätsstudien verschaffte er ihm den gut besoldeten Posten eines Instrukteurs und Erziehers bei dem jungen livländischen Grafen Gustav Otto Andreas von Jgelström, der in Begleitung seiner Mutter

nach Leipzig gekommen war, um daselbst zu studieren. Bald erwarb sich Seume die Zuneigung seines Zöglings und das Vertrauen der Gräfin, die ihn mit vieler Achtung und wie einen Freund ihres Hauses behan­

delte. Als solchen betrachtete sich auch Seume, wofür namentlich sein Schreiben spricht, das er dem jungen Grafen zu dessen sechzehnten Geburts­

tage übersandte. (Hemp. AuSg. X, S. 143 ff.) Dieses Schreiben kann als treffliche Richtschnur für jeden jungen gebildeten Mann gelten, der im Begriffe steht in die Welt zu treten. Auch ein Gedicht ist erhalten geblieben, das Seume für den jungen Grafen verfaßte, ein Glückwunsch betitelt: „Seiner theuren Mutter zum 18. Februar 1790 von Gustav Otto Andreas von Jgelström." (Hemp. Ausg. V. S. 194 f.)

Durch das Honorar in dieser Stellung wurde Seume in den Stand gesetzt, dem Grafen von Hohenthal das Darlehn zurückzuerstatten, das

dieser ihm bei seiner Rückkehr zur Universität gegeben hatte. welchem der Geldbetrag beigefügt war, lautet:

Der Brief,

„Hochgeborener Herr Graf,

Gnädiger Herr, Die anscheinende Nachlässigkeit meines Betragens kann nur durch das Verhältniß entschuldigt werden, in dem ich jetzt stehe, wo meine Zeit in Lehrstunden, Vorbereitungen und Wiederholungen so eingetheilt ist, daß mir kaum dann und wann eine Stunde eigen bleibt; und den Ueberrest bringe ich billig nach dem theuersten Theil meiner Pflicht be­ ständig so in der Gesellschaft des jungen Herrn (Jgelström) zu, daß ich sie ihm, durch meine Aufmerksamkeit auf mich und ihn, ebenso wichtig zu machen suche, als die vorigen. Ich bin daher überzeugt, daß Sie mich entschuldigen. Mein Freund, der Herr Aktuar Korbinsky, überbringt Ihnen hier das Geld, das Sie mir vor drei Jahren in der drückendsten Verlegenheit vorzustrecken die Gnade hatten. Dafür

war ich bisher Ihr rechtlicher Schuldner. Für alle übrigen unzähligen größeren Wohlthaten muß das Herz, ein freies, frohes Bekenntniß Ihrer Großmuth, der ich alles, alles danke, der zweckmäßige Gebrauch

meiner dadurch gesammelten Kenntnisse und, bin ich einst im Stande, meine Wiedervergeltung in Anderem bezahlen; und diese Belohnung war ge­ wiß die Absicht Ihrer Handlungen. Die erste Gelegenheit werde ich 5*

68

Brief n. Gedicht an den Grafen v. Hohenthal.

gewiß ergreifen, Ihnen mündlich meinen Dank feierlich auszudrücken; und künftig keine vorbei lassen, es zu thun; bis ich vielleicht einmal

so glücklich sein werde, Sie und andere völlig zu überzeugen, daß meine Handlungen besser als meine Worte folgen. Der Himmel segne Sie, meinen Wohlthäter, und lasse Ruhe und Selbstzufriedenheit, das Loos aller Guten, immer den besten Theil Ihres Glückes fein. Mit der regsten Erinnerung und der tiefsten Verehrung werde ich in jedem Verhältnisse bis an den letzten Hauch meines Lebens bleiben

Ew. Hochgräfl. Gnaden

Leipzig, d. 3. Nov. 1790.

dankbar Unterthäniger

Joh. Gottfr. Seume."

Schon immer hatte Seume dem Grafen einzelne Proben seiner dichterischen Versuche zugeschickt, darunter auch einen Hymnus an die

Musik mit dem Motto :

aut impellit ad iram, Aut ad humum moerore gravi deducit, et angit; (Musicus). Horat.“ (Epist. L. II.) Dieses bisher noch ungedruckte Gedicht hat siebenundvierzig Strophen, weshalb nur die bemerkenswertesten von ihnen hier wiedergegeben werden können. Nach der sechsstrophigen Einleitung, in der die Weisheit, Liebe, Macht und Stärke des Schöpfers gepriesen wird, heißt es darin weiter: „Allvater, Dank, ja Dank, daß meine Seele Auch deiner Saiten Rührung fühlt,

Und, wenn Natur die große Harfe spielt,

Ich ihre hohen Schläge zähle. — Doch leiser noch hast du in unsre Ohren,

Auf jeden Ruf von dir bereit, Zur Vorempfindung deiner Ewigkeit Das reiche Tongeschlecht geboren. Mit welcher sanften Zauberschwingung bebet

Der Flöte zitternder Gesang Tief in des Herzens letzten Winkelgang,

Daß jeder Puls fich leichter hebet! Boll Schwermuth schlingt mit hartgedrungnem Hauche,

Wie tiefer Trauer dumpfe Ruh, Melancholie das Horn dem Ohre zu AuS seinem krummgewundnen Bauche.

Gedicht an den Grafen v. Hohenthal.

69

Reinschwingend lockt der liederreiche Bogen Die Symphonie aus ihrem Raum,

Voll magischer Empfindung merkbar kaum Bon seines Meisters Hand gezogen.

Mit Riesenstimme bricht in tiefer Fuge, Wie ferner Donner durch die Kluft Der Felsenwand die Wetter Gottes ruft, Der Grundbaß von dem großen Buge.

Und laut und schrill, wie in der Sommernische, Die das Konzert des Haines hegt,

Ein stärkrer Sänger kleinre überschlägt Spricht die Trompet' ins Tongemische.

Sie ruft, sie weckt die Harmonie der Musen, Sie bittet, drohet, schmeichelt, lacht, Erschreckt, besänftigt, ängstigt, scherzt und macht

Selbst Charon lächeln und Medusen."

Dann spricht der Dichter demjenigen Fluch, der die Musik, „dieses

Geschenk vom Himmel, zum Köder von Verbrechen macht," — Heil aber „allen gottvertrauten Männern der Harmonie, den tiefen Kennern der kleinsten Regungen des menschlichen Herzens."

Auf sein Lieblingsstück

„Ariadne auf Naxos" übergehend, schildert er Bendas Tonmalerei in demselben sowie die Empfindungen, welche diese Musik in jedem fühlenden

Herzen erwecken müsse. von

Mit gleichem Enthusiasmus spricht er dann noch

der Allmacht der Musik in Haydns Jnstrumentalkomposition „Die

sieben Worte des Erlösers", und schließt die freilich allzulange, aber

fein empfundene Dichtung mit dem Wunsche für „den feinen Kenner der Töne," den Grafen: „Gott zeichne auf das Blatt, wo Deine Tage In ihrer großen Ordnung stehn,

Nur heitre Gänge und, kann es geschehn, Nicht ein Adagio der Klage."

Das Gedicht ist datiert Leipzig, im Januar 1789, und trägt Seumes volle Unterschrift.

Zu Anfang des Jahres 1791

traten Seume und Münchhausen in

neue Beziehungen zu einander, ohne daß es aber vorläufig zu einem

Wiedersehen zwischen beiden kam. Münchhausen war in hessischen Diensten verblieben und hatte längere Zeit in Kassel in Garnison gestanden. Über das Wiederfinden Seumes schreibt er in seinen Aufzeichnungen:

70

Neue Beziehungen zu Münchhausen nnd dessen Ode an Seume.

„Acht volle Jahre vergingen, und ich hörte und sah nichts von

Immer wähnte ich noch, in Leipzig müßt ich ihn finden. Man kennt ja das alte Sprichwort. Kassel wurde viel von Sachsen besucht, vorzüglich von Kaufleuten aus Leipzig, die alle Jahre

meinem Seume.

zweimal dahin zur Messe kommen.

Jeden Leipziger fragt ich nach

Seume, aber vergeblich. Im Jahre 1790 oder 91 kam ich mit dem Feldjägerkorps nach Schmalkalden und setzte auch da meine Forschungen fort. Der bekannte Tonsetzer Vierling schaffte mir Nachricht. Ja, hieß es, ein gewisser, seit Kurzem in Leipzig privatisierender Gelehrter

nennt sich Joh. Gottfr. Seume. — Hatt ich acht Jahre lang gesucht, so warf mich dieses Wiederfinden acht Tage lang herüber und hinüber. Die alte Anhänglichkeit reichte mir jeden Tag die Feder, und der neue Zorn entriß sie mir wieder. Dennoch vermaß ich mich nicht, ihn schuldig zu glauben, was er denn auch nicht war. — Endlich, — in Prosa zu schreiben war mir unmöglich, — entsprudelte mir jene StrafOde Nr. 1 der „Rückerinnerungen" '), worauf von ihm die Antwort, Nr. 2, folgte, die beide wohl unsere Individualität belegen möchten. Jedoch war auch noch ein prosaisch Blatt dabei, das ihn allenfalls noch mehr entschuldigte und mir sagte, wo er gesteckt habe." —

Münchhausens Ode ist betitelt: „An Johann Gottfried Seume, am 20. des Eismonds 1791," und wird mehrfach gekürzt hier wie folgt wiedergegeben: „Seume!

Gades aditure mecum etc. Hör. L II. 0. VI. Redender töne heute und lauter, einsame Harfe! Denn Erinnrung enthüllt mir Scenen verflossener Tage; Malet Neuschottlands Muschelgestade, malet das Zelt mir.

Wo ich Seume, den Denker, unter den Kriegern einst sand. Denkst du noch, Seume! jener so schnell entflohenen Stunden,

Da wir traulich uns freuten unter den sausenden Kiefern,

Neben dem perlenstäubenden Felsbach grauer Gebirge, Und auf schwellender Moosbank horchten der Vögel Gesang?

Oder im Jenkilake**) Forellen fingen, mit gleicher Lust und Eintracht. WaS war'S, das schnell uns so innig vereinte? Treue erkennt die Treue im Zwielicht, wie an der Thürschwell

Schon dem freundlichen Mann bekannt wird ein freundlicher Gast. *) Rückerinnerungen von Seume und Münchhausen. *) See in der Nähe von Halifax.

Frankfurt am Mahn (1797).

Münchhausens Ode an Seume.

71

Aber, was rief dich damals zum Eide, den du mir schwurest:

„Auch vom Scheitel Vesuvs und, wollt' es das Schicksal, aus Algiers Klirrenden Ketten Freundesgesang herüber zu tönen?"

War's Gelübde der Freundschaft, oder was war er, der Schwur? — Da mich des Meeres friedliche Wogen spielend umtanzten;

Da dem Weltmeer entquollen rollende Wassergebirge, Stürme die schwanken Maste zerschellten, Wellen den Schifssbord

Peitschten, lobend der Abgrund brüllte — gedacht' ich doch Dein. Da wir getrennt des Vaterlands frohen Ufern uns nahten;

Da das Mädchen der Liebe Thränen der Freude nun weinte, Und in der Heimath Vater und Mutter, Schwester und Freunde

Mich entzückend umarmten — Seume!

gedacht' ich doch Dein.

Wenn auf des Lebens staubigem Heerweg wallend ein Fremdling Mir begegnete, sprach ich grüßend zu manchem: Du WallerFerner Provinzen, kennst du nicht Seume, Seume den Dichter? Tausend gingen vorüber; Tausende fragt' ich umsonst. —

Doch, es durchweht wohl lange der Nordwind säuselnde Gräser Ueber seinem Gebein; wohl deckt schon die Erde den Freund, — so

Dacht' ich und ging: Doch endlich erscholl dein Name von ferne. Plötzlich wallte mein Busen; plötzlich erstarrt' er und schwieg. — Dennoch zerbricht die Freundschaft des Zornes lästige Fesseln,

Und die Stimme des RuferS schallt aus dem öden Gebirge. Wird sie mir wiedertönen aus Sörogttdx) eichenumkränzter Halle? Ob wohl der Freund die Stimme deS Rufers noch kennt? Ehedem wär' er mit mir gegangen über der Alpen

Scheitel, über der Meere Rücken, von Pole zu Pole. Ob er wohl dann int friedlichen Thale neben mir wohnte, Wenn vom Alter nun grau, und müde vom Wandern wir sind?

Von der Erinnrung Träumen umgankelt, würden wir dann mit Späten herbstlichen Blumen unsere Becher bekränzen;

Unter der Ruhe Myrthengeläube sitzen, unS unsers Lebens Morgen noch freun und fröhlich ins Abendroth sehn.

Würden noch oft im Geiste Neuschottlands Haine besuchen, Wo der Wilde die Friedenspfeife dir reichte und sagte: Gott mit unS!

meine Rede ist rein, wie Strahlen der Sonne!

Nehmt die Pfeife; der Geist der Geister geleite euch heim!"

Auf diesen poetischen Gruß Münchhausens antwortete Seume mit seinem Gedichte: „Meinem Münchhausen zum Denkmal" (Hemp. AuSg. X. S. 209 ff.). Er nennt dieses Gedicht ein Lied der Freundschaft, das er am Grabe des großen Menschenfreundes Gellert gedacht habe, und spricht darin von seinem Alleinstehen imb seiner Zurückgezogenheit in der Welt sowie von seinen Forderungen an wahre redliche Freundschaft. Durch Münchhausen trat Seume um diese Zeit auch mit dem Musiker x) Alte wendische Gottheit der Beredsamkeit oder Dichtkunst.

72

Grosheim über Seume u. Münchhausen.

und Komponisten Georg Christoph Grosheim') in Kassel in Briefwechsel. Grosheim gab SeumeS Gedicht „Über Glückseligkeit und Ehre" in Separat­ druck^)

heraus und schrieb eine Vorrede dazu, woraus folgende Stelle

entlehnt ist: „Kurz nach der Rückkehr unserer Krieger aus Amerika lernte ich

Münchhausen kennen, damals der liebenswürdigsten Jünglinge einer,

an Kopf und Herz rein, der die Stunden, welche ihm der Dienst im Tempel des Mars übrig ließ, im Haine Apolls vertändelte. — Einst,

als jener Obrist Hatzfeld, mein Verwandter, den Seume in seiner Lebens­ geschichte so äußerst treffend schildert, mit Münchhausen über den ameri­

kanischen Krieg sprach, und des verworrenen Menschenknäuels, woraus

der letzte Rekrutentransport bestand, erwähnte, war auch die Rede von

Seume.

Der

Obrist,

ein

braver Soldat, der sich von der Pike

heraufgeschwungen hatte, aber auch ein sehr prosaischer Mann, be­

hauptete: in seinem ganzen Leben solch einen Menschen nicht gesehen zu haben, so klug, und doch so hartnäckig, so hilflos, und doch so stolz,

der, statt sich um die Ordres zu bekümmern, in Büchern gelesen habe, die nicht eine Silbe vom Militär enthalten hätten. — Münchhausen

aber glühte während dieser Apotheose hoch auf.

Er sprach von der

Rechtschaffenheit, der Wahrheitsliebe, dem Muthe, von den Talenten

seines Freundes, von seinen Schicksalen.

Er theilte mir einige Ge­

dichte von ihm mit, namentlich das Gemälde eines Seesturms. aber beklagte er seine Ungewißheit über Seume,

und

Tief

daß er sein

Versprechen, ihm zu schreiben, und wäre es aus den Ketten Algiers, nicht gehalten habe.

Hätte Münchhausen damals ahnen können, daß

sein Freund zu eben der Zeit wirklich in Ketten lag und einer Strafe

entgegensah, die, wäre sie an ihm vollzogen worden, ihn tödten mußte, wahrlich!

er hätte alles aufgeboten,

ihn zu retten: Münchhausens

Herz war gut und groß.

Seine

Liebe zu Seume riß auch

mich unwillkürlich fort; und wenn gleich

fast zur Schwärmerei hinneigende

nicht der Dichter damals, so fesselte mich doch der Mann bereits mächtig,

der den Tod in den Wellen so wenig scheute, daß er seinen

Pinsel ruhig und kühn in die schwarzen Farben des Seesturms noch zu tauchen vermochte, der ihn zu vernichten drohte."

*) Grosheim wurde am 1. Juli 1764 in Kassel geboren, wo er seit 1780 Mit­

glied der landgräfl. Hoskapelle war.

*) Kassel 1816, wo cS zu einem wohlthätigen Zweck verlaust wurde. AuSg. V. S. 198 ff.

Hemp.

Magister-Promotion.

73

Grosheim hatte anfangs nur die Besorgung der Briefe Münch­ hausens an Seume übernommen und trat erst später durch den bekannten Maler und Stecher Ludwig Buchhorn **) mit Seume in nähere Beziehungen.

Von dem Briefwechsel zwischen Seume und Münchhausen scheint nichts erhalten geblieben zu sein; wenigstens waren hierauf bezügliche Nachforschungen im Archiv der Freiherrlichen Familie von Münchhausen-

Oldendorf ohne den gewünschten Erfolg. Nach Abschluß seiner akademischen Studien promovierte Seume und habilitierte sich an der Universität Leipzig. Er hatte, wie schon er­

wähnt, Jurisprudenz und Philologie studiert, hierauf Metaphysik und Scholastik, und ward Ende 1791 Magister als einer der Besten. Da­ bei gestand er seinen Examinatoren sehr offenherzig, daß er sie wohl verstehe, aber nicht begreife, daß er ihre Sätze wohl fasse, aber sie wenig notwendig und folgerecht fände. Die englischen und griechischen Philo­ sophen hatten ihn eben zum Skeptiker gemacht, der er int Grunde auch geblieben ist, nur daß er niemals versucht hat diese trostlose eiserne Lehre in ein System zu bringen. Aus Mißmut über den gelehrten Kram, wie

er sagte, wandte er sich von dem Studium der philosophischen Systeme ab, wie er sich vom Studium des Hebräischen und des Justinianischen Codex abgewendet hatte. In den „Apokryphen" sagt er darüber: „In der Philosophie kann ich's bis zum Skeptizismus bringen, weiter geht es nicht: also will ich lieber bei dem gesunden Menschen­ verstände bleiben, den so wenig Philosophen haben, und der doch heut zu Tage so nöthig wird." Über Seumes Magister-Promotion enthält das Jntelligenzblatt der

„Allgemeinen Literatur-Zeitung" Nr. 18 vom 8. Febr. 1792 unter „Literarischen Nachrichten, I. Chronik deutscher Universitäten, Leipzig,"

folgende Anzeige: „Die philos. Fakultät allhier hat folgenden Studiosis: Hrn. Joh. Gottfried Seume, Knauthayn, Misn., Joh. Christoph Leopold Reinhold, Lips., Joh. Christ. Dolze, Golßen, Lusat., nach vorgängigen Examen die Magister-Würde durch die am 1. Advents-Sonntage (1791) öffent­

lich affichirten Diplomat« ertheilet." Im „Leipziger gelehrten Tagebuche" auf das Jahr 1792, heraus­ gegeben vom Prof. Johann Georg Eck2), findet sich auf S. 6 und 7 folgende Notiz: •) Geb. 18. April 1770 in Halberstadt, gest. 17. No». 1856 in Berlin. *) Geb. 23. Jan. 1745 in Hinternahe bei Schleusingen, gest. 20. Nov. 1808

in Leipzig.

74

Promotion und Habilitation. — Küster Rothe.

„Den 23. Februar (1792) war die feierliche Magisterpromotion von siebzehn Kandidaten, wovon die elf ersten bereits zuvor, nach ab­

gelegten Speciminibus, per diplom. waren creiret worden. Hr. Prof. Seydlitz, als dermaliger Dechant der philof. Fakult., handelt in seiner Einladungsschrift de causis dissensionum in rebus metapbysicis. (19 S.) Der vom Professor der Dichtkunst Hrn. Eck verfertigte Panegyricus enthält eine Elegie auf den Tod der Dichterin Karschin und die Lebensumstände der Kandidaten.

(23 S.)"

In dieser Festschrift ist SeumeS Lebenslauf in lateinischer Sprache auf S. XI und XII gedruckt, im „Leipziger gelehrten Tagebuche" in deutscher

Sprache auf S. 10—12, wo er wie folgt eingeleitet wird: „So groß die Hindernisse und Schwierigkeiten auch gewesen sind, mit denen dieser Kandidat zu kämpfen gehabt, so haben sie doch seine Begierde, sich den Wissenschaften zu widmen, nicht unterdrücken können." Dem Grafen von Hohenthal wird darin als dem Wohlthäter Seumes folgendes Lob zu teil, das zugleich auch seiner Besitzung Knauthain gilt: „Groß ist die Anmuth hier, die jede Gegend schmückt;

Groß jedes Werk der Kunst, und durch die Wahl beglückt; Doch größer des Besitzers Güte." —

(Hagedorn.)

Ferner heißt es aus S. 29 weiter: „Den 28. März 1792 habilitirte sich Hr. M. Joh. Gottfr. Seume durch Vertheidigung seiner Dissertation Anna veterum cum nostris breviter comparata. (32 S.) Hr. Karl Salomo Zachariä aus Meißen war Respondens."

Seume hatte seine Habilitationsschrift dem Vater seines Zöglings, dem Grafen Johann Jakob von Jgelström, gewidmet und ihr als Anhang eine Übersetzung aus dem Englischen betitelt: „Anfang von Dr. Doungs erster Nacht" beigegeben. (Leipzig 1792. Hemp. Ausg. X. S. 33 ff.; S. 206 ff.) Eine Besprechung der Schrift findet sich in den „Neuen

Leipziger gelehrten Anzeigen" von 1792, 2. Quart. S. 218. Die Geldmittel zur Promotion hatte ihm der Küster Gottlob Friedrich Rothe') vorgestreckt, der ihm auch später noch manchmal aushalf. Aus

Dankbarkeit widmete ihm Seume das Gedicht: „Meinem Freunde Rothe zu seinem 63. Geburtstage." (Obolen 1. Bd. S. 115 f. Hemp. Ausg. V. S. 22.) Seume wohnte auch eine Zeit lang bei ihm, als er seinen Posten *) Rothe war von 1763—1772 Küster der Johanniskirche,

von 1772—1801

Küster der Thomaskirche in Leipzig, wo er am 23. Dezember 1813 im einundachtzigste»

Lebensjahre starb.

Entschluß nach Rußland zu gehen. — „Abschiedsschreiben an Münchhausen."

beim Grafen von Jgelström aufgegeben hatte.

Grafen war nämlich nach

75

Der Mutter des jungen

einiger Zeit seine Erziehungsmethode doch

etwas zu katonifch erschienen, und Seume war lieber gegangen, als daß er nachgegeben hätte.

Nachträglich mochte man aber einsehen, daß er seine

Pflicht ernsthaft genommen und es ehrlich gemeint hatte, denn der Vater

des jungen Grafen forderte ihn gelegentlich eines Besuchs in Leipzig auf, mit ihm nach Rußland zu kommen, fein Glück

zu machen.

wo er ihm behilflich fein

wollte

Dieses Anerbieten kam ihm eben recht.

Er

war des Studierens müde und sehnte sich nach praktischer Thätigkeit;

auch lag es in seinem natürlichen Hange gern einen Schritt ins Un­

gewisse und Unbekannte

zu

thun.

Insbesondere hoffte

er durch den

Bruder des Grafen, den kommandierenden General von Jgelström in

Pleskow, leicht eine Offizierstelle im russischen Heere erhalten zu können. Münchhausen, der den Feldzug gegen die französischen Revolutionsheere

in der Champagne und nachher am Rheine mitmachte, riet ihm dringend, der Kriegsgöttin nicht wieder Folge zu leisten und im Vaterlande zu

bleiben.

Aber dieser Rat haftete nicht an Seumes treibendem Gemüte;

sein Entschluß stand fest, und so wurde er auch auSgesührt. Bevor er aber nach dem Norden ging sandte er ihm einen Abschiedsgruß; das „Abschieds­

schreiben an Münchhausen", eines seiner trefflichsten Gedichte, war entstan­ den und sollte seine Strahlen

werfen.

Dieses

vierunddreißigstrophige

Gedicht beginnt und schließt mit der Strophe: „Nimm meinen Kuß im Geist an Deinem Rheine

Und denke bei den Bechern deutscher Weine An einen deutschen Biedernrann,

Der an NeuschottlandS westlichem Gestade Im Labyrinthe menschenleerer Pfade

Einst Deine Seele liebgewann."

Nach bilderreichen Reminiscenzen an die gemeinschaftlichen Erlebnisse

auf dem Boden Neuschottlands, dessen großartige, wildgeklüftete Gebirgs­ landschaft im Glanze der untergehenden Sonne oder in den Gluten des

Nordlichts die Seele des Naturfreundes nachhaltig zur Empfänglichkeit

für alles Ursprüngliche und Erhabene stimmte, sagt er dann weiter: „Hier sitz' ich, Freund, in meiner Jugend Haine

Und schreibe Dir aus einem alten Steine

Vielleicht das letzte, letzte Wort! Zum zweiten Male greif' ich nach dem Stabe

Und pilgere mit meiner leichten Habe

Nunmehr vielleicht auf ewig fort.

76

Mschiedsschreiben an Münchhausen". — Brief an Schiller. Bald gellt vielleicht mit schwerem Eisentone

Bellona von des Nordens rauher Zone Auch mir noch einen Schlachtgesang,

Der jüngst vom Felsenfuß der Pyrenäen

Bis an des Samojeden Winterseen In grellen Noten Wiederklang.

Jetzt lebe wohl! und höre von dem Freunde,

Als ob er scheidend Dir im Arme weinte, Ein Wort, das seine Seele spricht: Nicht, ob ich Deiner Seele Werth verkennte;

Nimm nur mein Herz in meinem Testamente;

Denn Gold und Silber hab' ich nicht."

Nun redet er von echter Männlichkeit und wahrer Menschenliebe, von Lebensweisheit und Lebensklugheit, von der Liebe zum Weibe, gesell­ schaftlichen Vorurteilen u. s. w., und kommt in seiner Betrachtung über das menschliche Glück schließlich zu dem Ausspruche: „Freund, hoffe nichts und fürchte nichts auf Erden

Mil Leidenschaft, und du wirst glücklich werden. So glücklich, als der Mensch es kann; Denn Glück, unwandelbar und ungestöret.

Das selbst der Neid niit stummer Achtung ehret, Erwirbt sich aus der Welt kein Mann." —

Seume schickte das Gedicht zur Veröffentlichung an Schiller, der es in seiner w9Zeuen Thalia," zweiter Band, 1792, S. 40 ff. erscheinen liefe.

(Hemp. Auög. V. S. 22 ff.)

Sein Schreiben an Schiller lautet:

„Verehrungswürdiger Mann!

Verzeihen Sie einem Idioten in den Förmlichkeiten der Welt sowohl als in den Penetralien der Gelehrsamkeit, daß er Ihnen

einige Augenblicke raubt.

Meine Bitte ist, wenn beifolgende Verse

nicht ganz unter der Kritik sind, sie in Ihre Thalia einrücken zu lassen. Außer mir werden Sie dadurch meinen Freunden einen Gefallen

thun, unter denen gewiß auch einige persönlich die Ihrigen sind. Ich gehe nach dem Norden, und sehe vielleicht mein Vaterland nie wieder. Mein künftiger Stand dürfte wohl der Antipode der Muse sein; und ich wünschte doch meinen Freunden ein kleines Andenken der Jahre zu hinterlassen, die ich, wenigstens soweit ich konnte, den Wissenschaften

Bries an Schiller. — Münchhausens „Nachruf an Seume".

77

widmete. Der Mann, dem ich diese« Stück schrieb, ist Offizier im hessischen Dienste und jetzt mit der Armee im Felde. Aber meine Geschichte ist bei allen ihren krausen Veränderungen zu unwichtig.

Ich habe unter dem Drucke meiner Häuslichkeiten vorzüglich be­ dauert, daß ich nicht wenigstens ein Jahr den Ort Ihres Aufenthaltes (Jena) besuchen konnte.

Schmeichelei anzuhören, Herr Hofrath, ist eben so sehr unter Ihrem Werth, als es wider meinen Sinn ist, sie zu sagen. Ich versichere Ihnen mit dem ehrlichsten Ernst, daß ich hinter der preußischen Pa­ trontasche an einem Zipfel der Nordsee (in Emden) über Ihren Arbeiten manchmal vergaß, daß ich den fünften Tag nach der Löhnung kein Brod hatte. Wenn meine Abreise nicht so schnell wäre, würden Sie gewiß

noch einer persönlichen Heimsuchung von mir ausgesetzt sein. Bei der Gewährung meiner Bitte werden Sie freilich an das Horazische

mediocribus esse poetis nicht denken dürfen. Sie prüfen, wägen und handeln nach Ueberzeugung, — mir stand es doch, ohne die Bescheidenheit zu beleidigen, frei, meinen Wunsch Ihnen vorzutragen.- Ueber eigene Produkte sind wir immer ziemlich partheiische Richter in einem oder dem andern Extrem; so viel aber fühle ich selbst recht lebhaft, daß gegenwärtigem die Feile fehlt; ich habe aber dazu jetzt nicht Zeit, und eine Kleinigkeit in dieser Absicht 200 Meilen zu tragen, würden Selbst Sie mir nicht rathen. Der Himmel erhalte Sie unsern vaterländischen Musen noch lange, lange; unter Ihren wärmsten Verehrern wird sich unter jedem Himmelsstriche, und wäre es auf immer Ihnen unbekannt, befinden Ihr

gehorsamster Diener

(Leipzig, d. 10. August 1792.)

I. G. Seume."

Auf Seumes „Abschiedsschreiben" antwortete Münchhausen mit seinem Gedicht „Nachruf an Seume, am 1. des Eismonds 1793", das ebenfalls in Schillers „Neuer Thalia," dritter Band, 1793, S. 234 ff. erschien. Die Eingangsstrophe lautet: „Ich saß, umbraust vom kriegrischen Gewühle,

Und sann, ans meinen Arm gestützt, dem Spiele Des Schicksals und der Menschen nach;

Da hört' ich fernen Laut bekannter Stimme. Es tönte, wie mit Todesboten Grimme» Ein Abschiedsms den Träumer wach."

78

Münchhausens „Nachruf an Seume." — Anzeige der erfolgten Abreise.

Hierauf drückt Münchhausen dem Freunde unverhohlen seine Ver­ wunderung darüber aus, daß er, der „deutsche Sänger", der „Mann von Geisteskraft und Gaben", den Entschluß gefaßt habe, sich fremdem

Kriegsdienste zu widmen.

Mit ernstem Tadel legt er ihm die Fragen vor:

„Wer drängt dich aus der Weisheit füllen Klause?

Wer jagt dich mit der Unruh' Sturmgebrause

Wie Kain über Meer und Land? Sprich: treibt bei dem Geräusch zerrißner Fahnen

Von dem Huronenland bis zu den Kamschatanen Dich Weisheit oder GotteS Hand?

Ich kenne dich in deiner Freunde Kreise; Ich kenne dich in deiner seltnen Weise, In der du Menschenprüfer bist.

Ich kenne den Verwüster deines Glückes Und weiß den Urquell deines finstern Blickes Und — was dir Heilungsbalsam ist.

Ein Amt, der leeren Stunden Raum zu füllen; Ein Weib, aus Fluren Geßnerscher Idyllen, Dazu ein frohes TuSkulum, Das formte dich von KarmelS ewigem Hebräer

Zum besten freundlichsten Epikuräer,

Zu Wandsbecks heiterm Asmus *) um. Und sollte denn von allen diesen Gaben

Mein deutsches Vaterland nicht eine haben, Daß du in seinen Grenzen bliebst?

Die Schuld ist dein; du willst in unsern Gauen Dir keinen Kohl zum kleinen Mahle bauen,

Weil du das Sonderbare liebst!" —

Als Münchhausens Gedicht in der „Thalia" erschien, hatte Seume sein Vaterland schon längst wieder verlassen. Das /Leipziger gelehrte Tagebuch" auf das Jahr 1792 enthält auf S. 127 über feine Abreise folgende nachträgliche Notiz:

„Von hier sind weggegangen Herr M. Seume nach Rußland, als Sekretär des Herrn Generalgouverneurs Grafen von Jgelström zu Pleskow — (jetzt kommandierenden Generals der Russischen Armee in Polen.)"

x) Matthias Claudius, pseud. Asmus oder „Der WandSbecker Bote."

Leipziger Freunde.

79

Nicht ohne Bedauern war Seume von Leipzig und seinen dortigen

Bekannten geschieden, unter denen er viel wackere Männer von Geist und

Herz

kennen gelernt

hatte.

Aus diesem Freundeskreise sind noch zu

erwähnen der Professor der geistlichen Altertümer Anton Ernst Klaußing *)

und dessen Gattin Friederike Henriette, geb. Zachariä2),* * der * Seume das Gedicht „Am ersten Frühlingsabend" (Obolen 1. Bd. S. 117 f. Hemp.

Ausg. V.

S. 116) widmete;

ferner der Professor der Botanik Johann

Hedwigs), „der Gute, der Menschenfreund, der Christ in der Wahrheit,"

wie Seume ihn nannte;

ferner der Professor der Philosophie Friedrich

August Carus*), „der allen lieb war, den Seume aber vor allen liebte,"

sowie der Professor der Philosophie Karl Heinrich Heydenreich 6).

Mit

letzterem besonders hatte Seume gern philosophiert, obschon er ihn wegen

seines ausschweifenden Lebenswandels tadeln mußte.

„Ihr Bestien wollt

glücklich sein?" hatte Heydenreich einmal in der Hitze des Streits zu

Seume gesagt, „Ihr sollt nicht glücklich sein, Ihr sollt gut sein!" — „Er war freilich nicht glücklich," sagt Seume von ihm, „das schien mir aber

daher zu kommen, weil er auch nicht sonderlich gut war. Ball grober abwechselnder Leidenschaften ist,

Wer stets der

kann im strengeren Sinne

doch wohl schwerlich für gut gelten und muß zufrieden sein, wenn man ihn nur unter die Gutmütigen zählt." SeumeS Verkehr mit Heydenreich verdanken wir das Gedicht „Meinem Freunde H.," das einen deutlichen

Beweis seines redlichen und unerschütterlichen Gotteüglaubens giebt.

Ver­

mutlich um Mißdeutungen zu vermeiden, nahm es Seume nicht mit unter seine Gedichte auf, obgleich eS an dichterischem Ausdruck und philosophi­

schem Tiefsinn manchem anderen seiner Gedichte vorzuziehen sein dürfte. ES erschien

zuerst im Taschenbuch

„Minerva"

auf das Jahr 1812,

S. 291 ff. (Hemp. AuSg. V. S. 179 ff.)

Auch der als Schöngeist bekannte pensionierte preußische Hauptmann Christian Friedrich

von Blankenburg6)

gehörte

zu SeumeS Freunden.

Seine Bücherschätze und Kunstsammlungen boten Seume reiche Ausbeute,

so daß er einen Besuch bei diesem Freunde mit einem Gange ins gelobte Land verglich.

*) Geb.

11. April 1729 in Hervorden, gest. 6. Juli 1803 in Leipzig.

s) Geb.

imJahre 1755

in Meißen, gest. 1. April 1799 in Leipzig.

’) Geb. 8. Oktober 1730 in Kronstadt, gest. 18. Febr. 1799 in Leipzig. Geb.

6) Geb.

27. April 1770 in Bautzen, gest. 6. Febr. 1807 in Leipzig.

19. Febr. 1764

in Stolpen, gest. 26. April 1801 in Burgwerben.

e) Er war am 24. Januar 1744 bei Kolberg in Pommern geboren, hatte int

siebenjährigen Kriege mitgesochten und lebte seit 1778 in Leipzig den Wissenschaften. Er starb daselbst am 4. Mai 1796.

80

Georg Joachim Göschen. — Mutter und Geschwister.

Von

allen

Genannten

aber

war

es

der

Buchhändler

Georg

Joachim Göschen *), der sich am meisten zu Seume hingezogen fühlte. Durch die gewissenhafte redliche Art und Weise, wie dieser seine Schuld in Emden getilgt,

hatte er sich die Achtung und das Vertrauen dieses

intelligenten Geschäftsmanns erworben,

dessen Name in der Geschichte

der deutschen Litteratur immer einen guten Klang behalten wird.

Mit

Göschen trat Seume später in nahe Beziehungen, die in mancher Hinsicht bestimmend auf sein ferneres Leben eingewirkt haben. Als Seume nach Rußland ging, wurde ihm der Abschied von seiner Mutter um so schwerer, als diese ihn nur ungern

Nähe und dem Vaterlande scheiden sah.

wieder aus ihrer

Die wackere Frau hatte seit

dem Tode ihres Gatten viele Kümmernisse zu bestehen

gehabt.

Bevor

sie noch über das Schicksal Johann Gottfrieds Gewißheit erlangt hatte, war ihr zweiter Sohn, Johann Andreas, am 16. Juli 1785 in Knaut­ kleeberg gestorben. Nur wenige Jahre später, am 13. Oktober 1788, war

auch

ihre

zweite Tochter,

Maria Regina, in Knautkleeberg

gestorben.

Der jüngste Sohn, Abraham, war als Schuhmachergeselle im Jahre 1791 nach Frankreich auf die Wanderschaft gegangen, hatte aber seinen Ange­

hörigen seitdem noch keine Nachricht

über seinen Aufenthalt gegeben.

Damit die Mutter nicht ohne männliche Stütze sei, ließ ihn Seume vor

seiner Abreise durch einen Aufruf in der Zeitung zur Rückkehr in die Heimat auffordern, doch ohne Erfolg.

Es blieb also nur seine Schwester

Johanna Regina bei der alternden Mutter in Knautkleeberg. 9 Göschen stammte aus Bremen,

wo er am 22. April 1752 geboren war.

Er hatte daselbst den Buchhandel erlernt,

war hierauf dreizehn Jahre hindurch in

der CrusiuSschen Buchhandlung in Leipzig

thätig gewesen und hatte alsdann drei

Jahre lang die Gelehrtenbuchhandlung in Dessau geleitet. in Leipzig

Goethe,

ein

eigenes Geschäft gegründet,

das

Im März 1785 hatte er

er durch seine Verbindungen mit

Schiller, Wieland, Klopstock u. a. zu einer der angesehensten BerlagShand-

lungen Deutschlands machte.

In russischen Diensten Sekretär und Adjutant des Generals von Jgelström.

Oktober 1792 bis Ende 1796. turne war im August 1792 mit dem Grafen von Jgelström abge­

reist, während dessen Gemahlin und der junge Graf noch in Leipzig verblieben. Die Reise ging zunächst nach Livland, wo der Graf bei Dünaburg begütert war, und dann nach einigem Aufenthalt in Riga und Dorpat nach Pleskow, der Hauptstadt des russischen Gouvernement» gleichen Namens, zu dem Bruder des Grafen. Hier in die vornehmsten Kreise eingeführt, erhielt Seume mehrfach die vorteilhaftesten Anträge als Pädagog, die er aber ablehnte, da er zum Erzieher keine Neigung mehr hatte und, wie er sagte, seine Griechen lieber für sich la», um ihren Geist nicht verrauchen zu lassen. In Pleskow selbst wollte man

ihn zum Schullehrer haben, ja man bot ihm dort sogar die Stelle eines evangelischen Geistlichen an, da man sein Rednertalent und sein gutes Griechisch bemerkt hatte. Aber aus Vorliebe zum Soldatenstande und einer gewissen Bequemlichkeit, mit seinen Gedanken in keinerlei Widerstreit zu geraten, entschloß er sich für den russischen Militärdienst, als ihm der Bruder des Grafen, der Freiherr Otto Heinrich von Jgel­ ström *), hierauf bezügliche Vorschläge machte und ihm ein Offizierspatent versprach. Der General Jgelström war damals Höchstkommandierender der russischen Occupationstruppen, die im Einverständnis mit Österreich und Preußen das Königreich Polen besetzt hielten, wurde aber kurze Zeit darauf nach der im Jahre 1793 erfolgten zweiten Teilung Polens

*) Er war 1737 in Finnland geboren und hatte sich bereits im siebenjährigen Kriege gegen Preußen sowie in den Türkenkriegen mehrfach ausgezeichnet. Planer u. Reißmann, Seume. ß

In PleSkow. — Eintritt in das russische Heer.

82

Generalgouverneur und bevollmächtigter Minister der an Rußland ge­ fallenen polnischen Provinzen. SeumeS Diensteinstellung wurde sogleich bewirkt und zwar auf echt russische Weise. Man legte ihm ein Schriftstück zur Unterschrift vor, eine

Bittschrift an die Kaiserin Katharina, in der gesagt war, daß Seume,

ein seither habe,

aus

in Kiew angestellter Gouvernementsregistrator, den Wunsch dem Civildienst in die Armee überzutreten.

Da dies einer

Fälschung seiner Personalien gleichkam, so verweigerte Seume die Unter­

schrift.

Man lachte und meldete es dem General.

und suchte ihm die Gründe klar zu machen, weiter, er sei nicht Registrator in Kiew,

Dieser ließ ihn rufen

Seume aber

protestierte

das er in seinem Leben nicht

anders als auf der Landkarte gesehen habe.

Run lachte auch der General

und redete immer eindringlicher auf ihn ein, bis Seume endlich erklärte: „Run gut, ich unterschreibe, aber in die

Seele Eurer Excellenz!" —

„Drolliger Mensch," sagte der General, „man will Ihnen ja nur einen

Vorteil verschaffen." Daß dies mit Begehung eines öffentlichen Falsums geschehen mußte, konnte Seume eben nicht begreifen.

Er war in Leipzig

Magister geworden, hatte in echtem Latein geschrieben

und disputiert

de armis veterum aus dem PolybiuS, Lenophon, Thucydides, Cäsar,

Vegez, Frontin u. a. m., hatte schon in Amerika zuweilen Feldwebeldienste

versehen, konnte die Muskete trefflich handhaben und ward nun in Ruß­ land fürs erste — Sergeant, und noch dazu auf eine solche Weise.

Wenn

er aber gehofft hatte in die Front zu kommen, so sah er sich ebenso ge­ täuscht.

Der General nahm ihn in seine Geheimkanzlei und ließ ihn

tüchtig arbeiten, hielt ihn aber sonst sehr freundlich.

Seume wohnte in

seinem Hause und speiste mit ihm und wurde sichtlich von ihm bevor­

zugt, indem nicht selten Stabsoffiziere an die große Tafel geschickt wurden,

während Seume an der kleinen blieb,

weil der General es liebte

über Tisch ihm manches zur Ausarbeitung anzugeben.

selbst

Bald nach seiner

Einstellung wurde Seume zum Perebodschick oder Dolmetscher ernannt

und als solcher zum Fähnrich befördert.

Auch hiergegen protestierte er,

weil er noch nicht so viel Russisch verstünde, um den gewiffenhasten

Translateur abgeben zu können.

Man lachte wieder und sagte, er solle

auch nicht» Russisches zu übersetzen haben,

sondern

nur

französisch schreiben so viel als seine Fingerspitzen aushielten.

deutsch und

Er bekam

denn auch in so reichlichem Maße zu thun, daß selbst der General es einmal für nötig hielt sich bei ihm wegen dieser Überbürdung zu entschul­

digen.

„Haben Sie nur Geduld," sagte er zu ihm, „man kann oft nicht

wie man will, aber Sie sollen belohnt werden, ich werde Sie der Kaiserin selbst nachdrücklich empfehlen."

Seumes Freunde im Hauptquartier sagten

In Warschau. — Politische Lage in Polen.

83

ihm auch, daß der General es gut mit ihm vor hätte.

Er wollte ihm

nach und nach zum Major verhelfen und ihm sodann ein Kosakenregiment verschaffen; da könnte er zeigen, was er sei und es bald weiter bringen oder nach Verdienst sitzen bleiben. Die Verwirklichung dieser Idee wäre wohl eine der sonderbarsten Launen von Seumes Schicksal gewesen, man denke sich den Widerspruch: den philosophisch humanistischen Seume an der Spitze eines halbwilden kosakischen Reitergeschwaders. Anfang Januar 1793 verlegte der General sein Hauptquartier von Pleskow nach Warschau, wohin ihn Seume begleitete. Hier erfolgte als­

bald seine Beförderung zum Lieutenant ä la suite des in Warschau garnisonierenden Petersburger Grenadierregiments; nach wie vor aber blieb er in der Geheimkanzlei des Generals und that als Adjutant und Legations­ sekretär Dienst. Seine Uniform war sehr kleidsam. Der Waffenrock war grün, hatte rothen Besatz und goldne Achselbänder. Das eng an­ liegende Beinkleid war von weißem Tuch, der Leibgurt von weißer Wolle. Der schwarze, dreieckige Hut hatte einen weißen Federstutz und zwei goldene Büschel, der Degen ein schwarz und goldneS Portepee und schwarzes, ledernes Behänge. Seine Wohnung hatte er im russischen Ministerhotel auf der Methstraße. Hier saß er nun manche Nacht durch und schrieb und schrieb, während seine Kameraden schliefen oder ihrem

Vergnügen nachgingen. Er mußte arbeiten, dem Teufel ein Ohr ab, wie er sagte, und hatte oft kaum Zeit zum Esten und nötigen Schlaf, denn die politische Lage in Polen drängte einer abermaligen Krise entgegen. Das unglückliche Land war seither der Schauplatz wilder Anarchie und blutiger Parteikämpfe gewesen, womit namentlich die Adelsgeschlechter gegen einander wüteten. Nationale Ohnmacht war die natürliche Folge davon und schließlich die gänzliche Zertrümmerung des polnischen Reiches. Im Jahre 1773 hatte die sogen, erste Teilung Polens stattgefunden, wobei von polnischem Gebiet über 2000 Qu.-Meilen an Rußland, über 1500 Qu.-Meilen an Österreich und 631 Qu.-Meilen an Preußen gefallen

waren. Dieser Schicksalsschlag und die Besetzung neuer Gebietsteile auf dem linken Ufer der Netze durch Preußen hatten das schlummernde National­ gefühl der Polen erweckt und dem verderblichen Treiben der Adelsparteien insofern ein Ende gemacht, als sich die Rrichsstände nach Friedrichs des Großen Tode und als Rußland und Österreich in einen neuen Türkenkrieg

verwickelt waren ziemlich einmütig aufrafften, um dem Lande eine neue Verfassung zu geben. Diese war am 3. Mai 1791 vom Könige Stanislaus August IV. Poniatowski')

und

dem

Reichstage

beschworen

worden.

*) Er war am 7. Januar 1732 zu Wolczyn geboren und 1754 als polnischer Gesandter nach Petersburg gekommen, wo er der Günstling der Großfürstin Katha-

6*

Zweite Teilung Polens.

84

König Friedrich Wilhelm II. von Preußen hatte der neuen Verfassung zugestimmt, nach der die polnische Königswürde erblich sein und der Adel

in seinen Vorrechten wesentlich beschränkt werden sollte. Man versprach sich von der neuen Ordnung der Dinge das Beste, und schon war der erste neue Reichstag versammelt, als der Frieden Rußlands mit der Türkei 1792 die ganze Hoffnung vereitelte. Katharina II. ließ alsbald einige ehrgeizige Adelshäupter, wie Potocki und Branicki, zur Stiftung der Konföderation

von Targowice verleiten und angeblich zum Schutze der alten polnischen Adelsvorrechte zwei Armeen in Polen einrücken, während die dort erwartete Hülfe Preußens ausblieb. Das Volk setzte sich zur Wehr; trotz aller Tapfer­

keit aber mußten die 4000 Polen, die unter Kosciuszko bei Dubienka am 17. Juli 1792 gegen 15000 Russen kämpften, überall der Übermacht weichen.

Ganz Litauen wurde von den Russen besetzt, der König ge­

zwungen in die Konföderation von Targowice einzutreten, und preußische Truppen rückten gegen Ende Januar 1793 in Polen ein, um die revo­ lutionäre Ansteckung von Westpreußen fernzuhalten. In Wahrheit aber

waren die interessierten Mächte über eine zweite Teilung Polens bereits einig, wie denn auch die Besitzergreifung der Gebietsteile, die an Preußen fallen sollten, unter offenbarer Mitwirkung der Russen vor sich ging. Schneller und leichter als diese ist wohl nie eine derartige Eroberung gemacht worden, denn schon im April 1793 wurde die Einverleibung von Danzig, Thorn und Südpreußen mit Posen, Kalisch und Plozk, einem Gebiet von über 1000 Qu.-Meilen, von Preußen öffentlich erklärt und durch Aufstellung der preußischen Adler an allen Orten feierlich vollzogen. Ruß­ land gewann weitere 4000 Qu.-Meilen bei dem Handel, während Österreich in diese Gebietsabtretungen willigte, ohne sich selbst daran zu beteiligen. Bedroht und gezwungen genehmigte der polnische Reichstag zu Grodno mit „fürchterlichem Schweigen" jene Staatshandlungen; die Cessionsakte

wurden im Juli und September 1793 unterzeichnet. Hierdurch aufs äußerste gereizt empörte sich der Volkswille abermals und der KampfeSmut der Patrioten entflammte aufs neue, überall bildeten sich geheime Verbindungen zur Befreiung Polens vom Joche der Fremdherrschaft, und unter dem Deckmantel scheinbarer Ruhe und Zufrieden­ heit mit den neu geschaffenen Verhältnissen, aus deren Anlaß in Warschau sogar glänzende Feste gegeben wurden, glimmte der Funke des Aufruhrs. Während dieser ganzen bemerkenswerten Episode der zweiten Teilung

Polens führte Seume zuerst in Pleökow und dann in Warschau und Grodno ausschließlich allein die gesamte deutsche und französische diplorina wurde.

Diese setzte, als sie Kaiserin geworden war, seine Wahl zum Könige

von Polen 1764 durch.

Jgelström und Seume.

85

malische Korrespondenz zwischen dem General Jgelström und dem Grafen

Ignaz Potocki, dem preußischen Oberbefehlshaber General von Möllendorf

und den übrigen russischen und preußischen Corpsführern, da es im

russischen Hauptquartier an Offizieren fehlte, die zu solchen Arbeiten geeignet waren. Erst als die wichtigste Periode vorbei war kamen im Hauptquartier zwei Franzosen an, ein Militär und ein Civilist,

die ihm die französische Korrespondenz abnahmen. Beide zusammen arbeiteten also kaum die Hälfte von dem, was Seume vorher allein gethan hatte.

Der eine Franzose mit Namen Sion wurde später Major und

Pagenhofmeister in Petersburg. Die deutsche Korrespondenz blieb also in Seumes Händen, ebenso die Ausarbeitung geheimer Aktenstücke, die der

General ihm am liebsten anvertraute. Eine seiner Hauptarbeiten dieser Art war ein Memoire des Generals an den Baron von Siewers, der vor ihm russischer Gesandter in Warschau gewesen war. Dieses Schriftstück ent­

hielt geheime Instruktionen, wie die Diötinen (Provinzialstände-Versammlungen) zum Vorteil der Russen zusammenzusetzen, zu leiten und zu bestechen wären, ein Meisterstück der Kabale, genannt politische Klug­

heit von der einen, und ein Muster von Niederträchtigkeit von der andern Seite. Ein Oberst hatte fünf Tage eben nicht zur Zufriedenheit des Generals daran gearbeitet, so daß dieser es Seumen zum Redigieren geben mußte. Man schloß ihn einige Tage ein, und das Brouillon selbst kam in das Archiv, da es zu einer nochmaligen Abschrift an Zeit fehlte. Niemand außer den unmittelbar Beteiligten hat von diesem Schriftstücke etwas erfahren, und auch später noch, als die Dinge längst veraltet waren, sträubte sich Seumes Gefühl dagegen, über den Inhalt jenes Memoires etwas zu Papier zu bringen. Wie schon hieraus hervorgeht war das Verhältnis zwischen Jgelström und Seume eine Verbindung seltsamer Art. Der alte Hofmann und Soldat war üppig, prachtliebend, sinnlich, klug und verschlagen, aus Diensteifer ein politischer Despot, im übrigen ein fähiger. Offizier, ehr­ geizig und tapfer. Diesem Manne stand Seume zur Seite, wie wir ihn kennen, einfach, rechtschaffen und offen, Seume: der die Wahrheit immer unverhohlen sagte und über die polnischen Angelegenheiten ganz anders dachte als der General und die Kaiserin. Dessenungeachtet bewies ihm Jgelström privatim und öffentlich ein unbegrenztes Vertrauen, die größte

Achtung und ein aufrichtiges Wohlwollen. — „Sie sind noch nicht verpflichtet. Sie haben den Diensteid noch nicht geleistet," sagte er gleich zu Anfang einmal zu Seume, als er ihm einen Brief des Generals v. Möl­ lendorf zur Beantwortung übergab, worin dieser namens seiner Regie­ rung die Piliza als Grenze zwischen Preußen und Polen beanspruchte.

Jgelström und Seume.

86

ehrliche Mann kennt und thut seine

„Der

worauf Seume erwiderte:

Pflicht auch ohne Eid, der Schurke aber wird durch ihn nicht abgehalten."

Diese offenherzige Geradheit liebte der General und suchte sie nicht selten So sprach man einmal in einem Zirkel von Offizieren,

herbeizuführen.

unter denen sich auch mehrere Excellenzen befanden, vom Glückmachen

und Reichwerden. ström an Seume.

„Philosoph, was meinen Sie dazu?" wandte sich Jgel­ „Euer Excellenz", erwiderte dieser,

„wer im oder

durch den Dienst reich wird, der kann nach meinen Begriffen kein streng rechtlicher Mann

sein."

Dieser

stoisch-cynische Satz wirkte wie

ein

Dämpfer auf die Gesellschaft, unter der sich einige Persönlichkeiten befan­

den, die der Meinung nach unter diese Rubrik der Reichgewordenen zählten. Der General bemerkte vermittelnd, daß durch die Gunst des Hofes doch

Vorteile gewährt werden könnten, die auch in einer Staatsstellung offen

und ehrlich wären und führte Beispiele von außerordentlichen Belohnungen an. Seume aber fuhr unbeirrt fort: „Diese gehören nicht zum Dienst und sind auch selten Folgen des Dienstes.

Der Staat besoldet seine Diener

nur so eben anständig zum Leben, durch Ersparnis kann wohl etwas

zurückgelegt werden für Tage der Rot, daraus entsteht aber kein Reich­ tum.

Alle übrigen Vorteile gehören streng genommen dem Staate und

nach Herkommen dem Geschäftsmann, nie aber dem Staatsdiener, dessen

Seele die Ehre sein soll!" im Gespräch.

Man nahm geschickt eine andere Wendung

Beim Fortgehen sagte der General Bauer zu Seume:

„Mensch, reitet Sie denn der Teufel, daß Sie solche Dinge sagen können?"

„Warum," fragte Seume, „ist es denn nicht wahr?" „Ei freilich ist es wahr, aber wie zum Henker kann man so etwas öffentlich sagen?" „Eben

weil es wahr ist, es wurde mir ja abgefragt." „Auf diese Weise werden Sie Ihr Glück nicht machen." immer gemacht!" —

„Ist weiter nicht nötig, mein Glück ist

Derartige

Scenen

kamen öfters vor.

Einmal

stritt Jgelström lange mit Seume, der behauptet hatte, es könne die Wohlfahrt in Rußland nicht eher gedeihen, bevor nicht die Personalfreiheit

dort durchgängig eingeführt und gesetzlich geschützt sei, und sagte dann schließlich halb überzeugt zu ihm: „Mon eher, wenn ich Sie nach Peters­ burg schicke, so sind Sie in einem Jahre Minister oder Sie haben sich

um Ihren Kopf gesprochen!" — „Weder das eine, noch das andere. Euer Excellenz," erwiderte Seume, „denn man läßt, denkt man dort,

den Narren reden, und macht er's zu toll, so giebt man ihm mit einigen

Kosaken das Consilium abeundi." — Durch die Vertrauensstellung,

die Seume bei dem General ein­

nahm, wuchs nicht nur sein Ansehen unter den Offizieren des General­

stabs, sondern es wurde auch in ganz Warschau bekannt, daß der kleine

Auf Urlaub in Leipzig.

Legationssekretär bei seinem Chef viel galt.

87

Kein Wunder, daß man

sich ihm mit mancherlei Anliegen näherte und ihn auch für gewisse, un­ redliche Spekulationen zu gewinnen suchte, wie dies u. a. ein Jude that,

den Seume gegen eine hübsche Summe von Dukaten als Entgelt bei dem

Verkaufe eines alten Magazingebäudes begünstigen sollte.

Solche An­

schläge scheiterten aber alle an Seumes Uneigennützigkeit und Redlichkeit, so daß man sehr bald einsah, daß auf diese Weise nichts mit ihm anzu­

fangen war. Nachdem sich die zweite Teilung Polens durch die militärische Be­

setzung der annektierten Provinzen vollzogen hatte, und in dem dieserhalb

gepflogenen diplomatischen Notenwechsel eine Ruhepause eingetreten war, schickte der General gegen Ende Mai 1793 Seume den Sommer über

auf Urlaub nach Leipzig mit der Weisung, bei seiner Rückkehr nach

Warschau seinen ehemaligen Zögling, den jungen Grafen von Jgelström mitzubringen, der alsdann unter den Augen seines Oheims als Offizier

oder Diplomat seine Staatskarriöre beginnen sollte.

Freudigen Herzens

eilte Seume den Gefilden seiner Heimat zu, wo ihn Mutter und Schwester und Freunde mit offenen Armen empfingen.

In dem schönen Bewußtsein,

nicht unwichtige Dienste geleistet und sich die Achtung und Gunst seiner

Vorgesetzten erworben zu haben, fand er hier nun hinlänglich Muße, von den Anstrengungen der letzten Zeit auszuruhen und auch litterarisch wieder thätig zu sein. So verfaßte er während dieses Urlaubs in Leipzig u. a. seine dem General Jgelström gewidmete Abhandlung „über Prüfung und

Bestimmung junger Leute zum Militär", der er im Anhänge das S. 72 schon erwähnte Gedicht „über Glückseligkeit und Ehre" beifügte. Dieses

ist dem russischen Staatsmann Otto Magnus Grafen von Stackelberg

gewidmet, der zur Zeit der ersten Teilung Polens russischer Bevollmäch­ tigter in Warschau war.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Seume die

Anregung zu diesem Gedicht durch das auf der vorigen Seite mitgeteilte

Gespräch über das „Glückmachen" erhielt, wobei er sich so rückhaltlos über

Beamtenehre geäußert hatte. In längerer philosophischer Betrachtung sucht er darin nachzuweisen, daß das Streben nach Glück und Ehre, — in letzterer glaubten die Meisten ihre Glückseligkeit zu finden, — im Grunde nur das menschliche Sehnen nach dem Übersinnlichen sei, nach dem wir

hier vergeblich forschten, denn, sagt er am Schluffe: „Dort hängt vor uns der Vorhang ausgedehnt, Und hinter ihm liegt, fürchterlich verborgen, Auf Gottes Urbegriffe festgelehnt. Noch Etwas, dem, wie dem BerklämngS-Morgen, Die Menschheit sich entgegensehnt." —

Brief au Schiller.

88

Die 1793 bei P. Dufour in Warschau gedruckte Schrift „über

Prüfung und Bestimmung junger Leute zum Militär" (Hemp. Ausg. X. S. 181 ff.) umfaßt mit dem Gedicht 80 Seiten. Sie trägt das Motto: „Tn ne cede malis, eed contra audentior ito“, ist mit Begeisterung für

den als notwendig anerkannten Kriegerstand, vieler Originalität und einer gewissen soldatischen Derbheit geschrieben. Das darin Gesagte hat bis auf den heutigen Tag vollste Gültigkeit. Rezensiert ist dieselbe in den „Neuen Leipziger gelehrten Anzeigen", von 1794, 1. Qu. S. 8. Auch an Schiller sandte Seume wieder einige Beiträge für die

„Thalia".

Der Begleitbrief lautet:

„Verehrungswürdiger Mann, Ihr Name schafft Ihnen diese Last, daß Sie vielleicht oft von Wildfremden Briefe lesen müssen, an denen nur den Schreibern gelegen sein konnte. Meine Freunde haben mir gesagt, daß Sie die Güte gehabt haben, meine Abschiedsverse an meinen alten Kameraden von

Münchhausen), der jetzt bei der Rheinarmee steht, in Ihre Thalia ein­ zurücken. Ihre Gefälligkeit ist mir Bürge, daß ich einige Höflichkeiten, die man mir deswegen gesagt hat, nicht ganz auf Rechnung der Freund­ schaft zu setzen habe; denn Sie würden, so sehr ich auch Nachsicht be­ darf, zur Ehre Ihres Namens und zum Vortheile des Publikums gewiß nicht ein Stück ausgenommen haben, das alles Verdienstes ermangelte. Jetzt lebe ich als russischer Soldat von aller Gelehrsamkeit und allem Umgänge mit den Musen losgerissen, aber die alte Erbsünde sitzt doch so fest, daß sie gelegentlich immer wieder ausbricht. Ich überreiche Ihnen also, Herr Hofrath, inliegende Stücke zu beliebiger Disposition. Dieselben sind sehr flüchtig und haben manche Härten, und das letzte vorzüglich bedarf der Feile. Diese aber wird mir sehr schwer, da ich lieber ganz neu arbeite als ausputze. Ich erkenne den Fehler. Wenn Sie die Güte haben sollten, sie drucken zu lassen, so wünsche und bitte ich, daß Sie wenigstens unter das zweite meinen Namen nicht setzen.

.

Denn wenn Sie es unter meinem Namen in die Welt schickten, so wäre es doch möglich, daß Sie mich zugleich mit nach Sibirien schickten. Ich bin von den Wahrheiten überzeugt, und würde sie, wenn ich Nutzen sähe und die Pflicht hätte, auf die Gefahr meines Kopfes laut sagen, aber beides ist wohl jetzt nicht der Fall, und ich sehe nicht ein, warum

ich die Gefahr auffordern sollte. Ich schrieb es in Warschau im Vor­ zimmer des kommandierenden Generals an einem Tage, als Polen und

Russen gemeinschaftlich, weiß der Himmel mit welcher Mischung von

Brief an Schiller. — Gedichte für Schillers „Thalia".

89

Gefühlen, das vollbrachte Werk der Theilung feierten.

Meine Theil­

nahme habe ich gemalt. Die Data sind jedem, der den Norden nur einigermaßen kennt, nicht fremd. Der General hat mich hierher ge­ schickt, wo ich einige Wochen bleiben werde, um sodann wieder zur Armee nach Polen zu gehen.

Wie gern bezeugte ich Ihnen persönlich

meine Hochachtung, wenn es mir nur meine Verhältniffe erlaubten. Vielleicht bin ich noch so glücklich. Es ist Ihnen gewiß nichts Neues, daß man Ihnen aus entfernten Gegenden Danksagungen für die Unter­ haltung schickt, die Sie allen von Gefühl und Geschmack gewähren, aber aufrichtiger als meine und meiner nordischen Freunde kann keine sein. Wir haben Ihren Carlos auf dem Peipus mit eben so viel Wärme gelesen, als unter und um uns Kälte war, und in Pleskow habe ich ihn als Lieblingsbuch in der Sammlung einiger Russen gesehen. Der Vorfall, den ich in dem Wilden beschreibe, ist mir im letzten Kriege von einigen sicheren Leuten als gewiß erzählt worden, mit dem Zusatze, daß der Pflanzer ein Deutscher war. Von der Bravheit und Gutmüthigkeit dieser Indianer bin ich oft selbst überzeugt worden, und ich könnte manchen nicht unwichtigen Charakterzug von ihnen liefern.

Wenn Sie das zweite Stück

sollten einrücken lassen, so wünschte

ich nicht, daß Sie von der Stanze: „Mit umglühter heißer Stirne" bis zu den Worten: „der in Philosophenschädel fiel" — nur eine Zeile ausließen, oder eine wesentliche Veränderung machten, weil — es meine Lieblingsideen sind. Die übrigen Passagen sind mir weit gleichgültiger. Wenn Sie diese Denkungsart meiner jetzigen Lage an­ zupassen suchen, so werden Sie finden, daß sie für einen russischen Offizier ziemlich heterogen ist. Ich thue gewiß meine Pflicht als ein braver Mann, ohne mich mit vielen Gedanken zu quälen, und tröste mich mit quod quis per alium, aber den Menschen kann ich doch nicht immer unterdrücken. Verzeihen Sie meiner weitläufigen Zudringlich­ keit. Ich schließe mit der Versicherung der aufrichtigsten Verehrung. Leipzig, d. 5. Juni 1793.

Ihr gehorsamst ergebener Seume." Das diesem Briefe beigefügte allbekannte Gedicht „Der Wilde" er­ schien im dritten Bande der „Neuen Thalia", 1793, S. 265 ff. (Hemp. Ausg. V. S. 59 ff.), während das andere mitgesandte Stück „Elegie auf einem Feste zu Warschau" (Hemp. Ausg. V. S. 62 ff.) von Schiller jedenfalls aus politischen Rücksichten nicht veröffentlicht

Bekanntwerden mit Schnorr v. Carolsfeld.

90

wurde. Ferner erschien noch in demselben Bande der „Neuen Thalia", S. 284 ff., Seumes Gedicht „über Gefühl", das er später erweiterte und unter der Überschrift „Über Gefühl, Apologie an Münchhausen", al» Antwort

1. Bd.

auf deffen Gedicht „Nachruf an Seume" zuerst Obolen

S. 123 ff. veröffentlichte.

(Hemp. Auög. V. S. 216 ff.) Vergl.

S. 77 f. — Auch das Gedicht „Mein Geburtstag" (Hemp.

Ausg. V.

S. 110 ff.) war Anfang 1793 bei Vollendung feines dreißigsten Lebens­

jahres entstanden. Während dieses Urlaubs in Leipzig machte Seume die Bekanntschaft

des Malers Veit Hans Friedrich Schnorr von Carolsfeld *), mit dem er später so eng befreundet wurde.

Schnorr schildert sein Bekanntwerden mit Seume

in dem Manuskript seiner „Anmerkungen und Zusätze zur dritten Auf­ lage des Spaziergangs nach Syrakus", das aber nur zum Teil gedruckt

worden ist.

Die betreffende bisher noch ungedruckte Stelle lautet:

„Seumes Name wurde mir zuerst durch jenes Gedicht „Abschied

an den Herrn von Münchhausen" bekannt, als es in der Thalia ab­

gedruckt erschien.

Die Sprache kündigte mir einen genialen, kraftvollen

und interessanten Menschen an, meine Phantasie erschuf mir sogleich

ein Bild, und es beseelte mich seit diesem Moment ein inniges Ver­ langen, Seume persönlich kennen zu lernen.

Nach einem Jahre brachte

mir einer meiner Bekannten die Nachricht, daß er den Verfasser jenes

Gedichts im Theater gesehen, und gehört habe, er werde sich einige Zeit hier aufhalten. — Mein Wunsch, ihn zu sehen, ward bald er­

füllt.

Seume begegnete mir im Rosenthale, und eine vorhergegangene

Beschreibung seiner Person ließ mich ihn sogleich erkennen. Ich redete ihn

sogleich auf der Stelle an: Sind Sie Seume? „So ist mein Name", ant­ wortete er im tiefen Baßton und mir scharf ins Gesicht schauend.

Ich

bin ein Künstler, fuhr ich fort, habe Ihr Gedicht „Der Abschied an

Münchhausen" gelesen, und seitdem war und blieb es mein innigster

Wunsch, Sie persönlich kennen zu lernen, mein Name ist Schnorr. Seume hörte mich mit ernster Miene, doch nicht ohne den Ausdruck eines

angenehmen Gefühls an.

Ich höre, fuhr ich fort, daß Sie oft diesen

Gang machen; ich wohne in Gohlis, und würde mich freuen, wenn Sie mich einmal besuchen wollten. — „Das kann geschehen", erwiderte *) Schnorr war am

11. Mai 1764 in Schneeberg geboren, hatte in Leipzig

die Rechte studiert und sich dort als Notar niedergelassen.

Beruf, um sich der Kunst zu widmen.

Bald verließ er diesen

Er ging 1788 nach Königsberg und von da

1789 nach Magdeburg, wo er Lehrer an der Handelsschule war, kehrte aber schon 1790 nach Leipzig zurück. Hier wurde er ein Schüler Ösers.

91

Rückreise nach Warschau. — Brief an Schnorr.

Seume, und unsere Bekanntschaft und ich glaube sogar unsere Freund­ schaft war gemacht.

Am dritten Tage darauf trat er mit den Worten

bei mir ein: „Sie haben erlaubt, — hier bin ich I" — Diese schöne Abendstunde brachte uns Beide sehr bald einander näher, wir wurden Freunde und

blieben

in Freundschaft zugethan.

uns unwandelbar

Seume kam öfters und kam endlich, um Abschied zu nehmen.

Das

that mir sehr leid! Einen solchen kräftigen Mann hatte ich lange nicht

kennen gelernt."

Im

reiste

September

Seume

mit

seinem

Schutzbefohlenen nach

Betreffs des Letzteren enthält das Leipziger gelehrte Tage­

Warschau ab.

buch" auf d. I. 1793, S. 108, folgende Notiz: „Von hier sind weg­ gegangen Herr G. O. A. Graf von Jgelström nach Rußland."

Eine Reise von Leipzig nach Warschau zu jener Zeit gehörte nicht gerade zu den besonderen Annehmlichkeiten, selbst auch dann nicht, wenn

man wie Seume in diesem Falle die Entfernung von fünfundneunzig

deutschen Meilen in einer gräflichen Reisekutsche mit Extrapostpferden Zur außerordentlichen Strapaze

zurücklegen konnte.

aber

wurde eine

solche Fahrt in der „gelben Kutsche" oder dem „gelben Krokodil", wie der Volksmund den Postwagen nannte, der das einzige derzeitige Be­ förderungsmittel für weniger Begüterte war. unmittelbar auf den Achsen

geräumiger,

Es war dies ein ziemlich

ruhender Rumpelkasten,

in

welchem die ungepolsterten Sitzbretter mit Riemen an den Seiten be­ festigt in der Schwebe hingen, um so die Wirkung der beim Fahren

auf den schlechten Straßen vorkommenden oft fürchterlichen Stöße einiger­ maßen abzuschwächen.

Die Poststraße von Leipzig nach Warschau führte

über Eilenburg, Torgau, Großenhain, Kamenz, Bautzen, Görlitz, Breslau, Kempen, Petrikau, Rawa u. s. w. —

Bald nach seiner Ankunft in Warschau richtete Seume an Schnorr einen Brief, aus dem hervorgeht,

daß auch Seume überzeugt war, in

dem neu erworbenen Freunde einen Charakter gefunden zu haben, der dem

seinigen

begegnete.

in dem

tiefen Gefühle

für Redlichkeit

und

Rechtlichkeit

Der Brief lautet:

„Lieber Freund Schnorr!

Schon unsere kurze Bekanntschaft hat mir ein Recht auf diese vertrauliche Anrede gegeben.

Ich glaube. Sie sind ein echt redlicher

braver Mann; und wer, zum Geier, glaubt nicht das nämliche von sich selbst; und da Sie nun, wie Sie mich versicherten, eben so von

mir denken,

warum sollten wir nicht Freunde sein, ohne uns um

Brief an Schnorr.

SS

Cicero und seinen Scheffel Salz zu bekümmern. Das arme Menschen­

leben ist ja so kurz, und wir sollten noch einen so großen Theil mit misanthropischen Griesgrämeleien verderben? Wie leben Sie? Wie stehts an der Elbe, Pleiße und Saale? Gehts auch so schnackisch, als an der Weichsel und am Dnjepr? Ich glaube wahrlich, ich habe ein Stück Heimweh, trotz einer echten Schweizerseele. Zwar schmeckt mir der Braten recht gut; aber es giebt doch manche liebe Viertelstunde,

wo ich mitten unter dem Geräusche einsam im Rosenthals und in den väterlichen Fluren herumschwärme, bis mich ein freundlicher schwarz­ brauner Ruffe bei der Hand faßt und mich recht herzlich wieder an den Bug versetzt. — Trösten Sie Sich; ich befinde mich doch recht wohl; ich bestätige nur das alte dulcis patriae fumus. Ist aber das auch bei mir ein Wunder, da ich in Ländern lebe, wo drei Viertel

der Nationen noch im Huronenpelze leben. — Aber genug davon. Ich schicke Ihnen hier eine Kleinigkeit*), die ich Ihrer und meiner Freunde Nachsicht empfehle.

Ich bin bei der Wiederdurchsicht sehr übel mit

dieser Geistesgeburt zufrieden; und es scheint fast, als ob meine Seele an den Weichselzöpfen krank läge. — Eingeschlossene Briefe haben Sie

wohl die Güte zu bestellen, und jedem der Herren ein Exemplar zu geben. Die übrigen mögen sich mit Gruß und Kommunikation behelfen. Ich bin so ein armer Dorfteufel und so faul, wie ein Stockepikuräer, daß Zeit und Geld höchst rar ist. Wissen Sie, wenn ich so an einen Freund schreibe, mit dem ich recht bieder sein kann, so will meine ganze Seele aus dem alten Tornister fort und hin zu ihm, und jede Fingerspitze ist Ungeduld, so daß die guten Leute dann oft buchstabieren und dechiffrieren müssen, anstatt meinen Brief zu lesen; und das wird jetzt der Fall sein. Sagen Sie mir doch, ist es Ihnen zuweilen auch so? Briefe mit schönen Schriftzügen habe ich von meinen Freunden nicht gern, haec mea excusatio 1

Grüßen Sie alle, alle, die mein gedenken, Heydenreich, Klaußing, Weiße, Göschen, rc. rc., denn ich denke, daß sich meiner doch noch mehr erinnern werden. Ihrem lieben Weibchens melden Sie geflissentlich meine Hoch­

achtung. Sie müssen durchaus ein großer Künstler werden, denn Sie haben enthusiastisch glücklich geheirathet. Wenn ich ein Nebengeschöpfchen

dieser Art in meinem Vaterlande fände, so könnte ich wohl auch noch *) Seme Schrift: „Über Prüfg. u. Bestimmg. jung. Leute z. Militär", vergl. S. 88. 2) Christiana Juliana Schnorr, geb. Lange, geb. 23. Oktober 1766 in Leipzig.

Leben in Warschau.

93

Buße thun et numen agrascere. Aber da habe ich Dummkopf nun nichts gelernt, ein Weib zu ernähren! Und noch dazu Buben! Küssen

Sie die Ihrigen in meinem Namen. Leben Sie wohl! Warschau, den 18. Oktober 1793.

Ihr Freund Seume." In Warschau trat Seume wieder in seine dienstlichen Funktionen

ein und ließ sich im übrigen das heitere Wohlleben im Hause des Generals Jgelström recht wohl behagen. Der Ton an der Tafel

war ungezwungen, heiter, interessant und witzig. Nicht selten fochten die dort anwesenden Offiziere mit Epigrammen gegen einander, da sich mehrere unter ihnen befanden, die unbeschadet ihrer militärischen Tüchtigkeit auch mit den Musen vertraut waren und die schönsten Verse ans dem Stegreif machen konnten. Unter den jüngeren Offizieren glänzte vornehmlich der mit Seume angekommene junge und schöne Graf von Jgelström, welcher, eben so mutig als geistreich und gut, sich vorzüglich an Seume anschloß, in dem er den ehemaligen Instrukteur noch immer dankbar verehrte. Übrigens wußten damals Viele nicht, was sie aus

Seume machen sollten, wenn er im schlichten Oberrock von seinem Schreib­ tische weg durch das Vorzimmer eilte, wo vornehme Polen und Russen auf Audienz warteten, und unangemeldet beim General eintrat, um diesen über etwas zu befragen. Man hielt ihn da manchmal für einen Dome­ stiken und behandelte ihn herablassend, Seume dagegen die Betreffenden ohne Komplimente wie seines Gleichen. Noch sonderbarer kam ihnen der Mann vor, wenn sie ihn nachher an der Tafel mitten unter sich sitzen sahen, der General ihn nicht anders als mon eher nannte und ihm wohl auch ein seltenes Gericht nochmals reichen ließ, von dem er wußte, daß Seume es gern aß. Diese Erscheinung war ihnen ein Räthsel,

das sie

manchmal aus dem Takt brachte

und dessen Auflösung oft

komisch wirkte. Inzwischen hatten sich die Anzeichen vermehrt, die auf einen kommenden Sturm deuteten, und man sah in Warschau der weiteren Entwicklung der Dinge mit Besorgnis entgegen. Der General hatte von

den allenthalben entstandenen politischen Verschwörungen Kenntnis erhalten und war, die Bedenklichkeit seiner Lage in Warschau erkennend, in Peters­ burg um Truppenverstärkung eingekommen. Dort hielt man aber die Sache für nicht so ernst und glaubte durch andere Maßregeln besser und bequemer wirken zu können. So ließ die Kaiserin Katharina durch den König Stanislaus August IV. PoniatowSki,

der nur ein willenloses

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Ausbruch deS Aufstandes in Polen. — TadeuSz KoSciuSzko.

Werkzeug in ihrer Hand war, die sofortige Reduktion der polnischen Nationaltruppen auf etwa die Hälfte ihrer bisherigen Stärke anordnen,

während sie bereits zuvor im Conseil permanent der polnischen Nation ihren Unwillen darüber hatte aussprechen lassen, daß der Reichstag Offi­ zieren des letzten Feldzuges gegen Rußland das Tragen des 1792 errich­ teten Militärordens mit der Inschrift „Virtuti militari“ erlaubt hatte.

Eine Verminderung des polnischen Heeres schien geboten, da das Reich bei der zweiten Teilung seine ansehnlichsten Provinzen verloren hatte, doch hätte man damit weniger gewaltsam vorgehen sollen, wenn man den auf­

geregten Volksgeist nicht noch mehr herausfordern wollte. Schon hatte sich ohne sonderliche Unruhen die Reduktion an der Warschauer Garnison

vollzogen, und die Reihe sollte nun an die Brigade Madalinski kommen, die in der Gegend zwischen Ostrolenka und PultuSk stand. General Madalinski protestierte aber dagegen, und als er sah, daß man Gewalt gegen ihn anwenden wollte, pflanzte er am 12. März 1794 zuerst die Fahne des Aufruhrs auf, marschierte mit seiner Brigade ab und fiel in Preußen ein. Darauf erklärte sich auch der General Wodziki in Krakau für die Aufständigen und ließ am 24. März den aus Leipzig herbeigeeilten berühmten polnischen Anführer TadeuSz KoSciuSzko *) zum Generalissimus

der polnischen Revolutionsarmee ausrufen, der nunmehr die Insur­ rektion von ganz Polen aussprach. Die Insurrektions-Akte enthielten als eigentlichen Zweck des Aufstandes die ausdrückliche Erklärung: „Polen von fremden Truppen zu befreien, die Totalität der Grenzen wieder her­ zustellen und dieselben zu sichern, alle fremde und einheimische Übergewalt und Usurpation auszurotten und die Nationalfreiheit zugleich mit der Unabhängigkeit der Republik zu begründen." In Warschau verursachten diese Vorfälle die größte Erregung bei

den Russen sowohl als auch bei den Polen, deren Erwartungen sich auf's höchste spannten. Der General Jgelström bestürmte sogleich den König und das Conseil permanent, gegen diesen Aufruhr die nachdrücklichsten

Maßnahmen zu treffen, und er selbst griff zu den stärksten Mitteln, die ihm augenblicklich zu Gebote standen, um die heraufziehende Gefahr zu

bekämpfen. Er entsendete die Generale Tormasow und Rachmonow mit

einigen in Warschau entbehrlichen Bataillonen Infanterie und einigen Schwadronen Reiterei, zu denen noch der Generalmajor Denisow mit ]) KoSciuSzko war am 12. Februar 1746 im Palatinal Nowogrodek geboren und von adeliger, aber armer Herkunft.

In Warschau und Versailles zum Offizier

ausgebildet, hatte er schon als Oberst im Nordamerikanischen Befreiungskriege gegen die Engländer gefochten.

Seinen KriegSruhm begründete er am 17. Juli 1792 bei

Dubienka gegen die Russen.

Bergl. S. 84.

KoSciuSzkos Sieg. — Bedrängte Lage der Russen in Warschau.

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seinen Truppen stieß, in die Gegend von Krakau, wo sich Kosciuszko zu

konzentrieren begann. Das CorpS desselben war auf ungefähr 8000 Mann angewachsen einschließlich der Sensen- und Pikenträger. General Denisow, der den russischen Oberbefehl führte, verzögerte aber den An­ griff, und als infolgedessen Kosciuszko ihm ausweichen und nach Warschau marschieren wollte, manövrierte der General Tormasow, der ihm den Weg dahin verlegen sollte, so unglücklich, so daß er am 4. April bei

Raclawice völlig geschlagen wurde, wobei die Russen 600 Tote und Ver­ wundete und zwölf Geschütze verloren. Dieser Sieg Kosciuszko» war

das Signal der allgemeinen Freude und der nationalen Begeisterung, die nun auch in Warschau offen hervortrat. Die dortigen Bürger hatten gegen die Bedrückung der Russen einen um so größeren Haß, als sie die Wirkungen der großen Strenge, womit der General Jgelström vorzu­

gehen gezwungen war, aus nächster Nähe empfanden. Auch hatte die Revolutionepartei stetig dafür gesorgt, den Volkshaß zu schüren, war es durch aufreizende Reden, durch anzügliche Gassenhauer, oder durch politische Tendenzstücke int Theater, wie z. B. durch die von dem polni­ schen Schauspieler und Bühnendichter Adalbert Boguslawski

verfaßte

„Krakowina", ein Singspiel mit Ballet, das mit seiner schwärme­ rischen Musik und seinen volkstümlichen Gesängen zum Enthusiasmus hinriß. Als Jgelström die Aufführung verbot, hatte das Stück seine Wirkung schon gethan. Ein dumpfes Murren lief durch die Hauptstadt, dann wurden die Schmähschriften häufiger und kecker, und bald fing man an laut zu drohen. Zugleich verbreitete man die unglaublichsten Ge­ rüchte über Massakres, welche die Russen der Warschauer Einwohnerschaft zugedacht zweifelten Der Lage der die nun

haben sollten, und so trieben Haß und Furcht zu einem ver­ Befreiungskämpfe. General Jgelström mochte wohl erkannt haben, daß er nach Dinge Warschau nicht werde halten können, da die Truppen, aus entfernteren Provinzen zu seiner Unterstützung herbei

eilen sollten, kaum erst ausgerückt sein konnten, und die preußischen Grenzcorps an sich zu schwach waren, um größere Detachements abgeben zu können. Er beabsichtigte daher mit der Warschauer Garnison nebst dem an der Piliza stehenden Corps des General Grustchow und dem preußischen Grenzcorps des Generals von der Trenk, dem polnischen Revolutionsheere unter Kosciuszko, sobald es sich Warschau nähern würde, entgegen zu gehen und selbst mit ihm zu schlagen. Alles war zum Ab­ marsch fertig; die Bataillone waren seit vier Wochen nicht aus dem Lederzeug gekommen, und Seume hatte mit den übrigen Offizieren des Generalstabs schon seit vierzehn Tagen des Nachts auf dem Fußboden

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Straßenkampf in Warschau.

im Vorzimmer des Generals schlafen müssen, um bei einem Alarm so­ gleich bei der Hand zu sein. Dennoch sollte der Sturm eher losbrechen

als man erwartet hatte.

Jgelström hatte im Geheimen beschlossen, bei

der Räumung Warschaus das beträchtliche Kriegsmaterial des Arsenals mit sich hinweg zu führen, was jedoch ohne Überrumpelung der Besatzung

nicht geschehen konnte, , weil diese lediglich aus polnischen Nationaltruppen bestand. Dieser vermutlich auf Charfreitag, den 18. April 1794, ge­ plante Handstreich wurde aber verraten, und die Verschworenen kamen dem Anschlag zuvor. Mit Tagesanbruch des 17. Aprils verkündigte der Donner der Geschütze den Beginn der furchtbaren Schreckensscenen, die sich innerhalb zweier Tage in Warschau abspielen sollten. Eine Abteilung des Mir'schen Reiterregiments überfiel zuerst einen russischen Posten von

zwei Geschützen unweit des sächsischen Palastes, hieb die Leute zum größten Teil nieder und vernagelte die Geschütze, während andere polnische Ab­ teilungen die Verbindung zwischen den übrigen russischen WachtkommandoS geschickt abschnitten. Von polnischem Militär standen etwa 4000 Mann in Warschau, von den Russen dagegen 5500 Mann; dessenungeachtet erhob sich innerhalb weniger Stunden die ganze Stadt. Die Polen öffneten das Arsenal, führten ihre zahlreiche, ziemlich gut bediente Artil­

lerie heraus und bewaffneten die Bürger, von denen sich über 20000 Mann an dem Kampfe beteiligten. Seume hatte mit dem Generalquartiermeister Pistor während der ganzen vorhergehenden Nacht über den Landkarten und der Ausarbeitung von Marschdispositionen gesessen, bis der erste Kanonenschuß unter ihren Fenitern fiel; dann griffen auch sie zum Degen. Das russische Minister­

hotel war mit einer starken Abteilung des Grenadier-Regiments besetzt, dem Seume angehörte. Zu den Grenadieren begab er sich nun und stand bald mit ihnen im Feuer. Das Gefecht dauerte mit abwechseln­ dem Glück den ganzen Donnerstag. Seume schreibt darüber:

„Eine offene Feldschlacht ist nach dem Zeugnis aller alten Offiziere ein Spielwerk gegen eine solche Mönchsklepperei, wo der ehrliche Kerl

aus dem Winkel niedergeschossen wird, ohne einen Feind zu sehen.

Die Schüsse flogen von den Ecken, aus den Kellern, aus den Fenstern, über die Mauern, von den Dächern, von unten und oben und von allen Seiten und überall war Tod, und Niemand zeigte sich. Unge­ fähr siebzig Kanonen von verschiedenem Kaliber arbeiteten ohne Aufhören durch die Plätze und Gassen der Stadt; bald drängten die Russen, bald die Polen. Das Rikoschet der Kartätschen raffelte grell von einer Mauer zur anderen und schlug nieder, was die geraden Kugeln

97

Stratzenkampf in Warschau.

nicht fassen konnten. Schon waren die Straßen mit Leichen bestreut. Man konnte schon deutlich sehen, daß wir uns unmöglich würden halten können." Am Donnerstag Nachmittag waren die Polen in das Hintergebäude

des Ministerhotels, das der Ingenieur-General von Suchtelen verteidigte, schon einmal eingedrungen, aber bald daraus wieder vertrieben worden. Gegen Abend erneuten sie den Angriff von allen Seiten, und die Lage der Russen wurde mit jedem Augenblicke bedrängter, zumal der General Nowitzky mit mehreren russischen Bataillonen etwas zu früh aus der Stadt gegangen war. Der General Jgelström sah sich daher bald von jeder Verbindung mit seinen noch kämpfenden Abteilungen abgeschnitten und in seinem Palast, dessen Thore und Fenster von innen verrammelt worden waren, förmlich belagert. Die Nacht brach an, das Postengefecht aber dauerte fort.

Seume erzählt:

„Die Nacht war furchtbar schön.

Der Himmel schien sie gemacht

zu haben, um den Menschen Spielraum zu ihrer Thorheit zu geben; mit glänzender Ruhe blickte der Mond auf den Wahnsinn der Elenden herab. Die beiden Abende werden lange, vielleicht immer ihr Bild in meiner Seele lassen; es ist groß und schrecklich. Der ferne und nahe Donner der Stücke, der sich fürchterlich dumpf durch die Straßen brach, das Geklärter der kleinen Gewehre, der hohle Ton der Lärm­ trommeln, der Todtenlaut der Sturmglocken, das Pfeifen der Kugeln, das Heulen der Hunde, da» Hurrahgeschrei der Revolutionäre, das Klirren ihrer Säbel, das matte Ächzen der Verwundeten und Sterben­

den, man nehme dieses alles in der tiefen, Hellen, herrlichen Mitter­ nacht und vollende das Gemälde nach dem eigenen Gefühl. Ich ver­

gaß unter der Größe de« meinigen der Gefahr, und freute mich einige Augenblicke, bei der schaurigen Scene gegenwärtig zu sein." Von Seume erzählte man bald nach jenen Ereignissen eine Anekdote,

die selbst in Petersburg die Runde machte. Er habe in Warschau, so hieß e«, während des Straßenkampfes im Feuer gesessen und den Homer gelesen.

Seume sagt hierüber:

„Das wäre denn unbedingt sehr albern und bloßer Firlefanz gewesen. Die Sache war, das Gefecht dauerte siebzehn Stunden, wir wurden vertrieben und vertrieben wieder. Es war abwechselnd ernst­

haft und langweilig.

Auf einem solchen Posten, wo wir in Ruhe

ziemlich sicher standen, soviel die Umstände litten, saß ich in einer Mauernische, die Grenadiere standen neben mir unter dem Thorwege; Planer u. Rcibmann, Seume.

7

98

Straßenkampf in Warschau.

nur Rikoschetschüsse konnten uns treffen, die höchst unsicher sind; ent­ fernen durfte ich mich nicht; da las ich denn vielleicht ein Viertel­

stündchen oder ein halbes Stündchen in einem Buche, das ich bei mir trug. Ein Grieche war es, ob es aber Homer war, weiß ich nicht

gewiß.

Einige Kameraden fanden mich so."

In der Nacht zum Freitag gab der General Jgelström selbst die Hoffnung auf, sich länger halten zu können. Die Zeit zu einem glück­

lichen Rückzüge aber war verstrichen, man konnte nur noch auf Rettung bedacht sein. Um über den Abmarsch mit dem General Mokronowski, dem Höchstkommandierenden der Polen in Warschau, zu unterhandeln, schickte Jgelström mehrere Offiziere als Parlamentäre an diesen ab, aber

keiner kehrte zurück.

Die Insurgenten hatten sie entweder niedergemacht,

bevor sie ins polnische Hauptquartier gelangten, oder sie wurden dort aus Besorgnis zurückgehalten. Dem General blieb daher nichts übrig als sich mit Gewalt einen Weg ins Freie zu bahnen.

Er hatte noch bis

Freitag Nachmittag im engsten Handgemenge selbst mitgefochten, und ©turne, der immer dicht bei ihm stand, war Zeuge, als ihm zweimal das Pferd unterm Leibe erschossen, sein Nock von Kartätschen durchlöchert und sein Stock zerschlagen wurde. Später erhielt er eine Verwundung im

Gesicht. Mitten im Gefecht wandte er sich einmal zu Seume: „Mon eher, que deviendrons-nous ?“ Dieser antwortete gelassen: „Votre Excellence, nous serons tu6s ou pris,“ worauf der General sagte: „Mon eher, vous radotez“ und vorwärts sprengte. Er wußte nur zu gut, daß Seume nicht faselte; der Ausgang hat es gezeigt. Jgel­ ström entkam mit nur wenigen Leuten wie durch ein Wunder. Er hatte alle noch kampffähigen Mannschaften, etwa vierhundert Grenadiere, ge­ sammelt, um mit ihnen einen verzweifelten Vorstoß gegen den.heran­ drängenden übermächtigen Feind zu unternehmen. Alles sollte niedergeftoßen werden, waö vor das Bajonett kam. Die Grenadiere formierten sich vor und in dem Thorwege und im Hofraume des Ministerhotelö zu Sturm­ kolonnen, und der General wartete nur noch auf einen geeigneten Moment, um mit ihnen hervorzubrechen. Diese Pause benutzte Seume, um einen Freund, der schwer verwundet nebenan im gräflich Borch'schen Palast lag, noch auf einige Augenblicke zu sehen und ihm Lebewohl zu sagen. Obschon dies nur wenige Minutm in Anspruch genommen hatte, so war doch inzwischen der Befehl zum Angriff gegeben worden; die Grenadiere

hatten sich im Geschwindschritt auf die erschrocken zurückweichenden Polen gestürzt, und als Seume ihnen nacheilen wollte, kam ihm schon eine Schar von Insurgenten entgegen, die ihn in das Borch'sche Palai- zu-

99

Niederlage der Russen in Warschau.

rücktrieb. Hier flüchtete er auf einen der obersten Dachböden und rettete sich glücklich durch ein Versteck hinter einem Bollwerk alter Fässer vor seinen Ver­ folgern, die niedermetzelten, was ihnen von Russen in die Hände fiel.

Jgelström dagegen war mit einem Häuflein seiner Getreuen, von

Hintergasse zu Hintergasse entkommen.

sich durchschlagend, glücklich aus der Stadt

Bald nach seinem Abzüge fiel auch das Ministerhotel in

die Hände der Polen.

Die darin zurückgebliebene kleine Besatzung hatte

keine Munition mehr und zog darum die weiße Fahne auf; unglücklicher­

weise aber fiel aus dem Palast noch ein Schuß gerade in dem Augen­

blicke, als die polnischen Befehlshaber herankommen wollten, um die Kriegsgefangenen zu übernehmen. willkommener

Dies war der rasenden Menge ein

Anlaß ihrer Wut die Zügel völlig schießen zu

lassen.

Man erstieg den Palast mit Leitern, tötete seine Besatzung, plünderte ihn aus und zündete ihn an.

Ein großer Schatz von Gold, Silber und

Juwelen fiel in die Hände der Insurgenten; der Privatoerlust Jgelströms bezifferte sich nach SeumeS Angaben allein auf 60 000 Dukaten, und auch der

Schaden der übrigen Generale und Beamten war ein sehr beträchtlicher.

Das wichtigste Beutestück für die Polen war das Gesandtschafts-Archiv, das Schriftstücke enthielt, die viele vornehme Polen kompromittierten. Diese büßten den Verrat an ihrem Vaterlande mit dem Tode durch den Strang.

Die Russen verloren an Toten 2300 Mann, an Verwundeten nur 122 Mann;

man hatte eben meist alles niedergemacht.

In polnische

Kriegsgefangenschaft gerieten 61 Offiziere und 1764 Mann.

Die Polen

gaben ihren Verlust auf etwa 600 Mann an, doch meint Seume, daß er sicherlich das Doppelte betragen habe.

Unter den Gefallenen befand

sich eine

große Anzahl von russi­

schen Offizieren, unter ihnen auch der junge Graf von Jgelström, SeumeS

ehemaliger Zögling.

Dieser

war General - Adjutant

seines

Oheims

gewesen und stand im Majorsrange, was bei seiner Jugend, er war kaum

zwanzig Jahre alt, nicht

befremden darf, da es in Rußland

Brauch war, den Söhnen altadeliger Geschlechter das Patent zum Stabs­ offizier gleichsam in die Wiege zu legen. Donnerstag Morgen mit einer Botschaft

Der General hatte ihn am an den König ins Schloß

gesandt; der Pöbel aber war über ihn hergefallen, hatte ihn vom Pferde gerissen, ermordet und geplündert und seinen zerfetzten Leichnam halbnackend

vor dem Krakauer Thore liegen lassen.

Russen wie Polen bedauerten

allgemein den Tod dieses vortrefflichen jungen Mannes. Die Niederlage der Russen in Warschau war für den General Jgel­

ström doppelt schmerzlich, einmal durch den Tod seines Neffen und dann durch den Verlust seines ganzen militärischen Ansehens.

Er geriet unter 7«

Warschau im Besitz der Insurgenten.

100

die Geißel der öffentlichen Meinung, und es gab keinen Schimpf, den man ihm nicht angethan hätte.

Sein Posten in Warschau war schwierig

und machte seine Person verhaßt.

Er hatte das Unglück an der Spitze

eines Unternehmens zu stehen, das man mit zu wenig Mitteln ange­

griffen hatte.

Vielleicht war er auch nur, wie Seume vermutete, ein

blindes Werkzeug in der Hand des Petersburger Kabinetts. den Polen noch einige Hoffnung

Arsenal.

lassen, darum

Sie sollten sich erheben,

letzten Ende zu schreiten.

ließ

Man wollte

man ihnen das

damit man einen Grund hatte zum

Seume äußerte diese

Ansicht später einmal

dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen gegenüber, der von dieser

ihm neuen Lesart sehr überrascht gewesen sein soll.

Freilich hatte man

in Petersburg wohl nicht gedacht, daß der Aufstand eine solche Ausdehnung annehmen würde, denn der Feldzug kostete 80000 Menschen das Leben. Nach den Warschauer

Ereignissen schloß

sich Jgelström mit dem

Rest seiner Truppen den Preußen an, wurde aber schon am 14. Juni

durch den Generallieutenant von Fersen im Oberkommando

über die

russischen Heeresabteilungen in Polen abgelöst. In Warschau hatte man am Abende des

17. April den General

Mokronowski zum Kommandanten, und Zakrzewski zum Präsidenten von Warschau ausgerufen, und bildeten diese hoch in der Volksgunst stehenden

Männer im Verein mit acht Edelleuten und sechs Bürgern den proviso­ rischen Regentschaftsrat, der alle Machtvollkommenheiten, auch

König», für sich in Anspruch nahm.

passiv.

die des

Der letztere verhielt sich vollständig

Nachdem die Russen vertrieben worden waren galt es zunächst die

öffentliche Ruhe und Sicherheit in der Stadt wieder herzustellen,

schon begannen bewaffnete Volkshaufen von Haus

um auf eigene Faust zu morden und brennen.

zu plündern,

zu Haus

zu

denn

ziehen,

zu sengen und zu

Als man keine Russen mehr fand, ging es über die Russen­

freunde her, wobei selbst vornehme Polen als Gefangene abgeführt wurden, nur um ihre Häuser bequemer außplündern zu können.

es

im Palais des Grafen von Borch, wo

Natürlich fehlte

Seume sich seit Freitag

Nachmittag versteckt hielt, ebenfalls an solchen Gästen nicht;

ungezählte

Rotten zogen zu Mord und Raub an seinem Verstecke vorüber, ohne

ihn indes zu entdecken.

Die ganze Nacht

währte das Schießen fort

und begann am Sonnabend Vormittag wieder aufs neue, da noch einige kleine Abteilungen Russen sich wie Verzweifelte wehrten, bis auch sie

niedergemacht waren.

Eine furchtbare Schreckensscene spielte sich ganz in Seumes Nähe ab.

In einer Bodenkammer,

nur durch eine dünne Bretterwand von

ihm getrennt, wurden einige russische Soldaten und mehrere Diener von

Seumes Versuch aus Warschau zu entkommen.

der

russischen

grausamste

101

Gesandtschaft mit ihren Weibern und Kindern auf die

Art

niedergemetzelt.

Seume

nennt

dieses

Erlebnis

den

fürchterlichsten Augenblick seines Lebens, nicht der eigenen Todesgefahr

sondern des Mitgefühls wegen, das er für diese Unglücklichen empfand

ohne ihnen beistehen zu können.

Endlich legte sich gegen Sonnabend Mittag das Schießen gänzlich, und so heftig das Getöse vorher gewesen war, so plötzlich war nun alles

still; es fiel kein Schuß, kein Schlag mehr.

Nun durfte Seume, der

bisher den Degen in der Faust gehabt hatte, um ihn, falls er entdeckt

würde, an menschliche Menschen mit Anstand abzugeben oder ehrlich im Kampfe zu sterben, auf Mittel und Wege sinnen seiner gefährlichen Lage zu

entrinnen. Hunger und Durst begannen ihn zu plagen, denn seit Mittwoch Abend hatte er nichts als einige Bissen Konfekt gegessen, die ihm ein Soldat von seinem Raube gereicht hatte, und einige Mal einen Trunk

Wasser genossen. zieren,

Er begann von oben herab die Straße zu rekognos­

aber dort war noch alles voll Verwüstung und Verwirrung,

während im Hofe des Palastes

einige Hundert betrunkenen Gesindels

aller Art, mit Waffen aller Art, wild durcheinander schrieen und „Frei­ heit" und „Kosciuszko" riefen.

Ganz

und schlief ein, wurde aber bald

matt legte er

sich wieder hin

darauf durch den hohlen Lärm von

Fußtritten und das Stampfen von Gewehrkolben aufgeweckt, denn wieder war eine Rotte Insurgenten da, die nach Russen suchte. Schon glaubte

er sich diesmal entdeckt,

als man von einer weiteren Durchsuchung des

Bodens Abstand nahm und fluchend weiter zog.

Nun wartete Seume

noch eine Weile; als aber Hunger und Durst aufs neue begannen ihn gewaltig zu quälen, riß er nach kurzer Überlegung die Abzeichen von

seinem Hute, warf Feldzeichen und Feder weg, ließ den Degen liegen und schritt entschlossenen Mutes

ab und durch das Getümmel.

auf Tod oder Leben die Treppen hin­

Zwei Schildwachen standen am Eingänge

des Palastes, vier am Thore, aber Niemand bemerkte ihn in der Ver­ wirrung, da er zum Glück einen blauen Überrock trug. Alle Straßen lagen voll toter Pferde, Sättel, Mäntel und Monturen.

Die Leichen der Russen hatte man schon des Morgens auf ver­

schiedenen Plätzen der Stadt aufgeschichtet, um sie zu zählen und

dann

zu begraben oder in die Weichsel zu werfen, den bei Zakroczym stehenden

Preußen zum warnenden Beispiel.

Ihre eigenen Toten dagegen hatten

die Polen schleunigst zu beseitigen gewußt, damit ihr Anblick den Mut

der Revolutionäre nicht erschüttere. Nachdem Seume mehrere Straßen durchwandert hatte, lenkte er seine

Schritte nach der Wohnung

des sächsischen

Majors von Geßnitz, bei

102

Giebt sich Offizieren vom Schalinski'schen Regiment gefangen.

dem er sich Rat und Erkundigung über die Lage der Dinge holen wollte. Dieser aber bat ihn, seiner selbst und der Familie wegen nicht in sein Haus zu kommen. Er solle zum Stadtpräsidenten gehen und sich als

Gefangener melden. Notgedrungen machte Seume kehrt und ging durch den Sächsischen Hof, um einen andern Freund, den Doktor Blauberg, aufzusuchen. Hier erschien er als ein Gespenst, denn er sollte am vorigen Tage nicht weit von dem Hause gefallen sein, wie die Diener

behauptet hatten. Den Doktor hatte man kaum eine halbe Stunde vor­ her als Russenfreund abgeholt und ins Gefängnis geführt, und sein alter

Schwiegervater bat Seume inständig, ihn nicht in noch größere Gefahr zu bringen. Er bot ihm Säbel und Pistolen an, damit er unter der Maske eines Revolutionärs ins Arsenal gelangen könnte. Seume liebte aber selbst in diesem Falle die Maske nicht; er dankte dem Manne, der selbst ein Pole war, und ging, um von neuem seine gefährliche Promenade anzutreten. Dabei war er unvermerkt wieder in den Sächsischen Garten gekommen und hielt nun hier, auf dem besten Spaziergange Warschaus, mit sich selbst Kriegsrat, was er mit seinem Kopfe anfangen sollte. Alle Ausgänge der Stadt waren besetzt, die Gegend wimmelte von Truppen und Revolutionären; Pistolen und Säbel waren in aller Händen, ja er begegnete Männern, die zwei Paar Pistolen im Gürtel trugen, in der einen Hand den Säbel hielten und am andern Arme eine Dame führten. Noch unschlüssig, was er thun sollte, war er, von Hunger und Durst fast gänzlich erschöpft, in die Krakauer Vorstadt geraten, wo das Schalinski'sche Regiment mit seinen Geschützen hielt. Einige Offiziere sprachen französisch mitein­ ander, und da fiel es ihm ein, daß es vielleicht am besten sei hier zu bleiben, und sogleich war er bei ihnen. „Meine Herren", sagte er, „ich bin ein russischer Offizier, bei Ihnen kann ich hoffentlich sicher sein!" Sie sahen ihn voll Verwunderung an, und ihm selbst schien es nun unbe­ greiflich, wie er unerkannt durch das wütende Gewimmel kommen konnte, da er doch unter dem Überrock die Uniform trug, und der Hut mit Knopf und Litze noch ganz militärisch aussah. Seine erste Bitte war, ihnl etwas zu trinken zu geben. Man ließ sogleich aus der nahen Apotheke etwas Zimmetwasser holen, das er, auf einer Kanone sitzend, mit einem Stück Kommißbrod verzehrte. Alsbald versammelten sich einige Dutzend Revolutionäre um die Gruppe, die mit grimmigen Blicken

fragten, ob Seume kein Russe wäre. Da es aber hieß, er sei ein Franzose, und sie ihn auch französisch sprechen hörten, so zogen sie weiter. Gegen Abend brachten ihn zwei Offiziere desselben Regiments nach dem

königlichen Schlosse, vor dessen Portale man kurz vorher noch einige Russen niedergehauen hatte, welche die Wache vor der Wut des Pöbels

In Polnischer Gefangenschaft. nicht hatte schützen können.

103

Seume wurde vor den Stadtkommandanten

Mokronowski gebracht, der seine vorläufige Internierung auf der Schloß­ wache verfügte. Hier fand er schon sechzehn rusfische Offiziere vor, die fast alle schwer verwundet waren. Man begegnete den Gefangenen mit vieler

Artigkeit und speiste sie aus der königlichen Küche.

Nach etwa vierzehn

Tagen brachte man die Verwundeten ins Hospital, die übrigen, unter ihnen auch Seume, nach dem Kommissionshause, wo sie noch mehrere Leidens­

gefährten vorfanden.

Hier behandelte man die Gefangenen mit vieler

Strenge und fast wie Verbrecher; kaum gewährte man ihnen das not­ wendige Lagerstroh zum Schlafen auf dem Fußboden, und erst auf drin­ gende Vorstellungen gab man ihnen Messer und Gabeln bei den Mahl­

zeiten, bei denen doppelte Posten mit gezogenem Säbel oder gespannter Pistole Wache hielten. Bücher sollten gar nicht erlaubt werden und noch weniger Schreibmaterial, doch erhielt Seume später durch die Ver­ mittlung des polnischen Generals Zablozki einen beträchtlichen Vorrat von Papier, da dieser gehört hatte, Seume sei ein Poet, und der Mei­ nung war, Poeten bekümmerten sich in der Regel nicht um politische Intriguen. Gleich zu Anfang hatte Seume einen heftigen Auftritt mit Zablozki, der gekommen war, um die russischeu Offiziere aufzufordern, in die polnische Armee überzutreten, wobei er sich hauptsächlich an Seume, als einen Nichtruffen, gewandt hatte. Dieser aber sagte dem General, daß er eine solche Zumutung für beide Teile wenig ehrenvoll fände. Das brachte den Polen auf, er vergaß sich, drohte unb schimpfte. Aber auch Seume ward heftig. Der General sprach vom Galgen, sonst drohte man mit dem Erschießen. Dies aber schreckte Seume nicht; er sagte im Eifer zu ihm: „Euer Excellenz mögen die russischen Gefangenen nur immer henken lassen auf Ihre Gefahr, aber schlechte Leute schimpfen!"

Der General überlegte sich die Sache und versicherte ihn nachher seiner freundlichen Achtung. übrigens schwebte Seume mit den anderen russischen Gefangenen oftmals in Gefahr, bei den von einigen Ultra-Revolutionären ange­ zettelten Volksaufständen in Warschau ums Leben zu kommen. Einer dieser Tumulte richtete sich hauptsächlich gegen die wegen Hochverrats

verhafteten polnischen Großen Ozarowski, Ankewicz, KoffakowSki und Zabiello, von denen Ankewicz, der abgesetzte Präsident des Conseil per­ manent, einen Versuch gemacht haben sollte, sich und seine Mitschuldigen durch seine Parteianhänger befreien zu lassen. Hierüber war das Volk in die fürchterlichste Wut geraten und drohte, die Gefängnisse zu stürmen

und sämtliche Gefangenen niederzuhauen, wenn man den Verrätern nicht sofort den Prozeß machte. Das Ansehen des Regentschaftsrates reichte

104

In polnischer Grfangmschast.

nicht aus, um diesen Ausbruch der Volkswut mit Gewalt zu dämpfen. Es blieb daher nichts übrig als die Todesurteile auszufertigen, die

denn auch am folgenden Tage vollstreckt wurden.

Bald nach diesem bei

allen gefangenen Russen die größte Besorgnis erregenden Vorfälle hatten mehrere hohe russische Offiziere ausgewirkt, daß Seume aus dem Kom­ missionshause zu ihnen in den sogen. Brühl'schen Palast gebracht wurde, wo jetzt alle hochgestellten Russen und das ganze diplomatische Corps ge­

fangen saßen.

Alle waren hier bis auf das letzte Hemd ausgeplündert;

dem Ingenieur-General von Suchtelen hatte man sogar den Hut ge­ nommen, so daß er einige Monate hindurch mit bloßem Kopfe gehen

mußte. Einen neuen konnte er sich nicht kaufen, weil man den Ge­ fangenen alles Geld abgenommen hatte und nicht erlaubte, daß ihnen

von außen her Geld geschickt wurde. Auf SeumeS Befragen, weshalb dies geschähe, wurde ihm zur Antwort: »Wenn der Russe Geld hat, so machiniert er, wir aber haben unter unseren Landsleuten keine kleine

Anzahl, die Schurken genug sind, für eine Flasche Champagner ihr Vaterland zu verkaufen." Seitens der polnischen Regierung zahlte man den gefangenen Subaltern-Offizieren täglich zwei Gulden polnisch, den

Hauptleuten drei, den Stabsoffizieren sechs, den Obersten acht Gulden, den Generalen einen Dukaten zu ihrem Unterhalt. Es war dies bei der alsbald eintretenden großen Teuerung kaum ausreichend, doch läßt es sich durch die schlechte Finanzlage der neuen Regierung entschuldigen. Diese hatte schon zu außerordentlichen Mitteln ihre Zuflucht nehmen müssen, indem sie die Einführung von Bankzetteln verfügte, die im Lande Zwangskurs hatten, um so dem Mangel an barem Gelde abzuhelfen. Zu der finanziellen Notlage gesellten sich bald noch andere mißliche Umstände, die den politischen Horizont der Polen erheblich verfinsterten. König Friedrich Wilhelm II. von Preußen hatte, da die InsurrektionsAkte vom 24. März 1794 auch seiner Monarchie den Streit verkün­ deten, eine ansehnliche Truppenmacht in der Woiwodschaft Krakau zu­ sammenziehen lassen und war Mitte Mai selbst zur Armee gegangen. Kosciuszko, der nach dem Treffen bei Raclawice dem General Denisow auf dem Fuße gefolgt war, stand mit etwa 16000 Mann regulärer Truppen und 10000 Bauern bei Jedrzejow in der Nähe von Szczekociny und Zarnowice. Am 5. Juni griff er die Russen bei Szczekociny an und warf ihre Vorposten zurück. Als er aber am Morgen

des 6. Juni das Gefecht wieder aufnehmen wollte, bemerkte er mit Schrecken, daß er sich nicht nur den Russen, sondern zugleich auch der preußischen Hauptmacht unter dem Oberbefehl des Königs gegenüber be­ fand, auf die schon jetzt zu stoßen er nicht erwartet hatte. Dadurch.

In polnischer Gefangenschaft. waren die Polen in

der Minderzahl und

105

wurden

geschlagen.

Das

gleiche Schicksal hatte ein starkes polnisches Corps unter dem General

von den Ruffen unter

Zaionczek, das zwei Tage später, am 8. Juni,

dem General Derselben fast gänzlich aufgerieben wurde.

Die unmittelbare Folge der Schlacht

bei Szczekociny oder Rawka

war die Einnahme von Krakau, das sich am

15. Juni den Preußen

unter dem General von Elsner ergab, ohne daß der Kommandant dieser Festung, der polnische General WieniawSki, nur versucht hätte. Wider­ stand zu leisten. KoSciuszko ging über die Piliza und zog sich auf Warschau zurück, wohin die preußische und russische Armee ihm nachdrängte. In Warschau verursachten diese Niederlagen und

Kapitulation von Krakau

besonders die

Das Wort Verrat

allgemeine Bestürzung.

wurde laut, und die Volkswut suchte nach neuen Opfern.

Man verlangte

die sofortige Hinrichtung sämtlicher gefangenen Polen, die alle den Tod

verdient hätten, und als man feiten» der Regentschaft diesem Verlangen nicht nachgeben

wollte,

errichtete man

in

der Nacht vom 27.

zum

28. Juni an zwölf verschiedenen Orten der Stadt Galgen, stürmte die

Gefängnisse und führte diejenigen, deren Tod man beschlossen hatte, mit Gewalt heraus.

Der Fürstbischof Masalski wurde vor dem Portale de»

Brühl'schen Palastes unmittelbar vor Seume» Fenster in Amtstracht ge­

hangen; die übrigen, unter ihnen den Fürsten Czetwertinski, den Geheimrat Boskamp und den Kriminalgerichts - Assessor WulferS, dessen Unschuld sich später herausstellte,

schleppte man an andere Orte,

um sie hinzu­

richten, und sogar von einem Galgen zum anberti, wenn der eine schon besetzt war.

Rur mit Mühe gelang es

Greuelscenen zu verhindern.

dem Stadtpräsidenten weitere

Zwar richtete sich in solchen Fällen die

Volkswut meist nur gegen die eigenen Landsleute, doch schwebten dabei auch die russischen Gefangenen in Lebensgefahr,

wütenden Menge trauen?

denn wer kann einer

Nur ein Funke genügt, um oftmals ein ganz

neues Feuer entstehen zu lassen.

Zum Glück rückte KoSciuszko der Stadt immer näher.

erließ,

als er von den Tumulten hörte,

eine Proklamation,

Derselbe worin die

Bürger der Hauptstadt aufgefordert wurden den bestehenden Gesetzen

Achtung zu erweisen, denn derjenige verdiene nicht befreit zu werden, der nicht zu gehorchen verstehe.

Zugleich schickte er einige tausend Mann

Kavallerie nach Warschau und Tumulte gefangen nehmen.

ließ die Haupträdelsführer der letzten

Von ihnen wurden mehrere zur Verbannung

und sieben zum Tode durch den Strang verurteilt. Bald nach dem unglücklichen Treffen von Szczekociny hatte KoSciuszko

Befehl gegeben, die sonst offene Hauptstadt mit Verschanzungen zu ver-

106

Belagerung von Warschau.

sehen, unter deren Schutz er sich nun zurückzog. Sein Heer bestand jetzt aus 20000 Mann regulärer Truppen und ebensovielen Insurgenten. Seine

Stellung bildete einen Halbkreis, der sich rechts und links auf das linke Weichselufer stützte. Die verbündeten Preußen und Russen ließen hier nicht lange auf sich warten. Am 27. Juli rückten sie, etwa 16000 Mann

stark, unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen gegen Warschau vor, wobei mehrere vorgeschobene starke Verschanzungen bei dem Dorfe Wola von den Preußen erstürmt wurden. Hierauf ließ der König die Stadt zur Übergabe auffordern und bot, als diese Aufforderung zurück­ gewiesen wurde, Kosciuszko ein Treffen an.

Dieser zog es aber vor

den Angriff hinter den Verschanzungen abzuwarten, und somit begann die Belagerung. Während dieser herrschte in Warschau, wie Seume erzählt, die größte Ruhe.

Den. russischen Gefangenen begegnete man nun mit

Achtung und Anstand, wenn man auch von der Strenge ihrer Bewachung nichts nachlassen konnte. Fast täglich kam es vor den Werken zu hitzigen Gefechten und die Preußen, die eine wichtige Position nach der anderen erstürmten, würden auch die Stadt bald genommen haben, wenn die Insurrektion sie nicht ernstlich im Rücken bedroht hätte, so daß sie befürchten mußten zwischen zwei Feuer zu geraten. Der König befahl deshalb den Rückzug und ließ das Lager in der Nacht vom 5. zum 6. September abbrechen. Die Russen, die unter dem General von Fersen den rechten Flügel der Belagerung-armee gebildet hatten, zogen zugleich ab und nahmen ihren Weg längs der Weichsel stromaufwärts, um eine Gelegenheit zu finden, auf das rechte Ufer zu gelangen; alle Dörfer brannten sie hinter sich ab. Um die Insurrektion in Grobpolen zu unterstützen, sandte Kosciuszko nach dem Abzüge der Preußen und Russen ein von dem General Madalinski befehligtes Corps dahin ab, dem er bald ein zweites unter dem General Dombrowski folgen ließ. Beide Generale operierten sehr glück­ lich und drangen bis Bromberg vor. Weniger günstig für die Polen standen die Sachen in Litauen. Die Russen hatten Wilna besetzt und waren beinahe Meister der ganzen Provinz. Ein litauisches Corps behauptete sich nur noch mühsam in Samogitien, ebenso ein anderes in der Woiwodschaft BrzeSc, während der General MokronowSki mit einigen tausend Mann Grodno noch besetzt hielt. Die Kaiserin Katharina von Rußland war jedoch entschlossen dem Aufstande ein rasches Ende zu machen. Sie gab daher dem gegen die Türken im Felde stehenden General Suworow den Befehl, mit seinem Corps unverweilt nach Warschau zu marschieren und sich dieser Stadt

KoSciuszko wird bei Maciejowice geschlagen imb gefangen. als des Mittelpunktes der Revolution zu bemächtigen.

107

Suworow rückte

in Eilmärschen heran, schlug den General SierakowSki am 18. und 19. September bei Krupzyce und Brzesc-Litewski und besetzte die Woi­ wodschaft Podlachien, deren fruchtbare, vom Bug durchströmte Niederung bisher die polnische Armee und namentlich Warschau mit Lebensmitteln

versorgt hatte. Es war dies eine schlimme Borbedeutung für die Haupt­ stadt. In dieser bot man alles auf, um die Vorstadt Prag« auf dem

rechten Weichselufer zu verschanzen, da von dieser Seite her Suworows Angriff drohte.

Kosciuszkos Lage wurde von Tag zu Tag schwieriger.

Auf der einen Seite sollte er sich dem weiteren Vordringen Suworows widersetzen und auf der anderen verhindern, daß Fersen über die Weichsel ging und den Polen in den Rücken fiel. Er entsandte deshalb den General

Poninski mit einem Corps, um Fersen den Weichselübergaug zu ver­ wehren. Fersen aber nahm diesen Uferwechsel mit vieler Kühnheit und Ge­ schicklichkeit dennoch vor, so daß KoSciuszko genötigt war, ihn auf der Stelle anzugreifen, wenn er den Dingen eine günstigere Wendung geben wollte. Er ging daher mit einer ansehnlichen Truppenmacht, die durch Poninskiü

CorpS noch verstärkt werden sollte, au« Warschau und Fersen entgegen. Dieser erriet aber die Absicht Kosciuszkos, oder es war Verrat im Spiele, kurz, er griff am 10. Oktober die Polen bei Maciejowice ganz unerwartet

an. General Poninski kam nicht, und KoSciuszko, der auf diese Hilfe vergeblich gehofft hatte, stürzte sich endlich, an dem Schicksale seines Vater­ landes verzweifelnd, mitten in den Feind. Schwer verwundet geriet er in Gefangenschaft. Die Polen wurden vollständig geschlagen; in wilder Flucht eilten sie nach Warschau zurück, um dort die Schreckensbotschaft zu verkündigen. Mit dem Unglückstage von Maciejowice war das Ende Polens besiegelt, wie auch Kosciuszkos') Laufbahn als Feldherr für immer beendet. Will man frei und unparteiisch über KoSciuszko urteilen, so muß man ihn als einen großen und Achtung gebietenden Charakter bezeichnen.

Seume nennt ihn einen ehrlichen rechtschaffenen und braven Mann, den die Rot zwingender Umstände, heißer Patriotismus und falsche, aber doch noch wahrscheinliche Hoffnungen zu einem Schritte brachten, der seiner

Nation rötlich wurde. Als die Russen nach ihrer Niederlage bei Raclawice ihn schmähten und einen Rebellen nannten, erklärte ihn Seume im Beisein des Generals Jgelström und mehrerer anderen russischen Offi-

l) Durch Kaiser Pauls I. Amnestie aus der Gesangenschast befreit, ging er 1797 nach Nordamerika, dessen Kongreß ihn 1798 nach Paris sandte. Später lebte er in Solothurn, wo er am 15. Oktober 1817 starb.

Sturm der Russen auf Prag«.

108

ziere für den edelsten und

Kopfschütteln zu ihm sagte:

worauf der General mit

bravsten Polen,

„Mon eher,

Sie

sind ein sonderbarer

Mensch." In Polen drängte nun alles einem raschen Ende zu.

Die Bestür­

zung über KosciuSzkoS Fall war unbeschreiblich und im Heere griff eine

Mutlosigkeit Platz, die seine Widerstandskraft lähmte.

An KosciuSzkoS

Stelle wurde der General Wawrzecki zum Generalissimus gewählt und

ausgerufen.

Nur widerstrebend übernahm dieser den verantwortlichen

Posten, dem er nicht gewachsen war, und versamnielte alle noch verfüg­

baren Streitkräfte Polens um sich zu einem letzten Verzweiflungskampfe. Die Generale Dombrowski und Madalinski erhielten Befehl, Südpreußen

zu räumen und sich ungesäumt Warschau zu nähern; Mokronowski wurde aus Litauen herbeigerufen. Zaionczek schlug ein Lager vor den Pragaer

Werken auf, und Prinz Joseph PoniatoivSki besetzte das linke Weichsel­ ufer, um Warschau gegen die Preußen zu decken.

Angesichts der verzweifelten Lage der gesammten Insurrektion erlosch der Aufstand in Großpolen von selbst, so daß der König von Preußen sich nun aufs neue gegen Warschau wenden wollte, um seine Hand auf

diese Stadt zu legen.

Suworow aber kam ihm zuvor.

Durch die Corps

unter Fersen und Denisow verstärkt, griff er am 26. Oktober die Polen

vor Praga an und warf sie hinter die Verschanzungen zurück, die er mit jedem Tage enger einschloß.

Am 4. November erfolgte mit Tages­

anbruch der allgemeine Sturm auf die Pragaer Verschanzungen.

Suwo­

rows Ordre zum Angriff lautete in der ihm eigenen Kürze:

„Man

stürmt,

nimmt die Batterien

und stößt nieder, was

sich

widersetzt!"

Die furchtbarsten Scenen ereigneten sich; in wildem Gewühl mordeten

sich Ruffen und

Polen.

Bewaffnete oder Wehrlose, Greise, Weiber,

Kinder, alles fiel unter dem Racheschwert des barbarischen Feindes, und ganz Praga wurde ein Raub der Flammen.

Die Russen, kaum 10 000

Mann stark, warfen über 20 000 Polen aus den Verschanzungen,

über

15000 Polen kamen dabei ums Leben; von den Russen nur 1800 Mann.

Die Russen griffen mit großer Energie an.

Früh um 51/, Uhr begann

der allgemeine Sturm, um 8 Uhr feuerten russische Batterien schon über

die Weichsel nach Warschau hinüber, und gegen 12 Uhr mittags erreichten

ihre Kugeln schon den Hof des Brühl'schen Palastes, wo Seume und

seine Leidensgefährten

der Befreiung

entgegenharrten.

Während

des

Sturmes auf Praga entwarf Seume sein Gedicht: „Gebet eines Mannes,

der selten betet".

(Hemp. Ausg. V. S. 45 ff.)

Er konnte den ganzen

Vorgang von den Fenstern des Palastes aus mit ansehen, wie er in seiner Erläuterung zu diesem Gedichte sagt:

Befreiung aus der Gefangenschaft.

109

„Fast alles geschah unter unseren Augen, da wir nur durch den Fluß getrennt waren.

Die Katastrophe drohte uns und der Stadt

den Untergang, und nur die Weichsel war unsere Rettung.

Ismail

und Praga sind des schrecklichen Suworow schrecklichste Tage.

Der

Gedanke, daß jetzt ein Reich in Trümmern fiel, war mir nicht sehr gegenwärtig in dem physischen und moralischen Sturme, der um mich und in mir war.

Die nächste Veranlassung zu diesem Stücke war

die entsetzliche Seelenstimmung eines verwundeten polnischen Offiziers,

der auf seiner Flucht von Praga durch Warschau, Gott weiß wohin, uns noch besuchte.

„Die Ihrigen haben wieder gesiegt," knirschte der

unglückliche Mann mit den Zähnen und hob den zerschossenen Arm

halb in die Höhe; „wenn mir künftig noch Jemand etwas von Gott und Tugend und Vorsehung sagt, will ich ihm die Antwort ins Ge­

sicht speien!"

So stürzte er aus dem Zimmer, und ich sah ihn nicht

wieder." In Warschau war alles in der größten Verwirrung und Angst. Das Militär wollte die Stadt noch halten, aber die Bürger drangen auf Übergabe, um nicht den gänzlichen Ruin der Stadt herbeizuführen. Es

gingen Deputierte zu Suworow, und die Feindseligkeiten hörten auf. Die Polen baten um Schonung und Sicherheit für Person und Eigen­

tum, und Suworow gewährte sie ihnen. Beim Abzüge der polnischen Truppen kam e« aber noch einmal zu einer sehr bedenklichen Krisis. Aus Rache für die von den Russen in Praga verübten Greuel wollte man die russischen Gefangenen sämtlich nieder­ machen, aber die Bürger nahmen sie energisch in ihren Schutz. Dann wollte die Armee mit Gewalt den König, den Staatsschatz und die Ge­ fangenen mit sich hinwegführen, zumal der General Dombrowski den Plan gefaßt hatte, sich mit den noch vorhandenen Streitkräften bis nach Frankreich durchzuschlagen. Aber auch diesem Anschläge widersetzte sich die Bürgerschaft hartnäckig. Die Truppen standen daher von ihrem

Vorhaben ab und verließen die Stadt. Bevor sie noch Warschau gänz­ lich geräumt hatten, rückten schon die Russen ein und besetzten ihre alten Posten wieder. Die russischen Gefangenen wurden am 7. November

freigelassen, und somit erhielt an diesem Tage auch Seume seine Freiheit wieder. Wenige Tage darauf fuhr Seume mit dem russischen Obersten von Lieven, der den Sturm auf Praga mitgemacht hatte und nachher einige Zeit hindurch Platzkommandant von Praga war, ins Hauptquartier nach

Im russischen Hauptquartier bei Suworow.

110

Mokatow, um sich bei Suworow2) zu melden. Dieser war einer der sonderbarsten Menschen, die je an der Spitze einer Armee gestanden haben. Als Seume bei ihm eintrat, stand er am Kamin und war eben

im Begriffe sich das Hemd anzuziehen, wobei er mehreren vornehmen Polen, die ihm den ersten Besuch machen wollten, zurief: „Warten Sie

ein wenig, meine Herren, warten Sie!"

Dann fiel er ihnen, ohne erst

Oberkleider angelegt zu haben, mit Heftigkeit um den Hals und küßte sie. Solche Scenen ereigneten sich bei ihm fast täglich und gaben Stoff zu unzähligen Anekdoten, denn es gehörte zu den Eigentümlichkeiten dieses außerordentlichen Mannes, seine gediegene Bildung durch sonderbares Wesen, seinen edlen Charakter durch soldatische Derbheit absichtlich zu

verdecken. Mit der Besitzergreifung Warschaus durch die Russen war die Re­ volution in Polen beendet. Auf Suworows Befehl wurde der Regent­ schaftsrat verhaftet und nach St. Petersburg abgeführt. Die Reste der polnischen Armee aber zerstreuten sich von selbst, oder sie wurden durch russische oder preußische Streifcorps gezwungen, die Waffen zu strecken. General Madalinüki geriet in preußische Gefangenschaft.

Durch den Wiener Teilungsvertrag vom 3. Januar 1795 fiel von polnischem Gebiet an Preußen das sogen. Neuostpreußen mit Warschau, etwa 1000 Qu.-Meilen, an Österreich Neugalizien mit Krakau und Sandomir, etwa 830 Qu.-Meilen, und an Rußland der Rest von über 2000 Qu.-Meilen mit Wilna. Dadurch verschwand das polnische Reich gänz­ lich von der Landkarte. Poniatowüki legte auf Befehl der Kaiserin Katharina die Krone nieder. Die drei Mächte setzten ihm ein Jahrgeld von 200000 Dukaten aus und bezahlten seine Schulden. Eine treffliche Charakteristik dieses Schattenkönigs giebt Seume in seinem Gedicht: „Parentation. Dem Könige Stanislaus Augustus Ponja­ towski" 2) (Hemp. Ausg. V. S. 125 ff.) und in der Anmerkung dazu (Hemp. Ausg. X. S. 223 ff.). Er sandte das Gedicht an Joh. Wilhelm von Archenholtz8) mit der Bitte, es im Joumal „Minerva" zu veröffent*) Graf Peter Alexei Wasiljewitsch Suworow-Rymnikski wurde am 13. No­

vember 1729 in Finnland geboren.

Er Halle sich durch seine glänzenden Wasfen-

thaten, namentlich durch seinen Sieg über die Türken beim Flusse Rymnik 1788 und die Einnahme von Ismail 1790, schon einen bedeutenden Kricgsruhm erworben. der Erstürnlung von Präga ernannte ihn Katharina II. zum Feldmarschall.

Nach

*) Er starb am 12. Februar 1798 in St. Petersburg. •) Bekannter Historiker und Joumalist, geb. 3. September 1745 in Langenfurt,

einer

Borstadt Danzigs, gest. 28. Febmar 1812 auf seinem Gute Opendorf in

Holstein.

Beim General Jgelström in Riga. — Auftrag nach Italien zu reisen.

lichen.

Hl

In dem Begleitschreiben, datiert Grimma, d. 20. März 1798,

sagt er: „ Ich habe wider den guten Mann PoniatowSki nichts, als daß er kein guter König war. In den Jahren 93, 94 und 95, wo ich unter Jgelström russischer Soldat in Polen war, hatte ich manch­

mal Gelegenheit, ihn etwas nahe zu bemerken. Was ich in den Stanzen sage, ist noch lange nicht der ganze Ausdruck des öffentlichen gerechten

Unwillens, der sich damals über ihn überall laut äußerte. Alles ist geschichtsmäßig; die Dichtung hat nichts hinzugesetzt und durfte es nicht.

Ich that damals als russischer Offizier meine Schuldigkeit und

dachte sodann über die Sache nach meiner Weise. Ob die Katastrophe kosmisch war ist eine andere Frage, die über die Pflichten eines pol­ nischen Königs nichts bestimmen kann." Archenholtz veröffentlichte das Gedicht wahrscheinlich aus politischen

Rücksichten nicht. Die gesamten Ereigniffe und seine persönlichen Erlebniffe in Warschau schildert Seume in seiner Schrift: „Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794", die er dem Grafen von Hohenthal zueignete. Das Titelkupfer, gezeichnet von Schnorr von Carolsfeld, stellt den Tod des jungen Grafen von Jgelström dar, dem Seume mit dieser Schrift ein Todtenopfer bringen wollte. Er widmete seinem Andenken ferner das Gedicht „Auf Jgelströms Tod". (Hemp. AuSg. V. S. 233 ff.) Seume war bald nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft zu dem General Jgelström zurückgekehrt, welcher, niedergebeugt und krank, seiner dringend bedurfte. Denn für Jgelström galt es jetzt sich vor seiner Monarchin zu rechtfertigen. Seume begleitete ihn nach Riga, wo er alsdann wochenlang an seinem Bette saß und seine Verteidigungsschriften abfaßte. Jgelström vertraute ihm hierbei alle Geheimnisse seiner Ämter und seiner Privatverhältnisse an. Auch in Riga wurde Seume alsbald eine bekannte Persönlichkeit, der man überall mit Auszeichnung begegnete. Riga und seine geselligen Kreise haben in Seumes Herzen immer einen bevorzugten Platz eingenommen.

Als die Angelegenheiten des Generals Erledigung gefunden hatten, erhielt Seume den Auftrag nach Warschau zu reisen und von da einen schwer verwundeten Offizier, dessen Vater ein Freund Jgelströms war, nach Italien in die Bäder von Pisa zu begleiten. Dieser Auftrag des

Generals entsprang offenbar seinem Wohlwollen für Seume, dessen Ver­ langen, den klassischen Boden Italiens zu betreten, er kannte. Die Sen­ dung war auch noch insofern eine Auszeichnung für Seume, als die

112

In Warschau. — Gedicht an Karl Gotthard Graß-

Familie des verwundeten Offiziers, eines Herrn von Mouromzow aus Moskau, bei der Kaiserin in hoher Gunst stand.

Bevor Seume diese Reise antrat, hielt er sich noch eine Zeit lang in Warschau auf, wo er sein Gedicht „An Herrn Graß in Riga" (Hemp. AuSg. V.

S. 206 ff.)

verfaßte, das er „Warschau, August 1795"

datierte. Seume war mit Graß') in Riga befreundet worden, und dieser

hatte ihm sein Selbstporträt zum Andenken übersandt.

Seume sandte

ihm dafür das erwähnte Gedicht, worin er die Warschauer Schreckens­ scenen und seine eigene Todesgefahr dabei wie folgt schildert:

„Hier stürzte Jgelström vom Pferde; Hier schlachtete ihn namenlose Wuth; Hier rann sein jugendliches Blut

Hier, hier und dort, und färbte rund die Erde. Hier sank ein Graukopf vor mir nieder, Gab stammelnd mir die Hand und sprach nicht wieder;

Der Fall deS guten, alten Knaben War meine Rettung; sicher hätte sich, Denn seine Richtung faßte mich, Des Todes Blei in meine Brust gegraben.

Hier unter dieser Halle wand Ein Freund im Blute sich und hauchte. Als rund um ihn und uns Verderben rauchte. Noch einmal, und sein Tag verschwand. Dort warf mich ungestüm und edel Ein alter Krieger noch zurück

Vom Fenster und im Augenblick Schlug zollbreit kaum der Tod von meinem Schädel. Dort, wo der Nordwind durch die Trümmer

Der eingeschlagnen Gänge heult. Wo jetzt nur noch Erinnys' Schalten weilt, Tief im Palaste, war mein Zimmer.

*) Karl Gotthard Graß, Landschaftsmaler und Dichter, wurde am 19. Oktober 1767 in Serben in Livland geboren. Er lebte später in der Schweiz und Italien

und starb am 4. August 1814 in Rom.

Seume erwähnt ihn in seinem Aufsatze

„Kunstanekdote und Kunstnachricht" („Zeitung f. d. elegante Welt" von 1803, Nr. 35).

Graß widmete Seume das Gedicht „Idylle an Seume. Lesen des Theokrits, geschrieben d. 17. Januar 1805".

Stände" von 1812, Nr. 64).

Auf Kataniens Laren, beim

(„Morgenblati f. gebildete

Abreise von Warschau. — Wiedersehen mit Schnorr in Leipzig.

113

Dort liegt noch Prag in schrecklichen Ruinen Am Flusse, der mit Majestät

Ernst, groß und schauerlich vorübergeht.

Wer wird uns je mit diesem Tag versühnen? Dort hielt der Tod die große Feier

Bei Menschenopfern, stand und schrieb,

Als müde seine Hand vom Würgen liegen blieb, Sein Denkmal auf das dampfende Gemäuer."

Noch sind zwei Gedichte Seumes aus jener Periode zu erwähnen:

„Nähe des Frühlings" (Hemp. AuSg. V. S. 211 ff.) und „An den General Baron von der Palen, als er 1795 Riga verließ" (Hemp.

AuSg. V. S. 214 ff.). Dieses letzte verfaßte er im Auftrage der Ge­ sellschaft der schwarzen Häupter'), die es dem General in dankbarer Anerkennung seiner Verdienste um Riga, namentlich während der Un­ ruhen in Polen und bei dem sehr gefährlichen Eisbruch auf der Düna im Frühjahr 1795, als Abschieds-Carmen widmete. Seume reiste mit seinem Schutzbefohlenen gegen Ende August 1795 von Warschau ab, seiner Heimat und dem sonnigen Süden zu. Aber schon

unterwegs hörten sie, daß sie als russische Offiziere wohl schwerlich nach Italien gelangen würden, weil die Franzosen dort alles besetzt hatten. Sie reisten daher nur bis nach Leipzig, wo sie vorläufig zu bleiben be-

schloffen. Hier trat Seume unter seine Freunde wie eine Erscheinung aus dem Reiche der Toten. Nachrichten von ihm waren in seiner Heimat nicht angelangt, und so hatte man angenommen, daß er in Warschau mit umgekommen sei. Um so größer war die Überraschung, als er ge­ sund und unversehrt plötzlich wieder vor ihnen stand. Schnorr schildert das Wiedersehen mit Seume in dem bisher noch ungedruckten Teile seiner „Anmerkungen und Zusätze zur dritten Auf­ lage des Spaziergangs nach Syrakus" wie folgt: „ ... Ich dachte an Seume und hörte, daß er mit Jgelström umgekommen fei. Das that mir sehr weh! Nach einiger Zeit, als ’) Die Gesellschaft der schwarzen Häupter, so genannt nach ihrem Wappen, war eine schon im Mittelalter gegründete kriegerische Genossenschaft unverheirateter Männer,

die sich in Riga und Reval zum Schutze dieser Städte gebildet hatte. heute noch,

Sie besteht

indes nur noch zum Zwecke gegenseitiger Unterstützung und geselliger

Vereinigung.

Planer n. Rcißmann, Seume.

8

In Leipzig mit Major von Mouromzow.

114

ich eines Tages an meinem Arbeitstische saß, klopfte es

an meine

Thür, — mir schlug das Herz, denn das war unverkennbar Seumes

Klopfen, — und so stand er vor mir, einer Geistererscheinung gleich. Überrascht wie ich war, wußte ich nicht, ob ich einen Körper um­ armen würde.

Er aber lächelte aus seinen finstern Augen, und wir

standen uns seitdem

unendlich näher.

Majors v. Mouromzow,

Er

war

als Begleiter

eines vortrefflichen jungen Mannes,

des

der in

Warschau das Unglück gehabt hatte, auf der Straße von einem Dach­ fenster aus durch den Leib und die Lunge geschossen zu werden, in der Absicht, in die Bäder nach Pisa zu gehen, nach Leipzig gekommen, wo Beide unter den damaligen Umständen blieben.

Wir machten nun

manchen Gang und plauderten manche Stunde zusammen." Seume gab seinen Schutzbefohlenen in die Behandlung des Stadt-

Chirurgen Johann Gottlob Eckoldt *), der dem fieberhaft auf baldige Ge­ nesung hoffenden jungen Manne aber nur ein langsames Siechtum vor­

aussagen konnte. war sonderbar.

Das Verhältnis zwischen Seume und

Mouromzow

Der neunzehnjährige Russe war Major, sein zweiund­

dreißigjähriger Berater nur Lieutenant.

Mouromzow war gleich dem in

Warschau umgekommenen Grafen von Jgelström Attache der russischen

Gesandtschaft in Warschau und nur dem Namen nach Soldat gewesen; er war somit ganz

unschuldig zu der

schweren Verwundung gekommen.

Sein lebhaftes Wesen und seine große Gutmütigkeit stempelten ihn zu

einem liebenswürdigen Menschen, der im übrigen ernstlich bestrebt war, seine etwas lückenhafte Bildung

zu vervollkommnen.

Seume war also

zugleich auch sein Studienleiter. In

der Leipziger

guten

Gesellschaft waren beide gern

gesehene

Gäste, und so lebte Seume jetzt, obgleich er von seiner Einfachheit nicht

abwich, auf dem Fuße eines vornehmen Fremden.

In dieser Zeit machte

er auch die Bekanntschaft des Malers Adam Friedrich SDeferl2) und erwarb sich bald die Freundschaft dieses originellen Künstlers.

Von allen Freunden aber, die Seume im Leben kannte,

war es

jetzt der feinsinnige und gutherzige Schnorr, der ihm am nächsten stand. Dieser wurde darum auch

sein Vertrauter in dem Herzensverhältnis,

das er bald nach seiner Rückkehr aus Rußland mit einem schönen und l) Eckoldt war 1749 geboren und erhielt 1796 von der Universität Kiel die Doktorwürde. Die aus diesem Anlaß in Leipzig von seinen Freunden und Ver­

ehrern herausgegebene Festschrift ist von Seume und Mouromzow mit unterzeichnet. ®) Oeser war am 17. Februar 1717 in Preßburg geboren und seit 1764 Direktor

der Kunstakademie zu Leipzig.

Liebesverhältnis mit Wilhelmine Röder. reichen jungen Mädchen anknüpste.

115

Es war dies sein Liebesverhältnis

mit Wilhelmine Röder in Leipzig, die „erste große konvulsivische Leiden­ schaft" seines Lebens.

Seume hatte Wilhelmine zum erstenmal in der reformierten Kirche gesehen und war ihr dann auf seinen Spaziergängen mit Schnorr in

Gohlis wieder begegnet.

Da Schnorr die junge Dame kannte, so war

die Annäherung leicht, und der Herzensbund bald geschloffen.

aber trug keine Gewähr der Dauer und des Glücks in sich.

Dieser

Schnorr

sagt darüber in seinen Aufzeichnungen: „In

diesen

(Herbst

Zeitraum

Seume'S Liebesverhältniß

und

Wilhelmine

zu

Winter 1795)

fällt

und

31....

dann die

furchtbare, den höchsten Seelenschmerz erregende Täuschung.

hat sich über dieses Ereigniß herrlichsten

Gedichte

auch

Seume

in seinem Umfange in einem seiner

ausgesprochen.

Ich

in R ... .'S Hause

gab

Unterricht und mußte das Abgeben der wechselnden Briefe übernehmen.

Mein Freund drang mehr als einmal in das heißgeliebte Mädchen,

den Vater von diesem Verhältniß in Kenntniß zu setzen, oder es ihm selbst zu gestatten.

Allein Wilhelmine wußte ihn immer noch zu be­

schwichtigen; noch sei es nicht rathsam. bei,

da heimliches Wesen

doch mußte er nachgeben.

Wesen.

seiner

Der Mann litt furchtbar da­

ganzen Seele

zuwider war.

Wilhelmine war wirklich ein

Aus ihren Augen leuchtete Geist und Tiefe.

Und

interessante»

Sie hatte meinen

Freund öfters mit mir gehen sehen; die Familie

wohnte nämlich

während des Sommers in dem Mühlengebäude zu Gohlis und es

traf sich zuweilen, daß sie vor dem Hause war, und so ward ich der

unschuldige Vermittler einer Liebe, die ein so schmerzbringendes Ende nahm."

Seume liebte Wilhelmine

mit der ganzen Stärke

seines Herzens; sein ganzes Wesen wurde von

dieser Liebe ergriffen.

Seine Briefe an die Geliebte sind voller Zärtlichkeit

ganze Tiefe seines reichen Gemüts.

und Innigkeit und zeigen die

Ängstlich um ihre Gesundheit besorgt

schreibt er an Wilhelmine:

„Diesen Abend nur wenige Worte,

liebes Mädchen,

Finger sind mir steif von Schreiberei, aber ich

Bette gehen,

kann doch nicht zu

ohne Dir gute Nacht gesagt zu haben.

Wunsch recht nöthig.

Was magst

denn die

Du hast den

Du machen, Wilhelmine?

Mein

Geist schwebt um Deine Kiffen und beobachtet jede Deiner Bewegungen, 8*

Brief an Wilhelmine Röder.

116

Schnorr sagt mir, daß Du noch sehr starke

jeden Deiner Athemzüge.

Halsschmei^en

und

hast

daß

Dir

Gurgeln

da»

thut.

weh

sehr

Armes liebes Mädchen, habe Geduld und halte aus, ich Sünder bin

Schuld daran; denn ich bin fest überzeugt, alles ist von der Erkältung

im Garten.

Du sagtest, ich fröre; siehst Du Mädchen, ich fror nicht;

aber bei Dir war es schlimmer als Frost.

Dir der Zugwind offenen Platze.

geschadet

Schon in der Kirche mag

Es ist nicht zu leugnen, es war damals ziemlich kalt,

und Du wirst die Füße nicht verwahrt gehabt haben. läuft, hat es nichts zu sagen.

recht gesund.

Aber Du warst

auch

Wenn man damals

nicht

Ich bin an Allem Schuld, ich; Du solltest zürnen und

Du bist so ganz Liebe, so ganz Zärtlichkeit.

auf der Folter Deinetwegen, könnte.

auf dem

haben, und dann der Wind

Mädchen,

wenn ich Dich nur drei Minuten sehen

Aber das geht nicht, das geht nicht.

in Acht, theuerstes Mädchen,

bin wie

ich

ich

will

Nimm Dich ja recht

nicht wieder Ursache Deiner

Krankheit werden, und sollte ich dulden wie ein Märtyrer.

Wenn

man mir erlaubte. Dein Arzt zu sein, gewiß. Du solltest alle übrigen

Aerzte entbehren können; davon bin ich deswegen überzeugt, weil ich selbst nie krank bin.

Was bei mir ist, muß Alles gesund werden,

drum komm' zu mir, liebes Mädchen, oder rufe mich zu Dir.

Du nicht, daß ich allemal etwas Gesundheit mitbringe. wir freilich nicht stundenlang im Dezember im Garten

weiß gar nicht, wo ich meine Sinne gehabt habe.

Merkst

Nur dürfen sitzen.

Ich

Um einige Süsse

kann ich Deine Gesundheit in Gefahr setzen! Vergieb mir. Künftig mußt Du mir gehorchen;

ich muß für Dich sorgen, da Du nicht für Dich

sorgen willst, mit meiner eigenen Aufopferung muß ich für Dich sorgen.

Ach wenn Du nur erst wieder gesund wärst! Ich Armer! Nnn glaube ich gar nicht, daß ich je krank werde, da ich mit Dir nicht krank werde. Aber meine Lage ist fast schlimmer, als ob ich krank wäre.

Wieviel Mal

bin ich täglich nicht bei Schnorr, um nur auf seinem Gesicht zu lesen, wie Du Dich befinden magst.

Heute Abend bin ich noch einige Mal unter

Deinen Fenstern herumgeschlichen, als ich aus dem Konzert kam. Ich wallfahrte dorthin in die Gegend,

Stätte.

wie die Pilger an

eine heilige

Aber die Stätte ist mir auch heilig, wo Du wohnst, mehr

als Jerusalem mit all seinen Reliquien. Du treibst mich herum.

W zu sehen, das

Ich soll soviel arbeiten, und

Heute früh lief ich hinaus, bloß um das

Du in den Kastanienbaum geschnitten

hast,

da

habe ich doch wenigstens Bewegung und der Gang ist trotz des tiefsten

Schnees

recht schön, denn Du wohnest in meiner Seele.

Wenn ich

so fort leben sollte, ich wüßte nicht, was endlich aus meiner Existenz

Brief an Wilhelmine Röder.

werden würde,

117

ich bin wie ein Frommer, der sich täglich auf den

Himmel bereitet und in der Hoffnung schon oben ist.

Theures, einzig

innig geliebtes Mädchen, sorge für Dich Deinetwegen und noch mehr

meinetwegen, mein Leben, mehr als mein Leben, meine ganze Glück­ seligkeit hängt an Dir.

Ich küffe Dich mit süßer, banger Zärtlichkeit,

meine Liebe; gieb mir den Kuß bald wieder zurück, daß ich — Dich

wieder küssen kann.

Ewig der Deinige.

G. Seume."

(Leipzig, Dezember 1795.)

Nur einen oder zwei Tage später richtete er an Wilhelmine fol­

genden Brief:

„Eben will ich mich schlafen

legen, liebes Mädchen, und es ist

recht spät, und ich bin recht müde, weil ich

viel Zeugs

gearbeitet

habe, was mir kein Vergnügen macht; aber Dir muß ich doch vor­ her schreiben.

Das gehört zu meinem Dessert des Abends.

Wenn

Du die Briefe und Briefchen alle zusammenzählst, Mädchen, die ich

Dir schon geschrieben habe, ich glaube, man könnte das Augsburger Archiv damit anfüllen.

Und

was mag ich Dir wohl immer Alles

geschrieben haben? Was kann das sein? Und wenn ich tausend Folio­

bände an Dich schriebe, so würde Alles nur Liebe sein.

Wenigstens

mußt Du jede Zeile aus meinen Briefen streichen, die nicht etwas von Liebe athmet. Und wenn ich hundert Jahre schriebe, Ich schriebe doch Dir nichts als Liebe.

Der Puls, der Dir nicht Liebe schlügt. Der Wunsch, der mich zu Dir nicht trägt. Gehöret nicht zu meinem Wesen, Ist meiner Seele fremd gewesen.

Die Liebe nur belebt mein Herz Und hebet froh es himmelwärts; Die Liebe, die Du mir zun» Leben Und für die Ewigkeit gegeben.

Ich sah und sog mit tiefem Geiz Bon Deinem Antlitz jeden Reiz, Ich kam und nahm aus Deinen Blicken

Der Seele süßestes Entzücken. Ich kam mit Deinem holden Bilde

Zurück vom herbstlichen Gefilde, Mit jedem Tritte folgst Du mir, Und selig war ich stets mit Dir.

118

Brief an Wilhelmine Röder. Da wagt' ich endlich nah' zu treten Und meine Seele vorzubeten. Die Angst, die mich gefoltert hat,

Als ich die kühne Bitte bat, Hast Du in Deinen bängsten Stunden

Gewiß im Leben nicht empfunden; Die Freude, die mich schnell durchlief,

Als ich den ersten lieben Brief Mit Beben las, den Du geschrieben, Ist mir noch heute so geblieben. Wie damals sie mein Herz empfand,

Als ich wie neu geschaffen stand. Nun bin ich Gottes liebster Sohn;

Ich singe mit dem schönen Lohn Trotz jedem König hohe Psalmen,

Und ihre Scepter sind nur Halmen.

Von nun an soll mir ganz allein Nur Deine Liebe Weisheit sein; Aus Deinen seelenvollen Blicken

Soll sie mich nur allein beglücken; Und dann von diesem Glücke warm Studier' ich nur in Deinem Arm,

Und was ich Dir am Herzen lerne, Ist schöner als die Morgensterne.

Ach, wäre nur die Zeit erst da, Die ich schon oft im Traume sah!

Wo Du Dich lieblich an mich schmiegest Und Dich in meinem Arme wiegest, Wo Du mir Deinen Feuerkuß Zum Morgen- und zum Abendgruß

Mit froher, froher Liebe bringest Und mir ein Lied der Freude singest; Dann kann ich meinen besten Kuß Zum Morgen- und zum Abendgruß Dir mit der frohsten Liebe bringen

Und Dir ein Lied der Freude singen.

Die Verse sehen wohl etwas schläfrig aus? Es ist Mitternacht, Mädchen! da ist es ganz natürlich. Du mußt mit mir Schwätzer recht viel Geduld haben. Wenn Du mich einmal ganz hast, so magst Du mich nach Deiner Weise ziehen; wenn Du nämlich noch etwas Taugliches an mir findest. Folgsam will ich wohl sein, wenn Du mir das Gute ordentlich vordemonstrierst.

Was machst Du Liebe? Werde ja gesund! Werden Papa und Mama nicht bald wieder irgend einen Schmaus haben? Ich wünsche den Leutchen recht viel Ge-

Brief an Wilhelmine Röder.

Grüße Schwesterchen;

selligkeit.

wichtig, durchaus, hörst Du?

119

und werde ja gesund; das ist sehr

Schreib' mir bald, daß Du bester bist.

Ich küsse Dir mit Zärtlichkeit Hand und Mund.

Ewig Dein Treuer; werd' ja bald gesund!

S." Mit Seume und Mouromzow zugleich hielten sich in Leipzig noch

mehrere russische Offiziere auf, die aber im Dezember 1795 sämtlich Befehl erhielten, sogleich zu ihren Truppenteilen zurückzugehen.

Seume

befürchtete ebenfalls Befehl zur Rückkehr zu erhalten, dem er jetzt aber, da er sich von Wilhelmine geliebt wußte, nur nachgekommen sein würde, um seinen Schutzbefohlenen sicher zurückzugeleiten und den General Jgel-

ström persönlich um seinen Abschied zu bitten.

Er schrieb darüber

an

Wilhelmine:

„Auch heute mußt Du mit mir Geduld haben, ich bin beständig wie auf der Post.

liebe» Mädchen;

Heute kam Jgelström*) zu mir

und zeigte mir seine Ordre, sich sogleich beim Kommando zu stellen. — Sei ruhig, Liebe, ich reise nicht. — Sein Befehl war, sogleich bei

Empfang abzugehen.

Die Ursache weiß ich sehr wohl.

Auch einige

andere Offiziere haben schnell zu ihren Korps gehen müffen.

Nun

mußte ich ihm eine Menge Geschäfte besorgen helfen, die ich einem

Freunde schuldig bin.

Man muß mir nicht den Vorwurf machen

können, daß ich meine ernsthafteren Pflichten nicht willig und pünktlich erfülle.

Man sagte uns, es feien auch Briefe an uns auf der Post,

Du kannst denken, Liebe, wie mir das Herz schlug, ob wir nicht viel­

leicht auch Befehl erhalten würden.

Die Briefe kamen und waren

zwar vom General, aber sie enthielten blos freundschaftliche Allotria.

Eigentlich wäre es nun wohl bester gewesen, ich wäre jetzt gereist;

denn je eher ich hinkomme, desto eher bin ich wieder zurück.

Aber

Dich jetzt so krank zu verlassen. Dich vielleicht nicht einmal sehen zu

können, das würde mein Herz nicht ausgehalten haben, so hart es auch sein mag.

Ich bitte Dich, liebes theures Mädchen, werde ja

nicht krank, nicht schlimm krank, oder ich kann nicht dafür bürgen, daß

ich nicht gerade zu Deinem Vater gehe.

Liebe, schreib' mir, daß es

x) Dieser war ein Wetter des in Warschau umgekommenen jungen Grafen von Jgelström. Übrigens gab es fünf oder sechs Träger dieses Namens, die mit Seume

in nähere Beziehungen traten.

Bergt. „Dresdener Geschichtsblätter" 1895,

S. 171: „Aus Julius SchnorrS Tagebüchern."

Nr. 1,

120

Brief an Wilhelmine Röder.

besser mit Dir ist; schreib' nicht viel, wenn es Dir schwer wird; nur einige Zeilen zu meiner Beruhigung. Wenn ich Dich nur wohl weiß,

so bin ich glücklich genug. Täglich fühle ich mehr, wie sehr Liebe unser ganzes Wesen stimmen kann. Mein Vater starb, und ich fühlte Schmerz und weinte Thränen; aber welcher Unterschied zwischen jenem Gefühle und dem zärtlichen Kummer, den mir nur Dein Übelbefinden

macht. Mädchen, ich liebe Dich unaussprechlich; das habe ich so oft gesagt; aber ich sage es eben so oft, weil ich meine Liebe nicht aus­ sprechen kann. Deine Gesundheit beschäftigt mich jede Stunde. Oft breche ich mitten in der Periode meine Schreiberei ab, lege die Feder seitwärts und sehe minutenlang, viertelstundenlang auf das leere Blatt. Meine theure, einzig innig geliebte Wilhelmine, ich bitte Dich bei der Glückseligkeit, die Du mir gegeben hast und geben willst, bei der ganzen innigen Zärtlichkeit, mit der ich Dich ewig lieben werde,

sei sorgsam und aufmerksam auf Deine Gesundheit. Es macht mir unaussprechlich viel Unruhe, wenn ich Dich krank denken muß; um so mehr, da ich nicht hin kann, mich von Deinem Zustande zu überzeugen. Ein einziger Blick ist mehr als eine lange Erzählung. Es hat mich recht geschmerzt, daß Du fandest, ich sei unordentlich; denn ich kann es nicht ganz für Scherz nehmen. Habe nur Geduld, ich halte viele Dinge zu sehr für Kleinigkeiten, im Wesentlichen hat mir noch Niemand Unordnung vorgeworfen. Du sollst finden, daß Du nicht vergebens zu mir gesprochen hast. Habe nur Muth, mit mir kannst Du alles Gute machen. Ich fühle, Mädchen, daß bei jedem Deiner Küsse meine Seele stch immer noch zärtlicher an Dich schließt. Nie habe ich Begriffe von der Liebe eines Mädchens gehabt, jetzt ist mein ganzes Herz voll

davon. Ich lasse Dir Gerechtigkeit, liebes Mädchen, ohne Erröthen Gerechtigkeit widerfahren. Du bist zärtlicher wie ich. Diesen Vorzug giebt Dir Deine Weibernatur, die lauter Grazie und Sanftmuth ist; denn bei Gott! in der Stärke der Liebe will ich mich auch von Dir nicht übertreffen lassen. Wenn ich Dich nicht glücklich mache, ich fühle den Werth meines Herzens, so glaube ich, es kann kein Sterblicher Dir Glück und Zufriedenheit geben. Ich habe Dir meinen ganzen alten Stolz geopfert und unendlich gewonnen; ich würde Dir den Feldherrnstab und alle Ordensbänder opfern und immer gewinnen. Wenn doch die Menschen nur immer richtig menschlich nach Kopf und Herz mäßen, so würde nicht so viel Mißverstand sein. Wann wird die glückliche Zeit kommen, Liebe, wo ich Dir wenigstens täglich eine gute Nacht sagen darf? Aber würde der Geiz damit zufrieden sein? Ich bin so glücklich, so glücklich, wie ein sterblicher Erdenbewohner nur

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Bries an Wilhelmine Röder.

sein kann; lehre mich Genügsamkeit, Liebe. heit will ich beten.

Glaube mir,

Nur für Deine Gesund­

ich bin förmlich fromm geworden,

seit ich Dich liebe.

Die Gottlosen sollten lieben, und sie würden sogleich aufhören zu lästern, die Abgötterei, welche Liebende begehen, ist mehr ein Lob der Schöpfers als eine Blasphemie.

durch mein ganzes Wesen,

Ein unnennbar süßes Gefühl bebt

hebt meine ganze Seele von der Erde

empor, wenn Du mit frommer Vertraulichkeit mit einem Kusse Dich

zu mir neigst.

Ich bin vielleicht ein Kind; aber der Himmel erhalte

mir und Dir diesen Kindersinn.



Grüße

Schwester Friederike.

Nimm den Kuß der Zärtlichkeit, und daß Dir der Himmel Gesundheit

schenke. Ewig Dein Seume."

Noch inniger und zärtlicher und darum noch ergreifender ist der folgende Brief an Wilhelmine: »Da soll ich arbeiten, liebes Mädchen, und meine ganze Seele ist

bei Dir.

Dein' Briefchen hat mich nicht so sehr getröstet, als mich

Schnorrs Nachrichten beunruhigt haben.

höre, und ich soll ruhig sein!

Du bist sehr krank, wie ich

Dein Arzt ist nicht zu Hause, zu dem

Du noch das meiste Vertrauen hast; Du kannst nicht sprechen. Du

leidest die empfindlichsten Schmerzen, und ich soll ruhig sein!

Da

liegt der Bogen, der in die Druckerei soll; ich habe ihn weggeworfen. Ich weiß meinen Zustand mit nichts zu vergleichen, er ist mir ganz

fremd; ich bin sehr traurig und möchte doch um Alles in der Welt nicht fröhlich sein, wenn mir Jemand meine Traurigkeit nehmen wollte. Liebes, krankes Mädchen, und Du leidest sicher meinetwegen; meinet­

wegen hast Du Dich nicht geschont; wie werde ich, wie kann ich Dir alle Zärtlichkeit vergelten, die Du mir schon gezeigt hast.

Ich fühle,

ich muß von Dir die Liebe lernen; ach. Theuerste, werde nur gesund,

Du sollst ganz mit Deinem Schüler zufrieden sein.

Es ergreift mich

beständig unwillkürlich eine Wehmuth, von welcher ich mich nicht los­ reißen kann, nicht losreißen will.

Die Saiten, die ich Stümper auf

dem Klaviere anschlage, beben alle melancholische Akkorde, und alle kleinen Stücke, die ich von der Laute greife, sind ungewöhnlich elegisch.

Einige Töne, welche den Ton der Seele treffen, können einen Laien tiefer rühren, als den Meister die Kunstharmonien ihrer Zauberer. Ich bekenne Dir, Liebe, ich gäbe ganze Konzerte von Haydn für zwei

Brief an Wilhelmine Röder.

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Töne auf der Laute hin, wenn sie die Stimmung der Seele zurück­

beben. Es ist schon sehr hart, in solcher Entfernung von seiner Geliebten zu leben wie ich; in einem so eigenen traurigen Verhältniß zu stehen

wie ich;

solche schöne Hoffnungen und so eigene Schwierigkeiten zu

haben wie ich; aber jetzt, da Du krank bist, da ich herum schleiche

wie ein Verirrter, da ich Dir so nahe bin und so fern, Lage keine ähnliche an qualvoller Angst.

hat meine

Ich spreche nicht, weil ich

meine Empfindung lieber behalte als ausgebe; ich würde Dir auch nicht

schreiben, wenn ich Dir verbergen könnte, wie es in meiner Seele

aussieht.

Selbst meine Gedanken sind so irrsam durcheinander, daß

Du es vielleicht sogar meinem Briefe ansiehst.

Es ist, als ob ich mich

hinsetzen sollte zu sterben. Vergieb mir, bestes, theuerstes, ewig geliebtes

Mädchen; ich sollte nicht klagen, denn ich bin ein Mann, und ein

Mann soll stark sein.

Ein König mit seiner Macht könnte meinen

Augen sicher keine Thräne anszwingen; meine eigenen Empfindungen

haben oft schon die glühenden Tropfen bis an die Wimper getrieben. Ich weine wohl nicht, aber meine Augen brennen und eine hohe Gluth In welchem Lichte mag ich Dir

fährt elektrisch durch meinen Nacken.

erscheinen, Liebe? Man klagt mich so sehr der Härte, ber Unempfindlich­

keit,

der Rohheit an, und in meinem Charakter, der meistens der

eisernen Vernunft

folgt,

das jener

etwas,

liegt

einen Anschein von Wahrheit giebt.

Aber ich

Beschuldigung

versichere Dich bei

Allem, was einem ehrlichen Manne heilig sein kann, es ist nur Schein, und wer in den Charakter nicht tiefer eindringt, bleibt bei dem Schein

stehen.

Du machst mir vielleicht einst den nämlichen Vorwurf, wenn

meine Liebe sich in das Kleid des Vernunftmäßigen schickt, meine Seele

sich vielleicht in die alte stoische Ruhe setzt, und Du dann glaubst, das Feuer meiner Empfindungen sei ausgestorben. werden; denn ich versichre Dich,

Das würde mir schrecklich

bei meiner anscheinenden Ruhe kocht

es ost in der Tiefe wie ein Vulkan.

Thue mir nie das Unrecht,

Liebe, je an meinem Herzen zu zweifeln; setze es auf die Probe wie Du willst, und es wird Probe halten.

ewig, denn sie sind wahr.

Meine Empfindungen sind

Wenn ich nur einmal so glücklich wäre,

näher um Dich zu sein, mit Dir in innigern Verhältnissen zu stehen,

damit Du mich ganz kennen lerntest und sähest, daß ich ein Herz wie das Deine ganz verdiene.

Siehst Du, bestes, trautes Mädchen, meine

Verse könnten Schminke tragen, meine Moral könnte Wortgepränge sein, meine Briefe könnten lügen,

meine Reden könnten Brast sein,

meine Küsse könnten Dir heucheln, denn wer würde nicht ein schönes.

193

Brief an Wilhelmine Röder.

liebenswürdiges Mädchen feurig küssen, wenn er ihr Herz bestricken wollte: Alles an mir könnte Dich betrügen, aber nicht meine Handlungm, welche Dokumente bleiben für oder wider mich, nicht die herzliche,

innige, zärtliche Aufmerksamkeit, mit der ich ununterbrochen mein ganzes

Leben für Deine Glückseligkeit wachen würde.

Meine heißeste Liebe

zu Dir macht mich nicht blind, Wilhelmine; ich kann Dich bei dem Glück, das ich von dieser Liebe hoffe, versichern, ich würde es Dir mit

zärtlicher Schonung sogleich entdecken, wenn ich etwas an Dir fehlerhaft fände;

aber Alles,

Alles hat an Dir, soviel ich jetzt gesehen habe,

meine Billigung, manches

hat mich entzückt, und selbst der kältere

Beobachter würde nichts zu tadeln finden.

Deinem Herzen sehr

Der Himmel hat mich in

gesegnet; ich habe so viele Glückseligkeit durch Aber ganz kalt bin

meine undankbar kalte Philosophie nicht verdient.

ich nie gewesen; ich hatte wenigstens die Empfänglichkeit der Wärme mir erhalten, sonst hätte ich Dich nicht geliebt, sonst 'hättest Du mir

nicht geantwortet. Die Welt wird Dich sehr tadeln, wenn sie Deine Wahl erfährt;

aber ich will Dich rechtfertigen dadurch, daß ich ihr zeige, ein Weib

könne an meiner Seite wohl so glücklich sein als in einem goldnen Wagen.

Mädchen, ich darf Dir bekennen, ich freue mich auf die Zeit

wie ein Knabe, der noch zehn Jahre zu warten hat, bis ihm der Bart keimt.

Gewiß, ich bin ein guter Mensch durchaus, und ein solcher

wird nie ein schlechter Mann.

Werde nur gesund; ich bitte Dich,

meine Theure, sorge für Dich; befolge jetzt die Vorschriften, die Dir der Arzt giebt, sei ruhig und habe Geduld.

Wenn ich nur selbst

ruhig sein könnte, ich wollte Dir recht gute Predigten über die Ruhe

halten. so zieht

Mir ist alle Tage, als ob ich in Euer Haus stürmen müßte, mich eine unaufhaltbare Gewalt immer in

seine Gegend.

Mädchen, wenn Du wüßtest, wie oft ich, in meinen Mantel gehüllt,

Abends dort in der Straße auf und ab wandle; ich blicke nicht hinauf,

weil ich nichts sehen würbe, aber es thut mir doch etwas wohl. Dir so nahe zu sein, bis mich meine Ungeduld fort nach Hause treibt.

Ich habe mit Dir und blos durch Dich schon manche schöne herrliche

Stundegenoffen; aber eben dieser volle Genuß zeigt mir nun die Leerheit aller übrigen.

Es ist, als ob ich nicht lebte, wenn ich nicht wenigstens

in Gedanken bei Dir bin, so sehr bist Du Alleinherrscherin meines ganzen

Wesens geworden . . .

Werde nur wieder gesund, und rufe mich zu

Dir; oder rufe mich auch nicht zu Dir und werde nur gesund . . . .

Ich küsse Dich so zärtlich, als ich Dich liebe.

Dein auf ewig.

124

Bries an Wilhelmine Röder.

Besonder» charakteristisch für Seume ist folgender Brief an die Geliebte: „Heute bin ich schon etwa» ruhiger Deinetwegen, da mir Schnorr Nachricht von Deiner Besserung bringt. Aber ganz ruhig werde ich

nicht eher, al» bi» ich Dich wieder einmal selbst sehe und urtheile, daß Du gesund und wohl bist. Denn Deiner Versicherung über Deine Gesundheit glaube ich auch nicht; Du hast mich so oft getäuscht. Du glaubst, liebe» Mädchen, hier ist die Täuschung wohlthätig und besser al» Wahrheit. Das spricht Deine Liebe; aber da» kann meine Liebe nicht glauben. Al» ich Dich das letzte Mal in meinen Armen hielt, liebes Mädchen, wie gut und zärtlich warst Du da! wie liebevoll hingst Du an meinem Halse und athmetest an meinem Herzen. Aber Du warst krank. Du warst schon recht krank, arme» Mädchen. Mir war'», als ob Deine Küsse doppelte Zärtlichkeit hätten; e» ist etwa» Unaus­ sprechliche» in einem solchen Blicke, in einem solchen Kusse. Wehe dem Menschen, den ein solcher Kuß nicht ganz zum reinen Geweiheten seiner Liebe macht. Es liegt Wehmuth darin, unbeschreibliche Wehmuth. Theuerstes Mädchen, ich glaube, ich fange nun erst recht an. Dich zu lieben, wie ich soll, und werde Dich in Zärtlichkeit übertreffen, wenn ein Mann je ein Mädchen an Zärtlichkeit übertreffen kann. Siehst Du, Liebe, ich lasse Dir und Deinem Geschlecht Gerechtigkeit wider­ fahren; ich gestehe, Ihr mögt zärtlicher lieben: aber liebt Ihr auch treuer und standhafter und unverbrüchlicher? Das ist eine Frage, die ich nicht entscheiden mag. Mich däucht. Du mußt ein Muster aller dieser Tugenden sein, weil Du mich wählen konntest. Das klingt stolz, Liebe, aber es ist wahr; und mit diesem Stolze wirst Du wohl zufrieden sein. Du konntest wohl glauben, daß ein Mann, wie Du Dir meinen Charakter vorstellen mußtest, vorzüglich in so ernsten Dingen sehr ernst denkt und doppelt ernst handelt: und doch eiltest Du in meine Arme. Du bist ein Engel für mich; ich weiß gar nicht, Mädchen, wie ich Dich ganz verdienen werde: aber verdienen will ich Dich, das Zeugniß sollst Du mir einst noch geben. Ich glaube, im ganzen Vaterlande ist kein Mädchen, das so gut und liebevoll wäre, als Du bist, Wilhelmine. Mädchen, ich fühle Deinen Werth in mancher

ganz kleinen Nüance und liebe Dich täglich mehr. Das ist vielleicht eine Formel; denn ich glaube, ich kann Dich nicht mehr lieben als gestern und ehegestern; und doch kommt mir's jedesmal so vor, wenn . ich Dich in meinen Armen halte. Aber weißt Du, Liebe, daß ich Dich jetzt al» meine theuerste Geliebte doch noch nicht so liebe, als ich Dich

Brief an Wilhelmine Röder.

125

lieben werde, wenn Du einst mein Weib sein wirst: das fühle ich, das liegt in der Natur, und ich wollte es philosophisch beweisen.

Die

Geliebte ist dem Liebhaber freilich das höchste, glühendste Ziel aller seiner Wünsche und Hoffnungen; aber das Weib muß dem Manne durch­ aus Alles, Alles, der ganze Zirkel seines Wesens sein.

Der Mann ist ein

Verräther, dem sein Weib das nicht ist, und wehe dem Weibe, welche» dieses Alles dem guten Manne nicht sein kann.

Vergieb mir, liebe Wilhelmine, Du weißt, ich bin kein überzärtlicher, vergieb mir meine

süße Schwärmerei; das denke ich mir durchaus als die seligste Periode der ganzen Erdenexistenz, wenn Du mir einen Knaben oder ein liebliches

Da Du mich kennst, wirst Du mich

Mädchen entgegentragen wirst.

deswegen nicht tadeln; da ich Dich kenne, darf ich wohl in den hohen Empfindungen meines Herzens ein Wort dieser Art zu Dir sprechen.

Wenn ich so oft unter einer glücklichen Familie saß und mich an den reinen Gesichtern der kleinen, fröhlichen Kinder weidete, stieg oft eine unbekannte Sehnsucht in mir auf.

Ich dachte nie an die Hoffnung,

selbst einst so glücklich zu werden, und ließ die kleinen, krauslockigen Jungen mich in den Haaren zausen und am Barte rupfen.

Die Leute

trotz meiner Wildheit sähen sie daraus, daß ich ein guter Mann sei. Du, Wilhelmine, hast mir diese neue Hoffnung sagten immer,

geschaffen, und ich danke Dir dafür wärmer als für alle Deine Küsse.

Werde nicht eifersüchtig über meine sonderbare Philosophie.

Du bist

mir doch, bleibst mir doch Alles, der ganze Inbegriff des Segens, den ich mir vom Himmel erbitte.

Mädchen, werde nur wieder gesund,

denkst Du etwa, da« sei so ganz egoistisch? meinetwegen gesund werden sollst?

und daß Du so blos

Glaube da» nicht, Liebe, ich wollte

gern für Dich leiden und dulden, wenn ich Dir nur Deinen Schmerz

abnehmen könnte.

Seit ich Dich so herzlich liebe, bin ich, so wahr ich

lebe, ein anderer Mann; ich habe das Leben selbst weit lieber, und mich däucht, es sei nun doch des Wunsches werth zu leben.

nahm ich mir wahrlich kaum die Mühe, das Leben

Werde nur wieder gesund, meine Liebe!

recht zärtlich.

Ehemals

zu wünschen.

Ich küsse Dich zärtlich,

Ewig Dir treu und der Deinige, liebes Mädchen, ewig.

S." Diesen schönen Zukunftsträumen sollte alsbald das Erwachen zu

einer feindseligen, grausamen Wirklichkeit folgen.

„Die Welt wird Dich

sehr tadeln, wenn sie Deine Wahl erfährt," hatte Seume an Wilhelmine

geschrieben, dabei aber wohl nicht geahnt, daß die Welt ihr Zerstörungs­ werk

an seinem jungen Glücke schon begonnen hatte.

Die Vollendung

Lösung des Herzensverhältnisses.

126

wurde ihr nicht schwer.

Wilhelmine war jung und schön, das viel­

umworbene Kind angesehener, reicher Eltern, Seume von schlichter Her­ kunft, ein armer Poet und russischer Lieutenant von ungewiffer Zukunft.

Man

Wie sollte er bestehen, wenn die Welt ihn auf ihrer Wage wog?

hatte Seumes Charakter bei Wilhelmine verdächtigt und ihr gedroht, dem Vater, der ihre Wahl niemals billigen würde, ihr heimliches Ver­

löbnis zu entdecken; sein Zorn würde sie dann sicher treffen.

Und so

hatte sie sich denn bewegen lassen, den Bruch selbst herbeizuführen.

Man

würde irren, wenn man glauben wollte, Wilhelmine habe Seume nicht

wahrhaft geliebt; sicherlich war sie ihm von ganzem Herzen zugethan.

Aber die Verhältniffe, die auf sie einwirkten, waren stärker als ihr Mut, für ihre Liebe in die Schranken zu treten.

Ebenso gebrach es ihr an

Mut, dem Geliebten ihren wahren Seelenzustand zu entdecken, und darum

vergriff sie sich auch in dem Mittel den Bund zu lösen.

Noch bei ihrem

letzten Zusammentreffen mit Seume hatte sie mit doppelter Zärtlichkeit an seinem Halse gehangen, und er hatte die Wehmut gefühlt, mit der

es geschehen war; sie hatte Abschied von ihm genommen.

Bald nachher

schrieb sie ihm, ihr Vater habe ihr alle Hoffnung genommen und ihr mit seinem Fluche gedroht.

Dies beruhte aber nicht auf Wahrheit, denn

ihr Vater erfuhr erst von dem Verhältnis, als Seume nun an ihn schrieb.

Wilhelmine handelte hierin also nicht gewiffenhaft, und dies ist im Grunde

der einzige Vorwurf, der sie

treffen kann.

Ihr Vater forderte nun

seinerseits, daß das Verhältnis gelöst werde, zumal sich Wilhelmine schon in diesem Sinne entschieden hatte.

Der letzte Brief, den Seume an Wilhelmine richtete, giebt weiteren Aufschluß.

Er lautet:

„Wilhelmine, Dein Vater hat mir das Versprechen abgefordert, die Korrespondenz abzubrechen; ich hatte schon geschrieben, es ihm zu geben; er hatte

aber nicht die Güte, den Brief, der es enthielt, anzunehmen; folglich habe ich es ihm nicht gegeben, und sein Wille ist für mich unbedingt kein Gesetz.

Aber Du scheinst der nämlichen Gesinnung zu sein, und

Deine Wünsche sollen mir heilig sein bis zu meinem letzten Hauche.

Fürchte nicht, daß ich Dich weiter mit Zudringlichkeiten beschweren

werde; nur das traurige Vergnügen kann ich mir nicht versagen, in diesem letzten Briefe noch einmal herzlich zu Dir zu sprechen.

Ich

will mich rechtfertigen vor Dir, rechtfertige Du Dich auch vor Dir selbst.

Mein Herz soll und muß schweigen; ich habe Ursache zu fürchten,

daß seine Sprache nicht mehr verstanden wird; und ich will seine

Letzter Brief an Wilhelmine Röder.

127

Empfindungen nicht entweihen. Es ist seit einiger Zeit meine Be­ schäftigung gewesen, daß ich alle Deine Briefe mit bitterm Gefühl wiederholt durchgelesen; es ist, als ob die schöne Täuschung noch um mein Herz spielte, als ob ich nicht aus dem süßen Traum erwachen könnte. Ich kenne viele Arten des Zweifels; aber keine giebt solche Skorpionenstiche wie der Zweifel, den Du mir gegeben hast. Ich bin

glücklich gewesen, in meinem Wahn glücklich gewesen, das danke ich

Dir. Du kannst stolz sein, es hat mich kein weibliches Geschöpf glücklich gemacht als Du; Du kannst sehr stolz sein, es wird mich keines wieder glücklich machen. Du bringst mich zu meiner alten Philosophie über die Weiber zurück, und noch sehr zu rechter Zeit. Wilhelmine, Du hast nicht großmüthig, nicht redlich mit mir, nicht weise mit Dir selbst

gehandelt. Warum hast Du mir nicht Wahrheit gesagt? Glaubst Du, daß ich Wahrheit scheue, auch wenn sie mich zu Boden schlägt? Ich merkte Deine Veränderung gleich mit den Feiertagen (Weihnachten 1795): ich lief herum voll Angst wie ein Gejagter. Von Dir kam kein

Gruß, keine liebreiche Erkundigung, keine Nachfrage nach einem Briefe, deren ich wohl sieben geschrieben und zerrissen habe.

Meine Seele

war auf der Folter. Endlich sagte mir Schnorr, das Verhältniß müsse abgebrochen werden, das wolltest Du; Du, die Du mir noch vor vier­

zehn Tagen die heiligsten Betheuerungen schicktest: Dein Vater habe Dir alle Hoffnung benommen. Dir mit seinem Fluche gedroht. Von allem dem war nichts wahr, wie ich aus Deines Vater» Briefe sehe. Welche Partie glaubtest Du denn, daß ich nach meinem Charakter

nehmen konnte, als Deinem Vater nun geradezu zu schreiben, da ich nach Deiner Botschaft annehmen mußte, er wisse schon Alles? Hättest Du mir die Wahrheit sagen lassen, ich hätte Dir mit einem kurzen

Kampfe Alles zurückgeschickt. Du klagst über meinen Stolz und nimmst Dir die Mühe, mich ganz zu demüthigen. Vielleicht gelingt es Dir, vielleicht nicht. Dein Vater will keine Briefe von mir annehmen, auch Deine Mutter nicht. Du vielleicht auch nicht. Das erniedrigt mich nicht; ich finde mein Betragen ziemlich konsequent, so konsequent man in meiner Gemüthsstimmung sein kann.

Was soll ich nun thun?

Dein, Dein eigener Antrieb war es, zu brechen. . Du hättest mir und Dir und Deinen Eltern viele schmerzliche Gefühle ersparen können, wenn Du mit etwas mehr Überlegung gehandelt hättest. Es scheint,

als ob Du Dir ein Vergnügen gemacht hättest, meine Empfindungen zu einer solchen Höhe zu winden, um mich dann mein Nichts fühlen zu lassen. Es ist Dir ganz gelungen. Das Mädchen, das noch kurz vorher an meinem Nacken hing und mich um meine Treue bat, hat

128

Letzter Brief an Wilhelmine Röder.

nun nicht einmal den Muth, zu sagen, daß es mich nicht liebt. Ich bin zur Galantrie zu ernst und Du hast Dich geirrt, wenn Du mich unter diese Rubrik gebracht hast. Wir haben einander, wie es scheint. Beide nicht gekannt und dürfen also einander keine Beschuldigungen machen. Daß ich Deine Ruhe gestört habe, vergieb mir; daß Du mir so schöne Hoffnungen geschaffen und vernichtet hast, daß durch Dich mein Friede zu Gmnde gegangen ist, das will ich Dir vergeben, meine Blödsinnig­

keit anklagen und Dich zu den ganz gewöhnlichen Mädchen zählen. Wenn ich das nur könnte, Wilhelmine, ich wäre noch glücklich genug. Mein Stolz hat Dir nicht gefallen; um ihn zu heilen, hast Du Bitter­ keit hineingegoffen. Deinen Eltern rechne ich nichts an; sie handeln nach ihrem Begriff der Pflicht; aber wie Du nach Deinem Begriff der Pflicht handelst, kann ich nicht einsehen. Du warst weder gegen Deinen

Vater, noch gegen mich, wie Du solltest. Dir Gründe, welche Dein Vater gegen mich anführt, sind alle gültig genug, da Du ihnen Gewicht giebst: ein einziger hat mich mehr als alle getroffen, er heißt die

Wankelmüthigkeit des Weibes. Dein Vater läßt Dir Gerechtigkeit widerfahren. Wilhelmine, Du hättest redlicher mit mir sein sollen. Ich bin nicht der Mann, der das weiche Herz eines Mädchens miß­ braucht ; ich fordere Dich auf, die Wahrheit zu sagen. Bin ich nicht offenherzig mit Dir gewesen? Habe ich Deine Empfindungen bestochen? Meine ganze Seele hängt noch an Dir und wird sich ewig nicht los­ winden können. Wenn Du meiner unwerth wärest, würde ich über Dich weinen und trauern. Sage mir nur offenherzig Deine Wünsche, und traue mir Großmuth genug zu, sie alle zu befriedigen, und wenn es mir das Leben kostete. Wider meine Ehrlichkeit kannst Du nichts fordern. Deine Briefe solltest Du längst wieder haben, wenn sie Dein Vater nicht verlangte. Bekommen soll er sie nicht; aber lesen soll er sie, wenn er darauf dringt, zu seiner Beruhigung und Deiner Recht­ fertigung. Hast Du etwas geschrieben, was Du zu gestehen Dich schämest? Dich zu schämen Ursache hast? Mädchen, dann sind wir Beide zu beklagen. Dein Vater und ich, und Du am Mehrsten. Dann sollen sie zur Tilgung alles Mißtrauens vor seinen Augen vernichtet werden. Wenn ich auch das Angesicht Deines Vaters scheue, will ich mich doch vor ihm nicht schämen. Ich bin gewohnt, mir Achtung zu erzwingen, wenn ich mir auch keine Gewogenheit erwerbe. Ich kann mir vorstellen, wie viel Nachtheiliges man Dir auf meine Kosten vor­ sagen wird; wenn Du das so geradezu ohne Sichtung glaubst, so habe ich jede Empfindung meines Herzens umsonst verschwendet. Ich bedaure Dich bei allem meinem Schmerz noch weit mehr als mich selbst; denn

Letzter Brief an Wilhelmine Röder.

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ich werde höchst wahrscheinlich Zeitlebens Dir zum Vorwurf herum­ laufen. Mein Betragen wird Deine Strafe sein. Ich versichere Dich, Liebe, ich werde Dich nicht aus meiner Seele verlieren. Ich habe mit keinem Mädchen in einer nähern Verbindung gestanden; Du bist

das einzige, das sich ganz in meinem Herzen festgesetzt hat. Gehe hin, wo Du willst, ich werde Dich mit zu Grabe nehmen. Du hörst viel­ leicht nach dreißig Jahren von mir noch den nämlichen Ton, wenn Du Dich gelegentlich meiner erinnerst. Wilhelmine, Du hättest redlicher mit mir sein sollen; bei Gott, ich hätte Dir Alles aufgeopfert. Wirst Du glücklich sein, wenn ich bei Deiner Hochzeit ein Trauerlied singe, daß meine Freunde mit mir weinen? Wilhelmine, ich bitte Dich um Gotteswillen, bei dem Glücke, das Du noch erhoffst, sei Deiner werth; ich kann nichts Schlimmes von Deinem Herzen glauben. Sei Deines

Vaters Freundin, wenn Du nicht meine Geliebte mehr bist. Wenn mein Kuß Dich nicht edler gemacht hat, bin ich ein Verworfener oder Du ein Geschöpf ohne Sinn. Thue nichts, nichts heimlich: was ich that, geschah Deinetwegen; sonst trete ich immer ins Licht. Meinet­ wegen zeige auch diesen Brief Deinen Eltern; ich werde ihnen gelegentlich nicht bergen, daß ich ihn geschrieben.

Erlaube mir noch einmal, mich in die süße Täuschung der Harmonie unserer Herzen zu setzen. Du hast ein schönes Werk zerstört, Liebe; das hättest Du nicht thun sollen, oder nicht sollen bauen helfen. Du fragst, was ich denke? und nicht, was ich fühle? Ich bin unendlich

traurig; und von welcher Art meine Empfindungen find, magst Du in Zukunft von meinem Gesichte lesen. Ich bin vielleicht nie wieder so glücklich, eine Silbe mehr mit Dir zu sprechen; aber mein Herz wird Dich begleiten, denn ich bin unveränderlich. Seume."

Die unerwartete schmerzliche Wendung in dieser Herzensangelegen­ heit war für Seume eine der schwersten Seelenprüfungen, die er im Leben zu bestehen hatte. Sein alter Argwohn und all seine philosophischen

Zweifel, die der kurze Traum seiner „übergroßen Seligkeit" zu bannen vermocht hatte, regten sich in ihm mit neuer Stärke und stimmten sein Selbstgefühl aufs tiefste herab. Er war nahe daran sich den Tod zu geben. In dieser unsagbar trostlosen Seelenstimmung entstand sein Gedicht „An die Schwermuth" (Hemp. Ausg. V. S. 60 ff.), worin er sich diese selbst zur Führerin durch die Labyrinthe seines Weltschmerzes wählt, indem er sie anruft: Planer u. Retßmann, Seume.

9

Gedichte: „An die Schwermuth.

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,An Wilhelmine/

„Führe mich zu deiner Abendfeier, Göttin mit dem tiefgesenkten Schleier, Göttin der Gedanken und der Ruh! Führe mich, zum Freunde dir geboren, Fern von dem Geräusch der goldnen Thoren Deinem dunkeln Ulmenwalde zu.

Leite mich, Geliebte, wenn ich sinke,

Daß ich Kraft aus deinen Augen trinke, Wenn der Zweifel wühlend auf mich rückt, Wenn ich vor dem großen Vorhang stehe Und mit Zittern in die Tiefe sehe,

Daß mich nicht der Zweifel niederdrückt."

Seumes unerschütterliches Pflichtgefühl, das in seinem tiefen mora­ lischen Empfinden wurzelte, verhalf ihm indes auch in diesen Seelen­

kämpfen zum Siege.

Er fühlte sich frei von jedem Vorwurf, und dieses

Bewußtsein ließ ihn sein widriges Geschick leichter tragen.

In folgendem

bisher noch ungedrucklem Gedichte zaubert er sich noch einmal den ganzen

Liebreiz Wilhelmines vor die Seele, um dann sein unerbittliches Ge­

schick, nicht aber die Geliebte anzuklagen; dieser hatte er bereits verziehen. Auch hierin zeigt sich seine Charaktergröße.

Haß ist nie in seine Seele

gekommen. „So bist du denn verloren, Mädchen,

Um die mein Herz, so stolz und kühn, An deiner Liebe seidnen Fädchen Geduldig hätte können ziehn!

So schwindet selbst von meinem Glücke Die letzte schwache Möglichkeit,

Und raubet meinem irren Blicke Sogar den Traum der Zärtlichkeit.

So wahr die Mischung junger Rosen Auf deiner Wange zaubrisch blüht, Und reines Feller aus den großen Und himmelblauen Augen glüht,

So wahr die Unschuld deine Mienen

Zu engelschöner Anmuth hebt, Und Einfalt, Geist und Reiz in ihnen,

Das härteste Herz zu rühren, lebt: Du zogst, als ich zum ersten Male

Mit dir nur wenig Worte sprach, Mein Herz, ich glaubt' ein Herz von Stahle, Und meine ganze Seele nach.

Gedicht „An Wilhelmine". — Reminiscenzen.

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Seitdem verfolgt mit süßem Gruße

Dein Bild mich, trotz der ganzen Zunft Der Schule, trotz dem besten Schlüsse Der reinsten, kältesten Vernunft. Nun fühl' ich erst den Druck der Sterne,

Der mich herab zur Menge warf,

Aus der durch lange bange Ferne Ich keine Hoffnung wagen darf.

Jetzt, Schicksal, jetzt gieb mir mein Glücke,

Da noch des Lebens Becher winkt; WaS hilft dem Greise an der Krücke Sein Gut, wenn er zum Sarge hinktEs hört mich nicht!

Nun, wie ein Knabe

Mit glattem, milchigem Gesicht

Wein' ich an meines Glückes Grabe Und selbst um meinen Himmel nicht. Sei glücklich, Göttin meiner Seele,

Sei glücklicher als ich es bin; Und deines Lebens Parze zähle Den Raub von mir Dir zum Gewinn!"

Auch die Gedichte „Erinnerung. An Münchhausen." (Hemp. Ausg. V. S. 28 ff.) „ Nr/.a öe xat aidqqov —" (Hemp. AuSg. V. S. 101 ff.) und „Ein Lied im gewöhnlichen Ton" mit dem Motto: „Varium et mutabile semper —“ (Hemp. Ausg. V. S. 104 ff.) handeln von dieser Liebe. Aus ihnen allen geht deutlich hervor, daß Wilhelmine noch immer

von Seume geliebt wurde. Noch eine geraume Zeit hindurch pflegte er die Stätten aufzusuchen, wo er mit ihr zusammengetroffen war und sie an seinem Nacken gehangen hatte. Auch in Grimma, wo er später eine Zeit lang wohnte, übermannten ihn zuweilen noch seine Empfindungen für die Geliebte. Er scheute dann bei oft furchtbarem Wetter und grund­ losem Wege den Marsch von drei Meilen bis nach Leipzig nicht, nur um dort im Theater aus dem dunkelsten Winkel einer Loge manchmal für seinen letzten Gulden nicht das Schauspiel, sondern Wilhelmine zu sehen. Mit Zähigkeit hielt er an seinem Abschiedsworte an die Geliebte fest, sein Herz werde sie begleiten, denn er sei unveränderlich. Wilhelmine verheiratete sich am 13. Mai 1798 mit einem jungen Kauf­ mann aus Berlin, der während der Messen des öftern nach Leipzig gekommen und mit ihrem Vater in Geschäften näher bekannt geworden war. Noch an demselben Tage, an dem sie getraut wurde, hörte Seume 9*

Reminiscenzen an Wilhelmine.

132

in Grimma von ihrer Hochzeit.

Er schrieb unterm 17. Mai 1798 hier­

über an Gleim: „Ihr Brief ist meiner Seele ein wahrer Balsam gewesen.

Ich

erhielt ihn an einem Abend, der mir einer der bösesten meines Lebens war, noch schlimmer als der hinter den Tonnen in Warschau.

Es

war mir eben zufällig gemeldet worden, daß es der Trauungstag des Mädchens war, dem mein Herz zuviel getraut hatte, und ich fühlte mich in meiner ganzen Schwäche.

Doch stille davon! Männer müssen

Männer sein, auch wenn die Laute Wehmuth tönt." — Bald nach Wilhelmines Hochzeit richtete er an ihren Gatten folgenden

Brief: „Mein Herr!

Wir kennen einander nicht; aber die Unterschrift wird Ihnen sagen, daß wir einander nicht ganz fremd sind.

Meine ehemaligen

Verhältnisse zu Ihrer Frau können, dürfen und müssen Ihnen nicht unbekannt sein.

Sie würden vielleicht nicht übel gethan haben, meine

Bekanntschaft früher gemacht zu haben;

ich störe Niemandes Glück.

Ob Madam gegen mich ganz gut gehandelt hat, kann ich nicht ent­ scheiden, eben so wenig als Sie; da wir Beide nicht gleichgültig sind.

Ich vergebe ihr gern und wünsche ihr Glück; es war ja nie etwas Anderes der Wunsch meines Herzens.

Einige meiner Freunde wollen

mir Glück wünschen, daß die Sache so gekommen ist; sie überzeugen

fast meinen Kopf; aber mein Herz blutet bei der Ueberzeugung. Sie mich nicht kennen, dürfen Sie über mich nicht urtheilen.

Da

Ich bin

weder Antinous noch Aesop, und Mademoiselle Röder muß doch vor­ züglich den ehrlichen, guten Mann zu sehen geglaubt haben, als sie

mir sehr theuere Versicherungen gab.

Doch stille davon!

ES geziemt

mir nicht, mich zu rechtfertigen, und noch weniger. Andere anzuklagen.

Was die Leidenschaft that, hat — die Leidenschaft gethan.

Ich bin

nicht Ihr Freund, das leiden die Verhältnisse nicht; da ich aber ein

ehrlicher Mann bin, ist es für Sie so gut, als ob ich es wäre.

selbst, mein Herr,

ernsthafter Mann gehandelt. das nöthig.

Sie

haben bei der Sache als ein junger, nicht ganz Ich wünsche Ihnen Glück; Sie haben

Ihre Frau ist gut, ich habe sie tief beobachtet, und ich

würde nicht im Stande gewesen sein, mein Herz an eine Unwürdige zu verlieren.

Daß

zwischen uns nichts Strafbares vorgefallen ist,

dafür muß Ihne» mein Charakter und meine jetzige Handlungsweise bürgen. — Sie müssen ihr manchen Fehler vergeben und selbst keinen

Reminiscenzen an Wilhelmine.

133

Es ist mir daran gelegen, daß Sie Beide glücklich sind; das

begehen.

wird Ihnen begreiflich sein, wenn Sie etwas vom Herzen des Menschen

wissen und mich nicht für einen ganz gewöhnlichen Menschen halten.

Ich werde höchst wahrscheinlich unterrichtet sein, wie Sie leben, so weit man im Allgemeinen unterrichtet sein kann, denn ich bin in Berlin,

wo ich oft war, nicht ganz Fremdling.

Ich kann nun einmal nicht

wieder gleichgültig werden, das hätte Madam ehemals glauben und

ihre Maßregeln zur Zeit nehmen sollen.

Das Schrecklichste würde mir

sein, wenn Sie je eine Ehe nach der Mode führen sollten.

Ich bitte

Sie bei Ihrem Glück und bei dem Rest von meiner Ruhe, noch mehr

aber bei dem Glück der Person, die uns theuer sein muß, nie — nie

leichtsinnig zu sein.

Sie sind Mann; von Ihnen hängt Alles ab.

Wenn Wilhelmine je von ihrem Charakter sinken könnte, ich würde den meinigen fürchterlich rächen. giebt Sicherheit.

sehen.

Verzeihen Sie und halten das nicht

Sie müssen Zeiten und Menschen kennen.

für Impertinenz.

Furcht

Ich werde mit meinem Willen Ihre Frau nie wieder

Wenn Sie selbst Ihre Pflichten immer erfüllen, so führen Sie

ihr immer in einer ernsthaften Stunde mein Andenken wieder zu. kann ihr heilsam werden und soll Ihnen nicht schaden.

Es

In meiner

Seele kann in diesen Verhältnissen nur Liebe oder Verachtung wohnen;

ich kenne mich; die erste kann nur mit dem Stufenjahre Freundschaft werden, und der Himmel bewahre Sie und mich vor der zweiten: ihr

Vorbote würde schrecklich sein. Ich kann aus der Seele des Weibes herauslesen, was Madam jetzt über mich oder auch wohl wider mich sagen wird, und ich wünsche

aufrichtig, daß sie nie mit Reue an mich zu denken habe.

Es ist Ihr

eigenes Interesse, mein Herr, dafür mit beständiger Aufmerksamkeit zu sorgen. . . .*) Höchst wahrscheinlich kann ich Ihnen nie einen Dienst leisten, so

wenig als Sie mir bei meiner Denkungsart. Sollten Sie aber je glauben,

daß ich es könnte, so hätte ich in mir Ursache genug, es mit Ver­ gnügen und Eifer zu thun.

Ich erwarte weder Antwort noch Dank;

sehen Sie nur das, was ich so kalt als möglich sagte, mit meiner Seele oder nur mit gehörigem Gleichmuth an, und Sie werden Alles sehr natürlich finden.

Ich versichere

muß

Ihnen

wohl und

daran

glücklich!

Sie

herzlich

gelegen Auch

meiner völligen Achtung,

sein,

sie

zu

dieser Wunsch

*).... beschädigte Stelle des Briefes.

verdienen.

geht

und

Leben

es Sie

ganz von Herzen,

134

Reminiscenzen an Wilhelmine.

ob er gleich mit etwas

mehr Wehmuth

geschieht,

Mann

der

als

fühlen sollte.

Grimma.

Seume.*

Wilhelmine wird später auch in dem Briefwechsel zwischen Seume und Gleim erwähnt.

Dieser hatte unterm 16. Februar 1799 Seumen

die Vermählung einer seiner Nichten gemeldet und dabei gutherzig ein­

fließen lassen: „ . . . Mein Seume soll auch ein Nest einmal mit einer zweiten

Wilhelmine sich bauen, er gräme sich wegen der ersten nur nicht, sie war ja reich und seiner nicht werth, Reichthums wegen schon nicht werth," —

worauf Seume in einem Briefe vom März 1799 erwiderte:

„ . . . Ihr guter Wunsch bei dieser Gelegenheit, ob er für mich zu den wahrscheinlichen Dingen nicht gehört, Herz nicht verloren gegangen.

gleich

ist für mein

Sie haben das Mädchen und die Ver-

hältniffe nicht gekannt, und dürfen also kein Urtheil über sie sprechen. Es

soll ihr

wohlgehen!

Ich

werde sie wahrscheinlich nicht wieder

sehen; aber verdammen lasse ich sie nicht und sollte ich noch jetzt mein

Leben für sie

opfern.

So glücklich

werde ich

nie wieder werden,

als ich einige Monate in dem schönen Traume war.

Ich forderte

höchst wahrscheinlich von einem Mädchen mehr Standhaftigkeit, als

ein Mädchen haben

kann.

Ich

habe Kraft

genug jeder Schickung

muthig entgegen zu sehen, aber ich will mir selbst die Schattenbilder der Vergangenheit nicht nehmen lassen.

ausfüllen.

Es

sind da in

den Muth Jahre zu

Sie sollen meine leere Zukunft

Mit dem Nestbauen wird es nunmehr wohl gethan sein. mir und

außer

mir mancherlei Dinge,

zu dieser Idee benehmen.

Ich

die mir

fange an, ziemlich viel

zählen und will nicht wieder meine Ruhe in die Schanze

schlagen."

Briefe Wilhelmines an Seume, von denen er sagte:

„Gluth war die

Schrift, die sie mir täglich schickte", sind nicht erhalten geblieben.

Sie

sind wahrscheinlich allesamt vernichtet worden, nachdem Seume sie zurück­ gegeben hatte.

Ebenso scheint kein Bildnis von Wilhelmine auf unsere

Zeit gekommen zu sein.

Ihr Miniaturbild,

von Schnorr auf Elfenbein

gemalt, trug Seume in goldener Fassung wie ein Amulett an einer

Schnur am Halse und aus Gewohnheit auch dann noch, als Wilhelmine längst verheiratet war.

Erst auf seiner Reise nach Syrakus im Jahre

Reminiscenzen an Wilhelmine. — Brief an Grosheim.

1802 befreite er sich von diesem Erinnerungszeichen.

135

Bei der Besteigung

des Monte Pellegrino bei Palermo zog er, seinen Betrachtungen folgend, das Bildchen hervor, nahm es aus der Umfassung und hielt es plötzlich

zerbrochen zwischen den Fingern.

fassung den Abgrund hinunter.

Da warf er die Stücke samt der Um­

Bei Erzählung dieses Vorgangs sagt er:

„Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprungen; auch jetzt noch

dem Original.

Aber ich stieg nun ruhiger den Schneckengang nach

der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieblich mir vor den Augen.

Ich vergaß das Gemälde; möge es dem

Original wohlgehen!" In seiner nordischen Reise „Mein Sommer 1805" wird Wilhelmine

auch einige Male erwähnt, so z. B. in folgender Stelle: „Jeder Mensch hat seine eigenen Heiligentage, Buonaparte wie der

Papst, also auch ich.

Ehemals war einer meiner großen Heiligentage Die Ursache liegt bei mir ziemlich tief

der fünfundzwanzigste April.

in der Sakristei der Seele, die ich Dir gelegentlich wohl aufschließen kann. Der Aprilheiligentag ist nun etwas obsolet geworden, vermuthlich,

weil er — April war, nicht eben durch meine Schuld." — Dieser Heiligentag

war

Wilhelmines

25. April 1777 in Leipzig geboren.

Geburtstag;

sie

war

am

Nach ihrer Verheiratung lebte sie

eine Zeit lang in Berlin und später wieder in Leipzig.

Ihr war kein

hohes Alter beschieden; sie starb am 17. Dezember 1813 im siebenund­

dreißigsten Lebensjahre auf ihrem Rittergute in der Nähe von Merseburg. Zu Seumes Liebeskummer gesellte sich Anfang 1796 noch eine herbe Verstimmung in seinen Beziehungen zu Münchhausen und von denen sie ausging.

Wenigstens

läßt der

Grosheim,

folgende Aries darauf

schließen: „Bester Grosheim,

Sie schreiben mir nach Ihrem eigenen Bekenntnisse bloß, weil

Sie der Kalender (der

29. Januar, Seumes Geburtstag,) daran

erinnert, um ehrlich Ihr Wort zu halten; und Münchhausen schreibt mir gar nicht.

Aus Diesem fürchte ich, daß Sie zusammen eine Sache

wider mich haben.

Mein Herz spricht mich gegen Beide frei; aber

doch ist es mir sehr traurig,

den Gedanken zu tragen, als ob ich

Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben habe.

Sie sind nicht glücklich und verlangen von mir Trost.

ein Mann, und ein Mann kann nicht unglücklich sein.

Sie sind

Worinnen das

136

Brief an Grosheim. — Gedichte zwischen ©eume und Münchhausen.

Unangenehme Ihres Schicksals liegt, weiß ich nicht; Münchhausen hat

mir nicht allein nicht Dieses, sondern gar nicht geschrieben.

Höchst­

wahrscheinlich hat ihn irgend etwas in meinen Briefen beleidigt. Dies würde mir darum um desto mehr leid thun, weil ich mich dann in ihm geirrt hätte. Es würde mir wenigstens eine neue Erinnerung sein, mich wie die Schnecke in das Häuschen zurückzuziehen. Die Gesundheitszustände meines Kameraden (Mouromzow) sind

so, daß wir wohl noch lange Zeit, wenigstens noch einige Monate, werden in Leipzig bleiben müssen. Die einzige Absicht, wenn ich nach Kassel käme, wäre Sie und Münchhausen zu sehen; gesetzt, daß dieses einem von Beiden nicht ein ganz reines Vergnügen wäre, so würde ich meines Zwecks für mich selbst verfehlen. Ich schicke Ihnen hier die Kleinigkeit, die Sie dem Herrn von Münchhausen mitzutheilen die Güte haben wollen. Niederschlagen kann

mich nichts, dazu habe ich zu viel von eigener Stimmung; man nenne sie Trotz, Hartnäckigkeit, oder wie man sonst wolle; aber traurig macht mich doch zuweilen dieses und jenes auf eine Viertelstunde. Mit der ganzen Fülle des Gefühls eines redlichen Mannes nenne ich mich

Ihren Freund

Leipzig, d. 3. Febr. 1796.

Seume."

Dem Briefe beigefügt war das auf S. 131 schon erwähnte Gedicht

„Erinnerung", wodurch Münchhausen Kenntnis von Seumes Herzens­ verhältnis zu Wilhelmine erhielt. Etwas Näheres darüber hat ihm Seume auch später nicht mitgeteilt. Münchhausen ist daher in seinen Aufzeichnungen der irrigen Meinung, daß jenes Verhältnis schon früher bestanden habe und wahrscheinlich die Ursache von Seumes erstem Weg­ gänge von Leipzig gewesen sei. Er antwortete Seume mit seinem Gedicht: „Ländliche Einsamkeit", welches den besten Beweis liefert, daß er alle Mißstimmung vergessen konnte, sobald er von „seinem biedern Seume"

wieder hörte. Münchhausens Freundschaft für Seume gewinnt dadurch den Charakter einer fast rührenden Anhänglichkeit. Wie herzlich ladet er ihn ein, zu ihm zu kommen und die Freuden ländlicher Einsamkeit, von denen er sich einen heilamsen Einfluß auf des Freundes verdüstertes Gemüt versprach, mit ihm zu teilen: „Komm, Freund, von dessen Silbersaiten Der Rückerinnrung Töne gleiten, Komm zu mir in die Einsamkeit.

Seume und Münchhausen. — „Vorfälle in Polen 1794." — „Obolen."

137

Hier fließen uns die Töne schneller; Sie malen Dir die Bilder heller, Die Deine Phantasie Dir beut." •

Aber auch noch eine andere Absicht lag Münchhausens Bestreben, den Freund zu sich herüberzuziehen, zu Grunde. Er wollte ihn, wie er in seinen Aufzeichnungen sagt, vor den „faselnden Träumereien der Neuerer"

schützen, von deren Richtung er Spuren an ihm schon entdeckt zu haben

glaubte. Dies war aber der Punkt, wo ihre Wege sich trennten. Münch­ hausen, ein hartnäckiger Verteidiger der Adelsrechte und Privilegien, Seume, der vorwärts drängende Kämpfer für allgemeine menschliche Frei­ heit und Gerechtigkeit, wie sollten beide auf die Dauer in Harmonie unter einem Dache wohnen? Darum kommt es beinahe einer Absage gleich, wenn Seume in seinem Gedicht „Ueber Gefühl, Apologie an Münchhausen", diesem antwortet: „Freund, laß' mich ruhig meine Wege wandeln; Ich will den Frieden, den ich mir errang, Nicht um die Wollust Deines Glücks verhandeln; Genieß' nur Du, und laß' mir meinen Gang."

Seume brauchte jetzt vor allem Alleinsein und Beschäftigung. Diese letztere fand er in der Abfassung seiner auf S. 111 bereits erwähnten Schrift „Einige Nachrichten über die Vorfälle in Polen im Jahre 1794", die in Leipzig bei Gottfried Martini 1796 erschien. Ihr waren im Anhang beigegeben die Gedichte: „Auf Jgelströms Tod", „Gebet eines Mannes, der selten betet", „An die Schwermuth", „Die Beterin", „Rück­ erinnerung" („Erinnerung. An Münchhausen.") und „Ruhe", sowie die kurze Betrachtung: „An einen an der Düna bei Riga gefundenen Todten-

kopf."

Das Buch fand vielen Beifall und wurde von der Kritik voll

gewürdigt *). Fast zu gleicher Zeit veranstaltete Seume die Herausgabe des ersten Bandes seiner „Obolen", eine Sammlung von Gedichten, Aufsätzen,

Aphorismen und Anekdoten unter dem Titel: „Obolen von Seume, RussischKaiserlichem Lieutenant. Leipzig bei Gottfried Martini 1796." Als Titel­ kupfer ist ihm eine von Schnorr von Carolsfeld ausgeführte Illustration *) „Neue Leipziger gelehrte Anzeigen" von 1796, 1. Du. S. 245. „Göttinger gelehrte Anzeigen" von 1796, 3. Qu. S. 2034. „Neue allgemeine deutsche Bibliothek", Kiel 1797, 31. Bd. S. 124 f. „Allgemeine Literatur-Zeitung", Jena 1798, Nr. 389, S. 753 ff. In Joh. Gottfr. Eichhorns „Geschichte der letzten drei Jahrhunderte", Göttingen 1803 und 1804, 1. Bd. S. 525 als Quelle angeführt.

138

Zuschrift nn Pros. Platner. — Garlieb Merkel.

des Gedichts „An meines Vaters Grabe"' beigegeben.

Außer den daraus

schon erwähnten Gedichten ist noch hervorzuheben das Epos: „Das polnische Mädchen. Eine Erzählung aus dem letzten Kriege." (Hemp. Ausg. VI. S. 5 ff.) Seume widmete das Buch seinem ehemaligen Universitäts­ lehrer Professor Ernst Platner, an den er folgende Zuschrift richtete:

«Verehrungswürdiger Lehrer! Sie erhalten hier ein Schreiben mit litterärischen Kleinigkeiten von einem Manne, dessen Name Ihnen vielleicht kaum unter der Anzahl Ihrer Schüler erinnerlich ist. Aber ich kann und werde die

glücklichen Stunden nicht vergessen, wo ich mit gefesselter Aufmerksam­ keit vor Ihrem Lehrstuhle saß, von welchem Sie mit edlem Eifer in starker, männlicher Sprache den Werth der Weisheit und Tugend, und die Stärken und Schwächen unserer Seele uns lehrten. Der gedrängte Saal hing in feierlicher Stille am Gegenstände und Vortrage: von Hunderten wurde kein Athem gehört, und selbst der Zögling der Mode vergaß das Spiel mit dem Uhrbande. Erlauben Sie, daß ich Ihnen

hier öffentlich ein kleines Dankopfer bringe. Nichts kann mich dazu bestimmen, als das wahre innige Gefühl meines Herzens. Wenn auch meine Arbeit nicht durchaus Ihre Billigung erhält, so wird doch die Erinnerung Sie nicht betrüben, daß ich einst mit in Ihrem Hörsaale war. Sie gestehen gern jedem seinen eigenen Jdeengang zu: ich nehme das Fehlerhafte auf meine Rechnung, und bekenne mich für das Gute als Schuldner Ihrer Schule. Nehmen Sie meine Versuche mit gütiger Nachsicht auf. Es sind nur Obolen; jeder opfert nach seinem Vermögen. Wenn Sie dieses lesen, schlummere ich vielleicht an dem Fuße einer Alpe, oder halte Posten an einer Schlucht des Kaukasus. Aber überall folgt mir da­ dankbare Andenken an alle Wohlthaten meiner Lehrer; und unter diesen vorzüglich an die Ihrigen.

Leipzig 1796.

Seume."

Zu Anfang des Jahres 1796 war der nachmals durch feine feind­ seligen Kritiken Goethischer Geistesprodukte in der deutschen Litteratur­ geschichte oft genannte Livländer Garlieb Merkel') nach Leipzig gekommen. *) Geb. 21. Oktober 1769 in Lodiger in Livland als der Sohn eines wegen

Freigeisterei abgesetzten PsarrerS. Merkel war, ehe er nach Leipzig kam, Erzieher junger livländischer Adliger gewesen und hatte sich in dieser Eigenschaft die Geldmittel zum Studium an einer deutschen Hochschule erworben.

Merkel über Seume.

139

UM daselbst Medizin zu studieren und für sein schriftstellerisches Erstlings­

werk „Die Letten" einen Verleger zu suchen.

Er war mit Empfehlungen

des Malers Graß versehen und machte alsbald auch Seumes Bekanntschaft.

Von diesem sagt er in seinen „Skizzen", Riga 1812, 1. Heft S. 9 ff. u. a. folgendes:

„Als ich nach Hause kam. fand ich einen Fremden, der in meinem Vorzimmer mit starken Schritten auf und ab ging: ein kleiner, magrer

Mann in einem sehr bescheidenen Ueberrocke, mit einem Blicke, deffen Bestimmtheit zu der hellen Bläue seiner Augen nicht zu paffen schien,

einem buschigtem Backenbart und schlichtem, braunem Haar. — Der Fremde schritt rasch vor mir in die Stube, warf seine Pandurenmütze

auf den Tisch und rief, indem er mir die Hand entgegen reichte: „So seien Sie denn herzlich willkommen in Deutschland! — Ich bin Seume."

Wir hatten uns während seines Aufenthalts in Livland dem Namen nach kennen gelernt, aber nie gesehen.

ich ihn.

Mit lebhafter Freude umarmte

Unsere Bekanntschaft verwandelte sich bald in eine vertraute

Freundschaft.

Seumes Charakter gehörte

zu den

reinsten,

edelsten,

festesten, die ich gekannt habe; aber er war zugleich derjenige, an dem mir der Unterschied zwischen Stärke und. Kraft, das heißt, zwischen dem Vermögen, zu widerstehen, und jenem, zu wirken oder zu schaffen,

am hellsten eingeleuchtet hat.

Man kennt die sonderbaren Wechsel

seines Lebens." *) Merkel erzählt ferner von Seume, daß er den Backenbart mit Vor­

liebe getragen und ein barsches, soldatisches Wesen an den Tag gelegt habe, das seinen oft zarten und immer edlen Äußerungen einen ganz

eigentümlichen Charakter verliehen hätte.

Beide trafen fast täglich zusammen, unternahmen weite Spaziergänge miteinander oder begleiteten Mouromzow

auf seinen Ausfahrten.

diesem besuchten sie auch Dessau und den Wörlitzer Park,

Sehenswürdigkeit ersten Ranges galt.

Mit

der als eine

In Berlin waren Seume und

Mouromzow vorher schon gewesen und hatten dort als Augenzeugen des Warschauer Straßenkampfes das Interesse der vornehmen Gesellschaft,

in die sie eingeführt wurden, auf sich gelenkt.

Bei dieser Gelegenheit

wurde Seume auch dem Prinzen Louis Ferdinand von Preußen vor­ gestellt. *) Siehe auch G. Merkel, „Darstellungen und Charakteristiken aus meinem

Leben".

Leipzig 1839 u. 40, 2. Bd. S. 41 ff. sowie Julius Eckardt,

Merkel über Deutschland zur Schiller-Goethe-Zeit", Berlin 1887, S. 37 ff.

.Garlieb

Merkels „Letten." — SeumeS Mutter.

140

Merkel fand in Leipzig alsbald einen Verleger für fein Buch „Die

Letten, vorzüglich in Liefland am Ende des philosophischen Jahrhunderts",

worin er die Bedrückung des Landvolks durch den Adel in drastischer Weise schildert und die Aufhebung der Leibeigenschaft von der Kaiserin fordert.

Er hatte mehrere Jahre hindurch mit vielem Fleiße an dem

Buche gearbeitet, aber strengstes Stillschweigen darüber bewahrt.

Jetzt

teilte er Inhalt und Idee Seume mit, und dieser ging mit Wärme darauf ein.

Ja er brachte Merkel am folgenden Tage sein Gedicht „Elegie auf

einem Feste in Warschau", das er schon

1793

in Schillers „Neuer

Thalia" veröffentlichen wollte, und bat ihn, dasselbe als seinen Beitrag,

als seine Stimme, dem Buche beizufügen.

Er gab dem Gedichte den

Titel: „Si natura negat, facit indignatio versus1* und versah es mit

folgender Anmerkung: „Da dieses Stück schon mehrere Jahre wörtlich unter den Papieren

des Versaffers gelegen hat, so wird Mißdeutung hoffentlich keine neuern Beziehungen darin suchen.

Der Verfaffer würde es dem Publikum

nicht übergeben, wenn seine Absicht nicht rein und sein Gewiffen nicht

ganz ruhig wäre. Seume."

Die Elegie erschien somit zuerst in Merkels „Letten", die im Sommer

1796 mit der Jahreszahl 1797 bei Heinrich Gräff in Leipzig herauskamen.

Im Herbst 1796

ging Merkel nach Jena,

wo Seume ihn

vier

Wochen nachher besuchte. Er sah damals außer einer Reihe von bedeutenden Männern der Wiffenschaft, die dort ihren Sitz hatten, auch Schiller zum

erstenmal von Angesicht zu Angesicht. Wie es sich eigentlich von selbst versteht, war Seume in jener Zeit

des öfter« Gast bei seiner Mutter in Knautkleeberg, zu der er meist in Gesellschaft eines Freundes gewöhnlich schon am Sonnabend Nachmittag

hinüber wandelte,

um den Sonntag bei ihr zu verleben.

einen solchen Gang eine Wallfahrt.

Er nannte

Seine Mutter war und blieb ihm

der Inbegriff des teuersten, was er im Leben kannte.

Ihren Herzens­

wunsch, den Sohn in der friedlichen Stellung eines Landpfarrers ein

minder bewegtes Leben führen zu sehen, hatte er zwar nicht erfüllen können, aber die schuldige Rückficht auf sie ließ nach und nach den Ent­ schluß in ihm zur Reife kommen, seinen Abschied zu nehmen, sobald seine

Rückkehr nach Rußland gefordert wurde.

Er opferte demnach seine Aus­

sichten auf eine vielleicht glänzende Lebensstellung willig seiner Kindes­

pflicht.

Seume war eben aus allen Lagen seines wechselvollen Lebens

Seumes Mutter. — Tod der Kaiserin Katharina II.

141

unverändert hervorgegangen, nichts hatte ihn seiner Familie entfremden können.

Nur in einer Hinsicht legte er sich dieser gegenüber Zurück­

haltung auf.

Er ließ seine Schriften weder seiner Mutter noch seinen

Anverwandten in die Hände kommen; ebenso vermied er mit ihnen sowohl

wie überhaupt mit Leuten ihres Bildungsgrades jedes politische oder religiöse Gespräch.

In solchen Fragen gab er ihnen zur Antwort:

„Das kann Euch nichts helfen, das Vernünftige muß von oben herabkommen und allgemein gemacht werden.

Ihr versteht das nicht.

Gehorcht den Gesetzen und geht in Eure Kirche." Als ihn indessen seine Mutter um einige Lieder für ihre Haus­

andacht bat, so verfaßte er für sie das „Morgenlied" und das „Abend­ lied" (Obolen 1. Bd. S. 137 ff. Hemp. Ausg. V. S. 71 ff.), die er mit folgender Anmerkung veröffentlichte:

„Dieses und das folgende Stück ist auf Bitte meiner Mutter ver­

fertigt worden.

Alle die sie kennen, finden sie ihrer Achtung werth;

und man wird dem Sohne erlauben, daß er hier das Gefühl seiner kindlichen Pflicht öffentlich ausdrückt."

Um dieselbe Zeit ließ Seume das Bildnis seiner Mutter von Schnorr zeichnen und radieren und folgende Schrift darunter setzen: „Regina Christina Seumin. Liebe und Hochachtung den Eltern, Treue den Freunden, Ehr­

furcht der Religion, Gehorsam den Gesetzen, Muth dem Vaterlande, Ge­

rechtigkeit und Menschlichkeit Allen." Seumes Mutter war in der That eine sehr wackere Frau.

Sie

gehört zu jenen Frauencharakteren, die bei frommer Ergebung und Geduld

des praktischen Blicks für das Leben nicht entbehren und mit unermüdlichem Fleiße in der Sorge für die Ihrigen aufgehen.

Einer ihrer vornehmsten

Kernsprüche war: „Wir müssen arbeiten, als ob wir ewig leben würden,

und

beten, als ob wir alle Tage sterben könnten!"

offenbart uns ihr ganzes Wesen.

Dieser Spruch

Sie war ihren Kindern ein leuchtendes

Vorbild treuster Pflichterfüllung und

hatte darum auch Anspruch auf

deren Liebe und Hochachtung.

Früher indes, als Seume gewünscht, und auf eine Art und Weise,

wie er sie nicht erwartet hatte, sollte er seinen Abschied aus dem russischen Heere erhalten.

Am 27. November 1796 starb die Kaiserin Katharina II.,

und ihr Sohn bestieg al« Kaiser Paul I. den russischen Thron.

Sogleich

nach seiner Thronbesteigung machten sich wesentliche Veränderungen in

der russischen Heeresverwaltung bemerkbar, von denen mancher verdiente

Ausschluß aus dem russischen Heere. — Bries an Merkel.

142

Offizier nachteilig getroffen wurde.

Auch Seume erging es so; sein

widriges Geschick zeigte sich eben beharrlich. Ein kaiserlicher Ukas berief sämtliche beurlaubte Offiziere bis zu einem bestimmten Zeitpunkte zu ihren Truppenteilen zurück und schloß alle diejenigen, welche nicht rechtzeitig eintrafen, ohne weiteres vom Dienste aus.' Seume erhielt den Befehl erst, als der Termin längst verstrichen

war.

Da er überhaupt nicht nach Rußland zurückkehren wollte, so reichte

er sein Entlassungsgesuch ein, denn der Ukas konnte insofern keine An­ wendung auf ihn finden, als er auf Befehl der Kaiserin Katharina den verwundeten von Mouromzow ins Ausland begleitet hatte.

Dessenungeachtet erhielt er anstatt des ehrenvollen Abschieds mit der üblichen Pensionsbewilligung nur eine Bescheinigung, daß er vom Dienste aus­ geschlossen sei. Hiermit war Seume aber nicht zufrieden. Er schrieb an den Feldmarschall Grafen Iwan Petrowitsch Soltikow, und als das Gesuch unberückstchtigt blieb, unmittelbar an den Kaiser. Ohne aber erst den kaiserlichen Entscheid abzuwarten, trat er ins bürgerliche Leben zurück und blieb in Leipzig, während Mouromzow nach Moskau in den Kreis seiner Familie zurückkehrte. Seume widmete sich nun wieder der Schulmeisterei, wie er sagte,

indem er jungen Kaufleuten und Studenten Unterricht in der englischen und französischen Sprache gab. Er suchte kein Amt, weil ein solches ihm Beschränkungen auferlegte, die er nicht liebte, und er im übrigen der Ansicht war, daß der fähige Mann nicht um ein Amt im Staate, sondern der Staat um fähige Männer für seine Ämter werben solle. Als ihm aber Göschen den Posten eines Korrektors in seiner Buchdruckerei anbot, so nahm er diesen an. Über diese Veränderungen schrieb er an

Merkel: „Leipzig, d. 10. Mai 1797. Liebster Freund!

Ihr Brief hat mich recht sehr gerührt, und ich habe mir selbst Vorwürfe gemacht, daß ich so nachlässig gegen Sie gewesen bin. Aber drei Monate sind es doch wohl noch nicht, daß ich Ihnen zum letzten

Male geschrieben habe. Das Schlimmste ist, daß ich gar keine Ent­ schuldigungen habe. Nur rechnen Sie mein Stillschweigen nicht auf

Mangel der Achtung und Freundschaft. Wie wären denn Verdrießlich­ keiten zwischen uns vorgefallen, die einer Ausgleichung bedürften? Ich weiß von nichts Unangenehmem, als von meiner Sünde, nicht geschrieben Traurig ist mir dabei das Gefühl, dadurch Ihre Hypo­ chondrie vermehrt zu haben. Wenn ich Sie dadurch kurieren könnte.

zü haben.

143

Bries an Merkel.

wollte

ich Ihnen sehr

gerne jeden Posting

einen Bogen' voll vor­

plaudern.

Also mit uns sind Veränderungen vorgefallen, mit Ihnen und

Leid thut es mir, daß Sie die Medizin weggelegt haben;

mit mir.

ich wollte Sie könnten mir Ihre Kenntniffe in diesem Fache einhauchen, so wollte ich Anstalten zur Promotion machen.

Ihre Bekanntschaften

freuen mich; suchen Sie nur mit ihrer Hülfe die häßlichen Grillen zu

Weimar ist ja unser Athen, und die Attiker sind ja ein

verjagen.

zierliches, jovialisches, gutmüthiges Völkchen, die einem Murrkopf etwas Nehmen Sie mir nicht übel,

von ihrem Frohsinn anthnn werden.

lieber Merkel, Sie kennen mich armen Kauz; aber leidlich froh bin

ich und zwar immer, und kann Grillen nicht leiden; und Ihr Lebens­

Darüber ließe sich eine lange, nützliche,

instrument ist etwas verstimmt.

philosophisch-psychologisch-moralische Rhapsodie

neuen Weise

hat

mir schon Gräff (Verleger

machen.

Von" Ihrer

der „Letten") etwas

Sorgen Sie nur, daß Sie wohl und vergnügt sind;

erzählt.

daß

Uebrige ist Alles Nebenwerk. Nun meine Neuigkeiten.

Der Major (v. Mouromzow) ist abgereist

nach Moskau; ich habe meinen Abschied und zwar auf eine Weise, wie

ich ihn nicht wünschte, wie ihn aber jetzt sehr viele erhalten.

Der

General Jgelström hat mich gegen sein Versprechen sehr vernachlässigt. Ich habe deswegen an den Feldmarschall Präsidenten Soltikow geschrieben

und werde an den Kaiser schreiben.

Denn stillschweigen will ich doch

Vor der Hand sitze ich also auf dem Pflaster und bin wieder

nicht ganz.

Studiermacher-Geselle.

Einige vortheilhafte Engagements sind

mir

schon angetragen worden; ich finde sie aber nicht nach meinem Geschmacke,

da ich eben kein Geld brauche.

Nun habe

ich mich aber verbindlich

gemacht, einige Zeit in Göschens Offizin als Korrektor zu arbeiten;

dann gedenke ich nach Italien zu gehen und dann: sit cras!“

„Quid futurum

Je älter ich werde, desto leichtsinniger werde ich, oder

vielmehr, desto leichter wird mein Sinn.

Mit der Welt setz' ich mich

täglich auf festem Fuß, so daß ich alle Stunden mit ihr abrechnen kann.

Ich finde, die Menschen sind es im Allgemeinen nicht werth,

daß ich mich über sie ärgere,

und damit Punktum.

Ich mache mir

mein eigenes Gewebe und prätendiere, daß man mich in demselben spinnen laste nach meinem Gefallen.

Wollen sie das nicht, so will ich

dann erst überlegen, ob es bester sei, sie wieder zu hudeln oder sich

fürbaß zu trollen. Ich

schaffen;

rathe Ihnen, Freund,

sich die Hexe Hyp

vom Halse zu

dazu müssen Sie Sich aber nicht an dem Kirchhofe ein-

Schrift über Katharina II. — „Rückerinnerungen.

144 quartieren.

Leben Sie wohl. Lieber, und bleiben Sie mein Freund,

so gewiß, als ich immer der Ihrige sein werde. Seume."

Nach dem Tode der Kaiserin verfaßte Seume die Schrift: „Ueber das Leben und den Charakter der Kaiserin von Rußland Katharina II. Mit Freimüthigkeit und Unparteilichkeit."

Göschen)

(Hemp.

Altona 1797 (Leipzig G. I.

Ausg. IX. S. 115 ff.).

Diese Schrift erschien zur

Ostermesse 1797 anonym. Besprochen ist sie in der „Allgemeinen Literatur­ zeitung", Jena 1799, Nr. 251, S. 347 ff.

Im Vorwort sagt Seume:

„Die Schrift ist keine Lobschrift, als in so fern der Gegenstand es erzwingt, und enthält keinen Tadel, als in so fern der laute Bei­

fall nicht sprechen kann.

Sie ist keine geordnete, vollständige, prag­

matische Biographie, sondern nur eine Flugschrift, von der aber der

Verfasser hofft, daß man ste nicht zu den ganz gewöhnlichen, seichten

Gelegenheitsprodukten dieser Art zählen werde." Die Schwächen der großen Kaiserin beurteilt er milde, weil ste einem Weibe anhafteten-, ihre Thaten dagegen schätzt er als die eines Weibes um so höher.

Interessant ist dabei sein Hinweis, daß die von Katharina

durchgesetzte Wahl ihres Günstlings Stanislaus Poniatowskt zum Könige

von Polen die eigentliche Bedingung zu ihrer nachmaligen Größe gewesen sei, weil diese Königswahl den Anlaß fast zu allen politischen Händeln

während ihrer Regierung (1762—1796) gegeben habe, aus denen ihre

Macht gestärkt hervorging. Zu gleicher Zeit mit dieser Schrift erschien die von Münchhausen

veranstaltete kleine Gedichtsammlung „Rückerinnerungen von Seume und Münchhausen", Frankfurt am Mayn bei Varrentrapp und Wenner,') worin die zwischen beiden seit 1791 ausgetauschten Gedichte enthalten

stnd.

Münchhausen schrieb folgendes Vorwort dazu: „Mein Leser!

Hier hast Du ein Büchlein.

Es enthält einige Harfenklänge der

Freundschaft von mir und meinem Freunde Seume.

Kannst Du irgend

eine gute, biedere Seele Dein nennen, weißt Du, was ächte, wahre *) Die Ausgabe ist mit drei hübschen von Münchhausen gezeichneten und Neu­

bauer

gestochenen Vignetten ausgestattet.

Rezensiert

ist sie in der „Allgemeinen

Literatur-Zeitung", Jena 1799, Nr. 229, S. 173f., in den „Göttinger gelehrten

Anzeigen" von 1799, 1. Qu., S. 519, und im „Morgcnblatt für gebildete Stände", Tübingen 1807, Nr. 152, S. 606. Die zweite Auslage erschien 1823.

Borwort zu „Rückerinnerungen von Seume und Münchhausen".

145

Freundschaft ist, und wie wohl sie dem Herzen thut, so lies es; wo nicht, so lege es wieder hin: denn Du würdest alsdann nicht da» darin finden, was Deinem Herzen Vergnügen macht; nicht das, was

ich und Seume, beim Schreiben desselben empfanden und Dir mitzutheilen wünschten. Wir sind beide Krieger; Seume und ich. Beide, durch den Lauf der Dinge, durch den Strom des Schicksals an Neu­ schottlands rauhe Küste gezogen, lernten wir dort uns kennen. Dort wurden wir Freunde und weihten einander jede müßige Stunde. Ost haben wir zusammen jene wüsten Gebirge, jene unbebaute wilde Gegenden, die Heimath der Huronen, durchstreift, zwischen ihnen gejagt und mit

ihnen gegessen und getrunken. Ost umgaukeln mich noch jetzt, gleich lieblichen Träumen, die Bilder jener durchlebten Scenen, und die Gestalten der Urbewohner jener luftigen Hütten. Sie gleiten an

meiner Seele vorüber wie Luftgebilde im einsamen Hainthale. Unsere Heimkehr trennte uns von ihnen und Schicksal und Weltmeer auch mich von meinem Freunde, von dem ich in mehrer« Jahren nichts erfuhr. Umstände und Stürme des Schicksals hinderten ihn; trieben ihn mit sich fort und hielten ihn ferne, ferne von mir, bis diese Stunde. Nur durch Briefe fanden wir uns endlich wieder; nur im Geiste gaben wir uns Handschlag und Kuß. Folgende Blätter ent­ halten einige, uns einander mitgetheilte Gedanken und Gefühle, — und sind aus einer Sammlung dichterischer Versuche genommen, deren Dasein ich mehrentheil« den Beispielen SeumeS zu verdanken habe, welche aber bi» jetzt noch in meinem Pulte ruht; einige wenige Stücke ausgenommen, die mit Musik unter Grosheims Liedern bekannt

wurden rc. Uebrigens wünsch' ich meinen teutschen Brüdern durch dieses Merkchen nicht so sehr als Dichter, wohl aber als Freund meines biedern Seume bekannt zu werden. Münchhausen."

Seume blieb mit Münchhausen auch fernerhin in brieflichem Ver­ kehr, ebenso mit Grosheim *), der namentlich SeumeS individuelles Urteil nicht nur im Leben, sondern auch in der Kunst sehr zu schätzen wußte. Er sagt z. B. in seiner S. 72 schon erwähnten Vorrede zu SeumeS Gedicht „Ueber Glückseligkeit und Ehre": l) Grosheim wurde im Jahre 1800 Musikdirektor am Deutschen Theater in Kassel,

gab aber schon 1802 diese Stellung wieder aus.

Von ihm erschien u. a. „Samm­

lung teutscher Gedichte in Musik gesetzt" bei B. Schott in Mainz 1791—1800, darunter

im IV. Teil SeumeS Gedicht „An dem Grabe eines Freundes".

Jahre 1847 in Kassel.

Planer u. Reißmann. Seume.

Grosheim starb im

146

Brief an GroSheim über Musik. — Karl Aug. Böltiger.

„Als er mir schrieb. Sie haben in die Harmonie meiner Seele gegriffen, ich sehe, wir sind gleichgestimmt, da faßte ich neuen Muth, dem Schicksale, das auch meinen Lebensweg nur sparsam mit Rosen

bestreute, kühn entgegen zu gehen, und so lange Seumes Andenken in

mir lebt, wird dieser Muth nicht sinken." In einem anderen Briese an Grosheim spricht sich Seume

den Zweck der Musik und

die notwendigen Eigenschaften

über

eines Ton­

künstlers wie folgt aus: „Was Sie mir über Ihre Kunst sagen ist auch oft mein Gedanke

gewesen.

Man sagt gewöhnlich von einer Musik, der man so eben ein

wenig Beifall nicht versagen kann: sie ist wohl schön für Ohr und Herz, aber für Kopf und Geist ist doch nichts darinnen.

Ich möchte

wohl wissen, ob die Leute sich verständen, wenigstens verstehe ich sie nicht.

Musik ist blos für Ohr und Herz.

Musik für Kopf ist bei

Nicht als ob nicht dann und wann ein Kopf

mir ein Widerspruch.

durch Musik auf große Ideen geleitet werden könnte; aber das geschieht blos durch die Stimmung seines Herzens.

Ohr und Herz ist keine Musik.

Für einen Menschen ohne

Für ihn kann in der Peripherie des

menschlichen Wissens nichts sein als Mathematik und Metaphysik, und diese mag ich nicht von ihm.

podin

der Philosophie.

Die Musik ist in gewisser Hinsicht Anti­

Die

Philosophie

Gefühl, aber das Gefühl wird selten groß.

durch Ideen

wirkt

auf

Die Musik wirkt durch

Gefühl auf Ideen, aber die Ideen werden selten hell.

muß also den Menschen und seine Leidenschaften

Der Tonkünstler

kennen, sonst liefert

er vielleicht wohl Kompositionen, aber keine Musik."

Nachdem Seume sich seiner Dienstpflicht im russischen Heere enthoben

sah, oder besser, sich ihrer freiwillig entäußert hatte, machte er sich, wie schon

gesagt,

auf einige Zeit

Korrektor zu arbeiten.

verbindlich,

in GöschenS Druckerei

Es handelte sich hierbei hauptsächlich

als

um die

Herausgabe von Klopstocks sämtlichen Werken, die Göschen von 1797 an veranstaltete.

Daß Seume in dieses Verhältnis zu Göschen trat, kann

für dessen Charakter als der sicherste Prüfstein gelten.

Göschen hatte sich wegen seiner Klopstock-Ausgabe auch mit Karl August Völliger *) in Verbindung gesetzt und ihn insbesondere gebeten, *) Völliger war am 8. Juni 1760 in Reichenbach i. Boigtl. geboren, hatte in

Leipzig studiert, 1784 in Wittenberg promoviert und hierauf die Rektorstelle am Lyceum zu Guben erhalten.

1790 wurde er Rektor des Gymnasiums zu Bautzen

und von dort 1791 auf Herders Veranlassung nach Weimar als Rektor des Gymnasiums berufen, womit seine gleichzeitige Ernennung zuni Oberkonsistorialrat ver­ bunden war. Seit 1786 war er mit Eleonore geb. Adler auS Dresden vermählt.

.Zwei Briefe über Rußland." — Joh. Wilh. Ludw. Gleim.

erläuternde Anmerkungen zu den Oden zu schreiben.

147

Böttiger war diesem

Wunsche nachgekommen, wie dies aus seinem Briefe vom 39. Juni 1797 Darin äußert er, daß ihm die Lektüre der Oden

an Göschen hervorgeht.

manche angenehme, aber auch manche verdrußvolle Stunde bereitet habe,

denn es wäre manchmal im Ernst verdrießlich, daß „der Alte" oft bis

zur Ungebühr wortkarg und absichtlich dunkel sei.

Ein Lied, das. man

buchstabieren müsse, könne nicht gefühlt und nicht gesungen werden. —

Wörtlich heißt es dann in dem Briefe weiter: „Wer ist der Verfasser der bei Ihnen herausgekommenen Schrift über das Leben Katharinens?

Jetzt, da ich mit der würdigen Frau

von der Recke über diese einzige Herrscherin viel gesprochen habe,

finde ich diese Schrift vortrefflich, und ich möchte sie gern mit Nach­

druck ncnntn und empfehlen.

Dazu gehört aber, daß ich den Ver­

fasser kenne, ob ich ihn gleich, wie sich'S versteht, in petto behalte." —

Durch diese und

andere beifällige Kritiken aufgemuntert, verfaßte

©tunte noch in demselben Jahre die Schrift:

„Zwei Briefe über die

neuesten Veränderungen in Rußland seit der Thronbesteigung Pauls de» Ersten", Zürich

1797, (Leipzig,

G. I. Göschen)

S. 53 ff.), welche mit seinem Namen erschien.

(Hemp. Ausg. IX.

Die noch heute interessante

Schrift ist in der „Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek", Kiel 1798, 38. Bd. S. 178 ff., ausführlich besprochen.

Ebenso wie Böttiger war ©leint1) durch Seumes Schriften auf

diesen aufmerksam geworden und hatte sich in Leipzig nach ihm erkundigt. Als Seume dies erfuhr, schrieb er an Gleim.

Er hatte dies schon früher

einmal als Student gethan und ihm zugleich einige seiner Gedichte zur

Beurteilung eingesandt, die aber nicht so günstig ausgefallen war, als wie

er es erwartet

hatte.

Jetzt erinnerte

er sich dieser Kritik und

erwähnte sie in seinem Briefe an Gleim, dem er zugleich seine näheren

Lebensumstände mitteilte.

Gleim antwortete:

„Nicht Wohlgeboren, nicht Hochwürdiger, sondern lieber, liebster Herr Seume!

Daß ich vor vielen Jahren eine väterliche Weisung

Ihnen gegeben hätte, davon ist mir nichts erinnerlich, kann aber sein,

denn ich sage gerne die Wahrheit,

und so mag jene Weisung eine

*) Johann Wilhelm Ludwig Gleim war am 2. April 1719 in Ermsleben geboren, hatte in Halle studiert und war seit 1747 Domsekretär in Halberstadt und Kanonikus des Stifts Walbeck.

Gleim an Seume.

148

wohlgemeinte damals gewesen sein; jetzt weiß ich, daß Sie keine mehr verdienen.

Sie zu lieben kenn' ich Sie schon jetzt genug; vor etlichen

Wochen war ich zu Leipzig und wünschte Sie persönlich kennen zu lernen. Sie waren aber abwesend.

Also dank' ich Ihnen nur für die

gewünschte nähere Bekanntschaft, und

weil ich von Herrn Göschen

Klopstocks Oden noch nicht erhalten habe,

bald sie erhalte, gütigst zu sorgen.

so bitt' ich dafür, daß ich

Mein Alter macht mich ungeduldig;

ich möchte gerne noch was ich kann mit erschauen.

Die Kupferstiche

können ja nachgesendet werden.

Ihre Korrektor-Sünden, lieber Herr Seume, können so groß nicht sein.

Wer so wie Sie sich verklagt, der hat gewiß nur die kleinsten

begangen!

— Möge die Vorsehung auf ihren dunklen Pfaden, ich

glaub' an kein Schicksal, baldigst in den Hafen der Ruhe Sie ein­ führen. ich würde mich herzlich freuen. Ihr

ganz ergebenster Freund und Diener Der alte Gleim.

NB. Elzevier-Göschen meine besten Empfehlungen.

Er druckt an

einem deutschen Musterstücke, an Neubecks Gesundbrunnen; sonst waren die lateinischen, jetzt sind die deutschen Lettern, die den Augen nicht

schaden, mir die liebsten/'

In Grimma Korrektor bei Georg Joachim Göschen. Oktober 1797 bis Dezember 1801.

der übernah me dieser Stellung war zugleich Seumes Über^Ansiedelung nach Grimma verbunden, wohin Göschen kurz zuvor seine im März 1793 in Leipzig errichtete Buchdruckerei *) verlegt hatte. Diese war in einem von ihm zu diesem Zwecke gekauften Hause am Markt

untergebracht, bestand anfangs aus sechs, später aus acht Preffen und beschäftigte täglich etwa vierzig Personen. Der technische Leiter hieß George Friedrich Höhm°), dem später Johann Samuel Langbein8) folgte. Für die Korrektur war außer Seume, der zugleich eine Art Oberaufsicht führte und deshalb seine Wohnung im Druckereigebäude hatte, noch der Privatgelehrte Christian Gottlob Lorent 4l )* * angestellt, welcher schon in Leipzig für Göschens Druckerei die Korrektur besorgt hatte. l) Infolge der damals noch sehr streng gehandhabten Zunftgesetze durste Göschen in seiner Leipziger Offizin nur Schriften eigenen Verlags und diese wiederum nur

mit den von ihm verbesserten lateinischen Lettern nach Didot'schem Muster drucken. Da ihm diese Einschränkung bald hinderlich wurde, so bewarb er sich um das landes­ herrliche unbeschränkte Privilegium für eine Druckerei in Grimma, wo zur Zeit keine

bestand, und erhielt dasselbe durch Reskript vom 14. Juli 1797. Gottlob Lorenz, „Zur Erinnerung an Georg Joachim Göschen".

Vergl. M. Christian

Grimma 1861.

a) Höhm legte diese Stellung im Jahre 1803 nieder und errichtete, von Göschen unterstützt, in Grimma selbst eine kleine Druckerei, starb aber schon im Jahre 1804. •) Langbein, geb. 11. März 1766 in Bayreuth, verblieb in dieser Stellung bis zu seinem am 3. September 1833 erfolgten Tode. 4) Lorent war ein schon ziemlich bejahrter und unverheirateter Mann.

Er hatte

Philologie und Philosophie studiert und galt im Korretturwesen als eine schätzens­

werte Kraft.

160

Gereimte Epistel an Schnorr.

Seume trat alsbald zu Lorent, den er militärisch Kamerad" nannte, in ein vertrauliches, kollegiales Verhältnis und stand ihm, als derselbe später kränklich und immer hinfälliger wurde, mit redlicher Freundschaft bei. Auch mit dem gravitätisch seines Amtes waltenden Faktor Höhm, dem er das Prädikat „Excellenz" beilegte, sowie mit dem übrigen Personal

lebte Seume in bestem Einvernehmen; er hatte eben trotz seines ernst­ haften Wesens für jedermann ein freundliches Wort, einen beherzigens­ werten Rat und, wenn es Not zu lindern galt, auch eine offene Hand. Seume hatte, als er nach Grimma ging, den größten Teil seiner Sachen in Leipzig zurückgelaffen und bat nun Schnorr in folgender poetischen Epistel, welche gegen Ende Dezember 1797 verfaßt ist und das zwischen beiden bestehende vertrauliche Verhältnis am besten dokumentiert, um deren Übersendung. Sie lautet: „Mein lieber Herr Gevatter Schnorr, Wohl unseren freundlichen Gruß zuvor.

Ihr wißt, daß wir mit jedem Wind Wohl Euer treuer Gevatter sind.

Als bitten wir, Ihr wollet dann Auch einen Dienst uns lobesam

Aus lauter Gunst und gutem Willen Uns thun und hübsch mit Fleiß erfüllen: Ihr wollet nämlich unsre Sachen Bei Meister Brohm zusammen machen

Und nach und nach für die Gebühren Zu uns herüber expedieren.

Da sich's auf eins nicht tragen läßt, So könnt Ihr wohl den Ueberrest Bei Euch behalten, bis man ihn Gemächlich kann herüber ziehn. Sodann behändigt diesen Brief,

Der, wie Ihr seht, ein wenig schief,

An Göschen, der wird Euch sofort Für mich zu weiterem Transport Wohl achtzig Thaler zahlen lassen;

Damit, bitt' ich, Euch so zu fassen:

Ihr kennt Herrn Rothen') an der Ecke, Der half mir rüstig aus dem Drecke; Nun diesem zahlet zwanzig Thaler,

Dabei entschuldigt den Bezahler, Daß er nicht selbst von Angesicht Mit seinem alten Freunde spricht:

Es thut mir wirklich herzlich leid; *) Küster Rothe in Leipzig, vergl. S. 74.

Gereimte Epistel an Schnorr.

161

Allein jetzt hab' ich keine Zeit.

Und zwanzig laßt Ihr bei Euch liegen,

Die will ich bald inS Kleine kriegen; Und vierzig schickt Ihr mir herüber: Das ist die Summe bis zum Stüber. Sodann noch eins; allein verzeiht Die Schererei, mein lieber Beit: Kaust mir doch ein halb Dutzend Paar

Von Strümpfen wie im vorgen Jahr. Sodann noch eins: Es ist uns fast

Das Leben ohne Ton zur Last; Drum schafft uns doch in unsern Nöthen

Nur eine von den alten Flöten,

Damit, wenn uns die Grillen hudeln, Wir doch ein Stückchen können nudeln.

Und das vor allem, hört Ihr, Beit! Denn mit den Strümpfen hat es Zeit. — Wir hoffen übrigens, daß Ihr

Euch immer werdet, so wie wir, In Eurer lieben Stadt der Linden

Mit Euren Leuten baß befinden, Und wünschen, daß Ihr mich recht bald In meinem Grimm'gen Aufenthalt

Besuchen werdet. — Meinen Gruh! Ich büffle jetzt mit Hand und Fuß. Seume.

NB. Blasen Sie doch erst in die Flöte, ob auch ein Ton darin ist; auch den Haarkamm nicht zu vergessen.

Ich werde wohl schwerlich die Messe hinüberkommen."

Solche und ähnliche Geschäfte hatte Schnorr häufig für Seume zu besorgen, weil dieser sich nur ungern selbst damit befaßte. Es fehlte ihm eben, wie Schnorr schreibt, jedes Handelstalent, und es sei manch­ mal possierlich gewesen ihn kaufen zu sehen. Hatte er auf eine Ware etwas weniger geboten, und der Verkäufer war nicht sogleich damit zufrieden, so zahlte er entweder das Geforderte und kam meistens dabei zu kurz, oder er machte militärisch kehrt und ging. Schnorr wurde daher auch in solchen Dingen sein Vertrauensmann; er nahm Gelder für ihn ein, leistete Zahlungen für ihn und führte Buch und Rechnung darüber. Ver­ schiedene von Schnorr ausgestellte Quittungen über Seumes Gehalt, den er vierteljährlich bei Göschen erhob, sind noch erhalten geblieben. Auch der folgende Brief enthält mehrere Aufträge für Schnorr, den er zugleich in korrumpiertem Latein scherzhaft überzeugen will, daß er mit seiner Gelehrsamkeit noch nicht in die Brüche gekommen sei. Dann -beklagt er sich darin, daß er Schnorr schon seit einer halben Ewigkeit

Brief an Schnorr. — Schnorrs Famllie.

162

nicht gesehen habe, und dieser jetzt stummer sei als alle Fische der Welt, die in den Meeren und Flüffen wohnen rc. Der Brief lautet: „Schnorruncule carissime,

Quando Tu credis, quod omnia mea latinitas venerit in fracturaa, ego Te volo cum hac espistolae de contraparte supratestificari. Esset immo mihi magna infamia, qui aum vel fui ad minimum Magister Noster Lipaiensis, et nunc travaillo in ergaatulo librario, si non poaaem amplius in docto modo, hoc est latino, pem ante pem ponere. Mihi apperet, quod jam est dimidia aeternitas, quod Te non vidi, et Tu ea mutior quam totua mundua piacium, qui habitant in maribus et fluviis. Hoc non est pulcrum! Nam aliaa Tu ea magnum in modum loquax et garrulua. Tria jam luatra praeterlapaa sunt, ex quo tuarum literarum ne plagelam quidem vidi; aa si vectus esses procellis trans mare arcticum.

Aber ich habe da ganz meinen schönen lateinischen Stil wieder verloren, und Sie müssen Sich wohl mit deutscher derber Eichelkost begnügen. Wissen Sie, daß ich noch immer ein Narr bin und wohl nicht klug werden dürfte? Also will ich lieber schließen, damit ich Ihnen nicht Narrheit vorplaudere. Nam stultus est labor ineptiaru! Der Himmel sei mit Euch! übergebt doch einliegendes an die

Behörde und grüßt mir die guten Väter Oeser und Hedwig, fac ut valeas (Grimma, Anfang 1798.) Seume.

Haben Sie doch die Güte die beiden Briefe auf die Post zu geben und gehörig richtig und gewissenhaft zu notieren, was ich Ihnen schuldig bin, damit ich Ihnen nichts schuldig bleibe, oder Sie betrüge. Meinen Gruß an Herrn Rothe"

Im übrigen war Schnorr mit SeumeS Eigenheiten vertrauter als irgend ein andrer, da Seume während seines letzten Aufenthalts in Leipzig fast täglicher Gast bei ihm war. Beide hatten Leid und Freud'

treulich miteinander getragen und waren sich dadurch nur noch näher getreten. Schnorrs Ehe mit Juliana geb. Lange, der die Kinder Ludwig Ferdinandx), Eduard Friedrich *), Juliana Ottilia8*)* und Julius VeitHans *) entsprossen, war im November 1795 getrennt worden, doch hatte sich. *) a) 8) 4)

Geb. Geb. Geb. Geb.

11. Oktober 1788 in Königsberg in Preußen. 11. August 1790 in Leipzig | 1. März 1792 in Leipzig > Nikolaistraße, Quandts Hof. 26. März 1794 in Leipzig I

Schnorrs Familie. — Der Druck von Klopstocks Oden.

153

Schnorr im Jahre 1797 wieder verheiratet und zwar mit Eleonore

Wilhelmine Jrmisch1). Bei Robertus Schnorr2), dem ersten Kinde aus dieser Ehe, vertrat Seume Patenstelle. Es erklärt sich hieraus seine

Anrede „Gevatter Schnorr" in der schon mitgeteilten poetischen Epistel. Mit Schnorr hatte Seume in Leipzig manchen und manche Abendstunde traulich verplaudert, so in Grimma noch fremd war, den Umgang dieses redlichen Mannes doppelt vermißte. Indessen war in Göschens Druckerei der erste

Spaziergang gemacht daß er jetzt, wo er liebenswürdigen und

Band von Klopstocks

Oden in gewöhnlichem Format und in der Prachtausgabe fertig geworden, deren Korrektur Seume allein besorgt hatte. Klopstock war jedoch mit

diesem Druck trotz aller darauf verwendeten Sorgfalt nur wenig zufrieden. Gleich zu Anfang nach Empfang der ersten Bogen hatte er Göschen sagen lassen, das ginge so nicht weiter, er möchte für die Korrektur mehr Leute annehmen, für die im übrigen sein Manuskript als durchaus fehlerfrei einzig maßgebend wäre. Dies konnte indes nicht immer Geltung haben, weil darin oft genug Verstöße gegen Grammatik und Rhythmus gemacht waren, die unmöglich stehen bleiben durften. In solchen Fragen aber zeigte sich Klopstock überaus schwierig: er wollte sich nie geirrt haben und rechnete der Korrektur oft ganz unwesentliche Dinge als grobe Fehler an, obgleich sie meist auch im Manuskript standen. Wurde ihm dies oder ein anderer Fehler nachgewiesen, so suchte er den Verstoß mit Ängstlich­ keit zu retten. So z. B. hatte Seume in der Ode „Die Gestirne" den Vers: „Es ist Gott! es ist Gott! Vater! so rufen wir an" dadurch richtig gestellt, daß er die Silbe „an" wegstrich. Es wäre aber in Klopstocks Augen eine unverzeihliche Sünde gewesen, wenn man ihm davon keine Mitteilung gemacht hätte. Göschen schickte also den Korrekturbogen nach Hamburg und berichtete über die Bedenklichkeit seines prosodischen Kor­

rektors. Nach einiger Zeit kam das Blatt zurück; Klopstock hatte die durchgestrichene Silbe als gültig unterpunktiert, dies weggestrichen, dann

die Silbe über die Zeile geschrieben und wieder weggestrichen, so schickte er das Blatt ohne weitere Bemerkung zurück. Dergleichen Dinge wieder­ holten sich des öftern und verdrossen Seume, weil er in der grämlichen Art und Weise, wie Klopstock sie zum Austrag brachte, eine Gering­ schätzung seiner Person zu erblicken glaubte. Er würde daher am liebsten schon jetzt seinen Posten wieder aufgegeben haben, wenn Göschen e» nicht

Geb. 9. September 1773 in Plauen i. Voigtl. Sie war die Tochter des ehemaligen Rektors M. Gottlieb Wilhelm Jrmisch in Plauen. ®) Geb. 4. Dezember 1797 in Leipzig, gest. 10. Januar 1799 ebendaselbst.

Der Druck von Klopstocks Oden. — Gleim an Göschen.

154

verstanden hätte, in seiner sanften und schonenden Weise immer wieder

zu vermitteln. Um dem Wunsche Klopstocks, die Arbeiten zu beschleunigen, nachzu­ kommen, zog er zu diesen auch Lorent mit heran, der Seumen in der ersten und zweiten Korrektur sehr gewiffenhaft vorarbeitete, wenn er sich

-auch nicht in allen Fällen in „dem heiligen Dunkel" von Klopstocks Sprache zurechtfinden konnte.

Seume, dem dies besser gelang,

war seinerseits

nicht minder gewissenhaft, wie denn auch sein Verdienst um diese Klopftock-Ausgabe unbestreitbar groß ist.

Er setzte bei der mühsamen und

schweren Gedankenarbeit, die eine lange Zeit hindurch seine volle Arbeits­

kraft in Anspruch nahm, sein ganzes Können ein. Es ist daher nur natürlich, wenn Seume in seinen derzeitigen Briefen

öfters und ausführlich über jene Ausgabe spricht, in betreff deren Göschen kein Opfer scheute, um sie durch typographische Schönheit wie auch Kor­

rektheit des Textes zu einem Musterstücke der deutschen Buchdruckerkunst zu machen.

Man sah dem Erscheinen der ersten Bände in der ganzen

litterarischen Welt mit Spannung entgegen, und namentlich war es Gleim, der die Zeit gar nicht erwarten konnte, bis daß er sie erhielt.

So

schrieb er auch unterm 24. Januar 1798 wieder an Göschen:

„Ohne Zweifel haben Sie, verehrtester Mann, auch in kleinerem Format eine Ausgabe besorgt; erhielt ich zugleich von dieser ein gutes

Exemplar, so würde mir'» äußerst angenehm sein! sind

Die Prachtausgaben

zum Hinstellen in die Büchereien, die kleineren zum täglichen

Gebrauch, darum bin ich mehr für diese als für jene!

Erlebe ich nun

auch das Ende dieser Ausgabe, so dank' ich's Ihnen, braver, recht­

schaffener Mann!

Sie haben wieder geopfert!

— Im 79ten Jahre,

das nun bald zu Ende geht, befinde ich mich recht wohl, und so denk'

ich im Junius nach Lauchstädt und zu Ihnen nach Leipzig zu gehen!

ein schöner Gedanke! weil ich Sie sehen und einen Ihrer Helfer, Herrn Seume, den ich für einen braven Mann halte, persönlich kennen lernen werde.

Freundschaft und Hochachtung Der alte Gleim.

Haben Sie, mein verehrtester Freund, doch ja die Güte, dafür zu sorgen, daß ich das Fertige bald erhalte.

Herr Seume hilft wohl; ich

habe zu warten die Zeit nicht mehr."

Die freundliche Art und Weise, wie Gleim in seinen Briefen an

-Göschen sich über Seume äußerte, veranlaßte diesen, ihm den zweiten

.Band der „Obolen" mit folgender Widmung zuzueignen:

Obolen" zweiter Band. — Widmung an Gleim.

155

„Unserm guten Vater Gleim mit inniger Liebe und wahrer Ehr­ furcht gewidmet.

Verehrungswürdiger Mann, gegen die Patriarchen der Nation, unter welchen Sie schon

Schmeichler zu werden.

längst

stehen, ist man nicht in Gefahr

Man spricht mit Rührung und doch mit

Zuversicht die Empfindung seines Herzens; und alle, die selbst Herz

haben, stimmen mit reinem Beifall ein: die übrigen werden nicht gezählt. Ich habe nie Ihr Angesicht gesehen; aber ich habe mich oft von

Ihrem Geiste genährt: und der Rath, den Sie einst dem unerfahrenen

Jüngling ertheilten, ist in meiner Seele geblieben. Sie schenkten mir ein gütiges ermunterndes Lob; das war viel und könnte mich stolz machen: aber Sie sagen, daß Sie mich lieben; das ist mehr und macht

mich glücklich.

Ich gäbe Ihre wenigen Worte nicht für eine Minister­

schaft hin; denn diese stempelt nicht so echt, als Gleims Wahl.

Wenn

ich ein Greis sein werde, kann ich künftig noch damit die Enkel über­

zeugen, daß ich nicht ganz werthlos war: und dieses Gefühl wird mir

mehr wohl thun, als wenn ich mit besternter Brust auf einer Gold­ kiste säße.

Was ich Ihnen hier bringe, sind immer noch nur Obolen.

Glück­

lichere Geister werden Talente geben: ich zweifle jetzt, daß ich je selbst

eines geben werde.

Wenn Sie nur hier und da einen Gedanken finden,

der in glücklicheren Stunden zu etwa« Befferm hätte geprägt werden

können, so sind Sie gewiß zuftneden und ich bin belohnt. Oft übersinne ich,

zu welcher Menschenklasse ich endlich wohl

gehöre, da ich für die meisten Lagen unsere« Leben« so wenig Analoges

habe, und bin dann manchmal etwas traurig, daß es so ist: aber auf

alle Fälle gehöre ich doch zu den ehrlichen guten Leuten.

Unter dieser

Rubrike, die bei dem allen so außerordentlich stark nicht ist, nehmen

Sie mich gewiß mit hin; wenn mich auch der Kopf oder das Herz zuweilen ohne Faden in Labyrinthe führen sollte.

lunarische Vernunftwesen, das nie den Faden

Wo ist das sub­

vergessen oder ver­

loren hätte? Verzeihen Sie väterlich der gutmüthigen Offenheit.

Diese Zeilen

sollten nur ein Ausdruck meiner wahren Liebe, Hochachtung und Ehr­

furcht sein.

Wenn auch das Denkmal nicht bleibt, so bleibt doch die

Gesinnung.

Seume." Der zweite Band der „Obolen", Leipzig 1798 bei Gottfried Martini,

enthält wie der erste eine Anzahl Gedichte und mehrere Prosaaufsätze,

Obolen" zweiter Band. — Brief an Gleim.

156

darunter die größere Abhandlung „Ein Wort an Schauspieler" sowie eine Übersetzung aus der Geschichte des peloponnesischen Kriegs von Thucydides „Die Belagerung, Eroberung und Zerstörung von Platäa".

Bon den Gedichten wurden bisher noch nicht erwähnt die Ode „An

Klopstock", „Der Opferstein", „Wohlthat des Herzens", „Die Nacht, eine Satyre von Churchhill", „Chaucer an seine leere. Börse", „Jack Rost-

beefs return“ und „Einsame Wandelung". SeumeS Schriften ausgenommen.

Sämtliche Stücke sind in

Eine Besprechung der „Obolen" findet

sich in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung", Jena 1799, Nr. 76, S. 602 ff. Bei Übersendung des Buches richtete Seume folgendes Schreiben

an Gleim:

„Wohlgeborener, Hochwürdiger, Hochzuverehrender Herr, Von meinem Büchlein, daß ich Ihnen so gerade zuzuschicken mich

unterstehe, habe ich nichts zu sagen. Wenn feine eigene natürliche Gestalt nicht die schönste ist, so trägt es doch wenigstens keine Schminke, so daß

jedermann die eigentlichen Gesichtszüge erkennen kann. Aus'einigen Stücken ist vielleicht meine individuelle Stimmung zu sichtbar, welche wohl nicht vor das Publikum gehörte; doch sehe ich nicht ein, was es mir und dem Publikum schaden kann, wenn es alte Dinge in meiner

neuen Charakteristik wiederfindet. Wenn alles Neue wirklich neu sein sollte, so hätte schon seit Salomon sehr wenig mehr geschrieben werden müssen. Ueber Klopstocks Oden habe ich allerdings mehrere Sünden aus

dem Gewissen.

Göschen hat mehrere Bogen umdrucken lassen müssen,

woran theils der Setzer, theils ich, theils Klopstock selbst Schuld waren. Wir waren durchaus

aus das Manuskript

also billig wie ein Evangelium.

gewiesen und hielten es

ES hat sich aber doch gefunden, daß

auch sogar Klopstock nicht ganz für die völlige Richtigkeit seiner Hand­ schrift stehen kann.

In der Ode „An Sie" ist die Bezeichnung des

Metrums fehlerhaft, aber sie war es auch in der Handschrift. Stück hat also neu gedruckt werden müssen.

Das

In der Oktavausgabe,

wo ich es gleich bemerkte, da ich nicht mehr so ganz ängstlich an jedem

Striche hing, hatte ich es schon auf mein Risiko geändert.

Doch ist

noch eine kleine Abweichung, die eigentlich prosodisch nicht von Be­ deutung ist, es wäre aber doch besser, sie wäre nicht.

Die Handschrift

war auch manchmal ziemlich durcheinander gezogen und mußte oft erst noch durch Zeichen geordnet werden, daher der Setzer, welcher sonst

gewiß kein ungeschickter Mann ist, mir sogar einmal die Anfangsstanze einer neuen Ode zur vorhergehenden gezogen hatte.

Es war der Fehler

verzeihlich, da man von ihm nicht verlangen kann, daß er Klopstock

Brief an Gleim. — Gleim an Seume.

157

und sein Metrum studiert haben solle. Eben daher ist es auch gekommen,

daß in der Ode an die Freude die beiden letzten Strophen verwechselt sind.

Ich sehe nun wohl sogleich ein, daß „Freude, Freude, du Himmels­

kind!" dichterisch und logisch das Stück schließen muß.

Wenn man

aber den Kopf von mehreren Dingen heiß hat, kann es wohl über­

sehen werden, wenn die Ordnung des Manuskripts erst durch Signaturen Auch dies ist umgedruckt wie natürlich.

gesucht werden muß. einer einzigen Stelle

In

kann ich mit meinem ästhetischen Sinn selbst

nicht in Ordnung kommen.

Titel und Pagina nicht.

Ich habe das Buch nicht hier, weiß also

Er spricht von der Dichtkunst, und sagt, sie

steige empor und schwebe schöner Bläue nahe Nachbarin über dem

Regenbogen.

Er will nach Bläue ein Komma.

Der Sinn ist dadurch:

die Dichtkunst wird schöner Bläue und ist nahe Nachbarin über dem

Regenbogen;

als nahe Nachbarin der schönen Bläue des Himmels

schwebt sie über dem Regenbogen.

fühl zu würdigen. daß ich

Ich überlasse es Ihnen, mein Ge­

Das Komma war im Manuskript etwas undeutlich,

es leicht für keine« nehmen konnte.

Doch es kommt nicht

darauf an, was Klopstock gesagt haben kann oder soll, sondern darauf,

was er wirklich gesagt hat, und da er selbst noch Richter ist, was er gesagt haben will. Ich habe bei der Arbeit gesehen, daß es mir zu diesem Geschäfte

noch sehr an Genauigkeit fehlt, und gefühlt, daß ich sie mir wohl nicht hinlänglich erwerben werde.

Doch bin ich schon zufrieden, wenn das

Werk nur nicht zu sehr gelitten hat; denn schwerlich hat unsere Litte­

ratur ein Buch aufzuweisen,

daß im Druck so viel Akribie erfordert,

als Klopstocks Oden, weil — es Klopstocks Oden sind.

Aber Sie verzeihen, daß ich Sie ermüde, ich rechne bloß auf Theilnahme und Ihre große Güte.

Mich und mein Büchlein empfehle ich Ihnen mit wahrhaft kind­

lichem Zutrauen und halte es für eine glückliche Periode meines Lebens, wenn ich Ihnen dadurch nicht mißfällig geworden bin.

Grimma, d. 22. Februar 1798.

Ihr gehorsamster

Seume." Gleims Antwort lautet:

„Halberstadt, d. 28. Febr. 1798. Ja wahrlich, lieber Herr Seume!

Sie gehören zu den guten

ehrlichen Leuten, die in die Logen Ihres ganzen Lebens sich einzu-

Gleim an Seume. — Gleims „Hüttchen".

158

legen nicht verstehen. Sie hätten sonst längst schon Ihr Glück gemacht,

kein'S aber wohl wie Sie als Korrektor unsers Klopstock ein's haben.

Sie sahen bei Ihrer mühsamen Arbeit die Geister seiner Oden, die

zu sehen so wenige Geister Augen haben!

Wohl Ihnen!

Wohl Ihnen,

Sie sind ein Geisterseher, ein ganz anderer als die Schröpferschen')! Und wenige jener Geisterseher können wie Sie Zueignungen so

schreiben, daß selbst ein arger Feind von denselben mit ihnen zufrieden sein muß!

Und doch mein lieber Herr Seume, nicht nur lieber, auch hoch­

geschätzter, hätte dieser arge Feind nicht ungern gesehen, wenn Sie diese herzvolle Zuschrift nur unter vier Augen ihm zu lesen gegeben

hätten!

Eine Zueignung

ist so was Vornehmes.

Qui bene tacet,

bene vivit, sagte ich vor einem halben Jahrhundert und sag' es noch! Deswegen, lieber Herr Seume, bin ich am liebsten in meinem Hüttchen. Kennen Sie mein Hüttchen?

Vielleicht, vielleicht auch nicht!

Also

mögen Sie es kennen lernen, ich lege dieser eiligen Schreiberei ein

Exemplar bei. Sie sahen in Klopstocks Oden Klopstocks Geist, sehen Sie nun auch in den Hüttchenliedern den meinigen!

Sie werden ihm ansehen,

daß er Sie liebt, hochschätzt, ehrt, und jetzt noch

bedauert, daß er

vorm Jahre zu Leipzig Sie nicht antreffen mußte.

Leben Sie wohl.

Sie guter ehrlicher Mann! und noch vielmehr!

Ihr ganz ergebenster Freund und Diener Der alte Gleim. Klopstocks Oden, beide Theile, sind gewiß doch fertig, wie kommt's,

daß Herr Göschen sie mir noch nicht geschickt hat?

daß ich sie bald erhalte.

Sorgen Sie doch,

Ich kann ja nicht lange warten! gehe ja

bald in'S achtzigste Jahr." Gleims kleine Liedersammlung „Das Hüttchen" (Halberstadt 1794)

war entstanden, nachdem er sich für immer aus dem hitzigen Kampfe des politischen Lebens zurückgezogen hatte.

Deutlicher wie kein andrer hatte

er die von Frankreich her dem deutschen Vaterlande drohenden Gefahren

erkannt und mit heiligem Eifer die Stimme des Warners erhoben.

man achtete ihrer nicht oder hatte nur Spott für sie.

Aber

Da wurde er des

Eiferns müde, sein Herz sehnte sich nach Ruhe und heiterem Genuß, und so machte er seinen Frieden mit der Welt.

„Die Muse baute ihm ein

Hüttchen," schreibt sein Biograph Wilhelm Körte, „in welchem er, geistig ’) Schröpfer, berüchtigter Charlatan und Geistcrbanner.

Gleims „Hüttchen". — Gleim an Seume.

15»

einsam, sich nur des liebsten Lebens erfreute, idealisch alles bannend, was

aus der greuelreichen Gegenwart etwa zu Grenadier war ein Einsiedler, ein Hüttner feindlicher. Mitten unter die Menschen Gemüt sein Hüttchen bauen, um darin die

ihm eindringen wollte." Der geworden, aber kein menschen­ hin hieß ihn sein liebevolles Eintracht zu lehren, die Liebe,

die Freude, um milder zu werden und milder zu machen, um ein Seher Gottes und ein Menschenfreund zu sein. Alle Tugenden und alle Tugend­ haften ließ er in seinem Hüttchen Einkehr halten, damit sie bei ihm blieben und dem Vaterlande nicht verloren gingen, — und so wies er auch Seume einen Platz darinnen an. Auch er sollte durch ihn und mit ihm glücklich sein. Das aber ist der edle Glanz in Gleims Leben, der früh und spät daraus hervorstrahlt, daß er sein eigenes Glück in dem Glücke seiner Freunde fand, von denen keiner darben sollte, so lange er selbst

noch eine Mahlzeit hatte. Und welch' seltene Art hatte er, von seinem Gute mitzuteilen. An Seume richtete er ganz unvermittelt folgenden eigenhändigen Brief: „Halberstadt, d. 23. April 1798.

Wahr oder nicht wahr, wackrer Herr Seume! Man sagt's mir. Sie befänden sich in Umständen, in denen Sie Beihülfe nöthig hätten; hier ist eine kleine. Nehmen Sie dieselbe, bitt' ich, aus der Hand der

Freundschaft und der Hochachtung, die sie Ihnen einhändigt, gütigst an und, darum bitt' ich inständigst, sagen Sie keinem Menschen Eine Silbe davon und schreiben Sie'» auch keinem, weder an mich noch an andere. Nur die Antwort auf die Frage: „Wann bekomme ich endlich Klopstocks Oden, nach welchen mich so sehr verlangt?" — bitt' ich mir aus, zur oder anstatt der Nachricht, daß die beiliegende Anweisung angekommen sei, weil über Anweisungen kein Postschein ertheilt wird, und bin übrigens in größter Eile Meines Freundes Seume treuergebenster alter Gleim, von dessen ältesten Freunden nach Ramlers Tode nur Klopstock allein noch übrig ist. Dieses erinnert an Klopstocks Ode: „Wenn ich einst todt bin." Dem Briefe lag eine Anweisung von 100 Thalern bei. — Seume befand sich in keiner Notlage, er bezog von Göschen einen für derzeitige Verhältnisse ausreichenden jährlichen Gehalt von 320 Thalern und hatte durch seine im Druck erschienenen Schriften auch einiges Nebeneinkommen.

Briese an Göschen und Gleim.

160

Er war daher von diesem Gunstbeweise Gleims ebenso überrascht al« gerührt und schrieb darüber sogleich an Göschen:

„Ich will Ihnen eben mit einer kleinen Sünde eine Vertraulich­ Weiß der Himmel, wer dem Vater Gleim rapportiert

keit machen.

haben muß, daß ich Geld brauche; da schickt er mir eine Assignation auf ein Leipziger Haus von 100 Thalern in Louisdors mit der Bitte, gegen Niemand Notiz davon zu nehmen.

Das Versprechen will er

auch bis auf die gegenwärtige Ausnahme gehalten haben.

Ich schreibe

ihm sogleich, der freundschaftliche Rapport sei nicht richtig, und werde

von der Asstgnation keinen Gebrauch machen.

Doch ist sie mir von

dem alten Patriarchen mehr als 1000 Dukaten werth."

An Gleim richtete Seume folgenden Brief:

„Grimma, d. 1. Mai (1798). Schon der Anblick Ihres Briefs, da ich Hand und Siegel erkannte,

rührte mein

Gewissen, daß

ich Ihr

letztes zu gütiges,

Schreiben noch nicht beantwortet hatte; mehr als ich ausdrücken kann.



väterliches

der Inhalt aber rührt mich

Man hat Ihnen nicht die Wahr­

heit gesagt, Vater Gleim; aber es ist sehr verzeihlich, daß man geglaubt

hat, die Wahrheit zu sagen.

Meine Erscheinung und meine Lebens­

art läßt vielleicht einen solchen Schluß machen, und er beleidigt mich

auf keine Weise.

Erlauben Sie mir aber, daß ich bei dieser Gelegen­

heit einiges über meine eigene Individualität sage.

Das Schicksal

hat mich freilich hierher und dorthin geführt, aber ich bin recht sehr

zufrieden.

Von Hause aus habe ich nie etwas zu hoffen gehabt, und

habe mich daher sehr früh mit der Genüglichkeit bekannt gemacht. Mein Temperament unterstützt mich.

Ich trinke keinen Wein, keinen

Kaffee, keinen Liqueur, rauche keinen Tabak und schnupfe keinen, esse die einfachsten Speisen und bin nie krank gewesen, nicht auf der See

und unter den verschiedensten Himmelsstrichen.

Meine stärkste Aus­

gabe ist Obst.

Ich habe weder in Amerika noch in Rußland einen

Pelz getragen;

meine Panazee ist Diät und Bewegung.

Wenn ich

de» Tags zuweilen nicht Zeit habe, laufe ich de» Nachts meilenweit spazieren.

Mir ist es einerlei, ob ich mit einem Tambour eine Brot­

rinde von der Trommel oder sechzehn Gerichte von Silber esse;

habe beides gethan und mich bei beiden gleich wohl gefühlt.

ich

Nun

denken Sie, ob mir bei dieser Frugalität wohl Mangel zustoßen kann? Ich bin einige Zeit Unteroffizier mit nicht» als meiner Löhnung gewesen, und sollte in meinen jetzigen Verhältnissen nicht anskommen?

Brief an Gleim.

161

Es hat mich nie ein Gläubiger um Bezahlung gemahnt, welches viel­ leicht mancher mit tausend Dukaten Renten nicht sagen kann. Sana mens in corpore sano ist ohne alles Uebrige der herrlichste Reichthum. Göschen müßte der Mann nicht sein, für den er im Publiko gilt,

wenn er einem Manne, mit dem er in der freundschaftlichsten Verbindung steht, das gewöhnlichste sollte fehlen lassen. Das ist bei meiner und seiner Denkungsart nicht zu erwarten; ich bin nicht sein Schuldner, und

er ist, wie ich zu glauben Ursache habe, mein Freund. Ich habe voriges Jahr eine Station in Moskau ausgeschlagen, wo ich alles frei und fünf­ hundert Rubel Silber haben sollte, weil ich nicht wider meine Neigung in Verhältnisse treten wollte, und den Muth hatte, ohne Aussicht mit kaum zwanzig Dukaten in meinem Vaterlande zu bleiben. Ich habe noch Geld in Leipzig stehen und kann bei meiner Lebensart wohl schwerlich Mangel leiden. Das Dokument Ihres Herzens soll mir ein Heiligthum sein, ohne

davon Gebrauch zu machen. Ich verspreche Ihnen, wie ein Sohn seinem Vater versprechen könnte, wenn meine Umstände je so sein sollten, wie man Ihnen geschildert hat, mit Zutrauen zu Ihnen zu sprechen.

Ver­

zeihen Sie der langen egoistischen Erklärung. Ich bin jetzt sehr selten in Leipzig und immer in Grimma, wo mich meine Geschäfte halten. Unser Weiße befindet fich jetzt wieder besser als vor einigen Monaten; man verläßt ihn jedesmal mit mehr Ehrfurcht und Liebe. Welcher Kontrast zwischen ihm und Platner, den Niemand besser zu bezeichnen wußte als der verstorbene Blanken­ burg. Wenn Platner Hochachtung und Bewundemng zuweilen erzwingt, so liebt man Weißen mit der wohlthätigsten Empfindung der Seele. Klopstock hat die Anmerkungen bis kurz vor der Messe zurück­ gehalten, so daß der zweite Band der Oden nur so eben noch fertig ward. Hoffentlich werden Sie ihn nun wohl schon erhalten haben, oder doch ehestens erhalten. *) Ich fürchte, die fitzende litterärische Lebensweise wird meiner Ge­ sundheit in die Länge nicht behagen, und werde ich vielleicht gelegen« heitlich wieder in Kriegsdienste zu gehen suchen. In Rußland könnte dies sehr leicht geschehen, da es mir dort nicht an Verbindungen fehlt; aber ich will mein Vaterland nicht wieder gegen eine halbe Barbarei vertauschen. — Mit wahrer Rührung danke ich Ihnen noch für die Einführung in Ihr Hüttchen; ich hatte davon gehört, aber es noch l) Gleim erhielt die Oden am 30. April 1798, wo er an Klopstock schrieb: „Heute ist Festtag, Klopstock! — Die Oden sind angekommen."

Planer u. Neitzmann, Trume.

11

162

Brief an Gleim. — GleimS Antwort.

nicht gesehen. Wenn ich nur Zeit hätte, würde ich gleich zu Ihnen hinüber pilgern und unter dem alten Baume dem ehrwürdigen Bewohner die Hände küssen. Aber das will nun jetzt nicht Wieland, nicht Klopstock, nicht Ramdohr und Neubeck. Neubecks Brunnen werden wohl nach der Messe angefangen werden; Göschen ist gesonnen sie zum Meisterstück der Typographie zu machen. Der Mann ist als Dichter von solchem Kredit die Humanität selbst.

Göschen gab mir das Manuscript mit dem Verlangen, ihm meine Be­ merkungen zu sagen. Unbefangen setzte ich mich hin und schrieb über

einen Bogen derselben cum rationibus nieder.

Göschen schickte sie,

ohne daß ich etwas vermuthete, an Neubeck. Meistens betrafen sie die Sprache und nur einige Male die höhere Aesthetik. Neubeck nahm davon die ehrenvollste Notiz, machte nach den meisten Veränderungen, und gab über die übrigen seine Gründe mit soviel Bündigkeit an, daß

ich, obgleich ich nicht überall durchaus seiner Meinung beitreten konnte, die größte Hochachtung gegen diese Humanität, verbunden mit so viel klassischer Gelehrsamkeit, faßte. Wenn nur die Kupfer bald fertig

würden, die als Landschaftsstücke von den besten Meistern vor jeden Gesang kommen sollen. Aber ich mißbrauche Ihre Geduld unverantwortlich. Bloß Ihre ungewöhnliche Güte und Ihre Liebe für Alles, was unsere Litteratur betrifft, entschuldigen meine Unbesonnenheit. Man muß den Mann sehr zärtlich lieben, gegen den man so unförmlich sündigen kann, ohne zu fürchten, daß er zürne. Der Himmel gebe Ihnen noch viele frohe Jahre und mache mich so glücklich Ihr Angesicht zu sehen. Seume."

Gleim war natürlich nicht damit einverstanden, daß Seume das Geld nicht erheben wollte, und schrieb ihm sogleich in seinem freundlichen Eifer:

„Da wären wir nun Beide recht stattliche Narren, wenn wir das Geld dem Kaufmann ließen, denn Sie werden leicht begreifen, daß ich nichts zurückfordern kann," —

worauf Seume sich entschloß, das Geld anzunehmen. Gleim auf einem Separatblatt folgenden Inhalts:

Er meldete dies

„Das Geld wollte ich nicht haben und das Dokument Ihres Herzens für mich behalten; aber ich will Sie auch durch übertriebene Bedenklich­ keit nicht beleidigen. Auf Ihre wiederholte Aufforderung ritt ich

163

Brief an Gleim. — Gleim an Seume.

nach Leipzig zum Herrn Küstner. viel Zeit hatte,

Da ich ihn nicht traf und nicht

übergab ich das Papier dem Banquier Loth'), der Er sagte, das ist überall gut'

mich sehr gut kennt und den ich kenne.

Geld, und versprach mir, da sein Kontor Sonntags geschlossen war,

die Summe ehestens zuzuschicken oder selbst zu bringen. so

gut

als wie in meinem Pulte.

Sie ist also

Bloßer Dank durch Worte ist

erbärmlich und doch oft nur das Einzige, was man geben kann.

Ihr

Herz hat Sie bezahlt; aber das meinige kann niemals quittieren. Seume."

Die eigentliche, so zu sagen offizielle Antwort auf Seumes Brief vom 1. Mai diktierte Gleim seinem Sekretär in die Feder; dieser Brief

lautet:

,,Halberstadt, d. 9. Mai 1798.

Daß Sie, lieber Herr Seume, so situirt, wie mir gesagt ist, nicht sind, und daß ich's von Ihnen selbst erfahre, das freut mich sehr! In Gedanken gedacht ich schon an das flectere ei nequeo etc.,

schon wollte ich an unsern besten König schreiben, wollte, ich nicht alles! alles!

was wollte

Daß das alles nun nicht nöthig ist, das ist besser als

Sitzleben aber ist freilich nicht für Sie.

Russe, kein Amerikaner wieder werden;

Nur müssen Sie kein

alle guten Geister müssen in's

Preußenland gehen, und aus diesem müssen sie ausgehen auf alle bösen

Geister, deren es, die französischen nicht mitgezählt, in unserm lieben

deutschen Vaterlande sehr viele noch giebt.

Auf Akademien, in Städten

von fünfzigtausend Einwohnern, giebt es allzuwenige, denen es, die bösen auszurotten, rechter Ernst wäre-

Unsrer besten Humanisten beste

Geisteswerke bleiben ungelesen ohne Nutzen. Neubecks Gedichte kannte vorm Jahre noch Keiner, von Zehnen, die sie loben hörten von mir, kannte Keiner den Namen, nicht einmal

aus gelehrten Zeitungen. Wahr aber ist, wir haben des zu besonderen Guten so viel schon, daß man selbst das Beste nicht alles lesen kann!

Endlich wird's dahin

kommen, daß ein Wieland sogar für sich allein zum Vergnügen wird

schreiben müssen, oder man wird nur was die Göschen für lesenswürdig halten und zu Meisterwerken ihrer Kunst bestimmen lesen können. *) Der Kaufmann Christian Heinrich Loch, geb. 23. Mai 1735 in Thaurna, war Stadthauptmann und Kramermeister in Leipzig und Besitzer des Ritterguts Hohen­ stadt bei Grimma.

164

Gleim an Seume. — Neubecks „Gesundbrunnen".

Klopstocks Oden lese ich unter blüthevollen Apfelbäumen jetzt mit großem Vergnügen. — Daß er ein Citoyen geworden ist, das macht er mit seinen

heftigsten Oden gegen die Citoyens nicht gut!

Ein

Klopstock mußte, was gekommen ist, sehen, in diesem Stück war er

kein Seher!

Das bei Seit', — so sind seine Oden sein Monumentum

aere perennius!

Daß die Gesundbrunnen jetzt erst vorgenommen werden sollen, ist mit nicht recht, ich dachte, sie wären bald fertig. — Was Sie, lieber Herr Seume, von Ihrer Lebensweise mir sagen, beweist mir, daß Sie

glücklicher und reicher sind als ein König; — also bitt' ich mir Ihr Portrait aus für meinen kleinen Musen- oder Freundschaftstempel nach beigehendem

Maaße des

Blindrahmens.

Pfenniger,

der

Maler in

Leipzig, der Friedrich Richter (Jean Paul) gemalt hat, trifft, sagt man, und malt gut.

So zu leben, wie der brave Weiße auf dem Lande, fünfzig Jahren schon mein höchster Wunsch.

wieder gesund ist!

war vor

Es freut mich, daß er

Die Stunden bei ihm im vorigen Jahre sind mir

durch die Erinnerung jetzt noch die angenehmsten.

Hätte ich nicht einen

so bösen Katarrh, so verschafft ich mir in den jetzigen schönen Maitagen die Wiederholung dieser schönen Stunden, und weil's mir,

wenn ich

einmal reise, um zehn Meilen weiter nicht ankommt, so flög' ich auf

eine Stunde zu Ihnen und Ihren Freunden, sagte:

„Hier bin ich!

sagte Herrn Göschen, was er von meinen ersten und letzten Schreibereien der Mühe werth halte von seiner Kunst, nicht prächtig, sondern nur

schmuck und sauber, vervielfältigt zu werden, gäb' Ihnen den Kuß der Freundschaft und reiste dann weiter, schriftlich Ihnen wieder zu sagen, daß ich Ihr Freund wie ein alter geprüfter schon sei. Gleim." In

betreff der schon mehrmals erwähnten „Gesundbrunnen" ist zu

bemerken, daß es sich um die neue Auslage des trefflichen Lehrgedichts

„Die Gesundbrunnen" von Valerius Wilhelm Neubecks handelte, die

Göschen 1798 in Oktav und Großquart veranstaltete, und deren Korrektur Seume besorgte.

Das Gedicht spricht im ersten Gesänge von der Ent­

stehung der Mineralquellen, im zweiten von den berühmtesten Bädern Deutsch -

’) Neubeck, geb. 29. Januar 1765 in Arnstadt i. Th., hatte Medizin studiert und sich 1788 in Liegnitz als praktischer Arzt niedergelassen.

Im Jahr« 1793 wurde

er KreiSphysikus in Steinau in Schlesien und starb als königl. prcuß. Hofrat am

20. September 1850 in Altwasser in Schlesien.

Ramdohrs „Venus Urania". — Brief an Gleim. — Hohenstadt.

165

lands und giebt im dritten und vierten Gesänge Vorschriften für Brunnen­ kur und Gesundheitspflege. Auch die Korrektur von Friedrich Wilhelm Bafllius von Ramdohrsx) „Venus Urania", einer philosophischen Abhandlung über die Natur der

Liebe, ihre Veredelung und Verschönerung, die 1798 bei Göschen erschien, besorgte Seume damals und arbeitete teilweise auch an der Korrektur der letzten Bände von Wielands Gesamtausgabe.

Auf Gleims letztes Schreiben antwortete Seume unterm 17. Mai 1798; der Brief beginnt mit der auf S. 132 bereits mitgeteilten Stelle,

die auf den Hochzeitstag Wilhelmines Bezug hat.

Es heißt alsdann

darin weiter:

„Wenn Sie zu uns kämen. Sie würden ein wahrhaft kleines Elysium finden, das uns die Natur an der Mulde gegeben hat. Man wallfahrtet aus Leipzig zu uns, wenn man sich wenigstens eine Idee von der Schönheit der Natur verschaffen will, und der sanfte Melanchthon wollte einst nur hier leben, wenn es von ihm abgehangen hätte. Da

die Gegend romantisch ist, hat sie natürlich auch der Geschichte und Sage Stoff gegeben, nullum sine nomine saxum, wie Virgil von Sizilien sagt, deucht mich. Göschen thut in seiner Siedelei zu Hohenstädt*) redlich das ©einige, der Natur die Hand zu bieten und von ihr zu genießen. Vater Loth, der Gutsherr, ist einer der guten Patriarchen, und die Leutchen der Gegend sind ein ganz guter Schlag von Menschen. — Daß Ihr Herz so väterlich für mich sorgt, 4ührt mich unaussprechlich. Den jetzigen König verehre ich unendlich; denn alles, was ich von ihm gehört habe, war gut und brav und menschlich, und wenn ich die Wahl hätte, irgendwo zu leben, so würde ich seine Staaten wählen. Aber die ’) Namdohr, juristischer und Kunstschriststeller, war auf dem Familiengute Drübber im Hoyaischen 1757 geboren und hatte in Göttingen studiert. Er wurde 1806 preuß. Geh. Legalionsrath und Kammerherr, 1815 preuß. Resident in Rom und 1816 preuß. Gesandter in Neapel, wo er am 26. Juli 1822 starb.

’) Göschen besäst in dem unweit von Grimma gelegenen Hohenstadt ein Land­ gut, das er 1795 gekauft und zu einem Sommersitz für seine Familie nmgestaltet

hatte. Die Veranlassung hierzu war, daß der ihm befreundete Leipziger Bankier Loth auf seinem dortigen Rittergut den Sommer über mit seiner Familie wohnte.

Dieser Gutskauf war für Göschen zugleich auch ein Grund, daß er Grimma zum Sitze seiner Druckerei gewählt hatte. Nachdem das Wohnhaus umgebaut und ein neues,

geräumiges Wirtschaftsgebäude aufgeführt sowie auf der Ostseite des Grundstücks ein geschmackvoller Garten angelegt worden war, hatte Göschen das schmucke, anheimelnde

Besitztum im Sommer 1797 zum erstenmal mit seiner Familie bezogen. wirtschaftung der zu dem Gute gehörigen Äcker setzte er einen Vogt ein.

Zur Be­

166

Brief an Gleim.

Sache hat ihre Schwierigkeiten. Ich bin nicht gemacht, Verbindungen zu suchen, und dann nicht sehr geschickt, sie zu nützen. Ich habe einige Gründe, die mich bei einer Veränderung wieder zum Militär bestimmten, ich schätze das preußische vorzüglich, weil ich es kenne, ich weiß aber

auch die Hindernisse, die ich bei einem Engagement finden würde. Es würde schwer halten, leidlich angestellt zu werden, und tief nach Ost­ preußen oder Ostfriesland möchte ich mich auf den ganzen Rest meines Lebens auch nicht gern wieder verschlagen lassen. Ich bin jetzt fünfunddreißig Jahr und wäre es meinem Alter schuldig, mich nicht wieder als der jüngste Sec.-Lieutenant anstellen zu lassen, da mich nicht die Noth zum Dienste treibt. Ueberhaupt würde ich mich schwerlich zu irgend etwas ent­

schließen, wenn ich nicht dem Könige selbst bekannt würde.

Meine

Ehrlichkeit und mein Diensteifer halten die Probe, davon würden Sie Sich lebhaft überzeugen, wenn Sie alle meine ehemaligen Verhältnisse

in Rußland wüßten.

Ich habe viel und wichtig gearbeitet, und bin

nicht belohnt worden, es ist beruhigender, als wenn ich Belohnung ohne Verdienst erhalten hätte. Sie werden aus meinem Aufsatz über die Polnischen Händel ersehen, daß ich mehr wissen mußte, als ich füglich sagen konnte, ob ich gleich das meinige freimüthig genug

gesagt habe. Wenn Sie vielleicht das Mittel werden könnten, daß ich daselbst vortheilhast angestellt werden könnte, so würde man dadurch mehr auf den alten als auf den neuen Diener sehen und jenen in diesem zu belohnen glauben. Uebrigens bin ich über mein Schicksal ganz ruhig, und suche nur den heutigen Tag gut auszufüllen. Der ehrliche Mann ist doch immer die Hauptfigur und der Minister und Thorschreiber gehören nur zur Draperie. Indessen sucht man doch gern auch etwas Gutes zu wirken, weil es Tag ist. Merkel hat mich hier besucht und empfiehlt sich Ihnen. Von Diesem wünsche ich vorzüglich, daß er sich wohl befinde; denn sonst sagen seine und seiner Sache Feinde, der Mann habe Alles aus Hypo­ chondrie gethan. Seine Letten sind Ihnen gewiß bekannt. Da ich einigen Antheil an der Entstehung habe, so ist mir auch billig ihr Schicksal nicht gleichgültig, noch mehr des Volkes als des Buches.

Merkel zeigte mir seine Papiere und fragte mich um Rath. Die Sache ist Wahrheit und nicht übertrieben. Ich theilte ihm noch einige kleine Bemerkungen mit und sagte, wenn Sie Muth haben in das Wespen­ nest zu stören, so ist das brav, aber es kann Ihnen Ihr Vaterland kosten. Darauf war er gefaßt. Sein Supplement ist ziemlich heftig und persönlich, aber auch wahr und gerecht.

Er hat einige Male auch

Brief an Gleim über Politische Zeitverhältnisse.

167

meinen Namen genannt; ich bin nicht gern Veranlassung, daß jemandem «ehe geschieht, doch ist es gut, wenn eine Wahrheit mit Nachdruck gesagt wird.

Mein Bild werde ich für Sie machen lassen, so bald ich Muße nach Leipzig habe.

Mit wahrer Verehrung bin ich

Ihr gehorsamster Seume." Es lag in der offenen Geradheit Seumes, alle diejenigen, welche er zu feinen Freunden zählte, über seine Gesinnungen in Bezug auf Politik

und allgemeine menschliche Wohlfahrt nicht im Unklaren zu lassen, selbst

auf die Gefahr hin, damit anzustoßen oder zu verstimmen, wie dies z. B.

bei Münchhausen der Fall gewesen war.

Darum ergriff er auch seinem

neuen Freunde Gleim gegenüber die nächste beste Gelegenheit, diesem sein

Glaubensbekenntnis abzulegen.



Unterm

S. Juni 1798 schrieb er

an ihn:

„Verehrungswürdiger Vater Gleim! Dieses Mal habe ich Ihre besondere Verzeihung nöthig; denn ich

bin etwas warm und schwer und eile, mein Herz vor Ihnen auszu­ schütten und

zu erleichtern.

Ich lese gewöhnlich

keine

öffentlichen

Papiere, weder litterarische noch politische, und die Welthändel sind mir

ziemlich fremd,

wenn sich nicht dann und wann ein Blatt gelegentlich

oder eine Nachricht durch die Gesellschaft zu mir verliert.

Da habe

ich nun mit vieler Theilnahme gelesen, daß der Königs) eine Anleihe

von zehn Millionen eröffnet hat.

Obgleich die Zeitungsouvertüre dieser

Anleihe gewiß nur ein optisches Glas ist, so hat es mir doch sehr wehe gethan, daß man in einer solchen Periode zu solchen Mitteln zu

schreiten sich genöthigt sieht. — Ich habe von meiner Kindheit an immer eine besondere Vorliebe für Preußen gehabt und sein Kredit in jeder Hinsicht liegt mir näher, als der Kredit irgend eines anderen

Landes, vielleicht

selbst mein

einziger großer Mann")

Vaterland nicht ausgenommen.

Ein

hat mir dieses Gefühl eingehaucht, das sich

nicht geändert hat, seitdem ich seinen Geist studiert habe.

Ich schenke

ihm seine Menschlichkeiten, aber ich verehre und bewundere den Genius,

der durch seine Kraft eine Nation hebt und erhält.

Der vorige König

war wohl als Monarch ein sehr liebenswürdiger Mann; aber ich fürchte,

nicht alle seine Maßregeln waren so berechnet, daß sie nothwendig wohl*) Friedrich Wilhelm III. von Preußen.

*) Friedrich der Große.

168

Brief an Gleim über politische Zeiwerhältnisse.

thätig für seine Provinzen werden mußten. Ich halte ihn vielmehr für die Ursache der jetzigen ganzen Gestalt von Europa, wovon er sich gewiß nichts träumen ließ und welches im Geringsten nie seine Ab­ sicht war. Hätte er im vorigen nordischen Kriege Schweden gehörig

unterstützt, hätte er vor dem Reichenbacher Vertrage nachdrücklich in der glücklichen Periode gegen Oesterreich und Rußland geschlagen, wie alle preußischen und deutschen Patrioten damals die Nothwendigkeit

fühlten, so wäre Rußland in seinen Kräften und seinen Anmaßungen nicht so zum Niesen gewachsen. Der König konnte damals zum Wohle von ganz Europa diktieren. Einige Monate nachher war es zu spät. Die Türken waren zu unglücklich, Oesterreich hatte sich in entschlossene Ver­ fassung gesetzt, und der Vertrag in Schlesien war nunmehr fast noth­ wendig; aber immer nur ein leidiges Palliativ. Hätte damals Preußen mit bestimmter kurzer Energie gehandelt, so wäre auf sehr billige Be­ dingung allgemeiner Friede geworden; der König hätte die schöne Ehre gehabt, Friedensrichter von Europa zu sein, Gustav von Schweden wäre wahrscheinlich nicht so gefallen, die Unruhen in den Niederlanden wären nicht entstanden, höchst wahrscheinlich eben so wenig die Ge­ schichten in Frankreich. Denn die damaligen Leute an der Spitze der Revolution in Paris rechneten sehr klug darauf, daß ihren mächtigsten Gegnern die Hände gebunden waren. So wie man frei wurde und handeln konnte, war der Hauptstreich schon geschehen. Und nun beging man wieder den Fehler, nicht zu sehen, welcher Unterschied es ist, wenn

Könige und wenn Nationen Krieg führen, wenn bloß die Waffen und wenn Grundbesitz und Enthusiasmus schlagen. An die polnischen Ge­ schichten wäre nicht gedacht worden, wenn die Sachen im Ganzen

anders gegangen wären. Ich halte die Aquisition von Großpolen für keinen Gewinn für Preußen bei diesen Konjunkturen, weder sinanzmäßig noch militärisch. Man hat zwar die wilde Katze verjagt, aber sich neben den Tiger angesiedelt. Der Geist beider Nationen, der Deutsche und der Russe, ist in einem fürchterlich grellen Abstich unk ihre Kollisionen sind unvermeidlich, sobald nur das allgemeine Inter­ esse einigermaßen sie zu binden aufhört. Ich kenne die Stimmung jenseits der Memel und der Düna. Militärisch ist die Position äußerst kritisch; durch einen einzigen Marsch der Russen wären alle Länder des Königs bis an die Warthe in Gefahr. Die Russen sind persönlich fürchterlich brav; ihr Bayonett hat oft schon den Mangel ihrer übrigen Taktik ersetzt. Schwerin kannte sie, und Friedrich der Zweite wollte

ihm, nur durch Erfahrung gelehrt, glauben. Mathematisch berechnet schlägt freilich eine gleiche Anzahl Preußen eine Anzahl Russen, wenn.

Brief an Gleim über politische Zeiwerhältnisse.

169

der Offizier seine Stärke und seines Feindes Schwäche kennt und seine

Maßregeln darnach nimmt; es läßt sich aber denken, daß man sich sehr leicht irrt, und der Irrthum ist dann fürchterlicher als eine Sottise in der Philosophie. — Verzeihen Sie meine Ungebundenheit! Wozu alles

Dieses?

Es

hat mich

sehr traurig gemacht,

daß der König Geld

braucht, das er nicht durch sich selbst aus seiner eigenen Staatsver­

waltung haben kann.

Neue Abgaben können freilich nicht erschwungen,

dürfen nicht, wenigstens jetzt nicht, zugemuthet werden. denn die neuen Provinzen

Administration tragen?

durch gute Oekonomie

Aber sollten

nicht ihre eigene

Es giebt ein sehr mißliches Ansehen, wenn

ein mächtiger Staat in seiner blühenden Periode anfängt, seinen öffent­

lichen Kredit zu gebrauchen.

Friedrich

der Zweite nahm

selbst im

siebenjährigen Kriege die Summen nur eventuell, damit sie ihm sicher wären und nicht an seine Feinde kämen.

Lieber würde ich noch die

Reduktion von 10000 Mann Truppen gesehen haben, als Geldauf­ nahme, sie könnte weit eher unbemerkt geschehen sein,

als die letzte.

Es würden dadurch, mäßig gerechnet, dreihunderttausend Thaler erspart

werden, die Zinsen von siebeneinhalb Millionen zu vier Prozent.

Sie

sind selbst in diesen kritischen Zeiten kein Abgang bei der Armee, denn 200000 Mann schlagen, gut eingetheilt, eben so viel, als noch 20000

mehr.

Es kommt nirgends mehr auf Qualität der Subjekte an, als

im Kriegswesen.

Ob der König 10000 Mann mehr oder weniger hat,

wird auf keine Weise bemerkt, wenn es die alten Preußen sind, aber die öffentliche Meinung ist von innen und außen von großer Wichtig­ keit.

Doch werden

die Ausgaben

vermehrt.

Nach meiner Meinung

sind beträchtliche gemacht worden, deren Zweck ich nicht begreife.

Nächst

Wer nicht über

beides

braven Soldaten ist jetzt Geld

das Erste.

disponieren kann, darf zwar im Stillen vernünftig sein, öffentlich wird ihm aber Vernunft wenig helfen.

Die französischen Geschichten werden

leider nicht geschloffen sein, auch wenn der Friede wirklich geschloffen wird.

Wenn auch alle Parteien bona fide gutes Vernehmen wünschen

und wollen, so liegt die Unmöglichkeit der Dauer in der Sache selbst. Die beiderseitigen Grundsätze sind heterogen, sie heben sich nothwendig

auf.

Die Franzosen haben sehr gute Grundsätze; die Ausführung ist

meistens schlecht und die Anwendung das Gegentheil.

doch ihre Wahrheit schon so werden ausgerottet

werden.

Indessen hat

viel tiefe Wurzeln, daß sie schwerlich

Sie beruhen auf Vernunft und nur

gänzliche Anarchie könnte sie wieder austilgen.

Es ist mehr als Masa-

niello und Cromwell, mehr als Athen und Rom, deswegen war der Prodrom (Vorbote) so furchtbar.

Nicht ihre Waffen, sondern ihr Geist

Brief an Gleim über Politische Zeitverhüllnisse.

170

hat uns geschlagen; und wenn sic ganz vernünftig werden, so sind sie

die Diktatoren der übrigen, wozu aber der Anschein jetzt noch nicht ist.

Ihre Nachbarn wollen noch immer nicht begreifen, was ihnen so

das Uebergewicht gegeben hat.

Die französischen Geschichten haben

Greuel ohne Beispiel; aber diese heben das Gute nicht auf.

Warum

könnte, sollte man nicht dieses nützen, eben um jene zu verhüten?

Ohne

Humanität und ein Prototyp von allgemeiner Gerechtigkeit wird keine StaatSverfaffung feststehen, und erlauben Sie mir ein offenherziges

Geständniß, ich finde von beiden in Deutschland sehr wenig.

In den

Preußischen Provinzen ist unstreitig davon noch am meisten;

aber es

ist überall noch alter Sauerteig genug.

Bei uns werden, wie mir

neulich ein ehrlicher Bürger vorgerechnet hat, die Sohlen elf Mal verakziset, ehe

sie auf die Schuhe genäht werden.

Der arme Häusler

auf dem Lande kann das Schweinchen, das er mit Mühe gefüttert hat,

nicht schlachten für seine Familie, weil er den starken Zeddel (Schlachte­ steuer) nicht lösen kann.

Der Städter darf seine Pflaumen nicht eher

vom Baume nehmen, als bis er den Visitator bezahlt hat.

In Sachsen

kostet das Personal der Akzise monatlich sechsunddreißigtausend Thaler, davon werden ehemalige Schuhputzer oder Kuppler ernährt, die nun noch stehlen, um satt zu werden, da man sie nicht genug füttern kann.

Das Salus populi suprema lex gehört unter diejenigen Weidsprüche, bei deren Erwähnung fast alle Mal die Humanität einen Nasenstüber

mehr bekommt.

Die Franzosen, deren Verehrer ich eben nicht bin,

haben doch einige sehr gute Lektionen im Staatsrecht gegeben, die man wohl beherzigen sollte, wenn man thun will, was zum Frieden dient. Sie finden höchst wahrscheinlich meine Aeußerungen etwas gewagt; sie sind aber meine Ueberzeugung und ich bin ein ehrlicher offener

Mann.

Jedem möchte ich sie nicht sagen, um nicht mißdeutet zu werden,

würde sie aber selbst dem Könige freimüthig offen sagen, wenn ich etwas Gutes dadurch zu wirken hoffen könnte.

Die Zeit ist vorbei,

wo wir Milch trinken mußten; wir müssen nun gesunde, starke, reine

Speise haben, wenn man uns nicht vielleicht mit einem üblen Surro­ gat vergiften soll.

Als die Hunnen bei Merseburg waren, war vieles

gut und vieles schlimm; jetzt ist vieles besser und vieles schlimmer;

und Kaiser Heinrich

würde

sich

wundern

über die tolle Konsequenz

unsrer Systeme.

Verzeihen Sie, verehrungswürdiger Mann, diese Expektorationen! Das Zeitungsblatt von den zehn Millionen war daran Schuld.

Ich

wollte meine linke Hand abhauen, um mit der rechten dem Könige die

-Summe nicht leihen, sondern geben zu können, aber was hilft das?

Brief an Gleim über politische Zeitverhältnisse. Wünsche sind nicht für Männer! Könige nicht gefallen hat.

Das ist das Erste,

171 was mir vom

Vielleicht urtheile ich nicht richtig; aber ich

spreche für'S erste nur mein Gefühl.

Die Russische Ambassade behagt mir auch nicht.

Timeo Danaos

würde ich als Preuße sagen, so oft ich einen Russen in Berlin sähe, und an Warschau von 63 und 95 denken.

Freilich werden sie in Berlin

nicht daS thun; aber an ihnen würde es nicht liegen, wenn sie könnten. Die Geschichte mit dem Chan, mit den Kirgisen, ist ihnen gelungen, mit Schweden wäre es fast so gegangen wie mit den Polen,

Nur

der Geist der Zeit hält sie vielleicht auf, fernere Versuche zu machen.

Ich liebe die Nation, sie ist brav und rechtschaffen; aber ich hasse den Geist ihrer Halbgebildeten, von denen ich entsetzliche Dinge gesehen habe, und die ich nicht ohne Grund fürchte, da diese immer die große Zahl machen und die andern mit fortreißen.

Repnin ist der feinste

Mann; aber den Russen kann er nicht verleugnen, deß Zeuge ist Kon­ stantinopel, Teschen,

Warschau und andere.

offenherzig und tauge zum Politiker nicht.

Sie sehen, ich bin zu

Ich nehme eS auch einem

Manne nicht übel, der in dem Geiste seiner Nation handelt;

habe

aber doch daS Recht dabei immer zu denken venienti os currit.

Mein Bild ist ziemlich fertig, und ich werde ehestens die Ehre haben, es Ihnen zu übersenden. selbst.

Ich brächte freilich lieber das Original

Schnorr, dessen Arbeit Sie aus dem Klopstock kennen, wird

für besser gehalten als der Schweizer, den ich nicht kenne. wenigstens viel Enthusiasmus für seine Kunst.

sundheit immer recht dauerhaft

und

Er hat



Möchte Ihre Ge­

heiter sein!

und ich noch so

glücklich, Ihnen mit wahrer Verehrung die Hände küssen zu können. Seume."

Dieses Schreiben, welches ein interessantes Licht auf die damaligen

Zeitverhältniffe wirft, wurde von Gleinr sogleich

nach Empfang, am

12. Juni 1798, beantwortet, doch blieb der Brief irgendwo liegen, so daß ihn Seume erst

neun Wochen später erhielt.

Leider

ist er nicht

erhalten geblieben. Seume wurde durch das vermeintliche Schweigen Gleims beunruhigt,

wie aus folgendem Briefe hervorgeht: „Grimma, d. 15. Juli 1798.

Verehrungswürdiger Vater Gleim! Sehr oft werde ich ängstlich bei dem Gedanken an Sie, daß ich mir deutliche Rechenschaft geben könnte.

ohne

Sie find immer so

172

Brief an Gleim.

gütig väterlich gegen mich gewesen, und mich deucht, Sie würden mir einige Zeilen geschrieben haben, wenn alles wäre, wie es sein sollte.

Die Furcht, Sie vielleicht beleidigt zu haben, beunruhigt mich; aber noch mehr die Furcht, daß Sie vielleicht nicht gesund sind. kaum, welches von beiden schlimmer wäre.

Ich weiß

Der Himmel verhüte aber

nur das letzte, das erste wäre durch Ihre Großmuth und meine Auf­

richtigkeit zu bessern.

Wenn Ihnen einige meiner Aeußerungen oder

wenigstens ihre Art mißfallen haben,

so bedenken Sie, daß es mir

doch.nicht so erniedrigend sein würde, Ihre Mißbilligung zu tragen, als mich vor Ihnen zu verstecken und Sie zu hintergehen.

Hier schicke ich Ihnen mein Bild mit mancherlei Empfindungen.

Die Hauptempfindung ist Dank und kindliche Verehrung für den Mann,

der mit so lebhafter Freundschaft gegen einen Unbekannten denken und handeln kann, dessen Kopfe und Herzen er einiges Gute zutraut.

Schnorr, dessen Blätter Sie wahrscheinlich oft schon gesehen haben,

hat angefangen, sich in dieses Fach zu wagen, und ich würde seinen Enthusiasmus für Kunst und seiner guten Gesinnung gegen mich wehe

gethan haben, wenn ich einen andern hätte aussuchen wollen.

hätte ich ihn auch besser gefunden; Schüler hier in der Gegend.

Schwerlich

denn er gilt für Oesers besten

Aehnlich soll das Stück sein, wenn er

nur im Ausdruck des Charakters sich nicht geirrt oder gar geschmeichelt

hat.

ES thut mir wohl, auf diese Weise unter Ihre Freunde gesetzt

zu werden, aber weit wohlthätiger würde es mir noch sein, wenn ich nur eine Viertelstunde als solcher im ungehinderten Erguß des Herzens vor oder in Ihrem Hüttchen an Ihrer Hand sitzen könnte.

Ich werde

doch sehen eS möglich zu machen, bald einige Tage zu Ihrem Heilig-

thum hinüber zu pilgern. Wenn mir dann röthlich der Abend sinkt, Die Sonne schon zittert am Wolkensaum, Spiegels Berg tröstlich mir winkt: Vater Gleim Wohnt nicht fern; frage nur! sein Hüttchen ist nah! Wenn dann dem Waller ein Mädchen sagt: „Dort, siehe, dort sitzet der Hüttenmann Unterm Baum, gehe nur zu, Fremdling! Sprich Nur zu ihm, Freundlichkeit ist immer sein Blick!" Wenn dann zu Dir Dein Hurone tritt, Die Hände Dir küsset mit Ungestüm, Und du noch jugendlich fest ihn umarmst, Als hätt' ihn eben erst jetzt Quebeck geschickt,

Brief an Gleim.

173

Wenn Du ihn segnend zur Hütte führst, Das Herz wie schlägt'S hoch in Gedanken mir, Und Du des Mahls auf dem Tisch unterm Baum Nicht achtest, bis daß ich Dir erst ganz eingeweiht!

Bald hoffe ich so glücklich sein zu können, durch einige Zeilen von Ihrem Wohlbefinden und der Fortdauer Ihres Wohlwollens versichert zu werden. — Wir drucken jetzt endlich Neubecks Brunnen, die meiner Seele ein wahres Fest geben. Die gewöhnliche Ausgabe wird bald fertig sein, aber zur schönen fehlen noch die Kupfer, welche Göschen von den besten Meistern arbeiten lassen will. Der Verbesserungen im Stück sind viele, in Materie und Stil. Ich muß das Vergnügen, das

mir das Buch gewährt, mit etwas Mißmuth über meine eigenen Mach­

werke bei unwillkürlicher Vergleichung analoger Stellen bezahlen. Aber die Vergleichung schon ist Vermessenheit, und das auch’ io sono fällt tief, tief hinab und verschwindet.

Der Himmel erhalte Sie noch lange Ihren Freunden! Seume."

Als Gleims Brief vom 12. Juni endlich eingetroffen war, schrieb Seume sogleich wieder an Gleim:

„Grimma, d. 30. Aug. 1798. Vorgestern erst erhielt ich Ihren so gütigen väterlichen Brief vom 12. Juni datiert. Ich bin seit dieser Zeit in großer Angst gewesen und machte mir mancherlei Vorstellungen, von denen keine sehr tröstlich war. Wo der Brief über neun Wochen kann gelegen haben, ist mir freilich unbegreiflich; doch bin ich nun schon beruhigt. Ich habe die Wahrheit Ihrer Bemerkungen recht wohl gefühlt

und werde sie tiefer zu beherzigen gewiß oft Gelegenheit haben. Ich verehre den König gewiß mit wahren Gesinnungen und hoffe in zwanzig Jahren noch mehr Ursache dazu zu haben. Repnin kenne ich; SieyösJ) ist bekannt. Wenn der König zwischen ihnen (also zwischen Rußland und Frankreich) den Oelzweig des Friedens festhält, so ist er ein wohl­

thätiger Genius für unfern Welttheil, und viele Millionen werden ihn segnen. Dieser Segen ist gewiß besser als Trophäen, wenn er gleich

nicht so glänzt. Nun muß ich wohl dieses Jahr

auf die

Hoffnung

Verzicht

thun, Sie noch hier bei uns zu sehen. Die schöne Jahreszeit geht zu Ende, und ich würde selbst für Sie in Sorgen sein, wenn ich *) Emanuel Joseph Gras v. Sieyös, franz. Staatsmann und Gesandter in Berlin

von 1798—99.

174

Bries an Gleim

Sie nun der ungewissen Witterung ausgesetzt wissen sollte.

Aber wenn

Sie nur einmal hier in Hohenstadt wären, wir alle, alle würden uns

unendlich freuen.

Sie Selbst würden über der Natur hier an unserer

Mulde einige Tage Spiegelsberg vergessen, oder sich desselben nur zu

größerem Genusse erinnern.

Die Kunst hat bei uns nichts, gar nichts

gethan, aber die Natur scheint ihren Lieblingen hier eine Wiege gebaut zu haben.

Alle hundert Schritte haben wir einen andern Anblick, und

jeder hat schönere Nüancen.

Wenn ich so zuweilen an einem Felsen

sitze und einen Ihrer Briefe lese, wie froh, denke ich, würde auch Er selbst hier sein, der für jede Schönheit von Jugend auf tief empfand,

und der als Greis, zum Kriterion wahrer Lebensweisheit, im Froh­ sinn noch Jüngling ist. — Vor einiger Zeit war ein Berliner hier, der von seinem langen Fasten bei der Armuth der Residenz hier in unserm Reichthum schwelgte.

sich sein Bedienter,

Mit treuherzigem Ungestüm aber drückte

ein ehrlicher Pole,

aus:

„Hier sollte man recht

viel für die Berliner herbauen, damit sie hierher kämen und sich recht wohl befänden." — Ich kenne doch viele schöne Gruppen in der alten und neuen Welt; ich würde aber schwerlich eine gefälligere Mischung

des Schönen in der Natur in meinem Gedächtniß aufzufinden hoffen: Wenn nm Abend von den Frühlingstagen Rosen blühen, Nachtigallen schlagen, Und die Freude jauchzt von Hain zu Hain, Und der Thäler Labyrinthe alle Rundum tönen von dem Wiederhalle, Freut man hier sich ganz ein Mensch zu sein!

Das Porträt muß nun längst bei Ihnen sein, denn von Leipzig ist es nun schon über sechs Wochen abgeschickt.

Schnorr ist als Künstler

sehr begierig, was Sie über sein Erstlingsmachwerk urtheilen werden. Ich stehe nun mit Göschen so, daß ich mich immer von ihm

trennen kann, ohne ihm zu schaden und mich zu kompromittieren.

In

die Länge würde ich wohl das Silbenwesen nicht aushalten, und wenn

ich auch lauter Oden von Klopstock hätte.

Es fehlt mir das genaue

Auge, und oft giebt es doch wenig Belohnung für

den Geist.

Was

ich ins Künftige mit meiner Existenz anfangen werde, weiß ich noch nicht.

Das akademische Wesen will mir nicht gefallen.

praktisches Leben darin.

Es ist zu wenig

Wenn vielleicht ein Mann als Führer und

Freund für einen jungen Menschen auf Schulen oder Reisen gesucht würde, wo bei einem leidlichen Leben nachher eine kleine, sichere Kom­ petenz zu gewinnen wäre, so würde ich mich selbst empfehlen, da ich aus meinem Charakter

gewiß bin,

daß ich nichts verderben würde.

Brief an Gleim. — Klopstock an Göschen.

Doch bin ich unbekümmert,

175

denn ich habe für meine Genüglichkeit

Quellen genug, habe Muth und Glauben und rechne auf sehr wenig, so laufe ich nicht Gefahr mich sehr zu irren.

Freund Göschen empfiehlt sich Ihnen; seine Familie hat sich eben

wieder um einen Sohn *). vermehrt.

Dieses und die Vorbereitung auf

die Messe begräbt ihn unter Geschäften.

Ihr beständig getreuer Seume." Bei Seumes allerdings etwas unstetem Wesen ist es leicht erklärlich, daß ihm auf die Dauer die sitzende Lebensweise, die sein neuer Beruf mit sich

brachte, nicht recht behagen wollte. kleinliche Nörgeleien,

die ihm

weiter mit zu arbeiten.

Vor allem aber waren es Klopstock»

die Lust benahmen, an

dessen Ausgabe

Zwar hatte Klopstock, dessen „Messias" nun

ebenso wie die Oden in Oktav- und Prachtausgabe bei Göschen erscheinen sollte, in

letzter Zeit mehr Zufriedenheit

geäußert, doch war dies nie

geschehen, ohne daß er hinterher einige ironische Bemerkungen mit ein­ fließen ließ, die verletzen mußten.

So schrieb er z. B. nach Empfang

der Oden, der Brief trägt kein Datum, wie folgt an Göschen:

„Ich habe es Ihnen, L. G., schon mehr als Einmal gesagt, aber

es ist mir angenehm es zu wiederholen: Sie wiffens gewiß

trefflich.

auch

Ihre große Ausgabe ist vor­

noch

genauer als ich, daß

wenig andere dieser meiner Meynung sind.

von dieser und eins von der Zweiten erhalten. Luisd'or erhalten.)

nicht

Ich habe drei Exempl.

(Ich habe auch achtzig

Meine Frau und mein Bruder danken recht sehr

für die abgeschickten Exemplare. — Herr Schnorr v. K. hat mir einen

sehr angenehmen und lieben Brief geschrieben. mir.

Grüßen Sie Ihn von

Ich würde Ihm heute antworten, wenn es nicht so heiß wäre.

Indeß soll Er doch schon jetzt einen kleinen Auftrag von mir bekommen. Er macht

nämlich Herrn Seume so

sehr

aus, wie

es ihm immer

möglich, daß Er, S. nämlich, besonders als Dichter, der mir eine so warme Ode gemacht hat, so grausam gegen mich gewesen ist,

den

gigantischen Druckfehler in den Anmerkungen unter der Ode Die Vor­ trefflichkeit hat stehen lassen.

Ich hatte ja so flehentlich gebeten, die

Ode auszusuchen, zu der die Anmerkung gehörte.

Diese Bitte steht,

mich deucht, mehr als einmal in den Briefen an Sie.



So bald

Sie Didot's Virgil bekommen, L. G., so lesen Sie seine Vorrede über *) Christian Ludwig, geb. 27. August 1798 in Hohenstadt, gest. 2. Oktober 1798

in Leipzig.

Seume vertrat Patenstelle bei ihm.

Freunde in Grimma und dessen Umgebung.

176

Bodoui'S Druckfehler mit Andacht.

So bald ich von Ihnen höre, daß

meine. Bitte um andächtiges Lesen nicht fehlgeschlagen hat, so »erfasse ich mich auf die fast ganz druckfehlerlose Ausgabe des Messias. — Nun kann ich doch wohl eine Probe von der zweiten Ausgabe des Messias mit nicht abgebrochenen Versen bekommen. Ihr

Klopstock." Indes auch manche schöne Stunde geselliger Freuden und heiteren

Lebensgenusses fand Ceume während seines Aufenthalts in Grimma, dessen anmutige Lage und romantische Umgebung ihm so überaus wohlgefiel.

Unter den freundlichen, gutmütigen Bewohnern war er bald

heimisch und genoß nicht nur die Achtung und das Vertrauen der an­ gesehensten Familien der Stadt und auf dem Lande, sondern auch bei der übrigen Bevölkerung stand der „Herr Lieutenant" oder der „Herr Hauptmann", wie ihn der Respekt häufig auch betitelte, in großem Ansehen. Von den Grimmenser Honoratioren stand ihm wohl der Rektor der Fürstenschule Johann Heinrich Mücke *) am nächsten, während zu seinen vertrautesten Freunden in der ländlichen Umgebung Grimmas der Pfarrer M. Johann Samuel Vertraugott Schieck *) in Pomsen und der Ritter­ gutsbesitzer Hanns August von Bissing") auf Altenhain gehörten. Wenn Göschen und Loth während des Sommer» mit ihren Ange­ hörigen in Hohenstädt wohnten, war Seume dort täglicher Gast, ja Göschen hatte ihm in einem Nebengebäude seines Landguts eine ständige

Wohnung einrichten lassen, in der er nach Belieben aus- und eingehen konnte. Göschen führte ein glückliches Familienleben und ein gastfreies, wenn auch einfaches Haus. Er hatte sich 1788 mit Johanna Henriette Heun*) verheiratet, die neben den Eigenschaften einer guten Hausfrau ’) Mücke war am 10. Februar 1735 in Wittenberg geboren und hatte in Leipzig studiert, wo er 1760 promovierte.

er 1763 nach Leipzig zurück,

Nach mehrjährigem Aufenthalt in Göttingen kehrte

wurde

1766 Konrektor und 1782 Rektor der Fürsten­

schule in Grimma. 9) Schieck war am 26. Juni 1756 in Marienberg in Sachsen geboren.

Er bekleidete

seit 1788 das Pfarramt zu Pomsen und Grobsteinberg und war mit Karolina Dorothea geb. Messerschmidt, geb. 1768, verheiratet. ’) HanS August v. Vissing stammte mütterlicherseits auS dem Geschlecht der

später in den Grafenstand erhobenen Freiherren von Hohenthal und war am 6. Aug. 1771

in Alienhain geboren. am 30. Januar 1797

Er hatte als Lieutenant in der preuß. Armee gedient und sich mit Auguste Friederike Albertine von Gronau vermählt.

4) Geb. 20. September 1765 in Torgau als die dritte Tochter deS Justizamt­

manns Johann Carl Heun in Dobrilugk.

Göschens Familie.

177

eine treffliche Bildung besaß und durch ihr anmutiges, heiteres Wesen die Herzen aller gewann. Schiller schreibt von ihr in einem Briefe an Göschen, datiert Weimar, d. 26. Februar 1789: „Sie haben mir schon so viel zu Gefallen gethan, schaffen Sie

mir nun noch eine Frau, die so lieb und brav ist, wie Ihr Jettchen, so haben Sie alles für mich gethan, was ein Freund für den andern

thun kann." Auch Seume schätzte diese Frau hoch, die ihren zahlreichen Kindern *) eine sorgsame Mutter war. Keiner ihrer Geburtstage, die in der Familie als Hauptfeste galten, ging vorüber, ohne daß Seume ihr nicht seinen poetischen Glückwunsch selbst überbracht hätte. Ebenso wirkte er bei Auf­

führungen, die man gewöhnlich zu diesen Festen veranstaltete, stets mit,

war es als Dichter, Regisseur oder Schauspieler. Schnorr, der bei diesen Feiern ebenfalls nicht fehlen durfte, giebt in seinen Aufzeichnungen u. a. auch eine ausführliche Schilderung einer Don Quixot-Maskerade, die aus solchem Anlaß auf freiem Felde zwischen Hohenstädt und dem nahen Böhlen in den abenteuerlichsten Kostümen aufgeführt wurde. Seume hatte dabei die Rolle des „Herolds zu Pferde"

übernommen. Schnorr stellte „Don Quixot", und Göschens Schwager, der Landschreiber Seyferth aus Leipzig, „Sancho Panza" dar, während Göschen und Vollsack ’) als Ritter mit einem zahlreichen Gefolge von Reisigen die Begleitung eines mit vier Ochsen bespannten Wagen» bildeten, worin die au« Hohenstädt zu entführende „Prinzessin Dulcinea", Frau Henriette Göschen, Platz finden sollte. Mit Ausnahme dieser letzteren hatten sich sämtliche Teilnehmer auf dem Gutshofe in Böhlen eingesunden, wo Vollsack, dem die Regie über­ tragen war, seine Anordnungen traf. Als Reittier für „Sancho Panza" hatte er den Gemeinde-Esel aus Grimma gemietet, dessen Herausgabe die Grimmenser aber in letzter Stunde verweigerten, weil sie nicht wünschten, daß derselbe zu diesem ihnen inzwischen bekannt gewordenen Zwecke ver­ wendet werde. Run war guter Rat teuer, und Vollsack wetterte in seiner Von Göschens acht Kindern waren Ende 1798 noch sechs am Leben und zwar: Carl Friedrich, geb. 28. Juni 1790 in Leipzig.

Georg Joachim, geb. 24. Dezember 1791 in Leipzig.

Heinrich Wilhelm, geb. 3. Juli 1793 in Leipzig. Robert August, geb. 14. August 1794 in Leipzig. Henriette, geb. 28. Oktober 179b in Leipzig.

Albert, geb. 29. April 1797 in Leipzig. 3) Georg Christian Vollsack, Kauf- und Ratsherr in Leipzig und Besitzer des Ritterguts Böhlen, geb. 24. Oktober 1766 in Leipzig,

gest. 6. Februar 1839 eben­

daselbst.

Planer u. Reißmann, Seume.

12

178

Bries an Völliger.

Verlegenheit auf dem Hofe herum.

Der geniale Schnorr aber wußte

Ersatz zu schaffen. Er hatte im Gutsstalle ein kleines mäusegraues Pferd ausgekundschastet, das er in aller Eile zum Esel umgestaltete, indem er den Schweif des Pferdchens zusammendrehte und mit Bast um­ wickelte und ein Paar aus Pappe gefertigte Eselsohren an dem Kopf­ zeuge des Tieres anbrachte. Der Jubel über den Pfeudo-Efel war groß

und steigerte stch zu einem wahren Beifallssturm, als „Sancho Panza"

im Glanze seiner ganzen Komik das Tier bestieg und mit ihm in die inzwischen herbeigekommene Zuschauermenge sprengte, unter die er den Inhalt seines Wamses, Kuchen, Wurst und Käse, warf. Schnorr fügt

hinzu, daß bei diesem Anblick selbst Seume seines Ernstes vergessen und herzlich mitgelacht habe. Der Zug bewegte sich nun nach Hohenstädt; dort wurde „Prinzessin Dulcinea" in aller Form entführt und darauf im Triumphzuge nach Böhlen gebracht, wo auf Vollsacks Gute ein fest­ liches Mahl den Tag beschloß.

Im Juli 1798 trat Seume auch mit Karl August Böttiger in Weimar, den er kurz vorher in Leipzig persönlich kennen gelernt hatte, in Briefwechsel. Böttiger brauchte für die von ihm redigierten Zeit­ schriften ') Beiträge, die er gewöhnlich von seinen litterarischen Freunden erbat und meist auch unentgeltlich erhielt. Auch an Seume hatte er ein solches Ansuchen gestellt, wie aus folgendem Briefe hervorgehl: „Grimma, d. 15. Juli 1798.

Hochwürdiger, Hochzuverehrender Herr Oberkonsistorialrath! Herr Göschen hat mir Ihr gütiges Andenken und Ihren Gruß gemeldet, mit der Bemerkung, daß Sie etwas über Rußland in Ihre Monatsschrift zu haben wünschten. Da ich jetzt sehr wenig mit dem Norden in Verbindung stehe und mich überhaupt um politisches Ur­ wesen nicht bekümmere, werde ich nicht viel pragmatisches sagen können. Können und wollen Sie indessen beifolgenden kleinen Aufsatz brauchen,

der für deutsche Leser doch vielleicht einiges Interesse haben kann, so disponieren Sie darüber. Da hier nur sehr wenig ästhetische Aende­ rungen die Sache selbst bessern könnten, so würde ich wünschen, daß die Meinungen und Ausdrücke, welche sie bezeichnen, bleiben wie sie

*) „Journal des Luxus und der Moden", — „Der Neue Teutsche Merkur", — „London und Paris".

Völliger an Merkel. — Brief an Völliger.

179

sind. Sollten Sie aber glauben, daß die Kleinigkeit so nicht juria publici werden darf, so verbrennen Sie dieselbe.

Ew. Hochwürden gehorsamster Diener

Seume." Böttiger hatte in betreff der Veröffentlichung dieses Artikels die Ansicht Merkels*) eingeholt, der sich darüber wie folgt äußerte:

„Ich danke Ihnen sehr für die mitgetheilten Sachen, hochgeschätzter Freund! Seumes Aufsatz scheint mir nicht interessant genug, um ohne Nachtheil für ihn selbst dem Publikum vorgelegt zu werden. Seien Sie indeß, wenn ich bitten darf, so gütig, ihn nicht zu verbrennen; es kann vielleicht eine Zeit kommen, da er zu meiner Rechtfertigung dient.

Selbst jetzt, glaube ich, würde er allenfalls als ein Gegengift des im Manuskript schleichenden Paöquills, auch als Manuskript mitgetheilt,

gute Wirkung thun. Amüsirt hat es mich sehr, daß Seume nicht ver­ gaß anzuführen, ich habe ihm mein Manuskript (die Letten) vor­ gelesen. Leben Sie wohl. Merkel.«

Infolge Merkels Bedenken hatte Böttiger den Aufsatz über Rußland in einem verbindlichen Schreiben abgelehnt, das Seume wie folgt beant­

wortete :

„Grimma (August 1798). Verzeihung, wenn ich Ihnen einige Minuten Zeit stehle! Ihr Brief hat mir, die verbindlichen Dinge, die Sie mir darin sagen, ab­

gerechnet, unendliches Vergnügen gemacht. Sie irren Sich in mir gewiß nicht. Wahrheit, Gerechtigkeit und Humanität sind meine Göttinnen, die mir weder Bayonnettspitzen noch Gespenster rauben sollen. Schweigen kann ich; aber wenn ich spreche, so rede ich nur Ueberzeugung. Wenn nichts für oder wider eine Sache gesagt werden soll, so muß nach meinem Gefühl überhaupt nichts gesagt werden, wenn wir nicht bloß liturgisch herbeten wollen. Merkeln sind vielleicht einige Zeilen in meinem Aufsatze ausgefallen;

das thut mir leid.

Ich bin gewiß sein wahrer redlicher Freund, eben

*) Merkel war, nachdem er sein medizinisches Studium ausgegeben hatte, nach Weimar übergesiedelt, wo er sich an Wieland, Herder und Böttiger anschloß. Durch

BöttigerS Vermittlung wurde er Mitte 1797 Sekretär des dänischen Staatsministers

Grafen von Schimmelmann in Kopenhagen, bekleidete diesen Posten aber nur kurze

Zeit; schon Sylvester 1797 war er wieder nach Weimar zurückgekehrt.

Brief an Böltiger. — Besuch bei Gleim.

180

als der Freund seiner Sache.

so sehr, drücke

in seinen

Ich weiß, daß einige Aus­

zu (den Letten)

weil sie muthmaßen

haben,

gethan

Supplementen

lassen

moralischer Charakter etwas Leichtsinn.

Lafontaine

könnten, als

wehe

hätte sein

Das sollte Merkel vermieden

Mich deucht, was ich darüber gesagt habe, war wahr und

haben.

herzlich, und

kommt selbst den Vorwürfen zuvor, die ihm deswegen

seine Gegner auch über seine Sache selbst machen könnten und wirklich schon gemacht haben. das Gute.

UebrigenS bin ich recht ruhig, denn ich will nur

Meinen wärmsten Dank für die Theilnahme, welche Sie

mir bezeigen, und die Versicherung der wahrhaften Hochachtung!

Seume." Dies sind zunächst die einzigen Briefe, die zwischen Seume und Völliger gewechselt wurden; ihre gegenseitigen Beziehungen nahmen erst

im Laufe der folgenden Jahre jene herzliche Vertraulichkeit an, die sie auszeichnet.

Im Herbst 1798 führte Seume seinen längstgehegten Entschluß aus, Gleim in Halberstadt mit seinem Besuche zu überraschen.

Er machte sich

daher Anfang Oktober auf vierzehn Tage frei, nahm seinen Knotenstock

und wandelte die achtzehn deutschen Postmeilen zu Fuß hinüber. „Zeitung

In der

für die elegante Welt" von 1803, Nr. 30, schreibt er über

diesen Besuch wie folgt: „ . . . Ein ältliches, ehrliches, treuherziges Menschengesicht *), das

in dem Hause Diener, Haushofmeister, Sekretär und Minister in Einer

Person zu sein schien, fragte mich beim Eintritt um meinen Namen.

Ja, Lieber, erwiderte ich, den möchte ich nun eben jetzt nicht gern sagen; ich bin überzeugt, daß ich auch ohne Namen gut ausgenommen

werde.

Es wäre doch gewöhnlich, meinte der Mann; aber deswegen

nicht immer nothwendig, sagte ich.

Er ging und kam zurück,

führte mich mit der Nachricht oben in das Bilderzimmer,

und

der alte

Herr würde sogleich mit seinem Anzug fertig sein und erscheinen, und ließ mich allein.

Oesers und mein Bild waren die letzten und standen

als Neulinge noch auf einem Tische an die Wand gelehnt.

Als ich

mich rund herum unter der Menge etwas orientirte, kam Er: die

Rührung versagte mir im Augenblick schickliche Worte, ich ging auf ihn zu, sahe ihn fest an, faßte seine Hand und wollte sie zum Munde

führen.

Ach mein Gott, Sie sind Seume, sagte er, fiel mir um den

Hals und führte mich auf das Sopha, und wir waren in Augenblicken *) Gleim- langjähriger Diener Stamann.

Besuch bei Gleim.

181

freundliche Bekannte von mehreren Olympiaden. Fünf Tage **) war ich früh und spät in seinem Hause, und er führte und fuhr mich mit bei­ spielloser Güte überall herum. ES war natürlich, daß wir über philo­ sophische und politische Meinungen bald in Reibung kamen. Da ich meine individuelle Ueberzeugung selten jemand auskrame, aber sie auch nicht zurückhalte, wo sie mit Anstand in Anspruch genommen wird,

ward der Streit oft sehr warm, und die Ecken de» Sophas fühlten durch die Ellenbogen das Gewicht unserer Gründe, wenn wir die Sachen ex fontibus et rivulis ableiteten. Das Ende war immer, daß wir den guten Menschen aller Partheien Gutes wünschten. Der Politik wollte er beständig entsagen, und fiel immer wieder in die Politik; eine Erbsünde, die man keinem Philanthropen anrechnen wird. Gegen Bonaparte war er entsetzlich aufgebracht, so lange ich noch ziemlich mit demselben zufrieden war; und er ward sein Held, so wie er der meinige zu sein aufhörte.

Sein Enthusiasmus für Friedrich

den Zweiten grenzte an Abgötterei, war aber immer noch liebens­ würdig und bei weitem nicht so zudringlich barock, als man zuweilen

gesagt hat. Wir sind fünf Tage zusammen gewesen, auch ich war Verehrer seines Helden, es wurde oft von ihm gesprochen, wir waren einige Mal auf der Bibliothek, und er hat mir die Reliquien, die er von ihm besaß, nicht gewiesen; so leicht konnte er sie über wichtigen Gesprächen vergessen. Mir war es wohl zu verzeihen, daß ich bei Gleim Friedrichs Reliquien vergaß. Rührend war mir der herzliche vertrauliche Umgang der Familie Stollberg-Wernigerode in dem sogenannten Hüttchen des Alten, der —

Großvater und Vater und Sohn seine Freunde genannt hatte und um den sich nun die junge Welt des Hauses versammelte, die ihn alle mit Zärtlichkeit nur Onkelchen nannten. Die interessantesten Geschichten seiner Zeit, in die er zuweilen selbst verflochten gewesen war, machten

die Tage zu Stunden. Er wollte mich durchaus mit Extrapost nach Hause fahren lassen, und da ich von meiner späten Promenade über den Brocken, — es war die letzte Hälfte des Oktobers, — und durch den Harz nicht abging, brachte er mich wenigstens in seinem Wagen in Gesellschaft seiner 9lid)ten2) weit, weit heraus auf den Weg nach

Wernigerode." In Wernigerode hielt Seume bei Gleims Freunde, dem gräflich

Stollbergischen Bibliothekar Lebbäus Benzler, kurze Einkehr und wanderte *) In seinem Briefe vom 20. Oktober 1798 spricht Seume nur von vier Tagen.

•) Dorothea Gleim und Louise Ahrends.

Wandrung durch den Harz. — Brief an Gleim.

189

dann nach Ilsenburg, bestieg den Brocken, besuchte die Biels- und die BaumannShöhle, Blankenburg, die Roßtrappe und den Mägdesprung und

kehrte über Ballenstädt, Eisleben und Halle nach Grimma zurück.

Hier

angekommen schrieb er sogleich an Gleim: „Hier sitze ich wieder in meiner Klause, lege eben einen Bogen

aus der Offizin weg und bin mit meiner Seele bei Ihnen in Halber­

Diese vier Tage waren mehr als eine Olympiade werth, wo

stadt.

ich in allen Spielen den Preis gewonnen hätte.

Aber nun, da sie

weg sind, deucht mich, daß ich bei weitem nicht alles genoffen habe, was ich hätte genießen können und sollen.

Nur der Gedanke tröstet

mich über meine Lethargie, daß ich über Gleimen selbst das übrige vergeffen habe.

Sie wollten mir noch einige Ihrer Schriften geben

und ich habe Sie nicht gemahnt; ich bin ein ungeduldiger Gläubiger

und thue es jetzt.

Hätte ich Friedrichs Hut und Feldbinde gesehen,

so thät ich nach allen Heiligthümern

von Loreto und Campostella

kaum einen Seitenblick; und hätte gar der Hut eine Sekunde meinen

Schädel gedeckt und die Binde eine Minute meine Hüften umgürtet, so würde ich mit magischer Kraft wie unter einer Aegide jedem großen

Unternehmen entgegenschreiten und jedem Borurcheil trotzig unter die Nase sprechen, wenn damit etwas gefrommt werden könnte.

Es ärgert

mich, daß Sie nicht vierzig Jahre rückwärts haben, oder daß ich sie

nicht vorwärts habe. Aber das ist entsetzlich egoistisch! Quiescendum est! Als ich aus dem Wagen sprang träumte ich unwillkürlich fort

und war, ehe ich mirs versah, in Wernigerode. — Benzler bewirthete mich sogleich mit einem Druckfehler aus Klopstock, über den ich mich

wohl hätte ärgern können, wenn ich mir nicht vorgenommen hätte,

mich nicht zu ärgern.

Aber so leuchtete mir nicht ganz ein, daß er

Recht habe. Streit Haffe ich, ich sah nach dem Brocken hinüber und weg war Benzler, der Druckfehler und der ganze Klopstock.

ich so

Wenn

fort korrigiere fürchte ich nur, mein ganzes Leben wird ein

Druckfehler werden; darum werde ich wohl das ganze Korrektorwesen

radicitus korrigieren müssen.

Von Wernigerode wandelte ich nach

Ilsenburg, von da auf den Brocken, von da in die Höhlen, von da nach Blankenburg und der Roßtrappe, von da nach dem Mädchen­ sprung und Ballenstädt und gemächlich in Luthers Wiegenstube nach

Eisleben.

Mein armer Schulfreund Höpfner')

ist

fast ganz taub.

*) Johann Georg Christian Höpsner, geb. 4. März 1765 in Leipzig, besuchte die Nikolaischule mit Seume zugleich (vergl. S. 12) und studierte in Leipzig, wo er 1786

Brief an Gleim.

183

Auf dem Harze habe ich recht

Kein Arzt kann ihm Hülfe bringen.

in Natur geschwelgt, und das Andenken an Halberstadt und meinen

patriarchalischen Freund war immer die Würze eines jeden Mahles.

Auf dem Brocken kamen eben Bergleute an,

um den Boden zu dem

neuen Hause zu ebnen, das künftig ganz auf der Kuppe zwischen dem

Hexenaltar,

der

werden soll.

Teufelskanzel und

dem Wolkenhaus

ihnen gebaut

Bei der ganzen Expedition fiel mir ein, daß ich doch

ein unbändig ehrgeiziger Kerl bin, ich könnte der KoryphäuS der Deutschen werden, wenn mich der Graf (v. Stollberg-Wernigerode)

zum Manne des Blocksberges avancierte, denn höher könnte ich doch wohl im Vaterlande nicht steigen.

Die Idee ist grotesk genug und es

könnte sich ein ganzes Gefolge Geniestreiche daran schließen, die bei

dem allem erbaulich genug werden könnten.

ES ist nur Schade, daß

ich ein so starker Ignorant bin, und weiter nichts als den Virgil und

einige Strophen aus dem Horaz gelesen habe.

In der Physik weiß

ich kaum Quarz von Harz zu unterscheiden, habe manchmal Kobalt

mit Kobold für einerlei Ding gehalten und weiß eben so viel Geo­ graphie, daß Pyrmont nicht an der Weichsel liegt und die Feuerlän­

der nicht Nachbarn der Tongusen sind.

Aber auf dem Blocksberge

würde ich studieren, daß dem Teufel die Ohren summen sollten.

Sed

facetiarum satis! Hier schicke ich Ihnen Münchhausens und mein Machwerk („Rück­

erinnerungey"), weswegen ich schon bei Ihnen meine Hände in Un­ schuld gewaschen habe.

Eben als ich nach Hause kam, brachte man

mir einen Brief von ihm, den ich Ihnen hier mittheile.

ohne die Diskretion der Freundschaft

zu verletzen.

Güte und schicken mir ihn mit seinem Gedicht zurück.

sehen Sie, die

Ich darf es,

Sie haben die

Aus dem Briefe

daß einige kleine Zwistigkeiten zwischen uns gewesen sind,

aus Verschiedenheit der Denkweise

über einige unwichtige Dinge

entstanden.

Dieß ist der erste Brief, worin er mir so viel über seine

Häuslichkeit

schreibt.

Das ist mir noch nicht ganz klar; denn sein

Vater, welcher vor einigen Jahren starb, war Besitzer eines schönen Vermögens. hat,

Er hat mich wieder sehr mißverstanden, wenn er geglaubt

einige mißmüthige Aeußerungen haben die Beschränktheit meiner

Lage zu Grunde. Lieblingsgrille ist.



Das Gedicht hat einen Gegenstand,

der seine

Die nordische Mythologie beschäftigt ihn und seinen

Magister und später außerordentlicher Professor der Philosophie wurde.

Im Jahre

1791 erhielt er einen Ruf als Konrektor an das Gymnasium zu Eisleben, kehrte 1800

von dort nach Leipzig zurück und wirkte als akademischer Lehrer daselbst. am 20. Dezember 1827 in Leipzig.

Er starb

Brief an Gleim.

184 Freund Gräter vorzüglich.

Ich gestehe, daß diese Behandlung sie mir

interessant macht, und ob er gleich mein Freund und einigermaßen

mein Schüler ist, so glaube ich doch, daß dem Stücke nicht viel fehlt, um sich mit den Schillerschen zu messen. gewaltig zu Kopfe; das freut mich.

Der Mann wächst mir

Einige Kleinigkeiten, die meistens

nur grammatisch sind, ausgenommen, habe ich nicht viel darwider

zu sagen. -Meines Bedünkens hat

es Stellen, die sehr brav

sind.

Ich sehe aus seinem Briefe, daß ich bloß die Erlaubniß habe, nur

Ihnen das Stück mitzutheilen. Die erwähnte „Asträa" von mir ist der Anfang einer größeren

Dichtung,

von der ich noch nicht weiß, ob, wann und wie ich fort­

fahren werde. — Von den Versen auf PoniatowSky, welche ich Ihnen

Der Rath Sulzer

versprach, habe ich keine Copie mehr finden können.

in Altenburg wird sie mir ehestens schicken; dann werde ich die Quin-

quaillerie Ihnen sogleich übersenden.

Damit ich nicht ganz leer komme,

lege ich hier ein Gedicht*) bei, das freilich sehr marottisch ist und

schwerlich zum Opfer der Grazien gehört. Neubeck ist zwar fertig gedruckt, aber noch nicht fertig geglättet;

Göschen wird ihn aber bald expedieren.

Wie sehr

Nun Ihre Verzeihung wegen meiner Geschwätzigkeit!

ich Ihnen für alle Ihre Güte danke, werden Sie desto mehr glauben, je weniger ich es ausdrücken kann.

Empfehlen Sie mich den Damen,

Ihren Nichten, Herrn Körte und Ihren nachbarlichen Musenfreunden. Beifolgendes Blättchen ist für Demoifelle Ahrends, die es beim

Abschied in ihre

Sammlung

freundschaftlicher

Andenken

zu

wünschte. Merkel ist jetzt hier und wird vielleicht bald bei Ihnen sein.

haben

Man

hat vielleicht auch Ihnen auf Rechnung dieses Mannes eine Menge Unwahrheit gesagt, wie Ihrem Herrn Vetter Körte.

Er ist ein sehr

rechtschaffener Mann, so weit ich ihn kenne, wenigstens ist das falsch,

was seine Landsleute in Halle über ihn und wider ihn radotieren, das

weiß ich.

Der Himmel erhalte Sie noch lange allen Ihren Freunden, unter denen ich, obgleich einer der neuesten, doch gewiß keiner der letzten bin. Grimma, d. 20. Oktober 98.

Seume." *) Dieses Gedicht trug zuerst den Titel

„Abendlied", den Seume später in

„Lebenslauf Jeremias Bunkels, des alten Thorschreibers," abänderte. Hemp. Ausg. V.

S. 130 ff.

Brief an Gleim. — Gleim an Seume.

185

Ohne erst die Antwort auf diesen Brief abzuwarten, schrieb Seume

am 26. Oktober abermals an Gleim: „Ich kann mit meiner Seele noch gar nicht von Halberstadt weg;

es ist, als ob mich immer noch eine Zauberei dort anfesselte. Bald sitze ich mit Ihnen auf dem Sopha; bald wandeln wir auf SpiegelBergen; bald suchen wir die Damen in dem Garten vergebens durch die Alleen; bald spähe ich vom Brocken nach dem Halberstädter Dom, nur um hinter demselben Gleims Hüttchen zu denken. Ich hatte mir nun einmal in den Kopf gesetzt, Ihnen etwas von den Früchten des Landes zu schicken. Die Weintrauben sind nicht so

gut und groß und schön als die, welche einst die Boten über Jericho brachten. Die Pflaumen sind fast nicht mehr gut und mißlich zu transportieren. Ich sende Ihnen also hierbei Aepfel, so lieblich als sie an den Ufern der Mulde wachsen, wo doch wohl das Paradies

nicht gestanden haben mag. Die Borödorfer haben sonst einigen Kredit, und wenn sie auch noch so mittelmäßig sind, so sind sie doch ge­ wiß besser als mein Brief, den ich doch auch eben nicht für den aller­

schlechtesten halte, die schlechte Grammatik und Griffonage abgerechnet. Das Beste wird sein, wenn das ganze bald verzehrt wird und nicht bis Fastnacht liegen bleibt. Gruß und Kuß an die Musen und alle Ihre Freunde! Ich bin in Ihrem Hüttchen und küsse Ihnen die Hände. Seume."

Auf Separatblatt beigefügt war folgender Vers:

„Werd' ich einst die guten Seelen, Die ich kannte, Überzahlen, Nenn' ich mit den ersten Dich; Und wirst Du die guten Seelen, Die Du kanntest, Überzahlen, So vergiß doch auch nicht mich. Grimma an der Mulde 1793. Zum Andenken geschickt in Gleims Hüttchen von I. G. Seume." Gleims Antwort lautet: „Halberstadt, d. 1. Novemb. 1798.

Das war auch ein böser Geist, der Ihnen, lieber Seume, den Gedanken eingab, auf ein Paar Tage nur die weite Reise zu Ihrem

Gleim an Geante.

186

Im Altvater-

Vater Gleim vorzunehmen, und zur unrechten Zeit.

Kopfe hausten und brausten sehr viele Verdruß-Geister, mich wundert's, lieber Mann, wie Sie so zufrieden, wie's Ihre beiden Briefe besagen,

mit dem Graukopfe sein konnten.

Haben Sie denn mein Willkommen

nicht erhalten, lieber Mann, den ich wie einen Sohn, nein doch, wie einen alten durchaus getreu befundenen Freund schon liebe, und ihm

nicht angesehen, daß mir behalten als

ich meinen Seume lieber für mich beständig bei

ihn von mir gelassen hätte?

in den beiden Briefen nicht!

Sie erwähnen seiner

An dem Abentheuer bei Benzler ist der

mit Grillen angefüllt gewesene Graukopf Schuld, zwei Zeilen hätten's

verhindert.

Benzler war hier und schämte, nein er grämte sich des

Abentheuers, das sich vorher schon mit Merkel,

dem Livländer, zu­

getragen hatte.

Welch eine Fußreise, wenn ich übers Harzgebirge nach Ihrem

Den schönsten

fruchtvollen Thalgelände Sie hätte begleiten können.

Dank für die schönen Aepfel aus ihm, kein Ungerechter soll einen zu

schmausen bekommen. Den schönstenDank auch für die „Rückerinnerungen". Meines Seume Münchhausen muß ein Kleist

beinahe

sein.

Sein

Brief malt ihn, wie einen ganzen, nur kann ich nicht begreifen, wie's

möglich ist, daß Ihr Amerikaner Euch in Europa noch habt.

nicht gesehen

Macht's wohl nicht, daß Münchhausen ein Edelmann? — „Ein

Deutscher Mann zu sein ist Ehre, gottlob! daß ich ein Deutscher bin!" Ein

Deutscher und

kein

Edelmann,

würd'

ich

singen, wenn

die

Erfahrung, daß bürgerständige Leute viel unfähiger brüderlicher Freund­

schaft sein können als Edelleute, mich nicht abhielte.

Sagen Sie doch

dem braven Manne, daß ich, der Erzfeind von Almanachen, Taschen­ büchern und, vergleichlich, Findelhäusern, die uns, die wir Riesen sein könnten, zu Zwergen machen, zu seinem poetischen Schnappsack eine Beisteuer nicht geben könnte, weil ich keinem seiner Herren Kollegen

etwas gegeben habe.

Möcht' er doch lieber zehn solche Sammlungen

wie die Rückerinnerungen als einen Almanach herausgeben oder zu Tage fördern.

Unser Klamer Schmidt, der

den Voßischen ersetzen

will, dachte für den seinigen Ihren Münchhausen anzuwerben.

Die Romanze (Lebenslauf Jeremias Bunkels rc.) lassen Sie nicht

eher aufnehmen, bis alle die Gedanken und Wörter,

die ein gutes

Mädchen nicht haben und nicht lesen soll, weggeschafft sind.

Leben Sie wohl, lieber Seume, so wohl, wie die Engel in Ihrem

Hüttchen, Sie haben welche, so wohl, wie's Ihnen wünscht Ihr Freund

Der alte Gleim, -der abbrechen und zu Geschäften muß.

Tausend Stunden hätt' er noch

Brief an Gleim.

mit einem Seume zu verplaudern. Mann, recht wohl!

187

Leb' er, wie ein Sünder, böser

nnd grüß' er den lieben Mann, der so viel zu

thun hat, daß er die Gesundbrunnen, die in allen Buchhandlungen schon zu haben sind, noch nicht hat schicken können, der arme Mann!"

Nachschrift von Gleims eigener Hand:

„Mit diesen! Schreiben ist das an Seume vom Herrn von Münch­ hausen aus Vilbel im Hanauischen vom 12. Oktober 1798 an Herrn Seume zurückgesendet." Auf diesen Brief antwortete Seume:

„Grimma, d. 20. November 1798. Wenn ich Ihnen zu unrechter Zeit kam und Sie in wichtigen Dingen störte, so ist mir das freilich Gewiffenssache, die ich mir nur

jetzt kaum verzeihen kann; aber ich habe keinen Mangel an der Fülle

guter Jovialität und reiner Herzlichkeit wahrgenommen.

Dann möcht'

ich den Patriarchen Gleim in seinen schönen Stunden sehen, wenn er sich selbst hier noch Vorwürfe macht, wo andere neben ihm im Elysium

sitzen.

So wahr ich lebe, diese waren meine glücklichsten Tage; und

ich habe doch auch schöne Tage verlebt!

Die Stelle vom Willkommen in Ihrem Briefe ist

mir nicht

deutlich; sie scheint zu sagen, daß Sie mir seit unserer Trennung schon einmal geschrieben haben.

Ich habe keine Zeile erhalten, und der Ver­

lust einer Zeile von Ihnen ist für mich ein großer Verlust.

Daß wir,

Münchhausen und ich, uns in der alten Welt noch nicht gesehen haben, daran sind wohl nur unsere Lagen und im geringsten nicht unsere Gesinnungen schuld. Wir sind fünfzig Meilen von einander entfernt, und in seinen und meinen Verhältnissen

kann

ersparen, um eine solche Ausflucht zu machen.

man nicht so

viel Zeit

Ich bin aber gesonnen,

so bald als möglich ihn eben so zu überraschen, wie ich glaube, daß

ich den Vater Gleim überrascht habe.

Es iif Schade, daß ich nicht

so auf meine eigene Hand in der Welt umher schlendern kann, sonst

würde ich oft wie das Gespenst vom Brocken bei Ihnen erscheinen,

sage. Schade für mich, denn die Andern dürften doch wohl der Kosaken­ einquartierung vielleicht bald überdrüssig werden. Jetzt schwärme ich nun im Geiste auf dem Aetna herum,

und

die politischen Händel sind mir deswegen zuwider, weil der Wirrwarr

mich hindert, meinen Spaziergang nach Syrakus zu machen, und dort

den Theokrit bei

einer Syrakuser Traube

zu lesen.

Es muß recht

herrlich sein, so dort einige Wochen in der schönen Natur und dem Geiste

188

Bries an Gleim.

der griechischen Vorzeit zu schwelgen, gesetzt auch, daß man sich selbst

O Cyklope, Cyklope, wo ist dein Verstand

zuweilen zurufen müßte:

hingeflogen? Klug werde ich wohl nicht ganz werden, das merke ich; thut auch nichts; dafür bin ich vielleicht mit meiner Gutmüthigkeit desto weiser.

Freund Göschen schreibt Ihnen wahrscheinlich auch eben jetzt, wenigstens

versprach er's, als er eben hier aus dem Zimmer ging, und Sie er­ halten den Neubeck, den er für das Meisterstück seiner Typographie

Wie gern möchte ich Ihnen bei dem Lesen der Stellen hier

hält.

und da zuflüstern, daß mein Fleiß doch auch zuweilen dem Genius

ein Stäubchen von der Stirn gewischt und ein Blümchen in die Locke

hat flechten helfen.

Wir drucken jetzt Melchior Striegel und ich glaube,

der Mann dürfte Ihnen in seinem neuen Ornat nicht mißfallen.

Der

Vater scheint stir seine Kindlein wieder väterlich gesorgt zu haben. Bei Verfertigung der

Verse, die Sie mit dem

Range

einer

dachte ich freilich so wenig an ein Mädchen wie

beehren,

Romanze

als er sein farrago libelli

vielleicht Juvenal,

schrieb,

und

ebenso

wenig daran, daß sie gedruckt werden sollten, so wie es denn jetzt noch Wenn aber nach Ihrer Meinung jemand Ge­

nicht mein Einfall ist.

brauch davon^machen könnte, so dürfte man nur das ärgerliche Haus

weglaffen,

ob es gleich,

wie Sie als Jurist wissen,

etwas Charakte­

in dem Leben der heiligen Kaiser war, wenn auch Pro­

ristisches

kopius nur zur Hälfte wahr sein sollte.

Die Stelle könnte ungefähr

lauten: Drob sah ich beim gar jämmerlich

Das, Frau Justinianin mich Mit ihrem Trosse foppte.

Und der Teufel mag den Erfinder der Akzise nur kasteien.

Sonst

sehe ich nicht, worüber ein züchtiges Ohr weiter im Stück beleidigt werden könnte, oder man dürfte keinem Mädchen ein Evangelienbuch

in die Hand geben.' Verzeihen Sie, daß ich Sie mit solchen Quinquaillerien behellige.

den ich

eben wieder

Geschwätz.

Uebrigens bin ich nicht sehr fleißig. zur Hand genommen, ärgert mich

Muß er nicht

eine Freude

gehabt haben,

schulmeisterlicher Gründlichkeit seinen Politikus

Mann hatte freilich viel

gefertigt

Gold, aber auch gewaltig

Der Plato,

mit seinem als

er mit

hatte.

Der

viel Schlacken.

Requiescat in pace!

Der Himmel segne Sie mit Gesundheit und Heiterkeit und mich mit Ihrem Wohlwollen.

Seume.

Ratschkys „Melchior Striegel." — Gleim an Scume.

189

NB. Richter (Jean Paul Friedrich) ist fort nach Weimar. Oeser hat mich sehr gescholten, daß ich ihm vorher nicht gesagt habe, daß ich zu

Ihnen gehen würde, und Weiße befindet sich noch muthig genug.

Sonst

soll in Leipzig Geisteslethargie sein, wie die Jenenser kecklich behaupten." Als besonders bemerkenswert in diesem Briefe ist hervorzuheben,

daß Seume seiner künftigen Reise nach Italien schon damals den Namen „Spaziergang nach Syrakus" gab, unter dem sie nachher ihre Welt­ berühmtheit erlangte. stetigkeit

entbehrte.

Es ist dies ein Beweis, daß Seume trotz der Un­

seines Wesens in seinem Lebensplane des Zielbewußten nicht Am liebsten hätte er die Wandrung schon jetzt angetreten,

aber der Krieg in Italien machte sie vorderhand unmöglich.

An der Korrektur des humorvollen Epos „Melchior Striegel" von

Göschen veranstaltete von diesem

I. F. Ratschkys) hatte er sich ergötzt.

1793—94 erschienenen Gedicht eine neue Auflage, die 1799 herauskam. Der Verfasser geißelt darin mit glücklichem Witz und gesundem Humor die lächerlichen Auswüchse, welche der von Paris ausgehende Freiheits­ und Gleichheitstaumel allenthalben gezeitigt hatte, und führt in seinem Helden, dem Sohne des „Jgelwirtes" im Dorfe „Schöpsenheim",

einen

Don Quixot dieser Freiheitsideen vor, die er in Gemeinschaft von einigen

Schurken und Narren in seinem Heimatsdorfe einzuführen sucht, ohne indes Glück damit zu haben.

Gleim hielt viel von diesem Gedicht, wie er auch in folgendem

Briefe an Seume schreibt: „Halberstadt, d. 11. Dezember 1798.

Nach Ratschky's Meisterwerk verlangt mich sehr!

unsre Schlafmützen, die es

Ich war auf

für ein Meisterwerk augenblicklich nicht

erklärten, schon einmal recht böse!

Sorgen Sie doch ja, daß ich das

mehr als Meisterwerk bald erhalte!

Theuer müßte die neue Aus­

gabe nicht sein, damit sie alle verpesteten Köpfe kaufen, lesen und ge­ sunden könnten.

Zuverlässig haben Sie den wahren alten Gleim noch

nicht gesehen! lieber Seume.

topf.

Der alte Sünder war. ein wahrer Sauer­

Er stützt den alten Grillenkopf in seinem Hüttchen nur, und

will mit seinen Grillen nicht gern den Freunden lästig sein!

Also,

lieber Seume, wenn Sie den alten Sünder, so wahr wie er einer ist,

in's Gesicht fassen wollen, so müssen Sie die kleinste der beiden Wan­ derungen schon noch einmal unternehmen; zu Ihrem Münchhausen *) Joseph Franz von Ratschky, geb. 21. August 1757 in Wien, hatte daselbst

studiert und war dann in österreichische Staatsdienste getreten. wirkt. Staatsrat am 31. Mai 1810 in Wien.

Er starb als k. k.

Gleim an Seume. — Gereimte Epistel an Gleim.

190

haben Sie fünfzig Meilen, zu Ihrem Gleim nicht halb so viel, und

Ihr Gleim ist der Jhrigste wie Münchhausen, so gewiß, wie ein Gott der Freundschaft noch ist!

Zwar ist der gute Franz, bei dem Sie

wohnen sollten, seitdem gestorben, und des Hüttchens junge Wirthin ist

gegen die Zeit der Wanderung schon ausgeflogen, ist das Täubchen

eines Taubers Namens Himmly, Legations-Sekretär, geworden.

Beides

aber soll nicht schaden, das ausgeflogene Täubchen wird mit einem

anderen ebenso freundlichen ersetzt! Lieber Seume! gegangen,

Wär's mit manchem Freunde mir nicht unrecht

so sagt' ich, Seume! werd' ein Halberstädter, Du kannst,

wenn Du nur willst, nichts leichter und nichts besser werden. Du wirst doch so von Keinem als wie von Deinem Halberstädter geliebt! sagt' ich.

So

Und wäre der alte Sünder ein junger, so zög' er bei den

Haaren Sie her! — Ja wahrlich, das thät' er, wenn Sie's mit ihm

nicht recht gut haben wollten.

Nach Weimar gehen Sie nur nicht,

da werden der Musensöhne zuviel; sie müssen auf einem Hansen nicht

alle zusammen sein, müssen gehen in alle Welt und lehren die Heiden, die von ihren Mädchen der Musen nichts wissen wollen.

Wird was

denn nun noch mehr? — Nichts mehr, ich bin wie blind, die lateinischm Buchstaben haben mir die Augen verdorben; ich, der erste Lateiner

in Deutschland, zwei Bogen Lieder wurden 1742 mit lateinischen Lettern gedruckt, werde wieder

ein Deutscher.

für die Augen die rechten Stücke.

Die deutschen Buchstaben sind

Mein schöner Wieland, wollt' ich

ihn ganz lesen, machte mich ganz blind.

Leben Sie, braver deutscher

Mann, recht wohl; nehmen Sie einigen Antheil an der Ausflucht des

Täubchens und geben Sie dem Ihrigen oder Ihrer Muse den zärt­

lichsten Kuß im Namen Ihre» Freundes des alten Gleim." Eigenhändige Nachschrift Gleims:

„Herr Wilhelm Körte bedankt sich sür's Glas und bittet um An­ zeige seiner Schuld für dasselbe.

Für meine nun bald achtzigjährigen

Augen findet sich wohl keine?"

Seume antwortete mit folgender poetischen Epistel: „Ich hebe schnell mich in die Höh,

Ob nicht aus Gleims vertrautem Hüttchen

Wenn ich den Gelbrock in daS Zimmer

Das Glück etwas herüber weh'!

Mit vollen Händen treten seh',

Und seh' ich dann deS Vaters Hand,

Und luge scharf, indem ich immer In voller Hast mit Doppelschriitchen

So ist der Mann im gelben Rocke

Mir mehr als die vom Traubenstocke

Dem Ehrenmann entgegen geh',

Den Raub auS dem gelobten Land,

191

Gereimte Epistel an Gleim.

Drob Josuas Kumpane lachten.

Durchirr' ich wieder Zug um Zug

Wie Moses sagt, auf Hebeln brachten.

DaS Bild, und jeder Zug macht's frischer

Drum setz' ich in Begeisterung

Und glühender; und neben Dir

Mit einem hohen Kapersprung

Stehn Schmidt und Nachtigall und Fischer

Den guten, gelben, schlichten Christen

Mit Seelenblick und winken mir. Du bist im Zirkel Deiner Kinder,

Stracks unter die Evangelisten. Und mit dem schönen, netten Siegel

Wenn Sympathie der Freude glüht Und Lieder singt, als Greis nicht minder

Bin ich in meiner Huldigung Biel reicher als der Domherr Spiegel,

Vergnügt als sie, — und in dem Winter

Und hebe mit verwegnem Schwung

Wie Lenz, der auf den Auen blüht,

Der Phantasie gestreckte Flügel.

Du und Dein guter lieber Blinder,

Die Schwärmerei ergreift die Zügel

Der mehr als mancher Seher sieht.

Und, gute Nacht dann, Mäßigung!

DerBlocksberg wird zum Maulwurfshügel,

Das Hüttchen ist nun, hoff' ich, wieder

Das Weltmeer ein Dragonersprung. Hyperbeln fort! — Ich freue mich

In seinem alten Ruhestand, Und traulich sitzt der Mann der Lieder

Wie mit dem Butterbrod ein Knabe,

Zufrieden an der Bilderwand,

Wenn ich den Brief in Händen habe,

Wo mancher meiner Geistesbrüder

Und setze mich mit Deiner Gabe

Nach manchen Stürmen auf und nieder Ein Stündchen Lohn des Lebens sand,

Recht geizig und bedächtiglich, Wie ein Verliebter zu dem Kusse,

Und sieht vielleicht jetzt Hand in Hand

Zum reinsten, innigsten Genusse;

Mit ihrem Mann als junges Weibchen

Und springe doch vor Ueberflusse Der Seele, oft noch vor dem Schlüsse,

Das auSgeflogne gute Täubchen

In meines Herzens Gaudium, Als säße Bestris mir im Fuße, Dreimal um Tisch und Stuhl herum.

Im Geist der Tage, die da waren, An seinen väterlichen Laren.

Und hab' ich endlich jedes Ding, Wovon Du schreibst, wie stch's gebührt

Nur Eine Post Walpurgis fahren. Gewiß, ich wäre stracks bei Euch! Und holte mir aus Eurem Reich

Gelesen oder dechiffriert Und mit Gefühl amalgamiert. So dreht sich der Jdeenring Um Dich herum in schönem Zauber, Und ob die Stadt zu Grunde ging, Ich sitze tauber als ein Tauber.

Mit lieblichem Gedankenflug

Recht selig in dem neuen Band

Ach könnt' ich jetzo doch sogleich

Zum Leben etwa- echtes Feuer; Denn oft wird meine Seele kalt, Und weil dann oft der Ton verhallt,

Auch etwas Ton für meine Leyer,

Der reiner durch die Saiten wallt Als Remifa gemeiner Schreier,

Sed querelarum satis; Paremus nostris satis. Boni haec omnia consulas qualiacumque meque ames, ut ego te amo ac diligo ad ultimum usque halitum. Verzeihen Sie

meiner Menge Geschreibsel!

Ich schicke Ihnen

hier viel Zeugs, wozu Sie mir aber die Erlaubniß alta voce und,

wie ich glaube, ex intimo corde gegeben haben.

Das Stück auf den

guten Mann Poniatowsky habe ich nur eben erst wiederbekommen und konnte

hier

keine Kopie auftreiben.

Dieses kann nicht wohl juris

publici werden, wie ich merke, ob ich gleich für mich kein Bedenken trüge.

Wollen die Herren Nachtigall et compag. das andere, die Un-

Bries an Gleim. — GletmS Porträtsammlung.

192

schuld, zu irgend etwas brauchen, so gebe ich völlige Freiheit.

Die

Verse sind wohl freilich etwas unschuldig, fühle auch ich, indessen ut placet.

Die Recensenten haben als die Strickreiter des Parnasses einem

meiner Produkte einen «eidlichen Prädikt appliziert, wie ich höre, denn gesehen hab ich's nicht, und lasse mich dadurch keineswegs im Kastanien­ braten stören.

Daß Sie und Herder und einige andre brave Männer

mit Herz und Auge gütig darüber urtheilten, hat mich im Halsgericht nicht entsündigt. So so! Requiescat in pace!

Striegel ist nun bald abgestriegelt und wird wohl die Messe in seinem neuen Kamisol erscheinen. Die Veränderungen sind nicht be­ trächtlich; nur die Noten sind dann und wann etwas sarkastisch gelehrter.

Der Himmel segne Sie noch lange auf Erden.

Meinen

Gruß an Herrn Körte! (Grimma, d. 16. Dezember 1798.) Seume."

Wilhelm Körte *) war Gleims Großneffe und wurde, wie schon erwähnt, auch sein Biograph, über das Freundschaftsverhältnis zwischen Seume und Gleim sagt er in dessen Lebensbeschreibung, daß es eine Feuerprobe für Gleims redliche Art und Gesinnung gewesen sei, daß auch der „ehrenveste und in allem wahrhafte Seume" sich ihm mit vollem unbegrenztem Vertrauen ganz hingeben mußte. In der dritten Beilage zu „Gleims Leben" giebt Körte eine Be­ schreibung und Liste der von Gleim seit 1745 mit vielem Eifer angelegten Porträt-Sammlung, die noch heute in dem Stiftungshause zu Halber­ stadt aufbewahrt wird.

Die meisten dieser Porträts wurden auf Kosten Gleims gemalt, der das Zimmer, wo er sie aufbewahrte, seinen Musen- und Freundschafts­ tempel nannte, über dessen Eingang er folgende Inschrift hatte setzen lassen: „Ein armer Grenadier hat diesen kleinen Tempel, Ihr Musen, Euch geweiht!

O, keinen Tritt hinein, Ihr, die Ihr nicht Exempel Zu Euern Lehren seid,

Und brächtet Ihr ein Werk, gestempelt mit dem Stempel Der Ewigkeit!"

') Körte war

am 24. März 1776

in Aschersleben geboren,

hatte

in Halle

studiert und bekleidete bis 1810 die Stellung eines Domvikars in Halberstadt.

dann gründete er eine Buchhandlung, die er indes bald wieder aufgab, seit 1812 und war als Litterarhistoriker thätig.

Halberstadt.

Als­

privatisierte

Er starb am 30. Januar 1846 in

Porträt für Gleim. — Ehrenvoller Abschied.

193

In dieser aus 118 Porträts bestehenden Sammlung, zumeist Öl­

gemälde in natürlicher Größe, Es

ihn im Gegensatz

zeigt

zu unserem Titelkupfer

bart mit nur kurzem, buschigem Backenbart.

der Liste.

das 116.

ist Seumes Bild

ohne Schnurr­

Das volle, schlicht zurück-

gestrichene, dunkle Haupthaar ist nach der Mitte der hohen, breit gewölbten

Stirn tief in diese hineingewachsen, und zwischen wie über den starken,

nur wenig geschwungenen Brauen lagern mehrere tiefe, charakteristische Falten.

Backenknochen und Kinn treten stark hervor,

ebenso die kühn

gebogene Nase; um den fein geschnittenen Mund mit den festgeschloffenen, schmalen Lippen spielt ein herber, schmerzlicher Zug.

Von zwingender

Gewalt ist der ernste Blick der großen, strahlenden, lichtblauen Augen, deren Lider ein rötlicher Schimmer umlagert.

Auch derjenige, welcher

nicht weiß, wessen Porträt er vor sich hat, hält es für das eines bedeuten­

den, vom Schicksal aber schwer geprüften Mannes.

Schnorr ist somit

auch im Treffen des Charakters glücklich gewesen.

Im Dezember 1798 erhielt Seume auch seinen förmlichen und ehren­ vollen Abschied aus dem russischen Heere, den ihm der General Graf von

der Pahlen zugleich mit der in freundliche Worte gekleideten kaiserlichen

Erlaubnis,

in sein altes Dienstverhältnis

zurückzukehren,

übersandte.

Als Seume hiervon keinen Gebrauch machte, erhielt er die übliche Pension

nicht, die für gewöhnlich in Höhe des zuletzt bezogenen Dienstgehalts ver­

abschiedeten russischen Offizieren von einigem Verdienst gewährt wurde. Wahrscheinlich würde auch Seume sie erhalten haben, wenn er beim Kaiser

darum eingekommen wäre;

dazu war er aber zu stolz und zu sorglos.

In seiner Vorrede zum „Spaziergang nach

Syrakus" äußert er

sich darüber wie folgt:

„Ich habe mich in meinem Leben nie erniedrigt, um etwas zu bitten, was ich nicht verdient hätte; und ich will auch nicht einmal immer bitten, was ich verdiente.

Wenn ich nicht einige Kenntnisse,

etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit hätte,

könnte ich den

Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot im deutschen Vaterlande umhertragen." Im übrigen hätten ihn

augenblicklich auch die glänzendsten Aus­

sichten nicht bewegen können, in Rußland wieder Dienste zu nehmen, da

Kaiser Pauls I. so außerordentlich stark zum Ausdruck gebrachter Despo­

tismus

wie

sein

launenhafter und eben

Charakter ihn im höchsten Grade abstieß.

so

harter als eigensinniger

In seiner 1797 erschienenen,

bereits erwähnten Schrift „Zwei Briefe über die neuesten Veränderungen in Rußland" hatte er sich schon unverhohlen darüber ausgesprochen und Planer u. Rcißmann, Seume.

13

Kaiser Paul I. von Rußland.

194

den Kaiser namentlich deshalb getadelt, daß es seine nächste Sorge gewesen war, alle von Katharina II. im Innern des Reichs geschaffenen Einrichtungen,

die für einen Staat auf der Kulturstufe Rußlands als musterhaft gelten konnten und zum mindesten einen ernst gemeinten Anfang zu weiterem kulturellem Fortschreiten bedeuteten, sogleich über den Haufen zu werfen

und den alten Stand der Dinge wiederherzustellen. Er sagt darüber wörtlich: „Wenn der Kaiser Paul bei seiner Regierung die Absicht hat,

unbegreiflich

zu sein wie die Gottheit, so hat er bis jetzt in vielen

Dingen diese Absicht erreicht. Gerechtigkeitöliebe,

Sein Charakter war von jeher strenge

Ordnungsliebe

und

Unparteilichkeit.

Aber

diesem Charakter kann doch Vieles gegen denselben geschehen,

mit ohne

daß er beleidigt würde; und ich fürchte, daß dieses in mancher Hinsicht der Fall sei. — Es ist eine Krankheit der meisten neuen Regierungen,

in Alleni das Gegentheil der alten zu thun, so sehr, daß es in allen

Sprachen zum Sprichwort geworden ist."

Kaiser Paul, der bald nach seinem Regierungsantritt in einen sehr gereizten, dem Wahnsinn immer ähnlicher werdenden Gemütszustand ver­ fiel, kam am 13. März 1801 bei einer Palastrevolution dadurch ums

Leben, daß ihn einige Verschwörer, mit denen geraten war, vermittelst

er ins Handgemenge

einer Schärpe erdrosselten.

Mit der Kaiserin-

Witwe Maria Feodorowna, ehemaliger Prinzessin Sophia Dorothea Augusta

von Württemberg, ist Seume später in persönliche Berührung gekommen, ebenso mit deren

Tochter, der Großfürstin

Maria Paulowna,

Erb-

prinzessin von Sachsen-Weimar.

Für jetzt hatte Seume also zwischen dem Degen eines russischen Offiziers und der Feder eines Korrektors Klopstockischer Gesänge zu wählen

gehabt, und er hatte sich für die Feder entschieden. In GöschenS Offizin war der Druck der Messiade in vollem Gange und forderte von der Korrektur die angespannteste Thätigkeit.

In folgender poetischen Epistel

vom 11. Januar 1799 berichtet Seume darüber an Gleim:

„Es ist fürwahr mir sonderbar Gar oft zu Muthe, Wenn ich so wie ein braves Vieh Von Dromedar Mit heißem Blute, Als jagte mich mit Hieb und Stich DeS Treibers Ruthe, — Wenn ich so hier mit dem Brevier Am Brcte sitze Und keuchend schier

Die Feder spitze, Die Nase tief, die Mütze schief. Und lug' und schwitze, — Wenn mir die Sylben wie Käsemilben In dem Gewirr auf dem Papier Gar bunt und kraus In kleinen Haufen Hinein, heraus, Zusammenlaufen; — Da kehrt der Blick,

Gereimte Epistel an Gleim. Als wie im Schwindel, von dem Gesindel Mit nichts zurück; Und die Pupille sieht durch die Brille, Ein Zauberkreis, Die Wirbelstanzen Schwarz, grau und weiß Quadrille tanzen. Dann will mir fast, Wenn so die Grillen den Schädel trillen. In aller Hast mit seiner Last Der böse Spleen Zu Leibe gehn Und Nachtgespenster vor jedem Fenster Zusammendrehn. Ich aber trenne Mit einem Stoß mich plötzlich los, Steh' auf und renne. Als ob der Schopf mir an dem Kopf Gewaltig brenne, Durch Stock und Stein, bergauf, bergein, Als käme Faust, Der Hexenmeister, im Chor der Geister, Daß alles braust, daher gesaust. — Dann bin ich oft ganz unverhofft Mit einem Schrittchen in seinem Hüttchen Bei Vater Gleim so recht daheim; Und lagre mich Fein mit Bedacht, Als hätte ich Das Recht in Pacht, Gleich einem König mit gar nicht wenig Gerechtem Dünkel zu ihm im Winkel In guter Ruh' und höre zu, Wie er mit Feuer Im Angesicht von Sechzig spricht, Als wär' es heuer. So eine Stunde Ist nicht zu theuer Für eine Runde Bon vierzig Meilen den Spleen zu heilen. Und dann von dort Fahr' ich sofort Wohl oft aus Stürmen, Die sich hinan Zum Himmel thürmen. Im Ocean Mit den Tritonen zu den Huronen In meinem Sinn noch einmal hin.

196

Und lebe munter noch einmal unter Den Irokesen, Wo ich einst so vergnügt und froh Wohl auch gewesen. Und angle stracks in Halifax, Wo mir Virgil so wohlgefiel, Noch einmal Lachs, Und fange hier noch einmal mir, Ohn' allen Kummer, recht große Hummer, Wie als Soldat ich einst es that, Da Washington Mit großen Schritten Uns und die Britten In Motion Handgreiflich setzte und taktisch hetzte. — Mit einem Sprung bin ich im Schwung Auf bloßen Sohlen sodann in Polen, Wo ausgebrannt Bis auf die Kohlen Das ganze Land Vöm Schnitt der Parze wie eine schwarze Ruine stand; Und steige fort von Ort zu Ort, Bon den Massuren hin zu den Kuren, Und zu den Letten in schweren Ketten; Und dann zur Höh' des Peipussee, Dem Land der Riesen, Wo die Vernunft, So hoch gepriesen, Mit ihrer Zunft Ist Lands verwiesen; Wo man Despoten Mit blutger Schrift Und nur Heloten In Lumpen trifft. Wo man im Rechte Nie Menschen kennt, Nur Herrn und Knechte Mit Unsinn nennt; Wo sich die Bären Bei dem Gezücht Vortrefflich nähren, Nur Menschen nicht. — Und hab' ich mich nun ritterlich Auf Hieb und Sttch Und in dem Wirbel Herumgedreht, Daß in der Zirbel

Epistel an Gleim und dessen Antwort.

196

Mit Ungestüm Und Hast die Hände,

Mr die Bescheerung In volle Gährung Dann übergeht, — So kehr' am Ende

AlS ob ich flugs

Mich wiederfände

Ich um behende

Und schnellen Zugs

Stracks wieder heim

Vom Rausch des Trugs

Zum Vater Gleim,

Empor mich wände.

Seume."

Und küsse ihm

Gleim antwortete hierauf: „Halberstadt, d. 16. Februar 1799.

Meinem Seume kann ich heut auf seine letzten Herzensergießungen nicht antworten, also send' ich Ihm vorerst nur das heutige Gesingsel.

Zur Feile war die Zeit nicht!

Er erhält's, wie's mit Dinte aus des

alten Gleim'S Seele dahin geworfen war! Eins nur! Die Parentationen wollen mir nicht paraitiren. Stanislaus Poniatowski war ein allzu guter Mann, darum ein schwacher. Darum nicht einmal ein Stanislaus Leszczynski, der auch kein starker Mann war, und daß die Männer keine starken werden, daran sind ihre Mentors schuld. Requiescat in pace! Diesen Morgen las ich im zweiten Theil der Obolen meines Seume, vortrefflich, herrlich! rief ich zehnmal so laut aus, daß das Hüttchen erschüttert ward!

Im Hüttchen ist nun wieder Ruhe. Hymen hat nun seinen Willen gehabt. Die jungen Eheleute, Sie wissen doch schon, daß die Luise Ahrends, meine kleine Nichte, die einundzwanzigjährige Pflege­ tochter, mit dem Legationssekretär Himmly sich vermählt hat, wahrlich ich weiß nicht, ob ich's Ihnen gemeldet habe, haben ihr Nest an dem Domplatze, nicht weit vom Hüttchen, gebaut.') Von Melchior Striegel hätt' ich gern bald ein Exemplar, nicht von der Prachtausgabe, diese sind den von Tag zu Tage schwächer werdenden Augen zu schädlich. Gruß und Umarmung! Bald mehr! Gleim."

Auf diesen und einen zweiten Brief Gleims antwortete Seume:

„Ihr vorletzter Brief, der so herzlich, so väterlich war, hatte einen Tumult von Gefühlen in meiner Seele geweckt. Ich legte ihn, nachdem ich ihn wohl zehnmal ganz und stückweise gelesen hatte, bei *) Hier folgt die auf S. 134 bereits mitgeteilte Wilhelmine Röder betreffende Stelle.

Bries an Gleim.

197

Seite, um über einigen Blättern aus der Druckerei Ruhe zu sammeln.

Ihr letzter Brief würde mich auch ohne Begleitung durch den Aus­ druck von mehr als patriarchalischer Humanität gefesselt haben; aber es giebt in Ihren Aeußerungen so viele Nüancen, die, so unbedeutend sie allein sein mögen, in der Verbindung eine Magie schaffen, welcher keine gute Seele widerstehen kann noch soll. Was von Ihnen kommt kann nie allein Nahrung für den Leib sein, als nur für diejenigen, deren vorzüglichster Theil er im Leben ist. Eben hatte ich beim Eis­ gänge mit huronischer Thätigkeit einem guten Bekannten sein Sommer­ häuschen an der Mulde retten helfen und mit dem Sturmhaken in

der Hand auf einer Eisscholle am Strome gestanden, als ich bei der Nachhausekunft Ihre Depeschen vorfand. So werden wenige gute Handlungen belohnt; und die meinige war doch nur ein Bedürfniß zuzugreifen, wo etwas Gutes gethan werden kann. Der Winter und die Zeitungen hatten die hiesigen Leutchen am Wasser sehr in Angst gesetzt. Aber nun ist, dem Himmel sei Dank, alles glücklich vorbei.

Seit zwei Tagen haben wir Frühling und die Zeit, wo ich mich zu­ weilen aus Instinkt und mit Vernunft etwas wälzen kann, ist wieder da. Doch geschieht dies ganz allein, oder mit einer homogenen Seele, damit die Alltagsmenschen meine Weisheit, der sie außerdem nicht viel zutrauen, nicht geradezu nach Bedlam religieren. Sie müssen wohl sehr glücklich sein, daß Ihr freundschaftlicher Bienenschwarm sich immer an dem alten guten Domplatze ansiedelt. *) Trotz meiner anscheinenden Kälte bin ich doch wohl etwas leiden­ schaftlich in allem, wofür ich mich einmal interessiere. Ich halte es für keine kleine Wohlthat meiner isolierten Lage, daß ich morgen oder übermorgen mit vielem Gleichmuth sterben kann. Es könnte doch wohl der Fall eintreten, in welchem ich für irgend eine Idee, die ich für wahr und gut halte, etwas wagen müßte. Allein wagt man erstaunlich viel, ohne viel zu verlieren; und selbst der Verlust des Lebens ist nicht Verlust, wenn man Wahrheit damit besiegelt oder

nur damit zu besiegeln glaubt. Man trägt sich hier bei uns mit Nachrichten aus Berlin, die mich recht sehr bekümmern, denn ich liebe den König gewiß so sehr, als ein guter Mensch einen anderen lieben kann. Die politischen Kon­ junkturen werden täglich kritischer, und täglich empfinde ich weniger Beruf auf irgend eine Weise Antheil daran zu nehmen; und wenn es

nöthig wäre, immer noch lieber mit dem Degen als mit der Feder. *) Hier folgt die aus S. 134 schon mitgeteilte Stelle über Wilhelmine Röder.

Briese an Gleim und Schnorr.

198

Denn es scheint nicht, als ob irgend eine Partei gesonnen wäre, Wahrheit zu hören und zu beherzigen. Ich bin hier sehr ein Eklek­ tiker und bin gewiß, wenn ich tief heraus meine Meinung sagen

sollte, sie würden mich alle steinigen, an der Seine, an der Donau

und an der Newa, und vielleicht sogar an Ihrer liberalen Havel. Also will ich lieber schweigen. die Schwäne singen und

Wenn gesungen werden soll, so müssen

die Nachtigallen,

die Adler hören nicht das

Geschrei der Stare und der Dohlen. Was Sie von Poniatowski sagen ist leider sehr wahr.

Schwache

Leute verdienen überall Schonung, nur nicht als Könige, da sind sie nach den Bösewichtern die schädlichsten und vielleicht noch schädlicher.

War Karl der Neunte nicht ebenso verderblich als Ludwig der Elfte? Doch Friede mit seinen Manen! Ein Wort von Ihnen ist mir mehr werth, als die Posaunen von vielen Journalen. Ihr Lob soll mich nicht verderben; aber Ihr Tadel soll mir nützen.

Obgleich Versmachen und überhaupt Litteratur mir

nur ein Parergon ist, das ich nicht treiben würde, wenn ich etwas

wesentlich besseres thun könnte, und ob ich gleich kein sonderliches Ge­ wicht auf meine Arbeiten zu legen glaube, so ist es doch Pflicht, sie

so gut als möglich zu liefern, oder still zu schweigen.

Ihre Weisungen

werden mir ganz willkommen sein; und ich bin nach den angegebenen schon voraus von ihrer Richtigkeit überzeugt, da ich dem niedersächsischen

Ohr ein kompetenteres Urtheil zutraue, als der ganzen oberdeutschen Wieland ist auch in diesem Fache noch nicht ganz rein, welches

Welt.

mir wegen des Lieblingsdichters der schönen Welt sehr leid thut.

Sed

haec hactenus!

Ihr wahrer kindlicher Verehrer Seume." Während der letzten Zeit war Seume von den Korrekturarbeiten

so sehr in Anspruch genommen worden, daß er Schnorr, dessen Familie sich um eine Tochter*) vermehrt hatte, sogar den Glückwunsch schuldig geblieben war. Über diese Vernachlässigung hatte Schnorr sich ernstlich beklagt, worauf ihm Seume wie folgt antwortete:

„Sie

sind

doch

ein schnurriger Kauz Ihr Leben lang, Sela!

Wer, Geier, hat Ihnen denn gesagt, daß Sie unter meiner Ungnade

liegen.

Ich bin bloß federfaul, das ist alles.

Wenn man so den

*) Henriette Wilhelmine, geb. 22. Januar 1799 in Leipzig.

Brief an Schnorr. — Druck der Messiade.

199

Tag über den Griffel in den Händen gehabt und gestichelt hat, so ist man dann nachher etwas murrkaterig. — Es thut mir leid, daß ich Eure kleine Neugeburt noch nicht habe in Augenschein nehmen können. Vorigen Sonnabend wäre ich hinüber gehumpelt, wenn mein Herr Kolleg« Lorent nicht hätte aus einem Quartier ins andre treten müssen,

so sodann die Presserei auf meinen drei Vorderfingern lag. Daß L(öbel)**) gestorben ist, daran hat er wieder einen dummen Streich gemacht. Indeß, da es sein letzter auf dieser Welt ist, muß man ihm schon vergeben. Warum hätte er nun nicht noch etwa fünf­ undzwanzig Jahre warten können oder fünfundzwanzig Jahre früher sterben? Beides wäre doch gescheidter gewesen. Indeß: Requiescat in pace; sit illi terra levis.

Da ich, wie Sie wohl wissen, auch schon längst gestorben bin, so werden Sie Sich über meine Faulheit und mein Stillschweigen

nicht sonderlich wundem; sondern vielleicht darüber, daß ein todter Mann zuweilen noch so viel spricht. Sobald die Hosen nicht mehr erfrieren, werde ich zu Ihnen hinüber stapeln. Arbeiten Sie indeß fleißiger als ich, denn Sie haben nicht so das Privilegium faul zu sein. Quod erat demonstrandum! Von Altenhayn2) aus läßt man Sie grüßen. In Ansehung der Multiplikation folgt man dort Ihrem Exempel, indem daselbst wohl bald wieder etwas zu Tage gefördert werden dürfte.

Uebrigens empfehlen wir Euch der gnädigen Obhut des Himmels und bleiben Euch mit Huld und Güte zugethan. Unfern Gruß an das Hauswesen. (Grimma, d. 20. Februar 1799.)

Seume."

Anfang Februar 1799 war der Druck der Prachtausgabe des Messias soweit beendet, daß ein Exemplar davon an Klopstock gesandt werden konnte. Mit Spannung sah man in Göschens Offizin seiner Kritik ent­ gegen. War Klopstock aber mit dem Druck der Oden schon unzufrieden gewesen, so war er es jetzt mit dem der Messiade noch viel mehr. In einem Briefe an Göschen äußerte er Tadel über Tadel und sandte zu­ gleich ein langes Verzeichnis von Druckfehlern mit, die er alle der Kor­ rektur zur Last legte, obschon er sie meistens selbst verschuldet hatte.

*) Dr. jur. Renatus Gotlhels Löbel, geb. 1767 in Thalwitz

gest. 14. Februar 1799 in Leipzig. •) Familie von Bissing.

bei Eilenburg,

Brief an Göschen über den Druck der Messiade.

200

Göschen schickte die Schriftstücke

zur Berichterstattung nach

Grimma,

worauf Seume wie folgt antwortete: (Grimma, d. 10. März 1799.)

„Soeben habe ich die epanorthotische Epistel des Alten von der Elbe cum clausula gelesen und gebührend beherzigt.

Zwei Minuten

ärgerte ich mich wohl etwas; aber die dritte verdaute ich philosophisch

genug meine Suppe.

Es thut mir leid, daß wir, Klopstock, Lorent

und ich, denn gewiß hat der alte Luchs auch seinen Theil daran. Ihnen soviel Hudelei machen.

Sie sind ohne Zweifel von unsrer

Gewissenhaftigkeit überzeugt; aber für Fehlerlosigkeit bin ich nie Bürge,

da ich alle Schwierigkeiten von allen Seiten kenne.

Ich halte es für

eine meiner herkulischen Arbeiten, daß ich Klopstocks Oden noch so

gemacht habe, wie sie

gemacht worden sind; denn sie sind in jeder

Rücksicht das schwerste Werk der Typographie in Hinsicht auf Korrekt­

heit, ausgenommen mathematisches Zahlenwesen.

Der Alte dankt mir

nicht dafür, weil er glaubt, das ist Handlangersache, und ist gar baß ergrimmt, wenn unter Millionen Buchstaben einmal einer nicht steht,

wie er sollte.

Sein jetziger Brief muß Ihnen ebenso unangenehm sein

als uns, es giebt aber noch einen Grund, der sehr tief in fein fühlen­

den Seelen

liegt, weswegen uns die Sache noch mehr rühren muß

als Sie.

Was er sonst noch Druckfehler nennt, weiß ich nicht, da ich das übrige Sündenregister noch nicht gesehen habe.

meistens auf seine eigene Rechnung. Lorent zugeschickt,

Was er angiebt fällt

Einen Bogen hat Ihnen Herr

und Sie haben darüber konferiert.

hinkende Vers steht so dort.

Der ganze

Daß ihn Klopstock nicht so hat hinsetzen

wollen, glaub' ich sehr gern; aber wir können und dürfen nicht aus

seiner Seele,

sondern nur vom Papier lesen.

Die übrigen Aende­

rungen, über die er jammert, stehen nicht im Buche; das versichert

mich Lorent, der den Brief sogleich konferiert hat.

Daß er sie hat

machen wollen und im Geiste vielleicht gemacht hat, glaube ich gern, aber sie stehn nicht da.

Das ausgelassene e in. Kämest ist allerdings

manuscriptwidrig; aber der Vers gewinnt vielleicht mehr durch da»

Versehen; ist wenigstens entschieden richtig. angehen, wir sind keine Kritiker.

Doch das soll uns nichts

Die „weinenden Augen" sind freilich

eine gewagte Aenderung des Herrn Lorent, der in dem Text keine

Konsequenz fand.

Ich habe Klopstock dort verstanden,

standen sein wollte, und hatte nichts geändert.

wie er ver­

Lorent that es erst bei der

dritten Korrektur und hätte vielleicht wohlgethan, mit mir darüber zu

Brief an Göschen über den Druck der Messiade. konferieren.

201

Aber daß ihn Lorent nicht verstand, daran war Klopstocks

Ungleichheit der Orthographie schuld, die für seine prätendierte Genauig­ keit Phänomen genug ist. Es wäre ein Unglück, wenn Klopstock selbst hier wäre beim Druck in mancher Rücksicht, so wie es wieder in einer anderen ein Glück

wäre.

Ich kann Ihnen versichern, ich springe bei mancher Verände­

rung, die der Alte gemacht hat, vor Freude in der Stube herum; aber über andere kann ich das Kopfschütteln nicht lassen. Noch heute ist ein veränderter Vers gedruckt worden, über dessen Skansion ich bald meine metrischen Schienbeine gebrochen hätte; ich fürchte, wenn

ihn der Patriarch wieder sieht und liest, setzt er ihn auch unter die Merze; aber uns darf er wieder nicht die Schuld geben.

Manuscript ganz rein wäre!

Wenn das

Ich möchte mich wohl gegen ihn selbst

expektorieren; ich bin versichert, wir würden bald zusammen treffen,

und er würde von seinem Autosepha etwas Nachlassen. Die Stelle „der weinenden Augen" ist gewiß eine seiner Lieblings­

stellen, denn sie ist recht herrlich dunkel; und es gehört ein sehr glück­ licher Blick dazu, den Sinn gleich zu finden.

Lorent hat sie freilich

unglücklicher Weise zu deutlich gemacht, wozu er kein Recht hatte; und

ich gestehe auch hier wohl ein, daß es ihm etwas wehe thun mag.

Wenn ich nicht fürchtete, Sie zu kompromittieren, würde ich ihm mit aller Bescheidenheit einmal die ganze Folge meiner Gedanken über den Punkt

schreiben; und ich bin gewiß, er würde Wielands Liberalität nachahmen. Verzeihen Sie mein Geschmiere; die Eile treibt.

Sie haben mir

die zwei Thaler, die ich für Sie ausgelegt habe, zweimal geschickt; ich habe es aber notiert.

Meinen Gruß und der Himmel segne Sie!

Seume."

Göschen erwiderte hierauf, gegenüber

eine

Seume möchte doch

Verteidigungsschrift

gelesen, an Klopstock senden würde.

aufsetzen,

die

einmal Klopstock

er, nachdem er sie

Seume ließ sich das nicht zweimal

sagen; er setzte sich hin und verfaßte in heiligem Eifer eine Epistel, die bei aller Ehrerbietung vor Klopstocks Dichtergröße dessen Unfehlbarkeits­

glauben gebührende Grenzen zog. Lorent fand den Brief vortrefflich, zweifelte aber, daß ihn Göschen

in dieser Form und Fassung an Klopstock gelangen lassen würde, so daß Seume es für das Beste hielt, ihn auf eigene Verantwortung unmittelbar

an den Dichter selbst zu senden. mit folgenden Zeilen:

An Göschen schickte er nur die Kopie

Briefe an Göschen und Klopstock.

202

(Grimma, d. 18. März 1799.) „Herr Lorent meinte und

wollte Beispiele davon wissen,

Sie

wären viel zu gutmüthig und schonend, jemandem unangenehme Minuten und

zu machen;

der Brief,

den wir an Sie schrieben, würde

bei

Ihnen bleiben und nichts, oder nur sehr wenig daraus an den Alten

gelangen.

Da es nun zu unser aller Frommen doch nöthig scheint,

daß man sich etwas geflissentlich gegen ihn expektoriere, so habe ich geradezu an ihn geschrieben und schicke Ihnen hier eine Kopie, damit Sie Sich über das orientieren können, was ich gesagt habe.

Sie das mißbilligen sollten, so thut es mir freilich leid; deucht, daß nichts übles bei der Sache ist.

Wenn

aber mich

Ich habe gesagt, was ich

sagen zu dürfen und zu müssen glaubte, was ich für Wahrheit halte. Gern hätte ich den Brief kürzer gemacht;

es wurde

mir aber

schwer, ihn nur so kurz zu machen, die Sache hätte zuweilen noch viel

Erörterung gekostet.

Sie .haben nun auf alle Fälle keinen Antheil,

wenn es ihn wurmen sollte; ich nehme es über mich, da alles mein eigen ist.

Mich deucht, ich habe ihm nicht geschmeichelt, sondern nach

meiner Ueberzeugung gesprochen, wo ich Lob sagte, und ich habe die

Grenzen der Diskretion nicht überschritten, wo ich ihm etwas vor die Zähne halten mußte. — Eben kommt etwas aus der Druckerei und

erlöst Sie von meiner Plauderei.

Dieu Vous beniase. Tont le Votre

8." Seumes Brief an Klopstock hat folgenden Wortlaut:

„Verehrungswürdiger Mann, Es ist eine sehr gemischte Empfindung, mit welcher ich es wage, Ihnen

zu schreiben.

Aber mein Herz gebietet mir, und ich folge ihm, da es

mich selten zu einem Schritt bestimmte, den ich bereuen mußte.

Ich

habe als Korrektor den Druck Ihrer Oden mit besorgen helfen, und

glaube sicher eine der schwersten Arbeiten der litterarischen Handlangerei gemacht zu haben.

Mein Vergnügen dabei war groß, welches Sie leicht

glauben werden, wenn Sie mir etwas Sinn für Geist und Wahr­

heit zutrauen.

Aber der Mißmuth war nicht klein, wenn ich mit aller

meiner Mühe doch nicht die gehoffte Genauigkeit geliefert hatte.

Ich

glaube eben mein Genuß bei der Arbeit hat vielleicht der Korrektheit geschadet, und ich war nicht mechanisch genug zu dem Werke, das ich

übernommen hatte.

Sie können Sich vielleicht selbst aus einigen Bei­

spielen überzeugen, daß ich etwas mehr als die Buchstaben des Manu-

Brief an Klopstock.

scripts las.

203

Etwas sehr überflüssiges für einen Korrektor, werden Sie

vielleicht sagen; und ich gestehe es gern ein, da dieser durchaus weiter nichts sein soll als der litterarische Handlanger, der sich um den Bau des Meisterwerks kein Jota zu bekümmern hat. Bei der Messiade

arbeite ich nicht allein; und Herr Göschen hat mir einen Mann, auf den er sich eben so sehr und vielleicht noch mehr verlassen kann, den

Herrn Lorent, zum Gehülfen gegeben. Ich bin völlig der Meinung des Herrn Göschen, da der Mann eine schöne Zeit seines Lebens die Sprache philosophisch und nach den besten Männern der Nation studiert hat. Das Mißvergnügen, welches uns Herr Göschen vor einiger Zeit über den Druck der Messiade nicht bergen konnte, mußte uns also

doppelt unangenehm sein, da Leute von feinem Gefühl billig tiefer

empfinden, wenn andre durch ihre Schuld leiden, als wenn sie nur allein litten. Denn wenn ich mir bewußt wäre, daß ich bloß für das Geldsalär die Feder in die Hand nähme, so wollte ich sie diese Minute wegschnellen und die Holzaxt dafür ergreifen. Göschen legte uns unser Sündenregister mit aller Gutmüthigkeit und Nachsicht eines Mannes

vor, der für seines Namens Ehre und seine Kaffe zugleich besorgt sein muß. Ich habe einige Male vor dem scharfen Kanonenfeuer gestanden; ich kann Ihnen aber versichern, daß mir nicht schwerer dabei zu Muthe war, als bei dieser Eröffnung. Erlauben Sie mir also, wo nicht zu meiner Rechtfertigung, so doch zu meiner Entschuldigung einige offen­ herzige Bemerkungen, deren Würdigung ich Ihrer Billigkeit gänzlich überlaffe. Die Arbeit eines Korrektor» ist vielleicht nur desto schwerer für einen Mann von etwas Sinn, je handwerksmäßiger sie aussieht und vielleicht wirklich ist. Ihre Oden waren ohne Widerspruch das stärkste Stück Arbeit dieser Art in unserer Litteratur, Logarithmen und mathematische Berechnungen allein ausgenommen. Bei dem Hexa­ meter fällt zwar die Schwierigkeit der oft ungewöhnlichen Sylbenmaaße weg, und dieses scheint die Arbeit sehr zu erleichtern. Aber

dafür tritt etwas anderes an die Stelle, welches eine ebenso ängstliche Genauigkeit erfordert. Der Bau de» deutschen Hexameters ist verhältnißmäßig gegen den griechischen und lateinischen so unbestimmt in unserer Prosodie, daß der nämliche Vers oft auf verschiedene Weise skandiert werden kann, welches der Fall bei den Alten nur höchst

selten ist, und welches vorzüglich daher kommt, weil wir einen so großen Mangel an Spondeen haben und die Trochäen zur Nothhülfe

aufzunehmen gezwungen worden sind, um den Vers nicht zu mono­ tonisch zu machen. Sodann kommt hinzu die große Menge willkür­ licher e in den Adjektiven und Partizipien, die oft, ohne dem Sylben-

Brief an Klopstock.

204

Maaß

zu schaden, da sein

oder wegbleiben können,

Grund bloß in der Euphonie haben.

und die ihren

Sie werden finden, daß die

meisten angegebenen Druckfehler auf diesem

letzten Artikel beruhen.

Sie glaubten diese e für das rhythmische Ohr eingetragen zu haben,

welches aber nicht war.

Die Blätter, welche Herr Göschen eben mit

sich nach Leipzig zurückgenommen hat, können es beweisen.

Es sind

vielleicht lauter Adiaphora, wenn hierin irgend etwas Adiaphora fein kann, welches ich freilich nicht geradezu behaupten möchte.

Die Will­

kür darf am wenigsten in der Dichtung herrschen, wo alles durch die Gesetze der Wahrheit und der Eurhythmie vorgeschrieben ist.

Schönheit weniger gilt auch einen Fehler.

Eine

Sie sind anerkannt der

Mann, der mit der größten Stärke und Richtigkeit der Gedanken vor der ganzen Nation für Wohlklang und Sprache das feinste Gefühl

hat, der mit der Malerei am tiefsten rührt und mit der Harmonie am besten malt.

Sie werden Sich aber gewiß selbst überzeugen, daß

Ihr Gedächtniß doch nicht ganz untrüglich und Ihre Aufmerksamkeit nicht ganz unfehlbar ist.

Es sind einige Fälle vorgekommen, wo Sie

bei der Verbefferung das Komma, das nun nothwendig wegfallen mußte,

nicht weggestrichen hatten.

Wir konsulierten beide darüber, ehe wir es

wagten, es wegzulöschen; und Sie haben es, wie ich sehe, nicht gemiß­

billigt.

Bei andern Gelegenheiten, wo nach den gewöhnlichen Gesetzen

das Komma nicht stehen sollte, sahen wir sehr wohl, warum es stand, weil es meistens im Lesen eine vortreffliche Emphase gab; und wir

hielten es heilig. — Den Vers, wo das Meer des Todes den Aus­ gang des Hexameters wider alle Regeln und Licenzen schließt, wollten

wir Ihnen zuschicken;

aber Herr Göschen meinte, es müßte so sein,

weil es so geschrieben wäre.

Die Folge war voraus zu sehen; denn

Klopstock mußte hier etwas anderes gedacht haben, als er geschrieben

hatte und das Muster der Genauigkeit bezahlte

auch für den alten

Errare humanum seinen Tribut.

Mehrere Fehler fallen allerdings auf unsere Rechnung; aber mich deucht doch, daß sie aus dem nämlichen Grunde gewisse Nachsicht ver­

dienen.

Herr Lorent verstand, als ich einmal nicht zugegen war, die

Stelle „der weinenden Augen" allerdings nicht, welches vielleicht noch

vielen eben so aufmerksamen Lesern eben so gehen wird; und er wagte die Aenderung nach langem Sinnen nicht willkürlich, sondern auf das

Ansehen einer älteren Ausgabe, wo er beim Nachschlagen dieselbe Les­ art fand.

Es hatte ihn vorzüglich getäuscht, weil der „weinenden"

keinen großen Anfangsbuchstaben hatte und er es also als ein gewöhn­ liches Adjektivum zu Augen zu ziehen suchte.

Die Ungleichheit, daß

Brief an Klopstock.

205

die als Substantiven vorkommenden Adjectiven zuweilen groß, zuweilen

klein geschrieben sind, hat auch mich in Verlegenheit gesetzt, und ich habe durchaus keine Norm dazu finden können, ob ich sie gleich mit

vielem Fleiße suchte, da ich bei Ihnen weder Ungefähr noch Willkür

anzunehmen gewohnt bin.



„Diese" statt „Die" gleich zu Anfang

des zweiten Bandes ist allerdings ein Fehler, der Rüge verdient, weil

dadurch der Fluß und

die Harmonie des Verses gestört wird; aber

Sinn bleibt denn doch immer noch und der Vers wird nicht geradezu unrichtig; oder man dürfte aus Gegenwart, Ewigkeit und dergleichen

durchaus keinen Daktylus machen. gedruckt worden ist,

Daß „bescheiden" statt „bescheidener"

läßt sich freilich nach der strengen Genauigkeit

eben so wenig entschuldigen, da der Komparativ im Manuscript steht,

wenn auch der Positiv einen noch besseren Sinn gäbe. — Es beweist

mir allerdings, daß ich zum Korrektor nicht Auge und Mechanismus

genug habe,

dessen ich mich gern bescheide und es bald zu ändern

suchen werde, damit dem Publikum kein Schade und dem Verfasser kein Mißvergnügen daraus erwachse.

Als Herr Lorent „vor" in „für"

zu verfahren und

veränderte, glaubte er nach seiner Ueberzeugung

seine Autorität zu haben; er hat aber seit der Zeit gesehen, daß er

es nicht weiter wagen dürfe, so

fest auch seine Ueberzeugung bleibt.

Grammatici certant, möchte es hier wohl heißen.

Ich fürchte, ich

habe mir ein ähnliches Wagstück zu Schulden kommen lassen, ober nicht mehr bestimmt, wo und wie es war.

Analogie mit folgendem: Erden einen."

weiß

Mich deucht, es hatte

„Der Engel blieb mit ihm stehen auf der

Hier glaube ich der Dativ des Adjectivs müsse bestimmt

angezeigt werden, da der Artikel fehlt, also „auf der Erden einer." Denn sonst müßte ich auch im Maskulin sagen können: „er stand bei der Männer einen."

Diese Stelle war es nicht, aber eine ähnliche,

wo meine Ueberzeugung mir kein Recht gab, meine Federspitze an

einen fremden Buchstaben zu setzen.

Verzeihen Sie meine kühnen Aeußerungen.

Es ist ein Beweis

meiner unbegrenzten Hochachtung und meiner innigen Verehrung, daß ich glaube. Sie werden sie einem gewöhnlichen Dupondier der Musen

zu gute halten.

Die ganze Nation hält Sie mit Recht für den größten

ihrer Dichter und für eine der ersten Zierden des Jahrhunderts; aber

die ganze Nation kann nicht glauben, daß Sie unfehlbar sind.

Wenn

ich auf das Autosepha irgend eines Mannes schwören möchte, so wäre

es auf das Ihrige.

Ich bin über manche veränderte Stelle Ihrer

Schriften, die mir zuvor nicht unbekannt war, unwillkürlich enthusiastisch

vom Stuhle aufgesprungen, um den ganzen Eindruck in einigen Ron-

Brief an Klopstock.

206

den durch mein Zimmer völlig zu genießen; aber ich bin doch zuweilen auch auf Fälle gerathen, wo ich die Ursachen der Veränderung suchte und nicht fand.

Da ich mir selbst etwas Gefühl für Harmonie zutraue,

aber doch das Ihrige hierin höher schätze als da» meinige oder irgend

eines anderen Mannes, so kostete mich dieses manche Minute, die wohl auch zur Viertelstunde ward.

Noch vor einigen Tagen glaubte ich

ein Beispiel dieser Art zu sehen, pag. 22 des dritten Bandes, in dem Verse:

Warum ist es ein Grab, wo Du weilst. Unsterblicher, wo die

Veränderung „weilest" ist.

Mich deucht, der Spondee würde mehr

weilen, zumal da zwei Daktylen vorher gehen und einer folgt.

Die

Ursache der verschiedenen Form der Imperfekten habe ich immer im Wohlklang gefunden, warum Sie aber bald „jetzt", bald „itzt", bald

„jetzo", bald „itzo" sagen, wo der Grund nicht in der Quantität liegt und ich ihn auch nicht im Rhythmus sehe,

können.

Auch steht auf einem und

Wagen und „Pharaos" Strom.

habe ich nicht auffinden

demselben Bogen „PharaonS"

Die Formen sind

wohl beide gleich

richtig, aber wo Gleichförmigkeit und Wohlklang zusammen sein können, ist es doch auch Verdienst, zumal in der schönen Typographie.

Wenn

Sie die Güte gehabt hätten, dem Setzer und Korrektor außer der Hin­ weisung auf da» Manuscript, das niemals ohne einige kleine Jnkurien

ist, einige bestimmte kurze Grundregeln, nach

welchen sie verfahren

sollten, vorher zu geben, so würde in der Gleichheit des Drucks viel­

leicht noch manches gewonnen worden sein.

Da fast jeder Verfasier

leider noch etwas eigenes in seiner Orthographie und Grammatik hat

und kein Nationaltribunal da ist, so geht die endliche Korrektheit der Sprache nur sehr langsam von Statten.

Im Lateinischen erleichtert

die grammatische und orthographische Bestimmtheit der Sprache die

Arbeit des Drucks außerordentlich, da sich kein einziger müßiger Buch­ stabe findet und der Willkür in der Form wenig oder nichts übrig

gelaffen ist.

Ob dadurch Dichter und Dichtung gewinnen, ist eine

Frage, die ich nicht zu entscheiden wage. Wenn ich jetzt aus der Presse ein Blatt von Ihnen, jetzt eins

von Wieland oder Thümmel, jetzt eins von den diis minorum gentium

lese, wo lauter Verschiedenheit ist, und jeder sein eigenes behauptet, so können Sie denken, daß mehr als Mithridates Gedächtniß dazu

gehört, jedem nur seine eigene Gleichförmigkeit zu erhalten, zumal da sie auch selten ganz in dem Manuscript selbst ist.

Es ist ein großer

Sprung von einer lateinischen Osteologie, wo die Handschrift in der griechischen Terminologie sehr oft gegen die Orthographie sündigt, zu

einem ästhetischen Werke der Dichtung, wo alle Kräfte des Geistes

Briese an Klopstock und Gleim.

207

zugleich beschäftigt werden, und wo uns in dem kleinen Mechanismus Das ist keine Rechtfertigung

das Nil humani so leicht beschleicht.

und soll keine sein; aber mich deucht, daß es in der Wagschale der

Humanität doch etwa» wiegt. Ich will das Vergnügen der Arbeit gern mit einigen unangenehmen

Empfindungen bezahlen; aber wenn ich völlige Unzufriedenheit ernte, so müßte ich ein ganz gewöhnlicher Lohnarbeiter sein, wenn es meine

Seele nicht aus dem Alltagsgange heraussetzte.

Verzeihen Sie meine vielleicht

zu

große Freimüthigkeit.

Für

glücklich halte ich indessen hier noch die Gelegenheit, Ihnen wahrhaft

meine unbegrenzte Hochachtung und innige Verehrung versichern zu

können.

(Grimma, Mitte März 1799.)

Seume."

Auf diesen Brief antwortete Klopstock nicht, wie er denn überhaupt nie eine Zeile direkt an Seume gerichtet hat, sondern bemerkte in einem

Briefe an Gösche» nur so nebenbei,

daß es in den bewußten Stellen

bleiben solle, wie die Korrektur gesetzt hatte.

Herder gegenüber beklagte

er sich aber einmal bitter über die „unbarmherzige" Art und Weise, wie

Seume mit ihm umgegangen sei. Grund,

weshalb Seume in

Dieses Verhalten Klopstocks war der

keine

näheren Beziehungen zu

ihm trat,

selbst auch dann nicht, als Klopstock, der sein Unrecht einsehen mochte, mehr als einmal an Göschen schrieb, die Korrektoren hätten ihre Sache

vortrefflich gemacht. In

C. H. Jördens „Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten"')

findet sich über Seumes Mitarbeit an Göschens Klopstock-Ausgaben folgende

nicht ganz zutreffende Bemerkung:

„Die Besorgung

der ersten Theile

dieser Ausgabe von Klopstocks Werken hatte Seume übernommen.

Er

korrespondirte daher mit Klopstock selbst wegen einiger zu verbessernder

Stellen, besonders in den Oden (?) und erwarb sich bei dieser Gelegenheit die Achtung und den Beifall des ehrwürdigen Verfassers."

Wie sehr Seume die Angelegenheit mit Klopstock beschäftigte, geht auch aus dem folgenden an Gleim gerichteten Briefe hervor:

„Grimma, d. 14. April 1799.

Klopstock, der ein excessiver Rüger von Kleinigkeiten zu sein scheint, ist

mit

dem Druck der Messiade nicht zufrieden, und hat sich gegen

Göschen nicht eben

glimpflich

*) Sechster Band, Supplemente.

darüber

geäußert.

Leipzig 1811, S. 407.

Ich könnte

nicht

Bries an Gleim.

208

sagen, daß mir dieses die ohnehin oft gewöhnliche Leistenarbeit sehr versüßte.

Ich war also genöthigt, zu meiner etwaigen Rechtfertigung

dem alten Barden eine ziemlich freimüthige Expektoration zu schreiben.

Wie er sie mag genommen haben, weiß ich nicht. zum Beleg eine Kopie des Briefes zugeschickt.

Ich habe Göschen

Der gute vortreffliche

Altvater hatte uns über zwanzig sein sollende Fehler aufgebürdet, die lauter Gleichgültigkeit waren und alle im Manuscript standen.

Ich

verkenne seine außerordentliche Genauigkeit nicht, aber Unfehlbarkeit

kann ihm doch unmöglich zugestanden werden.

Beweis.

Es

hält schwer, nicht dann und

Seine Handschrift ist

wann in Versuchung zu

gerathen, ein Pünktchen zu ändern, wo unsere lebendige Ueberzeugung

sich in jeder Fingerspitze regt.

Aber ich bin gewissenhaft und lasse

ihm alle seine Eigenheiten, auf denen er oft willkürlich genug besteht,

so wenig ich sie auch unter meine Firma nehmen möchte.

Es sind

meistens Minutien, die seinen zahllosen Schönheiten verziehen werden. Der Ausdruck ist vielleicht schon ein Zoiaculum;

nicht helfen.

ich kann mir aber

Es kann den Mann niemand enthusiastischer verehren

als ich, aber das jurare in verba magistri hat nie in meiner Seele

gelegen.

Wenn ich nur zehn Tage mit ihm zusammen sein könnte,

ich bin gewiß, er würde einige Gefälligkeit gegen den Sprachgebrauch

haben.

Wenn wir, Sie und ich, seine Messiade zusammen lesen sollten,

so würden wir gewiß unzählige Mal den Geist bewundern und den Mann liebenswürdig finden; aber es würde doch nicht an Stellen fehlen,

wo wir sagen müßten, hier ist er zu willkürlich mit der Sprache und dem Vers umgegangen.

„Er hatt's gesagt, er ruft's und schwieg," scheint mir sehr, sehr hart, denn zwei e herauszuwerfen wird wohl keine Sprachlicenz in der ernsten Dichtung verstatten.

Wenn ich so fort arbeite werde ich,

Gott sei bei uns, noch ein Grammatiker ex professo; und meine Seele

geht mit der Zeit wie ein Preßbengel so schwer.

Striegel ist nun fertig; ich hätte aber an der Form manches zu kritteln, welches Sie vielleicht selbst finden werden, und worüber ich

meine Hände in Unschuld wasche.

Uebrigens haben wir nichts von

Belang, als vielleicht Wielands Agathodämon, der ein neues Meister­ werk seiner Dichtung in einer ganz neuen Manier ist.

Bruchstücke

stehen schon im Merkur; aber diese sind neu gearbeitet, und das Ganze

ist nun vollendet.

Mich deucht, aus diesem Apollonius von Tyana

ließe sich noch ein historischer Roman machen, der an Wichtigkeit seines

Gleichen nicht haben würde, wenn man sich entschlösse, mit tiefem Studium der damaligen Periode kühne Konjunkturen zu machen.

Brief an Gleim. — Der Tod Hedwigs, MückeS «. OeserS.

209

Das Muldenthal wird mir immer enger und enger, und die schöne Jahreszeit führt mich alle Augenblicke in Ihre Gegenden; aber bald vergesse ich Ihre Gegenden bei Ihnen. Wenn doch meine übrigen Verhältnisse so frei wären, als mein Herz warm ist und meine Füße rasch sind, so hätte ich meiner Unruhe schon längst wieder durch eine

Pilgerschaft ein Ende gemacht. Meine Seele schwebt um Sie, wenn ich unsre Bergschluchten durchwandre, und ich kann Ihnen nicht bergen, mir wird ungewöhnlich bange, wenn ich an Ihre Achtzig denke, und in dem Augenblicke habe ich keinen andern Wunsch als auch so viele zu zählen.

Nun habe ich vollends von Ihnen seit langer Zeit keine

Zeile, da mache ich mir eine Menge Vorstellungen, von denen immer eine melancholischer ist als die andre. Sie haben mir Ihre Kritik versprochen, die mir gewiß mehr nützen

würde als die Hyperkritik der Journale. Meine Amtsarbeiten halten mich so fest, daß ich nur selten einen eigenen Gedanken zu Papier bringe; und mich deucht, weder ich noch die Welt sind dabei schlimmer dran. Die Politik wird täglich verwirrter. Wenn dieser oder jener Theil siegt, ist wenig Heil. Das Beste ist wohl noch, wenn sie sich, ziemlich aeque Worte, noch einige Zeit schlagen und dann Frieden schließen — müssen.

Mein sehnlichster Wunsch ist, daß dieses Blatt Sie in Ihrem Hüttchen froh im Genuß der schönen Jahreszeit antreffe, und daß ich dieses bald in einigen Zeilen von Ihnen erfahre. Das thun Sie

gewiß, wenn Sie können, zur Beruhigung Ihres wahren Verehrers Seume."

Im Frühjahr 1799 hatte der Tod in Seumes Freundeskreise reich­ liche Ernte gehalten, und so war es ganz natürlich, daß Seume auch um das Leben seines hochbetagten Freundes Gleim besorgt wurde und sich beun­ ruhigte, wenn er längere Zeit keine Nachricht von ihm erhalten hatte. Am 18. Februar war Professor Johann Hedwig in Leipzig gestorben, und bald darauf, am 11. März, war ihm der Rektor der Fürstenschule in Grimma, Johann Heinrich Mücke, im Tode gefolgt.

Nur kurze Zeit

danach traf abermals eine Trauerbotschaft ein. Professor Adam Friedrich Oeser war nicht mehr; ein Schlagfluß hatte am Abend des 18. März dem reichen Leben dieses Künstlers ein Ziel gesetzt. Unmittelbar unter dem Eindruck dieser Trauerkunde verfaßte Seume die Elegie „Oesers Manen", die er mit folgendem Begleitbrief an Böttiger zur Veröffentlichung sandte: Planer u. Retßmann, Seume.

14

Bries an Völliger. — Elegie „Oesers Manen".

210

„Grimma, (März 1799). Sie ehrten und ehren gewiß die Männer, die hier mein Blatt nennt. Hedwig, Mücke und Oeser waren alle drei sehr väterlich freund­ schaftlich gegen mich gesinnt; vorzüglich war der letzte sehr herzlich. Ihr Tod, fast zu gleicher Zeit, rührte mich also mehr als das große Publikum. Wollen Sie beigefügten Distichen eine Stelle im Merkur gönnen, so werde ich Ihnen als dem Manne verbunden sein, der mir einen kleinen Denkstein für mein Herz setzen hilft; und das Publikum könnte wohl darüber nicht mißvergnügt sein, wenn auch das Opfer dem Werth der Männer nicht entspricht.

Ich bin mit wahrer Verehrung und freundschaftlicher Hochachtung Ihr

Seume.

Verzeihen Sie meine Kürze; die Preffe preßt mich eben." Das Gedicht, welches die Beziehungen Seumes zu den darin genannten Freunden und diese selbst trefflich charakterisiert, erschien im „Neuen

Teutschen Merkur" 1799, 1. Bd. S. 365 ff. (Hemp. Ausg. V. S. 120 ff.) und lautet: „Oeser's Manen.

Einsam stand ich und dachte die Menschen mähende Zeit durch, Die ich am Lorenzstrom und an der Weichsel gelebt,

Zählte der Stürme sehr viele, die meinen Nachen bedrohten; Halcyonischer Tag blickte dem Pilger nicht oft, Doch zuweilen, wenn ihm ein Stündchen mit Gleim und mit Weiße, Mit Freund Göschen am Berg, Hedwig und Oeser verstrich. Hedwig, der Gute, der Menschenfreund, der Christ in der Wahrheit, War gestorben; ihm half nicht Podalirius' Gunst. Einsam maß ich den Werth nun erst in seinem Verlust ganz; Und ein Bote erschien, gab mir ein Blatt und verschwand: „Cefet, auch Oeser ging hin ins Land, aus dem Keiner zurückkehrt;

Früh, ach, zu früh war, obgleich lange gefürchtet, der Schlag."

Eine Thräne glühete mir an der heißeren Wimper Langsam steigend herauf, glitt dann die Wimper herab. Dort kommt wieder ein Zug zurück von dem Hügel deS Kirchhofs;

Mücke, der Redliche, starb: heiligen Wandels war er, Wie der Irdischen hier auf Erden nur wenige leben, Ohne Tadel als Mensch, Vater und Lehrer und Freund. Oeser, auch Oeser ging hin ins Land, auS dem Keiner zurückkehrt; Früh, ach, zu früh war, obgleich lange gefürchtet, der Schlag.

Wie als Knabe vom Grabe des Vaters ich weinend emporsah, Seh' ich wehmuthSvoll, Oeser, von Deinem empor.

Elegie „Oesers Manen".

211

Wenige Jahre nur waren unserer frohen Verbindung, Liebenswürdiger Greis, mehrere Lustra ihr Werth. Ach, wie oft sag ich bei Dir am runden, vertraulichen Tische, Stümperte Griechisch Dir vor, und Du erzähltest zum Lohn,

Und vergaßest im Scherz die Achtzig des silbernen Hauptes,

Oder vergaßest sie nicht, ehrtest durch Freude sie mehr.

Durch die Erinnemng jung, gabst Du Geschenke der Vorzeit, Und zur Gegenwart hob sie da- lakonische Wort,

Monumente von Witz und Monumente von Bravheit. Von dem Marmor herab bis in die Hütte von Stroh

Herrliche Gruppe war Dir das große Gemälde des Lebens, Und zum GeisteSgenuß mischten es Bettler und Fürst.

Mögen Andre den Künstler bewundern, der Geist in die Form schuf! Wahr, der Künstler war groß; aber ich liebte den Mann. Steh' ich einst vor seiner Auferstehung') und hebe

Mich mit magischer Kraft über die Wolken empor, Dann, dann denk' ich gerührt doch mehr noch zurück an die Stätte, Wo er mir väterlich rief: „Bleib' Du nur heute bei mir!"

Und blickt zaubrisch einst mir seine Sibylle von Endor*), Denk' ich doch herzlicher noch an den unendlichen Gang,

Der in der alternden Burg*) zu seinem Sorgenlos führte. Wo er der Freuden so viel immer den Freunden erfand. Pflanzten auch Fürsten mit Pracht ein Denkmal dem glühenden Maler,

Größer wär' eS vielleicht, heiliger wär' es doch nicht AlS das Denkmal, das ihm in Vieler Seelen gebaut ist, Die nicht den Künstler allein, die auch den Menschen gekannt. Männer, Verklärter, wie Du warst, sterben hinüber zum Leben; Denn ihr Wesen ist nicht Ephemeridengeschlechts. Deines Namens erwähnt noch dankbar der Enkel des Enkels, Wenn er den hohen Altars schauet im gothischen Haus. Schlummre der Seligen Schlaf; Du lebtest daS Leben der Edlen; Denken werd' ich noch Dein, färbt fich mein Schädel mit Schnee; Und die Hoffnung erhebt mich: Wenn mich der Bote dahin ruft,

Folgen mir Thränen wie Dir, weinet der Freund in die Gruft."

Bald nach Einsendung dieses Gedichts erhielt Seume seitens Böttigers die Aufforderung, über Oefer auch eine biographische Skizze zu schreiben. Er kam diesem Ansuchen nach und verfaßte den Aufsatz „Ueber Oefer", den Böttiger im „Neuen Teutschen Merkur" 1799, 2. Bd. S.

veröffentlichte.

162 ff.

(Hemp. AuSg. X. S. 150 ff.)

') Altarbild in der Hauptkirche zu Chemnitz, vergl. „Neuer Teutscher Merkur"

1799, 3. Bd. S. 170 ff. ®) Radierung nach Rembrandts Gemälde „Saul bei der Hexe von Endor den Schatten Samuels beschwörend". s) Die Pleißenburg in Leipzig, in der sich Oesers Amtswohnung befand. 4) Altarbild in der St. Nikolaikirche zu Leipzig, deren malerische Ausschmückung

Oefer von 1785—1796 ausführte.

Bries an Böttiger.

212

Seumes hierauf bezügliches Schreiben an Böttiger lautet: „Einiges über Oeser hat Ihnen Schnorr schon erzählt. Ich bedaure, daß ich Ihnen jetzt nicht mehr Ausbeute geben kann. Weiße und einige seiner Freunde haben das gute Zutrauen gegen mich geäußert, daß ich von den Materialien, die man mir schaffen würde, eine kleine gute Biographie liefern möchte. Der Antrag war mir so schmeichelhaft,

daß ich ihn nicht ablehnen konnte, da zumal meine Seele so viel An­ theil an dem Manne nahm. Je mehr ich aber darüber denke, desto mehr fühle ich, daß mir zu der Unternehmung etwas sehr wesentliches, nämlich hinlängliche Kunstkenntniß, fehlt. Wenn Sie also bei Ein­ rückung dieses kleinen Nekrologs die Güte haben, mit anzukündigen,

daß seine Freunde in Dresden und Leipzig, von seiner würdigen Familie') unterstützt, die ausführlichere Beschreibung seines Lebens besorgen werden, so bitte ich Sie doch, mich noch nicht zu nennen, da diese Bedenklichkeit noch meine Entschlossenheit zurückhält, indem ich dadurch weder mir, noch dem Andenken OeserS, noch dem Publikum schaden will. Das Herrlichste wäre freilich, wenn nach dem Wunsche

mehrerer Verehrer beider Männer Vater Wieland etwas über ihn sagen wollte und die Dokumente nähme, die man hätte; aber das ist wohl schwerlich zu erwarten und bei seinen eigenen Unternehmungen ihm kaum zuzumuthen. Der frohe Tag mit Ihnen in Leipzig ®) leuchtet jetzt immer noch froh in meiner Seele. Sie haben uns nur halb besucht, da Sie nicht in Hohenstädt gewesen sind. Holen Sie die schöne Hälfte bald nach. Sie können nirgends eine so reizende Landschaft, ausgeschmückt mit allen Schönheiten, auf einer Promenade von zwei Stunden finden. Von Käthens8) Geburtsort bis zu Käthens Kloster4) müssen die Grazien

aller hundert Schritte den Reihen getanzt haben, um die Wiege für Luthers Hausfrau zu schmücken. Melanchthon der Sanfte war der nämlichen Meinung, als ihn einst seine Amtsreise durch das Muldenthal führte. *) Oeser hatte Dresden verheiratet, gestorben war.

sich im November 1745 mit Rosine Elisabeth Hohburg aus die aber schon vor ihm, am 22. September 1794, in Leipzig

Von seinen sechs Kindern überlebten ihn nur zwei Töchter,

u. zw.

Friederike Elisabeth, geb. 1748 in Dresden, gest, am 13. Juni 1829 unverheiratet in Leipzig, und Wilhelmine, geb. am 19. Januar 1755 in Dresden, gest, am 1. De­

zember 1813 in Leipzig als die Witwe des Kupferstechers Christian Gottlieb Geyser. 9) Böttiger war zur Jubilate-Messe in Leipzig gewesen und dort mit Seume

.zusammengetrofsen.

8) Katharina von Bora, deren Geburtsort aber nicht festzustellen ist. *) Kloster Nimbschen bei Grimma.

Brief an Göschen. — Dr. Kilians Werk über Gesundheitspflege in Leipzig.

213

Ich schätze mich gewiß glücklich in Ihrer Freundschaft, werde sie

immer zu verdienen suchen und mich jederzeit freuen, Ihnen Proben meiner wahren Verehrung geben zu können.

Seume." Gegen Ende April 1799 hatte auch Gleim wieder geschrieben und

Seume gebeten dafür zu sorgen, daß er die Bücher der neusten Aus­

gaben, auf die er mit der ganzen Ungeduld eines Hochbetagten wartete, endlich erhalle.

Seume schrieb daher an Göschen:

„Der alte Gleim schreibt mir einen Brief voll Feuer und Flammen und fanonicrt gegen die Franzosen, wie ein Kanonikus.

obiter.

Sed haec

Von Ihnen will er haben, was ihm, wie Sie wüßten, vom

Wieland fehlt.

Sodann die Gesundbrunnen und den Striegel, beide

nicht prächtig; und zuletzt den Thümmel.

Die Gesundbrunnen wünscht

er aber so bald als möglich zu haben und bestimmt den 4. Mai, wo er mit dem kleinen Geschenk eine große Freude machen will.

Kilian hat sich bei mir gewaltig in Respekt gesetzt. leitung ist etwas lang und sehr gelehrt.

Die ist nicht für die Leute,

für welche eigentlich das Buch sein soll. hätte ich nichts dawider.

Die Ein­

Da sie einmal so ist, so

Das Ding muß und wird sehr gut werden.

Wenn er meine Feder hier und da etwas zu keck finden sollte, so habe ich auch nichts dagegen.

Geschnitten habe ich nicht, sondern nur ge-

schnittelt; und mich deucht, daß das Zuviel und Zuwenig hier nicht ganz leicht ist.

Mit der Sache und der Hauptform mag er sehen,

wie er zurecht kommt, da bin ich ein Profaner. Bei uns ist's kalt. — Wenn Sie zur Zeit mein übriges Kontingent

an Schnorr geben wollen, so wird er meine dortigen Aufträge be­ sorgen und mir den Ueberschuß zuspedieren.

Ueber das Uebrige wird

Ihnen Herr Höhm schon geschrieben haben.

Seume." Das

in diesem Briefe von Seume erwähnte, ihm zur Durchsicht

übergebene Manuskript war Dr. Conrad Joseph Kilians *) hygieinisches *) Kilian war 1750 in Würzburg geboren und hatte sich, nachdem er bereits katholischer Priester war, dem Studium der Medizin an der Universität Jena ge­ widmet. Mit Empfehlungen des dorttgen berühmten Professors Christoph Wilhelm Hufeland versehen, kam er 1797 nach Leipzig, wo er sich als praktischer Arzt nieder­ ließ. Einige Jahre später ging er nach Bamberg, wurde 1803 Bayerischer Medizinal-

Brief an Gleim.

214

Werk „Anleitung zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit in Leipzig-, das 1800 in Göschens Verlage erschien nnd dessen Korrektur Seume ebenfalls besorgte. Ungefähr Mitte Mai 1799 schrieb Seume an Gleim:

„Das Chaos unsrer Meßarbeiten ist soeben erst in Ordnung ge­

bracht worden, und es wird mir selbst mit bange und ängstlich, wenn ich sehe, wie bang und ängstlich die Leute quetschen und streichen und zählen und sortieren und packen und abschicken und immer wieder von

vorn anfangen. Ihr Brief mit allem seinem Donner und Blitz gegen die neuen

Kreuzfahrer hat mich unendlich gefreut, wenn es auch nur deswegen wäre, weil Sie noch so flammend donnern und blitzen können.

Werden

Sie nur ein Neunziger, und gehen Sie dann noch weiter, wenigstens soweit wie Moses, der Feuereiferer, so werden Sie manche Gelegenheit haben, Ihre Lebensgeister durch Freude und Aerger lebendig zu er­

halten; denn Sie sind doch Philosoph genug, daß Ihnen beides Gutes thun muß, und so soll es sein.

Ich kann nicht gegen die Franken so

aufgebracht sein, da ich ihr System nicht ganz übel und sie selbst ziemlich konsequent finde.

Wir leiden, was unsere Leiden werth sind,

wie ich leicht zeigen könnte, und ich bin nicht so sehr von der andern Seite, um nicht zu bekennen, daß sie auch leiden, was ihre Sünden

werth sind, wenn die Schale der Trübsal über sie ausgegoffen wird. ES ist indessen doch besser, als ob die ganze Menschheit schliefe oder

den Bärentanz machte.

Es muß etwas Gutes herauskommen, wenigstens

ist es nicht wahrscheinlich, daß es schlimmer werde, ausgenommen, wenn

die Russen den Meister spielen, dann gehe ich recta zu den Feuer­ ländern und brate Schildkröten per secula.

meine Vernunft

nicht

gefangen unter dem

Ich nehme nun einmal

Gehorsam

des Stocks.

Schweigen kann ich wohl und trotzig zusehen, wenn man überall das

Heiligthum lästert, aber so lange ich noch ein Loth Schädel über dem Hirn habe,

und so lange es an der linken Seite noch lebendig ist,

werde ich nicht sagen, das ist gut, wenn mein ganzes Feuer bis zum Zähneknirschen glüht und hervorbrechen möchte: das ist erzschlecht.

giebt doch keine kleineren Leute als die Großen. ganz allein verderben ihre eigene gute Sache.

Es

Sie, sie selbst, sie Den ganzen jetzigen

Wirrwarr hätten sie sich ersparen können, wenn sie anfangs klug und rat und Professor, kehrte 1806 nach Leipzig, 1807 aber wieder nach Bamberg zurück und ging 1810 nach Petersburg, wo er Leibarzt Kaiser Alexanders I. wurde, aber schon am 11. August 1811 verstarb.

Bries an Gleim. human verfahren hätten.

wenig daraus entstehen,

215

Nunc habeat sibi! da sie immer

Humanität zu trennen gewohnt sind.

Gutes für sie kann

ihr Interesse

von dem der

Aber genug von der Politik;

ob es gleich jetzt fast der einzige Gegenstand ist, von dem ein Mann von Sinn und Herz für die Menschheit sprechen kann.

Wir klopfen hier immer noch an Klopstock.

Er hat von dem,

was ich gewiß mit allem Respekt, den ich ihm schuldig bin und den ich wirklich fühle, gesagt habe, keine Notiz genommen; hat aber doch seit der Zeit, ohne daß anders verfahren worden wäre, mehr Zufrieden­

heit geäußert.

Ich merke, daß diese Handlangerei eine sehr undankbare

Arbeit ist, bei der man weder vom Verleger, noch Autor noch Publikum

etwas verdient; denn die Hand voll Münze, und wenn es auch Gold wäre, ist nur Bezahlung für den gewöhnlichen Söldner.

Gelegentlich

werde ich wohl zu Diogenes ins Faß gehen, wo mir dann vielleicht

Alexander aus der Sonne geht; und thut er's nicht, so kann ich leicht mein Lager einige Schritte weiter rücken.

Hoffentlich haben Sie Ihre Bestellungen noch zu rechter Zeit er­

halten; wenigstens versäumte ich keinen Augenblick, sie sogleich nach Leipzig zu schicken, wo ich jetzt sehr selten bin.

Göschen kommt fast

eben so selten hierher, so daß wir wenig zusammen sind. Mein kleines Gedicht auf Oesers Tod werden Sie vermuthlich in dem letzten Stück des Merkur gelesen haben.

Es hat mehrere seiner

alten Freunde hier und besonders Weißen, wie ich höre, sehr beschäftigt, und man ist daher mit dem gütigen Zutrauen zu mir gekommen,

ich

möchte seine Biographie schreiben, wozu mir seine Familie die Data geben will.

Man glaubt, daß sein Charakter mit dem meinigen viel

Analoges habe, und daß ihn also mein Vortrag gehörig schildern werde.

So schmeichelhaft dieses ist, so ist doch dabei zu wägen,

daß ich in

der Kunst noch zu sehr Idiot bin, um einem solchen Manne Gerechtig­ keit in allen Mancen widerfahren zu lassen.

Doch versuche ich's viel­

leicht; da man die Papiere sonst hier niemand geben will aus Furcht, man könnte ein bombastisches Gallimathias ä la Trenk machen.

Die

erste Bedingung wird sein, daß man mir Form und Volumen über­ läßt.

Sie haben den Mann gekannt.

Er war gewiß einer der merk­

würdigsten seiner Zeit, ob er auch kein Gelehrter war. war voll kaustischen Salzes bis an sein Ende.

Sein Leben

Seine Jugend war

Feuer und Flamme, und sein Alter heitere schöne Jovialität.

Erlauben

Sie, daß ich Ihnen eine kleine Geschichte von seinem vorletzten Abend

erzähle.

Er war schwach,

aber munter.

Ein Freund besuchte ihn

und erkundigte sich mit Theilnahme wie es ginge.

Ei, sagte er, es

Briefe an Gleim und Böttiger.

216

geht gut genug, wenn nur das verdammte Fliegenpflaster auf dem

Rücken nicht so bestialisch schmerzte.

Das freut mich, sagte der Freund,

daß es recht brav zieht. Das danke Ihnen der Teufel, fuhr der Alte auf, und machte eine seiner charakteristischen Bewegungen mit dem schmerzenden

Schulterknochen.

Sie kommen mir vor wie jener Schiffsprediger, der

bei einem Sturm voll Angst in der Kajüte saß und einen, der herein

trat, fragte, wie es draußen stehe, was die Matrosen machten. fluchen erbärmlich, antwortete der Mann.

Sie

Ach Gott sei Dank! das

ist gut, daß sie fluchen, erleichterte der Schiffsprediger seine Herzens­

angst, denn wenn sie beten, so sind wir verloren.

Mit dieser Stimmung starb Oeser; solche Todte muß die Nation beim Leben erhalten.

stock nicht sterben.

Er muß wie Gleim und Wieland und Klop-

Klopstock verehre ich unendlich; trotz des Zorns,

den er, wie es scheint, auf mich geworfen hat.

Der Himmel erhalte

Sie weit in das neue Jahrhundert hinein, so sehe ich Sie gewiß mit kindlicher Freude noch wieder.

Seume." In einem Artikel über „Kunstwerke und Kunstschaustellungen zur

Leipziger Oft ermesse 1799" hatte Böttiger im „Journal des Luxus und der Moden", Mai-Heft S. 217, bei Besprechung des Oeser'schen Kunst-

nachlaffeö auch Seumes gedacht als des Verfassers der im Merkur er­ schienenen Elegie „OeserS Manen" und ihn, „den würdigen Freund des Verstorbenen", als dessen geeignetsten Biographen bezeichnet. Auch Schnorr hatte er dabei mit Auszeichnung genannt und dessen Skizze zum neuen

Vorhang des Leipziger Theaters lobend kritisiert.

Seume richtete darauf

folgenden Brief an Böttiger:

(Grimma, Anfang Juni 1799.) „Eben habe ich Schnorr die Blätter zugeschickt, in welchen Sie so freundschaftlich gütig von ihm und mir geurtheilt haben; und ich

bin gewiß, er wird es mit eben so viel Dank empfinden als ich. Ihre Aufforderung zu einer Fußreise traf mich eben in der traurigsten Ver­ fassung meines Fußwerks an, da ich wegen einer Verrenkung feit acht Tagen keine Zehe rtzhren konnte.

Erst gestern fing ich wieder an zu

nun in wenigstens

noch acht Tagen wieder flott

hinken, und

hoffe

zu werden.

Göschen habe ich, seitdem ich Sie in Leipzig sahe, nur

einmal gesehen, und Schnorr noch gar nicht.

Ich bin hier ziemlich

gefesselt, und meine Arbeit ist so, daß sie eben nicht durchaus den Geist

heiter erhalten kann.

Mich deucht, ich werde wohl thun, wenn ich

Brief an Böttiger.

217

wieder Soldat werde, denn zum gelehrten Leben und Handwerk bin

ich doch wohl physisch und moralisch verpfumfeit. Das Soldaten­ wesen hat noch den großen Vortheil, daß man sonst nichts zu denken braucht; denn das Denken macht nur Kopfschmerzen, und man stößt überdies von außen überall damit an, an der Seine sowohl als an der Newa, und an der Elbe, Spree und Donau nicht minder. Man kann kein gesundes Urtheil sagen, das nicht eine Ketzerei wäre, und so heißt es gleich anathema! Seit einiger Zeit hatte ich mir vor­ genommen, ein Lobgedicht auf die Akzise zu schreiben, wozu materia largissima ubique und Pathos und Bathos in dem Gegenstände ist; aber was kann das helfen? Wenn es je ein litterarischer Böhnhase druckt, so komme ich ins Zuchthaus, und die Welt wird kein Paar Stiefelsohlen dadurch gebessert. Wenn der Verfasser nicht ins Zucht­ haus käme, so taugte das Gedicht nichts, oder die Herren am Ruder wären humaner und klüger, als man ihnen zuzutrauen Ursache hat. Als einen ganz kleinen Gehirnspuk lege ich Ihnen hier eine Jeremiade in nuce bei, die übrigens ganz unschuldig an Geist ist. Sie machen damit was Sie wollen. Heil und Unheil wird so etwas nicht viel

schaffen. Cotta wollte schon vorige Messe von mir eine Charakteristik von Suworow haben, da er aus einigen Zügen meiner Arbeiten geschlossen hatte, ich müßte der Mann sein, der sie geben könnte. Der bin ich aber wirklich nicht; denn es gehört mehr dazu einen Mann, wie dieser Russe ist, nur einigermaßen zu schildern, als ihn während einiger Monate vor der Parade und einige Mal im Hauptquartier gesehen

zu haben. Ich wies Cotta an den Herrn von Anting, den Adjutanten, der drei Bände von Suworow geschrieben hat; er lächelte und schwieg. Was würde es helfen, wenn ich Ihnen auch einen Aufsatz von und über Suworow schickte? Er würde doch so sein, daß Sie An­

stand nehmen müßten, davon Gebrauch zu machen. Und wenn er erst auf der Kapelle der Censur geläutert und amalgamiert werden soll, so kommt doch auf alle Fälle etwas kombabusiertes hervor. Daß ich mit der Preßbeschränkung wie mit vielen anderen Dingen nicht zufrieden bin, können Sie wohl errathen, obgleich damit eben so wenig gebessert wird. Jeder schreibe, was er schreiben will, aber er sei mit seinem Namen auf alle Fälle verantwortlich für sein Ge­ schriebenes. Die Menschheit liegt jetzt in der entsetzlichsten Gährung. Diese oder jene Partei mag siegen, so sehe ich viel Trauriges im Hintergründe. Wenn ich mir nur das verdammte Denken und Empfinden ganz abgewöhnen könnte! Zuweilen gelingt es mir ganze Monate

218

Brief an Völliger. — Elegie „Das scheidende Jahrhundert".

lang; aber dann stellt mich ein Zeitungsblatt ober eine Grille eines

alten Knasters wieder auf den Kopf, und dann geht es wieder fort:

The charioteer then shakes the golden reins With doubled force, upon the signal bound Th’attentive steeds the chariot flies, behind Ten thousand horses in thunder sweep the field.“ Diesem Briefe waren die Gedichte „Abendlied Jeremias Bunkels, des allen Thorschreibers," und „Das scheidende Jahrhundert" beigefügt,

das Abendlied mit folgender Nachschrift: „Diese Verse dem Vulkan, oder der Bona Dea, oder wie Sie sonst für gut finden.

Die folgenden schrieb ich vor einigen Tagen,

als ich eben Matthissons Basrelief am Sarkophage des Jahrhunderts *)

aus der Druckerei erhielt und seines Gegenstandes, aber nicht ganz seines Sinnes voll war.

Sie sind etwas ernsthafter, und ich gebe sie

Ihnen als einen Ausdmck meines Kosmopolitism.

Matthissons Bas­

relief werden Sie wohl von Göschen erhalten haben oder erhalten." Die Elegie „Das scheidende Jahrhundert" (Hemp. Ausg. V. S.

122 ff.) malt die ganzen Greuel jener Zeit in der Seumes Dichtungen eigenen den Gegenstand immer gründlich erschöpfenden Art und Weise

lind lautet in ihren bemerkenswertesten Strophen wie folgt: „Wer wird der Menschheit noch ihr Heiligthum verbürgen? Bei jedem Tritt ist Skorpion. Der hohe Wahnsinn schwelgt, wo die Hyänen würgen, Und spricht rund um sich Hohn.

Von jeder Alpe bricht der Tod aus Feuerschlünden, Und in dem Waldstrom rauschet Blut; Der Herdenhüter blickt mit Angst auS Felsengründen

Nach seiner Hütte Gluth. Durch Leichen schreiten kalt mit ihrer wilden Horde

Die Tilly und die Atüla,

Als wäre wieder nmi mit ihrem alten Morde

Die Zeit des Faustrechts da. Was ist der Unterschied, wer Länder ausgesogen? Ob der Satrap, ob der Prälat? Ob Fürstenschwelgerei, ob steche Demagogen?

Die That bleibt stets die That.

x) Ein Separatdruck in Cottas Verlage, gedruckt bei Georg Joachim Göschen, Grimma 1799.

.Das scheidende Jahrhundert". — „Anekdoten über Suworow".

219

Sonst fabelte der Mönch der Dummheit Heiligkeiten Mit breitem Wolkenangesicht, Wo mit dem Schild des Lichts jetzt grimm nach allen Seiten Der neue Schwindler spricht. Der Himmel schütze mich und meine bessern Brüder Bor dieser Freiheit Tyrannei!

Erzeugt durch Unvernunft, ernährte sich die HyderBon Andrer Sklaverei.

Vernunft, wann wirst Du einst die wahre Freiheit setzen, Bor welcher Recht und Ordnung geht?

Die kein Tribun, kein Fürst, kein Bonze zu verletzen

Sich frevelnd untersteht? Bleib, Genius, damit uns nicht die Hoffnung schwinde, Die über der Dhiine schwebt, Daß bald die Menschheit sich aus der GeburtSangst winde,

In der sie jetzo bebt. Hilf Du uns, Göttlicher, ihr Heiligthum bewahren, Das im Orkan sich fast verlor.

Und trag' es herrlicher aus tödtlichen Gefahren

Und heiliger empor."

Das Gedicht erschien zuerst im

„Neuen Teutschen Merkur"

2. Bd. S. 207 ff. und zwar mit Seumes Namen.

1799,

In demselben Bande

des „Merkur" S. 193 ff. findet sich ferner Seumes Aufsatz: „Anekdoten

zur Charakterschilderung Suworows"') (Hemp. AuSg. IX. S. 198ff.),

den er trotz seiner vorausgegangenen Absage versaßt hatte, um sich Böttiger gefällig zu erweisen.

Dieser veröffentlichte ihn mit folgender Anmerkung:

„Der Held, deffen Namen jetzt so oft und mit so verschiedenen

Empfindungen ausgesprochen wird, interessirt gewiß auch die Leser dieser Zeitschrift.

Es spricht hier ein unbestochener Augenzeuge über

ihn, dessen strenge Wahrheitsliebe und freimüthige Unerschrockenheit schon durch andere,

dem Publikum rühmlich bekannte Schriften im

historischen Fache hinlänglich erprobt sind."

Als Unterschrift trägt der Artikel nur „S . . . ",

und dies ver-

x) Suworow war im Frühjahr 1799 in Italien eingedrungen und hatte im April bei Caffano, im Juni an der Trebbia und im August bei Novi über die Re­ volutionsheere gesiegt.

Im September ging er mit seinem Heere über den Gotthardt

und wandte sich nach Bayern, wo er, von Paul I. zum Fürsten Jtalijski und Generaliffinms ernannt, Befehl zum Rückzüge erhielt. Unterwegs erkrankte er und fiel bald danach, von seinen Feinden verleumdet, in Ungnade. Er starb aller seiner Ämter entkleidet am 18. Mai 1800 in Petersburg.

Briefe an Böttiger und Göschen.

220

mutlich auf Böttigers Anordnung hin, denn Seume liebte es nicht bei Veröffentlichungen seinen Namen zu verschweigen oder zu verstecken. In betreff der Elegie auf Oesers Tod schrieb er unterm 12. Juni

nochmals an Böttiger:

„Soeben lese ich meine Verse auf Oeser im Merkur.

Es sind

Veränderungen darin; und wie es nun geht, von diesen halte ich ein Paar für treffliche Verbefferungen, einige für Adiaphora, und mit einigen bin ich aus grammatischen und ästhetischen Gründen nicht zufrieden. Das Land wo keiner zurückkehrt für woher, aus welchem, aus

dem, ist nach meiner Meinung nicht grammatisch, oder doch nicht ganz bestimmt. Liebenswürdiger Alter, wofür jetzt würdiger Greis steht,

schien mir mehr trauliche Herzlichkeit zu haben, welche eigentlich wohl das einzige Verdienst in dem Aufsatz ist. Am Eude haben Sie mich eine Galantrie sagen lassen, die mich sehr überrascht hat, die nicht in meiner Seele war, die aber desto drolliger erscheint, da sie vielleicht wirklich aus meiner kauderwelschen Handschrift entstanden ist. Weine die Freundin der Gruft, steht im Druck und in der Schrift: Weine der Freund in die Gruft, vielleicht etwas zusammengezogen und unleserlich. Verzeihen Sie, daß ich Sie noch so lange mit diesen Kleinigkeiten

behellige. Sie sehen schon daraus, wie viel Zutrauen ich zu Ihnen habe und wie viel ich auf Ihre Güte rechne. Mit wahrer herzlicher Verehrung

der Ihrige Seume."

Gegen Mitte Juni war Seume nach Leipzig gewandelt, um Göschen zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit hatte er allerhand meist Göschens Ökonomie in Hohenstädt betreffende Aufträge erhalten, über deren Aus­

führung er wie folgt berichtet: „Wenn man kein feines Papier hat, schreibt man auf grobes. Die Botschaften habe ich besorgt, so gut als mein Gedankenkasten sie noch hatte, und zu meiner Legitimation und zur Gedächtnißhülfe habe ich sie der Wirthschafterin Madame Benack schriftlich gegeben. (Hier folgt ein Bericht über den Hühnerhof, den Stand der Saaten, des

Gartens rc.) Der Pfarrer in Pomsen ist wieder ziemlich wohl und die Pfar­ rerin meint und bewies aus Gründen, die ich vergessen habe. Sie

221

Briefe an Göschen und Gleim.

sollten nicht so viel Vieh halten.

Der Hauptmann Loth ist wohl.

In Altenhayn läuft die Wöchnerin **) frisch auf und davon durch alle

Zimmer und macht nach ihrer Weise die ganze Gesellschaft heiter.

würden

durch

Ihren Besuch

viel Vergnügen

machen.

Sie

Der kleine

Gustavs wird ein gar drolliger Junge und fängt schon an Genie­ streiche zu machen.

Aber genug des Rapports!

Ihre ganze große und kleine Klerisei.

Meinen Gruß an

Der Himmel halte den Himmel

rein, damit Ihnen die Atmosphäre bei uns nun überall leicht sei.

Ich kann Jffland"), den Hexenmeister, nicht vergessen;

es lief

mir Feuer durch den Nacken und stieg in die Augen; und das ist viel von mir altem Kriegsknecht. Der Ihrige

©turne."

Am 8. Juli 1799 schrieb Seume an Gleim: „Ich weiß nicht, ob Sie Matthiffons Gedicht „Basrelief am

Sarkophage des Jahrhunderts" schon gesehen haben.

Das Gedicht

hat als Gedicht den Stempel seines Urhebers, vor dem ich mit Hoch­ achtung aufstehe.

In den Geist des Stücks konnte ich nicht ganz ein­

gehen, und der meinige ward in seinem Wesen etwas lebendig.

Ich

warf also einige Verse hin, die man vielleicht zu einem Anhang zu jenen machen kann, ohne daß ich es wagte, ihnen den Rang streitig zu machen.

Da Sie meine kleinen Versuche mit Güte und Nachsicht aufnahmen

und sie sogar wünschten, waren allererst

so schicke ich Ihnen eine Abschrift.

Sie

für Sie bestimmt, und ich schickte sie Böttigern nur

mit Gelegenheit der Bemerkungen über Suworow, um - die er mich

für den Merkur gemahnt hatte.

Er will das Gedicht mit geben, und

es mag immer ein neues Beispiel sein, wie verschieden Verschiedene einen und denselben Gegenstand mit Ehrlichkeit ansehen und behandeln.

Uebrigens lege ich keinen anderen Werth darauf, als wenn es mich, wie ich bin, als Mann von wahrem, tiefem, entschlossenem Gefühl für

Menschenwohl zeigt und mich dadurch Ihrer guten Meinung aufs

Neue

empfiehlt.

Ob der Merkur alle meine oft sehr freimüthigen

*) Frau von Bissing, die einer Tochter, Albertine, das Leben geschenkt hatte. *j Gustav von Bissing, geb. 1798 in Altenhain.

’) Wilhelm August Jfsland, bekannter Schauspieler und Bühnendichter, war am 19. April 1759 in Hannover geboren.

Er begründete seinen Ruhm an der

Mannheimer Bühne wie durch Gastspiele in allen größeren Städten Deutschlands und wurde 1796 Direktor des königl. Nationaltheaters in Berlin.

Bries an Gleim und dessen Antwort.

322

Aeußerungen über den Russen aufnehmen wird, weiß ich nicht, aber ich spreche wenigstens nicht anders als ich denke.

Wenn ich so oft bei Ihnen sein könnte,

als mich Herz und

Phantasie hinüber führen, so würden Sie mich oft ganz leise, weit leiser

als das erste Mal, in Ihr Hüttchen schleichen sehen,

ob sich ein Pilger nahen dürfe. hängigkeit

um zu lauschen,

Ich finde sonst in nichts meine Ab­

vom Glück empfindlich, als daß

ich nicht nach Gefallen

meinen Tornister schnallen und auf und davon wandeln kann,

wohin

ich soeben möchte.

Wenn Sie Sich nur wohl befinden, da will ich mich noch trösten. Die politischen Aspekten stehen jetzt ganz anders als vor einem halben

Jahre; und ich hoffe, Sie werden nun wenigstens zufriedener sein als

vorher.

Was endlich das Resultat des Wirrwarrs sein wird,

ein anderer Apollo wissen, der

meinige sagt mir nichts.

mag

Ihr König

wird doch wohl noch der Mann des Friedens werden und Wohl ihm und ganz Europa, wenn er das Geschäft glücklich vollbringt.

Es kann

und muß ihm nicht gleichgültig sein, daß eine Partei oder die andere

entschieden die Uebermacht gewinne.

als die Seine.

Die Newa thut noch mehr Schaden,

Aber mögen die Parzen spinnen und abschneiden; wir

können ihre Spindel und Scheere nicht halten.

Ihnen die Wahrheit offenherzig zu bekennen muß ich sagen, daß mein Geist ziemlich unruhig wird, etwas wieder in die Welt hinein zu schauen.

Meine alte Mutter fesselt mich, und ich ehre und liebe

das Band.

Mit jedem Jahre wird eine gewagte große Entfernung

von ihr vor dem Richterstuhle guter Menschen schwerer verantwortlich.

Ich trage kein Bedenken die Weichheit dieses Gefühls zu bekennen, so

unbekümmert ich sonst den Gefahren in» Auge sehe. Nächst dieser ist fast niemand, den ich kindlicher ehrte und liebte als meinen guten Vater Gleim; das glauben Sie gewiß der Ehrlichkeit

Ihres

Seume." Gleim antwortete sogleich nach Empfang dieses Briefes wie folgt:

„Halberstadt, d. 11. Juli 1799. Diesen

Augenblick, morgens zehn Uhr, erhalt' ick,

Mann, IhrSchreiben

von keinem Datum,

lieber braver

und weil ich um elf zu

thun habe, so setze ich mich nicht flüchtig, sondern gleimisch hin, diese

zwei Zeilen

zu schreiben und Ihnen, mein lieber Seume, zu sagen,

daß ich in

meinem letzten Jahrzehnt mich für sehr glücklich halten

Gleim an Seume.

223

würde, wenn zehn Schritte von meinem Hüttchen ein so sympathisirender

deutscher Mann, wie mein Seume zuverlässig einer ist, seine Hütte hätte. Daß dieser

liebe

brave

Mann

seine alte Mutter mit solcher

Kindesliebe liebt, wie mein Einziger die seinige liebte, das macht ihn

zu einem Aehulichen meines Einzigen, dessen Geistes-, noch mehr, dessen Herzensnachlaß ich die Tage her mit Zufriedenheit, daß ich sein Zeit­

genosse gewesen bin und, wenn's nicht zu stolz ist, sein Herold, in nächtlichen Stunden, wenn im Hüttchen Todtenstille war, gelesen habe. Wahrlich, dieser Nachlaß wird zu wenig gelesen; würd' er mehr

gelesen und erwogen, so glaub' ich, kein Skorpion.

wäre auf jedem Schritte wohl

Das Gedicht, lieber braver Mann, aus welchem dieser

Halbvers ansgehoben ist, (Das scheidende Jahrhundert) hab' ich bis in

die dritte Strophe nur erst lesen können; es ist nicht lesbar abgeschrieben;

lieber käs' ich's mit guten großen deutschen Lettern abgedruckt, man

hat so viel zu lesen, daß man's dem, der's uns erleichtert. Dank weiß; überdem sind achtzigjährige Augen nicht so tauglich mehr wie siebzig­

jährige;

zum Unglück hab' ich einen Glasschleifer für mein Paar

Augen noch nicht anffinden können. Warum

schickt Herr

Göschen

Wielandischen Werke nur nicht?

den

3V=55 und

32W Band der

Daß man sie erst noch bestellen soll

vermehrt ohne Noth die Alltagsgeschäfte.

Beim Gedanken an Pracht­

ausgaben möcht' ich fragen, warum doch sind die Werke meines Einzigen

nicht wie Neubecks Gesundbrunnen gedruckt?

Matthissons Basrelief am Sarkophage des Jahrhunderts hab' ich nicht gesehen; weiß auch nicht, ob's zum lesen ist.

nur eines zum sehen oder auch

Ob's von Marmor oder nur Kalkstein ist!

War's für

Geld zu haben, hätten'« zur Erläuterung des Ihrigen, das mir von

Marmor zu sein scheint, für mich kaufen und mitsenden sollen. KlopstockS Messiade

soll fertig

sein?

Wenn er, Klopstock,

die

große mir nicht schenkt, so bekommt die Gleim'sche Familienbibliothek

sie nicht!

Sie ist mir nicht zu kostbar, sondern zu unbrauchbar!

Die

alten Augen können den Glanz des Velin-Papiers und die Schärfe der lateinischen Lettern nicht ausstehen.

Wenn unser guter Landesvater Friedensstifter sein kann, ohne vorher Mitkrieger gewesen zu sein, welches irgend ein Statistiker wohl

nicht leicht glauben wird, so wird er’s sein; er liebt den Frieden wie wir!

Ist aber der Friedensfreund nicht

auch

der

Menschenfeinde

Freund? Und sind die witzigen Franzosen, die in dem Lande Gosen so teufelten, wohl nicht die' ärgsten Menschenfeinde?

Hätt' ich die Zeit und wollt' ich nicht, daß Sie diese zwei Zeilen,

Gleim an Seume und dessen Antwort.

224

sind's ihrer mehr, so lassen Sie's gut sein, heute noch fort sollten, so

schrieb' ich einige Zeitgedichte der letzten für Sie ab, aus welchen Sie mein jetziges politisches System besser als aus alle dem, was ich darüber hierher noch schreiben könnte, leicht ersehen würden. Weg aber

die Politik, sie ist eine Metze zu dieser unserer Zeit, und ich bin ihr ärgster Feind und meines Seume treuster Freund

Gleim." Seume antwortete: „Grimma, d. 25. Juli 1799. Ich wollte Göschen erst wegen Ihres Wielands exequieren, um Ihnen Rapport zu schreiben. Vorgestern habe ich ihn gesprochen, und der Mann hat sich wegen angeziehener Fahrlässigkeit so komplet gerecht­

fertiget, als man nur kann, so daß Sie ihm hoffentlich sogleich Absolu­ tion ertheilen werden. Sie bekommen nämlich von der Quartausgabe,

und

diese allein ist noch nicht fertig; die drei übrigen sind nun in

alle Welt gewandert.

Das kann ich denn als Buchstabeninspektor der

Typographie bei Ehre und Gewissen bezeugen. Wenn Sie Wielands Apollonius von Tyana oder seinen Agathodämon, wie er ihn nennt, noch nicht gelesen haben, so wird er Ihnen gewiß viel interessante Unterhaltung gewähren. Es ist ein köstliches Stück, und er selbst hält ee für eine seiner besten Arbeiten; mich deucht, nicht mit Miltons blinder Vaterliebe, die über seinem wiedergefundenen Paradies an das verlorene gar nicht mehr dachte. — In seinen politischen Gesprächen hat er vermuthlich oft oder meistens aus Ihrer Seele geredet. Es sind einige darunter, die schweren philosophischen Gehalt und großen ästhetischen Werth haben. Alle Meinungen würde ich freilich nicht unterschreiben. Auf meinen ziemlich umständlichen Expektorationsbrief hat Klopstock keine Sylbe geantwortet, ziemlich klassisch gegen einen Proletarier, hat aber doch die angeschuldigten Fehler zurückgenommen, weil sie wirklich Adiaphora waren, und ich mich ihretwegen auf das Manuskript bezog. Mit den letzten Bänden hat er seine besondere Zufriedenheit ausgesprochen, wie mir Herr Göschen sagt. Unter den Verbesserungen, die noch hintenan gedruckt werden sollten, schickte er noch eine, die, wie ich beim Nachschlagen fand, schon im Text stand. Hätte ich nun nachzusehen nicht Zeit und Gemüihlichkeit gehabt, so stände wieder

etwas dort, wofür ich nicht könnte. MatthissonS Gedicht, zu welchem das meinige eine Art Gegenstück sein dürfte, wird Ihnen Göschen mit dem Klopstock von Klopstock zuschicken, der.

Briefe an Gleim und Gerntng.

225

rote ich höre, ehestens bei Ihnen eintreffen muß. Er hat es für Cotta gedruckt so schön, rote er gewöhnlich seine schöne Arbeit macht. Das

Stück ist roohl recht brav meines Bedünkens, aber allein doch wohl nicht der Gegenstand eines typographischen Prachtexemplars.

Von der Messiade ist auch nur die große schöne Ausgabe fertig, die kleinere wird erst angefangen. Freilich wäre zehn Schrittchen von Ihrem Hüttchen für mich der beste Wohnort, und doppelt so, wenn auch Sie etwas angenehmes darin fänden. So verschieden auch mein Jdeengang in manchen Dingen von dem Ihrigen sein mag, so haben Sie doch so viel liberale Humanität, mir dieses sehr gerne zuzugestehen, da Sie überzeugt sind, daß der Grund meiner Seele gut, ehrlich und brav ist, ohne alle kleinliche Rücksichten auf Eigennutz, Parteigeist und Sektenroesen in irgend einem Fache. Im Ganzen geht mir's so roohl, als sich'S ein epiktetischer Mensch nur wünschen kann. So oft mir der Spleen oder ein Aufblick einen Streich spielen will, daß ich nicht so zuweilen meinen Stab auf einen Sommer nach meiner Laune ergreifen kann, so oft bringt ein Niederblick auf alle die Marktleute unter meinem Fenster mich wieder in meine Fugen; ich drücke meinen alten Hut tiefer in die Augen, greife nach meinem Knotenstocke und streife mit Anakreon und Gleim, Maro und Klopstock durch einige Bergschluchten und be­ finde mich dann so roohl, als sich kaum ein Dorfschulmeister nach dem GregoriuSfeste befinden kann. Die Buchdruckereijungen, unter deren Kommando ich stehe, mahnen mich wiederholt um ihre Blätter. Meinen Gruß an die guten Leutchen im Hüttchen. Mein Geist schreibt oft nur Sie auf das Abendgewölke,

wenn ich hier auf dem höchsten Hügel stehe und nach der Gegend des patriarchalischen Oertchens hinschaue. Seume." Aus dieser Zeit ist auch ein Brief SeumeS an Johann Isaak von Gerning *) erhalten geblieben, aus dem heroorgeht, daß SeumeS kritisches Urteil in der litterarischen Welt immer mehr an Ansehen gewann. Gerning hatte ihm einige seiner Arbeiten zur Durchsicht und Beurteilung übersandt, die er mit folgendem Briefe zurückschickte: x) Gerning war am 14. November 1767 in Frankfurt a. M. geboren, hatte in Jena studiert und war dann nach Neapel an den Hof des Königs gegangen, der ihn

1798 auf den Kongreß nach Rastatt sandte. Er wurde 1804 hessen-homburgischer Geh.-Rat, später in den Freiherrnstand erhoben, 1816 Bundestagsgesandter und starb am 21. Februar 1837 in Frankfurt a. M.

Planer u. Reißmann, Seume.

226

Briefe an Gerning und Böttiger.

„Lieber Freund Gerning,

Ich bin sehr in der Eile und bedarf sehr Ihrer Verzeihung. Erst gestern erhielt ich Ihren Brief, hatte noch manche unnachläßliche Arbeiten und muß Ihnen jetzt nur auf der Flucht einige Worte

Sie erhalten hier Ihre verlangten drei Papiere, und ich wünsche nur, daß sie noch rechtzeitig genug eintreffen mögen. Es ist mir lieb, daß Sie meine Keckheit nicht gemißdeutet haben. Sie thun mir schreiben.

zu viel Ehre an, wenn Sie mich für einen tiefgelehrten Kritiker halten. In meinem Kopfe sitzt aber nicht viel; in meinem Ohre liegt dann und

wann etwas, das hierher gehört. Ich habe hier kein einziges Buch als den Demosthenes iteQi ) Johann Gottfried Hermann, geb. 28. November 1772 in Leipzig, studierte

daselbst und in Jena und begann 1795 seine akademische Lehrlhätigkeit in Leipzig,

wo er 1798 außerordentlicher und 1803 ordentlicher Professor der Beredsamkeit wurde.

Er erwarb sich bedeutende Verdienste auf dem Gebiete der klassischen Philologie und starb am 31. Dezember 1848 in seiner Vaterstadt. *) Dorothea Elisabeth Feind verwitwete Reim hatte sich am 3. Juli 1791 mildem Buchhiindler Johann Gottlob Feind in Leipzig verheiratet.

Sie galt als Förderin

der Kunst und Litteratur und pflegte in ihrem Hause einen Kreis schöngeisttger Männer und Frauen zu versammeln.

Brief an I. G. Hermann. — Wieland an Seume.

686

aber ganz wahr ist, und dieses ist mir, da es meine eigene Sache ist,

nicht so leicht einzusehen, — so ist es ein Verbot, je wieder die Feder zu etwas ähnlichem anzusetzen. Wider einen Richterspruch dieses Inhalts ist jede Läuterung über­

flüssig. Es soll also nicht gedruckt werden; denn was ich nicht mit meinem

Namen in die Welt zu schicken wage, das will ich noch weniger ohne meinen Namen ausgehen

Gründe habe,

lasien, wenn ich

nicht

welche hier nicht eintreten.

meinen Charakter

hinlänglich, daß ich mich

andere, wichtigere

Ich denke,

Sie kennen

darum nicht weniger

schätze, wenn ich auch nie eine erträgliche Zeile geschrieben hätte.

Ihnen und Madam Feind traue ich feine Diskretion genug zu, von der ganzen Sache weiter keine Notiz gegen irgend

nehmen.

jemand

zu

Die Papiere werde ich selbst gelegenheitlich wieder abholen,

um sie zu vernichten.

Denn man vernichtet doch immer lieber der­

gleichen Dinge selbst, so ist man auch in der Art ihres Todes gewiß.

Bloß aus dem Grunde, den ich in der Vorrede angegeben habe, hatte ich vielleicht eine ungerechte Vorliebe für diese Arbeit.

Ich unter­

schreibe zwar Ihr Urtheil nicht ganz, denn so viel Selbstgefühl werden

Sie mir wohl erlauben oder wenigstens verzeihen; doch will ich weiter

nicht unter so unglücklichen Auspicien an die Sache denken. Ihre Offenheit hat

gegen Sie noch

weder meine Hochachtung

meine Freundschaft geschwächt, weil ich überzeugt bin, daß Sie von mir nur gegen mich diese Strenge äußern.

Sie haben ganz Recht,

das Bitterste, was man über einen Mann sagen kann, muß man ihm selbst sagen, wenn man ihn noch für einen Mann von Sinn hält.

Es wird mich sehr freuen, Sie bald zu sehen:

Sie sollen weder

von einem Trauerspiel noch von einer Komödie hören, die ich wieder mache.

Seume."') Wieland beurteilte den „Miltiades" günstiger.

Liesen nebst

der

lateinischen Vorrede

zu

Seume hatte ihm

den Plutarch-Untersuchungen

eingesandt und ihn um seine Meinung darüber gebeten.

Wieland ant­

wortete:

(Weimar, 1808.) »Wäre ich im Besitz von Merlin's Zauberstab

und könnte mit

*) Siehe auch „Gottfried Hermann" v. H. Kocchly, Heidelberg 1874, S. 168 s.

Wieland an Seume.

587

einem Schlage desselben ein griechisches Theater, Attische Zuhörer und

von Sokrates gebildete Schauspieler aus der Erde aufsteigen lassen, so stehe ich dafür, Ihr Miltiades sollte, trotz Allem, was selbst seine

Bewunderer an ihm auszustellen haben, eine sehr schöne Wirkung auf den Brettern thun.

Das Nämliche möchte ich Ihnen von Ihrer grausenhaft wahren und

schrecklich schönen Philippika, wenn Sie einen ©ostet

fänden, nicht versprechen.

Ich danke dem Himmel für die Gewißheit,

vorausgesetzt er wisse,

daß Sie,

Welttheilen keinen

so

zu ihr

was er drucken ließe,

in allen fünf

verwegenen Mltttersohn finden werden.

Und

wäre es möglich, daß sich einer fände, — o, mein theurer Freund, welches durch

Gute könnten Sie sich

die

Ausstellung

und

versprechen,

Bekanntmachung

dem Menschengeschlecht

eines

entsetzlichen,

so

schauderlichen, einem nur halb menschlich fühlenden Leser alle Haare auf dem Kopf emporstarren machenden Gemäldes unsrer Zeit verschafft

zu haben?

Wahrlich, die Ehre, unsern Marcus Tullius selbst in der

riesenhaften Stärke, womit Sie mit Ihrer aus Furienschlangen ge­

flochtenen Geißel auf die großen und kleinen Sünder in und außer Deutschland ohne alle Barmherzigkeit lospeitschen, ganze Parasangen hinter sich zu lassen, und von Welt und Nachwelt für den strengsten

Zuchtmeister des freilich leider! tief gesunkenen Menschengeschlechts an­

erkannt zu werden, würde durch Ihr fruchtloses Marterthum zu theuer erkauft sein.

Und

im Grunde — ich kann es dem einzigen Mann

von Marathon, der vielleicht noch in der Welt ist, nicht verdenken,

daß er seinem, durch den Anblick und das aufs Höchste gereizte Gefühl aller Thorheiten und Erbärmlichkeiten,

aller Greuel und Abscheulich­

keiten unsrer Zeiten und des unendlicheit Elends, das dadurch über die mißhandelte, herabgewürdigte und an einem langsamen physischen und moralischen Martertode verschmachtende Menschheit in apokalyptischen

Zornschaalen

ausgegoffen ist,

zusammengepreßten Herzen

auf diese

Weise Luft zu machen gesucht hat: aber im Grunde ist dieses Gemälde — mit aller seiner Wahrheit im Einzelnen — gleichwohl aus dem

rechten Stand- und Gesichtspunkt betrachtet, nicht wahr, und kann es nicht sein, wie Sie selbst, sobald Sie sich auf jenen Standpunkt stellen,

so

gut

und

besser als

ich

einsehen

müssen.

Also

nichts

weiter

über diesen Punkt, als daß ich Ihre Stärke in der Sprache Ciceros

und Juvenals bewundere, und daß es mir unendlich leid thun sollte, wenn der Fasciculus observationum et conjecturarum etc., welchem

Sie diesen prologum galeatum vorzusetzen gedachten, den Freunden

der ächten Literatur, wie klein auch ihre Zahl sein mag, deßwegen

588

Ankündigungen des „Miltiades". — Gedicht an Johanna Devrient.

vorenlhalten würde, weil sich kein Verleger oder Drucker ohne offen­ bare Lebensgefahr entschließen kann, sie mit dieser Vorrede in die Welt zu fördern." —

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Seume durch Wielands beifällige Kritik des „Miltiades" veranlaßt wurde, dieses Stück doch noch drucken

zu laffen. Das Buch wurde angezeigt in der „Zeitung für die elegante Welt" von 1808, Nr. 191 f. S. 1521 ff., im „Morgenblatt für gebildete Stände" von 1808, Nr. 246, S. 983, in dem dazu gehörigen „Intelligenz­ blatt" Nr. 27, S. 106 und im „Morgenblatt für gebildete Stände" 1809: Uebersicht der neuesten Literatur Nr. 1, S. 3. Seume sandte ein Exemplar davon auch an Johanna Devrient, in das er folgende Widnmng schrieb: „Ist gleich die Gabe klein,

Sie kann willkommen sein:

Denn ihren Werth bestimmt, Wie man sie giebt und nimmt."

Zwischen Seume und Johanna war seit ihrer Wiederbegegnung ein ästhetisch-romantischer Verkehr entstanden und eine Art idealer Freund­

schaft, wie sie in jener Zeit zwischen geistig bedeutenden Männern und Frauen nicht selten war. Für Seume wurde dieses Freundschaftsver­ hältnis geradezu ein seelisches Bedürfnis, ein Palladium, zu dem er sich aus der Jämmerlichkeit seiner Zeit flüchtete. In ritterlicher Minne huldigt er der Freundin, die für ihn der Inbegriff der reinsten, edelsten Weiblichkeit ist, indem er an sie schreibt: „Tu sola donna mi sei.1) Ich bitte, Freundin, glaube nicht, Was Du hier liesest, sei Gedicht. Du weißt es, daß auS meinem Herzen,

Zu stolz, mit dem Gefühl zu scherzen, In Freudenstunden und in Schmerzen Die Wahrheit nur, die Wahrheit immer spricht,

Auch da, wo die Empfindung mich beflügelt, Gewissenhaft das Wort besiegelt. Bis mir der letzte Hauch einst von der Lippe bricht. Ist etwas Werth in meiner Seele, So ist es, daß ich mich mit Recht

Zum fast erloschenen Geschlecht

Der alten WahrheitSsreunde zähle. Drum bitt' ich, Freundin, glaube nicht, Was ich hier schreibe, sei Gedicht.

') Du allein sei meine Herrin.

Gedicht an Johanna Devrient.

Ich wollte gern, sehr gern mein Herz beziigeln, Und was im Innern wiederhallt,

Der mächtigsten Empfindung Allgewalt,

Vor Deinem Seelenblick verriegeln; Ich wollt' es gern; wo aber ist der Mann,

Der hierin sich durchaus beherrschen kann? Und ganz will ich mich von den Ketten

Der schönen Huldigung nicht retten. Die herrliche, die große Leidenschaft, Die oft mit ihrer Riesenkraft Mich aus der Wirklichkeiten Trümmern Ins Traumgebiet hinüber rafft,

Mag Augenblicke mir verkümmern,

Wenn sie dafür mit mehr als Morgenschimmern

In meinem Wesen Himmel schafft. Vermöchtest Du in meiner Seele Tiefen,

Wie es dort glüht, hinab zu sehn, Wie alle Wünsche, die nur leise schliefen, Als ob die Engel sie mit Harfentönen riefen. Zu Dir, für Dich hinüber gehn

Und, leise bittend, Dir um Haupt und Schläfe wehn, Du würdest---------Nein, ich Undankbarer, nein! Berrätherische Schauer liefen

Mir eben bebend durchs Gebein; Gut bist Du, wie Du bist, und sollst nicht anders sein.

Ich habe Dich mit mir umher getragen; In meiner Seele lag Dein Bild So freundlich schön, so lieblich und so mild, Mit Blicken, die den Himmel sagen, In Sturmgeheul und stillen Sonnentagen. Noch seh' ich, wie die herrliche Gestalt

Das erste Mal vorüber wallt;

Ich höre noch die erste Stimme schlagen, Die auf dem Harmonienflug Ein neues himmlisches Behagen Durch die entzückte Seele trug:

Da trank das Herz des Zaubers vollen Zug Und hatte nie der Seligkeit genug.

An Deinem Blick Minuten nur zu hangen, Bin ich ost Meilen weit gegangen; Und sagte dann doch kaum im Hochgenuß

Der Freundin meinen Morgengruß. Der Seelenrausch trieb oft mich her und hin;

Ich saß und schrieb sogar bei Mondenlichte Halb lächelnd zärtliche Gedichte

589

590

Gedicht an Johanna Devrient.

Und sang sie selbst an dem Owin. Geliebte Seele, lächle nur;

Es ist nun so: seit vielen Jahren

War nichts sür mich in der Natur, Bon Schwedens Felsen bis zur Zauberflur Kampaniens, war nichts als Dn: es waren

Die Auen öde oder schier Wie meine Seele voll von Dir. Kannst Du der Macht des Traums gebieten?

Da ist der Geist entfesselt, frei imb groß.

Mein Leben ist sonst eine Welt von Nieten;

Im Traum zog ich das schöne Loos:

Da wiegte mich die Seligkeit im Schoost. Da durst' ich mich an Deinem Blicke weiden, Da sog ich Trunkner stundenlang Aus Deinem lieblichen Gesang Des Lebens Paradiesesfrenden;

Da drückt' ich kühn, halb unbewußt, Mit hoher Gluth Dich an die Brust Und wagt' eS, in dem Tausch der Seelen Den Himmel von dem Antlitz Dir zu stehlen: Kein Gott genießt so eine Götterlust! Verzeihe, Freundin, dem Verwegnen;

Es ist Verirrung, welche spricht; — Was Du nicht giebst, daS will ich nicht.

Ein Armer, dem nur Stürme regnen, Must, da der Segen ihm gebricht, Sich selbst, und nur im Traume, segnen: Auch dieser Segen ist nicht ganz Gedicht.

Ich weist es, mich wird nichts belohnen; Und doch, doch, Freundin, glaube mir, Um einen Händedruck von Dir Geb' ich dem Korsen seine Kronen.

Ich bin in Eden, lächelst Du

Mir nur zuweilen Sonne zu. Trifft unser Blick von ungefähr zusammen;

Ich bete Dich wie meine Göttin an Mit tiefer Andacht heißen Flammen; Mag mich der Himmel, wenn er kann, Für die Abgötterei verdammen: Ich thue fort, wie ich bisher gethan. Doch nein; er selbst hat uns ins Herz geschrieben, DaS Gute und das Schöne seiner Welt,

Ein Bild von sich, das er uns vorgestellt,

Sei eS auch mehr als ihn, zu lieben. So lieb' ich Dich; und wer mir widerspricht, Versteht das Göttliche in unsrer Seele nicht."

Brief an Johanna Devrient-

591

An dieses etwa Anfang 1808 entstandene Gedicht reiht sich un­ mittelbar folgender Brief an Johanna Devrient:

„Meine theure, einzige, innig geliebte Freundin!

Sehen Sie, ich kann nicht so kalt und taktmäßig vernünftig sein, als Sie es vielleicht fordern und Selbst sind. Sie müssen nun wohl Nachsicht und Geduld mit Ihrem Freunde haben, bis feine Seele kalt wird, das heißt, bis im Herzen der letzte Tropfen Bluts vertrocknet und im Hirn der letzte Nervengeist versiegt ist: denn so lange werden Sie wohl das Idol meines Wesens bleiben. Ich habe mir vorgenommen, Ihnen kritische Bemerkungen über „Korinne" zu geben, vielleicht eine sehr undankbare Arbeit, da die meisten Kritiker das Vergnügen schwächen, und ich wollte doch wohl gern die ganze Summe des meinigen hingeben, um das Ihrige zu vermehren. Jedes Vergnügen beruht auf Gefühl und gewinnt selten durch den Zusatz des Gedankens. Aber der Gedanke kann das Gefühl

berichtigen nnd also ins Künftige das Vergnügen erhöhen, wenn er

auch das genossene verminderte. — Ich lasse der Frau von Staöl alle Gerechtigkeit widerfahren; sie besitzt viel Scharfsinn und Einsicht in die menschliche Seele und eine seltene Weltkenntniß: aber ich fürchte doch, daß hier und da, wo sie sich an das höhere Ideal wagt, ihr die Kräfte versagen." Seume zeigt hierauf in einer längeren Auseinandersetzung die Vor­ züge und Schwächen dieses Werkes, von dem er sagt, daß es ihm trotz der kleinen Inkonsequenzen und Unrichtigkeiten, Fehler gegen die Alter­ tümer rc. viel Vergnügen gemacht habe, und fährt dann fort:

„Wo viel Licht ist, giebt's viel Schatten. Auch Ihr und mein Liebling „Don Carlos" hat noch psychologische Unrichtigkeiten; und doch macht er den Hochgenuß aller besser gestimmten Seelen. — Ein Buch ist wie ein Menschenleben, selten ganz ohne kleine Flecken.

Wenn nur die schöneren Punkte zum reinen hohen Genuß vollendet hervortreten. So ernsthaft Sie mich kennen, weiß ich doch, daß ich über einem Blatt von Wieland vom Tische aufgesprungen bin und die Verse im Zimmer abgetanzt habe; so himmlisch rhythmisch war die herrliche Sprache, und der Inhalt war, so viel ich mich erinnere, keine freundliche, liebliche Tändelei. Wieland gehört, wie ich weiß, nicht sehr unter Ihre Lieblinge. Ob Sie wohl auch die Meisterwerke des alten Herrn gelesen haben? Er hat keinen Riesenschritt, er tanzt wie eine ätherische Erscheinung; er predigt keine tiefsinnige Weisheit;

Brief an Johanna Devrient. — Über „Corinna oder Italien".

592

er schreibt aus dem Tagebuche der Grazien.

Freilich nicht immer,

aber welchem Sänger gelingen denn alle seine Lieder? — Gleim war mein Freund, und Herder und Schiller und Weiße, und Wieland ist

es;

und Goethe ist mir nicht abhold.

genug sein:

Das könnte meiner Eitelkeit

und ich wollte doch jeden Gedanken hingeben, womit ich

die Schätzung dieser Männer gewonnen habe, wenn — wenn---------Schweigen soll ich, will ich, werd' ich, Liebe;

Wenn Du zürntest, scheuchte mich ein Wort, Als ob man mein Todesurtheil schriebe,

In ein freudenleeres Leben fort.

Fort von neuem durch empörte Meere, Wo die Woge furchtbar heulend bricht. Schweigen will ich, wenn's zum Tode wäre;

Aber anders werden kann ich nicht.

Seume."')

(Leipzig, 1808.)

Mit

diesem Briefe sandte er die Schlegelsche Übersetzung^)

Corinna an Johanna.

der

In dem erhalten gebliebenen Exemplar finden

sich viele von Seume unterstrichene oder mit Randbemerkungen versehene

Stellen, die er in niancherlei Hinsicht für beachtenswert hielt oder in

gewisse Beziehungen zu seinen eigenen Verhältnissen brachte.

So unter­

strich er z. B. folgende Sätze:

„In der pünktlichen Erfüllung aller seiner Pflichten und in der Verzichtleistung

auf alle Freude

glaubte

er

einen Schutz gegen die

Schmerzen zu finden, welche die Seele zerrissen. — Seine Erinnerungen hatten kein Leben mehr und keine Beziehungen auf die Gegenstände, welche ihn umgaben. — Unbedeutende Menschen sind selten thöricht,

nur leidenschaftliche

Gemüther sind der Thorheit fähig. —

Dadurch allein ist die Liebe heilig, weil alles andere vor ihr ver­ schwindet, und sie sich wie die fromme Andacht nur in der Aufopfe­ rung ihrer selbst genügt. —

Wir kennen das Unendliche nur durch den Schmerz. —

Der Gegenstand einer leidenschaftlichen Neigung ist unsern Augen

entweder der sicherste Beschützer oder der schrecklichste Gebieter." —

*) Bergt. „Unsere Zeit« 1880, 7. Heft, S. 68 ff.

8) „Corinna ober Italien". AuS dem Französischen der Frau von Staöl über setzt und herausgegeben von Friedrich Schlegel, Berlin 1807, 4 Bde.

Über „Corinna oder Italien'.

593

Der Behauptung:

„Man kann öfter lieben, aber seine Seele anvertrauen dürfen) ist

ein Glück, das man nur einmal besitzen kann", setzt Seume folgende Randbemerkung entgegen:

»Ist falsch.

Wo nicht uneingeschränktes Vertrauen ist, ist nie Liebe

in höherem, besserem Sinne." —

Ebenso widerspricht er der Beschuldigung, Belisar sei ein Barbar, weil er die schönen Bildsäulen, die das Innere der Engelsburg schmückten,

bei deren Verteidigung gegen die Goten auf diese herabschleudern ließ,

indem er bemerkt:

„Wer die Feinde des Vaterlands schlägt, und wäre es auch mit dem

Tempelgeräth des Allerheiligsten, stempelt sich nicht zum Barbaren." — Folgender Ausspruch erhält die Censur „gut bemerkt": „Der Accent

der englischen Sprache ist einförmig und dumpf;

alle ihre Schönheiten sind schwermüthiger Art; der Nebel hat ihre Farben verschmolzen, und da» Geräusch der Meereswogen ihre Melodie

gebildet." —

Zu der Beschreibung de» Kolosseums macht Seume folgende

An­

merkung : „Meine Gewohnheit war, mit einigen Freunden den Wend über

dem großen Portal des Kolosseums zu liegen, dem Untergang der

Sonne zuzusehen und gegen Mitternacht durch die Korridore herabzu­ steigen und über das Kapitol nach Hause zu gehen." — Als besonders merkwürdig erscheint folgende von Seume stark unter­ strichene Stelle:

„Sie sind ein unbegreifliches Wesen; Ihr Gefühl ist so tief, und doch Ihre Wahl in dem, was Ihnen gefällt, oft leichtsinnig; frei durch

den Adel Ihrer Seele, sind Sie dennoch gebunden durch das Bedürfniß der Zerstreuung.

Sie sind eine Zauberin, die einen wechselweise ver­

wirrt und beruhigt." — Fast sollte man glauben, daß Seume in dieser Stelle eine Charakte­

ristik seiner Freundin erblickte,

denn seine darunter gesetzte Bemerkung:

„Koketterie ist in der feinen Sinnenwelt, was tyrannische Herrsch­

sucht in der politischen ist:

Tilgerin und Zerstörerin aller

besseren Empfindungen," — Planer u. Retßmann, Seume.

38

tiefen,

Göschen an Böttiger. — Gedicht an Johanna Devrient.

594

klingt beinahe wie eine leise Warnung, die er an die schöne, viel um­

schwärmte Frau richtet.

Göschen

äußert sich über

dieses Verhältnis

in

einem Briefe an

Böttiger vom 20. Juni 1810 wie folgt:

„ . . . Seume war platonisch verliebt bis über die Ohren.

Er

war aber in edlen Händen, und diese hielten ihn schonend und be­

wundernswürdig.

Solche Dinge darf man nicht

Welt versteht sie nicht.

hier konnte

erzählen, denn

die

Diese Frau war eine wirkliche Aspasia, und

ich Seume nicht tadeln, denn sie behexte alles,

was in

ihre Nähe kam." —

Je mehr es zu bedauern ist, daß Seume, wie schon gesagt, bis auf eine einzige Ausnahme alle seine früheren von seiner Liebe zu Johanna handelnden Gedichte vernichtete, desto dankbarer müssen wir denjenigen

sein, welche mit pietätvoller Hand die Schätze hüteten, die seine von dem Spätrot dieser Liebe durchglühte Muse aus der Tiefe seines Empfindens

ans Licht förderte.

Sie gehören zu den schönsten Perlen seiner Lyrik

und bilden in ihrer Gesamtheit deren Glanzpunkt. Von besonderer Schönheit sind folgende gereimte alcäische Strophen: „Aus Deinen Blicken trink' ich Begeisterung; Mein ganzes Wesen athmet die Huldigung, Die mich in Deinen Zauber hüllet

Und mit Entzücken die Seele füllet. Ich bleibe, Freundin, Freundin, ich bleibe Dir, Auch wenn des Schicksals Rede die Erde mir.

Ein Cherub seine Paradiese Alle zum sichern Besitz mir wiese.

Wer Dir die Weihe seiner Empfindung nennt

Und auf der Welt noch größre Genüsse kennt, Der hat sich Täuschung vorgelogen

Oder ein befferes Herz betrogen.

Die Nachtigallen singen so lieblich nie Als Deiner Stimme magische Melodie: Und ist mir je ein Lied gelungen,

Hab' ich Dir, Liebe, nur nachgesungen. Wie Du mir lächelst, lächelt Aurora kaum Mit FrühlingSsteude über der Fluren Saum: Dein Blick vermöchte mir das Leben,

Schon im Entfliehen, zurückzugeben.

Gedichte an Johanna Devrient.

696

Es bleibet, Freundin, stets mit Bescheidenheit Dir meine Seele bis in den Tod geweiht;

Und Dir die Ruhe zu erwerben, Könnt' ich noch heute mit Freuden sterben."

Auch in französischer Sprache huldigte Seume der Freundin, wie durch folgendes Gedicht, dem wir eine Übertragung beigeben, belegt wird:

„EnseignSs moi, ma douce amie, Le mot de charme pour les Coeurs. Vous, mon Idole, Vous, pour qui jemeurs Avec transport, Vous plus ch6rie, Beaucoup, beaucoup plus que ma vie; Enseign6s moi, Comment Vous plaire; Ah, ce seroit mon seul plaisir! Vous plaire fait mon ame tressaillir, Mais, ma divinitG, que faire? Je Vous adore et dois me taire! On trouve, on dit, de la solle, Oü il y a beaucoup d'amour, Surtout, hSlas, oü il est sans retour. Adieu donc, ma Philosophie! Car je Vous aime & la solle.

Lehre mich, o süße Freundin, Doch das Zauberwort der Herzen, Göttin, der in Lust und Schmerzen,

Als dem Teuersten im Leben, Bis zum Tod ich bin ergeben! Lehre mich, und was Dir wohlgesällt,

Das nur sei mein einziges Entzücken. Wonneschauer würden mich beglücken,

Wolltest Du mir Beifall zeigen. Ach, anbeten möcht' ich und soll schweigen!

Wohl sagt man, daß große Liebe, Wenn Erwidrung sie nicht fände,

Leicht zur Narrheit werden könnte: Meiner Weisheitsliebe drum entsage ich,

Denn ich liebe bis zur Narrheit Dich!

Quand je Vous vois, c'est jonr de fete; Les jours, oü je ne Vous vois pas, Sont pour moi un peu meins que tr6pas. Les doux tourmens, que je r6p6te! Que feras-tu, ma pauvre Ute?

Festtag ist es für mich immer,

Ah, ma divine aimable belle, Le crime n'est point dans mon coeur; Tont comme Vous je l'aurai en horreur: Mais soy6s un peu meins cruelte, Je n'en serai jamais rebelle.

Göttin, glaube nicht, daß Frevel,

Un seul regard de Vous domine, Un seul regard, il n'en saut plus, Et la vertu en aura le dessus Avec son harmonie divine; Vous offenser c'est ma ruine. PermettSs, que je Vous proteste De mes plus tendres sentimens, Et pour jamais, les plus sacr6s sonnens: Je me retire, ma c61este; Mais c'est mon ame, que Vous roste!"

Kann ich Dich, Geliebte, sehen.

Weilst Du fern, möcht' ich vergehen,

Und der Sehnsucht süße Schmerzen Fühl' ich tausendfach im Herzen.

Bor dem ich gleich Dir erschrecke, Je mein reines Herz beflecke.

Nicht so grausam sei zu glauben. Daß ich Dir will Deinen Frieden rauben.

Nur ein Blick von Dir! Er bannte Mich zurücke in die Schranken

Heiliger Sitte, und ohn' Schwanken

Solltest Du die Tugend siegen sehn: Dich beleidigen hieße untergehn.

Gönne meiner zärtlichsten Empfindung, Die ich Dir entgegentrage. Daß ich Dir mit heiligem Eidschwur sage:

Himmlische, was auch von hier mich triebe. Meine Seele ist es, die Dir bliebe! 38»

696

Brief an Johanna Devrient.

Wie aus diesen Gedichten, so geht auch aus dem folgenden Briefe an Johanna hervor, daß Seumes ganzes Wesen von dieser zärtlichen

Neigung beherrscht wurde, gegen die er nicht mehr ernstlich anzukämpfen

vermochte.

In dieser Empfindsamkeit erweist er sich eben als ein echter

Sohn seiner Zeit, wie weit er ihr in vielen andern Stücken auch vorauseilte. Bei Übersendung der zweiten Ausgabe seiner Gedichte

schreibt er:

(Leipzig, März 1808.) „Ich hatte das Buch in der Rocktasche, und ich weiß nicht, welcher leise Takt mich abhielt, es Ihnen zu geben.

Was kann das nun helfen?

besser das Buch als die Rose gegeben. In

Vielleicht hätte ich Ihnen

meiner Stimmung ist man leider bestimmt,

Verstöße zu machen.

Gebe der Himmel, daß diese nur nicht größer werden.

Bei dieser Gelegenheit habe ich so ziemlich meine Verse selbst

wieder durchgelesen und ohne Dichtereitelkeit gefunden, daß doch un­

gefähr ein Dutzend guter Gedanken darin steht.

Aber zugleich las ich

auch mein Urtheil von mir selbst und fühlte die innere Aufforderung zur Vernunft stärker denn je: Mil des Mannes erstem grauem Haare Sinkt vom Weiberauge die Magres)

Sehr selten blicke ich in den Spiegel; jetzt machte mein Blick un­ willkürlich den Richter, denn es wollte

bemerklich werden und wohl mehr. Versen zerreißen Sie.

Fürstinnen,

ihm schon ein halbes Dutzend Beifolgendes Dankzettelchen in

Dergleichen Dinge,

habe ich alle vernichtet.

einige von Fürsten und

Ich gewinne damit bei Ihnen

nichts; übrigens fährt alles schroff und ohne wohlthätige Wirkung von meiner Seele zurück.

Haß ist nie in meine Seele gekommen, nie;



vielleicht wäre

es gut, die Liebe wäre auch heraus, ob ich es gleich nicht wünschen kann; aber jetzt fange ich fast an, an Ihnen etwas leidenschaftlich zu

hassen, und das ist — Ihr Handschuh.

Vielleicht thue ich Unrecht.

Aber wer thut denn immer nach allen Regeln Recht?

Man wollte mir gestern an einem Orte sagen, Herr G. werde Ihre Schwägerin

heirathen; darauf konnte ich kein Jota antworten.

Das Publikum giebt sich viel Mühe mit ungewissen Dingen. Selbst wurden vor einiger Zeit großer Koketterie angeklagt,

Sie deren

ganzes Glück ein Hof von Anbetern gewesen sei; und ich hatte alle *) Siehe Gedichte, Hemp. Ausg. V. S. 103.

Brief und Gedicht an Johanna Devrient.

697

meine Fassung nöthig, Sie nicht wärmer zu vertheidigen, als es

schicklich war.

Wenn ich so unglücklich wäre, der Beschuldigung bei­

treten zu müssen, wäre

ich geheilt; aber es wäre eine schreckliche

Heilung, die ich mehr als den Tod fürchte.

Ich bin in einer sonder­

baren Stimmung; mich deucht, ohne eben zu verzweifeln würde es mir ein erwünschter Moment sein, auf eine Kartätschenbatterie zu gehen. Wo man Lust und Freude verloren hat, ist das Spiel der Kraft die einzige Unterhaltung für Männer, die ihre Selbständigkeit retten wollen.

Verzeihen Sie, ich bin plauderhafter als ein Mädchen über ihr neues

Kleid. Würden Sie die Güte haben, mir den Don Karlos und meinen Sommer zu schicken? ich will in beiden etwas nachsehen. Die Uhr

ruft mich in die Schule. — Sola —" Ferner wird hier noch ein um dieselbe Zeit entstandenes Gedicht Seumes an Johanna wiedergegeben: „Es ist kein irdischer Genuß,

Bei dem ich Deiner nicht gedächte; Kein Morgen kommt, an dem ich meinen Kuß Im Geist nicht meiner Freundin brächte. Du nimmst mit Deinem Strahlenschein Das Heiligthum in meinem Herzen ein; Und wenn die Welt zusammenschlüge.

So weiß ich, wen ich ganz allein, Allein aus ihren Trümmern trüge. Hat jemand Dich wie ich geliebt. So will ich alle Qualen dulden. Die die Verdammtesten verschulden, Und welche Nemesis mit Flammenblicken giebt. Ich bin gewiß, mein Herz ist rein,

So rein, als nur ein Menschenherz kann sein,

Von jedem niedrigern Beginnen;

Und könnt' ich Gold und Edelstein,

Zu Bergen aufgehäuft, gewinnen: Das Herz will nur das Herz allein. Ein andrer mag sein Gold in Säcken wiegen, —

Ich könnt' eS auch, hätt' ich's gewollt, — Mir ist eS Trost, wenn eS vorüber rollt. An Dich mich traulich anzuschmiegen. Das wäre mehr als himmlisches Vergnügen;

Das wäre — ach, ich träume wieder schier:

Geliebte, schöne, gute Seele,

698

Gedicht an Johanna Devrient. — Ausflug nach Dresden.

Vergieb, vergieb eS freundlich mir, WaS ich, halb Angst, halb Freude, Dir AuS vollem Herzen vorerzähle. Ich will eS, bräche gleich im Schmerz

Das schwergepreßte, volle Herz,

Ich will eS zum Gehorsam beugen

Und mit dem Auge himmelwärts. Wenn Du befiehlst, auf ewig schweigen:

Doch wird sich die Empfindung nie AuS ihrer bessern Sympathie

In eine andre Richtung neigen."

In der ersten Hälfte des Jahres 1808, wahrscheinlich während der Osterferien, wandelte Seume nach Dresden, um seine dortigen Freunde

wieder einmal zu besuchen. Als er bei dieser Gelegenheit auch den Hof­ rat Daßdorf auf der königlichen Bibliothek sprechen wollte, erging es ihm

ähnlich wie in Kopenhagen vor dem Hotel Royal: er wurde von den dienstthuenden Unterbeamten, die ihn nicht kannten, zuerst nicht für voll angesehen. Die „Abendzeitung" von 1826 bringt in ihrer Beilage „Einheimisches" Nr. 22, S. 88 eine ausführliche Erzählung dieser kleinen Episode, der wir folgendes entnehmen: In die Amtsstube der Bibliothek tritt ein Mann in einem blauen, ziemlich veralteten Oberrocke, die Stiefel bestaubt, das Haar ungepudert wirr um den Kopf hängend, der Bart kohlschwarz und überreif. Der Mann schaut in einem fort nach dem Fensterplätze des abwesenden Bibliothekars Daßdorf und lehnt sich an den Ofen, hinter dem zwei Aufwärter — echte animali parlanti — sitzen, von denen einer die Frage an den Fremden richtet: „Was will Er denn hier, lieber Mann?" „Nichts," lautet die Anwort. „Nun so vertret' Er de» Leuten hier den Weg nicht." Keine Antwort. „Hört Er's?" „Ja." „Zu wem will Er denn eigentlich?" „Zum Hofrat Daßdorf." „Wenn Er beim Hofrat Daßdorf was zu suchen hat, muß Er zu ihm ins Haus gehen. Hier spricht er nur Gelehrte." „Nun, so werd' ich ihn wohl auch sprechen können." — Indessen tritt der Bibliothekssekretär Koch herein, der den Unbekannten barsch anfährt: „Was wollen Sie?" „Mit dem Hofrat Daßdorf sprechen." „Das wird sobald nicht angehen, denn dieser unter­

hält sich eben mit dem französischen Gesandten Herrn von Boürgoing, und das dauert manchmal lange." — „Wenn Sie meinen, daß der Hofrat noch lange wegbleibt, so bitte ich indes um eine gute Ausgabe von

AristophaneS." Koch stutzt. „Haben Sie vielleicht die Ausgabe von Küster bei der Hand?" Koch wird freundlich und will das Buch holen.

Ausflug nach Dresden. — Erkrankung. — Christ. Aug. Haußner.

599

„Sollte die Küster'sche Ausgabe nicht da sein, so bitte ich um die von Bergler oder Brunck. Die Beckische ist leider noch nicht vollendet." Koch wird höflich und will den Fremden eben bitten, mitzugehen und sich selbst eine Ausgabe zu wählen, als Hofrat Daßdorf mit dem französischen Gesandten ins Zimmer tritt , und — dm fremden Struppkopf mit den Worten umarmt: „Mein teurer Seume! Wie freue ich mich Sie zu sehen! Euer Excellenz erlauben, daß ich Ihnen einen unserer besten

Dichter vorstelle." Damit führt er Seume dem Gesandten zu, der ihn freundlich bei der Hand nimmt. Koch staunt und die Aufwärter sind

versteinert. —

Dieser Ausflug nach Dresden sollte indes der letzte sein, den Seume als rüstiger Fußwandler unternahm. Die Bahn seines Lebens neigt sich von nun an rasch ihrem Ende zu. Wenn Seume noch vor kurzem im

Gefühl seiner Kraft die Möglichkeit erwog, wieder Kriegsdienste zu nehmen, um vielleicht im Kampfe für die Befreiung des Vaterlandes einen ruhmvollen Tod zu finden, so sollte er durch sein unerbittliches Schicksal auch dieses letzten Trostes beraubt werden: eine heimtückische Krankheit befiel ihn und quälte ihn langsam zu Tode. Einem heftigen Gichtanfall, der ihn von Ende Juni an während mehrerer Wochen ans Zimmer fesselte, folgten im August die ersten An­ zeichen eines qualvollen Nieren- und Blasenleidens, da« ihm fast allen Schlaf raubte und seine Körperkräfte sichtlich verzehrte. Der berühmte Wandrer war von Stund an ein gebrochner Mann. Zwar trat von Zeit zu Zeit eine Milderung der Schmerzen ein, die auf Genesung hoffen ließ, aber die Anfälle wiederholten sich und erschöpften immer auf« neue die nur mühsam wieder gesammelten Kräfte. Es konnte in der That für Seume kein härteres Los geben als bei seiner Natur und in seiner Lage da« jahrelange Siechtum, dem er anheim fiel. Seine Freunde sorgten redlich für ihn. Zunächst bewog ihn der Kaufmann Haußner *), ein ehemaliger Schüler Seumes, die Wohnung in

der Thomasschule aufzugeben und zu ihm zu ziehen, damit er den Kranken, der einer sorgfältigen Pflege bedurfte, immer unter seiner Obhut hatte. Göschen sagt von ihm, daß kein Sohn für den Vater, kein Bruder für den Bruder hätte mehr thun können, als dieser Mann mit Zartgefühl und

Aufopferung, ja mit einer Art von Eifersucht gegen die Freundschafts­ bezeigungen andrer für Seume während dessen Krankheit gethan habe. *) Christian August Haußner, geb. 26. Oktober 1782 in Dresden, war Mit­ inhaber der Rauchwarenhandlung Johann Christoph Schumanns Witwe in Leipzig und wohnte auf dem Brühl im „weißen Roß", wo sich jetzt die „gute Quelle" befindet.

Göschen an Völliger. — Brief an Johanna Tevrient.

600

Ebenso ließen es Göschen, Schnorr, Rochlitz nnd viele andre an auf­

opfernder Teilnahme für den Kranken nicht fehlen.

Mit rastlosem Eifer

bemühte sich auch SeumeS Arzt, der treffliche Doktor Braune *), um ihn.

Er that alles, was feine Kunst vermochte, um die Schmerzen des Leiden­

den zu stillen und dessen sinkende Kräfte zu heben. Gegen Ende September 1808 berichtet Göschen über Seumes Krank­ heit an Böttiger wie folgt: „ . . . Unser guter Seume ist seit vier Wochen und länger krank

an einer Krankheit der Blase, die fast unheilbar ist.

Sein vernünftiger

Arzt und Freund thut Alles, fürchtet aber viel." — Erst im November trat einige Besserung ein, die es Seume ermöglichte, sich täglich wieder auf einige Stunden mit Lesen und Schreiben zu be­

Göschen berichtet darüber an Böttiger:

schäftigen.

„ . . . Seume leidet seit einigen Tagen weniger.

hofft.

Sein Arzt

Unglücklicher Weise ist Seume zu herrisch in seiner Diät und

macht mancherlei dummes Zeug."

Seume mag allerdings nicht immer ein geduldiger Patient gewesen sein.

Von Jugend auf an ein freies Umherschweifen in der Natur ge­

wöhnt, die seine beste Freundin und Lehrmeisterin war, mußten ihm die vier Wände

seiner Krankenstube bald

zur erdrückenden Enge werden.

Diese Gefangenschaft wirkte niederschlagender auf sein Gemüt, als alle

körperlichen Schmerzen, die er zu ertragen hatte.

Da war er denn manch­

mal recht mißmutig und eigensinnig und machte nicht selten Verstöße

gegen die ärztlichen Verordnungen, wofür er dann schwer büßen mußte.

Folgende Briefe an Johanna Devrient, die aus jener Zeit herrühren, schrieb er wahrscheinlich auch wider die Ordonnanz, wie er zu sagen

pflegte.

Er sagt in dem einen von ihnen u. a. folgendes:

„Ich wußte schon durch Herrn Devrient, daß Sie leider nicht wohl sind; und Sie können leicht urtheilen, daß diese Nachricht nichts zu meiner Besserung beitrug.

So sehr mir sonst das übelgemessene,

unfeine Mitleid unfeiner Leute zuwider ist, so wohlthätig und erfteulich ist mir Ihre Theilnahme, weil sie die besser geläuterte Humanität

zur Quelle hat.

Ihre lieben Zeilen sind mir eine wahre Erquickung

gewesen, noch weit mehr als Ihre Speise, so

köstlich diese auch für

•) Christian Gottfried Carl Braune, geb. 30. Juli 1765 in Nebra, hatte in Leipzig studiert, 1798 promoviert und sich daselbst als Arzt niedergelassen. Er ver­

heiratete sich mit Sophie Henriette Zürn aus Leipzig.

Brief an Johanna Devrient.

mich war.

601

Nicht als ob ich an dem Inhalt dessen, was sie ausdrücken,

gezweifelt hätte:

aber was uns sehr angenehm ist, hören wir gern

sehr oft wiederholen, zumal wenn es so schön und rein und wirklich

rührend gesagt wird. Wehmuth ist fast bei allen Frauen die Begleiterin der Krankheit; das ist der Charakter der Weiblichkeit; in dem härteren männlichen

Geiste geht dieses meistens in Murrsinn und Trotz über.

Beides ist

eigene Schwäche, die wir, jedes nach seiner Natur, zu ordnen und zu

heben suchen müssen, damit das Weib heitere Ruhe, und der Mann selbständige, feste Kraft gewinne.

Suchen Sie also den süßlich weich­

lichen Gefühlen der Wehmuth und Schwermuth zu entkommen.

Die­

selben sind nur zu mächtig, wenn sie sich eines Herzens, vorzüglich

eines schönen weiblichen, bemeistert haben.

Sie haben Recht, Ruhe

des Körpers und des Geistes wird Ihre beste Arznei sein.

schöne Bande haben Sie nicht an das Leben.

Wieviel

Alle können und müssen

Ihr Herz und Ihren Kopf auf eine wichtige und angenehme Weise in Anspruch nehmen.

Doch warum beschäftige ich mich. Ihnen Dinge so

schulmeisterlich vorzuphilosophieren, die Ihre Seele im Augenblicke be­ greift und

befolgt?

Die Umwölktheit Ihres Geistes

ist die Folge

Ihrer Unpäßlichkeit und entflieht mit dem zurückkehrenden Sonnen­ schein der Gesundheit.

Ich empfehle Ihnen auf meine und Ihre Seele,

sobald es Ihre Kräfte wieder gestatten, und Sie die Erlaubniß des

Arztes

haben, gehörig

zweckmäßig warm gekleidet keinen Tag die

pflichtmäßige Gesundheitübewegung zu vernachlässigen, wenn das Wetter nur einigermaßen freundlich ist.

Sie haben doch wohl auch nicht die

stärkste Konstitution und müssen sich schonen, und die gehörigen Maß­ regeln der Diätetik im weitesten Sinne an Leib und an der Seele zu Hülfe nehmen.

Bon beiden Gerichten durfte ich essen; und da mein Appetit nicht krank ist, bin ich sogleich mit dem Rebhuhn kosakenmäßig umgegangen.

Das Obst

soll mich noch

weiter erfrischen; und ich hoffe die wohl­

thätige, gute, liebe Hand doppelt herzlich zu küssen, die es bereitet hat;

ob dieses gleich vielleicht kaum möglich sein dürfte. — Küssen Sie Ihre Kleinen auch in meinem Namen; so rauh ich auch aussehen mag, sind mir doch immer die Kinder in einem Hause

eine sehr angenehme Parthie, und ich verdanke diesen kleinen werden­

den Menschenwesen manche schöne,

liebliche Minute Erholung.

Mich

deucht, ich hätte Ihnen noch tausend Dinge zu sagen, mich deucht aber auch, als

ob sie ein Rieß Papier nicht fassen würde.

Suchen Sie

daher das Beste in Ihrer Seele zusammen, und gönnen Sie mir den

Briefe an Johanna Devrient.

603

Stolz, zu glauben, daß. es das sein würde, was aus der meinigen für

Sie hervorgehen sollte.

Meinen besten Dank und meine besten Wünsche.

Sorgen Sie ja für Ihre Gesundheit, mehr als ich für die meinige,

denn Sie haben mehr Ursache; ob ich gleich die meinige nicht ver-

nachläsfige.

Meinen Gruß.

Sie zu sehen.

Es wird

mir

ein Genesungsfest sein,

Ich küsse dankbar Ihre Hand."

Der andre Brief lautet:

„Wenn ich könnte, würde ich mich und meine Siebensachen freilich lieber selbst zu Ihnen tragen: aber das geht nun nicht, und so heißt

es also, Geduld ist auch vonnöthen. Es will mir gar nicht zu Kopfe und Sinne, daß auch Sie krank sein sollen.

Das ist nun weit ärgerlicher, als daß mein eigener alter,

abgetragener Leichnam etwas baufällig wird.

Soll ich nun wünschen,

bald gesund zu werden, um Sie zu sehen? oder vielmehr, daß Sie es

weit eher werden, um mich armen Schelm zu besuchen?

Das eine

und das andere ist egoistisch; das zweite aber doch menschlicher und

freundlicher.

Also werden und bleiben nur Sie gesund;

ich werde

fchon sehen mich gelegenheitlich wieder nachzuziehen, und geht es nicht, nun so ist so sehr viel nicht daran gelegen.

Hier schicke ich Ihnen etwas Obst.

Das ist wohl sonderbar, als

ob Sie es vielleicht nicht selbst besser hätten.

Aber Sie wissen, jeder­

mann thut doch gern etwas groß, zumal wenn er so kleinlaut zugebeu muß, wie ich jetzt.

Ein Dichter, Seher und Prophet, wie Ihr Freund ist,

bekommt dann und wann einige Opfer des Landes; und nun ist doch das Angenehmste

von der Sache die Mittheilung, und das Aller­

ungenehmste, wenn ich eben Ihnen von den Geschenken auch ein Gefchenk machen kann und machen darf.

Geist und Herz wollen mich

überreden, es werde Ihnen trotz der Geringfügigkeit nicht so ganz unwillkommen sein, weil es eben von mir kommt.

Vielleicht können,

wollen und dürfen die kleinen Menschenkinder dann und wann einen Apfel essen; und er wird ihnen nicht schlimmer schmecken, wenn sie hören, daß er von mir kommt.

Auf alle Fälle nichts für ungut!

Sie kennen nun einmal meine alte, gutmüthige, freilich etwas alt­ väterische Seele.

Am Ende habe ich auch vielleicht die Botschaft nur

deswegen veranstaltet, um Ihnen zu sagen,

wie herzlich und fast

ängstlich ich Theil nehme an Ihrer Unpäßlichkeit, und um Ihnen

meinen allgemeinen guten Rath und meine freundliche Bitte mitzusenden, Sich auf alle Weise an Leib und Seele ja sorgfältig zu schonen.

FemowS Tod. — Brief an Böttiger.

damit Sie weiter nicht zu Schaden kommen. gegen Sich und uns.

603

Das ist Ihre Pflicht

Ich küsse Ihnen mit meinen besten Wünschen die Hand; vielleicht hilft das, ob ich gleich nicht einsehe wie. Aber der Glaube soll ja Wunder thun können.

Unveränderlich S."

Inmitten dieser Leidenszeit erhielt Seume die Nachricht, daß Fernow

gestorben sei;

er war int fünfundvierzigsten Lebensjahre am vierten

Dezember 1808 in Weimar seinem Lungenleiden erlegen.

Seume be­

trauerte in ihm einen Freund, dessen reinstes Zutrauen er immer Besessen hatte, wie Fernow dies in seinen Schriften auch öffentlich bekundet.') Von Böttiger aufgefordert, Fernow einen dichterischen Nachruf im „Neuen Teutschen Merkur" zu widmen, antwortet Seume:

(Leipzig, Dezember 1808.) „Irgend ein Kakodämon hat mir eine ganze Cohorte von Unheil in den Unterleib gejagt, und Sie sehen es wahrscheinlich gleich dem Brieflein und den Verslein an, daß es so ist. Das soll ich nun mit Ricinusöl und Kalkwasser und Bärentraube und einer erschrecklichen Diät wieder herauskasteien. Ich darf wenig lesen und noch weniger schreiben, denn alles fährt mir sogleich zu dem Teufel im Zwerchfell,

und ich habe unbarmherzig die Athener bei Syrakus in den Stein­ brüchen liegen lassen müssen. Denken Sie Sich die Tantalisierung, daß ich, eben ich, eben hier den Thucidides aus der Hand legen muß! Da sitze ich nun und starre halbdumm ins Weiße hinaus, verfchupfe die Tage und verbringe schlaflos die Nächte, voll Grämlichkeit und Aerger, wenn ich nicht zuweilen über meine und Anderer hetero­ gene Jämmerlichkeit lache. Aber auch Lachen und Sprechen schadet meinen konfiscierten Eingeweiden. Es thut mir leid, sehr leid, daß meine Kräfte mir nicht erlauben, etwas würdiger über unsern Fernow zu schreiben. Er war ein wackerer Mann, und seines Gleichen hat Israel nicht viele, — molliter ossa cubent. Lassen Sie Sich von Hartknoch meinen MiltiadeS geben, ich habe kein Exemplar hier, und sehen Sie, wie ich Leichtschütz die Triarier •) Siehe „Römische Studien" von Carl Ludwig Fernow, 3 Tle. Zürich 1806 bis 1808, von denen er das siebente Stück: „Über den ästhetischen Eindmck der PeterSkirche" Seume zueignete.

Nachruf an Fernem

604

des Heldengeschlechts behandelt habe.

Ex post facto habe ich die Ent­

deckung gemacht, daß der Ankläger (des MiltiadeS) Xanthippus wirklich

Alkmäonide und Vater des Perikles war. aufzuhören.

Das Zwerchfell mahnt mich

Dank und Kuß und Gruß!

©turne." In dem beigefügten lateinischen Gedichte sagt Seume, daß eine große Menge von Übeln in ihn gefahren sei, wie solche zu erdulden das

Menschenlos oft mit sich bringe.

ES gezieme sich, diese zu ertragen, um

nicht dem edleren Freunde Fernow nachzustehen, der die Fesseln sprengend,

nckn froh zu den Sternen emporsteigt.

Mit Freundlichkeit hätte er die

Freunde am Kapitol ausgenommen, sei ihnen Führer und Gefährte durch die Stadt

gewesen:

guten Sitten.

allen ein schönes Vorbild in Gelehrsamkeit und

Er müsse seines Charakters wegen immer geliebt werden.

Göttlichen Geistes weile er fern bei den Himmlischen, er, der nicht zu

betrauern, dem aber stets nachzuahmen sei. sokratische Weisheit Fernow gelehrt:

Denn nicht vergebens hätte

„Ertrage und harre aus!" wie sie

es auch ihm vorschreibe. Das Gedicht lautet wörtlich:

„Boettigero suo, In roe congeries cecidit aatia alta malorum; Sors huinana tulit talia saepe pati. Ferre decet nunc, nec meliori cedere amico, Viucula qui rumpena, laetns ad astra volat. Comitas ad capitolia magna excepit amicoa; Omne per urbis iter duxque comeaque fuit: Pulcrum exemplum erat noater Fernoviua omni Doctrina ad Tiberim, moribus atque bonia. Semper amandua erat, nil abfuit esse aeverum; Nil vnltu auatero, nil gravitate nocet. Ad auperoa abiit divinae mentia porro hic; Lugendua non eat, ast imitandua erit. Socratia band docuit, credaa, aapientia fruatra: . Perser et obdura! praecipit illa mihi. Vale ac amare perge Seumium Tai amantiaaimuin.“ Böttiger

veröffentlichte

das

Gedicht

nicht.

Er

schrieb FernowS

Nekrolog selbst, worin er auch Seume erwähnt?) Bevor Böttiger die Antwort Seumes erhielt, richtete Schnorr folgen­

den Brief an ihn: *) Siehe „Neuer Teutscher Merkur« 1808, 2. Bd. S. 273 ff.

Schnorr an Völliger.

605

„Leipzig, d. 18. Dec. 1808.

Sehr verehrter Freund!

Ich war soeben bei unserm Seume, als er Ihren herzlichen Brief nebst Einschlag

erhielt.

bedauert nichts

mehr

Er

las

alles mit redlicher Theilnahme und

als seine Ohnmacht, die ihm durchaus nicht

gestattet, Ihrem gerechten Wunsche und seiner innigen Bereitwilligkeit

Genüge zu

leisten.

Versprechen

kann er also nichts, und ich setze

hinzu, daß ich sehr zweifle, daß er es auch für die Zukunft wird im

Stande sein, denn Freund Seume ist sehr schwach!

Soll ich Ihnen,

theuerster Herr Hofrath, unter uns bekennen? — ich habe keine Hoff­ nung !

Es wird nicht bester und wird nicht bester!

täglich bei ihm.

Ich bin jetzt fast

Seit ich aus der Schweiz zurückgekehrt bin, habe ich

täglich nichts als Kranke besucht, denn es lagen fünf von meinen Freunden.

Das ist freilich eine traurige Pflicht, und es gehört eine

sehr glückliche Stimmung dazu, um nicht selbst hypochondrisch zu werden. Ich danke Gott für meine Heiterkeit, die ich bis jetzt auch selbst bei

so manchen ungünstigen Verhältnissen genoß.

Aber es kostet mir doch

schon manche Anstrengung, fröhlich und vergnügt zu sein.

Doch will

bin ich immer zufrieden, dieses Zeugniß muß

ich nicht klagen; auch mir ein jeder geben.

Ich wünschte nichts mehr als Zeit genug zu haben, um Ihnen

ein Konterfei von Seumes pittoresker Persönlichkeit machen zu können. Denken Sie Sich, werthester Freund, Seume sitzend, mit dem Rücken

gegen seinen Garderobeschrank, in einem großen, schwarzen Armstuhl,

auf dessen Lehne ein reiches, adeliges, goldenes Wappen sich befindet.

Er selbst mit einem dicken, schwarzen Bart, comme il saut, um Mund und Kinn und Wangen, grob

wie

schwarzem

Scherasmins

angethan mit einem Pelze ohne Ueberzug, Wildkatzenfellmantel,

zusammengeflickt,

Der Pelz ist von seinem

Aufschlag.

Wirthe

aus

mit

dem

Waarenlager und mag wohl viel über hundert Thaler werth sein. Vor ihm steht ein

Tisch,

auf welchem seine Uhr, ein

Topf mit

dem Sophokles bedeckt, daß keine Mücke hineinfalle, ein silberner Löffel

und eine silberne Klingel sich befinden.

Ihm zur Seite rechts steht,

anstoßend an den Kleiderschrank, das Repositorium mit seinen Griechen, und vor ihm das Bette mit eisernem Gestell.

Das Thermometer am

Ofen und die Arzneiflasche auf dem Bücherbrett unter den Griechen,

nicht weit vom Aristophanes, — es fehlt nichts als noch ein Rettig, —

so, theuerster Herr Hofrath, umgeben, macht Seume ein wirklich inter­ essantes Bild.

Que faire — que rire aux etc., und das muß man

auch wirklich mit ihm,

denn Mitleiden und Bedauern wäre bei ihm

606

Schnorr und Göschen an Böttiger. — Neue Veröffentlichungen.

schlecht angebracht, also frisch darauf los eine Schnurre und dann wieder

eine Schnurre!

Und so gedenken Sie auch, theuerster Freund, im

Fall Sie ihm wieder einmal schreiben sollten, seiner traurigen Lage nicht mehr, als Sie in Ihrem letzten Briefe thaten, das ist hinlänglich.

Sie können ihm sagen, daß ich Ihnen seine Personalität genau ge­ schildert pp.

Noch Eins muß ich billig gedenken, nämlich,

daß sich

sein Wirth, Herr Haußner, außerordentlich brav und fein benimmt,

sowie alle seine Freunde herzlich und thätig sich beweisen. Wie Sie sehen, Theuerster, erhalten Sie diesen Brief zufolge

eines Auftrages von unserm Seume, und ich entledige mich dieser

Pflicht mit desto größerer Bereitwilligkeit und desto innigerem Ver­ gnügen, je wärmer meine Hochachtung und Liebe ist, mit der ich mich stets zu unterzeichnen die Ehre habe als

Ihr redlicher Freund Veit Hans Schnorr v. K." Über Seumes Befinden berichtet Göschen ferner an Böttiger:

„Leipzig, d. 20. Dezember 1808.

„ . . . Seume befindet sich erträglich,

aber bis er nach Eger

kann, wird die Krankheit nicht gehoben."

Nachschrift einige Tage später:

„Seume wird bald bester, bald schlimmer. ist mir gar

nicht

lieb.

Seit

einigen

Tagen

Diese Abwechselung ist er wieder sehr

schwach." —

(Leipzig, Sylvester 1808.)

„ . . . Seume ist seit einigen Tagen wieder

recht

lebendig;

aber, so sehr wir alle hoffen, vor dem Sommer ist keine Genesung. Die Krankheit nennt man Blasenschwindsucht.

So schrecklich der Name

ist, so soll sie doch nicht unter die gehören, wobei man an der Kur verzweifeln muß." —

Neue Veröffentlichungen Seumes finden sich im „Morgenblatt für

gebildete Stände" von 1808 und zwar in Nr. 45, S. 178 „Sprach­ bemerkungen",

in Nr. 46, S. 184 eine Anekdote

über Napoleon, in

Nr. 49, S. 195 der längere Aufsatz „Noch etwas über Michelson" und in Nr. 295, S. 1177 die Besprechung einer Predigt des Superinten-

Besprechung einer Predigt Marezolls.

607

beuten Marezoll in Jena über Römer 14,9, welche dieser am Reforma­

tionstage 1808 gehalten und danach in Druck gegeben hatte.

Diese vier

Aufsätze find nicht wiedergedruckt. In betreff der Marezollschen Predigt: „Daß die Wiedervereinigung

der protestantischen und römischen Kirche nicht nur keinen Gewinn ver­

spricht, sondern wesentlichen Nachteil droht", führt Seume aus:

„Der Verfaffer ist als ein guter, Heller Denker und als einer der besten protestantischen Kanzelredner längst

bekannt. 'Der Titel

zeigt sogleich, daß er nicht für den Plan der Wiedervereinigung beider

Kirchen ist.

Recensent gesteht, daß er die Rede nicht mit dem besten

Vorurtheile in die Hand nahm, da er allerdings das

große Kirchen­

schisma für ein Unglück hielt und wünschte, daß es ans irgend eilte

gute Weise wieder geheilt werden könnte.

Aber der Verfaffer hat

ihn durch seine triftigen Gründe, wenigstens für den Moment, ganz zu seiner Meinung übergezogen; ein Beweis, daß die Rede wenigstens als Rede große Verdienste haben muß und ihres Urhebers würdig ist.

Alle Gründe des Verfassers aufzuzählen, würde hier zu weitläufig sein:

jeder, dem die Sache nicht unwichtig ist — und wem sollte sie es sein? — mag ihm selbst in seiner einfachen,, deutlichen und doch sehr eindring­ lichen Darstellung folgen.

Er zeigt, daß im Wesentlichen, im wahren

Geiste der Religion, die Kirchen nicht verschieden sind, sondern nur

auf verschiedenen Wegen zu ihrem Zwecke gehen, wenigstens im bessern

Sinne gehen sollen; daß die katholische Kirche sich damit mehr an die schönere Sinnlichkeit wendet, um das Herz zu rühren und zu bessern;

und daß die protestantische mehr das Licht des Verstandes anzündet, tun zur Pflicht zu erwärmen und zur Andacht zu erheben.

Dieses

setzt er psychologisch so deutlich gemüthlich auseinander, — man er­ laube mir immer diesen Ausdruck, — daß die gemeinste Aufmerksam­

keit ihm folgen und ihn fassen kann.

Sodann berührt er die Schwierig­

keit der Ausführung und den Verlust, den jede Kirche nicht allein zu leiden glauben, sondern wirklich leiden würde: denn Adiaphora der Vernunft sind es nicht mehr, wenn die Gewohnheit sie in der Seele des Volke» zu etwas weit höherm gestempelt hat.

Uebrigens ist der Verfasser nicht

dagegen, wenn einst allgemeinere Kultur und Geist und Bedürfniß der

Zeit den

allgemeinen Wunsch darnach herbeiführen,

und vorzüglich

die Zufriedenheit derer nicht gestört wird, für welche vornehmlich die Sache ist, wenn das Volk beruhigt bleibt.

Unterdessen sieht er die

Verschiedenheit des Kultus als ein Mittel an, wodurch Humanität, Bruderliebe und vorzüglich gegenseitig ewig nothwendige Duldung eben

608

Neue Veröffentlichungen. — Brief an Elise Campe.

sowohl und besser gefördert werden können, als durch strenge, erzwungene Einförmigkeit. Ich müßte mich sehr irren, wenn nicht alle Parteien, ausgenommen die blindeifernden Hierarchen aller Art, mit dieser liberalen,

wahrhaft christlichen Ansicht zufrieden sein sollten. Seume." Diese Besprechung zeigt deutlich, wie lebhaft Seume trotz seiner

qimloollen Leiden sich mit den Tageserscheinungen beschäftigte.

Ferner

erschienen von ihm im „Morgenblatt für gebildete Stände" von 1808 zwei Gedichte: „Der Vortheil" in Nr. 220, S. 877 (Hemp. Ausg. V.

S. 162 f.) und „Aufmunterung" in Nr. 262, S. 1045 f. (Hemp. Ausg. V. S. 163 f.) sowie im „Taschenbuch der Liebe und Freundschaft" 1808, S. 195 ff. das Idyll „Der Ochsenhirt, angeblich von dem Syrakuser Theokrit." (Hemp. Ausg. X. S. 217 f.)

Seume verfaßte dieses letztere Stück auf Wunsch seiner Freundin und Schülerin, der Schriftstellerin Uthe-Spazicr **), als seinen Beitrag zu dem Taschenbuche. Aus folgendem Briefe an Elise Campe4) in Hamburg geht hervor, daß Seume sich Anfang 1809 wieder wohler fühlte und selbst voller Hoffnung auf Genesung war. Mit liebenswürdigem Humor schreibt er an die geistreiche Fran:

(Leipzig, d. 2. Januar 1809.) „Meine liebe Freundin Elise, Sie denken wohl, daß ich schon längst mit den Göttern der Unter­ welt Arakus, RhadamanthuS und Minos mürrischen Angesichts die Todten richten helfe, und erhalten hier ein Briefchen von mir aus Ober­ sachsen. Es geht meinem Zwerchfell zwar noch schuftig genug, und ich gewinne oft ein gewaltig grämlich gelehrtes Antlitz; doch fange ich mit meinem guten Genius nach und nach wieder an, wieder flott zu werden. *) Johanna Karoline Wilhelmine Uthe-Spazier geborene Mayer war 1779 in

Berlin geboren. Sie verheiratete sich als Witwe Carl Spaziers mit dem Orgelbauer Uthe, lebte später in Dresden und starb daselbst am 11. März 1825. Das „Taschen­ buch der Liebe und Freundschaft", Frankfurt am Main bei Friedrich Wilmans, wurde

von ihr von 1801—1813 geleitet. *) Elise Campe war am 12. Juni 1786 als die Tochter deS Buchhändlers Hoff­ mann in Hamburg geboren und seit 1806 mit dem Buchhändler Campe in Hamburg

svergl. S. 522) verheiratet.

Mit seltenen Geistesgaben ausgestattet, war sie später

auch schriftstellerisch thätig, erblindete indes 1860 gänzlich und starb am 27. Febr. 1873

in Hamburg.

Brief an Elise Campe.

609

und Sie sind gar nicht sicher, daß ich nicht einmal mit meiner alten,

barocken Personalität zu Ihren Thoren einpilgere, wenn ich mir nur

erst wieder

einen neuen Tornister angeschafft

habe,

denn der

alte

Syrakusaner ist mit einem abenteuernden Kriegsknecht den letzten Feld­ zug den Weg alles Fleisches gegangen.

Wie treiben Sie denn Ihr Wesen dort unten an der Alster? Wenn Sie die Meffe Herkommen, kann ich schon wieder recht stattlich,

wie die Leute sagen, mit Ihnen herumstelzen und Ihnen auch in Hohen­ stadt

wohl

wieder die besten Parthien

selbst

zeigen.

Unterdessen

empfehle ich Ihnen bestens den Ueberbringer dieses, meinen jungen Freund, den Herrn Gustav Geyer von Leipzig, und übergebe Ihnen

denselben hiermit, so vel quasi, Ihrer Aufsicht, damit der lose Merkur keinen losen Gesellen aus ihm mache.

Sie werden mich und seinen

Vater, meinen alten Freund, höchlich verbinden, wenn Sie zuweilen nach Ihrer Gewohnheit ein freundliches, lehrreiches Wörtchen an ihn

richten.

Die schweizerischen Franzosen haben ihn zwar etwas luftig

und lustig gemacht, aber doch seine gute Natur nicht verdorben.

Doch

sollen Sie ihm deßwegen nicht gleich eben so gut werden als mir, denn ich bin stark gesonnen, mit Reserve des Katechismus, das Primat in Ihrem Wohlwollen zu behaupten und jedem anderen ein Paar Beine entzwei zu schlagen,

der mir hierin zuwider ist.

Es ist wohl gut,

daß soviel Ströme und Länder zwischen uns liegen, und ich Sie nicht so oft von Antlitz zu Antlitz sehe, sonst möchte es mir fast ergehen

wie dem Herrn Lorenz Sterne weiland mit seiner Elise Draper. gehts mit Papa Hoffmann und Mama?

Wie

Sagen Sie ihm, wenn er

uns nicht noch einmal mit Ihnen zusammen in einem Familienzuge recht ordentlich besucht, so thue ich ihn in den Bann, daß er trotz aller

Seelenmessen Schwierigkeit genug finden soll, in den Himmel zu kommen,

der Patriarch.

Eben fällt mir ein, daß gestern daö Neue Jahr war, wo der

Austausch guter Wünsche fester zusammen hält.

gute Seelen einander näher

bringt oder

Wenn ich Ihnen nun auch ein Stück von einer

Ode vorpoetastete, so würde die Grundlage doch um keinen Deut besser

werden, als sie ist. So wie das Rad des Schicksals läuft Wird hier zertrümmert, dort beglückt;

Und furchtbar wird zerdrückt, Wer kühn ihm in die Speichen greift.

Erhalten wir uns fest ut Ruh, Ob Jener stand, ob Dieser fiel,

Planer». Reißma nn, Seume.

610

Briefe an Elise Campe und Elisa von der Recke. Und sehen wir dem großen Spiel

Mit aufmerksamer Seele zu. Und wenn es uns auch endlich faßt, So faß' ein ernst entschloßner Blick

Sodann auch das Geschick: Jetzt wird gekämpft, und dann ist Rast.

Da ist nun wieder die Erbsünde des alten Fuhrmanns. — Der Himmel lasse es Ihnen allen recht wohl gehen! Meinen Gruß dem Herrn Gemahl und Ihnen gesunde Augen, damit Sie immer sehen mögen, was sein Herz wünschet. Empfehle also mich und meinen Empfohlenen Ihrer guten Seele und werde sein, der ich bin und war, der alte Freund Senme." Im Januar 1809 kam Elisa von der Recke') in Begleitung TiedgeS nach Leipzig, nm dort den Winter zu verbringen. Sie kannte Senme nicht persönlich, wollte aber, als sie von seiner Erkrankung hörte, ihre Teilnahme an seinem harten Geschick dadurch bekunden, daß sie ihm eines Tags Speisen aus ihrer Küche schickte. Dies gab Veranlassung zu folgen­ dem Briefe SeumeS:

„Gnädige Frau, Ich schreibe Ihnen gegen die Ordonnanz des Arztes; aber ich kann mir nicht helfen, ich schreibe. Sie zeigen so viel Theilnahme an meinem Schicksale, daß ich zehnmal Hurone und Tonguse sein müßte, wenn es nicht meinen lebhaften Dank erweckte. Ich kann nicht zu Ihnen kommen, Herr Tiedge kommt nicht zu mir; und einem Dritten möchte ich es nicht anvertrauen, Ihnen diese Art von Vortrag zu halten.

Ich muß mit triftigen Gründen Sie bitten, mir nichts mehr aus der Küche zu schicken; es kann durchaus nichts Gutes wirken, so gut es auch alles, selbst für meine Gesundheitsumstände, sein mag. Einem Kranken, der nicht unter strengem Hausregimente ist, wie ich nicht bin. *) Elisabeth Charlotte Konstantia von der Recke geborene Gräfin von Medem,

deutsche Schriftstellerin, wurde am 20. Mai 1754 auf dem Gute Schönburg in Kur­ land geboren. Sie vermählte sich 1771 mitt dem kurländischen Freiherm von der Recke, trennte sich aber 1776 von diesem und lebte in Mitau.

Aus einer Reise durch

Deutschland 1784—86 trat sie mit den bedeuttendsten Männern in Verbindung.

Im

Jahre 1796 kam sie abermals nach Deutschland, wohnte vorwiegend in Dresden und Berlin, bereiste 1804—6 Italien, lebte bis 1808 in Altenburg, dann in Leipzig und

Berlin und von 1819 ab beständig in Dresden, wo sie am 13. April 1833 starb.

611

Brief an Elisa von der Recke und deren Antwort.

Entweder hat er seine Diät, oder er

sollte man gar nichts senden.

hat sie nicht.

Im ersten Falle ist eö überflüssig und kann schädlich

werden; im zweiten sorge man, daß er sie bekomme.

Sie werden von

mir wohl glauben, wenn ich auch meinen letzten Deut vergeudet hätte, daß ich in meinem Vaterlande nicht so freundlos bin, daß ich nicht

meine Krankendiät hätte.

Ich habe also allen meinen Freunden dikta­

torisch untersagt, mir etwas aus der Küche zu schicken, so schwer ich auch

ihre Gmmüthigkeit beschränken kann.

Mehr machen?

Was soll ich

mit dem

Die Sünde durch Quantität ist eben so schlimm als

durch Qualität; und eine ist so verführerisch wie die andere.

Sie

laufen also Gefahr, durch Ihre Wohlthaten meine Krankheit um einige Monate zu verlängern oder ein neues Recidiv zu schaffen; und das

wollen Sie doch wohl nicht.

Ein kranker Philosoph, zumal wenn er

etwas Dichter mit ist, wie mir der Teufel in den Kopf setzt, daß das

bei mir der Fall sein könnte, ist hierin um nichts bester als ein kranker Thorschreiber oder Küster.

Sobald ich nur einigermaßen etwas wieder flott bin, wird es

meine erste Richtung sein, Ihnen persönlich für Ihre Güte zu danken. Verzeihen Sie dem krankhaften Geschwätze; auch das verdammte Zwerch­

fell mahnt mich aufzuhören.

Meinen herzlichen Gruß

an Tiedge.

Mit wahrer, reiner Verehrung Ihrer vortrefflichen Seele verharre ich,

gnädige Frau, als Ihr

(Leipzig, im Januar 1809.)

dankbar ergebener Diener Seume."

Elisa von der Recke antwortete:

„Verehrter Mann! Rur der Kranke weiß den Zustand, die Diät des Kranken, zu be­

urtheilen; dieß machte mich so dreist, meinem Herzen zu folgen und nach meiner Idee für die gesunde Nahrung eines mir theuren Kranken

zu sorgen;

denn ich bin gegen die Küchen der Gesunden mißtrauisch,

weil diese bei dem besten Willen nicht ahnen, was schädlich sein kann. Doch ist mir der Wille des theuren Kranken heilig, den ich, ohne ihn

persönlich zu kennen, als meinen Seelenverwandten betrachte; und ohne Ihren Willen, edler Mann, mißzuverstehen, soll er erfüllt werden.

Mit Sehnsucht sehe ich der Stunde entgegen, wo Sie mir es int

Umgänge abmerken werden, wie hoch ich Sie achte, wenn gleich ich mich

hüte,

meinen Freunden

Freundschastsversicherungen zu geben.

39*

612

Göschen an Völliger. — Brief an Böttiger.

Worte lieben Sie, edler Mann, gewiß eben so wenig als ich, und so

sei auf Zukunft unsere Freundschaft durch Handlungen geknüpft.

Elisa von der Recke." SeumeS Zustand hatte sich im Laufe des Januar stetig gebeffert, so daß es den Anschein hatte, als ob seine zähe Natur im Kampfe gegen das furchtbare Übel siegen würde. Göschen berichtet an Böttiger: „Leipzig, d. 30. Januar 1809.

. . . ©turne hat sich zum Erstaunen erholt.

Ich denke er ent­

geht der Krankheit durch Genesung. Er grüßt Sie herzlich. Nachschrift am 2. Februar 1809. Seume ist gestern zum ersten Male wieder ausgegangen, und ich hatte die Freude, mit ihm zu essen.

Er war sehr vergnügt."

Seume schrieb selbst an Böttiger:

(Leipzig, Ende Januar 1809.) „Man hat Ihnen, wie ich höre, gesagt, daß ich wohl mit dem Blätterfalle hinfallen würde. Die guten Leute haben das geglaubt, und ich habe es gewünscht. Das ist nun aber für dießmal nicht ge­ schehen; denn meine Gesundheit bessert sich seit ungefähr vier Wochen so merklich, daß Hoffnung zu einer leidlichen Genesung eintritt. Mit der Arbeit sieht es freilich noch windig aus, und jedes Stündchen Lesen oder Schreiben oder Sprechen nimmt mich hart mit. Das Schicksal macht es mir nunmehr schwer, meinen Charakter durchzu­ tragen, aber ich werde es, und sollte ich auch meine Zuflucht zu den letzten stoischen Mitteln nehmen. Es kommt mir vor, als ob viele meiner Freunde sich theils merklich, theils sehr leise zurückzögen. Das hat niemand nöthig; ich hoffe nie gezwungen zu werden, jemand im gewöhnlichen Sinne des Worts beschwerlich zu fallen. Die Zeit wirkt wenig auf mich, da ich wenig mit der Zeit lebe. Meine Ideen sind nicht von heute und leider nicht für heute. Wenn jemand sagt, daß sie eben deßwegen nichts taugen, so bin ich so stolz zu glauben, daß dieser Jemand nichts taugt, ausgenommen für heute. Ueberbringer Dieses, ein Herr von Augustowsky und Adoptivsohn der Doktorin Karl, der Ihnen bekannt zu werden wünscht, wird

Ihnen vielleicht einiges mehr von meinem jetzigen Leben und Wesen erzählen. Der Himmel erleuchte die Besseren des Vaterlandes, gebe mir

Gedicht „Kampf gegen Morbona".

613

Kraft zur Ertragung meiner Bürde und lasse es allen meinen Freunden wohlgehen; dann geht es Ihnen auch wohl. Der Ihrige Seume."

Während der stillen Stunden, die Seume auf seinem Krankenlager verbracht hatte, war es ihm eine tröstliche Beschäftigung gewesen, den

Blick rückwärts zu kehren und sein ganzes, reiches Leben im Geiste an sich vorüberziehen zu lassen.

Seine Betrachtungen und Gedanken formten

sich rhythmisch, und ein Gedicht entstand, das er wie folgt betitelte:

„Kampf gegen Morbona.

Bei der Genesung niedergeschrieben. Februar

1809." (Hemp. Ausg. V. S. 169 ff.) Von dessen achtundvierzig Strophen lauten die bemerkenswertesten: „Mnemosyne, Tochter Gottes, schwebe Mit des Trostes Fittichen um mich. Daß ich noch einmal mein Leben lebe;

Keine Zuflucht hab' ich jetzt als dich.

Buch und Griffel muß ich strenge meiden, Und die Rede selbst ist untersagt; Weil die Krankheit in den Eingeweiden

Schneidender den Uebertreter plagt. Dank dem Schicksal, das mich auf und nieder In des Lebens Labyrinthe trug, Magisch faß ich seinen Faden wieder, Und er giebt Betrachtung mir genug.

Fang' ich an, Vergangnes aufzufrischen,

Find' ich wenig nur in meiner Zeit, Was ich wünschen müßte wegzuwischen: Wer gab nicht der Thorheit seinen Deut?

Ehrlich muß ich an dem Pilgerstabe Frei bekennen, kindlich dankbar sein, Alles, was ich Gutes an mir habe, Pflanzten sorgsam mir die Eltern ein. Bunt und irrsam waren meine Stunden;

Durch Gefahren pilgerte mein Fuß; Aber Gutes hab' ich viel gesunden

Bon Columbia bis SyrakuS.

Hohenthal, der Mann der alten Sitte, Nahm sich mild des Waisenknaben an, Lenkte freundlich meine ersten Schritte

Aus des Erdenrunds verschlungner Bahn.

614

Lamps gegen Morbona." Meine Freunde waren Gleim und Weiße,

Waren stets wie gute Väter mir: Trat der Jüngling aus dem rechten Gleise, Schalt mit edlem Zorn der Grenadier. Schiller rüste mir, und Herder fragte,

Wenn ich meinen Zug zur Jlme nahm;

Und der Heraklide Goethe sagte Lehrreich manches Wörtchen, wenn ich kam. Vater Wieland winkte voll Vertrauen,

Wenn er seinen alten Pilger sah, Und die edelste der deutschen Frauen War die Güte selbst, Amalia.

Rückwärts sprach ich traulich an der Saale

Bei dem Patriarchen Griesbach ein; Und die Weisheit würzte bei dem Mahle

Lieblicher die Freude zu dem Wein. Herrlich war es! Fernow, Reinhart waren Meine Leiter um das Kapitol.

Denk' ich noch, wie wir umhergefahren, Wird eS mir auch unter Schmerzen wohl.

Oft noch steh' ich an des Aetna Rande, Staune seine Wolkensäulen an, Die aus seinem Schlund die Fabellande Vor der Weltgeschichte steigen sahn. An der kalten Newa ist der Busen Für den bessern Sinn der Freundschaft warm; Und oft wandeln Grazien und Musen Still dort glücklich, traulich Arm in Arm.

Beck empfing mich froh an seinen Laren, Führte mich bei unserm Klinger ein, Wo sokratisch wir beisammen waren Wie in PerikleS' Plantanenhain.

Lieblich sah ich unter den Suionen Milde Sitte, Schönheit, Kunst und Fleiß Weit verbreitet in den Thälern wohnen,

Wie man's nicht mehr an der Tiber weiß. Lieber Scheel, und wie wir durch die Wogen

Vor der Hauptstadt Daniens hinan Hoch im Tanz der kleinen Barke flogen

Zu den Fremden von dem Ocean.

»Kampf gegen Morbona.'

An des Vaterlandes Strome grüßte Mich ReimaruS PodaliriuS, Und des Alten Jünglingsgeist versüßte

Freundlich väterlich mir den Genuß.

Sollte mir nicht froh sein bei dem Gruße, Den, mit HellaS Genius geschmückt, Landolina von der Arethuse Mir durch Münter von dem Sunde schickt? Rund um mich sind viele gute Seelen, Welche brüderlich und liebevoll

Mehr als ich des Leidens Tage zählen,

Nur besorgt, daß mir nichts mangeln soll. Vielfach galt der Arzt in dem Gedichte, Desto mehr, ist er ein Mann von Herz. Mein Galen1) scherzt trotz dem Amtsgesichte Skoptisch freundlich und verscherzt den Schmerz.

Wenig waren meiner eignen Leiden,

Die ich sinnig wie ein Mann ertrug. Heute noch mag meine Parze schneiden; Da sie gut spann, spann sie auch genug.

Denk' ist ernster zwar, so fährt es bitter. Bitter patriotisch mir zu Sinn,

Daß ich in dem stürmenden Gewitter Nicht des Vaterlandes Hermann bin. Aber meine Zeit will ihre Ketten, Will die Schande, worin sie sich wälzt; Sklavenseelen kann kein Gott erretten, Wo die Selbstsucht dumm zufrieden stelzt.

Wo Gerechtigkeit und Freiheit fehlen Und die Einheit mit der Einigkeit, Mag sich Stumpfsinn bis zur Folter quälen, Unmuth folgt, Verwirrung, Groll und Streit.

Unsre Großen sind zu klein, zu fassen,

WaS Gesetz sei und waS Nation: So gedeihet unter stolzen Bassen Das Verderben, der Verblendung Sohn. Bürgersinn, Gemeingeist sind veraltet.

Ohne die kein Staat noch Kraft gewann; Und des Vorrechts Blutharpyie schaltet, Und nur einzeln steht der freie Mann. l) Doktor Braune.

615

.Kampf gegen Morbona" und dessen anonyme Herausgabe.

616

Doch zurück von der (Sedankenstreife! Gluth verlisch, die in dem Innern stammt,

Daß das Heilige mich nicht ergreife: Was gerecht und gut ist, ist verdammt. Mäßigung auch in dem Himmelsfeuer! Ernste Freunde, gebt mir Eure Hand;

Bleiben wir einander immer theuer. Besser geht's ins unbekannte Land."

Als Seume Frau von der Recke besuchte, um dieser persönlich für ihre Teilnahme zu danken, überreichte er ihr eine Abschrift jenes Gedichts

mit folgender Widmung: „Der wahrhaft edeln Frau E. v. d. Recke, aus reiner Hochachtung der Verfasser." nis

Dadurch erhielt auch Tiedge Kennt­

von dem Gedicht, welches ihm so wohlgefiel, daß er es mit einer

längeren Vorrede versah und unter dem schon genannten Titel und dem

vollen Namen Seumes, jedoch ohne dessen Vorwiflen, Ende Februar 1809 Er selbst nannte sich nicht als Herausgeber;

als Einzeldruck herausgab.

an Stelle des Druckorts steht „Germanien 1809." In der Vorrede ist gesagt, daß der Herausgeber wohl voraussetzen

könne, daß seine Landsleute sich noch mit lebendiger Wärme für das

Einzige interessieren werden, das ihnen aus den Trümmern ihrer Natio­ nalität übrig geblieben sei, nämlich für die klassischen Werke ihrer Litte­

ratur

und folglich

auch für deren Pfleger, Bewahrer und Lieblinge,

unter denen der geniale Seume wahrlich nicht zuletzt genannt werden dürfe.

Er hoffe also, daß diese Veröffentlichung dazu beitragen werde,

die bekümmerten, niedergeschlagenen Gemüter der Nation einigermaßen zu

erheben und in dem gefahrvollen Sturme einstweilen aufrecht zu halten,

bis eine hellere, reinere Sonne auf den Bahnen des Ruhmes zum Tempel

der Unsterblichkeit leuchte.

Hieran knüpft der Herausgeber eine ziemlich

umständliche, aber zum Teil ungenaue Schilderung der Krankheit Seumes

und schließt mit der tröstlichen Versicherung, daß nun für den berühmten Syrakusaner Wandrer, dessen Ernst, Würde und Größe die Dionyse aller

Zeiten erzittern machen könnte, nichts mehr zu fürchten, wohl aber von

den Blüten und Früchten seines Geistes noch mancher köstliche Genuß zu erwarten sei.

Seume würde zwar durch diese Veröffentlichung überrascht

sein, weil er keine Abschrift seines Gedichts in fremder Hand vermute; der Herausgeber fei aber auf die rechtlichste Weise dazu gekommen und

hätte es nicht über sich gewinnen können, dem Publikum einen so herr­ lichen Genuß vorzuenthalten.

Er hoffe deshalb auch auf die Verzeihung

des Dichters. Seume war allerdings mit dieser Veröffentlichung, die nachgedruckt

Über „Kampf gegen Morbona." — Wieland' an Senme.

und weit verbreitet wurde, nicht einverstanden.

617

Er sagt darüber in der

Vorrede zu der dritten Ausgabe seiner Gedichte, daß die Abdrucke ohne sein Zuthun von einem gutmütigen Manne, der wohl sein Freund sein möge, ins Publikum geschickt worden seien, jedoch mit einer Einleitung, für

die er, die wohlwollende Absicht ausgenommen, unmöglich sehr danken

könne.

Zu viel sagen verderbe die Sache.

Auch würden darin Angaben

gemacht, die, obgleich nicht wichtig, doch nicht richtig seien, und die nie­ mand von ihm selbst haben könnte.

Sein schadhafter Fuß sei der linke,

und nicht der rechte, wie der Herausgeber schreibe;') auch hätte er die Schußwunde nicht im Gefecht erhalten: das Hauptübel sei eine Kontusion

unten am Knöchel, die wohl die größte Schwäche zurückgelassen habe. Er hätte ferner mit Landolina nie im Briefwechsel gestanden, wie in der Anmerkung zum Gedicht gesagt sei, sondern Münter habe ihm nur dessen

mündliche Grüße überbracht.

Er liebe das geflissentliche Wichtigmachen

nicht, wenn auch keine Silbe über die Wahrheit gesagt würde, was hier

jedoch nicht ganz der Fall sei. Bald nach dem Erscheinen des Einzeldrucks erhielt Seume folgenden

Brief von Wieland: „Weimar, d. 10. April 1809.

Ich erinnere mich nicht, in welchem

öffentlichen Blatt ich ein

Morbona betiteltes lateinisches (?) Gedicht von Ihnen angekündigt fand, welches eine Danksagung an die Natur und Ihren Arzt für

Wiederherstellung Ihrer Gesundheit enthalten soll.

Denken Sie sich

selbst die Freude, die mir diese Ankündigung machte, und wie ungeduldig

ich diesem Gedichte selbst entgegen sehe.

Große und kaum erträgliche

körperliche Schmerzen machen auch die Leiden der Seele schärfer und

brennender.

Befreit von jenen, wird sich, wie ich hoffe,

Geist und Gemüth erheitern und sänftigen.

auch Ihr

Ueber N(apoleon) kann

ich Ihnen blos mündlich sagen, wie ich denke, und warum ich so denke.

Vielleicht ergiebt sich diesen Sommer dazu eine Gelegenheit.

Für jetzt

bitte ich Sie blos, mich auf den Couverten der Briefe, womit Sie

mich etwa gelegenheitlich begünstigen, und wodurch Sie mir immer

eine wahre Freude bereiten, mit dem Ritter ^) zu verschonen.

Lassen

Sie es bei dem althergebrachten Hofrath bewenden, der, um mich dem

Postbriesträger kenntlich zu machen, mehr als hinlänglich ist.

Leben

*) Dies ist in den Nachdrucken berichtigt worden. 9) Wieland war vom Kaiser von Rußland der St. Annenorden und von Napo­

leon der Orden der Ehrenlegion verliehen worden.

Mit Napoleon hatte er bei dessen

Anwesenheit in Weimar im Herbst 1808 ein längeres Gespräch.

618

Wieland an Seume und Böttiger. — Rochlitz an Böttiger.

Sie wohl, lieber, theurer Einziger!

Mir ist leid um die Menschheit

und um unser Vaterland, daß Sie einzig sind. Erhalten Sie mir Ihr freundschaftliches Wohlwollen und bleiben meiner aufrichtigen Ver­ ehrung und Ergebenheit auf immer versichert.

Wieland." Um Seumes Gesundheit stand es indes schon im April wiederum sehr mißlich. Die Hoffnungen auf seine Genesung erwiesen sich als trügerisch: nach kurzem Stillstand trat sein Hauptübel mit erneuter Heftig­ keit auf und warf ihn abermals aufs Krankenlager. Als Wieland hiervon hörte, schrieb er voller Teilnahme an Böttiger:

„Weimar, d. 26. April 1809.

... Mein inniges Wohlgefallen an der Morbona unseres Freundes Seume, des Einzigen, ist durch die Nachricht, daß fein Uebel zurück­ gekehrt ist und für unheilbar gehalten wird, sehr verkümmert worden. Haben Sie die Güte und melden mir, wenn Sie es wissen, wie es um diesen ächten Mann von Marathon steht. Helfen Sie mir auch zugleich aus dem Wunder, was Morbona für eine Art von Wesen ist. Ich kenne wohl die Redensart abire morboviam aus dem Sueton, die mit den griechischen xogaxag gleichbedeutend scheint: aber von Morbona will kein Mytholog noch Lexikograph etwas wissen, und sie ist vermuthlich eine Göttin von Seumes eigener Creation." — Seume entlehnte dieses Wort vermutlich Neubecks Lehrgedicht „Die Gesundbrunnen", wo sich im zweiten Gesang folgende Stelle findet: „Wenn Morbonens Hauch die Purpurblume des Mundes Plötzlich versenget und bleicht und die Kraft austrocknet der Nerven."

Da es Seumen mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit in der Stadt zu eng und dumpfig wurde, so hatte er sich im nahen Connewitz eine Sommerwohnung gemietet, wo sein Lebenselement, Luft und Licht, besser einzudringen vermochte. Über diesen Wohnungswechsel und das Befinden

Seumes berichtet Rochlitz an Böttiger: „Leipzig, d. 3. Juni 1809.

. . . Seume ist nach Connewitz gezogen sich allmählich zu erholen. Es ist aber wohl kaum zu erwarten, daß ihm dies gelingen werde; es steht ganz erbärmlich um ihn, er leidet sehr, und fast scheint es, als wollten seine inneren Säfte sich gänzlich aufzehren."

Konzept eines Briefes an Klinger.

619

In dieser traurigen Lage, die Seumen insbesondere die Aussicht

auf jedweden Erwerb raubte, erinnerte er sich seiner Ansprüche auf die

ihm rechtmäßig zustehende russische Offizierspension, die geltend zu machen er fich bisher noch immer gescheut hatte.

Jetzt trieb ihn die Not zu diesem

Entschlüsse: Klinger sollte die Angelegenheit beim Kaiser vermitteln.

Er

richtete daher ein Schreiben an ihn, das nach dem erhalten gebliebenen

Konzept wie folgt lautete: „Hochwohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Gönner.

Es kostet meiner Sinnesart viel Ueberwindung,

Ew. Hochwohl­

geboren Wohlwollen in Anspruch zu nehmen; aber ich bin genöthiget, und es ist meine einzige ehrenvolle Ausflucht.

Ich hoffe, daß Sie

Sich Ihres alten Syrakusischen Wandlers noch mit Güte erinnern. Bis in das sechsundvierzigste Jahr war meine Gesundheit musterhaft.

Seit einem vollen Jahre leide ich an einem Uebel, das mich nur halb leben läßt und mich zum Skelett meines Wesens gemacht hat.

Den

ganzen vorigen Sommer habe ich gekränkelt und wenig arbeiten können,

der Winter ist unter heftigen Schmerzen vergangen, und bis jetzt zeigt sich wenig Besserung.

Seit einem vollen Jahre habe ich nicht zwei

Stunden ununterbrochen geschlafen, — zehn Wochen durfte ich nicht

schreiben, nicht lesen und nicht reden, und auch jetzt geschieht alles nur

kurz und mit großer Anstrengung, Rückfälle fürchten will.

wenn ich nicht sehr schmeiyliche

Ich habe keinen Heller Vermögen, kein Amt,

kein anderes EwerbSmittel.

Als Siechling kann ich also nicht leben;

arbeiten kann ich nicht, und betteln mag ich nicht.

Meine Freunde

würden mich wohl nicht betteln und nothleiden lassen; aber wer kann in die Länge diese Art von Fristung ertragen.

Ihr Kaiser ist der

einzige Mensch der Erde, den ich einigermaßen als Schuldner anzu­ sehen berechtigt bin.

Es war eine Zeit, wo ich wesentlich wichtige

Dienste

leistete, darunter Dinge, die mancher Oberst nicht arbeiten

konnte.

Bekannte haben mich versichert, nian habe den General Jgel-

ström allgemein getadelt, daß er am Ende nicht besser für mich ge­

sprochen habe.

Das ist so der Lauf der Dinge;

vielleicht gehört es

auch mit dazu, daß es ohne Aussicht war und gar nicht ihn anbelangte,

und sie nur so erzählt haben. So lange ich noch einige Kräfte habe, falle ich gewiß niemand zur Last.

Ich habe bis jetzt frugal und anständig gelebt, aber nichts

sammeln können.

Würden Sie die Güte haben, meine Sache dem

Kaiser vorzutragen? und zu hören, ob ich einige Hoffnung habe, daß

Konzept eines Briefes an Klinger.

620

die Nothdurst mir bald geschickt werde?

Ich habe in meinem Vater­

lande nicht gedient, kann also wenig oder nichts erwarten.

Wenn ich

von Petersburg nichts erhalte, und dieser Sommer meine Gesundheit nicht einigermaßen herstellt, wozu bis jetzt kein Anschein ist, so bin ich

ein Mann des Todes, denn ich fühle keinen Beruf, unter dem Dach der Jammertugend Geduld ein Gegenstand des Mitleids zu werden. Genese ich, so will ich nun für das Ende meines Nichts Ihrem Reiche

gern mit meiner Kraft auf jede schickliche Weise noch dienen; muß ich

fort leiden ohne Unterstützung, so würde ich allerdings Mittel suchen,

um vom Sorgentisch hinweg aus der Welt gehen zu können. Ich höre, meine nordische Reise, mein Sommer, ist dort ver­ dammt.

Ich wollte, ich hätte erfreulichere Dinge sagen können.

ich rede im Grolle nicht verbindlich,

Aber

wenn ichs auch hinsichtlich eines

Reiseberichts wohl konnte. Es

macht wohl Umstände

meinen MiltiadeS gesandt.

sonst hätte ich Ihnen

und Kosten,

Vielleicht hat er im Petersburger Publikum

schon cirkuliert, denn das Stück ist blos altgeschichtlich. Ein unbefugter Mann hat einige Nachrichten von mir über meine Krankheit ins Publikum geschickt mit einem Beileid, das mir nicht gefallen kann.

Das tröstliche Wort des Vorredners war zu früh?)

Man sagt, daß auch eine Anzahl nach Petersburg gegangen sei.

Wie

ich mit Entschiedenheit bezeugen kann, weiß ich eigentlich nicht, wie

solches nur geschehen konnte. Göschen, der vorgestern bei mir war, sagte mir, daß von der

neusten Auflage Ihrer Werkes vier Bände fertig seien:

Der Deutsche

in neuster Zeit, der Weltmann und der Dichter, und zwei Bände

Betrachtungen.

Den Deutschen werden Sie auch vollendet gezeichnet

haben, wie Sie jetzt gesehen haben.

Meine politischen Prophezeiungen

sind alle eingetroffen, wie Suchtelen sich erinnern wird.

Haben Sie

die Güte, Bekannte zu grüßen und ihnen meine mißliche Lage zu schildern, doch nur solchen, die Theil nehmen. Da ich seit langer Zeit ohne Furcht und Hoffnung lebe, so bin ich

über das Ende meines Schicksals ganz ruhig.

Mit wahrer Verehrung

und Ergebenheit bin ich bis zum letzten Hauche

Ew. Hochwohlgeboren

(Leipzig, im Juni 1809.)

gehorsamster Diener

I. G. Seume." ’) Betrifft den Einzeldruck „Kampf gegen Morbona".

2) Zwölf Bände bei Nikolovius in Königsberg,

Offizin gedruckt wurden.

1809—15, die in Göschens

Rochlitz an Göschen. — Elegie „Gang aus dem Kirchhose".

Das Antwortschreiben Klingers ist nicht erhallen

621

geblieben, doch

geht aus dem später im Wortlaut noch folgenden Briefwechsel Seumes mit Wieland hervor, daß Klinger, vielleicht durch besondere Umstände

gezwungen, Seumes Bitte ablehnte. wurf erstehen.

Hieraus allein kann ihm kein Vor­

Daß er aber auf den Notschrei eines Mannes, den er

als einen der würdigsten seiner Nation kannte, keine andre Antwort als

nur das

kühle Bedauern hatte, persönlich beim Kaiser nichts für ihn

thun zu können, spricht nicht zu Gunsten seines Charakters.

Was würde

da an seiner Stelle der edle Gleim nicht alles in Bewegung gesetzt haben, um dem unglücklichen Freunde zu helfen!

Kein Wunder, daß Seumes Seelenstimmung durch diese Enttäuschung nicht freundlicher, und sein Verhalten andern Freunden gegenüber immer

schroffer und unzugänglicher wurde.

Gedanke, ihnen vielleicht

Es

war ihm ein unerträglicher

zur Last zu fallen,

so daß seine Empfind­

lichkeit in dieser Hinsicht oftmals Grund zu Klagen gab.

So schreibt Rochlitz unterm 4. August 1809 an Göschen, der selbst krank gewesen war und als Genesender in Hohenstädt weilte, wie folgt: „ . . . Seume erholt sich jetzt wirklich zum Verwundern;

doch

ist sein Hauptübel noch nicht gehoben, und so scheint zu befürchten,

daß ihm einmal der Winter desto gefährlicher werde, wenn jenes Uebel nämlich bis dahin sich nicht verliert.

Er nimmt sich vor nachtheiligen

Speisen pp. jetzt mehr in Acht als sonst, doch wohl aber noch nicht

genug.

Uebrigens ist er oft sehr grämlich, was ihm leichter zu ver­

geben als zu tragen ist." —

Seume fühlte, daß seine Tage gezählt waren, und seine Einbildungs­ kraft beschäftigte sich darum gern mit denjenigen seiner Freunde, welche ihm im Tode vorausgegangen waren. Gedicht

„Gang auf dem Kirchhofe"

eine Art Totenschau, die er abhält.

Sein um diese Zeit entstandenes

(Hemp. Ausg. V. S. 175 ff.) ist An den Ruhestätten jener Freunde

will er, wie er sagt, den kalten Hauch vergeffen, der ihm aus der Welt

entgegenwehte; seine Seele sehnte sich nach der Vereinigung mit den Abgeschiedenen.

Unter diesen war Professor Hindenburg *) der

gewesen, den sie begraben hatten.

letzte

Seume nennt ihn „den Seher in die

Ferne, rein im Herzen und im Geiste klar".

Hindenburg war ein liebens­

würdiger Mann von anhänglichem, freundschaftlichem Sinn.

So widmete

*) Carl Friedrich Hindenburg, geb. 13. Juli 1741 in Dresden, studierte in Leipzig, promovierte 1771 und ward Professor der Physik und Direktor der Stern­ warte daselbst. Er starb am 17. Mürz 1(508 in Leipzig.

622

Gedichte „Die Wiederkehr" u. „Zauber d. LebenS". — Dritte Auflage d. Gedichte,

er z. B. allen denen, die ihm im Leben nahe standen, ein Sternbild, um

dadurch in stillen Nächten an sie erinnert zu werden.

Als Seume ihn ein­

mal fragte, wohin er ihn denn einquartiert hätte, antwortete er:

„Sie

haben schon lange Ihren Platz in dem Hellen, nicht untergehenden Ge­ stirn des großen Bären." —

An Tagen indes, wo Seume weniger zu leiden hatte, kehrte auch seine Teilnahme an der Wirklichkeit zurück.

Sein Gedicht „Die Wieder­

kehr.

Leipzig, den 9. Aug. 1809."

dies.

Es bezieht sich auf die Rückkehr des Königs Friedrich August von

(Hemp. Ausg. V. S. 177) belegt

Sachsen aus Frankfurt am Main, wo er mit seiner Familie während des Krieges, den Östreich 1809 gegen Napoleon und den Rheinbtmd führte,

Man empfing den König in Leipzig

geweilt hatte.

mit

so

enthusiastischem Jubel, daß auch Seume davon ergriffen und zu jenem Gedicht begeistert wurde, das er zuerst im „Morgenblait für gebildete

Stände" von 1809, Nr. 211, S. 841 veröffentlichte.

In der Schluß­

strophe sagt er: „Mein Amt war nie der Fürsten Lob;

Doch war's ein Augenblick, der mir daS Herz erhob,

Und eh' ich Götzenknecht der Aftergröße werde Vertilge Gott mich von der Erde.

ES war ein Angenblick, der alle Herzen hob,

Und daS ist doch deS Fürsten Lob."

Auch das Gedicht „Zauber des Lebens" (Hemp. Ausg. V. S. 178 f.) entstand in dieser Zeit.

Seume sagt darin, daß nur die Tugend und

die wahre, reine Begeisterung für das Gute, Große und Heilige dem

Leben Zauber verleihen könnten: ohne sie wäre der begabteste Mann nur

ein Tagelöhner seiner Zeit, und das schönste Weib verächtlich. Mit diesem Gedicht schließt die dritte Ausgabe der Gedichte, die mit SeumeS Bildnis

als Titelkupfer bei Johann Friedrich Hartknoch,

Leipzig 1810, herauskam. Das Porträt ist 1809 von Schnorr gezeichnet') und von Böhm gestochen.

Seume bemerkt hierzu in der Vorrede:

„Mein Bild wünschten einige meiner hiesigen Freunde, und ich

habe kein Bedenken getragen, ihnen zu willfahren, da es füglich noch geschehen konnte.

Meine Gesundheit dieses und das letzte Jahr hat

auch mir eine alte allgemeine Wahrheit empfindlich fühlbar gemacht,

daß heute Niemand auf morgen bürgen kann.

Mich deucht, das Bild

ist gut gerathen; und ich bin den beiden freundschaftlichen Männern, deren Künstlerwerth übrigens bekannt genug ist. Dank schuldig." — ') Nach der erhalten gebliebenen Zeichnung ist unser Titelbild gestochen.

Franziska Braune. — Rochlitz an Böttiger. — Vissing an Göschen.

623

Die Ausgabe trägt folgende Widmung: „Dem Herrn Doktor Braune und Herrn Christ. Aug. Haußner die dankbare Freundschaft." Diese

schlichten Worte rühren um so mehr, wenn man bedenkt, daß Seume keine andern Mittel besaß, um jenen Männern wiederzuoergelten, was sie für ihn thaten. In dem Hause des Doktors Braune war Seume oft aus- und ein­

gegangen und hatte bei dessen viertem Kinde, der Tochter Franziska'),

Pate gestanden. Dieser brachte er zum ersten Geburtstage, — Seume vergab solche Verpflichtungen nie, — ein Nadelbüchschen aus Schildpatt mit goldner Einfassung nebst folgender Widmung: „Liebes kleines Mädchen, Da Dir bald vielleicht Leinewand und Fädchen Deine Mutter reicht, Will ich Dir ganz klein Einen Hausrath schenken, Dabei sollst Du mein Freundlich auch gedenken Und recht artig sein."

Über Seumes Gesundheitszustand berichtet Rochlitz unterm 15. August 1809 ferner an Böttiger: „ . . . Mit Seume geht's wie früher. Ich fürchte, die wenig gesammelten Kräfte zehrt der Winter wieder auf;" —

und untern» 30. September 1809: „ . . . ©turnen hab' ich, ich muß es gestehen, lange nicht gesehen,

weiß aber, daß er wieder kränker gewesen, doch nun von neuem in der Besserung ist, so weit es mit ihm überhaupt besser werden kann."

Auch von Bissing") erwähnt in einem Briefe an Göschen die traurige

Lage Seumes, indem er schreibt: „Nieder-Thomaswaldau, d. 1. Oktober 1809.

. . . Freund Seume scheint leider noch sehr krank zu sein, wie *) Franziska Braune, geb. 30. November 1805 in Leipzig, lebte später in Meißen und Bautzen bei ihrem Schwager, dem Professor Kreußler, und starb unverheiratet am 18. Januar 1880 in Gölnitz bei Altenburg. 2) Hans August von Vissing machte als Major im 6«?i Schlesischen Land­ wehr-Kavallerie-Regiment die Befreiungskriege mit. Im Jahre 1813 wurde seine Besitzung Nieder-Thomaswaldau zweimal von den Franzosen geplündert und zum Teil niedergebrannt. Er war 1817 Oberstlieutenant im Schlesischen Ulanen-Regiment; sein wie seiner Gattin Todesjahr war nicht zu ermitteln.

624

Bissing an Göschen. — Erzählung „Die Weinlese".

ich aus einem kürzlich von ihm erhaltenen Briefe schließe, der mich

sehr erschüttert hat.

Wollte ihm Gott nur bald wieder Gesundheit

und Lebensmuth schenken!

Es ist sehr traurig, daß seine Freunde, da

er so unzugänglich ist, nicht einmal den Trost genießen können, ihm

zu dienen.



Wenn Sie den guten Seume sehen, so bitte ich Sie,

ihn herzlich von mir zu grüßen." — Da Seume bei seinem körperlichen Zustande gar nicht daran denken

konnte, seine Lehrstunden wieder aufzunehmen, trotzdem aber jede Hilfe von Freundeshand zurückwies, so war er hinfort nur noch auf das kärg­

liche Honorar angewiesen, das ihm seine schriftstellerische Thätigkeit ein­ trug.

Allen Ratschlägen seines

Arztes und

den wohlmeinenden

Er­

mahnungen seiner Freunde zum Trotz arbeitete er daher mit bewunderns­

werter Energie weiter, um sein Leben aus eigener Kraft zu fristen, so lange er dies vermochte.

sich

Er schrieb damals an einer Erzählung, die

„Die Weinlese" betitelt; diese ist indes unvollendet geblieben und

als Fragment zuerst im

Anhänge

gangs" 1811 erschienen.

(Hemp. Ausg. VI. S. 77 ff.)

zur dritten Auflage

des „Spazier­

In der Einleitung heißt es u. a. wie folgt:

„Wenn der Mensch nicht immer etwas hat, das ihm lieber ist als das Leben, wird das Leben selbst bald sehr alltäglich und schal.

Jeder soll etwas

mit dem ganzen Feuer seiner Natur ergreifen und

daran hangen wie an dem Heiligsten des Denkbaren. — Die weise Ordnung der Dinge ist, daß alles Schöne und Gute endlich in Einem-

Zwecke zusammentrifft.

Jeder trägt seine Forderungen in die Wirklich­

keit um sich her, und mißt diese gebieterisch mit jenen; und mit Recht,

wenn diese Forderungen aus der Tiefe der reinen, bessern Natur ge­

schöpft sind.

Wenn die Jämmerlichkeit rund umher ihnen durchaus

in gar nichts entspricht, zieht er sich einsam in das innere Heiligthum

seines Wesens zurück, und lebt für andere Zeiten und bessere Menschen, wenigstens

schmeichelt ihm

damit sein Stolz.

Dieses Streben nach

dem Bessern und diese Einsiedlerneigung, wo es ihm nicht gelang, hat, so lange die Geschichte erzählt, viele bessere Seelen von dem großen Trosse geschieden, und ihnen verdanken wir meistens die Erhaltung

und Aufhellung der Lichtpunkte in unserer Menschennatur. Praktisch thätig sein ist besser als todte Buchstaben schreiben; und die Männer von Marathon sind mehr werth als viele volle philo­ sophische Schulen.

Marathon schuf Salamis und Platäa; aber alle

Sekten der Philosophen haben kein Marathon wieder geschaffen.

Wo

Erzählung „Die Weinlese".

635

man aufgehört hat zu handeln, fängt man gewöhnlich an zu schreiben;

und je verworfener die Zeit ist, desto wortreicher ist sie, ausgenommen, wo gänzliche Mundsperre herrscht. die Römer,

Hierüber belegen die Griechen und

und die Neueren widersprechen nicht. — Doch es giebt

Zeiten, wo zwar viel geschieht, aber nichts gethan wird, die begebenheits­ reich, aber thatenarm sind: und in diesen ersetzt vielleicht das Wort

die Handlung, damit der Funke, der Same besserer Frucht, nicht gänz­

lich in der Sumpfluft der Alltäglichkeit ersticke.

Sokrates wäre gewiß

mit mehr Feuer bei Salamis gewesen, was er bei Delia war, wäre

sein Leben zwischen Marathon und Platäa gefallen.

Da dieses nicht

war, stritt er muthig und standhaft gegen den einreißenden Schwindel­

geist und die Sittenverderbniß seiner Zeit.

Die Griechen geben große

Lehren jedem, der hören kann und will; ihre Kunst und ihre Dichtungen

sind dem Menschen viel werth; aber weit mehr werth ist ihm

Geschichte.

ihre

So wenig zuweilen festbestimmte, geläuterte Rechtsbegriffe

darin sind, so viel ist doch darin liebenswürdiger, mächtiger Enthusiasmus für alles Hohe und Göttliche in unserer Natur,

so

viele

herrliche,

feuervolle Winke, die alle des strengsten Vernunftbeweises fähig sind.

Da ich

keinen Wirkungskreis in den Weltverhältnissen

haben

kann, will ich spielen, damit man wenigstens sehe, nach welcher Norm

ich vielleicht gewirkt haben würde, wenn mir das Schicksal einen Posten

angewiesen hätte.

Ich gebe meine Tropfen dem Ocean mit der Hoff­

nung, daß sie da nicht ganz verloren gehen werden.

Die» zur Ent­

schuldigung, warum ich schreibe, und warum ich eben dieses Büchelchen

schreibe." Die Erzählung führt uns in das Haus und auf das Landgut eines angesehenen, verwitweten Kaufmanns, der in allen Stücken ein Muster

der Biederkeit ist.

Julie,

sein

einziges Kind,

ist eine holdselige und

tugendsame Jungfrau von siebzehn Jahren; ihr Vetter Robert ein ge­ sitteter, ernsthafter und bescheidener Jüngling, der, aus der Ferne ge­

kommen, als Volontär auf der Schreibstube ihres Vaters arbeitet.

Die

zarten Beziehungen, die sich zwischen beiden knüpfen, werden von der

Tante Rosalie, der Ehrendame des Hauses, sogleich entdeckt, weil Tanten in solchen Dingen meist ihre eigenen Erfahrungen haben, — und Vetter

Robert wird einstweilen zur weiteren Ausbildung ins Ausland geschickt. In der Person des Buchhalters und erprobten Freundes des Hauses be­

gegnen wir einem etwas altväterischen Junggesellen von harter Schale, aber gutem Kern, in seinen Aussprüchen indes Seumes eigenem Urteil

über Zeit und Menschen: vielleicht hat er hier seinen eigenen Charakter Planer u. Relßmann. Senme.

40

626

Im Salon Elisas v. d. Recke. — Parodie aus ein Lied von Claudius,

zeichnen wollen.

Die ganz im Zeitgeschmäcke geschriebene Erzählung ist

nicht ohne politische Anspielungen und bricht mit Schilderung des Lebens auf dem Lande ab.

einer anmutigen

Als der Herbst hereinbrach, kehrte Seume in seine Wohnung bei In Leipzig waren unterdessen Frau von der Recke und

Haußner zurück.

Tiedge wieder eingetroffen, in deren Gesellschaft ©tunte nun so oft weilte, als ihm sein Leiden gestattete. Er trat da manchmal noch spät am Abend, vor Schmerzen gebückt und in seinen Mantel gehüllt, in den freundschaftlichen Kreis, den Elisa von der Recke um sich versammelt

hatte, nur um dort eines seiner Lieblingsstücke singen oder spielen zu hören. Man wußte, daß er nur wenig sprechen durfte, und belästigte ihn deshalb auch nicht mit Fragen Er saß dann wohl eine Stunde und länger in einem Lehnstuhle, der immer für ihn bereit stand, stumm und fast regungslos; nur der lebhafte Blick seines strahlenden Auges verriet seine Teilnahme an allem. Mit kurzem Gruß und einem dank­ baren Händedruck für diejenigen, die ihn durch ihren Vortrag erfreut hatten, schied er dann wieder. Die zarte Rücksichtnahme der Frau von der Recke und TiedgeS be­ wirkte, daß Seume sich immer enger an diese anschloß und nun auch die Fürsorge willig hinnahm, die sie ihm in vielen Stücken bezeigten. Sie wurden mit einem Worte seine Vertrauten. Er legte ihrem Urteil das größte Gewicht bei und folgte gern ihren Ratschlägen, so selbständig er

sonst auch war. Auch in politischer Hinsicht fand er in ihnen GesinnungSgenoffen, mit denen er gern seine Ansichten austauschte. So brachte er einmal Frau von der Recke eine Parodie des Claudius'schen Liedes „Be­ kränzt mit Laub den lieben, vollen Becher", die wie folgt lautet: „Bekränzt euch nicht, ihr weingelehrten Zecher,

Der Becher bleibe leer; Denn wir sind nichts als nur Europens Schächer, Für die ist Wein nicht mehr. Er kam unS nicht aus Ungarn und aus Polen, Noch wo man franzisch spricht: Es mochte dort St. Veit den Wein sich holen;

Wir holten ihn da nicht. DaS Vaterland gab ihn aus seiner Fülle: Drum war er auch so gut, So rein, so mild, so freundlich und so stille,

Und so voll Kraft und Muth.

Parodie auf ein Lied von Claudius. — Jubelfest der Universität Leipzig.

627

Auch wuchs er nicht durchaus im deutschen Reiche, Wo man von Weine hört: Biel Berge sind wie wir nur faule Bäuche

Und nicht der Stelle werth. Die Saalgebirge zum Exempel bringen Gewächs, sieht aus wie Wein,

3ffd aber nicht: man kann dabei nicht singen, Dabei nicht muthig sein.

Im Erzgebirge dürft ihr auch nicht suchen, Wenn ihr ihn finden wollt.

Dort ist man froh, hat man nur Kobaldkuchen

Und nur sein Lausegold.

Der Blocksberg ist der große Herr Philister, Und macht nur Wind, wie er:

Drum tanzt auch nur der Kuckuck und sein Küster

Auf ihm die Kreuz und Quer. Am Rhein, am Rhein, da wuchsen unsre Reben; Verloren ist der Rhein: Der Fremdling hat dem Fremdling ihn gegeben,

Den deutschen Labewein. Wir tranken ihn und konnten aller Wege

Uns freun und fröhlich sein:

Und wenn auch jetzt das Liebste traurig läge. Wir haben keinen Wein!"

Das Original trägt folgende eigenhändige Bemerkung der Frau von der Recke: „Von Seumes Handschrift ist dies von ihm geänderte Gedicht

des Wandsbecker Bothen. Elise von der Recke, aus seiner Hand erhielt ich dies umgeänderte Gedicht,

nachdem wir

gegenseitig über Deutschlands Unterjochung durch Napoleon unsern Un­

willen hatten laut werden lassen."

Im Dezember 1809 feierte die Universität Leipzig das Jubelfest ihres

vierhundertjährigen Bestehens.

Die Feierlichkeiten währten vom

dritten bis zum sechsten Dezember und bestanden in Festgottesdienst, Auf­ zügen und einem

glänzenden Mittagsmahle, das in den Sälen de»

Gewandhauses stattfand?)

Man hatte zahlreiche Gäste eingeladen, Seume

•) Siehe „Beschreibung der Feierlichkeiten am Jubelfeste der Universität Leipzig

den 4. Dezember 1809" von M. Heinrich Gottlieb Krcußler, Leipzig 1810. 40*

628

Gedicht „An die Muse".

aber war übergangen worden.

Dieser beklagte sich darüber in einem

Gedicht, das im „Morgenblatt für gebildete Stände" von 1809, Nr. 308, S. 1229 erschien und nicht wiedergedruckt ist. Dasselbe lautet: „An die Muse. Ich flieh' zu dir, du Trösterin des Lebens! Bleib' du nur, Göttliche, mir hold, So glänzen mir aus meiner Bahn vergebens

Der Erde Ruhm und Gold.

Als Jüngling saß ich mit dem Mäoniden

Vertraut hier in dem alten Hain, Und werd' als Greis, wie einst, auch noch zufrieden

Mit dem Begleiter fein. Ich sah bie Welt in vielerlei Gestalten

Und manches, manches Trauerstück; Und kehrte stets, nm mich emporzuhalten, Zu deinem Arm zurück. ' Wenn man nicht log, und warum soll man lügen?

Ich zahle weder vor noch nach, So hörte man mit einigem Vergnügen Zuweilen, wenn ich sprach. Und mancher hat, den du, o hehre Muse,

Als deinen Liebling anerkannt. Vom Belt hinab bis zu der Arethuse

Mich traulich Freund genannt. Dort wallt der Zug der dir geweihten Männer

Und Jünglinge durch lange Reihn; Und jeder dünkt sich kein gemeiner Kenner Des Götterwerths zu sein.

Der Weisen Rath sann manche schwere Stunde

Auf deines Festes Harmonie; Sie luden ein zur feierlichen Runde;

Und mich verstießen sie. Wär' ich denn so von deinem Hauch verlassen.

Daß nicht ein Wörtchen Freundlichkeit

Mich wenigstens hier zu den Hintersassen Von deinem Tempel weiht? Sie sehn mich an, als wär' ich deinem Haine

Ein Fremdling, gänzlich unbekannt,

Als hätte mich vor ihrem Strablenscheine Auch nie ein Laut genannt.

Gedicht „An die Muse". — Brief an Cotta.

639

Es mögen denn die Zünftler mich verschmähen; Ich werfe das Gefühl von mir, Will, wie bisher, ernst meine Wege gehen:

Sie führen mich zu dir.

Die eingepfercht in deinem Vorhof lungern, Sie blicken hoch und breit umher:

Der Reiche schmaust, und wer nichts hat, mag hungern;

So war es seit Homer.

Es ist um mich, wenn ich nach Seele suche, Oft alles kalt wie Kola'S Eis; Dann schleich' ich still zu eines Alten Buche,

Der zu erwärmen weiß. Und ob mich auch das Schranzenvolk verdammet

Und unter die Tongusen weist, Ich fühle doch, waS in mir glüht und flammet Von Gottes gutem Geist.

Ich flieh' zu dir, du Trösterin des Lebens; Bleib' du nur. Göttliche, mir hold,

So glänzen mir aus meiner Bahn vergebens Der Erde Ruhm und Gold. Leipzig, den 4. Dec. 1809.

Seume."

Der Brief, mit dem Seume diese» und noch ein zweite» Gedicht an Cotta sandte, hat folgenden Inhalt: (Leipzig, d. 4. Dezember 1809.)

„Ich schicke Ihnen hier ein Paar Dinge, wovon Sie da» eine wohl werden brauchen können, das andere wohl schwerlich. Die Elegie hat einige Zeit bei mir gelegen: viele sind damit zufrieden; aber niemand will sie haben. Schon gut. Vielleicht macht sie Ihnen und

einigen Freunden einige lebendigere Minuten. Das Carmen seculare ist bloß für mich, und ich wünschte wohl, daß Sie e» baldigst in Ihr Morgenblatt aufnehmen. E» werden Sie wohl keine kleinlichen Rücksichten hindern. Die Leute haben ihr Jubel­ fest gefeiert, ohne auch nur zu thun, al» ob ein Kerl wie ich lebte. Da» finde ich denn doch, mit gehöriger Bescheidenheit, etwas unhöflich; und ich will dazu nicht ganz stumm sein wie ein todter Hund. Ich ärgere mich nicht und nehme die Sache nicht übel, sondern ganz recht, nämlich al» eine Grobheit, die etwas Rüge verdient: das ist alles. Weiter will ich kein Wort verlieren und bitte Sie um Verzeihung schon wegen dieser wenigen.

Erhards Epigramm. — Elegie „Nachtgedanken".

630

es doch

Mit meiner Gesundheit scheint

gehen.

langsam vorwärts zu

Der Himmel segne Sie alle. Seume."

Es läßt sich leicht denken, daß Seumes Gedicht im „Morgenblatt"

großes Aufsehen erregte und den Festausschuß in Leipzig in Verlegenheit Dieser that, was in diesem Falle das klügste war, er schwieg.

setzte.

Nur Profeffor Erhard, der auch dazu gehörte, verfaßte ein Epigramm,

das er aber nicht drucken, sondern nur handschriftlich unter den Beteiligten

umlaufen ließ.

Es lautet:

„Als Seume sich öffentlich beklagt hatte, daß er nicht mit zu dem großen Mittagsmahls eingeladen worden,

welches die Universität bei Gelegenheit ihrer Jubelfeier 1809 gegeben hatte: Der Calo neuster Art Mit grauem Knebelbart,

Der mürrisch, finster, kalt,

In trauriger Gestalt,

Als unbezwungner Geist

Der Welt die Zähne weist — Der Mann, der nie gebebt, Der nur im Höhern lebt,

Der wird sie nie vergessen. Die scbwarze Frevelthat, Daß man viel andre bat —

Und er nicht mit gegessen." *)

Es

ist

nicht

anzunehmen,

daß

Seume

von

diesem

Epigramm

Kenntnis erhielt: er würde sonst wohl Erhard die Antwort nicht schuldig geblieben sein.

Das andre Gedicht, das Seume unterm 4. Dezember an Cotta sandte,

ist

seine im Juni 1809 verfaßte Elegie „Nachtgedanken", die

später unter dem Titel: „An das deutsche Volk im Jahre 1810" in Seumes Gedichte ausgenommen wurde.

(Hemp. AuSg. V. S. 188 ff.)

Dieses Gedicht ist Seumes letzter Aufruf zum Kampfe gegen die

Fremdherrschaft.

Es lautet in der Originalschrift:

„Warum traf mich nicht aus einer Wolke Gottes Feuer, eh' in unserm Volke

Ich die Greuel der Verwüstung sah? *) Dieses Epigramm wurde erst gedruckt mit „Christian Daniel Erhards nach­

gelassenen Gedichten", herausgegeben von Dr. Christian Gottlob Eduard Friederici,

Gera 1823.

Elegie „Nachtgedanken".

Schmerzhaft zuckt eS mir durch die Gebeine

Bei der heißen Thräne, die ich weine Auf des Vaterlandes Golgatha! Rechts und links zieht eine wilde Horde,

Mehr noch mit Zerstörung als mit Morde, Die mit Spott das Aehrenfeld zertritt.

Jedes Rechtes blutige Verächter,

Geben sie zur Antwort Hohngelächter,

Wo sie kommen, kommt das Laster mit. Städte rauchen unter ihrem Tritte,

Und vor ihnen flieht die gute Sitte,

Und von ihren Fäusten trieft das Blut;

Bleicher Schrecken zittert, wo sie wandeln, Und die Hölle jubelt, wo sie handeln

Mit der Furien entmenschter Wuth. Frommen sind dies GotteS Strafgerichte, Weisen unsers alten UnsinnS Früchte,

Wo der Eigennutz das Blutrecht hielt, Wo zur Schmach und Schande seiner Würde,

Wer nur kann sich losreißt von der Bürde Und den allgemeinen Beitrag stiehlt. Unsern Gau zertreten fremde Trosse,

Unsre Auen mähen fremde Rosse,

Eine fremde Sprache zügelt und; Fremde Schergen treiben unsre Jugend,

Und mit tiefer, stummer Eselstugend

Fördert's links und rechts der edle Duns. Haß und Spaltung herrscht in unsern Stämmen, Einheit nur kann das Verderben dämmen,

Und die Einheit fliehn wir wie die Pest! Eh' man öffentlich, was Recht ist, ehret,

Jauchzt man, wenn man Gau um Gau verheeret. Und die Volksschmach wird ein Freudenfest. Was mit Blödsinn vor nicht vielen Jahren Unsre Nachbarn, die Sarmaten, waren,

Sind wir jetzt, und das, waS sie nun sind.

Werden wir, gleich wild zerfleischten Heerven, Andern Völkern zum Exempel werden,

Eh' ein Viertel-Säculum verrinnt. Unsre Fürsten suchen fremde Ketten: Wer soll nun das Vaterland erretten? -Denn sie sehn nur hin ins fremde Land,

631

Elegie „Nachtgedanken".

632

Haschen gierig nach Satrapen-Ehre, Knieen dort in dem Klienten-Heere,

Wo man ihnen ihre Fesseln wand. Halbe Männer, die vor wenig Jahren Nullen noch in ihrem Volke waren,

Treiben Deutsche mit dem Eisenstab. Spott ist nun des Vaterlandes Weise,

Und mit Zähneknirschen sinken Greise, Zeugen bessrer Zeiten, in das Grab.

Falschheit, Eigennutz und Knechtswuth haben Allen öffentlichen Sinn begraben,

Daß der Deutsche nur in Horden lebt,

Und datz dummheitStrunken diese Horden Um die Wette sich für Fremde morden, Daß die mildre Menschheit weint und bebt. Offen stehn dem Untergang die Thüren,

Und wir prunken mit den Krebsgeschwüren,

Die ein Rachegeist unS zürnend schlug. Unsre Werke sind nur Völkerfrohnen,

Und wir selbst ein Spott der Nationen, Kaum zu Satelliten gut genug. Werden unsre ausgehäuften Sünden

Nicht vielleicht noch einen Heiland finden,

Oder soll das Glück der Vormund sein? Wen noch jetzt ein edler Zorn beweget,

Wem noch reines Blut im Herzen schlüget,

Halt' es fluthend — heilig — heiß und rein. Blicke, Genius des Vaterlandes,

Mit dem Licht gemeineren Verstandes Auf die Edlen und das Volk herab!

Daß wir Einheit — Freiheit — Recht erwerben,

Oder alle — dir Geweihte! — sterben, Und die Weltgeschichte gräbt das Grab.

im Juny 1809.

Cotta veröffentlichte dieses Gedicht nicht.

I. G. Sen me."

Es erschien zuerst im

„Freimüthigen" von 1813, Nr. 245, S. 979 f. und dann als Anhang von einer kleinen Sammlung patriotischer Gedichte, die unter dem Titel „Erscheinungen im Haine ThuiSkoS" von Karl Wilhelm Justi und Wilhelm Beck Marburg 1814 herausgegeben wurde. In dieser Ausgabe trägt

die in mehreren Stellen abgeänderte Elegie den Titel „Klagen eines Teutschen. Gesungen im Jahre 1809 von Johann Gottfried Seume."

633

Münchhausen. — Selbstbiographie „Mein Leben".

Sie ist mit einer Anmerkung versehen, worin gesagt wird, daß der kranke

Dichter diese Strophen dem britischen Hauptmann und Ritter Grafen von Kienburg in die Feder diktiert habe.

geber sie zu verdanken.

„Unserm

Diesem hätten die Heraus­

Die ganze Sammlung trägt folgende Zueignung:

Freunde Münchhausen, dem

Sänger teutscher Lieder gewidmet.

teutschen Manne

und

teutschen

Und, Barde! Du schläfst?"

Münchhausens Muse war für immer verstummt.

Die Jämmerlich­

keit der Zeit hatte dem offenen, redlichen Manne selbst das Vertrauen zu den eigenen Landsleuten geraubt: er wandte sich menschenfeindlich von allem

ab und blieb fortan im Dunkel?)

verschieden.

Auch hierin zeigt er sich von Seume

Meser zürnte zwar auch mit dem verfremdeten, tief ge­

sunkenen Volke, aber nicht aus Haß, sondern aus Liebe zu ihm.

Münch­

hausen zerschlug seine Laute, während Seume die letzten Kräfte zusammen­ raffte, um Gutes zu wirken.

Er ist darum der größere.

Seume verfaßte im Winter 1809/10 sein letztes größeres Werk,

seine

unvollendet

Ausg. I. S. 7 ff.),

gebliebene

Selbstbiographie

(Hemp.

„Mein Leben"

worin er ein eigenartiges, farbenreiches Bild von

seiner frühesten Jugend, seinen Schuljahren und seiner Soldatenzeit bis zur Flucht in Bremen entwirft.

In der Einleitung sagt er u. a., daß

er das Mißliche einer Selbstbiographie so gut kenne als irgend einer.

Niemand könnte jedoch besser wissen, was an und in ihm ist, als der

Mann selbst, wenn er nur redliche Unbefangenheit und Kraft genug be­ säße, sich zu zeigen, wie er ist.

Herder, Gleim, Schiller, Weiße u. a. m.

hätten ihn schon aufgemuntert, sein Leben, das sie wohl für wichtiger gehalten hätten, als es sei, nach seiner Weise zu schildern; er habe aber geglaubt, daß dies im achtzigsten Jahre noch früh genug wäre.

Sein

Gesundheitszustand erinnere ihn jedoch, es nicht zu verschieben, wenn es überhaupt geschehen solle.

Er erzähle offen und

ehrlich,

ohne sich

zu

*) Münchhausen war 1806 nach der Besitzergreifung Kassels durch die Franzosen

in KriegSgcsangenschast geraten, weil er nicht gegen Preußen kämpfen wollte.

Er

entfloh aber und hielt sich in Homberg verborgen. Nach dem Frieden erhielt er Anträge, als Oberst und später sogar als General inS westfälische Heer einzutreten; er be­ gnügte sich aber mit einer Obersörsterstelle in der Nähe von Treysa.

Nach dem

Dörnbergschen Aufstande 1809, dem er fern blieb, wurde er des Hochverrats an­

geklagt, aber freigesprochen.

Dabei stellte es sich heraus, daß eigene Landsleute, die

er für Freunde gehalten, seine Angeber waren.

Untersuchungshaft es vermocht hatte.

Dies beugte ihn tiefer, als die lange

Seit August 1813 lebte er mit seiner Familie

auf einer alten Burg unweit der Weser von der Welt gänzlich abgeschlossen. 1827 fiel ihm durch Erbe ein bedeutendes Besitztum zu.

sie hinterließ ihm drei Söhne und eine Tochter.

Erst

Seine Gattin starb 1828;

Münchhausen starb am 16. Dezem­

ber 1836 aus seinem Gute Lauenau und ruht in der Familiengruft zu Oldendorf.

Wohnungswechsel. — C. F. Peters. — Wieland an Seume.

«34

schonen, und nicht selten mit dem Selbstgefühl seines inneren Werts, — Thorheiten würde er wohl zur Genüge zu beichten haben, aber, so viel ihm bewußt sei, keine Schlechtigkeit. Wenn die Erzählung Unterhaltung gewähre und vielleicht hier und da die Jugend belehre und in guten -Grundsätzen befestige, so hätte er nicht umsonst gelebt und geschrieben. Neujahr 1810 mußte Seume seine Wohnung mit einer andern ver­ tauschen, da Haußner sich verheiraten wollte?) Dieser brachte ihn zu seinem Freunde, dem Buchhändler Peters2), den auch Seume gut kannte, da er früher einmal bei deffen Eltern gewohnt hatte. Haußner stattete das von Seume und Peters gemeinschaftlich bewohnte Zimmer reichlich

mit Hausgerät aus, das ihm sein Schwiegervater lieh. Die Wohnung befand sich im dritten Stock des ehemals Loth'schen, jetzt dem Rechts­ anwalt Zehme gehörigen Hauses auf der Petersstraße Nr. 41. Um diese Zeit machte Seume nochmals den Versuch, seine Offiziers­ pension vom Kaiser von Rußland zu erbitten, und zwar sollte diesmal Ine Kaiserin Mutter selbst seine Fürsprecherin werden. Dafür, daß Seumes Bittgesuch auch wirklich in deren Hände gelangte, sollte Wieland .durch seine Verbindungen am Weimarischen Hofe sorgen. Seume schrieb daher zunächst an Wieland, von dem er folgendes Antwortschreiben -erhielt: „Weimar, d. 10. Januar 1810.

Nein, mein innigst verehrter Freund, von mir haben Sie nicht zu besorgen, daß ich einen Mann, wie Sie, unter der Last eines so grausamen Schicksals mit Ciceronischen oder Senecaischen Consolationen Heimzusuchen fähig sei. Einiger Trost für mich selbst ist, daß Sie mich würdig halten — und gewiß bin ich es dem ernstlichen Willen nach — mich unter Ihre Freunde vom engeren Ausschuß zu zählen. Nur, bester Seume, vergeffen Sie nie, daß diese Freunde berechtigt sind, von Ihnen zu erwarten, daß Sie den edlen Stolz einer gerechten *) Haußner wurde mit Therese Henriette Ludwig, der Tochter des Leipziger

Bankiers Johann Friedrich August Ludwig, am 15. Februar 1810 in Liebertwolk­

witz getraut.

Er starb am 21. März 1821 aus dem Haußnerschen Familiengute Harthau

bei Bischofswerda.

8) Carl Friedrich Peters, geb. 29. März 1779 in Leipzig, war in der Buchund Musikalienhandlung von Breitkopf und Härtel in Leipzig alS Buchhalter an­

gestellt.

Er kaufte 1813 das von Hoffmeister und Kühnel gegründete „Bureau de

Musique“, daS er in den noch heute bestehenden, weltbekannten Musikalienverlag

C. F. PeterS in Leipzig umwandelte.

Die letzte Zeit seines Lebens brachte er geistig

umnachtet in der Heilanstalt Sonnenstein bei Pirna zu, wo er am 20. November

1827 starb.

Wieland an Seume.

635

Selbstschätzung nicht weiter gegen sie treiben werden, als Sokrates gegen seinen Freund Kriton.

Einige Stellen Ihres letzten Briefes

würden mich ängstigen, wie sie mich schaudern gemacht haben, wenn ich Ihnen nicht Muth und Seelenstärke genug zutraute, zu dem stoischen

Hülfsmittel nicht eher zu greifen, bis Sie gewiß sind, daß kein anderes

Von

übrig ist.

dem Erfolg des Briefs, den Sie der Kaiserin in

Petersburg zu schreiben gedenken, muß dieß wenigstens nicht abhängen. Indessen scheint es mir wohlgethan, wenn Sie den Versuch machen, ob auf diesem Wege eine wenigstens erträgliche, Ihren körperlichen

Umständen angemessene Lage zu erhalten sei.

Für das Mittel, Ihr

Schreiben an die Kaiserin Maria sicher gelangen zu lassen, lassen Sie

mich sorgen.

Unsere Frau Großfürstin hat viel Gnade und Gefällig­

keit für mich, und ich hoffe ohne Mühe von ihr zu erhalten, daß sie

Ihr Schreiben — von welchem es schicklich wäre, eine Duplicata beizu­ legen — in einem von ihr selbst an ihre Frau Mutter einschließt.

Ich will Klingern nicht von allem Vorwurf freisprechen.

Wenn

er nämlich ein Höfling geworden ist, so ist es — wenigstens der Schein davon — vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, daß sein ehemaliger

Kredit aus Ursachen, die ihn« wahrscheinlich mehr Ehre als Schande machen, bei Hofe sehr gefallen sein soll. änderung

Was er Ihnen von Ver­

der Zeiten, Personen und Umstände

gedeutet hat, ist leider nur allzuwahr.

in Petersburg

an­

Der Doktor Harbauer, ein

Elsäßer, der Ihnen diesen Brief überbringt und Ihnen seine Hoch­

achtung zu bezeugen wünscht, ist nicht nur als praktischer Arzt, sondern auch als Mensch im edelsten Sinne des Worts einer der vorzüglichsten und besten Männer, die ich kenne..

er

sich — doch nur

russischen Fürsten

Er geht jetzt nach Petersburg, wo

auf zwei Jahre — als Hausarzt bei einem

engagirt

hat.

Er würde sich eine Freude daraus

machen, wenn er Ihnen dort zu irgend etwa» gut sein könnte, und ich bitte Sie, so viel Zutrauen zu ihm zu fassen, als ob er schon lange Ihr Freund wäre.

Ich werde zufällig genöthigt, hier abzubrechen.

Wenn Sie sich

entschließen können, mir einen Brief an die Kaiserin anzuoertrauen,

so bitte ich Sie, mir eine kleine Skizze Ihrer Lebensgeschichte und Schicksale zum Behufe dessen, was ich unserer Großfürstin davon zu

sagen nöthig haben werde, beizulegen. Adio, verehrter Freund, ich bin und bleibe,

dum Spiritus hos

regit artus, von ganzem Herzen

Ihr Wieland."

636

Konzept eines Briefs an die Kaiserin Maria.

Seume verfaßte auf diese Antwort hin die betreffenden Schriftstücke und schickte sie an Wieland. Das erhalten gebliebene Konzept des Briefs

an die Kaiserin Maria lautet:

(Leipzig, im Januar 1810.) „Allerdurchlauchtigste Kaiserin, Gnädigste Frau.

Ew. Majestät erinnern Sich vielleicht noch des alten Syrakusischen

Spaziergängers, den Sie während seines kurzen Aufenthalts in Peters­ burg mit vorzüglicher Huld aufnahmen. Vorher hatte ich die Ehre, bei den letzten Unruhen in Polen unter dem General Jgelström einige

nicht unwesentliche Dienste zu leisten, wie alle, die damals in Warschau nahe um den General waren, von denen ich nur den General Suchtelen nenne, ehrlich bezeugen werden. Die ganze deutsche und französische, damals wichtige Korrespondenz ging in der mißlichsten Periode ganz allein auf mich, da es an Offizieren im Hauptquartier zu fehlen schien, die des diplomatischen Stils einigermaßen mächtig gewesen wären. Ich wurde durch Zufall aus dem Dienst geschloffen, da ich auf Urlaub in Deutschland war, und der hochselige Kaiser Paul hat selbst meine Unschuld dadurch anerkannt, daß er mir auf meine Bitte den ehrenvollen Ab­ schied überschickte. Meine Mutter, die ich nun verloren habe, hielt mich ab, wie ich Ew. Majestät in Pawlowsk persönlich sagte, mich wieder in die Welt zu tragen. In dem Gefühle meiner Kraft war ich vielleicht zu stolz, wieder mit meinen Angelegenheiten behelligen zu wollen. Seit zwei Jahren ist aber meine Gesundheit durch ehemalige zu große Strapazen und nachher vernachläßigte Diät, da ich bis zu meinem sechsundvierzigsten Jahre nie etwas von Krankheit wußte, so mißlich geworden, daß ich mehrmals an meinem Leben verzweifelte und

meinen Tod verkündigte. Ew. Majestät werden leicht glauben, daß ich mich als ein kranker Mann ohne Amt und ohne alles Vermögen in einer traurigen Lage befinde. Es ist ein furchtbares Gefühl, ohne Aussicht auf Vergeltung auf die Güte seiner Freunde ausgehen zu müssen. Ich kann nicht bergen, daß ich es für die Pflicht des Kaisers, Ihres Herrn Sohnes, halte, sich meiner anzunehmen, so wie ich dann die eigene Verpflichtung anerkenne, auch über meine wiederkehrenden Kräfte ehrlich unbedingt

zu reden. Da ich jetzt im Norden fast außer aller Verbindung bin und den Gang der Geschäfte nicht kenne, wage ich es, im Vertrauen auf Ihre mit Recht allgemein verehrte Huld Ihnen Selbst meine Bitte vor-

Konzept eines Briefs an die Kaiserin Maria. — Brief an Wieland.

637

Was vielleicht gegen mich gesagt wird, das kann ich getrost

zutragen.

mit der heiligsten Pflicht für Wahrheit und Recht, deren Beschützerin

Ew. Majestät auch sind, vertheidigen, und wenn etwas geopfert werden muß, so opfere ich doch eher Glück und Leben, als Ueberzeugung und

Charakter. Ich habe einige Hoffnung, wieder zu genesen, aber jetzt ist's miß­

lich, da nach der Aussage des Arztes Auszehrung der Blase das Uebel ist, an dem ich leide, und ich mich auch ängstlich nach Subsistenz um­

Meine Freunde in Petersburg sagten mir, daß auch der

sehen soll.

General Jgelström bei meiner Dienstentlassung füglich für mich hätte sprechen sollen; ich war aber damals zu sorglos und unbekümmert,

Dies ist leider

weil ich leicht das erringen konnte, was ich brauchte. jetzt nicht mehr.

Mit Resignation erwarte ich, ob und wie Ew. Majestät

einem alten, ehrlichen Kämpfer der großen Kaiserin Katharina seine

jetzige schwere Existenz zu erleichtern geruhen wollen, und in dieser Erwartung bin ich mit der tiefsten wirklichen Verehrung unverbrüchlich Ew. Majestät unterthänigster gehorsamer Diener." dem

In

an Wieland

gerichteten

Schreiben

sagt

Seume

u. a.

folgendes:

(Leipzig, im Januar 1810.) „Sie handeln sich treu und der einstimmigen Ueberzeugung gemäß, welche die Welt von Ihrem Charakter hat.

Mitleiden drückt nieder,

aber Theilnahme thut wohl und hilft die Kräfte heben, die noch da sind.

Auf Ihren Rath

habe ich

gewagt,

schreiben, der ich nicht unbekannt bin.

der

Kaiserin Mutter zu

Ich bin nun mit dem Briefe

nicht sehr zufrieden, und doch getraue ich mir nicht einen besseren zu

machen.

Es ist, als ob der Geist mit dem Köxper zugleich in Un­

ordnung gerathen wäre;

alles

ist so

mürrisch, so schwer, so

un­

beholfen.

Klingern beurtheile ich jetzt auch nicht mehr so strenge, als in der ersten Aufwallung, doch kann ich seine Weise noch nicht mit der meinigen gänzlich in Uebereinstimmung bringen.

Seinetwegen könnte

ich dem Anscheine nach umkommen; und so wenig auch an meiner Existenz gelegen sein mag, so kann ich darin doch eben weder Freund­

lichkeit, noch Moralität, noch Humanität entdecken.

Erst komme ich,

dann komme ich wieder, dann komme ich noch einmal; dann wollen

wir sehen, wer kommen wird.

Das ist mir etwas zu viel Ichheit.

638

Bries an Wieland.

Da sage ich BonSdieS und ziehe die Fühlhörner ein.

Wenn

etwas gethan hätte, es hätte glücken mögen oder nicht.

er nur

Doch ich bin

vielleicht zu wenig Weltmann und zu wenig Dichter, um darüber ab­

urtheilen zu können. muthen, nie,

Ich werde ihm nie etwas ähnliches wieder zu-

und sollte ich vor seinen Augen zu Grunde gehen.

Er

überzeugt mich auch nicht, wenn er nun gelegenheitlich etwas für mich Wer in dem kritischen Moment nichts ist, der ist nichts.

thut.

Er

mag dessen ungeachtet ein Mann von großem Werth sein, und ich habe trotz diesem allem große Achtung

vor ihm,

nur

er

ist

nicht mein

Freund in dem höhern, bessern Sinne des Worts, den ich allein gelten Von Aufopferung und Heroismus

lasse.

Herrn Doktor Harbauer Klinger mitgegeben.

war

habe ich einige Briefe

gar nicht und

die Rede.

auch einen an

Ich habe meine Empfindlichkeit nicht geborgen,

ohne ihn deßwegen weiter anzuklagen.')

Es ist traurig, daß ich so

oft tief in mein eigenes, nicht immer freundliches Ich zurückgeworfen

werde, da ich doch trotz meiner harten Schale so viel wahres,

tiefes

Gefühl für höhere Humanität habe. — So sind mir über den Pariser

Aeökulap von Dresden aus schon durch einen Mann, dessen Charakter ich doch achte, Dinge zugegangen, die mich sehr stutzig machen müssen, und die wohl sehr mein Auf- und Anschließen bindern.

Vater Wieland

ist eine von den schönen, liebenswürdigen, kindlichen Seelen, die man

zehnmal täuscht, und die das elftemal mit dem reinen Vertrauen auf

das Göttliche in der Menschennatur sich dem guten Schein wieder hin­ geben.

Ich weiß, verehrungswürdiger Freund, daß man Sie sehr oft

hintergangen hat, und weiß doch nur sehr wenig.

Solche Naturen,

die doch noch Glauben halten, sind himmlische Juwelen auf Erden.

Sie sind jetzt fast der einzige dieser Art, den ich kenne; Zollikofer war Ihnen gleich. Sie wünschen einige Hauptmomente aus meinem Leben zu wissen;

das wird mir schwer werden; denn mein Leben war von Jugend auf

ein wahres Farrago libelli und fast lauter rudis et indigesta moles — Göschen bot mir zu Ende der guten Zeit tausend Thaler in Golde, wenn ich ihm etwas nach meiner Weise über mein Leben und meine

successive Bildung geben wollte.

Ich konnte mich aber nicht entschließen,

auf diese Weise von meinem Leben zu leben, so lange ich noch etwas

besseres in mir fühlte.

In der letzten Periode ist man zudringlicher

geworden, und der Grund, daß ich doch einem Biographen nicht ent*) Klinger ward 1811 Generallieutenant, suchte zwar 1820 schon um Enthebung von allen Ämtern nach, zog sich aber erst 1830 gänzlich zurück. Er starb am 25. Fe­ bruar 1831 in Dorpat.

Brief an Wieland.

63»

gehen würde, der entweder schiefer Hyperkritiker oder lobpreisender

Hudler sein könnte, hat in so weit gewirkt, daß ich versprochen habe, etwas aufzuschreiben, das man nach meinem Tode brauchen könnte.

Einige Lagen habe ich auch unter großer Anstrengung gefertigt und habe mich schon glücklich wieder aus Amerika zurückgebracht. Da das Meiste meines Lebens tief in meiner Seele lag und trotz meines Herumschwärmens wenig exoterisch ist, so wird e» mit viel Freimüthig­

keit fast durchaus nur ethisch-psychologisch und nur entfernt philosophisch­ kosmopolitisch sein. In meinem vierzehnten Jahre war ich noch ganz Analphabete und in meinem sechzehnten schon Student; der erste Miß­ griff in meiner höheren Erziehung. (Folgt eine kurze Schilderung seines Bildungsgangs und seines ehemaligen Dienstverhältniffes im russischen Heere.)

Man wollte mich einst durch Vermittelung des alten Botanikers Hermann und durch Sieyös Interesse zum Anfänge der Revolution zum Adjutanten Lafayettes machen. Nun sind zwar die meisten Adjutanten dieses Generals erschossen worden; aber es wäre doch möglich, ich wäre nicht erschossen worden, und Barras hätte mich anstatt Bonaparte bei Toulon auf der Batterie gefunden. Ich zweifle gar nicht, daß ich auch meine Schuldigkeit gethan haben würde, ebenso wie er. — Der Kaiser Paul schickte mir in sehr freundlichen Ausdrücken den Abschied, und seitdem lebe ich so als ein militärisch-litterarisches

Amphibion hier zu Lande. Meine Reise nach Sizilien ist ziemlich bekannt; weniger die nordische, unter dem Namen „Mein Sommer 1805", weil die Zeitnmstände das freimüthige Buch in seinem Umlauf hemmten. Es ist, wie ich höre, in Petersburg verboten und verpönt, da es verschiedene Dinge berührt, welche die Sonde nicht vertragen.

Ich wünschte aber, die Großfürstin läse es; denn ich will meine Gesinnungen nicht verbergen. Zur Aenderung bestimmt mich nur die Ueberzeugung vom Gegentheil. Verzeihen Sie die Langweiligkeit meiner Plauderei; ich verstand es nicht, mich kürzer zu fassen. Ich möchte

gern meiner Seele eine andere, leichtere Richtung geben; aber das naturam furca (expellas; tarnen usque recurret. Hör.) bewährt sich an mir hartnäckig. Ich mag lesen, was ich will, ich merke nur die Stellen, die in meinen Kram des Naturrechts taugen. Meine Griechen sind nur da unterstrichen, und ich komme unwillkürlich immer wieder dahin zurück. Sie Selbst haben in meiner Jugend diesen Naturtakt

durch Ihren „Goldnen Spiegel" fester machen helfen.

Ich bedaure

die Leute, die nur den Roman lesen und nicht die tiefere Weisheit des

Brief an Wieland.

640

Buches in Hinsicht der Rechtsbegriffe fassen.

Ich zweifle, ob man

Ihnen jetzt erlauben würde, ihn drucken zu lassen.

Ich habe Ihrem

Scherz in meiner Selbstbildung mehr zu danken, als vielen anderen

grämlichen Knasterbärten, die mir ihr System vortrugen.

Ich finde

außer der Unvollständigkeit in Sätzen und Beweisen fast kein traurigeres

Buch als den viel berühmten Hugo Grotius.

Noch neulich habe ich

ihn unbefangen wieder durchgelesen und meine Meinung nicht geändert. Fast wäre mir der verschriene Hobbes lieber; er ist wenigstens etwas

folgerechter. Ich habe so ziemlich alle meine Entschlüsse ausgeführt.

In meiner

Seele liegt noch ein Gedanke, über den ich schon lange brüte.

Ich

kenne und schätze alles Gute der alten und neuen Systematiker über die Politik;

aber

Strenge behandelt.

niemand hat noch den Gegenstand

mit

gehöriger

Plato ist zu sehr Dichter und hat keine haltenden

Grundbegriffe; Aristoteles nenne ich nur den Herrn Baron von Stagira;

Cicero war nicht geeignet, hell zu sehen, das konnten überhaupt weder noch Römer. — Hobbes

Griechen

war

Frömmler; die übrigen bauen Utopien.

ein Despotler, Grotius

ein

Der einzige Rousseau hat in

feinem Katechism des rechten Weges nicht verfehlt, hat ihn aber nicht

vollendet.

Nun möchte ich die Ausbeute meiner Gedanken und Er­

fahrungen kosmisch pathologisch, strenge logisch, naturrechtlich politisch

gern in ein System bringen und dieses so viel als möglich in gutem attischem Griechisch

schreiben.

Dazu gehört

freilich

noch

ungeheure

Arbeit, zu der ich nicht weiß, wie ich die Zeit und Kraft finden soll. Gedacht habe ich viel darüber; angefangen noch nicht.

Die Sprache

würde noch die geringste Schwierigkeit machen. Sie giebt sich leicht zu allen Ideen her, und meine Griechen liegen voll des reichsten Stoffes

vor mir, alle, vom alten Homer bis auf die gleichgültigen Byzantiner. Lächeln Sie nur! gar nicht, wenn

lachte auch,

In magnis et voluisse sat est; und ich verzweifle mir der Himmel nur wieder Kräfte giebt.

als ich nach Syrakus gehen wollte;

ich

ging und

wieder und niemand hielt es mehr für eine Donquifchottiade.

Man

kam Daß

ich um Brot arbeiten muß, bringt mich freilich um manchen höhern

Genuß.

Wir wollen sehen!

Noch ist es mir bei Gelegenheit Ihres

Agathodämons eingefallen, daß man es historisch wahrscheinlich machen

kann, daß Apollonius von Tyana und Christus eine und die nämliche Person

gewesen seien.

Sie haben Selbst vielleicht unwillkürlich die

Bahn angegeben, die man zu verfolgen hat.

Wenigstens ist es eher

zu beweisen, als daß die Westphälischen Dragoner Jesum gekreuzigt haben, wovon fich doch der Beweis gut lesen läßt.

641

Briefe an Wieland.

Ich habe mich, und ich fürchte, auch Sie durch dieses Geschreibsel

Rechnen Sie es Ihrer eignen Gutherzigkeit an, daß Sie so lange damit gequält worden sind. Ich hätte ohne Ihre Auf­ forderung es nicht gewagt. Sie mit dem Zeuge zu belästigen. Meine

sehr ermüdet.

halbe Gesundheit hat vielleicht auch noch mehr Unordnung in Vortrag und Styl gebracht. Ich habe zwar nie an Ihrer freundlichen

Theilnahme gezweifelt; aber fast bin ich meiner Krankheit Dank schuldig, daß mir dieselbe Sie so väterlich liebenswürdig hervor­ gehoben hat. Der Himmel

segne

Ihr

Alter

noch

lange

mit

Kraft

und

Heiterkeit. Sobald mir mein Arzt es erlaubt, bin ich mit eintretendem gutem Wetter einmal bei Ihnen, und Sie haben noch ein Stündchen

Geduld mit Ihrem ermüdeten und sich nur langsam erholenden alten

Pilger

Seume." Die Antwort auf diesen Brief ist nicht erhalten geblieben, doch scheint Wieland nicht sogleich Gelegenheit gefunden zu haben, geeignete Schritte

für Seume zu thun, denn dieser schreibt: (Leipzig, im Februar 1810.)

„Verehrungswürdiger, väterlicher Freund. Da sehen Sie Selbst, sobald nur jemand wohlthätig in mein Schicksal mit eingreifen will, tritt ihm ein bösartiger Kobold in den Weg. Sie sehen, daß ich mit meinem Wahlspruch von meiner frühen Jugend an, nichts zu hoffen und nichts zu fürchten, der meiner physischen und moralischen Natur so sehr zusagt, am sichersten gegangen bin und am sichersten gehe. Die Sache in Petersburg mag glücken

oder nicht, so ist Ihr Verdienst um mich immer das nämliche: und ich glaube, die Großfürstin hat Recht: Hilft es nichts, so kann es doch auch weiter nichts schaden. Ueber Klinger nehme ich mein Urtheil nicht zurück, kann es auch wenig mildern, und höre es leider von sehr kompetenten, wackeren Männern deutscher und russtscher Nation bestätigt. — Eine Freundin

ä, tonte epreuve habe ich mir hier in der Frau von der Recke ge­ wonnen. Die Frau hat weit mehr Geist, als ich glaubte und nach ihrer Geschichte mit Cagliostro*) zu glauben befugt war; aber ihr *) Berüchtigter Glücksritter, der als Zaubrer und Geisterbanner auftrat, und dessen Betrügereien auch Elisa von der Recke zum Opfer fiel, als sie noch in Mtau lebte. Vergl. deren Schrift „Der entlarvte Cagliostro", Berlin 1787. Planer u. Reißmann, Seume.

41

642

Brief an Wieland.

moralisches Wesen ist eines der reinsten und schönsten, das ich habe

kennen lernen.

Sie nimmt sich meiner mit wahrhaft großmüthiger

Seele an, und ihr und Tiedges Umgang, der bei ihr lebt, erheitert

mir viele Stunden, die sonst sehr trübe vorbeiziehen würden.

Nur

wird sie uns leider mit der eintretenden schönen Jahreszeit verlassen, um nach Töplitz zu gehen, und künftigen Winter in Berlin leben. —

Daß Sie von den

Westphälischen Dragonern, den Kreuzigern

Christi, nichts wissen, befremdet mich fast. Ihrem Gedächtniß entfallen.

waren

Vielleicht ist die Schnurre

Der Gang war kurz so.

Die Deutschen

unvernünftig ehrliche Schlagetodte von Hause aus, die lange

vor Christi Geburt schon als Hülfstruppen der Römer in Afrika fochten.

Alle römischen Imperatoren und Provinzialmagistraturen hatten deutsche Leibwachen, wie man vor einiger Zeit der Treue und Sicherheit wegen

noch Schweizer hielt.

Die Deutschen

halfen vorzüglich dem Julius

Cäsar die Schlacht bei Pharsalus gewinnen.

Nun ist geschichtlich, daß

damals keine römische Legion in Judäa lag; geschichtlich, daß römische

Soldaten

die

Exekution

hatten,

wahrscheinlich

die

Leibwache

procuratoris Caesaris Pilatus, wahrscheinlich Deutsche.

des

Nun kannten

die Römer damals von Deutschland fast nichts als die Gegend zwischen

dem Rhein und der Weser, also Westphalen und ein Stück von Holland.

Nun fochten die Deutschen damals alle zu Pferde und zu Fuße, waren also

eine Art

von Dragonern.

Ueber

diesen Gegenstand

hatte

ich

schon einige Bogen klassische Beweisstellen aus dem Cäsar, Sallustius,

Sueton, Tacitns u. a. zusammengetragen, als ich die Sache in einer Broschüre gedruckt fand. meinem

Amerikanischen

magister noster ward.

Das passierte mir noch als Student, zwischen Abenteuer

und

ehe

ich

aus

Verzweiflung

Wenn ich eine solche Idee gefaßt habe, ver­

folge ich sie äußerst hartnäckig.

So schwebte mir es dunkel vor, daß

Aristides archon eponymus war bei dem Prozeß des Miltiades; ich habe deßwegen wohl ein Dutzend Bände Griechisch durchgelesen, ohne

auf Gewißheit zu kommen, bis ich es noch im Corsini wiederfand, dem

ich es denn in die Seele schiebe, wenn es ein Irrthum ist.

Man hat

mir den Vorwurf gemacht, daß mein Miltiades zu geschichtlich sei; ich lasse das vielleicht gellen und nehme es für mich; und hoffe deßwegen, daß er noch als treues Geschichtsgemälde einigen Werth haben wird.

Neulich habe ich aus dem Thucydides meine Konjektur zur Gewißheit erhoben, daß sein Ankläger Xanthippus wirklich ein Alkmäonide und der Vater des Perikles war.

Meine Art zu arbeiten fördert nicht sehr.

So lese ich zu einer Charakterzeichnung in einem

kleinen Spielwerk

der Richtigkeit halber das ganze griechische Testament wieder durch.

Bries an Wieland.

643

nachdem ich die Septuaginta geendigt habe; und zwar mit sehr großem Vergnügen. Es ist eine sonderbare Mischung von Barbarismen und den schönsten, reinsten Wendungen. Der Pariser AeSkulap ist Doktor Harbauer, der mir Ihren Brief brachte, ein Mann von so vielseitiger Wendung, daß man ihn hier

zum französtschen Spion machen wollte, welches ich nun nicht glaube. Aber der Mann aus Dresden, der etwas nicht sehr freundliches von ihm erzählte, war Hofrath Kreyßig, Leibarzt unseres Königs, ein

Mann, besten wahrhaft guter Charakter allgemein anerkannt ist. Die Geschichte ist zu weitläufig zur brieflichen Mittheilung. Sie geben mir einen Beweis des Zutrauens, von dem ich nicht weiß, ob er auch glücklich ausfallen wird. Der Mensch kennt sich kaum selbst recht sicher, wie will er bestimmt über andere urtheilen?

Auch

weiß ich nicht, von welcher Natur Ihre Geschäfte sind, die Sie dem Manne auftragen wollen. Sind sie so, daß bloß Gefälligkeit, Theil­ nahme und Humanität dazu erfordert werden, so wäre wohl der beste mein Freund Schnorr, ein Mann, in besten Geiste kein Falsch ist, und der besonders für Sie keine Mühe scheuen würde. Ist die Sache merkantilisch, so könnte ich mehrere sehr rechtliche, zuverlässige Männer hier nennen, die, wie ich glaube, sich und meiner Freundschaft Ehre

machen würden, z. E. Geyer, Löhr, oder irgend einer meiner jüngeren Freunde. Denn die Kaufleute sind bei uns verhältnißmäßig bester und liberaler als die Gelehrten. Wäre die Sache rechtlich, so wüßte

ich hier in keiner Rücksicht einen sicherern Mann zu nennen, als meinen Freund Doktor Gehler, Baumeister aedilis bei der Stadt und Beisitzer des Schöppenstuhls. Dieser Name ist bei uns auf alle Weise in Ehren. Der Vater war Dekan der medizinischen Fakultät, und der Onkel der Verfasser des bekannten physikalischen Wörterbuchs, ein sehr verdienter wackerer Nathsmann. Diesen meinen Freund schätzt der König, weil er es verdient. In Dresden habe ich weniger Bekanntschaft und wüßte keinen Mann zu nennen, der ein allgemeineres Lob der Rechtschaffenheit hätte, als der Geheimrath Baron von Biedermann. Ich habe gefunden, daß er seinem Namen entspricht. Für alle diese Männer möchte ich bona fide mit meinem eigenen Charakter einstehen. Sie verzeihen mein Gekritzel; das Schreiben wird mir noch ziemlich sauer. Ich bin kein solcher Kalligraph wie Vater Wieland,

von dem neulich ein Schäker scherzhaft sagte, wenn die Welt einmal alle seine übrigen Verdienste verkennt, so kann er doch noch mit großen Ehren Kopist in Dresden werden.

Bries an Johanna Devrient.

644

Der Himmel erhalte Sie für alle Ihre Freunde und

vorzüglich

für einen der treuesten, für mich.

Seume."

Gegen Ende Februar 1810 hatte Seume wiederum einen heftigen Anfall seines Übels zu bestehen, von dem er sich erst int April allmählich

wieder erholte.

Aus dieser Zeit rührt der folgende, an Johanna Devrient

gerichtete Brief her: „Wissen

Sie

liebe

auch,

große Sünderin vor mir

wieder

Verhaftung

Mad. D.

zu

Freundin,

daß

gewaltig

eine

Sie

Sie versprachen, mich in meiner

sind?

besuchen, und wer sich nicht sehen läßt, ist

Sie versprachen durch meinen

alten Mephistopheles

einer undenklichen Zeit, mir zu schreiben, und eben erst jetzt

ich das erste Wörtchen. auf Worthalten

seit

erhalte

Denken Sie denn nicht, daß ich auch etwas

gebe, oder

daß

Sie Ihr Wort nicht halten?

mir gleichgültig ist, wenn eben

es

Seit drei Ewigkeiten habe ich fast keine

Silbe von Ihnen gehört und mußte schon denken, Sie haben mich auf die Todtenliste gesetzt und der Vergessenheit überliefert. bin ich denn baß bekümmert und habe mir einen

Darüber

ganzen Bart

voll

grauer Haare wachsen lassen, wie Sie Sich durch das Zeugniß Ihrer Augen überführen können.

Ohne Scherz, Sie mögen sehen, wie Sie

es mit Ihrem Gewissen ausmachen, daß Sie mich armen,

Teufel so lange hartherzig ohne eine freundliche Silbe

lassen.

Da sind doch Mad. Göschen

ein wenig großmüthiger gewesen. undankbarer Geselle.

und

die Frau Doktor Braune

Aber ich bin doch wohl ein recht

Sie schreiben mir nun so gütig freundlich; und

ich zanke wie ein Eisbär.

Das ist nun so das menschliche Herz, ein

selbstisches, unzufriedenes, geiziges, ungenügsames Ding.

mich

Wohlthaten,

mit

kranken

haben liegen

und

ich

zanke

Sie füttern

Basta!

seitenlang.

Einem

Kranken müssen Sie schon ein Bischen Unart und Ungerechtigkeit zu Herr Devrient hat freilich Recht, wenn er sagt, daß

gute halten.

ich noch auf sehr strenge Diät gesetzt bin; und Ihr Mundvorrath war nicht ganz

nach der Ordonnanz.

Indessen

habe

ich

die Vorschrift

genialisch überschritten, und die Sünde scheint mir bis jetzt nicht übel

zu bekommen.

Wider den Braten

ziemlich nach der Regel. Zunge

war nichts

Aber die Creme

zu

sagen,

war, wenn

der

war

mich meine

nicht täuscht, mit Wein und schmeckte nur desto bester, weil

aller Wein für mich ein verbotenes Ding ist. nommen,

und

Ich habe reichlich ge­

nun haben Sie meine arme Seele auf der Ihrigen,

Brief an Johanna Devrient.

645

wenn ich wieder ins Recidiv gerathe. Ueberhaupt kann ich, ehrlich gesprochen, meiner Enthaltsamkeit nicht die größten Lobsprüche machen, denn es ist wohl nicht nach dem ärztlichen Diätbuche, daß so ein Kranker bei einem Austernschmause bis Mitternacht Partei macht und sich die Schalthiere schmecken läßt ä. qui le mieux, wie wir den Fall

bei meiner Personalität in Erfahrung gebracht haben. Dafür bin ich aber auch ein Muster von Geduld in Kreuz und Elend, und muß gewiß bei der nächsten Kardinalssitzung mit kanonisiert werden. Das wird dann drollig genug klingen, wenn Sie die Rechtgläubigen beten hören: „Heiliger Gottfried — bitte für uns!" — Mich zu Ihnen

tragen zu kaffen, dazu wäre ich nun freilich stark in Versuchung; aber die verdammte Kastengeschichte ist mir schon dreimal so ärgerlich bekommen, daß ich fest gewillt bin, mich nicht eher in Bewegung zu

setzen, als bis meine eigenen Füße meinen eigenen armen Körper, wohin gehörig, fürbaß zu tragen im Stande sind. Also will ich Geduld haben; ich müßte denn Ihre Seele aus dem Fegefeuer erretten können; dann will ich allerdings trotz meiner Krankheit barfuß durch die Hölle laufen. Der Himmel gebe meinet­ wegen und Ihretwegen, daß der Gang nicht nöthig werde. Es ist mir lieb, wenn Ihnen die Früchte schmecken. Sie sind alle hier zu Lande gezogen, welches Sie den unvollkommenen Fremdlingen wohl ansehen werden. Die Idee muß das Beste thun. Ich beschenke Sie mit lauter geschenkten Geschenken, habe also leider gar kein Verdienst dabei. Doch dürfen Sie deswegen nicht denken, als ob nicht auch alles gern zu Ihren Diensten wäre, was mir das Liebste ist, und was ich mir blutsauer erworben habe. Daß die kleinen Menschen­

kinder um sie her gedeihen, läßt sich leicht erwarten und freut mich herzlich; und ich bitte, mich bei ihnen in gutem Andenken zu erhalten, damit ich nicht wieder als ein Wildfremder unter sie trete. Die kleine Therese') muß ein gar neckisches Geschöpf sein, wie ich mir vorstelle, und Klara") wird nun wohl mit anfangen zu studieren.

Ich küsse im Geist Ihre Hände auch mit dem bösen Finger, damit er gut werde, denn ein Prophetenkind, wie ich bin, hat, wie Sie wissen,

Wunderkräfte der Heilung. Ich habe Ihnen deswegen einen so kleinen kurzen Brief geschrieben, weil mir das Schreiben untersagt ist.

*) Therese Devrient, geb. 17. Juli 1807 in Leipzig, gest. 10. Mai 1839 in Keukow bei Anklam. •) Clara Devrient, geb. 7. März 1806 in Leipzig, gest. 10. April 1860 eben­ daselbst.

Gedichte an Johanna Devrient.

646

Der Himmel nehme Sie in seinen heiligen Schutz und

erhalte

mir

Ihr Wohlwollen.

S." Als Seume

erster Besuch

der

gegen Ende April wieder ausgehen konnte, galt sein verehrten Freundin.

Sein Entzücken

über

dieses

Wiedersehen spricht er in folgendem Gedichte aus: „Seliger ist nichts als die Empfindung, Die ein lang ersehnter Anblick bringt, Der mit schneller, zauberischer Windung Durch des Herzens letzte Gänge dringt. Jenny, daß ich noch auf Erden lebe,

Fühl' ich an der Flammengluth in mir: Sieh, ich sehe Dich und geh' und bebe Schwebend stracks hinab hinauf zu Dir.

Ja, Du sahst es, wie ich fast die Schranken Nüchterner Besonnenheit durchbrach, Und wie ohne deutlichen Gedanken Mir vom Antlitz das Entzücken sprach.

Und Dein mildes, engelgleiches Wesen, Schone, gute, ewig liebe Frau, Machte schnell den Leidenden genesen, Wie das sieche Blatt der Morgenthau. Denke, daß ich ewig sehen werde. Was Dein Seelenauge sehen ließ: So ein Blick voll Himmel macht die Erde Trotz dem Uebel mir zum Paradies.

Ruhig stand ich an des Todes Pforte, Blickte fast nach nichts mehr hinter mir; Nur zu Dir noch sprach ich leise Worte:

Meine Seele war noch voll von Dir. Wenn wir dort einander wieder kennen,

Wie der fromme Glaube heilig hält,

Werd' ich dort Dich meine Jenny nennen In dem Lichtglanz einer bessern Welt."

An dieses Gedicht schließt sich das folgende an, wenngleich dasselbe

einige Zeit später entstanden sein dürfte: „So wird es sein, ich glaube fest;

So wie Du dieses schon seit Jahren

Gedicht an Johanna Devrient.

Bon Deinem Freunde hast erfahren: Doch denke nicht, daß mich darum der Muth verläßt.

Ich bin verdammt, an LebenSglück zu darben; Doch ist in mir Gefühl nicht Weichlichkeit, Die, wo die bessern Kräfte starben.

Der jammervollen Kränklichkeit Nur bleich gemischte Wasserfarben Dem lebensschwachen Siechling leiht.

Ich war ein Mann, und bin's, und werd' es sein; Allein darum kein Mann von Stein. Ich will mich nicht der süßen Schwachheit schämen:

Auch darin bin ich noch ein Mann,

Wie eS nicht jeder werden kann. Wer wagt es, mich vor das Gericht zu nehmen?

Empfindung hatt' ich stets, empfindbar war ich nie.

Und werd' es hoffentlich ans Erden, So Gott mir hilft, auch niemals werden. DeS Lebens Würz' ist Sympathie.

Deßwegen darf ich noch die Wahrheit sagen, Darf noch, wenn eS der Geist gebeut. Für sie und Dich, Geliebte, heut

Und morgen selbst das Leben wagen Und mit der Tugend Männlichkeit

DaS Haupt dem Beil entgegen tragen: Ich habe schon vielleicht als deutscher Mann Gethan, waS mir den Tod erwerben kann.

Doch will ich immer sicher schlafen; Denn was ein Mensch von Ehre thut, Der in der Pflicht zufrieden ruht, Wird nur belohnt, und niemand kann es strafen: ES fürchten nur die seilen Sklaven. Ich werde, wenn mein LebenSfaden bricht, — Was kümmert's mich, wer mir das Urtheil spricht, —

Auf Fittichen des bessern Tages schweben, Mit Kleist und Gleim als Bruder leben;

Das weiß ich, und mehr will ich nicht; Doch wollt* ich'S nicht für Schätze geben. Schon jetzt hält, wenn's zu Schlachten geht.

An des verborgnen Schicksals Rande Noch mancher wackre Mann im deutschen Vaterlande Mit meinem Liede sein Gebet,

Und steht mit Würde, wo er steht. Sei glücklich, Freundin meiner Seele! Der Himmel, der dort eine Sonnenwelt Und hier den Kelch der kleinsten Blume hält,

647

Nachricht an die Hamburger Freunde. — Ausflucht nach Weimar.

648

Der Himmel, mild und heiter, zähle

Dir viele Tage stiller Ruh'

Und freundlichen Genusses zu. Und nehme sie, sie Dir zu geben, Ich will es gern, und dieses glaubest Du,

Geliebteste, von meinem Leben. S."

Diese

beiden

Gedichte

bilden den Schlußaccord

in Seumes

Be­

ziehungen zu Johanna Devrient'); sie sind sein Scheidegruß an Liebe

und Leben. wohin

Er übersandte sie ihr kurz vor seiner Abreise nach Teplitz,

er sich zum Gebrauche der Bäder begeben wollte, sobald Frau

von der Recke und Tiedge dort eingetroffen waren.

Die Mittel zu

dieser Badereise

hatte

er beisammen.

Hartknoch

hatte ihm eine größere Summe vorgeschoffen, und Cotta, der bei seiner

Anwesenheit in Leipzig zur Ostermesse Seume besuchte,

hatte

ihm

ein

Darlehn von zweihundert Thalern gegeben. Es handelte sich somit nur noch darum, ob Seume die Reise nach Teplitz auch aushalten würde, über sein Befinden berichtet er selbst in folgenden Zeilen, die er dem Buch­

händler Hoffmann für seine Hamburger Freunde mitgab, als ihn dieser

gegen Ende April besuchte: „Dieser große offene Brief durch meinen Freund Hoffmann thut Meldung, daß ich mich leidlich wohl befinde.

Ich fange an ziemlich

gut zu gehen, kann aber das Fahren noch nicht vertragen.

Meinen

Gruß an Alle.

Seume."

Bevor Seume seine Badereise antrat, unternahm er einen mehr­

tägigen Ausflug nach Poserna und Weimar, gleichsam um seine Kräfte zu proben.

Auch

zog

es ihn unwiderstehlich, die Heimatflur und das

Grab seiner Mutter noch einmal zu besuchen und seiner Schwester und deren Angehörigen Lebewohl zu sagen.

Rach Weimar wollte er haupt­

sächlich Wielands wegen. Seume verfaßte über diesen Ausflug einen längeren Aussatz in der

offenbaren Absicht, ihn zu veröffentlichen.

Er gab ihm zu diesem Zwecke

*) Johanna Devrient erbte von ihren Eltern, der Vater starb am 5. Mai 1817 in Leipzig, die Mutter, Johanna Christiana geborene Franke, am 28. Juli 1823 eben­ daselbst, das Rittergut Hohenstädt. Sie schenkte vier Söhnen und vier Töchtern das

Leben und starb am 10. Oktober 1857 in Leipzig.

Ausflucht nach Weimar.

649

die Form eines an Tiedge gerichteten Briefes, den er „Leipzig, den 16. Mai 1810" datierte. Die bemerkenswertesten Stellen darin lauten :

„Endlich, lieber Tiedge, habe ich nach einigen Jahren, die ich kränkelnd hinlungerte, wieder eine Art von Ausflucht gewagt: aber

welcher Abstand! Sonst machte ich einen Spaziergang nach Syrakus, jetzt mache ich eine Reise nach Weimar; und das letzte ist dennoch ein größeres Wagstück als das erste: so ändern sich die Zeiten. Das Wetter war den Tag vor meiner Abreise vortrefflich, so herrlich, wie nur der Mai sein kann; und Jedermann wünschte mir Glück: aber ich bin der Nasenstüber vom Schicksal schon so gewöhnt, daß ich sein Lächeln nicht sehr achte. Ich darf den Kopf nur zum Fenster hinausstrecken, so regnet es gewiß; und ich glaube fest, der

Himmel fällt einmal eine Viertelstunde vorher ein, ehe ich hinein­ kommen soll. Sonst schnallte ich meinen Tornister und ging; jetzt mußte ich erst zwei vierfüßige Thiere und ein zweibeiniges in Bewegung setzen, ehe ich armes Menschlein gehörig fortgeschroten werden konnte. Gohlis, Gaschwitz und Störmenthal waren bis jetzt

das Nonplusultra meiner Fahrten gewesen; und es war mir doch, als ob meine Brust sich freier und froher dehnte, als ich links vom Heerwege ab auf die Anhöhen der Dörfer hinauskani. Ich hatte mir vorgenommen, in meinem Geburtsörtchen Poserne bei meiner Schwester Mittag zu halten. Links in der Tiefe lag im tiefen Nebel,

ehe ich in die Gegend von Lützen kam, das Schloß Knauthain, wo ich oft vor manchem Aristarchus als Knabe im Schulexamen stand und mir zuerst praktisch die ersten Keime meiner nachherigen Gleichmüthigkeit erwarb, weil ich schon damals begriff, nicht alles sei Gold, was gelbrothen Glanz hat, und nicht alles Weisheit, was ihr Schild trägt. Ich ging in Gedanken den Inhalt meines ersten Schulbeutels durch und freute mich, daß ich noch so vieles Brauchbare darin fand; weit mehr, als die hochwohlweisen Universitätskörper wohl glauben. Mein Blick hielt durch den Nebel an der alten Kirche fest, die von den frommen Bischöfen von Merseburg mit manchen Heiligthümern beglückseligt ist; ich setzte mich in Gedanken einige Minuten in dem heiligen Haine des großen nordischen Kanut, der der Gegend umher den Namen gegeben zu haben scheint, wie noch aus einigen Dörfern

erhellt. Sodann blieb meine Seele auf den alten Dorfkirchhof geheftet, wo wir seit langen, langen Jahren meinen Vater begraben; ich glaube, es sind sechsunddreißig, denn ich war damals ein zwölf­ jähriger Knabe. Mein Blick hing im Geiste an den dichten Schwarz-

Ausflucht nach Weimar.

650 dornen,

die über

das

Fleckchen fast

undurchdringlich

hergewachsen

waren, wie ich in der letzten Periode meiner rüstigen Beweglichkeit

noch gesehen hatte.

Der Schauer der Natur faßte mich; das Rücken­

mark fing an, in dem Nacken zu glühen, feucht zu werden.

überließ mich ohne Widerstand

den Mantel der Windseite zu und der Fortwirkung

und die Wimper fing an,

Ich warf mich in den Winkel des Wagens, zog dessen,

was in mir

erregt worden war.

Einige

Tropfen mochten wohl dem Auge entglüht sein, augenscheinlich auch mit ein Dokument meiner jetzigen Schwäche im Nervensystem; denn

ich

glaube

nicht, daß ich überzeugungsweise

in meinem Alter ein

Empfindler werde; als ich von außen den Regen stark an die Kutsche schlagen

hörte.

Diese Tropfen des Himmels trockneten

sonderbar

genug, ich überlasse Ihrer Weisheit den psychologischen Grund, die meinigen in dem Auge.

Es war kalt und trocken gewesen, die Land­

leute beteten laut um Regen: die Früchte standen meistens klein und Die Milde des Himmels mochte mein Mitgefühl auf eine

spärlich.

andere Weise in Beschlag genommen haben: das ist wohl das Ganze.

Das Individuum

ging im Allgemeinen augenblicklich

fand sich bald verändert und gebessert wieder.

verloren und

Es ward zwar nicht

heiter; es blieb kalt und regnete wohl über eine Stunde fort; aber

meine Seele bekam bei dem ersten Hinausblick doch einen ganz anderen

Spiegel?) Es möchte

das Ansehen haben,

als

ob man die Sänger des

Maies, nicht die Nachtigallen, die noch lieblich genug schlagen, sondern

die eigentlichen Maipoeten, unter die ich leider auch gehöre, diesmal

etwas auf die Finger schlagen müßte, wenn sie

laut werden; denn

der Himmel hat uns bisher so sehr mit Nordwind, Ostwind und was

zwischen diesen beiden bläst, heimgesucht, daß ich in dem Zwerchfelle wenigstens

zwanzig Centner Blei

zu tragen

glaube.

Das

ist, mit

Erlaubniß des Himmels, nicht ganz billig gegen uns arme Siechlinge

und Sterbelinge verfahren;

und

wenn es

noch länger so fortgeht,

laufe ich noch Gefahr, in einem solchen Paroxysm von Bauchgicht den

letzten dummen Streich zu machen.

Jeder Wagenstoß drohte mir die

Symphysis zu sprengen unter den entsetzlichsten Schmerzen.

ward die Luft

Dabei

bald wieder so verzehrend und trocknend für Lunge

und Leber, daß mein Vetturino, der sich meiner brüderlich annahm, mir aus jedem Brunnen den ledernen Reisebecher zur Labung füllen mußte,

denn von dem Gebrausel

von Styx, Kocyt und Phlegethon,

*) Folgt das Gedicht „Nach dem Regen", Hemp. AuSg. V. S. 185.

Ausflucht nach Weimar.

651

das sie Bier zu nennen belieben, konnte ich keinen Tropfen genießen; und Wein, vom alten Vater Johann und seiner Tochter Konstantia**) bis zum Potsdamer Herlingsgewächs, wäre mir Gift gewesen. Trotz der unfreundlichen Luft von außen und den Quälgeistern

von innen schlugen mich nach und nach die Nachtigallen in den Büschen doch in eine ganz leidliche Stimmung, als ich mich meiner Wiegengegend näherte, wo mich jeder Gegenstand an irgend einen Knabenstreich erinnerte. Ich verließ den Ort in meinem siebenten Jahre; aber in den drei ersten Jahren der frühesten Erinnerung lag

für mich eine schöne Welt beschloffen; so glühend sind die Farben der ersten kindischen Gemälde in der Seele. Als ich das letzte Mal hier war, vor ungefähr dritthalb Jahren, begruben wir meine Mutter; seitdem ist mein Leben nur Kampf mit der Krankheit gewesen, und das Gerücht hat mich hier und da schon über den Acheron geschickt.

Unwillkürlich verwickelte mein Gefühl das Bild meiner Mutter in jeden Gedanken, den ich hier dachte: Gewohnheit und beständiges Hiersein hatte nichts verwischt; und es ward mir schwer, sie als hin­ gegangen zu denken. Jeder Stuhl erinnerte mich an ihr freundliches Antlitz, und ein Blick nach dem nahen Kirchhofe machte mir das Auge heißer. Ich eilte in den Garten, der Empfindung zu wehren, und besah die jungen Pflanzungen der Kinder meiner Schwester, die höchst erfreut waren über das Lob ihres Fleißes und ihrer Ordnung und einige Nachtigallen auf blühenden Aepfelbäumen feierten wett­

eifernd vielleicht die schönsten Stunden ihres Lebens. Es ist etwas eigenes um den Zauber der Kindheit. Ehemals war mir alles so groß, so weit, so herrlich, so feierlich; jetzt ist es mir so klein, so enge, aber doch so heimisch, so traulich, daß ich mit aller meiner Welt von Petersburg bis Syrakus hier wohl wieder Knabe werden könnte?) Meine Schwester begleitete mich mit ihren Kindern in dem Wagen weit, weit hinaus in die Flur, wo sie Fenchel stecken und Möhren graben wollten. Die Magd mußte Spaten und Gabeln nachtragen. Alles geschah mit Fleiß und Freude. Mein kleiner Neffe, ein Bube von neun Jahren, konnte sich nicht zufrieden geben, weil keine Schmerlen für mich dagewesen waren. Man hatte die letzten, die man nicht länger halten konnte, nur vor einigen Tagen verzehrt, weil man an meiner Ankunft zu zweifeln anfing; ich mußte also mit *) Bergt. KlopstockS Ode: „Der Kapwein und der Johannesberger". *) Folgt daS Gedicht: „Wallfahrt nach der Heimath", Hemp. Ausg. V. E. 185 ff.

652

Ausflucht nach Weimar.

Gewalt versprechen, rückwärts wieder zu kommen, wo ich mein Lieb­ lingsgericht finden sollte. Es entfuhr mir im Scherz, daß ich sagte: „Höre Du, Vetter Fritz, Du denkst wohl eine reiche Erbschaft zu thun, wenn ich sterbe; da irrst Du Dich gewaltig. Ich verzehre alles richtig und werde kaum meine Schulden bezahlen können."

„Ei was", versetzte der Knabe schnell mit glühenden Augen, „leben Sie nur und werden gesund, und befinden sich wohl; wir haben genug und brauchen und wollen nichts mehr und werden arbeiten lernen".

Es that mir sehr wohl, in der Familie noch so viel gute Gesinnung und Zucht zu finden. Das ist noch vom Großvater und von der Großmutter, dachte ich; gebe der Himmel, daß es abwärts so fort geht. Ich verließ meine väterliche Flur sehr zufrieden und wohl und blieb beides, so lange der Wagen nicht warf. — Nun rollte ich zum Nachtquartier nach Naumburg in den Hecht zum Herrn Eichhof, ordnete meine Mahlzeit und schlich zum Besuche zum Domprediger Krauße, der bald eine apostolische Wanderung nach Königsberg machen wird. — Im Hechte hatte man meine Ordonnanz wegen der Wassersuppe so pünktlich befolgt, daß ich während der ganzen langen, langen Zeit meiner Krankheit kein so unschuldiges Kochsal in Erfahrung gebracht hatte, so wenig Butter und so winzige Körnchen Salzes hatte man in der Nachbarschaft Kösens dazu genommen. Mit dem Spargel und dem Fische hatte ich dafür desto mehr Ursache, als Diätetiker und Schmecker zugleich zufrieden zu sein, weil man dabei nicht ebenso genau nach meinem Recept verfahren war. Ist das nicht ein Jammer, daß unsereiner, ein Kerl, der sonst Kraut und Rüben roh verzehrte, als wäre es Studentenfutter, jetzt in seinen alten Tagen mit so schlechtem Anstande und Erfolge den Küchenphilosophen machen muß? Den folgenden Tag kutschierte ich über die Saale, den schweren Berg hinauf über das Schlachtfeld nach Weimar. So gut ich die Gegend

kenne, und ich kenne sie ziemlich gut, ob ich gleich nicht ihre völlige Nomenklatur weiß, hatten die Preußen den ganzen Vortheil der Stellung in den Händen, oder konnten ihn in einigen Stunden sogleich haben. Wehe ihnen, daß sie diese Stunden unbenutzt verstreichen ließen! Es gehörten viele und große Sünder dazu, an einem einzigen Tage das Glück und die Ehre der Nation so gewissenlos zu vergeuden. Es ist kaum begreiflich, wie vereinzelt und verwirrt ein sonst so achtungs­ würdiges Ganzes hier zu Werke ging. — Als ich in Weimar mein Reisebündel im Gasthof zum Erbprinzen

Ausflucht nach Weimar.

653

gehörig geborgen und für meinen Leichnam auf den Abend und die Nacht alles gehörig besorgt hatte, wandelte ich über den Markt hin, die Esplanade hinauf, vor Thaliens Tempel vorbei, zu Vater Wieland. Die Hauptabsicht meiner Reise war, wie Sie wissen, den alten Herrn zu sehen, der sich immer so patriarchalisch freundlich meiner ange­

nommen hat, und den ich mit jedem neuen Wiedersehen höher schätze und lieber gewinne. Seine Siebenundsiebzig sind nur insofern zwei böse Sieben, als sie wahrscheinlich nicht länger halten als andere Zahlen und dann nicht wiederkommen; übrigens ist er heiter und munter, sprüht nicht selten von Witz, wie man ihn nur in der schönsten Zeit erwarten konnte, scherzt lebhaft wie ein Zwanziger, nur züchtiger und feiner, und die Grazien scheinen noch alle ihre Gaben neu und frisch über das Antlitz ihres Lieblings ausgegossen zu haben. Ich war gesonnen, außer einigen meiner Freunde dort niemand zu sehen; doch konnte ich nicht umhin, der Prinzessin Karoline das Versprechen zu halten, das sie mich ehemals hatte thun lassen, sie. zu

sehen, so oft ich nach Weimar käme, ohne mich um eine Art von Toilette zu bekümmern. Die letzte Erlaubniß war damals nothwendig, da ich als Fußgänger lauter Streifparthien mit meinen Reiseperquisiten in der Tasche machte. Jetzt erlaubt mir meine Gesundheit durchaus nicht, mich gehörig zu kleiden. Die Großfürstin Maria hatte indeß die Güte, mich sehen zu wollen, und meinte, ich sollte kommen, wenn auch der Großpapa der Cyniker, barocken Andenkens, gegen mich ein Antinous wäre.') Mein Gott, sehr gern, dachte und, sagte ich; nur konnte ich nicht Form und Anstand so beleidigen, etwas zu wünschen, was von meiner Seite nicht schicklich gewesen wäre. Ich

sah die Großfürstin zum ersten Male, Wieland war mein Begleiter, und ich vergaß einiges zu sagen, was ich ihr wohl hätte sagen können und sollen. — Die Großfürstin war die Güte und Anmuth selbst. *) Der Brief, worin Wieland ihm dies Morgen, lieber Senme!

mitteUte, lautet wörtlich:

Aber bis etwa die Sonne über den Nebel Meister wird,

feuchte Lust wagen.

„Guten

Ich käme gern selbst, um zu sehen, wie Sie sich befinden.

darf ich mich nicht in die

Die Großfürstin will Sie schlechterdings sehen und sprechen.

habe mein möglichstes gethan,

Ich

Ihr die Lust dazu vergehen zu lassen: aber es half

alles nichts; so wie Sie gehen und stehen, und wenn der Vater der Cyniker selbst ein Antinous gegen Sie wäre, kurz und gut, der Engel von einer russischen Kaisertochter hat sein Paulownisches Köpfchen ausgesetzt und will.

Was ist also zu thun?

Ich

kann Ihnen nicht zumuthen, bevor Sie zur Prinzessin Karoline gehen, zu mir zu

kommen, um etwa Abrede mit mir zu treffen. gütiger Gegenwille ist. Den 11. Mai.

Also nur ein paar Zeilen, was Ihr

Adio.

W."

Ausflucht nach Weimar.

654

Es ist eine wohlthätige Erscheinung, solche Frauen in einem Fürsten­ Ich müßte mich

hause zu finden, wie die beiden jungen Damen sind.

sehr irren, wenn sie nicht Herzensfreundinnen in dem besten Bürger­

sinne wären. für

Noch muß ich Ihnen bekennen, man hält mich fälschlich

einen Fürstenfeind;

ich habe sogleich mehr Achtung vor dem

Guten und Schönen und Wahren, wenn ich es an Fürstenkindern

finde, weil ich sehr wohl weiß, wie schwer die Verworfenheit der Menschen es ihnen macht, echt gut und vernünftig zu werden und zu

Daß mir die Fürsten und

bleiben.

ihre Machtvollkommenheit

das Heiligste, Höchste im Leben sind,

wird

mir ebensowohl

nicht

erlaubt

sein, als daß ich nicht an die Unfehlbarkeit des seligen Papstes glaube.

Es ist keine eigene Fürstenkrankheit, die Wahrheit nicht vertragen zu können; die übrigen Menschenkinder

sind

sehr und vielleicht

ebenso

noch mehr damit behaftet und blicken furchtbar ungeberdig, wenn man

nur Miene macht, an ihrer Allweisheit zu zweifeln.

Wahrheit

sagen

von

Kaiser

das

Meißen;

kein Glück macht,

China

scheint

dem

gut, wie bei

so

nun

freilich

ist

Daß man mit

in der Regel,

letzten

beim

Dorfschulzen von

armen menschlichen

aber einmal in der

Natur zu liegen und auch seinen psychologischen Grund zu haben, der

nicht gar zu schlimm ist.

Die Erörterung wäre hier viel zu weit­

läufig. Meine eigene Empfindung

stieg

in Weimar

wenn ich das Vorige mit dem Jetzigen verglich.

bis zur Wemuth, Herder und Schiller

waren schlafen gegangen, beides Männer, deren Achtung und Freund­ schaft

ich

genossen

hatte;

seit

meinem

letzten Besuche war auch die

vortreffliche, wahrhaft fürstliche Frau Amalie nicht mehr, war

unser Fcrnow gestorben. gefeiert

worden,

werde

Solche sokratische Zirkel sind ich

wohl nie

wieder

feiern,

auch

wohl selten wie

bei

der

Herzogin Mutter, wo Anmuth und Würde, Heiterkeit und Ernst, Witz und Laune, Sitte und Anstand, Kenntniß ohne Schulstaub und Scherz ohne bitteren Stachel in der kleinen Gesellschaft herrschten.

Wer das

Glück gehabt hat, daran Antheil zu nehmen, spricht davon als den schönsten

Stunden

seines Lebens:

zu

den

schönsten

des

meinigen

gehören sie gewiß.

Noch führte mich Freund Bertuch zur Frau von S.. .*), einer Dame, der ich für die thätige Theilnahme an dem Schicksal unseres *) Johanna Schopenhauer,

deutsche Schriststellerin,

geb. 9. Juli 1766 in

Danzig, die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer.

Sie lebte nach dem

Tode ihres Galten 1806 in Weimar, später in Bonn, und starb am 17. April 1838 in Weimar.

Sie schrieb u. a. Karl Ludwig Fernows Leben, Tübingen 1810.

655

Ausflucht nach Weimar.

Freundes Fernow in der letzten hülflosen Zeit seines Lebens danken

mußte.

Fernow war ein Mann, dessen wahre Verdienste nur

sehr

spät gewürdigt wurden, und der die Früchte der gewonnenen Achtung

selbst nicht lange genießen konnte. Seine ganze Jugend war ein Kampf mit den Umständen in dem Vaterlande und

in Italien:

nur einige

Jahre dauerte sein schönes Leben unter dem Schutze seiner Gönnerin,

der Herzogin Mutter,

der Freundschaft des Musageten Goethe und

der reinen Achtung aller Besseren, die ihn kannten.

kanntlich seinen Tod schon mit von den Alpen.

Er brachte be­

Seine Freundin und

Wohlthäterin will uns eine Skizze seines Lebens und Charakters aus

der

Zeichnung

Böttigers

seiner

Kügelgens, Reinharts,

vertrauteren Freunde,

und anderer

geben.

Ich

bin so

selbst

sorglos

gewesen,

seine Briefe zu verlieren, deren ich wenigstens ein halbes Dutzend von

Rom und Weimar aus hatte, die nicht ganz unwichtig waren; denn

er hatte nicht die Gewohnheit, viel über nichts zu schreiben. Hier sah ich noch zum Abschiede auf einige Minuten Falk'), den

in

seinem Wohlaussehen kaum

knight

of the woful countenance

ich

erkannte, so

seinen

er

aus dem

nicht

Ich achte den Satyr sehr hoch, der in einer so furcht­

herausfand.

baren Krise einen so braven Charakter

macht

wie

alten Syrakuser

dem Herzog

Mannes auch

wahre Ehre, daß

öffentlich

und es

standhaft durchträgt,

er

den Werth

Falk

anerkennt und schätzt.

eines solchen weiß,

daß

ich

ihm nie mit einem Worte geschmeichelt, daß ich ihm vielleicht nie eine

Sylbe angenehmes gesagt, weder zu Hause,

noch auf dem Markte;

aber es thut mir wohl, wenn man einen wackeren Charakter nach meinem Sinne so wacker durchträgt, wie Falk und Jffland, eine Er­

scheinung, die jetzt leider nicht sehr oft vorkommt.

Run fuhr ich ebenso wieder nach Hause. gleich

auch

eine Probe

vertragen können.

sein,

ob und

wie

Diese Reise sollte zu­ ich

das Fahren würde

Ich finde, es geht noch leidlich genug; und Sie

sind gar nicht sicher, daß ich Sie nicht ehestens in Ihrem Tempe zu

Töplitz überfalle.

In Poserna aß ich, um alle zufrieden zu

die herrlichen Schmerlen, Schwester

selbst

köstlich

die

mir mein Neffe

zubereitet

hatte,

gefangen und

stellen, meine

auf dem Edelhofe, wo sie

selbst die gnädige Tante des Hauses nach allen Prädikamenten lobte. *) Johannes Daniel Falk, deutscher Satiriker, geb. 28. Oktober 1770 in Danzig, studierte in Halle und lebte seit 1797 in Weimar. Er erhielt 1813 vom Großherzog den Titel eines Legationsrats und einen Jahrgehalt für seine Verdienste um Weimar

während der französischen Herrschaft.

Falk wirkte dort ferner als Menschenfreund

segensreich und starb am 14. Februar 1826 in Weimar.

666

Ausflucht nach Weimar. — Bnes an Tiedge.

Zum Nachtische wurden alle Reminiscenzen der Jugend genossen, kein verächtliches Gericht, wenn sie gut und gut gehalten sind. Bald wird die Zeit kommen, wo wir alten ehrlichen Käuze ganz davon leben

müssen. — Sie können mich, laut unserem Vertrage, nur als griechischen Lektor bei dem Prälaten in Ossegk ansagen: doch nur auf vierzehn Tage, auf länger mache ich mich nicht verbindlich.

Da will ich denn

einige Theokritische Idyllen oder eine Aristophanische Schnurre erklären,

mit der Bedingung, daß ich neun Zuhörer bekomme, die mich ver­ stehen, denn bis zur Doppelzahl will ich meine Forderung nicht treiben. Kaum hat Numa Pompilius so sehnlich verlangt nach seiner geliebten Nymphe im heiligen Hain, als mich verlangt nach der

heilenden Egeria, deren Wunderkraft gerühmt wird von Skandinavien bis über die Syrien hinab. Da nun die Aeskulape die Wasser von Töplitz als Vorbereitung zur Weihe verordnen, folge ich desto eher, da

dies mir wenigstens auf einige Tage den Genuß einiger meiner Lieben verschafft, unter denen Sie gewiß nicht der Letzte sind. • Grüßen Sie mit Herzlichkeit unsere vortreffliche Freundin! Es wird Ihnen gewiß

nicht einfallen, dieses für eine Neisebeschreibung zu nehmen; es soll nur ein kleines Dokument sein, daß Ihr Freund noch nicht ganz todt ist und in der That noch zuweilen eine Art regsamer Lebenskraft in sich verspüret, die sich vielleicht wieder festsetzen und ihn aufrichten kann. Gott erhalte Sie alle!" Seume übergab diesen Aufsatz später Tiedge, der ihn unter der Aufschrift: „Ausflucht nach Weimar von I. G. Seume" int Taschenbuch „Minerva für das Jahr 1811" S. 73 ff. veröffentlichte. (Hemp. Ausg. X, S. 167 ff.) Als Seume von Böttiger hörte, daß Frau von der Recke und Tiedge Anfang Mai durch Dresden gekommen waren, um nach Teplitz weiter zu reisen, litt es auch ihn nicht länger mehr daheim. Voller Ungeduld schreibt er:

(Leipzig, den 20. Mai 1810.)

„Lieber alter Freund Tiedge!

Aechte Freundschaften sind sogleich alt wie die unsrige; gefirnißte aber werden es nie; da springt alle Farbe wieder ab. Es dauert mir sehr lange, ehe ich eine Zeile von Ihnen erhalte. So geht es den Halbgenescnden, die Ungeduld jeder Art quält sie. Den Prodrom meiner Badereise habe ich gemacht; ich bin in Weimar gewesen, —

Brief an Ticdge.

657

und es ist mir leidlich bekommen. Nun bin ich wirklich begierig, ob ich mich in den Bädern von Töplitz wieder werde aufflicken können. Die Zeit kommt heran, und da ich hier nun nichts thun kann, so wünsche ich recht sehr eine genaue Angabe meiner Sommerbestimmung. Alle meine Anstalten sind getroffen, und sobald Sie mir schreiben, daß dort irgendwo ein Käfterchen für mich ist, so bin ich da. Gestern war ich mit den Brüdern Thümmel bei Göschen

zusammen, wo wir einen sehr gemüthlichen, jovialen Abend genoffen, und wo Erhard eine Menge seiner pudelnärrischen, originellen Schnurren zum Besten gab. Böttiger brachte mir da Ihren Gruß, und es wurde viel von Ihnen gesprochen. Thümmel scheint wieder ganz jung zu werden. Beide Brüder bezeigten mir ihre warme Theilnahme. Die Sokratischen Becher gingen in der Runde herum, und es war des echt attischen Salzes kein Mangel. Eine kleine länd­ liche Darstellung des Dorfrichters von Schönefeld, wo Thümmel ge­ boren ist, von Schnorr, und ein Gesang dazu von Demoiselle Göschen waren wirklich sogar auch für mich rührend. Der alte Herr schien ganz verklärten Antlitzes und war gegen die liebliche Aödi ohne Ziererei wie ein Arkadier von Zwanzigen. „Es ist doch keine Freude besser," pflegt Schnorr zu sagen, „als die man sich selbst macht." . Ich erwarte sehnlich Ihren Brief. Meine herzlichsten Grüße an unsere vortreffliche Freundin. Der kleine schwarze Professor*) wird wohl bei Ihnen oder eigentlich bei seiner Dulcinea") sein. Hier ist er auf und davon gelaufen, — Niemand weiß wohin. Hygiea begleite Sie und alle und führe mich bald an ihrer freundlichen Hand in Ihre Gesellschaft, damit ich nach und nach wieder einen festen Geschmack am Leben gewinne. Meinen Gruß an Pappermann") und die Leutchen im Hause, und ich lasse sie nochmals

wegen der Portechaisen-Geschichte im FieberparoxiSmus um Verzeihung bitten. Ein so lethargischer Streich ist mir doch in meinem Leben

‘) Christian August Heinrich Clodius, geb. 21. September 1772 in Altenburg, studierte in Leipzig die Rechte und die schönen Wissenschaften, promovierte 1792 und wurde daselbst 1800 Professor der Philosophie. Er starb am 30. März 1836 in Leipzig als Senior des großen Fürstenkollegiums. 8) Maria Dorothea Charlotte Witthauer, die älteste Tochter des Musikdirektors Johann George Witthauer in Lübeck, lebte seit dem Tode ihres Vaters bei Elisa von der Recke, die für ihre Erziehung sorgte. Sie verlobte sich im Mai 1810 mit Clodius und wurde Palmarum 1811 in Berlin mit ihm getraut. Sie starb am 4. Dezember 1825 in Leipzig im Alter von neununddreißig Jahren. ■) Vorsteher der Haushaltung der Frau von der Recke. Planer u. Reibmann, Scumc.

42

658

Gastmahl bei Göschen.

nicht begegnet. Le bon Dien Vous prenne dans sa sainte et digne Garde! Ainsi soit-il! Seume."

An dem

erwähnten Gastmahl nahm auch der

in diesem Briefe

Schriftsteller Friedrich August Schulz') teil, der ebenfalls zu SeumeS engerem Bekanntenkreise gehört.

Er war mit Böttiger zur Ostermesse

nach Leipzig gekommen, zu der auch Moritz August von Thümmel8) und dessen Bruder Hans Wilhelm8) am neunzehnten Mai eingetroffen waren. Schulz erzählt nun in seinen unter dem Pseudonym Friedrich Saun her­

ausgegebenen Memoiren **) über jene Tafelrunde u. a. folgendes:

„ . . . Noch immer ist mir ein Abend in Göschen's Hause in recht

freundlichem

Andenken,

an

dem,

außer

den

von

Brüdern

Thümmel, der als Gelehrter und Mensch hochgeachtete Spaziergänger

nach Syrakus, Seume, ebenfalls Theil nahm. glückliche Laune ohne Wirkung

Leider blieb Thümmels

auf meinen unmittelbaren Nachbar,

den armen Seume, dessen Leichenblässe durch einen starken, schwarz­

braunen Schnurrbart besonders hervorgehoben wurde. heitszustand war bereits so bedenklich,

unberührt vorüberlassen mußte.

daß er

Sein Gesund­

gar manche Schüssel

Nach Tische gab ihm Thümmel zu

vernehmen, daß er ihn von selbst schwerlich wieder erkannt hätte, hin­

zufügend: „Wie sind Sie aber auch, seitdem wir uns nicht sahen, zu dem vertrackten Schnurrbarte gekommen?"

Dem heitern Greise floß

das lachende Wort gewiß ohne alle Bitterkeit von der Lippe. Seume, ohne Zweifel im Gefühl, daß es kein

wenn das Alter sich Kennzeichen dieser Art,

Aber

glücklicher Einfall sei,

die man

sogar in der

Jugend verschmäht hatte, aneignen wolle, wurde sichtbar von der Be­

merkung verstimmt."

*) Schulz wurde am 1. Juni 1770 in Dresden geboren und sollte Kaufmann

werden, studierte indes später noch in Leipzig und trat zugleich als Schriftsteller aus.

Er >var als solcher außerordentlich fruchtbar, wurde 1807 Sekretär bei der LandesÖkonomie in Dresden nnd erhielt 1820 den Titel eines Kommissionsrats. Er starb am 4. September 1849 in Dresden. *) Thümmel (bergt S. 236) hatte das Unglück, kurz vor seinem Tode fast sein

ganzes Vermögen zu verlieren.

Er starb am 26. Oktober 1817 in Coburg.

•) Hans Wilhelm von Thümmel, geb. 1744 in Schönefeld bei Leipzig, trat in Gothaische Hosdienste, ward 1783 Vicepräsident der Altenburger Kammer und 1804 Minister des Herzogs August.

Er starb im Jahre 1824.

*) Siehe Memoiren von Friedrich Laun, Bunzlan 1837, 3. Tl. S. 185 f.

Gedicht „Die Bärte". — Tiedge und Frau von der Recke an Seume.

Vielleicht veranlaßte

diese kleine Episode Seume

659

zu dem Sinn­

gedicht „Die Bärte" (Hemp. Ausg. V. S. 184), das wie folgt lautet: „Sonst hielt man Wort nach deutscher Art

Und schwur bei seinem Bart; Allein seit langen Zeiten her Da trägt man keine Bärte mehr."

Der Brief Seumes vom 20. Mai kreuzte sich mit folgendem Briefe

Tiedges: „Töplitz, den 16. Mai 1810. Mein geliebter Seume.

Unser erster Gedanke hier in Töplitz war, uns einzurichten, der

zweite, Ihre Einrichtung vorzubereiten.

Da Ihre Hierherkunft auf

Voraussetzungen beruhet, die keine unabänderlichen Bestimmungen zu­ lassen,

so

hat Frau von der

gewiffen Mamsell

Recke mit einer

Fannys), welche die Selbstbeherrscherin des

hiesigen, sehr

gerichteten Wirthshauses und Ihnen schon int Voraus

gut

ein­

sehr zugethan

ist, die Verabredung getroffen, daß Sie sogleich bei Ihrer Ankunft im

heißt das

sogenannten goldenen Schiff, so

hiesige

beste Wirthshaus,

ein bequemes Zimmer und ein gutes, warmes Bett vorfinden, wo Sie entweder bleiben können, oder welches Sie mit einem anderen ver­ tauschen werden,

das

die wackere Fanny

mit Zuziehung der Frau

von der Recke aussuchen und leicht finden wird.

Alles Uebrige wird

sich demnächst nach Ihren Wünschen und Bedürfniffen einrichten lasten.

Kommen Sie daher nur sorglos nach Töplitz und so ruhig, als reisten Sie in jene Welt hinüber, wo

ebenfalls irgend

ein Engel jedem

wackeren Manne seinen Platz bereit halten wird. A. Tiedge."

Nachschrift von Frau von der Recke:

„den 17. May.

Schon habe ich vier Mal gebadet und

Linderung meiner Schmerzen.

finde

Kommen Sie recht bald zu uns. —

Bis zum 15. Juny finden Sie, edler Freund, uns hier.

Sehen Sie

einen von den Unsern, dann sagen Sie diesem, daß die mir theuren

Entfernten mir immer gegenwärtig seien, und mit Dank gedenke ich

all der Beweise der

Freundschaft und

Achtung, die so

’) Fanny Potel, Besitzerin des goldenen Schiffs in Teplitz.

viele

gute

660

Abreise. — Ankunft in Teplitz.

Menschen mir in Leipzig gaben. Kommen Sie recht bald nach Töplitz, und freuen Sie sich mit uns der schönen Natur und der Heilkraft dieser wohlthätigen Bäder. Elisa."

Nach Empfang dieses Briefes reiste Seume ab. Beim Abschiede übergab er das Manuskript seiner Selbstbiographie dem Doktor Braune aus Dankbarkeit für dessen ärztliche Bemühungen um ihn, die er ihm anders nicht lohnen konnte. Daß Seume diese unvollendete Arbeit schon

jetzt aus den Händen gab, ist der deutlichste Beweis, daß er seinen nahen Tod voraussah. Seume reiste über Dresden und traf in den letzten Tagen des Mai in Teplitz ein. Die Liste der Teplitzer Badegäste von 1810 führt ihn wie folgt auf: „Unterm 3. Juni angemeldet Nr. 322 Herr Joh. Gottfried Seume, Privatgelehrter aus Leipzig, wohnt im goldenen Schiff Nr. 116."

In Teplih. Letzte Lebenstage, Tod und Begräbnis. Ende Mai bis 15. Juni 1810.

eume bezog im goldenen Schiff *) ein Zimmer im zweiten Stock am äußern Ende des rechten Flügels, das ihm genügend Licht und

Luft und einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und ihre Umgebung

bot.

Hier sollte er seine Tage beschließen. Elisa von der Recke, Tiedge und Charlotte Witthauer waren im fürst­

lichen Badehause, von dem das goldene Schiff nicht weit entfernt liegt, abgestiegen, während Clodius, der ihnen in der That nachgereist war, in

der Töpferschenke wohnte.

Er zog indes bald nach Seumes Ankunft ins

goldene Schiff hinüber und zwar in die über Seumes Zimmer gelegene Mansarde, um dem Kranken

auch

des Nachts nahe

zu

sein.

Bald

sammelten sich auch noch andre Freunde und Bekannte um Seume her,

unter ihnen der ebenfalls zum Gebrauch der Bäder dort weilende Dresdner Arzt Weigel8) wie auch der k. k. Militärarzt Carl Sßotel8), der ein Bruder der Wirtin vom goldenen Schiff und ein warmer Verehrer Seumes *) Nicht „goldenes Schiff oder die sogenannte Töpferschenke", wie Clodius im

Anhänge zu „Mein Leben" irrtümlich schreibt.

Beide nebeneinander liegende Grund­

stücke sind vollständig getrennt, tragen verschiedene Nummern und hatten schon Anfang 1810 zwei verschiedene Besitzer.

Die jetzige Bezeichnung für Seumes Sterbehaus ist

Seumestraße Nr. 5. a) Karl Christian Leberecht Weigel, geb. 1. Dezember 1769 in Leipzig, studierte

daselbst Medizin, promovierte 1791

und ließ sich als praktischer Arzt in Dresden

nieder. Er starb als Professor der Medizin am 17. Januar 1845 in Dresden. ’) Karl Potel war 1787 in Teplitz geboren, hatte 1809 als k. k. Oberarzt den Feldzug gegen Napoleon milgemacht und war Anfang 1810 in seine Heimat zurück-

In Teplitz.

662 war.

Dieser junge Mann ließ sich die Pflege des Kranken besonders

angelegen sein und hielt namentlich des Nachts getreulich Wache bei ihm. In Teplitz ward es bald bekannt, daß der Spaziergänger nach

Syrakus als ein siecher Mann angekommen war, um Heilung zu suchen. Sein Zustand erweckte allgemeine Teilnahme, und jedermann war auf den Erfolg der Kur gespannt. Man erzählte sich ja Wunderdinge von der Heilkraft der Quellen, so daß auch Seume wiederum zu hoffen be­ gann und die Kur möglichst zu beschleunigen wünschte. Aber der Teplitzer Brunnenarzt Hofrat Ambrozy, den er um Rat befragte, nahm ihm fast jede Aussicht hierauf. Der Gebrauch des Stadtbades wurde ihm untersagt, und nur der des weniger angreisenden Steinbades in Schönau gestattet. Seume fügte sich diesen Anordnungen willig und hatte anfangs auch die Kraft, bei' gutem Wetter den Weg nach und von Schönau zu Fuße zurückzulegen und alsdann noch bei Elisa von der Recke zu Mittag zu speisen. Er trug auf diesen Gängen einen grauen Reiseanzug mit Gamaschen, einen braunen Mantel, eine phrygische Mütze und seinen Knotenstock. In dieser Tracht zeichnete und stach ihn der Maler Geißler') in Leipzig: das letzte Bild nach dem Leben, das wir von Seume besitzen. Mancherlei Schwierigkeiten bot es, für Seume in Teplitz ein zweck­ mäßiges Getränk ausfindig zu machen. Das Brunnenwasser war zu weich und mundete ihm nicht, der Biliner Sauerbrunnen zu schwer und vermehrte seine Schmerzen; Wein oder Bier durfte er gar nicht trinken, und Selterwasser war anfangs nicht aufzutreiben. Auch das Quellwasser des Marienbrünnleins, von dem Clodius eine Flasche voll aus dem eine Stunde entfernten Kloster Mariaschein herbei holte, sagte Seumen nicht zu. Im Unmut hierüber ging er endlich selbst auf die Suche und war nicht wenig stolz, als es ihm wirklich gelungen war, bei einem Krämer in Teplitz einige Flaschen des sehnlichst herbeigewünschten Selterwassers ausfindig zu machen. Dieses konnte ihn freilich aber eben so wenig als irgend ein Wundermittel von den wiederkehrenden Qualen seines Übels

befreien. Wie schon aus dem Gesagten hervorgeht, bemühte sich Clodius in

diesen Teplitzer Tagen redlich um Seume.

Beide kannten sich zwar

schon seit etwa zwanzig Jahren, waren aber erst durch ihre Beziehungen zu Frau von der Recke und Tiedge miteinander vertrauter geworden, gekehrt.

Er ließ sich in Teplitz als Wundarzt nieder, erbte 1839 von seiner unver­

heiratet gestorbenen Schwester Fanny das goldene Schiff und starb 1842 in Teplitz.

Durch seine Witwe vererbte sich das goldene Schiff auf die Familie Seufferlh. *) Christian Gottfried Heinrich Geißler, geb. 1770 in Leipzig, gest. 27. April 1844 ebendaselbst.

In Teplitz.

663

Als Seume in Teplitz angekommen war, und Clodius ihm seine Ver­ lobung mit Charlotte Witthauer mitteilte, schrieb er der Braut ins

Stammbuch: „Das ist ein Mai!

Nicht wahr?

Gesteh eS frei:

Trotz allem altem Einerlei In seiner Feerei Kam ihm bisher noch keiner bei.

Das ist nun so die Melodei Der lieben Freierei

Und ihre Zauberei. Ich wünsche, daß sie ewig sei.

Es ist des Glücks noch viel auf Erden. Treibt Ihr es gut, so kann es werden."

Dieser Stammbuchvers (Hemp. Ausg. V. S. 193) und das satirisch­ pessimistische Gedicht „Abendlied" (Hemp. Ausg. VII. S. 245 f.) sind aller Wahrscheinlichkeit nach die letzten Erzeugnisse von SeumeS Muse. Das Abendlied überbrachte er der Frau von der Recke kurze Zeit vor seinem Tode, wie deren eigenhändige Bemerkung auf dem Original be­ urkundet. Die letzten Strophen dieses eigenartigen, als Anhang zu den „Apokryphen" 1811 zuerst gedruckten Gedichts lauten: „Wer hoffnungsvoll noch in das Leben tritt. Der firlefanze blindlings mit. Maß er sich auf seiner ebnen Bahn ein Ziel,

Denk' er lieber stets zu wenig als zu viel; Helfe zu dem Neigen Dideldumdum geigen; Und es dreht sich alles in der Schnurre.

Mein Lauf ist bald barock genug vollbracht; Bald schlägt's vielleicht mir gute Nacht: Um die Schläfe wird auch schon das Haar mir weiß,

Gar nicht lange dauert's mehr, so bin ich Greis;

Dann kommt mit der Sichel Hein und mäht den Michel

Und bugsiert ihn hinter die Gardine."

Es ist leicht erklärlich, daß Seumes Gemütsstimmung je nach seinem körperlichen Befinden häufig wechselte und dadurch gewisse Widersprüche in seinem Verhalten verursachte, über die seine Freunde klagten. Bald ließ er mit stoischer Geduld alles über sich ergehen und befolgte alle Vorschriften mit fast ängstlicher Genauigkeit, bald legte er eine Wunder­ lichkeit an den Tag, die fast an Starrfinn grenzte. Clodius sagt hier-

664

Letzte Lebenslage,

über wie über Seumes letzte Lebenstage im Anhänge zu „Mein Leben"

u. a. folgendes:

„ . . . Leider war Seume bei der rauheren Witterung, die dem ersten Scheinfrühlinge folgte, Baden ganz auszusetzen:

keineswegs dahin

zu bestimmen, das

„Ich bin hierher gekommen, um zu baden,"

sprach er, „folglich muß ich baden und kann nicht auf die Witterung warten."

Diese traurige Konsequenz, verbunden mit der kleinen In­

konsequenz,

einmal nach

dem

Bade, der Einladung des

gastfreien

Prälaten von Ossegk zufolge, sich umzuziehen und trotz aller Erinne­

rung bei Tische selbst seine diätetischen Regeln alle zu vergessen, —

Nur ein paar Mal saß er noch gebückt in

war entscheidend.

seinen

Mantel gehüllt und mit aschgrauer Gesichtsfarbe in dem gewohnten

Kreise und

mußte seinen Sitz

bald mit

dem

Sopha, endlich

mit

Er konnte nun nicht mehr aufdauern, und

dem Bette vertauschen.

alles, was ihm sonst lieb gewesen war, widerstand ihm. Gern hatte er vordem in dem Zirkel der Frau von der Recke

von deren Begleiterinnen die Lieder Elisens und Tiedgens zur Guitarre oder Schillers Ideale nach Naumanns tief ins Herz dringender Kom­ position zum Fortepiano

singen

hören und den Sängerinnen durch

manche Herzlichkeit, ja selbst durch manche feinere Galanterie gedankt.

Einst brachte er ihnen eine Rose.

„Ich habe nicht mehr als die Eine

Rose," sagte er, „und ich glaube Sie damit zu ehren, daß ich Ihnen

beiden nur Eine gebe." liebenswürdigen

und

Noch in Töplitz, wo die Anwesenheit der

talentvollen Wittwe

Naumanns manche Ver­

anlassung zu musikalischen Unterhaltungen gab, war Seume ein auf­ merksamer Zuhörer.

Ja selbst in den letzten Tagen, ehe er sich legte,

ward er durch die Stelle in einem von Elisens Liedern: „Hinter jenen Sternen Hält die Liebe Wort," —T)

wunderbar ergriffen.

Dieser Gedanke rührte unsern düster und in

sich gekehrt dasitzenden Seume so sehr, daß er mitten unter dem Ge­

sänge mit Thränen in den Augen aufstand, Elisen die Hand drückte

und sagte: „Elisa, das ist ein herrlicher Gedanke!"

Dieses war auch

die letzte Aeußerung unseres Freundes, die von Gefühl für die Außen­

welt und für das höhere Schöne zeugte, wiewohl sie hinreichend seine

Ueberzeugung

von der Fortdauer des

*) Aldo's Bild.

von C. A. Tiedge.

edleren Daseins in uns be-

Siehe Gedichte der Frau Elisa von der Recke, herausgegeben

Mit Kompositionen von Himmel und Naumann, Halle 1806.

665

Letzte Lebenstage.

Man bot ihm an, als er sich schon ganz in sein Kranken­

urkundet.

zimmer zurückgezogen und verschlossen hatte, ihn wenigstens noch von ferne Musik hören zu lassen; aber er verbat es, wie auch die Besuche selbst aller Freunde, die nicht, so zu sagen, zu seiner medizinischen Wartung

angestellt

schien

Ganz

waren.

von nun an der kräftige

Geist in sich selbst zusammengerollt, hatte das äußerliche Wesen den körperlichen Leiden, ja selbst den wehmüthigsten Aeußerungen derselben

überlassen und verkündete sich nur noch durch den starren, aber durch­ dringenden,

prüfenden Blick,

mit

dem

er die

Umstehenden ansah.

Selbst auf meine mit möglichster Schonung und Vorsicht an ihn ge­ richtete Frage, ob er noch einem abwesenden oder gegenwärtigen Freunde

etwas zu entdecken und anfzutragen habe, antwortete er nicht mehr verständlich, wiewohl er seinen Leipziger Arzt und vertrauten Freund,

Doktor Braune, mit Namen nannte.

der,

in

den

Den Trost einer höhern Welt,

herrlichsten Sprüchen der Weisen des Alterthums aus­

gedrückt und in einem vor seinem Sterbelager aufgeschlagenen Bande

der Reisen des jünger« Anacharsis gesammelt, mehr seine trauernden

Freunde erhob,

als

sein Ohr erreichte,

schien

er nicht mehr

zu

bedürfen.

Freilich hatte wohl die Ansicht seines Zeitalters Seume in den spätern Jahren seines Lebens manches Symbol geraubt, das zu einer andern Zeit ihm in dem

minder

bittere,

letzten Kampfe seiner Natur eine heitere,

versöhnte Stimmung

hätte

geben können.

Freilich

sprach er wohl zuweilen in eben dem rauhen Tone mit dem Himmel

wie mit seinen nächsten Freunden und glaubte vielleicht den Himmel, den er mit seinen Bitten nicht bestürmen zu wollen erklärte, ebenso

dadurch zu ehren wie seine Freunde.

dem Sturme von Warschau,

Allein der Mann, der unter

in einer Stunde, wo achtzehntausend

Menschen um einer politischen Maxime willen hingeschlachtet wurden, zu Gott betete, — betete

auch zu Gott in seiner Todesstunde -und

trat mit dem letzten Seufzer über das so grausende Gemälde des niedern Lebens an die Schwelle einer richtenden, aber auch versöhnen­

den Ewigkeit. Eine Sterbenacht ist schon an sich feierlich, und die Nacht, wo

unser Freund seinen letzten Kampf zu kämpfen begann, ward es noch mehr durch die Umgebungen, durch das tief unter dem matt erhellten

Krankenzimmer im Schatten liegende Töplitzer Frühlingsthal, umringt und durchschnitten von grotesk gestalteten Bergen, deren Rücken sich

bis an die Fenster zog, durch das fernher vom Begräbnißplatze leuch­

tende,

ahnungsvolle Licht

einer

Kapelle,

wo

schon

ein Leichnam

666

Letzte Lebensstunden.

bewacht

wurde,

der

Seume

unserm

am

folgenden

Tage

weichen

mußte." *)

Einen ausführlichen Bericht über Seumes letzte Stunden giebt der

Buchhändler Weigels, der zum Besuche seines Bruders, des schon ge­ nannten Dresdner Arztes, nach Teplitz gekommen war und dort Augen­ zeuge von Seumes Tode wurde.

Er schreibt darüber in seinen Auf­

zeichnungen: „Nach meiner Ankunft in Töplitz, wo ich zum Besuche meiner

Verwandten hinreiste, besuchte ich meinen Freund Seume, da ich hörte, daß er krank darnieder läge.. Dies geschah einen Tag vor seinem

Tode.

Als ich in das Ziminer eintrat, wo ich seinen Bedienten fand,

richtete er sein stark fastendes Auge auf mich und reichte mir die Hand.

Das Sprechen wurde ihm eben nicht beschwerlich.

Er klagte,

daß er in dieses Bad gegangen wäre, da es ihm an Vertrauen dazu Er sprach ohne

fehlte, und schloß, man wird mich hier begraben.

Furcht vom Tode.

Ich brach ab und lenkte das Gespräch auf Er-

eigniste der Zeit und Personen, wo er mit Freimüthigkeit sprach und gerade so wie in gesunden Tagen.

Oft bekam er gallichtes Erbrechen,

dem ein ängstliches Stöhnen vorherging.

Er wendete sich mit unter­

gestütztem Arm mit den Füßen zum Bette heraus, ohne daß er Hülfe dabei nöthig hatte, und ich hielt ihm beim Erbrechen blos den Kopf.

Dies war den Vormittag.

Nachmittag fand ich sein Auge verändert.

Ich wollte, weil ihn zioei Fenster blendeten, die Vorhänge herunter­ lassen, er sprach aber dagegen und äußerte, gönnt mir doch so lange

noch das Licht, als ich hier bin, ich habe es ja immer geliebt.

Ich

ging weg, da er Personen um sich hatte, und er reichte mir die Hand. Wie verändert fand ich ihn aber den Morgen darauf; er sah mich, als ich eintrat, sein Auge war matt, und seine Lippen weiß.

Ganz

ruhig setzte ich mich aufs Canapee, um ihn zu beobachten, dies war

um zehn Uhr, er stöhnte immer „Ach Gott", und ich half ihm, als er wieder Erbrechen bekam.

angekommen war;

Der Bediente war weggegangen, als ich

unser Clodius

war beschäftigt,

sein Zimmer im

dritten Stock zu räumen, wohin Seume gebracht werden sollte.

Ich

hatte einen Gang zu thun und sagte dem Bedienten, daß er meinen *) Siehe auch Taschenbuch „Minerva" von 1812, S. 289 s.

2) Johann August Gottlob Weigel, geb. 23. Februar 1773 in Leipzig, war Buchhändler und seit 1795 Universiläts-AuktionS-Proklamalor daselbst.

25. Dezember 1846 in Leipzig.

Er starb am

667

Letzte Lebensstunden und Tod.

Freund keinen Augenblick verlassen dürste.

Ich lief, um eiligst wieder

da zu sein, der Bediente ging, und ich saß auf dem Canapee.

wendete sich, und ich fragte, wünschen Sie etwas?

Seume

„Nichts, lieber

Weigel, ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie nicht bös sein sollen,

wenn ich manches sage, was ich in einem andern Zustande nicht sagen

würde, ich nehme eine Schuld mit, ich kann Ihnen nichts vergelten.

Meine Augen werden dunkel."

Dies sprach er langsam und schwächer,

sein Mund bewegte sich convulsivisch, und mit der einen Hand zog er immer an dem Ueberzuge.

Hand.

Ich war tief gerührt und drückte ihm die

Ich ging vor die Thüre, um Clodius zu sagen, daß das

Räumen unnütz sein würde;

als ich eintrat, sagte der Bediente, ich

glaube, er ist todt; ich ergriff seine Hand und sprach stark auf ihn,

seine Augen waren starr, und seine Lippen weiß, die andere Hand völlig kalt.

Ich drückte dem Biedermann die Augen zu, der auch bis

zum letzten Augenblicke seinen Charakter rechtfertigte, und dessen Ver­ lust ich tief fühle.

Von der treuen Sorge der edlen Frau von der

Recke und des braven Clodius, der ärztlichen Bemühung des Hofraths

Ambrozi und meines Bruders bin ich Augenzeuge gewesen, und gewiß

wurden dem Verblichenen die letzten Stunden leichter, da er umgeben von ihn liebenden Freunden seine mühevolle Laufbahn schloß. I. A. G. Weigel/")

Seume starb am dreizehnten Juni 1810 vormittags zwischen elf

und zwölf Uhr.

Ein Umstand, der weniger den Sterbenden als dessen

um ihn versammelte Freunde beunruhigte, trug dazu bei, dem romantischen Bilde seines Lebens die entsprechende Vollendung zu geben.

Seume war

in dem Augenblicke, wo er starb, eigentlich ohne Quartier.

Er hatte

zufolge seiner eigenen Vereinbarung mit der Wirtin das Zimmer im goldenen Schiff am Morgen des dreizehnten Juni räumen und in eines der Nachbarhäuser hinüber ziehen wollen.

Seine Habseligkeiten waren

schon zusammengepackt, und die Sänftenträger kamen eben an, um Seume abzuholeu,

als man bemerkte, daß er schon im Sterben lag.

Seumes

Zimmer war weiter vermietet, und die Wirtin, die eine unüberwindliche

Scheu vor Toten hatte und wohl auch fürchten mochte, daß durch einen Todesfall in ihrem Hause andre Badegäste abgeschreckt würden, bei ihr

zu wohnen, wollte den Sterbenden nicht behalten.

Clodius aber wider­

setzte sich der Fortschaffung Seumes, zu der die Sänftenträger ebenso ’) Siehe „Bildcrheftc zur Geschichte des Bücherhandels und der mit demselben verwandten Künste und Gewerbe", Köln 1853—65.

Tod und Begräbnis.

668

wenig Lust verspürten, als der neue Wirt geneigt war, ihn aufzunehmen. Schließlich gelang es noch, die Wirtin dahin zu bestimmen, daß Seume

im goldenen Schiff bleiben, sein Zimmer aber mit dem vertauschen sollte, worin Clodius bisher gewohnt hatte.

Während man noch über diesen

Wohnungswechsel verhandelte, löste der Tod schon die Feffeln, die Seume mit seinem irdischen Dasein verknüpft hielten: sein Engel rief das längst

ersehnte Abgelöst! — Seumes Hinterlassenschaft übergab man dem Magistrat und traf

Anstalten zu seiner Beerdigung.

Die katholische Geistlichkeit zu Teplitz

gewährte dem seltsamen Erdenpilger bereitwillig eine freundliche Ruhe­ stätte in geweihter Erde.

Am fünfzehnten Juni, vormittags zehn Uhr, versammelten sich die in Teplitz anwesenden Freunde Seumes in der Wohnung der Frau von

der Recke, um sich von dort nach dem Friedhofe zu begeben.

Die priester­

liche Handlung vollzog der Dechant und Konsistorialrat Protze.

Außer

Frau von der Recke, Tiedge und Clodius befanden sich in der Trauer­ versammlung der Philosoph Fichte mit seiner Gattin aus Berlin, die

zum Gebrauch der Bäder anwesende Gattin Böttigers, die Witwe des

Komponisten Johann Gottlieb Naumann, der Hofrat Tittmann und der Doktor Weigel aus Dresden, der Graf Heinrich Ludwig von Schönfeld

aus Wien, der sich Seumes bildenden Umgangs von Leipzig her dankbar erinnerte, der Baron von Völkersam, der Bürgermeister von Teplitz, der

k. k. Rat und Kurinspektor von Eichler

und viele andre Bürger und

Badegäste, die den Verstorbenen aus seinen Schriften schätzen und lieben gelernt hatten. Das von den Chorknaben gesungene Begräbnislied: „Wie die Blume in dem Staube," war von dem Geistlichen ganz in dem Sinne von Seumes Weltanschauung gewählt, ja es schien, als ob

Seume es selbst gedichtet hätte. Rach dem Gesänge empfing die Leiche in der kleinen Kapelle den priesterlichen Segen, der Sarg mit den Über­

resten des Verblichenen wurde unter dem Klange der Sterbeglocken zum nahen Grabe getragen und dort dem Schoße der Erde übergeben.

Clodius

rief dem Dahingeschiedenen vor dem Kreise der stilltrauernden Versamm­ lung folgende Worte nach:

„Hier

also,

auf diesem Hügel kalter Erde, legt unser Seume Wohl ihm und uns,

seinen

Freunden, daß wir es sagen können vom Grunde des Herzens!

Richt

seinen Wanderstab für immer nieder.

ziellos war seine Reise, nicht vergebens sein wunderbar reiches Leben, so oft er diesem Leben am Abend seiner Tage auch wohl zürnen

mochte, überwältigt vom Schmerz der Seele und ihrer irdischen Hülle!

Begräbnis.

Was Seume war, ward

669

er durch sich selbst.

Nicht aus rohem

Triebe durchwanderte unser geliebter Wanderer nach Syrakus die Erde. Er suchte die Spuren der allwaltenden Ordnung in Schönheiten und

Schrecknissen der Natur, in den Trümmern gesunkener Völker, in den

Mordscenen seiner Zeit, Brüder.

in den Gesinnungen der Menschen,

seiner

Ach, der rauhe Sohn der Natur mit dem geraden Blick,

mit dem tiefsten, brennendsten Gefühle des Rechts im Herzen, und

dieses Herz auf der Zunge tragend, konnte seine Menschen nur zürnend, nur murrend lieben.

Dennoch liebte er sie, und die edelsten seines

Volks entgegneten dankbar seine Liebe.

Jetzt empfängt ein fremdes

Land, in dessen heilenden Quellen er Milderung seiner Qualen suchte, seine Asche und

endete diese Qualen mit

ewiger Ruhe.

Freunde, diesen heiligen Boden, der sein Grab ward!

war hier nicht getäuscht mit leeren Hoffnungen.

Segnet,

Unser Freund

Er wähnte hier von

Schmerzen zu ruhen, die unheilbar waren, und fand hier das höchste

Leben, das keiner Heilung bedarf.

Friede seiner Asche!"

Nachrufe, Nachlaß und Würdigung.

ie Kunde von Seumes Tode verbreitete sich bald im Vaterlande und erweckte die tiefste Trauer in den Herzen aller Guten.

Böttiger war einer der ersten unter Seumes Freunden, denen die

Trauerbotschaft aus Teplitz zuging.

Er empfing sie gelegentlich eines

Berichts über den sich täglich bessernden Gesundheitszustand seiner Gattin durch den Doktor Weigel, indem ihm dieser unterm

14. Juni schreibt:

„ . . . Nun eine Nachricht aus dem Mollton.

Gestern Mittag

ist der ehrliche Seume gestorben, hinübergegangen in das Land des

Friedens.

In den letzten drei Tagen habe ich ihn nach seinem und der

Frau v. d. Recke Verlangen ärztlich mitbesucht. nichts mehr.

Zu thun war gar

Der Tod will eine Ursache haben, und bei dem alten

Seume war die Veranlassung folgende:

Auf wessen Ordre mag ich nicht entscheiden, aber unstatthaft nach meiner Ueberzeugung brauchte Seume das hiesige Bad, brauchte es

in den eiskalten Tagen der vorigen Woche und war schwach genug, ein Diner beim Prälaten von Offegk, was seine Freunde für ihn aus­ geschlagen hatten, noch anzunehmen,

oder vielmehr zu suchen,

und

solche Diätfehler dabei zu begehen, daß er von dem Tage an so heftiges,

mit nichts zu beschwichtigendes Erbrechen, zuletzt von offenbar faulen­

der Galle, bekam, das den Rest seiner Kräfte in wenig Tagen aufrieb.

So leidend

er in diesen Tagen war, so blieb sein Kopf doch frei;

frei bis wenig Minuten vor seinem leichten Hinscheiden, — es war das Einschlafen eines sehr Ermüdeten.

Morgen werden wir anwesen­

den Landsleute ihn zur Ruhe begleiten. Weigel."

Völliger an Elisa von der Recke.

671

Völliger richtete sogleich nach dem Empfange dieser Nachricht folgen­

den Brief an Elisa von der Recke:

„Dresden, d. 16. Juni 1810. Meine höchst ehrwürdige Freundin! Dem Wanderer gehört die ganze Erde!

Unser verewigter Seume

wird, was irdisch und sehr mürbe an ihm war, zwar nicht dem eigentlich

so genannten heimischen Boden, aber doch dem Schooß der Mutter

zurückgegeben, die hier oder dort unsre Hüllen bald alle in sich auf­ nehmen wird.

Durch Ihre gnädigen, wohlwollenden Anerbietungen und Auf­ forderungen ermuntert, ergriff er zum letzten Mal seinen Wanderstab.

Lassen Sie mich hinzusetzen. Ihnen wurde das Glück zu Theil, einen

der

edelsten,

großherzigsten Menschen, den

dies

entartete Geschlecht

kaum zu tragen vermochte, die letzten Tage durch Pflege und Auf­

merksamkeit zu versüßen, die so nur von Ihnen kommen konnte. Freunde

Alle

des Verstorbenen, — und er hatte deren mehrere sehr er­

probte, — müssen Ihnen dafür den gerührtesten, gefühltesten Dank abstatten.

Er war auch der meinige im schönsten Sinne und bewies

sich als solcher noch im vorigen Winter, als viele Leipziger über mich

schrieen.

Ich muß meinem gepreßten Herzen Luft machen und Ihnen,

großmüthige Gönnerin und Freundin alles dessen, was brav und gut

und deutsch ist, noch ehe vielleicht die sterbliche Hülle des Freundes zu Grabe gebracht ist, danken. Schön war im Alterthum die Sitte der Todtenopfer, nicht um der Verstorbenen, sondern um der Lebenden willen. ist nie besser, als wenn er dankbar ist.

Denn der Mensch

Lassen Sie uns also, meine

ehrwürdige Freundin, alle dazu vereinigen, unserem Seume die heilige

Gebühr, wie es die Griechen nannten, zu bezahlen.

Tiedge, Clodius,

Ihr seid Dichter!

Von Euch erwartet der Dichter den ersten Klang

des Saitenspiels.

Wäre ich Fichte gewesen, ich hätte die letzte meiner

Reden ans deutsche Volk auf Seumes Grabe gesprochen.

In öffent­

lichen Blättern, besonders im Nekrolog der würdigsten unserer Zeitungen, der allgemeinen, nicht genug.

soll mein Nachruf nicht ausbleiben.

Denkstein den Vorübergehenden sagen: Stab!"

Aber das ist

Auf diesem uns wenigstens fremden Boden muß ein „Hier ruht des Wanderers

Ginge es meiner Phantasie nach,

so müßte der edle Fürst

Clary ein BoSket in seinem Garten der Hülle unseres Freundes ge­

gönnt haben, und dort würde ihm auf Subscription ein würdiges Denk­

mal errichtet.

Denke ich an die wackeren Leipziger, so müßte, recht

673

Böttiger an Elisa von der Recke.

angefangen, die Subscription recht ansehnlich ausfallen. Denn wenn ich in meiner Armuth einen Friedrichsdor subscribire, so müssen dort

einzelne Begüterte sechs und acht Friedrichsdor unterzeichnen. Und sie werden es, wenn einige Leithammel, Verzeihung dem unedlen Worte, verständig geleitet voraustraben. Aber das Eisen muß warm geschmiedet werden! Wie fangen wir dies an? — Erhard ist hier, um seine zur Frau von Poncet aus der Oberlausitz hierher gekommene Tochter zu

besuchen.

Ich werde ihn heut, wo er noch hier ist, für die Sache ins

Feuer zu setzen suchen, Ihrer Einwilligung, meine ehrwürdige Freundin, int voraus gewiß. Hier ist ein wackerer Bildhauer, der Hofbildhauer Petrich, ein geborener Böhme, der viel Monumente nach Böhmen be­ sorgt. Der würde unter meinen Augen das Ganze brav arbeiten. Das Emblem, das mir sogleich auf den ersten Gedanken vorschwebt, wäre ein cubisch behauener Stein, das alte Sinnbild des festen Mann­ sinns, den die Griechen einen viereckigen nannten, auf ihm ein Flügel­ schuh oder Flügelhut nebst einer Lyra. Erdenkt es jetzt besser und feiner, Ihr lieben Töplitzer Freunde! Am letzten Abend, den ich mit Seume in Leipzig zubrachte bei

Göschen, sagte er mir, daß er sein Leben zu schreiben begonnen habe. Wir sprachen darüber, daß er dem Schluß desselben einen köstlichen Brief des Allvaters Wieland einweben müsse. Das ist nun wohl beim Willen geblieben. Aber die Frage ist erlaubt, wer ist Aufbewahrer seiner Papiere in Leipzig? Hat er Ihnen darüber seinen Willen offenbart? Denn der würdige Weigel verschwieg ihm ja wohl die schnell annähernde Stunde nicht. Wir Deutschen haben jetzt Alles verloren, wenn wir auch nicht einmal unsere Worthies mehr zu ehren wissen und uns lieben wie Aretinische Hunde, herumbeißen und zerfleischen. Ehrwürdige, mir durch Bode zuerst zugeführte Freundin! 58er« zeihen Sie die regellose Verwirrung dieser Zeilen. Seumes Tod macht mich sehr traurig. An Fragen nach Ihrem Befinden habe ich nicht gedacht, aber sie sind mir darum doch sehr wichtig. Ich grüße die Edlen, die Sie umgeben. Dank für das ausgezeichnete Wohlwollen, das Sie meiner zur Ehre der Töplitzer Heilquellen immer mehr erstarkenden Frau beweisen. Sie rühmt es mit tiefer

Rührung. Mit der innigsten, treusten Verehrung und Verpflichtung

Ihr ganz eigenthümlicher Böttiger."

673

Elisa von der Recke an Böttiger.

Fray von der Recke antwortete: „Franzensbrunn bei Eger, d. 24. Juni 1810.

Die letzten Tage unseres Seume nach Möglichkeit erheitert zu

haben, ist mir eine wahre Beruhigung.

Gleich nach seiner Ankunft

in Töplitz sagte Ambrozi es mir, daß ich mich auf den baldigen Ver­

lust dieses Freundes gefaßt machen müsse, weil eine nahe Auflösung

seiner ganzen Organisation zu vermuthen sei.

Geizig nahm ich jeden

Augenblick wahr, um, so viel ich es vermochte, seine Stunden zu er­

und

heitern

seine Leiden zu

vermindern.

Auch

habe

ich die Be­

ruhigung, daß der Theure selbst unter martervollen Schmerzen sich in

meinem Kreise wohl gefühlt.

letzte Gang, den

Der

er in seinem

Leben machte, war zu mir; nur auf ein halbes Stündchen wollte der Theure am Freitage bei uns bleiben, und über drei Stunden saß er, von Schmerzen niedergebeugt, am Ende heiter.

und

scherzte

sich mit Tiedge und mir

Gebückt stand er auf und sagte, ich werde mich noch

niederlegen müssen; er wankte nach Hause und verließ das Kranken­

lager nicht

mehr.

Am Mittwoch nach elf Uhr morgens ward der

aller Erdenleiden entbunden.

Theure

Am Montag Abend sprach ich

ihn zum letzten Mal; daß Seume von diesem Krankenlager nicht mehr aufkommen würde, war ich überzeugt, doch hatte ich den Muth nicht,

dem Theuren meine Vermuthung zu sagen; in dem nämlichen Falle

Daß Seume Leipzig mit bet Hoffnung

waren alle seine Freunde.

verlassen hat, noch eine Reise nach der Schweiz machen zu können, ist mir sehr wahrscheinlich. (?) Welche Ordnung er mit seinen Papieren

weiß ich nicht,

in Leipzig getroffen hat,

wenige

Bruchstücke

werden.

seiner

aber

ich

fürchte,

interessanten Biographie

daß nur

vorhanden

sein

Ich munterte den Theuren oft in Leipzig auf, alle anderen

Arbeiten liegen zu laffen und sein interessantes Leben zu schreiben;

denn schon da fürchtete ich, daß dieser edle, kraftvolle Mann uns bald

würde entrissen werden.

Auch weiß ich von ihm selbst, daß er auf

meine Bitte über sein Leben gegen zwölf Bogen geschrieben hat.

Wer

seine Papiere in Leipzig in Empfang nehmen und ordnen wird, weiß

ich nicht, daß aber unter seinen Papieren ein starkes Heft sehr inter­ essanter, kraftvoller Gedanken in Rochefoucault's Manier vorhanden,

dieß weiß ich;

aber viele

dieser

kräftigen Aeußerungen würden in

unsern Zeiten schwerlich ungestrichen durch die Censur kommen.

In

Rücksicht eines Monuments wurde in Töplitz beschlossen, daß sein Grab

nur mit einem weißmarmornen Stein bedeckt werden soll, auf welchem nichts

stünde

als „Seume".

Planer u. Rcibman». Seume.

Dieß Denkmal wollten seine Freunde 43

Elisa von der Recke an Böttiger.

674

ihm setzen, die den Trost genossen, seiner Leiche zu folgen und seine letzten Tage zu versüßen.

So einfach wie Seume sich im Leben betrug

sei auch der Leichenstein, der über seiner Hülle ruht.

Aber in Leipzig,

wo er gelebt und gewirkt hat, da wünschte ich, daß dem edlen deutschen

Kraftmann von den Verehrern seines Geistes und Charakters auf dem öffentlichen Spaziergange, auf einer der schönsten Stellen, ein würdiges

gesetzt würde;

Denkmal

schönen Stoff zu geben.

zu solch einem Denkmale scheint Ihre Idee

Seume verdient meiner Ueberzeugung nach

wenigstens eben so sehr ein solches Zeichen der öffentlichen Verehrung

dem, so viel die Philosophie ihm auch zu danken hat,

als Leibnitz,

ich meine Stimme zu einem öffentlichen Ehrendenkmal versagt haben

würde, weil er so unphilosophisch war, daß er zur katholischen Kirche Wohl aber thut der Gedanke mir, daß die Gebeine des

hinüber trat.

Vernunftmenschen Seume

edlen

Katholiken

liegen.

mitten unter den Gebeinen

Der Kirchhof ist der Ort,

eifriger

wo aller Unterschied

der Stände und Meinung aufhört, und jeder, dessen Hülle da ruht, der erntet im neuen Leben dasjenige, was er hier aussäete.

der

Tiedge,

sich Ihnen

herzlichst

empfiehlt,

Freund

hat an Mahlmann die

Anzeige des Todes unseres Seume geschickt; diese kurze Anzeige floß

aus

dem Herzen

unseres Tiedge,

dessen wankende Gesundheit durch

den Tod seines innig geliebten Freundes sehr gelitten hat?)

Wem

Tiedges Gesundheit theuer ist, der niuß ihn bitten, jetzt über Seunie

noch wenigstens in einem Jahre keine Feder anzusetzen.

Clodius, der

biedere, edle, geistvolle Mann, hielt am offnen Grabe unsres Ent­

schlummerten eine kurze, aber sehr schöne Rede.

Kein Bruder hätte

einen geliebten Bruder mit mehr Innigkeit pflegen können, als unser Clodius dieß that. —

Tränke ich nicht Eger, ich hätte ihnen noch mehr von Seumes

letzten

Aeußerungen geschrieben.

Auf immer Ihre Sie hochachtende

Freundin

Elisa von der Recke." Die erste Zeitungsnotiz über Seumes Tod findet sich in der „Zeitung für die elegante Welt" von 1810, Nr. 122 vom 18. Juni, die öffentliche

Todesanzeige

20. Juni.

in

der

„Leipziger

Zeitung" von

1810,

Nr.

119

vom

Diese lautet wörtlich:

*) Tiedge erreichte trotz seiner Kränklichkeit ein hohes Alter.

Durch ein Ver­

mächtnis der Frau von der Recke vor Sorgen geschützt, genoß er die letzten Jahre seines Lebens ungetrübten Geistes in heiterer Ruhe. Dresden.

Er starb am 8. März 1841 in

Öffentliche Todesanzeige. — Nachruf von Tiedge. — Göschen an Böttiger.

675

„Den 13. Juni starb Seurne in Töplitz. Die Frau Gräfin von der Recke, Tiedge und Clodius sorgten für ihn. Schnorr v. K.

Göschen.

Or.Gehler.

vr. Braune."

Hierauf erschien in der „Zeitung für die elegante Welt" von 1810, Nr. 127 vom 26. Juni der Nachruf von Tiedge, worin es nach einem längeren Bericht über Seumes Krankheit wörtlich weiter heißt:

„9Zeun Tage litt er, aber sein Tod war ruhig und sanft. Was er seinem Volke als Schriftsteller gewesen, wird anerkannt von ihm und geschätzt, was er als Mensch, als Freund war, das sprechen die Denkmale seines Geistes aus. Er war, wie seine Schriften, ernst, kräftig, gediegen. Unter einer scheinbar kalten und rauhen Hülle schlug ein warmes, gefühlvolles Herz voll Liebe für Wahrheit und Recht. Ohne geradezu von sich selbst zu sprechen, hat außer Montaigne wohl kein Schriftsteller so würdig, so rein und edel die vollständigste

Individualität seines Geistes und Herzens in seinen Schriften aus­ gedrückt, wie unser Seume. Er sprach im Namen der Menschheit, wenn er von sich sprach, wahr und furchtlos. Ach! auch diesen edlen, festen Mann hat unser Vaterland verloren! Möge uns sein

Genius bleiben und jüngere Geschlechter begeistern, in ihrer Art und Weise zu leben und zu wirken wie er!" Ferner findet sich in der „Leipziger Zeitung" von 1810, Nr. 124 vom 27. Juni ein längerer, von Teplitz datierter Aussatz über Seumes

Tod und Begräbnis. Nur wenige Tage nach dem Eintreffen der Trauerkunde in Leipzig

richtete Göschen folgenden Brief an Böttiger:

Leipzig, d. 20. Juni 1810. Mein theuerster Freund!

.Ich erhielt die Todesnachricht zuerst aus Ihrer Hand, weil Karl *) mich den Sonntag im Logis gesucht hatte, und ich den ganzen Tag

int Laden arbeitete. Seume ist mir eigentlich unter den Händen weg­ gekommen. Der Drang der Nicolovius'schen Arbeiten versetzte mich in solche Zerstreuung, daß ich mir bei seinem Abschiede gar nicht die *) Karl Wilhelm Böttiger, vergl. S. 382, studierte in Leipzig Theologie, dann in Göttingen Geschichte und lehrte später diese Wissenschaft an den Universitäten zu Leipzig

und Erlangen.

Erlangen.

Er starb als Professor und Bibliothekar am 26. November 1862 in

Göschen an Völliger.

676

Möglichkeit eines Abschiedes auf ewig dachte. daran

zu denkm?

nicht

Sonderbar!

es möglich

Wie war

In den

letzten Tagen von

Seumes Krankheit fühlte ich mich selbst krank und an seinem Todes­

tage eine mir unbegreifliche Abspannung und des Nachts Schlaflosig­

keit, etwas, das mir selten begegnet, wiewohl ich nie ruhig schlafe. Ich hatte seinen Tod oft gefürchtet, deswegen erschrak ich über Ihren

Aber als ich der Todesbote bei den anderen Freunden

Brief nicht.

und Freundinnen wurde, griff es mich doch fürchterlich an.

getroffen, daß

die Veranstaltung

seinem Freunde Schnorr

Universität alle seine Papiere ausgeliefert worden

unreine Hände

Von seinem Leben hat er das, was er fertig hatte, einem

Freunde übergeben, wo es gut aufgehoben ist.

werden das,

was wir

Verlust für die Welt, vollendet

von der

sind, damit nicht

Zettel und Spuren seiner zärtlichen Verhältniffe in

kommen.

Ich habe

hat.

wiffen,

Schnorr und ich, wir Es ist ein unersetzlicher

nachtragen.

daß er dieses herrlich begonnene Werk nicht

dieser Sache,

Ich bitte Sie von

seinem Leben,

zu

schweigen, sonst verliere ich die Lust, die höchst interessanten Schicksale Seumes

nachzutragen.

Die

fürchterlichsten

Schläge,

die

Seumes

Charakter die harte Außenseite gaben, sind mir zum Glück sehr im Detail

Die

bekannt.

zärtlichen

Verhältnisse

Schnorr, denn

kennt

hierin gab er sich mir nicht gern bloß, weil ich ihn bei dem, was in der Reise nach Syrakus angedeutet wird, zwar meiner Ueberzeugung

nach mit Recht,

aber vielleicht nicht zart genug getadelt hatte.

Hier

war der Mann, wie in allen ähnlichen Verhältnissen, ein Kind, doch

wie es sich versteht, ein edles Kind.

Er wäre beim Gelingen seiner

Wünsche gewiß ein unglücklicher Mensch geworden.

Hiervon darf ich

nichts sagen, weil Verhältnisse anderer Art, worin ich noch stehe, mir Schonung gebieten.

hat

Seume

Ich darf nicht einmal den Namen nennen.

die Krankheit

in seinem Körper

getragen.

Lange

Die Ver­

änderung, die wir bemerkten, hatte bloß körperliche Ursache, denn die

Liebe, die er in der Reise nach Syrakus erwähnt, war heftig;

aber

sie wirkte nur Gutes in seiner äußeren Darstellung und nichts auf

das Wahre — auf seinen Charakter. ich ruhiger an ihn gedenken kann.

Von dem Allen mehr, wenn

Ach, ich habe ihn einmal auch als

ein sehr unbändiges Kind in eine Person verliebt gesehen, ohne daß er selbst es wußte.

Ein anderer Philosoph liebte die nämliche Person,

und Seume hielt die Eifersucht und die Wuth, die ihn ergriff, bloß

für eine nothwendige Folge seiner strengen Moral. —

So weit hatte ich geschrieben, als Mahlmann mich etwas für die elegante Zeitung aufzusetzen.

ermunterte,

Ich habe es gethan und

Göschen an Völliger. — Nachruf von Gösche».

677

ihm übergeben, einige Punkte aus Seumes Leben, die auf ihn gewirkt

haben.

Seine Freunde haben ihn darin erkannt.

Was hier angedeutet

ist, soll künftig ausgeführt werden.

Wenn auf der Wanderschaft einer sein

Jetzt umarme ich Sie.

so rücken die übrigen näher zusammen,

Lager verläßt,

sagt Unger;

Seume ist aufgestanden, wir übrig gebliebenen müssen uns zu einander

halten.

Mit Thränen im Auge sag' ich dies. Ihr

Göschen."

Göschenö Aufsatz erschien in der „Zeitung für die elegante Welt"

von 1810,

Nr. 128 vom 28. Juni unter der Überschrift „Einige Züge

aus Seumes

Leben".

Göschen

giebt darin einen kurzen Abriß von

Seumes Leben bis zu seinem Austritt aus dem russischen Militärdienst und sagt dann weiter:

„Seume hat endlich durch sich selbst das Schicksal bezwungen. Allgemeine Achtung, Liebe und Freundschaft guter Menschen in allen

Klassen, von den Fürsten bis zum Handwerker herab, haben ihm die

Leiden seiner früheren Jahre vergolten.

Auch bezwang er sich selbst,

daß der Unwille und das Mißtrauen gegen die Zeitgenossen nicht über­

ging auf die Einzelnen.

Wer hat zu ihm seine Zuflucht genommen,

dem er nicht mit Milde gerathen und willig geholfen hätte?

wenig, aber er gab auch das Letzte, wo es Noth that.

Er hatte

Wer war ein

theilnehmenderer Freund im Glück und Unglück als er?

Wenn ich,

der ich ihm diese Zeilen mit Thränen und Bewunderung widme, krank

war, kam er, der selbst nur noch schleichen konnte, zuerst an mein Bett

und schied nie von mir, bis er meinen Geist erheitert hatte. zarter und tiefer empfunden als er,

Mann empfand?

der

ernste,

oft

hart

Wer hat

scheinende

Sein Unwille über die Menschen und sein Ingrimm

über die Verderbniß entstand aus Liebe und Achtung für die mensch­

liche Natur, wie sie in großen Menschen des Alterthums seiner großen Seele vorschwebte.

Sein Körper ist nun hingegangen, aber nicht seine Kraft.

Die

Jugend hing unbeschreiblich an ihm, und er hat unwiderstehlich auf

sie gewirkt.

Jünglinge haben seine Entsagung, seinen festen Willen,

seine Verehrung der Wahrheit und Gerechtigkeit, seine Liebe zu jeder

Tugend sich zu eigen gemacht, und er wird in ihnen fortleben,

wie

sein Geist in seinen Schriften lebt und wirkt.

Wer ihn

tadelt

als

Sonderling, ihn tadelt seiner Kühnheit,

Weitere Nekrologe. — MaAyni-LagunaS Elegie.

678

seiner rauhen Außenseite und seiner Sarkasmen wegen, der leide erst, was er gelitten hat, und zeige sich uns dann besser.

Wenige werden

aus dem Drange der Umstände ihre Seele so frei erretten.

Vielleicht

keiner! Göschen."

Weitere Nekrologe Seumes finden sich in der „Allgemeinen Zeitung"

von 1810,

Nr. 178 ff. vom 27—30. Juni, im „Morgenblatt für ge­

bildete Stände" von 1810, Nr. 162 vom 7. Juli und in der „Neuen Oberdeutschen

allgemeinen

XXVII vom

Blatt

7.

Literatur-Zeitung" von Juli.

Die

genannten Zeitungen verfaßte Böttiger. blatt"

von

1810,

und

zwar in Nr.

1810, Intelligenz-

Aufsätze in den

beiden

zuerst

Ferner erschien im „Morgen­

182

vom

31. Juli, folgende

Elegie: „Ueber Seume's Tod,

im Bade zu Töplitz, d. 13. Juni 1810.

Der Freiheils-,*) Tugend-, Unschuld-Sänger,**) Der gern ins Leben milden Zauber***) goß. Mit vollem Becher ihn selbst nie zurück genoß;

Und den die Zeitfluth täglich enger Ins öde Inselchen verbißnen Grams verschloß; Der Pilger von Verstand und Herzen, Für fremde reizbarer als eigne Schmerzen;

Im Aeußern wie im Innern schlicht;

Besterntem Laster kühn den Schleier Entreißend, und ins Angesicht Befehdend, Hutten gleich, der Zwingsucht Ungeheuer;

Der Sohn der Wahrheit und Natur; Der um die Menschheit Wohlverdiente, Dem nur, wie Träumenden, in Bildern Hoffnung grünte, Und den das Glück auf rauher Spur Stets vor sich trieb, doch nie zur Stelle; Er, der durch radikale Kur

Zum Himmel eine Qualen-Hölle Umwandelte, ließ man ihn nur —

Stirbt, (und so ziemt es dir, o Glück!

*) Das Gedicht: „Das scheidende Jahrhundert"; Parentation aus Stanislaus Augustus Poniatowski; „Elegie auf einem Feste zu Warschau", u. andere. ♦*) Das Gedicht: „Weibliche Unschuld".

*♦*) Das Gedicht: „Zauber des Lebens", in der dritten und neuesten Auflage seiner Gedichte, die mit des Verfassers gut getroffenem Bildnisse von Schnorr und Böhm so eben zu Jena bei Frommann und Weffelhöfft ans Licht getreten ist.

Mahlmanns Rede in der Loge Minerva. — Wieland an Böttiger.

679

Daß zu dem ganzen dunkeln Stück, Geschwärzt durch manche düstre Welle, Ein trüber Ausgang sich geselle,) Stirbt — selbst an der Gesundheit Quelle!

Dresden, am Tage,

wo ich die Nachricht erfuhr.

Martyn i-Laguna."

Ferner soll hier nicht unerwähnt bleiben, daß Mahlmann in der Loge „Minerva zu den drei Palmen" in Leipzig am Johannisfest 1810

in einer glänzenden, im Manuskript noch erhaltenen Rede das Andenken

Seumes feierte und diesen geradezu als ein Vorbild alles freimaurerischen Strebens kennzeichnete, wenn er auch dem Bunde nicht angehört habe. Mahlmann trug es Seume also nicht nach, daß dieser ihn in politischen

Dingen oftmals laut und scharf getadelt hatte.

Unbekannt war ihm dies

nicht geblieben, denn wenn auch die „Apokryphen" damals noch nicht veröffentlicht

waren,

so

hatte

Seume doch

aus

seinem

darin

aus­

gesprochenen Urteil über Mahlmann diesem selbst und deffen Freunden

gegenüber kein Hehl gemacht. Im übrigen vertrat auch Mahlmann, und zwar seit dem letzten Kriege Ostreichs gegen Napoleon, den deutschnationalen

Standpunkt öffentlich?) Ein

für sind

den

die

Zeugnis

schönes

für

Seumes

Charakter

sowohl

als

auch

freundschaftlichen Sinn und die reine Herzensgüte Wielands beiden

folgenden

Briefe

desselben

an

Böttiger.

Wieland

schreibt: „Weimar, d. 28. Juni 1810.

Sie haben mir eine sehr traurige Nachricht mitgetheilt, mein verehrtester Freund I schmerzlich gerührt.

Seit Herders Tod

hat

mich

nichts

so tief und

Da Sie leider! so ungewöhnlich lange keine Zeile

von mir erhalten haben, so wissen Sie vermuthlich nicht, daß in den

ersten Wochen

dieses Jahres zufällige Umstände

einen Briefwechsel

zwischen dem sel. Seume und mir veranlaßten, und dieser Briefwechsel

durch die Natur seines Inhalts und seiner Tendenz eine Freundschaft

zwischen uns stiftete, wovon wir den lebendigen Keim zwar schon lange in unseren Herzen trugen, der aber nun auf einmal sich so schnell ent*) Mahlmann war gegen einen Schmähartikel der „Leipziger Zeitung" von 1809, der sich gegen Östreich und den Herzog von Braunschweig-Oels richtete, in seiner

Zeitung mannhaft ausgetreten.

Infolgedessen wurde ihm 1810 die Pacht und Ber-

tvaltung der „Leipziger Zeitung" übertragen, wodurch ihm reicher Gewinn und ehrende Anszeichnungen, u. a. der königl. sächsische Hofratstitel, zu teil wurden. Er zog sich 1818 ins Privatleben zurück und starb am 26. Dezember 1826 in Leipzig.

Wieland an Völliger.

680

fältele, daß eine so enge Verbindung unserer Gemüther daraus entstand, als ob wir schon zwanzig Jahre in einer

traulichkeit mit einander gelebt hätten.

immer wachsenden Ver­

Die innigste Theilnahme an

diesem seltenen, in seiner Art einzigen Manne war eine natürliche

Frucht des zwischen uns entstandenen Verhältnisses; wenige Menschen sind mir im ganzen Lauf meines Lebens so lieb, meinem Herzen so nahe worden wie Seume, und ich habe Ursache zu glauben, daß auch

ich von wenigen so geliebt worden bin wie von ihm.

Abreise in das Töplitzer Bad

ein Paar Tage mit mir zu.

Kurz vor seiner

besuchte er mich noch

und

brachte

Nicht ohne bange Ahnungen bemerkten

wir, ich und die Meinigen, was er uns freilich mit seiner mehr als stoischen und Spartanischen Gewalt über sich selbst möglichst zu ver­ bergen suchte, aber doch nicht verbergen konnte, — daß er beinahe

ununterbrochen Schmerzen litt, die einen schwächeren Menschen über­ wältigt hätten; es war nur zu fühlbar, daß sein körperlicher Zustand

sehr zerrüttet sein müsse: aber die imperturbable Heiterkeit und Munter­ keit seines Geistes that demungeachtet eine täuschende Wirkung, und als wir uns wieder trennen mußten, war es mir, als sagte mir mein

Dämonion, es sei nicht das letzte Mal, daß wir uns gesehen hätten. Der Erfolg zeigt,

daß ich falsch gehört hatte.

Genug,- es

war in

meinem Schicksal, auch diesen mir in so kurzer Zeit durch nähere und

intimere Kenntniß unbeschreiblich theuer gewordenen Freund überleben zu müssen.

Auch mein Seume ist nicht mehr!

Ein bitterer Gedanke!

Zwar gemildert und versüßt durch den Gedanken, daß er nicht mehr leidet und über alle Härten des Schicksals, die ihm vielleicht noch bevor­

standen, hinweg ist, — aber dennoch für mich um so bitterer, da ich

gegründete Hoffnung hatte, daß ihm eine ruhigere und angenehmere Zukunft — insofern die Badekur die erwünschte Wirkung gethan hätte — nahe sei.

Aber — es sollte nun einmal sein wie es ist.

nichts verloren — wir, seine Freunde, desto mehr:

Er hat

ja sein Tod ist

ein zwar unerkannter, aber eben darum desto größerer Verlust für die Menschheit.

Jahrhunderte können vergehen, bis Natur und Schicksal

sich vereinigen, wieder einen Mann wie Er hervorzubringen. Ich hätte Ihnen noch viel hierüber sagen mögen, lieber Böttiger,

aber ich bin, während ich dieses Blatt schreibe,

so oft unterbrochen

worden, daß mir, wenn ich nicht wieder einen Posttag versäumen will, nur noch so viel Zeit übrig bleibt, um Ihnen zu sagen, daß ich die Rede des Prof. Clodius über dem Grabe unseres Freundes, mit einer Einführung von Ihnen, mit Verlangen erwarte, um sie, von einem

Nachruf von mir begleitet, in den Merkur einzurücken.

Wieland an Böttiger.

681

Leben Sie wohl, mein theurer Freund, und bleiben Sie immer hold und treu Ihrem alten

Wieland." Böttiger antwortete alsbald, worauf ihm Wieland schrieb:

„Weimar, den 16. Juli 1810. Vielen Dank, lieber Böttiger, für den mitgetheilten Auszug aus

dem Briefe der Frau von der Recke über die Seume?)

letzten Tage unseres

Ich glaube diese Gefälligkeit nicht besser erwidern zu können,

als indem ich Ihnen einen großen Briefs) ohne Datum mittheile, den ich von diesem Einzigen vor ungefähr vier bis fünf Monaten erhielt, und den Sie gewiß in mehr als einer Ansicht höchst interessant finden

werden.

Brauchte es mehr als diese kleine Skizze seines Lebenslaufs

und Charakters, um ihm mein ganzes Herz auf ewig zu gewinnen? —

Vor der Hand, liebster Freund, bitte ich Sie inständigst, von diesem Aufsatz keinen Gebrauch zu machen, als ihn zu lesen und mir bald­

möglichst zurückzuschicken.

Wie große Ursache Seume hatte, sich über die Neckereien einer bösartigen Fortuna, die ihn durch sein ganzes Leben verfolgten, zu

beschweren, davon ist wohl der stärkste Beweis, daß mir nur zwei Tage, nachdem ich die traurige Nachricht von seinem Tode von Ihnen erhielt,

eine depeche mit einer aub sigillo volante an -Seume zu bestellenden, äußerst gracieuaen Antwort der Kaiserin Mutter auf einen in der

That etwas sonderbar stilisierten Brief unseres sel. Freundes an sie,

zugleich mit der positivsten und reellsten Versicherung eines Jahrgehalts,

der den guten Seume für den Rest seines Lebens d. son aise gesetzt

haben würde, von unserer Frau Großfürstin zugestellt wurde — eine

depeche, die mir, wäre sie nur drei Tage früher angekommen, un­ aussprechliche Freude gemacht haben würde, daß sie auf immer zu spät kam,

diente.

Hätte unser unter der

nun aber, da ich wußte,

nur meinen Schmerz zu

malignesten Constellation

schärfen

geborner

Freund nur wenigstens diesen, dem Zartgefühl der Kaiserin unendliche Ehre machenden Brief vor seinem Ende noch lesen können!

diesen Trost,

Aber auch

denn das wäre er ganz gewiß für ein Herz wie das

feinige gewesen, gönnte ihm der fatale schwarze Genius nicht, der sich *) Siehe S. 673 f. ’) Siehe S. 637 ff.

Wieland an Völliger und die Kaiserin Maria.

682

ihm zum Begleiter seines Lebens aufgedrungen hatte. — Doch nichts

mehr hiervon. — Jede Erinnerung an diese grausame Art, wie mir

eine der größten Freuden meines ganzen Lebens vernichtet wurde, ist mir unerträglich.

Was ich Ihnen hier entdeckt habe, bleibe ebenfalls

vor der Hand ein Geheimniß zwischen Ihnen und mir, aus eben dem Grunde, warum der Brief der Kaiserin an Seume — da er nun zu nichts mehr

helfen

konnte — zugleich mit der Nachricht,

daß ihr

protege nicht mehr unter den Lebenden sei — bereits nach Peters­ burg zurückgeschickt

worden ist.

Das Vorhaben,

einen Stein von

weißem Marmor auf die heilige Ruhestätte des irdischen Restes unseres

Freundes legen zu lassen, hat meinen

gänzlichen Beifall, und

goldne Scherflein, so ich dazu beitragen

soll,

liegt

bereits

das

parat.

Hoffentlich haben Sie ex consensu summopere praesumendo bereits für mich subscribiert, ohne auf meine ausdrückliche Einwilligung zu

warten.

Unfehlbar werden Seumes Freunde in Leipzig die benöthigte

Summe auf den ersten Wink voll machen.

Die Gedichte unseres verewigten Freundes, die mir durch ihren

innern reinen Goldgehalt und durch ihre charakteristische Originalität vorher schon so lieb waren, sind mir nun, da ich sie als ein köstliches Vermächtniß an seine Freunde betrachte, unschätzbar und werden, so lange ich noch lebe, nie von meinem Tische kommen.

Daß Mselle. Bardua *) sich durch eine Kopie des von Kügelgen

gemalten Bildes unsres Seume sehr um mich verdient machen würde, versteht sich wohl von selbst; aber zumuthen darf ich ihr diese Mühe

nicht.

Vor der Hand könnte ich mich an dem, meines Erachtens sehr

wahren und charaktervollen Bildniß begnügen, das der neuen Ausgabe seiner Gedichte vorgesetzt ist, und worin er exceptio excipiendis eine

so auffallende Aehnlichkeit mit Napoleon hat.

Wieland."

Der Brief, mit dem Wieland das an Seume gerichtete Handschreiben der Kaiserin Maria an diese zurücksandte, lautet:

„Madame, 8i le destin, qui au fond n’est que la volonte du supreme moderateur de l’Univers, pouvoit etre accuse de cruaute, je serois ’) Caroline Bardua, deutsche Malerin, geb. 11. November 17dl in Ballenstedt, bildete sich zuerst in Weimar und dann unter Gerhard von Kügelgen in Dresden. Im Jahre 1819 ging sie mit ihrer Schwester nach Berlin, kehrte 1852 von da nach

Ballenstedt zurück und starb daselbst am 2. Juni 1864 unverheiratet.

bien tente (Ten accuser celui de mon pauvre ami Seume, qui au moment oü Votre Majeste Imperiale venoit lui assurer pour le reste de sa vie un sort tranquille et heureux, a ete frustre de la consolation meme d’apprendre avec quelle generosite pleine de graces Votre Majeste daigna justifier la confiance qu’il avoit ose mettre en Fadorable honte de Son coeur. C’est aux bains de Teplitz, oü les medecins Favoient envoye pour recouvrer sa sante delabree, qu’une mort inopinee l'enleva ä, Fesperance de ses amis, que l’usage de ces bains soulageroit au moins les souffrances et prolongeroit peut-etre Fexistence d’un homme si eher ä tous ceux qui le connoissoient assez, pour apprecier le merite de son genie, de ses talents et d’un caractere, qui sous une ecorce un peu rüde deceloit une ame pleine d’humanite, de candeur, de probite et d’enthousiasme pour le vrai et le beau. Le ciel n’a pas exauce nos voeux; mais, en privant l’estimable Seume des effets de la bienfaisance de Votre Majeste Imperiale, il a mis au moins un terme aux maux, qui depuis quelques annees accabloient son corps, sans pouvoir eteindre ni le feu ni Fenergique activite de son ame. Mon ami n’etant plus, c’est ä moi de m’aequitter du devoir, que son destin ne lui a pas permis de remplir lui-meme, en mettant aux pieds de Votre Majeste Imperiale le foible tribut de ma gratitude, tant pour la protection qu’Elle accorda ä un sujet si digne de Ses bontes* que pour la manidre infiniment gracieuse, avec laquelle Votre Majeste dans Sa lettre & S. A. Madame La Grande Duchesse Marie, Son auguste Fille, a bien voulu faire entrer dans les motifs de sa bienvaillance pour feu mon ami, celle dont Votre Majeste daigne me favoriser moi-meme. Penetre de sensibilite pour le prix inestimable de cette nouveile marque de Son gracieux Souvenir, je La supplie de recevoir avec indulgence Fhommage de ma vive reconnaissance et du profond respect, avec lequel je suis De Votre Majeste Imperiale ä, Weimar, le 10. Juillet le plus soumis et le plus devoue 1810. serviteur Wieland.“ *) ’) Übertragung: Gnädige Frau, wenn das Schicksal, das im Grunde nur der Wille des obersten Lenkers des Weltalls ist, der Grausamkeit beschuldigt werden könnte, so würde ich versucht sein, das meines armen Freundes anzuklagen, weil dieser in dem Augenblicke, wo Ew. Kaiserliche Majestät ihm für den Rest seines Lebens ein ruhiges und glückliches Los zusicherten, selbst um den Trost gebracht

Die Antwort der Kaiserin.

684

Die Antwort der Kaiserin Maria lautet:

„Gathschi na, le 11. Janvier 1811. J’attendois le depart d’un Courier pour Vous exprimer, Mon­ sieur, le plaisir sensible que m’a donne la reception de Votre lettre; je regrette sincörement la perte de Mr. Seume; sa connoissance m’avoit infiniment interessee, il etoit facile de decouvrir en lui une ame sensible, pleine d’humanite, et enthousiaste pour le vrai: et si son exterieur, ses manidres, ne paroissoient pas d’accord avec ses Sentimens, je n’y ai vu qu’une originalite, qui rendoit peut-etre la connoissance de son caractöre plus piquant. Je suis fächee de Vous voir ravi un ami — et l’etre de Vous, Monsieur, est dejä, un titre ä l’estime — de voir disparoitre du monde un Homme de caractöre et un Literateur estimable; j’aurais certainement eprouve une bien douce satisfaction ä lui etre de quelqu’utilite, et Vous porte une sincdre reconnoissance, Monsieur, de nfavoir desire cette jouissance. wurde, zu erfahren, mit welcher Großmut Ew. Majestät allergnädigst geruhten, das Vertrauen zu rechtfertigen, das er in die liebenswürdige Güte Ihres Herzens zu setzen gewagt hatte. In den Bädern zu Teplitz, wohin die Ärzte ihn zur Wieder­

erlangung seiner zerrütteten Gesundheit geschickt halten, entriß ihn ein unerwarteter Tod der Hoffnung seiner Freunde, daß der Gebrauch dieser Bäder wenigstens die Leiden mildern und vielleicht das Dasein eines Mannes verlängern würde, der allen denjenigen so teuer war, die ihn genugsam sonnten, um den Wert seines Genies, seine Talente und eines Charakters zu schätzen, der unter einer etwas rauhen Schale

eine Seele voller Menschenliebe, Sittenreinheil, Rechllichkeit und Begeisterung für das Wahre und Schöne verriet. Der Himmel hat unsere Wünsche nicht erhört, aber, indem er

dem schätzbaren Seume die Wirkungen der Wohlthat Ew. Kaiserlichen

Majestät raubte, wenigstens den Leiden ein Ziel gesetzt, die seit einigen Jahren seinen

Körper bedrückten, ohne indes weder das Feuer noch die kraftvolle Thätigkeit seiner Seele ersticken zu können. Mein Freund ist nicht mehr; daher ist es an mir, mich der Pflicht zu entledigen, die selbst zu erfüllen ihm sein Schicksal nicht vergönnt hat: Ew. Kaiserlichen Majestät den schwachen Tribut meiner Dankbarkeit zu Füßen zu legen für den Schutz sowohl, den Allerhöchstdieselben einem Ihres Wohlwollens so

würdigen Manne gewährten, als auch für die unendlich gnädige Art und Weise, mit der Ew. Majestät in Ihrem Briefe an Ihre Hoheit die gnädige Frau Großfürstin Maria, Ihre erhabene Tochter, geneigt waren,

den Gründen ihres Wohlwollens

für meinen verstorbenen Freund beizustimmen, wodurch Ew. Majestät mich selbst

auszuzeichnen geruhten. - Durchdrungen von der Empfindung des unschätzbaren Wertes dieses neuen Zeichens Ihres gnädigen Gedenkens, bitte ich Sie unterthänigst, mit

Nachsicht die Versicherung meines lebhaftesten Dankes und der tiefsten Verehrung zu empfangen, mit der ich bin Ew. Kaiserlichen Majestät unterthänigster und ergebenster Diener Wieland.

Die Antwort der Kaiserin. — Elisa v. d. Recke an Dr. Weigel.

685

Ma bonne fille me parle souvent de Vous et des momens intßressants que Vous lui donnez, eile les apprecie, et je Vous fais l’aveu que je voudrois les partager, pour pouvoir Vous repeter de vive voix l’assurance de l’estime distinguee, que je Vous porte et avec laquelle je suis Votre bien affectionnee A Monsieur Wieland. Marie.“1) Aus folgendem Briefe geht hervor, daß nächst der Frau von der Recke der Doktor Weigel sich um die Verwirklichung des schon bei dem

Begräbnisse Seumes gefaßten Gedankens, ihm ein würdiges Grabmal zu setzen, am meisten bemühte, und daß dieses schließlich auch nach seiner

Angabe ansgeführt wurde.

Frau von der Recke schreibt: „Franzensbrunn, d. 19. Juli 1810.

Ganz bin ich Ihrer Meinung, verehrter Herr Doktor! ein Sand­

stein mit Seumes Namen ist

so

einfach und

anspruchslos

als der

Theuere im Leben war; und seine Verehrer können dann doch immer zu der Stelle hinwandeln, welche diese werthe Asche deckt, wenn die Achtung seiner Freunde sie durch ein bescheidenes Denkmal bezeichnet.

Die mir überschickte Zeichnung ist sehr geschmackvoll.

Wer sich weigerte,

etwas zu dem Denkmale eines Mannes beizutragen, wie unser Seume war,

wird

gewiß in

seiner Werse,

wenn er vom Schauplatze des

Lebens abtritt, vergessen werden, selbst wenn Marmor und Bronze auf seinem Grabe einst prangen. ’) Übertragung:

Ich wartete auf die Abreise eines Kuriers, um Ihnen das

lebhafte Vergnügen auszudrücken, das mir der Empfang Ihres Briefs bereitet hat-,

ich bedaure aufrichtig den Verlust des Herrn Seume; seine Bekanntschaft hatte mich unendlich interessiert, es war leicht, in ihm eine feinfühlige Seele voller Menschenliebe zu entdecken wie den Enthusiasten für die Wahrheit: und wenn auch sein Äußeres, seine Art und Weise, nicht mit seinen Gesinnungen übereinzustimmen schien, so habe

ich darin nur eine Ursprünglichkeit erblickt, welche die Bekanntschast mit seiner Denk­ weise vielleicht noch anziehender erscheinen ließ.

Ich bedauere sehr, Ihnen einen

Freund entrissen zu sehen — und der Ihrige zu sein ist schon ein Ehrentitel — einen

Mann von Charakter und einen schätzbaren Schriftsteller aus der Welt verschwinden

zu sehen; ich würde gewiß eine sehr angenehme Genugthuung empfunden haben, ihm

von einigem Nutzen zu sein.

Ich schulde Ihnen aufrichtigen Dank, mir diesen Genuß

zugedacht zu haben. Meine gute Tochter spricht oft von Ihnen und den interessanten Augenblicken, die Sie ihr schenken, sie schätzt sie, und ich muß gestehen, ich möchte sie teilen, um Ihnen mündlich die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung zu wiederholen, die

ich Ihnen entgegenbringe, und mit der ich bin Ihre wohlgeneigte Maria.

686

Elisa v. b. Recke an Dr. Weigel. — Böltiger an Mahlmann.

Ich gedenke in Töplitz, so bald ich vom hiesigen Bade vier Wochen ausgeruht habe, noch eine Nachkur zu gebrauchen, die bis zum 14. September, aber auch nicht länger, dauern kann. Könnte der

Leichenstein noch während meiner Anwesenheit in Töplitz ankommen, dann könnte ich dafür sorgen, daß Ihre schöne Idee mit der Eiche

ausgeführt würde. Tiedges Hochachtung für Sie wird noch durch den edlen Eifer erhöht, mit welchem Sie, Herr Doktor, sich bei Ihren vielen Geschäften

dieser Sache annehmen. Ich theile hierbei Tiedges Empfindung für Sie. — Zeichnung und Pränummerationsliste gehen hierbei. Mit aus­

gezeichneter Hochachtung habe ich die Ehre zu sein Ihre ergebene Dienerin

Elisa von der Recke." Ebenso eifrig, wie die Genannten für einen

Grabstein sorgten,

suchte Böttiger für ein Denkmal Seumes zu wirken, das diesem in Leipzig gesetzt werden sollte. Er hatte sich deshalb schon an Erhard') gewandt, doch findet sich nirgends ein Anhall, daß dieser sich der Sache angenommen hätte. Auch mit Mahlmann korrespondierte Böttiger darüber und zwar von Teplitz aus, wohin er sich etwa vier Wochen nach Seumes Tode zu einem längeren Aufenthalt begeben hatte. Er antwortete auf

einen Brief Mahlmanns vom 18. Juli 1810 u. a. wie folgt: (Teplitz, im Juli 1810.)

„ ... Ich hatte mir schon seit einigen Tagen vorgenommen, dem hiesigen Todtenacker, den ich von der Abend- und Morgensonne beleuchtet auf einer kleinen Anhöhe vor meinen Fenstern oft erblicke, einen stillen Besuch abzustatten. Ich führte, da der Abend so mild und schön wurde, ihn gestern aus. Ich stand an unseres unvergeß­ lichen Seume Grabe! Auch Sie, mein edler Freund, wurden durch seinen so schnell wenigstens nicht gefürchteten Tod gewiß sehr ergriffen und mit tiefer Trauer erfüllt. Denn auch Sie kannten und liebten den herrlichen Kernmenschen unter harter, rauher Schale von früher Jugend an, waren selbst auch ein Zögling des Rektors Korbinsky, der durch seine Schüler so rühmlich fortlebt, und schrieben mir über *) Erhard

war seit 1805 korrespondierendes Mitglied

der russisch-kaiserlichen

Gesetzkommission zu Petersburg mit Besoldung und seit 1809 Professor des Kriminal­ rechts in Leipzig.

burg verbunden.

Diese Professur war mit der Domhcrrnwürde im Hochstist Naum­

Er starb am 17. Februar 1813 in Leipzig.

687

Völliger an Mahlmann.

unsern gemeinschaftlichen Freund das wahre Wort: „Seumes Stoicis­

mus ist oft nur Maske, hinter welcher das lenkbarste Herz versteckt ist,

und seine Rauheit ist immer nur das Echo des Tons, mit dem man ihn in

der Jugend

angesprochen hatte.

ablegte,

so

theils Gewohnheit,

war es

ihn dies am besten kleide.

Als

sie nicht

er später

theils Ueberzeugung, daß

Was an ihm hochzuschätzen, ist seine ge­

diegene Rechtlichkeit." — O hätten Sie doch mit mir in dieser Stunde

heiliger Todtenweihe

an seinem

frisch

beblümten Grabhügel stehen

können! —

Als ich eben fortgehen wollte, trat der Maler Oldendorp aus

Er hatte mir gestern schon erzählt, daß er eine Skizze

Dresden ein.

von diesem durch seine Lage ausgezeichneten und uns nun so merk­ würdig gewordenen Gottesacker entworfen habe.

Ich

habe ihn auf­

gemuntert, die Skizze sorgfältig auszuarbeiten, das Blatt radiren oder

in Aquatinta verfertigen zu lassen, und es den Manen unseres Freundes

zu weihen.

Es wird in der Folge auch hier bei den Badegästen Ab­

nahme finden.

Wird in Ihrem Leipzig, wo der Verstorbene so viele und auch

sehr

wohlbemittelte Freunde

hatte,

dem

rastlosen Wanderer,

dem

Freunde des Vaterlandes, dem deutschen Manne und Dichter nirgends, ich will nicht sagen ein kostbares Kenotaphium, nein, nur ein Denk­ stein mit einem Paar Schwesterpappeln oder einer Akazie zur Seite gesetzt werden? — Ich kenne Ihr Publikum zu wenig, um über die

Ausführbarkeit dieses frommen Wunsches mir eine Stimme anmaßen

zu können.

So viel ist indeß gewiß, daß die Sache in Hamburg oder

Frankfurt kaum einem Zweifel unterworfen sein würde.

Auch kann

kein calculirender Seckelhalter hier einwerfen: es wäre besser, dies

Geld den Nothleidenden zu geben.

den Anverwandten.

Seume hinterläßt keine nothleiden­

Die ganze Menschenfamilie war ihm mit Bluts­

freundschaft verwandt." —

Mahlmann veröffentlichte diesen Brief in der „Zeitung für die elegante Welt" von 1810, Nr. 150, S. 1185 ff. unter der Überschrift: „Briefe aus Töplitz im Juli 1810." Böttiger, im Dienste der Freundschaft unermüdlich, war ferner be­

müht, auch für den „Neuen Teutschen Merkur" einen Nekrolog Seumes zu erhalten,

der womöglich aus einer andern Feder

herrühren sollte.

als

der

seinigen

Er hatte sich deshalb an Elisa von der Recke gewandt,

die zuerst auch zugesagt, ihm dann aber unterm 3. August

1810 von

Karlsbad aus geschrieben hatte, daß sie im allgemeinen doch von Seumes

Wieland an Böttiger.

688

Schicksalen

und

der Entwicklung seines Geistes zu wenig wisse, um

über ihn etwas zu schreiben, das würdig wäre, im „Merkur" ausgenommen zu werden.

Auch befürchte sie mit dem, was sie über den kraftvollen

Charakter dieses biederen Deutschen sagen könnte, in mancher Hinsicht anzustoßen.

Böttiger wandte sich daher an Wieland, der ihm wie folgt

antwortete: „Belvedere, d. 4. Septb. 1810.

. . . Sie legen mir's in Ihrem letzten Schreiben — freilich so zart und leise als nur immer möglich — aber doch nahe genug, daß ich etwas weniger als jener Horazische Klotz aus Feigenholz sein müßte, wenn mich mein Herz nicht schlüge und mir den Gedanken nicht auf­

drängte, daß — weil doch auch unser Merkur, Schanden halber, wie

meine ehrlichen Schwaben sagen, ein Paar Worte über den Tod eines

so herrlichen Sterblichen, wie unser Seume war, hätte sagen sollen — es eigentlich an mir war, meinem Freunde diese letzte Ehre zu

erweisen.

Sie haben Recht, liebster Freund, es war an mir.

Aber

Sie kennen doch schon von vielen Jahren her meine individuelle Art

und Weise oder Idiosynkrasie,

wie ich's nennen möchte.

Es liegt in

solchen Fällen, wo das Herz reden muß und soll, eine Kluft zwischen

mir und dem lieben Publiko, die ich nicht zu überspringen vermag. Hab' ich dem lctztern über den Tod meines über alles geliebten Weibes

auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt?

Ich hätte — wenigstens bis

mehrere Jahre vorbeigegangen — eher die größte Gottlosigkeit begehen können! — Doch dies ist es nicht allein.

Lassen Sie uns, wie es so

alten und trauten Freunden ziemt, ganz offen gegen einander sein. Wir warteten beide auf einander und hatten beide Recht! — Ihr Recht

war sogar, wenn Sie wollen, das kräftigere, denn ich hatte in den

letzten Monaten in einem viel engeren Verhältniß mit Seume gelebt, als Sie.

Aber der Fall war doch nicht gleich.

Sie,

mein lieber

Freund, waren, was alle Welt weiß oder wissen könnte, der eigentliche Herausgeber des Teutschen Merkurs in oder unter meinem Namen. Freilich läßt Ihnen die thätige und — worauf in dieser drangvollen,

betrübten Zeit ein Hausvater billigst Rücksicht

nimmt — ungleich

besser belohnte Theilnahme am Morgenblatt, an der Ztg. f. d. eleg. Welt u. s. w. wenig Muße, sich des Merkurs immer so anzunehmen,

wie ehemals Ihre Meinung.

großen Aufsatz

Sie rückten bei Zeiten einen beträchtlich

in das Morgenblatt

über

Seume

ein

und

thaten

wohl daran, aber wie leicht wäre es Ihnen gewesen, für Cotta und

für den Merkur zugleich zu sorgen, ohne daß es Sie fünf Minuten

Wieland an Völliger.

689

Zeit und eine Columne Papier mehr gekostet hätte.

Eine einzige ge­

spaltene Seite von den sechs bis sieben, die dem Morgenblatt ge­

wurden, wäre, wenn sie gefehlt hätte, von keinem Leser

spendet

desselben verspürt worden.

Ich hätte dann unfehlbar noch eine kleine

Nachschrift zugefügt, und die Manen unseres Freundes hätten damit begnügt.

sich

Doch, wie gesagt, es stünde mir sehr übel an. Ihnen

deßwegen Vorwürfe zu machen, welche Sie mir mit bestem Fug in dm

Busen zurückschieben könnten. nicht geschehen zu machen.

Was nicht geschehen ist, ist nun einmal ES kann in der Folge an Gelegenheiten

nicht fehlen, diese Unterlassungssünde wieder gut zu machen. UebrigenS bewährt dieses Beispiel abermals das alte dictum, wie schwer es sei,

mehreren Herren zugleich zu dienen. Wieland." Dieser Brief trägt eine vom 6. September datierte Nachschrift, worin

Wieland über die Feier seine» siebenundsiebzigsten Geburtstages berichtet und

in betreff der Kopie von KügelgenS Seume-Bildnis, die ihm aus diesem

Anlaß die Malerin Bardua zum Geschenk gemacht hatte, folgendes schreibt: „ . . . Die allerangenehmste Ueberraschung

aber war für mich

Ihre Zuschrift vom 1. September mit dem dreifachen Wunsche des alten Simonides und dem von Ihnen beigefügten vierten „Mit den

Freunden stete Jugend!" der das Beste in sich schließt, was Sie mir in der höchsten Exaltation der Freundschaft

nur

können, — begleitet von der köstlichen offrande

immer wünschen

unserer Freundin

Bardua, die sich durch dieses meisterhaft, geistreich und fleißig copirte

Bild

als

kundet.

eine würdige Schülerin von Kügelgen und Friedrich beur­

Das alles langte an jenem, zu frohen Ereignissen auöerwählten

Tage, eben da wir vom Tische aufstandm, zu Belvedere an, und setzte den Freuden deffelbm

die Krone auf.

Ich weiß nichts, was mich

über den Verlust unseres unvergeßlichen Seume kräftiger trösten könnte, als diese so glücklich gelungene Copie eines Bildes, worin der ganze

individuelle Charakter de» herrlichen Mannes,

dem

Aeußern

und

Innern nach so wahr, so zart, so lebendig und kräftig dargestellt ist, daß es Jeden, der ihn zumal in seiner letzten Lebensperiode nur ein­ mal in der Nähe gesehen und nur eine Viertelstunde reden gehört, auf den ersten Blick so völlig mit seinem eigensten Ton anspricht, und

daß man

bei der Unmöglichkeit, ihn selbst ins

Erdenleben zurück-

zurufen, sich keinen besseren Stellvertreter seiner Gegenwart wünschen kann, als dieses treffliche Bild." — Planer u. Retßmann, Seume.

44

690

Nachrufe von Böttiger.

Böttiger besprach diese Kopie im „Morgenblatt für gebildete Stände" von 1810, Nr. 251, S. 1001 f. unter „Kunstbericht aus Dresden" so­

wie in der „Zeitung für die elegante Welt" von 1810, Nr. 242, S. 1921 ff. in „Nachlese über Seume." In diesem letzteren Aufsatz erwähnt er auch das der dritten Ausgabe der Gedichte als Titelkupfer beigegebene Bildnis Seumes, von dem er sagt, daß es das Eigenartige, Ungelenke, Ungeleckte, ja Bärenhafte dieses Mannes trefflich kennzeichne, der sein Lebtage eine Katze eine Katze und ein gewiffes Ding eine Schelle ge­ nannt hätte, gleichviel ob es an einem Doktorhut oder einer Tiara hing. Er sei ein deutscher Mann gewesen vom Wirbel bis auf die Fußzehen,

großherzig, gefühlvoll, zart und weich und vor allem Freund seiner Freunde — bis zum Altar in Tauris. Schließlich veröffentlichte Böttiger auch noch im „Neuen Teutschen Merkur" von 1810, 2. Bd. S. 245 ff. einen Seume gewidmeten Nach­ ruf mit einem Bruchstück aus deffen Selbstbiographie, den Aufenthalt in Borna beim Rektor Korbinsky betreffend.

In dem Nachruf heißt es:

„Es war vorauszusetzen, daß über Seume, dessen kräftige Manier in Wort und That um so mehr gefiel, je größer bei der Schwäche und Verweichlichung des Zeitalters das Unvermögen war, es ihm nachzuthun, mehr als ein Catchpenny nach seinem Tode erscheinen würde. Der Teutsche Merkur hatte Hoffnung, etwas sehr Verbürgtes und Glaubwürdiges über einen Dichter und Schriftsteller zu er­ halten, dem auch er manchen gern gelesenen Beitrag verdankte, und verspürte daher jedes Epiphonem über den theuern Todten. Der Schatten begleitende Gott sieht sich durch jene Nothwendigkeit, der nach dem Plato Götter und Menschen unterliegen, und die in der un­ holden, eisernen Zeit keine Sühne findet, in seinem Amte, wo nicht ganz abgesetzt, so doch auf einige Zeit unterbrochen,') eilt aber zuletzt noch eine Verunglimpfung zu ahnden, die in einem vor kurzem er­ schienenen Pamphlet über den unvergeßlichen Jugendlehrer Seumes, den braven Rektor Korbinsky, ausgesprochen wurde. Es geschieht dies durch folgendes aus Seumes eigener Handschrift über seine Jugend genommenes Fragment." —

Unter dem Hinweis, daß zur Ostermeffe 1811 in Göschens wie auch in Hartknochs Verlage mehrere Veröffentlichungen aus Seumes litte­ rarischem Nachlaß erscheinen würden, die sich nicht nur durch ihren *) Der „Neue Teutsche Merkur" Höne infolge Übereinkommens zwischen Wieland,

Bertuch und Böttiger Ende Dezember 1810 zu erscheinen auf.

Nachrufe von Völliger. — Berlassenschast.

691

inneren Wert auszeichneten, sondern auch zur Kennzeichnung dieses liebenswürdigen Sonderlings wesentlich beitragen würden, schließt Böttiger

den Aufsatz mit der Anrufung: „Have candidissima anima! nos te ordine, quo natura jusserit, omnes sequemur!“ Böttiger erreichte ein hohes Alter, doch waren die letzten Jahrzehnte seines Lebens vielfach durch Krankheit getrübt?) In seinem litterarischen Nachlaß und zwar in „Opuscula et carmina latina“ gesammelt und

herausgegeben von Julius Sillig, Dresden 1837, findet sich ein Gedicht,

das Seumes Standhaftigkeit im Leiden, — allen ein Vorbild und selbst den Göttern eine Augenweide, — rühmend hervorhebt. Diese letzte freundschaftliche Widmung Böttigers lautet:

«jSeumio suo avSqi TETgaycdvco vyiaiveiv. aßannoTOS, a>g. Vir constans ipsis praebet spectacula Divis, Impavidum feriet nulla ruina caput. Imperturbato vultu, tonet usque licebit, Adspicis et rides Tu Jovis ipse minas. Rides et risu cruciatus pellere discis. Audiat haec medicus, scribat et in tabulas: Pellere qui nescit morbos risuque iocoque, Abderitanae pectora plebis habet.* Über die Verlassenschaft Seumes giebt ein Aktenstück des Universitäts­ gerichts zu Leipzig bis in die kleinsten Einzelheiten Aufschluß.

Seume

war als akademischer Bürger dieser Gerichtsbarkeit unterstellt, und da er ohne Testament gestorben war, so wurde sein Nachlaß durch sie ge­ ordnet. Als rechtmäßige Erben konnten nur seine Schwester Johanna Regina Oehme in Poserna und sein seit 1791 verschollener Bruder Abraham in Betracht kommen: seine übrigen Angehörigen waren, wie schon nachgewiesen, verstorben. Als Vormund der Schwester, — Frauen bedurften vor Gericht eines männlichen Vormunds, — wurde Schnorr bestellt; Vormund des abwesenden Abraham Seume war der Universiäts*) Böttiger litt an Gicht und häufigen Ohnmachtsanfällen und mußte sich 1822

einer Operation des grauen Stars am linken Auge unterziehen, die indes glücklich

gelang.

Von seiner vielseitigen Thätigkeit zeugen nicht nur seine Schriften, sondern

auch Hunderte von Aufsätzen in deutschen und ausländischen Zeitungen, von seiner ungeheuren Bekanntschaft über zwanzigtausend Briefe, die sich in seinem Nachlaß vor­ fanden. aus.

Seine Gattin ging ihm nach sechsundvierzigjähriger Ehe 1832 im Tode vor­

Böttiger starb am 17. November 1835 als Oberinspektor der königl. sächsischen

Altertumsmuseen in Dresden.

in Dresden.

Sein Sohn Gustav, vergl. S. 382, starb als Beamter

693 proklamator Weigel.

Verlassenschaft. — Cotta an Böltiger. Ein gerichtliches Aufgebot, das in betreff Abraham

Seumes erlassen wurde, blieb erfolglos. somit allein erbberechtigt.

Johanna Regina Oehme war

Die vom Magistrat zu Teplitz in Verwahrung genommenen Hab­ seligkeiten SeumeS wurden dem Leipziger Universitätsgericht ausgeliefert, nachdem aus der- Vorgefundenen Barschaft die in Teplitz für Wohnung, Kost, Bedienung und das Begräbnis entstandenen Kosten im Betrage von

zweihunderteinundzwanzig Gulden, das Honorar für den Doktor Ambrozy mit zivei Friedrichsdor und für andre kleine Ausgaben ein Dukaten be­ zahlt worden waren. Als Rest der Barschaft verblieben: 50 Stück kaiserliche Dukaten oder . . 153 Thaler — Gr. — Pfg. eine Wiener Banknote von 10 Gulden oder......................................................... hierzu kam ein in der Wohnung zu Leipzig

6

16

vorgefundener Geldbetrag von. . . — 1 3 ferner der Erlös aus versteigerten Kleidungs­ stücken, Wertsachen und Hausgeräten . 103 1 99 99 9» und aus versteigerten Büchern . . . . 69_______________________ 15 tt 9t n so daß diese Berlaffenschaft im ganzen 322 Thaler 9 Gr. 3 Pfg.

betrug. Unter den versteigerten Gegenständen befand sich auch Seumes russische Offiziersuniform nebst Hut und Degen, seine goldene Uhr mit Band und zwei Petschaften und ein goldener Ring mit Münchhausens Bildnis. Das Verzeichnis über die vorgefundenen Bücher weist etwa achtzig Nummern auf; unter ihnen waren hauptsächlich die griechischm Klassiker vertreten. Aus Seumes Verlassenschaft beanspruchte Cotta die Rückerstattung der fünfzig Dukaten als des Rests jenes Darlehns, das er Seume kurz vor der Abreise nach Teplitz gegeben hatte. Er schreibt in dieser Angelegen­ heit an Böttiger:

„Tübingen, den 13. September 1810. . . . Was Sie, lieber Freund, mir wegen Seume schreiben, ist mir insoweit unbegreiflich, als er für Töplitz doch genug Geld bei sich haben mußte, — er sagte mir, daß er bis zweihundert Thaler hätte, und ich gab ihm noch zweihundert Thaler in kaiserlichen Dukaten. Sollte er vielleicht nach der Manier der Weltpilgrimme dieses Gold in den Kleidern eingenäht haben? Nicht des Wiedererlangens wegen — unerachtet ich diese Summe wohl annehmen dürfte, — sondern der Sache selbst wegen ist mir wichtig zu wissen, ob er sein nahes

Cotta an Völliger. — Göschen an Völliger.

693

Ende vorhergesehen, und ob er in diesem Falle nichts von einem Vorschuß erwähnte? Ein Wort des sterbenden Freundes als Dank

für die Kapitalaushülfe würde nichts, doch wohlthun. Geben Sie mir hierüber Auskunft, extra, wenn Sie es nicht wissen, wer in seinen letzten Tagen um ihn war." — Auf Böttigers Antwort erwiderte Cotta unterm 18. Oktober 1810 wie folgt:

„Herzlichen Dank für Ihr Werthes vom 6. h., den Beitrag fürs Morgenblatt, Auskunft wegen Seume. Von diesem habe ich, lieber Freund, leider keinen Schuldschein, er hielt ihn unter uns für über­ flüssig, und ich wollte dem delikaten Manne nicht widersprechen. An Schnorr habe ich deßwegen geschrieben." — Böttiger wandte sich in Cottas Angelegenheit auch an Göschen, der ihm unterm 10. Oktober schrieb:

„ ... Da Seume nichts hinterlassen hat, so findet auch keine

eigentliche Curatel statt. Der namhafte Buchhändler hat Seumen, wie dieser damals sagte, da» Geld aufgedrungen, vermuthlich in Hoffnung künftiger Arbeiten. Wie ich höre, hat man bei Seume baares Geld gefunden in Töplitz. Ich werde das nach der Messe untersuchen und

Seumeü Schwester sagen, daß solches dem Herrn Cotta gehört. Uebrigens wird die Sache künftige Ostern aufs Reine fein und sich dann ergeben, ob er befriedigt werden kann, woran ich nicht zweifle, wenn die Schwester die Erbschaft annimmt. Aber Cotta muß sich bei der Universität melden und bald. Diese hat seinen Nachlaß an sich genommen, weil sie das Hiergeräthe erbt.

Geht nun dieses ab, so

bliebe das in Töplitz aufgefundene Geld noch übrig, weswegen schon von der Universität nach Töplitz geschrieben worden ist. Das frag­

mentarische Manuscript, zwölf Bogen, welches Seume hinterlassen hat, hat er vor seiner Abreise von hier einem Freunde, seinem. Arzt ge­ schenkt, der für seine Kur nie etwas nahm. Das bleibt aber uns vor der Hand, und der namhafte Mann mag es zu einer Zeit erfahren, wo es ihm, ich spreche ernsthaft, am vortheilhaftesten ist. Jetzt kann er auf das Manuscript nicht spekuliren; fragt er danach, so wird man

es ihm sagen. Eben höre ich, daß auch Herr Haußner sich zu dem Seumischen Nachlaß mit zweihundertfunfzig Thalern Miethzinö gemeldet hat. Für

694

Gösche» an Völliger. — Handschriftlicher Nachlaß.

Herrn Cotta wird also wohl wenig überbleiben.

Herr Haußner ist

der Schwiegersohn des Herrn Banquier Ludwig. Der Ihrige Göschen." Diesen Brief ergänzte Göschen noch durch folgende Mitteilungen:

„Leipzig, den 16. Oktober 1810. . . . Ich habe nun Auskunft über Haußner. Der treffliche Mensch hatte Seumen, als er von ihm zog, mit Möbeln ausgeholfen

und ihm solche geliehen. Er fordert sein Eigenthum zurück von der Universität, man läßt ihn schwören, daß es sein Eigenthum ist. Darü­ ber empfindlich, giebt er int Unwillen auch die Miethe an. Seume hat einen Bruder gehabt, von dem man seit seiner Jugend nichts weiß, weil er sich ohne Wiffen der Verwandten entfernt hat; um dieses Bruders Willen muß die Universität so strenge sein in Rück­ sicht des Nachlasses. Manches Ding bekommt eine andere Gestalt, wenn man es genauer besieht. Was von dem geborgten Gelde noch da ist, deucht mich, muß Cotta wiedererhalten. Wir haben ein Gesetz in Sachsen, daß jeder Gläubiger das Geld, was noch in Cassa ist, wieder erhalten kann, wenn es in den letzten vier Wochen einem moralisch oder physisch Gestorbenen geborgt ist.

Ich glaube wenigstens, daß ich

mich richtig dessen erinnere.

Der Ihrige Göschen." Wie die Nachlaßakten bekunden, wurden Haußner die von ihm zurück­ geforderten Gegenstände ausgeliefert, nachdem er sein Recht darauf eidlich versichert hatte. Auf die Entschädigung für Wohnungsmiete verzichtete er freiwillig. Auch Cotta erhielt die fünfzig Dukaten zurück, aber erst im Jahre 1827. Das ganze Verfahren dieser Nachlaßteilung, auf die wir am Schlüsse noch einmal zurückkommen, währte volle achtundzwanzig

Jahre. Unter Seumes nachgelassenen Papieren, — ein litterarischer Nachlaß im eigentlichen Sinne war jü$t vorhanden, — befand sich ein Bündel mit mehreren handschriftlichen Aufsätzen, ein Päckchen Briefe und sein russischer Abschied vom 12. November 1798 mit deutscher Übersetzung.

Auf die Aufsätze und die Briefe machte Hartknoch als alter Freund und

hauptsächlichster Verleger des Verstorbenen Anspruch. Er richtete betreffs deren Überlassung gegen ein entsprechendes Entgelt unterm 12. Oktober

Handschriftlicher Nachlaß.

695

1810 ein Gesuch an den akademischen Senat, der ihn die Papiere, nach­

dem Schnorr sie durchgesehen hatte, einsehen ließ. Hartknochs giebt weiteren Aufschluß:

Folgender Brief

„Ew. Magnificenz, Hochwürden und Wohlgeborne Herren! Nach genauer Durchsicht der hinterlassenen Papiere unseres Seume finde ich, daß darin fast gar nichts oder doch sehr wenig ist, was ich zum Behufe einer neuen Ausgabe seines Spaziergangs benutzen könnte. Indessen will ich drei Louisdor daran wenden, das höchste Gebot, was ich als ehrlicher Mann thun kann, besonders da ich auf meine Forderung

von zweihundertunddreißig Thalern Verzicht leiste. Ich habe dem Verstorbenen diese Summe nach und nach ohne ängstliche Rücksichten vorgeschossen, selbst während seiner langwierigen Krankheit, die mir

alle Aussicht raubte, durch den Verlag irgend eines neuen Werkes von ihm entschädigt zu werden. Ich würde davon ganz schweigen, wenn ich nicht meiner Achtung für Sie den Beweis schuldig zu sein

glaubte, daß ich auch bei meinem scheinbar kleinen Gebot nicht un­ billig handle. Wenn Sie mein Gebot nicht verwerfen, so lassen Sie Sich von meinem Kommissionär Herrn Steinacker die drei Louisdor gegen Vor­ zeigung dieses Billets zahlen und bleiben ferner gewogen

Leipzig, d. 28. 10. X.

Ihrem ergebensten Hartknoch."

Dieser Antrag wurde den Sachwaltern vorgelegt, die es für billig hielten, Hartknoch die Papiere ohne Entgelt zu überlassen. Unter den Manuskripten befand sich das auf S. 624 ff. bereits erwähnte Fragmmt „Die Weinlese", ferner „Der Schatz, eine theatralische Allegorie",