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German Pages 224 Year 2015
Der Park in der Metropole
Stephanie Kickum ist Historikerin und arbeitet in der Presseabteilung der Messe Köln. Lothar Reinermann ist Lehrbeauftragter für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Angela Schwarz ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Angela Schwarz (Hg.)
Der Park in der Metropole Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Julius Bien, Central Park – Summer, Looking South, New York, 1865; lithographed by John Bachmann; Museum of the City of New York, J. Clarence Davies Collection, 29.100.1944 Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-306-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Königliche Schöpfung, bürgerliche Nutzung und das Erholungsbedürfnis der städtischen Unterschichten: Londoner Parks im 19. Jahrhundert Lothar Reinermann 1. Zur Einführung: Die Metropole, die Menschen und die Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arkadien in der Metropole: Der Regent’s Park vom Landschaftspark für Wenige zum Naturerlebnis für Viele . . . . . . . . . 2.1 Ein Plan und seine Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Ausweitung des Freizeitangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Glanz und Elend im Herzen der Stadt: St. James’s Park und Green Park als Kulisse imperialer Machtentfaltung und Wartesaal der Gescheiterten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Natur, Fortschritt und Erinnerung: Hyde Park und Kensington Gardens als öffentliche Räume für Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Hyde Park wird öffentliches Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Treffpunkt der Welt: »The Great Exhibition of 1851« . . . . . . . .
19 27 27 36
42
51 51 56
4.3
Eine Bühne für alle: Macht, Pracht und politische Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.4 Kensington Gardens: Ort der Ruhe und der Selbstvergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. »Gardens for the gardenless«: Entwicklung, Verwaltung und Probleme der Londoner Parks bis zum Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.1 Reformideen und die neuen Public Parks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.2 Verwaltung, Personal und sportliche Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.3 Kriminalität, Prostitution und Homosexualität . . . . . . . . . . . . . . 96 6. Zum Ausklang: Londoner Parks zwischen Vergangenheit und Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Ein »Volkspark« für die Demokratie: New York und die Ideen Frederick Law Olmsteds Angela Schwarz 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Nature’s Nation« und das Wachstum der Städte im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Im Zeichen der Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 New York auf dem Weg zur Millionenstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 New Yorks Eliten und die Idee eines öffentlichen Parks . . . . 3. Frederick Law Olmsted und der Central Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 »American education at its best«: Olmsteds Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Volkspark, Stadtpark und Nationalgeschichte: Olmsteds Konzeption des Central Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ein Park für das »Volk«? Der Central Park und seine Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ein Blick zurück und einer nach vorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Auf dem Weg zu internationaler Bedeutung: Parkanlagen in Spanien Stephanie Kickum 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stadtentwicklung und Parkanlagen in Madrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Madrids langer Weg zur Metropole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Parque del Retiro: Vom »süßen Hofleben« zur Institution im städtischen Sozialleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Parque del Oeste: das Madrid von morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Barcelona: Stadtentwicklung, Parks und Nationalismus . . . . . . . . . . . 3.1 Eine Stadt »im Zustand fieberhafter Erneuerung« . . . . . . . . . . 3.2 Parc de la Ciutadella: Vom Symbol der Unterdrückung zum Symbol des katalanischen Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Parc Güell: »Synthese aus Natur und organischer Architektur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Personenverzeichnis
161 162 162 167 180 188 188 193 210 217
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Vorwort | 9
Vorwort
»Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – Aber abends zum Kino hast dus nicht weit.« Kurt Tucholsky: Das Ideal, 1927
Wir alle sind, zumindest in der industrialisierten Welt, Städter und Landbewohner in einem. Seit die Menschheit vor rund fünfeinhalbtausend Jahren das Leben in Städten entdeckte, hat der urbane Lebensraum unablässig an Attraktivität hinzugewonnen. Die inzwischen bebaute Fläche auf der Erdkugel und die täglich erfolgende Abstimmung mit den Füßen liefern untrügliche Beweise dafür. Während die Urbanisierung voranschritt, kristallisierte sich zugleich ein Ideal von Ländlichkeit immer klarer heraus. Wir wollen die Vorzüge sowohl der einen als auch der anderen Welt genießen. Manche können das an einem Ort, etwa im Häuschen am Rande der Stadt oder des großen städtischen Parks, aber eben noch in der Stadt, andere durch einen Ortswechsel, etwa vom Penthouse in Köln, München oder London zum Landhaus in der Eifel, im Alpenvorland oder in den South Downs. Das Beste zweier Welten? Als Historikerinnen und Historiker
10 | Stephanie Kickum, Lothar Reinermann, Angela Schwarz
fragen wir danach, wie eine solche Vorstellung und die Versuche, sie zu verwirklichen, entstanden sind, welche Entwicklung sie genommen haben. Schaut man zurück, so scheint die Idee von der rus in urbe in dem Moment vor dem endgültigen Aus gestanden zu haben, als Bevölkerungsexplosion und Industrialisierung seit dem späten 18. Jahrhundert aus Ausnahmefällen wie der Metropole London in wenigen Jahrzehnten ein Netz von Groß- und Millionenstädten gemacht hatten. Eine lange Liste von Problemen entstand daraus, die zum Teil bis heute und heute mehr denn je nach einer Lösung verlangen. Wie haben wohl diejenigen auf sie reagiert, die erstmals und geballt mit ihnen konfrontiert wurden? Was ließ sich an Ländlichkeit noch bewahren, wenn sich Hunderttausende von Menschen im Häusermeer auf wenigen Quadratkilometern zusammendrängen mussten? Für Historikerinnen und Historiker, die sich für Alltags-, Sozialund Kulturgeschichte interessieren, liegen solche Fragen nahe. Wir könnten die Anregung zur Beschäftigung mit ihnen aber ebenso von unserem akademischen Lehrer, Peter Alter, haben, dem wir dieses Buch als Festgabe zu seinem 65. Geburtstag widmen möchten. Von seinen Arbeitsfeldern der Metropolenforschung, der europäischen und besonders der britischen Geschichte ist es nur ein kurzer Weg zum »Park in der Metropole«. In der angenehmen Atmosphäre und in den zwanglosen Gesprächen an seinem Lehrstuhl könnte die Idee in uns aufgekommen und gereift sein. Vielleicht wollen wir mit der Annäherung an das Thema aber auch nur die Liebe zu Stadt und Land in uns selbst wiederentdecken. Wenn die folgenden Seiten etwas dazu beitragen könnten, Peter Alter und die Leserschaft dieses Buches ein Stück weit auf diese (Wieder-)Entdeckungsreise mitzunehmen, wäre eines unserer wesentlichen Ziele erreicht. Stephanie Kickum Lothar Reinermann Angela Schwarz
Einleitung | 11
Einleitung
»What shall we do with our cities? What will our great cities do with us […]?«1 Lyman Abbott
»We have entered the urban millennium.«2 Obwohl sich für das neue Jahrtausend zweifellos viele andere Attribute finden ließen, drängt sich doch die Charakterisierung als Epoche des Urbanen auf. Denn zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Menschheit kurz davor, eine weitere wichtige Schwelle ihrer Entwicklung zu überschreiten. In zwei oder drei Jahren werden erstmals in der Geschichte weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben.3 Für das
1 | Lyman Abbott (1891), zit. nach: Thomas A. Bailey/David M. Kenne-
dy: The American Pageant. A History of the Republic, Lexington, Mass., Toronto 10. Aufl. 1994, S. 564. 2 | Kofi Annan: Eröffnungsrede zur UNO-Konferenz »Urban 21. Global
Conference on the Urban Future« am 4. Juli 2000 in Berlin, www.un.org/ News/Press/docs/2000/20000705.sgsm7479.doc.html, S. 1, deutsche Fassung www.bbr.bund.de/staedtebau/download/eroeffnungsreden.pdf, S. 7f., beide abgerufen am 16. März 2005. 3 | Die Vereinten Nationen prognostizierten das vor einigen Jahren für
2005. Mit einem Stand von 49,2 Prozent der Weltbevölkerung scheint die ak-
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Jahr 2030 sagen die Bevölkerungswissenschaftler, bei einer Gesamtbevölkerung von mehr als 8 Milliarden, bereits eine Quote von 60 Prozent Städtern voraus. Für immer mehr werden immer größere Städte zur täglich erlebten Realität. Die Stadt hat somit längst ihre Exklusivität verloren, als Ort kultureller Produktion, wirtschaftlicher und technologischer Leistungen, der Konzentration politischer Macht.4 Wäre die Urbanisierung in den letzten Dekaden nicht schon mit Siebenmeilenstiefeln vorangeschritten, so könnten die Zahlen über das demnächst zu erwartende Wachstum Beunruhigung auslösen. Die Begriffe vermögen mit dem erstaunlichen Prozess kaum noch mitzuhalten. Vor zweihundert Jahren kannte die Menschheit gerade einmal eine Stadt, die die Grenze von einer Million Einwohnern überschritten hatte. Bis zum Jahr 1900 hatte sich die Zahl auf 13, bis 1950 sogar auf 72 gesteigert. Die Mehrzahl von ihnen lag in den Industrienationen der westlichen Welt, die die Avantgarde der Stadtentwicklung im Industriezeitalter bildete. Im Jahr 1970, als sich nach nur zwanzig Jahren die Zahl der Millionenstädte auf 156 mehr als verdoppelt hatte und viele von ihnen längst mehrere Millionen beheimateten, kreierten die Vereinten Nationen den Begriff der Megacity. Zunächst bezeichnete er Ballungszentren ab 8 Millionen Einwohnern, heute muss eine Stadt schon mindestens 10 Millionen vorweisen können, um nach UN-Definition als Megacity zu gelten. Neunzehn solcher Megastädte gibt es derzeit auf der Welt, bis 2015 sollen es schon 44 sein.5 Zum Kreis der Millionenstädte gehören mit Stand vom Januar 2005 mittlerweile 428 Städte. Das Wort von der »Mega-Urbanisierung«, das Stadtforscher aufgebracht haben, scheint daher in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt. Die Welt wird Stadt. Verändert hat sich und weiter verändern wird sich nicht nur die Größe und Zahl der Agglomerationen. Auch die Verteilung auf der tuelle Vorhersage, im Jahr 2007 würde die Grenze überschritten und erstmals der größere Teil der Weltbevölkerung in Städten leben, realistisch. 4 | Vgl. Ilse Helbrecht: Urbane Revolution, in: Zeitschrift für Kulturaus-
tausch 3, 2002, S. 29. 5 | Vgl. ebd. Es gibt auch Prognosen, die niedriger ausfallen. Allen ge-
mein ist die Vorhersage, dass die Megacitys zum überwiegenden Teil auf der Südhalbkugel bzw. in Entwicklungsländern liegen werden.
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Erde wird nicht mehr die gleiche sein. Fanden sich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die meisten Metropolen und Megastädte auf der nördlichen Halbkugel, London, Paris, New York, Berlin, Moskau, so geht die Tendenz offensichtlich dahin, dass künftig die Südhalbkugel die meisten und größten urbanen Zentren aufweisen wird. In der Rangliste der Städte, die von der Bewohnerzahl ausgeht, erscheinen unter den ersten fünfundzwanzig Nennungen nur drei bzw. vier der ehemals am weitesten urbanisierten Orte der westlichen Welt: New York auf Platz 4, Los Angeles – im Vergleich zu den übrigen ein Spätentwickler – auf Platz 8 und als erste europäische Stadt London auf Platz 20, gefolgt von Paris auf 25. Die nächste Metropolregion in Europa ist das Ruhrgebiet auf Platz 45, während Berlin sich mit dem 72. Rang begnügen muss. Hinter den Rängen stehen Einwohnerzahlen, die die ungebremste Dynamik der Urbanisierung erkennen lassen. Fast 12 Millionen Menschen wohnen derzeit in Greater London, um die 20 in den Großräumen São Paulo und Bombay, fast 22 im Raum New York und schließlich 34 Millionen Menschen6 allein in der derzeit am dichtesten bevölkerten Metropolregion Tokio. Viele Länder sind demnach kleiner als so manche Metropolregion oder Megastadt. Die Zahlen lassen sich bekanntlich nicht einfach gleichsetzen mit Qualität der urbanen Existenz, die mit dem Bevölkerungswachstum ihre Sogkraft und Attraktivität unwiderlegbar bewiesen hätte. Vielmehr sind heute selbst unter günstigsten Bedingungen viele Missstände der urbanen Existenz noch nicht beseitigt, neue kamen und kommen hinzu. Denn mit dem Zustrom neuer Städter wachsen zugleich die Schwierigkeiten: Überfüllung, ökonomische Probleme, soziale, hygienische, ökologische. Prognosen gehen von einer forcierten Urbanisierung vor allem südlich der Sahara, in Asien und Lateinamerika aus, die eine Ausweitung der Slums bringen werde. Bis zum Jahr 2020 soll sich die Zahl derer, die in Elendsvierteln leben müssen, auf 100 Millionen Menschen7 steigern. Im Unterschied dazu wird 6 | Angabe mit Stand vom Januar 2005, vgl. »Die größten Agglomera-
tionen der Welt«, www.citypopulation.de/Country.html?D+World$Welt, aufgerufen am 16. März 2005. 7 | Vgl. Annan: Eröffnungsrede, S. 2.
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erwartet, dass sich die Städte der westlichen Industrienationen kaum noch ausdehnen. Ihre Problemlage ist etwas anders geartet, obschon auch hier ökonomische, ökologische, infrastrukturelle Missstände das Leben beeinträchtigen, die ebenso beseitigt werden müssen wie jene, die in den südlichen Ländern kaum eine Rolle spielen. Überalterung wäre ein solches, die ›Verunstaltung‹ des urbanen Lebensraums ein anderes. Mit Blick auf das Resultat der baulichen Transformationen im 20. Jahrhundert sprechen manche Architekten von der – »posteuropäischen«8 – Stadt der Gegenwart als »Un-Stadt«,9 ein seelenloser Ort ohne Kern, ohne Plätze, ohne Boulevards. Dabei hätten sich im letzten Jahrhundert mehr Menschen als je zuvor den Kopf darüber zerbrochen, wie es sich besser wohnen, wie sich das Angenehme sowohl der Stadt als auch des Landes im urbanen Raum genießen lässt. Einige befürchten gar, inmitten einer erneuten städtischen Revolution, die in manchen Megacitys Umwälzungen wie in der westlichen Industriestadt des 19. Jahrhunderts hervorgebracht habe, könnte das europäische Modell seine Vorbild- und Schrittmacherfunktion verloren haben.10 Zweifel über die Zukunftsaussichten der europäischen Stadt wie der Stadt überhaupt sind nicht neu. Düstere Prophezeiungen und das vermeintlich nahe und unausweichliche Ende dieses Lebensraums gibt es fast so lange, wie es Städte gibt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutete der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler die neuen Metropolen als »Land in steinerner Form«. Weil in ihnen kein Geist und kein wirkliches Leben existiere, würde ihre Ausbreitung den Untergang des Abendlandes wie der Zivilisation überhaupt herbeiführen. Manche glauben angesichts der aktuellen Entwicklung, es könnte etwas daran sein. Aber Schelte und Ablehnung ist nur eine Seite der 8 | Christiane Harriehausen: Die posteuropäische Stadt hat viele Gesich-
ter, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 7. September 2003, Nr. 36, S. V 13. 9 | Roland Ostertag, zit. nach: Susanne Beyer: »Flucht in die Stadt«, in:
Der Spiegel 21, (24. Mai) 1999, S. 140. 10 | In diesem Sinne äußerte sich etwa Eckhart Ribbeck, Professor für
Städtebau der Universität Stuttgart, zit. nach: Harriehausen: Die posteuropäische Stadt, S. V 13.
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Medaille. Große Städte und besonders die Metropolen seit dem 19. Jahrhundert haben immer auch Hoffnung erzeugt: »Die Metropole ist Verheißung, Sinnbild von Urbanität, Gegenstand utopischer Entwürfe – und zugleich Symbol für Chaos, für Bedrohung, für die unmenschliche Welt von morgen«,11 wie Peter Alter die zwiespältige Haltung der Menschen gegenüber jenem Lebensraum einmal resümiert hat. Für viele erklärt sich die Anziehungskraft des Urbanen nicht allein durch die Hoffnung auf – bessere – Existenzsicherung. Der Historiker Lewis Mumford hat diese Seite einmal mit den Worten umschrieben, dass das Denken erst in der Stadt Gestalt annehme, nur dort sich voll entfalten könne.12 Fortschritt, eine Weiterentwicklung von Individuen wie der Menschheit, ist danach nur hier gewährleistet. Dazu musste und muss aber die Stadt ein lebenswerter Raum sein. Die Frage danach, was lebenswert ist und wie man das Urbane lebenswert machen kann, drängt sich in Zentren mit größter Bevölkerungsdichte und -konzentration am stärksten auf. Viele Probleme und viele Vorschläge für ihre Lösung sind nicht neu, denn die neuzeitliche Stadt trat vor knapp zweihundert Jahren schon einmal in eine urbane Revolution ein. Im 19. Jahrhundert standen die Bewohner der Städte, jene, die es werden wollten oder mussten, jene, die das Gebilde zu verwalten hatten, und jene, die sich, vor Ort oder auf dem Land, Gedanken darüber machten, wie mit den Folgeerscheinungen dieser ›Revolution‹ am besten umzugehen sei, vor einem ganzen Berg von Missständen, Gefahren und Fehlentwicklungen. Bei allen Unterschieden ist es doch überraschend zu sehen, wie wenig sich die Probleme der Stadt des 21. von denen der Stadt des 19. Jahrhunderts in den grundsätzlichen Punkten unterscheiden: Überfüllung, Armut, Slumbildung, Verkehrschaos, Umweltzerstörung, Fragmentierung der Gesellschaft, Anonymisierung. Auf den folgenden Seiten geht es um die Überlegungen, die im 19. Jahrhundert zur Beseitigung der ärgsten Missstände angestellt wurden. Damals sahen sich die Menschen zum ersten Mal mit einem bislang ungekannten Ausmaß des Wandels ihrer – städtischen – Le11 | Peter Alter: Einleitung, in: ders. (Hg.): Im Banne der Metropolen.
Berlin und London in den zwanziger Jahren, Göttingen, Zürich 1993, S. 11. 12 | Vgl. Lewis Mumford: The Culture of Cities, London 1946, S. 5.
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benswelt konfrontiert. Trotz früherer Erfahrungen standen sie doch in gewisser Weise unvorbereitet vor der Situation, was die Frage umso interessanter macht, wie sie darauf reagierten. Zudem könnten durchaus Lehren für das 3. nachchristliche Jahrtausend darin zu finden sein, welche Antworten zu der Zeit formuliert wurden. Es lohnt sich also, das Augenmerk auf diese Zeit und diesen Ort ›Stadt‹ zu richten. Da sich nicht alles zugleich betrachten lässt, verengt sich der Blick auf einen Aspekt, und zwar auf die Schaffung oder Nutzung von Parks in den expandierenden Städten als (Teil-)Lösung für einzelne oder auch mehrere der Probleme. Er verengt sich noch etwas weiter, indem er auf die Antworten einer bestimmten Gruppe schaut: auf die Landschaftsplaner, auf Architekten und Ingenieure, auf einzelne Reformer. Und schließlich kann er nur wenige Orte aufnehmen, sodass die Wahl auf die Metropolen fällt, eine (Neu-)Schöpfung der Zeit, sieht man einmal vom Sonderfall London als Pionier dieses Stadttyps ab. In einem Band über den Park in der Metropole des 19. Jahrhunderts kommen viele Städte für die nähere Betrachtung in Frage. Man denkt zweifellos zuerst an London und Paris, dann an Berlin, Wien, vielleicht noch an Madrid in Europa und natürlich an New York und Chicago in den Vereinigten Staaten. Man könnte sie alle auf ihren jeweils spezifischen Umgang mit der Expansion und ihren Problemen untersuchen und zu ihnen allen die Frage danach stellen, welche Rolle dabei neu einzurichtende oder schon existierende Grünflächen spielen sollten. Man muss jedoch eine Wahl treffen. Ausgewählt sind im vorliegenden Band drei von ihnen, erweitert um eine spanische Stadt, die im Kontext der Metropolen kaum genannt wird, Barcelona. Diese Auswahl erklärt sich nicht allein aus den Forschungsinteressen der Autoren, sondern besitzt ebenso eine inhaltliche Berechtigung. Man kommt kaum umhin, die erste Metropole des Industriezeitalters zu berücksichtigen, also jene Stadt, in der als erster von den ausgewählten der Bevölkerungsdruck und das Selbstverständnis der städtischen bzw. gesellschaftlichen Eliten den Park als (sozial-)politisches Instrument interessant werden ließen. In London stellte sich in der Zeit des größten Wachstums, also in viktorianischer Zeit, die Frage, wie mit den bereits vorhandenen Anlagen verfahren werden sollte. Diese fanden lange Zeit größeren Zuspruch als die neuen Schöpfungen, zu denen sich die Stadtväter ab der Mitte des 19. Jahr-
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hunderts entschlossen. Wem ›gehörten‹ diese grünen Inseln in der Stadt? Welche Aufgaben konnten und sollten sie erfüllen? Man könnte ähnliche Fragen anhand der Entwicklung von Paris untersuchen, das wie London über ein Erbe gestalteter Natur und architektonischer Botschaften königlich-aristokratischer Provenienz verfügte. Will man zu den Reaktionen auf das städtische Wachstum im 19. Jahrhundert jedoch möglichst unterschiedliche Ausgangslagen betrachten, kann Paris als weiteres Untersuchungsbeispiel ausgeklammert werden. Was sich eher anbietet, eigentlich mit Macht ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängt, ist der Fall einer Stadt, die nicht über ein solches Erbe verfügte und sich im 19. Jahrhundert innerhalb von Jahrzehnten von einer eher kleinen Stadt zur Millionenstadt und Metropole wandelte. New York weist nicht nur Besonderheiten im urbanen Wachstum auf, sondern ebenso Merkmale, die den Überlegungen in der Jahrhundertmitte, einen großen öffentlichen Park in der Stadt einzurichten, eigene, für die Nation bzw. die Stadt typische Charakteristika verliehen. Gleichwohl lassen sich die Parallelen zu den Entwicklungen in Europa nicht verleugnen, die sich in den Begleiterscheinungen der Expansion ebenso entdecken lassen wie in den Entwürfen von Stadtplanern und Landschaftsgestaltern. Metropole London – Metropole New York: keine Frage. Aber Metropole Madrid oder gar Metropole Barcelona? Fallen die spanischen Städte aus dem Reigen der Städte des 19. Jahrhunderts mit besonderem Anpassungsbedarf nicht heraus? Man kann das bejahen, wenn man von einer enggefassten Definition von Metropolen ausgeht. Man muss es verneinen, will man Städte und Diskussionen um die Lösung ihrer Probleme vor dem Hintergrund möglichst unterschiedlicher Ausgangslagen untersuchen. Denn wenn die Ausgangsvoraussetzungen so unterschiedlich sind, ließe sich als Ergebnis erwarten, dass kaum Gemeinsamkeiten zwischen so verschiedenen urbanen Zentren wie London, New York, Madrid und Barcelona existieren. Die folgenden Seiten werden zeigen, ob und inwieweit die Vermutung zutrifft oder nicht. Unabhängig von der Frage nach den Parallelen im 19. Jahrhundert haben die Beispiele, so heterogen sie auch erscheinen mögen, etwas wichtiges gemeinsam: Sie sind greifbarer Ausdruck der Faszination, die der Lebensraum Stadt für viele besitzt. Charles Dickens
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schloss in diese Faszination, was ebenso auf die heutige Stadt zutrifft, die »attraction of repulsion« mit ein. Wir wünschen uns heute einen urbanen Lebensraum, der für den einzelnen wie die Gemeinschaft – zumindest überwiegend – vorteilhaft ist. »At their best, cities are engines of growth and incubators of civilization. They are crossroads of ideas, places of great intellectual ferment and innovation. They can also be models of democracy and multicultural coexistence.«13 Die Planer in London, New York, Madrid, Barcelona und anderen Städten des 19. Jahrhunderts wären wohl nicht sehr von dieser unserer Zeit entstammenden Charakterisierung der positiven Seiten des Urbanen abgewichen. Noch mehr aber hätten sie wohl dem Appell ihrer Nachfahren aus dem Jahr 2000 zugestimmt, dass gegen die negativen Seiten der Stadt entschieden vorzugehen sei: »we must do more to make our cities safe and liveable places for all«.14 Angela Schwarz März 2005
13 | Annan: Eröffnungsrede, S. 1. 14 | Ebd., S. 2.
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Königliche Schöpfung, bürgerliche Nutzung und das Erholungsbedürfnis der städtischen Unterschichten: Londoner Parks im 19. Jahrhundert Lothar Reinermann
1. Zur Einführung: Die Metropole, die Menschen und die Natur »Die Seitenwege Londons ähneln dünnen Adern, seine Parks sind wie Lungen. Im Regen und Nebel der herbstlichen Stadt sehen die glänzenden Steine und Pflaster der älteren Durchgänge aus, als bluteten sie […].«1 Peter Ackroyds Beschreibung der Stadt London um die Wende zum neuen Millennium reiht sich bewusst in eine sehr alte Tradition ein, und zwar die Weltstadt London mit einem Körper zu vergleichen, denn »metaphorische Bilder für den Cockney-Leib zirkulieren seit vielen Jahrhunderten«. Doch damit nicht genug: Gelten Biographien üblicherweise lebenden oder verstorbenen Personen, so folgt der britische Romancier und Sachbuchautor auch hier einer Tradition. Indem Ackroyd sein Buch »London. Die Biographie« nennt, 1 | Peter Ackroyd: London. Die Biographie, München 2002, S. 11.
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stellt er klar, wie bereits zahlreiche Stadthistoriker vor ihm,2 dass diese Metropole eine eigene Persönlichkeit hat. Ihre Parks bilden einen integralen und wichtigen Bestandteil dieser Persönlichkeit. Die britische Hauptstadt erlebte spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts einen ihrer bedeutsamsten Transformationsprozesse: Der Körper der Stadt wuchs mit einer Geschwindigkeit, die nahezu Schwindel erregend war. Zweifellos bildete der große Brand von 1666 die größte Wendemarke in der Stadtgeschichte und im Erscheinungsbild Londons, denn vier Fünftel der mittelalterlichen City wurden zerstört. Das löste ein wildwucherndes Wachstum aus, dem trotz zahlreicher und immer wieder neu festgesetzter Baubeschränkungen bald kaum noch Einhalt geboten werden konnte. Bereits im folgenden Jahrhundert begann sich London als internationales Handels-, Finanzund Kulturzentrum zu etablieren, doch erst die Industrielle Revolution im Bunde mit dem Kolonialismus begründete die Vorrangstellung Großbritanniens und Londons in Europa. Die Metropole dehnte sich nun räumlich immer weiter aus und die ehemals noch getrennten Bezirke des aristokratischen West End und des kommerziellen East End wuchsen zusammen. Der Bedarf an Wohnraum war extrem groß, denn immer mehr Menschen verließen das Land, um in den Städten, vor allem in London, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. London hatte gegen Ende des 17. Jahrhunderts etwa knapp über eine halbe Million, am Ende der Georgianischen Ära schon rund 1.400.000 Einwohner. Das entsprach 1830 einem Zehntel der Gesamtbevölkerung des Vereinigten Königreiches.3 Für die Jahre von 1750 bis 1850 muss von einer Bevölkerungsexplosion gesprochen werden. Auch wenn die Zahl der Taufen die der Begräbnisse erst seit 1790 überstieg, so war doch nun der Aufwärtstrend nicht mehr aufzuhalten. Zwischen 1800 und 1850 stieg die Bevölkerungszahl in jedem Jahrzehnt um jeweils 20 Prozent.4 2 | Vgl. Christopher Hibbert: London. The Biography of a City, Har-
mondsworth 1984; Ingrid Nowel: London. Biographie einer Weltstadt, 4. Aufl. Köln 1990. 3 | Vgl. Eva Schumann-Bacia: Die Bank von England und ihr Architekt
John Soane, Zürich, München 1989, S. 13. 4 | Vgl. Ackroyd: London, S. 523.
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Diese rapide Bevölkerungsentwicklung, gefolgt von einem gigantischen Bauboom, ließ ausländische Besucher nicht unberührt. »Londres n’est pas une ville: C’est une province couverte de maisons«, meinte der französische Ökonom Jean-Baptiste Say während der Regierung Georgs IV.5 Diese prosaisch-kritische Charakterisierung ist zweifelsohne zu einem gewissen Grad dem Umstand geschuldet, dass der französische Ökonom Paris, also »seiner« Hauptstadt, die bald zur Hauptstadt des 19. Jahrhunderts hochstilisiert werden sollte, den Vorzug gab. Dessen ungeachtet ist seine Äußerung keine Einzelmeinung. So stellte etwa auch für den deutschen Dichter Heinrich Heine »dieser steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom lebendiger Menschengesichter« bekanntermaßen »das Merkwürdigste« dar, »was die Welt dem staunenden Geiste zeigen kann.«6 Für die Französin Flora Tristan, eine Anhängerin des britischen Sozialpolitikers Robert Owen, hieß London im Jahre 1842 aufgrund seiner »Größe«, des schier »unbegrenzten Wachstums«, »der Menschenfluten« und der »ungeheuren Anhäufung von Häusern«, einfach nur die »Monsterstadt«! Der erste Eindruck, den sie gewonnen hatte, war nur vordergründig: »Die Schönheit der Gehwege, die Zahl und Eleganz der squares, […] die unermessliche Ausdehnung der Parks, die glücklichen Kurven, die sie zeichnen, die Schönheit der Bäume […] haben alle etwas Märchenhaftes an sich, wovon das Urteilsvermögen geblendet wird […]. Der Fremde erwacht bald aus seiner Verzauberung: Aus der Idealwelt fällt er in fühllosesten Egoismus und Materialismus.«7 Trotz aller Kritik gaben nicht wenige London eindeutig den Vorzug vor Paris, so etwa Theodor Fontane, der vierzehn Jahre später an seinen Vater schrieb, er beantworte »die große Frage ›London oder Paris‹ zu Gunsten Londons […]. Paris ist ein vergrößertes Berlin; London ist eben London und ist mit gar nichts andrem zu vergleichen. Paris ist eine sehr große Stadt, London ist eine Riesenstadt, d.h. sie macht den Eindruck als sei sie nicht von schwachen Menschen [sic] sondern von 5 | Zit. nach: Gwilym Gibbon/Reginald Bell: History of the London
County Council, 1889-1939, London 1939, S. 3. 6 | Heinrich Heine: Reisebilder, Frankfurt am Main 1980, S. 507. 7 | Flora Tristan: Im Dickicht von London oder Die Aristokratie und die
Proletarier Englands, hg. von Paul B. Kleiser/Michael Pösl, Köln 1993, S. 21f.
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einem ausgestorbenen Geschlecht gebaut, dessen kleinste Leute alle 6 Fuß maßen.«8 Die damals größte und reichste Stadt der Welt übertraf im Hinblick auf »paving, lighting, and sanitation, and […] the material conditions of life«9 das zeitgenössische Paris. Doch die Baumaßnahmen des schnell wachsenden London zerstörten nicht nur die Natur, sondern verursachten konkrete Probleme, die das soziale Gefüge ins Wanken brachten. Doch erst infolge der ersten wirtschaftlichen Depression 1826/27 begannen Bewohner und Besucher der Stadt, sich mit den sozialen Lebensbedingungen der Arbeiter und Armen zu beschäftigen. Die Probleme zeigten sich in besonderem Maße im East End, wo die Ärmsten der Armen lebten. Doch auch in den besseren Vierteln des West End nahm das Wachstum immer stärkeren Einfluss auf die Lebenswirklichkeit. Die Verachtung der Stadt, ja der Hass auf sie, spielte in den Vorstellungen der Frühromantik und des Radikalismus eine bedeutende Rolle. William Cobbett, ein radikaler Journalist, plädierte schon in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts für die »Auflösung der Geschwulst« und wollte »die Angelegenheiten der Nation ordnen und sie wieder in einen glücklichen Zustand versetzen […].«10 Nicht nur infolge des ständigen Wachstums, sondern auch der Industrialisierung Londons vermehrten sich die negativen Folgeerscheinungen, besonders Lärm und Schmutz, enorm. Für Letzteres war vor allem die extrem starken Ruß bildende Kohle aus Newcastle verantwortlich, die »the brightest day into more than a Stygian darkness«11 verwandeln konnte, wie Benjamin Thompson erklärte, der die Kamin-
8 | Theodor Fontane an Louis Henri Fontane am 19. Oktober 1856, in:
ders.: Ein Leben in Briefen, hg. von Otto Drude, Frankfurt am Main 1981, S. 81. 9 | Donald J. Olsen: The City as a Work of Art. London – Paris – Vienna,
New Haven 1986, S. 13. 10 | William Cobbett: Rural Rides, London 1912 (Nachdruck), Bd. 1, S. 43. 11 | Thompson, zit. nach: Sanborn C. Brown: Benjamin Thompson,
Count Rumford, Cambridge, Mass. 1979, S. 167. Vgl. auch Andrew Saint: »Die Baukunst in der ersten Industrie-Metropole«, in: Celina Fox (Hg.): Metropole London. Macht und Glanz einer Weltstadt 1800-1840, Recklinghausen 1992, S. 72.
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bautechnik verbesserte. Diejenigen, die es sich leisten konnten, verließen das Stadtzentrum. Alle übrigen, denen dies nicht offen stand, empfanden den Verlust der Natur immer stärker. Der Gedanke an eine Rückkehr in die Natur, ja in den Garten Eden, begann für die Menschen in der Metropole eine zunehmend wichtigere Rolle zu spielen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandelte sich in der Hauptstadt folglich die Bedeutung der Parks und Gärten, traditionell Ausdruck des menschlichen Bestrebens, die Natur zu zähmen und zu beherrschen. Waren die Londoner Parks in früheren Jahrhunderten zumeist Jagdreviere bzw. Palastgärten des Königshauses gewesen, so gingen sie nun allmählich faktisch in den Besitz der gesamten Londoner Bevölkerung über. Dieser Übergang von einer aristokratischen in eine mehr und mehr bürgerliche Nutzung spiegelt zugleich den Machtwechsel in der britischen Gesellschaft wider.12 Im England des 18. Jahrhunderts dominierte die Theorie des Landschaftsparks, wobei eine klare Unterscheidung zwischen Park und Garten gemacht wurde. Von William Chambers über William Gilpin bis hin zu Humphry Repton fußte die Theorie auf dem Prinzip des Malerischen, also Pittoresken, das beim Betrachter durch ausgefallene, aber natürlich wirkende Perspektiven und Ansichten einen Aha-Effekt erzeugen sollte. Repton betonte allerdings schon, dass geometrische Gärten in Hausnähe durchaus angebracht seien, während das weiter entfernt liegende Gelände einen Landschaftspark bilden sollte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Gartentheorie, d.h. die Einschätzung des englischen Landschaftsgartens: Der Sohn eines schottischen Gutsherrn, John Claudius Loudon, sprach in seinen einflussreichen Schriften zur Gartenkunst auffälligerweise nicht mehr von Parks, sondern wieder von Gärten. Er prägte einen neuen Stilbegriff, nämlich gardenesque. Neben den pittoresken Landschaftsgarten trat somit in gleichberechtigter Weise wieder der traditionelle geometrische Garten, so wie er in der Renaissance und im Barock üblich gewesen war. Dahinter stand auch ein soziales An-
12 | Vgl. H.J. Dyos: »Some Historical Reflections on the Quality of Urban
Life«, in: David Cannadine/David Reeder (Hg.): Exploring the Urban Past. Essays in Urban History, Cambridge 1982, S. 61.
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liegen: »Das Echo auf seine Vorstellungen war positiv, da er auch die sozial schwächer gestellten Bevölkerungsgruppen berücksichtigte und für sie den städtischen Hausgarten konzipierte, der nun wahrlich nicht als Landschaftsgarten angelegt werden konnte.«13 Shirley Hibberd, ein sozialreformerischer Buchhändler und -binder, beschritt diesen Weg weiter und ging davon aus, dass die »plain people« im Gärtnern unterrichtet werden müssten, da auch sie Geschmack und Fertigkeit besäßen. »Von allen Plätzen der Welt muss gerade in der finsteren Stadt die Gegenwart von Blumen dazu dienen, uns dann und wann von der Fieberlast des Geschäfts zurückzurufen und uns an unsere Kindheit und unser Elternhaus, an unsere erste Liebe, unsere erste Wanderung, an das Lächeln und die Küsse unserer Mutter und an das goldene Kalifornien zu erinnern, das wir damals in einer Blumenwiese fanden.«14
Nach dieser sozialromantischen Sicht sollten letztlich die Sitten in der Metropolis dadurch verbessert werden, dass jeder Stadtbewohner die so selten gewordene Natur im kleinen, sei es nun im Wohnzimmer oder im handtuchgroßen Garten, für sich erschaffen und erleben würde. Damit stiegen in der Stadt des Industriezeitalters die geometrischen Gärten en miniature zum Vorbild auf. Es verwundert allerdings, dass Hibberd den Landschaftsgarten per se als Symbol der Privilegierten verteufelte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah Benjamin Disraeli die zentrale Lage vieler Londoner Parks als einen der großen Vorzüge dieser Stadt an: »in exactly ten minutes it is in the power of every man to free himself from the tumult of the world«.15 Parks für alle Bevölkerungsschichten zu öffnen, war allerdings zu Beginn des Jahrhunderts noch eine ungewöhnliche Geste angesichts der Klassenschran-
13 | Ehrenfried Kluckert: Gartenkunst in Europa. Von der Antike bis zur
Gegenwart, Köln 2000, S. 397. 14 | Zit. nach: ebd. 15 | Zit. nach: Hazel Thurston: Royal Parks for the People: London’s Ten,
Newton Abbot 1974, S. 42.
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ken, die in England aufgrund eines ausgeprägten Klassenbewusstseins, ja Klassenstolzes, höher zu sein schienen als in den Staaten auf dem Kontinent. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhöhte sich der öffentliche Druck auf die Regierung, Parks für alle einzurichten. Die königlichen Parks waren mittlerweile der Allgemeinheit zugänglich gemacht. So entstanden nach und nach zahlreiche neue Parks, die nicht selten den Namen der Königin trugen. Diese vielen »Victoria Parks« in ganz England, z.B. in London oder Manchester, waren wie die meisten öffentlichen Parks nicht nur eingezäumt, sondern forderten einen strengen Verhaltenskodex von ihren Besuchern. Die Parks sollten geradezu ein Schaufenster guter Manieren sein. Für eine Stadt brachten sie eine klare Aufwertung: »They gave a place style.«16 Die Vielfalt und Masse der Londoner Parks, die vor allem von den Viktorianern bewahrt oder aber neu geschaffen wurden, lässt sich mit einem Blick auf einen Stadtplan sofort erkennen. Die neueste topographische Karte von London zeigt zudem, dass »mehr als ein Drittel der Bodenfläche Londons (ohne Gewässer) halb natürliches oder gemähtes Grasland, Agrarland und Laubwald ist. So war es zu allen Zeiten.«17 Das Bedürfnis nach Bäumen, Rasen und Blumen müssen die meisten Londoner aber in den öffentlichen Parks und Gärten stillen. Grundsätzlich können vier verschiedene Typen unterschieden werden:18 1. Royal Parks gehören der Krone und werden heute vom Department of Environments verwaltet. Sie gingen aus ehemaligen Jagdgründen oder Gärten, die zu Residenzen gehörten, hervor. Im Zentrum der Stadt liegen die wichtigsten der Royal Parks: St.
16 | Dyos: »Reflections«, S. 61. 17 | Ackroyd: London, S. 417. 18 | Die folgende Gliederung mischt verschiedene Ansätze. Vgl. Marian-
ne Brace: London Parks and Gardens, Cambridge 1986, S. 8; Helmut Ahrens: London: Pracht, Macht und Alltag, Braunschweig 1986, S. 240; Claudia Piras/ Bernhard Roetzel: Traditional Style. Wohnkultur auf den britischen Inseln, Köln 2000, S. 88.
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James’s Park, Green Park, Hyde Park, Kensington Gardens und Regent’s Park. Zudem befinden sich an der Peripherie weitere königliche Parks wie Greenwich Park, Richmond Park, Kew Gardens, Hampton Court Palace Park und Bushy Park. 2. Public Parks entstanden im 19. Jahrhundert weiter außerhalb oder an der Peripherie. Beispiele dieser für die breite Masse geschaffenen Oasen sind der Victoria Park, der Crystal Palace Park und der Battersea Park. Aber auch nicht-königliche Anlagen wie Chiswick House Gardens, Osterley Park, Marble Hill Park und Ham House Gardens, also Anlagen, die zu Landsitzen gehören und heute der Öffentlichkeit zugänglich sind, werden Public Parks oder »gardens for the gardenless« genannt. 3. Spezialgärten, so genannte »working gardens«, finden sich im Herzen der Metropole, etwa Chelsea Physic Gardens, einer der ältesten Kräutergärten Europas, oder an ihrem Rand, wie die Royal Botanic Gardens in Kew. 4. Commons sind Flächen ehemaliger common lands, also öffentlich zugängliche Grünanlagen wie Hackney Marshes, Hampstead Heath, Wormwood Scrubs, Wimbledon Common, Clapham Common, Plumstead, Woolwich oder Blackheath. Im Folgenden werden die fünf berühmten großen innerstädtischen Parks im Zentrum des Interesses stehen: Regent’s Park, St. James’s Park, Green Park, Hyde Park und Kensington Gardens. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden neuen Volksparks verdienen ebenfalls Aufmerksamkeit. Der Blick auf sie trägt dazu bei, das Spektrum jener Denk- und Verhaltensweisen aufzuzeigen, mit denen die Londoner im 19. Jahrhundert auf ›ihre‹ Natur reagierten. Schöpfung, Entwicklung, Nutzung, Reformierung, Verwaltung und Probleme der Londoner Parks im 19. Jahrhundert lassen sich so am besten veranschaulichen.
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2. Arkadien in der Metropole: Der Regent’s Park vom Landschaftspark für Wenige zum Naturerlebnis für Viele 2.1 Ein Plan und seine Ausführung In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in denen Großbritannien durch die Napoleonischen Kriege außenpolitisch sehr unter Druck stand, nahm ein Plan Gestalt an, der das Angesicht Londons bis auf den heutigen Tag prägt. Unter der Ägide des Prince of Wales, des späteren Königs Georg IV., entwickelte sich die Idee, einen Teil der Stadt neu zu gestalten. Ein wichtiger Teil dieses Plans bestand in der Anlage eines neuen, heute innerstädtischen Parks, der den Namen des Prinzregenten tragen sollte: Regent’s Park. Henry Crabb Robinson vermerkte über diesen neuen Park 1818 in seinem Tagebuch: »It will give a sort of glory to the Regent’s government, which will be more felt by remote posterity than the victories of Trafalgar and Waterloo.«19 Vor dem 19. Jahrhundert hieß das 472 Morgen große Areal – neben dem Hyde Park und den Kensington Gardens die größte freie Fläche im Innern Londons – Marylebone Park. Diesen hatte Heinrich VIII. erworben, und die Könige nutzten das Gelände bis zur Zeit des Commonwealth als königlichen Jagdgrund. In den folgenden Jahrhunderten wurde es allerdings in Parzellen aufgeteilt und verpachtet. Im April 1811 liefen die Erbpachtverträge aus und das Land fiel an die Krone zurück. Da König Georg III. im Februar desselben Jahres endgültig für geisteskrank erklärt wurde, begann das Regency tatsächlich: Der Prinzregent hatte freie Bahn, seine Ideen und Pläne zu verwirklichen. Das Interesse, dieses Krongut zu erschließen, profitabel zu nutzen, war groß: Nicht nur die Verschwendungssucht des Prinzregenten, sondern ebenso die extrem hohen Kriegsausgaben machten die Erschließung neuer Geldquellen unabdingbar. Die Idee hierzu war allerdings nicht neu: Bereits in den Berichten John Fordyces, eines schottischen Staatsbeamten, an das Schatzamt von 1793 und 1809 wurden die Grundzüge der Idee dargelegt, an denen man sich nun orientieren würde: »Ein umgestalteter Marylebone Park mit Häusern, 19 | Henry Crabb Robinson, zit. nach: Brace: London Parks, S. 37.
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Kanalisation, Beleuchtung, Dienstleistungen und Beförderungsmitteln; Straßen, Kanälen, Märkten, Wirtshäusern, Kirchen, Geschäften und Denkmälern, vielleicht sogar mit einer Walhalla; auf alle Fälle ein urbaner Bezirk im Norden Londons, mit Mayfair, Charing Cross, Whitehall, Westminster, den Zentren der Macht und der Mode, durch ein kühnes Netz neuer Verkehrsadern verbunden.«20 Fordyce erkannte, dass die Krone hier auf einer Goldmine saß, denn andere große Familien des Landes wie die Bedfords, Grosvenors und Portlands hatten bereits riesige Vermögen durch die Entwicklung ihrer Londoner Immobilien gemacht. Konkrete Pläne gab es allerdings noch nicht, auch wenn die Vermessung des Areals bereits erfolgt war. Die Zuständigkeit für Kronland und im speziellen für die königlichen Parks war kompliziert. Es gab zu Beginn des 19. Jahrhunderts drei Dienststellen, die sich mit den Krongütern, ihrer Verwaltung und Nutzung befassten: das Bauamt (Office of Works), die Staatsdomänenverwaltung (Land Revenue Office) und das Amt für Wälder und Forsten (Office of Woods and Forests). Im Jahre 1810 wurden zwar die beiden Letzteren zusammengelegt, doch 1815 übertrug die Regierung die Bauarbeiten in den königlichen Parks dem Office of Works. Erst 1832 kam es schließlich zur Zusammenfassung aller drei Ämter.21 Kompetenzgerangel und vor allem Auseinandersetzungen mit dem vom Prinzregenten engagierten Architekten John Nash waren vorprogrammiert. Obwohl nur Sohn eines Mühlenbauers stand der Schüler Robert Taylors und Architekt im Office of Woods and Forests in einem ausgesprochen engen persönlichen Verhältnis zum Prinzregenten. Bereits im März 1811 legte Nash diesem ein Konzept vor, das sich nicht nur auf den neuen Park bezog, sondern eine grundlegende Stadtveränderung und -erweiterung vorsah. Dieser Plan veranlasste den Regenten zu glauben, er würde »quite eclipse Napoleon«.22 Hier wird bereits deutlich, dass der Regent, der an die Rue de Rivoli dachte, und 20 | J. Mordaunt Crook: »Die Erneuerung der Hauptstadt – John Nash
und das ›Malerische‹«, in: Fox: Metropole London, S. 79. Vgl. auch Williams: Royal Parks, S. 202; Thurston: Royal Parks, S. 53. 21 | Vgl. Ralph B. Pugh: The Crown Estate, London 1960. 22 | Thomas Moore an James Corry, 24. Oktober 1811, in: Lord John Rus-
sell (Hg.): Memoirs of Thomas Moore, London 1856, Bd. 8, S. 97.
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sein Architekt, der dann 1814 und 1815 zweimal in die französische Hauptstadt reiste, in Pariser Kategorien dachten. Endlich ergab sich für den Prinzregenten die Chance, sich von der Gängelung durch das Budgetrecht des Parlaments zu befreien und es in städtebaulicher Hinsicht den autokratischen Herrschern auf dem Kontinent gleichzutun. Wie sah der Plan aus? John Summerson, der berühmte Stadthistoriker des Georgian London, beschreibt ihn wie folgt: »Once, and only once, has a great plan for London, affecting the development of the capital as a whole, been projected and carried to completion. This was the plan which constituted the ›metropolitan improvement‹ of the Regency, the plan which embraced the Regent’s Park layout in the north, St. James’s Park in the south, the Regent Street artery connecting the two, the formation of Trafalgar Square and the construction of the West End of the Strand, and the Suffolk Street area; as well as the cutting of the Regent’s Canal, with its branch and basin to serve Regent’s Park. The whole of this immense plan […] was carried out under the presiding genius of John Nash.«23
Bereits seit den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte sich im Zuge der romantischen Bewegung die Einstellung gegenüber dem Land und dem Ländlichen verändert. Es galt nicht mehr als bäuerlich, rückständig und feindselig, sondern wurde von kultivierten Zeitgenossen nun als Ort des Natürlichen und Tugendhaften betrachtet. John Nash übernahm jene bereits erprobten Bautypen des georgianischen London, also Terraces und Crescents, setzte sie allerdings in einen ländlichen Rahmen, wodurch die Illusion entstand, der Betrachter befände sich in einem Landschaftspark. Wichtiger war vielleicht noch, dass neben den bekannten Terraces und Crescents auch Park Village East und West mit rustifizierten Cottages und individuellen Gärten entstanden, die im kleinen tatsächlich einen aristokratischen Gartenvorort in einem urbanen Kontext bildeten. Hier entwickelte sich nämlich nicht nur eine Welt für die Aristokratie und die sehr Reichen, sondern auch ein Vorbild für die Mittelklasse, das im Verlaufe des
23 | John Summerson: Georgian London, London 1962, S. 177.
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Abbildung 1: John Nashs »metropolitane Verbesserungen« in einem Stadtplanauszug von John Summerson
Quelle: John Summerson: Georgian London, London 1962, zit. nach: Mordaunt Crook: »Erneuerung«, S. 80.
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19. Jahrhunderts in vielen Vororten kopiert werden sollte.24 John Nash entwarf die Anlage des Regent’s Park nach den Vorgaben des Prinzregenten. Wohl seit Karl I. hatte es in England keinen Monarchen mehr gegeben, bei dem sich Geschmack und Kennerschaft der Architektur und Gartenkunst auf diese Weise verbanden. Wie seine Paläste so brauchte der Prinzregent auch seine Parks und Gärten als Bühnen seiner Selbstinszenierungen.25 Und so plante er, eine der nahezu fünfzig ländlichen Villen, die im Park entstehen sollten, selbst zu bewohnen. Der von 1783 bis 1827 ständige Wohnsitz des Prinzregenten in London, Carlton House am St. James’s Park, sollte durch eine repräsentative Straße, eine »königliche Meile«, die Regent’s Street, mit dem neuen Landsitz verbunden werden. Die geplanten Villen sollten den Hauptprofit bringen, da sie durch ihre einmalige Lage und die Königsnähe als »allurements or motives for the wealthy part of the Public to establish themselves there« wären.26 »Damming up Soho«, also den Regent’s Park, den Portland Place und die Regent’s Street als eine soziale Barriere zwischen elegantem West End und den deklassierten Wohnvierteln im Osten zu nutzen, spielte ebenfalls eine Rolle.27 Doch der erste Plan des Regent’s Park stieß auf Kritik. Dem Schatzamt war die Bebauung mit Villen viel zu dicht, deren Anzahl musste nun reduziert werden. Um zu erwartenden Beschwerden politischer Gegner im Parlament den Wind aus den Segeln zu nehmen, galt die Parole: »Anmut sei ebenso wichtig wie Profit«.28 Da aber zudem geplant war, den Park dem Volk zu großen Teilen nicht zugänglich zu machen, protestierten die Liberalen gegen den Ausschluss der 24 | Vgl. F.M.L. Thompson: »The Rise of Suburbia«, in: R.J. Morris/Ri-
chard Rodger (Hg.): The Victorian City. A Reader in British Urban History, 1820-1914, London 1993, S. 169. 25 | Vgl. Roy Strong: Royal Gardens, New York 1992, S. 79f. 26 | Zit. nach: Thurston: Royal Parks, S. 54. 27 | John Summerson: Georgian London, London 1962, zit. nach: Roy
Porter: London. A Social History, London 1994, S. 127. Vgl. auch ebd., S. 217, und Francis Sheppard: London. A History, Oxford 1998, S. 212; ders.: London 1808-1870: The Infernal Wen, Berkeley 1971, S. 113ff. 28 | Mordaunt Crook: »Erneuerung«, S. 81.
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armen Bevölkerung aus dem Park zum Vorteil der Wohlhabenden. Ihr Anführer Lord Brougham sagte im Parlament: »Das Volk in seiner Gesamtheit [würde] nur über ein Zehntel des Bodens [verfügen können], auf dem es sich zu erholen pflegte.«29 Der Anteil des Parkgeländes, das allgemein zugänglich sein sollte, wurde erhöht, und Nash musste einen zweiten Plan vorlegen. Die Anzahl der Villen war deutlich reduziert, dem Malerischen also in einem urbanen Sinn der Vorzug gegeben worden. Nash selbst meinte: »Das Hauptziel ist das Ganze von außen als eine geschlossene Parkanlage mit einheitlichem Charakter erscheinen zu lassen und nicht als eine Ansammlung von Villen und Sträuchern […], selbst die Villen [sollen] als Stadtwohnungen und nicht als Landhäuser angesehen werden.«30 Zudem wurde der geplante Regent’s Canal erweitert und in die Nordwestspitze des Parks verlegt, denn Nash war sich sicher, dass »Boote und Flussschiffe, die auf dem Kanal entlang treiben, als Belebung der Szenerie« angesehen würden, solange allerdings ein Verbot bestand, »in den Parkanlagen an Land zugehen«.31 Zuviel Realität wollte der Architekt bei aller Beachtung des Malerischen nicht zulassen. Er betonte, dass die »Lebensqualität der Hauptstadt gesteigert« würde, wobei ihm aber klar war, dass »offenen Räumen unter freiem Himmel und einer natürlichen Landschaft« vor allem »der wohlhabende Teil der Öffentlichkeit« nicht widerstehen könnte. Durch den Verzicht auf einige der Villen samt Infrastruktur ergab sich »eine größere Vielfalt schöner Landschaft«, wodurch sich der Wert und der Pachtzins der Grundstücke umso stärker erhöhte.32 Interessanterweise wurde davon ausgegangen, dass die ärmeren Schichten vom Betreten des Parks abgehalten würden, »if no gates of any kind were provided on those sides«.33 Um den Park herum, außer im Norden, ließ Nash seit 1820 sehr 29 | Parliamentary Papers 1812, Bd. XIII, S. 72, zit. nach: Mordaunt
Crook: »Erneuerung«, S. 81, Anmerkung 38. 30 | PRO, CRES 2/742, zit. nach: Mordaunt Crook: »Erneuerung«, S. 81. 31 | Parliamentary Papers 1812, Bd. XII, S. 435: 1. Bericht, zit. nach: Mor-
daunt Crook: »Erneuerung«, S. 81. 32 | Ebd., S. 463, 433, und S. 463: 1. Bericht, zit. nach: Mordaunt Crook:
»Erneuerung«, S. 81. 33 | Williams: Royal Parks, S. 206.
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repräsentative Terraces angelegen, die bis heute durch ihre grandiosen Fassaden verblüffen, aber in ihrem Inneren bei weitem weniger prätentiös waren. Von außen betrachtet, erliegt man hier nur allzu leicht der Illusion, jede Häuserreihe sei ein Palast, jede Villa ein Landsitz eines Edelmannes. Doch Nash baute recht schluderig, sodass die Gebäude schon mehrfach restauriert werden mussten. In und um den Regent’s Park arbeitete Nash also nicht nur als Architekt, sondern, wie manche meinten, eher als Kulissenmacher. Dessen ungeachtet erscheint der Park Crescent im Süden gleichsam wie ein »Fanfarenstoß, die festliche Einstimmung auf die unübertreffliche Komposition von Regent’s Park«.34 Dem Plan, einem nahezu kreisrunden Terrain mit einer äußeren und inneren Ringbebauung, lag die Idee einer ästhetischen Symbiose zwischen Baukunst und kultivierter Natur zugrunde: Hinter dem Entwurf dieser Park- und Gartenstadt stand also die Vorstellung des rus in urbe. Der Regent’s Park ist von einem »Outer Circle« umgeben, der über 2,75 Meilen lang ist. Aus Süden und Osten führen Straßen zum »Inner Circle«, der fast 0,75 Meilen lang ist. Der Plan war bis 1827 ausgeführt, doch im Park selbst waren nur wenige der geplanten Villen gebaut worden. Da schon nach dem Ende des Krieges die Bodenpreise rapide sanken, ließ das Interesse rasch nach. Insgesamt baute man nur insgesamt acht Villen im Regent’s Park, von denen später einige wieder abgerissen wurden. Dazu zählt auch jene Villa, an deren Stelle sich Barbara Hutton im 20. Jahrhundert Winfield House errichten ließ, das bis heute die Privatresidenz des amerikanischen Botschafters ist. Auf dem Gelände des Inner Circle entstand in viktorianischer Zeit (1840-59) nach den Plänen von Decimus Burton ein volkstümlicher botanischer Garten, der fast hundert Jahre (1840-1932) von der Royal Botanic Society of London gepachtet war. Heute enthält der Inner Circle vielleicht einen der schönsten Gärten in London, mit seinem herrlichen Rosengarten, Queen Mary’s Rosegarden genannt, und anderen Gärten, samt einem Wasserlilienteich.35 34 | Nowel: London, S. 285. 35 | Vgl. hierzu und zum Folgenden F.R. Banks: The Penguin Guide to
London, Neudruck der 7. Aufl. London 1979, S. 191f.; Thurston: Royal Parks, S. 49ff.
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Festzuhalten bleibt: Es lag nicht in John Nashs Absicht, einen öffentlichen Park zu kreieren. Ganz im Gegenteil, der Regent’s Park sollte ein »garden suburb for the very rich«36 sein, die sich hier einbilden konnten, sie hätten den Park ganz für sich allein. Die Regierung übte Druck aus und die Entwicklung des Marktes tat dann das ihre, die Planungen Nashs zu durchkreuzen. Zunächst aber besaß der Regent’s Park viele Ähnlichkeiten mit einer Vorstadt: »wirtschaftliche Unabhängigkeit, gute Verbindungswege und die Illusion der Ländlichkeit. Erst allmählich nahm er die Charakteristika eines volkstümlichen Erholungsgebietes an«.37 Die Meinungen der britischen Zeitgenossen über die Leistungen Nashs gingen auseinander. C.R. Cockerell meinte 1825: »The architecture of Regent’s Park may be compared to the poetry of an improvissatore […]. But if as many were versed in the Grecian rules of this science as there are in those of Homer and Vergil this trumpery would be less popular.« Genau besehen erweise sich das Werk jedoch schnell als »Plunder«.38 Ein weiterer Kritiker, Leigh Hunt, betonte, dass Nash ein besserer Gartendesigner als Architekt sei und dass die Öffentlichkeit dankbar zu sein habe für den Regent’s Park: »For it is at all events a park, and has trees and grass, and is a breathing-space between town and country […] and […] has checked […] the monstrous brick cancer that was extending its arms in every direction.«39 Es gab auch restlos begeisterte Stimmen. So schrieb Charles Ollier 1823 über den Blick vom See aus: »Wenn man [auf den See] hinausrudert, ist die Vielzahl der Ausblicke […] wunderbar; manchmal befindet man sich auf einem schmalen Fluss mit tief herabhängenden Zweigen; dann kommt man auf eine weite Wasserfläche, die einem See gleicht, mit Schwänen, die sich darauf sonnen; langsam gleitet Dein Boot am Rande eines weichen Rasens an einer der Villen vorbei; und dann wieder öffnet sich Dir der Ausblick auf eine Reihe prächtiger Bauwerke an der 36 | Olsen: City, S. 19. 37 | Mordaunt Crook: »Erneuerung«, S. 83. 38 | Tagebücher von C.R. Cockerell, zit. nach: David Watkin: The Life and
Work of C.R. Cockerell, London 1974, S. 69. 39 | Zit. nach: Williams: Royal Parks, S. 212.
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Peripherie, deren Aufriss so beschaffen ist, dass sich der Eindruck eines Palastes ergibt […]. [In der Tat] gibt es nichts dergleichen in Europa […]. In der Mitte des Parks gibt es eine ringförmige Bepflanzung von ungeheurem Umfang, und in ihrer Mitte befindest Du Dich in einem vollkommenen Arkadien.«40
Die generelle Wirkung der städtebaulichen Veränderungen wurde auch von ausländischen Besuchern sofort registriert: Hermann Fürst Pückler-Muskau, der ein häufiger Besucher der Stadt an der Themse war, erlebte die Metropole durch die neue Regent’s Street, den Portland Place und den Regent’s Park bereichert und verbessert: »Sie sieht nun erst in diesem Teile einer Residenzstadt ähnlich, nicht mehr wie sonst einer bloßen unermesslichen Hauptstadt für shopkeepers, nach weiland Napoleons Ausdruck.«41 Dieser Meinung schlossen sich im Verlauf der kommenden Jahre viele ausländische Besucher Londons an. Als der ehemalige französische Staatsmann, Charles Maurice de Talleyrand, der 1794 das letzte Mal London besucht hatte, 1830 zurückkehrte, hielt er die Stadt für »viel schöner«, während ein General aus Italien im Jahre 1834 gar behauptete: »London ist eine durchaus schöne und prächtige Stadt geworden; mit einem Wort, es ist die führende Kapitale der Welt.«42 Dabei muss allerdings betont werden, dass der Regent’s Park ohne die Regent’s Street ein recht schlecht zu erreichendes Arkadien gewesen wäre. Die Grundidee dieser Straße bestand gerade darin, dem Prinzregenten eine Prachtmeile zu bauen, auf der er, z.B. in Begleitung ausländischer Monarchen, von seiner Londoner Hauptresidenz Carlton House zu seinem Sommerpavillon im Regent’s Park fahren konnte. Ersteres wurde allerdings bald abgerissen und Letzterer nie gebaut. Als 1820 Georg III. starb und der Prinzregent König wurde, erschien ihm Carlton House zu klein. Zahlreiche Architekten, die Morgenluft witterten, machten dem König Vorschläge für einen neuen Palast. John Soanes z.B. wollte den König für neo-klassizistische 40 | Charles Ollier: Literary Pocket Book, London 1823, zit. nach: Mor-
daunt Crook: »Erneuerung«, S. 86f. 41 | Hermann Fürst von Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen,
vollständige Ausgabe, hg. von Heinz Ohff, Berlin 1966, S. 432. 42 | Zit. nach: Ackroyd: London, S. 527.
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Paläste im Hyde oder Green Park gewinnen. Schließlich entschied sich Georg IV. dafür, Buckingham House umzubauen, womit er wiederum Nash beauftragte.
2.2 Die Ausweitung des Freizeitangebots Über das reine Naturerlebnis hinaus, dass ja erst im Laufe der kommenden zwanzig Jahre allmählich allen Londonern zugänglich wurde, entstanden bald bereits weitere Attraktionen in und um den Regent’s Park. Die Etablierung eines so genannten »Dioramas« auf dem Park Square East, dessen Gebäude von A.C. Pugin und James Morgan entworfen worden war, steigerte schon Mitte der zwanziger Jahre den Unterhaltungswert des neuen städtischen Erholungsgebiets. Während sich der dunkle Vorführraum mit den Zuschauern drehte, wurden ihnen wie bei einem Kaleidoskop opake oder transparente Bilder gezeigt. Es ging dabei um »a display of architectural and landscape scenery, arranged […] so as to exhibit changes of light and shade and a variety of natural phenomena in a really wonderful manner […]. The delusion is perfect and almost incredible.«43 1828 kam zu dieser Attraktion im Norden des Regent’s Park der Zoologische Garten hinzu. Natürlich gab es in London schon seit vielen Jahrhunderten Menagerien, doch erst 1826 übergab die Krongüterverwaltung der Zoological Society fünf Morgen Land im nördlichen Regent’s Park. Die Idee, in London einen permanenten Zoo zu etablieren, stammte von Sir Stamford Raffles, einem weitgereisten und auf dem Gebiet der Naturgeschichte hochgebildeten Autodidakten. Der enthusiastische Anhänger des Empire startete gemeinsam mit anderen bedeutenden Vertretern der Naturwissenschaften die Zoological Society als eine private Initiative, die bis auf den heutigen Tag für den Londoner Zoo verantwortlich ist. Primär zu naturwissenschaftlichen Forschungszwecken plante die Society einen permanenten Zoologischen Garten einzurichten, der anfänglich nur aus einer
43 | James Elmes/Thomas Hosmer Shepard: Metropolitan Improve-
ments; or London in the Nineteenth Century, London 1827, Nachdruck New York 1978, Bd. 1, S. 23.
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kleinen Sammlung von Tieren bestand. Wie später auch für den botanischen Garten so zeichnete Decimus Burton für diese Anlage verantwortlich. Geplant war diese auf beiden Seiten des Outer Circle, die dann durch einen unterirdischen Tunnel verbunden werden sollte. Für die Nordseite der Straße waren die größeren Gebäude vorgesehen, da das Areal innerhalb des Parks »einem hochdekorativen Garten mit Vogelhäusern, Hütten, Sitzbänken und Gehegen vorbehalten«44 bleiben sollte. In den folgenden zwei Jahren wurden bereits die ersten Gehege mit verschiedenen Höhlen und Gruben ausgestattet. Die Arbeiten dauerten insgesamt aber von 1826 bis 1841. Die erste größere Ergänzung des Tierbestandes erfolgte, als die Menagerie im Tower aufgelöst und in den Regent’s Park transferiert wurde. Danach trafen aus den britischen Kolonien immer mehr und immer exotischere Tiere ein. Ihre Ankunft wurde jedes Mal mit großem Interesse verfolgt, mitunter ebenso ihre Abreise. Als 1882 der alternde Elefant Jumbo nach Amerika verkauft wurde, erregte dies besondere Aufmerksamkeit. Sentimentale Zeitungsschreiber beklagten die Trennung Jumbos von seiner »Gattin« Alice; populäre Songs widmeten sich diesem Thema.45 Nicht von ungefähr entwickelte sich also der Eigenname Jumbo in der englischen Sprache zu einem Synonym für Elefant. Noch vor dem Abschluss der Bauarbeiten wurde der Zoologische Garten für die Bevölkerung geöffnet. Das Jahr 1834 brachte bereits mehr als 200.000 Besucher und Einnahmen in Höhe von 18.458 Pfund. Ein deutscher Besucher, Friedrich von Raumer, meinte ein Jahr später: »Bei solchen Einnahmen war es möglich, die Ausschmückung des Gartens und den Reichtum der Tiersammlung immer mehr zu erhöhen, und z.B. für ein Rhinozeros 1.050 Pfund zu bezahlen.«46 Schon bald entwickelte sich die Anlage zu einem beliebten Ausflugsziel für die Londoner Bürger, die sich hier an den exotischen Lebewesen delektierten. Die wissenschaftlichen Intentionen des Zoologischen Gartens traten immer mehr hinter die Bedürfnisse eines
44 | Werbeschrift der Zoologischen Gesellschaft, 15. Juni 1827, zit. nach:
Mordaunt Crook: »Erneuerung«, S. 82, Anmerkung 53. 45 | Vgl. Williams: Royal Parks, S. 214. 46 | Friedrich von Raumer: England, Leipzig 1842, S. 515.
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Publikums zurück, das sich vergnügen wollte. Dabei stellte sich heraus, dass die Gitterstäbe der Käfige nicht nur die Besucher vor den z.T. gefährlichen Tieren schützten, sondern dass diese gleichermaßen vor den Besuchern geschützt werden mussten. Es bereitete diesen offensichtlich Spaß, die eingesperrten Kreaturen zu ärgern, ja zu quälen. Kurz nach der Eröffnung des Zoos mussten daher klare Besuchsregeln erlassen werden: Pferdepeitschen durften nicht mehr mitgebracht werden, und den Damen war es verboten, die Tiere mit ihren Schirmen zu traktieren.47 Während des gesamten 19. Jahrhunderts büßte der Zoologische Garten in London wenig von seiner Attraktivität ein. So schrieb Blanchard Jerrod noch im Jahre 1872: »Der Zoo ist der gegebene Platz für ein ruhiges Gespräch unter freiem Himmel, mit den Tieren als Gesprächsthema wird hier ganz London im Laufe der Saison Revue passieren.«48 Manche Besucher entwickelten geradezu ein persönliches Verhältnis zu speziellen Tieren und kamen regelmäßig, um sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Auf der anderen Seite erzeugten die gefährlichen Tiere auch einen gewissen wohligen Schauder, wenn sie aus sicherer Entfernung und durch einen Käfig geschützt betrachtet werden konnten. Nicht von ungefähr schilderten die beiden großen viktorianischen Romanciers und Chronisten des Londoner Lebens im 19. Jahrhundert, Charles Dickens und William Makepeace Thackeray, die gleiche Szene im Zoologischen Garten: die Schlangenfütterung. Für Peter Ackroyd »erhält der Zoo eine symbolische Bedeutung im Leben dieser gewalttätigen und gefährlichen Stadt; hier, im grünen Ambiente des Tierparks, ist die Gewalt gezähmt und die Gefahr gebannt«.49 Andererseits entwickelte sich bereits im 19. Jahrhundert das Klischee, die ganze Stadt mit einem Zoo, ja einer Irrenanstalt zu vergleichen. So hat zum Beispiel der berühmte französische Zeichner Gustave Doré die Besucher des Affen- und Papageiengeheges im Londoner Zoo als Ebenbilder der Tiere dargestellt. »Der verrückte Londoner ist mit anderen Worten ein Tier; diese Definition berührt sich mit jener anderen, welche die Volksmasse oder den Pöbel als ›wildes Tier‹ 47 | Vgl. Brace: London Parks, S. 42. 48 | Blanchard Jerrod, zit. nach: Ackroyd: London, S. 429. 49 | Ebd.
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beschreibt. So wird die Stadt selbst zu einem riesigen Zoo, in dem man sämtliche Käfige aufgesperrt hat.«50 Im Laufe der Jahre wurde der Londoner Zoo nicht nur auf 37 Morgen vergrößert. Die Verantwortlichen setzten es sich darüber hinaus zum Ziel, die Barrieren und Käfige auf ein Minimum zu reduzieren. Infolge einer Spende von J. Newton Mappin konnte dies im Jahre 1912 in großem Stil umgesetzt werden. Die »Mappin Terraces« entstanden, Freiluftgehege, die den Tieren größtmögliche Freiheit gewährleisteten. Zoologische Gärten in der ganzen Welt profitierten von den Erfahrungen in London. Ebenfalls wegweisend wurde der Londoner Zoo durch die Anlage verschiedenster Tierhäuser für Vögel, Reptilien und vor allem durch sein Aquarium, über Jahrzehnte ein Publikumsmagnet.51 Der Prozess, den gesamten Regent’s Park der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, vollzog sich in Schritten. Im Jahre 1833 durften die Straßen benutzt werden, 1835 wurde der östliche Teil des Parks geöffnet, und 1841 waren schließlich 92 Prozent der Gesamtanlage zugänglich.52 Diese trat also rund zwanzig Jahre nach Fertigstellung ihren Dienst als ein öffentlicher Park an. Im Jahre 1841 setzte sich die Times mit der Öffnung der königlichen Parks für die breite Masse auseinander. Die Erörterung zeigt, dass solche Maßnahmen immer wieder mit Vorbedingungen verknüpft wurden, die Diskriminierungen gleichkamen. So gab die Times zwar zu, es werde ein ermutigender Schritt unternommen, um »the redemption of the working class through recreation« zu fördern. Dennoch fragte sich die konservative Zeitung, ob für die Unterschichten nicht eine Beschränkung angebracht wäre, nach der die Freiheit, einen Spaziergang zu machen, auf »more plebeian portions of the park« beschränkt bleiben sollte, 50 | Ebd., S. 430. 51 | Vgl. Williams: Royal Parks, S. 218; Jacques Boussard: London, Lon-
don 1951, S. 179ff. Zur Begeisterung der Viktorianer für Aquarien und Meeresflora und -fauna vgl. Angela Schwarz: »Seaside Studies«: eine populäre Freizeitbeschäftigung von Reisenden ans Meer im England des 19. Jahrhunderts, in: Karlheinz Wöhler (Hg.): Erlebniswelten. Herstellung und Nutzung touristischer Welten, Münster 2005, S. 71-85. 52 | Vgl. Thurston: Royal Parks, S. 57f.
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vorausgesetzt, »they have a decent coat on«.53 Die Liste solcher Voraussetzungen war lang. Bischof Blomfield forderte z.B. 1846 vor dem Parlament, dass man nur sauber einen Park betreten dürfe. »It must be obvious that before the needful recreation of the people can be attained, before museums and public places could be made available, habits and cleanliness must be diffused throughout the whole community.«54 Solche Anforderungen waren nicht dazu angetan, dass die Unterschichten die neuen Möglichkeiten, die eine Parköffnung bot, sogleich mit Dankbarkeit und Begeisterung nutzten. Große Veränderungen erlebte der Regent’s Park dann im 19. Jahrhunderts nicht mehr. Der Weg vom Regent’s Park nach Norden war zudem um die Jahrhundertmitte noch sehr ländlich: »North of Regent’s Park the way to Golders Holl was almost all through open fields, with a few scattered farms and large houses, such as Belsize House in its great Park. West across the fields ran the new Birmingham Railway from Euston […]. The tentacles of Camden Town were stretching out along the railway into the fields, which were rutted with cart-wheel tracks and defaced with heaps of bricks and streaks of lime.«55 Der deutsche Prinzgemahl Albert regte schließlich die Kräuterbeete am Broad Walk an, der die Linie Regent’s Street und Portland Place verlängert. Im Sommer quollen die Beete über von Blumen. Die Wassertiefe des Sees im Regent’s Park musste Ende der sechziger Jahre auf vier Fuß reduziert werden, nachdem vierzig Schlittschuhläufer 1867 auf dünnem Eis eingebrochen und ertrunken waren. Die Katastrophe machte europaweit Schlagzeilen, und die Halbschwester der Queen, Prinzessin Feodora von Hohenlohe-Langenburg, wunderte sich in einem Brief über die in den Royal Parks erlaubten Aktivitäten. »People are so independent in England, such things hardly ever hap-
53 | Times vom 22. April 1841, zit. nach: Peter Bailey: Leisure and Class
in Victorian England. Rational Recreation and the Contest of Control, 18301885, London 1978, S. 51. 54 | Hansard, LXXVII, 8. Juni 1847, zit. nach: Bailey: Leisure, S. 51. 55 | Alethea Hayter: A Sultry Month. Scenes of Literary London Life in
1846, zit. nach: Paul Bailey (Hg.): The Oxford Book of London, Oxford 1995, S. 156.
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pen in Germany!«56 Schlittschuhlaufen war von nun an im Regent’s Park jedenfalls strikt verboten. Hatte der See des Parks prinzipiell ›nur‹ Erholungswert, so lag die Bedeutung des Regent’s Canal neben seinem malerischen Wert auch in seiner Funktion als Transportweg und Wasserlieferant. Trotz der Reduktion des Wasserverkehrs im Zeitalter der Eisenbahn spielten innerstädtische Kanäle immer noch eine wichtige Rolle als Transportwege, da sie Orte in der Metropole erreichten, die eben nicht von der Eisenbahn erschlossen waren. Durch den Regent’s Canal wurde der Grand Junction Canal in Paddington mit der Themse bei Limehouse, also den Docks, verbunden. Dieser Kanal erzielte allerdings seine größten Einnahmen durch den Verkauf von Wasser. Die Regent’s Canal Company verkaufte im 19. Jahrhundert zeitweise bis zu 5 Millionen Gallonen Wasser am Tag.57 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt der Regent’s Park im Norden schließlich noch eine Ergänzung: Primrose Hill. Dieses Gelände war damals noch als Greenbury Hill bekannt und im 17. Jahrhundert ein beliebter Ort für Duelle gewesen. Im Jahre 1843 wurde dieser Annex des Regent’s Park von der Krone gekauft und mit Wegen und Straßenlampen ausgestattet. Von heute aus betrachtet spielt das städtebauliche Gesamtkonzept von Regent’s Park und Regent’s Street für London eine bedeutende Rolle, selbst wenn der großartige Entwurf um 1827 allmählich zum Stillstand gekommen war. Nicht nur die wirtschaftliche Depression, sondern moralische Zweifel hinsichtlich der Zurschaustellung von Reichtum, eine ästhetische Revolution und nicht zuletzt die immer dringender werdenden gesundheitlichen und sozialen Probleme beendeten das Unternehmen. Obwohl England unter Königin Viktoria noch reicher und mächtiger wurde, blieben die weiteren »metropolitan improvements« Stückwerk. Trotz des Begriffs Stückwerk darf allerdings der Wert dieser Verbesserungen nicht unterschätzt werden, seien es nun neue Straßen, um Verkehrsprobleme zu beheben, sei es
56 | RA Y44/75, zit. nach: Williams: Royal Parks, S. 217. 57 | Vgl. J.R. Kellett: »The Railway as an Agent of Internal Change in
Victorian Cities«, in: Morris/Rodger: Victorian City, S. 205.
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das Abwassersystem oder die Sanierung von Wohngebieten, um die Gesundheit zu schützen und zu fördern.58 Einen Gesamtplan aber, wie er im Paris Napoleons III. durch Baron Haussmann oder im Wien Kaiser Franz Josefs zur Ausführung kam, sollte es für London nicht mehr geben. Erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zeigten sich bei der Umgestaltung der Mall noch einmal begrenzte Ansätze, der Repräsentation einer der reichsten Nationen der Welt in ihrer Kapitale architektonisch Ausdruck zu verleihen.
3. Glanz und Elend im Herzen der Stadt: St. James’s Park und Green Park als Kulisse imperialer Machtentfaltung und Wartesaal der Gescheiterten Der Regent’s Park reihte sich als jüngste Anlage in einen Kranz von innerstädtischen Parks ein, die auf eine lange Geschichte zurückblicken konnten. Bis heute ermöglicht es die Vielzahl dieser alten Parks Bewohnern und Besuchern Londons, über viele Kilometer durch diese Siebenmillionenstadt zu gehen, ohne dabei die Parks verlassen zu müssen. Von zwei Verkehrsübergängen abgesehen, ist es z.B. möglich, eine große Strecke nur unter Bäumen bzw. auf Parkwegen zu wandern: vom St. James’s Park in Westminster durch Green Park und Hyde Park bis hin zum Palast von Kensington. Jeder dieser Parks hat seine speziellen Charakteristika, denn die Natur ist hier auf vielfältige Weise gestaltet: »St. James’s ist klein, kompakt und mit seiner Fülle von leuchtenden Blumenrabatten, pittoresken Ausblicken, dem Gewimmel von Enten, Schwänen und Vögeln eine vollendete Miniaturausgabe der berühmten englischen Landschaftsgärten – ein üppig gefülltes, kunstvolles Medaillon. Green Park dagegen ist schlicht, auf das Wesentliche reduziert: Gras und Bäume unter einem Stück Himmel, der im Abenddunkel das Lichtermeer der Großstadt widerspiegelt.«59 Der St. James’s Park mit einer Größe von 93 Morgen gilt man-
58 | Vgl. Olsen: City, S. 24, 29. 59 | Nowel: London, S. 366.
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chen als attraktivster Londoner Park. Im Jahre 1532, also zu Zeiten König Heinrichs VIII., ging nicht nur das Hospital of St. James the Less, sondern auch das dazu gehörende Areal aus kirchlicher Hand in den Besitz der Krone über. Der König baute den St. James’s Palace und nutzte den St. James’s Park, der aber zuerst trockengelegt werden musste, als Gehege für Rot- und Damwild. Zudem fanden hier zahlreiche Vergnügungen des Hofes wie Turniere statt. Die ersten StuartKönige erwählten das Gelände sogar als bevorzugten Ort höfischen Vergnügens. Nach der Restauration legte der französische Gartenarchitekt André Le Nôtre im Auftrag Karls II. hier einen formalen Lustgarten an, der sich an den Gärten von Versailles orientierte. Ein schnurgerader Kanal gliederte den Park, und es gab die ersten Pelikane auf dem Gewässer, ein Geschenk des russischen Botschafters an Karl II. Über ein Jahrhundert blieb der St. James’s Park der bevorzugte Treffpunkt der tonangebenden Gesellschaft.60 Und noch im Jahre 1814 wurde hier das Fest The Triumph of England under the Regency mit großem Aufwand gefeiert. Es galt nicht nur dem Sieg über Napoleon, sondern auch dem 100. Jubiläum des Hauses Hannover auf dem britischen Thron. Dreizehn Jahre später erhielt Nash den Auftrag, das alte Buckingham House am westlichen Ende des Parks in einen Palast zu verwandeln, da König Georg IV. betonte, »early associations«61 würden ihm diesen Ort besonders lieb machen. Letztlich war das Problem wohl eher, dass das Parlament niemals die Gelder für einen Palastneubau zur Verfügung gestellt hätte. Es blieb dem König nichts anderes übrig, als sich mit den 200.000 Pfund für einen Umbau zu begnügen. Nash gestaltete den Palast um, der aber niemandem außer dem Hausherrn selbst zu gefallen schien, und legte für Georg IV. noch einen neuen Garten, die Buckingham Palace Gardens, an. Auch St. James’s Park und The Mall sollten nun umgewandelt werden, um dem Buckingham Palast einen passenden Rahmen zu geben. Die Mall, bisher nur eine enge, schattige Avenue, wurde zu einer breiteren Straße für Kutschen ausgebaut. Nash war zudem beauftragt, den St. James’s Park im
60 | Vgl. Banks: London, S. 121f. 61 | Georg IV., zit. nach: Hibbert: London, S. 133.
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Rahmen der Baumaßnahmen zu verbessern. Der Architekt versuchte, die französische Formalität des Gartens, die noch aus der Zeit der Restauration stammte, aufzuheben. Wohl einen alten Entwurf Lancelot »Capability« Browns vor Augen, kam der englische Landschaftsgarten hier noch einmal zur vollen Blüte: Neue Bäume bzw. Baumgruppen wurden gepflanzt, verschlungene Wege angelegt, und den Kanal verwandelte Nash 1827 in einen See mit Inseln und geschwungener Uferlinie. Am östlichen Ende des Sees gibt es eine Insel, »Duck Island«, nach einigen ihrer Besitzer benannt, die als Brutstätte der Vögel reserviert ist. Die Pelikane, die man hier bis heute findet, sind bei den Londonern besonders beliebt. Der Weg von der Brücke läuft in Richtung Süden auf den Birdcage Walk und das Queen Anne’s Gate zu. Nachdem das alte Carlton House abgerissen worden war, entwarf Nash auch noch Carlton House Terrace (1827-33). Auch hier die Prinzipien des Pittoresken im Blick, meinte er, dass man durch die Säulen hindurch »einen höchst malerischen Ausblick auf den [St. James’s Park] haben«62 würde. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bezeichnete Johanna Schopenhauer, die Mutter des berühmten Philosophen, den St. James’s Park als die »Lieblingspromenade der Londoner«.63 Doch im Verlauf der kommenden Jahrzehnte gab »the smart set« den St. James’s Park auf und nutzte in erster Linie den Hyde Park.64 Die junge Königin Viktoria musste 1838 von Lord John Russell gedrängt werden, den St. James’s Park für alle Londoner, so z.B. auch für einfache Soldaten, zugänglich zu machen und die Durchfahrt einer größeren Anzahl von Kutschen zu erlauben.65 Die Königin sträubte sich oft gegen die Pläne zu eifriger Reformer, und Veränderungen brauchten eine lange Zeit. Die Monarchin hielt nämlich die Zügel gerne fest in der Hand, denn noch 1864 ließ sie verlauten: »She wishes no alteration to be made in 62 | Parliamentary Papers 1828, Bd. IV, S. 380f., zit. nach: Mordaunt
Crook: »Erneuerung«, S. 93. 63 | Johanna Schopenhauer: Reise durch England und Schottland, Frank-
furt am Main o.J., S. 230. 64 | Vgl. hierzu und zum Folgenden: Brace: London Parks, S. 20, ansons-
ten S. 18-22. 65 | Williams: Royal Parks, S. 38ff.
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the Royal Parks which has not been previously submitted for her approval.«66 Viel veränderte sich auch nicht, denn als der Franzose Hippolyte Taine im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den St. James’s Park besuchte und beschrieb, hob er das typisch Englische hervor. »Saint James’s Park ist ein wirkliches Stück Land und ein Stück englischen Landes: alte mächtige Bäume, wirkliche Wiesen, große, von Wasservögeln bevölkerte Seen.« Hier grasten tatsächlich noch Kühe und Schafe den Rasen ab, und Taine fühlte sich an die englische Literatur von Chaucer bis Shelley erinnert. Die Unterschiede zu den Parks der französischen Hauptstadt waren für Taine offensichtlich: »Welch ein Gegensatz zu den Tuilerien, den Champs Elysées und dem Luxembourg! Im allgemeinen ist der französische Garten der Ludwigs des Vierzehnten: ein Salon oder ein Wandelweg unter freiem Himmel, um darin spazieren zu gehen und in Gesellschaft zu plaudern. In den englischen Gärten, so wie sie ihn erfunden und verbreitet haben, weilt man dagegen besser allein, Augen und Seele gehen dort ein Gespräch mit den natürlichen Dingen ein. Wir haben nach diesem Vorbild einen Park im Bois de Boulogne angelegt […].«67
Obwohl die Oberschichten den Hyde Park bevorzugten, wusste ein Teil der Londoner Bevölkerung den St. James’s Park sehr wohl zu schätzen und zu nutzen. Als nämlich der amerikanische Romancier Henry James im Jahre 1905 seine Skizzen über London veröffentlichte, machte er zwar auch auf die Nähe des St. James’s Park zu Glanz und Macht des britischen Empire und seiner Monarchie aufmerksam. Der Schriftsteller registrierte jedoch vor allem den Reiz, den dieser Park auf die Armen aus dem Wohnviertel Westminster ausübte. »It is a park of intimacy, and perhaps the most democratic corner of London, in spite of its being in the royal and military quarter and close to all kinds of state-
66 | Sir Charles Phipps an den First Commissioner of Works am 31. Au-
gust 1864, RA Add. Q/741, zit. nach: Williams: Royal Parks, S. 40. 67 | Hippolyte Taine: Aufzeichnungen über England. Übers. von Ernst
Hardt, Jena 1906, S. 19f.
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liness. There are few hours of the day when a thousand smutty children are not sprawling over it, and the unemployed lie thick on the grass and cover the benches with a brotherhood of greasy corduroys. If the London parks are the drawing-rooms and clubs of the poor – that is, of those poor (I admit it cuts down the number) who live near enough to them to reach them – these particular grass-plots and alleys may be said to constitute the very salon of the slums.«68
Die Pracht- und Machtentfaltung, die Henry James feststellt und mit der Nutzung des St. James’s Park durch die Armen kontrastiert, fand ihren Höhepunkt und Abschluss allerdings erst, nachdem der Romancier diese Zeilen verfasst hatte. The Mall, die Straße, die den St. James’s Park vom Green Park trennt, wurde im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Pracht- und Paradestraße umgestaltet; zuvor war sie nicht mehr als »a dignified kind of country lane«69 gewesen. Ihr Ausbau, wohl die architektonisch eindrucksvollste Baumaßnahme der Regierungszeit König Eduards VII., begann kurz nach seinem Regierungsantritt 1901. Zuerst dachte man nur daran, der Königin Viktoria ein Denkmal zu setzen, entschied sich dann aber, die ganze Mall »charakteristisch und landschaftsgärtnerisch«70 umzugestalten: mit dem Victoria Memorial, einem imposanten Denkmal, vor dem Buckingham Palast auf der einen Seite und dem Admiralty Arch, einem Triumphbogen, auf der anderen Seite zum Trafalgar Square hin. Für die Gestaltung der Gesamtanlage zeichnete Sir Aston Webb verantwortlich: Die Mall wurde verbreitert und zu einem Boulevard ausgebaut, der auf beiden Seiten mit einer Doppelreihe Platanen versehen wurde. Der ornamentale Stil entsprach dem Zeitgeschmack, und die Arbeiten nahmen über ein Jahrzehnt in Anspruch. Erst 1911 wurde das Denkmal vor dem Buckingham Palace durch König Georg V., in Anwesenheit Kaiser Wilhelms II., Viktorias ältestem Enkel, ein-
68 | Henry James: English Hours, hg. von Alma Louise Low, London
1960, S. 15f. 69 | Williams: Royal Parks, S. 41. 70 | Alistair Cooke/Felix Barker: London in alten Photographien 1897-
1914, München 1995, S. 189.
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geweiht.71 Georg V. konnte erst 1911 zu seiner Krönung auf dem Weg in die Westminster Abbey durch den Admiralty Arch fahren, obwohl die Inschrift fälschlicherweise das Jahr 1910 als Datum der Fertigstellung angibt. Die letzte große Baumaßnahme in diesem Zusammenhang war schließlich die Schaffung einer neuen Fassade für den Buckingham Palast. Innerhalb von nur dreizehn Wochen, die königliche Familie befand sich im schottischen Balmoral, wurde im Sommer 1913 die Ostfassade neoklassizistisch erneuert. Der König trug Sorge dafür, dass der Balkon nicht zu klein geraten würde, »da er von Zeit zu Zeit benötigt wird, wenn der König und andere Mitglieder der königlichen Familie sich dem Volk zeigen möchten.«72 Hier entstand nun hundert Jahre nach John Nashs Verbesserungen die prächtige Prozessionsmeile, die sich schon der Prinzregent gewünscht hatte. Sie schuf den Rahmen für jenen pomp and circumstance, für den die britische Monarchie bis auf den heutigen Tag bekannt ist. Diese Londoner Prachtstraße ist die Bühne, auf der die britische Nation sich selbst feiert. St. James’s Park und Green Park, die beiden ältesten Londoner Parks, bilden hierfür einen Teil der Staffage. Der Green Park, dessen früherer Name Upper St. James’s Park die enge Beziehung zum südlich gelegenen St. James’s Park noch deutlich machte, wurde von Karl II. zum königlichen Park erklärt. Seine Form ist fast dreieckig, die Fläche beträgt 53 Morgen. Der Park besteht in erster Linie aus mit Bäumen bestandenem Grasland: Der Name Green Park ist folglich sehr treffend. Der »Queen’s Walk« auf der Ostseite des Parks wurde wahrscheinlich nach der Gemahlin Georgs II., Königin Karoline, benannt. An ihn grenzen noch heute zahlreiche ehemalige Paläste der Aristokratie, u.a. Spencer House, das Stadtpalais der Vorfahren Dianas. An der Südwestseite bildet Constitution Hill die Grenze zwischen Green Park und Buckingham Palast und führt westlich zur Hyde Park Corner. Im 17. und 18. Jahrhundert hatte der Green Park seinem Nachbarn St. James’s Park zeitweise den Rang als »fashionable resort for society«73 abgelaufen. Am frühen 71 | Vgl. Lothar Reinermann: Der Kaiser in England. Wilhelm II. und
sein Bild in der britischen Öffentlichkeit, Paderborn 2001, S. 390ff. 72 | Zit. nach: Cooke/Barker: London, S. 189. 73 | Banks: London, S. 122.
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Morgen fanden zudem Duelle statt, aber auch nationale Feste wurden hier gefeiert. Georg II. ließ z.B. nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg zur Feier des für England günstigen Friedensschlusses von Aachen im Herbst 1748 ein großes Fest veranstalten. Ein riesiges provisorisches Gebäude mit Pavillons, Tribünen, Galerien und einem Triumphbogen war errichtet worden, und am Abend des 27. April 1749 fand schließlich das große Fest mit einem spektakulären öffentlichen Feuerwerk statt, das italienische Pyrotechniker inszenierten. Georg Friedrich Händel, damals bereits naturalisierter Brite, hatte das Feuerwerk mit seiner Musik zu untermalen. Er komponierte seine berühmte »Music for the Royal Fireworks«, wobei der König auf einer militärischen Bläsermusik bestanden hatte, die zu einem bombastischen Aufwand an Blasinstrumenten führte. Als Händel das Orchester von der Königsloge aus dirigierte, »wurden 100 Kanonenschüsse zum Takt der Musik abgefeuert«.74 Um die Wende zum 19. Jahrhundert war der Green Park wie in geringerem Maße auch der St. James’s Park nicht viel mehr als ein Rasen eingefasst von Bäumen. Der deutsche Reisende Joachim Heinrich Campe, Erzieher der Humboldt-Brüder, betonte 1803, dass die Verwendung der Bezeichnung Park in England eine andere sei als in Deutschland, wo man damit einen Lustwald oder eine so genannte »Englische Anlage« meinte. Hinsichtlich des Green und des St. James’s Park stellte er fest: »Beide sind also bloße Rasenplätze, auf welchen des Königs Kühe und Pferde weiden; und beide heißen gleichwohl Parks. Das wahre deutsche Wort, welches diesem englischen antwortet, und auch gleichen Ursprungs mit ihm ist, lautet Pferch. Ein Pferch ist ein eingehegter Platz […].«75 Große Veränderungen erlebte der Green Park im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht. Unter König Wilhelm IV. beklagte die Zeitschrift The Original 1835 zwar den traurigen Zustand des Green Park und empfahl die teilweise Terrassierung des Geländes in einem hochornamentalen Stil.76 Doch als es unter Königin Viktoria zu einigen 74 | Nowel: London, S. 254. 75 | Joachim Heinrich Campe: Reise durch England und Frankreich,
Braunschweig 1803, S. 41. 76 | Williams: Royal Parks, S. 59.
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Verbesserungen kam, neue Wege angelegt, Aufforstungen durchgeführt wurden, blieben vereinzelte Bäume und der Rasen weiterhin die vorrangigen Kennzeichen dieses Parks. Auch der für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts charakteristischen »orgy of fountain-planting and statue-raising«77 entging dieser Park unbeschadeter als manch anderer Londoner Park. Der Broad Walk im Green Park wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts entworfen, um einen Blick aus dem Park heraus auf das Victoria Memorial werfen zu können. Die Parktore in Richtung Buckingham Palace sind die »Dominion Gates«, Geschenke der britischen Dominions an das Mutterland. Im Norden des Parks hingegen finden sich die Inigo Jones zugeschriebenen Devonshire Gates, die ehemals vor Chiswick House, dann vor Devonshire House in London standen, bevor dieses 1921 abgerissen wurde.78 Schriftsteller bekannten gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine gewisse Vorliebe gerade für diesen eher unspektakulären Londoner Park. Henry James meinte in seinen »English Hours« von 1905: »I have a weakness for the convenient, familiar, treeless, or almost treeless, expanse of the Green Park, and the friendly part it plays as a kind of encouragement to Piccadilly.«79 Mittlerweile hundert Jahre später haben sich die wenigen Bäume aus der Zeit von James zu stattlichen Riesen weiterentwickelt. Wenige Jahre vor James erweckte der Green Park bei manchem zudem den Eindruck, in einer sehr altmodischen Stadt zu weilen. So hielt der Schriftsteller Arnold Bennett in seinem Tagebuch fest: »This morning, as I walked through the Green Park in an October mist, it occurred to me that the sheep grazing there, and the soldiers practising flag-signals, would, if seen by me in an unfamiliar city, have constituted for me a memorable picture of pure quaintness. […] But it happens to be in London.«80 Diese geradezu pastorale Idylle deckt sich allerdings nicht mit anderen Wahrnehmungen des Parks. Der Schriftsteller Ford Madox Ford hatte einen kri-
77 | Ebd., S. 62. 78 | Vgl. Brace: London Parks, S. 22f. 79 | James: English Hours, S. 14. 80 | Arnold Bennett: Journals, Eintrag vom 6. Oktober 1897 (1932), zit.
nach: Bailey: Book of London, S. 229.
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tischen und den sozialen Problemen der Metropolis zugewandten Blick. Er sah 1905 im Green Park einen Ort, an dem sich die im Leben gescheiterten Bewohner Londons versammelten und ihre Zeit totschlugen. Nachdem Ford zuerst die wohlhabenden Männer an den Fenstern der vornehmen Clubs erwähnte, die dort dem Luxus und Nichtstun frönten, wandte er sich dem Park zu. Abbildung 2: Tramps im Green Park, 1900
Quelle: John Betjeman (Hg.): Victorian and Edwardian London from Old Photographs, London 1979, o.P., Abbildung 129.
»Linker Hand ist ein Stückchen Green Park, kaum zu sehen durch die dort liegenden unschönen Gestalten. Sie liegen da wie Tote oder wie Soldaten bei einem heimlichen Angriff, eine große Menge gebrochener Männer und Frauen, auch sie für alle Zeit Nichtstuer. Da liegen sie, die Füße neben dem Kopf des Nachbarn und gerade eine Armeslänge auseinander, sodass ihre Schlafgenossen ihnen nicht die Taschen leeren können. Reglos liegen sie da, fahl,
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bedauernswert und furchtbar, und geben sich einem Müßiggang hin, der nie enden wird.«81
Ford stellte nicht nur diese beiden Formen Londoner Müßiggangs zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegenüber, auf der einen Seite die Clubmitglieder, auf der anderen Seite die Arbeitslosen. Für ihn versinnbildlichten diese beiden Gruppen ganz London, denn er verglich die Stadt im Folgenden mit einem Baum, der oben neue, kräftige Zweige und frische Triebe trägt, während unten um ihn herum abgestorbene Äste und Blätter liegen. Fords Beobachtungen deckten sich mit jenen, die Henry James im gleichen Jahr für den benachbarten St. James’s Park machte. Während das Viertel, in dem Politik und Monarchie der Weltmacht ihren Sitz hatten, durch eine breite Pracht- und Paradestraße mit Denkmal und Triumphbogen zur prächtigen Repräsentationsbühne ausgestaltet wurde, trafen sich in den angrenzenden Parks die Besitzlosen und Gescheiterten. Sie kehrten der geschäftigen Metropole den Rücken, suchten Zuflucht in der Scheinidylle der Natur. Hier schlugen sie ihre Zeit tot und gaben sich vielleicht noch der Hoffnung auf bessere Zeiten hin, im Herzen der Kapitale, die nicht nur zwei Weltkriege, sondern auch Britanniens Abstieg zur Mittelmacht erleben würde.
4. Natur, Fortschritt und Erinnerung: Hyde Park und Kensington Gardens als öffentliche Räume für Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft 4.1 Der Hyde Park wird öffentliches Eigentum Der Hyde Park, der sich im Westen mit den Kensington Gardens verbindet, gilt aufgrund der Lage und Größe als das Herz oder die Lunge der Metropole. Die Ausdehnung des Hyde Park beträgt 360 Morgen,
81 | Ford Madox Ford: The Soul of London, London 1995, S. 92. Hier zi-
tiert nach der Übersetzung von Raykowski: London, S. 77.
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eingegrenzt durch Bayswater Road im Norden, Park Lane im Osten, Knightsbridge im Süden und die Kensington Gardens im Westen. Beide Parks zusammen bilden die größte offene Fläche in London. Verfasser moderner Reise- und Kulturführer überschlagen sich zumeist in ihren Beschreibungen dieser gestalteten Natur inmitten der Millionenstadt: »Hyde Park breitet seinen grünen Teppich quer über den Westen Londons aus – kunstvoll gestaltete, beinah unverfälschte Natur mit wundervollen alten Baumgruppen, weiten Rasenflächen, einem großen, geschwungenen See, Restaurants, Cafés, einem Musikpavillon und schönen plastischen Bildwerken, die unvermittelt aus dem welligen Grün hervorblitzen. […] Hyde Park ist eine Naturoase, behutsam in Landschaft verwandelt: dem ästhetischen Konzept des 18. Jahrhunderts gemäß zur naturgerechten Vollendung und damit zu sich selbst gebracht.«82 Die Londoner verdanken diese Naturoase nicht in erster Linie fürsorglichen Stadtplanern. Wie die meisten der Royal Parks war der Hyde Park zuerst ein Jagdrevier und diente der Zerstreuung der Könige. Seit der Zeit der normannischen Eroberung, genauer seit dem Domesday Book von 1086, befand sich »the Manor of Hyde« im Besitz der Westminster Abbey. Im Jahr 1536 enteignete Heinrich VIII. den Kirchenbesitz und verwandelte das Gelände in ein königliches Jagdgebiet. Hyde Park wurde zuerst nur dem Hofstaat, dann 1637 von Karl I. aber jedermann geöffnet. Nach der Exekution des Königs verkaufte Oliver Cromwell den Park in drei Teilen, und die neuen Eigentümer verlangten plötzlich Eintritt von den Londonern. Nach der Restauration wurde der Hyde Park unter Karl II. wieder zu einer kostenlosen Oase, sehr zur Freude der Untertanen. Seit dem Beginn der Herrschaft der hannoverschen Könige erhielt der Park größere Aufmerksamkeit. Die Gattin Georgs II., Karoline von Ansbach, beauftragte 1730 den Gartenarchitekten William Kent, den Park umzugestalten. Das Flüsschen Westbourne ließ er eindämmen und mit einer Reihe von kleineren Teichen in einen ca. 40 Morgen großen See umwandeln, der groß genug sein sollte, um zwei königlichen Yachten Platz zu bieten. Der See diente also für Wasserspiele zur Unterhaltung des Hofes. Es ist diese Serpentine, jener nierenförmige 82 | Nowel: London, S. 366.
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künstlich angelegte See, der die Grenze zwischen Hyde Park und den Kensington Gardens bildet und Ersterem seine Originalität gibt. Durch die kontinuierliche Umgestaltung zum Landschaftspark entwickelte sich der Park im folgenden Jahrhundert zu einem beliebten Treffpunkt der Gesellschaft. Während die arbeitenden Klassen vor allem sonntags den Park aufsuchten, nutzte ihn die leisure class täglich für Kutschfahrten, Ausritte und Spaziergänge. Für diejenigen, die auch in der Millionenstadt nicht auf ländliche Vergnügungen wie den Ausritt verzichten wollten, bot die Rotten Row Abhilfe. Der Name ist eine englische Verballhornung des französischen Begriffs Route de Roi. Schon im 18. Jahrhundert war dieser Weg von Westminster nach Kensington die einzige halbwegs gesicherte Straße durch den Hyde Park, denn in den Bäumen waren ungefähr 300 Laternen befestigt worden. Dennoch kamen Raubüberfälle zu dieser Zeit im Hyde Park nicht selten vor, wie das Parlamentsmitglied und der Gesellschaftschronist Horace Walpole am eigenen Leib erfahren durfte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts etablierte sich die Rotten Row als Präsentiermeile der vornehmen Welt, und die Spazierwege zu beiden Seiten dieses Reitweges galten als populäre Orte für Rendezvous. Als elegante Häuser am Cumberland Gate erbaut wurden, verschwand auch der dortige Galgen und wurde nach Newgate verlegt. Die vornehme Welt legte keinen Wert mehr darauf, mit den Niederungen des menschlichen Lebens in einer Millionenstadt konfrontiert zu werden. 1814, als England bereits glaubte, Napoleon besiegt zu haben, war der Hyde Park Schauplatz eines großen nationalen Festes gewesen. Diese Tradition sollte auch 1856 nach Ende des Krimkriegs wiederbelebt werden. Über solche auf aktuelle Anlässe bezogene Aktivitäten hinaus entwickelten sich die Londoner Parks, allen voran der Hyde Park, im Laufe des 19. Jahrhunderts zu Schauflächen der Erinnerung an nationale Helden und Heldentaten. Ästhetisch-künstlerische Erbauung und moralische Vorbildfunktion sollten Hand in Hand gehen. War auf der Serpentine 1814 durch das Nachstellen berühmter Seeschlachten den englischen Seehelden, allen voran Lord Horatio Nelson gehuldigt worden, so ist ein Teil des Hyde Park aufs engste verknüpft mit dem anderen großen Helden der Napoleonischen Kriege: Arthur Wellesley, dem Herzog von Wellington. Nach einer Spendenaktion schenkte die dankbare Nation dem Helden von Waterloo
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Apsley House an der Südostspitze des Parks, auch unter der Adresse »No. 1, London« bekannt. Zudem wurde dem Herzog im Park ein Denkmal errichtet. Der so genannte »nackte Achill«, 1822 enthüllt, war von Sir Richard Westmacott entworfen und gestaltet worden. Tatsächlich handelt es sich aber um gar keine Achillesstatue, sondern um eine Adaption des antiken Pferdebändigers auf dem Monte Cavallo in Rom. Das Material für diese Statue stellten u.a. zwölf erbeutete französische Kanonen. Die Parkmauer musste z.T. abgetragen werden, damit die gigantische Statue in den Park gebracht werden konnte. Auch in diesem Fall war eine Spendenaktion veranstaltet worden, und zwar von einem Damenkomitee unter Leitung der Countess Spencer, das 10.000 Pfund zusammengebracht hatte. Dies führte allerdings nicht nur zur Bezeichnung des Denkmals als »Ladies’ Trophy«, sondern löste auch heftige Diskussionen aus. Die explizite Nacktheit der Figur, die den Kopf Wellingtons trägt, rief Kritik bei prüden Zeitgenossen hervor, die um die Moral vor allem der Betrachterinnen fürchteten. Damen hatten folglich vor dieser Statue ihren Blick abzuwenden.83 Bereits zwei Jahre nach der Enthüllung des Denkmals für den »Duke of Wellington and his brave companions in arms«84 zeigte sich, dass die Dankbarkeit der Nation ihre Grenzen hatte: Der Herzog brauchte Land, das zum Hyde Park gehörte, um seinen Privatgarten um Apsley House zu vergrößern. Die Öffentlichkeit war alles andere als begeistert über diese Verkleinerung des Parks, der König und Regierung zugestimmt hatten. In London machte der Satz die Runde: »If his sovereign gave him all Ireland for his estate, he would beg the Isle of Man for a cabbage garden.«85 Der Mob warf Wellington sogar die Fenster in Apsley House ein, doch der Herzog blieb ungerührt, da er Popularität für das Streben eitler Männer hielt. Diese Geisteshaltung sollte ihm in seiner noch folgenden Karriere als Premier- und Außenminister hilfreich sein. Immerhin zeigt dieses Beispiel, dass die Öffentlichkeit bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts sensibilisiert war für jede Beschneidung der königlichen Parks zu83 | Vgl. Brace: London Parks, S. 28. 84 | Zit. nach: Neville Braybrooke: London Green. The Story of Kensing-
ton Gardens, Hyde Park, Green Park & St. James’s Park, London 1959, S. 74. 85 | Zit. nach: ebd., S. 75.
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gunsten von Einzelpersonen. Die Royal Parks galten also bereits als öffentliches Eigentum. Mochte es unter Schwierigkeiten noch möglich sein, dem Helden der Nation Parkland zu übereignen, wäre es für die Krone völlig unmöglich gewesen, solches Kronland zu veräußern, so lukrativ dies angesichts der erstklassigen Lage auch gewesen wäre. Drei Jahre später, also 1829, wurde dies im Crown Lands Act schließlich festgeschrieben. Während der Commissioner of Woods, Forests and Land Revenues im Namen des Monarchen Kronland veräußern oder vermieten durfte, waren die so genannten königlichen Forsten, Parks und Jagden, u.a. die Londoner Royal Parks, davon explizit ausgenommen. Gesetze in den Jahren 1851 und 1872 bestätigten dies nicht nur, sondern vergrößerten die Anzahl der Parks, so z.B. um den Phoenix Park in Dublin und den Holyrood Park in Edinburgh. Die Verwaltungskosten der Parks mussten vom Parlament genehmigt werden, während Einkünfte sofort an das Schatzamt gingen.86 Neben Wellington Arch an der Hyde Park Corner im Südosten bildet Marble Arch im Nordosten den Zugang zum Hyde Park. Auch der einem römischen Triumphbogen nachgebildete Marble Arch sollte an den Sieg über Napoleon erinnern. Er war aber ursprünglich 1828 von John Nash als Eingangstor für den Buckingham Palace erbaut und erst im Jahre 1851 an die nordöstliche Ecke des Hyde Park versetzt worden. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts behielt der Hyde Park seine Grundgestalt eines englischen Landschaftsparks bei. Verbesserungen standen aber trotzdem immer wieder auf dem Programm. Die Serpentine Bridge wurde 1826 von den Brüdern Sir John und George Rennie gebaut, die bis heute einen schönen Blick auf Westminster Abbey und die Houses of Parliament bietet. Im vorletzten Jahrhundert bot der zugefrorene See im Winter aber auch Vergnügungen: Ein gewisser Mr. Hunt gewann 1825 eine Wette, als er mit einer vierspännigen Kutsche über das Eis fuhr.87 Im Jahre 1861 sollen an die 50.000 Eisschuhläufer auf der Serpentine herumgewirbelt sein und in den Buden am Seeufer Erfrischungen zu sich genommen haben. Als im Juni 1846 London von einer Hitzewelle heimgesucht wurde, waren die Parks und im speziellen die Serpentine jene 86 | Vgl. Thurston: Royal Parks, S. 90f. 87 | Hierzu und zum Folgenden vgl. Brace: London Parks, S. 28.
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Orte in der Millionenstadt, wo die Bewohner Erleichterung suchten und fanden. Alethea Hayter, die in Literatenkreisen verkehrte, notierte in ihrem Tagebuch: »But crowds, even out of doors, were a thing to avoid. An article in the Illustrated London News desribes the ›languid limbs, and lazy lounging gait of people who passed […] in the street, or crowded to the Serpentine‹. Indoors it was far worse […]. If the theatres were empty, the open-air pleasure gardens, Vauxhall, Surrey Gardens and Cremorne, were crowded every night with people watching fireworks and the balloons which floated about in the night sky […]. It was a grim time for those who had to work indoors […].«88
4.2 Treffpunkt der Welt: »The Great Exhibition of 1851« Hatte sich der Hyde Park bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts längst zu einem Zentrum des städtischen Lebens in der Millionenstadt London entwickelt, so wurde er im Jahre 1851 sogar zum Treffpunkt der damals bekannten Welt. Durch die Weltausstellung von 1851 verwandelte sich der Hyde Park für mehrere Monate zur Schaubühne der technischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Fähigkeiten der Nationen. Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der deutsche Prinzgemahl der Königin Viktoria, hatte es seit der Eheschließung schwer, in seinem neuen Heimatland anerkannt zu werden. Parlament und Presse achteten mit Argusaugen darauf, dass er sich keine Befugnisse anmaßte, die nur der Königin zustanden. Folglich wandte er sich Betätigungsfeldern zu, die politisch unverdächtig waren: der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kunst. Prinz Albert gilt als die treibende Kraft hinter der ersten Weltausstellung. Tatsächlich stammte die Idee, die er bei einem Treffen der Royal Society of Arts 1849 vorbrachte, nicht von Prinz Albert selbst. Solche Ausstellungen, wenn auch nur national, gab es in Frankreich schon lange. Letztlich verkörperte die Ausstellung die Ausweitung der Wirtschaft zur Weltwirtschaft, vorge88 | Alethea Hayter: A Sultry Month: Scenes of Literary London Life in
1846, hg. von Robin Clark, London 1965, zit. nach: Bailey: Oxford Book, S. 140.
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führt von Großbritannien, der größten Industrienation der Welt, die auch als Weltmacht imponieren wollte.89 Am 29. Juni 1849 fiel im Buckingham Palace nicht nur die Entscheidung für die Art der Ausstellung, sondern auch für ihren Ort. Zuerst entschied der Prinz, dass sie international sein müsse. »International, certainly!«. Dann wurde über den Ort diskutiert. Leicester Square, der bisher ins Auge gefasste Platz, reichte für eine internationale Ausstellung nicht aus. Henry Cole, ein einflussreicher Bürger mit radikal-liberalen Ansichten und neben Prinz Albert der wichtigste Organisator des Unternehmens, schlug auf Nachfrage des Prinzen vor: »Im Hyde Park.«90 Der Hyde Park wurde aufgrund seiner zentralen Lage und Größe für die Weltausstellung gewählt. An die Spitze der Royal Commission, die sich dem Projekt widmete, setzte sich nun definitiv Prinz Albert. Am nächsten Tag wurde festgelegt, dass ein Ausstellungsgebäude im Südteil des Hyde Park errichtet werden sollte. Die Kommission hatte den Platz zwischen den heutigen Gardekasernen und der Serpentine vorgesehen. Dieser Entschluss, d.h. das Ausstellungsgebäude und der vorgesehene Standort im Hyde Park, führte zu einem lang andauernden Streit. Der Widerstand, den das Weltausstellungsprojekt auf den Plan rief, war vielfältig motiviert: Die einen lehnten eine Ausstellung dieser Art generell ab. Sie fürchteten, dass sie zu »confusion, disorder and demoralization, if not actual revolution […] famine and pestilence«91 führen könnte. Die anderen protestierten gegen den geplanten Standort im Hyde Park, da zahlreiche alte Bäume gefällt werden sollten, und wieder andere kritisierten den Finanzierungsplan, der noch nicht ausgereift war. Unterm Strich bildeten die Gegner der Weltausstellung zwar nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe, doch spielten ihre Mitglieder gerade im Unter- und Oberhaus eine nicht zu unterschätzende Rolle. So löste schon die Nachfrage im Unterhaus im Februar 1850, ob Bäume gefällt wer89 | Vgl. Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frank-
furt am Main, New York 1999, S. 37. 90 | So jedenfalls laut Henry Coles Autobiographie. Vgl. Utz Haltern: Die
Londoner Weltausstellung von 1851. Ein Beitrag zur Geschichte der bürgerlichindustriellen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Münster 1971, S. 42ff. 91 | Zit. nach: Hibbert: London, S. 194.
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den müssten, das Problem aus. »Nur kleine«, erwiderte der Regierungschef verlegen, der die kommenden Probleme wohl voraussah.92 Die mit dem Standort verbundenen Gründe für eine Ablehnung des Projektes waren komplex und natürlich von Eigennutz bestimmt: Erstens sorgten sich die Parkbesucher, vor allem aber die Bewohner der parknahen vornehmen Wohnbezirke, um ihre Ruhe. Sie befürchteten die Zerstörung der Natur durch die notwendigen Arbeiten für die Ausstellung, im besonderen den Verlust der Wege für ihre Spaziergänge, Ausritte und Ausfahrten, also eine Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Zweitens bestand die Sorge, dass der Ausstellungspalast nach dem Ende des Projektes im Hyde Park verbleiben und so der Park zu einer Art Rummelplatz und Vergnügungsstätte im Stil der anrüchigen Vauxhall und Cremorne Gardens werden könnte. Daraus resultierte drittens die Furcht, dass durch diese ›Verschandelung‹ des Parks die Grundstückspreise der Häuser am Parkrand sinken würden. Ganz unberechtigt waren diese Befürchtungen nicht.93 Die Ablehnung ausschließlich auf ein Naturbewusstsein bestimmter Gruppen zu reduzieren, wäre also völlig verfehlt. Die Motivationen der Ausstellungsgegner waren differenzierter. Unter der Führung von Oberst Charles de Laet Sibthorp begann nun diese Fraktion im Unterhaus, unterstützt von der Times, die Öffentlichkeit gegen das Projekt zu mobilisieren. Diese Kampagne bereitete dem Prinzgemahl heftige Kopfschmerzen, und er setzte sich ins Einvernehmen mit der Regierung: Kompromissvorschläge sollten gewährleisten, dass die normalen Parkbesucher in ihren Aktivitäten so wenig wie möglich von den Ausstellungsvorbereitungen beeinträchtigt würden.94 Am 13. März 1850 wurde bereits ein Wettbewerb für das 92 | Zit. nach: Hans-Joachim Netzer: Ein deutscher Prinz in England. Al-
bert von Sachsen-Coburg und Gotha, Gemahl der Königin Victoria, München 1992, S. 261. 93 | Vgl. ebd. 94 | Vgl. Hermione Hobhouse: »Prinz Albert und die Weltausstellung
von 1851«, in: Wilfried Rogasch (Hg.): Victoria & Albert, Vicky & The Kaiser. Ein Kapitel deutsch-englischer Familiengeschichte, Berlin 1997, S. 91. Vgl. hierzu auch die dortige Anmerkung 1: Prinz Albert an Lord John Russell, RA F24/42.
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Ausstellungsgebäude ausgeschrieben. Doch die schon im Juni veröffentlichten Entwürfe erzeugten einen neuen Sturm der Entrüstung. Die Gebäude waren zu gewaltig und passten nicht in den Park. Prinz Albert schrieb Ende Juni 1850 an seinen Berater, Baron Stockmar: »Die Ausstellung wird jetzt wütend von der Times angegriffen und das House of Commons will uns aus den Parks verjagen, es ist die größte Aufregung darüber […]. Sind wir aus den Parks vertrieben, so ist das Werk dahin!!!«95 Die Auseinandersetzung näherte sich ihrem Kulminationspunkt, als am 4. Juli 1850 im Parlament die ausschlaggebende Debatte stattfand. Alles stand auf Messers Schneide: Würde der Antrag zur Ablehnung des Hyde Park durchgebracht, wären die Vorbereitungen blockiert gewesen. Für den Fall hatte die Royal Commission bereits entschieden, das ganze Projekt aufzugeben.96 Ironischerweise scheint durch den plötzlichen Tod Sir Robert Peels, des ehemaligen Premierministers und geschätzten Bundesgenossen des Prinzen, die Stimmung im Parlament umgeschlagen zu sein. Schließlich konnte nämlich Lord John Russell, der Premierminister, der Königin versichern: »Alle Parteien scheinen überein zustimmen, dass der Hyde Park der beste Ort ist.«97 Um die nationale Ehre zu retten, wurden dann auch alle anderen Gegenanträge mit deutlicher Mehrheit abgeschmettert. In der »Schlacht um die Nutzung des Hyde Park«98 obsiegte der Prinz, der dank seines Einflusses das Projekt retten konnte. Schließlich tauchte auch noch Joseph Paxtons neuer genialer Plan eines Ausstellungsgebäudes auf. Paxton, ursprünglich ein Gärtner aus Bedfordshire, hatte bereits für den Herzog von Devonshire in Chatsworth einen großen Wintergarten aus Glas und Stahl gebaut. Der Kristallpalast, wie die Satirezeitschrift Punch das Gebäude bald nannte, war 563 Meter lang, 124 Meter breit und in der Mitte der tonnenförmigen Kuppel 33 Meter hoch. Die Außenhaut des Gebäudes war 95 | Zit. nach: Kurt Jagow (Hg.): Prinzgemahl Albert. Ein Leben am
Throne. Eigenhändige Briefe und Aufzeichnungen, Berlin 1937, S. 213. 96 | Vgl. Kretschmer: Weltausstellungen, S. 29. 97 | Brief von Lord John Russell an Königin Viktoria vom 5. Juli 1850, RA
F24/10, zit. nach: Hobhouse: »Prinz Albert«, S. 91. 98 | Hobhouse: »Prinz Albert«, S. 97.
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vollständig aus Glas, nur die Seitenwände des Erdgeschosses bestanden aus Holz. Das Gerüst bildeten gusseiserne Säulen, errichtet auf einem Fundament aus Beton. Mit der hohen tonnenförmigen Kuppel war es Paxton gelungen, die beiden auf dem Bauplatz stehenden alten Ulmen in das Bauwerk einzubeziehen. Vor allem diese Idee, die Bäume in das Gebäude zu integrieren, führte nicht nur dazu, dass ein Hauptargument der Ausstellungsgegner, nämlich wertvollen alten Baumbestand fällen zu müssen, obsolet wurde, sondern sicherte dem Gebäude eine Faszination, die nicht unwesentlich zum Erfolg der Ausstellung beitrug. »Indem sein Entwurf nicht verleugnete, das er in der Tradition der Glashausarchitektur stand, passte er genau dorthin, wo der Kommissionsentwurf wütende Proteste provoziert hatte: in den Hyde Park.«99 Joseph Paxtons ›Kathedrale des Lichts‹ konnte schon am 1. Januar 1851 der Kommission übergeben werden. Die Ausstellung entwickelte sich nun zu einem riesigen Erfolg, und der Prinz war populärer als je zuvor oder je danach. »Das Gebäude wurde beinahe über Nacht ›zum neuen Weltwunder, auf das wir Briten stolz sein können‹ […]. In der Mitte von Hyde Park, auf der Höhe von Rotten Row, stand nun der gläserne Koloss – und die Öffentlichkeit war gebührend erregt.«100 Die Times, die ja besonders gegen das Abholzen der Bäume gewettert hatte, zeigte sich begeistert, dass sie »einfach mitüberdacht« worden waren. Sie berichtete auch, dass »den lästigen Spatzen, die sich unter der Glasdecke eingenistet hatten, […] auf den Rat Wellingtons durch den Einsatz von Falken der Garaus gemacht«101 worden sei. Die erste Weltausstellung machte es sich zum Ziel, »[d]ie Industrie-Erzeugnisse aller gebildeten Völker der Erde zu einer vergleichenden Zusammenstellung [zu] vereinigen«, um »den Standpunkt der industriellen und künstlerischen Entwicklung der ganzen Menschheit durch Proben ihrer Erzeugnisse« darzustellen.102 Die Zweimillionen-
99 | Kretschmer: Weltausstellungen, S. 31. 100 | Nowel: London, S. 371. 101 | Zit. nach: ebd. 102 | Amtlicher Bericht über die Industrie-Ausstellung aller Völker zu
London im Jahre 1851, von der Berichterstattungs-Kommission der Deutschen
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stadt London war in heller Aufregung über das Ereignis. Ganz London strebte am Eröffnungstag, dem 1. Mai 1851, in den Hyde Park. Selbst die Reichen und Wohlhabenden hatten Probleme durchzukommen, denn es bildeten sich lange Staus. Der Emigrant und spätere Vertraute Otto von Bismarcks, Lothar Bucher, der Deutschland nach der Revolution von 1848 verlassen hatte, schilderte die Situation: »Endlich schimmerte das Ziel zwischen den Büschen durch, und über den Baumwipfeln kamen die Fahnen hervor, mit denen der Morgenwind spielte.«103 Menschen standen auf den Dächern der umliegenden Häuser oder kletterten auf die Bäume, von denen sie Polizisten herunterzuholen versuchten. Bucher erlebte den Kristallpalast als »ein Stück Abbildung 3: Innenansicht des Crystal Palace im Hyde Park, 1851
Quelle: E T Archive, zit. nach: David Crowley, Victorian Style, London 1998, S. 29. Zollvereins-Regierungen, Bd. 1, Berlin 1852, Vorbemerkung, III, und Einleitung, S. 1, zit. nach: Kretschmer: Weltausstellungen, S. 15. 103 | Lothar Bucher: Kunsthistorische Skizzen aus der Industrieausstel-
lung aller Völker, London 1851, Bd. 1, S. 19.
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Sommernachtstraum in der Mittagssonne«.104 Der Emigrant blieb im Bild, als er über den Eindruck schwärmte, den der Palast auf ihn machte. »Unter dem einen Waldriesen haben die Elfen Titania’s Thron aufgebaut, ein Zeltdach von azurblauer Seide […]. Umher ein Garten von Allem, was die Sonne an Duft und Farben schafft, Federn vom Libanon, Haiden vom Tafelberge, Palmen aus der Südsee, Orchideen vom Amazonasstrom, die prahlerische Aloe vom Atlas und die schweigsame Camelie von Japan. Und darüber ausgegossen ein Meer grünlichen Lichtes, von dem Zittern des durchsichtigen Laubes gekräuselt.«105
Die Ausstellung bot ein Panorama der Waren, und so meinte ein anderer Deutscher, er könne hier eine »industrielle Weltreise«106 unternehmen. Der »machinery court« bildete das Herzstück der Ausstellung und den Wallfahrtsort der Fortschrittsgläubigen. Er war den britischen Ausstellern vorbehalten, und so sahen die Besucher hier die Maschinen der britischen Großindustrie in Aktion. Sie demonstrierten die britische Vormachtstellung als »workshop of the world«.107 Noch nie waren so viele Nationen an einem Ort zusammengekommen. Beinahe alle Völker, die am Welthandel teilnahmen, ließen sich auf dieser Superschau vertreten. Die Zahl der Besucher überstieg die Erwartungen bei weitem. An den drei ersten Eröffnungstagen wurden 58.000 Besucher gezählt, in der zweiten Woche kamen schon mehr als 128.000.108 Mit der Einführung der »Ein-Schillingstage«, ab dem 27. Mai 1851 jeder Wochentag, nahmen die Besucherzahlen drastisch zu. Mitte Juni kamen bereits 300.000 Besucher pro Woche, vom 6. bis zum 11. Oktober, also in der letzten Woche, zog die Schau sogar über eine halbe Million Menschen an, sodass sich auch ein finanzieller Erfolg einstellte. Ingesamt wurden an den 141 Tagen mehr als 104 | Ebd., S. 10. 105 | Ebd., S. 11. 106 | Hermann Scherer: Londoner Briefe über die Weltausstellung, Leipzig
1851, S. 243, 73. 107 | Vgl. Kretschmer: Weltausstellungen, S. 44. 108 | Vgl. Kretschmer: Weltausstellungen, S. 34, und zum Folgenden S. 35.
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sechs Millionen Besucher gezählt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es letztlich ›nur‹ eine Million Besucher aus London und eine Million aus Großbritannien waren, die aber im Durchschnitt dreimal in die Ausstellung gingen. 42.000 Ausländer sollen unter den Besuchern gewesen sein. Obwohl die Weltausstellung von vielen als ›Friedensfest‹ wahrgenommen wurde, war sie allein schon aufgrund zahlreicher militärischer Ausstellungsstücke, so z.B. der berühmt gewordenen Gussstahlkanone von Krupp, alles andere als pazifistisch. Zudem spiegelte sie vor allem den Wettstreit der Wirtschaftskraft der Nationen. Karl Marx meinte dazu, die englische Bourgeoisie rufe »ihre sämtlichen Vasallen von Frankreich bis China zu einem großen Examen zusammen, auf dem sie nachweisen sollen, wie sie ihre Zeit genutzt haben«.109 So gab es am Ende auch zahlreiche Disharmonien, da Großbritannien selbst die meisten Preise und Medaillen bekam. Diese Weltausstellung gilt gemeinhin als die Geburtsstunde des modernen Massentourismus. All das, was wir heute mit dem Begriff der modernen kommerziellen Massenveranstaltung assoziieren, trat hier 1851 im Londoner Hyde Park in Erscheinung: »vom Eintrittsgeld, der Gastronomie, den Toilettenanlagen, dem Sicherheitsdienst, den organisierten Reisen und der vielfältigen publizistischen Begleitung bis hin zu einer detaillierten statistischen und betriebswirtschaftlichen Auswertung«.110 Die Ausstellung war natürlich von großer politischer und wirtschaftlicher Symbolik, doch in der Architektur-, Kultur- und Stadtgeschichte Londons hat sie ebenso Spuren hinterlassen. Nach dem Ende der Ausstellung stellte sich die Frage, was nun mit dem Kristallpalast geschehen sollte. All diejenigen, die zuerst gegen das Projekt Sturm gelaufen waren, plädierten nun dafür, dass der Palast im Hyde Park verbleiben und mit dem Gewinn der Ausstellung zum Wintergarten samt Restaurant umgebaut werden sollte. Prinz Albert lehnte diese Idee allerdings kategorisch ab, denn er plante schon mit dem Geld ein anderes Projekt in South Kensington.111 Vor allem die Times regte sich auf: »Wir können nicht glauben, dass das Volk 109 | Zit. nach: ebd., S. 50. 110 | Ebd., S. 52. 111 | Vgl. Netzer: Albert, S. 268.
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dieses freien und gewerbefleißigen Landes die Zerstörung seines schönsten Palastes durch eine nach seinem Willen regierende Staatsgewalt wolle.«112 Der Kristallpalast wurde dennoch im Hyde Park abgebaut und in den Süden Londons jenseits der Themse verbracht. In Sydenham errichtete man ihn in leicht veränderter Form wieder. Die einzige Erinnerung aus der Zeit der Weltausstellung im Hyde Park sind heute die »Coalbrookdale Gates«, Ausstellungsstücke des Jahres 1851, die östlich des Albert Memorial aufgestellt sind.113 Zur Erinnerung an ihren über alles geliebten Gatten, der 1861 verstarb, engagierte sich die Königin bald, ihm ein würdiges Denkmal in der Metropole zu setzen. Der Ort seines größten Triumphes, der Weltausstellung und somit der Hyde Park, sollte auf speziellen Wunsch der Königin den Rahmen bilden. Schließlich wurde das Albert Memorial doch in den Kensington Gardens, aber immerhin direkt an der Grenze zum Hyde Park, errichtet. Der Architekt Sir George Gilbert Scott übernahm die Federführung des zwischen 1863 und 1876 erbauten Denkmals, an dem zahlreiche andere Künstler beteiligt waren. Scott selbst beschrieb das Denkmal folgendermaßen: »A colossal statue of the Prince, placed beneath a vast and magnificent shrine or tabernacle, and surrounded by works of sculpture illustrating those arts and sciences which he fostered.«114 Die riesige vergoldete Statue des Prinzgemahls hält nicht die Bibel, sondern den Ausstellungskatalog in Händen: Das Denkmal wurde somit zu einem »Altar christlich geprägten Fortschrittsglaubens«.115 Es glorifiziert nicht nur den Prinzen, sondern auch das Empire, die britischen Errungenschaften in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Für das 19. Jahrhundert typisch werden natürlich auch die christlichen Tugenden beschworen. Vier marmorne Tierfiguren verkörpern zudem die Kontinente: Für Europa steht der Stier, für Asien der Elefant, für Afrika das Kamel und für 112 | Amtlicher Bericht, Bd. 3, 1853, S. 742f., zit. nach: Kretschmer: Welt-
ausstellungen, S. 55. 113 | Brace: London Parks, S. 28. Die zweite Weltausstellung in London
1862 konnte diesen Erfolg nicht mehr erlangen. Vgl. Kretschmer: Weltausstellungen, S. 69ff. 114 | Zit. nach: Brace: London Parks, S. 30. 115 | Nowel: London, S. 371.
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Amerika der Bison. Prinz Albert blickt auf die Albert Hall, die von 1867 bis 1871 gebaut wurde.
4.3 Eine Bühne für alle: Macht, Pracht und politische Demonstrationen Dass der Hyde Park 1851 zur Schaubühne des Fortschritts und somit kurzfristig zu einem Tummelplatz aller Gesellschaftsschichten geworden war, hatte keinen Einfluss auf seine Funktion als Treffpunkt der eleganten Welt. Dieser Park spielte in der sozialen Geographie Londons immer eine wichtige Rolle. Für einen Gentleman musste er durch einen Spaziergang oder für eine Lady durch eine kurze Kutschfahrt erreichbar sein. Man lebte nicht weiter nördlich als Marylebone oder weiter westlich als Belgravia und Chelsea, wenn man dazugehören wollte. Dies konnten sich natürlich nur sehr wenige leisten und so flohen viele in die Vororte, was schließlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts infolge der besseren Transportmöglichkeiten auch für kleinere Angestellte und gelernte Arbeiter galt. Die Funktion des Hyde Park als Örtlichkeit adliger und großbürgerlicher Vergnügungen wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von François René Chateaubriand herausgestrichen: »The day was thus distributed in London: at six o’clock in the morning, one hastened to a party of pleasure, consisting of a breakfast in the country; one returned to lunch in London; one changed one’s dress to walk in Bond Street or Hyde Park; one dressed again to dine at half-past seven […]. What a life of enchantment!«116 Nicht zuletzt der Umstand, dass die Royals, die ja unter Viktoria das volle Prestige als erste Familie des Landes zurückgewannen und sich als nationales Vorbild etablierten, selbst die Parks für öffentliche Auftritte, aber auch zum privaten Vergnügen nutzten, machte diese für die Bevölkerung noch interessanter. Immer wieder fanden z.B. Trup116 | François René Chateaubriand: Memoirs, 1849-50, zit. nach: Bailey:
Oxford Book, S. 131. Die Möglichkeiten, die der Hyde Park der Selbstdarstellung der Eliten bot, weckten in manchen Städten und Ländern Begehrlichkeiten, besonders nachdrücklich in der Neuen Welt, etwa in New York. Vgl. den Abschnitt über Frederick Law Olmsted und New York in diesem Band, besonders Kapitel 2.3.
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penschauen, etwa für ausländische Monarchen, im Hyde Park statt. Andererseits galt es natürlich als ein besonderes Erlebnis, wenn man die Mitglieder der königlichen Familie bei eher privaten Aktivitäten beobachten konnte, etwa den Prinzgemahl bei einem Ausritt in der Rotten Row 1854 mit dem König von Portugal. Obwohl aufgrund zahlreicher Attentatsversuche die Sicherheitsvorkehrungen immer aufwändiger wurden, nutzten noch Eduard Prince of Wales und seine Frau Alexandra den Hyde Park für regelmäßige Ausritte bzw. Kutschfahrten. Wie in vielem anderen hatte die königliche Familie auch hierin eine Art Vorbildfunktion für diejenigen Untertanen, die es sich leisten konnten, es ihnen gleichzutun. Für den Rest war allein die Nähe zu gekrönten Häuptern aufregend.117 Die Rolle, die der Hyde Park als die Bühne der feinen Welt in der Metropole spielte, war allerdings in den Augen mancher Beobachter oft bedroht, und zwar durch die zunehmende Zahl von Eindringlingen, d.h. Besuchern aus den Unterschichten. In den Beschreibungen des Hyde Park zwischen den zwanziger und den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts tauchen immer wieder ähnliche Beschwerden darüber auf, »the fashionable promenade has been ruined by intruders«.118 Hierdurch gewinnt der Leser den Eindruck, als ob die Exklusivität des Hyde Park immer wieder wie eine Aktie stieg und fiel. Eher ist aber zu vermuten, dass wir es mit verformten Erinnerungen und einer verzerrten Klassenwahrnehmung zu tun haben. Diejenigen, die über den Park und die ›Eindringlinge‹ schrieben, gehörten zumeist selbst den höheren Schichten an. Sie behandelten folglich den Umstand, dass scheinbar »everybody« den Park aufsuchte, in ihren Schilderungen als eine Art von sensationeller, ja melodramatischer Enthüllung.119 Neben der Ober- und Mittelschicht begann die Arbeiterschaft aber zweifelsohne in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Hyde Park und den Royal Parks im allgemeinen immer stärker Besitz zu ergreifen. Georg, Herzog von Cambridge, von der Queen zum Ranger of the 117 | Vgl. Thurston: Royal Parks, S. 26; Williams: Royal Parks, S. 103. 118 | Richard Maxwell: The Mysteries of Paris and London, Charlottesville,
London 1992, S. 372. Maxwell führt je ein Beispiel aus den zwanziger und den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts an, ohne aber aus diesen zu zitieren. 119 | Vgl. ebd.
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Central Parks ernannt, erlebte den Andrang immer breiterer Massen als »increasingly uncomfortable by this unprecedented break-up of the good old social barriers«.120 In den fünfziger und sechziger Jahren entbrannte ein lang andauernder Streit darüber, ob am geheiligten Sonntag Militärkapellen, die vor allem die Arbeiterschaft anzogen, in den königlichen Parks Konzerte geben dürften. Der Premierminister, Lord Palmerston, rechtfertigte 1856 die ursprüngliche Zustimmung seiner Regierung gegenüber dem Erzbischof von Canterbury. »I thought that those arrangements would afford the inhabitants of the Metropolis innocent intellectual recreation, combined with fresh air, and healthy exercises, and such recreation did not seem to me to be at variance with the soundest and purest sentiments of Religion.«121 Doch der oberste Geistliche Großbritanniens bekam Rückendeckung vom Haupt der anglikanischen Kirche, der Königin selbst, die als nominelle Eigentümerin der Parks beständig ein Wörtchen mitreden wollte. Sie ließ Sir Charles Phipps antworten, den Kämmerer ihrer Privatschatulle: »The innocent recreation and amusement of the class who are confined during the week is of great importance and most desirable, but I do not think military music a necessary ingredient of it. It is a new want, which has been hardly known to the working classes.«122 Letztendlich stimmte die Königin allerdings zu, dass von Fall zu Fall entschieden werden sollte, und vor allem die Kapelle der in Knightsbridge stationierten Kavallerie gelegentlich Konzerte geben durfte. In späteren Jahren sollten sich Diskussionen anschließen, ob in den königlichen Parks Kioske gebaut und Erfrischungen an die Massen verkauft werden dürften. Die Monarchin und der Herzog von Cambridge verweigerten wiederum ihre Zustimmung. Doch ihr Privatsekretär Sir Henry Ponsonby konnte die Königin umstimmen. Der First Commissioner of Works hatte nämlich darauf hingewiesen, dass es unendlichen Ärger gäbe, wenn keine Kioske »for the sale of non-intoxicant refreshments […] for the poorer visitors of the Park«123 gestattet würden. 120 | Williams: Royal Parks, S. 103, vgl. auch ebd., S. 37. 121 | RA A25/76, zit. nach: ebd., S. 103. 122 | RA Add. Mss. Q 315, zit. nach: ebd., S. 106. 123 | RA C81A/44, zit. nach: ebd., S. 115.
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Interessanterweise waren britische Paris-Besucher immer wieder erstaunt über das gute Benehmen der französischen Unterschichten in den dortigen Parks. Ein englischer Reisender berichtete über seinen Besuch im Jahre 1869: »There are no railings higher than six inches; and yet no flowers at Kew and Crystal Palace are more valuable than these suffice to protect day and night.«124 Die positiven englischen Beurteilungen der Verhaltensweisen und Manieren erstaunen, da die französischen Arbeiter europaweit für ihre revolutionären Instinkte berühmt und gefürchtet waren. Wie in London gab es in Paris natürlich ebenso Parks, die von bestimmten sozialen Schichten bevorzugt wurden. Der Bois de Boulogne war wie der Hyde Park die Domäne der Gesellschaft, der Parc Monceau ein beliebtes Ziel der Mittelschicht und der Buttes Chaumont ein Treffpunkt der einfachen Leute. Immerhin hatte Paris sich London und im speziellen die englischen Landschaftsgärten zum Vorbild genommen: Das galt für die ehemaligen königlichen Parks, d.h. den Bois de Boulogne und Bois de Vincennes, aber zugleich für den Parc Monceau und den Parc des Buttes Chaumont. Die englische Architekturzeitung Builder erklärte 1869: »Paris has been developing into Arcadia, and has left us far behind.«125 Um ihren Kindern die für die Gesundheit als notwendig erachtete frische Luft zukommen zu lassen, schickte die Oberschicht ihre Sprösslinge samt Kindermädchen, deren Uniformen dort bald ein vertrauter Anblick waren, in den Hyde Park. Die Unachtsamkeit dieser »Nannies« schockierte den französischen Schriftsteller Emile Zola. Ford Madox Ford, der den Franzosen auf einer Parkbank im Hyde Park antraft, berichtete: »Zola […] sah düster vor sich hin und stocherte mit seinem Spazierstock im Sand. Schwermütig sagte er: ›Was soll man nur von einem Land halten, in dem die Kindermädchen ihre Frisur so nachlässig herrichten, dass ich an einem einzigen Morgen vor einer Parkbank achtzehn Haarnadeln gefunden habe? Eine Stadt, in der solche Verschwendung herrscht, ist dem Untergang geweiht.‹«126 124 | William Robinson: The Parks, Promenades & Gardens of Paris, de-
scribed and considered in relation to the wants of our own cities, London 1869, S. 4. 125 | Builder (27/1869), S. 437, zit. nach: Olsen: City, S. 233. 126 | Ford Madox Ford: Return to Yesterday, zit. nach: Peter Yapp (Hg.):
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Für manche Besucher vom Kontinent, vor allem die Franzosen, schienen im nach außen hin prüden und lustfeindlichen London des 19. Jahrhunderts die Parks die einzigen Orte in der Stadt, an denen sonntags tagsüber Vergnügungen gesucht werden konnten. Da an den Tagen die Theater und andere Vergnügungsstätten geschlossen waren, blieben in der größten Stadt der Welt nur die Parks zur Unterhaltung, »the open-air preachers in Hyde Park and the dismal music of the Salvation Army Band.«127 Kein Wunder, dass der dimanche anglais auf dem Kontinent berüchtigt war. Die Schriftsteller Arthur Rimbaud und Paul Verlaine erwanderten sich ganz London, auch den Hyde Park, doch die Docks machten letztlich den größten Eindruck auf sie. »They are unbelievable! Tyre and Carthago all rolled in one!«,128 meinte Verlaine. Einen ähnlichen Tenor stimmte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Schriftstellerin Charlotte Brontë an. Als sie aus dem ländlichen Yorkshire nach London kam, beeindruckte sie auch mehr die City of London als das West End: Jedenfalls legt sie diese Haltung ihrer Heldin Lucy Snow in ihrem bis heute unterschätzten Spätwerk Villette in den Mund: »Since those days, I have seen the West-end, the parks, the fine squares; but I love the city far better. The city seems so much more in earnest; its business, its rush, its roar, are such serious things, sights, and sounds. The city is getting its living – the West End enjoying its pleasure. At the West-end you may be amused; but in the city you are deeply excited.«129 In der englischen Literatur zeigen dann vor allem die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Romane John Galsworthys über die Familie Forsyte die Bedeutung des Hyde Park für den Londoner Geldadel, also das Großbürgertum. Der Hyde Park, dieses nicht ganz gleichmäßig geformte Rechteck, bildete eine Demarkationslinie: Er »trennt das ›Westend‹ vom westlichen London, das sich, mit Kensington beginnend, über Holland Park und Hammersmith in die themseThe Travellers’ Dictionary of Quotations, London 1983, S. 325. Hier zitiert in der Übersetzung von Raykowski: London, S. 124. 127 | Enid Starkie: Arthur Rimbaud, 2. Aufl. London 1947, zit. nach: Bai-
ley: Oxford Book, S. 181f. 128 | Paul Verlaine, zit. nach: Bailey: Oxford Book, S. 184. 129 | Charlotte Brontë: Villette, Harmondsworth 1985, S. 109.
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nahen Vororte ausweitet. Im Norden von Bayswater Road begrenzt, schließen sich Edgeware, Paddington, Bayswater und Notting Hill an; im Süden dann die feinsten Londoner Wohnviertel: Knightsbridge, South Kensington/Brompton und Chelsea, selbstsichere Noblesse ausstrahlend.«130 Das Leben der Forsytes konzentriert sich auf jene vornehmen Wohnviertel wie Bayswater, Kensington und Knightsbridge, die den Hyde Park umschließen. Dem Hyde Park kommt also eine besondere Rolle zu: »Their residences, placed at stated intervals round the park, watched like sentinels, lest the fair heart of this London, where their desires were fixed, should slip from their clutches, and leave them lower in their own estimations.«131 James Forsyte, Soames’ Vater, betrachtet gerade den Kampf um immer mehr Immobilienbesitz um den Hyde Park als seine zentrale Aufgabe. Der Hyde Park ist »the centre of his own battlefield, where he had all his life been fighting«.132 Dieses London sei ›ihr‹ London, wo sie ihren Wohlstand durch feudale Wohnsitze, Ausfahrten in eleganten Kutschen und Promenaden in teuren Roben zur Schau stellen, obwohl dieses Vermögen in der City entstanden ist. Der Hyde Park und die angrenzenden Stadtteile mutieren zum Inbegriff ihrer materialistischen Bedürfnisse, hier versuchen sie nicht nur immer mehr Grundbesitz anzuhäufen, sondern sie nutzen den Park zudem als Bühne für die öffentliche Zurschaustellung ihrer erfolgreichen Integration in die Londoner Gesellschaft.133 Je etablierter die Forsytes allerdings sind bzw. sich fühlen oder je weniger Bedeutung sie ihrer gesellschaftlichen Anerkennung beimessen, um so weiter entfernen sich ihre Wohnsitze vom Hyde Park: Soames hält sich gegen Ende seines Lebens hauptsächlich auf seinem Landsitz Mapledurham auf. Seine Tochter Fleur lebt als Ehefrau eines Parlamentsmitgliedes und Angehörigen des niederen Adels in Westminster im Bannkreis der Politik. Die Familie
130 | Nowel: London, S. 366. 131 | John Galsworthy: The Man of Property, London, Glasgow 1906,
S. 38. 132 | Ebd., S. 93. 133 | Vgl. Kirsten Hertel: London zwischen Naturalismus und Moderne.
Literarische Perspektiven einer Metropole, Heidelberg 1997, S. 255.
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Old und Young Jolyons hingegen hat sich schon viel früher auf den Landsitz Robin Hill zurückgezogen, wo sie sehr glücklich lebt. Der amerikanische Romancier Henry James, der den Großteil seines Lebens in England verbrachte, hat sich in vielen seiner Werke mit dem gesellschaftlichen Phänomen Hyde Park beschäftigt. Er sah in ihm »the beating heart of the great West End«.134 Grundsätzlich konnte James zwar den Eitelkeiten, die hier zur Schau gestellt wurden, nichts abgewinnen, doch als Handlungsort seiner Romane spielt der Park immer wieder eine besondere Rolle. Seinem Protagonisten Hyacinth Robinson aus »The Princess Casamassima« zum Beispiel wird gerade hier im Epizentrum des Luxus’ und der Arriviertheit, also in der Konfrontation mit den reichen Müßiggängern der Metropole, seine gesellschaftliche Inferiorität bewusst. »Sometimes […] he made his way into the Hyde Park, at the hour when the throng of carriages, of riders, of brilliant pedestrians, was thickest; […] In the midst of this his sense was vivid that he belonged to the class whom the ›bloated‹, as they passed, didn’t so much as rest their eyes upon for a quarter of a second.«135 Letztlich überwiegt in Robinson allerdings die Bewunderung für diese »flower of a high civilisation«,136 trotz seiner Arbeit im revolutionären Untergrund. Bevor er stirbt, kommt er zu dem Schluss, soziale Ungerechtigkeit sei vielleicht der Preis für Kulturleistungen, ja für die Zivilisation. Gerade im Hyde Park stießen die Arrivierten und die Unzufriedenen aufeinander. Die Tatsache nämlich, dass der Hyde Park einer der wenigen großen freien Flächen inmitten der Millionenstadt war, spielte für den Umstand, dass er als Aufmarschplatz für politische Demonstrationen diente, eine zentrale Rolle. Obwohl oder gerade weil der Park der bevorzugte Treffpunkt der Londoner Gesellschaft war, entwickelte er sich zu einem Ort politischer Demonstrationen. Im Revolutionsjahre 1848 versammelten sich hier die Chartisten, um für mehr politische Mitbestimmung zu demonstrieren. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde der Park immer häufiger zur Versamm-
134 | Henry James: English Hours, London 1960, S. 13. 135 | Henry James: The Princess Casamassima, London 1921, Bd. 1, S. 150. 136 | Ebd., S. 151.
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lungsstätte für politische Demonstrationen. Auch wenn es in England nie zu einer Revolution kam, ergab sich hier die Möglichkeit, dem Unmut Ausdruck zu verleihen. Schon 1855 kam es zu einer Massenveranstaltung mit immerhin 150.000 Teilnehmern gegen die »Sunday Trading Bill«, die zu einer blutigen Konfrontation mit der Polizei führte. Weitere kleinere Zusammenstöße folgten in den kommenden Jahren, um 1866 ihren Höhepunkt zu erreichen, als die Reform League, die Unterstützung für ein allgemeines Wahlrecht für Männer suchte, eine Massenveranstaltung im Park abhalten wollte. Dies erzeugte den Unwillen des Commissioner of Police. Die Bewilligung wurde verweigert, die Demonstranten belagerten den Park, rissen die Zäune nieder und kämpften mit der Polizei. Der Ursprung von Speaker’s Corner, dem Synonym für das Recht des freigeborenen Engländers auf Redefreiheit, geht zurück auf dieses Ereignis. Im Jahre 1872 wurde die Situation noch einmal überdacht und dieser Treffpunkt im Park dafür bestimmt, dass Menschen hier ihre Meinung über politische, religiöse und philosophische Themen frei äußern können,137 solange sie Obszönitäten und Aufwiegelung vermeiden und nicht um Geld bitten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden allerdings feine soziale Unterschiede festgestellt, hinsichtlich derjenigen Mitglieder der Unterschichten, die den Hyde Park als Demonstrationsstätte nutzten. Arthur Morrison stellte mit bourgeoiser Arroganz fest: »The East End is a place […] given over to the Unemployed. And the Unemployed is a race whose token is a clay pipe, and whose enemy is soap: now and again it migrates bodily to Hyde Park with banners, and furnishes adjacent police courts with disorderly drunks.« Über die Kleinhandeltreibenden, also jene, die in der sozialen Hierarchie ein wenig höher standen, äußerte er sich allerdings positiv: »They do not go to Hyde Park with banners, and seldom fight.«138
137 | Vgl. Thurston: Royal Parks, S. 100ff.; Brace: London Parks, S. 28;
Francis Sheppard: London 1808-1870: The Infernal Wen, Berkeley 1971, S. 339ff. 138 | Arthur Morrison: Tales of Mean Street (1894), zit. nach: Bailey: Ox-
ford Book, S. 212f.
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4.4 Kensington Gardens: Ort der Ruhe und der Selbstvergewisserung Immer im Schatten des Hyde Park standen die benachbarten Kensington Gardens, obschon mit 275 Morgen auch von beachtlicher Größe. Kensington Palace, der ehemalige Landsitz des Earl of Nottingham, war nach der Glorious Revolution vom Monarchenpaar Wilhelm III. und Maria gekauft worden, um hier von Zeit zu Zeit ein informelleres Leben führen zu können. Wilhelm III. und nach ihm Queen Anne gestalteten die Kensington Gardens aus, wenn auch nicht sonderlich prächtig. Es war also einst ein Privatgarten, der zum Kensington Palace gehörte.139 Die Kensington Gardens in ihrem heutigen Erscheinungsbild verdanken sich wiederum Königin Karoline, der Gattin Georgs II. Sie trennte ihn vom Hyde Park ab und ließ Henry Wise und Charles Bridgeman die großen Avenuen mit den Bäumen anlegen. Die eindruckvollste Avenue ist der 50 Fuß breite Broad Walk, der vom Palasttor zum Black Lion Gate im Norden verläuft. Königin Karoline ließ auch den Round Pond und das »Long Water«, eine Verlängerung der Serpentine, anlegen. Die wurden auch von Henry Wise und Charles Bridgeman als Mittelpunkte der Gärten konzipiert. Während der Regierungszeit Georgs II. war der Garten an Wochenenden der Öffentlichkeit zugänglich, sofern sich der König andernorts aufhielt. Es gab allerdings Einschränkungen: Der Park war nur sonntags geöffnet und angemessene Kleidung ein Muss, während Matrosen, Soldaten und livrierte Diener keinen Zutritt hatten. Dennoch wurde selbst König Georg II. einmal dort ausgeraubt und auf sehr höfliche Art und Weise um seine Börse, Uhr und edelsteinbesetzten Schnallen gebracht. Zur Zeit König Georgs III., als der Kensington Palace vierzig Jahre lang geschlossen blieb, hatte die Öffentlichkeit zu bestimmten Zeiten weiterhin freien Zugang zum Park. Schon James Boswell lobte diesen Umstand: »We walked out to Kensington and strolled through the delightful gardens. It is a glorious thing for the King to keep such walks so near the metropolis open to all his subjects.«140 Erst seit der Regierung Königin Viktorias, also nach 1837, 139 | Vgl. u.a. Nowel: London, S. 368; Banks: London, S. 167. 140 | James Boswell, 1763, zit. nach: Brace: London Parks, S. 29.
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sind die Kensington Gardens das ganze Jahr über und für alle Schichten offen.141 Doch bereits im Juni 1820 hatte die Prinzessin Lieven, eine enge Freundin Georgs IV., in einem Brief an den Fürsten Metternich geklagt, dass dieser Park zu einem »middle-class rendezvous« verkommen sei, »and good society no longer goes there expect to drown itself«.142 Ein Jahr zuvor war nämlich der Körper einer sehr teuer gekleideten jungen Frau aus dem Wasser gezogen worden. Im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren sogar Kontakte zu den königlichen Bewohnern des Kensington Palace eher möglich als heute: Karoline von Braunschweig, die Frau des Prinzregenten, schockte Besucher des Parks, als sie dort hutlos herumlief und Gespräche mit völlig Fremden suchte. Als dreijährige Prinzessin beeindruckte die spätere Königin Viktoria die Besucher, als sie im Kensington Park in einem mit blauen Schleifen besetzten Kleid auf einem Esel ritt.143 Die Gartenanlage der Kensington Gardens veränderte sich im 19. Jahrhundert kaum. Der Flower Walk, der erst 1843 geschaffen wurde, gilt gemeinhin als der attraktivste Teil der Kensington Gardens und verläuft westlich des Broad Walk. Am Nordende des großen Sees, einer Fortsetzung der Serpentine, die hier in den Kensington Gardens aber Long Water heißt, gibt es einen formalen Garten mit Springbrunnen und Pavillon. Die an das Petit Trianon in Versailles erinnernde Anlage wird Prinz Albert zugeschrieben. Sie ist ein Beispiel dafür, wie in Ansätzen im 19. Jahrhundert die Formalität des Barockgartens in die alten innerstädtischen Parks zurückkehrte, wobei allerdings betont werden muss, dass die Grundkonzeption immer die des englischen Landschaftsgartens des 18. Jahrhunderts blieb. Die ausgeprägte Erinnerungskultur der Viktorianer und Eduardianer machte selbst vor den eher ruhigen Kensington Gardens nicht halt. In der Nähe des formalen Gartens findet sich die Statue von Edward Jenner (gest. 1823), dem Entdecker der Pockenimpfung. Gegenüber im Nordosten ist Queen Anne’s Alcove, der Christopher Wren 141 | Vgl. Brace: London Parks, S. 31. 142 | Zit. nach: Williams: Royal Parks, S. 96. Vgl. auch Hibbert: London,
S. 154. 143 | Vgl. Brace: London Parks, S. 29.
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und William Kent zugeschrieben wird. Der Weg führt südwestlich weg von den Springbrunnen, lässt zu seiner Rechten einen Obelisken für J.H. Speke (gest. 1864), den Afrikaforscher, zurück. Von der Albert Hall führt der Lancaster Walk in den Park und auf ein bronzenes Pferd mit Reiter zu, die beide körperliche Kraft verherrlichen. Die Statue von G.F. Watts wurde hier im Jahre 1903 errichtet. Eine Kopie dieser Statue bildet einen Teil des Denkmals für Cecil Rhodes auf dem Hang des Tafelberges bei Kapstadt. Im südlichen Garten des Kensington Palace steht eine Statue Wilhelms III., König Eduard VII. 1907 von Kaiser Wilhelm II. als Geschenk »für die britische Nation« übergeben, der damit auf die schon mehrere Jahrhunderte zurückreichende gemeinsame Abstammung von den Nassauern hinweisen wollte.144 Die Statue Königin Viktorias vor dem Kensington Palace, in dem die Monarchin geboren worden war, wurde von ihrer Tochter Louise entworfen und dort zum goldenen Thronjubiläum 1887 aufgestellt. Bedeutend größerer Beliebtheit, vor allem bei Kindern, erfreut sich bis heute die Peter Pan-Figur. Im Jahre 1912 von Sir George Frampton geschaffen, bezieht sie sich auf James Barries berühmtes Theaterstück Peter Pan (1904) vom Jungen, der nie erwachsen werden wollte. Die Figur des Pan war Nina Boucicault nachempfunden, die in der Uraufführung diese Rolle gespielt hatte. Im Sommer 1912 stand die Statue plötzlich über Nacht in den Kensington Gardens. James Barrie hatte das arrangiert, um die Kinder glauben zu machen, Feen hätten sie gebracht. Das Unterhaus beschäftigte sich schließlich mit der Angelegenheit, da es einem Privatmann nicht einfach gestattet sein dürfe, ohne Genehmigung in einem öffentlichen Park eine Statue aufzustellen. Dass der Leiter des Gartenbauamtes Bescheid wusste, beendete den Sturm im Wasserglas. Auf dem Sockel sind Kaninchen, Feen, Eichhörnchen und Mäuse zu sehen, die mittlerweile durch Kinderhände ganz abgegriffen sind.
144 | Zum Besuch des Kaisers in England 1907 vgl. Reinermann: Kaiser,
S. 300ff.
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5. »Gardens for the gardenless«:145 Entwicklung, Verwaltung und Probleme der Londoner Parks bis zum Ersten Weltkrieg 5.1 Reformideen und die neuen Public Parks In Großbritannien, in jenem Land, in dem als erstes mehr Menschen in Städten als auf dem Land lebten, dies bereits 1851, rückten im 19. Jahrhundert allmählich die Parks nach der Nutzung als königliche Domäne und Bühne der adeligen und großbürgerlichen Welt unter einem neuen Aspekt ins Blickfeld. Die Natur in der Stadt London gewann als Palliativ und Sedativ für gesundheitliche und soziale Probleme eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Schon seit dem Beginn des Jahrhunderts, aber vor allem ab den dreißiger Jahren machten sich die Probleme, die das Wachstum Londons und die Industrialisierung mit sich brachten, immer stärker bemerkbar. Zwar rückten die Verantwortlichen den gesundheitlichen Problemen schrittweise durch eine moderne Wasserver- und Abwasserentsorgung, eine verbesserte Gesundheitsfürsorge und Ansätze der Slumsanierung zu Leibe, doch änderte dies nichts an den z.T. katastrophalen Lebensbedingungen der Unterschichten, vor allem im East End. Diese führten zu einer steigenden Verbrechensrate, zu einem verschärften Alkoholismusproblem und generell zu einer Lockerung der Moral und Sitten. Sozialreformer stimmten darin überein, dass ein vergrößertes Angebot an Erholungsmöglichkeiten hier helfen könnte. Ein vom Parlament einberufenes Komitee schlug bereits 1834 für ganz Großbritannien vor: »The establishment by the joint aid of Government and local authorities and residents on the spot, of public walks, and gardens, or open spaces for healthy and athletic exercises in the open air, in the immediate vicinity of every town, of an extent and character adapted to its population; and of district and parish libraries, museums and reading rooms, accessible at the lowest rate of charge; so as to admit of one or the other being visited in any weather, and at any time.«146 Doch erst 1840 stellte das Parlament den örtlichen Be145 | Brace: London Parks, S. 8. 146 | Zit. nach: Bailey: Leisure, S. 38.
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hörden der britischen Städte Geld zur Verfügung, um Parks einzurichten. Die lokalen Behörden hatten es dennoch nicht eilig mit deren Errichtung. Selbst als Sir Robert Peel 1845 1.000 Pfund spendete, um in Manchester einen Peel Park anzulegen, verzögerten sich die Maßnahmen, da die Behörden keine Eile sahen. Die Notwendigkeit, Erholungsmöglichkeiten zu schaffen, um die Moral der Unterschichten zu heben und somit soziale Probleme zu lösen, wurde vielerorts einfach nicht gesehen. Man glaubte vielmehr, dass vor allem die Erziehung und das Vorbild der Oberschichten diese Probleme lösen könnten, überzeugt davon, »opinions travel upwards, manners downwards.«147 Das Problem hierbei war zudem, dass »improvement« anderer Sozialschichten primär ein Konzept der Mittelklasse darstellte.148 Die Reformer, mehrheitlich aus den Mittelschichten, wussten überdies viel zu wenig über die typischen Freizeit- und Erholungsaktivitäten der Unterschichten oder lehnten sie per se ab. Henry Mayhew, der berühmte viktorianische Sozialreformer, empfahl zwar in den frühen fünfziger Jahren auch »wholesome amusements«, um die Unterschichten aus dem »moral mire in which they are wallowing« zu retten. Doch wusste er ebenso um die damit verbundenen Schwierigkeiten: »The misfortune, however, is that, when we seek to elevate the character of the people, we give them such mere dry abstract truths and dogmas to digest, that the uneducated mind turns away with abhorrence. […] we strive to make true knowledge and true beauty as forbidding as possible to the uneducated and the unrefined that they fly to their penny gaffs, their two-penny hops, their beer shops and their gambling grounds for pleasures which we deny them, and which we, in our arrogance, believe it is possible for them to do without.«149
Reglementierungen begegnete die Unterschicht allerorten: Polizisten wurden vermehrt dazu eingesetzt, ihre Vergnügungen, die Lärm und
147 | Ebd., S. 39. 148 | Vgl. ebd., S. 55. 149 | Henry Mayhew: London Labour and the London Poor, hg. von Frank
Cass, London 1967, Bd. 1, S. 42.
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Schmutz verursachten, zu verbieten. Parkwächter beendeten Spiele, die im Park generell oder speziell sonntags verboten waren.150 In der Mitte des 19. Jahrhunderts blieben den Londonern zur Erholung im Freien und somit auf den Grünflächen in ihrer Stadt in erster Linie die Royal Parks, damals noch puristisch im Stile des englischen Landschaftsgartens fast ohne Blumen, außerdem die Squares und die Commons. Seit den fünfziger Jahren weitete sich der öffentliche Raum durch neue Parks, botanische Gärten, Friedhöfe und Erholungsgebiete immer weiter aus, während Begriffe wie Fest und Freizeit neu definiert und die »mental maps of residents« neu konfiguriert wurden.151 Die Mittelklasse sah es als ihre Mission an zu zivilisieren und nicht zu kontrollieren. Auch wenn dies einige Sozialreformer anstrebten, blieb die soziale Kontrolle ein Wunschtraum.152 Verbesserungen ließen sich allmählich erkennen. Die Mittelklasse gratulierte sich bereits zu ihrem Erfolg, wie ein Beobachter in der Grafschaft Lancashire der späten sechziger Jahre: »The lavish provision of public parks, pleasure grounds, baths and free libraries in all the Lancashire towns, testifies that the corporate authorities are not unmindful of their obligations to promote the health, happiness and culture of the industrial order.«153 Auch in London entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts neue, typisch viktorianische Parks. Diese Public Parks sind letztlich vielleicht charakteristischer für die Parks des Jahrhunderts als die Londoner Royal Parks, die ihre Prägung in früheren Jahrhunderten erhalten hatten. Unter den viktorianischen Neuschöpfungen sind vor allem drei zu nennen: der Victoria Park, der Crystal Palace Park und der Battersea Park. Ihnen war gemein, dass sie außerhalb des innerstädtischen Bereiches, also in Vororten, teilweise sogar in Wohngegenden der Unter150 | Vgl. Bailey: Leisure, S. 84. 151 | Vgl. R.J. Morris/Richard Rodger: »An Introduction to British Urban
History, 1820-1914«, in: dies.: Victorian City, S. 22. 152 | Vgl. H.E. Meller: Leisure and the Changing City, 1870-1914, London
1974; A.P. Donajgrodski (Hg.): Social Control in Nineteenth-Century Britain, London 1977; F.M.L. Thompson: »Social Control in Victorian Britain«, in: Economic History Review 34, 1981, S. 189-208. 153 | Zit. nach: Bailey: Leisure, S. 82.
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schichten lagen, und z.T. in besonderer Weise deren Erwartungen erfüllen sollten. Der erste Public Park, der in viktorianischer Zeit in London neu entstand, war der 1845 von Königin Viktoria eröffnete und nach ihr benannte Victoria Park in Hackney. Die von der Regierung geplante Anlage kam zunächst verwaltungstechnisch unter die Kontrolle des Royal Board of Works, galt demnach zuerst als Royal Park, um später, nach dessen Gründung 1856, in die Obhut des Metropolitan Board of Works überzugehen. Die Kosten für das Terrain in Höhe von 72.000 Pfund stammten vom Verkauf des Stafford House durch die Regierung an den Herzog von Sutherland. Das Geld für die Parkanlage selbst erbrachte eine Lotterie. Der Victoria Park lag im East End und damit in einem Arbeitergebiet, ein Novum. Der Ort war bewusst gewählt, denn die Bewohner des East End, d.h. von Bethnal Green, Hackney, Bow und Whitechapel, sollten diesen Park nutzen. Sie hatten nur wenig Freizeit, arbeiteten in überfüllten Werkräumen und lebten in schlecht belüfteten Unterkünften. Es bestand die Überzeugung: »Such people know best how to appreciate the contrast between their usual surroundings and the beauties of Nature […]. The pure air, green grass, trees, shrubs, and bright flowers are nowhere more prized than at the East End.«154 Die Größe des Parks betrug etwas über 290 Morgen, und die Parkanlage wurde sehr abwechslungsreich gestaltet, um eine größtmögliche Zahl von Spazierwegen zu schaffen. Es gab z.B. einen »valley-walk«, der zu einem See mit kleinen Inseln führte, Brücken, künstliche Felsformationen mit alpinem Pflanzenwuchs, exotische Bäume wie Palmen, Pinien, Zypressen, Tulpenbäume und Zedern und sehr viele kunstvoll angelegte Blumenbeete. Doch die Attraktivität des Parks stieg gerade dadurch, dass ein Cricketplatz angelegt, der See für Bootsfahrten und Schwimmen zugänglich gemacht und zudem ein »Gymnasium« geschaffen wurde, das vielfältige sportliche Aktivitäten ermöglichte. Dass die Arbeiter aber vor allem den Genuss der Natur schätzen würden, glaubte der Gartenhistoriker Nathan Cole ganz fest, der sich 154 | Nathan Cole: The Royal Parks and Gardens of London. Their History
and Mode of Embellishment, London 1877, S. 27.
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Abbildung 4: Ansicht des Crystal Palace Park in Sydenham, nach dem Gemälde von James Duffield Harding, 1853
Quelle: Royal Institute of British Architects, The British Architectural Library Drawings Collection, zit. nach: Hobhouse, »Prinz Albert«, S. 96.
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zwanzig Jahre später äußerte. Über das gute Benehmen der Arbeiter im Victoria Park war er ganz begeistert: »They look upon the park as their own property, and the authorities do what they can to foster a taste for floriculture. It is evident also that plants are valued by the people of the East.«155 Die Behörden erlaubten z.B., dass mit Genehmigung Blumen geschnitten werden durften, und Tausende von Anfragen gingen ein. Um die Arbeiter selbst zum Gärtnern anzuregen, bot die Parkleitung Hilfe und Ratschläge an, z.B. indem im Park gezüchtete Pflanzen bei lokalen Blumenschauen gezeigt wurden. Das Resultat dieser Förderung sei offensichtlich, so Cole, denn die Arbeiterklasse stelle mittlerweile selbst Pflanzen aus, die jeder Blumenschau im West End zur Ehre gereichen würden. Vorbildlich war die Summer Flower Show der Royal Botanic Society of London, die seit 1832 im Regent’s Park ihren eigenen Garten hatte, und als eines der populärsten gesellschaftlichen Ereignisse der »London Season« galt.156 Für den Crystal Palace der Weltausstellung wurde 1852 nicht irgendein Standort gewählt, sondern wieder ein Park, entworfen von Joseph Paxton. Ein Gemälde von James Duffield Harding, 1854 in der Royal Academy ausgestellt, »shows a vulgar conglomeration of those very features that the wealthy landowners and entrepreneurs of the day were demanding of their garden designers«.157 Der neue Park, der den Namen des Ausstellungsgebäudes trug, bildete geradezu eine Antithese zur Natürlichkeit des englischen Landschaftsgartens à la Capability Brown. Ein Überfluss an Gartenornamenten und -dekorationen, Brunnen, Wasserspielen, Gewächshäusern und Pflanzenarten, eine Opulenz also, die auch die Häuser und Inneneinrichtungen der Viktorianer kennzeichnete, galt nun als das Nonplusultra guten Gartendesigns. Folglich nahm das Vorbild dieses Parks nicht nur Einfluss auf zahlreiche öffentliche Parks, sondern en miniature zudem auf die zahlreichen Vorstadtgärten, die nun entstanden. Doch schon gegen Ende der siebziger Jahre äußerten Gartenken155 | Cole: Royal Parks, S. 27. 156 | Vgl. Williams: Royal Parks, S. 215. 157 | Hilary Hockman: Edwardian House Style. An Architectural and In-
terior Design Source Book, London 1994, S. 180.
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ner immer mehr Vorbehalte. Nathan Cole betont zwar die Popularität dieses Parks als Vergnügungsstätte, will ihn allerdings nicht in einem Atemzug mit den königlichen Parks nennen. Crystal Palace Park allerdings zu unterschlagen, wäre nicht »fair«, denn als eine seiner Hauptattraktionen sind die Blumenbeete des Parks durchaus erwähnenswert.158 Zwar zeichnete sich die Anlage auch durch eine üppige Parkanlage aus, doch ihre Anziehungskraft für die breite Masse beruhte wohl mehr auf den ungewöhnlichen Attraktionen. Im Crystal Palace Park fanden alle möglichen Veranstaltungen statt, von Blumenausstellungen bis zu Hundeschauen. Der Crystal Palace Park muss aber aus einem weiteren Grund als ein recht außergewöhnlicher Park gelten, denn hier spielten auch künstliche Dinosaurier, genauer eine Sammlung prähistorischer Tierfiguren, eine Rolle. Die neunundzwanzig viktorianischen Monster, darunter ein Ichthyosaurus, ein Megalosaurus und ein so genannter »Giant Sloth«, die noch heute bewundert werden können, bestehen aus Ziegeln, Eisen und Stuck. Sie lauern im Wasser, bewachen die Insel und spähen hinter Büschen am Ufer hervor. Sie wurden in den Jahren 1852-53 für den Park entworfen, und zwar von Benjamin Waterhouse Hawkins unter Aufsicht des Zoologen und Paläontologen Professor Richard Owen. Am Silvesterabend 1853 wurde als Eröffnungsfeier in der unteren Hälfte des Iguanodon ein Bankett für einundzwanzig Männer abgehalten.159 Heute eine Kuriosität bieten die Modelle dennoch einen greifbaren Ausdruck der Wissenschaftsbegeisterung – und dem Unterhaltungsbedürfnis – der viktorianischen Zeit. Eine hitzige Diskussion entbrannte in der Entstehungsphase darüber, ob in diesem neuen Park Alkohol ausgeschenkt und ob er auch an Sonntagen geöffnet werden sollte. Dies war die erste große Gelegenheit, die Londoner mit einem »large drink-free suburban weekend pleasure ground« zu versorgen. Manche glaubten: »If sabbatarians kept the place closed, or if temperance reformers kept it dry, the alternative was drunken sabbath-breaking at London’s many suburban 158 | Vgl. Cole: Royal Parks, S. 53, 56ff. Dort sind vier Beispiele abge-
druckt. 159 | Vgl. Brace: London Parks, S. 98.
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public-house tea-gardens – not pious and domestic respectability.«160 Ein halbes Jahrhundert erfreute sich der Crystal Palace Park als Ausflugsziel großer Beliebtheit, doch dann blieben die Besucher auf einmal aus. Die Betreiber mussten sich besondere Attraktionen ausdenken, um das Publikumsinteresse wieder anzustacheln. Der Crystal Palace, das »viktorianische Walhalla«,161 brannte am 30. November 1936 aus und stand dazu nicht mehr zur Verfügung. Der Battersea Park am Südufer der Themse wurde 1858 von Königin Viktoria eröffnet. Auch hier spielte der Gedanke eine Rolle, die Unterschichten südlich der Themse durch die Schaffung eines Naturraums zur gesunden Erholung zu zivilisieren und letztlich besser unter Kontrolle zu haben. Die Idee zu diesem Park entstand, als die Regierung 1851 das ca. 200 Morgen große Areal für 11.000 Pfund erwarb. Der fast rechteckige Battersea Park folgt hinsichtlich seiner Anlage den bisher beschriebenen viktorianischen Standards. Hier stand allerdings ein Fluss mit fünf Seitenarmen im Mittelpunkt des Konzepts, zudem gab es einen zwei Kilometer langen Reitweg und Fahrwege für Kutschen. Dies wie das Fehlen von Sportmöglichkeiten legt nahe, dass letzten Endes auch Besucher der Mittelklasse durch diesen Park angesprochen werden sollten. Abwechslung und Überfluss bestimmten den Entwurf von John Gibson, der zwischen »picturesque and secluded appearance« auf der einen und »ornamental appearance« auf der anderen Seite oszillieren sollte.162 Besonderes Kennzeichen dieses Parks bildete also die typisch viktorianische Mischung aus Landschaftspark und opulenten Gartenornamenten. Seine Berühmtheit erlangte der Battersea Park allerdings durch »the display of the different styles of sub-tropical gardens«, was den Volkspark, laut Nathan Cole, zum »most beautiful park«163 machte.
160 | Brian Harrison: »Pubs«, in: H.J. Dyos/Michael Wolff (Hg.): The Vic-
torian City. Images and Realities, Bd. 1: Past and Present and Numbers of People, London 1976, S. 174. 161 | Netzer: Albert, S. 269. 162 | Cole: The Royal Parks, S. 31. 163 | Ebd., S. 34.
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Abbildung 5: Battersea Park in Südlondon, 1877
Quelle: Cole: The Royal Parks, o.P. (zwischen S. 30 und S. 31).
Die pädagogische Wirkung von Parks und Gärten wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch immer stärker betont. Der Gartenhistoriker Nathan Cole meinte 1877, dass öffentliche Parks mittlerweile unverzichtbar für große Städte geworden seien. »Public gardens […] are not only delightful mediums for instruction in botanical sciences, but among the greatest of advantages that can be bestowed on a people, abounding as they do in objects of interest that generally make lasting impressions on the mind.«164 »Gardening« entwickelte sich im 19. Jahrhundert tatsächlich zu einer britischen Nationalbeschäftigung, ja einem typisch britischen Hobby. Manche beschreiben es heute sogar als »die größte Passion der Engländer«.165 In viktorianischer Zeit fand es große Verbreitung, nun nicht mehr nur eine Beschäftigung der Reichen, die sich ihre Gärten von Gartenarchitekten konzipieren ließen, oder von Armen, die einen Nutzgarten brauchten, um ihre Ernährung zu bestreiten bzw. zu ergänzen. Selbst die Mittelklasse begann 164 | Ebd., S. 52. 165 | Helmut Ahrens: London: Pracht, Macht und Alltag, Braunschweig
1987, S. 229.
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nun mit der Anlage von Blumengärten aus rein ästhetischen Gründen. Die Tendenz wurde unterstützt durch die Popularisierung von Wintergärten und Gewächshäusern infolge der Weltausstellung und des Crystal Palace. Großbritannien hatte als Kolonialmacht bevorzugten Zugriff auf eine Vielfalt exotischer Pflanzen, bald begehrte Objekte von Sammlern und Gartenfreunden. Die Opulenz des »Crystal Palace Gartenstils« führte schließlich in den siebziger Jahren zu einer Gegenreaktion. Vor allem durch das Arts and Crafts Movement beeinflusst, lehnten jüngere Gartendesigner diesen Stil ab und wandten sich älteren Vorbildern zu. Zwei gegnerische Lager entstanden: Das eine Lager, angeführt von William Robinson, nahm sich den »old style of cottage garden« zum Vorbild, während sich das andere unter der Führung von Sir Reginald Blomfield den »formal gardens of the past«, d.h. den französischen und italienischen Gärten der Renaissance und des Barock, zu wandte.166 Letztere legten allerdings viel größeren Wert auf historische Genauigkeit als die Mittviktorianer und reduzierten folglich den Überfluss an Pflanzenarten und -farben erheblich. Diese ›neuen‹ Gartenstile gefielen vor allem den Eduardianern bei ihrer Suche nach Leichtigkeit und Einfachheit. Während die Steifheit und Formalität aus den privaten Gärten allmählich verschwand, blieben sie doch ein wesentliches Merkmal der öffentlichen Parks. Die Tradition des »carpet bedding« hielt an, trotz hoher Kosten, und erst 1904 wurde dies z.B. im Hyde Park aufgegeben. Für einen öffentlichen Garten in einem innerstädtischen Gebiet war die Anlage von Beeten auch mehr oder weniger notwendig, um den Garten frisch und gepflegt aussehen zu lassen. Anfang des 20. Jahrhunderts feierte sogar die Anlage von Beeten noch einmal ein großes Revival durch die Einführung des so genannten »three-dimensional or sculptural bedding«.167 Anlässlich der Krönung Georgs V. im Jahre 1911 schmückten sich öffentliche Parks mit Blumenkronen. Interessanterweise kehrten die Gardendesigner dann Anfang des 20. Jahrhunderts z.T. zu den Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts zurück. Brent Elliott hält dies in seinem Buch über »Victorian Gardens« für eine vorzügliche Ironie: »The rebellion against the eigh166 | Vgl. Hockman: Edwardian House Style, S. 180. 167 | Ebd., S. 183.
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teenth-century landscape parks at the beginning of the nineteenth century had resulted in attempts to bring back the gardening styles of the past, and after a century in this historical revivalism, the movement ended by resurrecting the very style it had begun by reacting against.«168 Nachdem um die Mitte des 19. Jahrhunderts in London und vielen anderen britischen Städten schon zahlreiche öffentliche Parks entstanden waren, schenkten die Reformer dem Erhalt freier Flächen prinzipiell ab den siebziger Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. In London wurde 1870 durch Gewerkschafter und mittelständische Freunde der Arbeiterschaft die »People’s Garden Company« gegründet. In der Mitte des Jahrzehnts schuf Octavia Hill mit anderen Philanthropen das »Open Space Movement«, dessen Manifeste nicht nur die Notwendigkeit von Freiluftsport für die Gesundheit der einfachen Leute betonten, sondern überdies auf den Mangel an freien Flächen für Sport in den Städten hinwiesen. Dort, wo öffentliche Parks existierten, war nämlich Sport zu diesem Zeitpunkt noch oft verboten. Politiker wie Lord Brabazon und andere unterstützten diese Ziele, um die militärische Schlagkraft der Nation zu verbessern.169 Denn in diesen Jahren setzte verstärkt eine weitere Argumentationskette für Parks und freie Flächen in der Stadt ein: Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen, in die viele europäische Nationen in den sechziger Jahren verwickelt waren, entwickelte sich die Volksgesundheit, also die physische Konstitution der Bevölkerung, zu einem immer wichtigeren Argument. Dass die Gesundheit der Stadtbewohner viel zu wünschen übrig ließ, wurde betont: zum einen bei Angestellten, die in ihren Berufen nicht genügend Bewegung hatten, aber vor allem bei Arbeitern aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen. Es beunruhigte Ärzte und Rekrutierungsbüros, dass die Freiwilligen oft die Anforderungen für den Militärdienst nicht erfüllten. Spiele und körperli168 | Brent Elliott: Victorian Gardens, Batsford 1986, zit. nach: Hockman:
Edwardian House Style, S. 183. 169 | Vgl. J. Johnston: Parks and Playgrounds for the People, London 1885;
C.L. Lewis: »How to Ensure Breathing Space«, in: Nineteenth Century Bd. 21, 1887, S. 677-682. Vgl. auch allgemein S.M. Gaskell: »Gardens for the Working Class«, in: Victorian Studies Bd. 23, 1980, S. 479-501.
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che Ertüchtigung zu fördern, wurde also zu einem nationalen Anliegen.170 Dies konnte aber zum einen durch die Einführung von Sport in den Schulunterricht gelingen – doch hier tendierten die Behörden zuerst eher für den reinen Drill. Zum zweiten konnte dies durch die Schaffung weiterer Parks und Anlagen erreicht werden, in denen körperliche Ertüchtigung möglich war.171
5.2 Verwaltung, Personal und sportliche Nutzung Für die Reformer gab es seit Mitte des 19. Jahrhunderts über das Parlament hinaus auch einen zentralen Ansprechpartner. Nachdem nämlich über Jahrhunderte die vielen einzelnen Gemeinden Londons sich selbst verwaltet hatten, übernahm ab 1856 das »Metropolitan Board of Works« (MBW) die Verwaltung der Stadt, wobei allerdings die City of London außen vor blieb. Eine der Aufgaben des Board bestand in der Erhaltung nicht bebauter Flächen im Interesse der breiten Öffentlichkeit. Während die Royal Parks zum Kronbesitz gehörten und unter der Kontrolle des Royal Office of Works blieben, übernahm das MBW nun die Verantwortung für einen Teil der Parks und offenen Flächen. Dies geschah aber nicht gleich im Jahre 1856, sondern erst einige Jahre später.172 Im Jahre 1887 übertrug die Regierung die Battersea, Kennington und Victoria Parks auch dem Metropolitan Board of Works. Dies folgte einer Weigerung des Parlaments, Steuergelder für die Erhaltung dieser Londoner Parks bereitzustellen. Im Jahre 1888 standen immerhin 2.600 Morgen offener Flächen unter der Kontrolle des MBW, davon 1.100 Morgen nördlich und 1.500 südlich der Themse.173 Als dann 1889 der London County Council (LCC) die Verwaltung der Agglomeration, die nun Greater London genannt wird, übernahm, unterstanden dem Council durch zahlreiche Eingemeindungen 157 170 | Vgl. zu dem Komplex Angela Schwarz: »Zuschauen allein macht
nicht fit. Sportbegeisterung und Kulturkritik in Großbritannien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert«, in: Quadratur. Kulturbuch, Heft 3: Sportwelten, 2000, S. 141-157. 171 | Vgl. Bailey: Leisure, S. 126 und S. 130. 172 | Vgl. Gibbon/Bell: History, S. 29. 173 | Vgl. ebd., S. 39.
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offene Flächen mit einem Umfang von 5.295 Morgen.174 Die progressive Mehrheit im gewählten LCC nahm sich nun mit Enthusiasmus der Versorgung mit Parks und freien Flächen an. Erfolgreich war sie 1894 bei Lincoln’s Inn Fields und Hackney Marshes. Waterlow Park wurde 1889 von Sir Sidney Waterlow gestiftet und Hainault Forest 1903 gekauft, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Progressiven blickten in den Anfangsjahren des LCC mit Stolz auf die Übernahme von weiteren freien Flächen für Sport und Erholung. Sie lobten das als »municipal hospitality«, vor allem im Gegensatz zur City Corporation, die die City verwaltete. Doch dies war unfair, denn immerhin sicherte die den Epping Forest für die Allgemeinheit. Die Royal Parks, mit Ausnahme des Regent’s Park, blieben allerdings außerhalb der Kontrolle des LCC. Ihr Erhalt unterstand weiterhin dem Office of Works. Das LCC versuchte einmal, die Kontrolle über den Hyde Park zu bekommen, um die Redefreiheit am Marble Arch und politische Demonstrationen im Park besser überwachen zu können. Im Jahre 1889 fand eine entsprechend langwierige Debatte statt, die sich vor allem mit der Regulierung politischer Demonstrationen im Hyde Park und auf dem Trafalgar Square im Sinne des öffentlichen Friedens und der Sicherheit befasste.175 Das Recht der freien Rede im Hyde Park und generell seine traditionellen Rechte blieben allerdings unangetastet. Die Versorgung Londons mit offenen Flächen und deren Nutzung unter der Ägide des LCC war eine zweiseitige Entwicklung: Zum einen nahm die Zahl und Größe der offenen Flächen, die der Öffentlichkeit zugänglich waren, zu, zum anderen fand eine Ausweitung der Möglichkeiten statt, die diese Flächen zur Erholung boten. Das hieß, sie wurden in dieser Richtung viel intensiver entwickelt als noch in den achtziger Jahren. Die Tendenz resultierte nicht nur aus der Tatsache, dass immer mehr Menschen freie Zeit hatten, auch während des Tages, sondern aus einem zunehmenden Gesundheitsbewusstsein. Die breite Öffentlichkeit war sich der Bedeutung von frischer Luft, Sport und Spiel für die Gesundheit viel bewusster als ihre Vorfahren. »The desire to seek sunshine and activity has in general helped to 174 | Vgl. zu den Zahlen ebd., S. 501 und Zitat im Folgenden ebd. 175 | Vgl. Council Minutes, 18. Juni 1889, S. 444, zit. nach: ebd., S. 505.
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bring about an improvement in public health, in this achievement the provision of more open spaces has been an essential ally.«176 Da es sich nicht nur der Bedeutung für die Konstitution der Nation, sondern auch der Gefahr bewusst war, die eine unbegrenzte Bebauung freier Flächen in London mit sich bringen würde, erließ das Parlament 1906 den »Open Spaces Act«. Obwohl natürlich in London immer weiter gebaut wurde, hatte sich das Verhältnis von freien Flächen zur Einwohnerzahl verbessert. Im Jahre 1889 stand 782 Personen ein Morgen freier Fläche zur Verfügung, 1939 war es ein Morgen für 519 Personen.177 Auch wenn viele Menschen recht weit von Parks entfernt wohnten und somit der Zugang beschränkt blieb, halfen hier die Schnelligkeit und die sinkenden Preise der öffentlichen Verkehrsmittel.178 Das weitere beständige Anwachsen offener Flächen in der Metropole London zeigen die Zahlen von 1939: Damals verfügte die Stadt über 464 offene Flächen mit insgesamt 7.889 Morgen.179 Die stetige Bebauung Londons, vor allem im Vorortbereich, führte letztlich aber nicht zu einer entsprechend vermehrten Versorgung mit Parks. Ein prinzipielles Problem waren und sind die extrem hohen Bodenpreise in London und die Folgekosten. Schon 1891 erkannte der LCC die Gefahr, dass nicht genügend neue Parks geschaffen werden konnten. Der Council stellte fest, »that it be referred to the Parks and Open Spaces Committee to consider the desirability of the Council drawing the attention of Parliament, by petition or otherwise, to the need of statutory control and direction as to the extension of building in the suburbs of the county of London and in the adjacent parts of neighbouring counties, as affecting the health and sanitary condition generally of the metropolis«.180 Daraus wurde allerdings nichts, und die Situation verschlechterte sich, bis 1935 die Entstehung eines so genannten »green belt« ins Auge gefasst wurde.181 Der Plan war aller176 | Ebd., S. 501. 177 | Vgl. ebd., S. 502. 178 | Vgl. zu den Betriebskosten der Flächen ebd., S. 183f. 179 | 1939 verwaltete der LCC 94 offene Flächen mit 4.814 Morgen, der
Metropolitan Borough Council 344 mit 637 Morgen. Vgl. ebd., S. 501. 180 | Council Minutes vom 28. Juli 1891, S. 884, zit. nach: ebd., S. 503. 181 | Vgl. ebd., S. 509f.
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dings schon sehr alt: Bereits Elizabeth I. hatte 1580 verboten, in einem Radius von drei Meilen um die Londoner Stadtmauer neue Gebäude zu errichten. Doch in den folgenden zwei Jahrhunderten hielten sich nur wenige daran und riskierten die Strafgelder. Spätere Proklamationen hatten ebenfalls wenig Erfolg. Im Jahre 1800 wurde festgelegt, dass 5 Meilen von Charing Cross entfernt ein Gürtel freies Land erhalten bleiben sollte, und 1914 wollte man einen 15 Meilen von Charing Cross entfernten Gürtel etablieren. Doch nach dem Ersten Weltkrieg blieb ein solcher Grüngürtel zunächst Wunschdenken, bis der Plan im Jahr 1935 erneut aufgenommen wurde. Darüber hinaus hatten Reformprojekte wie die »Gartenstädte« eine lange Vorgeschichte. Ebenso wie Ebenezer Howard, der sich schon vor der Jahrhundertwende für diese Siedlungsform eingesetzt hatte, engagierte sich der Schotte Patrick Geddes. Wenn die bestehenden Städte mit den beiden Notwendigkeiten Wirtschaft und Humanität ausgesöhnt werden sollten, dann müsse die zukünftige Entwicklung »capable of increasingly conscious evolution« sein, d.h. das quantitative Wachstum mit einem qualitativen Fortschritt verbinden. Mit Unterstützung des aus Schottland stammenden amerikanischen Millionärs Andrew Carnegie, der selbst aber nur sehr oberflächliche Vorstellungen hinsichtlich konkreter Verbesserungsmaßnahmen hatte (»more sweetness and light into the lives of working people«), etablierte sich Geddes durch die Publikation von »City Development. A Study of Parks, Gardens and Culture Institutes« (1904) als wichtiger Reformer, dessen Arbeiten und Einfluss sich in der halben urbanisierten Welt verbreiteten.182 Auf der Suche nach einer Alternative zur Gegenwart zielten seine Ideen darauf ab, aus der urbanisierten Welt »the best in each place in its fitness and beauty«183 zu machen. Mit der Übernahme der Verantwortung für einen Teil der Londoner Parks durch das LCC setzte auch im Hinblick auf ihr Personal 182 | Vgl. Eric E. Lampard: »The Urbanizing World«, in: Dyos/Wolff: Vic-
torian City, Bd. 1, S. 31. Vgl. auch unten den Abschnitt über Parkanlagen in Spanien, Kapitel 3.3. 183 | Lampard: »Urbanizing World«, S. 32. Zur Ausformung dieser Idee in
den USA schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. den Abschnitt über Frederick Law Olmsted und New York in diesem Band, besonders Kapitel 3.2.
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allmählich eine positive Entwicklung ein. Im Jahre 1889 gab es in der Parkverwaltung nur fünf Mitarbeiter und im Außendienst gerade einmal 340. Unterbesetzung war folglich ein permanentes Problem, mit dem sich der LCC beschäftigen musste. Bis zum Jahre 1939 schaffte es der LCC immerhin, in der Verwaltung 55 und in den Parks 1.430 Angestellte zu beschäftigen. Seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die Parks von Wächtern in einer Polizeiuniform, ab 1903 in einer speziellen Wächteruniform, patrouilliert. Ihre Pflichten beschränkten sich zuerst auf die allgemeine Überwachung der Parks, doch weitete sich ihr Aufgabenbereich im Laufe der kommenden Jahre immer mehr aus, nun detaillierter festgeschrieben. Die Parkwächter mussten sich dann außerdem mit der Sauberkeit und dem guten Erscheinungsbild der Parks befassen. Ihre Aufgaben wurden immer vielfältiger, die Liste des Verbotenen war lang. In den vom LCC 1899 für die Parks erlassenen Vorschriften galt etwa als unerlaubt: »Tents, drying of clothes, beating of carpets, washing of clothes and dogs, […] acts of indecency or nuisance, distributing bills or selling articles, collecting money, […] playing games except where allowed, […] holding public meetings except of parks set aside for the same, […] practising gymnastics without proper authority or in any way interfering with the public comfort«.184 An diesen Regeln, vor allem aber am Sonntagsverbot für Spiele und Sport, wurde mittlerweile heftige Kritik geübt. Bereits seit den siebziger Jahren schauten einige Reformer auf den Kontinent und empfahlen nicht nur den deutschen Volksgarten und den Kopenhagener Tivoli als Vorbilder, sondern hielten vor allem die Aufgabe des Sabbatgebots, angesichts sich völlig harmlos gestaltender kontinentaler Sonntage für sinnvoll.185 Doch das Problem blieb noch Jahrzehnte bestehen. Stewart Headlam, ein anglikanischer Geistlicher und LCC-Ratsmitglied, meinte 1904, dass zu viele Regeln die »healthy, manly games in these days of alleged physical degeneracy« verhindern würden. »All these restrictions tend to prevent many Londoners of using their own property at all; […] The LCC […] sets such a bad example in these matters, […] it might let them use the Parks for 184 | Zit. nach: Susan D. Pennybacker: A Vision of London, 1889-1914:
Labour, Everyday Life and the LCC Experiment, London 1995, S. 194. 185 | Vgl. Bailey: Leisure, S. 82.
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recreation on Sundays.« Dahinter sah Headlam ein generelles Problem. Er warnte vor »municipal puritanism«, einer Denunziation der Freiheit in manchen progressiv-sozialistischen Kreisen, die stark an die Zeiten des Commonwealth unter Oliver Cromwell erinnere. »The appetite for managing other people’s lives in the interest of supposed morality grows by what it feeds on, and it is not difficult to imagine the advent of a Puritan morality which will for the time make short work of things more important than music halls and public houses and Sunday games.«186 Die Arbeit der Parkwächter wurde durch die unzähligen Regeln natürlich anstrengender. Der Superintendent des Victoria Park beklagte sich z.B. im Juli 1895 über einen »most heavy and trying day«,187 an dem unzählige Meetings, z.B. von politischen und religiösen Gruppen, aufgelöst werden mussten. Parkbesucher, die kein Verständnis für die Gruppen zeigten, hatten sich beständig beschwert. Übereifer der Beamten und damit die Gefahr, sich immer weiter von den Besuchern und ihren Bedürfnissen zu entfernen, lehnte der LCC allerdings ab. In einer »Vertraulichen Mitteilung« an die Angestellten wurde betont, dass Übereifer unangebracht sei. »Most of the by-laws are intended to be put into force only when nuisance or damage is arising from the infraction of them.«188 Der LCC sorgte dann tatsächlich für den Ausbau der offenen Flächen mit Möglichkeiten für Sport, Spiel und Musik. So gab es 1888 unter dem MBW nur 63 Kricketfelder, 12 Fußballplätze, 36 Tennisplätze und 100 Veranstaltungen von Kapellen usw. Im Jahre 1891 hatten sich unter der Ägide des LCC die Zahlen bereits enorm gesteigert: Es existierten mittlerweile 281 Kricketfelder, 79 Fußballplätze, 331 Tennisplätze und 446 Veranstaltungen wie Konzerte hatten in den öffentlichen Parks stattgefunden.189 Für die Fußball- und Hockeyfelder 186 | Stewart Headlam: On the Dangers of Municipal Puritanism, London
1904, S. 13, zit. nach: Pennybacker: Vision, S. 194f. Vgl. auch F. Bettany: Stewart Headlam, a Biography, London 1926. 187 | Zit. nach: Pennybacker: Vision, S. 195. 188 | LCC, Pos, Vol. 1, Parks staff regulations, 1903, S. 76, zit. nach: ebd.,
S. 198. 189 | Vgl. die Tabelle bei Gibbon/Bell: History, S. 506.
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wurde bis 1913 nur das Gelände markiert, aber Mannschaften konnten auch ihre eigenen Spielfelder eingrenzen. Die Torposten mussten die Mannschaften bis 1920 allerdings selbst stellen. Für die Tennisplätze markierte der LCC zuerst nur die Felder, doch ab 1894 stellte er auch die Posten, die Spieler hatten (bis 1921) noch das Netz mitzubringen. Balljungen, ab 1893 registriert und ausgestattet mit Armbinden des LCC, konnten gemietet werden. Die vom LCC angebotenen Requisiten für Spiele aller Art waren bis 1915 kostenlos, wurden also vom LCC bezahlt – wobei Sonntagsspiele im Park noch immer zu Kontroversen führten. Bis 1922 zählten zu den erlaubten Erholungsaktivitäten am Sonntag nur Bootfahren (in zwei Parks), Baden, Modellschiffe fahren lassen, Drachensteigen und Rollschuhfahren. Ab 1922 durften im Winter nach ein Uhr und im Sommer nach zwei Erwachsene im Park Spiele veranstalten und den ganzen Tag Bootfahren. Schwimmen in Londoner Parks wurde in größerem Unfang allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg gefördert. Immerhin gab es ab 1890 eine Möglichkeit hierzu an der Themse, und zwar am Victoria Embankment. Neu hinzu kam in den neunziger Jahre der Enthusiasmus für einen neuen Sport, das Fahrradfahren (»cycling craze«), sorgsam dokumentiert in den Protokollen des LCC. Interessierte Neulinge, die ihn erlernen und ausüben wollten, konnten sich im Battersea Park Fahrräder mieten. Nicht nur Anfänger und erprobte Radler begrüßten, dass 1904 in den Parks »motorcars emitting offensive odours«190 verboten wurden. Musikdarbietungen wurden vor dem Jahre 1890 in den Public Parks, im speziellen Kapellen, von der »National Sunday League« und anderen gemeinnützigen Organisationen finanziert. Ab 1890 begann überdies der LCC, dafür Geld zur Verfügung zu stellen. Die Genehmigung von größeren Konzertaufführungen in den Parks datiert aus dem Jahre 1918, aber der LCC selbst hatte bis 1935 kein Recht, Geld dafür auszugeben. Der Council kümmerte sich jedoch nicht nur um die Jungen und Aktiven, sondern ebenso um diejenigen, die Ruhe, Entspannung und Erholung suchten. Die englische Gartenkunst, die mittlerweile breite Würdigung fand, entwickelte sich weiter und spielte auch unter der Leitung des LCC eine wichtige Rolle. Man verabschiedete sich von den alten ste190 | Zit. nach: ebd., S. 507.
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reotypen Arrangements mit langweiligen immergrünen Gebüschen und formalen Blumenbeeten und ging über zur modernen Praxis mit offenen Gruppierungen von blühenden Bäumen und Sträuchern und dem Entwerfen von informellen Landschaftseffekten. Vor allem bei kleineren offenen Flächen erzielte man damit hübsche Effekte, die diese Orte zu Oasen im Trubel der Metropole machten. Wie wirkten die Parks tatsächlich auf das Freizeitgebaren der Unterschichten und unteren Mittelschicht im spätviktorianischen London? Die folgenden Beispiele berühren die Bereiche Sport, Partnersuche und Pubs. Aus den Interviews, die der Sozialhistoriker Paul Thompson in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts führte, soll ein Zeitgenosse zu Wort kommen: Tom Farrow, ein aus Zentrallondon stammender Telegrammbote bei der Post, berichtete über seine sportlichen Aktivitäten in der Zeit um die Jahrhundertwende: »In the morning in the summer time we’d go to Battersea Park to have a game of cricket. We used to find kindred souls like ourselves. There was a club, we called ourselves The Owls. They called themselves the Early Birds. And they were composed of footmen and butlers and gentlemen’s servants generally. Well, then, they’d turn out and meet us perhaps at 5 o’clock in the morning.« Tom Farrow nutzte den Park allerdings auch als Kontaktbörse und Ort für Rendezvous: »Course when I was single I used to know a lot of maids […]. Probably they had one day a week or something and take ‘em for a walk in the park […]. They had to be home by nine or something like that.«191 Der Besuch von Kneipen, also Pubs, stand trotz alledem im Mittelpunkt männlicher Erholung im viktorianischen London. Pubbetreiber reagierten mit der Ortswahl für ihr Lokal auf diese Tatsache. Eine Karte aus dem Jahr 1899 zeigt, dass Pubs z.B. strategisch an den Eingängen zum Victoria Park im East End positioniert waren. Die Pubbesitzer sorgten also dafür, dass die Londoner, die am Wochenende einen Spaziergang machten, mit Alkohol und Erfrischungen gut versorgt waren.192 Interessanterweise boten manche Pubs in den Vororten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts recht vielfältige Zerstreu191 | Zit. nach: Paul Thompson: »Voices from Within«, in: Dyos/Wolff:
Victorian City, S. 70. 192 | Vgl. Harrison: »Pubs«, S. 174.
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ungen. Eine Zeichnung aus dem »Rosemary Branch« in Islington zeigt z.B. Akrobaten und Pferderennen. Die legendären Londoner Music Halls sollten einen Teil der Unterhaltungstradition, für die diese »public house tea-gardens« bekannt waren, in geschlossenen Räumen weiterführen. Denn solche »tea-gardens« hatten nur eine kurze Hochzeit, da bald immer mehr Fläche für neue Baumaßnahmen gebraucht wurde. So verloren die Pubs schnell ihre Gärten und »Aussichten«.193 Auf der anderen Seite fiel aber der Wert bzw. Umsatz eines Pubs mit der Nähe zu bebautem Terrain. Die Bauunternehmer hatten vor allem dann leichtes Spiel, wenn sich die Nachbarn solcher Vergnügungsstätten über den Lärm der Menschenmassen beschwerten. Die speziellen Vergnügungsgärten, die schon für das London des 18. Jahrhunderts so typisch gewesen waren, wie z.B. Vauxhall Gardens, verloren im Verlauf des 19. Jahrhunderts ihre gesellschaftlich höherstehende Klientel. Die Vauxhall Gardens fielen 1856 dem Eisenbahnbau zum Opfer. Am längsten hielt sich Cremorne Gardens in Chelsea, das 1879 seine Tore schließen musste, als die Lizenz wegen örtlicher Proteste nicht verlängert wurde. Die so genannten respektablen Leute hatten sich über den Lärm und die laxe Moral beschwert.194
5.3 Kriminalität, Prostitution und Homosexualität Wie in anderen Teilen der Metropole wurden in Londoner Parks natürlich auch Verbrechen begangen. Die Verbrechensrate in der Stadt stieg zwar permanent an, doch kam den Parks hierin keine herausragende Stelle zu. Soweit statistisches Material vorliegt, unterschieden sie sich in keinem feststellbaren Maße von anderen Gebieten in der Metropole. Die Öffentlichkeit sah dies z.T. anders: Ein Leser hielt in einem Brief an die Times vom 30. Juli 1864 den Hyde Park für einen Ort, »where may be seen, every day, hordes of half dressed, filthy men and women, lying about in parties and no doubt concocting midnight robberies«.195 Kleine Diebstähle standen natürlich auf der Tagesord193 | Ebd. 194 | Vgl. W. Wroth: Cremorne and the Later London Gardens, London
1907, S. 11, 44f. 195 | Zit. nach: Thurston: Royal Parks, S. 102.
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nung, doch von Raubüberfällen oder sogar Morden lesen wir in den Annalen der innerstädtischen Parks wenig. Immerhin scheinen Selbstmorde gelegentlich vorgekommen zu sein. Nicht nur die Themse war im 19. Jahrhundert ein bevorzugter Ort Verzweifelter, ihrem Leben durch Ertrinken ein Ende zu setzen, sondern auch die Serpentine im Hyde Park. In seinen Artikeln über London für Charles Dickens’ Zeitschrift Household Words verglich Andrew Wynter, ein prominenter Londoner Arzt, den Hyde Park 1852 mit einer menschlichen Lunge. Dies in metaphorischer Weise zu tun, war für Chronisten Londons nichts Ungewöhnliches, doch der Arzt Wynter meinte es im tatsächlichen Sinn. Nachdem nämlich Menschen versucht hatten, sich durch einen Sprung in die Serpentine zu töten, aber herausgezogen werden konnten, sei der Park, im speziellen »the boat-house belonging to the Royal Humane Society«, der Ort gewesen, wo sie wiederbelebt wurden. »Over the door is the basrelief of a child attempting to kindle with his breath an apparently extinguished torch […]. Baths, hot-water beds, electrifying machines, and mechanisms by which artificial breathing can be maintained, are ranged around the rooms.«196 Spielte das Bild vom Garten Eden für die Phantasie der Menschen traditionell eine Rolle, so waren Parks und Gärten auch immer mit dem Erwachen der Sexualität konnotiert.197 Zwischen dem Sündenfall im Garten Eden und der Promiskuität in den Parks der Neuzeit besteht somit ein gewisser Zusammenhang. Hatten sich adlige Liebespaare im galanten Zeitalter in eigens hierfür arrangierten Parkanlagen getroffen, so fanden in den Parks der modernen Metropolen sexuelle Aktivitäten auf einer viel profaneren Ebene statt. Dass die Parks überdies den kommerzialisierten Sex anzogen, verwundert nicht. Prostituierte arbeiteten in den Londoner Parks, seit diese existierten. Im 18. Jahrhundert war der St. James’s Park eine beliebte Arbeitsstätte für sie. Zwar wurden bei Einbruch der Dunkelheit die Tore geschlossen, doch allein 6.500 Londoner besaßen offiziell Schlüssel zum Park. Es wird eine Dunkelziffer von weiteren mehreren tausend Schlüsseln an196 | Andrew Wynter: »Hyde Park«, in: Household Words 5 (12. Juni),
1852, S. 302-304, zit. nach: Maxwell: Mysteries, S. 266. 197 | Vgl. Philip de Bay/James Bolton: Gartenkunst im Spiegel der Jahr-
hunderte, München 2000, S. 6.
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genommen, die im Umlauf waren. Auf den Wegen, die tagsüber von den Damen des Hofes genutzt wurden, spazierten und präsentierten sich am Abend die Damen des leichten Gewerbes, wie etwa James Boswell berichtet.198 Die Zahl der im Jahre 1857 in London polizeilich registrierten Prostituierten betrug ca. 8.600, während ihre Gesamtzahl allerdings auf ca. 80.000 geschätzt wurde. Der Feldforscher und Sozialreformer Henry Mayhew betonte, dass diese fünfstellige Zahl eher zu niedrig als zu hoch angesetzt sei.199 Mayhew ging davon aus, dass viele Prostituierte ihre Kunden in den Straßen des Westend suchten, z.B. vor den großen Theatern und Varietés, sich dann mit ihnen in die Parks begaben. Er widmete in seiner Studie über die Prostitution in London den so genannten »Parkwomen, or Those Who Frequent The Parks at Night and Other Retired Places« ein eigenes Kapitel. Der Bürgerliche Mayhew definierte sie folgendermaßen: »Park women, properly so called, are those degraded creatures, utterly lost to all senses of shame, who wander the paths most frequently after nightfall in the Parks, and consent to any species of humiliation for the sake of acquiring a few shillings.«200 Der Feldforscher traf sie vor allem im Hyde und im Green Park an, wo sie auf den Wegen wandelten oder auf Bänken saßen. Seiner Meinung nach bildeten diese Frauen eine besondere Klasse von Prostituierten: »They are old, unsound, and by their appearance utterly incapacitated from practising their profession where the gaslamps would expose the defects in their personal appearance, and the shabbiness of their ancient and dilapidated attire.« Der Großteil des Berichts über die »Parkwomen« besteht in der Auflistung von Fallbeispielen, in denen die Lebensgeschichten der Frauen, die er während
198 | Vgl. Boswell, zit. nach: Hibbert: London, S. 152. 199 | Peter Quennell (Hg.): Mayhew’s London Underworld, London 1987,
S. 32. Die ersten drei Teile von Mayhews Studie »London Labour and the London Poor« erschienen 1851, während der hier vorliegende vierte Band erst 1882 herauskam. Mayhew stützt sich bei den Daten auf Angaben der Metropolitan Police und auf Berichte von sozialreformerischen Gesellschaften, die sich die Bekämpfung der Prostitution zum Ziel gesetzt hatten. 200 | Henry Mayhew, zit. nach: Quennell: Mayhew’s London, S. 88.
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seiner Feldforschung interviewte, wiedergegeben werden. Ihre Biographien zeigten, und darauf legte Mayhew großen Wert, dass diese Frauen früher nicht selten in respektablen Verhältnissen gelebt hatten, sie dann aber Opfer der Umstände geworden seien. Mayhew folgerte aus seiner Untersuchung: »It is very proper that the Parks should be closed at an early hour, when such creatures as I have been describing exist and practise their iniquities so unblushingly.«201 Ihm war dabei natürlich vollkommen klar, dass damit das Problem der Prostitution nicht gelöst werden konnte. Eine andere Gruppe Marginalisierter wuchs durch die permanente Expansion der Londoner Bevölkerung seit dem 18. Jahrhundert kontinuierlich an: die Homosexuellen. Schon im 18. Jahrhundert hatte der St. James’s Park die Reputation, ein »market«, ein Treffpunkt für Homosexuelle zu sein. Im Jahre 1791 schrieb die Grand Jury of Middlesex an den Innenminister und forderte, dass der St. James’s Park in der Nacht abgeschlossen werden sollte, um »that most detestable and abominable Crime«202 zu verhindern. Im Jahre 1808 beklagte der Innenminister, man habe Personen, deren »unnatural propensities« bekannt seien, beim »loitering around St James’s Park every evening after dark« entdeckt, jeweils mit der Absicht, »making assignations with each other«.203 Im 18. Jahrhundert waren bereits Parks neben Orten wirtschaftlicher Aktivitäten in der City und vor Theatern beliebte Treffpunkte für Stricher und ihre Kunden.204 Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlagerte sich das Geschehen immer mehr aus der City ins West End. In den zur Anklage gebrachten Fällen tauchen immer häufiger Hyde Park, Green Park und andere Parks als Orte des Geschehens auf. Die zentralen Londoner Parks waren geradezu berüchtigt für homosexuelle Aktivitäten, und der Hyde Park war weithin bekannt als
201 | Mayhew, zit. nach: ebd., S. 93. 202 | Zit. nach: Richard Davenport-Hines: Sex, Death and Punishment:
Attitudes to Sex and Sexuality in Britain Since the Renaissance, London 1990, S. 86. 203 | Zit. nach: ebd. 204 | Vgl. hierzu und zum Folgenden Matt Cook: London and the Culture
of Homosexuality, 1885-1914, Cambridge 2003, S. 12ff.
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Ort für die einfachen Soldaten der umliegenden Kasernen, um Kunden aufzugabeln.205 Infolge des spektakulären Falles von Oscar Wilde beschäftigte sich um die Jahrhundertwende auch die auf dem Vormarsch befindliche Boulevardpresse immer häufiger mit den zur Anklage gebrachten Fällen. Dabei figurierten die Parks häufig als Orte des so genannten »kriminellen Geschehens«. Polizisten waren besonders angehalten, immer stärker auf alles zu achten, was zu strafbaren Handlungen führen könnte. Parkwächter animierte der LCC zwar, nach homosexuellen Aktivitäten Ausschau zu halten, doch scheinen sie weniger eifrig gewesen zu sein als die Polizei. Die Folge war, dass die vom LCC kontrollierten Parks, d.h. die zumeist außerhalb Zentrallondons gelegenen wie Victoria oder Battersea Park, zu gefahrenfreieren Treffpunkten als die Parks im innerstädtischen Bereich wurden.206 Zu klassenüberschreitenden Aktivitäten kam es aber auch an Orten in den Parks, wo sich Männer sportlich betätigten, vor allem nachdem der LCC ab 1888 immer mehr Sportplätze in den Parks zur Verfügung stellte. Auch das Morgenbad in der Serpentine im Hyde Park war für solche Aktivitäten prädestiniert. Es lockte entsprechend Interessierte an. John Addington Symonds schrieb Ende des 19. Jahrhunderts: »I used to rise from a sleepless bed, walk across the park, and feed my eyes on the naked men and boys bathing in the Serpentine. The homeliest of them would have satisfied me.«207 Neben den schon klassisch zu nennenden Parks war die Homosexualität aber auf das engste verbunden mit der städtischen Kultur. Beschreibungen solcher Aktivitäten beziehen sich vor allem auf Lokalitäten, an denen Freizeitvergnügungen stattfanden, Orte an denen sich nur Männer trafen, wie z.B. die klassenübergreifenden Sportclubs oder Plätze urbaner Innovation wie Bahnhöfe, Züge und Straßenbahnen. So kam es zu einer Überlappung von dem, was als das moderne London bezeichnet wurde und jenen Orten, die für subkulturelle Aktivitäten berüchtigt waren.208 Nicht nur Prostitution und Homosexualität wurden in Londoner 205 | Vgl. ebd., S. 25. 206 | Vgl. ebd., S. 64f. 207 | John Addington Symonds: The Memoirs of John Addington Sy-
monds, hg. von Phyllis Grosskurth, London 1984, S. 166. 208 | Vgl. Cook: London, S. 39.
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Parks bekämpft, ebenso stand gegen Ende des 19. Jahrhunderts Kindesmissbrauch auf der Agenda der Verantwortlichen. Der LCC rühmte sich, dass es den Parkwächtern zu verdanken sei, »to be rid of the lecherous loungers who made some of the parks unenjoyable for children, girls and women«. Es wurde gewarnt vor diesen Parias, die »generally well-dressed and of gentlemanly appearance«209 seien. Zwar kamen zahlreiche Fälle vor Gericht, doch die Aussagen von Kindern über Belästigungen durch Pädophile wurden nicht als beweiskräftig akzeptiert. Aussagen von unmittelbar Betroffenen galten sowieso als zweifelhaft: »It is a safe rule to believe no one when enquiring into sexual matters«,210 heißt es in den Akten eines Falles aus dem Jahre 1909, wo ›nur‹ das Zeugnis eines Kindes vorlag. Das Gericht wies den Fall folglich aus Mangel an Beweisen ab. Trotz gewisser negativer Begleiterscheinungen waren die Londoner auf ihre Grünoasen, den Erhalt der alten Royal Parks und die Schaffung neuer Parkanlagen bis 1914 zu recht stolz. Im Ersten Weltkrieg litten die Parks unter den Kriegsanforderungen, die auch vor den Parktoren nicht halt machten. Sie wurden, in Parzellen aufgeteilt, der Bevölkerung zur Selbstversorgung zur Verfügung gestellt. Das Gras wurde nicht mehr kurz gehalten, um Heu schneiden zu können. Selbst die Fische der Zierteiche dienten der Nahrungsversorgung. Nach dem Fang kamen sie in eine Tonne und konnten gekauft werden. Einige Parks nutzte die Armee gar als Luftabwehrstationen. Als der Krieg beendet war, erhielten die Grünflächen jedoch ihre früheren Funktionen zurück, eingeleitet von den dort 1918 wie schon hundert Jahre zuvor abgehaltenen Siegesfeiern.
6. Zum Ausklang: Londoner Parks zwischen Vergangenheit und Zukunft Das 19. Jahrhundert war für den Erhalt alter und die Schöpfung neuer Parks in der Metropole London eine äußerst günstige und ergebnisreiche Zeitspanne. Den Auftakt machte in London der Plan und die 209 | Zit. nach: Pennybacker: Vision, S. 191. 210 | Zit. nach: ebd., S. 192.
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Schaffung des Regent’s Park zu Beginn des Jahrhunderts. Der britische Prinzregent bzw. König wollte hiermit nicht nur seine finanziellen Probleme durch die Erschließung von Kronland beheben, sondern wünschte in seiner Hauptstadt eine Repräsentationsmeile, die in einem Landschaftspark samt Landsitz enden sollte. Die partielle Realisierung seiner Absichten zeigte allerdings schon, dass dem Monarchen selbst auf Kronland nicht alles erlaubt war. Die Politik schaltete sich dezidiert in die Nutzung dieser Flächen ein, da auf das Allgemeinwohl und schließlich auf die öffentliche Meinung nun beständig Rücksicht genommen werden musste. War der Regent’s Park zuerst nur als Refugium der Reichen geplant, so ging diese Anlage bereits rund zwanzig Jahre nach ihrer Fertigstellung in den faktischen Besitz der breiten Öffentlichkeit über. Ein weiterer großer Park trat zum Quartett der bereits bestehenden innerstädtischen Londoner Parks hinzu. Diese vier, der St. James’s Park, der Green Park, der Hyde Park und die Kensington Gardens, sind alle aus königlichen Jagdrevieren hervorgegangen, die seit dem 17. Jahrhundert Schritt für Schritt in formale Gartenanlagen bzw. englische Landschaftsparks verwandelt wurden. Sie dienten zuerst der Repräsentation der Monarchen und den Vergnügungen ihres Hofes, wurden allerdings peu à peu und spätestens im Verlauf des 19. Jahrhunderts für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Die Londoner wussten dies nicht nur zu schätzen, sie achten zugleich mit Argusaugen darauf, dass die bestehenden Parks nicht reduziert bzw. gefährdet wurden. Die Diskussion um den Privatgarten des Herzogs von Wellington im Hyde Park belegt diese Sorge der Londoner. Nur wenige Jahre später, im Jahre 1829 legte ein Gesetz fest, dass es der Krone nicht gestattet war, Kronland, das königliche Parks, Forste und Jagden bildete, zu veräußern – und untersagte damit ein lukratives Geschäft. Die Probleme, die der Metropole durch ihr permanentes Wachstum entstanden, schärften spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Bewusstsein zuerst einer Handvoll von Reformern, dann der breiteren Öffentlichkeit für die Notwendigkeit, die begrenzte Natur in der Steinwüste London zu bewahren. Bereits dem Streit um den Bau des Ausstellungsgebäudes für die Große Weltausstellung im Hyde Park lag ein naturbewahrendes, heute würde man sagen ökologisches
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Argument zugrunde: Der alte Baumbestand sollte erhalten bleiben. Mögen es primär noch ganz konkrete Eigeninteressen bestimmter Gruppen gewesen sein, die den Ausschlag gaben, so entstand im Rahmen der großen Fortschrittsschau doch ein Bewusstsein, dass weiteren Einfluss auf den Erhalt der Grünflächen in London nahm. Diesem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker werdenden Naturbewusstsein der Viktorianer verdankt London im Grunde die Bewahrung seiner einzigartigen Parks. Die Konservierung und Instandhaltung, der Unterhalt und die Vorsorge für die Kontinuität machten die Hauptbeschäftigung derjenigen aus, die im London des 19. Jahrhunderts Verantwortung für die Royal Parks trugen. Veränderungen fanden erst nach ausgiebigen Diskussionen und dann zumeist nur schrittweise statt, die Kosten wurden ja aus Geldern bestritten, die das Schatzamt, also letzten Endes der Steuerzahler, zur Verfügung stellte. Über das Naturerlebnis hinaus boten diese Parks dem Adel, aber in immer stärkerem Maße dem aufgestiegenen Bürgertum die Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Fortschritt und Erinnerung gingen Hand in Hand: Denn nicht nur Macht, Pracht und bürgerliches Selbstbewusstsein wurden hier zur Schau gestellt. Vielmehr wurde mit der Errichtung unzähliger Statuen und Denkmäler für Persönlichkeiten aus diversen Bereichen des öffentlichen Lebens parallel dazu eine Erinnerungskultur betrieben, der eine permanente Selbstvergewisserung zugrunde lag. Dem Kreis der Traditionsparks gesellte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von neuen Parks in vom Zentrum weiter entfernten Stadtteilen hinzu, die ganz bewusst in der Absicht entstanden, nicht nur dem Bürgertum, sondern ebenso der Arbeiterschaft Möglichkeiten zur Erholung und Regeneration zu verschaffen. Diese Ziele schienen angesichts der z.T. katastrophalen Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien unabdingbar. Das Naturerlebnis versprach, so die Reformer, eine positive Wirkung auf die Lebenseinstellung und die Verhaltensweisen der benachteiligten Arbeiterschaft. In der Folge hofften die Reformer und mit ihnen die Regierung auf eine Hebung der Moral samt Reduktion verschiedenster sozialer Übel, seien diese nun Kriminalität, Alkoholismus oder Promiskuität bzw. Prostitution. Die Hoffnungen waren zweifellos viel zu hoch gesteckt und unrealistisch, denn dass sich die Arbeiter nicht nur an der Natur de-
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lektieren würden, erkannten die Verantwortlichen schließlich. Konsequenterweise verbanden die bedeutendsten Parkneuschöpfungen der viktorianischen Zeit, wie z.B. der Victoria Park, der Crystal Palace Park und der Battersea Park, das Naturerlebnis mit weiteren Attraktionen wie Spiel, Sport und Unterhaltung, um die Unterschichten erst einmal anzulocken. Angesichts des breiten Interesses, dass die Briten aller Schichten bis heute an Gärten und dem Gärtnern zeigen, scheinen die pädagogischen Bemühungen durchaus Erfolg gehabt zu haben. Aus dem Wandel der Gartentheorie im 19. Jahrhundert, die dahin zielte, sogar für den kleinsten Raum Anregungen für die Gartengestaltung zu bieten, bildete sich durch die praktische Umsetzung in den viktorianischen Parks ein Grundstock von Ideen für Gärten in ganz Europa. In Großbritannien kam natürlich hinzu, dass durch die Kolonien die Flora der ganzen Welt zur Verfügung stand, die nun in Parks und Treibhäusern ausgestellt werden konnte. Dies mag eines der erfreulichsten Resultate des britischen Empire gewesen sein und kann ohne Zweifel als eines der schönsten und langlebigsten Ergebnisse betrachtet werden. Jedenfalls gab es den britischen Parks einen Hauch von Exotik, die in der Gartenkunst eher zu finden ist als in jeder anderen britischen Kunstform: »it […] contributed more subtly than we tend to think to the quality of urban life both then and since«.211 Wie viele Beschreibungen und Kommentare britischer wie ausländischer Besucher im 19. Jahrhundert zeigen, spielten die Parks für die Charakterisierung der Stadt London eine bedeutende Rolle. Kaum einer lässt sie unerwähnt, und das Lob ist groß. Die Londoner Parks prägten somit die Persönlichkeit dieser Metropole in herausragender Weise, was sich nicht nur im permanenten Gebrauch der Metaphern »Herz« und »Lunge« zeigt, sondern ebenso im Umstand, dass sogar die stolzen Franzosen deren Vorbildlichkeit anerkannten. Die Bedeutung der Parks und Gärten für die Londoner selbst in Vergangenheit und Gegenwart macht noch einmal Peter Ackroyd klar: »Das Bild des Gartens beschäftigt die Phantasie vieler Londoner. […] in diesem Sinne kam man vielleicht sagen, dass der Londoner einen Garten braucht, um sich das Gefühl des Dazugehörens zu bewahren. In einer Stadt, wo Tempo und 211 | Dyos: »Reflections«, S. 61.
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Einerlei, Lärm und Hetze charakteristisch sind und viele Häuser nach genormten Entwürfen vorgefertigt werden, kann ein Garten die einzige Aussicht auf Abwechslung bieten.«212
Bis heute sind die Londoner Parks ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes der britischen Nation und London der Ort, wo die Menschen dieses Erbe unmittelbar erleben können. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einer Zeit als der Stolz auf das schon sterbende Empire noch sehr gegenwärtig war, hieß es über die Londoner Parks: »The Parks are, in fact, one of the principal features and one of the greatest charms of London. They […] have been cultivated in the style peculiar to English gardens, in conformity with the tastes and genius of the nation. They are corners of rustic nature kept up in the heart of the town.«213 Diese Einschätzung findet heutzutage noch weitgehend Zustimmung, und die Londoner Parks werden zweifellos auch im 21. Jahrhundert als ein großes Erbe der Stadt betrachtet und bewahrt werden. In einer Zeit, in der die Einwohnerzahl die Sieben-MillionenMarke längst überschritten hat, bleibt die Bedeutung dieser grünen Oasen für das Leben in der Metropole heute zumindest ebenso offensichtlich wie für die Vorfahren im 19. Jahrhundert. »London may well be one of the greenest cities on earth, and the greenness keeps it sane.«214
212 | Ackroyd: London, S. 418. 213 | Boussard: London, S. 170. 214 | The Automobile Association (Hg.): The Book of London, Basingstoke
1979 (Nachdruck mit Änderungen 1980), S. 140.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 107
Ein »Volkspark« für die Demokratie: New York und die Ideen Frederick Law Olmsteds Angela Schwarz
1. Einleitung Wer ihm heute einen Besuch abstattet, merkt sofort, dass der Central Park in New York sich großer Beliebtheit bei Bewohnern wie Besuchern der Stadt erfreut. Er ist die grüne Insel inmitten der Häuserschluchten, das Refugium der Ruhe inmitten der Metropole, ein Ort, an dem die Menschen gerne verweilen. Die Stadt schmückt sich zu recht mit diesem stadt- und landschaftsplanerischen Meisterstück1 und Glücksfall, der seit nunmehr hundertundfünfzig Jahren das Bild Manhattans prägt. Selbst aus dem Weltall kann man ihn und seine vorteilhafte Positionierung auf der Insel gut erkennen. Es ist nicht einmal zwanzig Jahre her, dass es noch völlig anders aussah. Der Park war völlig verwahrlost, überwuchert und galt nicht
1 | Sara Cedar Miller: Central Park: An American Masterpiece. A Com-
prehensive History of the Nation’s First Urban Park, New York 2003, S. 13.
108 | Angela Schwarz
Abbildung 1: Luftaufnahme des Central Park aus einer Höhe von 180 Meilen
Quelle: NASA Johnson Space Center, zit. nach: Miller: Central Park, S. 6.
zuletzt wegen der hohen Kriminalitätsrate eher als »verbotene Zone«2 denn als beliebter öffentlicher Raum. Geldmangel und Desinteresse der Stadtverwaltungen hatten von den sechziger bis in die achtziger Jahre hinein den Verfall verursacht bzw. beschleunigt, bis eine Bürgerinitiative zu Beginn der achtziger und die besseren finanziellen Möglichkeiten der Stadt seit den neunziger Jahren den Weg zurück zu jenem Zustand eröffneten, den der Park nach den Vorstellungen seiner Schöpfer, dem Landschaftsplaner Frederick Law Olmsted und dem Architekten Calvert Vaux, haben sollte. Aber selbst in den Jahren größter Verwahrlosung gab es Stimmen, die die Bedeutung des Central Park für die Stadt unterstrichen. Der Park sei, so schrieb etwa die New York Times 1974, noch immer »the last frontier in the midst of a smoking cement and metal megalopolis«.3
2 | Verena Lueken: »Die Demokratie der Bäume«, in: Frankfurter All-
gemeine Zeitung vom 12. Juli 2003, Nr. 159, S. 39. 3 | Lucinda Franks: »An Oasis of Green in Need of Rescue«, in: New
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Die Wertschätzung für das Areal scheint sich nicht nur auf die Zeitung beschränkt zu haben, wie die Besucherzahlen der Dekade nahe legen. Jedes Jahr wollten damals 15 Millionen Besucherinnen und Besucher die Vorzüge des 4 km langen und 800 m breiten Grünstreifens auf Manhattan Island nutzen. Darin lag aber zugleich ein großer Teil des Problems begründet, denn aus der zunehmenden Beanspruchung erfolgten erhöhte Kosten für Pflege und Restaurierung. Die Bürgerinitiativen zur Wiederherstellung des früheren Zustands blickten zunächst etwas wehmütig zurück auf den Parkschöpfer und seine Zeit. Er habe sich wegen Massenzulaufs und immer deutlicheren Gebrauchsspuren nicht sorgen müssen.4 Tatsächlich erwies sich der Central Park aber noch vor Abschluss der Bauarbeiten als Besuchermagnet. Kaum eröffnet, schlenderten bereits in der Mitte der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts jährlich weit über 7 Millionen Menschen durch den Park. Sie und spätere Besucher flanierten über die von einer – kurz zuvor gepflanzten – doppelten Ulmenreihe flankierten Mall, genossen den Blick von einer der zahlreichen Brücken auf die künstlich angelegten Seen oder verwandelten zusammen mit vielen anderen Stadtbewohnern Orte wie die Bethesda Terrace in eine Bühne des Sehens und Gesehen-Werdens. Der große Zuspruch, den der Park unmittelbar erfuhr, führt direkt zu der Frage, warum die Verantwortlichen erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee eines Parks für New York aufgriffen. Aufgrund des rapiden Wachstums der Stadt hatte sich die Einrichtung eines solchen Geländes längst aufgedrängt. Und schließlich gab es Vorbilder und Anregungen genug. In Europa stellten Parks, auch diejenigen für die Bevölkerung einer Stadt aus allen Schichten, längst eine feste Einrichtung dar. 1851, als sich Menschen aus allen Regionen des Globus zur »Great Exhibition of the Works of Industry of All Na-
York Times vom 22. März 1974, S. 41. Die Autorin des Artikels spitzte ihr Argument noch zu. Der Park sei eine »Oase« in einer Stadt, »where just about the only green on the streets is a traffic light and the native form of wildlife is the cockroach«; ebd., S. 78. 4 | Vgl. Ada Louise Huxtable: »Just a little love, a little care«, in: New
York Times vom 9. Dezember 1973, S. 28 (Beilage der Sonntagsausgabe).
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tions« im Londoner Hyde Park einfanden,5 verfügte die Alte Welt über zahlreiche »Volksparks«, die junge Demokratie in der Neuen Welt hingegen nicht über einen einzigen. Der Central Park sollte das erste Unternehmen dieser Art in Nordamerika werden. Was war das für ein New York, in dem die Idee Gestalt annahm? Welche Einflüsse wirkten sich auf ihre Umsetzung aus? Und wer war der Mann, der den größten Anteil an ihrer Verwirklichung hatte? Wie stellte er sich den Park und seine Funktion in der Metropole vor? Mit Frederick Law Olmsted und seiner Vision einer grünen Oase für New York ist keineswegs ein eher randständiges Thema berührt, das gerade einmal in die Bereiche der Kunst- und Stadtgeschichte, bestenfalls noch der Lokalpolitik vergangener Epochen fiele. Vielmehr stellt Olmsteds Konzeption für einen »demokratischen« Park eine überaus politische Angelegenheit dar, eine Reaktion auf die drängenden Probleme der nationalen wie der gesellschaftlichen Entwicklung. Ohne Frage war Olmsted ein Produkt seiner Herkunft und seiner Zeit. Ebenso eindeutig lässt sich nachweisen, dass er mit einigen seiner Vorstellungen weit über diesen Rahmen hinausging und schon Überlegungen späterer Epochen vorwegnahm. Viele seiner Ideen sind noch immer aktuell und, wenn man an die weltweite Tendenz ungebremsten urbanen Wachstums und an dessen Ergebnisse denkt, an jene Ballungsräume, für die der Begriff der Metropole um Wörter wie Megalopole oder Mega-City erweitert wurde, gerade heute aktuell.
2. »Nature’s Nation« und das Wachstum der Städte im 19. Jahrhundert 2.1 Im Zeichen der Expansion Nach dem Verständnis der europäischen Einwanderer seit dem 17. Jahrhundert galt der nordamerikanische Kontinent als eine unbesiedelte Wildnis, die man zu zähmen und sich untertan zu machen hatte. 5 | Vgl. zur Weltausstellung im Park den Abschnitt über London in die-
sem Band, besonders Kapitel 4.2.
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Für die Herausbildung der neuen Nation besaßen Natur oder Wildnis einerseits und Stadt oder Zivilisation andererseits von Beginn der USamerikanischen Geschichte eine besondere Bedeutung. Als im 19. Jahrhundert die Besiedlungsgrenze immer weiter nach Westen verschoben wurde, erreichte die Verknüpfung von Aneignung des Landes und Naturbeherrschung sowie nationaler Identität ihren Höhepunkt. Die Vorstellung vom Faktor Wildnis, der dem amerikanischen Nationalcharakter seine typische Ausprägung verleihe, wurde zum Mythos von den USA als »Nature’s Nation«6 weiterentwickelt. Um die Wende ins 19. Jahrhundert lebten auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten, das vor dem großen Zugewinn an Fläche, dem Kauf des Louisiana-Territoriums von Frankreich im Jahr 1803, bis zum Mississippi reichte, 5,3 Millionen Menschen (1800). Die meisten Gebiete waren nur dünn besiedelt, Städte gab es verhältnismäßig wenige. Während in Großbritannien um 1800 bereits 20 Prozent der Bevölkerung in Städten lebte, hatten die Vereinigten Staaten gerade die 5 Prozent-Marke überschritten. Die zehn größten Städte des Landes, angeführt von New York mit 60.515 Bewohnern und Philadelphia mit 41.220 Bewohnern, beheimaten zusammengenommen rund 216.000 Menschen.7 Zur gleichen Zeit hatte London, damals die größte Stadt der Welt, die Millionengrenze bereits überschritten und faszinierte als schillernde Metropole. Als der zweite Krieg mit Großbritannien 1815 beendet war, richtete sich das Augenmerk der Amerikaner wieder auf den eigenen Kontinent. Die Appalachen verloren rasch ihre frühere Rolle als Hemmnis für die forcierte Besiedlung der Territorien westlich von ihnen. In den dreißiger Jahren lebte schon fast ein Drittel der rund 13 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger zwischen Appalachen und Mississippi, 6 | Vgl. Perry Miller: Nature’s Nation, Cambridge, Mass. 1967, Hans
Bak/W.W. Holbling (Hg.): Nature’s Nation Revisited. American Concepts of Nature from Wonder to Ecological Crisis, Amsterdam 2003. 7 | Vgl. U.S. Bureau of the Census (www.census.gov/population/docu-
mentation/twps0027/tyb03.txt, aufgerufen am 16. März 2005). Im zehntgrößten Stadtgebiet, im Norfolk Borough, lebten 1800 6.926 Menschen. Im Vergleich dazu waren es bei der Volkszählung von 1801 in den zehn größten Städten Großbritanniens (ohne Irland) insgesamt 1,68 Millionen Menschen.
112 | Angela Schwarz
sodass die Region im folgenden Jahrzehnt rasch ihren früheren »frontier«-Charakter einbüßte. Inzwischen erreichte die Westwanderung längst andere Teile des Kontinents. Auf den so genannten »trails« zogen immer mehr Siedlerfamilien in den Westen jenseits des Mississippi und jenseits der Großen Ebenen. Kalifornien lockte 1849 mit Goldfunden, die die Bevölkerungszahl innerhalb von kürzester Zeit um ein Vielfaches steigen ließen, allein um 80.000 im Jahr 1849.8 Nach und nach gingen aus Territorien neue Staaten der Union hervor, ein formaler Akt, der nach Auffassung der Zeitgenossen den Vormarsch der Zivilisation dokumentierte. Dennoch behielt das Ideal vom rauen, aber egalitären Dasein im Einklang mit der Natur, eben an der »frontier«, seine Attraktivität. Denn die Wildnis verhieß Möglichkeiten zu leben und zu Geld zu kommen, die im dichter besiedelten Osten nicht mehr gegeben schienen. Neue Technologien wie Dampfschiff und dann die Eisenbahn erleichterten den Vorstoß in die von Weißen bislang kaum betretenen Landstriche. Und schließlich überhöhte die Idee vom »manifest destiny« der Amerikaner die Aneignung und Besiedlung des Kontinents, die mit Hilfe von Technologien bewerkstelligt werden sollte, zur nationalen Aufgabe und zum spezifisch amerikanischen Weg der nationalen Selbstfindung. Die Natur, zusammen mit ihrer Beherrschung ein zentrales Thema für die Amerikaner vor dem Bürgerkrieg, wurde als Ressource und »repository of national pride«9 gefeiert, zum Kulturgut erhoben, zu einem bedeutenden Beitrag der USA zur Kultur der Menschheit stilisiert. Diejenigen, die die Wildnis in dieser Weise verklärten, lebten zum größten Teil in der Stadt. Dort, wo sich die Menschen immer mehr von einer zum Ideal deklarierten Ursprünglichkeit entfernten, wurde die Natur zur Projektionsfläche zahlreicher philosophischer, sozialer und religiöser Ideen und zum Symbol für die junge Nation in der Neuen Welt.10 8 | Vgl. Jörg Nagler: »Territoriale Expansion, Sklavenfrage, Sezessions-
krieg, Rekonstruktion, 1815-1877«, in: Willi Paul Adams u.a. (Hg.): Länderbericht USA, Bonn 2. Aufl. 1992, Bd. 1, S. 92. 9 | Gina Crandell: Nature Pictorialized. Views in Landscape History, Bal-
timore 1993, S. 143. 10 | Vgl. Franziska Kirchner: Der Central Park in New York und der Ein-
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In der Realität brachten die Siedler aus dem Osten ihre Lebensweise und Einrichtungen mit und glichen den Grenzbereich zwischen Zivilisation und Wildnis, also die »frontier«, in relativ kurzer Zeit dem zurückgelassenen Lebensraum an. Das änderte nichts an der Mythisierung des Prozesses im Zeichen voranschreitender Urbanisierung und Industrialisierung in der zweiten Jahrhunderthälfte. 1893 brachte es der Historiker Frederick Jackson Turner in seinem einflussreichen Essay über »The Significance of the Frontier in American History« in eine Interpretation, die vielen Zeitgenossen unmittelbar einleuchtete: An der »frontier« wandelten sich die Einwanderer aus Europa in Amerikaner, aufgrund der vermeintlich für alle gleichen Bedingungen die Amerikaner in eine wahrhaft demokratische Gemeinschaft. Ohne »frontier« und ohne die Begegnung mit der Natur gäbe es, zugespitzt formuliert, keine Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Zeit Turners blieb nicht aus, dass die Schlussfolgerung aus seinen Gedanken beunruhigen musste: Der Kontinent sei erschlossen, eine »frontier« gebe es folglich in Nordamerika nicht mehr. An welchem Ort sollte sich künftig die Nation immer wieder neu erschaffen? Die Westwanderung und der damit einhergehende wirtschaftliche Aufschwung der Nation wären ohne den Zustrom von Menschen aus Europa nicht möglich gewesen. Nach relativ überschaubaren Zahlen in den ersten Dekaden nahm er vor allem ab den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Dimensionen an, die das Land in wenigen Jahren veränderten. Kamen in den zehn Jahren vor 1830 rund 152.000 Immigranten in die USA, so stieg ihre Zahl im folgenden Jahrzehnt auf fast 600.000, verdreifachte sich fast in den vierziger Jahren und erreichte vor dem Sezessionskrieg die bis dahin ungekannte Zahl von 2,6 Millionen Neueinwanderern. Die Gesamtbevölkerung der USA zählte damals 31,4 Millionen Menschen (1860). Mehrheitlich stammten die Immigranten aus dem britischen Königreich oder den Ländern Nord- und Mitteleuropas. Die größte Gruppe der Einwanderer zwischen 1820 und 1880 kam aus den deutschen Staaten bzw. Deutschland, gefolgt von der irischen und dann
fluss der deutschen Gartentheorie und -praxis auf seine Gestaltung, Worms 2002, S. 45, 48.
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der englischen Gruppe. Ethnisch noch relativ homogen, ergaben sich aus der konfessionellen Zugehörigkeit, also dem Katholizismus vor allem vieler Iren und einem Teil der Deutschen, Reibungspunkte mit der lange Zeit fast ausschließlich protestantischen Aufnahmegesellschaft. Bestimmte Siedlungsmuster, etwa die Konzentration der deutschen Immigranten auf die Hafenstädte New York und Baltimore und den Mittelwesten oder der Iren auf die Städte im Nordosten,11 trugen dazu bei, Konfliktpotential zu stauen und in handfeste Auseinandersetzungen und Unruhen übergehen zu lassen. Sowohl Einwanderung aus Übersee als auch Binnenwanderung steigerten Zahl und Größe amerikanischer Städte seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts unaufhörlich. Gehörten zur städtischen Bevölkerung in Zentren mit mehr als 2.500 Einwohnern 1820 erst 7,2 Prozent der Amerikaner, so erweiterte sich der Anteil bis 1860 auf fast 20 Prozent. Im am stärksten urbanisierten Nordosten lag der Anteil sogar bei einem Drittel. Den größten Sprung im Wachstum der Städte mussten die Zeitgenossen in den vierziger Jahren verkraften, in denen fast noch einmal so viele Menschen in die Städte zogen, wie dort bereits lebten. Mit 92 Prozent markierte die Dekade damit den Höhepunkt urbanen Wachstums in den USA im gesamten 19. Jahrhundert. Hatten 1815 gerade einmal New York und Philadelphia mehr als 100.000 Einwohner, so konnten sich um 1860 bereits neun US-Städte rühmen, die Grenze von 100.000, acht davon sogar von 150.000 Einwohnern überschritten zu haben.12 Die Zahlen vermögen nur anzudeuten, wie rapide sich die Städte ausdehnten und welche Folgen dies für die alten und neuen Bewohner haben musste. Kein Städter konnte umhin, den Trend zu erkennen. »We cannot all live in cities, yet nearly all seem determined to do so,«13 schrieb der New Yorker Redakteur Horace Greeley 1867 noch vor der nächsten großen Ausweitung der Stadtbevölkerung nach dem
11 | Vgl. Nagler: »Territoriale Expansion«, S. 94. 12 | Vgl. Maldwyn A. Jones: The Limits of Liberty. American History
1607-1980, Oxford, New York 1983, S. 121, und U.S. Bureau of the Census. 13 | Horace Greeley, zit. nach: Raymond A. Mohl: The New City. Urban
America in the Industrial Age, 1860-1920, Arlington Heights, Ill. 1985, S. 2f.
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Bürgerkrieg. Unbestreitbar sei das gegenwärtige Zeitalter das der großen Städte,14 hieß es zwanzig Jahre später. Und am Jahrhundertende galt die Urbanisierung gar als das wichtigste gesellschaftliche Phänomen des ganzen Jahrhunderts.15 Nirgendwo war das besser zu greifen als in New York.
2.2 New York auf dem Weg zur Millionenstadt New York, dessen inkorporiertes Stadtgebiet bis 1898 auf Manhattan beschränkt blieb, lief Philadelphia als größter Stadt des Landes um die Wende ins 19. Jahrhundert den Rang ab und sollte diesen nicht mehr preisgeben. Dennoch machte die Stadt zunächst noch nicht als Hexenkessel der Klassen, Rassen und Ethnien von sich reden. Im Jahr 1825 lebten in der Stadt zwischen Hudson und East River weniger als 170.000 Menschen. Das 1811 als stadtplanerische Maßnahme festgelegte Straßenraster (»gridiron plan«) stellte noch mehr Entwurf als tatsächlich verwirklichte Struktur dar, da sich das bebaute Stadtgebiet auf die südliche Spitze der Insel Manhattan beschränkte (Abbildung 2). Je weiter man sich nach Norden bewegte, desto spärlicher wurde die Bebauung, die schließlich in Felder und Farmen überging. Vier Fünftel der Bewohner waren in der Stadt geboren worden und entstammten zumeist der protestantischen Bevölkerungsgruppe angelsächsischer Herkunft. Etwa 12.000 Afroamerikaner, 15.000 Iren, eine geringe Zahl von Deutschen und Zuwanderern jüdischen Glaubens änderten nichts an dem generellen Eindruck einer homogenen und – trotz des geschäftigen Hafens – beinahe verschlafenen Stadt. Die Stadtoberen sahen zu dem Zeitpunkt offenbar keine Dringlich-
14 | Vgl. Rev. Samuel Lane Loomis: Modern Cities and their Religious
Problems, New York 1887, zit. nach: Robert A. Divine/T.H. Breen/George M. Frederickson/R. Hal Williams: America Past and Present, New York u.a. 1999, S. 582. 15 | Vgl. Adna F. Weber: The Growth of Cities in the Nineteenth Century
(1899), zit. nach: Mohl, S. 2. Weber war Soziologe und legte mit seinem Buch eine Pionierstudie zum Thema vor.
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keit, eine Polizeitruppe, eine Berufsfeuerwehr, ein Abwassersystem oder ein öffentliches Verkehrsnetz zu schaffen.16 Bald darauf begann New York jedoch eine herausragende ökonomische Bedeutung zu gewinnen, eine Entwicklung, die die Eröffnung des Erie-Kanals 1825 einläutete. Er gab den Startschuss für den Aufstieg der Stadt zum Schiffbauzentrum des Landes und machte durch die Verkehrsverbindung zwischen der Atlantikküste und dem weiter entfernten Binnenland aus dem Hafen in kurzer Zeit einen bedeutenden Warenumschlagplatz. Die wirtschaftliche Aufbruchstimmung zog bald immer mehr Menschen an. In wachsender Zahl kamen sie auch aus Europa, meist auf der Flucht vor Hunger und Armut im Heimatland. Da der Bedarf an Arbeitskräften grenzenlos schien, verzichteten die Verantwortlichen darauf, den Zustrom durch Beschränkungen zu limitieren. Die Folge: Tendenz der Immigration steigend. Für den 2. Juni 1836 schrieb der frühere Bürgermeister der Stadt, Philip Hone, in sein Tagebuch, 15.825 Passagiere seien an dem Tag angekommen: »All Europe is coming across the ocean.«17 Auf dem Höhepunkt des Zustroms vor dem Bürgerkrieg, im Jahr 1847, machten täglich 40 Schiffe im New Yorker Hafen mit jeweils bis zu 700 Einwanderern an Bord fest,18 rund 28.000 Menschen, die täglich den Kreis derer erweiterten, die auf Arbeit, Unterkunft, ein besseres Leben hofften. Größtenteils durch die Zuwanderung vervierfachte sich die Bevölkerungszahl New Yorks in den dreißig Jahren nach 1830 auf über 800.000.19 Die Hälfte der New Yorker um 1860 war nicht amerikanischer Herkunft: 400.000 Menschen, die sich die Stadt als neue Heimat erst erschließen mussten. In diesen Jahrzehnten verwandelte sich New York rasant. »The 16 | Vgl. Ric Burns/James Sanders/Lisa Ades: New York. Die illustrierte
Geschichte von 1609 bis heute, München 2002, S. 72. 17 | Philip Hone: The Diary of Philip Hone, 1828-1851, hg. von Allan Ne-
vins, New York 1927, Bd. 1, S. 209 (2. Juni 1836). 18 | Vgl. Burns/Sanders/Ades: New York, S. 90. 19 | Die Angaben beziehen sich auf Weiße und freie Afroamerikaner,
nachdem die letzten Sklaven in New York 1827 die Freiheit erhalten hatten. Vgl. Eric Homberger: Scenes from the Life of a City. Corruption and Conscience in Old New York, New Haven, London 1994, S. 219.
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spirit of pulling down and building up is abroad. The whole of New York is rebuilt about once in ten years«,20 notierte Hone bereits 1839. Und sechs Jahre darauf: »Overturn, overturn, overturn! is the maxim of New York.«21 Das stellte für die Bewohner eine besondere Herausforderung dar. »A man born in New York forty years ago«, beklagte etwa Mitte der fünfziger Jahre der Herausgeber des New Harper’s Monthly Magazine, »finds nothing, absolutely nothing, of the New York he knew. If he chance to stumble upon a few old houses not yet leveled, he is fortunate. But the landmarks, the objects which marked the city to him, as a city, are gone.«22 Für alteingesessene New Yorker hatte ihre Heimatstadt nicht nur die Beschaulichkeit und Homogenität verloren, sie war kaum mehr wiederzuerkennen. Daran hatten die Wohlhabenden selbst nicht wenig Anteil. Zweifellos konzentrierte sich der Großteil der Neuankömmlinge im Süden Manhattans, bis die Überfüllung nicht mehr steigerungsfähig war und sich der Bevölkerungsdruck zumeist auf die umliegenden Stadtteile oder die kaum erschlossenen Gebiete nördlich der Bebauungsgrenze entlud. Dort, wo früher Felder und Wiesen gewesen waren, jenseits dieser Grenze, nahmen in der Mitte des Jahrhunderts lange Reihen behelfsmäßiger Hütten von Tausenden mittelloser Immigranten ihren Anfang. Immobilienspekulanten profitierten von der Industrieansiedlung, die die Stadtväter steuerlich besonders begünstigten, und wohl noch mehr von den in Arbeitsplatznähe errichteten Unterkünften für die Arbeiter und ihre Familien.23 Wer von den etablierten Bürgern der Stadt in Grund oder Immobilien investierte, erwartete eine hohe Rendite. Außerdem trugen die Wohlhabenden durch ihr eigenes Siedlungsverhalten zur Ausweitung der Stadt bei. Sie wichen vor der Überfüllung und der Industrie von der Südspitze Manhattans immer weiter nach Norden aus, bis zur Jahrhundertmitte im Wesentlichen bis zur 14. Straße, d.h. zahlreiche – heutige – Häuserblocks südlich des Central Park. Ob durch Einwanderer, alte New Yorker, 20 | Hone: The Diary, Bd. 1, S. 395 (1. Mai 1839). 21 | Ebd., Bd. 2, S. 730 (7. April 1845). 22 | »Editor’s Easy Chair«, in: Harper’s New Monthly Magazine, Bd. 13,
Nr. 74, 1856, S. 272. 23 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 56.
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neue wirtschaftliche Notwendigkeiten: Der Trend ließ sich nicht aufhalten. Unablässig schob sich die Bebauungsgrenze weiter in Richtung Norden voran, bis schließlich 1870 das ursprünglich an die 155. Straße heranreichende Raster zur Nordspitze Manhattans verlängert werden musste. »We are rapidly becoming«, so ein Kommentar zu den Veränderungen, »the London of America«.24 Zu den Problemen der Urbanisierung, die so manch besser gestellter New Yorker mit den Städten der Alten Welt assoziierte, zählten Überfüllung und Slumbildung.25 Den Neuankömmlingen blieb kaum eine Wahl, als sich in den billigen Vierteln entlang des East River und im Süden der Insel eine Unterkunft zu suchen. Das sanierungsbedürftige Viertel nördlich des Rathauses, »The Five Points« genannt, stand 1850 bereits in dem Ruf, der am dichtesten bevölkerte Distrikt Amerikas zu sein. Dennoch entdeckten Hausbesitzer und Spekulanten immer wieder neue Wege, um noch mehr Menschen in dem Viertel zusammenzupferchen: Reichten die billig gebauten Häuser, oft kaum mehr als Holzbaracken, nicht mehr aus, kamen Mietskasernen hinzu. Sie erwiesen sich schnell als lukrative Einnahmequelle. Einfach gebaut, wurden sie in immer kleineren Raumeinheiten vermietet.26 Eine der berüchtigtsten an der Goerck Street beherbergte schließlich 1.100 Bewohner. Schließlich wurden noch die Hinterhöfe vermietet, genauer die dort behelfsmäßig zusammengezimmerten Schuppen. Unaufhörlich breitete sich das Viertel aus, bis es Ende der fünfziger Jahre fast an die 14. Straße heranreichte: Aus der lokal begrenzten »Nische der Armut« war in weniger als dreißig Jahren ein riesiges
24 | John Pintard: Letters from John Pintard to His Daughter, Eliza Noel
Pintard Davidson, New York 1940, S. 265 (13. Mai 1826). 25 | In dem Sinne äußerte sich etwa Philip Hone: Im »guten New York«
herrschten schon Zustände wie in Europas Großstädten. Vgl. Hone: The Diary, Bd. 2, S. 785 (29. Januar 1847). 26 | Angehörige anderer Sozialschichten traten als Vermieter auf, sodass
viele Mieter gar nicht wussten, dass der Besitzer ihres Hauses möglicherweise der Familie Astor angehörte. Vgl. Edwin G. Burrows/Mike Wallace: Gotham: A History of New York City to 1898, New York, Oxford 1999, S. 788.
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Abbildung 2: New York und der neue Straßenraster-Plan 1811 (Ausschnitt)
Quelle: Adaption des Commissioners’ Plan durch William Bridges aus dem Jahr 1811, Library of Congress, Washington, D.C., zit. nach: Paul Cohen, Manhattan in Maps, 1527-1995, New York 1997, S. 104.
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Abbildung 3: Stadtplan aus dem Jahr 1850, der den Stand der Bebauung wiedergibt
Quelle: Privatsammlung, zit. nach: Paul Cohen: Manhattan in Maps, S. 125.
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Elendsviertel mit über 300.000 Bewohnern geworden: die Lower East Side.27 Wiederholt kommentierten Ärzte, Reformer und ausländische Besucher28 gleichermaßen die schockierenden Lebensbedingungen in The Five Points. John H. Griscom, Quäker und Arzt, machte 1842 neben der Enge und der schlechten Luft den unglaublichen Gestank im Viertel als Ursache für die hohe Sterblichkeitsrate aus. Der Gestank ging vom allgegenwärtigen Schmutz aus, vom Abfall aus den Häusern und dem überschüssigen Inhalt aus Sickergruben und Aborten, der sich in Kellern – in der Regel ebenfalls vermietet – und auf den Straßen sammelte. Kellerunterkünfte sollten verboten, die Hausbesitzer verpflichtet werden, eine Personenhöchstgrenze pro Raum einzuhalten und für einen ordentlichen Zustand ihrer Häuser zu sorgen, forderte Griscom.29 Doch weder wurde er in seinem Amt als Stadtinspektor bestätigt, noch verbesserten sich die Wohn- und Lebensbedingungen der Unterschichten in der Folgezeit merklich. Dabei hätten einige seiner Forderungen, 1845 im für die Gesundheitspolitik wegweisenden Bericht »The Sanitary Condition of the Laboring Population of New York« veröffentlicht, in kurzer Zeit erfüllt werden können. New York verfügte seit der Fertigstellung der Croton Water Works im Oktober 1842 über eine Wasserversorgung. Aus Kostengründen verzichteten allerdings viele Hausbesitzer zunächst darauf, ihre Häuser an die Hauptwasserleitung anzuschließen, gerade bei jenen in den Armenvierteln. 1857 besaß deshalb nur ein Drittel aller Häuser einen Anschluss an das installierte Abwassersystem.30 Nicht zuletzt auch als Folge des ungehinderten urbanen Wachstums drohte New York – oder drohten zumindest seine ärmeren Viertel – im Schmutz zu versinken. Eine Zeitlang vermochten die Bessergestellten die Augen vor der Entwicklung zu verschließen oder vor den Gefahren auszuweichen. 27 | Vgl. Burns/Sanders/Ades: New York, S. 88. 28 | Dazu gehörte etwa Charles Dickens, der seinen Abstecher nach The
Five Points in den »American Notes« (Kapitel 6) auf seine bekannt anschauliche Art beschrieb. 29 | John H. Griscom, zit. nach: Burrows/Wallace: Gotham, S. 784. 30 | Vgl. ebd., S. 787.
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Epidemien wie die Cholera, die 1832, 1849 und 1852 in der Stadt wütete,31 forderten ihre Opfer zum überwiegenden Teil in den unteren Bevölkerungsschichten. Wer es sich leisten konnte, verließ beim Ausbruch einer Epidemie vorübergehend die Stadt. Und war nicht die Seuche eine Strafe Gottes für ein Leben jenseits von Ehrlichkeit, Fleiß und Enthaltsamkeit? Nur sehr langsam setzte sich die Einsicht durch, dass die Ursachen des Problems und ihre Behebung alle angingen. Mittel- und Oberschichtfamilien verloren ebenfalls Angehörige durch Seuchen. Gleichwohl traf es die Schwächsten am härtesten. Wiederholt machten Reformer und Inspektoren auf die hohe Kindersterblichkeit aufmerksam. Gerade einmal die Hälfte aller Kinder erreichte zwischen 1850 und 1860 in New York das fünfte Lebensjahr. 1856 starben mehr New Yorker, als geboren wurden, sodass die Stadt in wenigen Jahren entvölkert wäre, so ein besorgter Zeitgenosse, wenn es nicht den Zustrom von Immigranten gäbe.32 Konnte New York im Wachstum und in Problemen wie Überfüllung, Slumbildung, hygienischer Wasserversorgung und Abwasserentsorgung die Ähnlichkeiten mit europäischen Großstädten nicht bestreiten, so glich es auch in den sozialen Konsequenzen den urbanen Zentren in der Alten Welt. Ein auffälliger Unterschied lag in der ethnischen Heterogenität und der praktisch täglich verschärften Lage durch die Neuankömmlinge aus Europa. Unter den Bedingungen in Vierteln wie The Five Points blieb es nicht aus, dass es, aus religiösen, nationalen, ethnischen und sozialen Gründen, vermehrt zu Spannungen zwischen den verschiedenen Einwanderergruppen, zwischen einheimischen und eingewanderten Arbeitern und zwischen den neuen und den alten New Yorkern kam, die ihr beschauliches ›Dorf‹ von der Flut armer Immigranten in einen Moloch verwandelt sahen. Während die Kluft zwischen reich und arm immer größer wurde, wuchs die Gewaltbereitschaft bei den ›Fremden‹ wie bei den Einheimischen.33 In den vierziger und fünfziger Jahren häuften sich dann die Unruhen. Nicht mehr nur als lokal begrenzte Erscheinung abgetan, schreckten sie zunehmend die bürgerliche Öffentlichkeit aus ihrer 31 | Vgl. ebd., S. 785, 790. 32 | Vgl. ebd., S. 790. 33 | Vgl. Burns/Sanders/Ades: New York, S. 89.
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Gleichgültigkeit und ihrem Desinteresse auf. Im April 1842 griffen aufgebrachte Protestanten den Sitz des irischen Bischofs John Hughes an und drohten, die St. Patrick’s Kathedrale zu zerstören. Der soziale und politische Radikalismus fand in den Unterschichten mehr und mehr Anhänger. Einer der blutigsten Aufstände der Stadtgeschichte ereignete sich im Mai 1849. Vor der Oper am Astor Place lieferten sich 8.000 irische und amerikanische Arbeiter eine »real battle«34 mit Einheiten der Stadtpolizei und der Miliz. Drei Tage lang stand New York unter Kriegsrecht. Während am Ende die einen jubelten, der Mob sei erfolgreich niedergeworfen worden, wiesen die anderen auf einen Umstand hin, der sich nun nicht mehr ignorieren lasse: die Spaltung der Gesellschaft in Unter- und Oberschicht.35 Der Jubel über den Erfolg der Ordnungsmacht erwies sich zudem als unbegründet, zumindest mit Blick auf die Zukunft. Denn es folgten ähnlich gewaltsame und aufsehenerregende Auseinandersetzungen, etwa 1857 die Unruhen im »Kleindeutschland« genannten Viertel oder 1863 die »Draft Riots«, ausgelöst durch das neue und sozial ungerechte System der Soldatenrekrutierung für den Sezessionskrieg.36 Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung New Yorks seien, so kommentierten schon ausländische Beobachter zu Beginn der dreißiger Jahre, eine »wirkliche Gefahr für die Sicherheit der demokratischen Republik«,37 die, wenn es keine Ordnungsmacht gebe, ihr Untergang sein würden. Schließlich gehörte zum Alltag der Metropole natürlich noch die tägliche Gewalt. Da waren die Schlägereien der Gangs von New York, 34 | George Templeton Strong: The Diary of George Templeton Strong,
hg. von Allan Nevins und Milton Halsey Thomas, New York 1952 (Nachdruck 1974), Bd. 1, S. 351 (11. Mai 1849). 35 | Vgl. den Artikel des Herausgebers vom Public Ledger (Philadelphia),
eine Woche nach dem Aufstand, zit. nach: Burns/Sanders/Ades: New York, S. 92. 36 | Vgl. Paul A. Gilje: »Riots«, in: Kenneth T. Jackson (Hg.): The Ency-
clopedia of New York City, New Haven, London, New York 1995, S. 10061008, und ders.: The Road to Mobocracy. Popular Disorder in New York City, 1763-1834, Chapel Hill, N.C 1987. 37 | Alexis de Tocqueville, zit. nach: Burns/Sanders/Ades: New York,
S. 92.
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die in den ärmeren Teilen der Stadt beinahe regelmäßig ausgetragen wurden. Und da war die Kriminalität und die aus ihr hervorgehende latente Präsenz von Gewalt, wo immer man sich aufhalten mochte. Nachts begegne man auf den Straßen New Yorks überall Schlägern, die Passanten anpöbelten und mitunter sogar tätlich angriffen. Leib und Leben seien in Gefahr, so die New York Times Mitte der fünfziger Jahre.38 »Sie machen sich keine Vorstellung, […] was für ein Pfuhl des Elends, Verbrechens und Schmutzes diese große Stadt ist«,39 schrieb der Reformer Charles Loring Brace. Diejenigen, die zu wissen glaubten, was gut ist, und zwar sowohl für die Benachteiligten als auch für die gesamte Stadtbevölkerung, erhielten nun größere Aufmerksamkeit.40 Allmählich erweiterte sich der Kreis jener bessergestellten New Yorker, denen die Stadtbezirke der Unterschichten als Brutstätten von Krankheiten, Laster, Kriminalität und Unruhen erschienen, die die Stadt und die Nation gefährdeten – und denen man etwas entgegensetzen musste.
2.3 New Yorks Eliten und die Idee eines öffentlichen Parks In der Mitte des Jahrhunderts begannen mehr und mehr Angehörige der sozialen und intellektuellen Eliten der Stadt, den Vorschlägen von Reformern und Stadtplanern Gehör zu schenken. Ein Vorschlag versprach sogar, Abhilfe für viele Probleme der Stadt auf einen Schlag zu bieten: die Idee eines großen öffentlichen Parks. Seit den vierziger Jahren fand die Idee, inmitten der »huge masses of masonry« mit ihrer »stifling atmosphere of bricks and mortar«41 eine grüne Insel zu schaffen, stetig neue Fürsprecher. Einflussreiche Landschaftsgärtner, Journalisten, Literaten, Theologen und Mediziner 38 | New York Times 1854, zit. nach: ebd., S. 93. 39 | Charles Loring Brace, zit. nach: ebd. Brace warnte in seiner Schrift
»The Dangerous Classes of New York and Twenty Years Among Them« (1872) vor der drohenden Überflutung der Stadt mit verarmten, ungebildeten irischen Katholiken. 40 | Vgl. Homberger: Scenes, S. 226-228. 41 | »The New Park«, in: New York Times vom 13. Juni 1853, S. 4.
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brachten Argumente aus unterschiedlichen Bereichen für ein solch aufwändiges und kostspieliges Unternehmen vor. Journalist und Dichter William Cullen Bryant, Herausgeber der New York Evening Post, verfocht als erster die Idee, bereits ab 1844. Es sei höchste Zeit zu handeln, mahnte er seine Leserschaft, wolle man zur Förderung der Gesundheit und Erholung in New York einen Teil der Insel vor Kommerz und Bauwut bewahren. Um das Vorhaben den Besitzenden schmackhafter zu machen, verwies er auf die in wenigen Jahren gewonnene herausragende ökonomische Bedeutung der Stadt: Manhattan brauche einen öffentlichen Raum, der der Größe (»greatness«) der Metropole würdig sei.42 Bryant und andere nutzten das gestiegene Repräsentationsbedürfnis einer reichen Schicht, die vermehrt auch die Reise nach Europa als Statussymbol entdeckte.43 Der Besuch in den Landschaftsgärten und Parks in England und Kontinentaleuropa machte den amerikanischen Reisenden das Fehlen einer entsprechenden Anlage in der größten Stadt der Neuen Welt schmerzlich bewusst.44 Die Städte Europas hatten weitläufige Parks, Bühnen des aufstrebenden Bürgertums und Schaufenster seines Wohlstandes, von den Briten 1851 mit der Weltausstellung auf beneidenswert eindrucksvolle Weise im Londoner Hyde Park in Szene gesetzt – und New York? Detailliertere Vorstellungen von einem Park legte der Landschaftsarchitekt und Herausgeber des Horticulturalist Andrew Jackson Downing vor. Auf seiner Europareise hatten ihn die öffentlichen Parks in den freien deutschen Städten, Schöpfungen des Bürgertums, ebenso 42 | Vgl. Bryant, zit. nach: Burrows/Wallace: Gotham, S. 791. 43 | Die Grand Tour der wohlhabenden Amerikaner in Europa entwickel-
te sich ab den dreißiger Jahren innerhalb von nur wenigen Jahren zu einem verbreiteten Phänomen. So konnte ein Autor 1856 in der North American Review erklären: »Americans have a special call to travel. It is the peculiar privilege of their birth in the New World, that the Old World is left them to visit.« Pictures of Europe, Framed in Ideas, in: North American Review, Bd. 82, 1856, S. 33. 44 | Das gilt etwa für den Geschäftsmann und Förderer der Association
for Improving the Condition of the Poor Robert Browne Minturn und seine Frau Anna Mary. Vgl. Elizabeth Blackmar/Roy Rosenzweig: The Park and the People. A History of Central Park, Ithaca, London 1992, S. 16f.
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nachhaltig beeindruckt wie die großen Grünflächen in der britischen Hauptstadt, die auf die Monarchie oder den Adel zurückgingen. Allein Regent’s Park erstrecke sich über 336 Morgen »lawn, ornamental plantations, drives and carriage roads«. Inmitten von »black and dingy« London ähnelten die Parks »districts of open country – meadows and fields, country estates, lakes and streams, gardens and shrubberies«. London halte, und das zeichne die Metropole aus, »the country in its lap«.45 Beunruhigt vom Ausbruch der Revolution in Europa und angetrieben von der Furcht vor ähnlichen Entwicklungen im eigenen Land empfahl er die Einrichtung eines öffentlichen Parks in New York auf der enormen Fläche von 500 Morgen. Diese Ausdehnung sei für mehr als eine halbe Million Stadtbewohner absolut notwendig. Jeder Arbeiter sei potentiell ein Gentleman. Woran es mangelt, sei ein Ort für die Begegnung der unteren und der oberen Schichten. Mit ihrer Hilfe, mit dem »refining influence of intellectual and moral culture« lasse sich der Arbeiter auf die gleiche Stufe des Genusses (»enjoyment«) heben, auf der der Gebildete und Besitzende bereits stehe. Schließlich biete eine solche Anlage, dies mit Blick auf die an Einfluss gewinnende Gesundheitsbewegung herausgestrichen, einen offenen Raum, der als »great wholesome breathing zone« dienen würde.46 In den nächsten Jahren entspann sich in der Frage eine lebhafte öffentliche Diskussion. Streit gab es um den Standort für den Park, der zunächst für ein 150 Morgen großes Areal zwischen der 66. und der 75. Straße vorgesehen war. Das Versprechen, die Grundstückspreise würden durch die Baumaßnahme steigen, sodass Villen wie jene gegenüber vom Regent’s Park in London möglich wären, vermochte jedoch die Grundstückseigner in dem Stadtteil nicht zum Verkauf zu bewegen. Eine gewerbliche Nutzung verhieß aus Sicht der Eigentümer mehr Gewinn. Das Argument stärkte den Parkgegnern 45 | Andrew Jackson Downing: »The London Parks«, in: ders.: Rural Es-
says, hg. von George William Curtis, New York 1853 (Nachdruck 1974), S. 553, 547, 548. 46 | Andrew Jackson Downing: »A Talk about Public Parks and Gar-
dens«, in: ebd., S. 138, 145; ders.: »The New York Park«, in: ebd., S. 149f. Vgl. auch Burrows/Wallace: Gotham, S. 790f.
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oder -kritikern den Rücken. Wären nicht sechs oder acht kleinere Parks über die Stadt verteilt sinnvoller? War die Annahme, der Park würde die Mortalitätsrate in der Stadt verringern, nicht Humbug?47 Würde sich der Park nicht zum Spielplatz aristokratischen Stolzes und Exklusivitätsstrebens ohne Raum für die Freizeitbedürfnisse der Unterschichten entwickeln? Würde der freie Zugang nicht Massen von Menschen aus The Five Points in den Park spülen, die jegliches Bemühen – der Oberschichten – um Eleganz und Anmut, so die New York Times, wie »jewels in the snouts of swine« erscheinen ließen?48 Nach zweijähriger Debatte fiel die Entscheidung zugunsten des Parks und zugunsten eines Geländes nördlich der Stadtgrenze etwa in der Mitte der Insel. Seine Topographie machte es für Bebauung mit Häusern unbrauchbar, es war nur dünn besiedelt – von Afroamerikanern, Iren und Deutschen –, das Land würde billiger sein als ein Areal weiter südlich und 135 Morgen gehörten ohnehin schon der Stadt. 1853 legte die Regierung des Staates New York das Gelände fest und leitete den Ankauf der Parzellen von den 561 Grundstückseigentümern in die Wege (für schließlich 5 Millionen $). 1857 setzte sie die Behörde ein, die für die Umsetzung des ambitiösen öffentlichen Bauvorhabens verantwortlich sein sollte: das »Board of Commissioners of the Central Park«. Warum fiel die Entscheidung für den Park in den fünfziger Jahren? Die Gründe könnte man in Kategorien mit den Überschriften Sozialkontrolle, Sozialprestige und Profit einordnen. Der wachsende Immigrantenstrom und seine Folgen ließen sich spätestens in den vierziger Jahren selbst in den reichen Vierteln nicht mehr einfach ignorieren. Gewalt, Kriminalität, Unruhen, Epidemien machten nicht an einer bestimmten Straßenkreuzung halt. Nicht alle waren überzeugt von der sozialstabilisierenden Wirkung eines Parks. Aber könnte er nicht zumindest ein Bollwerk gegen die weiter nach Norden 47 | Das Journal of Commerce kam schon früh zu dem Schluss: »the
grand Park scheme is a humbug; and the […] sooner it is abandoned, the better.« »The Proposed Great Park«, in: New York Journal of Commerce vom 8. Mai 1851, S. 4. 48 | Vgl. Burrows/Wallace: Gotham, S. 792f., für das Zitat: »Central Park
Misgivings«, in: New York Times vom 21. April 1857, S. 4.
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drängenden Elendsquartiere und ihre Bewohner sein? Der wirtschaftliche Aufschwung brachte neuen Reichtum in die Stadt. Dieser drängte in die Öffentlichkeit, wollte gesehen und bewundert werden. Für manche spielte daher nicht die Sozialkontrolle, sondern die Frage danach eine größere Rolle, ob es im Park Straßen geben würde und ob Pferde und Equipagen auf ihnen genügend Raum hätten. Schließlich galt es, New York als »metropolis of wealth and fashion«49 zu präsentieren, so wie es die europäischen Großstädte zugunsten ihres eigenen Renommees längst taten. Die Möglichkeit, Reichtum zur Schau zu stellen, übte auf die Besitzenden einen fast ebenso großen Reiz aus wie die Verheißung steigender Grundstückspreise. Letzten Anstoß gab der Börsenkrach des Jahres 1857. Allein in New York verloren Zehntausende ihre Arbeit. Der Anblick der in Not geratenen Arbeiter und ihrer Familien, die durch die Straßen der Stadt zogen, verstärkte die Furcht vor massiven sozialen Unruhen.50 Was konnte da noch vielversprechender sein als die Parkidee, wenn es darum ging, mit einer einzigen Maßnahme die Wünsche von vielen unterschiedlichen Gruppen der Stadtbevölkerung zu befriedigen?
3. Frederick Law Olmsted und der Central Park 3.1 »American education at its best«: 51 Olmsteds Werdegang Die neu geschaffene Parkbehörde nahm umgehend ihre Arbeit auf. Posten waren zu besetzen und Planungen zu konkretisieren. Es galt, eine geeignete Person für die Stelle eines Aufsehers (»superinten49 | Nathaniel Parker Willis, 1844, zit. nach: Henry Hope Reed/Sophia
Duckworth: Central Park. A History and Guide, New York 1967, S. 16. 50 | Vgl. Stephen A. Germic: American Green. Class, Crisis, and the
Deployment of Nature in Central Park, Yosemite, and Yellowstone, Lanham, Boulder, New York, Oxford 2001, S. 22. 51 | Lewis Mumford, zit. nach: Witold Rybczynski: A Clearing in the Dis-
tance. Frederick Law Olmsted and America in the Nineteenth Century, New York 1999, S. 91.
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dent«) für die Arbeiter zu finden. Eines der Mitglieder der Parkbehörde, Charles W. Elliott, kam im August 1857 in einem Küstenort in Connecticut zufällig mit einem Mann ins Gespräch, den er nicht nur von dessen Schriften her kannte und schätzte. Elliott empfahl ihm, sich auf die freie Stelle zu bewerben.52 Am nächsten Tag fuhr Elliotts Gesprächspartner nach New York zurück, beschaffte sich einflussreiche Unterstützung etwa von Bryant, Washington Irving, Schriftsteller und erster Vorsitzender der Parkbehörde,53 Greeley, Charles Loring Brace und James Fenimore Cooper, reichte seine Bewerbung ein und – erhielt den Posten. Dieser Mann war Frederick Law Olmsted. Die Qualifikationen, die der damals fünfunddreißigjährige Olmsted für eine solche Stelle vorweisen konnte, die die Aufsicht über 500 oder 600 Arbeiter vorsah, fielen vergleichsweise gering aus. Er hatte sich zwar einen Namen als Journalist gemacht und konnte eine gute Kenntnis europäischer Landschaftsgärten und Parks vorweisen, besaß jedoch nur wenig Erfahrung in der Beaufsichtigung von Arbeitskolonnen und keine in der Leitung eines Bauvorhabens von so großen Ausmaßen. Dennoch sprach in den Augen der Kommission einiges für ihn, darunter seine politische Haltung und die ins Reformkonzept der Zeit passende Überzeugung, eine durchdacht gestaltete Umwelt nehme Einfluss auf Charakter und Lebensweise der Unterschichten.54 Frederick Law Olmsted, 1822 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Hartford, Connecticut geboren,55 wuchs im Geiste des
52 | Vgl. Lee Hall: Olmsted’s America. An ‘Unpractical’ Man and his Vi-
sion of Civilization, Boston 1995, S. 52f. 53 | Wie Bryant präsentierte Irving seinen Landsleuten die Natur als we-
sentlichen Faktor: »We send Americans to cities to educate them. Send them to the Country. […] It is then the heart gets steeped in virtue that afterwards makes it invulnerable to the […] shafts that await it in the thronged […] conflicts of busy life.« Der Genuss der Naturschönheit entzücke und mache das Individuum zu einem besseren Menschen. Washington Irving: The Complete Works of Washington Irving, Bd. 3: Journals and Notebooks 1819-1827, hg. von Walter A. Reichart, Madison, London 1970, S. 661. 54 | Vgl. Burrows/Wallace: Gotham, S. 793. 55 | Er entstammte einer Familie, die ihre Ursprünge in der Neuen Welt
130 | Angela Schwarz
unabhängigen, dem Gemeinwohl verpflichteten Farmers auf, so wie ihn Thomas Jefferson zum Rückgrat der Nation erklärt hatte.56 Verschiedene Umstände kamen zusammen und verhinderten, dass Olmsteds Ausbildung und Berufsleben einen geradlinigen Verlauf nahmen. Er arbeitete zunächst als Angestellter in einer New Yorker Importfirma, heuerte 1843 auf einem Handelsschiff an und fuhr nach Kanton (China), wollte sich danach in Yale wissenschaftlich auf den selbst gewählten Beruf eines Farmers vorbereiten und begann dann doch, unterstützt von seinem Vater, 1847 ohne abgeschlossenes Studium auf dem selbstgewählten Betätigungsfeld. Auf der eigenen Farm zuerst in Connecticut, dann auf Staten Island arbeitete er, unterbrochen von seinen Reisen, sieben Jahre lang, darum bemüht, die Landwirtschaft nach wissenschaftlichen Methoden zu betreiben und diese stetig weiterzuentwickeln. Dazu rezipierte er die Schriften zahlreicher Agrarwissenschaftler vor allem aus jenem Land, das er als Geburtsort der wissenschaftlich betriebenen Landwirtschaft verehrte: England.57 Viele Einflüsse auf den Autodidakten erschließen sich über seine Lektüre und seine Kontakte. Die Schriften herausragender englischer Landschaftsgärtner wie William Gilpin und Uvedale Price kannte er bestens. Auch den Volksparkgedanken58 in der deutschen Gartenauf James Olmsted zurückführte, der 1639 aus England gekommen war. Vgl. Hall: Olmsted’s America, S. 10. 56 | Olmsted bewunderte Jefferson und sah wie dieser die kleine unab-
hängige Farm als Kern der amerikanischen Demokratie. In seinen Büchern über den Süden zitierte Olmsted Jefferson, um zu zeigen, den Süden habe einmal eine gegen die Sklaverei gerichtete, liberale und demokratische Gesinnung ausgezeichnet. Vgl. Albert Fein: Introduction, in: ders. (Hg.): Landscape into Cityscape. Frederick Law Olmsted’s Plans for a Greater New York City, Ithaca, New York 1967, S. 13. 57 | Vgl. Charles E. Beveridge/Paul Rocheleau: Frederick Law Olmsted:
Designing the American Landscape, New York 1995, S. 11, 13, 16. Dem Farmer und der »farming community« fühlte er sich selbst nach vierzig Jahren in anderen Tätigkeiten noch verbunden. Vgl. Olmsted, zit. nach: Rybczynski: Clearing, S. 92. 58 | Der Volksparkgedanke gilt in der Forschung als spezifisch deutsche
Entwicklung. Vgl. Patrick Goode: »Public Parks«, in: ders./Michael Lancas-
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 131
theorie hatte er rezipiert, so wie er im 18. Jahrhundert etwa vom Kieler Professor für Philosophie und Ästhetik Christian Cay Lorenz Hirschfeld formuliert worden war. Danach kamen Parks und Grünanlagen nicht als königliche oder adelige Schöpfungen zustande, die schließlich breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich wurden, sondern wurden gleich für das ›Volk‹ geplant. In diesem Sinne gestaltete etwa der bedeutendste deutsche Parkschöpfer seiner Zeit, Friedrich Ludwig Sckell, ab 1804 den Englischen Garten in München.59 Besonders nachhaltig wirkten sich auf den Begründer der Landschaftsarchitektur in den Vereinigten Staaten die fünf Reisen aus, die er bis 1892 nach Europa unternahm.60 Seine erste Europareise 1850 führte ihn nach Großbritannien, Frankreich, Belgien, Holland und in einige deutsche Staaten. Wie sich seinem Bericht »Walks and Talks of an American Farmer in England« (1852) entnehmen lässt, beeindruckten ihn in der Alten Welt von Anfang an nicht nur die aristokratischen Landschaftsparks, sondern gerade auch die professionell angelegten öffentlichen Gärten.61 Eher zufällig fand er 1850 mit seinem Bruder John und dem Freund Charles Loring Brace als Reisegefährten bald nach der Landung in Liverpool den Weg nach Birkenhead Park. Birkenhead, zwischen 1843 und 1847 angelegt als öffentlicher Park von Joseph Paxton, dem Erbauer der Gewächshäuser in Chatsworth und des Kristallpalastes für die Weltausstellung 1851, war der weltweit erste Park, der aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Mit hochfliegenden Plänen für die Schaffung der »city of the future« hatten die Stadträte für ihre Gemeinde als erste Gelder für den Kauf von Grundstücken für künftige Grünflächen aufgenommen, kaum das die ter/Geoffrey Jellicoe/Susan Jellicoe (Hg.): The Oxford Companion to Gardens, Oxford, New York u.a. 1986, S. 457. 59 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 24f., 32f. Nach amerikanischem Ver-
ständnis galt jeder Park als Volkspark, der allen sozialen Schichten zugänglich war, also auch Anlagen wie Versailles oder die Parks um Windsor. Vgl. ebd., S. 235 (Anm. 65). 60 | Die sechste Reise nach England 1895/96 diente allein der Besserung
seines angeschlagenen Gesundheitszustandes und bestand zum überwiegenden Teil aus einem Aufenthalt im Haus eines Arztes. 61 | Vgl. Beveridge/Rocheleau: Designing, S. 17.
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britische Regierung dies in einem entsprechenden Gesetz genehmigt hatte.62 Olmsted lobte das Maß an Perfektion in der Landschaftsgestaltung und zeigte sich beeindruckt davon, dass alles an dem Gelände von Menschenhand gestaltet war. Die Wege für Spaziergänger und Kutschen sowie die Durchfahrten konnten so in das Gelände integriert werden, dass sie den Blick auf die Natur nicht beeinträchtigten. Das sollte sich Olmsted für seine eigenen Planungen später zum Vorbild nehmen. Besonders nachdrücklich prägte sich ihm neben dem Landschaftsdesign und der technischen Umsetzung die Beobachtung ein, dass durch die offenen Tore tatsächlich Angehörige aller Schichten ihren Weg in den Park fanden.63 Olmsteds Augenmerk begann sich allmählich zu verlagern. Der Farmer, der auf der Suche nach Anregungen für verbesserte Agrarmethoden und Kontakten zu Gärtnern und Baumschulen nach Europa gekommen war, entwickelte sich zum Enthusiasten für Landschaftsgestaltung als künstlerisches und zugleich sozialpolitisches Instrument. Angesichts eines solchen Interesses richtete er in den Gärten in England, Frankreich und den deutschen Staaten sein Augenmerk nicht nur auf die gartenkünstlerische Gestaltung, sondern in besonderem Maße auf die sozialen Funktionen, die einzelne Elemente oder der Park als Ganzes erfüllen sollten.64 England wurde zum Prüfstein für seine Ideen über ländliche Szenerien. Er wollte nicht nur kopieren, sondern genau verstehen, wie die Natur manipuliert werden konnte, um den gewünschten malerischen bzw. erhabenen Effekt (»picturesqueness« oder »sublimity«) zu erzielen. Der Einsatz von Technik, etwa von Ent- und Bewässerungssystemen, leistete einen we62 | Vgl. Hilary A. Taylor: »Birkenhead Park«, in: Candice A. Shoemaker
(Hg.): Encyclopedia of Gardens. History and Design, Chicago, London, Bd. 1, S. 143f. 63 | Vgl. Rybczynski: Clearing, S. 93. Vgl. auch seinen eigenen Bericht
»The People’s Park at Birkenhead, near Liverpool«, der im Mai 1851 in Downings Zeitschrift The Horticulturalist erschien. Abgedruckt in: The Papers of Frederick Law Olmsted. Supplementary Series, Bd. 1: Writings on Public Parks, Parkways, and Park Systems, hg. von Charles E. Beveridge/Carolyn F. Hoffman, Baltimore, London 1997, S. 69-75. 64 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 32.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 133
sentlichen Beitrag dazu, sodass Olmsted den Kontakt zu Ingenieuren ebenso suchte wie zu Landschaftsplanern, Gärtnern und Besitzern von Baumschulen. Wahrscheinlich durch den englischen Landschaftsgärtner und Herausgeber des Gardener’s Magazine John Claudius Loudon dazu angeregt, studierte Olmsted wiederholt und intensiv den Englischen Garten in München. Loudon schätzte Sckells Schöpfung so hoch ein, dass er ihr den Vorzug sogar vor den englischen Anlagen wie Hyde Park oder Regent’s Park gab.65 Olmsted seinerseits beschrieb den Englischen Garten als angenehmer als jeden anderen öffentlichen Park auf dem Kontinent.66 Wie Sckell für München wollte er später zusammen mit Calvert Vaux für New York das Grün in ländlichen Bildern inszenieren, Bäume, Sträucher, Felsen so gruppieren, dass sich malerische Ansichten und Räume für Naturkontemplation ergäben. Wie Sckell in Anlehnung an Hirschfeld schrieb Olmsted dem Park eine soziale Aufgabe im urbanen Lebensraum zu: Bewegung, Erholung und Naturgenuss für den Städter sowie Begegnung von Angehörigen der verschiedenen Gruppen der städtischen Gesellschaft.67 Die Besuche in den Parks Europas, ob in Liverpool, London, Paris, Frankfurt am Main, München, Dresden oder später in Florenz und Pisa, ließen ihn wie zuvor Andrew Downing beklagen, dass es im demokratischen Amerika im Unterschied zur Alten Welt keinen öffentlichen Park, keinen, um mit seinen Worten zu sprechen, »People’s Garden« oder »People’s Park«68 gebe. Nach seiner Rückkehr festigte Olmsted seinen neu gewonnenen Ruf als aufmerksamer Beobachter mit einer Artikelserie für die New York Daily Times, die er auf zwei Reisen durch die Südstaaten der USA verfasste.69 Als Zeitschriftenherausgeber und Partner in einem Ver65 | Vgl. John Claudius Loudon, in: Gardener’s Magazine, Bd. 4, 1828,
S. 499 und S. 492f. 66 | Frederick Law Olmsted: »Park« (1875), in: Papers, Suppl. Series, Bd.
1, S. 323. 67 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 139. 68 | Olmsted: »Birkenhead«, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 69, 71. 69 | Die Artikel unterzeichnete er mit dem Pseudonym »yeoman«. Für
ihn verkörperte der »yeoman« in idealer Weise das Hauptmerkmal des demo-
134 | Angela Schwarz
lagshaus kurz zuvor gescheitert, kam Elliotts Empfehlung, sich um die Stelle in New York zu bewerben, gerade recht. Der in England geborene Architekt und frühere Mitarbeiter des 1852 verstorbenen Downing, Calvert Vaux, überredete die Parkkommission zur Auslobung eines öffentlichen Wettbewerbs für die Gestaltung des Geländes. Er besaß so viel Überzeugungskraft, dass er außerdem den zögernden Olmsted dafür gewinnen konnte, einen gemeinsamen Entwurf zu erarbeiten und einzureichen. 1858 votierte die Jury für den von den beiden vorgelegten »Greensward-Plan« und empfahl seine Ausführung, Beginn einer über zwei Jahrzehnte währenden Tätigkeit von Olmsted in New York und der langjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen ihm und Vaux.
3.2 Volkspark, Stadtpark und Nationalgeschichte: Olmsteds Konzeption des Central Park Alle Teilnehmer des Wettbewerbs, die insgesamt fünfunddreißig Entwürfe für den neuen Park vorlegten, mussten sich bei ihren Überlegungen der Tatsache bewusst sein, dass es Vergleichbares noch nirgendwo in den Vereinigten Staaten gab. Alle hatten Antworten auf grundlegende Fragen zu finden, die den jeweiligen Entwurf entscheidend prägen würden. Wie sollte ein öffentlicher Park in der Neuen Welt gestaltet sein, wie ein Park für die aufstrebende Metropole New York aussehen? Was ließ sich aus dem rechteckigen Areal, das die Mitte der Insel teilte und das für andere Bauvorhaben topographisch eher schwierig war, überhaupt machen? Olmsted und Vaux profitierten davon, in den wesentlichen Punkten übereinzustimmen. Beide wollten einen öffentlichen Raum, der sowohl die Ober- als auch die Unterschichten ›bilden‹ würde. Er sollte sowohl Kunstwerk als auch Sinnbild der Demokratie sein, der gelungene Versuch, »[to] translate Democratic ideas into Trees & Dirt«,70 kratischen Bürgers, d.h. einer Person, die ihre Rechte und Pflichten gegenüber sich selbst, der Familie und der Gemeinschaft gewissenhaft wahrnimmt. Vgl. Hall: Olmsted’s America, S. 10. 70 | Calvert Vaux in einem Brief vom 6. Juni 1865, zit. nach: Blackmar/
Rosenzweig: The Park and the People, S. 136. Struktur und Funktion einer
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 135
wie Vaux die Aufgabe beschrieb. Beide glaubten, dies am ehesten mit gestalteter Natur erreichen zu können, also mit Naturbildern, zusammengefügt zu einer »gallery of mental pictures«,71 und weniger mit Architektur. Deshalb enthielt der ursprüngliche Plan für einen »Grünbezirk« auch nur verhältnismäßig wenig Gebäudeelemente.72 Die beiden Partner arbeiteten mit ihrem Entwurf ein neues Raumkonzept aus, das zwar seine europäischen Einflüsse nicht verleugnen konnte, doch zugleich etwas typisch amerikanisches, ein Nationaldenkmal der jungen Nation sein sollte. Während Vaux für die architektonischen Elemente im Park verantwortlich zeichnete, die Brunnen, Brücken, Treppen, Bögen, Mauern, Zäune, Tore, oblag Olmsted die Landschaftsplanung und, während der gesamten Bauphase, die Beaufsichtigung der Arbeiter. Im Frühjahr 1858 waren das über 3.000 Männer, die baggerten, rodeten, planierten und pflanzten. Tausende andere hofften darauf, durch das Großprojekt ihren Unterhalt verdienen zu können und bestürmten Olmsted als Verantwortlichen unablässig. Bei der Landschaftsgestaltung erwies sich Olmsted als überaus kreativer Kopf und als Visionär. Mit der Umsetzung seines Konzepts für den Central Park, damals wie heute gefeiert als »Meisterstück«, größtes amerikanisches Kunstwerk des 19. Jahrhunderts und wohl wichtigster Beitrag der Vereinigten Staaten zur Kunst des Säkulums,73 stieg er zum führenden amerikanischen Landschaftsgärtner auf. Er und die von seinen Söhnen fortgeführte Firma, damit viele seiner grundlegenden Ideen, sollten das Feld der Landschaftsgestaltung in den USA in den nachfolgenden rund einhundert Jahren dominieren.74 So kann der Central Park als Blaupause und Experimentierfeld für viele Ideen angesehen werden, die in den folgenden Jahren in anderen demokratischen Kultur stellten sich Vaux und Olmsted allerdings unterschiedlich vor. Vgl. ebd., S. 136f. 71 | Olmsted, zit. nach: Miller: Central Park, S. 11. 72 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 65. 73 | Für Ersteres vgl. Burns/Sanders/Ades: New York, S. 113, für Letzteres
Miller: Central Park, S. 13. 74 | Vgl. Angela Schwarz: Olmsted Family, in: Shoemaker: Encyclopedia
of Gardens, Bd. 2, S. 961-966.
136 | Angela Schwarz
Parks, etwa in Brooklyn, Boston oder Riverside bei Chicago verwirklicht wurden. Es lohnt sich daher aus vielen Gründen, die Vorstellungen von Frederick Law Olmsted eingehender zu betrachten.75 Die Ideen, die Olmsted dem Plan und seiner Verwirklichung zugrunde legte, lassen sich in vier Bereiche einteilen, die für in gleichwohl eng miteinander verknüpft waren: Kunst, Natur, Stadt und Demokratie. Kunst Für den Leiter dieses umfangreichen städtischen Bauvorhabens, ihm unterstanden schließlich fast 4.000 Arbeiter, stellte der Landschaftspark zuallererst ein Kunstwerk dar, er sei »throughout […] a single work of art«.76 Olmsted folgte dem von ihm hoch geschätzten englischen Kulturkritiker und Ästheten John Ruskin in der Überzeugung, dass Schönheit, und hier besonders die Schönheit der Landschaft, das wichtigste Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität sei.77 Hauptaufgabe von Kunst sei es, die Gefühle anzusprechen – »to affect the emotions«.78 Kunst schule den Geschmack, der wiederum Voraussetzung für »gentility«, für Vornehmheit sei. Diese bildete für Olmsted nicht nur Signum einer zivilisierten Gesellschaft oder ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Ober- und Unterschichten. Vielmehr verbarg sich für ihn hinter dem Begriff eine Eigenschaft, die ihm zur Verwirklichung einer wahren Gemeinschaft unverzichtbar schien. Wahrnehmung des Ästhetischen, von »pleasure-bringing beauty«,79 75 | Die Forschung hat Olmsted nach vielen Jahrzehnten des Desinteres-
ses vor allem seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts als lohnenswerten Gegenstand wiederentdeckt, zu der Zeit also, als das Bemühen um die Restaurierung des verwahrlosten Parks größere Kreise zu ziehen begann. 76 | Frederick Law Olmsted: »A Review of Recent Changes, and Changes
which have been Projected, in the Plans of the Central Park«, Brief an H.G. Stebbins vom Januar 1872, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 250. 77 | Vgl. Irving D. Fisher: Frederick Law Olmsted and the City Planning
Movement in the United States, Ann Arbor, Mich. 1986, S. 21f. 78 | Olmsted, zit. nach: Beveridge/Rocheleau: Designing, S. 43. 79 | Frederick Law Olmsted: »Notes on the Plan of Franklin Park and
Related Matters« (1886), in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 475.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 137
aktiviere die für die Gemeinschaft wichtigen Sensibilitäten im Individuum. Das Schöne löse im Betrachter eine psychologische Wirkung aus, die die Gesellschaft verbessern würde. Angeregt durch seine Kenntnisse von Gärten in Europa, darunter Trentham in Staffordshire und Chatsworth in Derbyshire, die der Idee von Lancelot »Capability« Brown von einer einheitlichen Erfahrung der Landschaft Gestalt verliehen,80 übertrug Olmsted zum einen die Formensprache eines aristokratischen Modells auf die Verhältnisse der industriell aufstrebenden Demokratie, so wie er sie sah. Dabei ließ er sich jedoch nicht nur, wie die Forschung mit ihrer Konzentration auf Großbritannien lange unterstellte, vom englischen Landschaftsgarten vor allem des 18. Jahrhunderts anregen, der geprägt war von den Bedürfnissen und der Kultur der – zumeist adeligen – Oberschichten. Vielmehr fand er zum anderen in der Idee eines Parks für das Volk, d.h. für alle sozialen Schichten, die als spezifisch deutsche Entwicklung gilt, an anderer Stelle eine Bestätigung für seine Überzeugung, Kunst müsse eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Franziska Kirchner hat in ihrer Studie über den Central Park 2002 eindrucksvoll nachgewiesen, dass die deutschen Einflüsse auf Olmsted und den New Yorker Park weit über die Rezeption von Schriften oder die Gartenbesichtigungen in deutschen Städten hinausreichten. Trotz der Anlehnung an europäische Vorbilder verstand der Urheber seinen Greensward-Plan und alle weiteren Entwürfe und geschaffenen Parks und Anlagen allerdings als typisch amerikanisch, eine Einschätzung, der die moderne Kunstgeschichte folgt.81 Der Landschaftsarchitekt drückte damit einem Bereich der Kultur seinen Stempel auf, in dem sich die USA vom früheren britischen bzw. europäischen Vorbild lösten.82
80 | Vgl. Rybczynski: Clearing, S. 180f. 81 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 265. 82 | Vgl. etwa Willi Paul Adams: Die Ausbildung amerikanischen Natio-
nalbewußtseins und amerikanischer Kultur im 18. und 19. Jahrhundert, in: Thomas Gaehtgens (Hg.): Bilder aus der Neuen Welt. Amerikanische Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1988, S. 31. Vgl. zu Ersterem ebd., S. 33.
138 | Angela Schwarz
Natur Olmsted setzte sich zu einem Zeitpunkt für die Schaffung von Parks ein, als sich das Bild der Amerikaner von der Natur radikal zu ändern begann. Lange Zeit hatte die Vorstellung von der existentiell bedrohlichen Wildnis vorgeherrscht. Im späten 18. Jahrhundert setzte Thomas Jefferson das pastorale Idyll, das Bild vom Paradies der Republik als Leistung der tugendhaften und selbstgenügsamen Farmer dagegen. Im 19. Jahrhundert begannen unter anderem Literatur und Malerei mit der Idealisierung der Natur genau zu jenem Zeitpunkt, als sie durch Besiedlung, Eisenbahnbau und Industrialisierung immer mehr zerstört wurde. Die Landschaftsmalerei entwickelte sich in der Zeit in den USA zu einer wichtigen Ausdrucksform des spezifisch Amerikanischen. Der Maler Thomas Cole etwa schrieb der Natur Nordamerikas »features, and glorious ones, unknown to Europe« zu. Sie sei im Vergleich zur europäischen jungfräulicher (»virgin charms«), so wie die Neue Welt im Vergleich zur Alten unschuldiger sei.83 Um 1830 begann das gewandelte Naturverständnis immer mehr Anhänger zu finden, bald erweitert um eine religiöse Komponente. Ralph Waldo Emersons Essay »Nature« (1836) gilt als Meilenstein dieser Deutung, aber auch Washington Irving oder William Cullen Bryant, um zwei Namen zu nennen, die ihren Platz in der Geschichte des Central Park haben, verfochten die Forderung einer intensiven Nähe und Liebe zur Natur. Es war in der Stadt, wo sich die besondere Wertschätzung für die »untrodden wilds« herausbildete. Hier galt es, Wege zu finden, das Ursprüngliche der Natur zu bewahren und in die urbane Existenz zu integrieren. Als die Maschine in den Garten Eden vorgedrungen,84 die Wildnis gezähmt war, entdeckte die Nation die Natur als Kulturgut, als Teil der nationalen Identität. Olmsteds Vorstellung vom Park als Ort der nationalen Identitätsstiftung und Festigung des Gemeinschaftssinns gehört in diesen Kontext. Getreu seiner puritanisch beeinflussten Jugend durfte Naturer83 | Thomas Cole: Essay on American Scenery, in: American Monthly
Magazine, Bd. 7, Januar 1836, S. 4. 84 | Vgl. Leo Marx: The Machine in the Garden. Technology and the Pas-
toral Ideal in America, London, New York 1967.
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leben nie rein ästhetisch sein, sondern sollte sich in der Stärkung von Moral und Pflichtgefühl niederschlagen. In inszenierten Landschaftsbildern, die typische Ansichten des nordamerikanischen Kontinents wiedergaben, in der Verwendung einheimischer Pflanzen und Baumaterialien sollte die Natur des Landes für jeden Städter greifbar werden und den Stolz auf die nationalen Besonderheiten erhöhen.85 Denn die Parklandschaft besaß eine wesentliche Funktion als Korrektiv für die Entwicklungen, die die Nation vom Ideal der frühen Republik fortgeführt hatten – eine Auffassung nicht nur des Landschaftsgärtners. Im Park kämen wieder alle sozialen Klassen zusammen, vereint im Genuss der Naturschönheiten, sodass die Differenzen zwischen ihnen in den Hintergrund rücken würden. Als Individuen in ihren moralischen Qualitäten und als Bürger in ihrem Gemeinsinn gestärkt, träten sie aus dem Park heraus und kehrten in die Stadt zurück. Stadt Diese Stadt stellte sich nicht nur negativ dar. Vielmehr stand Olmsted dem urbanen Wachstum und den Möglichkeiten im Lebensraum Stadt wohlwollend gegenüber. Die zahlreichen zeitgenössischen Kritiker und Feinde der Großstadt sahen in dem Mehr an Einwohnern und bebauter Fläche die Ursache eskalierender Probleme: mehr Epidemien, niedrigere Lebenserwartung, mehr Kriminalität, mehr Unruhen, mehr Gefahren für das Gemeinwesen. Olmsted widersprach dieser Einschätzung als »entirely fallacious« und lobte die Verbesserung der Hygiene und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, die Zunahme an persönlicher Freiheit und an Wissen, die Reduzierung religiöser Verfolgung,86 die die Stadt erst möglich gemacht habe. Nun gelte es, die Triebkräfte der Expansion auszunutzen. Man müsse die Missstände der Stadt beseitigen und die im Ländlichen gewachsenen Werte in die Großstadt und die moderne Zeit überführen.87 Solche Werte 85 | Vgl. Julius Gy. Fabos/Gordon T. Milde/V. Michael Weinmayr: Frede-
rick Law Olmsted, Sr. Founder of Landscape Architecture in America, Amherst, Mass. 1968, S. 12. 86 | Frederick Law Olmsted/Calvert Vaux: »Report to the Brooklyn Park
Commission«, 1. Januar 1868, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 125. 87 | Vgl. auch Fein: Landscape into Cityscape, S. 30. Am ehesten ließ sich
140 | Angela Schwarz
umschrieb Olmsted mit Begriffen wie Familie, nachbarschaftlicher Zusammenhalt und Unabhängigkeit. Dabei rief er seine Landsleute nicht etwa auf, den Weg »zurück zur Natur« einzuschlagen, sondern ließ keinen Zweifel daran, dass die Zukunft der jungen Nation wie der Menschheit generell in der Stadt läge: »Our country has entered upon a stage of progress in which its welfare is to depend on the convenience, safety, order and economy of life in its great cities. It […] cannot gain in virtue, wisdom, comfort, except as they also advance.«88 Ein Blick auf das New York der Jahrhundertmitte genügt, um zu erkennen, dass sich ein solches Vorhaben einer Vielzahl von Missständen zuwenden musste. Enge, Schmutz, Lärm, die düstere Atmosphäre und schlechte Luft der ärmeren Bezirke gehörten dazu. Nicht nur in der Wahrnehmung des Landschaftsarchitekten89 wirkte das starre Raster des Straßennetzes mit seiner Monotonie der Rechtwinkligkeit erdrückend. Olmsted machte den »grid« mit dafür verantwortlich, dass unter den Stadtbewohnern Aggression aufgebaut würde und wiederholt in Unruhen zum Ausbruch käme.90 Als »grüne Lunge der Stadt« sollte der Park die täglichen Beeinträchtigungen durch schlechte Luft und unhygienische Verhältnisse kompensieren, eine Art Kurort das im Vorort verwirklichen. Olmsted beschrieb die Vororte als »the most attractive, the most refined and the most soundly wholesome forms of domestic life, and the best application of the arts of civilization to which mankind has yet attained.« Frederick Law Olmsted: »Riverside, Illinois: A Planned Community near Chicago« (1868), in: ders.: Civilizing American Cities. Writings on City Landscapes, hg. von S.B. Sutton, New York 1997, S. 295. 88 | Frederick Law Olmsted: »The Beginning of Central Park: A Fragment
of Autobiography« (1877), zit. nach: Fein: Landscape into Cityscape, S. 1. 89 | Edith Wharton etwa charakterisierte das New York ihrer Jugend als
»this little low-studded rectangular New York, cursed with its universal chocolate-coloured coating of the most hideous stone ever quarried, this cramped horizontal gridiron of a town without towers, porticoes, fountains or perspectives, hide-bound in its deadly uniformity of mean ugliness«. E. Wharton: A Backward Glance, New York 1934, S. 55. 90 | Die Ursache für die negativen Seiten der Stadt fasste er 1870 in ei-
nem Vortrag zusammen: »Public Parks and the Enlargement of Towns«, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 171-201.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 141
in der Metropole sein, wo jeder zumindest für einige Stunden ein »Bad sonniger und reiner Luft« genießen könne. Über diese im wörtlichen Sinne heilende Wirkung hinaus kam der gestalteten Natur noch eine weiter gefasste therapeutische Bedeutung zu. Denn angesichts der Belastungen des modernen großstädtischen Lebens mit seinem Tempo, seiner Unnatürlichkeit und seinem psychischen Druck sollte der Central Park als ein Gegenmittel angenommen werden, das dem gehetzten Städter Erholung verschaffte. Olmsted, der für die Zukunft mit einem beschleunigten Wachstum rechnete,91 ging noch einen Schritt weiter, als er die negativen Begleiterscheinungen des modernen Lebens detaillierter darstellte und von einseitig ausgerichteten, fragmentierten Persönlichkeiten und »excessive nervous tension, over-anxiety, hasteful disposition, impatience, irritability«92 sprach. Damit nahm er eine Deutung vorweg, die um die Jahrhundertwende etwa in der soziologischen Theorie, so bei Ferdinand Tönnies (Trennung von Gemeinschaft und Gesellschaft) und Georg Simmel (Fragmentierung als Hauptmerkmal der urbanen Existenz) einerseits und der Neurasthenie-Debatte andererseits ins Zentrum rücken sollte. In der Diskussion um die neue medizinische Diagnose »Neurasthenie« deuteten besorgte Zeitgenossen der Mittel- und Oberschichten die Großstadt als Herd einer sich ausbreitenden ›Krankheit‹: Ihre Heterogenität und Dynamik führe erst zu Nervosität und Reizbarkeit, dann zu Hysterie von einzelnen und schließlich zur Verweichlichung bzw. Schwächung der ganzen Nation.93 Olmsted ver91 | Olmsted/Vaux: Report, 1868, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 125f.,
sowie Olmsted: »Public Parks and Enlargement«, ebd., S. 173f. 92 | Olmsted: »Notes on the Plan of the Franklin Park«, in: Papers, Sup-
pl. Series, Bd. 1, S. 477. »Civilized men, while they are gaining ground against certain acute forms of disease, are growing more and more subject to other and more insidious enemies to their health and happiness, and against these the remedy and preventive cannot be found in medicine or in athletic recreation but only in sunlight and such forms of gentle exercise as are calculated to equalize the circulation and relieve the brain.« Olmsted, zit. nach: Beveridge/Rocheleau: Designing, S. 38. 93 | Vgl. Kapitel 5.1. im Abschnitt über London; zur Neurasthenie-Debat-
te und zur Furcht vor physischer Degeneration in Großbritannien und den
142 | Angela Schwarz
wies in dem Zusammenhang auf die heilende Wirkung der Natur, die einen Prozess auslöse, den er »unbending« nannte. Sie konnte nach damaligem Verständnis allein Ruhe und Regeneration garantieren.94 »No disgrace, no calamity, […] which nature cannot repair«,95 schrieb der Dichter Ralph Waldo Emerson, auf den sich Olmsted wiederholt bezog. Viele Beobachter kritisierten am damaligen Amerika einen materialistischen Geist, der sich besonders auffällig in den großen Städten und nirgendwo deutlicher als in New York äußere.96 Olmsted unterschied sich darin nicht vom Gros solcher Beobachter, glaubte jedoch, die ländlich inszenierte Natur vermöge das harte, vom Kommerz bestimmte Verhalten und Konkurrenzdenken wieder aufzuweichen und aufzuheben.97 Was an Denkmustern und Verhaltensweisen aus der Welt des Geschäfts hervorging, darunter die Gewohnheit, alles nach seinem Marktwert zu beurteilen, würde im Sanktuarium des Parks für die Dauer des Aufenthaltes abgestreift. Der Park erhielt danach die Funktion eines in den öffentlichen Raum erweiterten bürgerlichen Heims, in dem das – männliche und bürgerliche – Individuum Schutz vor der korrumpierenden Welt »da draußen« finden würde. Wenn Olmsted demnach erklärte, »the park should […] complement Vereinigten Staaten vgl. Angela Schwarz: »Zuschauen allein macht nicht fit. Sportbegeisterung und Kulturkritik in Großbritannien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert«, in: Quadratur. Kulturbuch, Heft 3: Sportwelten, 2000, S. 141-157. 94 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 59. 95 | Ralph Waldo Emerson: »Nature. An Essay«, in: ders.: Nature, Henry
David Thoreau: Walking, hg. von John Elder, Boston 1991, S. 8. 96 | Ähnliches ließ auch der sonst wohlwollend gestimmte französische
Kommentator der USA Alexis de Tocqueville nach seinem Besuch in New York 1831 verlauten. Die Stadt werde von den Bewohnern wie ein »kompliziertes Instrument von Büros, Restaurants und Läden, für das Geschäft behandelt. Die Architektur sei nichtssagend und fade, jedes Hindernis sollte aus dem Weg geräumt sein. Tocqueville, zit. nach: Richard Sennett: The Conscience of the Eye. The Design and Social Life of Cities, New York, London 1992, S. 52. 97 | Vgl. Kirchner: Central Park, S. 57, und Olmsted: »Public Parks and
Enlargement«, in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 171ff.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 143
the town«,98 verwandte er das Verb »to complement« nicht nur im Sinne von ergänzen, sondern auch von perfektionieren: die beste aller möglichen Welten als Synthese der Vorzüge von zwei überwiegend guten. Demokratie Kunst- und Naturgenuss für alle in der Stadt: Das führt in den letzten Bereich, in Olmsteds Demokratieverständnis hinein. Lässt sich der Mann aus der Mittelschicht tatsächlich als demokratischer Sozialreformer sehen? In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde er als solcher verstanden, wobei er mit seiner Beschreibung des Central Park als »democratic development of the highest significance«99 solchen Deutungen bereits vorgearbeitet hatte. Unbestritten ist sein vorrangigstes Motiv, einen Volkspark zu schaffen, und das hieß für ihn einen Ort der Naturbegegnung für alle Schichten der urbanen Gesellschaft. Die Idee einer solchen Einrichtung, die in den expandierenden Städten Europas diskutiert und umgesetzt wurde, sollte jedoch nicht nur in den USA kopiert, sondern so auf nordamerikanische Verhältnisse übertragen werden, dass im Volkspark die demokratischen Institutionen versinnbildlicht und in einem nationalen Monument vereint werden würden. Für die Interpretation Olmsteds als ›demokratischen Helden‹ ließe sich zudem die Aufgabe anführen, die er für die Regierung vorsah. Sie sollte nämlich dafür Sorge tragen, allen Bürgerinnen und Bürgern die Vorzüge zuteil werden zu lassen, die bislang nur wenige Privilegierte in den kleineren Städten und auf dem Land hatten genießen können. Das war in gewisser Weise das Politikverständnis aus der Frühzeit der Republik, übertragen in die sozial, ethnisch, kulturell und konfessionell veränderte Nation der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die 98 | Ebd., S. 190. Ein Abgleich mit anderen Quellensammlungen – z.B.
Olmsted: Civilizing American Cities, S. 81 – zeigt, dass die in den Papers gewählte Schreibweise »compliment« ein Druckfehler sein muss. 99 | Olmsted kurz nach Baubeginn über den Park in einem Brief an
Parke Godwin, 1. August 1858, in: Charles E. Beveridge, David Schuyler (Hg.): Creating Central Park 1857-1861. The Papers of Frederick Law Olmsted, Baltimore, London 1983, Bd. 3, S. 201.
144 | Angela Schwarz
Kommunalpolitiker in New York, die Demokraten von Tammany Hall, die späteren so genannten »City Bosse« wie William M. Tweed, die das Bauvorhaben und den Park in ihr Pfründensystem zu integrieren, also für ihre Art des Stimmenfangs zu instrumentalisieren gedachten, standen dem im Wege. Daher bekämpfte Olmsted dieses System und seine Korruption mit einer ähnlichen Entschlossenheit und Zielsetzung, wie sie die Gruppe der so genannten »Muckrakers« und ein Teil der Progressivisten am Jahrhundertende an den Tag legen sollten. Wie jene kritisierte Olmsted den Geist des exzessiven Materialismus, der die Nation ihren ursprünglichen Idealen entfremdet habe. Es fehlten Begegnungsstätten, die die für den sozialen Frieden und die Fortentwicklung der Nation so notwendigen »re-unions« von Reich und Arm ermöglichen würden. In einem Park für das Volk, wie Olmsted ihn konzipierte, würden sich die unterschiedlichen Sozialschichten treffen. Der »Rowdy« und »Ruffian« würde die Qualitäten eines Gentleman sehen und sich aneignen, während der Gentleman seiner sozialen Verantwortung nachkommen könnte, Vorbild und Lehrer für die »low, prejudiced, party enslaved and material people«100 zu sein. Dennoch lässt sich, schaut man sich seine sozialpolitischen Aussagen genauer an, das Bild vom egalitären Demokraten schwerlich aufrechterhalten.101 So musste der Reformprozess nach seiner Ansicht getragen werden von einer kultivierten Führungsschicht, deren Vertreter sich nicht scheuten, »to wear the badge of a gentry«.102 Wie andere Angehörige der kosmopolitisch ausgerichteten intellektuellen Eliten, etwa Edwin Godkin, Charles Eliot Norton oder Henry Adams, zeichne-
100 | Olmsted in einem Brief an Charles Loring Brace vom 1. Dezember
1854, zit. nach: Blackmar/Rosenzweig: The Park and the People, S. 138. 101 | Die These wurde bereits 1976 von Geoffrey Blodgett formuliert und
zu Beginn der neunziger Jahre von Elizabeth Blackmar und Roy Rosenzweig bestätigt. Vgl. Geoffrey Blodgett: »Frederick Law Olmsted: Landscape Architecture as Conservative Reform«, in: Journal of American History Bd. 62, Heft 4, (März) 1976, und Blackmar/Rosenzweig: The Park and the People. 102 | Olmsted, zit. nach: Fein: Landscape into Cityscape, S. 31. Olmsteds
Vorstellung vom idealen Reformer habe, so Fein, das Selbstbild der Progressivisten am Jahrhundertende vorweggenommen. Vgl. ebd.
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te sich Olmsted zudem durch ein deutliches Mißtrauen gegenüber den Unterschichten aus, denen es, wie er glaubte, an den nötigen Qualitäten fehle, um ein demokratisches Gemeinwesen zu tragen. Folglich bedurfte es einer Elite, die für die nötigen strukturellen Eingriffe zur Förderung von Bildung, »refinement« und Gemeinsinn (»communicativeness«) in der Nation insgesamt sorgen würde.103 Das Mißtrauen ließ ihn außerdem den Park als wichtiges Instrument der Sozialkontrolle begreifen. Zu tief hatten sich die Unruhen der vierziger und fünfziger Jahre in das Gedächtnis der Bürgerschaft eingegraben. Wenn der Landschaftsplaner betonte, im Park wirke ein »distinctly harmonizing and refining influence upon the most unfortunate and most lawless classes of the city«,104 würden Selbstkontrolle, Mäßigung und Höflichkeit erlernt, wusste er die Mehrheit der Mittel- und Oberschichten hinter sich. Mit einer solchen Deutung erlangte die Natur, obschon in abgewandelter, konservativ dominierter Form, ihre traditionelle Aufgabe als Schule der Nation und Wiege der Demokratie zurück.
3.3 Ein Park für das »Volk«? Der Central Park und seine Rezeption Die Arbeiten an dem Gelände befanden sich im Frühjahr 1858 bereits in vollem Gange. Wie in den Landschaftsgärten Englands, die so na-
103 | Olmsted schrieb den Experten und Stadtplanern dabei eine zentrale
Rolle zu. Vgl. ebd., S. 13f. 104 | Olmsted: »Public Parks and Enlargement«, in: Papers, Suppl. Series,
Bd. 1, S. 198f. Bereits Andrew Downing hatte diese Ambiguität an den Tag gelegt. So formulierte er die Forderung nach dem Park als demokratischer Einrichtung und »Empfangszimmer [drawing-room] der gesamten Bevölkerung« und blickte dann doch mehr auf die Reichen und Vornehmen. Von seinem Besuch in Europa zeigte er sich überaus beeindruckt vom Luxus der Parks im West End von London, während er den kurz zuvor geschaffenen Victoria Park, »expressly for the recreation and amusement of the poorer classes«, kaum erwähnte. Downing, zit. nach: Blackmar/Rosenzweig: The Park and the People, S. 30.
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Abbildung 4: Central Park, kolorierte Lithographie von Julius Bien, publiziert von John Bachmann, ca. 1865
Quelle: Museum of the City of New York, zit. nach: Kirchner: Central Park, S. 70f.
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türlich erschienen und doch ein Werk von Menschenhand waren, wollte Olmsted aus dem Gelände ein vollständig von Menschen gemachtes Naturabbild gestalten. Dazu musste das Gelände aufwendig hergerichtet werden. Zahlreiche Sprengungen waren nötig, die monatelang täglich die Umgebung erschütterten. Die ungeheure Menge von 2 Millionen Kubikmetern Gestein und Erdreich musste bewegt werden. Ein ausgeklügeltes unterirdisches Drainagesystem mit einem 95 Meilen langen Rohrsystem105 entstand nach und nach und sorgte schließlich für die nötige Wasserversorgung der künstlichen Seen und der Fontänen sowie für die Entwässerung. Es verwandelte den Park in ein technisches Meisterwerk, ohne dass sich die späteren Besucherscharen der Technisierung der Natur bewusst gewesen wären. Denn, sobald die Rohre verlegt waren, verwandelte die Landschaftsgestaltung über den Leitungen das Areal in einen Garten. Sechs Millionen Ziegel und 50.000 Kubikmeter Kieselsteine wurden verwandt, 25.000 Bäume und 250.000 Sträucher gepflanzt. Aus felsiger Brache zauberten die zumeist ungelernten irischen und deutschen Arbeiter, deutsche und englische Gärtner, italienische Steinmetze und ein Heer von Maurern, Schreinern und Schmieden106 eine sanfthügelige grün-blaue Oase. Aneignung der Natur und ihre Integration in die Stadt durch ihre technische Verwandlung, die aber als solche nicht erkennbar war, höchste Form jener »art to conceal art«:107 Damit praktizierte Olmsted einen Umgang mit der Natur, der später als amerikanisches Spezifikum ausgemacht werden sollte.108 Für jemanden, der in solchen Dimensionen bislang noch nicht gearbeitet hatte, legte er eine bemerkenswerte räumliche und ästhetische Vorstellungskraft an den Tag. Denn obschon sich die Bauarbeiten noch Jahre hinzogen, der südliche Teil im Sommer 1861 als weitgehend fertiggestellt galt, konnte sich die eigentliche Gestalt des Parks erst nach vielen Jahren zeigen, wenn die Pflanzen und besonders die Sträucher und Bäume ihre volle Höhe erreicht hätten. 105 | Vgl. Burns/Sanders/Ades: New York, S. 109. 106 | Vgl. ebd. 107 | Vgl. Fisher: Olmsted and the City Planning Movement, S. 27. 108 | Vgl. Marx: Machine in the Garden, und Miller: Central Park, S. 12f.
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Um den Park tatsächlich zum großen Kunstwerk der Republik zu machen, erhielt die Schaffung von Landschaftsbildern den Rang des vorherrschenden Gestaltungsprinzips. Im Süden, an die von den Wohlhabenden bewohnten Stadtbezirke angrenzend, entstanden kleinteilige Ansichten, in denen die Architektur mehr Raum zugewiesen bekam. Das entsprach dem Freizeit- und Repräsentationsbedürfnis der Oberschichten. Im Norden, zu den dünn besiedelten Gebieten hin, erhielt der Park größere Weitläufigkeit, mehr pittoreske Naturbilder, in denen sich der Städter je nach Wunsch verlieren oder zur stillen Kontemplation aufgefordert fühlen konnte.109 Um die Welt des Parks von der der Stadt zu trennen, griffen die Schöpfer neben der Naturgestaltung noch zu anderen wichtigen Mitteln. So war das rechtwinklige Straßenraster im Park ein Tabu. Wege und Straßen mussten kurvig und gewunden angelegt sein, nicht zuletzt als Therapie für die Folgen, die die Rigidität des städtischen Straßenplans für das Nervenkostüm des Städters hatte. Überdies hatten die Stadtväter im Wettbewerb vier Ost-West-Straßen durch den Park gefordert. Olmsted und Vaux kamen auf den genialen Einfall, diese in Hohlwegen vor dem Blick zu verbergen, sodass es keine Störung der Illusion geben würde, fern ab von der Stadt zu wandeln. Hatten die Wohlhabenden am nachdrücklichsten die Schaffung von Reit- und Kutschwegen gefordert, so erfüllten die Parkschöpfer dies mit möglichst geringer Störung für jene, die dem städtischen Verkehr entkommen wollten: Die Wege für den schnelleren Transport wurden von den Spazierwegen getrennt – bei parallelem Verlauf in erster Linie, um Unfälle zu vermeiden. Vor die Parkmauer ließ Olmsted eine dichte Baumreihe pflanzen, die das Häusermeer dahinter vergessen machen sollte. Wer den Park durch einen der achtzehn Eingänge betrat, benannt nach den Berufs- und Bevölkerungsgruppen, auf die sich die Republik gründete,110 sollte fast unmittelbar ins Ländliche hineingezogen werden. Zu schauen gab es dann eine Natur, die durch Bepflanzung und Anlage der einst unberührten Wildnis des nordameri109 | Vgl. ebd., S. 102. 110 | Dazu gehören unter anderem das Pioneer’s Gate, Scholar’s Gate,
Student’s Gate, Artisan’s Gate, Miner’s Gate, Merchant’s Gate, Inventor’s Gate und das Children’s Gate.
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kanischen Kontinents nachempfunden war, transformiert und konserviert in der größten Stadt des Landes. Noch vor der endgültigen Fertigstellung stand der »Volkspark« den New Yorkern offen. Olmsted hatte jedoch gewisse Bedenken. »A large part of the people of New York«, schrieb er, »are ignorant of a park, properly so-called. They need to be trained to the proper use of it.«111 Damit meinte er in erster Linie die städtischen Unterschichten. Im Zweifel, ob der Park unmittelbar edukativ wirken könnte, entwarf er eine Liste von Vorschriften und ließ, um ihre Einhaltung zu fördern, die 125 verschiedenen Ge- und Verbote im ganzen Park auf Schildern und Tafeln anbringen: Blumen pflücken verboten, Betreten der Rasenflächen verboten, Picknicken verboten, »Körperaktivitäten« – gemeint waren vor allem Ballsportarten – verboten. Wer dennoch den Weisungen zuwiderhandelte, sollte von der eigens eingerichteten Parkpolizei eines besseren belehrt werden, »respectfully aid[ed] […] toward a better understanding of what is due to others, as one gentleman might manage to guide another.«112 Die Parkpolizei zeigte auf von Olmsted genau festgelegten Patrouillengängen113 ihre Präsenz und unterstrich dadurch den Eindruck von »law and order« auf dem Gelände. Schon beim Betreten des Parks sollte der Besucher diesen Eindruck gewinnen, wenn er den Wächter am jeweiligen Tor passierte. Das Foto aus der Frühzeit des Central Park (Abbildung 5) dokumentiert die Autorität, die die Wächter allein durch ihr Auftreten, unterstützt durch Uniform und Knüppel, ausstrahlen sollten. Neben der Einhaltung der Regeln im Park hatte die Polizei gleichwohl eine für die Stadtgesellschaft noch bedeutsamere Aufgabe zu erfüllen, als Ordnungsmacht nämlich, die nach den erst jüngst erlebten Aufständen in der Metropole jegliches Aufflammen neuer Gewalt im Keim ersticken sollte. Olmsted und die Verantwortlichen sahen in 111 | Olmsted, zit. nach: Burrows/Wallace: Gotham, S. 795. 112 | Olmsted, zit. nach: ebd. An bestimmten Tagen wurden Wiesenflä-
chen ausgewiesen und freigegeben für diejenigen, die mit Kind und Kegel im Park ein Picknick veranstalten wollten. 113 | Vgl. Frederick Law Olmsted: »General Order for the Organization
and Routine Duty of the Keepers’ Service of the Central Park« (1873), in: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 281-306.
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der Truppe eine unverzichtbare Einrichtung, obschon die Akzeptanz bzw. Nutzung des Parks in den ersten Jahren in den sozialen Schichten der Stadt in einer Weise ausfiel, die die Wahrscheinlichkeit von Unruhen im Central Park reduzierte. Abbildung 5: Torwächter im Central Park
Quelle: Herbert Mitchell, zit. nach: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 283.
In vielerlei Hinsicht erwies sich der Park rasch als »Bombenerfolg«.114 Gleich im ersten Winter, im Dezember 1858, entdeckten begeisterte Schlittschuhläufer unter den Bürgerinnen und Bürgern den noch nicht vollständig gefüllten Central Park See an der 73. Straße West. Aus etwa dreihundert Enthusiasten am ersten Sonntag wurden 114 | Burns/Sanders/Ades: New York, S. 115.
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bis zum folgenden bereits 10.000, und etwa doppelt so viele kamen am ersten Weihnachtstag. Parallel zu den Fortschritten der Bauarbeiten nahmen die New Yorker das Gelände in Besitz. Im Sommer darauf gaben die ersten fertiggestellten Wege schon Gelegenheit zum Flanieren oder Ausfahren mit der Kutsche. Die Presse hielt ihre Leserschaft mit immer neuen Angaben über den Parkbesuch auf dem Laufenden: Am Sonntag Ende Juli 1859 seien 15.000 gekommen, 20.000 Ende August, 40.000 hätten einen besonders schönen Tag Mitte Oktober im Park genossen. Für das Jahr darauf wurden 2,5 Millionen Besucherinnen und Besuchern gemeldet, eine Zahl, die sich im Laufe des Jahrzehnts mehr als verdreifachte. Die Frequentierung lässt sich heute genau nachverfolgen, da die Torwächter bis 1873 exakt Buch darüber führten, wie viele Menschen zu welchen Tageszeiten in den Park strömten und ob sie in der Kutsche oder zu Fuß kamen.115 Die Presse war schnell mit Superlativen zur Hand, wenn sie sich über die gesellschaftliche Bedeutung der jüngsten Neuerung in der großen Metropole ausließ. »Probably in no other country would it be possible to permit all classes of persons to commingle as they do here«,116 ließ sich in den sechziger Jahren wiederholt in den New Yorker Blättern nachlesen. Das Attribut vom demokratischen Charakter führten nun selbst jene Zeitungen an, die zuvor gefürchtet hatte, die Unterschichten würden das Gelände rasch an sich reißen und so den Park für die vornehme Welt zur verbotenen Zone machen. Stattdessen zeigten sich solche Zeitungen angenehm überrascht und stellten fest: »Masters Richard and William from Fifth Avenue, in their furs, and plain Dick and Bill from avenues nearer the river […] mingled in joyful unity, forgetting the distinction of home in their enjoyment of a common patrimony«.117
115 | Die Unterlagen über die Besucherzahlen, von 1861 bis 1873 sorgsam
geführt und in Jahresberichten zusammengefasst, sind bis heute erhalten. Für das Jahr 1865 geben die Berichte einen neuen Höchststand von 7,6 Millionen an, 1870 war die Marke von 8,5 Millionen erreicht. Vgl. Blackmar/Rosenzweig: The Park and the People, S. 567 (Anm. 2), und S. 211. 116 | New York Times, zit. nach: ebd., S. 222f. 117 | New York Herald vom 6. September 1858, zit. nach: ebd., S. 211f. Im
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Die Gelegenheit dazu ergab sich hingegen nur selten, denn in Wirklichkeit stellte der Park in den ersten Jahren eine wertsteigernde Maßnahme für Immobilienbesitzer am Rande des Areals dar, einen Parcours der Eitelkeiten und eine Stätte ehrbarer Aktivitäten im öffentlichen Raum für einen kleinen Teil der Stadtbevölkerung, und zwar für die bessergestellten New Yorker. Für die Armen etwa in der Bowery war der Park weit weg, Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln teuer und die (Frei-)Zeit knapp. Die rigiden Verhaltensvorschriften taten ein übriges, so manchen Arbeiter und so manche Arbeiterin am freien Tag etwas anderes, wie es etwa in Jones Wood auf der East Side geboten wurde, suchen zu lassen. Olmsted selbst sprach 1870 davon, täglich strebten 50.000 bis 80.000 Personen den Park zu Fuß an, 30.000 in Kutschen – nicht alle davon im eigenen Besitz, da man sich natürlich auch eine Mietkutsche für die Parkrunde nehmen konnte – und 4.000 bis 5.000 zu Pferd.118 Wenn man bedenkt, dass für die Arbeiterschaft nur der Sonntag frei war, weiß man den Arbeiteranteil unter den Fußgängern schon etwas besser einzuschätzen. Die Männer und Frauen in ihren Equipagen gehörten eindeutig der Oberschicht an. Angesichts der horrenden Anschaffungs- und Betriebskosten zog der Besitz einer Kutsche, vielleicht sogar mehrerer, einen klaren Trennstrich zwischen den Reichen und den ›weniger Reichen‹. Der Parkschöpfer beklagte bald selbst, dass seine Schöpfung nicht den erhofften Zuspruch aus den Unterschichten fand. Elizabeth Blackmar und Roy Rosenzweig gehen aufgrund der Erhebungen – und der Präsenz der Kutschen – davon aus, dass 55 Prozent der Parkgäste in den sechziger Jahren aus 3 bis 5 Prozent der New Yorker Bevölkerung kamen, wobei sie eine enge
Jahr zuvor hatte es in dem Blatt geheißen: »great Central Park […] will be nothing but a huge bear garden for the lowest denizens of the city of which we shall yet pray litanies to be delivered«. »The Central Park and Other City Improvements«, in: New York Herald vom 6. September 1857, S. 4, zit. nach: Papers, Suppl. Series, Bd. 1, S. 531. Vgl. auch die aus der gleichen Ausgabe angeführte Passage, ebd., S. 26. 118 | Olmsted: »Public Parks and Enlargement«, in: Papers, Suppl. Series,
Bd. 1, S. 197.
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Korrelation zur Eigentumsverteilung sehen. Ein beachtlicher Teil der Erholungssuchenden entstammte den Mittelschichten der Stadt, die damals etwa ein Drittel der Bevölkerung stellten. Nur an Sonntagen, dem beliebtesten Tag für ein ›outing‹ im Park, stieg der Anteil der Unterschichten an den Besuchern merklich an. Die »six-day-toilers« und ihre Familienmitglieder übertrafen jedoch selbst dann nie den Anteil von einem Drittel aller Besucher. Auf das Jahr verteilt kam aus ihren Reihen in den ersten Jahren nicht mehr als ein Achtel aller Besucherinnen und Besucher. An den meisten Tagen in der Woche, zumal in den Nachmittagsstunden, gehörte der Park folglich den Mittel- und Oberschichten, die ihn verwandelten in »the great rendezvous of the polite world«.119 Und der bot mit seinem 1863 fertiggestellten Netz von Kutschwegen eine 9 Meilen lange Bühne für jene, die zum Erhalt oder zur Aufwertung ihres Status das praktizierten, was der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen im 20. Jahrhundert »auffälligen Konsum« nennen sollte. Lange eingefordert und mit dem Central Park verwirklicht, verfügten New Yorks Wohlhabende über ein Wegenetz, das nicht – wie etwa der Broadway – von Menschenscharen belagert und von Verkehr ständig verstopft war, sondern ihnen und den Attributen ihres Standes allein das Feld überließ. Die Kutschfahrt durch den Park, womöglich zu einer bestimmten Stunde am Tag, entwickelte sich zum festen Bestandteil des Lebensstils der Reichen. Ein ungeschriebenes Gesetz legte fest, wer den Park zu welcher Zeit zu welchem Zweck nutzen sollte. »Shocking« war etwa ein Besuch in den Morgenstunden, extravagante Kleidung oder auffälliges Verhalten insbesondere von den Damen. Fiel die Demonstration des Reichtums überschwänglich genug aus, hielt sich der Auftritt im vorgeschriebenen Rahmen, dann waren die Angehörigen der etablierten Familien ebenso akzeptiert wie jene, deren Vermögen aus weniger ›feinen‹ Unternehmungen stammte. Der Central Park, neben der Oper einer der beiden »fashionable places of amusement« in der Stadt, beschleunigte einen Prozess in der amerikanischen Gesellschaft, in dessen Verlauf der Besitz allmählich Herkunft und Bildung als Standesmerkmale ab119 | Vgl. Blackmar/Rosenzweig: The Park and the People, S. 214, 225,
232.
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löste.120 New Yorks Reiche hatten lange auf eine solche Möglichkeit der Selbstdarstellung gewartet, die ihre Gegenstücke in der Alten Welt längst besaßen. »London has its Hyde Park, Paris the Bois de Boulogne, where each day the elite congregate, where rich and handsome, gay and well dressed dames du monde may be seen, gazed at, admired. New York, the capital of the New World, was not to be outdone in that respect by either London or Paris.«121 Die Muster der Parknutzung, die sich demnach in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren des Central Park herauskristallisierten, entsprachen weder der Zusammensetzung der New Yorker Bevölkerung noch den Vorstellungen der Parkschöpfer. Die Unterschichten, die Olmsted in dieser Oase transformieren wollte, fanden zum großen Teil erst gar nicht den Weg dorthin. In gewisser Weise spiegelte sich das in der Trennung der Fuß- von den Reit- und Fahrwegen, die an den Tagen mit hohem Besucheranteil aus den unteren Schichten einer sozialen Trennung gleichkam. Überdies handelten die verschiedenen Gruppen nach ungeschriebenen Regeln,122 etwa indem einzelne Schichten den Park nur an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten frequentierten. Die Begegnung von Richard und William mit Dick und Bill machte das zwar nicht unmöglich, aber doch zu einer Ausnahme. Zur Entlastung der Spannungen vermochte der Park unmittelbar nach seiner Fertigstellung wenig beizutragen, sodass Olmsted sein Reformvorhaben zunächst als gescheitert ansehen musste. Als die unteren Schichten dann doch häufiger den Central Park aufsuchen konnten und von der Möglichkeit verstärkt Gebrauch machten, formulierte das »Volk« immer nachdrücklicher seine eigenen Vorstellungen von Freizeitangeboten.123 Und die deckten sich nicht unbedingt mit jenen des bürgerlichen Reformers und Landschaftsarchitekten. 120 | Josie Woods, Betreiberin des exklusivsten Bordells in der Stadt, wäre
ein gutes Beispiel dafür. Vgl. ebd., S. 218f. 121 | New York Herald, zit. nach: ebd., S. 223. 122 | Blackmar und Rosenzweig sprechen von einer »elaborate class cho-
reography of use«; ebd., S. 233. 123 | Zu den veränderten Mustern der Parknutzung ab den siebziger Jah-
ren vgl. etwa ebd., Kapitel IV: Redefining Central Park, besonders S. 307-339.
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4. Ein Blick zurück und einer nach vorn Zwischen der Parkkonzeption und den (Freizeit-)Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit bestand eine Diskrepanz. Das konnte auch Olmsted nicht ignorieren. Es war für ihn ein ständiger Kampf einerseits mit den Stadtoberen und ihren Versuchen, auf das Gelände zuzugreifen, und andererseits mit den Unterschichten, die klare Vorstellungen von ›ihrem‹ Park in der Metropole besaßen.124 Wieder einmal von Zweifeln und Resignation geplagt, versuchte ihn sein Freund Charles Norton in den achtziger Jahren mit dem Hinweis auf die große Leistung zu trösten. Sie würde einfach noch nicht ausreichend erkannt und gewürdigt: »You are preaching truths above the comprehension of our generation. […] You are compelled to throw your pearls before swine, and are fortunate if they do not turn and rend you for not giving them their favorite swill.«125 Warum funktionierte der Park nicht – von Anfang an – als »Volkspark«, so wie es sich sein Schöpfer ausgemalt hatte? Ein Teil der Antwort liegt bereits in den Aufgaben, die die rus in urbe in Olmsteds Augen erfüllen sollte. Denn es handelte sich um zahlreiche, in unterschiedliche Bereiche hineinreichende und zudem anspruchsvolle Aufgaben. Da war zunächst die Komponente des euro124 | Während seiner Tätigkeit im Central Park wehrte Olmsted zahlreiche
und wiederholte Versuche ab, seine Schöpfung zu verändern und Elemente hinzuzufügen wie Flächen für militärische Paraden, Rennstrecken, Segelboote, Karussells und Achterbahnen, Grabstätten für prominente Amerikaner, Hunde- oder Rinderschauen, Flächen für Kleingärtner oder Plätze für Baseball, Tennis oder Cricket. Vgl. Olmsted, zit. nach: Blodgett: »Landscape Architecture«, S. 879. Die Ablehnung lähmte das Engagement für neue Pläne jedoch keineswegs. Zum Glück für den Central Park, der als grüne Oase der Stadt erhalten wurde, blieben viele Vorschläge nur Pläne, so die Idee von 1919, einen Flughafen auf dem Areal zu bauen oder eine Tiefgarage für zunächst 30.000 Autos anzulegen (1921 und danach mehrmals vorgeschlagen) oder Radio-Türme zu errichten (1923). Hinzugefügt wurden aber zahlreiche Spielfelder für Baseball, Football, Handball, Softball und Fußball. 125 | Norton in einem Brief an Olmsted vom 23. Oktober 1881, zit. nach:
Blodgett: »Landscape Architecture«, S. 887.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 157
päisch-amerikanischen Vergleichs, d.h. der Wunsch, es der Alten Welt hinsichtlich der Verfügbarkeit großer öffentlicher Parks in der Neuen Welt gleichzutun oder sie sogar zu übertreffen. Die Vereinigten Staaten wollten an Kultiviertheit, Vornehmheit und künstlerischer Leistung den Ländern Europas nicht nachstehen. In diesem Punkt unterschied sich Olmsted nicht so sehr von den Angehörigen der Oberschichten, die auf Europareisen oder durch Besuche von Europäern im eigenen Land umso stärker die Defizite gegenüber dem sozialen Pendant in der europäischen Gesellschaft empfanden. So wurde der neu eingerichtete Park erst einmal zur Spielwiese der Wohlhabenden, die ihrem Verlangen nach »ample opportunity for display«126 entsprach. Eine große Rolle spielte für Olmsted zudem der Charakter des Parks als Kunstwerk und Abbild der Natur in einem. Eine gänzlich von Menschen gemachte Landschaft, die jedoch völlig natürlich erschien, leistete, dem Ideal nach, den Brückenschlag zwischen der modernen – und in weiten Teilen künstlichen – Existenz in der Großstadt und dem ursprünglichen Lebensraum des Landes, dem Quell bürgerlicher, demokratischer und amerikanischer Tugenden. Aber selbst den Parkbesuchern im 19. Jahrhundert musste klar sein, dass im angelegten Park, der menschlichen Version des Garten Eden, nur noch wenig ›Wildnis‹ oder unberührte Natur des ehemals spärlich besiedelten Kontinents präsent sein konnte. Dennoch bot eben jener Anspruch für Olmsted den wichtigsten Anknüpfungspunkt, um eine wesentliche Quelle nationaler Identität in die Stadt integriert zu sehen. Da immer mehr Menschen die urbanen Zentren dem Leben an der Besiedlungsgrenze vorzogen, zumal die Neuankömmlinge vor allem aus Europa, bedurfte es eines solchen Integrationsmechanismus. Amerika musste in die Stadt geholt werden, durch Naturbilder und durch (Wieder-)Herstellung einer zuvor vermeintlich typisch amerikanischen Form des sozialen Umgangs. Sie hatte vorgeblich – dank des demokratisch ausgerichteten Gemeinwesens – die Standesunterschiede der Alten Welt überwunden. Um dieses Ziel erreichen zu können, hätten nicht nur die Schichten der New Yorker Bevölkerung entsprechend ihres Bevölkerungsanteils unter 126 | New York Herald 1864, zit. nach: Blackmar/Rosenzweig: The Park
and the People, S. 216.
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den Parkbesucherinnen und -besuchern repräsentiert sein müssen, was in den ersten beiden Jahrzehnten eben nicht der Fall war. Vielmehr hätte es außerdem erfordert, dass die Schichten die Botschaften des Parks genauso entschlüsselten, wie sie Olmsted und Vaux in die Brücken, Wege, Anpflanzungen und Teiche hineingeschrieben hatten. Alle New Yorker hätten ein ähnliches ästhetisches Empfinden haben müssen. Vergleichbares gilt für Olmsteds Hoffnung, mit dem Park eine »demokratische Leistung« zu vollbringen, die die Vereinigten Staaten im Übergang zur hochindustrialisierten und multiethnischen Nation an die Traditionen der Gründerväter der Republik rückbinden würde. Demokratisch stand für ihn allerdings nicht für egalitär. Sein Demokratieverständnis war hierarchisch bestimmt, sein Mißtrauen gegenüber den städtischen Unterschichten oder ihrer aufrührerischen und potentiell kriminellen Energie ausgeprägt. Folglich glaubte er, auf eine detaillierte Gebrauchsanleitung für den Park, Verbote und Kontrollinstanzen nicht verzichten zu können, was die Attraktivität des Parks in den Augen des größten Teils der Zielgruppe notwendigerweise schmälern musste. Überdies verfügten die »six-day-toilers« nur an wenigen Tagen im Jahr über die Gelegenheit und die Mittel, sich an der Anlage zu erfreuen. Eine auffällige Ausnahme bildet der Unabhängigkeitstag, der »people’s day«, an dem eine Volksfestatmosphäre den Central Park erfüllte. Die Presse kommentierte dann auch wortreich die Anwesenheit etwa von gutgenährten deutschamerikanischen Familienvätern mit ihren zehn oder zwölf Kindern, die sich dank Bier, Bretzeln und Blasmusik bestens unterhielten, oder von trinkfesten Amerikanern katholisch-irischer Abstammung, denen sich der gewohnheitsmäßige und reichliche Zuspruch zum Whisky vom Gesicht ablesen ließ.127 Der hohe Anspruch, Olmsteds eigene Vorbehalte gegenüber den Massen, die soziale Zusammensetzung der Parkgäste in den ersten Jahren und das lokalpolitische Ränkespiel standen der Umsetzung der »Volksparkidee« im Wege. Mit der Zeit veränderten sich die Muster und Rahmenbedingungen. New York erlebte nach dem Bürgerkrieg ein noch rasanteres Bevölkerungswachstum als zuvor, die städtische 127 | Vgl. ebd., S. 232.
»Volkspark«: New York und Frederick Law Olmsted | 159
Bevölkerung spaltete sich in noch mehr Ethnien, Religionen und Kulturen auf, die Freizeitgewohnheiten änderten sich, sehr auffällig etwa mit dem Siegeszug des Automobils, das weiter entfernte Ziele in erreichbare Nähe und damit ins Blickfeld rückte. Und der Park in der Metropole erhielt eine andere Bedeutung. Dennoch liegt in Olmsteds Entwurf viel Visionäres. Der Landschaftsarchitekt sagte, obschon nicht als einziger, die allgemeine Tendenz eines steten und schnelleren urbanen Wachstums voraus. Aussagen wie die von ihm 1870 zitierte konnten damals viele Zeitgenossen wiedergeben: Gefragt, ob sie mit ihrer Familie zurück aufs Land ziehen würde, erklärte eine gebürtige Amerikanerin, die auf dem Land aufgewachsen war: »If I were offered a deed of the best farm that I ever saw, on condition of going back to the country, I would not take it. I would rather face starvation in town.«128 Trotz verschärfter Probleme blieb Olmsted bei der eigenen, der zitierten nicht unähnlichen Einschätzung, dass sich die Menschheit in der Stadt zu ihrem Besseren weiterentwickle. Zum Teil speiste er diese Deutung aus den Fortschritten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade im Bereich der Stadtplanung gemacht worden waren, z.T. von ihm selbst und seiner Firma initiiert.129 In Zukunft würden noch weitere Fortschritte gemacht, und New York würde erkennen, was der Park für die Stadt leistete. »In ferner Zukunft wird New York endgültig stehen, alles planiert und zugebaut sein. Dann wird sich die eindrucksvolle Felslandschaft dieser Insel in Reihen monotoner, schnurgerader Straßen128 | Olmsted: »Public Parks and Enlargement«, in: Papers, Suppl. Series,
Bd. 1, S. 175. 129 | Vgl. Beveridge/Rocheleau: Designing, S. 46. Um die Jahrhundert-
wende spielten zwei Faktoren, die schon für Olmsted bedeutsam waren, eine noch größere Rolle: die Rolle des Experten in der Planung der Städte und die Rolle und Verbreitung der Technik in den Städten der Zukunft. In den Visionen etwa von Ingenieuren und Architekten war die Stadt der Zukunft ein Raum, in dem Technik und Effizienzdenken alle gegenwärtigen Probleme wie Überfüllung, Verkehrsprobleme, Müllbeseitigung, Umweltverschmutzung überwunden haben würden. Vgl. Angela Schwarz: Ein Traum vom urbanen Raum: Amerikanische Visionen von der Stadt der Zukunft zwischen 1880 und 1930, in: Quadratur. Kulturbuch, Bd. 4: Stadt, Blicke, 2002, S. 18-30.
160 | Angela Schwarz
züge verwandelt haben, gesäumt von Unmengen hoher Gebäude. Nichts wird mehr an ihre heutige Vielgestaltigkeit erinnern, wäre da nicht der Park. Dann wird man den unschätzbaren Wert der heute ungewöhnlich anmutenden Architektur des Areals zu würdigen wissen und besser begreifen, wie gut sie ihren Zweck erfüllt.«130 Die Entwicklung New Yorks wie generell des Lebensraums Stadt, der heute mit Einwohnerzahlen in zweistelliger Millionenhöhe zu erstaunen vermag, sollte ihm recht geben. Olmsted hätte die Expansion vermutlich wohlwollend bewertet, solange sie koordiniert verlaufen und mit dem Bemühen verbunden gewesen wäre, die negativen Seiten der unablässig wachsenden Stadt zu minimieren. Die Konzeption des Central Park sollte Vorbild und Ermunterung dazu sein. Denn in der Stadt waren und in der Stadt sind die drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Für Olmsted anders als für Frederick Turner hatte sich am Ende des 19. Jahrhundert die »frontier«, die Grenze zwischen dem Zivilisierten und dem Rohen, nicht geschlossen. Sie hatte sich nur verlagert, und zwar in die Stadt.
130 | Olmsted, zit. nach: Burns/Sanders/Ades: New York, S. 113.
Internationale Bedeutung: Parkanlagen in Spanien | 161
Auf dem Weg zu internationaler Bedeutung: Parkanlagen in Spanien Stephanie Kickum
1. Einleitung Manch ein Leser mag erstaunt sein, dass die Parkanlagen Madrids und Barcelonas in einem Band über den Park in der Metropole des 19. Jahrhunderts berücksichtigt werden und dies sogar ähnlich intensiv wie London und New York. Denn auf den ersten Blick scheinen sich doch Metropolengeschichte und spanische Stadtgeschichte gegenseitig auszuschließen. So stieß in der Forschung zwar die Stellung der Metropolen im Kontext der europäischen Stadtgeschichte auf großes Interesse, doch weder die daraus hervorgegangenen Einzelstudien, noch die mit vergleichendem Ansatz arbeitenden Untersuchungen zur Metropolengeschichte berücksichtigen Madrid eingehender. Im Mittelpunkt der »urban history« standen und stehen vielmehr die klassischen Metropolen Paris und London sowie die Metropolen modernen Typs Berlin, New York und Chicago.1 Die spanische Hauptstadt 1 | Vgl. etwa Theodor Schieder/Gerhard Brunn (Hg.): Hauptstädte in
europäischen Nationalstaaten, München, Wien 1983; David Gilbert/Felix Driver (Hg.): Imperial Cities. Landscape, Display and Identity, Manchester, New York 1999, und zu ausgewählten Beispielen etwa Peter Alter (Hg.): Im Banne
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bleibt zumeist außen vor. Dies erklärt sich dadurch, dass zugegebenermaßen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Metropolencharakter Madrids nicht unumstritten war. Noch mehr dürfte es überraschen, dass mit Barcelona neben der Hauptstadt des Landes zusätzlich ein regionales Zentrum behandelt wird. Lässt sich Barcelona überhaupt dem Kreis der Metropolen zurechnen, zumal zu so einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt seiner großstädtischen Entwicklung wie dem 19. Jahrhundert? Die durch die Begriffe aufgebauten Hürden sollten nicht davon abschrecken, sich Madrid und Barcelona doch einmal unter der Fragestellung anzuschauen, inwieweit auch dort ein Zusammenhang zwischen urbanem – und schließlich metropolitanem – Wachstum und der Einrichtung von öffentlichen Parks besteht. Mit dem Metropolcharakter spricht man diesen Städten eine Reihe von Eigenschaften ab. Lassen sich dann folgerichtig markante Unterschiede in der Entwicklung feststellen? Verlief etwa das urbane Wachstum hier anders? Spielten soziale Einrichtungen und öffentliche Räume eine andere Rolle als andernorts? Um zu zeigen, wie die beiden spanischen Städte im internationalen Vergleich einzuordnen sind, rücken nachfolgend jeweils zwei Parkanlagen der Hauptstadt und des regionalen Zentrums an der Küste in den Blick. Vorangestellt wird jeweils ein Überblick über die Entwicklung der Stadt bis ins Jahrhundert der Industrialisierung und des großen städtischen Wachstums.
2. Stadtentwicklung und Parkanlagen in Madrid 2.1 Madrids langer Weg zur Metropole Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts war Madrid eine Stadt von höchstens zweitrangiger Bedeutung. Ihre recht langsame Entwicklung von einer Provinzstadt hin zu einer Metropole setzte erst in dem Moment ein, als Philipp II. 1561 den Hof von Toledo nach Madrid verlegte, die Stadt quasi über Nacht zur Hauptstadt des spanischen Reiches der Metropolen. Berlin und London in den zwanziger Jahren, Göttingen, Zürich 1993.
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machte. Was zunächst wohl als temporäre Einrichtung vorgesehen war, wurde – abgesehen von einer kurzen Ausnahme um 1600 – jedoch zu einer dauerhaften Institution. Es folgten die Herausbildung der hauptstädtischen Funktionen und ein relativ schnelles Wachstum Madrids. Alleine in den Jahren der Regierungszeit Philipps II. (15561598) verdreifachte sich die Einwohnerzahl der Stadt. Bereits in den frühen Jahren des 17. Jahrhunderts wurden großangelegte Projekte der Stadtentwicklung ergriffen, zu denen der Bau der prestigeträchtigen Plaza Mayor und die Errichtung neuer Stadtmauern (1620) zählten. Dennoch bestimmte offenbar auch im 17. und frühen 18. Jahrhundert noch recht wenig Pracht das Madrider Stadtbild: Die meisten Gebäude wurden als niedrig und einfach, die Straßen als armselig beschrieben.2 Schließlich setzte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts der Gedanke durch, dass Madrid in eine für die Kolonialmacht würdige Hauptstadt zu transformieren sei. Als 1734 der alte Palast niederbrannte, entstand eine Anzahl neuer Gebäude, unter ihnen der repräsentative Bau des Prado und der zwischen der Stadt und dem Buen Retiro, dem königlichen Palast, gelegene Paseo del Prado, ein Boulevard, der den Beginn der heutigen Nord-Süd Achse Madrids – dem Paseo de la Castellana – darstellt. Gleichzeitig erfolgten erste Initiativen zur Verbesserung unter anderem des Straßensystems und der Wasserversorgung sowie wesentliche Veränderungen wie der Umbau des Platzes Puerta del Sol und der Bau des Canal de Isabel II.3 Dennoch scheint es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei wachsenden Bevölkerungszahlen nur zu wenigen Verbesserungen im Madrider Stadtbild gekommen zu sein, sodass ein zeitgenössischer Beobachter die Stadt zu Beginn des Jahrhunderts noch als ein hässliches »pueblo« mit nur 2 | Vgl. Patricia Shaw Fairman: »Madrid y los Madrileños del siglo XVIII
según los visitantes ingleses«, in: Anales del Instituto de Estudios Madrileños 1, 1960, S. 140. 3 | Zur Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert vgl. Pedro Navascués Pala-
cio: »Madrid, ciudad y arquitectura (1808-1898)«, in: Antonio Fernández García: Historia de Madrid, Madrid 1993, S. 401-439, und Santos Juliá Díaz: »Madrid, Capital digna del Estado (1833-1993)«, in: ders./David Ringrose/Cristina Segura: Madrid. Historia de una Capital, Madrid 1994, S. 253-471.
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wenig monumentaler Architektur und schrecklichen Gehöften beschreiben konnte.4 Als mögliche Ursachen für die fehlende Entwicklung macht der Stadthistoriker Thomas Hall die instabilen politischen Verhältnisse sowie den unbedeutenden industriellen Entwicklungsgrad im Madrid des 19. Jahrhunderts aus.5 Nichtsdestotrotz verlangte spätestens in den fünfziger Jahren die Frage der Stadterweiterung endgültig nach einer Lösung. Schließlich war trotz vergleichsweise geringer Bevölkerungsstärke in Madrid die Bevölkerungsdichte prekär. So wurde 1857 unter Vorsitz von Carlos María de Castro ein Planungskomitee ins Leben gerufen, das die Grundlagen für einen systematischen Ausbau und eine Erweiterung Madrids zum Ziel hatte.6 Die Übertragung an den städtischen Ingenieur Carlos de Castro dürfte wenig Überraschung ausgelöst haben, war er doch in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit mehreren städtischen Projekten beauftragt worden und beispielsweise am Bau der ersten Bahnlinie zwischen Madrid und Aranjuez beteiligt gewesen. Die vom Komitee erarbeiteten Erkenntnisse bildeten die Grundlage für erste Richtlinien, die per königlichem Dekret festgehalten wurden und bemerkenswerterweise zwei Bereiche besonders hervorhoben: die hygienischen Verhältnisse und die Aufwertung der Hauptstadt Spaniens. Ferner fiel die Entscheidung, die gewünschte Stadterweiterung im nördlichen Gebiet vorzunehmen. Nur zwei Jahre später lag ein vollständiger Entwurf zur Stadterweiterung vor, dessen Ziele in der detaillierten Beschreibung – der »Memoria descriptiva del ante-proyecto de Ensanche de Madrid«7 – schriftlich fixiert wurden. 4 | Vgl. Alcalá Galiano: Recuerdos de un anciano, Madrid 1878, zit. nach:
Navascués: Madrid, S. 408. 5 | Vgl. Thomas Hall: Planning Europe’s Capital Cities. Aspects of Nine-
teenth-Century Urban Development, London, Weinheim, New York u.a. 1997, S. 144. 6 | Zum Stadtplan vgl. einführend ebd., S. 144-157; Navascués: Madrid,
S. 420ff., und Julía: Madrid, capital del Estado, S. 299-315. 7 | Carlos María de Castro: Memoria descriptiva del anteproyecto de
ensanche de Madrid firmado por el Inspector de Distrito del Cuerpo de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos, Madrid 1860 (Neuauflage 1970).
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Der Plan galt von Beginn an als ein erster Entwurf und sollte weiteren Entwicklungen unterliegen. Geplant wurde, das alte Stadtgebiet auf drei Seiten mit großen Arealen mit Häuserblöcken zu umgeben und mit einem Boulevardring in Form eines Polygon zu umfassen. Die Puerta del Sol würde dadurch von einer Randlage ins Zentrum der Stadt rücken. So weit wie möglich erhielten die Häuserblöcke ein uniformes, entweder rechtwinkliges oder quadratisches Design. Das Straßenbild dominierten vor allem zwei Straßenarten: eine engere ca. 15 Meter breite unbepflanzte Variante und ein Straßentyp von ca. 20 Metern Breite, der von Bäumen gesäumt werden sollte. Ein weiterer Straßentyp findet sich im Plan, die so genannte Straße erster Ordnung: Sie sollte 30 Meter breit sein und eine doppelte Baumreihe entlang der Bürgersteige besitzen. Tatsächlich gehörte nur der Ringboulevard zu diesem Straßentyp. Weitere monumentale und breite Straßen für die Verbindung zwischen den einzelnen Stadtteilen waren – abgesehen von der Fortführung des Paseo del Prado – nicht vorgesehen. Mit diesen Überlegungen griff Castro die Forderungen nach »public walks« als hygienische und soziale Verbesserung der Stadt auf, die nach dem Vorbild der europäischen Stadt vereinzelt schon an anderer Stelle realisiert worden waren.8 Außerdem sah er östlich des königlichen Parque del Retiro als eine Art Erweiterung des Palastgeländes einen großen Park mit einem See, einem Hippodrome und einer Stierkampfarena vor. Hinzu kamen zahlreiche kleinere Parks, die über die Stadt verteilt sein sollten. Sah der Plan auch keinen großen Platz im Stadtgebiet selbst vor, so unterbreitete er doch Vorschläge für mehrere kleinere Plätze im Stadtkern.9 Trotz des nur oberflächlichen Blicks auf die Planungen zur Madrider »Ensanche«, also zur Stadterweiterung, ist zu erwähnen, dass der »Plan-Castro« eine funktionelle wie eine soziale Aufteilung der Stadtgebiete vorsah: Einzelne Stadtteile wurden bestimmten sozialen Gruppen oder Funktionen zugeordnet. So wurde beispielsweise der Stadtteil Chamberi als Fabrik- und Industriegebiet geplant, während das Gebiet westlich vom Paseo de la Castellana der Aristokratie vorbe8 | Vgl. Carmen Ariza Muñoz: Los Jardines de Madrid en el siglo XIX,
Madrid 1988, S. 153-164. 9 | Vgl. Hall: Planning Europe’s Capital Cities, S. 150.
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halten bleiben sollte. Die Region Salamanca diente der Bourgeoisie, andere Viertel wiederum der Arbeiterklasse. Weitere Zonen waren als Geschäftsviertel mit Warenhäusern, Bürohäusern und Hotels geplant. Ungeachtet der variierenden Nutzung blieben die Häuserblöcke durchweg ähnlich entworfen, Plätze und Parkanlagen nahezu gleichbleibend über das Stadtgebiet verteilt.10 Obwohl Castros Plan 1860 verabschiedet und die Arbeiten aufgenommen wurden, erfolgten in den sechziger Jahren selbst nur wenige Maßnahmen. Von Beginn an drohte das Vorhaben zu scheitern. Carlos de Castro selbst scheint sich bewusst gewesen zu sein, dass er mit seinen Planungen über die Möglichkeiten in Madrid hinausging, seine Planungen zu einem gewissen Grade unrealistisch waren. In den Akten des Madrider Stadtarchivs finden sich weitere Überlegungen von ihm, die er sehr wahrscheinlich nur einige Zeit später formulierte. Diese Version variierte die ursprüngliche Planung, indem sie nicht nur die öffentlichen Gebäude aussparte, sondern ebenso weitaus weniger Parkanlagen beinhaltete als noch 1860 vorgesehen.11 Die spanische Septemberrevolution von 1868 drängte Castros Ideen weiter in den Hintergrund. Fernandéz de los Rios erarbeitete neue Vorschläge, die einen Willen zur Öffnung nach Europa und zur Adaption von europäischen Vorbildern erkennen lassen. Hauptreferenzpunkt war Paris.12 Obwohl der Plan Castros nach 1869 wieder aufgegriffen wurde, erfolgten nun Zugeständnisse, die den Interessen der Grundbesitzer und Spekulanten Tribut zollten. Obschon Castros Überlegungen kaum in die Realität umgesetzt wurden, blieben sie doch nicht ganz folgenlos. Seine Appelle für die Errichtung von Alleen, Garten- und Parkanlagen im Stadtinneren intensivierten die bereits zuvor aufgekommenen Forderungen nach Grünflächen in der spanischen Hauptstadt. Denn obwohl zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert einige Parkanlagen entstanden waren wie etwa die königlichen Gelände des Real Casa de Campo und des Buen Retiro und zu 10 | Vgl. ebd., S. 150f. 11 | Auf diese zusätzlichen Planungen verweist Navascués: Madrid,
S. 423. 12 | Zu Person und Ideen vgl. Navascués: Madrid, S. 430, sowie Fernán-
dez de los Rios: Guía de Madrid, Madrid 1876.
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Beginn des 19. Jahrhunderts Grünanlagen in Madrid an Fläche hinzugewannen, fehlte der Hauptstadt Mitte des Jahrhunderts noch immer ein zentraler öffentlicher Park, der der gesamten Stadtbevölkerung zu Gute kommen konnte. Schließlich hatten sich die einzelnen Initiativen bis dahin nahezu ausschließlich auf Privatgärten beschränkt. So hatte schon 1846 das »Seminario Pintoresco Español« aus gesundheitspolitischen Beweggründen die Bildung von Grünanlagen gefordert.13 Generell wurde auch hier eine Orientierung an Paris verlangt, wo neue Parkanlagen sowohl ex novo kreiert (z.B. der Parc de Montsouris) als auch durch Öffnung früherer königlicher Anlagen (z.B. die Anlagen des Bois de Boulogne und des Bois de Vincennes) entstanden. Ein schlagkräftiges Argument konnte der Verweis auf die steigenden Bevölkerungszahlen sein, die zwar nicht die Wachstumsraten anderer Großstädte erreichten, aber doch innerhalb von wenigen Jahrzehnten die Stadtlandschaft merklich veränderten. Um 1800 lebten in der Stadt, die über Jahrhunderte so etwas wie eine »Capital de dos mundos« war, gerade einmal 176.000 Menschen. Bis 1850 stieg die Zahl auf 221.000 und erhöhte sich dann erst ab den sechziger Jahren deutlich. Um 1900 waren rund 540.000 Menschen in Madrid zu Hause, das erst am Vorabend des Bürgerkrieges die Grenze von 1 Million Einwohnern überschritt. Wenn auch mit Verspätung, setzte in Madrid Ende der sechziger Jahre die Bildung der geforderten Parkanlagen ein, aus denen vor allem zwei herausstechen: der Parque del Oeste, dessen Bau Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommen wurde und der wohl das bekannteste Beispiel für die Anwendung englischer Gartenkunst in Madrid ist. Der andere Park, der Parque del Retiro, war dagegen das Ergebnis einer Öffnung des früher königlichen Areals für die Bevölkerung.
2.2 Parque del Retiro: Vom »süßen Hofleben« zur Institution im städtischen Sozialleben Der Parque del Retiro ist heute eine grüne Oase mitten im Großstadtmuster von Beton, Asphalt, Verkehrschaos und Luftverschmut13 | »Mejoras de Madrid«, in: Seminario Pintoresco Español vom 12. Juli
1846, S. 220-224.
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zung, ein fester Bestandteil im Sozialleben der Stadt. Insbesondere an Sonntagen und während der ausgedehnten Mittagspause scheint sich halb Madrid in der gut 120 Hektar großen Parkanlage einzufinden: Spaziergänger und Jogger, Sonnenanbeter und Schattensuchende, Alt und Jung zieht es gleichermaßen dorthin. Bei schönem Wetter gleicht das Gelände vor allem rund um den künstlichen See, der »Estanque Grande«, und entlang der geteerten »Salón del Estanque« einem Jahrmarkt: Gaukler, Puppenspieler, Kartenleger, Straßenkünstler und Musikanten unterhalten das flanierende Volk. Für Kinder zeigt das »Teatro de Títeres« Puppentheater, der »Club de Amigos« bietet den Freunden des Schach-, Domino- und Kartenspiels den passenden Rahmen, Anhänger der klassischen Musik lauschen den Konzerten des Stadtorchesters am Musikpavillon und gebürtige Katalanen treffen sich an der »Glorierta de la Sardana« zum traditionellen SardanaTanz. Die Ursprünge des heute städtischen Parque del Retiro liegen in der Regierungszeit Philipps IV., der ab 1630 den Park vor den Toren der Stadt anlegen ließ. Park und See wurden vom italienischen Gartenbaumeister Cosimo Lotti entworfen und lieferten mehr als ein Jahrhundert den Rahmen für das süße Hofleben. Man lustwandelte, feierte rauschende Feste, genoss Theater- und Musikaufführungen, amüsierte sich bei Bootsfahrten und nachgestellten Seeschlachten auf dem künstlichen See.14 Erstmals wurden unter Karl III. zunächst einzelne Teile des Parks der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 1868 fielen auch die letzten Schranken, als das Gelände per Dekret vom 6. November zwei Monate nach der Septemberrevolution in städtischen Besitz überging. Vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund wurde er transformiert? Nach welchen Mustern erfolgte die Parkerweite14 | Zu den Anfängen des königlichen Parks vgl. Consuelo Durán Cer-
maño: Jardines del Buen Retiro, Madrid 2002, S. 13-107; Carmen Ariza Muñoz: Los Jardines del Buen Retiro, Madrid 2. Aufl. 2001, S. 11-85; dies.: »Los Jardines del Buen Retiro. Su epoca como Real Sitio«, in: Ciudad y Territorio 69, 1986, S. 93-114, und Rosario Mariblanca Caneyro: El Retiro. Sus orígenes y todo lo demás (1460-1988), Madrid 1991; Jonathan Brown: A palace for a king: The Buen Retiro and the court of Philip IV., neue, erweiterte Auflage, New Haven, Conn. 2003.
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rung? Inwieweit berücksichtigten die Verantwortlichen die veränderten Bedingungen städtischen Lebens? Tatsächlich ist die Übergabe des Parque del Retiro im Zusammenhang mit der generellen Tendenz in Madrid zu sehen, europäischen Vorbildern zu folgen. Dazu gehörte es auch, Grünflächen als Gegengewicht zu den schlechten Lebensverhältnissen und Hygienemängeln in der wachsenden Stadt zu schaffen. Neben den hygienischen Aspekten sollte ein auf die Arbeiterschaft gerichtetes erzieherisches Element zum Tragen kommen: Das Angebot kostenloser Freizeitmöglichkeiten förderte das Sparen und die gemeinschaftliche Aktivität am arbeitsfreien Tag den familiären Zusammenhalt, so zumindest erhofften es sich die – bürgerlichen – Stadtväter und Reformer. Insgesamt sollte der Park somit sowohl der städtischen Gesellschaft als auch der industriellen und wirtschaftlichen Produktion zugute kommen. Und bereits das Überschreibungsdekret des Ministeriums betonte, dass den Einwohnern Madrids weitaus weniger Parkgelände zur Verfügung stehe als dies in anderen europäischen Hauptstädten der Fall sei. Ziel sei, in Madrid den Park nicht nur als ein »Mittel der Hygiene und der Zerstreuung, sondern als Element der Erziehung und Moral zu etablieren«.15 Entsprechend gelte es, den Park nach den wichtigen Zielen der Zeit zu gestalten, Konzertsäle, Bibliotheken und »Gärten der Akklimatisierung« zu errichten. Unter keinen Umständen wurde eine Nutzung des Geländes für den Wohnungsbau gestattet. Mit der Übergabe des Geländes an die Stadtverwaltung fielen nicht nur Planung und Gestaltung, sondern ebenso die Kosten der Kommune zu. Um trotz leerer Stadtkassen die hochgesteckten Ziele nicht an den finanziellen Problemen scheitern zu lassen, wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. So blieb beispielsweise das so genannte Gebiet des »Reservado« trotz Öffnung des übrigen Parkgeländes weiterhin geschlossen und stand der Bevölkerung nur zu bestimmten Anlässen und Zeiten, nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes in Höhe von einem Real pro Person, offen. Mit Hilfe dieser Einnahmen sollten die Kosten für den Umbau und den Erhalt des restli15 | »Decreto del Ministerio de Hacienda«, in: Gaceta de Madrid vom 7.
November 1868.
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chen Parkgeländes gedeckt werden. Faktisch fingen sie aber nur einen minimalen Teil der laufenden Kosten auf. Einen zusätzlichen Vorschlag zur Deckung der Unkosten unterbreitete der Franzose Ernesto de Bergue, der auf dem Gelände des Reservado eine von ihm als »cité madrileña« bezeichnete Wohnanlage errichten wollte. Im Gegenzug würde er ebenso die Marktplätze und mit Bäumen gesäumten Straßen bauen lassen. Er schlug vor, der Stadtverwaltung für die Überlassung des Geländes einen jährlichen Betrag von 400 Real pro Mietshaus zu zahlen.16 Dieses Vorhaben wurde niemals realisiert. Zur Lösung der hohen Haltungskosten versteigerte jedoch die Stadtverwaltung einige Flächen des Geländes, auf denen Hotels gebaut werden durften. Der jährliche Pachtzins sicherte regelmäßige Einnahmen, durch die der Park zumindest teilfinanziert werden konnte.17 Mit welchen Mitteln und Maßnahmen sollten die hochgesteckten Ziele für den Parque del Retiro erfüllt werden? Welche Projekte lassen die großen Linien der Umgestaltung erkennen? Unmittelbar bei seiner Öffnung wurde der Park von den Madrilenen aller Sozialschichten angenommen, die ihn, wie es sich die Stadtoberen gewünscht hatten, als Ort der Erholung und Entspannung entdeckten.18 Allerdings ergaben sich mit der steigenden Frequentierung ganz neue Anforderungen an den Park, in dem sich kurze Zeit zuvor noch die königliche Familie allein amüsiert hatte. Entsprechend durchlief der Parque del Retiro neben dem administrativen Wandel auch in Gestalt und Freizeitangebot eine tiefgreifende Veränderung. Schnell erhielt er einen volkstümlichen Charakter. Schon zur Regierungszeit Ferdinands VII. (1814-1833) waren kleine Gebäude schlichten Charakters errichtet worden, die so genannten »Caprichos«, die Ausdruck der romantischen Strömung waren und die Königin Isabella II. für ihre amouröse Affären genutzt haben soll.19 Auch wenn manche dieser Gebäude im Laufe der Jahre verschwanden, blieben einige in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Andere 16 | Vgl. Ariza: Los Jardines de Madrid, S. 182f. 17 | Vgl. Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 112. 18 | Vgl. ebd., S. 111. 19 | Für die Zeit Ferdinands VII. und Isabellas II. vgl. v.a. Durán: Jardines
del Buen Retiro, S. 77-107.
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dagegen wurden umgestaltet und für neue Zwecke genutzt, etwa für Restaurants und Cafés. So blieben die »Casa del Pobre« und die »Casita del Pescador« als Attraktionen erhalten, während die »Casa Persa« zu einem Café und Restaurant namens »Perla Rústica« umgebaut wurde. Zudem richtete man in der »Casa del Contrabandista« ein therapeutisches Zentrum ein, das der Bevölkerung Sprudelgetränke mit Wasserstoffperoxyd, Inhalationen und Pülverchen zur Behandlung ihrer Krankheiten offerierte. Als Gegenleistung für die Lizenzvergabe verpflichtete sich der Betreiber, diese Dienste täglich zwei Armen kostenlos zukommen zu lassen.20 Neben den genannten Änderungen wurden auf dem gesamten Parkgelände zahlreiche Kioske errichtet, die häufig vorgeblich stärkende und gesundheitsfördernde Waren feilboten. Ebenso ließen sich aber auch Blumen, Zeitungen, Erfrischungsgetränke und ähnliches erstehen. Als besondere Einrichtung dieser Art wird die »Casa de Vacas« genannt, in der Mateo Cabezas y Romeral eine »Chocolateria« (Schokoladencafé) eröffnete. Angesichts der Beliebtheit bot Carlos Sainz Múgica ab 1871 im Hauptsaal des Anlegeplatzes der Estanque Grande noch eine weitere Chocolateria. Er erhielt außerdem die Genehmigung, zwölf Tische auf einem Platz an der Rückseite des Gebäudes aufzustellen. Damit besaß er eines der ersten Parkcafés mit Sitzmöglichkeit im Freien.21 Boten die zahlreichen Cafés und Restaurants bereits erste Anlaufstellen, um die Freizeit im Park angenehm zu gestalten, wurden weitere Maßnahmen ergriffen, um das Ziel zu erfüllen, der Bevölkerung mit einem Unterhaltungsangebot Erholung vom Alltag zu verschaffen. Auf dem bereits erwähnten zentralen See wurden in regelmäßigen Abständen Regatten, Feuerwerke und Schiffsfahrten veranstaltet, die zur allgemeinen Attraktivität des Geländes beitrugen. Eine weitere sportliche Attraktion stellte eine Eislauffläche dar, die 1870 an der Stelle des heutigen Rosengartens (»La Rosaleda«) angelegt wurde. Für eine Nutzungsgebühr von einer Pesete pro Person konnte sich jeder in der damals in vielen Ländern beliebten Aktivität erproben. Die sonnige Lage der Fläche führte allerdings dazu, dass das Eis sehr schnell 20 | Vgl. ebd., S. 113. 21 | Vgl. Ariza: Los Jardines del Buen Retiro, S. 90ff.
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schmolz. Begeisterte Läufer kamen aber auch danach nicht zu kurz, wurde doch die Eislaufbahn auf ein anderes Gelände verlegt. Am ursprünglichen Standort der Eislaufbahn fand ein Gewächshaus einen neuen Platz, das zuvor im Palast des Marqués de Salamanca am Paseo de Recoletos gestanden hatte und das erste Gewächshaus in Madrid darstellte.22 Die Reformen und Veränderungen im Park blieben nicht auf den Ausbau neuer Attraktionen für die Besucherinnen und Besucher beschränkt. Ebenfalls veränderten sich die Gartenanlagen selbst, wurde doch zum Beispiel die Skulpturengruppe für Daoíz y Velarde durch eine Büste für Dr. Mariano Benavente ersetzt. Ab 1870 wurden Anstrengungen unternommen, den Park durch Abschnitte zu verschönern, die dem Vorbild des englischen Landschaftsgartens nacheiferten: Sie hatten bislang im Parque del Retiro gefehlt. Charakteristische Merkmale des für den Retiro Park geplanten 16 Hektar großen Gartens waren seine großen Wiesenflächen, für deren Bewässerung große Wassermengen von Nöten waren. Im ausgesprochen trockenen und sehr warmen Klima der Sommermonate war diese Ressource äußerst knapp. Dennoch wünschte Eugenio de Garagarza, dass der Retiro Park die Grünflächen erhalte, stellten sie doch ein wichtiges Element der bedeutenden Parkanlagen in Europa dar.23 Diese Ausrichtung an europäischen Vorgaben lässt sich zum Beispiel auch bei der Anlegung eines Rosengartens erkennen, der 1915 auf Initiative des damaligen Madrider Bürgermeisters Carlos Prast entstand.24 Ein weiteres Beispiel für die genannte Orientierung an europäischen, vor allem Pariser und Londoner Parkanlagen, bietet der »Paseo de Carruajes«, ein für Reiter und Wagen freigegebener Weg. Mit seinem Bau vollzog Madrid einen Schritt, der sowohl im Londoner Hyde Park als auch im Pariser Bois de Bologne Jahre zuvor bereits erfolgt 22 | Vgl. etwa »El Parque de Madrid. Los Patinadores«, in: La Ilustración
Española y Americana vom 10. Februar 1870, S. 58. 23 | Vgl. Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 132. 24 | An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass der spätere Rosengarten
nach französischen Vorbildern angelegt wurde. Quelle der Inspiration war insbesondere Jean-Claude Nicolas Forestier. Vgl. Antonio Prast Rodríguez de Llano: »La Rosaleda del Retiro de Madrid«, in: Cedro 3, 1951, S. 47f.
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Abbildung 1: Plan des Paseo de Carruajes im Parque del Retiro
Quelle: La Ilustración Española y Americana, zit. nach: Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 123.
war. Schon zuvor hatte Madrid mit einer Reihe von Straßen aufwarten können, die von den Madrilenen stark frequentiert und zur Selbstdarstellung genutzt worden waren. Ältester und traditionellster war der zuvor erwähnte Paseo del Prado, dessen Erweiterung unter der Prämisse durchgeführt wurde, in Madrid einen der bedeutendsten Boulevards in Europa zu schaffen, Madrid somit im internationalen Vergleich enorm aufzuwerten.25 Und tatsächlich war der Paseo del Prado im 19. Jahrhundert einer der beliebtesten Orte der Madrilenen, der »Salon«, in dem die elegante Gesellschaft flanierte, spazieren ritt oder fuhr, sich präsentierte.
25 | Für die Bedeutung des Paseo del Prado vgl. die voluminöse Doktor-
arbeit von Pilar de Lorenzo Velasco: El paseo del Prado de Madrid en la literatura, Madrid 1991. Für eine Orientierung an England spricht ein Zitat von Pio Baroja: »dando un aire de estampa ingles al paseo«. Las noches del Buen Retiro, zit. nach: Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 129.
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Offiziell wurden unterschiedliche Argumente für die Anlegung des Paseo de Carruajes im Park vorgebracht.26 Neben dem Argument, dass die Hauptstadt eine breite Promenade für alle sozialen Klassen in Madrid benötige, galt der Bau als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für arbeitslose Tagelöhner. Für die Kritiker wiederum stellten die vorgebrachten altruistisch-sozialen Ziele einen Versuch dar, von den tatsächlich Begünstigten abzulenken: der Aristokratie und den Vermögenden. Beide sahen die Notwendigkeit einer großen Allee, erachteten sie doch den Paseo de la Castellana und den Paseo del Prado für zu klein und nicht repräsentativ genug. Es überrascht daher nicht, dass in den Jahren der Restauration ein Entschluss fiel, den eleganten Paseo de Carruajes zu bauen, versprach er doch, das Prestige der Aristokratie besonders augenfällig herausstellen zu können. Einen weiteren Grund führt die Historikerin Carmen Ariza an. So dürfte die Stadtverwaltung vor allem durch die Möglichkeit überzeugt worden sein, durch den Weg auf lange Sicht die Kassen der Stadtverwaltung entlasten zu können. Vorgesehen war eine Nutzungsgebühr von 2 Peseten und 50 Céntimos pro Tagesticket, ein Abonnement kostete monatlich 5 Peseten pro Wagen und zweieinhalb Peseten für Reiter.27 Erwartungsgemäß wurde die Schaffung des Paseo de Carruajes stark kritisiert. Politiker, Journalisten und Einwohner ergriffen dezidiert Stellung für oder gegen das Vorhaben, so auch zwei der bedeutenden Zeitungen der Zeit: El Imparcial sprach sich gegen das Projekt aus, die Herausgeber der Ilustración Española y Americana plädierten dafür.28 An den Bau wurde die Bedingung geknüpft, dass der neue Weg die Öffentlichkeit nicht bei ihren gewohnten Spaziergängen im Park behindern dürfe und die Fällung von schattenspendenden Bäumen weitestgehend vermieden werden sollte.29 Es dominierten 26 | Für die Entwicklung des Paseo de Carruajes vgl. Ariza: Los jardines
del Buen Retiro, S. 94-101; Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 121-130. 27 | Auf die finanzielle Relevanz verweist Ariza: Los jardines del Buen Re-
tiro, S. 101. 28 | Die Diskussion fasst zusammen Eugenio Barron: »El Parque de
Madrid«, in: La Ilustración Española y Americana vom 22. März 1874, S. 170f. 29 | Vgl. ebd., S. 170.
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demnach die Gedanken, in erster Linie eine Möglichkeit zur Freizeitbeschäftigung unter freiem Himmel zu bieten. Der Bau für die neue Promenade begann 1872 und zog sich bis 1874 hin. Am Ende entstand eine Straße von 3 Kilometern Länge und einer Breite von 20 Metern, die aus einer zentralen Zone von 14 Metern und einem weiteren, durch eine Baumreihe abgetrennten Weg für Reiter und Pferd bestand. Die feierliche Eröffnung fand am 23. Oktober 1874 statt. Vom ersten Augenblick an war der neuentstandene Paseo de Carruajes einer der am stärksten frequentierten Orte im Parque del Retiro.30 Neben dem täglichen »Sehen und Gesehen werden« diente er als Austragungsort für sportliche Aktivitäten, wie zum Beispiel der am Ende des 19. Jahrhunderts beliebten Fahrradrennen. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts lösten motorisierte Autos die Pferdewagen ab, der Weg wurde asphaltiert, Ampeln aufgestellt und Zebrastreifen für die Regulierung des Verkehrs eingezeichnet. Doch gefährdete das hohe Verkehrsaufkommen mit seiner Abgasverschmutzung das ökologische Gleichgewicht des Parks. Dennoch wurde bis ins Jahr 1981 der Autoverkehr nicht vollständig aus dem Park verbannt, als der Paseo de Coches zu einem weiteren Fußgängerweg gemacht wurde. Er blieb bis heute asphaltiert und wird als Austragungsort für die jährlich stattfindende »Feria del Libro« und weitere Anlässe genutzt.31 Der schon mehrfach angeklungene Anspruch, mit dem Parque del Retiro ein repräsentatives Aushängeschild für Madrid zu schaffen und auf diese Weise die Stellung der spanischen Hauptstadt im europäischen Vergleich zu stärken, lässt sich an weiteren Baumaßnahmen aufzeigen. So wurde beispielsweise der 1781 von Ventura Rodríguez entworfene Brunnen »La Alcaclofa« (Artischocken-Brunnen) 1880 in den Park überführt, gleiches gilt für den Schildkrötenbrunnen (»Los Galápagos«), der ursprünglich auf dem »Red de San Luis« stand und 1911 wegen des Baus der »Gran Vía« im Retiro-Park seine neue Hei30 | Pío Baroja sprach davon, »[…] el paseo de coches del Retiro estaba
lleno«, zit. nach: Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 129. 31 | Die Diskussion um die Verbannung des Verkehrs aus dem Park wird
dargestellt in »El Ayuntamiento estudia el cierre al tráfico del Paseo de Coches del Retiro«, in: ABC vom 1. Juli 1981, S. 29.
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mat fand. Ein Kunstwerk von besonderem Wert ist der von Ricardo Bellever gestaltete Brunnen des gefallenen Engels (»La Fuente del Ángel Caido«), der nach Meinung der Kritiker in seiner Art weltweit einmalig ist. Ebenfalls repräsentativen Werts waren die neugeschaffenen Eingangstore, von denen insbesondere die Puerta de España und der Eingang am Plaza de la Independencia zu nennen sind.32 Geht man über das 19. Jahrhundert hinaus, gelangen im Zusammenhang des repräsentativen Wertes vom Retiro-Park die Festivitäten zur Volljährigkeit Alfons XIII. in den Blick. Zu diesem Anlass wurden in Madrid zahlreiche Statuen für illustre Persönlichkeiten errichtet. Der durchschlagende Erfolg dieser Initiative bewegte die Stadtverwaltung dazu, generell dem Mangel an Monumenten in Madrid abzuhelfen. So lag am 27. Juli 1904 ein Entwurf vor, der die Aufstellung von Monumenten und Statuen für in Madrid geborene Persönlichkeiten vorsah. Wurde dieser Entschluss auch nicht unmittelbar in die Realität umgesetzt, erklärt er doch die deutliche Zunahme der Statuen, die im Parque del Retiro für Politiker, Wissenschaftler, Militärs, und Schriftsteller in späteren Jahren errichtet wurden. Bedingt durch die Tatsache, dass diese Denkmäler noch durch eine Vielzahl von Gedenktafeln, Plaketten und Bronzen ergänzt wurden, geht Consuelo Durán Cermeño so weit, den Retiro heute als ein »Open Air Museum« zu bezeichnen.33 Eine Verbindung der vom Ministerium formulierten Anforderungen an den Park, neben den hygienischen Aspekten gleichwohl die Punkte der Unterhaltung, Erziehung und Bildung aufzugreifen, bot der zoologische Garten im Parque del Retiro. Anfänglich ließ die Stadt den zoologischen Garten ohne große Umbauten in der »Casa de Fieras« bestehen, bemühte sich erst später um seine Erweiterung. Die Ursprünge des Zoos gehen auf das Jahr 1770 zurück, in dem Karl III. erstmals eine vergleichbare Einrichtung anlegen ließ. Sie beherbergte hauptsächlich Tiere aus den amerikanischen Kolonien, ergänzt um einige Exemplare aus Asien und Afrika sowie die Fauna des mittel- und südamerikanischen Kontinents. Unmittelbar nach Ende des Unab32 | Zu den Brunnen und Toren vgl. Ariza: Los jardines del Buen Retiro,
S. 101-116; dies.: Los Jardines de Madrid, S. 197-205 und S. 213ff. 33 | Vgl. Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 157.
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hängigkeitskrieges verlegte Ferdinand VII. die zoologische Sammlung in die Casa de Fieras. Deren ursprünglicher Eingang wurde 1869 durch zwei große Steinsäulen verschönert, die früheren Gartenmauern durch Eisengitter ersetzt und das gesamte Gelände nach Süden hin erweitert, um so für mehr Pracht, Raum und Sicherheit zu sorgen. Die Casa de Fieras war von 9 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags und erneut von 14 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit geöffnet, der Eintrittspreis betrug 25 Céntimos. Hauptattraktion des Zoos bildete lange Zeit der Elefant »Pizarro«, der die Besucher mit zahlreichen Kunststücken und Späßen unterhielt. Die Punkte der Bildung und Unterhaltung trafen demnach im Zoo zusammen, und obwohl von Beginn an einige negative Stimmen aufkamen, verwandelte sich der Zoo in einen der am häufigsten besuchten Orte des Parque del Retiro. Er verzeichnete durchschnittlich 2.000 Besucher pro Monat. Dennoch deckten die Einnahmen nicht die hohen Ausgaben und trotz zusätzlicher finanzieller Mittel, die die Stadt zur Verfügung stellte, verlangte die prekäre finanzielle Situation der Casa de Fieras schon bald nach Veränderungen. Ende der achtziger Jahre entschied man sich, den Zoo an den Tierdompteur Luis Cavannas zu verpachten, der im Gegenzug 10 Prozent seiner durch Eintrittsgelder gewonnenen Einnahmen an die Stadt abtreten musste. Doch konnte auch der Pächter, dem in den nächsten Jahren weitere folgten, keinen ausreichenden Gewinn erwirtschaften. Hinzu kam, dass mehr und mehr Kritik an Ausmaß und Gestaltung des Zoos aufkam: Er wurde nicht länger als repräsentativ genug für die spanische Hauptstadt erachtet.34 Erste Maßnahmen wurden ergriffen, zunächst errichtete man 1902 eine Voliere für Pfauen und Fasane, schließlich folgte eine Grundsanierung der Casa de Fieras. Doch bereits nach dem Spanischen Bürgerkrieg kam Kritik an den Tierunterkünften auf, die nicht mehr den Anforderungen entsprachen. Kam schon zu diesem Zeitpunkt die Forderung nach einem Neubau auf, ließ die Stadt doch erst 1969 den Zoo im Retiro Park schließen und eröffnete 1972 im Casa del Campo eine neue Anlage.35 34 | Ein spätes aber ausgesprochen deutliches Beispiel ist Fernando Mota:
»¡Nada menos que la Casa de Fieras!«, in: Nuevo Mundo vom 1. Dezember 1916. 35 | Vgl. v.a. Durán: Jardines del Buen Retiro, S. 176ff.; aber auch Ca-
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Zusätzlich zu den Veränderungen im allgemeinen Freizeitangebot und der Gestaltung des Parks verwandelten sich die Gärten des Retiro in einen Ort, an dem ungezählte Ausstellungen, Wettbewerbe, Messen und weitere Festivitäten veranstaltet wurden. Er entwickelte sich vom nur »schmückenden« Element zu einem Ort der Aktivität und zum wahren repräsentativen Zentrum der Stadt und des Landes. Mit dem Wandel zum Austragungsort von prestigeträchtigen Großveranstaltungen folgte Madrid jenem Trend, den die Weltausstellung im Hyde Park 1851 und ihre glanzvollen Nachfolger in Paris kreiert hatten. Auch wenn zum Bedauern der Stadtväter bis zum heutigen Tage in Madrid keine Weltausstellung stattgefunden hat,36 gab es gleichwohl nationale, hispanische und koloniale Ausstellungen in der Hauptstadt. Die Restauration unter Alfons XII. gewährleistete mit der neugewonnenen politischen Stabilität die unabdingbare Voraussetzung für eine konsolidierte wirtschaftliche Entwicklung. Diese schlug sich wiederum in Ausstellungen nieder, die die Erfolge der wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens nach außen trugen. Das wirtschaftliche Potential Spaniens demonstrierte als Erste überaus effektvolle Schau die Exposición Nacional de Minería, Artes Metalúrgicas, Cerámica, Cristalería y Aguas Minerales. Obwohl die Initiativen für eine solche Ausstellung von der Presse und privaten Investoren ausgegangen war, hielt sich die Regierung das alleinige Durchführungsrecht vor und visierte eine solche Präsentation für 1883 an. Erstmals kam im Zusammenhang dieser Ausstellung der Gedanke an ein Gebäude auf, das zukünftig für Veranstaltungen vergleichbarer Art genutzt werden konnte. Erneut galt als Regel, dass die Spaziergänge und Gewohnheiten der Bevölkerung nicht gestört werden durften. Daneyro: El Retiro, S. 271; Ariza: Los jardines del Buen Retiro, S. 91f.; dies.: Los Jardines de Madrid, S. 184ff. und S. 213ff., und Fernández Amador de los Rios: »Madrid se embellece. Jardín Zoológico del Retiro«, in: Nuevo Mundo vom 10. Februar 1922. 36 | Dennoch war sowohl für 1874 als auch für 1914/15 die Realisierung
einer Weltausstellung überlegt. Vgl. Nicolás Díaz Pérez: Memoria acerca del ante-proyecto de la Exposición Universal de Madrid para 1874, Madrid 1872. Zu einem Vorentwurf für eine angedachte Ausstellung 1914/15 vgl. Archivo de la Villa, Akte 26-331-19.
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her fiel die Wahl auf das Gelände des Campo Grande. Nach Abschluss der am 30. Mai 1883 durch den spanischen König und den portugiesischen Souverän eröffneten nationalen Ausstellung, blieb der eigens von Ricardo Velázquez Bosco entworfene Ausstellungspavillon, der Palacio de Velázquez, stehen. Der Ziegelsteinbau besticht durch seine vom Wechsel der Säulen und Bögen erzeugte Dynamik. Die mit Girlanden und Arabesken verzierten Emaillekacheln an Säulen, Bögen und Gesims stammen von Daniel Zuloga. Die Dach- und Innenkonstruktion aus Glas und Eisen entwickelten der Ingenieur Alberto del Palacio und der Kunstschlosser Bernardo Asins. Der Pavillon wurde viele Jahre als Ausstellungsgebäude für die »Exposiciones Nacionales de Bellas Artes« genutzt, bis er 1887 erneut eine internationale Ausstellung beherbergte: anlässlich der Ausstellung zur Kultur der Philippinen. Für eben diese Ausstellung entstand der »Palacio de Cristal«, »ein lichter Traum aus Eisen und Glas, der an die Trägerkonstruktion gotischer Kathedralen erinnert«.37 Er wurde als Gewächshaus für die aus den Kolonien stammenden Pflanzen genutzt, die der Madrider Bevölkerung die Flora des amerikanischen Kontinents näher bringen sollten. Effektiv konnte jedoch nur ein geringer Teil der in Madrid angekommenen Pflanzen ausgestellt werden, waren die meisten nach der langen Reise doch in einem zu schlechten Zustand. Architekt des Palacio de Cristal war kein anderer als Joseph Paxton, der mit dem Crystal Palace im Hyde Park 1851 Maßstäbe gesetzt und in anderen Städten den Wunsch nach ähnlich eindrucksvollen Bauten geweckt hatte.38 Nach Abschluss der bis Oktober 1887 währenden Ausstellung blieb der Palacio de Cristal bestehen, diente im Folgenden unterschiedlichen Zwecken, und steht heute, nach einer Grundsanierung 1998 wiedereröffnet, dem Ministerium für Bildung und Kultur als Ausstellungssaal zur Verfügung. So erfüllt er in für das 19. Jahrhun-
37 | Jürgen Weigand: Madrid, Dortmund 1997, S. 332. 38 | Überall in Europa und selbst in den Vereinigten Staaten – etwa in
dem Bau der wenig glamourösen Ausstellung von 1853/54 – versuchte man, das große Vorbild zu kopieren. Zur Ausstellung von 1851 und zu Paxtons ›Palast‹ vgl. im Abschnitt über London in diesem Band das Kapitel 4.2.
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dert unerwarteter Weise seine Aufgabe, zur Bildung der Bevölkerung beizutragen.39 Die Ausrichtung des Parks auf Erholung durch Unterhaltung und Ablenkung blieb über die Wende ins 20. Jahrhundert hinaus im Parque del Retiro erhalten. Im Jahre 1905 entschloss sich die Madrider Stadtverwaltung, einen Bereich des Parks abzutrennen und dort einen Freizeitpark einzurichten.40 In ihm konnten die Besucher nach Bezahlung einer einmaligen Eintrittsgebühr diverse Theatervorführungen, Konzerte und Feuerwerke genießen oder einer der zahlreichen Aktivitäten nachgehen, zu denen der Tanz, der Schlittschuhlauf und Gymnastik zählten. Zudem gab es ein weitgefächertes Angebot an Cafés und Restaurants. Allerdings konnte die Einrichtung niemals die Popularität ihrer Vorläufer erreichen und verschwand daher mit Beginn der franquistischen Diktatur wieder aus dem Parkbild. Alleiniges Überbleibsel dieser Einrichtung ist der Musikpavillon, in dem weiterhin am Sonntagvormittag Konzerte stattfinden.41 Bis heute lässt der Parque del Buen Retiro die Absicht der Planer im 19. Jahrhundert erkennen, die Menschen anzulocken durch das Angebot von Aktivität und Unterhaltung. Das hat ihn zu dem Zentrum des sozialen Lebens in der spanischen Hauptstadt gemacht, das er immer noch ist.
2.3 Parque del Oeste: Das Madrid von morgen Der Buen Retiro zeigt, wie ein Rückzugsort der Wenigen zu einem Erholungs- und Unterhaltungsort der Vielen werden kann. Darin liegt seine Besonderheit. Doch längst nicht alle Parks in Madrid wiesen und weisen diese Ausrichtung auf. Vielmehr erfüllen sie andere Funk-
39 | Vgl. Navascués: »La arquitectura del hierro en España durante el siglo
XIX«, in: Construcción, Arquitectura, Urbanismo 65, 1980, S. 42-64. 40 | Eine solche Verknüpfung hielt der Schöpfer des New Yorker Central
Park für unmöglich. Nicht Blasmusik und Karussells, sondern die Ruhe der inszenierten Natur sollten den Stadtbewohnern Erholung verschaffen. Vgl. den Abschnitt über New York in diesem Band, besonders Anmerkung 124, S. 156. 41 | Zu Freizeitparks wie dem Campos Eliseos vgl. Ariza: Los Jardines de
Madrid, S. 228-254.
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Abbildung 2: Plan des Parque del Oeste nach Rodrigáñez y Vallejo
Quelle: Consuelo María Correcher: »El Parque del Oeste«, in: Madrid Ayuntamiento. Delegación de Cultura (Hg.): Jardines clásicos madrileños, Madrid 1981, S. 185.
tionen, wie etwa das Beispiel des Parque del Oeste erkennen lässt.42 Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gelände einer ehemaligen Kaserne im Stadtviertel Argüelles in den heute 85 Hektar großen Park verwandelt. Seine Entstehung hängt mit den Planungen zur Stadterweiterung und den Bemühungen um ein positiveres Stadtimage zusammen. In der Forschungsliteratur wird ihm wie in der zeitgenössischen Publizistik nicht nur eine rein symbolische, sondern ebenso eine faktische Bedeutung für die städtische und soziale Reform der spanischen Hauptstadt zugewiesen.43
42 | Besonders empfehlenswert sind die beiden Arbeiten von Juan
Remón Menédez: Parque del Oeste, Madrid 1994, und ders.: »Nature and the City: The Parque del Oeste«, in: Urban History 25, 1998, S. 189-210. 43 | Aemece: »El Parque del Oeste«, in: Blanco y Negro vom 29. März
1914. Zum großen Engagement von Alberto Aguilar y Velasco vgl. José Ramón
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Dies führt zu den Planungen zur Stadterweiterung zurück, die mit dem Auftreten von Alberto Aguilera y Velasco und dem Bürgermeister Conde de Romanones im Oktober 1897 neuen Schwung erhielt. Erstgenannter wurde mitunter als »creador del Parque del Oeste«44 bezeichnet, obwohl bereits vor seinem Engagement mit den Planungen für den Parque del Oeste begonnen worden war. Wie erwähnt beinhaltete der ursprüngliche Plan Castros zur Ensanche Pläne für die Anlage von öffentlichen Parks, zahlreichen Gärten, Plätzen und begrünten Straßenzüge. Die Errichtung einer weiteren grünen Oase im Stadtgebiet wurde umso wichtiger, als die Stadterweiterung nur in Teilen und mit großen Zugeständnissen realisiert worden war. Den Plan für das am 17. Oktober 1893 verabschiedete Vorhaben erarbeitete Rodrigáñez y Vallejo. Abgesehen von den im Stadtgebiet zu verteilenden kleineren Parkanlagen sah Castro zwei große Parks vor, die im Norden und Osten der Ensanche liegen sollten. Mit eben diesen Überlegungen wird der letztlich Ende des 19. Jahrhunderts begonnene Parque del Oeste in Beziehung gestellt. Die Verbindung zwischen den Planungen zur Ensanche und dem Parque del Oeste sieht Remón Menédez durch mehrere Punkte untermauert, darauf verweise allein schon sein Name: Im Norden des alten Stadtkerns gelegen, trage der Park den Namen »Westpark«. In Relation zur Stadterweiterung liege der Park dagegen tatsächlich im Westen. Außerdem erkläre sich so, dass Rodrigáñez den Parque del Oeste in seinen Planungen im Umfeld der Ensanche darstellt.45 Die Finanzierung der neuen Anlage erfolgte überwiegend durch die Stadt. Daneben stellten ebenso Privatpersonen und Einrichtungen wie die Banco Hispano-Americano und die Banco de España Gelder zur Verfügung. Dabei war die finanzielle Unterstützung durch Privatpersonen neben dem philanthropischen Gedanken, der zur Zeit der Restauration verstärkt aufkam, ebenso von egoistischen Interessen beAlonso Pereira: »En torno a la Gran Vía«, in: Villa de Madrid 69, 1980, S. 22, 28. 44 | Vgl. Remón: Parque del Oeste, S. 21-37; Antonio Gómez Iglesias: »La
Montaña del Principe Pío y sus alrededores (1565-1907)«, in: Villa de Madrid 25, 1969, S. 28f. 45 | Remón: Parque del Oeste, S. 23.
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stimmt. Schließlich bewirkte ein Park eine deutliche Wertsteigerung des umliegenden Baulandes, wodurch deren Besitzer profitierten.46 Die Aufwertung des gesamten Umfeldes erklärt den Protest der Anwohner, die 1900 aufbegehrten, als die Bauarbeiten zeitweise stillstanden. Abgesehen von dem finanziellen Nutzen und der Wertsteigerung des Stadtviertels Argüelles kam das Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen auf, die diesmal dauerhafterer Natur sein sollten als noch im Umfeld des Paseo de Carruajes im Parque del Retiro. So wurden der Bau, die Pflege und der Erhalt als eine Arbeit angesehen, die besonders für ungelernte Arbeitskräfte geeignet erschien. Entsprechend votierten sowohl die Anwohner als auch der Bürgermeister Aguilera für die Fertigstellung und den Ausbau der Anlagen. Tatsächlich schlug Aguilera vor, das gesamte Budget, welches zur Unterstützung der Arbeitslosen festgelegt worden war, in die Arbeit am Park zu investieren und auf diese Weise die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.47 Neben den arbeitspolitischen Argumenten für die Fertigstellung und den Ausbau des Parks standen weitere generelle Gesichtspunkte im Vordergrund der Überlegungen. Es galt auch hier das Ziel, das Madrider Stadtbild aufzuwerten und die spanische Hauptstadt im Vergleich mit europäischen Hauptstädten weiter voran zu treiben. Hatte schon Castro die Lösung eines »parque a la inglesa« vorgesehen, wurde das gleiche Prinzip auf den Parque del Oeste angewandt. Unter einem englischen Garten wurde im Spanien jener Jahre vor allem ein unregelmäßig angelegter Garten verstanden. Entsprechend sah man für die Bepflanzung des Parks eine sporadische Struktur vor, in der Bäume und Sträucher das Parkgelände modulieren sollten. Ebenfalls sollten große Rasenflächen entstehen, auf denen einige, ganz dem Vorbild viktorianischer Parks folgend, mit großen Beetanlagen zu bepflanzen waren. Für 1903 werden gut 12.000 gepflanzte Bäume gezählt, überwiegend Kiefern, Tannen, weitere Koniferen und Pappeln.48 46 | Vgl. Remón: Nature and the City, S. 199, und »Notas Municipales«,
in: ABC vom 30. September 1906; Aemece: El Parque del Oeste. 47 | Vgl. »Notas Municipales«, in: ABC vom 12. September 1906, S. 6,
und »Notas Municipales«, in: ABC vom 13. November 1909, S. 11. 48 | Vgl. Remón: Nature and the City, S. 194; ders.: El Parque del Oeste,
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Die Wahl dieser Baumarten leitet über zu einem weiteren grundlegenden Gedanken, der die Schaffung des Parque del Oeste bestimmte, war doch das ausschlaggebende Argument für die Baumauswahl ihre große Kapazität der Sauerstoffbildung. Seine immergrünen und heilenden Bäume sollten den Park in ein »Sanatorium« verwandeln, dass die erschöpften Lungen der Stadtbevölkerung mit frischer Luft versorgte.49 Erneut stimmte diese zeitgenössische Einschätzung mit der Vorstellung Castros überein, der öffentliche Parks als ausgedehnte Sauerstofftanks ansah, welche die Straßen der Hauptstadt mit Luft versorgten. Eben dieses Argument der Gesundheitsförderung trug mit dazu bei, dass die Anwohner die Fertigstellung des Parks forderten. So wurde eine Möglichkeit benötigt, in den strengen Wintermonaten Spaziergänge zu unternehmen, die vor allem gegen die grassierende Tuberkulose helfen sollten. Der Gesundheitsaspekt erscheint überdies an anderen Stellen der Parkentwicklung. Den zentralen Bach, für dessen Name San Bernardino Pate stand, gestaltete Rodrigáñez als enge Serpentine mit einem Wassergraben. Er entsprang einem heute nicht mehr existenten See. In seinem Zentrum stand ein Brunnen, der einen Wasserstrahl 66 Meter in die Höhe katapultierte. Unmittelbar neben dem See steht heute noch immer der wiedererrichtete »Fuente de Salud« (Gesundheitsbrunnen), dem in seinen Anfängen eine heilende Wirkung nachgesagt wurde.50 Schloss das Parkkonzept zunächst die Errichtung von Denkmälern aus, um nicht die heilende Kraft des Geländes zu unterminieren, wurde wenige Zeit später das erste Denkmal im Parque del Oeste errichtet, das jedoch zumindest mit dem gesundheitsfördernden Aspekt S. 45; Ariza: Los Jardines de Madrid, S. 221. Zu den Vorbildern aus dem viktorianischen England vgl. den Abschnitt über London, besonders S. 80 und S. 83. 49 | Vgl. »Las mejoras de Madrid. El Parque del Oeste«, in: La Esfera vom
10. Januar 1914. Die Idee wurde in vielen Städten mit hoher Bevölkerungsdichte und dichter Bebauung diskutiert, so auch in London und New York. Vgl. etwa die Einschätzung von Andrew Jackson Downing und Frederich Law Omsted mit Blick auf New York, S. 124 und S. 138f. in diesem Band. 50 | Zu San Bernardino vgl. Remón: Nature and the City, S. 200f.
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des Parks in Verbindung gesehen werden kann. Ein Jahr nach Öffnung des Parks wurde eine Statue für den Chirurgen Federico Rubio y Galí errichtet. Rubio (1827-1902) war ein Mitglied der oberen Mittelschicht Madrids und Begründer eines in unmittelbarer Nähe des Parks gelegenen Armenkrankenhauses. Mit der Statue des Arztes, die 1906 durch König Alfons XIII. feierlich eingeweiht wurde, sollte die Bedeutung der Gesundheit an sich und der Wohltätigkeit in der Gesellschaft der Restauration öffentlich betont werden.51 Noch im 19. Jahrhundert erweiterte sich wie in anderen Großstädten und Metropolen der westlichen Welt das Gesundheitskonzept, sodass es nicht länger nur den Punkt der Frischluft betonte, sondern gleichfalls moralische und soziale Gedanken beinhaltete. Nach der Vorstellung, dass das menschliche Benehmen von der Umgebung bestimmt werde, galt schon die bloße Existenz eines Parks als eine Verbesserung im sozialen Umgang der Stadtbevölkerung. Speziell die Arbeiterklasse werde durch ihre Arbeit, ihre Spaziergänge und Teilnahme am Freizeitangebot ihr soziales Auftreten verbessern. Zur positiven Freizeitgestaltung wurde zum Beispiel 1909 ein Musikpavillon errichtet. Neben dem reinen Unterhaltungswert wurde der Musik ein wichtiger moralischer Einfluss zugesprochen. So hebt Hazel Conway hervor, dass der Musikpavillon in England nahezu zum Sinnbild des Parks und seiner reformerischen Ziele geworden sei.52 Diese positiven Einflüsse sollten durch nichts und niemanden gestört werden. Als dunkler Punkt des Parks wurde die Aussichtsmöglichkeit auf das Gefängnis Modelo erachtet. Um diesen negativen Einflüssen von Beginn an entgegenzuwirken, wurden Eukalyptusbäume gepflanzt, die nun die ihnen zugesprochene heilende Wirkung noch in einem weiteren Sinne erzielen sollten, als Blickschutz vor dem Gefängnis53 und der Bewahrung der Illusion, im Park in einer heilen Welt zu wandeln. Doch sollte der Park nicht nur das Auftreten und Benehmen ein51 | Zum Monument vgl. José Rincón Lazcano: Historia de los Monu-
mentos de la Villa de Madrid, Madrid 1909, S. 283-290. 52 | Vgl. Hazel Conway: People’s Parks. The Design and Development of
Victorian Parks in Britain, Cambridge, New York, Sydney u.a. 1991, S. 127-133. 53 | Vgl. Aemece: »El Parque del Oeste«; Remón: Nature and the City,
S. 207.
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zelner sozialer Schichten verbessern. Vielmehr sei es das Ziel, die soziale Einheit zu fördern. Diese einende Wirkung könne der Park dank seiner bürgerlichen, patriotischen und lokalistischen Inhalte erfüllen. Während sich in der expandierenden Industriegesellschaft die sozialen Schichten weiter aufspalteten und sich die Gräben zwischen ihnen weiteten, geriet die grüne Insel in der Stadt immer häufiger als vielversprechendes Mittel in den Blick, die sozialen Klassen miteinander zu verbinden und Unterschiede zu überwinden.54 So wurde etwa erwartet, dass bei gemeinsamen Konzertbesuchen und Spaziergängen soziale Barrieren abgebaut würden. Der neue Park stellte für einige Journalisten nicht nur einen Teil der Stadtentwicklung dar, sondern bildete vielmehr ein Abbild davon, wie Madrid eines Tages selbst aussehen werde. So schrieb Salaverria 1914, dass der Park schon heute sei, wie das moderne Madrid einmal sein werde, man somit in seiner Phantasie das Madrid von morgen sehen könne.55 Remón Menédez geht so weit, den Park als Symbol dessen zu bezeichnen, was die ideale Ensanche ohne ihre Zugeständnisse und Fehlschläge hätte werden können. Tatsächlich habe der Park die Ensanche ersetzt, da er sorgfältiger ihre liberalen Ziele der Kommunikationsförderung und des sozialen Zusammenhalts weiterverfolgt habe. Die gute Kommunikation führte man unter anderem auf die Wege des Parks zurück, die mit ihrer Zirkulation und dem auf ihnen pulsierenden Leben die Bewegung des Blutes im menschlichen Körper widerspiegelten. Seine unumstrittene Dynamik entstand nicht zuletzt daraus, dass er aufgrund fehlender Bänke kaum Möglichkeiten für Ruhephasen bot.56 Auch wenn der Park sich an alle sozialen Schichten richtete, die Integration gewünscht war, stellte sich die Realität anders dar. Entgegen der positiven Resonanz in der Presse scheint es ganz so, als ob der Park überwiegend von der Mittelklasse genutzt wurde und ein beliebter Ort war, zu dem Kindermädchen mit gut erzogenen Mittelklasse54 | Vgl. die Konzeption Frederick Law Olmsteds im Abschnitt über New
York, besonders Kapitel 3.2. 55 | Vgl. Salaverria, zit. nach: Remón: Nature and the City, S. 205. 56 | Vgl. Remón: Nature and the City, S. 208, und ders.: Parque del Oes-
te, S. 69f.
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kindern einen Ausflug machten. Der Arbeiterklasse scheint der Park in seiner künstlich angelegten Informalität noch immer zu formal gewesen zu sein, das Verbot zum Verzehr mitgebrachter Picknicks und das Nutzungsverbot der Grünflächen abschreckend gewirkt zu haben. Am meisten frequentiert wurde noch das Gebiet des am östlichen Ende des Parks gelegenen »Paseo de Rosales«. Mit einer Vielzahl an Verkaufsständen, die Orangen, Kuchen, Süßigkeiten und ›Softdrinks‹ anboten, sprach diese Umgebung die Arbeiterklasse schon eher an. Hinzu kamen Konzerte und Kinoaufführungen, die die Massen anlockten.57 Dennoch benutzte die Arbeiterklasse den Park überwiegend, um zu den hinter ihm gelegenen Flächen zu gelangen. Möglicherweise war das Bestreben der Mittelschichten zu offensichtlich, mit Hilfe des Parque del Oeste aus den Angehörigen der Arbeiterschicht solche des Bürgertums zu machen, zumindest in ihrem Verhalten. War das Ziel, die soziale Einheit zu fördern, somit nur bedingt erfüllt, ließen sich gleichwohl andere Pläne wie die Förderung des lokalen Stolzes umsetzen. Immer wieder wurde betont, dass der Park in nur wenigen Jahre so weit entwickelt sei, dass die Madrilenen keinen Anlass mehr für neidvolle Blicke auf europäische Parkanlagen haben würden. Und tatsächlich lassen sich entsprechende Einschätzungen in der Presse finden, die die Madrider Anlage auf eine Stufe mit den großen europäischen Vorbildern stellten.58 Und ließ sich nicht ein gestärkter Patriotismus instrumentalisieren, um die gewünschte soziale Einheit zu verwirklichen? Dem Zweck diente etwa das Denkmal für die Gefallenen des Krieges von 1898, das nostalgische Gefühle an eine große Vergangenheit des Landes beschwören sollte. Ähnlich integrativ sollten lokalpatriotische Gefühle wirken, die der Park im Idealfall stärkte. So folgte die Errichtung eines Denkmals für Ruperto Chapí, das letztlich zwar im Parque del Retiro aufgestellt wurde, ursprünglich 57 | Vgl. Remón: Parque del Oeste, S. 55ff. Diese Akzeptanz spiegelt sich
ebenso in zeitgenössischen Pressestimmen: Alberto de Segovia: »El Paseo de Rosales«, in: La Ilustración Española y Americana vom 30. Juni 1911; »Notas municipales«, in: ABC vom 28. September 1906, S. 95; »El verano en Madrid«, in: ABC vom 10. Juli 1906, S. 14; »El Cine de Rosales«, in: ABC vom 7. Juli 1913, S. 8; »Notas municipales«, in: ABC vom 5. Juli 1913, S. 8. 58 | Vgl. Aemece: »El Parque del Oeste«.
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aber für den Parque del Oeste vorgesehen war. Chapí war ein bekannter Komponist der so genannten »zarzuelas«, der spanischen Operetten. Sein bekanntes Werk »La Revoltosa« spielte in Madrid.59 Nach dem Ersten Weltkrieg durchlebte der Park wechselvolle Zeiten. Im Laufe der Kriegshandlungen im Spanischen Bürgerkrieg in großen Teilen zerstört, wurde er unmittelbar nach Kriegsende wiederhergestellt. Er lag in dem Stadtgebiet, dem die franquistische Regierung besondere Aufmerksamkeit schenkte, in jenem nämlich, in dem der Triumphbogen und das neue Ministerio del Aire errichtet wurden. Der Wiederaufbau des Parks brachte neue Aufgaben: Seine ursprüngliche konservativ-liberale Ausrichtung wurde ignoriert, die Mehrzahl der Denkmäler aus ihm entfernt, da diese von den Franquisten als politische Symbole der überwundenen Republik verstanden wurden. Im weiteren Verlauf wurde der Park Richtung Süden erweitert, sodass er heute mit einer Größe von ungefähr 85 Hektar die Rosengärten, das Gebiet, das den nach Madrid transferierten ägyptischen Tempel umgibt, sowie den früher eigenständigen Parque de la Tinaja umfasst. Somit hat der Park ungefähr die Ausmaße erreicht, die Rodrigáñez in seinem ursprünglichen Plan vorgesehen hatte. Ganz im Gegensatz zum Parque del Retiro findet sich hier selbst an Wochenenden ein ruhiges Plätzchen zum Ausspannen.
3. Barcelona: Stadtentwicklung, Parks und Nationalismus 3.1 Eine Stadt »im Zustand fieberhafter Erneuerung«60 Mit Barcelona rückt nun das zweite metropolitane Zentrum Spaniens ins Blickfeld. In seinen Gemeindegrenzen leben heute nahezu zwei Millionen Menschen und mit den angrenzenden Ortschaften, die mit 59 | Den patriotischen Gedanken betont Remón: Parque del Oeste, S.
83ff. 60 | Eduardo Mendoza: Die Stadt der Wunder, zit. nach: Herbert Genzer/
Franz Marenits: Europa erlesen, Barcelona, Klagenfurt 1999, S. 59.
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dem urbanen Kern eine feste Einheit bilden, sind es weit über drei Millionen Einwohner. Zählt Barcelona demnach mehr Bürgerinnen und Bürger als andere Hafenstädte im Bereich des Mittelmeers und wird die Stadt in ihrer Größe nur noch von Madrid übertroffen, so ist sie noch aus vielen anderen Gründen eine Metropole und Weltstadt. Barcelona ist das ökonomische, geistige und auch politische Zentrum Kataloniens, eines Landes, dessen Bevölkerung sich innerhalb Spaniens als Nation sui generis betrachtet. Die Stadt bietet den Katalanen, einer nationalen Minderheit also, der die Ausbildung eines eigenen Nationalstaates in der jüngeren Vergangenheit versagt geblieben ist, einen Mittelpunkt, wie ihn keine andere europäische Volksgruppe in einer ähnlichen Situation besitzt. Die Autoren Fritz René Allemann und Xenia von Bahder gehen so weit, in der Existenz Barcelonas den wesentlichen Grund für die erstaunliche Vitalität Kataloniens zu sehen.61 Nur so sei es der Region möglich gewesen, der systematischen Unterdrückung des Katalanischen unter Franco – mit der Zerstörung und dem Verbot von Zeugnissen der Regionalkultur, scharfen Repressionsmaßnahmen und Racheakten – einen nur relativ geringen Tribut zu zollen. Barcelona war in ihren Augen »einfach zu groß, ihrer Bedeutung zu sicher und daher zu widerstandsfähig, um sich dem Diktat aus Madrid ohne stete (zumindest passive) Gegenwehr zu fügen«.62 Welche historischen Eckpunkte der katalanischen Metropole erklären ihre besondere Stellung als ein regionales Zentrum? Wie gestaltete sich die Ausgangssituation für die Parkanlagen des Parc de la Ciutadella und des Parc Güell,63 die als nächstes betrachtet werden. Die heutige starke Stellung Barcelonas erwuchs nicht zuletzt aus dem immer lebendig gebliebenen Bewusstsein der eigenen, großen Geschichte und einer sich darin manifestierenden Aufgabe. So hatte die Regierung Kataloniens bzw. seiner Kerngebiete über fast ein Jahr61 | Vgl. Fritz René Allemann/Xenia von Bahder: Katalonien und Andor-
ra, Köln 6. Aufl. 1990, S. 159. 62 | Ebd. 63 | In Übereinstimmung mit der Schreibweise im Stadtbild und der
neueren – zumeist katalanischen – Literatur habe ich mich für die katalanische Schreibweise entschieden.
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tausend hinweg ihren Sitz in Barcelona. Dies galt auch noch lange über die 1479 vollzogene Eingliederung in die kastilische Monarchie hinaus, die Katalonien faktisch bereits ins politische Abseits gestellt hatte. Spätestens nachdem sich die barcelonesischen Verantwortlichen 1714 im Spanischen Erbfolgekrieg auf die Seite der späteren Verlierer gestellt hatten, standen Katalonien und Barcelona im langen Schatten Kastiliens und Madrids. Im so genannten »Decreto de la Nueva Planta« verlor Katalonien seine letzten Freiheiten und Einrichtungen zugunsten eines straff organisierten zentralistischen Staates. Es folgte eine Zeit des vorübergehenden politischen und kulturellen Niedergangs. Doch die sprichwörtliche Energie der Katalanen konnte auf Dauer nicht gebrochen werden und das politisch entmündigte Katalonien versuchte noch während des 18. Jahrhunderts, seine wirtschaftliche Kraft neu zu entfalten, was nach der Zulassung zum Amerikahandel 1778 auch gelang. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte in Katalonien und Barcelona die Industrialisierung ein, bei der der alles beherrschende Industriezweig die Textilherstellung war. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war Katalonien nach England, Frankreich und den Vereinigten Staaten der weltweit viertgrößte Hersteller von Baumwollprodukten, Barcelona die größte Industriestadt des ansonsten noch wenig industrialisierten Spaniens.64 Der ökonomische Erfolg ließ in Katalonien ein neues Selbstbewusstsein aufkommen. In der so genannten »Renaixença« besannen sich die Katalanen auf das eigene Volkstum, erinnerten sich ihrer großen Vergangenheit und pflegten die einheimische Kultur, Sprache und Dichtung. Barcelona ging im späten 19. Jahrhundert über den rein provinziellen Zuschnitt hinaus, gewann vor allem künstlerisch wieder einen überregionalen und nationalen Rang. Auf der anderen Seite besaßen der wirtschaftliche Erfolg und der schnelle Bevölkerungsanstieg eine negative Kehrseite, die insbesondere die Arbeiterschaft traf. Deutlich beschreibt Robert Hughes die menschenunwürdige Lebenssituation der Arbeiterfamilien, die »zusammengepfercht in Mansarden und Kellerwohnungen, ohne Heizung, 64 | Vgl. Angels Solà Parrera: »Aspectos del crecimiento urbano de Barce-
lona en 1830-1860«, in: Antonio Bonet Correa (Hg.): Urbanismo e Historia urbana en el Mundo Hispano, Madrid 1985, Bd. 2, S. 1029-1053.
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Licht oder frische Luft«65 lebten. Das Barcelona der Jahrhundertmitte ließ »das London eines Dickens fast erträglich erscheinen«,66 meint Hughes, was sich ebenso im direkten Vergleich der Bevölkerungsdichte ablesen lässt. Mit über 700 Einwohnern pro Hektar bildete Barcelona das traurige Schlusslicht im europäischen Vergleich: In Paris waren es 291, in Berlin 189 und in London ›nur‹ 128 Einwohner pro Hektar.67 Folglich breiteten sich Epidemien im Stadtgebiet rasant aus: Cholera, Typhus, Ruhr. Dazu kamen zahlreiche Berufskrankheiten wie Rückgratverkrümmungen sowie schleichende Vergiftung durch Färbemittel und chemische Dämpfe. Nach einer erneuten Choleraepidemie fiel 1854 endgültig der Entschluss zum Abriss der mittelalterlichen Stadtmauern. War dieser Schritt zuvor bereits vehement gefordert worden – so auch vom Arzt Pere Felip Monlau – war die Schleifung der Mauern bis 1854 am Madrilenischen Misstrauen gegenüber der Stadt und ihren Bewohnern gescheitert; Barcelona verharrte somit zu lange in seinen engen Grenzen.68 Nach Abriss der Stadtmauern dauerte es weitere fünf Jahre bis die Stadtverwaltung Barcelonas einen Wettbewerb zur Erarbeitung eines Stadtentwurfes ausschrieb. Nachdem zunächst der Entschluss auf einen Entwurf des städtischen Architekten Antoni Rovira i Trias gefallen war, wurde nach Intervention Madrids letztlich der Stadtplan des Bauingenieurs Ildefons Cerdà durchgesetzt, der nicht zuletzt wegen der Intervention aus Madrid in Barcelona auf viel Unmut traf. Heute gilt er jedoch als eines der bemerkenswertesten Projekte der Stadtplanung im 19. Jahrhundert. Auf seiner Grundlage wuchs schnell eine Neustadt zwischen der Altstadt und dem Dorf Gràcia, die so genannte »Eixample«, deren fehlende Anbindung an das alte Zentrum der Stadt bisweilen kritisch angemerkt wurde.69 65 | Robert Hughes: Barcelona. Stadt der Wunder, München 1992, S. 311;
vgl. auch Parrera: »Aspectos del crecimiento«, S. 1030ff. 66 | Hughes: Barcelona, S. 311. 67 | Vgl. Mendoza: Stadt der Wunder, zit. nach: Genze/Marenits: Barce-
lona, S. 59. 68 | Vgl. Hall: Planning Europe’s Capital Cities, S. 128f. 69 | Zu der hier nicht weiter behandelten Auseinandersetzung um den
Stadtplan Cerdàs und zu Person und Plan vgl. grundlegend die Gesamtausga-
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Eindeutig als Plan eines Ingenieurs zu erkennen, füllte der Entwurf Cerdàs die freien Flächen mit einem Gittermuster aus Quadraten (113 x 113 Meter), die durch gleichförmige, zwanzig Meter breite Straßen von einander getrennt waren. Der immer wiederkehrende Vergleich mit einem Schachbrettmuster ist daher vollauf gerechtfertigt und noch heute im Stadtbild deutlich erkennbar. Auch wenn an dieser Stelle nicht genauer auf die Planungen von Ildefons Cerdà eingegangen werden soll, muss ein weiterer Aspekt jedoch hervorgehoben werden: die von ihm vorgesehene »Begrünung« der Stadt, die Cerdà ähnlich wie Castro im Einklang mit der Bewegung der Public Walks plante. So schrieb Cerdà die genaue Anzahl der zu pflanzenden Bäume pro Häuserblock und Straße fest und sprach sich dafür aus, die Häuserblöcke von nur zwei Seiten zu bebauen, um den freien Platz für Gartenanlagen nutzen zu können. An anderen Stellen im Eixample sollte das gesamte Gelände eines Häuserblocks für die Anlage von Parkflächen zur Verfügung stehen. Doch nahezu alle der anvisierten Grünflächen mussten anderen Plänen weichen, »verraten von einer Zeit, die der Gier der Immobilien-Spekulanten und Grundbesitzer keine Zügel auflegte«.70 Der Stadt fehlten daher weiterhin die von Cerdà vorgesehenen Parks. Die Mangelsituation ließ sich umso deutlicher spüren, als die Bauarbeiten am Passeig de Grácia die Barcelonier von dem Brachland vertrieben, das sie in den Jahren zuvor spontan in eine Promenade umfunktioniert hatten. In eben dieser Situation einer aufstrebenden Industriestadt, eines aufkommenden katalanischen Nationalgefühls der Renaixença und der negativen Folgen der merklich gestiegenen Bevölkerungsdichte erreichte Barcelona 1868 die Septemberrevolution, die mit dem Sturz der Bourbonen ähnlich wie in Madrid auch der Bevölkerung des katalanischen Zentrums auf lange Sicht eine große städtische Parkanlage bringen sollte. ben der Cuadernos de arquitectura y urbanismo 100 und 101, 1974; Fundació Catalana per a la Recerca (Hg.): Cerdà. Ciudad y Territorio. Una visión de futuro, Madrid 1996, und Hall: Planning Europe’s Capital Cities, S. 126-143. Zu den Ideen Cerdàs vgl. ders.: Teoría General de la Urbanización, Barcelona 1867. 70 | Diese deutlichen Worte stammen von Hughes: Barcelona, S. 341.
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3.2 Parc de la Ciutadella: Vom Symbol der Unterdrückung zum Symbol des katalanischen Nationalismus Waren 1854 die bourbonischen Stadtmauern niedergerissen und die Stadterweiterung Barcelonas eingeleitet worden, stand noch immer das große Symbol der oft verhassten Zentralmacht Madrid: die Zitadelle. Diese hatte Philipp V. 1715 auf dem Gebiet des Stadtviertels La Ribera errichten lassen, nachdem die Verantwortlichen Barcelonas im Spanischen Erbfolgekrieg mit Erzherzog Karl von Österreich seinen Konkurrenten unterstützt hatten. Von Beginn an diente die vom Baumeister Prósper de Verboom geplante Zitadelle hauptsächlich dem Ziel der Unterdrückung und weniger der Verteidigung der Stadt. Offensichtlich wurde dies vor allem in dem Moment, als Madrid noch immer an der Zitadelle festhielt, obwohl sie im Laufe des 19. Jahrhunderts auch ihre letzte militärische Bedeutung für die Außenverteidigung eingebüßt hatte. Mit dem steigenden Selbstbewusstsein der Katalanen wurden die Stimmen immer lauter, die den Abriss der Zitadelle und den Wiederaufbau des Stadtviertels forderten. Die Argumente für den Abriss gingen einher mit nationalen, Madrid feindlich gesinnten Äußerungen und zielten auf die Herausbildung einer katalanischen Metropole, die dem europäischen Vergleich standhalten würde.71 Ein endgültiger Wandel setzte 1868 ein, als der Revolutionsrat von Barcelona mit dem Abriss der Zitadelle kurz nach Ausrufung der Republik begann. Faktisch wurde das Gelände per Dekret vom 12. Dezember 1869 an die Stadtverwaltung übergeben. Doch die Übergabe 71 | Ein erster, sehr aggressiver Entwurf zur Bebauung des Geländes
stammt vom städtischen Architekten Miquel Garriga i Roca: Memoria que acompaña al Plano de la Ciudadela de Barcelona y Proyecto de su derribo, Barcelona 1862. Den fehlenden Nutzen der Zitadelle betonen El Telegrafo. Diario de Avisos, Noticias y Decretos vom 11. November 1862, S. 7331-7333; Diario de Barcelona vom 23. Oktober 1862, S. 9463f.; La Cordona. Periódico liberal vom 23. Oktober 1862, S. 1; El Lloyd Español. Diario Marítimo de Interesses Mercantiles vom 26. Oktober 1862; S. 1. Zu den allgemeinen Vorstellungen Garrigas vgl. Ferran Sagarra i Trias: Barcelona, ciutat de transició (1848-1868): el projecte urbà a través dels treball de l’arquitecte Miquel Garriga i Roca, Barcelona 1996.
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erfolgte nicht ohne Auflagen: die Stadt musste für die Kosten der Abtragung aufkommen und dem Militär ersatzweise Kasernen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig wurde die weitere Auflage erteilt, auf dem früher militärisch genutzten Gelände einen Park zu errichten. Diese Bedingung war ausgesprochen streng ausgelegt. Schon bevor das Dekret die Errichtung eines Parks zwingend festgelegt hatte, war die noch 1862 vertretene Vorstellung vom Wiederaufbau des Stadtviertels La Ribera aufgegeben worden und der Gedanke an einen städtischen Park in den Vordergrund gerückt. Erste entsprechende Entwürfe lagen der Stadtverwaltung somit schon 1868 vor: José Fontserè i Mestre stellte seine Überlegungen am 15. Oktober 1868 vor, Miquel Garriga i Roca reichte seinen bereits überarbeiteten Entwurf im Oktober 1868 und erneut im Laufe des folgenden Jahres bei der Junta Revolucionára ein. Die Überlegungen des Bauingenieurs Ermengol Támaro kommentierte die Zeitung Dario de Barcelona im Februar 1869.72 Außerdem hatte schon Ildefons Cerdà in seinen Planungen zur Stadterweiterung einen Park in der Größe von 8 Hektar auf dem Gelände der Zitadelle vorgesehen.73
72 | Die Überlegungen von Miquel Garriga i Roca aus dem Jahr 1868
sind im Stadtarchiv Barcelonas einsehbar: Documentación Personal, v.a. Akte 9. José Fontserè i Mestre: Ante-Proyecto para la construcción de un jardín o parque y de museos para la Ciencia, el Arte y la Industria en la actual Ciudadela, Barcelona 1868; Ermengol Támaro, in: Diario de Barcelona vom 22. Februar 1869, S. 1859f. Ebenfalls auf Támaro als Autor eines Projektes verweist El Telegrafo vom 24. Januar 1869, S. 546. Vgl. v.a. zu den Entwürfen von Garriga und Fontserè Manuel Arranz/Ramon Grau/Marina López: El Parc de la Ciutadella. Una visió històrica, Barcelona 1984, S. 37ff.; Ramón Grau/Marina López: »La gènesi del Parc de la Ciutadella: projectes, concurs municipal i obra de José Fontseré i Mestre (1864-84)«, in: Bonet Correa (Hg.): Urbanismo e Historia urbana en el Mundo Hispano, Madrid 1985, Bd. 2, S. 1184ff., sowie Comisión Ciudadena para la Conmemoración del Centenario de la Exposición Universal (Hg.): Exposición Universal de Barcelona. Libro del Centenario 1888-1988, Barcelona 1988, S. 237ff. 73 | Vgl. Salvador Tarragó i Cid: »La Posible Barcelona de Cerdà«, in:
Cuadernos de arquitectura i urbanismo 100, (März/April) 1974, S. 23.
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In diesen frühen Planungen sollte der Parc de la Ciutadella die gesamte Fülle dessen aufnehmen, was in den Augen der Bauingenieure, Architekten, Politiker und der Bevölkerung als Mängel der Stadt galt und Barcelona davon abhielt, eine würdige Stadt des 19. Jahrhunderts zu sein. So verkündete beispielsweise José Fontserè in seinen Bauplänen das Motto »No derribar para destruir, sino derribar para embellecer« (Reißt nicht ab, um zu zerstören; reißt ab, um zu verschönern).74 Für den städtischen Architekten Miquel Garriga, der in seinen ersten Überlegungen noch den Wiederaufbau des Stadtviertels anvisiert hatte, waren 1868 vor allem drei Überlegungen bestimmend: Wie schon 1862 herausgestellt, sei die städtische Reform im nationalen und internationalen Vergleich unumgänglich. Ferner sei nach dem Vorbild der Übergabe des Parque del Retiro an die Madrilenen der feste Wille in Barcelona aufgekommen, Vergleichbares in der katalanischen Metropole zu schaffen. Dies gelte insbesondere, da die Idee eines Parks klassenübergreifend sei. Der Park werde somit eine allgemeine öffentliche Notwendigkeit erfüllen, während die ursprünglich vorgesehene Bebauung nur einzelne befriedigen könne. Ein besonderer Gedanke, den Garriga aufgriff, lag in der Absicht, in den Park einige Sehenswürdigkeiten zu integrieren, die wegen der Geschehnisse der Septemberrevolution ansonsten endgültig aus dem Stadtbild verschwinden würden. So plante er unter anderem, die Kreuzgänge der Klöster Jonqueres und Jerusalem in einem Gebäude unterzubringen, das dann als Kunstmuseum fungieren würde.75 Festzuhalten ist, dass nur der Vorschlag Garrigas ohne Zweifel ein Ergebnis jahrelanger Erfahrungen mit städtischen Planungen war, die von Fontserè und Támaro vorgestellten Überlegungen dagegen deutlich den Stempel der Spontaneität und Eile trugen, mit denen ihre Autoren den Imagewechsel des Geländes voranzutreiben gedachten.76 Abgesehen von den Überlegungen zur Verschönerung der Stadt waren die frühen Planungen insbesondere von politischen Gesichts-
74 | José Fontserè i Mestre: Proyecto de un parque y jardines en los ter-
renos de la ex-Ciudadela de Barcelona, Barcelona 1872. 75 | Vgl. Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciutadella, S. 39. 76 | Vgl. ebd.
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punkten bestimmt. So verfolgte José Fontserè das Ziel, den neuen Stadtpark in seiner Gesamtheit als Denkmal für den politischen Wandel vom September 1868 zu errichten.77 Überdies wollte Miquel Garriga das, was bisher Symbol der kastilischen Unterdrückung gewesen war, in ein Symbol der katalanischen Regeneration umgestalten. Seine Abneigung gegen den kastilischen Machtapparat tritt klar in der aggressiven Wortwahl in seinen Planungsunterlagen hervor. Darin bezeichnete er die Zitadelle durchgehend als »ominosa« und das Dekret, das sie Barcelona überschrieb, als »plausibles Übertragungsdekret«. Die gewünschte Verknüpfung des Parks mit dem Triumph von 1868 und der Erinnerung an die früheren Kämpfe gegen die Unterdrückung griffen Fontserè und Támaro durch eine Integration von entsprechenden Monumenten auf, die insbesondere der Septemberrevolution Rechnung tragen sollten. Miquel Garriga, der selbst in der Zitadelle gefangen gehalten worden war, hielt in seinen Erläuterungen fest, neben einem Denkmal für General Prim auch, und zwar oberhalb der Grundmauern des früheren Turmgefängnisses, ein Pantheon zur Ehrung aller »Märtyrer der Freiheit« errichten zu wollen.78 Vor dem Hintergrund der intensiven Bemühungen um einen Imagewechsel des früheren Festungsgeländes überrascht es wenig, dass die Entwürfe zum Bau des Parks keinerlei Rücksicht auf den früheren Grundriss des Geländes nahmen. Fontserè plädierte beispielsweise für den Abriss jeglicher Gebäude auf dem zentralen Platz der früheren Plaza de Armes, um Raum für einen großen plurifunktionalen Palast zu schaffen.79 Neben den politischen Überzeugungen waren die Diskussionen selbstverständlich auch von hygienischen und gesundheitspolitischen Grundsätzen bestimmt, wie sie die Planungen zur Stadterweiterung einige Jahre zuvor geprägt hatten. Die von der Industrialisierung gebeutelte Bevölkerung benötige neben besseren Lebensbedingungen Frischluft und Raum für einen gesunden Freizeitausgleich. Außerdem bot die kräftigende Wirkung der Natur in den Augen der Pla-
77 | Comisión Ciudadena: Exposición Universal de Barcelona, S. 237. 78 | Vgl. Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciutadella, S. 39. 79 | Vgl. ebd.
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nungsverantwortlichen eine Möglichkeit, die Stadtbevölkerung zu erziehen. Entsprechend sah Fontserè den Bau mehrerer Einrichtungen vor. So sollte auf dem Gelände ein Gewächshaus stehen, das es erlauben würde, eine größere Pflanzenvielfalt zur Schau zu stellen. Ferner befürwortete er die Schaffung einer zoologischen Sammlung sowie den Bau eines Naturkundemuseums. Dabei hatte er jedoch nicht nur die Popularisierung von Naturwissenschaft und Technik in der Öffentlichkeit allgemein im Blick, sondern verfolgte zugleich ein dezidiert ökonomisches Ziel. In der utilitaristisch-naturalistischen Anschauung des Bauingenieurs firmierte der Park als idealer Ort für Kunstmuseen und Ausstellungsräumlichkeiten für industrielle Produkte. Durch sie erhalte der Künstler einen Ort, an dem er historische ebenso wie natürliche Vorbilder studieren könne. Durch dieses Studium und die Imitation vermag er dann eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Das erworbene Wissen leitet er an die Ingenieure weiter, die auf dieser Grundlage neue Technologien und Produktformen entwickeln können. Das wiederum kommt Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt zugute. Neben den Museen für Malerei und Skulptur sahen alle eingereichten Entwürfe weitere Aspekte vor, die der Stadtbevölkerung zur Unterhaltung und Erholung sowie zur städtischen Verschönerung dienen sollten. Ermengol Támaro plante zum Beispiel neben der Einrichtung eines Naturkundemuseums und eines Museums für Malerei und Skulptur auch die Schaffung eines Aquariums, einer Voliere, den Erhalt des antiken Torre de Santa Clara, mehrere Plätze zum Tanz, Wälder und Seen. Derart ausgestattet sollte der Park insgesamt als Gegenpol zu den gefährlichen Versuchungen des Glückspiels und des Alkohols funktionieren und dem dienen, was bürgerlichen Reformern als ›gesunde Erholung‹ der Unterschichten akzeptabel erschien.80 Obwohl hauptsächlich der vom engagierten Republikaner José Fontserè vorgestellte Beitrag die geforderten innovativen Elemente umschloss, die schließlich einen der meist beachteten Orte Barcelonas im 19. Jahrhundert bestimmen würden, sollte keiner der drei Vorschläge der am Ende verwirklichte Entwurf sein. Vielmehr gestaltete
80 | Vgl. Diario de Barcelona, S. 1859f.
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sich die Errichtung des Parc de la Ciutadella ausgesprochen langwierig und kontrovers, bestimmt von einer fast sechzehnjährigen Auseinandersetzung zwischen den Interessen der Bauingenieure einerseits und der Architekten andererseits.81 Die Koordination der Angelegenheiten im Zusammenhang des Parc de la Ciutadella übernahm eine Kommission, die am 14. Dezember 1869, nur zwei Tage nach Veröffentlichung des Übergabedekrets, gebildet worden war. Einige Tage später erfolgte die feierliche Übergabe des Terrains an den Bürgermeister Soler i Matas, die als großes katalanisches Ereignis mit entsprechenden Würden und musikalischen Darbietungen inszeniert wurde.82 Die Befestigungsanlage der Zitadelle, mit Ausnahme der Kapelle, des Gouverneurspalastes und des Arsenals, wurde im Laufe des Jahres 1869 schließlich abgetragen. Ein Bebauungs- und Gestaltungsplan des zu nutzenden Geländes lag zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht vor. Vielmehr ließ der Vorsitzende der Kommission, Francesc de Paula Rius i Taulet, noch am 1. Mai 1870 verlautbaren, dass seiner Meinung nach in Spanien selbst keine ausreichend qualifizierten Spezialisten zu finden seien, um das ehrgeizige Parkprojekt zu realisieren. Daher schlug er vor, sich mit der Bitte um Unterstützung an Paris zu wenden.83 Die bereits in Madrid erkennbare Orientierung an Paris gilt auch für Barcelona und wird noch an anderer Stelle der Planungen und Arbeiten zum dortigen Park wieder auftreten. Erst nach langwierigen Diskussionen und Beratungen der Kommission – über deren Inhalt bedauerlicher Weise nur wenig bekannt ist – wurden am 7. März 1871 die Richtlinien für eine öffentliche, internationale Ausschreibung festgelegt, die neben den Zeitungen in Barcelona und Madrid auch in Paris, London, Berlin und Florenz veröffentlicht wurde. Der liberale Grundgedanke des Gesamtprojektes zum Parc de la Ciutadella findet sich in ihren Richtlinien wieder. Neben der Internationalität der Ausschreibung waren Beiträge aller Be81 | Für die Problematik im Zusammenhang der Realisierung vgl. Grau/
López: La gènesi del Parc, S. 1194ff., Adolfo Florensa Ferrer: »José Fontserè y el Parque de la Ciudadela«, in: Miscellània Fontserè, Barcelona 1961, S. 177. 82 | Vgl. Florensa Ferrer: José Fontserè y el Parque de la Ciudadela, S. 177. 83 | Vgl. Grau/López: La gènesi del Parc, S. 1187.
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rufsgruppen unabhängig vom Ausbildungsgrad der Bewerber zugelassen.84 Nach Ablauf der Frist lagen der Kommission gerade einmal drei Entwürfe vor. Das mag an der Ausschreibungsfrist von nur sechs Monaten und mehr noch an der Komplexität der Aufgabe gelegen haben. Denn die Planungen sollten nicht nur den Park, die umliegenden Straßen, Denkmäler und städtisches ›Mobiliar‹ berücksichtigen, sondern mussten mit Museumsgebäuden, Ausstellungsräumen und Treibhäusern ebenso Lösungen für öffentliche Gebäude bereithalten, die zuvor in Barcelona kaum existierten. Zwei weitere Projekte englischer Teilnehmer, die erst nach Ablauf der Frist in Barcelona eintrafen, wurden einige Zeit später dennoch in die Überlegungen mit einbezogen. Nach anfänglichen Problemen in der Entschlussfindung, erneuter kurzer Ausschreibung und dem bevorstehenden Misserfolg fiel am 19. März 1872 der Entschluss, den Beitrag mit dem Motto »Los jardines son a las ciudades lo que los pulmones al cuerpo humano« (»Parks sind für eine Stadt, was die Lunge für den Menschen ist«) auf den ersten Platz zu setzen. Erneut handelte es sich hierbei um einen Projektvorschlag von José Fontserè.85 Den zweiten Platz nahm der Entwurf des italienischen Architekten Carlo Macchiachini – auch als Macchini angegeben – ein. Jedoch zollten insbesondere die Planungen von Macchiachini den tatsächlichen Gegebenheiten in Barcelona zu wenig Respekt: Sie sahen keine Verbindung zwischen der bebauten Fläche und dem Park vor und berücksichtigten ebenso wenig die infrastrukturellen Voraussetzungen der katalanischen Metropole, waren demnach nicht auf das Gelände übertragbar.86 Auf den Tag genau einen Monat nach Prämierung der Entwürfe beschloss die Stadtverwaltung den Baubeginn und ernannte José Fontserè zum Direktor der Arbeiten. Wie Dokumente belegen, spazierten 84 | Ein vollständiger Abdruck der Richtlinien findet sich in: Barcelona
Atracción 277, 1934, S. 211. 85 | José Fontserè i Mestre: Proyecto de un parque y jardines en los terre-
nos de la ex-Ciudadela de Barcelona, Barcelona 1872. 86 | Zu den Planungen von Carlo Macchiachini vgl. Arranz/Grau/López:
El Parc de la Ciutadella, S. 46-49; ein Abdruck des Begleittextes findet sich bei Grau/López: La gènesi del Parc de la Ciutadella, S. 1200f.
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Abbildung 3: Plan des Parque de la Ciutadella nach José Fontseré
Quelle: Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciutadella, S. 50.
die Bewohner schon zwei Jahre später über das Gelände. Wie sich im Diario de Barcelona aus dieser Zeit nachlesen lässt, hatte das Areal jedoch noch einen unfertigen Charakter, sodass von angrenzenden Wiesen Ochsen auf den Bauplatz gelangen und dort Spaziergänger erschrecken konnten.87 Ein weiteres Jahr später eröffnete auf dem Gelände der erste Kiosk, an dem Müßiggänger den so genannten »néctar español« kaufen konnten, bei dem es sich um eine Art Sodawasser gehandelt zu haben scheint.88 Im Ganzen gesehen schritten die Arbeiten aber nur schleppend voran und wurden immer wieder durch 87 | Zit. nach: Florensa Ferrer: José Fontserè y el Parque de la Ciudadela,
S. 179. 88 | Vgl. ebd., S. 180.
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Auseinandersetzungen der beiden Interessengruppen der Architekten und der Bauingenieure gestört. Ebenso führten finanzielle Probleme zu Verzögerungen und scharfer Kritik an den Planungen Fontserès.89 Ging denn der Entwurf so sehr an der Interessenlage in der Stadt vorbei? Auffällig ist, dass die Planungen von 1872 weder die national katalanischen noch die liberalen Aspekte früherer Jahre aufgriffen, ansonsten aber die inhaltlichen Schwerpunkte der vorausgegangenen Entwürfe erhielten. Dennoch ist eindeutig zu erkennen, dass Fontserè in seinem prämierten Entwurf nicht bloß alles wiederholt hatte, sondern durchaus neue Gedanken vorbrachte. So bemühte er sich intensiver darum, das Parkgelände besser in das neue Stadtgebiet der Eixample einzubinden. Das sollte etwa durch Fortführung des heutigen Paseo de San Juan, einer der Hauptachsen der Stadterweiterung, im Parkgelände geleistet werden. Park und Stadt würden so miteinander verschränkt. Waren die ursprünglichen Überlegungen von den politisch-liberalen Grundsätzen der Septemberrevolution dominiert, rückten 1872 die Aspekte der Hygiene und des generell positiven Einflusses eines Parks auf Geist und Körper der Bevölkerung und das Stadtbild in den Mittelpunkt des Interesses. Nach den Vorstellungen Fontserès bot der Park eine Chance, Defizite auszugleichen und das nationale sowie internationale Renommee Barcelonas zu verbessern.90 Gleichzeitig unterstrich Fontserè die Tatsache, dass Barcelona ohne Gärten und Parks noch immer seinen Einwohnern keine Möglichkeit böte, im Sommer an schattigen Orten oder im Winter vor den kalten Winden geschützt spazieren zu gehen, die frische Natur und ihre wohltuende Wirkung zu genießen. Aufgrund dieser zahlreichen Aspekte sei der Park von außergewöhnlichem Wert für Barcelona, das diesen Ort für die arbeitende Bevölkerung so dringend benötige. Auch er orientierte sich an europäischen Vorbildern und betonte ausdrücklich den exemplarischen Wert von Pariser Parkanlagen wie den Bois de Bologne und den Bois de Vincennes. Vergleichbare Anlagen seien für Barcelona mehr als wünschenswert.91 89 | Vgl. Comisión Ciudadena: Exposición Universal de Barcelona, S. 258. 90 | Vgl. Fontserè: Proyecto de un Parque, S. 3. 91 | Vgl. ebd., S. 4.
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Sowohl Fontserè als auch sein italienischer Kollege Macchiachini berücksichtigten in der Parkgestaltung die beiden prinzipiell konträren Stile des romantisch englischen sowie des klassisch französischen Gartens. Grundsätzlich sah Fontserè die Gefahr, dass der Grad ausgesprochen schmal sei, an dem ein lächerlicher und ärmlicher Charakter der Natur in künstlich angelegten Geländen erreicht werde. Aufgrund des begrenzten Raumes sah er eine durchgehende Gestaltung des Parc de la Ciutadella nach dem Vorbild eines englischen Gartens als unmöglich an.92 Stattdessen sollte die geometrisch gleichmäßige Anordnung des französischen Vorbildes vor allem der Gestaltung der bebauten Abschnitte dienen, für die mit den Straßen und Gebäuden der Stadt verbundenen Passagen sowie für die Parkwege, die sozialen Aktivitäten vorbehalten waren. Wie in den Barockgärten sollten auch im Parque de la Ciutadella die Sträucher geschnitten und in exakte Formen gebracht werden. Hingegen wählte Fontserè die scheinbar natürliche Spontaneität der englischen Vorbilder für die Gestaltung der Wäldchen im Park, die in seinen abgelegeneren Teilen Abgeschiedenheit bieten und das natürliche Wachstum der Natur wiedergeben sollten.93 Neben den natürlichen, regenerierenden Werten eines Parkgeländes verstand Fontserè den Park als Chance, der Wissenschaft und Industrie mit Gebäuden und Ausstellungen zu dienen, beide in der Bevölkerung weiter zu etablieren. Entsprechend entwarf er eine Reihe von Gebäuden. Sein bedeutendstes Projekt dürfte der bis ins Detail geplante Palacio de la Industria y de las Bellas Artes gewesen sein. Für das sehr detailliert entworfene Bauwerk sah er den zentralen Standpunkt auf dem bebauten Gelände im Park vor, die weiteren Elemente im Park orientierten sich an ihm. Dass die räumlich dominierende Stellung des Palacio de la Industria y de las Bellas Artes ebenso der inhaltlichen Relevanz entsprach, spiegelt sich deutlich in den berechneten Kosten der einzelnen Gebäude: Für den Bau der botanischen Schule, das Gewächshaus und die Vaqueria Suiza veranschlagte man jeweils weniger als 50.000 Peseten. Das Marktgebäude des Stadtvier92 | Vgl. ebd., S. 4f. 93 | Vgl. Comisión Ciudadena: Exposición Universal de Barcelona, S.
253ff.
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tels Borne, der Mercado del Borne, wurde dagegen mit 300.000 Peseten berechnet, während das Ausstellungsgebäude des Palacio mit 1.062.551 Peseten kalkuliert wurde. Da Fontserès Plan in diesem Punkt den Interessen der lokalen wirtschaftlichen Körperschaften entsprach, konnte er auf autonome, nicht städtische Finanzquellen zurückgreifen.94 Die Arbeiten am und um den Park schritten langsamer voran, als von der Verwaltung und der Bevölkerung erhofft. Aber dennoch wurden immer wieder einzelne Projekte realisiert, andere reformiert, wiederum andere neu konzipiert. So wurden beispielsweise am 20. Dezember 1874 der See im Park eingeweiht, die Arbeiten zur Kaskade, schließlich die wohl größte architektonische Attraktion des Parks, am 4. Februar 1875 aufgenommen und 1881 abgeschlossen, am 10. November 1883 mit dem »Umbracle« (Sonnendach) ein weiteres Projekt Fontserès begonnen und zwischen 1883 und 1887 das von Josep Amargó entworfene Gewächshaus errichtet.95 Waren das geeignete Mittel, um das zuvor formulierte Ziel zu erreichen, den Parc de la Ciutadella zum dauerhaften Symbol der liberalen Revolution und des katalanischen Nationalismus in der Stadt zu verwandeln? Sollten sich diese dezidiert politischen Gedanken zunächst nicht niederschlagen, so schienen sie einige Jahre später doch wieder auf, obschon in etwas anderer Form als ursprünglich angedacht: Den Statuen von Märtyrern der Unabhängigkeit wurden solche von katalanischen Persönlichkeiten zur Seite gestellt. Seinen deutlichsten Ausdruck fand der katalanische Nationalismus allerdings erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, als das katalanische Parlament seinen Sitz in dem Gebäude des einstigen Arsenals auf dem Parkgelände nahm. An dem Ort, der über Jahrhunderte die verhasste Zentralmacht Madrid symbolisiert hatte, erfolgte nach den Worten des 94 | Vgl. ebd., S. 256. 95 | Zu den einzelnen Bauschritten vgl. Grau/López: La gènesi del Parc,
S. 1194-1199; eine einführende Beschreibung des Parks, seiner Gartenstruktur und einzelner Gebäude bieten der reich bebilderte Band Albert Marjanedas: El Parc de la Ciutadella, Barcelona 1991, sowie Ana Maria Adroer Tassis u.a.: Jardines de Barcelona, Sabadell 1997, S. 90-132, und Miquel Vidal Pla: Jardins de Barcelona, Barcelona 2003, S. 21-32.
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Politikers Francesc Macià in der Eröffnungssitzung des Parlaments am 6. Dezember 1932 die »Wiedergeburt des unsterblichen Geistes der katalanischen Nation«.96 Insgesamt blieb der regionale bzw. nationale und frühe museale Charakter des Parks noch lange erhalten, selbst wenn im Laufe der Jahre viele der ursprünglich für den Parc de la Ciutadella vorgesehenen Museen in neue Gebäude in der Stadt zogen. Die historische Bedeutung verdankt der Park hauptsächlich einer großen Anzahl von Denkmälern und Statuen, die Margarita Tintó dazu veranlassten, wie Consuelo Durán über den Retiro-Park vom »Open Air Museum« zu sprechen.97 Gerade in diesem Zusammenhang tritt einmal mehr der katalanische Nationalismus sowie der starke Lokalpatriotismus in Barcelona hervor: Schon im Mai 1887 wurde die Reiterstatue des General Prim i Prats eingeweiht, die dem großen Katalanen und »edlen Spender« gedachte. Es folgte ein Denkmal für Bonaventura Carles Aribau, der 1833 mit der Veröffentlichung seiner »Ode an das Vaterland«, d.h. das katalanische, die Renaixença eingeleitet hatte. Wenige Jahre später entstand 1907 die Büste für Manuel Milá i Fontanals. Der katalanische Wissenschaftler war Initiator zur Wiederbelebung der so genannten Jocs Florals, der als »Blumenspiele« bekannt gewordenen mittelalterlichen Dichter-Wettbewerbe. Im Palacio de la Industria y de las Bellas Artes auf dem Gelände des Parc de la Ciutadella abgehalten, stellten sie eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Wiederaufwertung des Katalanischen als Literatursprache dar. Weitere zwei Jahre später errichtete man im Gedenken an den Philologen Mariano Aguiló, dem Direktor der Provinzial-Bibliothek und Verfasser zahlreicher Studien der katalanischen Sprache, ein weiteres Denkmal. Mit der Statue für den offiziellen Stadtchronisten Victor Balaguer zeigte sich einmal mehr, wie stark die Erinnerungskultur der Stadt vom Lokalpatriotismus geprägt war und ist. Eine tiefgreifende Veränderung im Parc de la Ciutadella setzte mit den Überlegungen zur Realisierung einer Weltausstellung in Barcelo96 | Die Worte Maciàs zitieren Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciuta-
della, S. 11. 97 | Margarita Tintó: »Los jardines del Parque de la Ciudadela: Museo al
aire libre«, in: Parques y Jardines 6, 1972, S. 26-29.
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na ein, die der aus Galicien stammende Industrielle Serrano de Casanova aufwarf. Besaßen nationale und internationale Ausstellungen schon für Madrid und seine Entwicklung eine herausragende Bedeutung, gilt dies umso mehr für die katalanische Metropole und ihren Parc de la Ciutadella. Die Weltausstellung wurde nicht nur als Möglichkeit verstanden, sich international hervorzuheben, sondern ebenso national als Erfolg in der Konkurrenz mit Madrid.98 Antoni Jutglar dagegen bezeichnete damals die Überlegungen als »obra megalómana«, als größenwahnsinniges Vorhaben, das seiner Meinung nach nur das eine Ziel verfolge, die katalanische Bevölkerung die Folgen der wirtschaftlichen Rezession vergessen zu lassen.99 Obwohl das Unternehmen zunächst keine Fortschritte machte, richtete sich 1885 der Bürgermeister Coll i Pujol an José Fontserè und beauftragte ihn mit einer Studie, ob das bis dato ungenutzte Parkgelände gemeinsam mit den östlich und nördlich gelegenen Gebieten eventuell genutzt werden könnte, um einer Weltausstellung einen würdigen Rahmen zu geben. Ein Jahr später sprach sich Fontserè gegen die Durchführung der Weltausstellung im Park aus, beide seien miteinander unvereinbar. Da dennoch der Entschluss fiel, das Parkgelände als Austragungsort zu nehmen, wurde Fontserè durch Rovira i Trias als Leiter der Bauarbeiten ersetzt. Die noch immer nicht abgeschlossenen Arbeiten am Park traten zunächst in den Hintergrund, die Arbeiten zur Weltausstellung hingegen ins Zentrum des Interesses.100 Eine genauere Betrachtung der ursprünglichen Vorschläge von Serrano de Casanova zeigt eine klare Differenz zwischen seinen verbal geäußerten Vorstellungen und den tatsächlichen Projekten.101 Als Folge der nur sehr schleppend voranschreitenden Arbeiten intervenierte am 5. April 1887 die Stadtverwaltung in die Vorbereitungen der 98 | Zu den Anfängen vgl.: Josep Maria Garrut: L’Exposició Universal de
Barcelona de 1888, Barcelona 1976, S. 13-17. 99 | Antoni Jutglar, zit. nach: Emili Hernández-Cros/Xavier Pouplana: »La
Ciudadela«, in: Cuadernos de Arquitectura y Urbanismo 86, (November/Dezember) 1971, S. 27. 100 | Vgl. Grau/López: La gènesi del Parc de la Ciutadella, S. 1198. 101 | Zu den Planungen von Serrano de Casanova und den Arbeiten von
Elies Rogent vgl. Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciutadella, S. 61f.
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Weltausstellung und traf mehrere Entscheidungen, die das Vorhaben reorganisieren sollten. Der Termin zur Eröffnung der Weltausstellung wurde vom September 1887 auf den April 1888 verlegt, die Verantwortung für die Planung und Durchführung der Arbeiten mit sofortiger Wirkung Elies Rogent übertragen. Diese personelle Veränderung sollte sich als gute Entscheidung erweisen, legte doch Rogent nicht nur kurze Zeit später die endgültigen Pläne zur Weltausstellung vor. Vielmehr trieb er die Arbeiten so voran, dass die feierliche Eröffnung der Weltausstellung durch die königliche Regentin María Cristina tatsächlich am 8. April 1888 erfolgen konnte. Zu den ersten Maßnahmen von Elies Rogent gehörte, dass die ursprünglichen Vorstellungen von Serrano de Casanova, die Gebäude nach Plänen ausländischer Architekten und mit importiertem Material zu realisieren, fallen gelassen wurden. Stattdessen wurden alle Bauten von lokalen Architekten entworfen und mit regional produziertem Material errichtet. Bis in die kleinste Baueinheit der Weltausstellung hinein fanden die national-katalanischen Ambitionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihren Niederschlag. Für das Parkgelände selbst bedeuteten die forcierten Arbeiten zunächst die Wiederherstellung einiger Elemente, die zuvor durch Projekte von Serrano zerstört worden waren. Fontserès Bedenken, die Weltausstellung könnte das Parkgelände verunstalten, waren also nicht völlig unbegründet. Ein Beispiel hierfür bietet das erst 1886 fertiggestellte Umbracle. Ebenso erfolgte die endgültige Fertigstellung weiterer Projekte, die schon Fontserè geplant hatte. Bekanntestes Beispiel ist die von Fontserè mit Unterstützung von Antoni Gaudí errichtete Kaskade. Hinzu kam die generelle Verbesserung von städtischen Leistungen wie der Straßenbeleuchtung, der Wasserversorgung und der Gärtnerei. Gleichzeitig weitete sich mit Elies Rogent das Gelände der Weltausstellung auf das gesamte Gebiet des Parc de la Ciutadella aus und umfasste schließlich mit 450.000 Quadratmetern ein mehr als doppelt so großes Terrain wie noch in den Planungen von Serrano de Casanova vorgesehen. Die Palette an Möglichkeiten, die sich durch den Park boten, kann nicht weiter überraschen, denn Elies Rogent war schon früher in das Vorhaben involviert gewesen.102 Ebenso wurde die 102 | Vgl. ebd., S. 71.
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Idee der stärkeren Einbindung des Parks in die Stadt durch Rius i Taulet und Elies Rogent verstärkt wieder aufgegriffen. Rogent nahm sogar das ideologische Programm in seine Überlegungen auf, wie es speziell Miquel Garriga i Roca 1868 formuliert hatte. Allerdings lag im Zusammenhang mit der Weltausstellung der Schwerpunkt weniger auf den Idealen des Liberalismus als auf den Werten des katalanischen Nationalismus. So schrieb Elies Rogent, dass Barcelona auf den Ruinen der Zitadelle, die Philipp V. hatte errichten lassen, »um uns zu dominieren«,103 ein Monument errichten müsse, das ein mutiges Zeichen seiner Kultur und des Fortschritts sei. Für Barcelona bedeutete die Weltausstellung einen Wandel hin zur modernen Stadt, die sowohl dem Park als auch der Stadt einen dauerhaften Dienst erwies: Bei einer Beteiligung aus 19 Ländern, von über 12.000 Ausstellern und insgesamt 2.240.000 Besuchern brachte sie tatsächlich, dem Anspruch des Veranstaltungstyps entsprechend, die Welt an einem Ort, in diesem Fall in Barcelona, zusammen und trug so zur internationalen Anerkennung der Stadt bei. Während einige Projekte der Weltausstellung unmittelbar nach Beendigung der Veranstaltung wieder abgerissen, einige ursprüngliche Parkplanungen wieder aufgegriffen wurden, blieben doch zwei Ausstellungsbauten dauerhaft bestehen: der von Josep Vilaseca i Casanova entworfene Triumphbogen aus Ziegelsteinen, der als Zugang zum Ausstellungsgebäude diente, und das heute als Zoologisches Museum genutzte Restaurant, das Lluís Domènech i Montaner, einer der bedeutendsten katalanischen Architekten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, erbaut hatte. Der kastellartige Bau mit seinem Zinnenkranz ist ein charakteristisches Beispiel für die Mittelalterverehrung der katalanischen Renaixença. Trotz der Rückkehr Rogents zu einigen Ideen der ursprünglichen Parkentwürfe ging die Weltausstellung doch nicht spurlos am Park vorbei. Generell führte die Verwirklichung der Weltausstellung im Parc de la Ciutadella zu einer Denaturalisation. Denn statt der früheren Ausrichtung auf die gesundheitsfördernde Rolle stand nun der Aspekt der Bildung, Wissenschaft und Industrie im Mittelpunkt. So erfuhr die Bewegung der angewandten Kunst in Spanien wie die 103 | Elies Rogent, zit. nach: ebd.
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anderer Länder durch ähnliche Veranstaltungen wie der Weltausstellung eine Stärkung, die sich im Bau eines Kunstmuseums und zusätzlicher Ausstellungsräume niederschlug. Sie sollten der weiteren Verbreitung innovativen industriellen Designs dienen. Außerdem wurde die Forderung nach einem archäologischen Museum laut und der Anspruch vertreten, mit der Einrichtung eines botanischen Gartens und einer Zoologischen Sammlung ließen sich der Bevölkerung wissenschaftliche Erklärungen der Natur bieten. Auch hierin reihte sich Spanien in eine allgemeine Tendenz in den Industrieländern ein, nach der sich die bürgerliche Kultur und das Bemühen um eine Popularisierung von Naturwissenschaft und Technik immer enger verschränkten. Ebenso rückte die schon genannte politische Relevanz des Parkgeländes, die insbesondere mit den Gebäuden der Plaza de Arms verbunden war, in den Mittelpunkt des Interesses. Die Arbeiten am Park sowie Bau und Erhalt der kulturellen Einrichtungen hatten das Budget der Stadt extrem belastet. Die Zahl der geplanten Initiativen musste verringert werden, was allerdings für viele das Ende bedeutete. Bereits 1895 war der Misserfolg nicht mehr abzustreiten. Nur die Initiativen für angewandte Kunst konnten noch einigermaßen unbeeinträchtigt verwirklicht werden: ein Museum für Reproduktionen im Industriepalast und ein weiteres für die Schönen Künste. Dagegen waren bis 1900 weder das geplante Pantheon, das illustren Katalanen gewidmet werden sollte, noch ein königlicher Palast entstanden. Auch die gewünschte Bibliothek für Arbeiten katalanischer Autoren im Palau de Ciencias, das neue Museum für Naturwissenschaften und der Botanische Garten blieben Gedankenspiele. Tatsächlich wurde aus dem naturwissenschaftlichen Programm nur der Zoo realisiert, der mit dem Erwerb der Sammlung von Lluís Martí i Codolar 1892 seinen Anfang nahm.104 Trotz seines unfertigen Zustands und der Spuren des Verfalls, die die verwirklichten Bauten bereits zeigten, genoss der Park zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Bevölkerung eine große Popularität. Hierzu trugen gewiss einige populäre Attraktionen bei, die noch die Welt104 | Vgl. Marjanedas: El Parc de la Ciutadella, S. 28f.; Hernández-Cros/
Pouplana: La Ciudadela, S. 29f.; Arranz/Grau/López: El Parc de la Ciutadella, S. 106f.
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ausstellung von 1888 in den Park gebracht hatte. Großes Interesse weckte zum Beispiel die Achterbahn, eine technische Neuheit und ein Fahrvergnügen der ungewöhnlichen Art. Doch spätestens um 1900 erkannten die Stadtväter, dass der Park für die schnell wachsende Stadt weder qualitativ noch quantitativ ausreichte. Sie suchten nach neuen Lösungen. Eine davon war die Bildung eines grünen Gürtels um die Stadt, die der Architekt Léon Jaussely 1905 in seinen Entwürfen erstmals erwähnte. Der Parc de la Ciutadella verlor dadurch und durch das Aufkommen von Überlegungen an Bedeutung, die die Verbindung zwischen Natur und sportlicher Betätigung betonten. So besaß er bald nur noch einen höchstens zweitrangigen Wert, und die Verantwortlichen verloren jedes Interesse an den bis dahin nicht realisierten Vorhaben. So beschränkten sie die Arbeiten auf den Erhalt des Geländes und den Abbau veralteter Einrichtungen. Heute ist der Park so etwas wie die Lunge der engen Altstadt geworden und bietet eine »große grüne Oase mit schattigen Bäumen, kühlen Teichen und verschlungenen Wegen, Labsal an heißen Sommertagen und Fluchtpunkt aus den Schluchten der Stadt«.105 Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schien es, als ob der Park doch noch einmal aus dem Dornröschenschlaf gerissen werden sollte. Bei den Überlegungen für eine erneute Weltausstellung in Barcelona – anfänglich für 1914 geplant, dann erst 1929 durchgeführt – geriet er wieder ins Blickfeld. Für die Weltausstellung sollte das Gelände gründlich umgestaltet und modernisiert werden, denn nur so hätte eine zweite Exposición Universal in Barcelona einen ansprechenden Austragungsort gehabt. Doch die Gelegenheit zur Modernisierung des Geländes blieb ungenutzt. Statt dessen wurde entschieden, die Weltausstellung an einer anderen Stelle in der Stadt, auf dem Gelände des Montjuic auszurichten. Daraufhin wurde der Hügel des Montjuic von Grund auf verändert und in ein großangelegtes Erholungsgebiet mit betont repräsentativem Charakter umgewandelt. Montjuic wie Ciutadella waren lange Zeit Zeichen der kastilischen Unterdrückung gewesen. Die Stadtoberen setzten damit auch die zweite Weltausstellung in Barcelona im Sinne des katalanischen Nationalismus und der historischen und kulturellen Bedeutung der Region ein. Allerdings verzichte105 | Thomas Schröder: Katalonien, 3. Aufl., Ulm 2000, S. 344.
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ten sie dabei wiederum nicht darauf, an Vorbilder anderer europäischer Städte, also anderer Nationen – und früherer Weltausstellungen – anzuknüpfen.106
3.3 Parc Güell: »Synthese aus Natur und organischer Architektur« 107 Die nahezu hektische Bautätigkeit im und um den Parc de la Ciutadella im Vorfeld der Weltausstellung von 1888 griff weit über die Grenzen des Parkgeländes hinaus und führte zu einer allgemeinen architektonischen Erneuerung der Stadt. Als Ausdruck des neuerwachten katalanischen Nationalgefühls entstand Anfang des 20. Jahrhunderts eine umfassende künstlerische Bewegung, die man als »Modernismo« bezeichnet. Mit mehr als der Hälfte der 2.000 klassifizierten Gebäude bildet Barcelona das Zentrum der modernistischen Architektur.108 Brillanz und Prestige der Bewegung nahmen hier mit Apartmenthäusern, Wohnblocks und aufwändig dekorierten Geschäften ihren Ausgangspunkt und dehnten sich in den weiteren Jahren auf die Küste und die angrenzenden Regionen aus. Herausragende Vertreter des Modernismo unter den Architekten waren Domenech i Montaner, Puig i Cadalfach und vor allem Antoni Gaudí. Ein besonderes Beispiel für Gaudís Erfindungsreichtum bietet der Parc Güell im Nordosten 106 | So oblag die gärtnerische Umgestaltung der Hänge des Montjuic so-
gar allein dem französischen Gartenarchitekten Jean Forestier. Zu seinen Arbeiten in Spanien vgl. Cristina Dominguez Pelaes: »Los Jardines de España«, in: Bénédicte Leclerc (Hg.): Jean-Claude Nicolas Forestier 1861-1930, Paris 1994, S. 83-97; Forestier wurde im April 1911 ebenso mit der Gestaltung des Parks María Luisa für die Exposición Iberoamericana (1929) in Sevilla beauftragt. Vgl. Sylvie Assassin: »L’Exposition Ibéro-Américaine de Seville«, in: Nicolas Forestier 1861-1930, S. 111-119. Nach dem Muster der Weltausstellungen etwa in Paris, Wien und Antwerpen entstand zudem auf der Ausstellung 1929 ein so genanntes »spanisches Dorf« mit Repliken als typisch erachteter Bauten, Straßenzüge und Plätze aus verschiedenen Teilen des Landes. 107 | Ingrid Fiedler: Eine Synthese aus Natur und organischer Architektur:
Antoni Gaudís Park Güell in Barcelona, Frankfurt am Main 2000. 108 | Vgl. Susanne Kunz: Katalonien, München 1992.
Internationale Bedeutung: Parkanlagen in Spanien | 211
der Stadt, in dem der Architekt seine Phantasie und Kreativität voll auslebte.109 Die Idee zum zweitgrößten Park der Stadt ersann um 1900 der Bankier und Industrielle Eusebio Güell. Güell plante keineswegs einen Privatpark, obwohl vom ersten Moment an eine Parkmauer zur Abgrenzung vorgesehen war. Diese sollte allerdings ein Gefühl der Sicherheit bieten auf einem Gelände, das zur Zeit seiner Entstehung noch weit außerhalb der Stadt lag. Güell dachte aber nicht an ein Erholungsparadies oder Ausflugsziel für die Stadtbevölkerung, sondern an eine Mustersiedlung, eine Gartenstadt für gehobene Ansprüche. Schon zu einem früheren Zeitpunkt hatte Güell soziales Engagement gezeigt, das auf seine generelle Beschäftigung mit sozialreformerischen Ideen hinweist. Vermutlich kam er auf seinen zahlreichen Geschäftsreisen nach England mit solchen Ideen in Kontakt.110 1898 ließ der Unternehmer in unmittelbarer Nähe einer von ihm gegründeten Stofffabrik in Santa Coloma de Cervelló eine Arbeitersiedlung errichten, die heute insbesondere aufgrund ihres architektonischen Wertes hohes Ansehen genießt. Das am meisten kommentierte Bauwerk der Siedlung dürfte der Beitrag von Antoni Gaudí sein: die Kirche für die Arbeitersiedlung bzw. deren Krypta, die allein vom Entwurf den Weg in die materielle Wirklichkeit fand. Die Krypta wie der Kirchenentwurf insgesamt wecken mit ihrer stilistischen Vorwegnahme der Sagrada Familia das Interesse von Kritikern und Bewunderern. So mancher sieht darin gar das Meisterstück des Architekten.111 Anregungen zur geplanten Gartenstadt im Nordosten Barcelonas scheint Eusebio Güell ebenfalls auf seinen Auslandsreisen gewonnen zu haben. So werden als Quellen der Inspiration auf der einen Seite die realen Vorbilder englischer Landschaftsgärten genannt, die in den 109 | Vgl. einführend Patricia Gabancho: El Parque Güell, Barcelona 1998;
Miquel Vidal Pla: Jardins de Barcelona, Barcelona 2003, S. 59-69, sowie Albert Marjanedas: El Parc Güell, Barcelona 1990. 110 | Vgl. zu den Vorstellungen über Mustersiedlungen bei den Philan-
thropen im viktorianischen England den Abschnitt über London S. 90f. 111 | Vgl. Rainer Zerbst: Antoni Gaudí, 1852-1926. Antoni Gaudí i Cornet
– ein Leben in der Architektur, Köln 1985, S. 108-125, und César Martinell: Gaudí. His Life, His Theories, His Work, Barcelona 1975, S. 80 und S. 334-340.
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städtischen Parks oft als Gegengewicht zur Industrialisierung kopiert wurden. Wahrscheinlich hat sich Eusebio Güell überdies von der Lektüre des Buches »Tomorrow, a peaceful Path to Real Reform« von Ebenezer Howard inspirieren lassen. Howard gilt als Begründer der Gartenstadtidee, die auf eine etwas andere Art die Grundidee des (inner-)städtischen Parks, der Vereinigung von Stadt und Land, verwirklichen wollte.112 Mit der Planung einer solchen Gartenstadt in Barcelona beauftragte Eusebio Güell den Architekten Antoni Gaudí, dessen größter Bewunderer und Förderer er war. Den englischen Vorbildern entsprechend, sollte die Mustersiedlung am Rande der Metropole die unliebsamen Folgen der Industrialisierung ausgleichen. In dem neuartigen Wohnprojekt wollten Güell und Gaudí wie Howard Stadt und Land harmonisch verbinden. Ihre Schöpfung einer ›natürlichen Stadt‹ sollte der von ihnen als profan und spekulativ eingestuften Stadtplanung Cerdàs gegenübergestellt werden. Im Gegensatz zu dessen Rasterplan erdachten die beiden den Park bzw. die geplante Gartenstadt als »the architecture of a paradise […] of Christian workers and paternalist entrepreneurs«.113 Als Bauplatz wählte Gaudí ein Terrain nördlich der Altstadt in 150 Meter Höhe auf dem Carmelo-Hügel. Das stark abschüssige, gut 20 Hektar große Gebiet war für die vorgesehene Besiedlung denkbar ungeeignet. Es fehlten Wasserquellen, der Boden war steinig. Dennoch bestand die Grundidee, eine Gartenstadt nach englischem Muster zu schaffen, die sechzig Einfamilienhäuser und ebenso viele dreieckige Parzellen umfassen sollte. Hier sollten Wohnen und Natur gleichberechtigt nebeneinander stehen. Doch der Plan scheiterte: nur zwei Parzellen wurden verkauft und auch die Stadt zeigte keinerlei Interesse an dem Unternehmen. Gründe für das Desinteresse dürften vor allem die sehr schlechte Verkehrsanbindung und die strengen Aufla112 | Vgl. Juan Bassegoda Nonell: »Das ›Labyrinth‹ und der ›Park Güell‹,
historische Gärten in Barcelona«, in: Gartenkunst und Denkmalpflege, Mainz 1988, S. 11; Zerbst: Antoni Gaudí, S. 140f. Zu Howard vgl. auch im Abschnitt über London, S. 91. 113 | Conrad Kent und Dennis Prindle, zit. nach: Remón: Nature and the
City, S. 205.
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gen beim Kauf eines Grundstücks auf dem Gelände gewesen sein. Womöglich war die Zielgruppe auch noch nicht in der Lage, die Vorzüge des innovativen Unternehmens zu erkennen.114 Allerdings scheiterte ›nur‹ das soziale Programm der Mustersiedlung, nicht aber der Park, für den Gaudí verantwortlich war. Blieb das ursprünglich als Wohngebiet geplante Gelände unbebaut, sieht man von den zwei entstandenen Häusern ab, ›baute‹ Gaudí das Erholungsareal dagegen in ein Kunstwerk um, in »eine Riesenskulptur, als hätte sich ein Bildhauer einen ganzen Berg als Rohmaterial für eine Plastik genommen. Und was für ein Bildhauer! Ein Mann mit untrüglichem Gespür für Form und Farbe, ein Bildhauer, der zugleich auch Maler war.«115 Martinell beschreibt den Park mit seiner großen Vielfalt als »one of his [Gaudí’s] most complete works […], a synthesis of architecture, sculpture, polychromy, nature, space, light which here come together in a single artistic vision«.116 Abgesehen von seiner Originalität und Schönheit nehme der Park Güell eine besondere Stellung in der Arbeit Gaudís ein, sei eine Art ›Showroom‹ seiner neuartigen Theorien und Kreativität. Der Park sei »aside from its tangible reality […] a promise of possibility, an extensive repertoire of ideas capable of giving life to vast monumental conceptions and even cities«.117 Der große Wurf Gaudís verbindet Kunst und Natur geschickt. Eine relativ hohe Mauer mit sieben Toren umgibt den Parc Güell. Den Haupteingang an der Carrer Olot flankieren zwei ovale Pavillons: links das Pförtnerhaus, rechts das Verwaltungsgebäude. Durch das schmiedeeiserne Haupttor, das mit dem für Gaudí typischen Palmblattmotiv verziert ist, führt der Weg zu einer zweiteiligen, geschwungenen Treppenanlage. Diese wird unterteilt von Pflanzenbecken und zwei Brunnen, aus denen einmal ein Schlangenkopf ragt, aus dem anderen reckt sich eine riesige gesprenkelt Echse. Folgt man der Treppe, gelangt man in eine weite Säulenhalle, die Gaudí als Markthalle für die 114 | Vgl. Zerbst: Antoni Gaudí, S. 151. 115 | Ebd., S. 143. Die architektonische Bedeutung des Parks betont ebenso
Ignacio Patricia Ansutegui: »El Parc Güell de Barcelona: una lección de construcción«, in: Construcción, Arquitectura, Urbanismo 70, 1981, S. 46-62. 116 | Martinell: Gaudí, S. 341. 117 | Ebd., S. 371.
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Abbildung 4: Lageplan der gesamten Parkanlage unter Berücksichtigung der vorgesehenen Wohnparzellen
Quelle: Zerbst: Antoni Gaudí, S. 141.
Bewohner der Siedlung geplant hatte. Das Dach der Markthalle ist gleichzeitig eine große Terrasse, an deren Rand sich die berühmte gewundene Bank entlang schlängelt. Jenseits dieses Platzes erstreckt sich der eigentliche Park, ein »behutsam und originell in die Landschaft gefügtes Gewirr von Wegen, Laubgängen, Mauern und Brücken«.118 Oberstes Gebot der Arbeiten scheint für Gaudí eine organische Bauweise gewesen zu sein, in der die Harmonie von Natur und Mensch sowie von Natur und Architektur im Zentrum der Bemühungen stand. In Übereinstimmung mit diesem Ziel erhielt Gaudí die gegebenen Voraussetzungen und ließ das natürliche Gleichgewicht unangetastet. So sollten trotz der Abschüssigkeit des Terrains keine Erdmassen bewegt werden. Er löste die Problematik stattdessen durch gewundene Wege. Der Architekt unterwarf sich demnach der Natur und zwang nicht die Natur, sich dem Architekten zu unterwerfen.
118 | Schröder: Katalonien, S. 355.
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Schließlich war es nach der Überzeugung Gaudís nicht die Aufgabe eines Architekten, große Projekte zu erfinden, sondern diese möglich zu machen. Überdies erbaute Gaudí den Park nahezu vollständig aus dem Material, das sich auf dem Gelände fand. Trotz der verhältnismäßig schlechten Qualität dieses Materials überrascht die erstaunliche Haltbarkeit der Bauten, die lange Zeit keine Renovierung benötigten. Teilweise erklärt sich das durch die Keramikhaut, mit der Gaudí die Häuser, die Mauer sowie die Endlosbank überziehen ließ. Dann verband er dekorative Elemente mit dem Ziel, dem minderwertigen Material einen wasserabweisenden Schutz gegen die zersetzende Wirkung des Regens zu bieten. Künstlerisch wird in der Keramikhaut die Vorwegnahme der Collagetechnik der Dadaisten gesehen. Rainer Zerbst versteht sie als »Synthese aus praktischem Nutzen und ästhetischer Wirkung«.119 Auch an anderer, mit dem bloßen Auge nicht sichtbarer Stelle verband Gaudí Schmuck und Nutzen. So dienen die achtundsechzig dorischen Sandsteinsäulen der Markthalle nicht nur als Träger für die Terrasse, sondern ebenso als Fallrohre für Regenwasser, das in eine Zisterne weitergeleitet wird. Diese hat ein Fassungsvermögen von 1.200 Litern und dient der Bewässerung des trockenen Areals. Insgesamt kann der Park in der Tradition des Pragmatismus verstanden werden, die die Trennung zwischen Kunst und Handwerk sowie Kunst und Leben aufzuheben bestrebt ist. An einigen Stellen des Parkgeländes hat auch Gaudí nicht auf Anlehnungen an die Vergangenheit verzichtet, die die katalanische Renaixença im 19. Jahrhundert so sehr geprägt hatten. Doch handelt es sich hierbei zumeist nicht um eine Orientierung am Mittelalter, sondern um Anleihen bei der Klassik, mit denen Gaudí den Vorlieben seines Finanziers entsprochen haben mag. Beispielsweise ist der Säulengang der Markthalle einem griechischen Tempel nachempfunden. Aber auch hier greift Gaudí nur einige Elemente auf, spitzt deren Prinzip in seiner Arbeit zu. So prägt er das Charakteristikum der nach unten hin breiter werdenden Säulen verstärkt aus. Eine weitere Anlehnung an die Klassik bieten der Treppenaufgang sowie die Terrasse, die Gaudí einem griechischen Theater nachempfand und als Ort der Begegnung und Platz für Volksfeste und Theateraufführungen plante. 119 | Zerbst: Antoni Gaudí, S. 144.
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Gab es also nichts, was einer Hommage an den zu der Zeit besonders starken katalanischen Nationalismus gleichkam und im Parc de la Ciutadella so ausgeprägt war? Sowohl der Architekt Antoni Gaudí als auch der Finanzier Eusebio Güell galten als glühende Patrioten. Selbst wenn man Eduardo Albarrán nicht in allen Punkten seiner weitgehenden Argumentation folgen mag, sind sicherlich einige Anspielungen auf katalanisch-nationalistische Anschauungen der Zeit zu finden.120 Erscheint eine Verbindung der beiden Pavillons im Eingang des Parks mit der Oper »Ton i Guida«, der katalanischen Version von Engelbert Humperdingks »Hänsel und Gretel«, weit hergeholt, lässt sich der Schlangenkopf am Treppenbrunnen sicherlich als eine Anspielung auf das katalanische Wappen verstehen. Alberrán geht noch einen Schritt weiter und erkennt in der Echse des oberen Brunnens eine Anspielung auf das alte calvinistische Wappen der französischen Stadt Nîmes, das ein Krokodil mit Palme zeigte. Zur Zeit der fränkischen Könige bildete Nîmes die Nordgrenze Altkataloniens und war zugleich Partnerstadt von Barcelona. Wird mitunter die Integration von Ansätzen des englischen Landschaftsgartens im Parc Güell betont, was den Vorstellungen des Auftraggebers entsprochen habe, treten jedoch ebenso grundlegende Unterschiede zum englischen Vorbild hervor. So handle es sich, wie Juan Bassegoda schreibt, zwar beim Park eindeutig um einen naturalistischen Garten, dieser sei jedoch nicht mit einem Park englischen Stils zu vergleichen. Werden in jenen flache Ebenen bevorzugt und dominiert eine untrügliche Kombination von Wäldchen, Seen und grünen Wiesen, habe Gaudí vielmehr mit Erhalt der topographischen Vorgaben und mit einer aus der Region stammenden Bepflanzung den mediterranen Charakter bewahrt. Nur schwer lässt sich die Schöpfung Gaudís einer Kategorie zuordnen. Er ist im Stil weder durchgängig englisch, französisch oder mediterran noch der Renaissance oder dem Barock allein zuzuordnen. Juan Bassegoda Nonell sieht dagegen eine Übereinstimmung mit arabischen Gärten, in denen ebenfalls eine Unregelmäßigkeit der Wege, Abwesenheit von
120 | Vgl. Eduardo Rojo Albarrán: El Park Güell: historia y simbología – El
Park Güell: history and symbolism, Sant Cugat del Vallés 1997.
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Monumentalismus sowie die intelligente Kombination von Wasser und Vegetation mit Gebäuden bestimmend sind.121 Heute ist das Gelände, das 1922 in den Besitz der Stadt überging und 1984 von der UNESCO in die Liste der Weltkulturerbe aufgenommen wurde, ein Park, in dem Touristen aber auch Einheimische spazieren gehen, die Aussicht über die Stadt genießen oder aber für eine Weile ihre Aufmerksamkeit einem der zahlreichen Straßenkünstler schenken.
4. Schlussbemerkungen Die Ausführungen haben gezeigt, dass Madrid und Barcelona durchaus Berücksichtigung verdienen, wenn es um städtische Parkschöpfungen im Zeichen beschleunigten urbanen Wachstums im 19. Jahrhundert geht. Die Entwicklung von je zwei Parkanlagen in beiden Städten spiegelt Parallelen – und Unterschiede – zwischen den spanischen Städten und den anderen Zentren wie London und New York wider. Der Madrider Parque del Retiro, der auf die Öffnung einer königlichen Anlage zurückgeht, erfüllte neben den gesundheits- und freizeitpolitischen Aufgaben hauptsächlich einen repräsentativen Zweck. Er sollte Madrid auf seinem Weg zu einer europäischen Metropole voranbringen. Entsprechend auffällig sind die Anlehnungen vor allem an Pariser Vorbilder. Ferner diente er der Stadt als Austragungsort für nationale und internationale Ausstellungen und erhöhte so für sich selbst und Madrid die internationale Reputation. Letztlich entstand mit einem breitgefächerten Freizeitangebot – Cafés, Restaurants, Bootsfahrt, Sport, zoologischer Garten, Ausstellungen usw. – ein wahres Zentrum des sozialen Lebens der Hauptstädter. Anders als in den Vorstellungen eines Frederick Law Olmsted in New York und anderen nordamerikanischen Städten schlossen sich für die Verantwortlichen in Madrid Erholung und Unterhaltungsbedürfnis der breiten Masse nicht aus. Mehr noch als der Parque del Retiro stand der Parque del Oeste 121 | Vgl. Juan Bassegoda Nonell: »Los Jardines de Gaudí«, in: Parques y
Jardines 12, 1974, S. 11.
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im Zusammenhang mit der zunehmenden Verstädterung Madrids sowie ihrer Erweiterung, als deren Teil er galt. Die Planungen zum Parque del Oeste bestimmten neben den gesundheitspolitischen Punkten weitere Aspekte, zu denen auch die Frage der europäischen Konkurrenzfähigkeit Madrids zählte. Gleichermaßen dominierten lokalpatriotische und ausdrücklich soziale Überlegungen die Argumentation. So sollte der Parque del Oeste hauptsächlich dem Ausgleich zwischen den sozialen Schichten dienen, die Arbeiterschaft in die Gesellschaft integrieren helfen. Wie in vielen anderen Einrichtungen der bürgerlichen Welt ging es hierbei jedoch weniger um eine tatsächliche Annäherung als vielmehr um eine Anpassung der Arbeiterklasse an die Vorstellungen des Bürgertums. Barcelonas Parc Güell hatte hingegen mit kommunalen Planungen nichts zu tun. Der Unternehmer Eusebio Güell und sein Architekt Antoni Gaudí wollten mit dem Park eine echte Alternative zu den städtischen Erweiterungsmaßnahmen im Stile Cerdàs errichten. Ursprünglich als Wohngebiet geplant, sollten Natur und Mensch sowie Natur und Architektur in vollständiger Harmonie stehen. Selbst der merklich reduzierte Entwurf, der verwirklicht wurde, vermochte die große Ambition, wenn auch in kleinerem Umfang als gedacht, zu verwirklichen. Ein Beispiel spanischer Parkentwicklung besonderer Art bietet der katalanische Parc de la Ciutadella. Auch seine Planungen waren von den verbreiteten gesundheitspolitischen und sozialen Argumenten sowie von der Bewegung des Liberalismus und der Volksbildung bestimmt. Ihren Niederschlag fanden sie vor allem in den theoretischen Planungen und im Bau von unterschiedlichen Museen, der Einrichtung eines Zoos sowie der Parkentwicklung an sich. Die treibende Kraft dahinter waren aber nicht Sozialpolitiker oder Landschaftsplaner, sondern die Exponenten des katalanischen Nationalismus. Es gelang nach dem Abriss der Zitadelle und somit der Zerstörung eines Symbols kastilischer Macht in Barcelona tatsächlich, das gleiche Gelände in ein Sinnbild der katalanischen Kultur und des Fortschritts der Region zu verwandeln. Die Ausrichtung der Weltausstellung von 1888 auf dem Parkgelände trug entscheidend dazu bei, Barcelona vor den Augen des übrigen Spaniens und der Welt als bedeutende Stadt – und vielleicht auch schon als Metropole – zu präsentieren.
Personenverzeichnis | 219
Personenverzeichnis
Abbott, Lyman 11 Ackroyd, Peter 19, 38, 104f. Adams, Henry 144 Aguilera y Velasco, Alberto 182, 183 Aguiló, Mariano 204 Alexandra, Königin 66 Alfons XII. 178 Alfons XIII. 176, 185 Alter, Peter 10, 15, 161 Amargó, Josep 203 Annan, Kofi 11, 13, 18 Anne, Königin 73 Asins, Bernardo 179 Balaguer, Victor 204 Barrie, James 75 Bellever, Ricardo 176 Benavente, Mariano 172 Bennett, Arnold 49 Bergue, Ernesto de 170 Bismarck, Otto von 61 Blomfield, Charles James 40 Blomfield, Reginald 86
Bonaparte, Napoleon 28, 35, 43, 53, 55 Boswell, James 73, 98 Boucicault, Nina 75 Brabazon, John Theodore Cuthbert Moore 87 Brace, Charles Loring 124, 129, 131 Bridgeman, Charles 73 Brontë, Charlotte 69 Brougham, Henry 32 Brown, Lancelot 44, 82, 137 Bryant, William Cullen 125, 129, 138 Bucher, Lothar 61f. Burton, Decimus 33, 37 Cabezas y Romeral, Mateo 171 Campe, Johann Heinrich 48 Carles Aribau, Bonaventura 204 Carnegie, Andrew 91 Castro, Carlos María de 164166, 182-184, 192
220 | Personenverzeichnis
Cavannas, Luis 177 Cerdà, Ildefons 191f., 194, 212, 218 Chambers, William 23 Chapí, Ruperto 187f. Chateaubriand, François René 65 Chaucer, Geoffrey 45 Cobbett, William 22 Cockerell, Charles Robert 34 Cole, Henry 57 Cole, Nathan 79, 82-85 Cole, Thomas 138 Coll i Pujol, Joan 205 Cooper, James Fenimore 129 Cromwell, Oliver 52, 93 Dickens, Charles 17, 38, 97, 121, 191 Disraeli, Benjamin 24 Domènech i Montaner, Lluis 207, 210 Doré, Gustave 38 Downing, Andrew Jackson 125f., 133f., 145, 184 Eduard VII. 46, 66, 75 Elisabeth I. 91 Elliott, Brent 86f. Elliott, Charles W. 129, 138 Emerson, Ralph Waldo 138, 142 Farrow, Tom 95 Felip Monlau, Pere 191 Ferdinand VII. 170, 177 Figuera y Torres, Alvaro de Romanones 182 Fontane, Theodor 21f. Fontserè i Mestre, José 194197, 199-203, 205
Ford, Ford Madox 49-51, 68 Fordyce, John 27f. Forestier, Jean-Claude Nicolas 172, 210 Frampton, George 75 Franco, Francisco 189 Franz Josef 42 Galsworthy, John 69 Garagarza, Eugenio de 172 Garriga i Roca, Miquel 193196, 207 Gaudí, Antoni 206, 210-216, 218 Geddes, Patrick 91 Georg II. 47f., 73 Georg III. 27, 35, 73 Georg IV. 21, 27-29, 31, 35f., 43, 54, 74, 102 Georg V. 46f., 86 Georg, Herzog von Cambridge 66f. Gibson, John 84 Gilpin, William 130 Gilpin, William 23 Godkin, Edwin 144 Greeley, Horace 114, 129 Griscom, John H. 121 Güell, Eusebio 211f., 215f., 218 Händel, Georg Friedrich 48 Harding, James Duffield 8082 Haussmann, Georges Eugène 42 Hawkins, Benjamin Waterhouse 83 Hayter, Alethea 56 Headlam, Stewart 92f. Heine, Heinrich 21
Personenverzeichnis | 221
Heinrich VIII. 27, 43, 52 Hibberd, Shirley 24 Hill, Octavia 87 Hirschfeld, Christian Cay Lorenz 131, 133 Hohenlohe-Langenburg, Feodora von 40 Homer 34 Hone, Philip 116f. Howard, Ebenezer 91, 212 Hughes, John 123 Humperdingk, Engelbert 216 Hunt, Leigh 34 Hutton, Barbara 33 Irving, Washington 129, 138 Isabella II. 170 James, Henry 45f., 49, 51, 71 Jaussely, Léon 209 Jefferson, Thomas 130, 138 Jenner, Edward 74 Jerrod, Blanchard 38 Jones, Inigo 49 Jutglar, Antoni 205 Karl I. 31, 52 Karl II. 43, 47, 52 Karl III. 168, 176 Karoline, Königin 47, 52, 73 Kent, William 52, 75 Le Nôtre, André 43 Loomis, Samuel Lane 115 Lotti, Cosimo 168 Loudon, John Claudius 23, 133 Ludwig XIV. 45 Macchiachini, Carlo 199, 202 Macià, Francesc 204 Mappin, John Newton 39 María Cristina 206
Maria, Königin 73 Martí i Codolar, Lluis 208 Marx, Karl 63 Mayhew, Henry 77, 98f. Metternich, Klemens Wenzel von 74 Milá i Fontanals, Manuel 204 Minturn, Anna Mary 125 Minturn, Robert Browne 125 Morgan, James 36 Morrison, Arthur 72 Mumford, Lewis 15, 128 Napoleon III. 42 Nash, John 28-34, 36, 43f., 47, 55 Nelson, Horatio 53 Norton, Charles Eliot 144, 156 Ollier, Charles 34f. Olmsted, Frederick Law 108, 110, 129-145, 148-150, 155-160, 184, 186, 217 Olmsted, John 131 Owen, Richard 83 Owen, Robert 21 Palacio, Alberto del 179 Palmerston, Henry John Temple 67 Paxton, Joseph 59f., 82, 131, 179 Peel, Robert 59, 77 Philipp II. 162f. Philipp IV. 168 Philipp V. 193, 207 Phipps, Charles 67 Pintard, John 118 Ponsonby, Henry 67
222 | Personenverzeichnis
Prast, Carlos 172 Price, Uvedale 130 Prim i Prats, Joan 196, 204 Pückler-Muskau, Hermann von 35 Pugin, Augustus Charles 36 Puig i Cadalfach, Josep 210 Raffles, Stamford 36 Raumer, Friedrich von 37 Rennie, George 55 Rennie, John 55 Repton, Humphry 23 Rhodes, Cecil 75 Rimbaud, Arthur 69 Riós, Fernández Amador de los 166 Rius i Taulet, Francesc de Paula 198, 207 Robinson, Henry Crabb 27 Robinson, William 86 Rodrigáñez y Vallejo, Celedonio 181f., 184, 188 Rodríguez, Ventura 175 Rogent, Elies 205-207 Rovira i Trias, Antoni 191, 205 Rubio y Galí, Federico 185 Ruskin, John 136 Russell, John 44, 59 Sachsen-Coburg und Gotha, Albert von 56-60, 63-66, 74 Sainz Múgica, Carlos 171 Say, Jean-Baptiste 21 Schopenhauer, Johanna 44 Sckell, Friedrich Ludwig 131, 133 Scott, George Gilbert 64
Serrano de Casanova, Eugenio 205f. Shelley, Percy Bysshe 45 Sibthorp, Charles de Laet 58 Simmel, Georg 141 Soanes, John 35 Soler i Matas, Francesc 198 Speke, John Hanning 75 Spencer, Countess 54 Spencer, Diana 47 Spengler, Oswald 14 Stockmar, Christian Friedrich von 59 Strong, George Templeton 123 Summerson, John 29f. Symonds, John Addington 100 Taine, Hippolyte 45 Talleyrand, Charles Maurice de 35 Támaro, Ermengol 194-197 Taylor, Robert 28 Thackeray, William Makepeace 38 Thompson, Benjamin 22 Tocqueville, Alexis de 123, 142 Tönnies, Ferdinand 141 Tristan, Flora 21 Tucholsky, Kurt 9 Turner, Frederick Jackson 113, 160 Tweed, William M. 144 Vaux, Calvert 108, 133-135, 139, 141, 149, 158 Veblen, Thorstein 154 Velásquez Bosco, Ricardo 179 Verboom, Prósper de 193
Personenverzeichnis | 223
Vergil 34 Verlaine, Paul 69 Viktoria 41, 44, 46, 48, 56, 59, 64f., 67, 73-75, 79, 84 Vilaseca i Casanova, Josep 207 Walpole, Horace 53 Waterlow, Sidney 89 Watts, George Frederick 75 Webb, Aston 46 Weber, Adna F. 115 Wellesley, Arthur, Herzog von Wellington 53f., 60, 102 Westmacott, Richard 54 Wharton, Edith 140 Wilhelm II., Kaiser 46, 75 Wilhelm III. 73, 75 Wilhelm IV. 48 Willis, Nathaniel Parker 128 Wise, Henry 73 Wren, Christopher 74 Wynter, Andrew 97 Zola, Emile 68 Zuloga, Daniel 179
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