Der Papst, der schwieg: Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler 3806245029, 9783806245028

Die brisante Geschichte einer ganz und gar unheiligen Allianz Pulitzer-Preisträger David I. Kertzer erzählt in »Der Pap

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German Pages 704 [706] Year 2023

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Karten
Die Personen dieses Buches
Vorwort
Prolog: Das falsche Kreuz
Teil I: Kriegswolken
1 Tod eines Papstes
2 Das Konklave
3 Gesprächsversuche
4 Der Friedensstifter
5 »Bitte kein Wort über Juden«
6 Der Nazi-Prinz
7 Das Gesicht wahren
8 Der Krieg beginnt
9 Der Prinz kehrt zurück
10 Ein päpstlicher Fluch
11 Mann aus Stahl
12 Ein problematischer Besucher
Teil II: Auf dem Weg zum Achsensieg
13 Ein ungünstiger Zeitpunkt
14 Ein ehrenvoller Tod
15 Ein kurzer Krieg
16 Überwachung
17 Der nichtsnutzige Verbündete
18 Das griechische Fiasko
19 Eine neue Weltordnung
20 Hitler, der Retter
21 Der Kreuzzug
22 Ein neuer Fürst
23 Am besten nichts sagen
Teil III: Schicksalswende
24 Schuldzuweisungen
25 Päpstliche Premiere
26 Eine Katastrophe mit Ansage
27 Ein heikles Problem
28 Eine schwierige Bitte
29 Der gute Nazi
30 Die Absetzung des Duces
31 Reise nach Jerusalem
32 Treuebruch
Teil IV: Ein pechschwarzer Himmel
33 Fake News
34 Die Juden des Papstes
35 Haltlose Gerüchte
36 Verrat
37 Ein höchst erfreulicher Anblick
38 Bösartige Meldungen
39 Ein schreckliches Ende
Epilog
Schlussgedanken: Das Schweigen des Papstes
Anhang
Danksagung
Archivquellen und Abkürzungen
Anmerkungen
Bibliografie
Register
Abbildungsnachweis
Rückcover
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Der Papst, der schwieg: Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler
 3806245029, 9783806245028

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DAVID I. KERTZER

Foto: © Random House

DIE BRISANTE GESCHICHTE EINER GANZ UND GAR UNHEILIGEN ALLIANZ

DAVID I. KERTZER ist Professor für Sozialwissenschaft, Anthropologie und italienische Studien an der amerikanischen Brown University. Für sein Buch über Pius XI. (2016 auf Deutsch unter dem Titel Der erste Stellvertreter bei der wbg erschienen) wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Pulitzer-Preisträger David I. Kertzer erzählt in seinem neuen Werk die dramatische Geschichte des umstrittenen Papstes Pius XII. und seiner Beziehungen zu Italiens Diktator Benito Mussolini und Deutschlands »Führer« Adolf Hitler. Auf der Grundlage von Tausenden bisher unbekannten Dokumenten aus dem Vatikan und anderen Archiven weltweit zeichnet Kertzer ein neues, packendes Bild dessen, was der Papst tat und was er nicht tat, als der Krieg Europa verwüstete und die Nazis die europäischen Juden systematisch ermordeten. »Kertzers Buch … ist … elegant und bisweilen fast literarisch geschrieben. Eine Vielzahl von klug ausgewählten Anekdoten macht das Buch für ein breites Publikum hochinteressant.« Simon Unger-Alvi, FAZ »Nach Öffnung der Archive im Vatikan im Jahr 2020 setzt Kertzer … Maßstäbe und stößt Debatten an. Ein wichtiges Buch.« Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

ISBN 978-3-8062-4502-8

€ 39,00 [D] € 40,10 [A] Umschlagabbildungen: Papst Pius XII. © colaimages/Alamy Stock Photo; Benito Mussolini und Adolf Hitler 1940 © MARKA/ Alamy Stock Foto Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

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DAVID I. KERTZER

DER PAPST, DER SCHWIEG

DER PAPST, DER SCHWIEG

PIUS XII. ist eine höchst umstrittene Persönlichkeit: Einerseits als »Hitlers Papst« verunglimpft, weil er nicht öffentlich gegen den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden protestierte, wird er andererseits von manchen Katholiken, die ihn gerne heiliggesprochen sähen, als heldenhafter Gegner des Faschismus und des Nationalsozialismus verklärt. Ein halbes Jahrhundert lang haben Wissenschaftler und jüdische Organisationen Druck auf den Vatikan ausgeübt, seine Archive für die Kriegsjahre zu öffnen, um die Kontroverse um die Bewertung Pius XII. beizulegen. »Der Papst, der schwieg« ist weltweit das erste Buch, das Tausende von Dokumenten aus diesen im März 2020 endlich geöffneten Archiven nutzt, um eine bisher unbekannte und in vielen Punkten schockierende Geschichte zu erzählen.

Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler

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DAVID I. KERTZER

DER PAPST, DER SCHWIEG

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DAVID I. KERTZER

DER PAPST, DER SCHWIEG Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler

Aus dem Englischen von Tobias Gabel und Martin Richter

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Die englische Originalausgabe ist 2022 bei Random House unter dem Titel The Pope at War. The Secret History of Pius XII, Mussolini, and Hitler erschienen. © 2022 by David I. Kertzer Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden Satz und Layout: Arnold & Domnick, Leipzig Umschlagabbildungen: Papst Pius XII. colaimages/Alamy Stock Photo; ­B enito ­Mussolini und Adolf Hitler 1940. MARKA/Alamy Stock Foto Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg Abb. auf S. 2: Pius XII. segnet das Publikum bei seiner Krönung, Petersplatz, März 1939. Popperfoto/via Getty Images; Hitler und Mussolini, Rom, Mai 1938. Fototeca Gilardi Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4502-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4586-8 eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4587-5

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Dem Andenken meines Vaters Morris Kertzer und meines Schwiegervaters Jacob Dana, Seelsorger bzw. Arzt in der US-Army in Übersee während des Zweiten Weltkriegs, und für ihre Urenkelin, die kleine Sol

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Inhalt Karten ................................................................................................................................................................. 8 Die Personen dieses Buches .................................................................................................................. 13 Vorwort ............................................................................................................................................................. 22 Prolog: Das falsche Kreuz ...................................................................................................................... 25

Teil I: Kriegswolken 1 Tod eines Papstes .............................................................................................................................. 33 2 Das Konklave ...................................................................................................................................... 48 3 Gesprächsversuche .......................................................................................................................... 57 4 Der Friedensstifter............................................................................................................................ 71 5 »Bitte kein Wort über Juden«..................................................................................................... 81 6 Der Nazi-Prinz ................................................................................................................................... 88 7 Das Gesicht wahren ........................................................................................................................ 99 8 Der Krieg beginnt ............................................................................................................................. 109 9 Der Prinz kehrt zurück ................................................................................................................. 116 10 Ein päpstlicher Fluch ...................................................................................................................... 124 11 Mann aus Stahl ................................................................................................................................... 131 12 Ein problematischer Besucher................................................................................................... 142

Teil II: Auf dem Weg zum Achsensieg 13 Ein ungünstiger Zeitpunkt .......................................................................................................... 159 14 Ein ehrenvoller Tod ......................................................................................................................... 170 15 Ein kurzer Krieg ................................................................................................................................ 176 16 Überwachung ...................................................................................................................................... 188 17 Der nichtsnutzige Verbündete .................................................................................................. 204 18 Das griechische Fiasko .................................................................................................................. 215 19 Eine neue Weltordnung ................................................................................................................ 223 20 Hitler, der Retter ................................................................................................................................ 232 21 Der Kreuzzug ...................................................................................................................................... 248 22 Ein neuer Fürst ................................................................................................................................... 262 23 Am besten nichts sagen ................................................................................................................ 273

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Teil III: Schicksalswende 24 Schuldzuweisungen ......................................................................................................................... 295 25 Päpstliche Premiere ......................................................................................................................... 303 26 Eine Katastrophe mit Ansage..................................................................................................... 311 27 Ein heikles Problem ........................................................................................................................ 322 28 Eine schwierige Bitte ....................................................................................................................... 327 29 Der gute Nazi ...................................................................................................................................... 343 30 Die Absetzung des Duces ............................................................................................................ 353 31 Reise nach Jerusalem ...................................................................................................................... 367 32 Treuebruch ........................................................................................................................................... 380

Teil IV: Ein pechschwarzer Himmel 33 Fake News ............................................................................................................................................. 399 34 Die Juden des Papstes ..................................................................................................................... 413 35 Haltlose Gerüchte ............................................................................................................................. 429 36 Verrat ....................................................................................................................................................... 446 37 Ein höchst erfreulicher Anblick ............................................................................................... 469 38 Bösartige Meldungen ..................................................................................................................... 491 39 Ein schreckliches Ende .................................................................................................................. 507 Epilog .................................................................................................................................................................. 531 Schlussgedanken: Das Schweigen des Papstes............................................................................ 543 Anhang Danksagung .................................................................................................................................................... 557 Archivquellen und Abkürzungen ...................................................................................................... 562 Anmerkungen ............................................................................................................................................... 565 Bibliografie ...................................................................................................................................................... 675 Register .............................................................................................................................................................. 685 Abbildungsnachweis .................................................................................................................................. 703

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Redaktion des Osservatore Romano

Vatikanische Apostolische Bibliothek und Archiv

Vatikanische Post

Sixtinische Kapelle

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Kaserne der Päpstlichen Schweizergarde

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Vatikanische Museen

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Palazzo del Sant’Uffizio (Sitz des Heiligen Offiziums)

Gästehaus Santa Marta

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Die Personen dieses Buches Der Papst und die Kirche PIUS XII. (EUGENIO PACELLI) (1876–1958): Schon sein Vater und Großvater

waren als Laien anerkannte Koryphäen in vatikanischen Diensten gewesen. Auch der körperlich wenig robuste, aber hochintelligente Pacelli trat unmittelbar nach seiner Priesterweihe in das vatikanische Staatssekretariat ein, ohne je als Gemeindepfarrer zu amtieren. In seiner Zeit als päpstlicher Nuntius im Deutschen Reich, von 1917 bis 1929, erwarb er eine tiefe Kenntnis seines Gastlandes. 1930 ernannte ihn Pius XI . zum Kardinalstaatssekretär. Nach seiner eigenen Wahl zum Papst im Jahr 1939 bemühte sich der stets vorsichtige und gegenüber Mehrparteienregierungen misstrauische Pius XII. um eine Verbesserung der Beziehungen des Vatikans zu Mussolini und Hitler. BORGONGINI DUCA, FRANCESCO (1884–1954): Der Priester, der sein gesam-

tes bisheriges Leben in Rom verbracht hatte, wurde nach Unterzeichnung der Lateranverträge 1929 zum ersten Apostolischen Nuntius in Italien ernannt. Auf diesem Posten sollte er den ganzen Zweiten Weltkrieg hindurch und noch darüber hinaus bleiben. Obgleich es ihm an Weltkenntnis und intellektueller Neugier mangelte, erfüllte er mit seiner unermüdlichen Lobbyarbeit beim faschistischen Regime für Pius XII. eine wichtige Funktion. Zusammen mit Pater Tacchi Venturi drängte er die faschistische Regierung wiederholt, getaufte Juden von den drakonischen Rassengesetzen auszunehmen. MAGLIONE, LUIGI (1877–1944): Durch Intelligenz und Ehrgeiz gelang Magli­ one, der einer armen Neapolitaner Familie entstammte, der Aufstieg durch die Kaderschmiede der päpstlichen Diplomatie. Nachdem er zunächst als

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Nuntius in der Schweiz und dann, von der Mitte der 1920er- bis zur Mitte der 1930er-Jahre, als Nuntius in Frankreich gedient hatte, galt der 1935 zum Kardinal erhobene Maglione als aussichtsreicher Anwärter bei dem Konklave, das Pacelli zum Papst wählte. Obwohl Pius XII. Magli­one zu seinem Staatssekretär ernannte, entwickelten die beiden Männer nie ein herzliches Verhältnis. Maglione war umgänglich, aber vorsichtig mit dem, was er sagte; unter den auswärtigen Botschaftern beim Heiligen Stuhl, mit denen er sich jeden Freitag traf, war er beliebt. Wie unwohl sich Pius XII. mit ihm oder überhaupt mit irgendjemandem in der wichtigen Position des Staatssekretärs fühlte, wurde deutlich, als er nach Magliones Tod keinen Nachfolger in dem Amt ernannte. MONTINI, GIOVANNI BATTISTA (1897–1978): Montini entstammte einer be-

kannten katholischen oberitalienischen Familie; sein Vater hatte für die katholische Volkspartei im italienischen Parlament gesessen, bis Mussolini dieses auflöste. Unter Kardinalstaatssekretär Pacelli wurde Montini 1937 zum Substituten für die allgemeinen kirchlichen Angelegenheiten ernannt und bekleidete damit eine der beiden stellvertretenden Positionen im Staatssekretariat. Auf diesem Posten blieb Montini auch nach der Wahl Pacellis zum Papst. Ebenso klug wie kultiviert im Umgang, wenngleich wenig welterfahren, gehörte er zu den bevorzugten Mitarbeitern von Pius XII. und sollte eines Tages als Paul VI. selbst Papst werden. ORSENIGO, CESARE (1873–1946): Ursprünglich ein Mailänder Priester mit

wenig Weltkenntnis, in den 1920er-Jahren als Nuntius erst in den Niederlanden und dann in Ungarn tätig, ersetzte Orsenigo im Jahr 1930 Eugenio Pacelli als Nuntius in Berlin. Er war ein mäßig intelligenter Mann, der Hitler verehrte und die Nazigrößen durch seine Sympathie für ihre Sache zu beeindrucken versuchte, obwohl er natürlich wünschte, sie würden die Kirche besser behandeln. PACELLI, EUGENIO (siehe Pius XII.) PIUS XI. (ACHILLE RATTI) (1857–1939): Im selben Jahr 1922, als der bisherige

Erzbischof von Mailand zum Papst gewählt wurde, ernannte der italieni14

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Die Personen dieses Buches

sche König nach dem faschistischen Marsch auf Rom Mussolini zum Ministerpräsidenten. Da die Wege des Herrn nun einmal unergründlich waren, wie Pius XI. einmal bemerkte, hatte er ihm ausgerechnet Mussolini geschickt, um viele Privilegien wiederherzustellen, die die Kirche im vorigen Jahrhundert verloren hatte. Doch in seinem letzten Lebensjahr begann Pius XI. zu bedauern, dass er dem Duce geholfen hatte, seine Macht in Italien zu festigen. Besonders fühlte er sich von Mussolinis engem Schulterschluss mit Hitler abgestoßen, den er als einen Feind der Kirche und Vertreter einer heidnischen Ideologie verachtete. TACCHI VENTURI, PIETRO, SJ (1861–1956): Als ein prominenter römischer

Jesuit, der 1918 bis 1940 als Rektor der jesuitischen Hauptkirche in Rom amtierte, wurde Tacchi Venturi schon kurz nach der Machtübernahme Mussolinis der inoffizielle Verbindungsmann zwischen Pius XI. und dem Duce und trug Letzterem regelmäßig die päpstlichen Anliegen vor. In den Kriegsjahren wurden die Treffen des Jesuiten mit Mussolini zwar seltener, doch Pius XII. nutzte das ausgedehnte Netzwerk von Kontakten, das Tacchi Venturi zu den Mitgliedern der faschistischen Führungsriege geknüpft hatte, weiter für seine Zwecke und unternahm etwa wiederholt Versuche, getaufte Juden von den antisemitischen Maßnahmen der Regierung ausnehmen zu lassen. TARDINI, DOMENICO (1888–1961): Der Sprössling einer römischen Familie aus bescheidenen Verhältnissen diente den Großteil seines Lebens im vatikanischen Staatssekretariat: seit 1935 als Substitut für die allgemeinen kirchlichen Angelegenheiten und seit 1937 als Sekretär der Kurienkongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten. Somit teilten sich Tardini und Giovanni Montini in den folgenden Jahren die beiden einflussreichsten Posten unter dem Staatssekretär. Der Papst ließ durch den scharfzüngigen und geistreichen Tardini immer wieder Exposés erarbeiten, die seine Handlungsoptionen während des Krieges aufzeigten. Tardini vertraute weder den Deutschen noch den Alliierten.

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Mussolini und das faschistische Regime MUSSOLINI, BENITO (1883–1945): Der ehemalige radikale Sozialist war vor

allem eines: ein Opportunist, der rasch begriff, dass er seine Ambitionen am besten mit vatikanischer Unterstützung verfolgen konnte. Aufgrund seiner kirchenfreundlichen Politik, die 1929 in den Lateranverträgen gipfelte, als deren Ergebnis der Vatikanstaat geschaffen und die Trennung von Staat und Kirche in Italien aufgehoben wurde, erschien er dem Vatikan geradezu vom Himmel geschickt. Doch seine Annäherung an Nazideutschland in den späten 1930er-Jahren brachte Pius XI. gegen ihn auf. Hitler gegenüber prahlte Mussolini damit, er wisse, wie er den Papst im Zaum zu halten habe. Pius XII. baute dann auf die Unterstützung des italienischen Diktators, um Hitler zu einer freundlicheren Haltung gegenüber der Kirche zu bewegen. Als seine eigenen Probleme jedoch im Kriegsverlauf immer größer wurden, setzte Mussolini den Papst entsprechend unter Druck, damit er nichts unternahm, was der Sache der Achsenmächte schaden könnte. ALFIERI, DINO (1886–1966): Nachdem er 1924 für die Faschistische Partei

ins italienische Parlament eingezogen war, stieg Alfieri durch die Regierungsränge auf. Im November 1939 bekleidete er gerade den Posten des Propagandaministers, als Mussolini ihn zum Nachfolger Bonifacio Pignattis als italienischer Botschafter beim Heiligen Stuhl ernannte. Schon einige Monate später entschied Mussolini jedoch, dass er in Berlin einen Vertreter brauchte, der den Nazis zugeneigter wäre als der bisherige Amtsinhaber, und berief Alfieri auf die Position. Als der Papst Alfieri vor dessen Abreise nach Deutschland traf, trug er ihm eine Botschaft für Hitler auf, überlegte es sich dann aber noch einmal anders und zog sie zurück. ATTOLICO, BERNARDO (1880–1942): Der Berufsdiplomat aus Süditalien heiratete in die sogenannte schwarze Aristokratie Roms ein, die den Päpsten traditionell eng verbunden war. Nach Einsätzen als Botschafter in Brasilien und der Sowjetunion wurde er 1935 zum Botschafter Italiens in Berlin ernannt. Attolico war kein Freund der Nazis und versuchte, Mussolini vom

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Kriegseintritt an der Seite Deutschlands abzubringen. Nachdem er 1940 mit Alfieri den Posten getauscht hatte, fungierte er bis zu seinem Tod im Februar 1942 als Botschafter beim Heiligen Stuhl. Wie viele andere Angehörige des diplomatischen Korps diente er dem faschistischen Regime treu und arbeitete nach dem Kriegseintritt Italiens unermüdlich daran, zu verhindern, dass aus dem Vatikan Kritik an der Sache der Achsenmächte laut wurde. BUFFARINI GUIDI, GUIDO (1895–1945): Der kleine, rundliche, rotgesichtige

Buffarini war vielleicht das intelligenteste Mitglied von Mussolinis Regierung – und gewiss eines ihrer korruptesten. Zu seinen florierenden Ne­ bengeschäften gehörte etwa das Fälschen von Kirchenbuchauszügen, um aus Juden Katholiken zu machen und sie so vor den Rassengesetzen zu ­verschonen, für deren Durchsetzung er zuständig war. Als Mussolinis ­De-facto-Innenminister (der Duce bekleidete den Ministerposten formal selbst) begrüßte Buffarini die Wahl Kardinal Pacellis zum Papst mit den Worten: »Das ist genau der Papst, der gebraucht wird.« Nach Mussolinis Fall und seiner Wiedereinsetzung als Regierungschef von Hitlers Gnaden diente Buffarini als Innenminister der Italienischen Sozialrepublik. CIANO, GALEAZZO (1903–1944): Vom Vater, der in den frühen Jahren der faschistischen Regierung einen Ministerposten innegehabt hatte, erbte Ciano die gerade verliehene Grafenwürde. Nicht zuletzt wegen seiner 1930 geschlossenen Ehe mit Mussolinis Tochter Edda stieg Galeazzo rasch bis an die Spitze des faschistischen Staates auf. Seit er 1936 im Alter von 33 Jahren zum Außenminister ernannt worden war, schien er dazu prädestiniert, seinen Schwiegervater eines Tages zu beerben. Mit dem Papst wollte er es sich nicht verscherzen, beteuerte regelmäßig seinen tiefen katholischen Glauben und unterstützte demonstrativ die päpstlichen Bestrebungen, Mussolini von einem Kriegseintritt abzuhalten. Kurzzeitig diente Ciano 1943 noch als Mussolinis Botschafter im Vatikan, endete jedoch vor einem faschistischen Exekutionskommando. FARINACCI, ROBERTO (1892–1945): Als Faschist der ersten Stunde, Partei-

chef im oberitalienischen Cremona und Mitglied des Faschistischen Groß17

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rats präsentierte Farinacci sich stets als glühender Faschist und Verehrer Hitlers. Mussolini bediente sich wiederholt Farinaccis und seines antiklerikalen Hetzblatts Il Regime Fascista, um den Papst durch publizistische Prügel gefügig zu machen. Farinacci war die Inkarnation dessen, was der Papst für den »bösen« Flügel der Faschistischen Partei hielt. GUARIGLIA, RAFFAELE (1889–1970): Als Mussolini nach dem Tod Attolicos Anfang 1942 Guariglia, seinen bisherigen Botschafter in Frankreich, zum neuen italienischen Botschafter beim Heiligen Stuhl ernannte, nahm Kardinal Maglione dies erfreut zur Kenntnis, betrachtete er Guariglia, Neapolitaner wie er selbst, doch als Freund. Nachdem Guariglia im weiteren Verlauf des Jahres 1942 erkannt hatte, dass die Achsenmächte den Krieg verlieren würden, suchte er für sich selbst und für ganz Italien nach einem Ausweg. Anfang 1943 wurde er als Italiens Botschafter nach Ankara entsandt, kehrte aber nach Mussolinis Absetzung im Juli zurück und amtierte kurzzeitig als italienischer Außenminister. In dieser Zeit, in der die italienische Regierung vor einem furchtbaren Dilemma stand, traf er sich abends oft heimlich zu Gesprächen mit Kardinal Maglione. MUSSOLINI, EDDA (1910–1995): Mussolinis Lieblingskind und dasjenige,

das ihm in Sachen Eigensinn und Unabhängigkeit am meisten ähnelte. Ihren anfänglichen Enthusiasmus für Hitler und den italienischen Kriegseintritt hinter sich lassend sollte Edda sich nach der Festnahme und Erschießung ihres Ehemanns Galeazzo Ciano gegen ihren Vater wenden. MUSSOLINI, RACHELE (1890–1979): Als Kind einer armen Bauernfamilie

hatte Mussolinis Ehefrau wenig Bildung genossen und fühlte sich stets unwohl angesichts des Überflusses und der Anmaßungen der italienischen Elite, einschließlich ihres eigenen Schwiegersohns. Dennoch war Rachele Mussolini, nach den Worten ihrer Tochter, »der wahre Diktator in der Familie«. Die junge Geliebte ihres Mannes verachtete sie, verteidigte ihn selbst aber eisern gegen alle Angriffe. PETACCI, CLARA (1912–1945): Die Tochter eines vatikanischen Arztes ging

noch zur Schule, als sie begann, Mussolini in glühenden Briefen ihre Hin18

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Die Personen dieses Buches

gabe zu beteuern. Eine ernsthafte Affäre wurde daraus 1936, zwei Jahre nach Claras Heirat. Mit der Zeit entwickelte sie eine regelrechte Obsession für ihren »Ben«, wie sie ihn nannte. Diese Besessenheit wurde von Mussolini erwidert, der Clara nicht selten ein Dutzend Mal am Tag anrief und ihre täglichen Besuche im Palazzo Venezia in einem eigens für sie hergerichteten Zimmer erwartete. Mit der Zeit begann Clara, ihm auch politische Ratschläge zu erteilen, wodurch sie einige seiner schlimmsten Instinkte noch verstärkte. PIGNATTI, BONIFACIO (1877–1957): Der vorherige italienische Botschafter

in Argentinien und Frankreich wurde 1935 zum Botschafter beim Heiligen Stuhl ernannt. Wie vielen anderen Berufsdiplomaten scheint ihm der Übergang von der parlamentarischen Demokratie zur Diktatur keine sonderlichen Schwierigkeiten bereitet zu haben.

Hitler und das Dritte Reich HITLER, ADOLF (1889–1945): Seit Mussolinis Machtantritt 1922 hatte Hitler sich den italienischen Diktator zum Vorbild genommen. Seine Zuneigung zum Duce hielt sogar an, als deutsche Truppen während des Krieges ihre italienischen Waffenbrüder wiederholt vor einer Katastrophe retten mussten, und auch noch, als er den mittlerweile abgesetzten Duce aus seiner Haft im Gebirge befreien ließ und ihn an die Spitze einer faschistischen Marionettenregierung in Oberitalien stellte. Obwohl Hitler, der aus einer katholischen Familie stammte, selbst keine Zuneigung zur katholischen Kirche oder ihren Vertretern empfand, sah er in der Papstwahl Pius’ XII. eine Gelegenheit, die Spannungen abzubauen, die zwischen dem Dritten Reich und Pius XI. aufgekommen waren. HESSEN, PHILIPP VON (1896–1980): Als Spross einer illustren deutschen

Adelsfamilie, der Kaiser Friedrich III. zum Großvater und die britische Queen Victoria zur Urgroßmutter hatte, heiratete Prinz Philipp von Hessen im Jahr 1925 Prinzessin Mafalda, eine Tochter des italienischen Königs Vittorio Emanuele III. Fünf Jahre später trat der Prinz in die NSDAP und 19

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Die Personen dieses Buches

bald darauf auch in die SA ein. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde er zum Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau ernannt. Philipp von Hessen gehörte dem engsten Kreis um Hitler an und wurde dessen persönlicher Gesandter bei Mussolini. Bald nach der Papstwahl Pius’ XII. schickte Hitler den Prinzen auch zu einer Reihe von geheimen Gesprächen mit dem Papst in den Vatikan; diese Treffen sind erst in jüngster Zeit bekannt geworden. RIBBENTROP, JOACHIM VON (1893–1946): Der fanatische Nazi und frühere Weinhändler wurde 1938 zum Reichsaußenminister ernannt und bekleidete diesen Posten bis zum Kriegsende. »Selten habe ich einen Mann getroffen, der mir unsympathischer war«, bemerkte 1940 der amerikanische Außenstaatssekretär nach einem Termin mit Ribbentrop. Dieser wurde nicht müde, die Kriegstrommel zu rühren, und glaubte fest an den deutschen »Endsieg«. Für die katholische Kirche hatte er nichts übrig, stattete dem Papst aber dennoch einen dramatischen Besuch ab, nur wenige Monate nachdem deutsche Truppen den Krieg begonnen hatten. WEIZSÄCKER, ERNST VON (1882–1951): Laut dem amerikanischen Außen-

staatssekretär »ein typisches Beispiel eines deutschen Beamten alter Schule des 19. Jahrhunderts« entstammte Weizsäcker einer württembergischen Familie von Beamten und Theologen, die für ihre Dienste schließlich geadelt wurde. Im Jahr 1938 wurde er zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt berufen und somit zum wichtigsten Mann nach Reichsaußenminister Ribbentrop. Auf diesem Posten diente Weizsäcker dem NS-Regime während der ersten Kriegsjahre effizient, bis er im Frühjahr 1943 als neuer deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl nach Rom entsandt wurde. Der Papst mochte ihn und zählte, insbesondere während der neunmonatigen Besetzung Roms durch deutsche Truppen, auf seine Mithilfe zum Schutz des Vatikans. Im Umfeld des Papstes galt der Botschafter als ein Musterbeispiel des »guten Nazis«. Nach Kriegsende wurde er bei den Nürnberger Prozessen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und schuldig gesprochen, obgleich sich der Vatikan für ihn verwendete.

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Die italienische Königsfamilie VITTORIO EMANUELE III . (1869–1947): Der nach seinem Großvater, dem

e­ rsten König des vereinigten Italiens, getaufte Abkömmling des Hauses Savoyen litt wegen seiner geringen Körpergröße unter einem lebenslangen Minderwertigkeitskomplex. Vittorio Emanuele war intelligent und gut in­ formiert, aber auch willensschwach und pedantisch. Mit Mussolini teilte er eine tief sitzende Misanthropie. Für den Duce war er lange ein bereitwilliger »Ermöglicher« gewesen und verhielt sich entsprechend zögerlich, als der Krieg sich gegen die Achsenmächte zu wenden begann und man ihn zunehmend bedrängte, er solle den Duce absetzen und Italien aus dem Krieg herausziehen. MAFALDA VON SAVOYEN (1902–1944): Mafalda, die zweite Tochter des ita-

lienischen Königs Vittorio Emanuele III ., heiratete 1925 den deutschen Prinzen Philipp von Hessen und lebte in den Folgejahren teils in Italien und teils in Deutschland, wo ihr Gatte ein prominenter Nazi und Vertrauter Hitlers wurde. Die Sache sollte für sie nicht gut enden. MARIE JOSÉ VON BELGIEN (1906–2001): Die Tochter und Schwester belgi-

scher Könige heiratete 1930 Umberto von Savoyen, den einzigen Sohn des italienischen Königs. Marie José war eine willensstarke Person, die sich mit den Einschränkungen, welche ihr als Frau und Gattin des Thronfolgers auferlegt waren, nicht abfinden mochte. Sie scharte einen eigenen Freun­ deskreis aus bekannten italienischen Intellektuellen um sich – ­darunter zunehmend solche, die dem faschistischen Regime kritisch gegenüberstanden. Sie suchte als eine der ersten Persönlichkeiten von Einfluss die vatikanische Hilfe, um Mussolini abzusetzen und Italien aus dem Krieg herauszuführen, wenngleich ihre Bemühungen nur wenig Erfolg zeitigten.

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Vorwort

I

m März 1939, als die Welt einem katastrophalen Krieg entgegentaumelte, versammelten sich die Kardinäle der katholischen Kirche, um einen neuen Pontifex maximus zu wählen. Der Mann, den sie wählten, sollte zu einem der umstrittensten Päpste der Kirchengeschichte werden. Von den einen fast wie ein Heiliger verehrt, von anderen mit Verachtung bedacht, gab Pius XII. Anlass zu erbitterten Debatten um sein Verhältnis zu den Regimen Hitlers und Mussolinis und sein Handeln im Zweiten Weltkrieg. Seine Kritiker werfen ihm eine Schwäche für Diktaturen und eine Abneigung gegen Juden vor: Wie sonst konnte er sich zu schweigen entschließen, als sechs Millionen Juden im Holocaust ermordet wurden? Allzu leicht habe er sich von Mussolini und Hitler einschüchtern lassen und allzu oft Opportunismus über Prinzipientreue gestellt. Die Verteidiger Pius’ XII. malen dagegen ein anderes Bild, ein Bild voller Tugenden. Demnach war er ein Mann von seltenem Mut, der – obschon selbst bedroht von Entführung, wenn nicht Ermordung – heldenhaft den Nazis und ihren faschistischen Verbündeten in Italien entgegentrat. Keineswegs habe er Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der europäischen Juden gezeigt, sondern unermüdlich und wirksam daran gearbeitet, sie zu retten. Die bisherigen Forschungen zum Zweiten Weltkrieg haben einige dieser Fragen beleuchtet und eine nuanciertere Sicht als diese Extrempositionen erlaubt, doch ein entscheidendes Puzzleteil hat lange gefehlt. Die vatikanischen Archive, welche die Aktivitäten des Papstes und der Prälaten in seinem Umfeld während des Krieges dokumentierten, wurden beim Tod Pius’ XII . 1958 versiegelt. Die nachfolgenden Päpste standen unter starkem Druck, sie zu öffnen. Schließlich ordnete Papst Franziskus die Öffnung an, woraufhin die Archive für die Amtszeit von Papst Pius XII. im März 2020 den Forschern zugänglich gemacht wurden. Nun lässt sich nicht nur eine vollständigere Geschichte über das Handeln des um22

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Vorwort

strittenen Papstes während des Krieges erzählen, sondern auch rekonstruieren – und vielleicht ist dies ebenso wichtig – , warum und wie er unter großem Druck seine schicksalhaften Entscheidungen traf. Dieses Buch bietet seinen Lesern die erste ausführliche Darstellung der Ereignisse auf Grundlage der vor Kurzem geöffneten Archive. Seine Seiten sind voll zuvor unbekannten Materials und neuer Enthüllungen. Bei der Arbeit daran habe ich Tausende von Dokumentseiten gelesen, die für die Entscheidungen Pius’ XII. zwischen 1939 und 1945 relevant waren. Darunter sind viele interne Memoranden, die der Papst als Entscheidungshilfe erstellen ließ: Wie sollte er reagieren auf das fortgesetzte Bemühen des NS-Regimes, die Juden Europas auszulöschen, wie umgehen mit Mussolinis Forderung nach stärkerer katholischer Unterstützung für den Krieg der Achsenmächte? Daneben gibt es Berichte der päpstlichen Nuntien und anderer kirchlicher Würdenträger im deutsch besetzten Europa, die den Papst über Gräueltaten in Kenntnis setzten und ihn zum Handeln ­drängten. So wichtig die vatikanischen Archive für das hier gezeichnete Bild sind, würden sie doch eine einseitige und unvollkommene Darstellung liefern. Um die dramatische Geschichte vollständig zu erzählen, muss die gewaltige Masse relevanter Berichte und Briefe in anderen historischen Archiven einbezogen werden: in Italien, Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien. Viele dieser Dokumente sind ebenfalls erst in den letzten Jahren im Zuge der allmählichen Freigabe von Regierungsdokumenten zugänglich geworden. Dazu gehören die Berichte, die Mussolinis und Hitlers Botschafter im Vatikan regelmäßig an ihre Regierungen schickten, sowie entsprechende Berichte der britischen, französischen und amerikanischen Gesandten. Zusammengenommen liefern diese Berichte aus dem Inneren des Vatikans fast eine Tageschronik des Dramas, das sich dort von Kriegsbeginn bis Kriegsende abspielte. Eine zusätzliche Dimension bieten die regelmäßigen Mitteilungen, welche die vielen Spione Benito Mussolinis im Vatikan über die Intrigen, Verrätereien und Konflikte hinter dessen Mauern machten. Ähnliche Spitzelberichte habe ich in meinem Buch Der erste Stellvertreter über den Vorgänger Pius’ XII., Pius XI., und den Aufstieg des Faschismus in Europa vor dem Krieg benutzt. Obwohl Pius XII . im Zentrum des Dramas steht, das ich hier untersuche, bietet dieses Buch nicht nur eine neue Sicht auf den Papst und den 23

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Vorwort

Vatikan während des Krieges, sondern auch auf die Erfahrung des Krieges in Italien. Pius XII. war Römer, die Kurienkardinäle waren fast alle Italiener, und als Bischof von Rom besaß der Papst eine besondere Autorität über die italienische Kirche. Wie der Papst seine öffentlich vertretene Neutralität mit der Leitungsfunktion in einer italienischen Kirche in Einklang brachte, die den Krieg der Achsenmächte begeistert unterstützte, wird im Folgenden klar werden. Auch davon, wie der katholische Klerus Italiens, trotz seines Unbehagens am NS-Regime, alle guten Katholiken aufforderte, an Hitlers Seite zu kämpfen, werde ich hier erzählen. Wesentlich für all dies ist das Verständnis der seltsamen Beziehung zwischen den beiden Männern, die aus Sicht der Italiener alle anderen überragten: Mussolini und der Papst. Und so wie der italienische Diktator den Papst brauchte, um sich die Unterstützung der Katholiken für den Krieg zu sichern, hatte Pius XII. eigene Gründe, ein gutes Verhältnis zu Mussolini zu suchen. Wer an den Zweiten Weltkrieg in all seiner Dramatik und Tragik denkt, wird meist eine Handvoll Staatsführer im Vordergrund sehen: Hitler, Mussolini, Churchill, Roosevelt, Stalin. Man könnte jedoch argumentieren, dass eine weitere Person hinzugezählt werden sollte, denn im vom Krieg zerrissenen Europa genoss der Papst einen Status wie niemand sonst. Viele auf dem Kontinent und darüber hinaus hielten ihn für den einzigen Menschen, dem seine Stellung eine unbestrittene moralische Autorität verlieh. So erschien er erst als letzte Hoffnung, den Krieg abzuwenden, und später, ihn zu beenden. Für die Italiener war er die einzige vom faschistischen Regime unabhängige Autorität und der einzige Mann, dessen Charisma mit dem Mussolinis konkurrieren konnte. Die folgende, manchmal schockierende, manchmal überraschende Geschichte dreht sich um einen Papst im Angesicht einer vom Krieg zerrissenen Welt, der um die Zukunft der von ihm geführten Kirche fürchtete und unter unablässigem Druck stand, die Verbrecher anzuklagen. Die hier geschilderten Ereignisse sind ein dramatisches Kapitel in der Geschichte der katholischen Kirche, aber sie sind viel mehr. Sie sind ein wichtiges und bis jetzt nur zum Teil verstandenes Kapitel in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Vielleicht sind sie auch eine Geschichte, die Lehren für unsere heutige Welt enthält. 24

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Prolog Das falsche Kreuz

A

m 2. Mai 1938 verließen drei Sonderzüge mit Hunderten von deutschen Diplomaten, Regierungsbeamten, nationalsozialistischen Parteiführern, Sicherheitspersonal und Journalisten Berlin, um Hitler auf seinem ersten Besuch in Rom zu begleiten – der auch sein letzter sein sollte. NS-Größen wie Joachim von Ribbentrop, Joseph Goebbels, Rudolf Hess, Heinrich Himmler und Hans Frank saßen im Zug, während Hermann Göring die Regierungsgeschäfte in der Hauptstadt weiterführte. Auf dem Besuch hatte der italienische Diktator Benito Mussolini, der zwei Jahrzehnte zuvor den Faschismus erfunden hatte, persönlich bestanden, weil er sich unbedingt für die jubelnden Massen revanchieren wollte, die Hitler im letzten Herbst zu seinen Ehren aufgeboten hatte. Der Besuch begann für Hitler eher unangenehm. Er hatte angenommen, dass der Mann, den er lange als sein Vorbild betrachtet hatte, nun seinerseits ihn durch jubelnde Menschenmengen begleiten würde, aber bei der Ankunft in Rom fand er sich in einer prächtigen Pferdekutsche neben dem kleinwüchsigen, introvertierten König Italiens wieder. Hitler bemerkte später, man habe in Italien wohl noch nichts von der Erfindung des Motorwagens gehört. Sein Abscheu für den willensschwachen Monarchen mit dem weißen Schnurrbart wurde von König Vittorio Emanuele III. vollends erwidert, der den deutschen Führer als drogensüchtigen Geisteskranken ansah. Weil aber der König das Staatsoberhaupt war und nicht Mussolini, forderte das Protokoll, dass der deutsche Reichskanzler sein Gast im Quirinal war, dem riesigen Königspalast, den Papst Gregor XIII. im 16. Jahrhundert auf dem höchsten Hügel Roms errichtet hatte. Hitler fühlte sich in einen übergroßen Antiquitätenladen versetzt und empfand den Ort als melancholisch. Seine Gastgeberin, Königin Elena von Italien, die ihren 25

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Prolog

Ehemann an Körpergröße weit überragte, erinnerte den frauenfeindlichen Diktator an einen Dragoner. Erst am Ende des sechstägigen Besuchs konnte Hitler die Sehenswürdigkeiten voll und ganz genießen, als er nämlich seine italienische Lieblingsstadt Florenz ohne das Königspaar besuchte. Kurz nach Mussolinis Zug fuhren auch Hitler und sein Gefolge auf Bahnsteig 16 des Bahnhofs ein, der reich geschmückt war mit Blumen, deutschen und italienischen Fahnen und großen goldenen Bannern, die das faschistische Rutenbündel mit Beil, die fasces, zeigten. Während die Kapelle Deutsch­ land über alles und die faschistische Hymne Giovinezza spielte, ertönte der Lärm eines italienischen Flugzeuggeschwaders im Tiefflug. Die beiden Diktatoren saßen lächelnd auf der Rückbank eines offenen Wagens, während sie eskortiert von Polizeimotorrädern ihren triumphalen Weg durch die Straßen zum Palazzo Pitti nahmen. Eine kleine Armee von Architekten, Ingenieuren und Künstlern hatte die Stadt monatelang für das Ereignis hergerichtet. Zehntausende rotschwarzer Hakenkreuzfahnen hingen im Wechsel mit italienischen Fahnen überall auf dem Weg aus den Fenstern. Es war ein schöner Frühlingstag, und da in der Region Toskana ein Feiertag erlassen worden war, kamen 350 000 Menschen, um einen Blick auf die beiden großen Männer zu erhaschen, wenn auch mit klarer Vorliebe für ihren Duce. Tausende faschistische Milizionäre und Soldaten säumten die Straßen, um die Menge zurückzuhalten. Hunderte Polizisten, darunter eine Kompanie aus Rom, und 1500 Carabinieri aus anderen Bezirken waren ebenfalls präsent. Nach einer Besichtigung der unvergleichlichen Kunstsammlung des gewaltigen Renaissancepalasts – Mussolini, der sich nichts aus Museen machte, nahm nicht teil – fuhr die Autokolonne weiter. Die beiden Männer hielten an einem Gedenkschrein für einen toskanischen Märtyrer des Faschismus und fuhren dann auf einen nahe gelegenen Hügel, damit Hitler den Blick über die Stadt genießen konnte. Ohne dass der Ehrengast davon erfuhr, kam es vor dem Galadiner im Palazzo Medici-Riccardi, einem Palast aus dem 15. Jahrhundert, den Cosimo de’ Medici für seine Familie gebaut hatte, zu einem Misston. Laut einem Bericht des amerikanischen Konsuls in Florenz waren vier Damen in letzter Minute wieder ausgeladen worden. Ihre jüdischen Vorfahren 26

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Das falsche Kreuz

waren erst verspätet entdeckt worden, und die örtlichen faschistischen Würdenträger wollten alles vermeiden, was ihre deutschen Gäste beleidigen konnte. Schließlich wurde nach dem Bericht des Konsuls aber doch eine allerletzte Veränderung vorgenommen: »Eine Dame protestierte vehement und bewies, dass sie nicht jüdisch war, sodass in ihrem Fall die Einladung zum Diner aufrechterhalten wurde.« Nach dem Essen fuhren die beiden Diktatoren zum Teatro Comunale, wo Verdis Simone Boccanegra gegeben wurde. Danach genossen sie spät am Abend ein militärisches Spektakel zu ihren Ehren, bei dem eine Lichtschau in riesigen Lettern die Worte »Führer« und »Duce« aufleuchten ließ. Schließlich fuhren sie zum Bahnhof zurück, wo Hitlers Zug wartete. Als die beiden Männer auf dem Bahnsteig Abschied nahmen, mussten sie ihre Emotionen zügeln. »Der Duce sagte: ›Nun kann uns keine Macht mehr trennen.‹ Die Augen des Führers füllten sich mit Tränen.«1 Während der Duce und sein Gast vor den italienischen Massen posierten, schäumte der Papst vor Wut. Der achtzigjährige und gebrechliche Pius XI., der kein Jahr mehr zu leben hatte, hatte zu Beginn seiner Amtszeit Mussolini dabei geholfen, seine Diktatur zu festigen. Später hatte ihn die zunehmende Nähe des Duces zum NS -Regime erschreckt. In den letzten Monaten hatte der Papst immer deutlichere Worte gefunden für das Vorgehen der Nazis gegen die katholische Kirche in Deutschland und den Versuch, eine heidnische Blut-und-Boden-Religion mit Hitler als neuem Gott zu schaffen. Bei Staatsbesuchen in Rom erwiesen Staatsoberhäupter normalerweise auch dem Papst ihre Referenz, aber Pius XI . hatte klargemacht, er werde Hitler nur empfangen, wenn dieser seinen Kurs ge­ genüber der Kirche zu ändern beabsichtige. Das lehnte der deutsche Diktator ab. Um sein Missfallen über Hitlers Besuch zu zeigen, hatte Pius XI. Rom verlassen und sich in den päpstlichen Sommerpalast Castel Gandolfo in den nahen Albaner Bergen zurückgezogen. Er ließ die vatikanischen Museen schließen und die nächtliche Außenbeleuchtung des Vatikans abschalten. Vor einer Gruppe von Neuvermählten, die gekommen waren, um den päpstlichen Segen zu empfangen, entfernte sich der Papst weit von seinen üblichen Platitüden und beklagte die Glorifizierung des 27

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Prolog

Hakenkreuzes in der Hauptstadt des Katholizismus. Es sei »das Zeichen eines anderen Kreuzes, das nicht das Kreuz Christi ist«.2 Für Mussolini, dessen Regime lange ein produktives Verhältnis zum Vatikan unterhalten hatte, wurde Pius XI. zu einem Problem. Es war schon schwer genug, die Italiener – die das deutsche Gerede von einer überlegenen arischen Rasse nicht mochten – für sein Bündnis mit Hitler zu gewinnen, auch ohne dass der Papst ihm Knüppel zwischen die Beine warf. Aber solange Pius XI. lebte, hatte Mussolini schlechte Karten. Tatsächlich waren viele Subalterne im Vatikan entnervt von der Kritik des Papstes an den Nazis, da sie um die privilegierte Stellung der Kirche im faschistischen Italien fürchteten. Unter diesen Prälaten war keiner mächtiger als der vatikanische Staatssekretär Kardinal Eugenio Pacelli, der nur dem Papst selbst unterstand und weithin als dessen wahrscheinlicher Nachfolger galt. Pacelli liebte weder Hitler noch die Nazis. Kurz nachdem dieser 1933 an die Macht gekommen war, hatte Pacelli ein Konkordat mit ihm ausgehandelt, das die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland schützen sollte. Die Übereinkunft war ein großer Triumph für Hitler, dessen Aufstieg zur Macht von anderen Staatsführern mit Skepsis und Unruhe beobachtet worden war, weshalb sie ihr Bestes gaben, um ihn zu isolieren. Nun konnte sein neues Regime sich brüsten, vom Papst selbst anerkannt zu sein. Für den Vatikan erwies sich das Konkordat bestenfalls als flüchtiger Triumph. Dass Hitler sich nicht daran hielt, wurde bald klar, als er methodisch den Einfluss der Kirche einschränkte. Obwohl dieses Resultat Pacelli in Verlegenheit brachte, glaubte er, eine ablehnende Haltung gegenüber Hitler werde die Dinge nur schlimmer machen. Außerdem sah er Deutschland als stärkstes Bollwerk in Europa gegen den seiner Meinung nach größten Feind der Kirche, den Kommunismus. Statt sich Mussolini zum Feind zu machen, indem man seinen Pakt mit Hitler verurteilte, wollte der Kardinal ihn lieber zufriedenstellen und seine enge Bindung an Hitler nutzen, um diesen von einem Friedensschluss mit der Kirche zu überzeugen.3 Während sich die Prälaten um Pius XI . sorgten, wohin der Eifer des Papstes, mit dem Nationalsozialismus ins Gericht zu gehen, noch führen werde, beunruhigten Mussolini die Berichte seines Botschafters beim Heiligen Stuhl und seiner vielen Spione im Vatikan. Ende 1938 erfuhr der Diktator, dass der Papst heimlich an einer Enzyklika arbeitete, einem Rund28

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Das falsche Kreuz

schreiben an die Katholiken auf der ganzen Welt, das sich gegen Rassismus und Antisemitismus wenden werde. Noch alarmierender waren Berichte, wonach Pius XI. beabsichtigte, in seiner kommenden Rede vor allen Bischöfen Italiens die Nähe des Duces zu Nazideutschland zu verurteilen. Für den Duce konnte der Tod Pius’ XI. gar nicht schnell genug kommen.

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Teil I

Kriegswolken

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Kapitel 1

Tod eines Papstes

E

ugenio Pacelli saß auf einem Stuhl neben dem einfachen Messingbett und sah, wie der früher so robuste Papst mit eingesunkenem Gesicht unter der Sauerstoffmaske schwer atmete. Es war mitten in der Nacht, und obwohl Kardinal Pacelli, der vatikanische Staatssekretär, an wenig Schlaf gewöhnt war, beschloss er, sich in seine zwei Stockwerke tiefer gelegene Wohnung im gewaltigen Papstpalast zurückzuziehen, um etwas auszuruhen. Um vier Uhr wurde er mit der Nachricht geweckt, der Zustand des Papstes habe sich verschlechtert, und er eilte zurück in dessen bescheidenes Schlafzimmer. Das bleiche Gesicht Pius’ XI. war schweißüberströmt, während er nach Atem rang. Der Kardinal kniete nieder und bat den sterbenden Papst um seinen Segen.1 Es war der frühe Morgen des 10. Februar 1939. Für Pacelli, den der Papst zum Kardinal gemacht und auf den mächtigsten Posten der katholischen Kirche nach dem des Pontifex selbst berufen hatte, war es eine traurige Szene. Doch es gab viel zu tun, denn der Papst hatte Pacelli auch zum ca­ merlengo (Kardinalkämmerer) ernannt, und als solcher hatte er jetzt sicherzustellen, dass alles geregelt vor sich ging, bis die Kardinäle einen Nachfolger wählen konnten.2 Pacellis Verhältnis zum Papst war eng, aber nicht besonders herzlich gewesen. Ihre Charaktere hätten kaum unterschiedlicher sein können, und vielleicht war das ein Grund, warum Pius XI . ihn so schätzte. Der aufbrausende Papst, der gern aussprach, was er dachte, und dabei häufig die Meinungen anderer zu ignorieren schien, brauchte den sehr disziplinierten, diplomatischen Pacelli, um die Wogen wieder zu glätten, die er selbst in Aufruhr versetzt hatte.

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Teil I Kriegswolken

Der vatikanische Staatssekretär befand sich in einer Mittlerposition. Nicht nur Hitlers und Mussolinis Botschafter beklagten sich bei ihm über Pius XI. und suchten seine Hilfe, sondern auch viele hohe Geistliche, die sich sorgten, der Papst könne im Alter leichtsinnig werden. Im Einklang mit seiner Stellung und seinen Gelübden führte der Kardinal die Anweisungen des Papstes zwar aus, doch er fand Wege, dessen beißendere Bemerkungen über das italienische und das deutsche Regime zu entschärfen.3 Pacelli war ein geschickter Diplomat, und trotz einer gewissen angeborenen Schüchternheit reiste er um die Welt wie noch kein Staatssekretär vor ihm. Auf seinen Reisen traf er sich nicht nur mit Kirchenführern, sondern auch gern mit mächtigen Politikern. Im Herbst 1936 besuchte er als erster vatikanischer Staatssekretär überhaupt die USA und bereiste das Land zwei Monate lang, wobei er Ehrendoktortitel mehrerer katholischer Universitäten erhielt, viele Tausend Kilometer umherflog und auch mit dem Präsidenten zusammentraf. Im folgenden Jahr war der Kardinal Ehrengast bei der Weihe einer neuen Basilica minor in Frankreich und machte einen Abstecher, um mit dem französischen Präsidenten und dem Premierminister zu sprechen. Wenige Wochen nach Hitlers Rombesuch im Mai 1938 verließ Pacelli Italien erneut, diesmal um auf dem Eucharistischen Weltkongress in Budapest zu sprechen. Seine Botschaft war überall dieselbe: Die Welt befand sich in einer Krise. Sie hatte sich vom Kreuz Christi abgewandt. Nur durch die Rückkehr in den Schoß der Kirche konnte sie gerettet werden.4 Während Pius XI. dazu neigte, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen und die Stimme zu erheben, um jene Botschafter abzukanzeln, deren Länder sein Missfallen erregt hatten, versuchte Pacelli ausländische Diplomaten zu gewinnen, indem er das Gemeinsame betonte. Wenn er es für nötig hielt, Beschwerden zu äußern, tat er es auf eine Art, die andeutete, dass es ihn selber bedrückte. Die Beziehungen zwischen Pius XI. und Hitler hatten 1933 vielversprechend begonnen. Tatsächlich setzte der Papst zunächst einige Hoffnungen in ihn, beeindruckt von seinen streng antikommu­ nistischen Ansichten. Pacelli, der zwölf Jahre als päpstlicher Nuntius in Deutschland verbracht hatte und das Land gut kannte, bemerkte damals, Hitler sei zwar offensichtlich ein begabter Agitator, aber es bleibe abzuwarten, ob er auch ein »Mann der Regierung« sei. 34

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Tod eines Papstes

Dem neuen Reichskanzler wiederum war sehr daran gelegen, dass die Kirche ihre Unterstützung für die katholische Zentrumspartei aufgab, die größte nichtmarxistische Partei, die seiner Diktatur im Weg stand. Er machte eine Reihe versöhnlicher Gesten und versprach, den Religionsunterricht zu schützen und der katholischen Kirche eine privilegierte Stellung in der deutschen Gesellschaft zu geben. Durch diese Zusicherungen brachte er die deutschen Bischöfe hinter sich, und die Zentrumspartei hatte das Nachsehen. Die Übereinkunft wurde nur wenige Monate nach Hitlers Regierungsantritt durch die Unterzeichnung eines neuen Konkordats zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl besiegelt. Das verlieh Hitlers Glaubwürdigkeit gewaltigen Auftrieb, nicht nur im Inland, sondern auch international, wie der päpstliche Nuntius in Berlin wenige Jahre später im Gespräch mit dem deutschen Außenamtsstaatssekretär Ernst von Weizsäcker hervorhob: »Es scheint mir kaum möglich, dass Signor Hitler vergessen hat, wie der Heilige Stuhl nur wenige Monate, nachdem er an die Macht kam, im Inland wie im Ausland von Misstrauen und Feindschaft umgeben, ihm die Hand reichte und mit seiner großen geistlichen Autorität dazu beitrug, das Vertrauen in ihn und sein Prestige zu stärken.« Es war typisch für Mussolini, sich selbst mit dem Verdienst zu schmücken: Schließlich habe Hitler von ihm das erfolgreiche »Rezept« erhalten, wie man sich beim Vatikan beliebt mache.5 Hitler hatte den Duce lange als Vorbild angesehen. Bei einer Kundgebung in München im Jahr 1922, als Hitler noch mit vielen anderen Extremisten um Aufmerksamkeit im politischen Leben Deutschlands konkurrierte, wurde er nur wenige Tage, nachdem Mussolini italienischer Ministerpräsident geworden war, als »Deutschlands Mussolini« vorgestellt. »Dies ist der symbolische Moment, als Hitlers Anhänger den Führerkult erfanden«, bemerkt der britische Hitlerbiograf Ian Kershaw. Während Hitler in den nächsten Jahren den eigenen Aufstieg zur Macht plante, stand eine Mussolini-Büste in seinem Büro. »Männer wie Mussolini werden nur alle 1000 Jahre geboren«, sagte er nach der ersten Begegnung mit dem Duce 1934. Auf Drängen des Papstes benutzte Mussolini das Treffen in Venedig dazu, Hitler den Rat zu geben, es sei das Beste, die katholische Kirche zufriedenzustellen.6

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Teil I Kriegswolken

Nach dem Treffen berichtete Mussolini Pius XI. von der Unterredung mit Hitler. Dabei hielt er es für ratsam, nichts von »all den idiotischen Sachen« zu erwähnen, »die Hitler über Jesus Christus als Juden usw. sagte«, wie er seinem Botschafter beim Heiligen Stuhl anvertraute. Wichtig war schließlich vor allem, dass Hitler am Ende ihres Gesprächs klargemacht hatte, er wolle keinen Religionskrieg. Es war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass der Papst und Kardinal Pacelli den Duce baten, für sie mit Hitler zu sprechen.7 Die Hoffnungen Pius’ XI. auf den deutschen Diktator waren nicht von langer Dauer. Bald begann das NS-Regime, katholische Pfarrschulen durch staatliche Schulen zu ersetzen, katholische Jugendgruppen abzuschaffen und die kirchlichen Aktivitäten auf das rein Sakramentale zu beschränken. »Der Papst hegt eine starke persönliche Abneigung gegen Hitler«, berichtete ein Polizeispitzel im Vatikan Ende 1934. »Ohne Pacelli, der die Lage auszugleichen versucht, wäre das Staatssekretariat ihm gegenüber noch ablehnender.«8 Auch Pacelli verlor 1935 die Geduld mit Hitler, als dieser Schauprozesse gegen zahlreiche katholische Geistliche anstrengte, in denen ihnen verschiedene sexuelle und finanzielle Vergehen vorgeworfen wurden. Die deutschen Bischöfe forderten den Papst zum Handeln auf und schlugen vor, er solle mit einer Enzyklika gegen Hitlers Bruch des Konkordats protestieren. Obwohl Kardinal Pacelli aus Furcht, sich den deutschen Diktator zum Feind zu machen, von so öffentlichem Protest abriet, ließ Pius XI. sich nicht davon abbringen. Am 21. März 1937, dem Palmsonntag, verlasen Bischöfe und Priester im ganzen Reich die Enzyklika Mit brennender Sorge vor ihren Gemeinden. Das war eine schockierende Entwicklung in einem Land, wo jede Kritik am NS-Regime brutale Konsequenzen riskierte. Wie vorauszusehen, war Hitler außer sich vor Wut, nicht nur über die Attacke des Papstes, sondern auch darüber, dass es diesem gelungen war, den Text heimlich in den Kirchen in ganz Deutschland verteilen und dann verlesen zu lassen. Hitlers Besetzung von Österreich im März 1938 und dessen Anschluss an das Deutsche Reich waren für Mussolini peinlich gewesen, denn er hatte Österreich als eine Art italienisches Protektorat betrachtet, einen Puffer zwischen Italien und dem mächtigen deutschen Staat. Schlimmer noch: 36

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Der Führer hatte ihn erst wenige Stunden vor dem Einmarsch informiert. Am nächsten Tag zog Hitler triumphal in Wien ein, während auf Anordnung des Erzbischofs die Kirchenglocken läuteten. Da nun weitere Millionen Katholiken unter Hitlers Herrschaft lebten, suchten der Papst und sein Staatssekretär umso dringender die Hilfe Mussolinis. Fünf Tage nach Hitlers Einzug in Wien schrieb Kardinal Pacelli an Mussolini und dankte ihm »für Ihr besänftigendes Handeln gegenüber Signor Hitler, dem Kanzler des Deutschen Reichs, und für Ihre Intervention gegen die Fortsetzung der Politik religiöser Verfolgung in Deutschland«.9 Hitlers Respekt für Mussolini war weiter gewachsen, als der Duce kurz nach Hitlers Italienbesuch im Frühjahr 1938 seine neue »Rassenpolitik« verkündete. Mussolini führte bald die ersten antijüdischen Rassengesetze in Italien ein, die sehr denen ähnelten, die Hitler drei Jahre zuvor in Deutschland erlassen hatte. »Durch Italiens neue Politik in Bezug auf das Judenproblem ist der Geist der Achse vollständig«, lobte Hitler.10 Am 30. Januar 1939, dem sechsten Jahrestag seines Machtantritts, hielt Hitler eine große Rede vor dem Reichstag. Er sprach achtzig Minuten lang im dicht besetzten Saal mit lauter, scharfer Stimme und flocht auch einige ironische Randbemerkungen ein. Inhaltlich beschritt er vertraute Pfade, indem er die Triumphe bejubelte, die im letzten Jahr bei der Vergrößerung des Reichs durch den Anschluss des Sudetenlands und ganz Österreichs erzielt worden waren, und mit dem unbedingten Rückhalt prahlte, den das NS-Regime im deutschen Volk genoss. Ausländische Versuche, sich in die Behandlung der Juden im Reich einzumischen, wies er scharf zurück. Es war gerade erst zwei Monate her, dass die Nazis im Pogrom der »Kristallnacht« gegen die deutschen Juden gewütet hatten. Dann wandte Hitler sich der Kirchenfrage zu. Der italienische Botschafter in Berlin war anwesend und berichtete, dass Hitler an dieser Stelle einen leicht defensiven Ton anschlug: »Obwohl er deutlich den ›politischen‹ Klerus verurteilte, bekräftigte er den Wunsch der nationalsozialistischen Regierung, die Kirchen in Frieden zu lassen«, und betonte die hohe finanzielle Förderung, die sie jedes Jahr vom Reich bekamen. Hitler konnte sich aber eine Spitze gegen die katholische Kirche nicht verkneifen und sprach »über die Päderastie und sexuellen Verfehlungen einiger Mitglieder des Klerus«. 37

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Als Hitler sich im letzten Teil seiner Rede der Außenpolitik zuwandte, betonte er die Freundschaft zwischen dem faschistischen Italien und Nazideutschland und pries die Leistungen des Duces. Nach dem Bericht des Botschafters folgte »eine klare, präzise und unzweideutige Bekräftigung, dass im Falle eines Krieges gegen Italien der Aggressor auch gegen Deutschland kämpfen müsse«. Dies »löste eine starke und enthusiastische Reaktion der Abgeordneten und Zuschauer aus«. Obwohl der italienische Botschafter wenig von Hitler hielt, schickte er eine beruhigende Einschätzung nach Rom: Die weit ausgreifende Rede wirkte gut aufgebaut. In der Sache war sie recht gemäßigt, vor allem angesichts dieses Mannes und seiner früheren Reden. Abgesehen von der Judenfrage, bei der er die klare Absicht zeigte, sie ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen, war Hitler nirgends exzessiv. Was die Kirche betrifft, kann man sagen, dass er antiklerikal, aber nicht antireligiös war. … Außer in Verbindung mit einer Verteidigung Italiens sprach der Führer nie vom Krieg, vielmehr mehrere Male vom Frieden.11

Sechs Wochen später marschierten Hitlers Truppen in der Tschechoslowakei ein und besetzten Prag, was weithin Schockwellen durch die Welt sandte. In den wenigen Wochen, die zwischen Hitlers Rede und dem Einmarsch lagen, wurde ein neuer Papst gekrönt. Mussolini war 1922 Premierminister geworden, im selben Jahr wie Pius XI. Papst. Damals hatte der Pontifex den ungehobelten 39-jährigen neuen Regierungschef mit Skepsis betrachtet. Mussolini war zuvor ein radikaler Sozialist und Kirchengegner gewesen und hatte erst kurz vor dem Regierungsantritt seine Unterstützung für die Kirche erklärt. Doch das Verhältnis verbesserte sich dramatisch, und im Lauf der folgenden Jahre schloss Pius XI. eine schicksalhafte Übereinkunft mit dem Diktator, die in den Lateranverträgen von 1929 festgeschrieben wurde. Im Gegenzug zur katholischen Unterstützung für sein Regime willigte Mussolini ein, die Trennung von Kirche und Staat in Italien zu beenden, den Vatikan als souveränen, vom Papst regierten Staat anzuerkennen und der Kirche eine politische Macht zu geben, die sie seit Jahrzehnten nicht gehabt hatte.12 38

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Dabei machte der Papst sich keine Illusionen über Mussolinis religiöse Überzeugungen. Der Begründer des italienischen Faschismus hatte soweit bekannt weder je eine Sonntagsmesse besucht noch das Abendmahl genommen oder andere kirchliche Riten befolgt. Während das den Papst nicht besonders zu stören schien, bereitete ihm in den letzten Jahren Mussolinis wachsende Hybris doch Sorgen. Es schien immer mehr, als betrachte der Duce sich selbst als eine Art Gottheit, deren Interessen die Kirche zu dienen hatte. Am meisten beunruhigte den Papst Mussolinis Schulterschluss mit Hitler, den Pius XI . als Propheten eines Blut-undBoden-Heidentums ansah. Papst und Duce waren auf Kollisionskurs. Zwar hatte Kardinal Pacelli getan, was er konnte, um Pius XI. zu zügeln, wie der deutsche Botschafter im Juli 1937 nach Berlin berichtete, doch »es ist auch dem jetzigen Kardinalstaatssekretär nicht gelungen, den alternden, eigenwilligen und jähzornigen Papst zu einer grösseren Vorsicht und Zurückhaltung in seinen Ansprachen zu bewegen«. Als Mussolini ein Jahr später seine neue »Rassenpolitik« enthüllte, wich der Papst bei einer Audienz vom Text ab und fragte, warum Mussolini meine, die Nazis nachäffen zu müssen, was den dünnhäutigen Diktator in Rage brachte.13 Im Dezember 1938 berichtete der Botschafter des Duces beim Vatikan, die jüngsten Reibereien mit dem faschistischen Regime hätten den Papst deprimiert und zornig gemacht. Wenn er mit den Prälaten seiner engsten Umgebung über Mussolini spreche, lasse er häufig seinen Ärger erkennen. »Der Papst drohte, etwas zu tun, woran Italien sich noch lange erinnern würde«, erinnerte sich der Botschafter. Vielleicht werde der Papst »eine Enzyklika gegen den Faschismus oder sogar eine Verurteilung des Faschismus« veröffentlichen.14 Anfang Januar 1939 erhielt der Botschafter einen bestätigenden Hinweis, dass der Papst sich tatsächlich in einer Enzyklika gegen den Rassismus äußern wollte. Der Botschafter hatte Kardinal Pacelli wie auch dessen Stellvertreter mit der Sache konfrontiert. Sie leugneten, dass irgendetwas Wahres daran sei, aber der Botschafter war nicht überzeugt. »Ohne weitere Untersuchungen kann ich nicht definitiv ausschließen, dass ein Dokument zur Verurteilung der totalitären Staaten vorbereitet wird.«15 39

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Während Pius XI. krank und deprimiert war, fühlte Mussolini sich glänzend. Als er am 5. Januar von einem zweiwöchigen Urlaub zurückkehrte, trug der Diktator beim nachmittäglichen Treffen mit dem amerikanischen Botschafter William Phillips in seinem riesigen Büro im Palazzo Venezia noch seinen Skianzug. Der Raum – nach der gewaltigen Mosaikkarte, die einst eine Wand bedeckt hatte, Saal der Weltkarte genannt – war 20 Meter lang, 17 Meter breit und die Freskendecke 13 Meter hoch. Der Marmorboden war mit komplizierten geometrischen Formen und Bildern eingelegt. Während des ganzen Treffens stand Mussolinis 35 Jahre alter Schwiegersohn und Außenminister Galeazzo Ciano stumm an seiner Seite und wirkte auf Phillips »wie ein überaus disziplinierter Kammerdiener«.16 Der Sohn eines frühen faschistischen Ministers hatte 1930 Mussolinis Lieblingskind, seine eigensinnige Tochter Edda, geheiratet. Zunächst war es schwer, Ciano ernst zu nehmen, Er galt weithin als verwöhnter Sohn der faschistischen Aristokratie und geschützter Ehemann der Tochter des Duces. Als Phillips Ciano zum ersten Mal kurz nach dessen Ernennung zum Außenminister begegnete, war er wenig beeindruckt. Ciano sprach fließend Englisch und war gewiss umgänglich, wie der Botschafter damals an Präsident Roosevelt berichtete, aber auch dicklich, pausbackig und »erstaunlich knabenhaft«, mit pomadisiertem, »auf ­typisch ­italienische Art zurückgekämmtem« Haar. Schlimmer noch, er schien mehr daran interessiert, sich in seinem Golfclub an Frauen heranzumachen, als an ernsthafter Politik.17 Als der US-Botschafter Mussolini in den ersten Tagen des neuen Jahres aufsuchte, fand er ihn in guter Stimmung vor, sah aber Ungemach voraus. Phillips brachte einen Brief von Präsident Roosevelt mit, worin der dem Duce vorschlug, angesichts der Judenverfolgung in Deutschland und anderen Ländern Europas einen jüdischen Staat in Ostafrika zu gründen. Roosevelt dachte dabei an die Plateauregion, deren Norden zur italienischen Kolonie Abessinien (heute Äthiopien) und deren Süden zur britischen Kolonie Kenia gehörte. Zu Phillips’ Überraschung unterbrach der Duce ihn mit der Äußerung seines starken Widerwillens gegen Juden. Er behauptete, es mangele ihnen völlig an Loyalität für die Länder, in denen sie lebten, und bezichtigte sie des Finanzschwindels. Außerdem seien sie 40

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völlig unfähig, sich mit einer anderen »Rasse« zu assimilieren. Es gebe für Juden keinen Platz in Europa, beschied Mussolini dem Amerikaner, und irgendwann würden sie gehen müssen. Er lehnte aber die Idee einer Ansiedlung in Abessinien ab und schlug stattdessen Russland oder Nordamerika vor, wo es noch große, dünn besiedelte Gebiete gebe, die besser geeignet seien.18 Auf derselben Etage im Saal der Tierkreiszeichen – benannt nach dem astronomischen Bild an der himmelblauen Decke – wartete Clara Petacci, die 26-jährige lockige Geliebte des Diktators, fast jeden Nachmittag auf seine Besuche und ihre gemeinsamen Schäferstündchen. Obwohl er viele Geliebte gehabt hatte und auch einige Kinder von ihnen, war es mit Clara anders. Sie war nicht nur viel jünger, sondern er war von ihr geradezu besessen – eine Besessenheit, die sie mehr als erwiderte. Obwohl sie die Oberschule nicht abgeschlossen hatte und wenig von der Welt außerhalb ihrer Ecke Italiens kannte, besaß Clara, die Tochter eines vatikanischen Arztes, eindrucksvolle Energie. Unermüdlich hatte sie die Aufmerksamkeit des Duces gesucht und ihn für sich gewonnen. Unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie zwei Jahre zuvor von einem berühmten Kardinal verheiratet und vom Papst persönlich gesegnet worden war, begann Clara 1936 ihre Affäre mit Mussolini. Bald schon sah sie ihn fast jeden Tag oder telefonierte mit ihm, und ihr Tagebuch der folgenden Jahre hält praktisch jedes Wort fest, das er zu ihr sagte, dazu das unterstrichene Codewort sì für jede Gelegenheit, bei der sie Sex miteinander hatten. Ihre jugendlichen Aktivitäten – Zeichnen, Kleiderentwerfen, Geigenspiel und Gedichteschreiben – rangierten alle erst nach ihrer Hingabe an ihren Geliebten, der vier Monate älter als ihr Vater war. In seiner Residenz Villa Torlonia lebte Mussolini unter den wachsamen Augen seiner Frau Rachele, die seinen Haushalt willensstark lenkte und im Hinterhof Hühner und Schweine hielt. Die Tochter einer armen Bauernfamilie in Mussolinis Heimatstadt war ihrem künftigen Ehemann im Alter von sieben Jahren begegnet. Als im folgenden Jahr ihr Vater starb, nahm Racheles Mutter sie aus der Schule und schickte sie zur Arbeit als Dienstmädchen. 1910 gebar Rachele mit zwanzig Jahren ihre erste Tochter Edda und hielt stets an den antiklerikalen Überzeugungen ihrer Jugend fest, sodass sie nur widerwillig zustimmte, ihre Verbindung mit Benito fünfzehn 41

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Jahre später durch eine kirchliche Trauung segnen zu lassen. Sie hielt nichts von Schönheitssalons und Makeup, besaß nur zwei bescheidene Mäntel, wusch nach dem Essen das Geschirr selbst ab und weigerte sich, zu Empfängen zu gehen; dennoch war sie nach den Worten ihrer ältesten Tochter »der wahre Diktator in der Familie«. Obwohl Mussolini pflichtbewusst jeden Abend nach Hause kam, führte er draußen ein ganz anderes Liebesleben.19 Im Hochgefühl der Eroberung Abessiniens 1936 und seiner Proklamation, nach zwei Jahrtausenden habe Rom wieder ein Imperium, sah Mussolini sich zunehmend als unfehlbar an und träumte von immer größeren Eroberungen. »Marschiert zum Ozean«, forderte er den Faschistischen Großrat bei dessen Sitzung Anfang Februar 1939 auf: »Italien muss aus dem Gefängnis des Mittelmeers entkommen.« Da er wie Hitler zu eitel war, sich mit Lesebrille zu zeigen, ließ auch er sich seine Reden auf einer besonderen Schreibmaschine schreiben, deren Typen dreimal so groß wie normal waren. Vielleicht spürte er die Beunruhigung, die seine Bemerkung unter einigen faschistischen Bonzen auslöste – also fügte er hinzu, er plane im Moment keine militärische Aktion.20 Mussolini hatte sich in Gesellschaft von Priestern nie wohlgefühlt, und obwohl er den Vorteil erkannt hatte, den die Unterstützung des Vatikans in einem überwiegend katholischen Italien darstellte, beklagte er sich bitterlich über die jüngsten spitzen Bemerkungen des Papstes. Es würde nicht leicht sein, die Italiener vom Schulterschluss mit dem Dritten Reich zu überzeugen. Die Geschichte der italienischen Zurückhaltung gegenüber den Deutschen war lang, und die Gegnerschaft beider Nationen im Ersten Weltkrieg war auch nicht gerade hilfreich. Ebenso wenig behagte den meisten Italienern die nationalsozialistische Ideologie einer arischen Überlegenheit. Mussolini konnte es sich nicht leisten, dass die Kirche gegen seine Pläne opponierte. Das Trommelfeuer der Kritik an Deutschland, das die Seiten der vatikanischen Tageszeitung in den ersten Wochen des Jahres 1939 verbreiteten, erzürnte Mussolini. Ein typischer Artikel des Osservatore Romano berichtete etwa über die Schließung von 180 katholischen Schulen in einer bestimmten Region und zählte weitere Teile des Reichs auf, in denen es 42

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nun keine katholischen Schulen mehr gab, darunter ganz Österreich. Ein noch schärferer Artikel, der Anfang Februar auf der Titelseite erschien, beklagte das Bestreben des NS-Regimes, den Einfluss der Kirche zu untergraben. »Sie wollen das katholische Leben verhindern und ausbluten lassen, und noch mehr wollen sie die katholische Kirche zerstören … und sogar das Christentum selbst ausrotten, um einen Glauben einzuführen, der absolut nichts mit dem … christlichen Glauben zu tun hat.« Obwohl der Vatikan die Fiktion aufrechtzuerhalten suchte, der Osservatore Romano sei nicht seine offizielle Stimme, nahmen das nur wenige ernst. In Wirklichkeit stand das Blatt unter strenger Aufsicht des Staatssekretariats und des Papstes persönlich.21 Am 22. Januar begab sich Bonifacio Pignatti, Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl, in den Papstpalast, um Beschwerde einzulegen. In seinem Bericht über den Vorgang drückte Pignatti die Befürchtung aus, die vatikanischen Attacken auf Deutschland könnten die Begeisterung der Italiener für ihr eigenes faschistisches Regime schwächen. Das Problem liege allein beim Papst, denn »kein Prälat, egal wie hoch er steht, wagt es, dem Pontifex zu widersprechen«. »Wie ich schon mehrfach geschrieben habe«, fuhr Pignatti fort, »wird nur ein neuer Pontifikat fähig sein, eine andere, versöhnlichere Position in der Rassenfrage einzunehmen.« Auch die Geistlichen im Umfeld des Papstes sorgten sich zunehmend, wohin dessen Ausbrüche noch führen könnten. »Der Heilige Vater ist immer sehr gereizt«, notierte damals Monsignore Tardini, Pacellis Vertreter im Staatssekretariat. »Er wiederholte mir gegenüber erneut, dass Mussolini ein farceur (Clown) sei. ›Er ist mir gegenüber grob und doppelzüngig gewesen.‹ Und er fügt hinzu: ›Ich sage das zu vielen Leuten, damit er es auch erfährt.‹« Tardini war mit seiner Weisheit am Ende. »Und leider stimmt das. Der Papst sagt es wirklich zu vielen Leuten. Ciano sagt dem Nuntius, dass der Papst … zu viel redet.«22 Im Gegensatz zu vielen anderen Gerüchten, die im Vatikan umgingen, beruhte das Gerede, Pius XI. bereite heimlich eine Enzyklika gegen den Rassismus und Antisemitismus der Nazis vor, auf Tatsachen. Nach Hitlers Rombesuch im vorigen Frühjahr hatte der Papst beschlossen, eine solche offizielle päpstliche Verlautbarung sei nötig. Er befürchtete aber, Kardinal Pacelli und die anderen hochrangigen Prälaten im Vatikan könnten ihn 43

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davon abbringen, weshalb er sich an einen Außenseiter wandte, den amerikanischen Jesuiten John LaFarge, um die Enzyklika zu entwerfen. LaFarge, der für seinen Einsatz gegen den Rassismus in den USA bekannt war, hatte den Text im September an seinen Ordensgeneral geschickt – in dem Glauben, dieser werde ihn binnen weniger Tage an den Papst weitergeben. Stattdessen tat Wladimir Ledóchowski, ein scharfer Antisemit, was er konnte, um die Sache zu sabotieren. Der Entwurf der Enzyklika gelangte erst Mitte Januar auf den Schreibtisch Pius’ XI., zusammen mit einem Anschreiben des Jesuitengenerals, der ihn drängte, das Projekt aufzugeben.23 Der Papst plante noch einen weiteren Schlag gegen Italiens Bündnis mit Nazideutschland. Er hatte die über 300 italienischen Bischöfe zur Zehnjahresfeier der Lateranverträge am 11. Februar 1939 nach Rom eingeladen. Dort wollte er ihnen im Petersdom seine vielleicht letzte Botschaft mitteilen. Das war es, was Pius XI. im Sinn hatte, wenn er drohte, etwas zu sagen, woran man sich lange erinnern werde, und das war es auch, was Mussolini so nervös gemacht hatte. Der Papst betete, Gott möge ihn lange genug leben lassen, um seine Botschaft vor den Bischöfen und der Welt zu verkünden, aber er war so schwach geworden, dass er ab dem 6. Februar im Bett liegen musste. Außer seinen Ärzten durfte nur Kardinal Pacelli ihn sehen. Unter der Anspannung des sich verschlechternden Gesundheitszustandes und der wachsenden Gereiztheit des Papstes wirkte auch Pacelli mitgenommen. Der Kardinal drängte den kranken Papst, die Feier des Jahrestags zu verschieben, aber Pius lehnte ab. Da er Sorge trug, seine Stimme könne im gewaltigen Petersdom zu schwach sein, um gehört zu werden, wies er die vatikanische Druckerei an, seinen Text für alle Bischöfe zu vervielfältigen.24 »Der Papst ist gestorben«, hielt Galeazzo Ciano, Mussolinis Schwiegersohn und Außenminister, am 10. Februar in seinem Tagebuch fest. »Die Neuigkeit läßt den Duce vollkommen gleichgültig.« Mussolini machte sich bei der Nachricht vom Tod des Papstes nicht einmal die Mühe, ein breites Grinsen zu unterdrücken. »Endlich ist er weg!«, sagte er zu seinem Sohn Bruno. »Der sture alte Mann ist tot.« Der Tod konnte zu keinem günstigeren Zeitpunkt für den Duce kommen, denn es war der Tag vor der geplanten Ansprache des Papstes, die Mussolini so gefürchtet hatte. Tatsäch44

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lich hegten manche später den Verdacht, er habe einen Weg gefunden, den Tod Pius’ XI. zu beschleunigen.25 Während der Duce sich insgeheim freute, war die offizielle Reaktion der Regierung überaus respektvoll, denn das Bild des zutiefst katholischen faschistischen Staats musste aufrechterhalten werden. Die für diesen Tag anberaumte Sitzung des Faschistischen Großrats wurde als Zeichen des Respekts vertagt und eine Erklärung veröffentlicht, die auf der Titelseite des Osservatore Romano besondere Erwähnung fand: Der Faschistische Großrat zollt dem Andenken von Papst Pius XI . ehrerbietigen Tribut, der die Versöhnung zwischen der Kirche und dem italienischen Staat anstrebte, ein großes Ereignis, das nach 60 Jahren fruchtloser Versuche die römische Frage mit den Lateranverträgen löste und durch das Konkordat die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche schuf, um die faschistische und katholische Einheit des italienischen Volkes zu wahren.26

Die faschistische Presse widmete dem verstorbenen Pontifex unzählige ehrerbietige Artikel. Selbst Il Regime Fascista, die kirchenfeindlichste aller großen faschistischen Zeitungen, füllte viele Seiten mit seinem Lob. Ihr Leitartikel schloss: »Während außerhalb Italiens die verbündeten Kräfte des Bolschewismus, Judaismus und Freimaurertums – die Feinde von Religion, Jesus, italienischer Stärke und Weltfrieden – daran arbeiten, einen Krieg zu provozieren, drückt Italiens katholisches und faschistisches Volk seine Trauer über den Tod des großen Papstes der Versöhnung und des Friedens aus.«27 Außenminister Ciano wies die italienischen Botschafter im Ausland an, die Fahnen auf Halbmast zu setzen. Er selbst begab sich abends in die Sixtinische Kapelle, wo Kardinal Pacelli ihn erwartete. Als sie zu Füßen des mächtigen Katafalks standen, auf dem der Papst aufgebahrt war, ergriff Pacelli die Gelegenheit, mit Mussolinis Schwiegersohn über das Verhältnis von Kirche und Staat zu sprechen, woraus Ciano schloss, dass sich nach dem Tod von Pius XI. das Bündnis von Faschismus und Kirche verstärken werde. Die beiden Männer knieten nebeneinander, fast Schulter an Schulter, vor dem Leichnam nieder, während die Menge aus Prälaten und Adligen zusah. Ein Fotograf der vatikanischen Zeitung hielt fest, wie Mussoli45

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Galeazzo Ciano und Kardinal Eugenio Pacelli im Gebet vor dem Leichnam Pius’ XI. in der Sixtinischen Kapelle, 10. Februar 1939.

nis dicklicher Schwiegersohn in seinem bestickten Ministerrock, das pomadisierte dunkle Haar zurückgekämmt, die Hände vor dem Gesicht zum Gebet faltete. Neben ihm tat der magere, bebrillte und kahl werdende 62-jährige Pacelli in seinem Priesterrock und langen roten Cape dasselbe.28 An diesem Wochenende kamen die Kardinäle und Bischöfe Italiens nach Rom, um den Papst zu betrauern, anstatt seine Ansprache gegen den Rassismus und die Allianz Italiens mit Nazideutschland zu hören. Mussolini wollte zunächst nicht an den Begräbnisfeierlichkeiten teilnehmen, aber sein Schwiegersohn argumentierte, seine Abwesenheit könne ihrer Sache beim bevorstehenden Konklave schaden. Der Vatikan erwarte von ihm eine Geste des Respekts. »Der Duce ist gegen die Kirche feindlich eingestellt«, notierte Ciano. Schließlich stimmte Mussolini zu, einer der für die folgende Woche angesetzten Begräbniszeremonien beizuwohnen.29 Zwei Tage nach dem Tod Pius’ XI. wies Mussolini, der sich noch immer Sorgen um die Rede machte, die der Papst vor den Bischöfen hatte halten wollen, seinen Botschafter im Vatikan an, herauszufinden, ob noch Exem46

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plare davon vorhanden seien. Der Botschafter ging am nächsten Morgen zu Kardinal Pacelli, der ihm bestätigte, dass Hunderte Exemplare gedruckt worden waren. Der Botschafter hielt es für keine gute Idee, die letzte Botschaft des toten Papstes zu verteilen. Pacelli stimmte dem zu und befahl der vatikanischen Druckerei, alle Exemplare zu vernichten. Der Vizedirektor der Druckerei versicherte dem Kardinal, er werde persönlich dafür Sorge tragen, dass »kein Komma« von der Rede, an der Pius XI. in den letzten Tagen seines Lebens gearbeitet hatte, erhalten bleibe.30

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Kapitel 2

Das Konklave

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ine Woche nach dem Tod des Papstes trafen sich Mussolinis und Hitlers Botschafter beim Heiligen Stuhl, um eine gemeinsame Strategie zu planen. Bonifacio Pignatti, der 61-jährige italienische Botschafter, war ein erfahrener Diplomat und ein Mann, der im Vatikan als guter, praktizierender Katholik galt. Er wollte tun, was er konnte, um sicherzustellen, dass der neue Papst dem faschistischen Regime genehm sein würde.1 Sein deutscher Kollege Diego von Bergen war seit Hitlers Amtsantritt damit betraut, die Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Dritten Reich zu verbessern. Bergen hatte bereits mit Kardinal Pacelli gesprochen, der Hitler mitteilen ließ, er hoffe, dass nun wieder harmonische Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl einkehrten. Sollte das Konklave Pacelli wählen, sagte Bergen, wolle der alles in seiner Macht Stehende tun, um eine Übereinkunft mit Deutschland zu erreichen – und er werde höchstwahrscheinlich Erfolg haben.2 Als der Tag des Konklaves näherrückte, setzten die beiden Botschafter bei den Kardinälen ihre Lobbyarbeit zugunsten von Pacelli fort. Der italienische Botschafter schickte seinen Stellvertreter zu einem Treffen mit Fritz Menshausen, dem zweiten Mann in der deutschen Botschaft. Menshausen »bestand wiederholt auf der Kandidatur Pacellis als Papst«, berichtete der italienische Botschafter. »Das wäre die beste Lösung für Deutschland und würde vielleicht eine Entspannung im Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich erlauben.« Der Botschafter hielt es für wahrscheinlich, dass die deutschen Kardinäle Pacellis Wahl unterstützten. Wenn sich auch die Franzosen für ihn entschieden, würden sich wohl die übrigen ausländischen Kardinäle anschließen. Weniger klar war, was die italienischen Kardinäle – die im Kardinalskollegium die Mehrheit stellten – tun würden: 48

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»Sie werfen dem Kardinalkämmerer [Pacelli] einen schwachen Charakter vor, der sich zu leicht äußerem Druck beugt.« Der italienische Botschafter fügte hinzu, seiner Meinung nach seien das »wohlbegründete Sorgen«.3 Am nächsten Tag, 48 Stunden vor Beginn des Konklaves, kamen die beiden Botschafter erneut zusammen, um sich abzusprechen. Bergen berichtete von seinen Treffen mit den deutschen Kardinälen, die ihm versichert hätten, eine »versöhnliche« Haltung einzunehmen. Einer von ihnen habe sich dreimal mit Pacelli getroffen, der sowohl seinen Wunsch bekundet habe, Frieden zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich herzustellen, als auch sein Interesse daran, Papst zu werden. »Mir scheint jetzt klar, dass das Hindernis für seine Wahl von den italienischen Kardinälen kommen wird, unter denen er nicht viel Sympathie genießt«, berichtete Pignatti.4 In den Tagen vor dem Konklave war Kardinal Pacelli auch mit dem französischen Kardinal Alfred Baudrillart zusammengetroffen. Nach einem Moment des Zögerns sprach Pacelli offen über seine Chancen. »Letzten Endes wird er ein Versöhner sein«, schrieb Baudrillart in sein Tagebuch. Der einzige unter den französischen Kardinälen, der sich sperrte, war der

Kardinal Pacelli sitzt der Camera Apostolica vor, Februar 1939.

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jüngste, der 54-jährige Eugène Tisserant, der einzige offen antifaschistische Kardinal in der Kurie und der einzige Nichtitaliener in der zentralen Verwaltung der katholischen Kirche. Pacelli habe gewiss seine Meriten, erklärte der gedrungene Kardinal mit dem buschigen Bart dem französischen Botschafter, denn er sei ein kultivierter Mann mit großen diplomatischen Fähigkeiten, aber er sei zu schwach, zu leicht einzuschüchtern. Tisserant, den der Botschafter »ein wenig das enfant terrible unter unseren Kardinälen« nannte, »der sie mit seinen Witzeleien und abrupten Äußerungen seiner entschiedenen Meinungen ermüdet«, schien eine »persönliche Antipathie gegen den früheren Staatssekretär« zu haben.5 In der Vergangenheit waren Konklave binnen weniger Tage nach dem Tod eines Papstes abgehalten worden, weshalb die nichtitalienischen Kardinäle oft zu spät eintrafen, um ihre Stimmen abzugeben. Um das zu vermeiden, vergingen diesmal über zweieinhalb Wochen zwischen dem Tod Pius’ XI. und dem Zusammentritt des Konklaves am 1. März. Nicht alle waren über diesen Zeitverzug glücklich, sondern manch einer fühlte sich abgestoßen von dem endlosen Strippenziehen, das sich nicht zuletzt in halb geheimen Gesprächen zwischen ausländischen Diplomaten und den Kardinälen aus ihren Ländern abspielte. »Man sollte die Kardinäle einsperren, sobald sie kommen, und sie von morgens bis abends den Rosenkranz beten lassen«, witzelte der päpstliche Nuntius in Lissabon.6 Die Eröffnungszeremonien begannen mit einer Morgenmesse in der Capella Paolina im Papstpalast. In dem hohen freskengeschmückten Raum, der auch zwei Meisterwerke Michelangelos birgt, verlas der Sekretär für Latein, der normalerweise dafür zuständig war, die lateinische Korrespondenz des Papstes vorzubereiten, mit monotoner Stimme eine scheinbar endlose Predigt. Am Nachmittag zogen die Kardinäle, jeder von einem römischen Adligen eskortiert, in die Sixtinische Kapelle ein. Dort waren entlang der Längswände unter den berühmten Fresken 62 Tischchen mit Baldachinen aufgestellt. Kardinal William O’Connell aus Boston eilte erst in letzter Minute herein. Auf jedem Tischchen befanden sich ein Tintenfass, ein Federhalter, leere Wahlzettel, ein Stück rotes Wachs, Streichhölzer und ein Kerzenleuchter.7 50

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Das Konklave

Die Stimmabgabe begann am nächsten Morgen. Für die Wahl zum Papst war eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Im ersten Wahlgang erhielt Kardinal Pacelli 32 Stimmen, gefolgt von Elia Dalla Costa, dem Erzbischof von Florenz, mit neun und Luigi Maglione, ehemals Nuntius in Frankreich, mit sieben Stimmen. Pacelli hatte die Unterstützung der großen Mehrheit der Nichtitaliener gewinnen können, aber nur die einer Minderheit seiner Landsleute. Der französische Botschafter hatte spekuliert, wenn Pacelli die nötigen zwei Drittel nicht in einem der beiden ersten Wahlgänge erhalte, werde er seine Kandidatur zurückziehen und am Ende ein anderer Kardinal das Rennen machen. Als die Stimmzettel nach dem zweiten Wahlgang geöffnet und laut verlesen wurden, fiel Pacellis Name vierzigmal. Immer noch fehlten ihm zwei Stimmen. Entgegen der Annahme des Botschafters war Pacelli nun aber dem Ziel zu nahe, um sich zurückzuziehen. Am selben Nachmittag um 17 Uhr schrieben im dritten Wahlgang 48 Kardinäle Pacellis Namen auf ihre Stimmzettel. Traditionsgemäß trat nun der Kardinalprotodiakon vor Pacelli und fragte ihn, ob er die Wahl annehme. Seine Zusage war laut Kardinal Baudrillart »ernsthaft, würdevoll und fromm, aber von einem Mann, der nicht so tun konnte, als wolle er das ablehnen, was er so lange gewollt hat«. Draußen auf dem Petersplatz sah die immer größer werdende Menschenmenge, wie weißer Rauch aus dem Schornstein des Papstpalastes aufstieg. Aufgeregte Rufe »Il papa è fatto!« (Der Papst ist gemacht!) ertönten. Eine halbe Stunde später traten der Kardinalprotodiakon und seine schwarz gewandeten Begleiter auf den die ganze Piazza überschauenden Balkon über dem Eingangsportal des Doms. Mit lauter, durch Lautsprecher noch verstärkter Stimme sprach er die traditionellen Worte »Habemus papam«. Er verkündete auf Latein, dass die Kardinäle Eugenio Pacelli gewählt hatten und dieser den Namen Pius XII. angenommen habe. Dann trat die große, dünne, nun in Weiß gekleidete Gestalt hinter einem Prälaten, der ein großes Kreuz trug, auf den Balkon, umdrängt von weiteren Kardinälen und Schweizergardisten. Zehntausende Gläubige auf dem Petersplatz fielen aufs Knie, als der neue Pontifex den Arm hob, um sie zu segnen.8 Als der neue Papst gewählt wurde, hatten die dienende Rolle, die er gegenüber Pius XI. gespielt hatte, und sein versöhnlicher Stil viele dazu gebracht, 51

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ihn als schwach anzusehen. Einige Jahre zuvor hatte der spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl bemerkt: »Pacelli stellt kein wirkliches Gegengewicht zu Pius XI . dar, da ihm ein eigener Wille und Charakter völlig fehlen. Er verfügt nicht einmal über einen besonders hervorragenden Geist.« Der Geschäftsträger der britischen Gesandtschaft bezeichnete den Kardinal zwar als »guten Menschen, frommen Menschen, nicht ohne Intelligenz, doch im Wesentlichen hier, um zu gehorchen«. Ähnlich äußerte sich der betagte französische Kardinal Baudrillart, der 1938 in seinem Tagebuch notierte: »Trotz all seiner herausragenden Qualitäten scheint Pacelli weder eine sehr starke Intelligenz noch einen sehr starken Willen zu besitzen.«9 Da er die letzten neun Jahre als Staatssekretär fungiert hatte, wurde Pacelli stark mit seinem päpstlichen Vorgänger identifiziert, doch beider Hintergrund und Persönlichkeit waren sehr verschieden. Pius XI. kam aus einer bescheidenen norditalienischen Familie, sein Vater war Manager einer Textilfabrik gewesen. Pacelli entstammte der sogenannten schwarzen Aristokratie, also den römischen Eliten, die sich eng mit den Päpsten identifizierten, seitdem diese den Kirchenstaat als Papstkönige regierten. Sein Großvater väterlicherseits war 1848 mit Pius IX. geflohen, als diesen eine Revolution in Rom ins Exil trieb, und hatte bei der Rückkehr der Päpste an der Gründung der vatikanischen Tageszeitung L’Osservatore Romano mitgewirkt. Pacellis Vater, ranghoher vatikanischer Anwalt, hatte als konservativer katholischer Abgeordneter zwei Jahrzehnte lang im Stadtrat von Rom gesessen. Der 1876 in Rom geborene Eugenio war ein zartes Kind mit Brille und spielte lieber auf der Geige als mit anderen Kindern. Nach seiner Ausbildung im römischen Priesterseminar erhielt er wegen seiner Begabung, aber auch dank der Beziehungen seiner Familie einen Posten im vatikanischen Staatssekretariat. Dort stieg er schnell auf und wurde 1911 Unterstaatssekretär. 1917 weihte Papst Benedikt XV. ihn in der Sixtinischen Kapelle zum Bischof. Wenige Tage später bestieg der 41-jährige frisch gekürte Bischof einen Zug nach München, um sein Amt als päpstlicher Nuntius in Bayern anzutreten. Es war das erste Mal, dass er für längere Zeit das Elternhaus verließ. 52

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In München trat eine Frau in sein Leben, wenn auch auf wenig romantische Weise: Die 23-jährige deutsche Nonne Pascalina Lehnert, das siebte von zwölf Kindern eines bayerischen Briefträgers, führte ihm von nun an den Haushalt. Von Anfang an bis in spätere Jahre, als Pacelli sie mit nach Rom nahm, um seinen vatikanischen Haushalt zu führen, gab ihre Anwesenheit Anlass zu ständigen Gerüchten. Als sie ihre Herrschaft über den Haushalt errichtete, scheinbar allgegenwärtig in ihrer schwarzen Tracht, fanden manche sie eine »lästige« Frau, aber für Pacelli erwies sie sich als unverzichtbar. Zunächst mit der Aufsicht über das Putzen, Kochen und Waschen betraut, wurde sie zur einzigen Frau, die in Pacellis Leben stets präsent war. Sie stellte sicher, dass alles so war, wie er es haben wollte, gab privat Ratschläge und suchte ihn von allem Unangenehmen abzuschirmen. Diese extrem beschützende Haltung – gemischt mit tiefer Verehrung für den Mann, für dessen Heiligsprechung sie sich später einsetzte – wurde von ihrem Wohltäter geschätzt, aber von vielen übel genommen, denen es ein Dorn im Auge war, dass eine Frau so viel Einfluss im Herzen des Vatikans ausübte.10 Pacelli hatte in München den Aufstieg der frühen nationalsozialistischen Bewegung und ihres charismatischen Anführers Adolf Hitler erlebt, dessen Hauptquartier die Stadt war. Pacelli war in der Nähe, als Hitler 1923, inspiriert von dem Erfolg, den Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr zuvor gezeitigt hatte, den Hitler-Ludendorff- oder Bierkeller-Putsch startete. Es war der Versuch, als ersten Schritt eines halbgaren Umsturzplans gegen die Reichsregierung zunächst die bayerische Regierung zu stürzen. Obwohl die Revolte ein Fiasko war, erhöhte die Episode Hitlers Prominenz und Popularität und gab ihm nicht zuletzt Zeit, im Gefängnis Mein Kampf zu schreiben. 1925, im selben Jahr, als das Buch veröffentlicht wurde, wechselte Pacelli von München nach Berlin, um Nuntius bei der deutschen Reichsregierung zu werden. In den zwölf Jahren, die er in Deutschland verbrachte, fühlte Pacelli sich in der konservativen katholischen Oberschicht am wohlsten. Seine unverwechselbare hohe, dünne Gestalt in schwarzer Robe und rotem Bischofsumhang erregte stets Aufmerksamkeit. »Sein Antlitz ist asketisch, die Gesichtszüge sind geschnitten wie bei einer alten Gemme, nur selten huscht der Schatten eines Lächelns darüber«, schrieb eine deutsche Journalistin, 53

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die ihn 1927 beobachtete. Ebenso auffallend waren seine dunklen Augen, die von der Brille vergrößert wurden. Er strahlte eine ruhige Würde aus, und dank seiner Sprachbegabung und des langen Aufenthalts im Land sprach er fließend Deutsch.11 In seiner komfortablen Residenz in Berlin veranstaltete Pacelli oft Empfänge für Mitglieder der deutschen Elite. Zu seinen Gästen zählten Reichspräsident Paul von Hindenburg und Mitglieder der Reichsregierung. Pacelli war selbst ein beliebter Gast und wurde für seine Fähigkeit geschätzt, über eine schwindelerregende Menge an Themen von Geschichte und Politik bis zu Theologie fundiert zu sprechen und geschmeidig zwischen den Sprachen hin- und herzuwechseln. Obwohl er kein Sportler war und seine Arbeit nur ungern verließ, genoss er die wenigen Gelegenheiten, bei denen er in den Wäldern bei Eberswalde zum Reiten kam – geritten war er schon als Kind gerne. Ein fürsorglicher Gönner, der sah, wie viel Freude Pacelli daran hatte, doch wie selten er die Nuntiatur zu einem Reitausflug verließ, schenkte ihm ein elektrisch betriebenes Pferd, das einen galoppierenden Hengst imitierte. Obwohl er in Berlin regelmäßig darauf ritt und es später nach Rom mitnahm, wurde es dort nur noch wenig benutzt. Schwester Pas­ calina schrieb in ihren Erinnerungen: »Doch hat er es als Kardinalstaatssekretär sowie als Papst wohl keine zehnmal benützt, nicht weil es ihm nicht gefallen hätte, sondern weil ihm die Zeit fehlte.«12 Ende 1929 kehrte Pacelli nach Rom zurück, wo Pius XI. ihm den roten Kardinalshut aufsetzte und ihn dann zum vatikanischen Staatssekretär berief. Schwester Pascalina folgte ihm, und Pacelli bat sie, seine neue Wohnung im Papstpalast so einzurichten, wie sie in Berlin gewesen war. Sie ließ seine Regale und Lieblingsbücher schicken, dazu den Schreibtisch, ein Geschenk der deutschen Bischöfe, die ihre Namen auf einer Silberplakette hatten eingravieren lassen.13 Während der folgenden neun Jahre waren Papst Pius XI. und Pacelli ein seltsames Paar: der unverblümt redende, breitbrüstige und launische Pontifex und sein fast ungesund schlanker, kontrollierter und stiller Staatssekretär, der perfekte Diplomat. Pacelli unterschied sich auch dadurch vom Papst, dass er seine Reden vollständig niederschrieb und nicht wie dieser mit wenigen Notizen frei sprach. Doch besaß er ein verblüffendes Gedächtnis und hielt seine Reden oft, ohne den Text vor sich 54

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zu haben, denn, wie er sagte, liefen die Worte beim Sprechen vor seinem inneren Auge ab.14 In seinem Bericht über die Wahl Pius’ XII. erklärte Pignatti, Mussolinis Botschafter im Vatikan, sie sei »durch die Tatsache erleichtert worden, dass Pacelli vor Beginn des Konklaves klarmachte, er sei zwar der getreue Vollstrecker der Anweisungen gewesen, die Pius XI. ihm persönlich gegeben habe, habe aber seine eigenen Ansichten, die nicht ganz mit denen des früheren Pontifex übereinstimmten, besonders in den letzten Jahren«.15 Außenminister Ciano hielt seine Freude über die Wahl Pacellis in seinem Tagebuch fest. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit dem Kardinal, als sie vor dem Leichnam des Papstes niederknieten: »Er war sehr entgegenkommend. Es scheint, daß er inzwischen auch die Beziehungen mit Deutschland wesentlich verbessert hat, so daß Pignatti gestern berichtete, Pacelli sei der von den Deutschen am meisten begünstigte Kardinal.« Am nächsten Tag äußerte auch Mussolini seine Befriedigung über die Nachricht und sagte mit gewohnter Hybris, er wolle dem neuen Papst »einige Ratschläge erteilen, wie er die Kirche zweckmäßig regieren soll«.16 Die faschistische Presse überschlug sich fast. Der Corriere della Sera, die wichtigste Zeitung des Landes, widmete die ersten drei Seiten der Wahl und erklärte auf der Titelseite: »Das faschistische Italien blickt mit Zuversicht und Sympathie auf den neuen Papst.« Am nächsten Tag veröffentlichte Roberto Farinacci, ein äußerst prominentes Mitglied des Faschistischen Großrats und strikter Befürworter einer Allianz zwischen Italien und Deutschland, einen überschwänglichen Kommentar in seiner Zeitung Il Regime Fascista.17 Nach seinem ersten Auftritt auf dem Balkon des Petersdoms kehrte der Papst, der nun den Namen Pius XII. trug, hochgestimmt, aber erschöpft in seine Wohnung zurück. Dort erwartete ihn Schwester Pascalina, die seinen Haushalt jetzt mit Unterstützung zweier weiterer Nonnen führte. Als er sie am Ende dieses historischen Tages sah, ließ der Mann, der für die Kontrolle seiner Gefühle berühmt war, sein Visier zumindest ein wenig herunter. Während die aufgeregten Nonnen vor Freude schluchzten, als sie niederknieten, um den Fischerring zu küssen, den er nun an der rechten Hand 55

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trug, konnte er die Tränen in seinen Augen nicht verbergen. Verlegen schaute er auf seine neue weiße Robe. »Sehen Sie, wie man mich zugerichtet hat …!«, sagte er zu den Frauen. Doch diszipliniert, wie er war, hielt diese Stimmung nur einen Moment an. Der Papst hatte sich um wichtige Dinge zu kümmern und eine wichtige Botschaft zu senden.18

Il Regime Fascista vom 3. März 1939.

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Kapitel 3

Gesprächsversuche

A

m 4. März 1939, zwei Tage nach seiner Wahl, bat Pius XII. den deutschen Botschafter, ihn am nächsten Morgen aufzusuchen. Hitler hatte dem neuen Papst ein Glückwunschtelegramm geschickt, und das genügte ihm als Ermutigung, um sich dem drängendsten Problem auf seiner Agenda zuzuwenden. Auch die katholische Presse Italiens verbreitete die Botschaft des Führers und begrüßte sie als deutliches Zeichen, dass Hitler mit dem neuen Papst zusammenarbeiten wollte, um die Beziehungen zu verbessern.1 Pius XII. begann sein Gespräch mit dem 62-jährigen Diego von Bergen, sein erstes als Papst mit einem ausländischen Diplomaten, mit der Bitte, dem Führer für seine Glückwünsche zu danken. Da er bemüht war, jeden Eindruck von Voreingenommenheit gegenüber dem aktuellen deutschen Regierungssystem auszuräumen, zitierte der Papst aus der Rede, die er im Jahr zuvor beim Eucharistischen Kongress in Budapest gehalten hatte: »Die Kirche ist nicht dazu berufen, in rein irdischen Dingen und Zweckmäßigkeiten Partei zu ergreifen zwischen den verschiedenen Systemen und Methoden, die für [die] Meisterung der Notprobleme der Gegenwart in Frage kommen können.«2 Am nächsten Tag schrieb Pius XII . direkt an Hitler und drückte die Hoffnung aus, er könne als Papst die harmonischen Beziehungen zwischen Kirche und Staat im Deutschen Reich wiederherstellen. Zugleich wies er den Osservatore Romano an, jede Kritik an der deutschen Regierung einzustellen. Es schien, als solle eine neue Ära im Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem Dritten Reich anbrechen.3 Um die Unterstützung der französischen Kardinäle für seine Kandidatur zu gewinnen, hatte Pacelli versprochen, Kardinal Luigi Maglione, den 57

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ehemaligen päpstlichen Nuntius in Paris, zu seinem Staatssekretär zu ernennen. Der 62 Jahre alte Maglione war klein, gedrungen und trug einen eindrucksvollen weißen Haarkranz. Das auffallendste Merkmal seines freundlichen Gesichts war ein tiefes Grübchen in der Mitte des Kinns. Bei den ausländischen Diplomaten im Vatikan erfreute er sich bald einiger Beliebtheit als ein herzlicher Mann, der für seinen Humor und sein charakteristisches Glucksen bekannt war. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen aus einer Kleinstadt bei Neapel und hatte schon als Kind den Vater verloren. Trotz seiner Herkunft war er in die Päpstliche Diplomatenakademie in Rom aufgenommen worden. Die frühen 1920er-Jahre verbrachte er als Nuntius in der Schweiz und wurde 1926 nach Frankreich versetzt, wo er ein Jahrzehnt blieb, bevor er nach Rom zurückkehrte.

Kardinal Luigi Maglione.

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»Kardinal Maglione ist ein Mann von makelloser geistlicher Lebensführung und breiter Kultur«, heißt es in einem vertraulichen Profil, das die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl erstellte. »Er besitzt einen offenen Geist für das Verständnis der aktuellen Notwendigkeiten und ist ein Mann von großem Takt in seinem Verhältnis zu anderen Personen, besonders in diplomatischen Funktionen. Er ist ruhig und bedacht und verbindet mit seinen übrigen Qualitäten ein ungewöhnliches Maß an Klugheit in Regierungs- und anderen Angelegenheiten.« Ciano nannte den neuen Staatssekretär einen »echte[n] Südländer, voller Begabung und Geist, und es gelingt ihm nur mit Mühe, die Ausbrüche seines überschäumenden Temperaments durch die geistliche Erziehung zu beherrschen«. Ciano wie auch der deutsche Botschafter von Bergen sahen in ihm einen Mann, mit dem sie arbeiten konnten.4 Noch vor Tagesanbruch begannen am Sonntag, dem 12. März 1939, 50 000 Menschen in den Petersdom zu strömen. Italienische Soldaten und Polizisten kontrollierten den Petersplatz und die umliegenden Straßen, wo eine noch größere Menge von Gläubigen und Neugierigen versammelt war. Später zog eine Prozession von Mitgliedern der Königsfamilie, Regierungschefs und Ministern aus 36 Ländern, Kardinälen, Bischöfen, Ordensgenerälen und anderen kirchlichen Würdenträgern langsam in den Dom ein. Galeazzo Ciano vertrat die italienische Regierung. Als Vertreter der USA hatte Präsident Roosevelt Joseph Kennedy, einen der prominentesten amerikanischen Katholiken und Vater eines künftigen Präsidenten, geschickt. Schließlich erschien der Papst und wurde zum Klang silberner Trompeten auf der päpstlichen sedia gestatoria, seinem Tragsessel, in den Petersdom getragen. Er war in mehrere Schichten fein bestickter weißer Gewänder gehüllt und trug auf dem Kopf die hohe weiße Mitra. Im Atrium hielt die Prozession kurz an, damit der Domdiakon dem Papst durch den Fußkuss seine Ergebenheit bezeugen konnte. Als die schwerfällige Prozession mit ihrem riesigen Gefolge mittelalterlich gewandeter päpstlicher Diener das Hauptschiff erreichte, begann die Menge zu klatschen. Mit schmalem und bleichem Gesicht spendete der Papst wiederholt mit weiß behandschuhter Hand den Segen. 59

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Nach der Messe strömten die Gäste aus dem Dom. Die breiten Stufen füllten sich bald mit den Würdenträgern, für die Plätze reserviert worden waren, damit sie die beste Sicht auf die noch bevorstehende Hauptkrönungszeremonie hatten. Eine lange Kette von Bischöfen in roten Roben und weißen Mitren kam aus der Kirche, dazu verschiedene Einheiten der vatikanischen Garde mit ihren päpstlichen Bannern. Auf dem Platz tauschten letztere militärische Grüße mit den italienischen Einheiten aus, die draußen gewartet hatten. Nachdem die Kapelle der Palatingarde die päpstliche Hymne gespielt hatte, spielten die Carabinieri, die unter dem Kommando der Armee stehende nationale Polizei, den Königsmarsch, gefolgt von der mitreißenden faschistischen Hymne Giovinezza. Inzwischen richteten sich alle Augen auf den reich geschmückten Balkon über dem Haupteingang des Doms, wo ein mit rotem Samt bedeckter goldener Papstthron unter einem Baldachin aus demselben Material aufgebaut war. Die päpstliche Nobelgarde trat zuerst heraus und pflanzte das Kirchenbanner auf. Dann erschien der neue Papst zum Schall von Trompeten und dem Getöse der Masse. Er stellte sich an die Balustrade und hob die Hand zum Segen, dann bestieg er für den Rest der Zeremonie den Thron. Der Kardinaldiakon nahm ihm die Mitra vom Kopf und setzte ihm die schwere, juwelengeschmückte Tiara auf. Pius XII. erhob sich und segnete, während er das »Urbi et orbi« sprach, mit dem rechten Arm Rom und die ganze Welt.5 Erst nach 14 Uhr konnte der Papst schließlich in seine Wohnung zurückkehren. Er aß allein in seinem Speisezimmer, wie es zur Regel werden sollte. Laut Schwester Pascalina sangen die Kanarienvögel, die er beim Essen in einem Käfig an seiner Seite hatte, an diesem glückverheißenden Tag besonders schön. Der stets die Stimmung der Vögel spürende Papst unterbrach seine Mahlzeit, um das Käfigtürchen zu öffnen und sie herauszulassen. Sie flogen auf den Tisch und die leeren Stühle und leisteten ihm Gesellschaft, bis er gegessen hatte. Dann setzte er sie einen nach dem anderen von seinem Finger zurück in den Käfig und schloss das Türchen.6 Pius XII. schätzte Präzision und folgte einer täglichen Routine. Er stand jeden Morgen um 6 . 15 Uhr auf, oft nachdem er erst um ein Uhr oder später schlafen gegangen war, und wurde noch in dieser kurzen Ruhephase 60

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Die Krönung Pius’ XII., 12. März 1939.

von Schlaflosigkeit geplagt. Beim Anziehen hörte er gern einen ausländischen Radiosender, um sein Englisch und Französisch zu üben. Sein Schlafzimmer im obersten Stock des Papstpalasts hatte zwei Fenster, die den Petersplatz überblickten. Es war schlicht möbliert mit einem einfachen Messingbett, Teppich, kleinen Spiegel, Mahagonischreibtisch und einem Gemälde der Jungfrau Maria. Der Papst liebte technische Neuerungen und benutzte gern den Elektrorasierer, den er auf seiner Amerikareise geschenkt bekommen hatte. Manchmal saß dabei ein Kanarienvogel auf seiner freien Hand. Um sieben Uhr ging er in seine Privatkapelle und kniete vor dem Altar nieder, um zu beten. Nach dem Anlegen der Messgewänder feierte er die Messe im Beisein der Nonnen und Priester seines Haushalts und begab sich dann in sein Speisezimmer, um mit Kaffee und einem süßen Brötchen zu frühstücken. Während er allein frühstückte, saßen seine Sekretäre nah bei ihm und reichten ihm die neuesten Meldungen. Nach dem Frühstück fuhr er mit dem Fahrstuhl zwei Stockwerke tiefer in sein 61

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Büro. Dort las er die dringendste Korrespondenz, bevor der Monsignore, der als Haushofmeister diente, ihm die Liste der Audienzen des Tages brachte. Normalerweise begannen seine Termine mit dem Staatssekretär oder einem seiner beiden Stellvertreter, die eine Mappe voller diplomatischer Papiere brachten. Dann folgten die Kardinäle, die den verschiedenen Kongregationen im Herzen der Kurie, der vatikanischen Regierung, vorstanden. Laien, denen das Privileg einer Privataudienz gewährt wurde, mussten sich formell kleiden, die Frauen in schwarzen Kleidern und langen schwarzen Schleiern. Für größere Audienzen wählte der Papst oft die Sala Clementina, deren hohe Wände von Renaissancefresken und -friesen geschmückt waren, während der Boden Marmormuster zeigte und die Decke Giovanni Albertis Apotheose des hl. Clemens. Sobald ein Trompetenstoß die Ankunft des Papstes verkündete, kniete alles nieder. Der Papst ging an seinen Besuchern vorbei und streckte dabei die Hand aus, damit sie seinen Ring küssen konnten. Dann setzte er sich auf einen niedrigen Thron auf einer kleinen Plattform. Nachdem er ein paar Worte an seine Gäste gerichtet hatte, segnete er ihre Rosenkränze und ging dann zur nächsten Gruppe. Nach den Audienzen zog sich der Papst zu seinem bescheidenen Mittagessen zurück, häufig Reissuppe, dazu Fisch oder Eier, Gemüse und Obst. Auch jetzt saß sein Sekretär dabei und las Telegramme oder wichtige Berichte vor, während im Radio die Nachrichten liefen. Auf dem Tisch standen mehrere Tellerchen, von denen seine Vögel ihr Futter aufpickten. Gretchen, ein weißer Kanarienvogel, der Liebling des Kardinals, schien ihn manchmal zu necken, wie es Schwester Pascalina vorkam. Der Vogel saß dann auf seinem Kopf und zog mit dem Schnabel an den dünnen schwarzen Strähnen. Nach dem Essen ruhte der Papst sich kurz aus und machte anschließend seinen Nachmittagsspaziergang. Als Staatssekretär hatte er gern lange Spaziergänge im Park der Villa Borghese auf der anderen Tiberseite gemacht. Diese Gewohnheit aufzugeben, war eines der Opfer gewesen, die er als Papst hatte bringen müssen. Nun wartete jeden Nachmittag eine schwarze Limousine vor dem Papstpalast und fuhr ihn in die zwei Minuten entfernten Vatikanischen Gärten. Dort umkreiste der Papst mit schnel62

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lem Schritt die Gärten in einer Stunde sechsmal, während ein Nobelgardist ihm in respektvoller Entfernung folgte. Dann stieg er wieder in den Wagen, um zurückzufahren. Nach der Rückkehr sprach der Papst in der Kapelle das Breviergebet und empfing am späten Nachmittag seine Sekretäre, die beide deutsche Jesuiten waren, oder andere Personen in dringlichen Angelegenheiten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich geweigert hatte, ein Telefon zu benutzen, hatte Pius XII. keine Schwierigkeiten damit und tippte auch oft auf seiner amerikanischen Schreibmaschine, die auf dem großen Walnussschreibtisch stand, den ansonsten eine weiße Christusstatue und ein Kruzifix zierten. Vor dem Abendessen ließ er einen der beiden stellvertretenden Staatssekretäre kommen, gab ihm Anweisungen und überreichte ihm die unterzeichneten Dokumente, wobei er sorgfältig den weißen Ärmel seiner Soutane zurückschob, bevor er den Federhalter in das schwarze Tintenfass tunkte. Um acht Uhr abends nahm der Papst sein frugales Mahl ein und überflog dabei Berichte und hörte Radio. Er trank nur selten Wein zum Essen, höchstens ein kleines Glas Bordeaux, falls es der Arzt bei Krankheit empfahl. Nach dem Abendgebet in der Privatkapelle arbeitete er bis spät in die Nacht in seiner Wohnung und entwarf in seiner sorgfältigen, eleganten Schrift die Reden, die er in den kommenden Tagen halten wollte.7 Obwohl der Beginn des Zweiten Weltkriegs für gewöhnlich auf den 1. September 1939 datiert wird, als die deutsche Armee Polen überfiel, könnte man auch behaupten, der Krieg habe bereits zwei Tage nach der Krönung Pius’ XII . begonnen, als die Wehrmacht am 14. März in die Tschechoslowakei einmarschierte und einen Tag später Prag besetzte. Kein halbes Jahr zuvor hatte die Konferenz von München, bei der Mussolini als Hauptvermittler auftrat, den Eindruck vermittelt, als sei der Frieden in Europa gerettet. Im Austausch gegen Hitlers Versprechen, auf künftige Aggressionen zu verzichten, hatten England und Frankreich ihre Zustimmung gegeben zur deutschen Besetzung des Sudetenlands, also der weitgehend deutschsprachigen Region im Westen der Tschechoslowakei. Nun, da Deutschland den Rest des Landes einnahm, wurde klar, dass Hitlers Wort nichts wert war.8 All dies geschah, während der neue Papst Hitler Avancen machte, um den Druck auf die katholische Kirche in Deutschland zu mildern. Der 63

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deutsche Angriff auf die Tschechoslowakei war die erste Prüfung für Pius XII. und wies in vieler Hinsicht auf spätere Entwicklungen voraus. Hitlers Botschafter im Vatikan wies Berlin darauf hin, dass der Papst unter immensem Druck stehe, gegen die Invasion zu protestieren. Dankbar telegrafierte er: »Papst habe dieses Ansinnen sehr entschieden abgelehnt. Zu seiner Umgebung habe er geäußert, daß er keine Veranlassung sehe, in geschichtliche Prozesse einzugreifen, an der [sic] die Kirche, politisch betrachtet, nicht interessiert sei.«9 Von Anbeginn seiner Amtszeit war Pius XII. überzeugt, es sei am besten, sich vorsichtig zu bewegen. Er wollte die für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit der faschistischen Regierung Italiens beibehalten und eine Übereinkunft mit dem NS-Regime erreichen. Zugleich musste er aber vermeiden, die katholischen Gläubigen anderswo zu verprellen, vor allem in den Vereinigten Staaten, da der Vatikan von deren finanzieller Unterstützung abhängig war.10 Vor allem wollte er die Kirche schützen und damit ihre gottgegebene Mission zur Rettung der Seelen. Im Zentrum der Strategie des Papstes stand der Entschluss, der Kirchenhierarchie innerhalb eines Landes viel Spielraum darin zu lassen, inwieweit die Kirche die Regierung und Politik ihres Landes, einschließlich der Kriegführung, unterstützen wolle. Auf diese Art konnte die Kirche überall auf der Welt gute Beziehungen zu Regierungen unbeschadet ihres politischen Charakters unterhalten, solange sie nur die institutionellen Interessen der Kirche unterstützten. Schon bald sollten die Ereignisse aber zeigen, dass diese Position ihre Nachteile hatte und den Papst in eine peinliche Lage brachte, wenn er versuchte, sich zur moralischen Führungsinstanz aufzuschwingen und nicht bloß das Oberhaupt einer riesigen internationalen Organisation zu sein. Der Umgang mit Italien erwies sich als besonders problematisch, denn der Papst war nicht nur der Pontifex maximus aller Katholiken auf der ganzen Welt, sondern stand auch an der Spitze des italienischen Episkopats. Als in den Monaten nach seiner Wahl der Krieg losbrach, formulierte der Pontifex seine Bemerkungen sorgfältig, damit beide Seiten sie so deuten konnten, dass sie sich dadurch bestärkt fühlten. Das zeigte sich schon in seiner ersten Rede, einer weit verbreiteten Ansprache in der Sixtinischen Kapelle am Tag nach seiner Wahl. Der Papst stellte sich als Apostel des Frie64

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dens in einer vom Krieg bedrohten Welt dar und nannte den Frieden »das sublime himmlische Geschenk, das von allen guten Seelen erwünscht wird« und »die Frucht von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit«. Die Verbindung seiner Friedensaufrufe mit der Einschränkung, dass wahrer Frieden von Gerechtigkeit begleitet sei, sollte ein konstantes Merkmal seiner Reden in den kommenden Monaten und Jahren werden. Es war eine Position, die sich stark mit der Hitlers und Mussolinis identifizierte, beklagten sich doch beide seit Langem darüber, dass der Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg keinen wahren Frieden geschaffen habe, weil er unge­recht sei. Als sie die päpstlichen Worte wiedergaben, versicherten die italienischen Zeitungen vom hyperfaschistischen Il Regime Fascista bis zum gemäßigten Corriere della Sera ihren Lesern unisono, die Idee des »Friedens mit Gerechtigkeit« des neuen Papstes sei dieselbe, die der Duce vom Balkon des Palazzo Venezia verkündet habe: »ein Konzept, das den Kern der Politik des faschistischen, katholischen Italien darstellt und das Gegenteil des Friedens durch Einschüchterung der plutokratischen Mächte ist«.11 Am 18. März, drei Tage nach dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei, fuhr eine Limousine mit dem italienischen Außenminister durchs Seitentor des Vatikanstaats auf den Hof von San Domaso. Als Galeazzo Ciano ausstieg, grüßte ihn die Palatingarde, worauf er den Arm zum Faschistengruß hob. Dann begleiteten der päpstliche maestro di camera und ein paar Schweizergardisten Ciano die Treppe hinauf zur Privatbibliothek Pius’ XII., wo die beiden Männer eine halbe Stunde lang miteinander sprachen. Sie hatten sich zuletzt am Todestag Pius’ XI. getroffen, als sie Seite an Seite im Gebet vor dem Leichnam des Pontifex gekniet hatten. Die Römer hatten Ciano abwertend »il Ducellino« (der kleine Duce) getauft, denn er schien seinen Schwiegervater häufig imitieren zu wollen. Gern posierte er mit in die Hüften gestemmten Fäusten und vorgerecktem Kinn und redete in stakkatohaften Ausbrüchen. Doch die Pose wurde durch sein weiches, knabenhaftes Aussehen, die hohe, nasale Stimme und den ihm eigenen plattfüßigen Gang etwas lächerlich. Trotz dieser sporadischen Anstrengungen, Mussolini zu imitieren, war Ciano sehr verschieden von ihm und ließ deutlich seine großbürgerliche 65

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Herkunft und mangelnde Erfahrung mit Gewalttätigkeit erkennen. Der französische Botschafter in Italien sah den jungen Außenminister als Inkarnation des gemäßigten Faschismus, einen Mann, der die gewalttätigen, antikirchlichen »Ultras« verabscheute, die Leute mit Knüppeln zusammenschlugen und Gegner demütigten, indem sie ihnen Rizinusöl einflößten. Für Ciano war es die größte Leistung des Faschismus, die großen Machtzentren des Landes – Unternehmer, Kirche, Armee und Monarchie – zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt zu haben. Das war die Form des Faschismus, bei der auch der Papst sich am wohlsten fühlte.12 Bei der Begegnung mit Ciano wollte der Papst an diesem Tag ein bestimmtes Thema dringend ansprechen. Die italienische Katholische ­Aktion, die riesige Laienorganisation der Kirche, war seit Langem ein Zankapfel zwischen seinem Vorgänger und Mussolini gewesen. In Form getrennter Organisationen für Jungen und Mädchen, Studenten, Männer und Frauen war sie in jeder Gemeinde Italiens vertreten, stets unter der Kontrolle der örtlichen Geistlichen. »Ihr braucht bloß den Rat und die Anweisungen von oben zu befolgen«, hatte Pius XI. einmal einer Gruppe von Führern der Katholischen Aktion erklärt. Keine Kirchenorganisation hatte ihm stärker am Herzen gelegen, denn er sah die Aktion als die Fußtruppe bei der Rechristianisierung der italienischen Gesellschaft. Dem Duce, der alle nichtfaschistischen Massenorganisationen verboten hatte, waren diese Gruppen nie recht geheuer, weil er den Verdacht hegte, in ihnen versteckten sich Regimegegner. Einen Großteil seines Zorns hatte er auf den vatikanischen Koordinator der Katholischen Aktion, Kardinal Giuseppe Pizzardo, konzentriert, aber Pius XI. nie dazu bringen können, ihn zu entlassen. Da dem neuen Pontifex sehr daran gelegen war, die Spannungen aus den letzten Monaten seines Vorgängers zu überwinden, sagte er Ciano, er werde Pizzardo von seinem Posten abberufen und strikte Anweisung geben, die Katholische Aktion solle sich auf den rein religiösen Bereich beschränken. Ciano hätte seinem Schwiegervater keine besseren Neuigkeiten bringen können.13 Pater Tacchi Venturi war von Mussolinis Aufforderung, bei ihm zu erscheinen, überrascht. Unter Pius XI. hatte der 77-jährige Jesuit als persönlicher Bote des Papstes an den Duce gedient und war über hundertmal 66

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zwischen den beiden Männern hin- und hergegangen, um die päpstlichen Anliegen zu übermitteln. Mit seinem weiten Netzwerk von Kontakten zu wichtigen Ministern und Polizeifunktionären war er für den Papst von unschätzbarem Wert gewesen. Eine faschistische Zeitung hatte Tacchi Venturis Allgegenwart in halb lobendem, halb sarkastischem Ton wie folgt kommentiert: »Er ist ein Phänomen, ein Überphänomen. Für ihn hat der Tag 60 Stunden. An allem ist er beteiligt. … Eben noch sieht man ihn im Vorzimmer eines Ministers, da geht er auch schon die Stufen der Armeeverwaltung hinauf, und nun sitzt er am Schreibtisch und verfasst links und rechts Empfehlungsbriefe. … Sein Ruhm in Italien übersteigt alles Maß.«14 Mit zunehmenden Spannungen zwischen dem Duce und Pius XI. in den letzten Monaten von dessen Pontifikat hatte Mussolini den Jesuiten freilich weniger bereitwillig empfangen, und ihre regelmäßigen Treffen hatten ein Ende gefunden. Nun rief Mussolini Tacchi Venturi zu sich, weil er dessen Rolle als Vermittler zu erneuern hoffte.15 Ganz oben auf der Wunschliste an den neuen Papst stand dessen Beistand im Umgang mit Spanien. Während Franco seinen Krieg zum Sturz der linksgerichteten Regierung einem erfolgreichen Ende entgegenführte, musste er aus Mussolinis Sicht dringend den starken Rückhalt des katholischen Klerus in Spanien genießen. Als Nächstes kam Kroatien. Da der Duce in dem Land ein neues Ziel Hitlers vermutete, hielt er es für wichtig, dass die dortigen katholischen Geistlichen klarmachten, dass ihre Sympathie Italien gelte, nicht Deutschland. Dann war da Lateinamerika, von dem Mussolini sagte, die USA versuchten, den »lateinisch-katholischen Geist« durch »protestantisches Eindringen« zu schwächen. Daher solle der Klerus dieser Länder den USEinfluss bekämpfen und die Regierungen zu engeren Beziehungen mit dem faschistischen Italien drängen. Schließlich wollte Mussolini den Papst wissen lassen, wie sehr er dessen Entscheidung zur Reorganisation der Katholischen Aktion in Italien schätze. Sobald diese Sache abgeschlossen sei, lasse sich die Harmonie zwischen dem Vatikan und dem Regime vollständig wiederherstellen. Nachdem er seine Anliegen an Pius XI. skizziert hatte, fragte Mussolini, ob es denn auch etwas gebe, was der neue Papst von ihm erbitte. Tacchi Venturi bejahte und zeigte dem Duce ein Dokument, dessen Text der 67

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Pontifex bei ihrem Treffen vor einigen Tagen genehmigt hatte.16 Dem Papst missfiel, dass die in den letzten Monaten eingeführten antisemitischen Rassengesetze auch gegen Personen angewandt wurden, die die Kirche als Katholiken betrachtete, nicht als Juden. Er wollte, »dass alle Nachkommen von Mischehen, die als Kinder getauft und als Christen erzogen wurden, als Arier anerkannt werden«. Der Jesuit erklärte dem Duce, solche Konvertiten seien durch die Taufe »nicht weniger Kinder der Kirche geworden als alle anderen mit arischer Abstammung«. Dann legte der päpstliche Bote im Einzelnen auseinander, welche Verbesserungen Pius XII. bei den Rassengesetzen vorschlug. Der Duce las die Liste und kommentierte jeden Punkt. Vielleicht lasse sich etwas an dem Verbot für getaufte Juden, Christen als Dienstboten zu beschäftigen, machen und vielleicht könne man getauften Juden, die sich vor Inkrafttreten der Gesetze mit Katholiken verlobt hatten, auch erlauben, die Heirat zu vollziehen. Was die übrigen Vorschläge des Papstes angehe, sagte Mussolini, während er die Seiten zusammenfaltete und in eine Akte auf seinem Schreibtisch legte, werde er sie an die Kommission weitergeben, die zur Durchführung der Rassengesetze gebildet worden sei. Tacchi Venturi fand, das Treffen sei recht gut verlaufen. Anscheinend stehe »die Zeit der Zurückhaltung, die von ständigen Nadelstichen gekennzeichnet war und die letzten Monate des ruhmreichen Pontifikats Pius XI. so schmerzhaft machte, vor dem Ende«.17 Da er sein Verhältnis zum italienischen Diktator positiv beginnen wollte, handelte der Papst rasch. Er reagierte sofort auf Mussolinis dringendste Bitte und schickte ein persönliches Telegramm an General Franco, um seinen Segen und seine Dankbarkeit Gott gegenüber für den »Sieg des katholischen Spaniens« auszusprechen. Franco antwortete, indem er seine Freude über die lobenden Worte des Papstes für das ausdrückte, was er »den vollständigen Sieg unserer Waffen in dem heldenhaften Kreuzzug gegen die Feinde der Religion, des Vaterlands und der christlichen Zivilisation« nannte. Beide Botschaften wurden in der katholischen Presse ausführlich beachtet, Zwei Wochen später sprach Pius XII. auf Radio Vatikan persönlich zum spanischen Volk, wobei er Francos Sieg freudig begrüßte und die »sehr edlen christlichen Gefühle« des spanischen Diktators pries. Außerdem bereitete man einen Dankgottesdienst für Francos Sieg in der 68

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römischen Jesuitenkirche Il Gesù vor, an welchem der neue vatikanische Staatssekretär Kardinal Maglione an prominenter Stelle teilnahm.18 Die Kampagne des faschistischen Regimes gegen die Juden Italiens, die im Vorjahr begonnen hatte, war in den Gedanken des Papstes stets präsent. Sollte er je in Versuchung gewesen sein, sie zu vergessen, hätte Pater Tacchi Venturi das Thema wieder aufgebracht. Im Juli 1938 war es gerade Mussolinis Ankündigung seiner »Rassenkampagne« gewesen, die die Span­ nungen zwischen dem Duce und dem Papst so verschärft hatte. In den folgenden Monaten führte die italienische Regierung eine Serie harter anti­ jüdischer Maßnahmen ein. Nichtitalienische Juden mussten das Land verlassen. Alle jüdischen Kinder wurden der staatlichen Schulen verwiesen und alle jüdischen Lehrer und Professoren entlassen. Juden wurden aus dem Militär und der Beamtenschaft geworfen, durften nicht mehr in Banken oder Versicherungen arbeiten, keine großen Geschäfte oder Firmen mehr besitzen und keine christlichen Haushaltshilfen beschäftigen. Um den Italienern die antijüdische Kampagne, die ihnen wie ein Anbiederungsversuch des Duces an Hitler vorkam, dennoch schmackhaft zu machen, zählte das Regime stark auf die Ähnlichkeit zwischen den neuen Gesetzen und den Beschränkungen, die die Päpste jahrhundertelang den Juden im Kirchenstaat auferlegt hatten.19 Tatsächlich prahlten die Faschisten, sie seien weniger streng als die Päpste vor ihnen. Schließlich sperrten sie die Juden nicht in Ghettos oder taten es früheren Päpsten darin nach, den Juden das Tragen eines Kennzeichens an der Kleidung vorzuschreiben. In den ersten Monaten der Amtszeit Pius’ XII . wurden die Gesetze dahingehend verschärft, dass es jüdischen Mitgliedern der freien Berufe – Ärzten, Anwälten und anderen – nun verboten war, christliche Mandanten oder Patienten zu haben. Die kleine, aber blühende jüdische Gemeinschaft Italiens, nicht viel mehr als 40 000 Menschen, die sich vor allem in einigen großen Städten Nord- und Mittelitaliens konzentrierte, war damit zur Armut verurteilt. Vielleicht schlimmer noch: Die Regierungspropaganda, die die Juden als Geißel der Christen und Staatsfeinde darstellte, führte zu ihrer sozialen Isolation. Viele Christen grüßten ihre jüdischen Freunde und Nachbarn nicht mehr. 69

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Pius XII. tat nichts, um sich von der jahrhundertelangen Dämonisierung der Juden zu distanzieren oder sie gar zu verurteilen. Die Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, die vor ihrem Erscheinen stets vom vatikanischen Staatssekretär genehmigt werden musste, gewährte mit einem Hauptartikel aus dem April 1939 Einblick in die damals im Vatikan herrschenden Ansichten. Der Artikel hielt es angesichts des nahenden Osterfests für wichtig, sich daran zu erinnern, dass »die Juden, die ihren Hass auf Jesus verbergen … nicht einfach Akteure in einem Drama sind, das sich auf die Dunkelheit früherer Zeiten beschränkt. Sie leben wieder und treten bei allen Verfolgungen gegen die Kirche wieder auf, treue Nachahmer aller Boten der Anti-Kirche und der unterschiedlichsten Synagogen des Satans«. Im Weiteren wurden die Juden als geldgierige, lüsterne Verräter und Feiglinge gebrandmarkt.20 Angesichts der kirchlichen Haltung gegenüber getauften Juden und des Umstands, dass der faschistische Staat auf kirchliche Dokumente zurückgriff, wenn zu entscheiden war, wer als »Arier« zählte und wer nicht, sahen viele Juden die Taufe als ihre größte Hoffnung auf Rettung an.21 Es gab Juden, die mit Katholiken verheiratet waren, etwa Emilio Foà, ein Angestellter in Turin. Da er sich aus gutem Grund vor den drakonischen neuen antijüdischen Gesetzen fürchtete, beschloss er im Sommer 1938, sich taufen zu lassen. »Meine Liebste«, schrieb er an seine katholische Ehefrau Lina, »aus den Zeitungen erfährst Du, was geschieht. Niemand weiß, was morgen passieren wird, soweit es die Religion betrifft. Aus diesem Grund habe ich beschlossen zu konvertieren. Ich habe die Pflicht, Deine Zukunft und die unserer Kinder zu verteidigen.« Wie in vielen solchen Fällen rettete die späte Konversion Foà aber nicht vor Entlassung und Mittellosigkeit. Im Mai 1939, kein Jahr nach Emilios Taufe, fand sein 18-jähriger Sohn Giorgio ihn in einer Blutlache in seinem Arbeitszimmer, den Revolver in der Hand und eine Kugel im Kopf. Er hinterließ einen Zettel für Lina: »Meine liebe Frau, ich verlasse Dich. Auf diese Art rette ich meine Familie. Es wäre ein Leben in Armut gewesen. Mit den Versicherungspolicen … wirst Du ein ausreichendes Einkommen haben. … Verurteile mich nicht. Liebt einander und erinnert Euch an mich.«22

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Kapitel 4:

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»

Das italienische Volk ist bereit, den Tornister zu schnüren«, verkündete der Duce in einer Rede Ende März 1939, »weil es wie alle jungen Völker den Kampf nicht fürchtet und des Sieges gewiss ist.« Trotz der Kriegswolken, die sich über Europa zusammenzogen, nahmen ihn nur wenige ernst. Der US-Botschafter zum Beispiel hielt alles für heiße Luft und berichtete an Roosevelt: »Niemand hier glaubt wirklich, dass er bereit ist, militärisch zuzuschlagen, um sein Ziel zu erreichen, denn es ist eine bekannte Tatsache, dass Italien nicht auf den Krieg vorbereitet ist.« Außerdem sei »das italienische Volk sehr dagegen, in einen Krieg hineingezogen zu werden«.1 Die Illusionen des Botschafters erwiesen sich als kurzlebig. Um zu zeigen, dass sein faschistisches Regime in derselben Liga spielte wie sein nationalsozialistischer Verbündeter, und seine Ansprüche auf dem Balkan anzumelden, bevor Hitler dort seine Fahne aufpflanzen konnte, hieß Mussolini die italienischen Truppen, die Adria zu überqueren und das von Armut geplagte Albanien zu besetzen. Am Karfreitag, dem 7. April, griffen 387 italienische Kampfflugzeuge und 170 Schiffe das schutzlose Land an. 20 000 Soldaten landeten in seinen vier Häfen. Binnen weniger Tage wurde eine italienische Marionettenregierung installiert. Am 16. April fügte Vittorio Emanuele III. in einer tragikomischen Zeremonie im römischen Königspalast den Titel »König von Albanien« zu seinen übrigen Würden hinzu. Der wegen seiner Größe sehr gehemmte König – er maß nur 1,53 Meter – sah sich bei dieser Gelegenheit einigen kräftigen Albanern gegenüber, die der Farce einen Anstrich von Legitimität verleihen sollten. Ciano beschrieb, wie Vittorio Emanuele sich erhob, um die Krone anzunehmen: »Der König antwortet mit unsicherer, zittern71

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der Stimme. Er ist entschieden kein Redner, der auf eine Hörerschaft Eindruck macht; und diese Albaner, harte und kriegerische Leute aus den Bergen, betrachten teils verblüfft, teils eingeschüchtert das kleine Männchen, das auf einem großen goldenen Stuhl sitzt.«2 Die katholische Presse stimmte in den Chor jener Presseorgane ein, die den Erfolg der Invasion verkündeten. »Alle wichtigen Zentren Albaniens von den herrlichen italienischen Truppen besetzt« und »Albanien aus schmählicher Sklaverei gerettet« lauteten die Schlagzeilen der katholischen Tageszeitung L’Italia in Mailand. Eine katholische Zeitung in Rom veröffentlichte das lobhudelnde Telegramm eines italienischen Bischofs an den Duce. Die Zeichen öffentlicher Begeisterung in Italien hielten sich indes in Grenzen. Der amerikanische Botschafter verurteilte die unprovozierte Aggression, blieb jedoch Roosevelt gegenüber bei seiner bisherigen Einschätzung, dass Italien keinen großen Krieg plane. Nichtsdestotrotz mahnte er zur Vorsicht: »Wir geben alle zu, dass Mussolini ein überaus gefährliches Spiel spielt.«3

König Vittorio Emanuele III. und Königin Elena bei der Annahme des Titels »König von Albanien«, Quirinalspalast, Rom, 16. April 1939.

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Obwohl der Papst kein besonderes Interesse für die italienische Besetzung Albaniens zeigte, bereiteten ihm die wachsenden Spannungen zwischen Italien und Frankreich Sorgen. Mussolini hatte gefordert, die Franzosen sollten einige ihrer nordafrikanischen Kolonien an Italien abtreten. Im April rief Staatssekretär Maglione mehrmals den italienischen Botschafter zu sich, um ihm die Sorgen des Papstes darzulegen und beide Seiten dazu zu drängen, ihre Differenzen friedlich auszutragen.4 Seit seiner Thronbesteigung hatte Pius XII. von der Rolle als Friedensstifter geträumt. Denselben Ehrgeiz hatte auch sein Vorgänger im Ersten Weltkrieg, Benedikt XV., gehegt, und sein Scheitern lastete schwer auf der Erinnerung an seine Amtszeit. Da der Frieden in Europa von zwei potenziellen Konfliktherden bedroht war, nämlich den Spannungen zwischen Deutschland und Polen und jenen zwischen Italien und Frankreich, beschloss Pius XII ., eine internationale Friedenskonferenz vorzuschlagen. Zunächst hielt er es aber für das Beste, Mussolini zu konsultieren, und schickte Pater Tacchi Venturi, um ihm die Idee vorzutragen. Wäre es nicht gut, wenn der Pontifex die fünf Mächte Frankreich, Deutschland, England, Italien und Polen dazu bringen würde, ihre Differenzen friedlich auf einer solchen Konferenz beizulegen?, lautete also die Frage an den Duce bei ihrem Treffen am 1. Mai. Der Jesuit fügte hinzu, der Papst werde nichts tun, was Mussolini missfalle, und nur handeln, wenn dieser die Initiative unterstütze. Mussolini wollte darüber nachdenken und bat ihn, am nächsten Tag wiederzukommen. Am nächsten Abend erklärte der Duce gegenüber Tacchi Venturi seine Bereitschaft, an einer solchen Friedenskonferenz teilzunehmen, riet dem Papst aber, bei den anderen Regierungen vorzufühlen, bevor er seine Initiative öffentlich machte. Von Mussolinis Reaktion erfreut, telegrafierte Pius XII. rasch an seine Nuntien in Paris, Berlin und Warschau und seinen Legaten in London.5 Als Monsignore Cesare Orsenigo, der päpstliche Nuntius in Deutschland, Hitler um ein Gespräch ersuchte, bestellte der ihn auf den Obersalzberg. Der Nuntius hatte kaum den Grund seines Kommens erklärt, als Hitler, der nach Orsenigos Bericht »sehr respektvoll zugehört hatte, zuallererst Seiner Heiligkeit Dank für seine Aufmerksamkeit und sein Interesse abstattete und mich bat, dem Heiligen Vater diese Gefühle mitzuteilen«. 73

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Nachdem der Nuntius den Vorschlag des Papstes erläutert hatte, erwiderte der deutsche Diktator, vor einer Antwort müsse er mit seinem italienischen Verbündeten sprechen. Dann fügte Hitler »fast im Ton eines einfachen freundlichen Gesprächs« hinzu, »daß er eigentlich nicht an eine Kriegsgefahr glaube, … Zum Beispiel bestünden zwischen Italien und Frankreich wohl Probleme, die gelöst werden müßten, in denen er aber keinen Kriegsgrund sähe. Das erste sei das Tunis-Statut. … Das zweite Problem sei der Suez-Kanal. Die italienischen Forderungen hier seien absolut berechtigt.« Ebenso wenig, bekundete Hitler, sehe er einen Grund, warum Deutschlands Disput mit Polen zum Krieg führen solle. Nach ihrem einstündigen Gespräch lud Hitler den Nuntius ein, mit ihm im Nebenzimmer Tee zu trinken. Nach Abschluss der offiziellen Angelegenheiten schwärmte Hitler von seinem Italienbesuch im letzten Jahr. Italiens Kunst sei von unvergleichlicher Schönheit, und das Land könne sich glücklich schätzen, den Duce und den Faschismus zu haben. Ohne Mussolini hätte der Kommunismus alle italienischen Kunstschätze zerstört, ebenso wie jüngst in Spanien geschehen. Tatsächlich verdiene Mussolini das Lob ganz Europas, denn hätte er nicht den Weg gewiesen, wäre der Kontinent inzwischen ein großes bolschewistisches Reich geworden. Schließlich wandte der Diktator seine Aufmerksamkeit dem Vatikan zu und äußerte seine Freude darüber, dass der Papst so gut Deutsch sprach. Er bedauere nur, sagte er zum Nuntius, als die Teestunde endete, dass er bei seinem letzten Besuch nicht den Petersdom besucht habe. Der Nuntius antwortete, »daß es einmal einen Weisen gegeben habe, der gesagt hätte, es sei sehr gut, wenn man nicht alles sähe, was man zu sehen wünschte, damit man auch im Alter noch Dinge habe, auf die man sich freuen könne«.6 Die Nachricht vom päpstlichen Vorschlag zu einer Friedenskonferenz hatte inzwischen einen hektischen Austausch zwischen London und Paris ausgelöst. Die Briten, die dazu neigten, die Initiative des Papstes zu unterstützen, schlugen getrennte Verhandlungen vor, zum einen zwischen Deutschland und Polen, zum anderen zwischen Frankreich und Italien, aber die Franzosen waren skeptisch. Alles deutete für die französischen Minister darauf hin, dass der Papst seine Initiative mit der faschistischen Regierung Italiens abgestimmt hatte, um Mussolinis Gebietsforderungen 74

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zu unterstützen. Sie befürchteten, die Italiener würden sich ihr privilegiertes Verhältnis zum Vatikan bei solchen Verhandlungen zunutze machen.7 Während diese Gespräche stattfanden, bestieg Joachim von Ribbentrop, der 46-jährige deutsche Außenminister, einen Zug nach Mailand, um sich mit seinem italienischen Kollegen zu treffen. Dort informierte ihn Ciano, dass Mussolini trotz seiner Äußerungen gegenüber dem Nuntius vor wenigen Tagen nicht vorhabe, über seinen Streit mit Frankreich auf einer vom Papst anberaumten Friedenskonferenz zu verhandeln. Die beiden Außenminister kamen überein, Pius XII. für seine Anstrengungen zu danken, ihn aber zu bitten, seine Bemühungen einzustellen.8 Die offizielle Antwort Deutschlands kam einige Tage später, als Außenstaatssekretär Ernst von Weizsäcker dem Nuntius Hitlers Entscheidung mitteilte. Wie der deutsche Diplomat erklärte, schienen seiner Regierung die Erfolgsaussichten nicht die Art von Konferenz zu rechtfertigen, die dem Papst vorschwebte. Orsenigos Reaktion darauf lässt ahnen, welche Art von Botschafter der Papst während des ganzen Krieges in Berlin sitzen hatte: »Der Nuntius ging auf das Thema selbst kaum mehr ein und erwähnte nur auf eine Bemerkung von mir, daß auch ihm, dem Nuntius, nicht ganz klar sei, welche dringlichen und bedrohlichen Nachrichten im Vatikan vorgelegen haben könnten, um eine Demarche zu veranlassen.«9 Der Eifer Pius’ XII ., eine sichtbare Rolle in der Weltpolitik zu spielen, wurde Mussolini unbequem. Soweit der Vatikan überhaupt eine politische Rolle spielte, sollte sie sich aus Sicht des Duces auf die Unterstützung für sein Regime beschränken. Ebenso wenig war ihm daran gelegen, dass der Papst etwa an Statur zunahm, hatte Italien doch nur Platz für eine Heldengestalt. Der Papst solle besser in seiner Kapelle bleiben und beten. Mussolinis Unzufriedenheit mit dem protagonismo des Papstes nahm Mitte Mai zu, als bekannt wurde, dass Pius XII. eine Prozession vom Vatikan zur Basilika San Giovanni in Laterano auf der anderen Seite der Stadt zu unternehmen gedachte. Es war ein uraltes Ritual, durch das ein neuer Papst seine Diözese als Bischof von Rom in Besitz nahm. Die gewaltige Basilika ging auf das 4. Jahrhundert zurück und war die Kirche vieler früher Päpste gewesen. Die Ursprünge des Papsttums selbst und sein Autoritätsanspruch über die katholische Kirche auf der ganzen Welt leiteten sich aus 75

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Pius XII. auf der päpstlichen sedia gestatoria, 1. Mai 1939.

der Rolle des Papstes als Bischof von Rom ab, und der Bischofssitz befand sich auf dem Lateran. Der Duce war der Auffassung, je weniger der Papst sich außerhalb der Mauern des Vatikans bewege, desto besser. Besonders ärgerlich für den aufbrausenden Diktator waren öffentliche Spektakel in Rom, bei denen der Papst ebenso viele oder sogar noch mehr Anhänger auf die Straße bringen und mehr Begeisterung erzeugen konnte als er selbst. Als der vorige Papst den Weg zur Lateranbasilika absolviert hatte, war er in einem geschlossenen Wagen recht flott dorthin gefahren und, einmal angekommen, in der Kirche geblieben. Pius XII. hatte etwas ganz anderes vor und ließ sich durch Mussolinis Botschafter nicht davon abbringen. Am Tag der Prozession verließ eine lange Reihe von Wagen den Vatikan, begleitet von bewaffneten Schweizergardisten. Der Papst saß auf dem Rücksitz eines langsam dahinrollenden offenen Wagens, während die Menge jubelnd die Straßen säumte. Vor der Basilika wurde der Papst auf seinem Tragsessel um den riesigen Platz herumgetragen, in dessen Mitte 76

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ein hoher ägyptischer Obelisk steht. Eine eindrucksvolle Prozession päpstlicher Prälaten folgte ihm, begleitet von bunt uniformierten Nobelgardisten mit gezogenem Zeremonialsäbel, dazu Palatingardisten mit Gewehren und Bajonetten. Der italienische Botschafter berichtete über das Spektakel: »Ich kann voraussagen, dass Pius XII. jede günstige Gelegenheit ergreifen wird, den Vatikan zu verlassen. Obwohl er ein Asket ist, fürchtete er sich nicht vor dem Pomp, der in seinen Augen dem römischen Pontifex gebührt. Da er außerdem durch und durch Römer ist, sucht der Papst zweifellos die Popularität, vor allem unter seinen italienischen Mitbürgern. Wenn wir es zulassen, werden wir Pius XII. häufig auf den Straßen von Rom sehen und wahrscheinlich auch in anderen Städten des Königreichs.«10 Der deutsche Kollege des italienischen Botschafters, Diego von Bergen, der eifrig bemüht war, die Spannungen zwischen dem Vatikan und Deutschland aufzulösen, schickte weiterhin Berichte über die prodeutsche Haltung des Papstes nach Berlin. In den ersten fünf Monaten des neuen Pontifikats waren diese Spannungen tatsächlich stark zurückgegangen. Am 20. April hatte Pius XII. seinen hitlerfreundlichen Nuntius in Berlin angewiesen, dem Führer seine Geburtstagswünsche persönlich zu überbringen. An diesem Tag läuteten auch die Glocken der katholischen Kirchen in Deutschland, während die Priester und ihre Gemeinden zu Gott beteten, er möge den Führer segnen.11 »Papst Pius XII … hegt den Wunsch, in die Geschichte als ein ›großer Papst‹, wie Leo XIII einzuziehen und zwar als Künder und Vollbringer des Friedens auf der Grundlage der Gerechtigkeit, als Befrieder der Welt«, schrieb von Bergen Mitte Mai. Nichts sei ihm wichtiger als die Überwindung der kirchlichen Differenzen mit Italien und Deutschland. Nachdem die Beziehungen des Vatikans zu Mussolinis Regierung sich in den letzten Monaten der Amtszeit Pius’ XI . verschlechtert hatten, sei diese Krise nun zum Glück vorüber, »dank dem beiderseitigen weitgehenden Entgegenkommen«. Obwohl die Haltung des Papstes gegenüber Deutschland komplexer sei als gegenüber Italien, »äußerte er ganz offen, daß er ›Deutschland liebe‹ und nichts inniger als einen baldigen Frieden mit uns erhoffe«. Für dieses Ziel sei er »zu weitgehenden Konzessionen bereit, in77

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soweit nicht lebenswichtige Interessen der Kirche und dogmatische Grundsätze gefährdet würden«.12 Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Regime Italiens hatte sich unter dem neuen Pontifex geradezu dramatisch verbessert. Ende Mai traf Giuseppe Bottai, Erziehungsminister und führendes Mitglied des Faschistischen Großrats, mit dem Papst zusammen. In seiner Radioansprache zum Ostersonntag hatte Bottai die Religionsfreundlichkeit der neuen Schulpolitik des Regimes betont. Er hob alle Maßnahmen hervor, mit denen die faschistische Regierung katholischen Unterricht in den öffentlichen Schulen fördere, und erklärte, all dies sei in der neuen Schulcharta des Landes festgeschrieben. Italien betrachte »die Unterweisung in der christlichen Lehre in der durch die katholische Überlieferung angenommenen Form als Grundlage und Krönung des öffentlichen Unterrichts«. Er versprach auch, in Zusammenarbeit mit dem Vatikan die katholische Religionserziehung in den Oberschulen auszuweiten.13 Bei der Begegnung mit Pius XII. wunderte sich Bottai über all das, was sich seit seinem Besuch bei dessen Vorgänger verändert hatte. Obwohl der neue Papst ihn im selben Raum empfing, sah es dort ganz anders aus. Zur Zeit Pius’ XI. hatte »ein pittoreskes Durcheinander von Möbeln, Schmuckobjekten, Nippes, Papieren, Zeitungen und Büchern« geherrscht. Nun war alles in akribische Ordnung gebracht. Der neue Papst hatte auch dem Schreibtisch einen neuen Platz gegeben. Bei Pius XI. hatte er zwischen den beiden Fenstern gestanden, sodass das Sonnenlicht dem Papst über die Schultern fiel. Der neue Papst hatte den Schreibtisch an die rechte Wand stellen lassen. Anstelle des ganzen alten Krams gab es nur noch wenige notwendige Gegenstände. »Man hat sofort den Eindruck, dass der Mann, der dort sitzt, seinen ›Beruf‹ gut kennt«, notierte der Minister in seinem Tagebuch. »Pius XII. erweckt beim Besucher sofort den Eindruck eines Mystikers, aber eines Mystikers, der arbeitet, der seine Worte sorgfältig abwägt, der weiß, was er will, und wie, wo und wann er es will.«14 Wer den neuen Papst beobachtete, fand ungewöhnliche Eigenarten miteinander kombiniert: ein Asket, der sich sehr für die Neuigkeiten der Welt interessierte; jemand, der jeden Tag bis weit nach Mitternacht arbeitete, aber in der Abgeschiedenheit seines Schlafzimmers gerne einen Kanarienvogel auf seiner Schulter sitzen hatte; ein Mann, den die Menge nervös 78

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machte, der aber nicht darin nachließ, gründlich vorbereitete Reden über alle möglichen Themen zu halten; ein Mann, der niemals seinen einstündigen Spaziergang durch die vatikanischen Gärten versäumte, aber kaum den Blick von seinen Papieren hob, um die Natur um sich herum wahrzunehmen; ein Mann, dessen natürliche Distanz vielen als Kälte vorkam, der aber auch charmant sein konnte. Obwohl Pius XII . sanft und schüchtern veranlagt war, sonnte er sich zugleich in der Majestät seines Amtes und wollte als Gottes Friedensbotschafter auf Erden gesehen werden.15 Nun gab es in Rom zwei Männer, die über allen gewöhnlichen Sterblichen standen und zu denen die Italiener verehrend aufblickten. Trotz aller Kriegsängste, Zweifel am Bündnis mit Deutschland und Fragen oder gar Bedenken bezüglich der antijüdischen Kampagne schien Mussolinis Popularität ungebrochen. Botschafter Phillips berichtete Ende Mai an Roosevelt, der Duce begeistere weiterhin die Massen mit seinen Stakkatoreden voller markiger Phrasen, militärischer Metaphern und Anspielungen auf Werte wie Glaube und Opfer. Es bestehe keine Hoffnung, dass die Italiener sich gegen ihn wenden würden, so der Botschafter.16 Trotz Hitlers Versicherungen wuchs die Sorge des Papstes, dass die deutsche Forderung nach der Rückgabe Danzigs durch Polen einen Krieg auslösen könne. Die große Mehrheit der 400 000 Einwohner der Stadt war deutscher Herkunft. Als Teil der Strafmaßnahmen des Versailler Vertrags war Westpreußen dem neuen Staat Polen zugeschlagen worden. Das schnitt Ostpreußen vom Rest des Reichs ab. Die Hafenstadt Danzig an der westpreußischen Ostseeküste wurde unter Völkerbundmandat gestellt, aber mit besonderen Bindungen zu Polen. Der Verlust Danzigs und Westpreußens hatte zu einer Welle nationalistischer Ressentiments in Deutschland geführt, und jetzt, nach dem Anschluss Österreichs und des Sudetenlands, sah es so aus, als bereite Deutschland sich vor, die Region zurückzuholen. Am 22. Mai 1939 unterzeichneten Ciano und Ribbentrop bei einer Zeremonie in Berlin vor vielen Fotografen den Stahlpakt, das förmliche Bündnis Italiens mit Deutschland. Das bewog den Papst, sich direkt an Mussolini zu wenden. Es sei, so schrieb er, sein sehnlicher Wunsch, dieser »möge seinen großen Einfluss auf Reichskanzler Hitler und die deutsche 79

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Regierung dazu benutzen, eine friedliche Regelung der Danzig-Frage sicherzustellen«.17 Gleichzeitig schickte der Duce eine sehr viel weniger pazifistische Botschaft an Hitler: »Der Krieg zwischen den plutokratischen und deshalb selbstsüchtig konservativen und den stark bevölkerten und armen Nationen ist unvermeidlich.«18 Der Papst erfuhr recht bald von Mussolinis düsterer Vorhersage, nachdem er erneut seinen Boten geschickt hatte, um den Duce zu drängen, alles ihm Mögliche zur Verhinderung eines Krieges zu tun. Tacchi Venturi suchte den Diktator zwei Wochen nach Unterzeichnung des Stahlpakts im Palazzo Venezia auf und schickte am folgenden Tag seinen Bericht. Mussolini habe dem päpstlichen Appell »mit eisiger Kälte ohne ein Wort« zugehört. Beunruhigt von seinem Verhalten habe der Jesuit ihn gefragt: »Aber hält Eure Exzellenz einen Krieg denn für unvermeidlich?« »Ganz sicher«, habe der Duce geantwortet.19

Nach der Unterzeichnung des Stahlpakts in Berlin am 22. Mai 1939. ­Bernardo Attolico, Hermann Göring, Adolf Hitler, ­Galeazzo ­Ciano, ­Joachim von Ribbentrop.

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Kapitel 5

»Bitte kein Wort über Juden«

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ls die britische Regierung 1937 den damals 51-jährigen Karrierediplomaten Francis D’Arcy Osborne zum Gesandten beim Heiligen Stuhl ernannte, erwartete sie nicht viel von ihm. Da er als Protestant ein Land ohne förmliche diplomatische Beziehungen zum Vatikan vertrat, erschien Osbornes Lage nicht besonders aussichtsreich. Doch der elegante Diplomat wurde zu einer festen Größe in Rom und verließ die Stadt in den zehn Jahren seiner Amtszeit nie länger als wenige Wochen. Noch heute liegt er dort auf dem protestantischen Friedhof begraben. Osborne, der einer Adelsfamilie entstammte, erbte später den Titel eines Duke of Leeds. Der unverheiratete, schlanke Mann mit zurückgehendem Haar neigte zur typischen Förmlichkeit seiner Klasse, ein »grand gentilhomme«, wie der französische Botschafter sagte, etwas steif, aber charmant und gesellig. Obwohl er nicht viel Geld besaß, war sein Geschmack anspruchsvoll, er liebte elegante Kleidung, guten Wein, Whiskey, schöne Möbel und Silber. Bei Treffen mit dem Papst oder mit Kardinal Maglione sprach er Französisch, was alle drei fließend beherrschten. Mit Magliones beiden Stellvertretern sprach er Italienisch. Als High-Church-Anglikaner begeisterte er sich für die architektonischen Wunderwerke und überladenen Riten des Vatikans und überhaupt für die Pracht Roms. Osborne war noch in anderer Hinsicht typisch für den britischen Adel, nämlich in seiner Toleranz gegenüber dem italienischen Faschismus und der Verachtung von Kommunisten und Juden, wie seine frühen Berichte nach London zeigen. 1937 schrieb er: »Die Methoden der Komintern [der III . Kommunistischen Internationale] werden zum großen Teil von der brillanten Vorstellungskraft, geistigen Beweglichkeit und zersetzenden Neigung des Juden bestimmt, verbunden mit dem semi-asiatischen Fana­ 81

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tismus des Russen. Ersterer bearbeitet die Intellektuellen, Letzterer den Mob der Zukurzgekommenen.« Im folgenden Jahr bemerkte er in einem Bericht an den britischen Außenminister, Lenin habe sich weitgehend auf die »geistige Beweglichkeit, zynische Anpassungsfähigkeit und amoralische Einfallskraft des Juden« verlassen.1 Als sich die Krise um Danzig Anfang Juli 1939 zuspitzte, verließ Osborne seine angenehme Residenz mit Blick auf den weiten Park der Villa Borghese und fuhr zum Papstpalast. Er überbrachte eine Warnung seiner Regierung. Falls die Italiener meinten, England werde tatenlos zusehen, wie die Deutschen Danzig besetzten, täuschten sie sich. Es würde Krieg bedeuten. Nachdem Osborne gegangen war, ließ Kardinal Maglione den italienischen Botschafter kommen und bat ihn, die Botschaft der Briten nicht nur Mussolini, sondern auch den Deutschen zu überbringen.2 Kein potenzielles Opfer der Achsenmächte war angetan von den Bemühungen des Papstes, an einer Beilegung der Differenzen mitzuwirken. Ende Juni berichtete der US-Botschafter in Warschau, dass sich in den oberen Rängen der polnischen katholischen Kirche Bestürzung breitmache über die anscheinend prodeutsche Haltung des Papstes und seine Bereitschaft, Polen zu opfern, um die Kirche in Deutschland zu schützen. Zum gleichen Zeitpunkt beklagte sich auch François Charles-Roux, der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl, der gerade in Paris weilte, beim dortigen Nuntius darüber, wie sehr sich die Haltung des neuen Papstes gegenüber den Achsenmächten von der seines Vorgängers unterscheide. Seit der Wahl Pius’ XII. seien die lauten Klagen des Vatikans über die Behandlung der katholischen Kirche in Deutschland plötzlich verstummt. Neben diesen Worten des französischen Botschafters übermittelte der Nuntius aus Paris noch weitere beunruhigende Nachrichten an den Papst. Seit einiger Zeit »ist ein gewisser Wandel in der öffentlichen Meinung Frankreichs in der Haltung gegenüber dem Heiligen Stuhl zu beobachten, von dem leider auch einige katholische Kreise nicht ausgenommen sind. Es wurden bereits Klagen laut, der Heilige Vater spreche sich nicht gegen die Bombardierung Albaniens aus, die am Karfreitag stattfand«. Die Unzufriedenheit habe durch Zeitungsberichte über die gescheiterte Friedensinitiative des Papstes zugenommen, die als Parteinahme für die totalitären Staaten dargestellt werde.3 82

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Als der französische Botschafter nach Rom zurückkehrte, bestellte der Papst ihn zu sich. Charles-Roux hatte sich kaum gesetzt, als Pius XII. ihn mit den Worten überraschte: »Ich höre, Sie sind nicht zufrieden mit mir!« Dem Botschafter fehlten die Worte. »Ja, ich weiß es wohl«, beharrte der Pontifex. Charles-Roux beschloss, offen zu sprechen: Die Menschen in Frankreich hätten den Eindruck, der Papst handele entgegen der Haltung seines Vorgängers. Keineswegs, erwiderte der Papst. Gewiss, seine Methoden seien etwas andere, aber die Franzosen müssten verstehen, dass nach der deutschen Annexion von Österreich und Teilen der Tschechoslowakei nun 40 Millionen Katholiken im Reich lebten. Er müsse darauf achten, nichts zu tun, was ihre Lage verschlechtern könne. »Wenn es eine Chance gibt, ihre Schwierigkeiten zu mildern, hat der Papst dann nicht die Pflicht, sie zu ergreifen?« Pius XII. gab zu, dass die Ergebnisse seiner Anstrengungen bis jetzt enttäuschend gewesen seien. Die religiöse Situation in Deutschland habe sich nicht verbessert, wenngleich es ein paar Lichtblicke gebe, etwa in der Behandlung der Kirche durch die deutsche Presse. Das alles solle nicht heißen, dass er Vertrauen zu Hitler habe. Dieses Vertrauen sei seit Langem untergraben, weil der Führer sich nicht an die Bestimmungen des Konkordats halte, die der Papst selbst als vatikanischer Staatssekretär kurz vor Hitlers Machtantritt ausgehandelt hatte.4 Der französische Botschafter antwortete, es wäre Torheit, wenn der Papst Hitler irgendwelche weiteren Zugeständnisse machen würde. Dem widersprach der Papst nicht, sondern wechselte das Thema. Soll­te es Krieg geben, so wäre Deutschland militärisch sehr mächtig, bemerk­te er. Das gelte auch für Frankreich und England, erwiderte der Botschafter. Was Italien betreffe, sagte der Papst zum Abschluss der Audienz, so habe er den Eindruck, das italienische Volk billige die prodeutsche Politik der Regierung nicht, obwohl es wenig Einfluss darauf habe.5 War der französische Botschafter schon durch die anscheinende Neigung des Papstes zu den totalitären Staaten frustriert, wuchsen seine Sorge und die seiner Regierung noch, als der Papst die Beurteilung der Action française durch seinen Vorgänger zurücknahm. Dreizehn Jahre zuvor hatte 83

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der Vatikan die Zeitung der antisemitischen monarchisch-katholischen Bewegung auf den Index der verbotenen Publikationen gesetzt, die kein guter Katholik lesen durfte. Als der italienische Botschafter Ciano von der Entscheidung Pius’ XII. berichtete, brachte er sie mit dessen »starker Sympathie, ich würde fast sagen, Schwäche für den Adel« in Verbindung. Der neue Pontifikat bekomme »immer mehr sein eigenes Gesicht, eines, das nichts mit dem vorigen zu tun hat«.6 Seit der Wahl Pacellis brauchte Mussolini sich dagegen keine Sorgen mehr über etwaige päpstliche Proteste wegen der Kampagne gegen die Juden Italiens zu machen, die aus den Schulen und Universitäten des Landes ebenso wie von ihren Arbeitsplätzen vertrieben worden waren. Während der gesamten Geltungszeit der Rassengesetze kam keine Kritik daran je vom Papst, weder mündlich noch schriftlich. Obwohl der Papst kein öffentliches Zeichen der Unzufriedenheit mit der antijüdischen Kampagne setzte, engagierte er sich weiterhin für Katholiken, die früher Juden gewesen waren oder als Kinder von Juden geboren waren. »Diese Unglücklichen sind als Katholiken Kinder der Kirche mit den gleichen Rechten und Pflichten wie jeder andere Katholik«, äußerte der Bote des Papstes. Würde die Kirche ihnen nicht zu Hilfe kommen, könnte das »in ihren Seelen den Gedanken wecken, sie seien von der Kirche verlassen, was sie dazu bringen könnte, den Tag ihrer Konversion zu verfluchen, oder schlimmer noch, in der eitlen Hoffnung, wirksame Hilfe von den Israeliten zu bekommen, vom Glauben abzufallen«.7 Mussolinis oberster Beamter, der die Kampagne gegen die Juden leitete, war der 44 Jahre alte Guido Buffarini Guidi, Staatssekretär im Innenministerium. Den Ministersessel behielt Mussolini sich selbst vor. Da die Präfekten und Polizeichefs des Landes Buffarini unterstellt waren, besaß er enorme Macht. Der korpulente, gerissene und skrupellose Mann wurde von der deutschen Botschaft beim Vatikan als Italiens talentiertester Faschist betrachtet. Mussolini selbst soll gesagt haben: »Buffarini ist so ein Lügner, dass man nicht ein Prozent von dem glauben kann, was er sagt« – und dennoch überließ er ihm die Alltagsgeschäfte der Regierung.8 Buffarini nutzte seine Stellung schamlos aus, verkaufte nebenher für viel Geld an ausgewählte Juden gefälschte Dokumente, die eine katholische Identität bezeugten, einschließlich gefälschter Taufscheine der Pfarr84

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gemeinden. Für den richtigen Preis fanden die Beamten manchmal auch heraus, dass die Kinder katholischer Frauen, die mit Juden verheiratet waren, zufällig der Affäre ihrer Mutter mit einem katholischen Liebhaber entsprungen waren. Solche Kinder galten als rein arisch und lupenreine Katholiken.9 Ende August sollte der päpstliche Nuntius in Italien, Monsignore Borgongini, die neuesten Beschwerden des Papstes über die Behandlung getaufter Juden durch die Regierung überbringen. Als der Nuntius das Büro des Staatssekretärs betrat, war er überrascht von dem Schild, das an der Wand hing: »Bitte kein Wort über Juden«. Und tatsächlich unterbrach Buffarini ihn, als der Nuntius das Thema ansprach: »Jetzt ist nicht die Zeit dafür, denn wie Sie wissen, hat sich die internationale Synagoge im Rahmen ihrer jüngsten Bemühungen, zum Krieg zu treiben, gegen Italien gestellt.« »Gerade weil wir an der Schwelle eines Krieges stehen, kann ich Ihnen versichern, dass viele getaufte Juden, die von der Armee ausgeschlossen

Guido Buffarini mit Heinrich Himmler, Palazzo Venezia, Rom, 4. Mai 1938.

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sind, für Italien kämpfen möchten«, erwiderte der Nuntius. »Ich schlage also vor, dass Sie das Datum 1. Oktober 1938 [nach dem die Taufe Juden nicht mehr von den Rassengesetzen ausnahm] ändern, zum Beispiel auf den 31. Dezember 1939.« Das neue Datum würde »dem Juden die Möglichkeit geben, sich durch den Empfang der Taufe reinzuwaschen und dann als Soldat sein Land zu verteidigen. Wenn jemand so sein Leben riskiert, wird auch niemand mehr argwöhnen können, dass diese Menschen sich nur aus eigennützigen Motiven taufen lassen«. Der stellvertretende Minister gab nicht nach, versprach aber, im Fall eines Kriegsausbruchs noch einmal über den Vorschlag nachzudenken.10 Ciano entspannte sich an einem warmen Augustnachmittag am Strand von Ostia bei Rom, als ihn die Nachricht erreichte, der deutsche Außenminister wolle sich am nächsten Tag mit ihm in Österreich treffen. Ciano fuhr also rasch zurück nach Rom, um seinen Schwiegervater zu verständigen und sich auf die Reise vorzubereiten. Nach der Ankunft in Salzburg wurde Ciano die 26 Kilometer zu Ribbentrops luxuriöser Sommerresidenz Schloss Fuschl gefahren, einem Jagdschloss aus dem 15. Jahrhundert, das sich einst der Fürsterzbischof von Salzburg erbaut hatte. Der Uniform tragende Ciano war peinlich berührt, den deutschen Außenminister in Freizeitkleidung anzutreffen. Sein Unbehagen wuchs weiter, als Ribbentrop ihn kühl begrüßte und ihm mitteilte, warum er ihn zu sich gebeten hatte: Hitler habe die »gnadenlose Vernichtung Polens durch Deutschland« beschlossen. Der deutsche Außenminister fegte Cianos Einwand beiseite, dies werde einen Flächenbrand auslösen. Weder England noch Frankreich würden letztlich einen Krieg riskieren, beschied er. Mit seinem neuen Wohnsitz nahe Salzburg folgte Ribbentrop dem Beispiel vieler anderer Minister, denn in der wärmeren Jahreszeit mussten sie hier sein, wenn sie Hitler sehen wollten. Der hatte seine Residenz auf dem Obersalzberg auf der deutschen Seite der alten Grenze zu Österreich. In den letzten Jahren war das ursprüngliche Gebäude stark vergrößert worden und hieß nun Berghof, ein Palast für den anspruchsvollen Diktator. Am Tag nach seiner unangenehmen Begegnung mit dem Außenminister fuhr Ciano dorthin, um sich mit Hitler zu treffen. 86

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Der Führer sprach mit ihm vor einer großen Karte Europas. Als große Nation könne Deutschland nicht länger Polens Provokationen hinnehmen, ohne an Prestige zu verlieren. Er betonte aber, der Krieg solle ein begrenzter sein. Obwohl es eines Tages nötig sein werde, gegen die westlichen Demokratien zu kämpfen, liege dieser Tag noch in der Zukunft. Ciano erwiderte, er hoffe, der Führer habe recht, war aber weniger sicher, dass der Krieg sich werde eindämmen lassen, und trug Sorge, Italien sei nicht darauf vorbereitet, sich in einen europäischen Krieg zu stürzen. Nach dem jüngsten Krieg in Abessinien und der italienischen Unterstützung für Francos Revolte in Spanien seien die Rohstoffvorräte seines Landes völlig erschöpft. Dann zählte er weitere Schwachstellen Italiens im Kriegsfall auf: Seine Industrie saß weitgehend im Norden, ein leichtes Ziel für Luftschläge; seine afrikanischen Kolonien waren nur schwach verteidigt; eine Million Italiener arbeitete in Frankreich. Ciano führte sogar ins Feld, dass Mussolini stark darauf vertraue, 1942 die Weltausstellung in Rom zur Feier des 20-jährigen Bestehens seiner Herrschaft zu veranstalten, und dass ehrgeizige Bauarbeiten dafür schon im Gang seien. Nichts davon beeindruckte Hitler. Wenn er sich täusche und der Einmarsch in Polen einen größeren Krieg auslöse, dann sei es eben so. Besser, man kämpfe ihn aus, solange er und der Duce noch jung seien.11

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Kapitel 6

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m August 1939, während er die Pläne zur Invasion Polens abschloss, führte Hitler auch Verhandlungen mit Pius XII., die so geheim waren, dass nicht einmal der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl davon wusste. Diese Gespräche, die kurz nach Pacellis Wahl zum Papst aufgenommen wurden, sind erst durch die Öffnung der vatikanischen Archive für Pius XII. bekannt geworden. Hitler wie der Papst sahen es als in ihrem Interesse liegend an, niemanden davon erfahren zu lassen, und der Vatikan suchte dieses Geheimnis noch lange nach dem Tod Pius’ XII. zu wahren. Als die vier jesuitischen Herausgeber zwischen 1965 und 1981 die zwölf dicken Bände veröffentlichten, die bisher die offizielle Dokumentation der vatikanischen Aktivitäten im Zweiten Weltkrieg bildeten, ließen sie systematisch alle Hinweise auf diese Geheimgespräche außen vor.1 Schlüsselperson bei den Verhandlungen war der 36-jährige Prinz Philipp von Hessen. Er war von besonderem Wert für Hitler, weil er seit der Heirat mit Prinzessin Mafalda 1925 Schwiegersohn des italienischen Königs war. Das gehörte zum Muster aristokratischer Heiraten, so wie Philipps jüngerer Bruder Prinzessin Sophia von Griechenland geheiratet hatte oder deren Bruder Philip später Ehemann von Königin Elizabeth II. wurde. Tatsächlich gab es nur wenige deutsche Adlige mit einem so illustren Stammbaum wie Philipp, der ein Enkel von Kaiser Friedrich III. und Urenkel von Königin Viktoria war. Er war mittelgroß und hatte blondes, rasch zurückweichendes Haar, das er kurz und straff zurückgekämmt trug. Sein Foto im Gothaer Almanach von 1941 zeigt ihn im Profil in dunkler NSUniform, die Hakenkreuzbinde unübersehbar am linken Arm. Der Prinz hatte Erfahrung damit, Geheimnisse zu hüten. Während er Anfang der 1920er-Jahre Prinzessin Mafalda den Hof machte, sorgte er 88

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dafür, dass seine heimliche erotische Beziehung mit dem englischen Dichter Siegfried Sassoon nie ans Licht kam, und auch seine anderen homosexuellen Affären wurden nie öffentlich.2 Fünf Jahre nach seiner Hochzeit trat Mafaldas Ehemann der SA bei und trug von nun an ihre braune Uniform. Was Mafalda über das nationalsozialistische Engagement ihres Mannes dachte, ist unklar. Manche Historiker sind der Meinung, sie habe die Nazis verabscheut, doch auch wenn dem so war, blieb sie loyal ihrem Mann gegenüber, mit dem sie vier Kinder hatte. Am Ende zahlte sie den Preis dafür, als Hitler sie und ihren Mann nach der Entlassung und Festnahme Mussolinis durch den König 1943 inhaftieren ließ. Prinzessin Mafalda starb ein Jahr später im KZ Buchenwald bei einem Luftangriff und wurde als »Eine unbekannte Frau« begraben. Sie wurde 41 Jahre alt.3 Doch das lag noch in der Zukunft. Als Hitler 1933 an die Macht kam, machte er den Prinzen zum Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Nachdem dieser in den ersten Jahren seiner Ehe meist in Italien gelebt hatte, verbrachte Philipp von Hessen nun den Großteil seiner Zeit in Deutschland. Mit anderen prominenten und zutiefst konservativen Aristokraten leistete er dem Diktator gute Dienste, indem er dem NSRegime Legitimität verlieh und das Dritte Reich in den Mantel der deutschen Tradition hüllte. Ein deutscher Biograf Hitlers nannte Philipp von Hessen neben Albert Speer zwischen 1938 und 1942 »Hitlers engsten Freund, soweit es sich um weitgehend unpolitische Beziehungen handelte«. Nur wenige hatten so leichten Zugang zu Hitler wie der Prinz, der nicht nur dessen private Verbindung zur italienischen Regierung und zur Königsfamilie war, sondern auch sein Berater, wenn es um den Erwerb italienischer Kunst ging.4 Um Geheimhaltung zu wahren, mussten die Gespräche zwischen dem Prinzen und dem Papst über inoffizielle Kanäle arrangiert werden. Der indirekte Weg, der in den folgenden beiden Jahren wiederholt benutzt wurde, führte über einen etwas undurchsichtigen Freund von Mafaldas Bruder Prinz Umberto, dem späteren König. Über Raffaele Travaglini, einen Mann mit wertvollen Kontakten zum Vatikan, wurde seit 1931 eine Akte bei der Geheimpolizei geführt, die ihn als Intriganten und Selbstdarsteller charakterisierte. Der 1900 geborene Travaglini hatte im Ersten Weltkrieg ge89

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Prinz Philipp von Hessen und Prinzessin Mafalda, Hessen-Nassau, 8. Juni 1933.

kämpft und war 1922 der Faschistischen Partei (Partito Nazionale Fascista, PNF) beigetreten. Nach einer Zeit als Journalist wurde er 1927 zum italienischen Vizekonsul in Jerusalem ernannt, dank seiner Fähigkeit, wie er später äußerte, »meine bescheidenen Beziehungen zum Vatikan und meine bescheidene Kompetenz in kirchlichen Angelegenheiten zu nutzen«. 1931 arbeitete er wieder in Italien in der Verwaltung der faschistischen Freizeitprogramme und wurde von Mussolinis Polizeichef der Spionage für den Vatikan verdächtigt. Ein Informant berichtete 1933: »Travaglini ist viel gereist und hat leichten Zugang zu vatikanischen Kreisen, wo er gut bekannt ist. … Wahrscheinlich treibt Travaglini mit uns (falls er wirklich einer unserer Agenten ist) und dem Vatikan ein doppeltes Spiel.«5 90

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Travaglini war nicht nur ein überzeugter Faschist, sondern bestens in ein soziales Netzwerk innerhalb der Kirche eingebunden, das bis in den Vatikan reichte. Am 9. März 1939, nur eine Woche nach der Papstwahl, schrieb er an Kardinal Lorenzo Lauri, ein Mitglied der römischen Kurie und ehemaliger Nuntius in Peru und Polen. Lauris Nähe zum neuen Papst zeigte sich noch im selben Jahr durch seine Ernennung zum Kardinalkämmerer, der die vatikanische Verwaltung weiterzuführen hatte, falls der Papst starb. Wie in seiner späteren Korrespondenz schrieb Travaglini bereits auf dem Briefpapier der katholischen Malteserritter. Ab Juni wies der Briefkopf ihn als Sonderbeauftragten des Malteserordens in Deutschland aus. Im ersten seiner vielen Briefe, die jetzt im Archiv des vatikanischen Staatssekretariats liegen, informierte Travaglini den Kardinal, er sei kürzlich von einer Deutschlandreise zurückgekehrt, wo es ihm gelungen sei, die Besitztümer des Malteserordens im Reich zu schützen. Dafür gebühre führenden NS-Funktionären viel Dank. Während seines Aufenthalts in Deutschland »bestürmten mich viele hohe Vertreter von Reich und Partei mit Fragen über den neuen Heiligen Vater«. Er habe ihnen geantwortet, wie glücklich das Reich sich schätzen könne, Pacelli als Papst zu haben.6 Nur wenige Wochen nach Pacellis Wahl zum Papst bestellte Hitler den Prinzen von Hessen in sein Büro. Angesichts des offensichtlichen Eifers des neuen Papstes, das schwierige Verhältnis zwischen Vatikan und Reich zu verbessern, hatte Hitler nach einem Gespräch mit Hermann Göring beschlossen, die Möglichkeit eines Abkommens auszuloten. Hierfür hielt er den Prinzen, den er schon als inoffiziellen Abgesandten zu Mussolini eingesetzt hatte, für den geeigneten Mann. Philipp von Hessen wurde also instruiert, ein Geheimtreffen mit dem Papst zu arrangieren, um die Diskussion in Gang zu bringen. An einem Sonntag Mitte April, kaum einen Monat nach Pacellis Wahl, bestellte der Prinz Travaglini in die königliche Residenz in Rom. Dort erklärte er, Hitler habe ihn gebeten, Verhandlungen mit dem neuen Pontifex außerhalb der üblichen diplomatischen Kanäle aufzunehmen. Er wende sich an Travaglini, weil er von dessen hochrangigen Kontaktper­sonen im Vatikan wisse. Aufgeregt schrieb Travaglini sofort an Kardinal Lauri, er91

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zählte ihm von Hitlers Bitte und bat den Kardinal um Hilfe, um ein Treffen zwischen dem Prinzen und dem Papst zu arrangieren.7 Der Papst stimmte zu und empfing Hitlers Gesandten zum ersten Mal am 11. Mai. Um die Geheimhaltung zu gewährleisten, unternahm Pius XII. den höchst ungewöhnlichen Schritt, das Treffen in Kardinal Magliones Wohnung abzuhalten. Die beiden Männer sprachen Deutsch, obwohl Prinz Philipp, der jahrelang in Italien gelebt hatte, auch Italienisch beherrschte, und die vatikanischen Archive enthalten eine deutsche Zusammenfassung ihres Gesprächs.8 Nachdem er Philipp von Hessen begrüßt hatte, zog der Papst ein Exemplar jenes Briefs hervor, den er kurz nach seiner Wahl zum Papst vor zwei Monaten an Hitler geschickt hatte. Er las ihn laut vor und dann Hitlers Antwort darauf. »Ich habe alle Rücksicht genommen. Die Antwort des Herrn Reichskanzlers war ja auch sehr freundlich«, sagte der Papst danach. »Aber inzwischen hat sich die Lage verschärft.« Als Beispiel nannte er die Schließung katholischer Schulen und Seminare, die Veröffentlichung von gegen Kirche und Vatikan gerichteten Büchern und die Kürzung staatlicher Mittel für die Kirche in Österreich. Er versicherte dem Prinzen, es sei ihm sehr an einer Übereinkunft mit dem Reich gelegen: »Ich bin bereit, entgegenzu­ kommen, soweit ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann. … Dann ist aber das erste, was geschehen muss, ein Waffenstillstand. … Ich bin auch sicher, dass wenn die Befriedung zwischen Kirche und Staat kommt, sich alle wohl fühlen werden. Das deutsche Volk ist einig in seiner Liebe zum Vaterland. Die Katholiken werden, wenn Friede herrscht, treu sein, mehr als alle anderen.« Der Prinz erklärte, die Nationalsozialisten seien in eine pro- und eine antikirchliche Fraktion gespalten, und »diese beiden stehen scharf gegeneinander«. Wenn die Kirche zustimme, sich auf kirchliche Angelegenheiten zu beschränken und sich aus der Politik herauszuhalten, werde die prokirchliche Fraktion sich durchsetzen. Die Kirche habe kein Interesse daran, sich in die Parteipolitik einzumischen, antwortete der Papst. »Vergleichen Sie Italien. Es ist hier auch die autoritäre Richtung. Und doch lässt sich die religiöse Erziehung der Jugend durch die Kirche bewerkstelligen. … Kein Mensch hier ist und denkt gegen 92

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Deutschland. Wir lieben Deutschland. Es ist Uns recht, wenn es gross und mächtig ist. Wir haben auch nichts gegen eine bestimmte Form der Regierung, solange nur den Katholiken nicht die Möglichkeit benommen wird, nach ihrer Religion zu leben.« An dieser Stelle fragte der Prinz, ob der Papst bereit sei, den Willen der Kirche, sich aus der Politik herauszuhalten, schriftlich zu bekräftigen. Pius XII. wich der Frage aus, indem er darauf hinwies, das Problem liege darin, die genaue Bedeutung von »Politik« zu fassen. Religionsunterricht für die Kinder beispielsweise dürfe nicht als politisch angesehen werden. Hierauf sprach der Prinz einen weiteren wunden Punkt in den Beziehungen des Vatikans zum Reich an: die spektakulären Missbrauchsprozesse gegen deutsche Priester. Hunderte waren sexueller Verfehlungen bis hin zum Kindesmissbrauch angeklagt worden. »Solche Verfehlungen geschehen überall«, bemerkte der Papst. »Die einen bleiben geheim, die anderen werden ausgenützt. … Wenn solche Fälle mitgeteilt werden, wird sofort von Uns zugegriffen. Und zwar scharf. Bei gegenseitigem guten Willen kann man das alles in Ordnung bringen. … Wie gesagt, sie sollen besonders in kirchlichen Kreisen nicht sein, sind zu bedauern, und wenn sie geschehen sind, würde sofort scharf zugegriffen.« Dass das Staatssekretariat ein Jahr zuvor unter Kardinal Pacellis Leitung tatsächlich sofort gehandelt hatte, ist jetzt aus den vatikanischen Archiven ersichtlich. Ein Aktenkonvolut mit der Aufschrift »Wien: Befehl, alles Archivmaterial über Fälle von Immoralität bei Mönchen und Priestern zu verbrennen« dokumentiert die Entscheidung, angesichts einer laufenden Polizeiermittlung die Vernichtung aller Kirchenakten anzuordnen, die Fälle von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche in Österreich belegten.9 Bis heute haben Historiker die polizeilichen Untersuchungen zu Missbrauchsfällen von Minderjährigen in der katholischen Kirche während des Nationalsozialismus meist als Zeichen des staatlichen Antikatholizismus abgetan. Tatsächlich sollte die Strafverfolgung von Geistlichen wahrscheinlich Druck auf die Kirche ausüben. Dennoch gab es Gründe, warum die Kirche gegenüber dieser Form von Erpressung so verwundbar war. Da der Vatikan sein eigenes Aktenmaterial zu Missbrauchsfällen durch Geistliche nie für die Forschung geöffnet hat, konnten die Historiker nicht untersuchen, wie solche Fälle gehandhabt wurden. Erst viele 93

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Jahre später gab die deutsche Kirchenhierarchie auf äußeren Druck hin grünes Licht für eine Untersuchung sexueller Missbrauchsfälle, richtete den Blick aber allein auf die Jahrzehnte nach dem Krieg. Tausende von Fällen wurden aufgedeckt, zumeist begangen an Jungen unter dreizehn Jahren. Die Geschichte der Jahrzehnte zuvor ist noch unbekannt und weitgehend unaufgearbeitet.10 Während des ganzen Treffens äußerte der Prinz immer wieder seine Nervosität, etwas könne davon nach außen dringen. »Kein Mensch weiss, dass wir hier zusammen sind«, versicherte ihm der Papst. »Auch meine nächste Umgebung weiss nichts davon.«11 Nach dem Treffen kehrte Philipp von Hessen nach Berlin zurück, um Hitler die Worte des Papstes zu überbringen. Drei Wochen später ließ er nach seiner Rückkehr nach Rom Travaglini in die königliche Residenz kommen, wie es zu ihrer Standardprozedur wurde, und teilte ihm Hitlers Antwort mit. Travaglini wiederum schrieb einen Brief an Kardinal Lauri, den dieser an den Papst weitergab. »Der Führer«, begann die Botschaft, »war sehr zufrieden über die geheime Diskussion Prinz Philipps von Hessen mit seiner Heiligkeit am Abend des 11. Mai 1939. … Nach diesem Treffen gab es mehrere Gespräche in Berlin mit dem Führer und mit Göring und Ribbentrop.« Infolgedessen a) veränderte das Treffen des Papstes mit von Hessen Ribbentrops Haltung bezüglich einer Übereinkunft zwischen dem Reich und dem Vatikan, die er vorher abgelehnt hatte, aber nun unterstützte; b) wurde die deutsche Presse ab dem 25. Mai angewiesen, die Attacken auf die katholische Religion und katholische Priester in Deutschland einzustellen und stattdessen wohlwollend von ihnen zu sprechen, wenn sich gute Gelegenheiten dazu boten; c) forderte Hitler mehrere Amtsträger auf, über die religiöse Situation in ihrem Bereich zu berichten, um auf dieser Basis dann mit dem Vatikan über dessen Sorgen zu verhandeln; d) wurde beschlossen, Prinz Philipp mit einer Botschaft des Respekts und der guten Wünsche für den Heiligen Vater nach Rom zu schicken, begleitet von einigen konkreten Vorschlägen, um für die erhoffte Übereinkunft offizielle Kontakte über die diplomatischen Kanäle einzuleiten.

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Weiter betonte von Hessens Botschaft, dass Hitler der Geheimhaltung der Verhandlungen hohe Bedeutung zumesse und nichts davon in den offiziellen diplomatischen Kanälen zwischen dem Heiligen Stuhl und Deutschland erscheinen dürfe. Sollten die Verhandlungen öffentlich werden, würde das Erwartungen an ein Abkommen schüren, die sich schließlich als unmöglich erweisen könnten. Dass Hitler auf diesem privaten Weg mit dem Papst in Kontakt stehe, könnte ihm als Zeichen der Schwäche angelastet werden, und solange kein Abkommen mit dem Papst zustande komme, brauche kein Wort von der ganzen Sache nach außen zu dringen.12 Den ganzen Sommer 1939 über nutzte Hitler, während er zugleich die Invasion Polens vorbereitete, immer denselben Kanal, um bei Pius XII. die Hoffnung auf eine Übereinkunft zu nähren, die ein Zeitalter harmonischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Dritten Reich einläuten könne. Anfang Juli erhielt der Papst eine neue Nachricht auf dem Umweg über Kardinal Lauri. Prinz Philipp, der wegen einer Hochzeit in der königlichen Familie gerade in Italien weilte, hatte Travaglini in den Palast bestellt, um ihm die neueste Botschaft Hitlers zu übermitteln. Als er Hitler wenige Tage zuvor getroffen hatte, hatte er ihn gefragt, ob die Vorschläge für den Papst fertig seien. Wie der Prinz berichtete, sei der Führer zwar »jetzt zur Versöhnung bereit«, aber »angesichts der gegenwärtigen extrem schwierigen internationalen Lage bitte er um Entschuldigung, dass er das komplexe Problem der katholischen Kirche bis jetzt nicht gebührend studieren konnte, um dem Heiligen Vater mit frommen und respektvollen Gefühlen großer Wertschätzung und Sympathie konkrete Vorschläge machen zu können«. Philipp von Hessen fügte rasch hinzu, nach seiner Überzeugung sei der so stark ersehnte Religionsfriede jedoch erreichbar, und er hoffe, bald wieder nach Rom zu kommen, um mit dem Papst zusammenzutreffen.13 Das nächste Geheimtreffen mit dem Papst fand gut einen Monat später statt, keine Woche vor dem deutschen Überfall auf Polen. Es wurde am 21. August von einem langen, ermutigenden Bericht Travaglinis eingeleitet, der erneut über Kardinal Lauri an den Papst ging. Mit der für ihn typischen großen Portion Eigenwerbung informierte Travaglini den Pontifex, er sei kürzlich aus Deutschland zurückgekehrt, wo er hohe NS-Funktionäre mit den Worten, Papst Pacelli sei ihr Papst, zugunsten des Vatikans einge­ 95

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nommen habe. Philipp von Hessen lasse Pius XII. mitteilen, dass Hitler der Presse befohlen habe, ihre Kritik an der Kirche einzustellen. Um ein Übereinkommen mit dem Vatikan atmosphärisch vorzubereiten, gehe das Reich zudem gerade sachte auf Distanz zu Alfred Rosenberg, dem wichtigsten antikirchlichen Vordenker des Nationalsozialismus. »Das Problem liegt nun allein in den Händen des Führers und von Ribbentrops«, schrieb Travaglini.14 Drei Tage später berichtete er an Kardinal Lauri: »Vor drei Stunden traf seine Kgl. Hoheit Prinz Philipp von Hessen aus Deutschland mit sehr dringenden Botschaften des Führers für den Heiligen Vater ein. Ich glaube, wir haben jetzt den offiziellen Beginn der Verhandlungen erreicht. Der Prinz muss morgen abend wieder mit dem Flugzeug abreisen oder spätestens am Samstag, nachdem er den Heiligen Vater getroffen hat.« Dann bat Travaglini um Instruktionen, wie er das neue Treffen arrangieren solle. Der Prinz werde denselben Decknamen wie beim letzten Mal benutzen: Marquis Turri. Als er Travaglinis Brief an den Papst weitergab, betonte der Kardinal in seiner Begleitnote, Philipp von Hessen komme nach Rom »auf Befehl des Führers, um erneut geheim und persönlich mit Eurer Heiligkeit über die besagten Angelegenheiten zu verhandeln«.15 Ein detaillierter Bericht über die nächste Begegnung des Prinzen mit dem Papst, die in Castel Gandolfo stattfand, liegt in deutscher Sprache in den neu geöffneten Archiven des vatikanischen Staatssekretariats vor. Unter dem Titel »Geheim-Audienz S.K.H. des Prinzen Philipp von Hessen, Samstag 26. Aug. 1939; Abends 6 Uhr« beschreibt er die dramatische Begegnung nur wenige Tage vor Hitlers Angriff auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste. Der deutsche Prinz begann in inzwischen gewohnter Weise: Hitler habe ihm aufgetragen, dem Papst zu versichern, dass ihm »nichts mehr am Herzen liege« als die Wiederherstellung des Friedens mit der Kirche. Der Führer glaube nicht, dass irgendwelche »grossen Sachen« sie trennten. Von dem offenbaren Widerspruch ungerührt, erläuterte der Prinz dann, die »grössten Sachen«, die vor einem Abkommen zu lösen seien, seien diese beiden: die »Rassenfrage« und das, was der Führer als Einmischung des Klerus in die deutsche Politik ansah. Hitler glaube, die »Rassenfrage … könne man ›umgehen‹«, vermutlich durch die Politik des neuen 96

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Der Nazi-Prinz

Papstes, sich nicht dazu zu äußern. Notwendig blieb also eine Übereinkunft über die angemessene Rolle der katholischen Geistlichkeit in Deutschland. In seiner Antwort dankte der Papst zunächst für die warmherzigen Grußworte des Führers. Auch er selbst würde gern eine ehrenvolle Übereinkunft sehen, die religiösen Frieden im Reich herstelle. Was Hitlers Bedenken in Bezug auf politische Aktivitäten der deutschen Geistlichen angehe, so gebe es da keinen Anlass zur Sorge, da die Kirche keinen Grund habe, in der Politik Partei zu ergreifen. Der Prinz sagte, der Führer sei überzeugt, ihre Gespräche könnten zu einem neuen, überarbeiteten Konkordat mit Deutschland führen, das dann auch Österreich einbeziehe. »Die Herbeiführung einer ehrenvollen religiösen Befriedung werden Wir gern mit allen Kräften fördern«, entgegnete der Papst. Ein solcher Frieden sei »wirklich ein grosser Wunsch des Führers«, versicherte wiederum Prinz Philipp dem Pontifex. »Er hofft, wenn er wieder offiziell nach Rom kommt, Euere Heiligkeit zu sehen.« Der Führer habe gehofft, dem Papst zum jetzigen Zeitpunkt bereits einige Punkte geliefert zu haben, damit die Verhandlungen vorwärts gehen könnten. Leider sei die »Russensache dazwischen gekommen« und habe Hitler von dem Thema abgelenkt. Von Hessen brauchte seine Anspielung nicht zu erklären, denn über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt oder Hitler-Stalin-Pakt, der drei Tage zuvor in Moskau unterzeichnet worden war, hatten die Zeitungen schon berichtet. Dennoch blieben die Verhandlungen mit dem Papst für den Führer von größtem Interesse, betonte der Prinz. Aus diesem Grund habe er ihn nach Rom geschickt, damit die Diskussionen vorankämen. Zugleich sei ihnen allen klar, dass alles geheim ablaufen müsse, wenn sie »Gegenwirkungen« seitens jener verhindern wollten, die jedes Abkommen zwischen Pius XII. und dem Führer ablehnten. Es sei gewiss zutreffend, dass es Personen gebe, die einen solchen Frieden nicht abgeschlossen sehen wollten, pflichtete der Papst ihm bei, doch Hitler brauche sich keine Sorgen um die Geheimhaltung vonseiten des Vatikans zu machen: »Für Uns ist das secretum heilig.« Als das Treffen sich dem Ende näherte, bat der Prinz, obwohl er Protestant war, den Papst um Erlaubnis, ihm zu Ehren eine kleine Madonna »zum 97

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Gedenken an diesen Tag« stiften zu dürfen. Es war eine passende Gabe, denn Pius XII. verehrte die Jungfrau Maria tief. Er drückte seinen Dank für diese Geste aus und gab seine Einwilligung.16 Die nächste Begegnung des Papstes mit Hitlers Abgesandtem fand zwei Monate später statt, in einer veränderten Welt, in der ein schrecklicher neuer Krieg begonnen hatte.

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Kapitel 7

Das Gesicht wahren

»

Wir durchleben hier einen sehr mysteriösen Moment«, schrieb Botschafter William Phillips am 18. August 1939 an Präsident Roosevelt, »und unter der Sommerträgheit Roms liegt ein Gefühl echter Beunruhigung.« Seit Cianos Rückkehr aus Salzburg hatte Phillips erfolglos versucht, ihn zu sehen, um herauszubekommen, warum Hitler ihn so dringend zu sich gerufen hatte. »Der Papst soll ernsthaft besorgt sein«, fügte der Botschafter hinzu.1 Mussolini gefiel sich weiterhin in arroganter, wenn nicht größenwahnsinniger Prahlerei. Doch Zweifel seiner Generäle an der Bereitschaft der Armee und Berichte über die mangelnde Kriegsbegeisterung der Italiener gaben ihm zu denken. Seine Stimmungsschwankungen wurden immer häufiger. Gereizt durch die Behauptung einer Londoner Zeitung, die italienische Armee sei nicht zum Krieg bereit, machte er seinem Zorn gegenüber Ciano Luft. Er habe überlegt, neutral zu bleiben, aber nun wolle er an der Seite Deutschlands in den Krieg ziehen, »sonst wären wir für ein Jahrhundert entehrt«.2 Am nächsten Tag entspannte sich Mussolini – soweit ihm das überhaupt möglich war – mit Clara Petacci in ihrem Liebesnest im Palazzo Venezia. Neben dem Zimmer lag ein kleines Bad, wo Mussolini sich nach dem Sex gern frisch machte und das Gesicht mit seinem Lieblings-Kölnischwasser besprenkelte. Die damals 27-jährige Clara genoss den Zauber ihrer Nähe zu jenem Mann, den sie und viele andere italienische Schulmädchen als heroische Verkörperung von Männlichkeit vergöttert hatten. Während sie ihn jeden Nachmittag im Saal der Tierkreiszeichen erwartete, nähte sie neue Kleider, schrieb in ihr Tagebuch oder lag einfach träumend auf dem Sofa.3 99

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An diesem Tag dozierte Mussolini wie so oft vor Clara über die Weltlage, ein endloser Redestrom gemischt aus scharfsinniger Analyse und purem Vitriol. England hätte Polen nie Garantien geben sollen, ohne sich vorher mit Russland zu verständigen, sagte er. »Jetzt wird Russland sie reinlegen!« Ohne Russlands Unterstützung werde England bald merken, dass es sich in eine unmögliche Lage gebracht habe. »Sie werden anfangen zu sagen: ›Es lohnt sich nicht, für Danzig zu sterben … für etwas, das nichts mit uns zu tun hat.‹ … Ah, die Deutschen haben Glück. Sie kämpfen immer gegen Idioten oder Feiglinge.«4 Am nächsten Tag erschien der italienische Botschafter in Deutschland, Bernardo Attolico, im Palazzo Venezia. Er war mit dem Zug aus Berlin angereist und brachte dringende Nachrichten mit. Der Karrierediplomat und frühere Botschafter in der Sowjetunion wirkte ebenso weich wie der Duce hart. Er war groß, übergewichtig, hatte abstehende Ohren und dünnes zurückgekämmtes graues Haar, dazu trug er eine runde Brille mit dicken Gläsern. »Duce, in Berlin hat man beschlossen, Krieg zu führen, jetzt, in wenigen Tagen!«, berichtete Attolico atemlos. Der Duce befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und dachte einen Moment nach, bevor er ruhig sagte: »In diesem Fall … ist der Weg Italiens klar: Wir müssen dem Bündnis treu sein.« Der schockierte Attolico sagte nichts. Mussolini brach das Schweigen: »Es geht nicht anders! Ich habe der Menge auf dem Maifeld [in Berlin 1937] gesagt, das faschistische Italien spricht mit einer Stimme und hat einen Willen. Ich habe Deutschland vor einer Million dort versammelter Deutscher gesagt, dass man mit Freunden den ganzen Weg geht.«5 Am 22. August meldete die Weltpresse überraschend, Deutschland habe einen Nichtangriffspakt mit seinem Erzfeind, der Sowjetunion, geschlossen. Ein deutscher Angriff auf Polen schien nun kurz bevorzustehen. Am Tag nach der Unterzeichnung durch die Außenminister Ribbentrop und Molotow eilten der französische und der polnische Botschafter mit derselben Bitte in den Vatikan: Sollte Deutschland Polen überfallen, ein katholisches Land, sei es entscheidend, dass der Papst dies öffentlich verurteile.6 100

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Das Gesicht wahren

Am nächsten Tag traf Italiens Botschafter beim Heiligen Stuhl im Papst­ palast ein, wo er mit Kardinal Magliones Stellvertreter, Monsignore Do­ menico Tardini, zusammentraf, weil Maglione noch im Sommerurlaub war. Obwohl der Botschafter lieber den Kardinal persönlich gesprochen hätte, merkte er, dass es in Hinsicht auf den Papst wenig ausmachte, wenn er sich stattdessen mit Tardini oder dem anderen Stellvertreter Magliones, Monsignore Giovanni Montini, traf. Im Vatikan war allgemein bekannt, dass Pius XII. den beiden Stellvertretern näherstand als dem Staatssekretär selbst. Der Papst entwickelte nie ein warmes, persönliches Verhältnis zu Maglione und fühlte sich mit ihm nie ganz wohl. Der Kardinal war fast gleichaltrig mit Pacelli und während dessen Zeit in Deutschland Nuntius in Frankreich gewesen. Als Pacellis Rivale bei der Papstwahl fiel es Maglione schwer, die unterwürfige Rolle zu spielen, die der Papst bei seinen Mitarbeitern am liebsten sah. Gerade diesen hingebungsvollen Dienst fand der Papst aber bei Magliones Stellvertretern, die ihm schon in seiner Zeit als Staatssekretär loyal gedient hatten.7 Die beiden Männer waren sehr unterschiedlich. Der 41-jährige Giovanni Battista Montini, der Favorit des Papstes, stammte aus einer prominenten katholischen Familie im norditalienischen Brescia und hatte seinen Schliff in katholischen Eliteseminaren und -kollegien erhalten. 1937 wurde er zum Substituten (Stellvertreter) im vatikanischen Staatssekretariat ernannt, der eine der beiden Hauptabteilungen dieses Amts leitete. Der fast zehn Jahre ältere Domenico Tardini wurde zur selben Zeit Sekretär der Kurienkongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten und war damit für die Beziehungen zu ausländischen Regierungen zuständig. Der Sohn einer bescheidenen römischen Familie wirkte neben dem vornehmen Montini ungeschliffen. »Monsignore Tardini ist ein kleiner, gedrungener Mann, recht gewöhnlich und von bescheidener Herkunft, mit sehr lebhaftem Geist, von mäßiger Kultur, impulsiv«, beobachtete der französische Botschafter. Obwohl Tardini nur sagte, was er sagen wollte, neigte er zu größerer Offenheit als andere im Staatssekretariat. Wegen dieses erfrischenden Charakterzugs und seines ironischen Witzes war er unter den ausländischen Gesandten im Vatikan beliebt.8 101

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Dem französischen Botschafter gelang es, Giovanni Montini mit einem Wortspiel zu charakterisieren: »Er ist ein wenig das enfant du choeur oder de coeur [Chorknabe oder Lieblingskind] des Papstes.« Tatsächlich ähnelte er in vielem dem Papst: Wie dieser stammte er aus einer hohen katholischen Familie, war intellektuell, schüchtern und vorsichtig in seinen Äußerungen, »er ist gefühlvoll, unentschlossen, unsicher in seinen Urteilen und zugleich sehr liebenswert, sehr offen und doch schwer zu fassen«. Der Botschafter beendete seine Skizze mit der Bemerkung, viele Leute glaubten, Montini könne eines Tages selbst Papst werden. Tatsächlich wurde er über zwei Jahrzehnte später in das höchste Kirchenamt gewählt und nahm den Namen Paul VI. an.9 Beim Treffen mit Mussolinis Botschafter sagte Tardini, der Papst werde jeden Vorschlag der italienischen Regierung begrüßen, um den Kriegsausbruch zu verhindern. Wie früher schon antwortete der Botschafter: Das

Monsignore Domenico Tardini, Kardinal Luigi Maglione, ­Monsignore ­Giovanni Montini und (sitzend) Kazimierz Papée, polnischer Botschafter beim Heiligen Stuhl, 16. März 1939.

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Einzige, was der Papst beitragen könne, sei, Polen zur Rückgabe Danzigs an Deutschland zu bewegen. Sofort informierte Tardini Pius XII. über die italienische Forderung. Am folgenden Tag überreichte der Papst ihm bei der frühmorgendlichen Besprechung in Castel Gandolfo den Text eines Telegramms, das er chiffriert an den Nuntius in Warschau senden sollte. Es lautete: »Wenn Polen in der Danzigfrage Entgegenkommen zeigen würde, könnte das einen Weg zur Entspannung öffnen.« Das war nicht der erste Versuch des Papstes, die polnische Führung zu größerer Flexibilität zu bewegen. Anfang August hatte er seinen Nuntius in Warschau angewiesen, die polnische Regierung von einem Kompromiss zu überzeugen. Nach Erhalt des jüngsten Telegramms suchte der Nuntius erneut den polnischen Außenminister auf und drängte ihn besonders, Polen solle Danzig an die Deutschen zurückgeben. Das lehnte der Minister rundheraus ab.10 Trotz seiner Prahlerei teilte der Duce nicht Hitlers rosige Prognose, wie rasch Polen zu besiegen sei. Noch weniger war er von einem leichten Sieg über England und Frankreich überzeugt, falls diese Mächte ihre Drohung wahr machten, Polen zu Hilfe zu kommen. Und auch wenn er die Stärke des faschistischen Italiens gern im Mund führte, war er doch nicht frei von Zweifeln, ob Italien einen europäischen Krieg führen könne. Bei den zweimal die Woche stattfindenden Treffen des Duces mit dem König als dem verfassungsmäßigen Oberkommandierenden der Streitkräfte machte Letzterer keinen Hehl aus seiner Meinung vom schlechten Zustand der Armee, der Unfähigkeit der Generäle, seiner Sorge vor einem französischen Angriff auf Italien über die Alpen hinweg und nicht zuletzt seiner Überzeugung, die Italiener seien psychologisch nicht auf einen Krieg vorbereitet. Außerdem hegte der König keinerlei Zuneigung zu den Deutschen, am allerwenigsten zu Hitler, den er verabscheute.11 Am Nachmittag des 25. August übergab Hans Georg von Mackensen, der deutsche Botschafter in Italien, einen Brief Hitlers an Mussolini, in dem der Verbündete verspätet von der Unterzeichnung des Nichtangriffspakts mit Moskau informiert wurde. An seinem Schreibtisch im Palazzo Venezia las Mussolini, der sich viel auf seine Deutschkenntnisse zugutehielt, Hitlers Brief sorgfältig durch. Seine Reaktion war eher gedämpft. Er 103

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hatte sich mit der Idee eines aufziehenden europaweiten Konflikts abgefunden, sagte aber, es wäre ihm lieber gewesen, Hitler hätte den Krieg noch ein oder zwei Jahre hinausgeschoben, damit Italien besser darauf vorbereitet sei.12 Obwohl er Mackensen versicherte, Italien werde sein Wort halten und im Krieg an der Seite Deutschlands stehen, suchte der Duce bereits einen Ausweg. Am nächsten Tag schickte er eine Botschaft an Hitler. Die italienischen Generalstabschefs hätten alle Rohstoffe zusammengestellt, die sie bräuchten, um ein Jahr lang Krieg führen zu können. Es folgte eine lange Liste, die mit sechs Millionen Tonnen Kohle, zwei Millionen Tonnen Stahl und sieben Millionen Tonnen Öl begann. Mussolini wusste, dass die Deutschen diese Forderungen nicht erfüllen konnten. Er beendete seine Botschaft mit einem Misston: »Wenn Sie glauben, dass noch irgendeine Möglichkeit zu einer Lösung auf dem politischen Feld besteht, so bin ich bereit – wie bei anderen Gelegenheiten – , meine volle Unterstützung zu geben und eine Initiative zu ergreifen, die Sie vielleicht für das Ziel für nützlich halten.« Hitler antwortete noch am selben Tag. Da seine Armeeführung ohnehin keine hohe Meinung von den Fähigkeiten des italienischen Verbündeten hatte, war er stets der Hauptförderer der Allianz mit Italien gewesen. Er fühlte sich dem Duce immer noch nahe und erinnerte sich an die frühen Tage in München, als Mussolini sein Vorbild und seine Inspiration gewesen war. Nun würde er tun, was er konnte, damit dieser sein Gesicht wahren konnte. Hitler schrieb ihm bedauernd, Deutschland könne die angeforderten Rohstoffe nicht alle liefern: »Unter diesen Umständen, Duce, begreife ich Ihre Lage und bitte Sie nur, die mir in Aussicht gestellte Bindung englisch-französischer Kräfte durch eine aktive Propaganda und geeignete militärische Demonstrationen herbeiführen zu wollen.«13 Hitlers Botschaft erfüllte ihren Zweck, denn sie erlaubte Mussolini die Behauptung, wenn er keine italienischen Soldaten schicke, um Seite an Seite mit seinen deutschen Verbündeten zu kämpfen, geschehe das nur, weil Hitler sie nicht angefordert habe. Es ließ sich aber nicht ignorieren, dass die Sache eine große Demütigung für den Duce war – nach all den Jahren, in denen er geprahlt hatte, er habe aus weichen, Mandoline spie104

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lenden Italienern abgehärtete faschistische Kämpfer gemacht. Der Krieg sollte noch mehr solche Demütigungen für ihn bereithalten. Am nächsten Tag, einem Sonntag, versammelte sich eine große Menge auf der Piazza Venezia und rief nach dem Duce. Die Menschen waren nicht gekommen, um ihre Begeisterung für den Krieg auszudrücken, sondern ihre Zuversicht, ihr Führer könne ihn irgendwie abwenden helfen. Nachdem er auf den kleinen Balkon vor seinem Büro getreten war und den Arm zum Faschistengruß erhoben hatte, ging Mussolini direkt zu Clara in den Saal der Tierkreiszeichen. »Liebling, hast du gesehen? Sie mussten mich sehen, und dann wärmte ich ihr Herz mit meinem Lächeln, als ich ein Zeichen machte, als wollte ich sagen, es würde besser. Diese Menschen wollen keinen Krieg … Leute schreiben mir aus der ganzen Welt und bitten mich, als Vermittler aufzutreten.« Dann lenkte Clara, wie so oft, das Gespräch von der Politik zum Persönlichen: ihre Eifersucht auf die anderen Geliebten Mussolinis. Vor allem beschäftigte sie Mussolinis ernsthafteste Liebesaffäre, die er mit Margherita Sarfatti gehabt hatte, obwohl sie über ein Jahrzehnt vorbei war. Die Erwähnung Sarfattis weckte im Duce die Erinnerung daran, wie seine Frau ihm das letzte Mal eine Gardinenpredigt über seine Beziehungen zu anderen Frauen gehalten hatte. Vor zehn Jahren habe Rachele ihn am Telefon mit Margherita erwischt, erzählte er Clara. Inzwischen interessiere sich seine Frau aber nicht mehr für seine Affären und auch nicht für ihn. »Nein, ich liebe sie nicht«, versicherte er Clara. »Sie ist die Mutter meiner Kinder. … Wir sind immer sehr reserviert miteinander, wirklich sehr. Wir sind zu verschieden.« Clara fühlte sich momentan beruhigt, aber ihre Zweifel und ihre Unsicherheit sollten bald wiederkehren.14 Unterdessen wuchs die Unruhe des Papstes. Während deutsche Truppen an der polnischen Grenze aufmarschierten, kehrte der französische Botschafter in den Vatikan zurück, um eine päpstliche Erklärung zugunsten Polens zu erbitten. »Seine Heiligkeit sagt, das wäre zu viel«, schrieb Monsignore Tardini, der sich an die päpstliche Reaktion auf dieses Ansinnen erinnerte. »Man darf nicht vergessen, dass 40 Millionen Katholiken im Reich leben. Denken Sie nur, welchen Dingen sie ausgesetzt wären, wenn der Heilige Stuhl so etwas täte!« Der Papst glaubte jedoch, er müsse 105

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irgendwie handeln, und schickte Pater Tacchi Venturi zu Mussolini, um ihn zu drängen, alles ihm Mögliche zu tun, um den Frieden in Europa zu bewahren und in jedem Fall Italien aus dem Krieg herauszuhalten.15 Dass auch Mussolini den Boten des Papstes dringend sprechen wollte, zeigt sich daran, wie schnell er einem Treffen zustimmte. Tacchi Venturi schickte sein Gesprächsgesuch um 12 . 30 Uhr und bekam eine Stunde später die Nachricht, er solle nachmittags um fünf in den Palazzo Venezia kommen. Dort erwartete ihn der Duce in recht guter Stimmung und wollte dem Papst seine eigene Botschaft übermitteln: Deutschland sei heute viel stärker als 1914, und selbst damals hätten die anderen Mächte mehrere Jahre gebraucht, um es zu besiegen. Es gebe aber noch Hoffnung, sagte der Duce. Dann zog er ein Blatt hervor, auf das er eine Botschaft geschrieben hatte. Diesen Ratschlag sollte der Papst an den polnischen Präsidenten schicken. Der Text war kurz: »Polen widersetzt sich nicht der Rückgabe Danzigs an das Reich und fordert Deutschland zu direkten Gesprächen über Zugeständnisse, die polnischen Verkehr über den Danziger Hafen erlauben, über den Korridor und über beiderseitige Minderheitenfragen auf.«16 Mussolini konnte zwar kurz angebunden sein und die Treffen mit ihm knapp bemessen, aber er drängte seinen alten jesuitischen Gesprächspartner nicht zum Gehen. Er sagte, es wäre kriminell, einen Weltkrieg bloß wegen der Danzigfrage ausbrechen zu lassen. Sollte das aber geschehen, nahm er den nächsten Appell des Papstes vorweg, würde er Italien nicht unüberlegt hineinstürzen. Tacchi Venturi eilte mit der Botschaft des Diktators zum Papst. Als Pius XII. erfuhr, was Mussolini von ihm wollte, ließ er Telegramme für die Nuntien in Warschau und Berlin vorbereiten. Das von Kardinal Maglione unterzeichnete Telegramm nach Berlin ging schnell heraus: Ein Diplomat hat folgende Lösung für die Danzigfrage vorgeschlagen: »Der polnische Korridor und das angrenzende Gebiet könnten ein unabhängiger Staat wie Monaco, Liechtenstein etc. werden, der von neutralen Mächten garantiert oder verwaltet wird, was völlige Freiheit für alle Nationalitäten und für den Handel sichern würde.« Da die Lage jetzt extrem ernst erscheint, teile ich Ihnen Obiges auf die erlauchte Anordnung des Heiligen Vaters mit,

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Das Gesicht wahren

damit Sie Gebrauch davon machen können, wie es Ihnen möglich und opportun erscheint.17

Die Botschaft an Polen zu formulieren, fiel Magliones Stellvertretern schwerer. Der stets vorsichtige Monsignore Tardini stellte sogar die Frage, ob es klug vom Papst sei, eine solche Botschaft überhaupt zu schicken. Abgesehen davon, dass die geheimen Anstrengungen des Papstes wahrscheinlich ans Licht kommen würden, sah er drei weitere Gründe, warum man die Idee besser aufgeben solle. Erstens »würde es scheinen, als ob der Heilige Stuhl Hitler in die Hände spielt. Er würde mit Danzig einen weiteren großen Bissen nehmen, und im nächsten Frühjahr würde alles von Neuem beginnen.« Zweitens »würde es scheinen, als hätte der Heilige Stuhl ein zweites München erreicht«, das Tardini so beschrieb: »Hitler schrie, drohte und bekam, was er wollte.« Drittens, warnte der Monsignore, »würde der Heilige Stuhl etwas zu eng an Mussolini gebunden erscheinen. Es wäre nicht schwer herauszubekommen, dass die Person, die den Vorschlag machte, … er selbst war. Das alles bereitet mir Sorge, weil es genau die Vorwürfe sind, die jetzt gegen den Heiligen Stuhl erhoben werden.« Der Papst hörte aber nicht auf Tardinis Rat, schickte das Telegramm trotzdem und wies seinen Nuntius in Warschau an, den polnischen Präsidenten aufzusuchen.18 Obwohl Pius XII. auf diese Weise in letzter Minute eine friedliche Regelung des deutsch-polnischen Streites herbeizuführen suchte, hegte er wenig Hoffnung auf einen Erfolg. »Polen wird binnen weniger Tage unterworfen sein«, äußerte er einem französischen Prälaten gegenüber, der den Vatikan besuchte. »Und Frankreich kann nichts für Polen tun, rein gar nichts. Wissen Sie, wie stark Deutschland ist? Es ist übermächtig.«19 Doch der Papst unternahm noch eine letzte Anstrengung. Am 31. August, nur Stunden vor Kriegsbeginn, ließ er Maglione die Botschafter aller fünf Länder im Zentrum der Krise – England, Frankreich, Polen, Deutschland und Italien – gesondert in den Vatikan bestellen. Jeder erhielt ein Exemplar des päpstlichen Friedensappells.20 Mussolini war ebenfalls ausgesprochen nervös, aber seine Nervosität war mit Erregung gemischt. Am Vortag hatte er wie so oft mehrmals Clara an107

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gerufen, bevor sie in ihr Zimmer im Palazzo Venezia kam. Als sie am späten Nachmittag eintraf, gab er ihr ein humoristisches Magazin zu lesen und sagte, er müsse einen wichtigen Anruf abwarten, bevor er Zeit für sie habe. Doch seine Ungeduld war stärker. Er zog ihr grob das Kleid über den Kopf, und wie Clara in ihrem Tagebuch notierte, »liebten wir uns wild«. Sie fügte hinzu: »Ich weine vor Glück.« Bald kam der Anruf, den Mussolini erwartete, und Ciano teilte ihm die neuesten deutsch-polnischen Entwicklungen mit. Als Mussolini zu Clara zurückkehrte, erzählte er ihr davon: Der Krieg stehe kurz bevor. »Arme Polen, arme Polen, was sie für ein Unglück anrichten!«, sagte der Duce. »Wie können sie so dumm sein, an Hilfe von den Franzosen oder Engländern zu glauben?«21

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Kapitel 8

Der Krieg beginnt

V

or Sonnenaufgang begann am 1. September 1939 ein deutsches Schlachtschiff die polnische Garnison im Hafen von Danzig zu beschießen. Gleichzeitig überschritten 62 deutsche Divisionen mit Unterstützung von 1300 Flugzeugen die Grenze, wobei der eine Hauptstoß von Preußen im Norden kam, und der andere von der Slowakei im Süden. Um sechs Uhr früh begann die Bombardierung Warschaus. Sturzkampfbomber (Stukas) griffen polnische Truppenmassierungen an, und die Luftwaffe suchte so viele polnische Flugzeuge wie möglich am Boden zu zerstören. Der Luftangriff richtete sich auch gegen Städte und Dörfer, wodurch die verängstigten Einwohner die Straßen verstopften und den polnischen Nachschub an die Front behinderten. Monsignore Rarkowski, der katholische Militärbischof der Wehrmacht, schickte an diesem Tag folgende Botschaft an die katholischen Soldaten: »In ernster Stunde, da unser deutsches Volk die Feuerprobe der Bewährung zu bestehen hat und zum Kampfe um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte angetreten ist, wende ich mich … an euch Soldaten …. Jeder von euch weiß, worum es in diesen Sturmestagen unseres Volkes geht, und jeder sieht bei diesem Einsatz vor sich das leuchtende Vorbild eines wahrhaften Kämpfers, unseres Führers und Obersten Befehlshabers, des ersten und tapfersten Soldaten des Deutschen Reiches, der sich nunmehr bei euch an der Kampffront befindet.«1 In den ersten drei Kriegstagen verübte die Wehrmacht 72 Massenerschießungen, von denen sowohl polnische kriegsgefangene Soldaten als auch Zivilisten betroffen waren – Männer, Frauen und Kinder, die aus Ärger über den Volkswiderstand gegen die deutsche Besatzung erschossen wurden. Am 8. September etwa traf ein Schuss aus einer Oberschule einen 109

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deutschen Offizier; die Deutschen reagierten mit der Erschießung von fünfzig Schülern, obwohl der Junge, der geschossen hatte, sich stellte. Am selben Tag wurde ein deutscher Kompaniekommandeur bei Kämpfen südlich von Warschau getötet, worauf wutentbrannte Deutsche 300 polnische Gefangene zu einem Graben trieben und mit Maschinengewehren erschossen. Ihre Leichen ließen sie an der Straße liegen.2 In ihrer Verzweiflung sandte die polnische Führung dringende Hilfsappelle an die französische und britische Regierung, doch die deutschen Truppen setzten ihren brutalen Vormarsch ungehindert von äußerer Einmischung fort. Im Lauf der nächsten Wochen begingen sie über 600 Massaker, manche als Vergeltung für den Tod eines deutschen Offiziers, einmal gar als Riposte für den Tod zweier deutscher Pferde, die ins Kreuzfeuer geraten waren. In diesen ersten Wochen begann auch die Verfolgung der polnischen Juden, bei der schließlich drei Millionen von ihnen das Leben ließen.3 Es war der Augenblick, den Pius XII. gefürchtet hatte. Er war nicht nur entsetzt über die Verwüstung Polens und das Leid seiner weitgehend katholischen Bevölkerung, sondern wusste auch, dass der Druck auf ihn, den Überfall der Nazis zu verurteilen, fast unerträglich werden würde. Mussolini selbst glaubte, Grund zur Sorge zu haben, der Papst könne sich dazu äußern. Ein geheimer Polizeibericht informierte den Duce: »Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Pontifex, dem die Existenz Polens, wie man weiß, am Herzen liegt, mit einer öffentlichen Erklärung intervenieren wird.«4 Mussolini hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Am Tag nach dem Überfall fragte der französische Botschafter Kardinal Maglione, ob der Papst seine Stimme erheben werde. Nein, antwortete der Kardinal, das sei nicht der Stil des Papstes. Er ziehe es vor, »die Fakten für sich selbst sprechen zu lassen«. Gleich nach dem französischen Botschafter erschien der polnische mit derselben Bitte. Der Kardinal versprach ihm nur, der Papst werde Polen in seine Gebete einschließen.5 Der deutsche Angriff brachte Mussolini in eine unbehagliche Lage. Er war noch nicht bereit, Italien in den Krieg zu führen, fürchtete aber, er könne als zu feige angesehen werden, um an der Seite seines Verbündeten zu 110

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kämpfen. Am Tag des Einmarschs hatte er seinen Botschafter in Berlin angerufen: Hitler möge ihm eine Botschaft senden, dass er die Hilfe des Verbündeten im Moment nicht brauche. Der Führer kam seiner Bitte rasch nach.6 Um drei Uhr nachmittags versammelten sich die italienischen Minister nervös im Palazzo Venezia, um die Entscheidung des Duces zu erfahren. Mussolini erschien in seiner weißen Sommeruniform. Sein Justizminister Dino Grandi hatte den Eindruck, er sei zehn Jahre älter geworden, »das Gesicht bleich und mit tiefen Falten, die das innere Drama zeigten, das ihn seit zwei Wochen peinigte und das er hinter der Maske eisiger Ruhe nicht verstecken konnte«. Mussolini sagte, er habe dem Führer die Lage Italiens klargemacht: Das Land sei erst Ende 1942 zum Krieg bereit. »Während Mussolini sprach, verrieten seine Augen und sein Gesicht einen inneren Sturm«, erinnerte sich Grandi. »Hitlers Telegramm und Italiens Nichteintritt in den Krieg bedeutete für ihn wenn nicht die erste, doch sicher die größte Niederlage seines Lebens. … Widersprüchliche Gefühle durchdrangen ihn gleichzeitig: Eifersucht, Zorn, Selbsttäuschung, Demütigung.« Die neue Parole heiße »Nichtbeteiligung am Krieg« beschied Mussolini. Das Wort »Neutralität« war dem Duce verhasst. Nach der Sitzung wartete Mussolini nervös, welche Wirkung seine Verlautbarung haben würde. Seine Mitarbeiter schlugen vor, vor dem Palazzo Venezia eine jubelnde Menge für eine triumphale Rede zu versammeln, aber er lehnte ab. Die Aussicht, dass Faschisten die Entscheidung bejubeln würden, nicht in den Kampf einzutreten, war ihm zuwider.7 Die Furcht, der deutsche Überfall auf Polen könne einen größeren Konflikt auslösen, erwies sich rasch als begründet. Am 3. September erklärte England Deutschland den Krieg. Frankreich folgte am Nachmittag. Während die Wehrmacht rasch durch Polen vorstieß, blieb aber unklar, was beide Länder genau tun wollten, um sie zu stoppen. Für den Duce war das Tempo, mit dem die deutsche Offensive durch Polen pflügte, berauschend. Als Erziehungsminister Bottai am 5. September das Büro des Diktators betrat, stand dieser an einem Tisch und betrachtete eine große Karte Europas. Er blickte zu seinem Besucher auf und sagte: »Die Franzosen wissen nicht, wo oder wie sie diesen Krieg führen sollen, und wollen es sowieso auf keinen Fall tun.« Er schaute wieder auf 111

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Europa herab. »In weniger als einem Monat wird das polnische Spiel vorbei sein«, sagte er voraus.8 Nicht lange nach Kriegsausbruch richtete Mussolini seine erste Warnung an den Papst. Am 3. September, kaum 48 Stunden nach dem deutschen Einmarsch in Polen, nahmen italienische Polizisten Guido Gonella fest, einen der prominentesten Journalisten des vatikanischen Osservatore Ro­ mano. Zusammen mit dem Zeitungsdirektor und Chefredakteur Giuseppe Dalla Torre galt Gonella faschistischen Funktionären seit Langem als Störenfried, eine vom Vatikan geschützte antifaschistische Stimme. Gonella war für die Kommentare zu internationalen Angelegenheiten zuständig. Entsprechend war sein Artikel vom Vortag mit dem Titel »Erste Gedanken über den ernsten Konflikt« der Auslöser für seine Verhaftung. Mussolinis Botschafter im Vatikan war über die seiner Meinung nach wenig schmeichelhafte Darstellung des deutschen Einmarschs verärgert und schlug vor, Mussolini solle Druck auf den Papst ausüben, indem er Gonella in Il Regime Fascista öffentlich denunzieren lasse.9 Mussolini hatte die Zeitung regelmäßig zu diesem Zweck benutzt, und ihr Direktor Roberto Farinacci war ihm stets gern zu Diensten. Es war die alte Strategie von Zuckerbrot und Peitsche, wobei Farinacci sich in der Rolle der Peitsche gefiel.10 Zu Gonellas Unglück hielt der Duce eine strengere Maßnahme für nötig. Am Tag nach Erscheinen des Artikels befahl er persönlich die Festnahme des Journalisten.11 Gonella wurde ins alte römische Gefängnis Regina Coeli gesperrt, dessen ironischer Name – Himmelskönigin – auf seinen Ursprung als katholisches Nonnenkloster im 17. Jahrhundert verwies. Die Nachricht erreichte rasch den Papst, und trotz der späten Stunde – nach 22 Uhr – rief Kardinal Maglione den italienischen Botschafter an, um eine Erklärung zu fordern. Am nächsten Tag erschien Botschafter Pignatti vor dem Kardinal und erklärte, als italienischer Bürger habe Gonella kein Recht, einen Artikel zu veröffentlichen, der dem nationalen Interesse schade. Der Kardinal drohte, der Papst werde öffentlich gegen die Festnahme protestieren, aber das rührte den Botschafter nicht. Also entschloss Maglione sich zu einer versöhnlicheren Taktik. In diesem heiklen Augenblick 112

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werde ein öffentlicher Streit beiden Seiten schaden, sagte er. Er versprach, die vatikanische Zeitung werde künftig keine Artikel mehr bringen, die die deutsche Invasion kritisierten.12 Pignatti bemerkte bald die verbesserte Atmosphäre und berichtete, man könne den Osservatore Romano nun lesen, ohne unangenehme Überraschungen zu befürchten. Tatsächlich schienen die Vertreter des Staatssekretariats selbst eingeschüchtert. Mussolini ordnete persönlich Gonellas Freilassung an.13 Während Italiens Diktator Druck auf den Papst ausübte, nichts zum deutschen Angriff auf Polen zu sagen, versuchte der polnische Botschafter weiter, ihn zu einer öffentlichen Erklärung zu bewegen. Die Berichte aus seinem Land waren alarmierend. Während die Wehrmacht ihren Weg durch Westpolen nahm, das dem Reich angegliedert werden sollte, wurden Hunderte von Priestern festgenommen, die man verdächtigte, den polnischen Nationalismus und Widerstand zu unterstützen. An ihrer Stelle schickte man deutsche Priester. Schließlich endete über die Hälfte aller westpolnischen Priester in Konzentrationslagern, wo viele starben, derweil Seminare, kirchliche Schulen, Abteien und Nonnenklöster ihre Pforten schließen mussten. Kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen wurden ebenfalls geschlossen und Schreine, Kreuze und andere heilige Stätten im Freien abgebaut.14 Am Tag nach dem Angriff auf sein Land schlug der polnische Botschafter bei einem Treffen mit dem Papst vor, dieser möge der polnischen Presse eine Erklärung zu drucken erlauben, wonach der Papst Polen gesegnet habe. Obwohl Kardinal Maglione und Monsignore Tardini keine Einwände erhoben, lehnte Pius XII . ab und schlug vor, stattdessen eine Erklärung herauszugeben, dass der Papst alle Völker liebe und also auch das polnische. Schließlich wurde nichts daraus. Zehn Tage später bat der polnische Botschafter den Papst darum, einige in Rom lebende Polen zu empfangen. »Zu einer Zeit großen Schmerzes möchten sie sich um ihren gemeinsamen Vater sammeln«, brachte der Botschafter vor. Der Papst lehnte wiederum ab. Eine Notiz des Staatssekretariats in der Sache gibt Aufschluss: »Es ist nicht zu erkennen, wie man eine Audienz gewähren kann, die kein großes politisches Echo erzeugen würde.«15 113

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Der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl versuchte weiterhin, den Papst davon zu überzeugen, sein Schweigen zu brechen, und suchte Pius XII. in der Woche nach Kriegsbeginn zweimal auf. Der Papst rechtfertigte sein Schweigen mit dem Wunsch, nichts zu tun, was die Lage der Kirche in Deutschland verschlimmern könne. Diesen Grund wiederholten auch die Prälaten des Staatssekretariats immer wieder. »Schließlich sagten mir alle, es gebe rund 40 Millionen Katholiken im Reich und der Heilige Stuhl dürfe sie keinen Repressalien aussetzen«, berichtete Botschafter Charles-Roux. »Kurz gesagt, ich argumentierte mit Moral, Recht, Ehre, Gerechtigkeit und sie mit Methode, Praktikabilität, Tradition und Statistik.«16 Sechzehn Tage nach dem deutschen Einmarsch überschritten sowjetische Truppen die polnische Ostgrenze, und das Land wurde von beiden Seiten aufgeteilt. Immer noch schwieg der Papst. Kardinal Tisserant, einziger Nichtitaliener und einziger entschiedener Antifaschist in der Kurie, appellierte leidenschaftlich: »Sowjetische Truppen sind gestern in polnisches Territorium eingedrungen. Die Soldaten von Adolf dem Apostaten und die des atheistischen Staats vereinigen sich, um das katholische Polen zu zerstören. Wird der Heilige Stuhl nicht protestieren?«17 Befremdlicherweise war Kardinal Maglione trotz der internationalen Krise auf seinen Urlaubssitz bei Neapel zurückgekehrt und überließ es seinen beiden Stellvertretern, die Forderungen nach einem päpstlichen Protest abzuwehren. Der französische Botschafter hatte gehört, Maglione habe bewusst das Feld für seine Stellvertreter geräumt, weil er glaube, sie hätten größeren Einfluss auf den Papst. Charles-Roux bezweifelte dies zwar, bemerkte aber: »Es herrscht nicht viel gegenseitige Sympathie zwischen Pius XII . und Kardinal Maglione.« Der französische Diplomat glaubte, Monsignore Montini, der Mann, der dem Papst am nächsten stand, hätte gern einige Worte des Protests von ihm gehört, aber »der Heilige Vater bleibt in seiner Isolation in Castel Gandolfo und schweigt«.18 Ende September erzeugte die Ankunft des polnischen Primas, Kardinal August Hlond, neue Hoffnungen, der Papst könne endlich seine Stimme erheben. Beim Treffen mit dem Papst in dessen Sommerresidenz wurden der Kardinal und seine polnischen Begleiter aber enttäuscht. Pius XII. äußerte »kein Wort des Tadels weder an der deutschen noch an der russischen Invasion Polens«, hielt der britische Gesandte beim Vatikan fest.19 114

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Viele waren vom Schweigen des Papstes überrascht. Nicht so Hitler. Eine Woche nach Beginn des Polenfeldzugs sandte der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl ein Telegramm nach Berlin: »Ablehnung Papstes, gegen Deutschland Partei zu ergreifen, würde durchaus in Einklang mit Zusicherungen stehen, die er mir in letzten Wochen wiederholt durch Vertrauensmann gegeben hat.«20

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Kapitel 9

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O

bwohl Mussolini vom raschen Vormarsch der Wehrmacht in Polen beeindruckt war, erkannte er sehr gut die mangelnde Begeisterung seiner Landsleute für ihre deutschen Verbündeten. Seine Frau Rachele, die vor Kurzem in einem Zug voller Soldaten gefahren war, hatte von den Wehrpflichtigen dasselbe gehört: »Für den Duce würden wir sicher kämpfen und töten, aber nicht für Hitler … nicht mal, wenn Gott der Allmächtige uns schickt.«1 Für Italiens Diktator war es ein schwieriger Balanceakt, sich einerseits als derjenige zu präsentieren, der Europa den Frieden bringen konnte, ohne andererseits das aggressive Image des Faschismus zu beschädigen, das er in zwei Jahrzehnten aufgebaut hatte. »In einer Situation voll unbekannter Größen wie der jetzigen«, sagte er Mitte September faschistischen Parteifunktionären in Bologna, sei ihre Aufgabe klar. »Bereitet euch militärisch auf jede Eventualität vor, unterstützt alle Friedensbemühungen, seid wachsam und arbeitet im Stillen.« Zwei Wochen später schlug er einen aggressiveren Ton an, als er die Leitung der Faschistischen Partei aus Genua empfing: »Wir sind Gefangene des Mittelmeers. Es ist ein großes Gefängnis, aber trotzdem ein Gefängnis. … Ihr müsst das italienische Volk auf die Möglichkeit des Krieges vorbereiten.«2 In den frühen Jahren seines Regimes hatte eine von Mussolinis Lieblingsprahlereien gelautet, er habe Italien vor den Kommunisten gerettet. Nun schien es ihn nicht zu stören, wenn Hitler gemeinsam mit Stalin Polen aufteilte. Kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee in Polen Mitte September 1939 erklärte Mussolini Clara die Situation: »Die Russen sind Slawen, genau wie die Polen: große Begeisterung, aber keine Vorbereitung.« Die Deutschen seien da ganz anders. »Der deutsche Soldat hat seine eigene 116

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Kultur, er liest, er versteht alles. … Von zehn russischen Soldaten können wenigstens acht oder neun nicht lesen oder schreiben, sie sind Analphabeten.« Er sagte voraus, Hitlers Bündnis mit den Russen werde nicht lange halten. »Du wirst sehen, dass ich ein Prophet bin. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Deutschland und Russland einander wie wilde Tiere angreifen werden.«3 Trotz Kardinal Magliones Versprechen, der Osservatore Romano werde nichts drucken, was dem Duce missfallen könne, blieb die Zeitung eine Quelle für Spannungen zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Regime.4 Mitte September provozierte ein Artikel über den Krieg einen weiteren Protest des italienischen Botschafters, der einen antideutschen Ton wahrzunehmen meinte. Angesichts der neuen Beschwerde verlor Maglione kurz die Geduld. Er sagte Pignatti, man könne kaum von ihm verlangen, die vatikanische Zeitung zu einem weiteren Propagandaorgan der Regierung zu machen.5 Der italienische Botschafter hielt die Sache für wichtig genug, um sie direkt beim Papst anzusprechen. Der Schlüssel für die ständigen Probleme mit der Zeitung sei ihr Direktor Giuseppe Dalla Torre, sagte Pignatti dem Papst bei einer Audienz Ende September in Castel Gandolfo.6 Nachdem der neue Papst so rasch Mussolinis Forderung nachgekommen war, den Kardinal abzuberufen, der als Koordinator der Katholischen Aktion ­fungiert hatte, schien es wahrscheinlich, dass Dalla Torre als Nächster würde gehen müssen. Mussolini sah ihn als gefährlichen Antifaschisten, und an Dalla Torres nazifeindlicher Einstellung bestand kein Zweifel. Doch obwohl der Papst ihm ungeachtet seiner Proteste verboten hatte, weitere deutschlandkritische Artikel zu veröffentlichen, zögerte er, ihn von seinem Posten zu entfernen.7 Als Pignatti die vatikanische Zeitung ansprach, reagierte der Papst, indem er an die jüngste Inhaftierung des Journalisten Guido Gonella erinnerte. »Der Heilige Vater sprach sehr ruhig zu mir über die Gonella-Affäre, ohne sich im Geringsten zu beklagen, nicht einmal über dessen Ausschluss aus der Faschistischen Partei.« Was den Papst laut Pignatti störte, war die Ungerechtigkeit, dass Gonella für etwas büßte, was nicht sein Fehler war, sondern der Dalla Torres.8 117

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Im Fokus der neuen Beschwerde des Botschafters stand ein Artikel im Osservatore Romano, der Präsident Roosevelt in gutem Licht darstellte. Als Pignatti ihm den anstößigen Artikel genauer beschrieb, äußerte der Papst sich mit ungewöhnlicher Härte über Dalla Torre. Er habe ihn wiederholt gewarnt, doch er überschreite immer wieder die Grenzen, die man ihm gesetzt habe. Pignatti schlug dem Papst eine einfache Lösung vor: »Schickt ihn weg.« Pius XII. wollte nichts versprechen. Er sagte, der Zeitungsdirektor sei intelligent und fähig, aber undiszipliniert. Wenn man Dalla Torre allein dastehen lasse, »würde er seine Sarkasmen gegen die halbe Welt richten«. Um seinen guten Willen zu zeigen, versprach der Papst, Dalla Torres Wunsch nach dem Kauf neuer Druckmaschinen, die die gestiegene Nachfrage nach der Zeitung befriedigen sollten, abzulehnen. Auch erweckte er beim Botschafter den Eindruck, er wolle die Höhe der Auflage reduzieren lassen. Am nächsten Tag bekräftigte der Papst, er habe Maßnahmen ergriffen, damit der Osservatore Romano der Regierung keinen weiteren Grund für Beschwerden liefere.9 Der Ärger über das Schweigen Pius’ XII. wuchs weiter, in Polen ebenso wie bei seinen Verbündeten. Mitte Oktober hatte Hitler einen großen Teil Westpolens an das Reich angegliedert, während der Rest des Landes durch eine gezackte Grenze zwischen deutscher und sowjetischer Besatzungszone geteilt war. Der polnische Botschafter beim Heiligen Stuhl hatte den Papst wiederholt gebeten, sich zu äußern, aber ohne Erfolg. Der britische Gesandte beschwerte sich, der Papst habe »Vorsicht und Unparteilichkeit zu einem Maß gesteigert, das an Kleinmut und stillschweigende Billigung grenzt«. Obwohl Osborne nicht wie sein französischer Kollege glaubte, der Pontifex stehe unter deutschem Einfluss, gab er zu: »Das Schweigen des Papstes ist schwer zu erklären und zu verteidigen.«10 Pius XII. verteidigte sich damit, es sei seine Rolle, sich mit geistlichen, nicht mit politischen Dingen zu befassen.11 Aber die Grenze dazwischen war unklar, wie sich in der ersten Enzyklika des Papstes zeigte, also seiner ersten Botschaft an alle Erzbischöfe und Bischöfe auf der Welt. Die italienische Presse behandelte die Enzyklika nicht nur als theologische Aussage des Papstes, sondern als Programm seines Pontifikats. Die vom 20. Okto118

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ber 1939 datierte und von Castel Gandolfo aus veröffentlichte Enzyklika Summi pontificatus bestand aus 117 Abschnitten und führte die Verderbtheit der Welt auf die Abkehr von den Lehren Christi zurück. Der Pontifex drängte die »Streiter Christi«, wie er die treuen Katholiken nannte, gegen die wachsende »Front der Christusfeinde« zu kämpfen. Während er die Werte von »katholischer Einheit« und »übernatürlichbrüderlicher Verbundenheit der Völker« predigte, geißelte der Papst jene Staaten, die Kirche und Staat trennten. Wie er in Erinnerung rief, verlangte die Kirchenlehre »Gehorsam und Ehrfurcht gegenüber der weltlichen Autorität, die ja ihre hohe Abkunft von Gott ableitet«. Auf der anderen Seite verurteilte er das Greifen des Staates nach »jener unumschränkten Selbstherrlichkeit, die doch nur dem Schöpfer zusteht; sie sucht sich an die

Offizielles Porträt von Pius XII. an seinem Schreibtisch, um 1940.

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Stelle des Allmächtigen zu setzen, erhebt den Staat oder die Masse zum letzten Ziel des Lebens, zur obersten Richtschnur der sittlichen und rechtlichen Ordnung.«12 In seinem Bericht über die Enzyklika für Ciano betonte Botschafter Pignatti die »schönen Worte«, die der Papst Italien und den Lateranverträgen gewidmet habe: »Es kann kein Zweifel an der politischen Bedeutung der päpstlichen Rede bestehen, da die ›Versöhnung‹ von Pius XII. nicht nur akzeptiert, sondern gefeiert wird.« Die Zeitung Il Popolo d’Italia, die Mussolini einst selbst gegründet hatte und die vor zwei Jahrzehnten das Sprungbrett für seine faschistische Karriere gewesen war, betonte in ihrem Artikel über die Enzyklika ebenfalls das Lob des Papstes für das italienische Regime. Das italienische Amt für Auslandspresse stellte ein Dossier über die Berichterstattung außerhalb Italiens zusammen. Den größten Eindruck auf die Korrespondenten der demokratischen Länder habe es gemacht, dass der Papst jene verurteilt habe, die Treue zum Staat über Treue zu Gott stellten. »Sie machten jedoch klar, dass der Heilige Vater in seiner Verurteilung nur Deutschland und Russland meinte, denn da er von den guten Beziehungen in Italien sprach, war Italien implizit davon ausgenommen.« Der vatikanische Osservatore Romano betonte seinerseits die positiven deutschen Pressereaktionen auf die Enzyklika, offenbar um deutsche Empfindsamkeiten zu beruhigen, und zitierte ausführlich aus der Deutschen All­ gemeinen Zeitung. Die Worte des Papstes, hieß es da, stünden in Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Regierung. Sogar Farinaccis Il Regime Fascista fasste die Enzyklika respektvoll zusammen.13 Nachdem die Eroberung Polens abgeschlossen war, teilte Hitler dem Papst mit, er sei bereit, die Geheimverhandlungen durch den Prinzen von Hessen wieder aufzunehmen.14 Das nächste Treffen fand am 24. Oktober 1939 statt. Auch hierzu liegt im jüngst geöffneten Archiv des vatikanischen Staatssekretariats eine Quasi-Mitschrift des auf Deutsch geführten Gesprächs vor. Das Dokument zeigt, wie eifrig Pius XII. sogar noch nach dem Überfall auf Polen und der sich abzeichnenden Ausweitung des Krieges eine Übereinkunft mit Hitler anstrebte. Vor allem wollte der Papst den deutschen Diktator eines wissen lassen: dass jedes Abkommen von einem 120

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positiven Wandel der deutschen Politik gegenüber der katholischen Kirche abhänge. Das Dokument bietet einen wertvollen und lange vermissten Einblick in das damalige Denken des Papstes. Als Philipp von Hessen sich gesetzt hatte, fragte der Papst nach dem Befinden Hitlers. »Es geht ihm sehr gut. Trotz der starken Anspannung«, antwortete der Prinz. Leider hätten die Polen selbst Unglück über sich gebracht, denn ihre halsstarrige Weigerung, die eigene Niederlage anzuerkennen, habe tragische Konsequenzen gehabt. Die Entscheidung des polnischen Oberkommandos, den Widerstand weiterzuführen, habe viele Leben sinnlos geopfert. Auch die Deutschen müssten aber den Mut der polnischen Soldaten anerkennen, erwiderte der Papst. Prinz Philipp ging darüber hinweg und sagte, alles in allem sei der Führer sehr zufrieden mit dem militärischen und politischen Fortschritt in Polen. »Wie geht es dem deutschen Volk in dieser Zeit?«, fragte der Papst. »Gut. Es sind zwar Lebensmittelkarten eingeführt worden. Aber das Volk ist zuversichtlich.« Der Papst bemerkte, dass militärisch nun Ruhe zu herrschen scheine. Das sei richtig, sagte der Prinz. Vielleicht sei er zu optimistisch, aber er sehe Zeichen, dass jetzt wieder Frieden in Europa einkehren könne. Er fügte hinzu, dass er dies jüngst auch Mussolinis Schwiegersohn Ciano mitgeteilt habe. Da Cianos 33-jährige Schwester Maria erst zwei Tage zuvor gestorben war, brachte die Erwähnung seines Namens den Papst dazu, sein Mitgefühl mit der Familie auszudrücken und den Prinzen nach Einzelheiten über Marias Krankheit und letzte Lebenstage zu fragen. Zufällig habe er Ciano am Tag vor Marias Tod gesehen, erzählte von Hessen, und die Gelegenheit genutzt, mit ihm darüber zu sprechen, wie man Frieden zwischen dem Dritten Reich und dem Vatikan erreichen könne. Ciano sei sehr daran interessiert gewesen, denn er glaube, dass ein Ende der Spannungen nicht nur der deutschen Regierung, sondern auch der italienischen nützen werde. Hier flocht der Prinz ein, er habe nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit dem Führer besprochen, was Pius XII. ihm bei ihrem vorigen Gespräch gesagt habe und für wie wichtig der Papst 121

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das Zustandekommen einer Übereinkunft halte. »Er war sehr einverstanden. Aber dann kam leider so vieles andere Dringende dazwischen. Aber die Absicht bleibt«, versicherte der Prinz. Damit waren sie bei dem Thema angekommen, das der Papst am drängendsten diskutieren wollte. Leider seien die Nachrichten aus Deutschland nicht so, dass sie ein Abkommen mit der Kirche ermutigten. Selbst jene, die sich für ein autoritäres Regime aussprachen, seien über die Behandlung der religiösen Einrichtungen beunruhigt. An diesem Punkt beschloss der Papst, ein Argument anzubringen, von dem er hoffte, es werde Hitlers Gefallen finden: Deutschlands Feinde schlachteten die schlechte Behandlung der Kirchen im Reich aus. All das, fügte der Papst hinzu – und meinte damit den auf ihm lastenden Druck, sich gegen Hitlers antikirchliche Maßnahmen zu äußern – , mache seine Stellung und die des Vatikans schwierig. Der systematische Angriff auf die Kirche in Deutschland müsse aufhören. Wenn Hitler ein Signal geben und die Lage sich verbessern würde, könne das den Weg zu produktiven Verhandlungen ebnen. »Ich verstehe, dass die Arbeitskraft des Führers jetzt durch andere Aufgaben stark beansprucht wird«, sagte der Papst. »Aber ein solcher Wink, ein solches ›Halt!‹ wäre möglich und äusserst wichtig. Denn – daran ist kein Zweifel: die Verfolgung geht weiter. Und zwar ganz zielbewusst und systematisch.« Vielleicht wäre es am besten, mit Vorverhandlungen in Berlin zu beginnen, wo der Führer die meiste Zeit verbringe, schlug der Prinz vor. Dort könne der päpstliche Nuntius die Gespräche leiten. »Es sind jetzt so viele Länder zum Reich gekommen«, dass offensichtlich ein neues Konkordat mit dem Vatikan nötig sei. Habe er vor, eine Kommission zu bilden, um solche Gespräche zu organisieren?, fragte der Papst. Nein, solche Instruktionen habe er nicht bekommen. Er entwickele nur einen Gedanken. Auf deutscher Seite müssten die Gespräche das Außenministerium und den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten einbeziehen. »Wenn Eure Heiligkeit im Prinzip dem zustimmen wollten, dann …«

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Der Papst unterbrach ihn. Damit solche Gespräche fruchtbar sein könnten, sei die Schaffung einer positiven Atmosphäre durch ein Signal des Führers unabdingbar. »Ich werde mich gern dafür einsetzen.« »Ich habe immer den Frieden zwischen Kirche und Staat gewünscht und wünsche ihn weiter«, sagte Pius XII. Philipp von Hessen kam an dieser Stelle auf einen Punkt zurück, den er schon bei ihrer früheren Begegnung erwähnt hatte. Er selbst gehöre zu den vielen in der NSDAP, die zu einer Übereinkunft mit der Kirche kommen wollten, doch sei eine antichristliche Fraktion dagegen. Aber am Ende treffe nur der Führer die wichtigen Entscheidungen, fügte er hinzu.15 Da er erkannte, dass diese Äußerung beim Papst die Frage nach Hitlers Verantwortung für den Nichtangriffspakt mit der UdSSR aufkommen lassen könnte, begann der Prinz eine präventive Verteidigung. Hitler habe das Abkommen aus politischer Notwendigkeit geschlossen, um sich den Rücken freizuhalten. Gewiss werde es kein Vordringen des Kommunismus in Deutschland bedeuten. Russland habe versichert, von Propagandaaktivitäten in Deutschland abzusehen, ebenso wie die Deutschen in Russland. Also keine Propaganda auf beiden Seiten, sagte der Papst. Natürlich sei die deutsche Polizei sehr streng, sagte Prinz Philipp. Unter keinen Umständen würde der Führer ein Wiedererstehen des Kommunismus in irgendeinem Teil des Reichs erlauben. Es wäre ein Segen für alle, wenn die »moralischen Konflikte«, vor denen kirchentreue Deutsche derzeit stünden, ausgeräumt würden, sagte der Papst. Für die Katholiken im Reich würde dann ihre doppelte Loyalität zu Kirche und Staat kein Dilemma mehr bedeuten. Als Pius XII. sich erhob, um das Treffen zu beenden, versicherte er dem Prinzen, wie sehr er dessen Besuch schätze, und bat ihn, Hitler seine besten Grüße zu überbringen.16

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Kapitel 10

Ein päpstlicher Fluch

I

m Lauf des Herbstes 1939 nahm die Furcht der Italiener, in einen ungewollten Krieg hineingezogen zu werden, langsam ab. Die Presse beschäftigte sich wenig mit der Achse Berlin–Rom, und sogar ein Besuch Heinrich Himmlers in Rom erregte wenig Aufsehen. Der amerikanische Botschafter schickte Roosevelt eine Einschätzung, die er bald bereuen sollte: »Obwohl die Regierung nicht bereit ist, ihre Neutralität zu erklären, und die staatliche gelenkte Presse ihre prodeutsche Tendenz beibehält, um keine deutsche Feindseligkeit zu erregen, glaube ich, dass Italien um jeden Preis den Konflikt mit den Alliierten vermeiden wird.«1 Mussolini war sich selbst nicht über den besten Weg im Klaren. Hitler hätte ihm zuhören sollen, bemerkte er zu Clara: »Täusch dich nicht, dass England und Frankreich diesmal nicht intervenieren, der Gedanke wäre verrückt.« Der Führer sei ein wahnhafter Fanatiker, ein Visionär. Er höre nicht zu. »Kurz, Hitler hat einen Fehler gemacht, er hat schwere Fehler gemacht. Nun muss er entweder in Paris einmarschieren oder ins Exil gehen!« Die Eroberung Frankreichs werde nicht leicht sein, sagte der Duce, dabei würden mindestens eine Million Deutsche sterben. Doch das hätte nicht nur negative Seiten, fügte er hinzu, denn wenn ein übermächtiges Deutschland geschwächt würde, hätte das auch Vorteile für Italien.2 Weitere Signale dafür, dass Mussolini sich langsam aus der Nähe zu ­Hitler zurückziehen könnte, kamen Ende Oktober, als er den Parteichef der Faschisten sowie einige Minister entließ, die als begeisterte Anhänger des Bündnisses mit den Nationalsozialisten bekannt waren. Es waren ­dieselben, die den antikirchlichen, antimonarchistischen Flügel der Faschistischen Partei bildeten, »Priester- und Judenfresser« nach den Worten des Justizministers Dino Grandi, der einer der prominentesten Nazi124

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gegner in der Faschistischen Partei war. Der vatikanische Staatssekretär Maglione äußerte Zustimmung zu den personellen Veränderungen und nannte sie einen Sieg für Ciano und die prokirchlichen Kräfte in der Regierung.3 Die Weigerung Pius’ XII., das NS-Regime zu verurteilen, wurde immer unangenehmer für ihn, als sich Berichte über Gräueltaten in den eroberten Gebieten häuften. Ende November erfuhr er, dass alle Anstrengungen des Vatikans, Hilfsgüter für das deutsch besetzte Polen zu schicken, hintertrieben wurden. Unterdessen ging die brutale Kampagne der Deutschen gegen Polens katholische Geistlichkeit, den Adel und die Bildungsschicht weiter, um jeden patriotischen Widerstand zu ersticken. In den westpolnischen Gebieten, die Deutschland Anfang Oktober annektiert hatte, waren viele Priester deportiert oder eingesperrt worden. Im Vatikan beschrieb man die Lage später so: »Die Kirchen, die nur einmal pro Woche zwei Stunden öffnen dürfen, bleiben wegen des Mangels an Geistlichen geschlossen. Keine Sakramente, keine Predigten, kein Religionsunterricht. Vollkommene Zerstörung der ehemals blühenden katholischen Presse. … Keine Seminare. Keine Klöster.«4 Der Osservatore Romano berichtete Mitte November kommentarlos, dass die polnischen Juden von der übrigen Bevölkerung getrennt würden und ein »gelbes Stoffdreieck« tragen müssten, um sie von der »arischen« Bevölkerung zu unterscheiden, wie die Zeitung es nannte. Im selben Monat wurde die Nachricht von der Schaffung eines »Reservats« in Polen verbreitet, in das die Nazis alle Juden aus deutsch besetzten Ländern schicken wollten, unter der Herrschaft von Generalgouverneur Hans Frank. Ebenfalls im November ließ Pius XII. auf die Nachricht, Hitler sei unverletzt einem Attentat entronnen, dem deutschen Diktator seine Glückwünsche schicken.5 Den Papst trieb nun die Sorge um, was geschehen würde, wenn der Krieg sich bis zum Frühjahr hinzog und die Deutschen ihren angedrohten Feldzug gegen Frankreich führten. Bei einem Treffen mit dem französischen Botschafter befragte der Papst ihn zur Stärke der Maginot-Linie, jener Kette von Festungen, sogenannten Blockhäusern und Bunkern, welche die Franzosen im letzten Jahrzehnt entlang der deutschen Grenze er125

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richtet hatten, um eine Invasion zu verhindern. Der Botschafter versicherte ihm, sie sei »undurchdringlich«.6 Wenn der Papst damals über Mussolinis Absichten beunruhigt war, bekamen die Italiener nichts davon mit. Am 7. Dezember präsentierte Dino Alfieri in einer farbenfrohen Zeremonie, über die weithin berichtet wurde, sein Beglaubigungsschreiben als neuer italienischer Botschafter beim Heiligen Stuhl. Er war Nachfolger Pignattis, der in den Ruhestand ging. Als er im Vatikan von einer Abordnung der Palatingarde empfangen wurde, hob Alfieri den Arm zum Faschistengruß. Dann wurde er durch die Säle des Papstpalastes geführt, wo Schweizergardisten und andere vatikanische Waffenträger ihm die Ehre bezeugten. Der Papst erwartete ihn auf dem Thron in der Sala Regia, umgeben von seinem adligen Hofstaat in vollem Ornat. »Es war die glorreiche Tat Eures hochverehrten Vorgängers, ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Staat im faschistischen Italien herbeizuführen«, bekräftigte der neue Botschafter in seiner Ansprache. Pius XII. beschloss seine eigenen Worte damit, dass er Gottes Segen für die italienische Königsfamilie und für Mussolini erbat. Die vatikanische Zeitung brachte ein wohlwollendes Porträt Alfieris, einer wichtigen Figur des faschistischen Regimes, aber bisher ohne diplomatische Erfahrung. Damit niemand die eigentliche Botschaft übersah, brachte der Erzfaschist Farinacci einen Kommentar auf der Titelseite seiner Zeitung Il Regime Fascista: »Die Worte des Papstes lassen keinen Zweifel zu. Er segnete Italien, das faschistisch ist, und unseren Duce.« Der Papst habe auch den neuen Botschafter gesegnet, der zuvor Minister für Volkskultur gewesen war, als die Regierung »dieselben Rassengesetze einführte, die verschiedene [Kirchen-]Konzile im Lauf der Jahrhunderte erlassen hatten«.7 Am nächsten Tag begab sich Pius XII. über den Tiber nach Santa Maria Maggiore, um seinen alljährlichen Weihnachtssegen »Urbi et orbi« für die Stadt Rom und den ganzen Erdkreis zu spenden, was einen neuerlichen Anlass zu umfassender Berichterstattung darstellte. Die gewaltige Kirche Santa Maria Maggiore, eine der vier römischen Papstbasiliken, geht auf das 5. Jahrhundert zurück und besitzt neben reichen Mosaiken aus dieser Zeit eine Fülle von Kunstschätzen aus späteren Jahrhunderten. Der Papst ließ sich in einer schwarzen Limousine mit geöffnetem Verdeck vom Vatikan zur Basilika fahren und segnete wiederholt die begeisterte Menge, die sei126

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nen Weg säumte. Männer schwenkten die Hüte, und von Ehrfurcht ergriffene Nonnen, erkennbar an ihren weißen Hauben, liefen neben dem langsam dahinrollenden Wagen her. Vor der Kirche salutierte eine italienische Einheit vor dem Papst, und eine Kapelle spielte die Papsthymne. Nachdem er die Soldaten gesegnet hatte, betrat Pius XII. die Basilika, wo er seine einfache weiße Robe rasch gegen eine reich bestickte tauschte und den breiten schwarzen Priesterhut, den er im Auto getragen hatte, gegen seine hohe weiße Mitra. Als er auf seiner sedia gestatoria wieder aus der Kirche herausgetragen wurde, während Diener von beiden Seiten einen weißen Schirm aus Straußenfedern über seinen Kopf hielten, winkte er der gewaltigen Menge erneut zu. Italienische Soldaten, die die Treppenstufen zur Basilika säumten, präsentierten das Gewehr, und eine Militärkapelle stimmte erneut die Papsthymne und danach die faschistische Hymne Gio­ vinezza an. In vieler Hinsicht war es die typische Mischung aus päpstlichen und faschistischen Symbolen, an die die Italiener sich inzwischen gewöhnt hatten.8

Dino Alfieri mit Rudolf Hess und Joseph Goebbels, Deutschland, 19. Juli 1939.

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Gegen Ende des Jahres 1939 erfuhren die Italiener von Plänen für einen noch dramatischeren Ausdruck der päpstlichen Freundschaft mit der Regierung: Pius XII. und der König wollten die Feiertage durch einen noch nie dagewesenen Austausch von Besuchen begehen. Die öffentlich angekündigten Ereignisse begannen am 21. Dezember mit dem detailliert choreografierten Besuch der Königsfamilie beim Papst. Ein Dutzend schwarzer Limousinen setzte sich vor dem Quirinalspalast in Bewegung und fuhr durch die Stadt zum Vatikan. Soldaten säumten die Straßen Roms und hielten die jubelnde Menge zurück. Der französische Botschafter beschrieb die Szene im Vatikan, als das Königspaar aus dem Wagen stieg. Die königliche Uniformjacke mit einem Durcheinander von Bändern und Orden bedeckt, stieg »der winzige König in seiner Generalsuniform« aus und stand neben der großen »eindrucksvollen Königin Elena in weißem Kleid und Mantille«. Begleitet wurden sie von Außenminister Ciano in seiner bestickten Ministerjacke. Bei der Privataudienz für das Königspaar im Kleinen Thronsaal des Papstpalastes beklagte sich Pius XII. über die Behandlung der Kirche in Deutschland, was vom zutiefst antideutsch eingestellten König gut aufgenommen wurde. Nach ihrem kurzen Gespräch bat der Papst auch das Gefolge des Königs herein, angeführt von Ciano.9 »Es ist nicht zu bezweifeln, dass König Vittorio Emanueles gestriger Besuch beim neuen Papst erneut den Wunsch nach Entspannung und Zusammenarbeit zwischen den beiden Mächten bewiesen hat, die sich Rom teilen«, berichtete der französische Botschafter am nächsten Tag. Angesichts der raschen Entwicklungen in Europa hatte der altgediente Diplomat eine neue Theorie dazu, was Italien durch eine stärkere Bindung an den Vatikan bezweckte. Keinen Monat zuvor hatte die Sowjetunion Finnland angegriffen, und man spekulierte bereits darüber, wer das nächste Opfer sein werde. Da die Deutschen nun also mit den Sowjets verbündet seien, »will das faschistische Italien einen vereinten Block mit der katholischen Kirche bilden«. Die faschistische Regierung präsentiere sich als Verteidiger des Glaubens und »hofft auf die Mitwirkung des Heiligen Stuhls, wenn der richtige Moment kommt, um den kriegführenden Mächten einen Kompromissfrieden im Namen des Christentums und der höheren Interessen der europäischen Zivilisation vorzuschlagen«.10 128

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Ein päpstlicher Fluch

Hatte der königliche Besuch im Vatikan schon öffentliche Aufregung hervorgerufen, so machte der Gegenbesuch des Papstes noch größeren Eindruck. Als ein Papst das letzte Mal den Quirinalspalast betreten hatte, war er noch sein Eigentum gewesen, denn der Palast war lange die päpstliche Residenz gewesen. Nachdem die Truppen von Vittorio Emanuele II., dem Großvater des jetzigen Königs, 1870 Pius IX . als Herrscher des Kirchenstaats abgesetzt und aus dem Quirinal vertrieben hatten, hatte der Pontifex ihn exkommuniziert. Manche glaubten sogar, der Papst habe an diesem Tag die Anwesenheit des Königs im Quirinal mit einem Fluch belegt. In jedem Fall war das gewaltige Gebäude nicht gerade gemütlich; mit seinen 110 000 Quadratmetern zählt es zu den größten Palästen der Welt. Tatsächlich wohnte die königliche Familie woanders und benutzte den Quirinal nur zu zeremoniellen Anlässen.11 In Mailand war Kardinal Schuster, Erzbischof der wichtigsten Diözese Italiens und nach Meinung mancher ein »überzeugter Faschist«, hocherfreut, als er von den Besuchen auf höchster Ebene erfuhr. Um stellvertretend an dem historischen Ereignis Anteil zu haben, arrangierte der Kardinal seinen eigenen zeremoniellen Austausch von Besuchen mit dem Chef der örtlichen Faschistischen Partei. Die katholische Tageszeitung brachte ein Foto von Kardinal Schuster, umgeben von Schwarzhemden in der Parteizentrale der Faschisten, die ihn mit gestrecktem Arm grüßten. Er durchschritt eine faschistische Ehrengarde und traf dann den federale, den Parteichef der Provinz, mit dem er laut der Zeitung »ein langes und herzliches Gespräch« führte.12 Zum päpstlichen Gefolge, das an einem grauen Dezembertag den Königspalast in Rom besuchte, gehörte eine eindrucksvolle Zahl von Kardinälen und anderen Würdenträgern, deren Wagen sich zwischen zwei Reihen italienischer Soldaten auf einer mit italienischen Fahnen und Papstbannern geschmückten Route durch die Stadt bewegten. Pius XII. fuhr, wie es nun üblich geworden war, in der einzigen offenen Limousine, damit die Menge ihn sehen konnte, und spendete trotz des Regens seinen Segen. Nach dem Empfang durch ein italienisches Bataillon auf der riesigen Piazza vor dem Palast wurden der Papst und sein Gefolge die Zeremonialtreppe hinaufgeleitet und oben vom König begrüßt. Farbenfroh uniformierte königliche Gardisten, die nach Größe 129

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ausgesucht waren, standen zu beiden Seiten des Monarchen, der dadurch noch kleiner wirkte.13 Vittorio Emanuele und der Pontifex waren ein seltsames Paar, hatten aber trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede manches gemeinsam; beide waren übernervös und fühlten sich in Gesellschaft nicht ganz wohl. Gemäß der Familientradition war der König eher antiklerikal als religiös, während der Groll im Vatikan über die königliche Eroberung des Kirchenstaats und die Inbesitznahme Roms vor sieben Jahrzehnten immer noch köchelte, wenn auch auf kleiner Flamme. Wie aber Pius XII. dem französischen Botschafter am nächsten Tag erklärte, wolle er gern seinen Teil beitragen, um die Popularität des Königs zu stärken. Im König glaubte der Papst einen Verbündeten zu haben, der sicherstellte, dass Italien nicht in den Krieg eintrat.14

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Kapitel 11

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u Beginn des Jahres 1940 war die Spannung in den Beziehungen zwischen dem faschistischen Staat und dem Vatikan, die in den letzten Tagen Pius’ XI. geherrscht hatte, nur noch eine ferne Erinnerung. Zahlreiche Polizeiinformanten berichteten Mussolini von der allgemeinen Begeisterung, mit der die Besuche zwischen Pius XII. und dem König quittiert wurden, und von dem verbreiteten Glauben, die gemeinsamen Anstrengungen von Duce und Papst würden Italien vor einem Krieg bewahren, den niemand wollte.1 Gleichzeitig setzte der Papst seine Versuche fort, die Beziehungen zum Hitlerregime zu verbessern. In seiner Neujahrsaudienz für die deutsche Vertretung beim Vatikan bestritt der Papst, etwas gegen totalitäre Staaten zu haben. Das harmonische Verhältnis zur italienischen Regierung beweise das Gegenteil. Fritz Menshausen, die Nummer zwei der Botschaft, beklagte sich darüber, dass die westlichen Demokratien die Äußerungen des Papstes als Kritik an den totalitären Regimen nähmen. Pius XII. erwiderte, dasselbe geschehe ja auch auf der anderen Seite, wenn die Presse in den totalitären Ländern seine Worte als gegen die Demokratien gerichtet darstelle. »Der Papst führte weiterhin aus, dass seine Reden selbstverständlich nur allgemeinen Charakter hätten und er besonders darauf bedacht sei, sie so zu fassen, dass sie von Deutschland nicht als gegen sich gerichtet missverstanden würden«, berichtete Menshausen nach Berlin.2 Am Vormittag des 10. Februar beging Pius XII. den ersten Todestag seines Vorgängers mit einer kurzen Zeremonie im Petersdom. Am nächsten Tag bot der Jahrestag der Lateranverträge von 1929 dem faschistischen Regime die Gelegenheit, seine Solidarität mit dem Vatikan zu zeigen. Italienische Fahnen hingen von allen öffentlichen Gebäuden, und Scheinwerfer 131

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strahlten nachts ihre Fassaden an, um den Tag zu würdigen, an dem Mussolini den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Kirche und Staat beendet hatte. Italiens neuer Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dino Alfieri, gab einen Empfang in der Botschaft und stand dabei unter einem großen Porträt Pius’ XII. Siebzehn Kardinäle, darunter Staatssekretär Maglione sowie seine Stellvertreter Montini und Tardini, nahmen daran teil. Auch alle ausländischen Botschafter beim Heiligen Stuhl waren anwesend, dazu Regierungsvertreter, faschistische Parteifunktionäre und römische Adlige. Jeder scharlachrot gekleidete Kardinal hatte einen eigenen zeremoniellen Auftritt, begleitet von vier Dienern mit großen brennenden Kerzen.3 Beim Essen befragte Kardinal Maglione den italienischen Außenminister intensiv nach Hitlers weiteren Absichten. Erneut stellte Ciano sich als Friedensstifter dar und beteuerte dem Kardinal, bei der Unterzeichnung des Militärpakts mit Deutschland im letzten Frühjahr klar gemacht zu haben, dass Danzig kein Grund für einen Kriegseintritt sein solle. Mussolini sehe Deutschland zwar positiver als er selbst, aber sein Schwiegervater erkenne, dass es in Italiens Interesse liege, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, so Ciano.4 Wenige Tage später empfing der Papst einen Mann, dessen Einschätzung der militärischen Lage ihm viel galt. Enrico Caviglia, der 77 Jahre alte Held des Ersten Weltkriegs, trug den Titel eines Marschalls von Italien, den höchsten militärischen Rang des Landes. Er gehörte auch dem Senat an. Cavaglia hatte Mussolini nie gemocht und war gegen einen Kriegseintritt Italiens auf der Seite Deutschlands. Wegen seines Rangs wurde der Marschall zeremoniell empfangen, als er mittags zur Audienz bei Pius XII. im Papstpalast erschien. Schweizer-, Palatin- und Nobelgardisten sowie Diener in roten Damastuniformen standen in Habachtstellung in den freskengeschmückten Gängen aufgereiht. Im prächtigen Kleinen Thronsaal wurde Caviglia vom maestro di camera empfangen, der ihn ins päpstliche Arbeitszimmer nebenan geleitete. Der am Schreibtisch sitzende Papst begrüßte ihn herzlich. Caviglia fiel auf, wie abgemagert der Papst aussah, seine Brille stand vom Gesicht ab. »Eine süße, umgängliche Stimme, simpatico«, nahm der General wahr und verglich Pius XII. mit seinem Vorgänger, der seinen Besuchern lieber Vorträge gehalten hatte, als ihnen zuzuhören. 132

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Die beiden Männer sprachen über die Schwierigkeit, einen dauerhaften Frieden zu erreichen. »Es ist unmöglich, einem Mann zu vertrauen, der sein Wort bricht«, sagte der Papst, ohne Hitler beim Namen zu nennen. Der Marschall entgegnete, bei seinem jüngsten Treffen mit Mussolini habe er ihn gedrängt, Italien aus dem Krieg herauszuhalten, wobei er an die Eitelkeit des Duces appelliert habe, indem er ihm versicherte, dadurch würde man ihn als wahrhaft großen Mann ansehen. »Gott segne Sie«, antwortete der Papst und bat den Marschall, diese Botschaft zu wiederholen. »Nicht alle beraten Mussolini in diesem Sinne.«5 Unter denen, die sich am meisten sorgten, wo der europäische Krieg hinführen könnte, war der amerikanische Präsident, der vor Neuwahlen im Herbst stand. Ende Februar schickte Roosevelt seinen Außenstaatssekretär Sumner Welles nach Europa, um mit den Staatsführern auf beiden Seiten zu sprechen. In Rom galt sein erster Termin dem Außenminister. Der Amerikaner ging mit geringen Erwartungen zu dem Treffen, da er gehört hatte, der Schwiegersohn des Duces strotze vor Selbstgefälligkeit. Doch Welles war angenehm überrascht. »Sein Benehmen war herzlich und ganz unaffektiert, und er hätte beim Äußern seiner Ansichten nicht einfacher oder offener sein können.« Zweifellos half es, dass Ciano Englisch sprach. Es half auch, dass er laut Welles »keine Anstrengung unternahm, seine herzliche Abneigung gegen Ribbentrop zu verbergen«. Erst am Ende des Treffens, als die Fotografen hereingerufen wurden, sah Welles den Ciano, den er erwartet hatte. »Dies war das einzige Mal, dass ich den ›Brust raus, Kinn nach oben‹-Ciano sah, von dem ich gehört hatte. Bevor die Fotoapparate klickten, hätte er nicht menschlicher, einfacher oder scheinbar offener in allen Äußerungen sein können.«6 Welles’ Eindruck vom Duce, den er am nächsten Tag im Palazzo Venezia aufsuchte, war ganz anders. Ciano begleitete Welles und Botschafter Phillips zu Mussolinis Büro. Dort war Welles wie jeder Besucher über die Größe des höhlenartigen Raums, aber auch über die karge Möblierung verblüfft. Der Duce begrüßte ihn an der Tür und geleitete ihn zu dem fast leeren Schreibtisch am anderen Ende. Ciano, Welles und Phillips setzten sich auf die drei bereitstehenden Stühle. 133

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Der amerikanische Besucher war von Mussolinis Aussehen schockiert und fand, dieser sehe fünfzehn Jahre älter aus als 58: »Er bewegte sich langsam wie ein Elefant. Jeder Schritt schien ihn anzustrengen. Er ist sehr schwer für seine Größe, und sein entspanntes Gesicht bildet Fettröllchen. Sein kurz geschnittenes Haar ist schneeweiß. Während unseres langen und schnellen Meinungsaustauschs hielt er öfter die Augen geschlossen und riss sie nur zu seinem dynamischen und schon oft beschriebenen Starren auf, wenn er eine Bemerkung besonders betonen wollte.« Phillips hatte angenommen, das Gespräch würde auf Französisch stattfinden, das Mussolini und er sprachen, aber der Duce wollte lieber Italienisch reden und ließ Ciano übersetzen. Welles’ Frage, ob er immer noch jeden Morgen ausreite, bejahte der Duce und fügte stolz hinzu, er spiele seit Kurzem auch Tennis und schlage regelmäßig seinen Trainingspartner, einen Profi. Beides hielt Welles vermutlich für unwahrscheinlich.7 Während der amerikanische Staatssekretär beim Duce weilte, bereitete sich Pius XII . auf den Empfang eines weiteren Amerikaners vor, der in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle spielen sollte. Zwei Monate zuvor

Mussolini an seinem Schreibtisch, Palazzo Venezia, 1. Februar 1940.

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hatte Präsident Roosevelt dem Papst seine Absicht mitgeteilt, einen persönlichen Abgesandten zu ihm zu schicken. Damals unterhielten die USA aus Rücksicht auf die Protestanten im Kongress keine diplomatischen Beziehungen zum Vatikan, und darum gab es auch keinen Botschafter. Roosevelt ernannte seinen Abgesandten in der Hoffnung, Pius XII. könne eine Rolle bei der Befriedung Europas spielen, aber auch um seinen Rückhalt unter den zahlreichen Katholiken in den USA vor der Präsidentenwahl zu stärken. Myron Taylor, den Roosevelt für den Job auswählte, war bis vor Kurzem Präsident von U. S. Steel gewesen, dem größten Stahlproduzenten und einer der größten Firmen des Landes. Der 66-jährige Episkopale – einen Katholiken zu ernennen, wäre politisch unmöglich gewesen – besaß eine Villa außerhalb von Florenz, wo er oft den Urlaub verbrachte. Mit seinem zurückgekämmten grauen Haar wirkte er sehr distinguiert und trug ganz natürlich seinen dunklen dreiteiligen Anzug oder den Frack mit weißer Fliege, wenn er bei einer päpstlichen Audienz erschien. Außerdem besaß er eine weitere Qualifikation für den Posten. Er war reich – und Roosevelt wollte den Kongress nicht um die Finanzierung einer Mission bitten, die unter den amerikanischen Protestanten viel Unmut erzeugen musste.8 Taylor kam am 20. Februar 1940 in Rom an und bezog eine Suite im luxuriösen Hotel Excelsior an der eleganten Via Veneto. Bei der ersten Begegnung mit Pius XII. eine Woche später entfaltete der Papst auf Englisch seine Ansichten über die europäische Krise. Das deutsche Volk habe den Krieg nicht gewollt, sei aber von der Gestapo eingeschüchtert und machtlos. Auch die deutschen Generäle seien nicht auf Krieg aus, aber ebenfalls nicht darauf vorbereitet, dem Führer Paroli zu bieten. In Italien sei Ciano gegen den Krieg, wie die meisten Italiener, aber der Duce schwanke anscheinend.9 Obwohl Myron Taylor Mussolinis Nähe zu Hitler ablehnte, hatte er früher wie die meisten amerikanischen Wirtschaftslenker den Duce durchaus bewundert. In ihren Augen hatte er die Sozialisten zermalmt, die Arbeitskämpfe beendet und Ordnung in ein Land gebracht, das in den USA als schlecht regiert und chaotisch galt. Am Tag nach seiner ersten Papstaudienz saß Taylor mit Mussolinis Justizminister zu Tisch. Dort erklärte Roosevelts Gesandter laut Alfieri »mit großer Bewegung, dass der Duce 135

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die Lage in Europa in seinen Händen halte und sein Eingreifen entscheidend sein könne. Bei dem Treffen äußerte Signor Taylor sich sehr respektvoll und bewundernd über den Duce. Er erinnerte sich mit offensichtlicher Freude daran, viermal von ihm empfangen worden zu sein«.10 Nach seinem dritten Geheimtreffen mit dem Papst im vorigen Oktober war der Prinz von Hessen nach Deutschland zurückgekehrt und hatte Hitler auf den aktuellen Stand gebracht. Da dieser glaubte, die Zeit sei gekommen, um die Diskussionen auf der nächsten Ebene fortzuführen, beschloss er, Außenminister Ribbentrop zum Pontifex zu schicken. Er stellte dem Papst frei, das Format für diese Begegnung zu bestimmen. Wenn es ein offizielles sein solle, würde Hitler durch seinen Botschafter beim Heiligen Stuhl eine förmliche Anfrage stellen. Falls dem Papst ein geheimes Treffen lieber wäre, würden sie weiterhin den Kanal über den Prinzen und Kardinal Lauri benutzen, um es zu arrangieren. Ende Dezember schickte Hitler den Prinzen wieder nach Rom, um diese Arrangements mit dem Papst zu besprechen. Seit der letzten Begegnung mit Pius XII. hatte Prinz Philipp auch mehrmals mit dem Duce und dessen Schwiegersohn gesprochen. Gemäß Hitlers Instruktionen bat er sie um Unterstützung bei der Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen dem Reich und dem Heiligen Stuhl. Mussolini wie Ciano hatten bereitwillig ihre Hilfe zugesagt. Die Botschaft des Prinzen an den Papst, die Travaglini zu Neujahr 1940 übermittelte, informierte ihn über diese Gespräche und schloss mit einem scheinbar hoffnungsvollen Zeichen. Hitler und Ribbentrop »würden sich freuen, rasch durch den üblichen Kanal zu erfahren, welche Probleme Seiner Heiligkeit am drängendsten erschienen, damit sie vor dem oben angesprochenen Besuch [Ribbentrops] gelöst werden könnten … und damit in diesen Tagen eine Atmosphäre von Vertrauen und Hoffnung geschaffen werde«. Der Prinz bat den Papst um eine Audienz, um die nächsten Schritte zu besprechen, da er bald nach Deutschland zurückkehren müsse.11 Gemäß dem inzwischen üblichen Weg trug Travaglini, der Mittelsmann vom Malteserorden, den Bericht über das, was der Prinz ihm gesagt hatte, zu Kardinal Lauri. Am 2. Januar 1940 schickte der Kardinal das Schreiben an Pius XII. weiter und bat den Pontifex in einer Begleitnote, ihm rasch 136

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mitzuteilen, was er dem Prinzen antworten solle. Eine getippte Notiz auf einem einfachen Blatt Papier, die zusammen mit dem Brief des Kardinals im jüngst geöffneten Archiv des Staatssekretariats liegt, zeigt, wie rasch der Papst dem Treffen zustimmte, und vermittelt einen Eindruck von der geheimnistuerischen Atmosphäre: »3. Januar 1940 (12.15). Seine Eminenz Kardinal Lauri teilt mit, dass ›die besagte Person‹ heute morgen nach Rom zurückkam und entsprechend angewiesen heute abend zur vereinbarten Zeit kommen wird.«12 Zur Vorbereitung des Treffens hatte Pius XII. hastig eine Liste mit fünf Forderungen an Hitler zusammengestellt. Er übergab sie dem Prinzen, als dieser abends unter seinem Decknamen im Papstpalast erschien. Bevor er auf seine fünf Punkte zu sprechen kam, gab der Papst zunächst seiner Freude darüber Ausdruck, dass »die eine oder andere der Propagandaschriften gegen die Kirche oder kirchliche Einrichtungen [in Deutschland] zurückgezogen worden ist«. Andere Zeichen seien freilich weniger ermutigend, denn die Nachrichten über antiklerikale und antichristliche Propaganda in Deutschland nähmen kein Ende. »Der Eindruck bleibt bestehen, dass in den Kreisen der Partei – vor allem in denjenigen Kreisen, die sich als die berufensten Vertreter des heutigen Deutschlands fühlen, in SS , SA , AF (Arbeiterfront [sic]), HJ , BDM  – , … darauf hingearbeitet wird, die Katholiken geistig und wenn möglich auch nach aussen sichtbar von ihrer Kirche zu trennen (man kann z. B. in der SS nicht vorankommen, ohne aus der Kirche ausgetreten zu sein).« Um »vor jeglicher Verhandlung zu einer Entgiftung der öffentlichen Atmosphäre zu schreiten«, müsse die deutsche Regierung bestimmte Maßnahmen ergreifen. Dann listete der Papst die fünf Schritte auf, die er Hitler nahelegen wollte: 1. Die Sistierung der christentums- und kirchenfeindlichen Angriffe in dem Schrifttum der Partei und des Staates, sowie die Zurückziehung der in diesem Betreff besonders anstössigen Veröffentlichungen der Vergangenheit. Einige der schlimmsten Schriften gegen die Kirche sind tatsächlich zurückgezogen worden, aber keineswegs alle. … 2. Einstellung der christentums- und kirchenfeindlichen Beeinflussung der Jugend im schulischen und ausserschulischen Bereich. …

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3. Wiederherstellung der Erteilung des Religionsunterrichtes in den Schulen in Übereinstimmung nach den Grundsätzen der katholischen Kirche und durchgeführt durch kirchlich approbierte Lehrkräfte, und zwar im Regelfall durch katholische Geistliche. 4. Wiederherstellung der Freiheit der Kirche, sich gegen öffentliche Angriffe auf kirchliche Lehre und Einrichtungen öffentlich zu verteidigen. … 5. Unterlassung weiterer Beschlagnahmen kirchlichen Eigentums in Voraussicht gemeinsamer Überprüfung geschehener Massnahmen.13

Am Morgen nach dem Treffen mit dem Papst teilte der Prinz unter Benutzung eines verabredeten Codes Ribbentrop telefonisch mit, was Pius XII . ihm gesagt hatte. Der Außenminister bat um weitere Erläuterungen, weshalb Prinz Philipp Travaglini die Frage weitergeben ließ, ob die fünf Punkte des Papstes eine »absolute Vorbedingung« für ihr Gespräch seien. Noch am selben Tag leitete Kardinal Lauri Ribbentrops Frage an den Pontifex weiter und fügte hinzu, falls der Papst es wünsche, werde der Prinz am nächsten Abend zu einer weiteren Besprechung erscheinen.14 Der Papst hielt es nicht für nötig, sich so schnell wieder zu treffen und schickte ihm stattdessen eine Botschaft auf Deutsch, die auf Ribbentrops Frage einging. »Der Heilige Vater« habe die fünf Punkte genannt, »um dadurch dem Herrn Reichsaussenminister einen Anhalt dafür zu geben, was kirchlicherseits zur Schaffung einer günstigen Besuchs- und Verhandlungsatmosphäre für dienlich gehalten wird. Der Heilige Vater hat damit lediglich das Ziel verfolgt, dafür zu sorgen, dass der in Aussicht genommene streng vertrauliche Besuch des Herrn Reichsaussenministers unter möglichst positiven Erfolgsaussichten stehe.« Drei Tage später, am 8. Januar, teilte Kardinal Lauri telefonisch mit, dass »die betreffende Person erfreut über die Antwort war und sichergehen wollte, dass der Heilige Vater sofort davon unterrichtet wird«.15 Bei seiner Rückkehr nach Deutschland Anfang Januar informierte Philipp von Hessen Hitler und übergab ihm das Fünf-Punkte-Memorandum, das Pius XII. vorbereitet hatte. Als er im Folgemonat wieder nach Rom geschickt wurde, um die Verhandlungen fortzusetzen, ließ der Prinz Travaglini in die königliche Residenz kommen, um eine neue Nachricht für den Pontifex entgegenzunehmen. Nachdem Hitler das päpstliche Memoran138

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dum gelesen hatte, habe er weitere Schritte mit Ribbentrop besprochen und prinzipiell den vom Papst dargelegten Punkten zugestimmt. Er habe entschieden, es sei das Beste, wenn das kommende Treffen seines Außenministers mit dem Papst offiziell und nicht geheim sei. Die Diskussion über die Konfliktpunkte zwischen dem Reich und dem Vatikan solle auf seiner Agenda stehen. Eigenartigerweise äußerte der Prinz bei dieser Gelegenheit auch Hitlers Wunsch, der Papst solle seinem Außenminister bei dem geplanten Treffen so sehr schmeicheln wie irgend möglich: »Bei der Begegnung von Ribbentrops mit dem Heiligen Vater – vielleicht einer entscheidenden für das Verhältnis zwischen der Kirche und dem Reich – würde der Führer es begrüßen, wenn der Heilige Vater viele, viele süße Worte an den Außenminister richten würde, da er für solche Ausdrücke sehr empfänglich ist und künftig die Aufsicht über dieses Thema haben wird.« Hitler »erwartet viel von dieser Audienz«, sagte der Prinz.16 Obwohl der Papst das Treffen mit dem Außenminister dringend erwartete, machte Hitlers Entscheidung, es publik zu machen, ihn nervös. Angesichts des heiklen Tanzes, den er mit den Polen und anderen vollführte, die ihn zu einem scharfen Urteil über das Reich drängten, konnte es unangenehme Folgen haben, wenn er im kollegialen Gespräch mit Ribbentrop gesehen wurde. Am 8. Februar ließ der Papst eine neue Botschaft an Philipp von Hessen auf Deutsch vorbereiten: Die hier bis in den Anfang des laufenden Monats vorliegenden Nachrichten über die kirchliche Lage in Deutschland lassen Anzeichen einer begonnenen Entspannung im Sinne der 5 angegebenen Punkte nicht erkennen. Unter diesen Umstaenden ist Seine Heiligkeit der Auffassung, dass es im Interesse einer ungestoerten und offenen Aussprache ueber die notwendigsten … Verhandlungspunkte auch jetzt noch zweckdienlicher ist, die erste Fuehlungnahme zwischen ihm und dem mit der Durchfuehrung beauftragten Herr Reichsaussenminister in vertraulicher Form erfolgen zu lassen. Seine Heiligkeit gibt sich dabei der Hoffnung hin, dass aus einer solchen Fuehlungnahme sich leichter Klarheit und gegebenenfalls Uebereinstimmung ueber diejenigen Fragen erzielen liesse, die bei einer kommenden Befriedung im Vordergrunde stehen muessten.17

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Am 18. Februar 1940 kehrte der Nazi-Prinz nach Rom zurück, wo Travaglini ihm die päpstliche Botschaft übergab. Travaglinis Bericht über sein Gespräch mit Philipp von Hessen, den Pius XII . wieder über Kardinal Lauri erhielt, nannte die neuesten Anreize des Prinzen für den Papst. Der Führer und Ribbentrop würden »die fünf Punkte des [päpstlichen] Schriftstücks vorsichtig und diskret umsetzen«. Sie planten, diese Aufgabe abzuschließen und dem Papst zum Gefallen vielleicht noch mehr zu tun – nach Ribbentrops Besuch. Um aber all das zu ermöglichen, so hätten sie beschlossen, könne der Besuch des Außenministers zwar als »privat« betrachtet werden, müsse aber von allem Zeremoniell begleitet werden, das für ein Ereignis von solcher Bedeutung angemessen sei. Die Botschaft des Prinzen an den Papst endete optimistisch: »Nach dem Besuch und der offenen Diskussion des Heiligen Vaters mit von Ribbentrop könnte eine neue Ära des Friedens für den Katholizismus in Deutschland anbrechen.«18 Nichts von der Geheimkorrespondenz, an der Kardinal Lauri, Travaglini und Philipp von Hessen beteiligt waren, erscheint in der zwölfbändigen Dokumentation, die vom Vatikan über den Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde. Auf den Tausenden Seiten, die zwischen 1965 und 1981 erschienen, wird sie nirgends erwähnt.19 Am Freitag, dem 8. März, benachrichtigte der Prinz Pius XII., dass Ribbentrop auf eine Begegnung in drei Tagen hoffe. Erst als der Prinz ihm am selben Tag telefonisch die Zusage des Papstes übermittelt hatte, bestieg der deutsche Außenminister den Zug nach Rom.20 Es war ein angespanntes Wochenende für den Papst, wie Monsignore Tardini, der stellvertretende Staatssekretär für internationale Angelegenheiten, am Samstag notierte. Achtzig Jahre später sind diese Notizen der Forschung zugänglich geworden: Am Montag, dem 11., wird von Ribbentrop den Heiligen Vater besuchen. Die Audienz wird seit einiger Zeit heimlich vorbereitet. Durch den Prinzen von Hessen und Travaglini gab der Heilige Vater ihm fünf Punkte, die der Heilige Stuhl erfüllt sehen möchte (alle von ihm persönlich vorbereitet und bis jetzt dem Büro [des vatikanischen Staatssekretärs] unbekannt). Die deutsche Regierung erklärte, sie könnten die Grundlage für eine Übereinkunft sein.

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Tardini fügte hinzu, erst am Vortag habe Botschafter von Bergen, der von den Geheimgesprächen zwischen dem Prinzen und dem Papst nichts wusste, von den Vorgängen erfahren und sei mit der förmlichen Bitte um eine Audienz zu Kardinal Maglione gekommen.21 Die Verhandlungen des Papstes mit Hitler im ersten Jahr seines Pontifikats waren außerhalb eines kleinen Kreises unbekannt geblieben, doch seine Begegnung mit dem deutschen Außenminister nach Monaten der Vorbereitung sollte nun in der Öffentlichkeit stattfinden.

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Kapitel 12

Ein problematischer Besucher

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m Montagvormittag, dem 11. März 1940, hielten vier schwarze vatikanische Limousinen vor dem Palazzo der deutschen Botschaft beim Vatikan. Zwei farbenfroh gekleidete vatikanische Diener mit Schwertern an der Seite stiegen aus einem Wagen, um Hitlers Außenminister als Gast des Papstes zu begrüßen. Der 46-jährige Joachim von Ribbentrop, der »grenzenlos eitle, arrogante und aufgeblasene ehemalige Inhaber einer Sektvertretung«, war einer der engsten Vertrauten des Führers geworden, obwohl die meisten anderen hohen Nazis ihn verachteten.1 Nachdem Ribbentrop mit seinem Gefolge eingestiegen war, fuhren sie durch die Porta Sant’Anna, den Einlass in der gewaltigen Mauer zur rechten Hand des Petersdoms, in den Vatikan. Papageienfarbene Schweizergardisten salutierten, als sie den Damasus-Hof betraten, der von den hohen Mauern des Papstpalastes aus dem 15. Jahrhundert umgeben ist. Erwartet wurde die deutsche Delegation am Fuß der großen Zeremonialtreppe vor dem Palast von Carlo Pacelli, dem 36-jährigen, schon früh kahl gewordenen schnurrbärtigen Neffen des Papstes. Carlo hatte die auf Kirchenrecht spezialisierte Anwaltskanzlei seines Vaters übernommen und war einer der wenigen Laien, denen der Papst völlig vertraute. Pius XII . bediente sich seiner regelmäßig, um seine Interessen in der Außenwelt zu vertreten. Nun begrüßte er in einer dunklen zweireihigen Diplomatenuniform mit goldenen Epauletten und einem silbernen Kreuz am Hals Ribbentrop, der eine ebenfalls dunkle, wenn auch weniger eindrucksvolle Uniform trug. Begleitet von Schweizergardisten stieg man die Treppe hinauf. Von der reich mit Fresken geschmückten Sala Clementina, die von einer Doppelreihe Schweizergardisten gesäumt war, wurde Ribbentrop von einem Prälaten ins Vorzimmer der päpstlichen Gemächer 142

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geführt, wo der Zeremonienmeister und mehrere hohe Würdenträger ihn begrüßten. Ribbentrop betrat die Privatbibliothek Pius’ XII. mit ihrem großen, mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch und einer weißen Madonnenstatue mit ausgebreiteten Armen. Der Außenminister, der nicht das Knie beugte, wie es üblich war, wenn man sich dem Papst näherte, begann das Gespräch, indem er Hitlers Grüße überbrachte. Der Papst sprach von seinen vielen Jahren in Deutschland, die vielleicht die glücklichsten seines Lebens gewesen seien. Ribbentrop sagte, er hoffe, sie könnten offen sprechen. Hitler glaube, dass eine Ausräumung ihrer Differenzen »durchaus möglich« sei, wolle aber erst sichergestellt wissen, dass »die katholische Geistlichkeit in Deutschland auf jede wie immer geartete Form politischer Betätigung verzichte«, das heißt, keine implizite oder explizite Kritik an der Regierung äußere. Natürlich sei die Kriegszeit nicht der Augenblick, um ein neues förmliches Abkommen zu treffen. »Einstweilen komme es deshalb nach Ansicht des Führers darauf an, den bestehenden Burgfrieden [zwischen Kirche und Staat] aufrechtzuerhalten und, wenn möglich, zu vertiefen.« Hitler erfülle sein Teil, um eine Verbesserung zu bewerkstelligen, behauptete Ribbentrop. Er habe nicht weniger als 7000 Anklagen gegen katholische Geistliche wegen verschiedener finanzieller und sexueller Vergehen niedergeschlagen und setze die Politik der nationalsozialistischen Regierung fort, die katholische Kirche alljährlich finanziell stark zu unterstützen. Tatsächlich habe der Papst Hitler für vieles zu danken, deutete Ribbentrop an, denn wenn die Kirche in Europa noch existiere, dann nur dank des Nationalsozialismus, der die bolschewistische Drohung beseitigt habe.2 Hier beginnen der deutsche und der vatikanische Bericht über das Gespräch zu differieren. In der deutschen Version heißt es weiter: »Der Papst brachte diesen Ausführungen des RAM [Reichsaußenministers] durchaus Verständnis entgegen und gab die dabei erwähnten konkreten Tatsachen unumwunden zu. Er suchte zwar das Gespräch auf bestimmte Einzelprobleme und Beschwerden der Kurie zu bringen, insistierte aber nicht weiter …« Die päpstliche Version des Gesprächs wurde von Monsignore Tardini auf der Grundlage dessen, was Pius XII. ihm kurz nach dem Aufbruch Rib143

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bentrops erzählte, aufgezeichnet. Weiteren Einblick in die Begegnung erlaubt ein recht langes deutschsprachiges Memorandum, das als Gesprächsleitfaden für Pius XII. vorbereitet wurde. Das kürzlich bei der Öffnung der vatikanischen Archive ans Licht gekommene Dokument griff die fünf Punkte auf, die der Papst im Januar an Hitler geschickt hatte, damit dieser durch entsprechende Maßnahmen die Atmosphäre für Verhandlungen verbessern sollte. Außerdem enthielt es weitere wichtige Themen, die der Papst zur Sprache bringen wollte. Die Liste war lang: »Es liegen Fälle von Durchsuchung der Arbeits- oder Amtszimmer hoher kirchlicher Beamten, auch Bischöfe vor … durch die Gestapo.« Derartige Handlungen verletzten die Artikel des Konkordats, das der Papst kurz nach Hitlers Machtantritt mit der deutschen Regierung ausgehandelt hatte, und müssten aufhören. Behauptungen, die deutschen Geistlichen arbeiteten gegen die nationalsozialistische Regierung, seien grundlos. »Wenn trotz des Sturmes, der seit Jahren über Kirche und Priester ging, der Klerus sich so zu beherrschen wusste und sich so rechtlich hielt, dann muss er über ein ungewöhnliches Mass von Staatstreue verfügen.« Dann war da der heikle Punkt Polen. Die Sorge des Papstes konzentrierte sich auf die negative Wirkung, die die deutsche Eroberung auf die Freiheit der Kirche und das Wohl ihrer Geistlichen hatte: Geben Sie Uns die Gelegenheit, uns in Polen nach der Wahrheit umzusehen. Wo sie dann als für Deutschland günstig erfunden wird, sind Wir gerne bereit, im Bereich Unserer kirchlichen Zuständigkeit Missverständnisse aufzuklären. … Der Heilige Stuhl ist in grösster Sorge wegen der gegenwärtigen Lage der Kirche in Polen, und zwar besonders wegen der mazslosen [sic] Freiheitsbeschränkung, die den Bischöfen und Priestern auferlegt ist; wegen der Einschränkung der kirchlichen Funktionen, auch am Sonntag, in einem Grade, dass Priester und Gläubige nicht einmal die unbedingt nötigen religiösen Handlungen vornehmen können; die Schliessung sehr vieler religiöser Institute und katholischer Privatschulen.3

Nach dem Treffen bemerkte der Papst, Ribbentrop sei ihm als recht energischer junger Mann erschienen, der aber wie ein Fanatiker rede. Ribbentrop hatte dem Papst erzählt, er sei früher Weinhändler mit wenig Interesse 144

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an Politik gewesen. Er glaube an Gott und sei als Protestant geboren, gehöre aber keiner Kirche an. Auf Ribbentrops Beschwerde, der Vorgänger des Papstes habe starke Worte gegen Deutschland gebraucht, wies Pius XII. darauf hin, dass er selbst sich in seiner ersten Enzyklika vom vorigen Oktober Mühe gegeben habe, den Deutschen nicht zu nahe zu treten, und in seiner Weihnachtsansprache habe seine Erwähnung des Leidens eines »kleinen Volkes« sich nicht auf Polen bezogen, wie einige behaupteten, sondern vielmehr auf Finnland, das kurz zuvor von den Russen angegriffen worden war. Der Außenminister versuchte, den Papst mit der deutschen Gewissheit zu beeindrucken, der Krieg werde vor Ende des Jahres gewonnen sein, und wiederholte dies mehrmals. »Ich hatte noch nie einen Mann aus Eis gesehen, bis ich von Ribbentrop traf«, beschrieb Giuseppe Bastianini, Mussolinis Außenstaatssekretär, seine Begegnung mit dem Minister. Nun erlebte der Papst den bekanntermaßen kriegslüsternen Nazi in Aktion. Alle Deutschen stünden hinter Hitler, behauptete Ribbentrop.4 Um das Gespräch wieder auf die Lage der Kirche in Deutschland zurückzuführen, sagte der wie stets diplomatische Papst zum Außenminister, er bezweifle zwar nicht Hitlers gute Absichten gegenüber der Kirche, doch die Fakten zeigten, dass Krieg gegen sie geführt werde. Dafür nannte er verschiedene Beispiele und wies besonders auf die flächige Schließung katholischer Schulen hin. Als Ribbentrop sein Argument von der großzügigen finanziellen Unterstützung, die das Reich der Kirche jedes Jahr zukommen lasse, wiederholte, erwiderte der Pontifex, es werde ihr aber auch viel weggenommen, darunter ihre Bildungseinrichtungen und ihr Besitz. Die Audienz dauerte etwas über eine Stunde. Überraschenderweise äußerte der Papst, sie sei recht freundlich verlaufen. Der deutsche Außenminister hatte anscheinend denselben Eindruck. »Im Vorzimmer heißt es, von Ribbentrop habe das Zimmer des Heiligen Vaters etwas besorgt und nervös betreten. Er verließ es mit zufriedener Miene«, notierte Monsignore Tardini.5 Ribbentrop traf sich an diesem Tag auch zweimal mit seinem vatikanischen Kollegen, Staatssekretär Maglione, zuerst eine Stunde lang im Papstpalast und dann nochmal kürzer bei einem Gegenbesuch in der deutschen Botschaft. Maglione hielt die Gespräche später in Notizen fest. Ribbentrop 145

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habe sich erinnert, Pacelli, den künftigen Papst, in den 1920er-Jahren in Berlin gesehen zu haben, und wisse, wie sehr die Menschen ihn bewunderten. Als ihm die Nachricht von Pacellis Wahl zu Ohren kam, habe er gleich gesagt: »Das ist ein wahrer Papst!« Ribbentrop gab Kardinal Maglione gegenüber seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass Pius XII. ein »solides, dauerhaftes Übereinkommen mit Hitler« erreichen wolle, da der Führer dasselbe anstrebe. Dann wiederholte er einen Großteil dessen, was er dem Papst gesagt hatte. Deutschland befinde sich jetzt in einem großen Krieg, der die Zukunft der Nation entscheiden werde, und jeder einzelne Deutsche stehe zum Führer, des Sieges gewiss. Das Problem lag laut Ribbentrop einzig darin, dass die katholische und auch die evangelische Kirche sich unpassenderweise in die Politik eingemischt hätten. Der Kardinal unterbrach ihn. »Wollen Sie damit sagen, dass die Geistlichen, Bischöfe, Priester, Mitglieder der Orden sich in parteipolitische Angelegenheiten mischen? … Wenn das stimmen würde, bräuchten Sie uns nur ihre Namen zu geben.« Tatsache sei aber, dass sie es nicht täten. Nachdem der Kardinal ungeduldig Ribbentrops langem Monolog gelauscht hatte, brachte er nun seine eigene Litanei von Beschwerden vor: die Schließung fast aller katholischen Schulen in Deutschland und Österreich, die Abschaffung des Religionsunterrichts in vielen Grundschulen, die Entfernung von Kruzifixen aus den Klassenräumen und die Ersetzung des christlichen Katechismus durch die NS-Weltanschauung. »Wer kann glauben, dass all das getan worden ist, weil die Katholiken sich in die Politik einmischen?«, fragte der Kardinal. Uneingeschüchtert durch Ribbentrop setzte er seine Attacke fort. Die nationalsozialistische Regierung habe viele kleine und große Seminare, Klöster, Abteien und katholische Wohlfahrtseinrichtungen geschlossen und viele Priester eingesperrt. »Davon weiß ich nichts«, erwiderte der deutsche Außenminister. Ungläubig schlug der Kardinal vor, Ribbentrop solle die Berichte lesen, die der Vatikan regelmäßig an die deutsche Botschaft geschickt habe. Ribbentrop konterte, indem er ihm eine deutsche Publikation überreichte, welche die vielen Gräueltaten beschrieb, die Polen angeblich an Deutschen begangen hatten, und bat, sie an den Papst weiterzuleiten. Maglione ergriff 146

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das Thema, um sich über die Behandlung der katholischen Kirche in Polen durch die Deutschen zu beklagen. Seinen Bericht über das Gespräch beendete der Kardinal mit dem Hinweis, der deutsche Außenminister habe ihm zweimal versichert, er habe seit Langem jede Religion aufgegeben. »Er glaubt und behauptet naiv, er könne bei der Bewertung religiöser Angelegenheiten objektiv sein, weil er selbst keine religiösen Überzeugungen habe!« Das Gespräch sei zwar höflich verlaufen, aber der Kardinal nahm den Eindruck daraus mit, »dass man sehr wenig als Resultat des Besuchs des Außenministers im Vatikan erwarten kann«.6 Die neu geöffneten vatikanischen Archive zeigen, dass der Außenminister auch seinerseits vom Kardinalstaatssekretär wenig angetan war. Später erzählte Ribbentrop Jozef Tiso, dem Priester an der Spitze des nazifreundlichen slowakischen Staates, von seinen Begegnungen im Vatikan: »Auf Befehl meines Führers fuhr ich in den Vatikan, um verschiedene Dinge mit dem Heiligen Vater zu klären, und ich fand ihn herzlich, versöhnlich, gebildet und gut informiert. Er machte einen außerordentlichen, ich würde sagen hypnotischen Eindruck auf mich, Dagegen fand ich im Kardinalstaatssekretär einen Feind des deutschen Nationalsozialismus.«7 Obwohl die Romreise des Außenministers vor allem dem Zweck diente, dem Papst seinen Besuch abzustatten, waren auch seine Treffen mit Mussolini und Ciano wichtig. Tatsächlich könnte man, wenn man Mussolinis endgültigen Entschluss zum Krieg zeitlich einordnen möchte, diesen Zeitpunkt des deutschen Besuchs nennen. Bei Ribbentrops Ankunft am römischen Hauptbahnhof begrüßte Ciano ihn recht kühl, unzufrieden damit, dass die Deutschen ihn erst wenige Tage zuvor über den geplanten Besuch informiert hatten. Ribbentrops letzte Begegnung mit seinem italienischen Kollegen war ihr unangenehmes Treffen vom vorigen August in Salzburg gewesen, wo er Ciano von Hitlers Entschluss zum Krieg gegen Polen unterrichtet hatte.8 Bei der Begegnung mit Mussolini im Palazzo Venezia übergab Ribbentrop ihm einen Brief Hitlers. Mussolinis Entscheidung, noch nicht in den Krieg einzutreten, sei gewiss verständlich, schrieb der Führer. Vielleicht sei es so am besten gewesen. »Trotzdem aber glaube ich, Duce, kann über eines 147

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doch wohl kein Zweifel sein: Der Ausgang dieses Krieges entscheidet auch die Zukunft Italiens.« Mit seinem Appell an Mussolinis Eitelkeit, dessen Liebe zum Scheinwerferlicht, Groll über Italiens Platz in der zweiten Reihe der Weltpolitik und Neid auf Deutschlands militärische Erfolge hatte Hitler die richtigen Töne angeschlagen. Der Brief endete mit einem mitreißenden Aufruf. Hitler glaubte, »daß das Schicksal uns früher oder später doch zwingen wird, gemeinsam zu kämpfen, d. h., daß Sie der Auseinandersetzung ebenfalls nicht entgehen werden, …, daß Ihr Platz dann erst recht an unserer Seite sein muß, genau wie der meine an Ihrer Seite sein wird«.9 Hitlers Brief an Mussolini hing mit der Botschaft zusammen, die Ribbentrop überbringen sollte. Der Führer hatte beschlossen, Frankreich und England anzugreifen, denn er war sicher, die französische Armee irgendwann im Sommer schlagen zu können und die englischen Truppen vor dem Herbst vom Kontinent zu vertreiben. Hitler habe die militärische Lage sorgfältig studiert, sagte Ribbentrop dem Duce, und er wisse, dass der Kampf nicht so leicht sein werde wie die Eroberung Polens. Er sei aber überzeugt, Frankreich und England könnten nicht nur besiegt, sondern ver­nichtet werden. Ribbentrop gab zu, in Salzburg die Wahrscheinlichkeit heruntergespielt zu haben, dass Frankreich und England ihren Garantien für Polens Sicherheit Taten folgen lassen könnten, aber alles entwickele sich zum Besten. Eine endgültige Machtprobe mit den westlichen Demokratien sei unausweichlich. Und es gebe keinen Soldaten in Deutschland, so der Außenminister, der nicht an einen Sieg vor Jahresende glaube. Als der Duce bemerkte, die Kampfmoral der französischen Soldaten scheine angesichts der kommunistischen Propaganda dort tatsächlich gering zu sein, lächelte Ribbentrop. Ein Teil der französischen kommunistischen Zeitungen werde in Deutschland gedruckt, prahlte er.10 Mussolini nutzte das Treffen, um zu fragen, wie Ribbentrops Audienz bei Pius XII. verlaufen sei. Der Außenminister antwortete, der Papst sei mit dem Führer einer Meinung, dass eine Verständigung beider Seiten möglich sei. Der Duce wollte wie stets der NS-Führung seinen Rat in Kirchenangelegenheiten geben und bemerkte, es sei am besten, wenn man den Papst nicht verärgere. Das könne »recht lästig« sein.11 148

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Unter den Würdenträgern, die Ribbentrop bei der Rückkehr nach Berlin spät am nächsten Abend am Bahnhof erwarteten, war auch der päpstliche Nuntius Monsignore Cesare Orsenigo. Er meldete stolz nach Rom, der Außenminister habe ihn beim Aussteigen demonstrativ als Ersten begrüßt. Nachdem er auch die anderen begrüßt hatte, kam Ribbentrop nochmal zu Orsenigo zurück, um ihm mitzuteilen, wie zufrieden er mit der Begegnung mit dem Papst sei. »Im Allgemeinen herrscht unter den Diplomaten und Regierungsvertretern, selbst denen, die am wenigsten vom Regime begeistert sind, ein Gefühl der Erleichterung«, berichtete Orsenigo. »Viele äußerten sich mir gegenüber zufrieden und deuteten Signor Ribbentrops Schritt, wenn nicht als Beginn einer neuen Orientierung in der Religionspolitik des Reichs, so zumindest als eine klare Distanzierung von all den revolutionären Elementen, die jede Spur des Christentums auslöschen wollen.«12 Kurz nach Ribbentrops Abreise kehrte Sumner Welles, der amerikanische Außenstaatssekretär, nochmal nach Rom zurück. Seit seinem vorigen Besuch war er nach London, Paris und Berlin gereist und mit Hitler zusammengetroffen. »Hitler ist größer, als ich nach seinen Fotos dachte«,

Nuntius Cesare Orsenigo mit Adolf Hitler in der Reichskanzlei, Berlin, 1936.

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bemerkte Welles. »In der Realität hat er nichts von der etwas verweichlichten Erscheinung, die man ihm vorgeworfen hat. … Er war ebenso würdevoll im Reden wie in seinen Bewegungen und da war nicht die geringste komische Wirkung von Schnurrbart und Haar, wie man sie in seinen Karikaturen sieht.« Hitler war aber nicht daran interessiert, mit Welles über die Art von Frieden zu sprechen, die den Amerikanern vorschwebte und die den Abzug der deutschen Truppen aus den eroberten Ländern beinhaltete. »Ich habe diesen Krieg nicht gewollt« sagte er. »Er ist mir gegen meinen Willen aufgezwungen worden.« Sein Ziel sei allein ein »gerechter Friede«.13 Bei seinem zweiten Rombesuch war der amerikanische Diplomat wieder viel zwischen der italienischen Führung, dem Papst und dessen Staatssekretär unterwegs, zumal alle begierig waren, vom Ergebnis seiner Reisen zu erfahren.14 Zur Papstaudienz am 18. März nahm er Myron Taylor mit, Roosevelts persönlichen Gesandten beim Papst. Welles sprach mit dem Papst Französisch, aber Taylor konnte nur Englisch, und obwohl Pius XII. fließend Englisch las und es recht gut sprach, konnte er Taylor nicht immer folgen.15 Eines wurde beiden Amerikanern klar: Pius XII. besaß exzellente Informationsquellen über das sich entfaltende europäische Drama. Tatsächlich war es der Papst, der ihnen erklärte, welchen Verlauf der Krieg jetzt nehmen werde: Die Deutschen planten eine Offensive an der Westfront, die aber frühestens in einem Monat beginnen werde. Taylor fragte den Papst, ob er glaube, dass die Italiener revoltieren würden, wenn Mussolini das Land aufseiten Deutschlands in den Krieg führe. Bei dieser Frage wirkte der Papst verblüfft und schwieg lange, bevor er antwortete. Langsam sagte er auf Englisch, es stimme, dass die öffentliche Meinung in Italien gegen den Krieg sei, aber er bezweifle sehr, dass es eine Revolte gegen Mussolini geben werde, falls er sich zum Krieg entschließe. »Der Papst war sehr herzlich«, bemerkte der Außenstaatssekretär am Ende seines Berichts nach Washington. »Er beeindruckte mich durch seine sehr gut informierte und analytische Intelligenz, zeigte aber nicht die Charakterstärke, die ich ihm früher zugeschrieben hatte. Ich fand Kardinal Maglione viel direkter und weniger ausweichend in seiner Einschätzung der gegenwärtigen Lage.« 150

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Der Gegensatz zwischen Pius XII. und Maglione, der dem amerikanischen Diplomaten aufgefallen war, fand noch im selben Jahr ein Echo in den Aufzeichnungen des französischen Botschafters. Der Franzose spürte eine gewisse Rivalität zwischen dem Papst und seinem Staatssekretär. Beide hatten nie auf allzu gutem Fuß miteinander gestanden. Der französische Botschafter hielt Maglione für intelligenter, entschiedener und auch für einen besseren Menschenkenner als den Papst. »Weil er mit großem Scharfsinn begabt ist, nennt man ihn gerissen.« Der Kardinal sei aber auch sehr menschlich, und daran könne man appellieren, wie der Botschafter beobachtete, aber nur, wenn man nicht zu viel Druck ausübe, denn dann ziehe er sich sofort zurück. Der Botschafter glaubte, Maglione zögere, seine Meinung zu äußern, weil er seine Position nicht für wirklich gefestigt halte. Er spüre, dass er beim Papst »oder in dem faschistischen Milieu, das im Vatikan Einfluss hat«, keine »persona grata« sei.16 Am Tag vor der Papstaudienz von Welles am 18. März 1940 waren Mussolini und Ciano begleitet von hohen faschistischen Funktionären in Rom in einen Sonderzug gestiegen. Sie fuhren zu dem ersten Treffen zwischen Mussolini und Hitler seit der Münchener Konferenz im September 1938, wo England und Frankreich Hitlers Forderung nach dem Anschluss des Sudetenlands im Austausch gegen ein Friedensversprechen zugestimmt hatten. Spätabends erreichten sie Bressanone (Brixen), das erst zwei Jahrzehnte zuvor vom ehemaligen Habsburgerreich an Italien übergegangen war. Seit dem Anschluss Österreichs an das Reich war es die letzte italienische Stadt vor der deutschen Grenze. Am nächsten Morgen hielt der Zug mitten in einem Schneesturm an dem kleinen Bahnhof auf dem BrennerPass in 1400 Meter Höhe. Eine halbe Stunde später fuhr Hitlers Zug ein, geschmückt mit italienischen und rotschwarzen Hakenkreuzfahnen. Mussolini, der mit Ciano unter einem kleinen Vordach am Bahnsteig wartete, trug die Uniform des Oberkommandierenden der Faschistischen Miliz. Als Hitler aus dem Zug stieg, begann eine Militärkapelle zu spielen, während er den Duce begrüßte. Dann stieg Ribbentrop aus und begrüßte zusammen mit Hitler auch Ciano. Mitten im Schnee spielte die Kapelle die beiden Nationalhymnen, während die Männer zu ihrem Treffen das in dunklem Holz getäfelte Salonabteil im Zug des Duces betraten. Hitler saß 151

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Adolf Hitler und Benito Mussolini am Bahnhof auf dem Brenner, 18. März 1940. Daneben Ciano mit vorgerecktem Kinn.

an der Schmalseite des Tisches, Mussolini und Ciano einander gegenüber an der Längsseite.17 Es dauerte nicht lange, bis der Führer einen seiner üblichen messia­ nischen Monologe begann. Als er sich später an das Treffen erinnerte, ­bemerkte Hitler, Mussolini sei ihm »sichtlich verlegen entgegengetre­ ten, … wie ein Schuljunge, der seine Arbeiten nicht ordentlich gemacht habe.« Wenig hilfreich war, dass Hitler nur Deutsch konnte und Mussolini zu stolz auf seine Sprachkenntnisse war, um einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Wegen seiner Schwierigkeiten mit der Sprache und der endlosen Tirade Hitlers entging dem Duce viel von den Worten des deutschen Diktators. Die Hauptbotschaft war indes unmissverständlich: Der entscheidende Kampf sollte beginnen. Bald werde Paris fallen und London ebenso, falls es nicht so klug war, einem Friedensvertrag zuzustimmen. Italien sei durch einen heiligen Pakt an Deutschland gebunden. Wenn 152

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Deutschland verliere – hier warf der Duce ein: »Dann hat Italien auch verloren!« Hitler fuhr fort: Wenn Italien sich mit einer zweitrangigen Stellung im Mittelmeer begnügen wolle, dann brauche es nichts weiter zu tun. Mussolini, der zunehmend in Hitlers Bann stand und der Faszination der militärischen Macht Deutschlands erlag, sagte dem Führer, er brauche nur noch etwas Zeit, um letzte militärische Vorbereitungen zu treffen. Dann werde Italien stolz an Deutschlands Seite marschieren. Hitler versprach, sobald Frankreich erobert und England um Frieden zu bitten gezwungen sei, werde Italien der Herr des Mittelmeers werden. Nach zweieinhalb Stunden und einem kurzen Mittagessen verließen die Männer das Salonabteil und legten den kurzen Weg zu Hitlers wartendem Zug zurück. Der Schneefall hatte aufgehört. In seinem Abteil angekommen redete Hitler noch ein paar Minuten durch das heruntergelassene Fenster mit Mussolini, bevor der Zug abfuhr und die beiden Diktatoren einander mit erhobenem Arm zum Abschied grüßten.18 US-Staatssekretär Welles hatte seine Abreise aus Rom hinausgeschoben, weil er von Ciano etwas über die Begegnung am Brenner zu erfahren hoffte. Um keine öffentliche Aufmerksamkeit auf sein Treffen mit dem Amerikaner zu lenken, arrangierte Ciano, dass Welles ihn in seinem Golfclub am südöstlichen Stadtrand besuchte. Ciano verbrachte oft den Nachmittag in dem Club, der vor Jahren von Briten gegründet worden war. Er bot einen Ausblick auf die Via Appia, die alte römische Straße, die von Rom zur Südspitze des Stiefels führte. Ciano erzählte dem Amerikaner, Hitler habe das Gespräch praktisch allein bestritten und verlautbart, die Offensive im Westen werde bald kommen, aber nicht sofort. Hitler habe vor, britische Häfen und Städte zu bombardieren, einschließlich Londons. In seinem letzten Bericht von dieser Mission schrieb Welles, Mussolinis Entschluss, Italien in den Krieg zu führen, werde davon abhängen, ob Deutschland im Westen schnelle Siege erziele. Gegen eine solche Entscheidung seien nahezu alle, die in Italien zählten, auch Ciano, »der entschieden dagegen ist«, genau wie der König. »Die ganze Kirche steht offen dagegen«, fuhr er fort, »und ebenso die Finanz- und Wirtschaftsinteressen und auch das gemeine Volk, Männer wie Frauen.« Wenn Deutschland

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aber einem sicheren Sieg entgegenzugehen scheine, könne Mussolini kaum vom Mitmachen abgehalten werden. Was den Papst anbetraf, »fürchte ich, [er] ist entmutigt und in gewisser Hinsicht verwirrt«.19 Zwei Wochen nach seinem Treffen mit Hitler schickte der Duce ein streng geheimes Memorandum an den König, Ciano und die Armeeführung. Wenn der Krieg weitergehe, »ist es absurd und unmöglich, zu glauben, dass Italien ihm bis zum Schluss fernbleiben kann. Italien liegt nicht in einer Ecke Europas wie Spanien. … Italien liegt mitten zwischen den Kriegsparteien.« Zwei Tage später schlug er in einer Kabinettssitzung ähnliche Töne an. Eine neutrale Haltung würde Italien »für ein Jahrhundert als Großmacht und als faschistisches Regime für alle Ewigkeit deklassieren«. Es sei Zeit, dass Rom sich sein Mittelmeerimperium zurückhole.20 Die Ungeduld des Duces nahm noch zu, als er am 9. April einen Brief Hitlers erhielt, der ankündigte, noch am selben Tag würden deutsche Truppen nach Norwegen geschickt. Er dankte Mussolini für alles, was er bisher getan hatte, und schloss: »Ich bin tief bewegt von dem Glauben, Duce, dass die Vorsehung uns beide für dieselbe Mission ausgewählt hat.« In der kommenden Nacht erhielt Mussolini eine weitere Botschaft Hitlers. Deutsche Truppen hatten Dänemark komplett besetzt und Oslo erobert.21 »Ich hasse dieses italienische Gesindel!«, sagte Mussolini am nächsten Tag zu Clara. Während die Deutschen mutig kämpften, gehe es den Italienern nur um ihre Ruhe und ihren Frieden. »Ich habe jetzt acht Monate lang Gelegenheit gehabt, diesem Volk den Puls zu fühlen«, sagte der Duce und meinte damit die Zeit seit Kriegsbeginn. »Sie sind Feiglinge, schwach, Angsthasen.« Er erwärmte sich für sein Lieblingsthema und fuhr fort: »Ach, bestimmt ist alles umsonst: Man macht nicht 300 Jahre Sklaverei in 18 Jahren ungeschehen!« Er habe sein Bestes getan, die Italiener zu einer mutigen, kriegerischen Macht zu formen, aber nur wenig erreicht. »Wir werden den Feind vor unserer Tür haben, und sie werden immer noch schwatzen.« »Ja, meine Liebe«, schloss der Duce. »Ich bin verärgert – verärgert und angewidert.«22 Seine Laune war durch das morgendliche Treffen mit dem König nicht besser geworden. Mussolini brauchte die Unterstützung des Königs, um sein Versprechen gegenüber Hitler zu erfüllen, und die Armee stand in 154

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einer langen Tradition der Treue zur savoyischen Monarchie. Doch Vittorio Emanuele, der stets ein Zyniker und kein Freund der Deutschen gewesen war, hatte keinen Eifer gezeigt, Italiens Soldaten in die Schlacht zu schicken. »Und dann ist es entwürdigend, mit gefalteten Händen dazustehen, während die anderen Geschichte machen«, bemerkte der Duce am selben Tag.23

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Teil II:

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Kapitel 13:

Ein ungünstiger Zeitpunkt

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s war schon nach Mitternacht, als Mussolinis Schwiegersohn die Dinnerparty in der deutschen Botschaft verließ. An der Tür nahm ihn Hans Georg von Mackensen, Hitlers Botschafter in Rom, beiseite und kündigte ihm an, dass er ihn wahrscheinlich am frühen Morgen werde behelligen müssen. Zu Hause angelangt, fand der Außenminister nur schwer in den Schlaf. Um vier Uhr früh klingelte sein Telefon. Mackensen war am Apparat und sagte, in 45 Minuten werde er vor Cianos Tür stehen. Als der Deutsche dann eintraf, teilte er Ciano mit, Hitler wolle ihn etwas an Mussolini ausrichten lassen, und zwar um punkt fünf Uhr. Auf Cianos Frage hin, warum man das alles nicht am Vortag zu einer vernünftigeren Uhrzeit habe erledigen können, brachte Mackensen nur die etwas plumpe Ausrede vor, ein diplomatischer Kurier sei unterwegs aufgehalten worden. Dann machten die beiden Männer sich auf den Weg durch die noch menschenleeren Straßen Roms zur Villa Torlonia, Mussolinis Residenz. Man schrieb den 10. Mai 1940. »Duce«, begann Hitlers Botschaft, »wenn Sie diesen Brief erhalten, werde ich den Rubikon bereits überschritten haben.« Für 5 . 35 Uhr hatte er den Überfall der deutschen Truppen auf Belgien und die Niederlande befohlen. Nachdem Mussolini das Schreiben und seine Anlagen – alle in deutscher Sprache – sorgfältig gelesen hatte, blickte er auf und sagte, dass er diese Entscheidung voll und ganz unterstütze. Dann setzte er ein Telegramm an Hitler auf, um diesem für seine Nachricht zu danken. »Ich fühle, daß die Zeiten auch für Italien drängen«, schrieb er darin. »Was die italienischen militärischen Kräfte betrifft, so ist die Marine bereit, und bis Ende Mai werden zwei Gruppen von Armeen im Osten und Westen, sowie die Luftwaffe und Luftabwehr-Formationen bereit sein.« 159

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Teil II Auf dem Weg zum ­Achsensieg

Die Ungeduld, mit welcher der Duce seine Truppen an der Seite der Deutschen in den Kampf schicken wollte, sollte im Lauf der nächsten Tage nur noch größer werden, als die Soldaten der Wehrmacht in hohem Tempo durch die Niederlande, Belgien und Luxemburg marschierten und schließlich auf Paris vorstießen. Mussolinis Tochter Edda teilte, anders als ihr Ehemann, den Enthusiasmus des Duces. Wenn Italien seine Ehre verteidigen wolle, meinte die willensstarke Edda ihrem Vater gegenüber, könne der italienische Kriegseintritt gar nicht früh genug erfolgen.1 Da die Anzeichen sich mehrten, dass Mussolini Italien in den Krieg stürzen wollte, hatte der beunruhigte Pius XII . ihm schon zwei Wochen zuvor einen Brief geschrieben. »Geliebter Sohn«, hieß es darin, »Wir wissen um … deine noblen Bemühungen, von Anfang an, den Krieg zu vermeiden, ihn dann zumindest einzudämmen.« Weiterhin verlieh der Papst seiner Hoffnung Ausdruck, dass »dank deiner Initiativen, deiner Standhaftigkeit und deiner italienischen Seele, Europa vor noch größerem Ruin, noch zahlreicheren Plagen verschont bleiben wird; und insbesondere, dass Unserem und deinem geliebten Heimatland eine derartige Katastrophe erspart bleibt«. Zugleich bekräftigte der Papst seine Anweisung an den Osservatore Romano, nichts zu drucken, was den Duce verärgern könnte.2 Mussolinis Antwort an den Heiligen Vater war alles andere als beruhigend: »Eure Würdigung der Tatsache, Allerheiligster Vater, dass ich alle Möglichkeiten geprüft habe, um einen europäischen Flächenbrand zu vermeiden, habe ich mit legitimer Genugtuung zur Kenntnis genommen.« Zwar habe er Italien bislang aus dem Krieg heraushalten können, teilte der Duce dem Pontifex mit, doch könne er nicht garantieren, dass ihm dies auch weiterhin gelingen werde. Und dann hielt er dem Papst nicht ohne eine gehörige Portion Hochmut dessen eigene Worte vor, um sein Vorgehen zu rechtfertigen: »In der Geschichte der Kirche – das habt Ihr selbst mich gelehrt, Heiliger Vater – ist die Formel vom Frieden um des Friedens willen, vom Frieden ›um jeden Preis‹, vom ›Frieden ohne Gerechtigkeit‹ niemals anerkannt gewesen.« »Es ist tröstlich für mich«, schloss Mussolini mit schreiender Unaufrichtigkeit, »dass Gott ganz gleich, was letztlich eintreten sollte, einem Volk von Gläubigen, wie die Italiener es sind, seinen Schirm und Schutz gewähren wird.«3 160

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Der Papst hatte sein Schreiben an den italienischen Diktator mit dem amerikanischen Präsidenten abgesprochen, der aus Washington einen ähnlichen Appell nach Rom schickte. Roosevelt telegrafierte den Text an seinen Botschafter in Rom und wies ihn an, dem Duce die Nachricht persönlich zu überbringen. Am 1. Mai empfing Mussolini Botschafter Phillips in seinem Büro im Innenministerium. Anfangs waren die beiden Männer allein, doch etwa zur Hälfte der insgesamt halbstündigen Unterredung stieß Ciano zu ihnen. Weil der Botschafter wusste, dass es mit Mussolinis Englischkenntnissen nicht allzu weit her war, las er ihm Roosevelts Botschaft langsam vor. Nach jedem Satz, den Phillips vortrug, wiederholte Mussolini dessen Inhalt auf Italienisch. Als dieser erste Durchgang durch den Text beendet war, reichte Phillips Mussolini das Schreiben, der es daraufhin noch einmal las. Nach getaner Lektüre fragte Mussolini den Botschafter, warum um alles in der Welt die Amerikaner sich in diesen Krieg verwickeln lassen wollten. In seiner Depesche hatte Roosevelt sich einen Realisten genannt. Auch er selbst, behauptete der Diktator, sei Realist. Und die Realität sei wohl oder übel nun einmal, dass Deutschland Polen und die Tschechoslowakei erobert habe und dass die neue Karte Europas diesen Tatsachen Rechnung tragen müsse. Was Italien betreffe, so der Duce, sei es nicht mehr das Agrarland, das es lange gewesen sei, sondern sei inzwischen zu einem stark industrialisierten Land herangewachsen, das auf den internationalen Handel angewiesen sei. Italien könne nicht auf ewig »im Mittelmeer gefangen« bleiben. Es brauche einen Zugang zum Atlantik. Italien, darauf wies Mussolini Roosevelt insbesondere hin, habe sich nie in die Angelegenheiten der Amerikaner eingemischt. Also habe es auch ein Recht darauf, dass die Amerikaner sich aus den europäischen Angelegenheiten heraushielten.4 Der Papst erfuhr von der deutschen Offensive durch seinen Nuntius in Brüssel, der die Nachricht telegrafisch durchgab, sobald die ersten deutschen Bomben auf die belgische Hauptstadt fielen. Da die französische und die britische Regierung ihn drängten, den Überfall zu verurteilen, sah der Papst sich zum Handeln verpflichtet. Am späten Abend des 10. Mai saß Pius an seiner kleinen Reiseschreibmaschine – ein amerikanisches Fa­ brikat – und tippte Texte in französischer Sprache: Telegramme an die 161

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Teil II Auf dem Weg zum ­Achsensieg

Monarchen der Benelux-Staaten, die das Ziel der deutschen Invasion waren. Mehrere Stunden arbeitete er an diesen Entwürfen, überarbeitete sein Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen und gelangte so schließlich zu einer persönlichen Botschaft an jedes der drei Staatsoberhäupter. »Zum zweiten Mal«, schrieb der Papst an den belgischen König Leopold, »sieht sich das belgische Volk gegen seinen Willen und gegen seine Rechte in seinem eigenen Land den Schrecken des Krieges ausgesetzt.« »Tief bewegt« wolle er den König und das ganze belgische Volk seiner väterlichen Liebe versichern; er bete dafür, schrieb Pius, dass Belgien schon bald seine Freiheit und Unabhängigkeit zurückerlangen werde. An die Königin Wilhelmina der Niederlande schrieb er: »Nachdem Wir tief bewegt erfahren haben, dass die Bemühungen Eurer Majestät um den Frieden nicht haben verhindern können, dass die Heimat Eures edlen Volkes gegen dessen Willen und Rechte zum Schauplatz eines Krieges gemacht wurde, flehen Wir zu Gott, dem obersten Richter über das Schicksal der Völker, dass Er durch Seine allmächtige Hilfe Gerechtigkeit und Freiheit wiederherstellen möge.« An die Großherzogin Charlotte von Luxemburg sandte er eine ähnliche Nachricht. Den französischen Originaltext der drei Telegramme ließ der Papst auf der Titelseite des Osservatore Romano drucken. Als diese Ausgabe des Blatts die italienischen Kioske erreichte, beschlagnahmten aufgebrachte Funktionäre der Faschistischen Partei und ihre Schergen vielerorts die Bestände, verprügelten die Zeitungsverkäufer und verbrannten mit großer Theatralik ganze Zeitungsstapel auf der Straße.5 »Wenn wir neutral bleiben, wie viele sich das wünschen«, bemerkte der Duce, als man ihm von der Botschaft des Papstes an die Staatsoberhäupter Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs berichtete, »dann schickt uns der Papst eines Tages auch ein hübsches Entrüstungstelegramm, mit dem wir den einrückenden deutschen Truppen vor der Nase herumwedeln können!« Wie Ciano am selben Abend in seinem Tagebuch notierte, »wiederholte [Mussolini] oft, das Papsttum sei der Krebs, der unser nationales Leben zerfresse, und er sei entschlossen, diese Frage, wenn nötig, ein für allemal zu erledigen«. Am Ende war es wie so oft Ciano, der den Diktator beruhigen musste.6 162

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Während die drei päpstlichen Telegramme den Duce verärgerten, zeigten die Opfer des deutschen Überfalls und ihre Verbündeten sich von den Schreiben kaum getröstet. Am Morgen der Invasion ersuchte der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl dringend um eine Audienz beim Papst. Die ganze Welt, teilte er ihm mit, warte darauf, dass er, Pius, seine »eindringliche Verurteilung« des »abscheulichen Angriffs [äußere], dem zwei katholische Nationen zum Opfer gefallen sind«. Der britische Außenminister Lord Halifax sandte eine ähnliche Bitte nach Rom, weil er hoffte, dass eine Verurteilung der deutschen Aggression durch den Papst es für Mussolini schwerer machen würde, in den Krieg einzutreten.7 Drei Tage später kehrte der französische Botschafter François CharlesRoux in den Vatikan zurück, um seiner Forderung nach einer deutlicheren Positionierung des Papstes Nachdruck zu verleihen: »Sämtliche Katholiken Frankreichs, Englands, Belgiens, Hollands und Luxemburgs warten darauf, dass der Heilige Vater das Verbrechen verurteilt, welches die Deutschen durch ihren Überfall auf drei neutrale Staaten begangen haben.« Das Ansehen des Papstes selbst, so sein Argument, stehe auf dem Spiel.8 Pius jedoch, dem bewusst war, dass er mit seinen drei Telegrammen bereits Mussolinis Zorn erregt hatte, wollte noch weiter nicht gehen. Der Vormarsch der Wehrmacht verlief rascher, als irgendjemand es für möglich gehalten hätte. Nach nur vier Tagen war der niederländische Widerstand so gut wie gebrochen, und die Belgier befanden sich auf dem Rückzug. Der massive deutsche Panzerangriff auf Frankreich hatte begonnen. Da die Franzosen befürchten mussten, dass Italien sich dem Überfall schon bald anschließen würde, sahen sie den Papst als ihre letzte Hoffnung an. »So gut wie alle Mitglieder der französischen Regierung sowie etliche Senatoren haben mich heute aufgefordert«, teilte am 14. Mai der amerikanische Botschafter in Paris seinem Außenminister in Washington mit, »dass ich Sie auffordern solle, einen letzten Versuch zu unternehmen, um die Italiener von einem Kriegseintritt als Verbündete der Deutschen abzuhalten.« Die Vertreter der französischen Regierung hatten keinen Zweifel daran gelassen, so der Botschafter weiter, »dass die wirksamste Waffe gegen Mussolini eine Erklärung des Papstes sein dürfte …, in der er die Barbareien verurteilt, die von den Deutschen in 163

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den Niederlanden, Belgien und Luxemburg begangen wurden, verbunden mit der Exkommunikation Hitlers durch den Papst«.9 In ihrer Verzweiflung richteten die Franzosen dasselbe Plädoyer auch auf direktem Weg an den Vatikan. Der Botschafter Charles-Roux begab sich in den Papstpalast und las dem Kardinalstaatssekretär ein langes Telegramm aus Paris vor, in dem der Papst dringend gebeten wurde, »eine ausdrückliche und förmliche Verurteilung der deutschen Aggression« zu äußern. Doch der Appell zeigte keine Wirkung. Weiter als bisher wollte Pius nicht gehen. Dem Papst war schon jetzt klar geworden, dass diesen Krieg wohl die Deutschen gewinnen würden.10 Nur wenige Wochen zuvor hatte Dino Alfieri an seinem Schreibtisch in der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl gesessen, als ihn die Nachricht erreichte, er solle unverzüglich beim Duce vorstellig werden. Bei seinem Eintreffen im Palazzo Venezia hatte man ihn sofort in Mussolinis Büro gebracht, wo der Diktator und Ciano ihn mit dem römischen Gruß empfingen. Zu Alfieris Überraschung teilte Mussolini ihm mit, er solle packen: Unverzüglich werde er nach Berlin aufbrechen, um seinen Posten als neuer italienischer Botschafter bei der deutschen Reichsregierung anzutreten. »Sie sind zufrieden, hoffe ich«, sagte der Duce. »Berlin ist heute der wichtigste Posten auf der ganzen Welt.« Auf dem Weg zur Tür drehte Alfieri, der die Neuigkeit noch nicht ganz verarbeitet hatte, sich zu Ciano um und sagte: »Aber ich spreche doch gar kein Deutsch!« »Attolico auch nicht«, erwiderte Ciano knapp.11 Mussolini wusste, dass diese Ernennung den Deutschen gefallen würde, da sie den bisherigen Botschafter Attolico im Verdacht gehabt hatten, dass er ihre Bemühungen, Italien in den Krieg hineinzuholen, untergrabe. Der neue Mann, Alfieri, stand dem Dritten Reich deutlich wohlwollender gegenüber.12 Bald darauf fuhr Alfieri zum Papstpalast, um seine letzte Audienz als italienischer Botschafter beim Heiligen Stuhl wahrzunehmen. Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten zu Beginn wurde der Ton des Gesprächs bald ernst. Seine Telegramme an die drei Staatsoberhäupter, teilte Alfieri dem Papst mit, hätten den Duce stark verstimmt. Dann erinnerte 164

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er den Pontifex daran, dass er ihn schon früher oft davor gewarnt habe, die Kirche in die Angelegenheiten der Politik zu verstricken. Tatsächlich könnten die Konsequenzen einer solchen Verstrickung für die Kirche schwerwiegend sein – jetzt, da die Italiener womöglich schon bald an der Seite ihrer deutschen Verbündeten in den Krieg eintreten würden. »Der Papst«, berichtete Alfieri, »hörte meine Worte mit einiger Bewegung und überrascht an, da er offenbar nicht damit gerechnet hatte, dass bei meinem eigentlich rein zeremoniellen Abschiedsbesuch derart ernste Dinge zur Sprache kommen würden.« Pius XII . erwiderte, dass er aus Deutschland keinerlei Beschwerden über seine Telegramme vernommen habe und deshalb nicht verstehe, weshalb die italienische Regierung daran Anstoß nehmen sollte. Er hatte doch letztlich nichts anderes getan, insistierte der Papst, als allseits bekannten Grundsätzen der kirchlichen Lehre Ausdruck zu verleihen. Und dann, erinnerte sich Alfieri, hatte »der Papst«, inzwischen sichtlich bewegt, »hinzugefügt, dass auch seine allgemein bekannte und aufrichtige Verbundenheit mit Italien – eine Verbundenheit, die mancherorts im Ausland zu Unzufriedenheit mit ihm geführt habe – ihn keineswegs davon abhalten könne, seiner Sendung zu folgen«. »Ich bin tief und fest überzeugt davon«, sagte der Papst, »dass ich nur meine Pflicht getan habe; ich habe mich bemüht, niemanden zu verärgern, keinerlei konkrete Punkte angesprochen, ja, ich habe mir alle Mühe gegeben, so wenig zu sagen wie nur irgend möglich. Ganz gewiss habe ich nichts tun wollen, das Italien schaden könnte, das ja bislang noch überhaupt nicht involviert ist, und den Duce habe ich erst recht nicht verärgern wollen.« Dann fügte Pius XII., der nun erkennbar »warmgelaufen« war, hinzu: »Und selbst wenn sie mich abholen und in ein Deportationslager bringen, habe ich doch nichts zu bereuen, außer vielleicht, dass ich zu diskret und zurückhaltend gewesen bin angesichts dessen, was geschehen ist und was dann in Polen geschah. … Wir alle sind Gott Rechenschaft schuldig über das, was wir getan haben.« Allerdings sagte der Papst Alfieri auch, dass er sein gutes Verhältnis zur italienischen Regierung nicht belasten wolle, und fragte deshalb, ob einem Abdruck von Königin Wilhelminas Antwort auf sein Telegramm im Osser­ vatore Romano etwas entgegenstehe. »Da ich die Ansicht äußerte, es sei 165

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wohl am besten, wenn eine solche Veröffentlichung nicht erfolgen würde«, berichtete Alfieri, »stand der Papst von seinem Schreibtisch auf und telefonierte persönlich mit einem Sekretär, den er anwies, die Veröffentlichung aufzuhalten.«13 Bevor Alfieri das Audienzzimmer verließ, sagte Pius ihm noch, dass er beabsichtige, ihn nach seiner Ankunft in Berlin eine Botschaft an Hitler und Ribbentrop ausrichten zu lassen. Er wollte die Führungsspitzen des NS-Regimes wissen lassen, dass er noch immer auf eine Verständigung mit ihnen hoffte. Eine Friedensstiftung auf religiöser Grundlage, davon war Pius überzeugt, konnte in Deutschland noch immer zum Erfolg führen – solange die Reichsregierung die legitimen Interessen und Rechte der Kirche wahrte. Alfieri hatte den Vatikan kaum verlassen, da überkamen den Papst Zweifel an dem gerade erteilten Auftrag. In den letzten Tagen war Pius von Appellen geradezu überhäuft worden, er solle das Vorgehen der Nazis mit deutlichen Worten verurteilen. Vielleicht war nun, drei Tage nach dem massiven Überfall Deutschlands auf seine westlichen Nachbarn, doch nicht der richtige Zeitpunkt für eine erneute Annäherung an das Regime in Berlin? Nachdem er die Angelegenheit am selben Abend mit Monsi­gnore Montini besprochen hatte, ließ der Papst Alfieri die Nachricht zukommen, er solle den bewussten Punkt in Deutschland besser doch nicht ansprechen. Sollte sich dazu später eine bessere Gelegenheit ergeben, werde er es ihn wissen lassen.14 Am Abend darauf bestieg Alfieri den Nachtzug nach Berlin.15 Dort angekommen, erstattete er vor Vertretern des Auswärtigen Amtes einen umfassenden Bericht über sein letztes Zusammentreffen mit dem Papst. Pius habe dabei großes Gewicht auf die Tatsache gelegt, dass er bei der Formulierung seiner drei Telegramme »mit Bedacht die Wörter ›Deutschland‹ und ›Invasion‹ vermieden [sowie] versprochen [hatte], noch einmal Anweisung zu geben, dass [der Osservatore Romano] sich nicht auf die Seite Englands und Frankreichs schlagen solle«. Alfieri wies die Deutschen darauf hin, dass es »im Interesse Deutschlands und Italiens gleichermaßen« sei, »sich mit dem Vatikan gut zu stellen«, fügte jedoch einschränkend hinzu: »wenigstens für die Dauer des Krieges«. Eine von Alfieris ersten Amtshandlungen als neuer Botschafter in Berlin bestand darin, Hermann 166

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Göring, den Hitler einige Monate später zum Reichsmarschall ernennen sollte, nachdem die beiden Männer den »römischen« beziehungsweise »deutschen« Gruß ausgetauscht hatten, die Kette des Annunziaten-Ordens zu verleihen. Das war die höchste Ehre, die der italienische König zu vergeben hatte und die Alfieri, ebenfalls im Namen Vittorio Emanueles, kaum sechs Monate zuvor Kardinal Maglione hatte zuteilwerden lassen.16 Während die deutschen Panzer unerbittlich in Richtung Paris rollten, trug der amerikanische Botschafter an der Seine, William Bullitt, dem päpstlichen Nuntius in Frankreich, Kardinal Valeri, eine dringende Bitte vor: Das Letzte, was die Franzosen nun noch gebrauchen konnten, war, dass Italien in den Krieg einträte und Frankreich aus südlicher Richtung angriffe. Und die einzige Möglichkeit, Mussolini davon abzuhalten, meinte der Botschafter, sei die päpstliche Drohung, den Duce im Fall eines italienischen Kriegseintritts umgehend zu exkommunizieren.17 Magliones Antwort auf diese ungewöhnliche Bitte der Amerikaner lässt erahnen, wie erfolgreich Mussolini bei seinen Versuchen, den Papst einzuschüchtern, tatsächlich gewesen war. Der Heilige Vater, ließ der Kardinal den Nuntius wissen, habe bereits alles in seiner Macht Stehende getan: »Leider ist nicht ersichtlich, was sich hier noch mehr tun ließe, zumal ja der Widerstand gegen die Verbreitung des Osservatore Romano weiterbesteht, samt der Tatsache von unzähligen bedauerlichen Vorfällen in diesem Zusammenhang.«18 Auch aus Italien bekam Pius XII. nun wachsenden Druck zu spüren, einen Eintritt des Landes in den Krieg zu verhindern. Ein Brief, der den Papst Mitte Mai aus Neapel erreichte, berichtet von der gewaltsamen Beschlagnahmung der vatikanischen Zeitung durch Neapolitaner Faschisten. »Italien, dessen Volk ja ganz besonders katholisch ist«, schrieb der Absender weiter, »sollte nicht Millionen von Menschenleben für nichts opfern, oder für die Launenhaftigkeit eines einzigen Mannes. … Unter dem Schirm Eurer Macht, Heiliger Vater, sucht das italienische Volk Euren Schutz, denn es will weder Krieg noch Bürgerkrieg.«19 Ein anderer Brief aus derselben Zeit, dessen Verfasser sich selbst als »ein[en] zivilisierte[n] und christliche[n] Italiener« bezeichnet, schlägt einen ganz ähnlichen Ton an: »Die Macht des Heiligen Vaters könnte unse167

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rem italienischen Volk helfen … nicht nur den Krieg zu vermeiden, indem der König mit der Exkommunikation bedroht wird, sondern auch dazu beizutragen, dass sie sich selbst von jenem zynischen Schuft befreien, der uns ausplündert und in Armut zurücklässt, während er und seine Prätorianer ein Vermögen anhäufen.« Einem Bekannten, der gerade den Osser­ vatore Romano las, teilte dieser Briefeschreiber dem Papst mit, hatte man die Zeitung aus der Hand geschlagen, in Fetzen gerissen und den Mann dann gezwungen, die daraus zusammengeknüllten Papierkugeln hinunterzuwürgen, wobei wohl die reichlichen Schlucke Rizinusöl helfen sollten, die man ihm zugleich verabreichte. »Wir bitten den Heiligen Vater, uns beizustehen. Sagt dem König, er solle die Armee gegen diese Attentäter einsetzen, und das ganze Volk, die ganze Nation wird auf Eurer Seite sein. … Helft uns nicht nur mit Gebeten, sondern mit Taten.«20 Auch Frauen wandten sich hilfesuchend an den Pontifex, darunter eine, die zwar anonym bleiben wollte, ihr Schreiben aber einigermaßen vermessen mit »Die katholischen Frauen Italiens« unterzeichnete: Heiliger Vater, in jedem gemarterten und zerbrochenen Herzen Eures gläubigen, katholischen Volkes lebt heute nur die eine brennende Hoffnung, dass Eure Heiligkeit diesen monströsen, feigen Krieg verhindern möge, den der brüderliche Freund des kriminellen teutonischen Vandalen vorbereitet. … In früheren Zeiten haben die Päpste viele Male Monarchen und Machthaber exkommuniziert, nur weil diese die heiligen Gesetze der Kirche übertreten hatten. Auch heute … also exkommuniziert diese Monster, oder es wird zu spät sein.21

Soweit sich aus den vatikanischen Archiven ersehen lässt, hat Pius XII . niemals ernstlich in Erwägung gezogen, Hitler oder Mussolini, die zumindest nominell beide katholisch waren, zu exkommunizieren. Dennoch trieb die NS-Führungsriege offenbar die Befürchtung um, der Papst könne diesen Schritt vollziehen. Am 22. Mai fragte Hermann Göring den italienischen Botschafter, ob er es für denkbar halte, dass Pius XII. im Fall eines Kriegseintritts der Italiener den Duce exkommunizieren werde. Alfieri gab zur Antwort, dass ihm dies höchst unwahrscheinlich erscheine. Sollte der 168

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Papst es aber doch tun, so gab er zu, würde es »einen gefährlichen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben«.22 Die Aussicht, dass Italien womöglich bald in den Krieg eintreten könnte, rief noch weitere Befürchtungen hervor: Sorgen um die Sicherheit des Papstes selbst sowie erste Andeutungen hinter vorgehaltener Hand, der Heilige Vater plane womöglich bereits, das Land zu verlassen. Am 18. Mai erhielt D’Arcy Osborne, der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl, eine überraschende Nachricht aus dem Londoner Außenministerium. Sollte Italien in den Krieg eintreten, hieß es darin, bestehe laut einer Mitteilung des französischen Außenministeriums die Möglichkeit, dass der Papst sein Staatssekretariat auf neutralen Boden, etwa in die Schweiz, verlegen werde, wohin dann auch die auswärtigen Botschafter beim Heiligen Stuhl umziehen müssten, während Pius selbst im Vatikan verbleiben könne. Zugleich zog, wie das britische Außenministerium erfahren hatte, Präsident Roosevelt in Erwägung, dem Papst Asyl in den Vereinigten Staaten anzubieten. Im Gegenzug spielten die Londoner Außenpolitiker nun mit dem Gedanken, Pius XII. ihrerseits eine Zuflucht auf Malta anzudienen. In Rom machten zahlreiche Gerüchte die Runde, die sich alle um einen möglichen Gang des Papstes ins Exil drehten; ein Polizeiinformant etwa hatte gehört, der Pontifex plane für den Fall eines italienischen Kriegseintritts bereits seine Übersiedlung nach Lissabon.23 Ein paar Tage nach Beginn des deutschen Westfeldzugs bat Kardinal August Hlond, der Primas von Polen, Pius um die Erlaubnis, über Radio Vati­ kan eine Botschaft an das polnische Volk richten zu dürfen. Der Kardinal hatte seine Mitteilung so formuliert, dass sie »den Glauben der [­polnischen] Nation bestärken« werde, »welcher Glaube durch Religionsverfol­gung und die überaus betrüblichen Lebensumstände [seit Kriegsausbruch] auf eine schwere Probe gestellt worden ist«. Eine Woche nach dieser Anfrage ließ der Papst dem Kardinal mitteilen: »In Anbetracht der gegenwärtig äußerst delikaten Situation ist Seine Heiligkeit überzeugt, dass dies ein ungünstiger Zeitpunkt wäre, um eine solche Ansprache zu halten, selbst in der edlen Absicht, den Glauben und die bedrückte Seele eines schwer getroffenen Volkes wieder aufzurichten.« Nachdem er mit seinen Telegram­men an die drei Staatsoberhäupter den Zorn der Faschisten auf sich gezogen hatte, wollte Pius alles vermeiden, was den Groll des Duces noch gesteigert h ­ ätte.24 169

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Kapitel 14

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an kann das Handeln des Papstes nur verstehen, wenn man bedenkt, dass er guten Grund zu der Annahme hatte, die Zukunft der Kirche werde sich in einem Europa unter der Ägide Hitlers und seines italienischen Partners abspielen. Viele waren damals überzeugt, der Krieg werde binnen weniger Monate beendet sein, sobald die Achsenmächte den gesamten Kontinent erobert haben würden und Großbritannien nichts anderes mehr übrig bliebe, als um Frieden zu betteln.1 Nachdem die meisten Italiener sich anfangs gegen eine Kriegsbeteiligung ihres Landes ausgesprochen hatten, ließen die Nachrichten von dem überraschend zügigen Vormarsch der deutschen Truppen, die von der faschistischen wie der katholischen Presse mit Begeisterung vermeldet wurden, die ablehnende Haltung bald bröckeln. Ein Informant der Polizei in Genua registrierte schon früh die Anzeichen für einen Richtungswechsel in der öffentlichen Meinung: »Die öffentliche Meinung durchläuft gerade einen größeren Wandel, was an den imposanten Siegen der Deutschen liegt. Weiterhin sind ja alle davon überzeugt, dass der Krieg nur ein paar Monate dauern und der Sieg ein Leichtes sein wird, nachdem die Franzosen und Briten derart schwere Niederlagen erlitten haben.« Wie das Ministerium für Volkskultur meldete, waren die Italiener »erstaunt, ja fassungslos« angesichts der durchschlagenden deutschen Erfolge und des raschen Zusammenbruchs der alliierten Gegenwehr. Die militärische Macht der Deutschen war ebenso berauschend wie beängstigend. »Manche sind entzückt; andere jedoch (und von diesen gibt es mehr als von der ersten Sorte) sind beunruhigt, verwirrt und alarmiert.«2 Obgleich die öffentliche Meinung also gemischt war, wurde Mussolinis Enthusiasmus mit Blick auf einen möglichen Kriegseintritt Italiens 170

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immer stärker. Schon am 12. Mai 1940, nur zwei Tage nach Beginn des Feldzugs, betraten die ersten Einheiten der Wehrmacht, nachdem sie durch ganz Belgien vorgerückt waren, bei Sedan französischen Boden. Die Bomber und Zerstörer der Luftwaffe fügten den französischen Truppen schwere Verluste zu, während die deutschen Jagdflugzeuge die Luftstreitkräfte der Alliierten zurückschlugen. Winston Churchill, der am 10. Mai, dem Tag des deutschen Überfalls, britischer Premierminister geworden war, stellte dem Unterhaus drei Tage später die Vertrauensfrage für seine Kriegsregierung. Er habe den Abgeordneten »nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß«, sagte Churchill in einer berühmten Wendung, die in verkürzter Form sprichwörtlich geworden ist. Tatsächlich sah es für die Briten gar nicht gut aus. Am 20. Mai erreichten Einheiten der Wehrmacht bei Abbeville in Nordfrankreich die Küste des Ärmelkanals und kesselten damit die Truppen der alliierten Franzosen, Belgier und Briten ein. In einem Bericht, den Hitler am 25. Mai an Mussolini sandte, brüstete er sich damit, dass seine Truppen auf ihrem Vormarsch durch Frankreich auf keinerlei nennenswerten Widerstand stießen. Die Briten, die sich Hals über Kopf vom europäischen Festland zurückzogen, verluden ihre Soldaten am Strand von Dünkirchen hastig auf die rettenden Schiffe.3 Die atemraubende Geschwindigkeit und Mühelosigkeit des deutschen Vormarsches hatte auch auf den Schwiegersohn des Duces einen derart starken Eindruck gemacht, dass Ciano seine frühere Ablehnung eines italienischen Kriegseintritts zu überdenken begann. Sein Treffen mit Monsignore Borgongini, dem päpstlichen Nuntius bei der italienischen Regierung, am 28. Mai zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass Ciano bei dieser Gelegenheit, anders als zuvor, nicht mehr betonte, er tue alles, um Italien aus dem Krieg herauszuhalten. Am selben Tag äußerte Ciano sich gegenüber seinem Freund Alberto Pirelli sogar noch freimütiger. Der 58-jährige Unternehmer, der die Geschicke des gleichnamigen, von seinem Vater gegründeten Gummi- und Reifenherstellers lenkte, war mit Mussolini in den vergangenen zwanzig Jahren oft zusammengetroffen. Pirelli verfügte über zahlreiche Kontakte in ganz Europa, Nord- und Südamerika; unter den Vertretern der italienischen Wirtschaftselite bestach er durch große Weltkenntnis. Er war der Prototyp jener Industriellen, deren mal 171

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widerwillig, mal begeistert gewährte Unterstützung das faschistische Regime an der Macht hielt.4 Sollten die Italiener sich ihren deutschen Verbündeten anschließen und Frankreich den Krieg erklären, meinte Ciano, dann konnten sie dabei nicht nur Korsika gewinnen, sondern auch das an der Mittelmeerküste unweit der italienischen Grenze gelegene Nizza, dazu die gesamte Küste des nordwestlichen Afrikas einschließlich Französisch-Marokkos – und damit auch den lang ersehnten Zugang zum Atlantik. Hitler, teilte er seinem Unternehmerfreund mit, hatte bereits eingewilligt, die Italiener in Ägypten an die Stelle der Briten treten zu lassen, und hatte Mussolini versichert, dass Deutschland selbst keineswegs die Eroberung eines Mittelmeerhafens anstrebe. Doch damit war die lange Liste von potenziellen italienischen Eroberungen, die der vormals kriegsscheue Ciano aufzählte, noch nicht erschöpft: »Wir werden Kreta und Korfu einnehmen«, erklärte er Pirelli gegenüber, »und eigentlich sollten wir ganz Griechenland kontrollieren.«5 Als der Tag von Mussolinis schicksalhafter Kriegserklärung näherrückte, legte Bernardo Attolico, der nur wenige Tage zuvor noch als italienischer Botschafter in Berlin amtiert hatte, im Vatikan sein Beglaubigungsschreiben als neuer Botschafter des Duces beim Heiligen Stuhl vor. Auf seine Mitmenschen wirkte Attolico ein bisschen wie ein Professor – ein ernsthafter Mann mit dicken Brillengläsern und einer etwas gebückten Haltung. Über seine Rückberufung nach Rom war er nur allzu froh. Als gewissenhafter Berufsdiplomat und intelligenter Mann hatte er sich unter den Nazis nie wirklich wohlgefühlt; außerdem war er gesundheitlich angeschlagen. Im Jahr zuvor hatte er anlässlich der Unterzeichnung des Stahlpakts zwischen Deutschland und Italien einem Freund anvertraut: »Ich bin krank, ich habe nicht mehr lange zu leben. Schon eine Weile will ich dieser schrecklichen Atmosphäre [in Berlin] entfliehen. Aber ich kann nicht.« Nun hatte Hitler persönlich mitgeholfen, dass Attolicos Wunsch in Erfüllung ging, indem er Mussolini hatte wissen lassen, dass der den Nazis gegenüber zumindest reserviert auftretende Botschafter in Berlin nicht länger willkommen sei. Die Ernennung an den Vatikan hatte für Attolico noch einen weiteren Vorzug. Er selbst kam zwar aus einer Familie der süditalienischen Mittel172

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schicht, doch seine Frau Eleonora entstammte jener römischen Elite, die von jeher den Päpsten nahestand. Mit der Führungsspitze der katholischen Kirche verbanden sie starke Familienbande.6 Attolicos neue Aufgabe, wie er selbst sie sah, bestand darin, harmonische Beziehungen zwischen der italienischen Regierung und dem Vatikan zu gewährleisten. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dino Alfieri, der ein faschistischer Hardliner und strammer Verfechter der Achse Berlin–Rom gewesen war, konnte Attolico schon eher als ein typischer Vertreter der konservativen italienischen Elite gelten, die zwar einen katholisch-faschistischen Staat unterstützte, für Hitler und die Nazis jedoch nichts übrig hatte. Weil Attolico die jüngsten Spannungen klar vor Augen standen, die sich aus den Angriffen auf Verkäufer und Leser des Osservatore Romano ergeben hatten, drängte er den Duce, derartigen Übergriffen ein Ende zu machen und jegliches weitere Vorgehen, das den Papst verstimmen könnte, strikt zu vermeiden. Neben diesen beiden Punkten im Text von Attolicos

Botschafter Bernardo Attolico und Eleonora Pietromarchi Attolico mit Adolf Hitler, Berlin, 10. Dezember 1937.

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Denkschrift vermerkte Mussolini eigenhändig mit seinem Buntstift: »Ja, M.« Letztlich erschien es ratsam, nicht zu weit zu gehen.7 Pius XII. selbst war gern bereit, alles ihm Mögliche zu tun, um weitere Konflikte um die Vatikanzeitung zu vermeiden. Im Gegenzug für das Versprechen des neuen italienischen Botschafters, der Osservatore Romano könne fortan frei und unbehelligt vertrieben und gelesen werden, wies der Papst die Redaktion an, keinerlei Beiträge mehr abzudrucken, die »im offenkundigen Gegensatz zu den übergeordneten Interessen dieses Landes« standen – wie Attolico es ausdrückte. Die Zeitung starb damit einen mehr oder weniger ehrenvollen Tod.8 Der neue Botschafter versprach dem Papst, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um mögliche Reibungspunkte zwischen dem Vatikan und der faschistischen Regierung zu beseitigen, und äußerte die Hoffnung, dass ein offener Informationsaustausch sowohl ihm selbst als auch dem Pontifex zum Erfolg gereichen werde. Pius versicherte, dass genau dies auch seine Auffassung sei.9 »Der Entschluß ist gefaßt. Die Würfel sind gefallen.« So hielt Ciano in seinem Tagebuch die Entscheidung Mussolinis vom 30. Mai 1940 fest, an der Seite Hitlers in dessen Krieg einzutreten. »Das italienische Volk«, schrieb der Duce noch am selben Tag in einem Brief an Hitler, »ist … ungeduldig, sich im Kampfe gegen die gemeinsamen Feinde an die Seite des deutschen Volkes zu stellen.« Italien, so Mussolini weiter, sei binnen sechs Tagen kampfbereit. Der amerikanische Botschafter William Phillips schrieb seinerseits einen wütenden Brief an Präsident Roosevelt: »Wir haben es hier mit einem italienischen Bauerntölpel zu tun, der … gar nicht die Vorstellungskraft besitzt, um über die überwältigende Stärke der deutschen Kriegsrüstung hinauszusehen.«10 Mussolini hatte beschlossen, Italien in diesen Krieg hineinzustürzen, ohne dazu den Faschistischen Großrat oder sein eigenes Kabinett einzuberufen. Erst nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte, ließ er die Führungsspitzen des italienischen Militärs zu sich rufen, um sie davon in Kenntnis zu setzen. Keiner der Männer erhob Einspruch – vielleicht, weil sie durch das abschreckende Beispiel des Marschalls Pietro Badoglio eingeschüchtert waren. Der Oberbefehlshaber der italienischen Landstreitkräfte hatte es einige Tage zuvor gewagt, Mussolini gegenüber kritische 174

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Einwendungen zu machen. Genauer gesagt hatte Badoglio die Auffassung geäußert, dass ein Kriegseintritt Italiens angesichts der geringen Anzahl von Kampfflugzeugen und Panzern, über die das Land verfügte, einem nationalen Selbstmord gleichkomme. »Sie, Herr Marschall«, erwiderte Mussolini, dessen Vertrauen zu seinem Oberkommandierenden rapide dahinschmolz, »haben nicht die nötige Gelassenheit, um die Lage richtig einzuschätzen. Ich sage Ihnen: Bis September wird alles vorbei sein, und ich brauche nur ein paar Tausend Tote, damit ich am Ende bei der Friedenskonferenz als Kriegsteilnehmer am Verhandlungstisch sitzen kann.«11

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Kapitel 15

Ein kurzer Krieg

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m Nachmittag des 10. Juni 1940 strömten Zehntausende Römerinnen und Römer auf die Piazza Venezia und warteten darauf, dass Mussolini auf den Balkon seines Arbeitszimmers treten würde. Auf den zentralen Plätzen von Städten und Dörfern im ganzen Land waren Lautsprecher aufgebaut worden, mit denen die Ansprache des Duces per Radio verbreitet werden sollte. Auch dort hatten sich bereits große Menschenmengen versammelt, darunter begeisterte Schwarzhemden, aber auch Passanten, die von faschistischen Funktionären barsch herbeordert worden waren. Früh am Nachmittag hatte Ciano die Botschafter Frankreichs und Großbritanniens einbestellt, um ihnen die offizielle Kriegserklärung im Namen des Königs zu verlesen. Als der französischen Botschafter André François-Poncet durch die Tür trat, sagte Ciano, der sichtlich aufgeregt war und zu diesem Anlass eigens die Uniform aus seinen Tagen als Bomberpilot angelegt hatte, zu ihm: »Ich denke, Sie werden schon ahnen, was ich Ihnen mitzuteilen habe.« »Man muss nicht sehr scharfsinnig sein, um sich das zu denken«, erwiderte der Botschafter. »Ihre Uniform spricht für sich.« Nachdem Ciano die Kriegserklärung Vittorio Emanueles III. verlesen hatte, konnte der Franzose seine Empörung nicht länger im Zaum halten und fuhr Ciano an: »Da haben Sie also gewartet, bis wir mit dem Gesicht nach unten im Dreck liegen, um uns jetzt das Messer in den Rücken zu stoßen. Ich wäre wirklich stolz an Ihrer Stelle!« Ciano lief puterrot an. »Mein lieber Poncet«, versetzte er, »das alles wird ja nicht lange dauern.« Ganz gewiss würden sie schon bald unter angenehmeren Umständen wieder zusammentreffen.

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»Aber nur unter der Bedingung«, entgegnete der Botschafter, »dass man Sie in der Zwischenzeit nicht umgebracht hat!«1 Auch Mussolini war an diesem Tag nervös, ja aufgeregt. Immerhin musste er befürchten, dass, falls er nun nicht handelte, sondern zögerte, der Krieg vorbei sein könnte, bevor die Italiener auch nur einen einzigen Schuss abgefeuert hatten. Unsicher war er auch in dem Punkt, ob die Briten tatsächlich Frieden schließen würden, sobald Frankreich erobert war. Wenn sie das nicht täten, bliebe den Achsenmächten nichts anderes übrig, als auch die Britischen Inseln anzugreifen. Den Vormittag hatte der Duce zu Hause verbracht, um an seiner Rede zu feilen, die er auswendig lernen wollte, hatte sich dabei jedoch dreimal selbst unterbrochen, um Clara anzurufen und ihr einzuschärfen, dass sie am Nachmittag unbedingt zum Palazzo Venezia kommen müsse. Als sie dort eintraf, strömten bereits Gruppen junger Faschisten in ihren schwarzen Uniformen auf die Piazza, die Transparente und Schilder trugen. Im Inneren des Gebäudes fand sie Mussolini in einem Zustand größter Anspannung und Erregung vor. »Die Zeit für Lyrik ist vorbei!«, sagte er ihr anstelle einer Begrüßung. Am frühen Abend, um sechs Uhr, trat der Diktator schließlich auf seinen kleinen Balkon hinaus. In seiner dunklen Milizuniform und mit der charakteristischen Mütze auf dem Kopf stand er da, die Hände in den breiten schwarzen Gürtel gestemmt, mit vorgestrecktem Kinn und geschwellter Brust. Von unten tönten die Sprechchöre der Masse zur Begrüßung: »­Du-ce …! Du-ce …!«. Die gewaltige Menschenmenge erstreckte sich noch über die geräumige Piazza hinaus, ein ganzes Stück die breite Via dell’Impero hinunter, die heutige Via dei Fori Imperiali, die in direkter Linie zum nahe gelegenen Kolosseum führt. Als das Getöse der Wartenden sich schließlich gelegt hatte, begann Mussolini seine Rede, den Blick starr ins Weite gerichtet. Er sprach im Stakkato, wie es seine Art war, mit einem herausfordernden, kämpferischen Unterton, und hielt nur inne, wenn eine besonders kernige Phrase die Menge in Begeisterung ausbrechen ließ: Kämpfer zu Lande, zur See, in der Luft! Schwarzhemden der Revolution und der Legionen! Männer und Frauen Italiens, des Kaiserreiches und des Königreichs Albanien! Hört!

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Teil II Auf dem Weg zum ­Achsensieg

Eine vom Schicksal bestimmte Stunde hat unserem Vaterland geschlagen. Die Stunde der unwiderruflichen Entscheidungen. Die Kriegserklärung wurde bereits den Botschaftern Großbritanniens und Frankreichs überreicht. Wir ziehen ins Feld gegen die plutokratischen und reaktionären Demokratien des Westens … Dieser gigantische Kampf ist … der Kampf der armen Völker gegen die Aushungerer, die ein Monopol auf allen Reichtum und alles Gold der Erde haben. Es ist der Kampf der fruchtbaren, jungen Völker gegen die unfruchtbaren, dem Untergang geweihten Völker. … Die Parole ist eine einzige, kategorisch und herausfordernd für alle. … Sieg! Und wir werden siegen, um Italien, Europa und der Welt endgültig eine lange Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit zu geben. Italienisches Volk! Ergreife die Waffen und zeige deine Härte, deinen Mut und deine Tapferkeit!2

Wieder und wieder rief das Tosen der Menge Mussolini auf den Balkon zurück. Schließlich war der Duce jedoch so erschöpft, dass er endgültig ins Gebäude zurückkehrte, um Clara zu begrüßen. Nun zeigte er sich von seiner sanfteren Seite, und in Claras graugrünen Augen standen die Tränen. Ihr Leben werde jetzt nie mehr sein wie früher, sagte er ihr, doch er, Benito, werde sie immer lieben, werde sie niemals verlassen. Als für sie später am selben Abend die Zeit zum Aufbruch gekommen war, dehnte er den Abschiedskuss auf eine gefühlte Ewigkeit aus, notierte Clara in ihrem Tagebuch. Danach sollte er sie noch drei Mal zu Hause anrufen, bis in die späten Abendstunden hinein, um ihre Stimme zu hören und ihr seine Treue zu beteuern.3 In London machte Premierminister Churchill gerade ein Nickerchen, als die Nachricht von der italienischen Kriegserklärung eintraf. Eilig wurde der Premier geweckt, um ihn ins Bild zu setzen. »Na«, versetzte Churchill trocken, »dann müssen die Leute, die zum Ruinengucken nach Italien fahren, ja bald nicht mehr runter bis Neapel oder Pompeji.« In Paris hatte man andere Sorgen, als auf die Nachricht aus Rom zu reagieren, denn die Mitglieder der französischen Regierung bereiteten hastig ihre Flucht aus der Hauptstadt vor: Die Wehrmacht war im Anmarsch.4

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In Washington wurde die Kriegserklärung Mussolinis zwar nicht gerade überrascht aufgenommen, aber für Präsident Roosevelt war sie dennoch ein Schlag ins Gesicht, hatte doch der Duce mit seiner dramatischen Geste die Appelle des Präsidenten eiskalt abblitzen lassen.5 Dem päpstlichen Nuntius in Deutschland hingegen schien die neue Entwicklung vergleichsweise wenig auszumachen. Ja, wenn Monsignore Orsenigo über den Kriegseintritt Italiens an der Seite Hitlerdeutschlands tatsächlich unglücklich gewesen sein sollte, so konnte er seine Gefühle vor dem deutschen Staatssekretär, mit dem er beim Eintreffen der Neuigkeit zufällig gerade sprach, gekonnt verbergen: »Im Gespräch«, erinnerte sich der deutsche Beamte später, hatte der Nuntius »seiner Freude über die deutschen Siege einen sehr herzlichen Ausdruck [gegeben]. Er schien den Eintritt Italiens in den Krieg geradezu herbeizusehnen und sagte scherzhaft, er hoffe, dass die Deutschen den Weg nach Paris über Versailles nehmen würden.«6 Mussolini hatte erwartet, dass zum feierlichen Abschluss seiner Rede die Kirchenglocken Roms zu einem allgemeinen Festgeläut anheben würden, doch die Glocken blieben stumm. Der Papst, den man vorab über diesen Inszenierungswunsch der faschistischen Regierung in Kenntnis gesetzt hatte, bestand darauf, dass die Glocken der Ewigen Stadt nie und nimmer ertönen sollten, um eine Kriegserklärung zu feiern. Wenn die Faschisten ein Festgeläut wollten, dann würden sie es mit Gewalt erzwingen müssen. Am Ende ließ es darauf jedoch niemand ankommen. Es war kaum der richtige Zeitpunkt, um den Papst gegen sich aufzubringen.7 Der Pontifex seinerseits hatte nicht die Absicht, einen Diktator zu verärgern, weder Mussolini noch Hitler. Eine Woche zuvor, am 2. Juni, hatte er zum Gedenktag seines heiligen Amtsvorgängers (und Namenspatrons) Eugen I. eine viel beachtete Ansprache gehalten. Alles an dieser Rede war »typisch Pius XII.«: Sie war mit großer Sorgfalt formuliert, dann perfekt memoriert und schließlich in einem monotonen Duktus vorgetragen worden, der jeden Anflug von Spontaneität vermissen ließ. Während deutsche Soldaten auf ihrem rasanten Vormarsch durch Europa Leid und Verwüstung brachten und Hunderttausende britische Soldaten aus Dünkirchen evakuiert wurden, wollte der Papst unter keinen Umständen etwas sagen, woran eine der beiden Konfliktparteien hätte Anstoß nehmen können.8 179

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Die italienische Presse hob in ihrer Berichterstattung über die Rede des Papstes hervor, dass Pius die Formulierung pace con giustizia, Frieden mit Gerechtigkeit, verwendet hatte, die auch Mussolini ständig im Mund führte. Tatsächlich hatte der Duce die Wendung auch in seine Kriegserklärung vom 10. Juni einfließen lassen. Dies sollte ein Frieden sein, so Mussolini, der sich deutlich von der Art von Frieden unterschied, die in Europa seit dem Ende des Weltkrieges geherrscht hatte: Nach faschistischer Lesart war dieser Frieden nämlich ein ungerechter Frieden, da er das Produkt des viel geschmähten Versailler Vertrages war.9 Da nun Charles-Roux, der Botschafter Frankreichs beim Heiligen Stuhl, in seine Heimat zurückberufen wurde, um dort bei der Krisenbewältigung zu helfen, kam in Rom ein neuer französischer Botschafter an. Am 9. Juni traf er zum ersten Mal mit dem Papst zusammen – unter Umständen, die für Frankreich kaum ungünstiger hätten sein können. Der 51-jährige Wladimir d’Ormesson entstammte einer illustren französischen Adelsfamilie, die zahlreiche Akademiker, Schriftsteller und Diplomaten hervorgebracht hat. Seinen für einen Franzosen ungewöhnlichen Vornamen verdankte er der Tatsache, dass sein Vater, ein Diplomat, zum Zeitpunkt seiner Geburt an der französischen Botschaft in Sankt Petersburg tätig gewesen war, wo sein Sohn auch zur Welt gekommen war. Im Ersten Weltkrieg war Wladimir schwer verwundet worden und danach zu einem der prominentesten katholischen Journalisten Frankreichs aufgestiegen. Vor seiner Entsendung nach Rom war er schon mehrfach für kürzere diplomatische Missionen herangezogen worden, war jedoch kein Berufsdiplomat. Die italienische Regierung hatte ein argwöhnisches Auge auf ihn geworfen, denn seine kritische Berichterstattung über Mussolini war kein Geheimnis. Und d’Ormessons Abneigung gegen die Nazis, ja sein regelrechter Hass auf Nazideutschland hätte größer wohl kaum sein können: Nur wenige Wochen zuvor war sein Sohn, der als Soldat im französischen Heer gedient hatte, von den Deutschen getötet worden. D’Ormesson war »ein Mann von außerordentlichen Fähigkeiten, voller Courage und Charme«, urteilte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl. Im Lauf der nächsten Monate sollten die detaillierten Berichte des neuen französischen Botschafters hellsichtige Einblicke in die oft undurchsichtige Welt der päpstlichen Politik liefern.10 180

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Nach einer Begrüßungszeremonie im päpstlichen Thronsaal folgte d’Ormesson dem Pontifex in dessen persönliches Arbeitszimmer, um dort ein Gespräch unter vier Augen mit ihm zu führen. »In Anbetracht der tragischen Situation, in der sich unser Land derzeit befindet«, sollte der Botschafter später schreiben, »hätte man denken mögen, dass der Heilige Vater bei dieser Gelegenheit darauf verzichtet hätte, uns eine ›Moralstunde‹ zu geben.« Doch anstatt den deutschen Überfall auf d’Ormes­sons Heimatland zu verurteilen, äußerte der Papst sich dahingehend, dass – bei allem Mitgefühl für die schweren Prüfungen, denen Frankreich, die »älteste Tochter der Kirche«, gegenwärtig ausgesetzt sei – die Probleme der Franzosen letztlich selbst verschuldet seien: ein Ergebnis von Entchristlichung und Laizismus, eine Folge der strikten französischen Trennung von Kirche und Staat. Auch konnte der Papst sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass der rapide Zusammenbruch der Maginot-Linie, die von den Franzosen stets als eine unüberwindliche Barriere gegen die deutsche Angriffslust dargestellt worden war, ihn sehr erstaunt habe. »Wo«, fragte Pius XII. den bestürzten Botschafter, »war da das Frankreich von Verdun«, das den deutschen Armeen im Weltkrieg über Jahre die Stirn geboten hatte? Obschon der Papst durchaus seinem Mitgefühl für die Franzosen Ausdruck gab, hielt d’Ormesson fest, »hat der Heilige Vater sich allzu rasch damit abgefunden, in dem Drama, das die Christenheit gerade verheert, nur eine passive Rolle zu spielen«. Der Papst, wollte ihm scheinen, war kein Mann der Tat und trug den Kopf zu hoch oben im Himmel.11 Nach der italienischen Kriegserklärung dauerte es nicht lange, bis Mussolini erneut begann, den Papst unter Druck zu setzen. Zwei Tage nach seiner Rede an der Piazza Venezia bombardierten britische Flugzeuge Ziele in Turin und in Savona an der ligurischen Küste. In der italienischen Presse fanden diese Angriffe anders als in den französischen Zeitungen keinerlei Erwähnung. Der neue italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl eilte in den päpstlichen Palast, um darauf zu drängen, dass auch der Osservatore Romano nicht über die Luftangriffe berichten und überhaupt keinerlei Meldungen über das Kriegsgeschehen abdrucken solle, die über die offiziellen Pressemitteilungen der italienischen Regierung hinausgingen.12 181

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Nach dem Besuch des Botschafters wandte Pius XII. sich an den engsten Vertrauten unter seinen Beratern, Monsignore Montini, den späteren Papst Paul VI., um mit ihm seine Optionen für das weitere Vorgehen zu besprechen. In einer offenbar eilig per Hand entworfenen Notiz umriss Montini die päpstlichen Handlungsperspektiven: Entweder könnte die vatikanische Zeitung die offiziellen Kommuniqués aller Kriegsparteien abdrucken, doch das hieße ein Verbot der Zeitung in Italien herauszufordern und Mussolini noch weiter gegen sich aufzubringen. Oder sie könnte sich darauf beschränken, die Mitteilungen der Achsenmächte zu drucken, was jedoch das Ansehen des Vatikans in der Welt beschädigen würde. Als dritte Möglichkeit könnte das Erscheinen der Zeitung ganz eingestellt werden, doch schätzte der Monsignore diese Option als »heute katastrophal und für die Zukunft sehr gefährlich« ein. Damit blieb eine einzige realistische Handlungsmöglichkeit übrig: Der Osservatore Romano musste sich thematisch fortan auf kircheninterne Vorgänge und das religiöse Leben beschränken.13 Für den Papst war die Sache dringend, da die nächste Ausgabe der Zeitung noch am selben Tag in den Druck gehen sollte. Wie es zuletzt üblich gewesen war, enthielt sie ohne weiteren Kommentar nicht nur die Kriegsberichte der Italiener und der Deutschen, sondern auch offizielle Verlautbarungen aus Frankreich und anderen Ländern. So zögerlich der Papst sonst oft sein konnte, an diesem Tag handelte er schnell: Der Druck sollte unverzüglich angehalten werden.14 Wie der Zufall es jedoch wollte, waren etliche Exemplare der Ausgabe, die an diesem Abend erscheinen sollte, bereits gedruckt worden. Vielleicht könnte diese allerletzte Ausgabe ja doch in einer unzensierten Version erscheinen? Diesen Vorschlag machte Kardinal Maglione dem italienischen Botschafter, als er ihm die Entscheidung des Papstes mitteilte. Doch das wollte Attolico nicht akzeptieren. Also ordnete Pius an, sämtliche schon gedruckten Exemplare der strittigen Nummer einzustampfen. An die Zeitungskioske im ganzen Land wurde die Mitteilung herausgegeben, dass der Osservatore Romano aufgrund eines »Maschinenschadens« an diesem Tag nicht erscheinen werde. »Die Frage«, schloss Attolico in seinem Bericht an Ciano, »ist damit ein für alle Mal geklärt.«15

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»SIEG!« verkündete die Schlagzeile auf der Titelseite der führenden katholischen Tageszeitung L’Avvenire d’Italia nach Mussolinis Rede zum Kriegseintritt. Es folgte ein Leitartikel aus der Feder des Chefredakteurs, der mit den folgenden Worten begann: »Heute gibt es nur eine einzige Pflicht: DIENEN. Egal wo. Egal wie.« Am nächsten Tag brachte die Zeitung eine

L’Avvenire d’Italia, Ausgabe vom 11. Juni 1940.

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Botschaft, die der Erzbischof von Bologna an den Klerus seines Bistums gesandt hatte, um sie von der Kanzel verlesen zu lassen: »Der Inhaber der höchsten Regierungsgewalt hat seine Entscheidung gefällt und unser Italien ist in den Krieg eingetreten. Seiner souveränen Majestät und allen anderen, die mit ihm die oberste Verantwortung für das nationale Leben tragen, schulden wir, dem Gesetz unseres Glaubens gemäß, absoluten und umfassenden Gehorsam.«16 Die Herausgeber und Chefredakteure der anderen katholischen Zeitungen Italiens, die keinerlei Leitartikel abdrucken wollten, die dem Papst missfallen könnten, füllten ihre Blätter mit heroischen Porträts des Duces sowie enthusiastischen Aufrufen italienischer Kleriker an die Katholiken des Landes, dem Ruf ihrer Nation zu den Waffen Folge zu leisten. Die Vatikanzeitung indes schwieg. »Es steht bereits fest«, bemerkte der französische Botschafter d’Ormesson, »dass die Zeitung des Heiligen Stuhls nun Schritt für Schritt auf das Format eines ›Gemeindeblättchens‹ schrumpfen wird.«17 Da die französische Regierung bereits die Flucht angetreten hatte und die Deutschen mit großer Geschwindigkeit auf Paris vorstießen, bemühte sich d’Ormesson, den Papst zu einer öffentlichen Verurteilung des Krieges zu bewegen, doch ohne Erfolg: »Es ist äußerst wahrscheinlich«, meinte d’Ormesson, »dass der Heilige Vater vorderhand schweigen und dann die erste Gelegenheit einer öffentlichen Äußerung nutzen wird, um wieder einige fromme und perfekt austarierte Klagelaute von sich zu geben.« Zumindest einen Verbündeten fand d’Ormesson aber doch im Vatikan: den hünenhaften, auch durch seinen buschigen Vollbart imponierenden Kardinal Tisserant, einen Landsmann, der aus dem lothringischen Nancy stammte. Als einziger Nichtitaliener unter den Kurienkardinälen war der Franzose in Rom ein Außenseiter; einmal in der Woche war er bei der Familie des französischen Botschafters zum Essen eingeladen. Seit 1937 amtierte Kardinal Tisserant, der sich als Orientalist einen Namen gemacht hatte, als Sekretär der Kongregation für die orientalischen Kirchen. »[Er] kommt mir vor«, vertraute d’Ormesson seinem Tagebuch an, »wie ein Elefant im Porzellanladen.« Der Kardinal hatte die Angewohnheit, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – er sagte, was er dachte. In einem Vatikan voller Geheimnisse und Andeutungen, wo Verschleierung zum guten Ton ge184

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hörte, wirkte das, als hätte jemand ein Fenster geöffnet und frische Luft hereingelassen. Später erhielt Tisserant sogar den Spitznamen »Kardinal de Gaulle«, in Anlehnung an den ebenfalls hochgewachsenen Anführer der französischen Résistance. D’Ormesson befürchtete schon, dass die faschistischen Behörden irgendwann Mittel und Wege finden würden, um den forschen Kardinal zum Schweigen zu bringen, und tatsächlich belegt die dicke Akte, die Mussolinis politische Polizei über Tisserant angelegt hat, wie oft der Kardinal bei seinen häufigen Ausflügen jenseits der Grenzen des Vatikans beschattet wurde (wenngleich meist ohne Erfolg). Der Papst

Kardinal Eugène Tisserant.

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selbst hegte jedoch kaum Sympathien für den französischen Kardinal, dem er seinen unverhohlenen Widerstand gegen seine Wahl zum Papst nicht verzeihen konnte.18 Kurze Zeit nach Mussolinis Kriegserklärung prangerte Kardinal Tisserant in einem Brief an den Erzbischof von Paris mit deutlichen Worten die Untätigkeit des Papstes an. Einige Monate zuvor, heißt es darin, habe er, Tisserant, den Papst erfolglos dazu bewegen wollen, eine Enzyklika zu veröffentlichen. Als deren Thema habe er die Pflicht des Individuums, seinem eigenen Gewissen zu gehorchen, vorgeschlagen. Das, argumentierte Tisserant, sei doch ein grundlegendes Element des christlichen Glaubens! »Ich befürchte schon jetzt, dass die Geschichte dem Heiligen Stuhl einiges wird vorwerfen können, nachdem er in politischer Hinsicht den Weg des geringsten Widerstands, den Weg der Bequemlichkeit eingeschlagen hat, kaum mehr … Das alles ist über die Maßen betrüblich, vor allem, wenn man den Pontifikat Pius’ XI. erlebt hat.«19 Am Tag nachdem Tisserant seinen Brief geschrieben hatte, sandte Roberto Farinacci, der frühere Generalsekretär der Faschistischen Partei, inzwischen Herausgeber des erzfaschistischen Kampfblatts Il Regime Fascista und ein beißender Vatikankritiker, seinerseits Mussolini einen Brief, in dem er den Duce vor dem französischen Kardinal warnte. Beigelegt hatte Farinacci einen maschinengeschriebenen Brief ohne Unterschrift, der, wie er schrieb, vom Chef der Vatikanpolizei stammte, den er als »unseren treu ergebenen Kameraden« beschrieb. Die Passage des Schreibens, in der es um den Kardinal ging, war in Großbuchstaben getippt: »Es ist geboten, dass die italienischen Behörden sämtlichen Ein- und Ausgangsverkehr des Vatikans überwachen. ES IST GEBOTEN, DIE BEWEGUNGEN UND AUFENTHALTSORTE VON KARDINAL TISSERANT STRENG ZU ÜBERWACHEN .« Der Brief des vatikanischen Polizeichefs – wenn er denn tatsächlich von dem Oberkommandierenden einer der vatikanischen Polizeitruppen stammte – schloss mit dem Schlachtruf der Faschisten: »ALALA«.20 Arturo Bocchini, der fähige Chef der italienischen Staatspolizei, der Mussolini allmorgendlich Rapport erstattete, wurde nicht erst durch Farinaccis Nachricht auf die Idee gebracht, den Vatikan überwachen zu lassen, 186

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und schätzte den überflüssigen Ratschlag eher wenig. Ohnehin war die Überwachung des Vatikans keineswegs ein Geheimnis, und auch die neu eingetroffenen Diplomaten aus Frankreich und Großbritannien, die sich gerade in ihren bescheidenen Unterkünften in der Vatikanstadt einlebten, wussten davon. Mussolinis Spitzel waren scheinbar überall.21 Der italienische Klerus und die katholischen Institutionen des Landes, die allesamt der Autorität des Papstes als Bischof von Rom unterstanden, verkündeten weiterhin lautstark ihre Unterstützung für den Kriegseintritt Italiens an der Seite Hitlers. Besondere Aufmerksamkeit in der katholischen wie auch in der faschistischen Presse erregte die patriotische Botschaft des Bischofs Evasio Colli, der an der Spitze der Katholischen Aktion in Italien stand: »In dieser ernsten, schweren Stunde, in der das Vaterland all seine Kinder in seinen Dienst ruft, folgen die Mitglieder der Katholischen Aktion diesem Ruf mit dem tief empfundenen Pflichtgefühl und der Großzügigkeit, welche die Frucht ihrer christlichen Erziehung ist.« Führer der diversen Untergruppierungen der katholischen Laienorganisation ließen eigene Aufrufe folgen, in denen sie ihre Mitglieder dazu anhielten, die italienischen Kriegsanstrengungen nach Kräften zu unterstützen. Typisch war etwa das Schreiben, das der Präsident des Bundes katholischer Männer verfasste: »Italien ist in den Krieg eingetreten. Der Chef der Regierung hat dies dem ganzen Land verkündet. … Wir, die Männer der Katholischen Aktion, springen auf und rufen laut: ›Hier!‹«22 Mussolinis diplomatische Vertretung im Vatikan behielt nicht nur die landesweiten Appelle der italienischen Kirche genau im Blick, sondern auch die zahllosen Botschaften zur Unterstützung des Krieges, mit denen sich die Erzbischöfe und Bischöfe Italiens an ihre jeweiligen Schäfchen wandten.23 Besonderes Echo in der katholischen wie faschistischen Presse fand der Ruf zu den Waffen, den ein in Italien äußerst geschätzter Kirchenmann ergehen ließ: Franziskanerpater Agostino Gemelli, der Gründer und Rektor der Katholischen Universität Mailand. »Wir müssen uns alle für den Sieg rüsten«, mahnte Gemelli. »Möge Gott unsere Gebete erhören, möge die Heilige Jungfrau uns beschützen und möge sie der Leitstern sein, der unser Vaterland zum Siege führt!«24

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Kapitel 16

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M

ussolini wollte unter allen Umständen italienische Truppen auf ­französischem Boden sehen, bevor die Eroberung durch die Deutschen ihm jede Chance nahm, eigene Gebietsansprüche anzumelden. Dabei hatte die italienische Armee, obwohl der Duce schon seit Jahren kriegslüsterne Reden geschwungen hatte, keine klaren Pläne für eine solche Invasion. Und wenn man die Generäle fragte, so war die Armee darauf auch gar nicht vorbereitet. Als die Offensive dann schließlich doch losging und museumsreife italienische Panzer westlich von Turin über Alpenpässe rumpelten, die kaum mehr als Saumpfade waren, war der Eindruck nicht gerade überwältigend. Am 14. Juni 1940, vier Tage nach Mussolinis Kriegserklärung, marschierten die Deutschen in Paris ein. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine nennenswerte Zahl von italienischen Soldaten auf französischen Boden vorgestoßen. Schnell wurde eine neue französische Regierung gebildet, an deren Spitze der betagte Marschall Philippe Pétain gesetzt wurde, ein alter Haudegen und Kriegsheld von Verdun. Die neue Regierung suchte bei Hitler sofort um einen Waffenstillstand nach. Pétain sandte die an Deutschland gerichtete Anfrage über Madrid; eine entsprechende zweite, die an Mussolini adressiert war, wurde durch Vermittlung des Vatikans überbracht. Als der Papst von seinem Nuntius in Frankreich erfuhr, dass die Franzosen um einen Waffenstillstand baten, leitete er diese Anfrage unverzüglich an Mussolini weiter.1 Am 17. Juni forderte Pétain in einer Radioansprache an das französische Volk: »il faut cesser le combat« (der Kampf muss aufhören). Außer sich vor Wut befahl Mussolini der italienischen Armee, sofort zum Angriff überzugehen: Da die französischen Truppen weiter nördlich durch die Über188

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macht der Deutschen gebunden seien, meinte er, würden sie nur geringe Kräfte erübrigen können, um einer Offensive der Italiener entgegenzutreten. Nach einer Reihe von unklaren bis widersprüchlichen Anweisungen seitens Mussolinis und seiner Generäle begann die Offensive schließlich am Morgen des 21. Juni mit Angriffen der italienischen Luftwaffe auf Verteidigungsstellungen der sogenannten Kleinen Maginot-Linie im Südosten Frankreichs, entlang der gebirgigen Grenze zu Italien. Da die vorrückenden Italiener, 300 000 an der Zahl, zumeist nicht wussten, wo sich die französischen Geschützstellungen befanden, fielen sie dem französischen Abwehrfeuer oder auch den Heckenschützen zum Opfer, die sich im Gelände entlang der gewundenen Bergpfade verborgen hatten. Die Luftunterstützung durch italienische Kampfflugzeuge war alles andere als effektiv, teils wegen dichten Nebels und veralteter Karten, teils aber auch, weil die Piloten schlecht ausgebildet waren. Tatsächlich bombardierten einige italienische Flugzeuge am Ende die eigenen Leute. Und zum großen Schrecken der Italiener rannten die Franzosen auch nicht vor ihnen davon, sondern hielten ihre Stellungen und kämpften. Nach nur vier Tagen endete dieser kurze französisch-italienische Krieg damit, dass der italienische General Pietro Badoglio in einem Vorort von Rom eine Waffenstillstandsvereinbarung unterzeichnete; für die Franzosen unterschrieb General Charles Huntziger. Am Ende hatte die »Alpenschlacht« die Italiener 642 Tote, 2631 Verwundete und 616 Vermisste gekostet; weitere 2151 Soldaten hatten Erfrierungen erlitten. Und dabei hatte die italienische Armee nur einen winzigen Geländestreifen im Südosten Frankreichs erobert. Der Gegensatz zu dem rasanten Vorstoß der deutschen Kampfverbände durch die Niederlande, Belgien und Frankreich war allen Beobachtern nur allzu bewusst. Als der französische Botschafter d’Ormesson mit Pius XII. zusammentraf, während die italienischen Truppen noch im Kampf standen, zeigte sich der Papst durchaus offen für den Vorschlag, er selbst könne bei der Aushandlung eines Friedensschlusses zwischen Frankreich und den Achsenmächten eine Rolle spielen. Doch wie so oft bekam Pius schon bald Zweifel: Am nächsten Tag ließ er d’Ormesson mitteilen, er halte es doch nicht für angeraten, in ein solches Vorhaben involviert zu werden. Die einzige 189

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Chance für die Franzosen, nach ihrer verheerenden militärischen Niederlage noch einigermaßen günstige Friedensbedingungen zu erzielen, sah der Papst nun darin, dass Mussolini mäßigend auf Hitler einwirken ­könnte.2 Nie zuvor war Pius’ XII . Glaube an – oder vielmehr: seine Hoffnung auf – den mäßigenden Einfluss des italienischen Diktators auf den deutschen derart verfehlt gewesen. Es stimmte schon: Der Duce befand sich ­gerade zu Gesprächen mit Hitler in München. Dort hatte sich für Mussolini alles ganz gut angelassen, und am Bahnhof war er von einer riesigen Menschenmenge begrüßt worden. Doch schon bald trübte sich seine Stimmung ein: In ihrem ersten Gespräch unter vier Augen hielt Hitler ihm einen zweistündigen Vortrag über seine Pläne für Frankreich. Es wäre vorteilhaft, meinte Hitler beharrlich, wenn den Franzosen eine eigene funktionierende Regierung erhalten bliebe, denn andernfalls riskiere man, dass in London eine französische Exilregierung gebildet werde. Außerdem, fügte er hinzu, spare die Wehrmacht auf diese Weise zahlreiche Kräfte ein, die ansonsten in der tagtäglichen Verwaltung des besetzten Frankreichs gebunden wären. Damit sich dieser Plan jedoch umsetzen lasse, müsse man behutsam mit den Franzosen umgehen. Beispielsweise sei es vollkommen ausgeschlossen, gemäß Mussolinis Vorschlag auf einer Waffenstillstandsregelung zu bestehen, die den Italienern nicht nur Korsika zusprach, sondern auch noch die französischen Kolonien Dschibuti und Tunis. Derartige Forderungen, davon war Hitler überzeugt, würden es Pétain politisch unmöglich machen, mit den Achsenmächten zu kollaborieren. Am Ende blieb es bei dem kläglichen Streifen Bergland im französisch-italienischen Grenzgebiet, den die Italiener bereits besetzt hatten: Mehr sollte Mussolini für seine reichlich späte Offensive nicht bekommen. Dort lebten weniger als 30 000 Menschen; die einzige Stadt, die sich in dem eroberten Gebiet befand, war der kleine Badeort Menton an der Côte d’Azur, nicht weit von der italienischen Grenze.3 In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni, kaum 48 Stunden nach Mussolinis Kriegserklärung, öffneten über Turin, dem Zentrum der italienischen Schwerindustrie, erstmals Flugzeuge der britischen Royal Air Force ihre Bombenschächte. Dieser ersten Angriffswelle aus 36 Bombern sollten in 190

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den nächsten Tagen zahlreiche weitere folgen, die auf Städte in ganz Italien zielten: Mailand, La Spezia, Livorno, Cagliari, Trapani und Palermo wurden bombardiert. Obwohl die Schäden sich in Grenzen hielten und nur wenige Todesopfer zu beklagen waren, war die britische Botschaft laut und deutlich angekommen.4 Die britischen Angriffe bestärkten den Papst darin, ein Anliegen in der Folgezeit ganz besonders zu verfolgen: Er wollte die Alliierten davon abhalten, Rom zu bombardieren. Binnen 24 Stunden nach Mussolinis Kriegserklärung ließ Pius seinen Staatssekretär die Vertreter Frankreichs und Großbritanniens beim Heiligen Stuhl einbestellen, um ihnen seine Bitte vorzutragen. Nun waren die Franzosen nicht mehr in der Position, irgendjemanden zu bombardieren. Die Briten hingegen schon; aber sie versprachen dem Papst, dass sie niemals die Vatikanstadt bombardieren würden. Für den Rest von Rom jedoch wollten sie keine derartige Zusage machen.5 Mit dem italienischen Kriegseintritt verflüchtigte sich auch der letzte Rest von Spannungen zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Regime. »Der Papst«, meldete Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl, »hat persönlich seinem Wunsch Ausdruck verliehen, jedes mögliche Zentrum einer anti-italienischen und defätistischen Propaganda auszuschalten, das sich unter Umständen im Vatikan bilden könnte.« Bei seiner allwöchentlichen Generalaudienz am 19. Juni erinnerte Pius XII . seine Landsleute an ihre »Pflicht, für ihr Vaterland zu beten, welches, vom Schweiß und bisweilen auch vom Blut ihrer Vorfahren fruchtbar gemacht, seine Kinder dazu aufruft, ihm selbstlos zu dienen«.6 Die hohe Geschwindigkeit des deutschen Vormarsches durch Frankreich hatte beim Papst und den Kurienkardinälen gehörigen Eindruck gemacht. Die Angst davor, wohin der scheinbar unaufhaltsame deutsche Ansturm ganz Europa noch führen mochte, sowie Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft der katholischen Kirche bestärkten den Papst in seiner Neigung, sich lieber nicht dem Risiko faschistischer oder nazistischer Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen. Kardinal Maglione jedenfalls ging davon aus, dass dieser Krieg bald beendet sein werde, nachdem die Franzosen geschlagen waren und die Briten aller Voraussicht nach einen Kompromiss mit den Deutschen suchen würden, um ihr Weltreich zu retten. 191

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»Ihm fällt immer etwas ein, um Italien in Schutz zu nehmen«, bemerkte der französische Botschafter nach seinem jüngsten Gespräch mit dem vatikanischen Staatssekretär. Mit Blick auf den für alle Leser offenkundigen dramatischen Wandel, der in der Berichterstattung des Osservatore Ro­ mano nach dem italienischen Kriegseintritt erfolgt war, fügte er hinzu: »Dieses Schweigen kommt einer Unterwerfung gleich. Dem Heiligen Stuhl ist das auch bewusst und er ist nicht stolz darauf.«7 Auch dem britischen Gesandten fiel auf, wie anders die Dinge im Vatikan nun lagen. Von dem Augenblick an, in dem Italien in den Krieg eingetreten war, bemerkte Osborne, »begann das moralische Prestige des Papstes zu schwinden. … Die Erpressungsmethoden der Achsenmächte kommen mit großem Erfolg zur Anwendung«. Mit anderen Worten: Der Papst gab Hitlers und Mussolinis nicht allzu subtil ausgeübtem Druck nach. Im Gegensatz dazu hatte, wie Osborne sich erinnerte, Pius XI. im Angesicht des nationalsozialistischen Kults um Volk und Staat »furchtlos und offen den moralischen Standpunkt der christlichen Zivilisation vertreten«. Sein Amtsnachfolger jedoch passe seine Worte »den Erfordernissen einer bemühten Neutralität« an. Osborne machte zumindest teilweise die unterschiedliche Persönlichkeit beider Männer dafür verantwortlich. »Der [jetzige] Papst«, schrieb er, »ist von Natur aus sensibel und leicht zu beeinflussen, zudem hat er eine Neigung zur Vorsicht und zum Kompromiss; aus beiden Gründen hat er sich dann der Pflicht und Notwendigkeit gebeugt, wie er sie sah.« Doch vermutete der britische Diplomat hinter der Entscheidung des Papstes, sein Schweigen zu wahren, auch noch ein anderes Motiv: den Wunsch, sich für etwaige spätere Friedensverhandlungen, an denen er unbedingt mitwirken wolle, keine Steine in den Weg zu legen. »Was er dabei jedoch übersieht«, reflektierte Osborne, »ist die Tatsache, dass die Aufgabe des moralischen Führungsanspruchs zugunsten einer strikten Neutralität ihm bei derartigen Bestrebungen wohl eher hinderlich als förderlich sein dürfte.«8 Es stimmte: Pius XII. hoffte noch immer darauf, vielleicht schon bald die Rolle des Friedensstifters spielen zu können. Im Nachklang der franzö­ sischen Niederlage und der eiligen Flucht der britischen Expeditions­ truppen vom europäischen Festland ließ Hitler eine gewisse Kompromissbereitschaft erkennen: Wenn die Briten sich damit abfänden, dem 192

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Deut­schen Reich die Herrschaft auf dem Kontinent zu überlassen, werde er Großbritannien und das britische Empire verschonen. Ende Juni gelangte der Papst zu der Auffassung, dass eine solche Abmachung tatsächlich den Weg zum Frieden bahnen könnte. Er sandte Briefe an die italienischen und deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, an seine Nuntien in Rom und Berlin sowie den Apostolischen Legaten in London und forderte die Adressaten auf, die Bereitschaft der Regierungen in Berlin, London und Rom zu Friedensgesprächen auszuloten. Eine förmliche Einladung zu einer Friedenskonferenz wollte er erst aussprechen, wenn er sicher sein konnte, dass alle drei Regierungen zusagen würden. Am Morgen des 28. Juni unterbreitete Kardinal Maglione das Ansinnen des Papstes dem langjährigen deutschen Botschafter im Vatikan, Diego von Bergen. Dessen Reaktion wirkte ermutigend. Der Führer, so von Bergen zu dem päpstlichen Staatssekretär, habe immer gesagt, dass er für Verhandlungen offen sei. Der Botschafter versprach, umgehend nach Berlin zu telegrafieren. Auch der italienische Botschafter erklärte, er werde seine Vorgesetzten unverzüglich über den Vorschlag des Papstes in Kenntnis setzen. Es schien gar nicht unwahrscheinlich, dass die beiden Achsenmächte auf den päpstlichen Plan eingehen würden. Erzbischof Godfrey, der päpstliche Legat in London, wurde weniger freundlich empfangen. Der britische Außenminister Lord Halifax fegte den päpstlichen Vorschlag einer Friedenskonferenz brüsk vom Tisch und sagte dem Legaten, er solle Pius XII. unmissverständlich klarmachen, dass Großbritannien »unter keinen Umständen zum Handlanger von Hitlers Plan werden [würde], sich zum Beherrscher ganz Europas aufzuschwingen«. Diese Reaktion des Außenministers beunruhigte Godfrey so sehr, dass er dem Papst dringend nahelegte, sein Vorhaben unter keinen Umständen öffentlich zu machen. Ein solcher Schritt, meinte er, »könnte leicht nachteilig interpretiert werden, und zwar so, dass der Heilige Stuhl sich die Aufforderung zur Kapitulation zu eigen mache und Großbritannien aufrufe, um Frieden nachzusuchen«. Die vorsichtige Friedensinitiative Pius’ XII. war eine Totgeburt.9 Während deutsche Truppen nun in einem großen Teil Europas standen, von Frankreich, Belgien und den Niederlanden bis hin zu Österreich, der Tschechoslowakei und Polen, konnten die Italiener als Lohn für ihre mili193

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tärischen Mühen nicht mehr vorweisen als das bitterarme Albanien und einen schmalen Streifen dünn besiedelten Gebirgslandes in den französischen Alpen. In derselben Zeit, in der das italienische Heer sich mit diesen dürftigen Eroberungen abgeplagt hatte, war die Rote Armee in allen drei baltischen Staaten einmarschiert; binnen Kurzem sollten Sowjetrepubliken daraus werden. Vielleicht auch deshalb wollte Mussolini sich mit dem bisher Erreichten nicht zufriedengeben und richtete seinen Blick nach Nordafrika. Seinen Generälen befahl er, Pläne für eine Invasion Ägyptens auszuarbeiten, die von der italienischen Kolonie Libyen aus erfolgen sollte. Hitler bot an, den italienischen Angriff auf die Briten in Ägypten mit schweren Bombern zu unterstützen.10 Im Vatikan ging man davon aus, dass Hitler im Juli die deutsche Invasion Großbritanniens befehlen und damit wahrscheinlich einmal mehr Erfolg haben werde.11 Der katholische Klerus und die kirchlichen Institutionen Italiens bemühten sich derweil weiter darum, die öffentliche Unterstützung für den Krieg zu mobilisieren. Der Papst als Primas der italienischen Kirche hätte das unterbinden können, wenn er gewollt hätte – aber er wollte keineswegs. Auch die Katholische Aktion, deren Netzwerk sich bis in alle Winkel der Gemeinschaft der Gläubigen erstreckte, leistete ihren Anteil: Abgesehen davon, dass die entsprechenden Appelle der Führungsebene ein breites mediales Echo gefunden hatten, konnte die italienische Botschaft im Vatikan vermelden, dass »sämtliche Wochenzeitungen der Katholischen Aktion in ihren Leitartikeln … eindringlich [für den Krieg] geworben haben. Die katholischen Tageszeitungen jedoch sind unübertroffen, was ihre klar patriotische Positionierung in der gegenwärtigen Lage betrifft.« Und die neue Ausgabe der Rivista del Clero Italiano, der Zeitschrift des italienischen Klerus, enthielt einen mitreißenden Aufruf aus der Feder Pater Gemellis: »Die Zeit des Krieges«, hatte der Rektor der Katholischen Universität von Mailand darin geschrieben, »ist nicht die Zeit für Debatten oder Differenzen, sondern für Harmonie, Gehorsam, Handeln.«12 Wie üblich erwarteten die katholischen Zeitungen des Landes, dass ihnen die zweiwöchentlich erscheinende La Civiltà Cattolica, die unter den Augen des Vatikans von Jesuiten herausgegeben wurde, eine gewisse Orientierung über die Linie des Papstes geben würde. Als darin Anfang Juli ein Artikel über den italienischen Kriegseintritt erschien, zog dies sofort ent194

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sprechende Leitartikel in allen großen katholischen Tageszeitungen nach sich. Die italienischen Streitkräfte, so der jesuitische Autor, befänden sich »in einem gigantischen Ringen, das darauf abzielt, der Welt eine neue Ordnung zu geben«. Er erinnerte daran, dass gerade neulich erst Pius XII. in seiner Ansprache zum Gedenktag des heiligen Papstes Eugen ein bestimmtes Augustinuszitat ganz besonders hervorgehoben habe: »Man sucht nicht den Frieden, damit Krieg entsteht, sondern man führt den Krieg, damit der Friede gewonnen wird.«13 Der Polizeichef von Borgo, einem direkt an den Vatikanstaat angrenzenden Stadtbezirk Roms, war für die Überwachung des Vatikans durch die faschistischen Sicherheitsbehörden verantwortlich. Ihm war etwas aufgefallen, das er als einen weiteren Beweis der päpstlichen Unterstützung für Mussolinis Krieg wertete: Anlässlich einer unlängst im Petersdom gefeierten Seligsprechung hatte Pius XII. angeordnet, dass Angehörige der italienischen Streitkräfte auch ohne die bei einer solchen Zeremonie eigentlich erforderlichen Billetts eingelassen werden sollten. Das hatte der Papst entschieden, so der Polizeichef, »aufgrund [seines] ausdrücklichen Verlangens … sich selbst mit möglichst vielen Soldaten zu umgeben, auf dass er durch sie die gesamte italienische Armee segnen möge«.14 Auch der Botschafter Attolico war erfreut über die hilfreiche Haltung des Papstes. »In privaten Gesprächen«, schrieb er Anfang Juli an Ciano, »hat der Heilige Vater von dem günstigen Eindruck gesprochen, den das Verhalten der Deutschen in diesem Kriege auf ihn gemacht habe«, und er habe hinzugefügt, dass »die deutschen Soldaten sich vorbildlich betrügen, keinerlei Übertretungen begingen, sich bemühten, Verwüstungen zu vermeiden, und soweit möglich die Zivilbevölkerung der besetzten Länder respektierten«. Auch wies der Botschafter gern darauf hin, dass der Heilige Stuhl sich nicht nur den faschistischen Slogan eines Friedens mit Gerechtigkeit zu eigen gemacht habe, sondern auch das andere Lieblingsthema der Faschisten, die Schaffung einer »neuen Ordnung«, im Vatikan zunehmend Anklang zu finden scheine.15 Bei seinen häufigen Treffen mit Kardinal Maglione und dessen zwei Stellvertretern bemühte sich der französische Botschafter, seinen Gesprächspartnern eines zu vermitteln: »wie sehr das Schweigen und die Zurück195

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haltung des Heiligen Vaters in einer solch schwierigen Zeit dem fran­zösischen Volk weh tun«. Auch warnte er vor den »ernsten Konsequenzen«, die sich daraus ergeben könnten. Monsignore Montini lieferte d’Ormesson am 30. Juni immerhin einen Hoffnungsschimmer, indem er andeutete, der Papst werde sein Schweigen womöglich bald schon brechen. »Glauben Sie mir«, fügte Montini an, »dem Heiligen Vater ist die Situation nur zu bewusst. Ja ich kann sogar sagen, dass sie ihm ein dringliches Anliegen ist.« Was das heißen sollte, war d’Ormesson nicht ganz klar. Vielleicht hatte der Papst ja vor, den französischen Kardinälen oder dem Erzbischof von Paris einen Brief zu schreiben? »Wahrscheinlich würde jedoch«, befürchtete der Botschafter, »ein solches Schreiben in dem gewundenen und maßlos blumigen Stil gehalten sein, der Pius XII. so sehr gefällt. Und ganz bestimmt … würde jeder einzelne seiner Sätze sorgsam abgewogen, um auf gar keinen Fall in Deutschland oder Italien für Verstimmung zu sorgen. Extreme Vorsicht stand beim Heiligen Stuhl ja schon immer auf der Tagesordnung, aber jetzt mehr denn je.«16 Für den Franzosen war Attolico, der stets verbindliche, dabei jedoch seltsam farblos und blutleer wirkende italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl, ein gefährliches Werkzeug des faschistischen Regimes, »desto gefährlicher, weil er selbst bekennender Katholik ist und durch seine Frau mit dem halben Vatikan verschwägert. Er ist ein erfahrener, durchtriebener und listenreicher Mann. Seine Frau und er haben beim Staatssekretariat [des Heiligen Stuhls] einen Stein im Brett.« Und in der Tat: Attolico wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, um seitens der Kurie die gewünschte Reaktion zu erhalten. Der Vatikan, verkündete er, solle doch besser bei seinem religiösen Auftrag bleiben. Er war letztlich ein passgenaues Pendant zu seinem deutschen Botschafterkollegen von Bergen: Beide Männer waren Konservative vom alten Schlag. Attolico war kein glühender Faschist, genauso wenig, wie von Bergen ein fanatischer Nazi war. Aber genau das war es, was die beiden zu derart brauchbaren Handlangern ihres jeweiligen Regimes machte, wenn es darum ging, den Papst von allem abzuhalten, was den Achsenmächten schaden könnte.17 D’Ormessons Hoffnungsschimmer, der Papst könnte sich demnächst mit einer eindringlichen Friedensbotschaft zu Wort melden, sollte schon bald verglimmen. In seinen öffentlichen Audienzen beließ es Pius bei den 196

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üblichen Plattitüden und vermied jeden Anschein einer Schuldzuweisung. Seine Ansprache am 10. Juli war typisch für seinen Stil. Es ging um den Gedanken, dass die christliche Lehre verlange, den eigenen Feind selbst in Kriegszeiten nicht zu hassen und stets darauf bedacht zu sein, Rachegefühlen im eigenen Herzen keinen Platz zu geben. Als beispielhaft für eine mustergültige christliche Haltung nannte der Papst die Fürsorge für die im Krieg Verwundeten, ganz egal, welcher Seite sie angehörten.18 Was den Osservatore Romano anging, so schenkte dieser dem Krieg auffällig wenig Beachtung. »Wenn man diese Zeitung liest«, berichtete der französische Botschafter im Juli, »könnte man glatt meinen, dass es für die Christenheit momentan keine brennenderen Probleme gäbe als die Missionsarbeit in Paraguay oder das neue Konkordat mit Portugal.« Die Einschüchterungskampagne der faschistischen Regierung war offenbar ein voller Erfolg gewesen. Die Telegramme des Papstes an die Staatsoberhäupter der überfallenen Beneluxländer und ihre Veröffentlichung in der vatikanischen Zeitung hatten zu Gewaltausbrüchen gegen Verkäufer und Leser des Blatts geführt. Der Papst, der ja laut d’Ormesson »äußerst sensibel« war, hatte sich entsetzt gezeigt, als man ihm meldete, in den Straßen von Rom sei der Ruf »Nieder mit dem Papst!« laut geworden. Tatsächlich kam der Pontifex noch bei mehreren Gelegenheiten darauf zu sprechen, wie sehr ihn diese Nachricht bestürzt hatte.19 Anfang Juli 1940 schickte Mussolini seinen Schwiegersohn nach Berlin, um dort zusammen mit Hitler und Ribbentrop die nächsten Schritte des Krieges zu planen. Insbesondere wollte der Duce den Reichskanzler wissen lassen, wie viel ihm an einer Beteiligung italienischer Truppen an der vermutlich unmittelbar bevorstehenden Invasion der Britischen Inseln lag. Außerdem wollte er sicherstellen, dass die Kooperationsbereitschaft Marschall Pétains und seiner neuen französischen Kollaborationsregierung mit den Achsenmächten am Ende nicht dazu führen würde, Italien um seinen vermeintlich gerechten Anteil an der französischen Beute zu »betrügen«. Hitler war bester Laune und brach mit Ciano gleich zu einer Rundreise an die Stätten der jüngsten deutschen Triumphe auf: zur Maginot-Linie, die so leicht zu durchbrechen gewesen war; nach Dünkirchen, von wo die 197

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britischen Truppen in einem chaotischen Rückzug über den Ärmelkanal geflohen waren; ins beschauliche Brügge im Nordwesten Belgiens. Die Tour endete in Salzburg, wo Ciano und Hitler von einer Willkommenskundgebung gewaltigen Ausmaßes empfangen wurden.20 In der Woche darauf teilte Pius XII. dem französischen Botschafter d’Ormesson im Gespräch mit, wie sehr ihn Marschall Pétain beeindrucke. Nachdem sich seine früheren Sorgen wegen einer möglichen kommunistischen Machtübernahme in Frankreich erübrigt hatten, begrüßte der Papst das Auftreten eines starken Anführers, der die rote Gefahr ein für alle Mal auszumerzen wisse. Tatsächlich seien es ja die subversiven Aktivitäten der Kommunisten gewesen, meinte der Papst, denen Frankreich seine schmachvolle Niederlage zu verdanken habe. Wie er dem Botschafter berichtete, hatte er davon gehört, dass beim Anmarsch der Wehrmacht zahlreiche französische Soldaten desertiert seien, und zwar mit der »Internationalen« auf den Lippen! Womöglich schenkte der Papst dieser unglaubwürdigen Geschichte sogar Glauben. Jedenfalls bemerkte er: »Welch ein Unterschied zum Krieg von 1914!«21 Botschafter d’Ormesson stellte dem Papst auch die Frage, was die Italiener seiner Einschätzung nach wohl von Frankreich fordern würden. »Nizza, Korsika, Tunesien«, antwortete der Pontifex. Der Franzose war bestürzt und bemühte sich erneut, seinem Gesprächspartner klarzumachen, wie sehr die Franzosen auf seinen Schutz bauten. »Der Heilige Vater hörte mir aufmerksam zu«, erinnerte der Botschafter sich später, »und stimmte auch allem zu, was ich sagte; jedoch ließ nichts in seinem Gebaren und seinen Worten mir auch nur die geringste Hoffnung darauf, dass er in näherer Zukunft irgendeine energische Position beziehen würde. Pius XII. ist von den jüngsten Geschehnissen am Boden zerstört. … Ich befürchte, dass er der dramatischen Situation Europas, wie sie sich heute darstellt, charakterlich nicht gewachsen ist.« Was den Papst mit Blick auf die gerade laufenden Verhandlungen am stärksten umzutreiben schien, war die Möglichkeit, dass die Deutschen versuchen könnten, dem katholischen Belgien den Kongo abzunehmen, wo es ein gut ausgebautes Netz katholischer Missionsstationen gab.22 Die Nervosität des Papstes wegen des Kongos spiegelte das anhaltende Unbehagen wider, mit dem der Vatikan auf das NS-Regime blickte – hatte 198

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es doch den Anschein, dass die Deutschen den Einfluss der Kirche überall in den besetzten Gebieten schwächten. Der scharfzüngige Monsignore Tardini fand sogar einen passenden Spitznamen für Hitler: den »motorisierten Attila«. Selbst unter jenen Italienern, die den Krieg eher befürworteten, waren die Nazis nicht sonderlich beliebt. Ein Informant der römischen Polizei wusste zu berichten, dass im Kino das Publikum in Jubel ausbrach, wenn König Vittorio Emanuele auf der Leinwand erschien. Bei den Wochenschaubildern Mussolinis geschah dasselbe. »Als jedoch Hitler ins Bild kam«, erinnerte sich der Spitzel, »war er den Leuten vollkommen gleichgültig.« Aus einem patriotischen Pflichtgefühl heraus hatte der Mann versucht, die anderen Kinogäste durch begeistertes Klatschen zum Applaus zu animieren, jedoch »folgte dem kaum ein Dutzend der Anwesenden, die auch sofort wieder aufhörten«.23 Nun klatschten die vatikanischen Führungsriegen Mussolini zwar nicht begeistert Beifall; aber sie taten doch alles, um es sich mit dem Duce nicht zu verscherzen.24 Die Kette der Berichte, in denen Attolico durchaus Ermutigendes über die Kooperationsbereitschaft der Kurie zu sagen wusste, riss nicht ab. Am 24. Juli übersandte er einen Zeitungsausriss aus dem O ­ sservatore Romano: Pater Gemellis neuesten Aufruf, die Kriegsanstren­gungen der Achsenmächte zu unterstützen. »Ich will Sie gleich darauf aufmerksam machen«, schrieb Attolico dazu, »dass die Haltung des Osservatore Romano uns nicht nur keine Sorgen mehr macht, sondern inzwischen einer Haltung größeren Verständnisses [für das faschistische Regime] Platz gemacht hat, wobei es, wie man mir versichert hat, auch auf Dauer bleiben wird.« Pater Gemellis publikumswirksame Propagandastückchen, meinte Attolico, waren mit Geld nicht zu bezahlen.25 Der altgediente Berufsdiplomat Attolico, der als frommer Katholik mit den Faschisten nie richtig warm geworden war und dem NS-Regime nichts abgewinnen konnte, blieb dennoch einer von Mussolinis wertvollsten »Aktivposten«. Und er zeigte zunehmend größere Initiative: Ende Juni hatte er an Arturo Bocchini geschrieben, den Chef der italienischen Staatspolizei. Der Botschafter, der in seinem Schreiben durchweg das vertrauliche »Du« gebrauchte, hatte eine dringende Bitte: 199

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Die römische katholische Zeitung L’Avvenire titelt am 21. Juli 1940: »Eine großartige Rede Hitlers«.

»Lieber Bocchini, ich weiß, dass der Polizeipräsident von Borgo eine hervorragende Überwachung der Vatikanstadt betreibt. Würdest Du es in Anbetracht der gegenwärtigen Situation für möglich halten, ihm zu erlauben, dass ich möglichst zeitnah all jene Berichte in Kopie erhalte, von denen er meint, sie könnten für die Botschaft von Interesse sein?« 200

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»Lieber Attolico«, antwortete Bocchini, »ich freue mich, Dir mitteilen zu können, dass ich den Polizeichef von Borgo bereits angewiesen habe, alles Deinem Wunsch gemäß einzurichten.«26 Pius XII., der weiterhin darauf bedacht war, Mussolini nicht zu verärgern, las die vatikanische Zeitung in diesen Wochen vielleicht noch aufmerksamer als zuvor. Mitte August sorgte ein kleiner Ausrutscher dafür, dass der Direktor und Chefredakteur der Zeitung sich eine scharfe Rüge des Papstes einhandelte, die Monsignore Montini übermittelte. »Es schmerzt mich nicht wenig, dass ich Ihnen heute Abend wiederholen muss, was der Heilige Vater über die Veröffentlichung des bewussten Artikels von Seite 3 gesagt hat, die Besprechung des Buches von Seppelt und Löffler, die vorher nicht genehmigt war. … Man hat Ihnen doch eingeschärft, gerade jetzt im Juni erst …, dass Sie nichts über Deutschland oder über Bücher von deutschen Autoren veröffentlichen sollen, ohne vorher die Genehmigung unseres Amtes [d. h. des Staatssekretariats] einzuholen, da die Situation nun einmal delikat ist und so etwas großes Interesse erregt.« Der solcherart gemaßregelte Giuseppe Dalla Torre wies die gesamte Redaktion umgehend an, ja nichts ohne seine Genehmigung ins Blatt zu setzen, bei dem auch nur der geringste Deutschlandbezug gegeben war, nicht einmal eine Buchbesprechung.27 Allen Berichten zufolge war der Papst in eine depressive und verzweifelte Stimmung abgerutscht, die mit der Verwüstung Europas ebenso wie mit seiner eigenen Lage zu tun hatte: Wenn er Mussolini kritisierte, setzte er die für beide Seiten vorteilhafte Beziehung aufs Spiel, die zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Regime über Jahre geherrscht hatte. Wenn er Hitler und dessen Regime kritisierte, riskierte er weitere Repressalien gegen die Kirche in den größtenteils katholischen Ländern, die von den Deutschen in letzter Zeit erobert worden waren, und lief außerdem Gefahr, Millionen von hitlertreuen deutschen Katholiken gegen sich aufzubringen. Sein Zögern wurde noch dadurch bestärkt, dass er es für ratsam hielt, für den Schutz der kirchlichen Interessen in einem künftigen Europa vorzuplanen, das die Achsenmächte beherrschen würden. Die Nervosität des ohnehin angespannten Papstes nahm weiter zu, als Mitte August die deutsche Luftwaffe ihren Bombenkrieg gegen England begann. Am Mo­ 201

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natsende warfen täglich bereits mehr als tausend deutsche Flugzeuge ihre tödliche Fracht über der Insel ab, um eine Landung deutscher Bodentruppen auf britischem Terrain vorzubereiten – eine Landung, die allem Anschein nach unmittelbar bevorstand. Das Ende des Krieges schien zum Greifen nah.28 Um die Haltung des Papstes zu verstehen, muss man sich zudem vergegenwärtigen, dass er wie viele andere in der Kurie auch zwischen guten und bösen Faschisten unterschied. Die guten – Männer wie Attolico – waren loyale, konservative Katholiken, die eine enge, auf beiderseitigem Respekt gegründete Beziehung zwischen der Kirche und dem Regime anstrebten. Die bösen Faschisten – Männer wie Farinacci – entstammten oft einem sozialistisch geprägten Milieu, waren antiklerikal eingestellt und wurden vom Vatikan als »Linksfaschisten« eingeschätzt. Obwohl diese Leute sich nicht selten als Verteidiger der Kirche gerierten, waren sie letztlich nur daran interessiert, den Klerus bis hinauf zum Papst für ihre eigenen Zwecke einzuspannen. Das alles setzte Monsignore Tardini dem französischen Botschafter Ende August haarklein auseinander. Die faschistische Partei war, so formulierte es der Monsignore, zwischen zwei Tendenzen hin- und hergerissen. Da seien zum einen die kriegslüsternen, antireligiösen Fanatiker, die auch stramme Unterstützer des Dritten Reiches und erbitterte Gegner des Heiligen Stuhles seien. Auf der anderen Seite gebe es auch gemäßigtere Kräfte, denen vor einer deutschen Hegemonie grause, die eine Neutralität Italiens bevorzugt hätten und die der Kirche und dem Vatikan zumindest wohlwollend gegenüberstünden. Seit dem Kriegseintritt Italiens stehe freilich außer Zweifel, dass die erstgenannte Gruppe Mussolini auf ihre Seite gezogen habe. Indem er d’Ormesson gegenüber diese Situation beklagte, sagte der Monsignore mit der spitzen Zunge vielleicht mehr, als klug gewesen wäre. »Schauen sie«, äußerte er dem französischen Botschafter gegenüber, »all die Höflichkeiten, die Mäßigung, die guten Worte, das ganze Wohlwollen – all das hat im Umgang mit den Anführern der Faschisten keine Aussicht auf Erfolg. Ganz im Gegenteil! Alles, was man damit erreicht, ist, dass man sie noch aufstachelt … Papst Pius XI. ist diesen Leuten gegenüber bisweilen sehr deutlich geworden, hat kein Blatt vor den Mund ge202

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nommen, war regelrecht barsch mit ihnen … Und, was soll ich Ihnen sagen, sie haben ihn respektiert, ja sogar gefürchtet.« Die Schlussfolgerung hieraus war derart naheliegend, dass der Monsignore sie gar nicht erst aussprechen musste. »Es ist klar«, bemerkte d’Ormesson, »dass die Politik Pius’ XII., die bislang darin bestanden hat, die faschistische Regierung mit Samthandschuhen anzufassen und manchen ihrer Forderungen stattzugeben …, in den Augen Monsignore Tardinis offenbar keine besonders glückliche gewesen ist.«29 Während hinter den Mauern des Vatikans eine bedrückte Stimmung vorherrschte, weil alle voll Sorge dem entgegensahen, was ein von den Nazis dominierter Sieg der Achsenmächte bringen mochte, hatte die katholische Laienschaft Italiens nicht den Hauch einer Ahnung davon, dass die Kirche womöglich nicht voll und ganz hinter dem Krieg Hitlers und Mussolinis stand. Bischöfe und andere einflussreiche Kirchenmänner legten den Gläubigen die nationale Sache auch weiterhin ans Herz. Die katholische Tagespresse stimmte in den Chor mit ein. Als der Sommer 1940 langsam in den Herbst überging, betitelte Mailands katholische Tageszeitung einen langen Leitartikel auf der Frontseite mit »Die neue europäische Ordnung« und griff damit eine faschistische Hauptparole auf. In den Artikel war offenkundig eine Menge faschistische Propaganda eingeflossen: »Viel ist zuletzt von einer neuen europäischen Ordnung die Rede gewesen, welche an jenem Tag in Kraft treten wird, an dem die beiden Mächte der Achse Rom–Berlin mit ihrem endgültigen Sieg über die angelsächsische Plutokratie triumphieren werden und sich schließlich in einer Position befinden werden, einen Frieden wiederherzustellen, der auf Gerechtigkeit beruht.« Der Triumph der Achsenmächte, prophezeite das katholische Blatt weiter, werde den Kollaps »jenes territorialen politischen Systems [herbeiführen], welches auf dem Friedensvertrag beruht, der das Ergebnis des Weltkrieges von 1914–18 gewesen ist, und auf dem Völkerbund, der von den zwei Hegemonialmächten und den jüdisch-­ freimaurerischen internationalen Cliquen beherrscht wird.«30

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Kapitel 17

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I

n den drei Monaten, die seit der Kriegserklärung der Italiener vergangen waren, hatte der Papst sich in der Öffentlichkeit kaum dazu geäußert. Aber am 4. September 1940 gab Pius XII. eine Erklärung zu dem Modus Vivendi ab, zu dem er mit Mussolinis faschistischem Regime gelangt war. In einer Ansprache vor 2000 führenden Aktivisten der Katholischen Aktion und kirchlichen Würdenträgern unterstrich der Papst die Verpflichtung aller Staatsbürger ihrem Vaterland gegenüber. Zu diesem Zweck zitierte er aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer: »Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalt unter. Denn es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt« (Röm 13,1). Pius drängte die Mitglieder der Katholischen Aktion, »der staatlichen Obrigkeit und deren legitimen Anweisungen loyalen und gewissenhaften Gehorsam zu leisten«. Sie sollten zeigen, dass sie »nicht nur die eifrigsten Christen, sondern auch mustergültige Bürger« seien, »von den hohen Pflichten des nationalen und sozialen Zusammenlebens mitnichten ausgenommen, [sondern] ihrem Vaterland in Liebe verbunden und also bereit, ihm ihr Leben zu opfern, wann immer das legitime Wohl des Landes ihnen dieses höchste aller Opfer abverlangt«. Stürmischer Beifall war die Antwort auf diese Ausführungen des P ­ apstes.1 Mussolini hatte allen Grund, zufrieden zu sein, nicht nur über die Ansprache Pius’ XII., sondern auch über all die verbale Unterstützung, die andere Kirchenmänner den italienischen Kriegsanstrengungen gewährten. »Der Klerus im Allgemeinen«, hieß es etwa in einem Polizeibericht, »und insbesondere die Gemeindepfarrer haben seit der Kriegserklärung einen wirklich lobenswerten Beweis ihrer patriotischen Gesinnung gegeben. In 204

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sämtlichen Briefen, die sie unseren Soldaten schreiben, äußern sie den Wunsch nach Frieden auf Erden – das auch, ja – , aber eben auch nach einem Sieg der italienischen Armeen.«2 Einige Bemerkungen, die der Papst gegenüber dem französischen Botschafter fallen ließ, erhellen seine Denkweise in jenen Tagen. Kürzlich erst hatte der »London Blitz« begonnen, der deutsche Luftangriff auf die britische Metropole. Hunderte Zivilisten waren bei den ersten Angriffen getötet worden. Noch über viele Monate hinweg sollten die deutschen Bomber die Bevölkerung Londons Nacht für Nacht in die Luftschutzkeller treiben. Diesen Schlägen gegen zivile Ziele vorangegangen war die wochenlange schwere Bombardierung britischer Militärbasen, Flugplätze und ­Fabriken. In seinen Äußerungen über die deutschen Luftangriffe drückte der Papst seine Bewunderung für die Tapferkeit der Briten aus. Insbesondere lobte er das beispielhafte Verhalten des britischen Königspaares, das sich geweigert hatte, wegen der deutschen Angriffe die Hauptstadt zu verlassen. Selbst wenn es der Wehrmacht gelingen sollte, das Land zu besetzen, dachte der Papst, würden die Briten ihren Kampf vermutlich weiterführen. Vielleicht würden sie ja dann von Kanada aus operieren? Dort könnten sie ihre Anstrengungen jedenfalls bestens mit den Vereinigten Staaten abstimmen. Dann wandte der Papst sich einem seiner Lieblingsthemen zu und beklagte die anhaltende Kampagne der nationalsozialistischen Regierung zur »Entchristlichung« des Deutschen Reiches, insbesondere im mehrheitlich katholischen Österreich. Mit Italien liege die Sache jedoch ganz anders, so der Papst zu dem französischen Botschafter. Mussolinis Regierung habe der Kirche sogar eine besonders ehrenvolle Position im faschistischen Staat zugestanden und den katholischen Religionsunterricht in den Schulen des Landes verpflichtend gemacht. Schließlich kam der Papst auf die, wie er meinte, größte Bedrohung für die Kirche zu sprechen: den alarmierenden Vormarsch russischer Truppen auf europäischem Boden. Im Monat zuvor hatte die Sowjetunion Estland, Lettland und Litauen annektiert, nachdem zu Beginn des Sommers sowjetische Truppen bereits Teile Rumäniens besetzt hatten. »Man gewinnt den Eindruck«, berichtete d’Ormesson, »dass für [Pius XII .] der Kommunismus den ›Staatsfeind Nummer eins‹ darstellt.«3 205

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Während die Beziehungen des Vatikans zur italienischen Regierung gut blieben, stellten die Angriffe, die Roberto Farinacci auf der Titelseite seiner Zeitung Il Regime Fascista lancierte, für den Papst ein dauerndes Ärgernis dar. Wenn Farinacci den Papst provozieren wollte, so konnte er sich im Spätsommer 1940 jedenfalls kein besseres Thema wählen, um Pius XII. auf die sprichwörtliche Palme zu bringen, als Francis Spellman, den der Papst im Jahr zuvor zum Erzbischof von New York ernannt hatte. »Er ist ein enger Freund und Vertrauter des Papstes, welchem Umstand sich seine unerwartete Beförderung zweifellos verdankt«, bemerkte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl. Tatsächlich war Spellman unter den führenden Köpfen der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten fraglos der Mann, der Pius XII. am nächsten stand. Nicht nur hatte Spellman seit den 1920er-Jahren über Jahre hinweg als amerikanischer Attaché im vatikanischen Staatssekretariat Dienst getan, sondern hatte während Eugenio Pacellis großer Rundreise durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1936 dem Kardinal auch als Begleiter, Reiseführer und Dolmetscher gedient.4 Pius XI. hatte Spellman 1932 dem Erzbischof von Boston, William O´Connell, als Weihbischof aufgezwungen. Um seinem Missfallen Ausdruck zu verleihen, hatte der eigensinnige Erzbischof seine neue »Nummer zwei« nach dessen Rückkehr aus Europa einen ganzen Monat lang warten lassen, bevor er ihm eine Audienz gewährte. Sieben Jahre darauf gewann der politisch versierte Spellman, der inzwischen seinen neuen Posten in New York angetreten hatte, das Vertrauen des amerikanischen Präsidenten. Roosevelt seinerseits sah in dem gleichermaßen talentierten und ambitionierten Kirchenmann schon bald ein unschätzbares Werkzeug, mit dem er sich die Wählerstimmen der zahlreichen amerikanischen Katholiken sichern konnte. Eine typische Botschaft Spellmans an Roosevelt, die im März 1940 von der erzbischöflichen Ansprache zum Saint Patrick’s Day berichtete, lautete etwa, dass »ich Ihnen im Namen von 21 000 000 Katholiken für Ihr vernünftiges und couragiertes Vorgehen gedankt habe, indem Sie Mr. Taylor zum Hei­ ligen Vater geschickt haben. … Ich habe auch die Gelegenheit einer äußerst wichtigen Zusammenkunft von 65 Bischöfen aus allen Teilen der Vereinig­ ten Staaten genutzt … um unsere Dankbarkeit Ihnen gegenüber darzulegen.« Beigelegt waren dem handschriftlichen Brief einige Presseausschnitte, die über die Ansprache des Erzbischofs berichteten.5 206

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Nachdem nun Farinacci zwei Leitartikel veröffentlicht hatte, in denen er Spellman wegen seiner Nähe zu Roosevelt angriff und ihn einen Handlanger der amerikanischen Juden schimpfte, wandte der Erzbischof sich an den italienischen Generalkonsul in New York, um ihm seine Verärgerung mitzuteilen. Die Beschwerde wurde später von diesem an Mussolinis Schwiegersohn weitergeleitet: Spellman sei seit Langem ein guter Freund der Italiener und finde es unerhört, in der faschistischen Presse auf eine solche Weise attackiert zu werden.6 Ende September bekam der Duce mehr über die Schwierigkeiten zu hören, die ihm in den Vereinigten Staaten aus den Verbalattacken auf S­ pellman im Regime Fascista erwuchsen. Eine Gruppe prominenter Italo-

Monsignore Francis Spellman, Erzbischof von New York.

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amerikaner, allesamt politische Amtsträger oder Richter, die nach eigener Angabe im Namen von mehr als einer Million New Yorker Katholiken »italienischer Rasse« sprach, sandte ein Telegramm nach Rom. Darin forderten die Unterzeichner Mussolini auf, »dem Minister Farinacci in seiner Kampagne gegen den Heiligen Vater Einhalt zu gebieten, die unsere Gefühle als Katholiken verletzt und, indem sie in Amerika allgemeinen Unmut erregt, die Abneigung gegenüber Italien und den Italienern hierzulande befördert«.7 Auch der Papst selbst äußerte seine Unzufriedenheit bald öffentlich. Bei seiner Audienz am 22. September traf Bernardo Attolico Pius XII. in ungewohnt streitlustiger Stimmung an. Der italienische Botschafter war mit einer Bitte zu diesem Gespräch gekommen: Mussolini wünschte, dass der Papst die süditalienische Erzdiözese Bari, an der Adria knapp oberhalb des italienischen »Stiefelabsatzes« gelegen, zum Kardinalssitz erheben möge. Wie der Botschafter erklärte, hatte der Duce die Vision, aus der alten Hafenstadt Bari einen »Ring [zu machen], der West und Ost verbindet, das Werkzeug der italienischen Expansion im Mittelmeerraum und darüber hinaus«. Der Papst schien jedoch nicht in der Stimmung, über ein solches Vorhaben auch nur zu diskutieren. Er werde sich die Sache zu gegebener Zeit ansehen, beschied Pius ungehalten, aber gerade beschäftige ihn etwas anderes sehr viel stärker, und zwar ein Artikel, der am Vortag in einer römischen Zeitung erschienen sei. »Kaum hatte man mir versichert, dass die Polemik im Regime Fascista gegen meine Person und gegen den Heiligen Stuhl aufhören werde«, sagte der Papst, »da wurde sie auch schon im Popolo di Roma wiederaufgenommen! Das schmerzt mich. Ich habe mir selbst etwas vorgemacht und habe das ganze letzte Jahr über der Illusion angehangen, dass die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Italien perfekt sein könnten. Dies war mein Traum, der Traum, der all mein Reden und all mein Handeln inspiriert hat.« Als Beispiel für die Unterstützung, die er dem faschistischen Regime seit dem Kriegseintritt gewährt habe, kam der Papst auf die Rede zu sprechen, die er Anfang des Monats vor Vertretern der Katholischen Aktion gehalten hatte. Bei jener Gelegenheit habe er, wie Pius dem Botschafter Mussolinis gegenüber betonte, 208

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in einem perfekt nationalen Kontext die Gläubigen daran erinnert, dass es ihre Pflicht ist, sich für das Vaterland aufzuopfern, ja sogar ihr Leben zu geben, wenn nötig. Ich von meiner Seite habe mir keinerlei Versäumnis zuschulden kommen lassen, und ich wäre bereit, sogar noch mehr zu tun. Den Osservatore Romano habe ich zu einer Zeitung gemacht, die keiner mehr liest. Und dafür meinen [die Faschisten], sie könnten mich ungestraft in aller Öffentlichkeit verunglimpfen, ohne sich dafür – selbst wenn sie ihre Kampagne einmal für ein paar Tage unterbrechen – ebenso öffentlich zu entschuldigen. Sie beleidigen mich immer weiter, weil ich nicht antworte. Aber eines Tages werde ich vielleicht doch sprechen, und dann würde ich sprechen, ohne mir Gedanken über die menschlichen Konsequenzen meiner Worte zu machen.

Während dieses ganzen Monologs saß Pius da und ließ eine Hand auf der stattlichen Aktenmappe ruhen, in der die beleidigenden Zeitungsartikel gesammelt waren. Attolico war wie vor den Kopf geschlagen, denn dieser aggressive Tonfall war eigentlich gar nicht Pius’ Art. Eilig bemühte sich der Botschafter, die Aufmerksamkeit des Papstes auf erfreulichere Dinge zu lenken. Mussolini hoffe, wie Attolico zu berichten wusste, dass Italien schon bald Großbritannien als Schutzmacht des Heiligen Landes ablösen werde; zu diesem Zweck arbeite der Duce darauf hin, einen Aufstand der dort ansässigen Araber zu provozieren. Der Pontifex war jedoch viel zu verärgert, um sich ablenken zu lassen. Gerade versuchte Attolico noch, Pius XII. in ein Gespräch darüber zu verwickeln, wie die italienische Regierung bei der Verwaltung der heiligen Stätten Palästinas mit dem Vatikan zusammenarbeiten könnte, da fiel der Papst ihm unnachgiebig ins Wort: »Ja, das wäre sicher alles denkbar, aber nur in einer Atmosphäre der Harmonie und des gegenseitigen Verständnisses, und daran mangelt es gerade sehr!« Dann stimmte Pius wieder seine Klage darüber an, dass er sich selbst etwas vorgemacht habe, als er von einer völligen Harmonie mit dem Mussolini-Regime träumte. »Der Papst sagte all dies«, wie Attolico sich später erinnerte, »in einem verbitterten Tonfall, nicht mehr resigniert wie zuvor, 209

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sondern wie ein Mann, der nun auf das Schlimmste gefasst ist.« Es sei an diesem Punkt entscheidend, riet Attolico seiner Regierung, dass in der italienischen Presse keine kritischen Artikel mehr über Pius und den Vatikan abgedruckt würden und stattdessen in naher Zukunft ein Anlass gefunden werde, um Pius XII. mit Lob zu überschütten.8 Als er von dem Unmut des Papstes erfuhr, wies Mussolini seinen Botschafter an, augenblicklich in den Vatikan zurückzukehren, um den Heiligen Vater zu beruhigen. Attolico sollte Pius wissen lassen, dass er, Mussolini, fest entschlossen sei, das mit dem Heiligen Stuhl geschlossene Konkordat dem Buchstaben und dem Geist nach zu respektieren. Das gelte selbstverständlich auch für die darin enthaltene Bestimmung, jede Beleidigung des Papstes unter Strafe zu stellen. Auch versprach der Duce, neuerliche Anweisung zu geben, damit die Presseattacken aufhörten. Dies war das Zuckerbrot, doch dann kam die Peitsche: Attolico sollte den Papst über einen beunruhigenden Bericht in Kenntnis setzen, der bei Mussolini eingegangen war: Mehrere Ortsgruppen der Katholischen Aktion waren in inakzeptable politische Aktivitäten verwickelt gewesen. Selbstverständlich sei nicht auszuschließen, dass ein Durchgreifen seitens der italienischen Behörden erforderlich werden könnte. Als Pius XII. nur fünf Tage nach ihrer vorherigen Begegnung wieder mit dem italienischen Botschafter zusammentraf, reagierte er auf die Gegenbeschwerde des Duces auf eine Weise, die man angesichts seiner üblichen Selbstbeherrschung beinahe als einen unkontrollierten Wutausbruch bezeichnen muss. Falls es tatsächlich derartige Fälle von unangemessenem Verhalten bei Gruppen der Katholischen Aktion gegeben haben sollte, versetzte der Pontifex, sei ihm davon nichts bekannt gewesen. Noch einmal kam er auf seine kürzlich gehaltene Ansprache zurück, bei der er alle Mitglieder der Katholischen Aktion aufgerufen hatte, notfalls ihr Leben für das Vaterland zu opfern. »Und als er dies sagte«, berichtete der Botschafter später, hätten des Papstes »Augen beinahe gefunkelt vor lauter Vergnügen, wenn er daran zurückdachte, welchen ›Ausbruch der Begeisterung‹ seine Worte in der Menge seiner Zuhörer hervorgerufen hatten.« Das möge ja alles stimmen, konterte Attolico, der insgeheim durchaus mit der Position des Papstes sympathisierte. Aber er müsse doch darauf bestehen, dass es vereinzelte Ortsgruppen der Katholischen Aktion geben 210

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mochte, die »nostalgischen Gegnern der totalitären Regime« Zuflucht gewährten. Wenn dem wirklich so sei, erwiderte der Papst, »teilen Sie mir die betreffenden Fälle genau mit. Nennen Sie mir die konkreten Fakten, und ich werde nicht einen Augenblick zögern, Abhilfe zu schaffen.« »Ich wünschte mir, dass die Beziehungen zwischen uns – über ein gegenseitiges Verständnis füreinander hinaus – auf Vertrauen gründeten«, sagte der jetzt schon versöhnlicher wirkende Papst. »Man darf nicht allem Glauben schenken, was man hört. Wenn es etwas gibt, das nach Meinung der italienischen Regierung korrigiert werden muss, dann sagen Sie es mir klar und offen. Ich werde stets froh und dankbar darüber sein, und unsere Beziehungen können davon nur profitieren.« Pius äußerte sich erfreut über das neuerliche Bekenntnis des Duces zu dem 1929 geschlossenen Konkordat und erinnerte daran, dass sein älterer Bruder Francesco Pacelli damals die Lateranverträge mit ausgehandelt hatte. Als er auf seinen Bruder zu sprechen kam, der einige Jahre zuvor gestorben war, trat ein milderer Ausdruck in die Stimme des Papstes. Francesco, sagte Pius XII., habe den »wertvollen Beitrag« Mussolinis bei der Ausformulierung jener epochemachenden Verträge stets in den höchsten Tönen gelobt und ihn einen bedeutenden und intelligenten Mann genannt. Sein Bruder, fuhr der Papst fort, habe nicht nur »die größte Hochachtung für [Mussolini] empfunden, sondern ihn auch sehr bewundert«. Einmal in Fahrt gekommen, fügte Pius an, dass man auf keinen Fall vergessen dürfe, was der Duce für die Kirche getan habe, indem er die kirchliche Trauung zivilrechtlich bindend gemacht und den Religionsunterricht an den staatlichen Schulen eingeführt habe – und so vieles andere mehr! Der Papst hatte sich, wie Attolico später mit Erleichterung melden konnte, offenbar wieder beruhigt.9 Die katholische Presse Italiens unterstützte die Kriegführung Mussolinis auch weiterhin nach Kräften. Anfang Oktober erklärte ein Artikel in der Civiltà Cattolica, dass die Wiedergeburt eines italienischen Großreichs den Einfluss der römisch-katholischen Kirche in der Welt stärken werde. »Der Artikel«, meldete Attolico an Ciano, »war unmittelbar durch die Worte des Duces inspiriert.« Tatsächlich nannte der Artikel Mussolini namentlich und pflichtete der Rechtfertigung bei, die dieser für den Krieg geliefert 211

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hatte – nämlich ein »Europa der Gerechtigkeit für alle« schaffen zu wollen. Der Artikel folgte dem Duce auch darin, die Schuld am Krieg letztlich dem Versailler Vertrag zu geben. »Ich wäre sehr verbunden«, endete Attolicos Schreiben an Mussolinis Schwiegersohn, »wenn diese Artikel … dem Duce zur Kenntnis gebracht werden könnten.«10 Die katholischen Tageszeitungen propagierten weiter die Idee, dass die Sache der Achse auch die der Kirche sei. Die wichtigste katholische Tageszeitung des Landes, L’Avvenire d’Italia, die im Besitz der Katholischen Aktion war und besondere Unterstützung seitens der Kirchenhierarchie im Nordosten des Landes erhielt, veröffentlichte einen steten Strom von Artikeln, in denen das faschistische Regime und dessen Kriegsziele gefeiert wurden. Der Chefredakteur Raimondo Manzini – den Papst Johannes XXIII. Jahre später zum Chefredakteur des Osservatore Romano ernennen sollte – verfasste einen Leitartikel, der ein Loblied auf die Schar von Freiwilligen sang, die eben in den Krieg gezogen war. Auch zählte Manzini akribisch all die Veränderungen auf, die sich in Italien in zwei Jahrzehnten faschistischer Herrschaft ergeben hätten und die in der Summe die vormals liberale Gesellschaft durch eine neue ersetzt hätten, in der Autorität wieder respektiert werde.11 Mitte September 1940 überschritten Mussolinis Truppen, die in der italienischen Kolonie Libyen stationiert waren, die Grenze zu Ägypten und besetzten die etwa hundert Kilometer östlich davon am Mittelmeer gelegene Kleinstadt Sidi Barrani. Das war der erste Schritt des italienischen Versuchs, den Briten die Kontrolle über den Suezkanal zu entreißen. Die Konfrontation, die sich nun abzeichnete, schien sehr ungleich: In Libyen befand sich eine Viertelmillion italienischer Soldaten, während in Ägypten nur rund 36 000 Briten stationiert waren. Mussolini wurde durch diese Situation ermutigt, eine zweite Front zu eröffnen, und nahm gleich auch noch Griechenland ins Visier.12 Die Entscheidung des Duces, in Ägypten einzumarschieren, hatte Hitler noch ausdrücklich gutgeheißen; über die neuesten Entwicklungen war er gar nicht erfreut. Schließlich sah sein eigener Plan auf lange Frist die Niederwerfung der Sowjetunion vor, nachdem Großbritannien besiegt sein würde. Wenn man jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon einen 212

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Mussolini und Hitler in Florenz, 28. Oktober 1940.

Krieg auf dem Balkan anfinge, so Hitlers Befürchtung, käme das einer Einladung an die Adresse Stalins gleich, sowjetische Truppen in diese Richtung zu bewegen. Was eine mögliche italienische Invasion Griechenlands aus deutscher Perspektive noch ärgerlicher machte, war der Umstand, dass in Athen mit dem Diktator Ioannis Metaxas ein Mann an der Macht war, der aus seiner Sympathie für das NS-Regime kein Geheimnis machte und noch dazu in Deutschland studiert hatte. Hitler beschloss also, nach Italien zu reisen, um seinem italienischen Partner dieses Vorhaben wieder auszureden.13 Am Vormittag des 28. Oktober 1940 traf Hitlers aus neun Waggons bestehender Sonderzug im Bahnhof von Florenz ein. Der Duce wartete am Gleis, eine Militärkapelle im Rücken. Als der Zug anhielt, schwenkte Mussolini, der offenbar bester Laune war, die Arme, als dirigiere er das Musikstück, das zu Hitlers Ehren erklang. Der deutsche Diktator lehnte sich aus dem Fenster seines Salonwagens und rang sich ein Lächeln ab, als er 213

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­ ussolini über den roten Teppich, der zu Ehren des Besuchers aus Berlin M ausgerollt worden war, auf sich zukommen sah. »Führer«, sagte der Duce, »wir sind auf dem Vormarsch. Um sechs Uhr heute früh sind meine Soldaten triumphal in Griechenland eingezogen.« Hitler, der erkennen musste, dass er zu spät gekommen war, schwieg. »Keine Sorge«, sagte Mussolini nur, »in zwei Wochen wird alles vorüber sein.«14

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Kapitel 18

Das griechische Fiasko

D

ie italienische Invasion Griechenlands entpuppte sich bald als ein gewaltiges Fiasko. Im gebirgigen Grenzgebiet zu Albanien gingen sintflutartige Regenfälle nieder und verwandelten Staubpisten in Schlammgruben. Das schlechte Wetter verhinderte sowohl die Unterstützung durch die Luft als auch die Landung von Transportschiffen. Vier Tage lang schleppten sich die italienischen Soldaten dennoch vorwärts, durchquerten angeschwollene Flüsse, auf denen entwurzelte Bäume und die ­Kadaver ertrunkener Schafe vorbeischossen. Zur großen Überraschung der Invasoren begann die griechische Artillerie schon bald, Granaten auf die Stellungen der Italiener niedergehen zu lassen. Nachdem es den italienischen Truppen kurzzeitig gelungen war, eine Handvoll griechischer Dörfer im Grenzgebiet zu besetzen, wurden sie schließlich von den Griechen eingekesselt, die auf die tatkräftige Mithilfe der erbosten Einheimischen bauen konnten. Dann wurde das Wetter sogar noch schlechter, der Regen ging in Schnee über, und die Temperaturen fielen stark ab. ­Waffen und Füße froren ein, und in den Nächten drängten sich die schlotternden Soldaten unter Stapeln von Wolldecken in den Erdlöchern, die sie ausgehoben hatten, eng aneinander. Am 14. November begannen die Griechen eine große Gegenoffensive. Binnen Tagen waren die beschei­ denen Geländegewinne der Italiener zunichtegemacht, und sie selbst mussten sehen, dass sie in einem hastigen Rückzug unbeschadet wieder auf albanisches Territorium zurückkamen. Wie um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gelang es britischen Bombern, die von dem Flugzeugträger HMS ­Illustrious aufgestiegen waren, einen beträchtlichen Teil der italienischen Kriegsflotte zu versenken, die jenseits der Adria in dem apulischen Hafen Tarent lag.1 215

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Hitler war ganz und gar nicht erfreut. »Der nunmehr eingetretene Tatbestand«, schrieb er an Mussolini, »hat sehr schwere psychologische und militärische Auswirkungen …« Der italienische Angriff hatte den Briten einen Anlass gegeben, in Griechenland Luftwaffenstützpunkte einzurichten, die nun die rumänischen Ölfelder bedrohten, von denen die deutsche Kriegswirtschaft abhängig war. Außerdem sah Hitler die Gefahr, dass auch die Russen sich veranlasst sehen könnten, in den Balkanraum vorzustoßen. In seiner Antwort versicherte der Duce seinem deutschen Verbündeten, dass er gerade neue Divisionen aufstelle, »um Griechenland zu vernichten«. Wie er anmerkte, bereiteten ihm auch die britischen Luftangriffe auf süditalienische Städte wenig Sorge, da dort ohnehin keine wichtige Industrie angesiedelt sei (was seinen Landsleuten südlich von Rom bestimmt kein großer Trost gewesen wäre).2 Für Hitlers Kriegspläne sollte der Rückschlag der Italiener in Griechenland schon bald keine große Rolle mehr spielen, aber für Mussolini stellte er einen entscheidenden Wendepunkt dar. Bislang war es nämlich einem Großteil der italienischen Bevölkerung so erschienen, als eile der Duce geradezu von Sieg zu Sieg und sichere ihrem Vaterland damit Respekt und Ansehen in aller Welt. Mussolini hatte Abessinien (Äthiopien) erobert und ein neues Imperium ausgerufen. Er hatte italienische Truppen nach Spanien geschickt und Franco geholfen, den Sieg zu erringen. Er war in Albanien eingefallen und hatte binnen weniger Tage und mit wenig Blutvergießen den Titel »König von Albanien« zu Vittorio Emanueles III. Würden hinzugefügt. Kaum jemand in Italien hegte nach all dem Zweifel, dass die eigene Armee auch Griechenland niederwerfen werde, das allgemein als eine kleine, drittklassige Macht galt. Nun also geriet der feste Glaube an den Duce zum ersten Mal ins Schwanken. Als dann im Lauf der folgenden Wochen auch noch die Briten eine erfolgreiche Gegenoffensive in Ägypten begannen, ließ der Schock der Niederlage aus dem Stolz auf das faschistische Vaterland zunächst peinliche Verlegenheit und Verwirrung werden, dann schließlich Verzweiflung.3 Aus noch einem weiteren Grund sollte das griechische Debakel sich rückblickend als ein Wendepunkt erweisen: Es war der Anfang vom Ende für Mussolinis Selbsttäuschung, die da besagte, er führe einen »Parallelkrieg«, der dem seines deutschen Verbündeten ebenbürtig sei, nur dass 216

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die Italiener ihr neues Großreich eben in den Mittelmeerraum ausdehnten, während die Deutschen dasselbe weiter im Norden taten. Das italienische Militär, das von der deutschen Heeresleitung ohnehin nie richtig ernst genommen worden war, musste im weiteren Verlauf des Krieges sogar mehrmals von den Deutschen »gerettet« werden, und Alliierte wie Deutsche sahen Italien gleichermaßen als den »weichen Unterleib« der Achse an.4 Wenig überraschend bestand Marschall Pétain, der Führer der französischen Kollaborationsregierung, darauf, als französischen Botschafter im Vatikan jemanden zu benennen, dem er voll und ganz vertrauen konnte – und der bekennende Antifaschist d’Ormesson entsprach dieser Beschreibung gewiss nicht. In seinem letzten Bericht, den d’Ormesson Ende Oktober 1940 verfasste, hielt der scheidende Botschafter, der ein scharfsichtiger Beobachter war, seine Eindrücke vom Papst und von der Stimmung im Vatikan fünf Monate nach Mussolinis Kriegserklärung fest. Bei der Wahl Pius’ XII., erinnerte sich d’Ormesson, hatten viele geglaubt, der neue Papst werde schlicht und einfach die politische Linie seines Vorgängers fortführen. Immerhin war »der Neue« zuvor nicht nur der Staatssekretär Pius’ XI. gewesen, sondern hatte auch dessen Papstnamen als seinen eigenen übernommen. Jedoch hatten sich, so d’Ormesson, alle derartigen Prognosen als falsch herausgestellt. »In Wirklichkeit«, schrieb der Botschafter rückblickend, »haben sich Pius XI. und Pius XII. als zwei sehr unterschiedliche Charaktere erwiesen. An die Stelle des robusten Mailänders, der gern zum Wandern in die Berge fuhr, ist ein eher passiver Sprössling der römischen Bourgeoisie getreten.« Pius XII. sei »ein guter Mann, durchaus sensibel, sogar übersensibel, wie es heißt. Nach meiner Einschätzung mangelt es ihm jedoch an Persönlichkeit, oder besser gesagt: Es mangelt ihm an Charakterstärke«. Pacelli hatte sein gesamtes Berufsleben im diplomatischen Dienst des Vatikans verbracht und war nie als Seelsorger tätig gewesen. Dies hatte dazu geführt, meinte der scheidende französische Botschafter, dass er sich gewohnheitsmäßig eher reserviert gab, lieber Vorsicht als Impulsivität walten ließ, eine »Balance« anstrebte, die es erforderte, dass er sich selbst jedes harsche Wort, jede allzu deutliche Kritik untersagte. Zusammen mit seiner Neigung zum »beau style«, wie 217

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d’Ormesson es nannte, also zu einer blumigen Ausdrucksweise, führte das dazu, dass es den Worten des Papstes an Klarheit fehlte. »Der Papst scheint mir vor allem ein Konservativer monarchistischer Prägung zu sein«, bemerkte d’Ormesson, »ein Feind aller Demagogen, ganz gleich, ob sie nun Kommunisten oder Nationalsozialisten sind (aber der Kommunisten zumal) … Er kollaboriert offen mit dem Faschismus, und obwohl er von Monsieur Farinacci bisweilen ruppig angegangen wird und vor allem Monsieur Mussolini ihn mit völliger Nichtbeachtung straft, ergreift er doch jede sich bietende Gelegenheit, um seine Loyalität zum faschistischen Regime unter Beweis zu stellen. [Pius] hatte kein einziges Wort, keine Geste, nicht einmal indirekt, übrig, um den Kriegseintritt Italiens zu kritisieren.« Pius XI., glaubte der Franzose, hätte den Angriffskrieg der Achsenmächte öffentlich verurteilt; bei Pius XII. dagegen sorgte die schreckliche Gewalt nur dafür, dass dieser sich noch weiter in sein Schneckenhaus zurückzog. Und das alles spielte letztlich Mussolini in die Karten, denn wenn einer geübt darin war, die Schwächen der anderen für seine Zwecke auszunutzen, dann der Duce, und der habe inzwischen eine wahre Meisterschaft darin entwickelt, den Papst zu manipulieren, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Die Weigerung des Papstes, öffentlich Stellung zu beziehen, hatte den französischen Diplomaten immer wieder frustriert. Schon seit Kriegsbeginn hatte der Papst in seinen Reden keinerlei Bezug mehr auf das genommen, was in der Welt vor sich ging. »Jedes Mal, wenn ich mich an den Heiligen Vater wandte und ihn auf die Zukunft Europas ansprach, war ich aufs Neue erstaunt davon, wie unklar seine Antworten blieben. … Es war offensichtlich, dass er sich nicht kompromittieren und schon gar nicht auf irgendetwas festlegen wollte.« Vor allem müsse man begreifen, dass der Vatikan »zwischen Deutschland und Italien einen kompletten Unterschied« mache, »wobei letztere Macht sich noch immer eines sehr deutlichen Wohlwollens erfreut«. Weiter erklärte d’Ormesson: »Dem Faschismus zum Trotz … Monsieur Mussolinis respektloser Attitüde dem Heiligen Stuhl gegenüber zum Trotz (und diese Attitüde ist wirklich komplett respektlos) bleibt der Heilige Stuhl Italien gegenüber unendlich positiv eingestellt und wird es auch bleiben. … Gewiss ist man sich im Vatikan der zahlreichen Mängel [des Faschismus], ja selbst seiner Bösartigkeit bewusst, aber man 218

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findet stets eine Ausrede, um diese zu entschuldigen.« Für das deutsche Regime hielten die Prälaten dagegen keine solchen Entschuldigungen bereit. Von »Naziphilie« im Vatikan könne keine Rede sein. Nur eine einzige Entwicklung könnte dieses Gesamtbild noch verändern, sinnierte der Botschafter: Sollte das Deutsche Reich seinen Pakt mit der Sowjetunion brechen und sich gegen Stalin stellen, könnte alles von Grund auf anders werden. Die italienischen Katholiken würden sich dann mit Begeisterung dem antibolschewistischen Kampf anschließen und der Krieg würde »zu einer Art von Kreuzzug« werden. »Da der Bolschewismus der Hauptfeind der Kirche ist, würde Deutschland, wenn es diesen zerschlüge, im Vatikan rasch wieder Sympathie und Anerkennung gewinnen. … In einem solchen Szenario würden die Achsenmächte als der ›weltliche Arm‹ der Kirche erscheinen.« Für den Augenblick jedoch, berichtete der Botschafter, war das im Vatikan vorherrschende Gefühl gegenüber Deutschland ein Gefühl der Angst: Angst vor der deutschen Militärmacht und Angst vor dem Schicksal der Kirche in einem Europa, in dem ein triumphierendes Nazideutschland das Sagen haben würde.5 Am 29. Oktober 1940 empfing der Papst d’Ormesson zu einer letzten Audienz. Am Vortag war Mussolini in Florenz mit Hitler zusammengetroffen und hatte seine Truppen in Griechenland einmarschieren lassen. Für Hitler war Florenz der letzte Halt auf einer langen Zugreise gewesen, die ihn zuvor bereits zu Gesprächen mit dem französischen Marschall Pétain und dem neuen spanischen Diktator Francisco Franco geführt hatte. Alle drei Treffen hatten Hitler letztlich enttäuscht. Pétain fand er alt und schwach – und Franco ausweichend, als es darum ging, dem Bund der Achsenmächte beizutreten. Der sture Mussolini schließlich war einfach gegen Griechenland vorgeprescht, ohne die Bedenken des Führers zu beherzigen.6 D’Ormesson wollte unbedingt die Meinung des Papstes über den italienischen Angriff auf Griechenland erfahren, musste jedoch feststellen, dass »wie jedesmal, wenn das Verhalten Italiens zur Sprache kam«, der Papst zögerte, überhaupt irgendetwas zu sagen. »Man bekommt das starke Gefühl«, meldete der Botschafter, »dass der Papst eine solche Angst davor hat, ein Satz oder ein Wort von ihm könne weitergetragen werden und aus den Mauern der Vatikanstadt entweichen, dass er es vorzieht, stattdessen lie219

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ber stumm zu bleiben, lediglich zu nicken und nach oben zu schauen, den Blick zum Himmel gewandt.« Am nächsten Tag gab Pius XII. eine Audienz für 200 italienische Soldaten und die Priester, die sie als Feldkapläne begleiten würden. Er spendete den Männern und ihrem »kostbaren Vaterland« gleichermaßen seinen Segen und pries sie dafür, dass sie ihrem Land mit »solchem Glauben, solcher Loyalität und solchem Mut« dienten. Hocherfreut erstattete Attolico Meldung an Ciano und vergaß nicht anzumerken, dass der Papst die Nachricht von der Invasion Griechenlands bereits erhalten hatte, als er dies sagte.7 Auch das Schweigen des Papstes barg jedoch gewisse Risiken. Anfang November erhielt Kardinal Maglione ein langes Memorandum von Kazimierz Papée, dem polnischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, der noch immer darauf hoffte, dass der Papst die Gräuel öffentlich verurteilen werde, die die Nazis in seinem Heimatland begingen. Deutschland, so der Botschafter, nutze die Tatsache schamlos aus, dass Pius XII . im März 1940, also ein halbes Jahr nach dem deutschen Überfall auf Polen, Hitlers Außenminister Ribbentrop empfangen hatte, um zu behaupten, der Papst sei mit dem deutschen Vorgehen einverstanden. Nach all den Verbrechen, die die Nazis gegen den katholischen Klerus und die kirchlichen Institutionen in Polen begangen hätten, fragten die Leute, warum der Papst sich dazu noch immer nicht geäußert habe. Viele Polen wunderten sich auch, warum Radio Vatikan, wo mitunter immerhin von den Untaten der Sowjetarmee in Polen die Rede war, zu der deutschen Besetzung des Landes schwieg und auch der Osservatore Romano den deutschen Überfall auf Polen mit keinem Wort erwähnte.8 Der Appell des Botschafters bewirkte wenig. Am 10. November hatte der Papst im Vatikan 5000 Mitglieder der Jugendabteilung der Katholischen Aktion zu Gast, worüber der italienische Botschafter ausführlich an Ciano und Mussolini berichtete. Bei der Messe, die zu diesem Anlass im Petersdom gehalten wurde, wandte sich nach der Ansprache des Papstes auch Monsignore Colli an die versammelte Gemeinde, seines Zeichens Bischof von Parma und kirchlicher Generaldirektor der Katholischen Aktion in Italien. Der Bischof sparte nicht mit Papstzitaten und drängte die jungen Leute, die italienischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen: »Die 220

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junge Generation der Katholischen Aktion«, sagte Colli, »denkt immer daran – und dies ist es auch, was der Heilige Vater ihnen immer wieder einschärft – , dass ›wir auch hier ein Vaterland haben, das uns teuer ist und dem wir unsere getreue Liebe zu erweisen haben‹«. Alle guten Italiener, sagte der Bischof mit den Worten des Papstes, seien verpflichtet, »zu dienen als ›mustergültige Bürger … bereit, ihr Leben aufzuopfern, wann immer das legitime Wohl des Landes ihnen dieses höchste aller Opfer abverlangt‹«.9 Die Kirche signalisierte auch weiterhin auf vielerlei Weise ihre Unterstützung für das faschistische Regime. Zuletzt hatte der überraschende Tod von Mussolinis langjährigem Polizeichef Arturo Bocchini, der dem Duce jeden Morgen die neuesten Informantenberichte überbracht hatte, die engen Verbindungen zwischen Kirche und Staat im faschistischen Italien erkennen lassen. Die in Rom erscheinende katholische Tageszeitung L’Av­ venire vermeldete die gute Nachricht, dass Bocchini kurz vor seinem Ableben noch bei Bewusstsein gewesen war und »eine tief empfundene Frömmigkeit« hatte erkennen lassen, als sein Gemeindepfarrer ihm die Sterbesakramente spendete. Auch der päpstliche Nuntius Monsignore Borgongini war an Bocchinis Sterbebett zugegen gewesen und hatte dem Hauptverantwortlichen des faschistischen Polizeistaats den Trost und Segen des Papstes überbracht. Erzbischof Bartolomasi, der oberste Militärseelsorger des Landes und ein ausgesprochener Befürworter des faschistischen Regimes, hielt die Totenmesse für Bocchini in einer stadtrömischen Kirche.10 Die Kritik an seiner mangelnden Präsenz angesichts der dramatischen Lage in ganz Europa ließ den Papst zu dem Schluss kommen, dass er dringend etwas für seine öffentliche Wahrnehmung tun musste. Deshalb beraumte er eine Messe für die Opfer des Krieges an, die per Rundfunk aus dem Petersdom übertragen werden sollte. Fast alle der in Rom ansässigen 24 Kardinäle waren zugegen, als dieser Gottesdienst am Sonntag, dem 24. November 1940 stattfand, und auch die Kirchenbänke waren mit Gläubigen gut gefüllt. Nach einer langen Predigt über die Lehre Christi, in der Pius vielfach auf das Neue Testament Bezug nahm, kam der Papst schließlich auf den Kern seiner Botschaft zu sprechen: Unter den Völkern der Erde 221

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müsse dringend eine Ordnung wiederhergestellt werden, »die gerechter und universeller ist und auf der Sorte Gerechtigkeit beruht, welche die Leidenschaften besänftigt«. Eine solche Ordnung, erklärte er, »teilt jedem Volk in aller Ruhe, Freiheit und Sicherheit den Teil zu, der ihm in dieser Welt zusteht«.11 Obgleich der Pontifex verständlicherweise auch das vom Krieg verursachte Leid beklagt habe, berichtete der italienische Botschafter über die Predigt, habe er doch »das rechte Gleichgewicht zu finden gewusst«. In der Tat, meinte Attolico, könnten die Achsenmächte Teile der Predigt verwenden, um zu zeigen, dass der Papst ihre Sache unterstütze, so etwa seine Aussage, dass die Reichtümer dieser Erde gerechter verteilt werden müssten. Außerdem hatte Pius XII. erneut die Soldaten dafür gepriesen, dass sie heroisch ihre Pflicht erfüllten und ihr Leben für das Vaterland zu opfern bereit waren. Mussolinis Zeitung hob in ihrer Berichterstattung über den Gottesdienst weitgehend dieselben Punkte hervor. Farinaccis Zeitung brachte gleichfalls einen begeisterten Bericht, der dieselben Sätze der Predigt zitierte wie Attolicos ursprünglicher Report.12 Enttäuscht, aber keineswegs überrascht führte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl die Worte des Papstes darauf zurück, dass dieser »seinem Temperament nach ängstlich und vorsichtig« sei und »jeden Vorwurf einer politischen Parteinahme tunlichst vermeiden« wolle, »um in einer günstigen Position zu sein, seinen Einfluss geltend zu machen, wenn der Augenblick für die Aufnahme von Friedensverhandlungen gekommen ist«. Pius XII., notierte der Gesandte, sei noch immer »fest vom deutschen Sieg überzeugt«.13

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Kapitel 19

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F

ür die Juden Italiens nahmen die Demütigungen kein Ende. An einem Sommertag – um nur eine typische Geschichte zu erzählen – wollte eine junge Familie der drückenden Hitze im alten römischen Ghetto entfliehen und den Kindern eine besondere Freude machen: Sie fuhren an den Strand im nahe gelegenen Ostia, das sie schon oft besucht hatten. Doch bei ihrer Ankunft hatte der Besitzer der Pension, der sie in früheren Jahren stets freundlich lächelnd willkommen geheißen hatte, nur noch einen finsteren Blick für sie übrig, der nichts Gutes erwarten ließ. »Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch. Der Vater hatte kaum ein »Buongiorno« über die Lippen gebracht, da schnitt der Mann ihm das Wort ab. »Lesen Sie denn keine Zeitung?«, brüllte er ihn an. »Schon seit dem vorigen Jahr sind hier keine Angehörigen der jüdischen Rasse mehr erlaubt. Sie können nicht mehr herkommen! Scheren Sie sich fort!« Andere Badegäste verfolgten die Szene schweigend. Um seiner Familie weitere Peinlichkeiten zu ersparen, nahm der Vater die Kinder, die wie begossene Pudel dastanden, bei der Hand, und sie machten sich auf den Weg zurück in die Stadt. Nachdem jüdische Kinder seit 1938 von den staatlichen Schulen Italiens ausgeschlossen waren, hatten die Juden in Rom und anderen Städten, in denen es eine nennenswerte jüdische Bevölkerung gab, jüdische Privatschulen gegründet. Ein Mangel an geeignetem Lehrpersonal herrschte zumindest nicht, denn auch die jüdischen Lehrer und Universitätsprofessoren waren ja alle entlassen worden. Da auch viele andere Berufe von Juden nicht mehr ausgeübt werden durften, wurde oft schon das tägliche Brot zum Luxus. Besonders hart wurden die unteren Schichten der stadtrömischen Juden von dem Verbot getroffen, Handel mit gebrauchter Kleidung zu betreiben. Wir hören etwa von einem neunjährigen Jungen aus 223

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dem alten römischen Ghetto, der vor den Kneipen der Stadt einzelne Blätter Zigarettenpapier feilbot, um das Einkommen seiner Familie aufzubessern. Damit Katholiken mit jüdisch klingenden Nachnamen nicht »unfairerweise« unter den neuen Gesetzen zu leiden hatten, erlaubte die Regierung ihnen, ihre Namen zu ändern.1 Mehr als zwei Jahre lang waren die Italiener nun schon einem publizistischen Trommelfeuer ausgesetzt gewesen, das ihnen suggerierte, dass die Juden ihre Feinde seien: Wahre Italiener, arische Avatare des Faschismus und des Katholizismus auf der einen Seite standen gegen die bösen Juden auf der anderen. Tatsächlich beruhte die Unterscheidung zwischen »arisch« und »nichtarisch« in Italien zumeist darauf, ob eine Person sich zum christlichen oder zum jüdischen Glauben bekannte. Bei Eröffnung seiner »Rassenkampagne« zwei Jahre zuvor war Mussolini noch in Sorge gewesen, dass die Kirche sich womöglich querstellen könnte. In den ersten Monaten der Kampagne, die zugleich die letzten Monate im Pontifikat Pius’ XI. gewesen waren, hatten die Rügen des Papstes den Duce zur Weißglut getrieben. Die Opposition Pius’ XI . gegen die judenfeindlichen »Rassengesetze« drohte nicht nur den öffentlichen Rückhalt für Mussolinis antisemitische Kampagne zu untergraben, sondern auch die Begeisterung für den Diktator selbst zu schwächen. Jetzt, da das Jahr 1940 sich dem Ende zuneigte, konnte Mussolini eines überhaupt nicht gebrauchen: dass die immer drastischeren Maßnahmen gegen die italienischen Juden sich negativ auf den Rückhalt des faschistischen Regimes unter den italienischen Katholiken auswirkten. Welch großes Glück für den Duce, dass er sich seit der Papstwahl Pius’ XII. in dieser Hinsicht kaum noch Sorgen machen musste. Die Vatikanzeitung meldete das Inkrafttreten der immer repressiveren Rassengesetze ohne weiteren Kommentar. »Gestern«, heißt es etwa in einem Artikel aus dem März 1940, »ist die Frist abgelaufen, bis zu der aus der Mitgliedsrolle des Berufsstandes gestrichen werden musste, wer als der jüdischen Rasse zugehörig angesehen wird und einen der folgenden Berufe praktiziert: Arzt, Chirurg, Apotheker, Geburtshelfer, Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Pflichtverteidiger, Ladenbesitzer, Buchhalter, Ingenieur, Architekt, Chemiker, Agronom, Geometer, Landwirtschafts- und Industrieberater. Aufschub wurde in keinem Fall gewährt.«2 224

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In den späten 1930er-Jahren waren viele Juden vor der Verfolgung im Deutschen Reich, in Österreich und der Tschechoslowakei nach Italien geflüchtet. Fünf Tage nach dem Kriegseintritt Italiens ordnete die faschistische Regierung an, dass alle ausländischen Juden festgenommen und »in geeigneten Konzentrationslagern, die sich derzeit im Bau befinden« untergebracht werden sollten. Schon bald wurden Tausende von Juden, die in Italien Zuflucht gesucht hatten, in solchen Lagern gefangen gehalten. Insgesamt rund 200 Lager wurden über ganz Italien verteilt eingerichtet; in manchen waren nicht nur Juden untergebracht, sondern auch andere Personen, die als »feindliche Ausländer« oder ethnisch unerwünscht galten.3 Seit dem Beginn der faschistischen Rassenkampagne im Jahr 1938 hatten viele italienische Juden versucht, sich der Verfolgung zu entziehen, indem sie sich taufen ließen. Nach kirchlicher Auffassung bestand kein Unterschied zwischen Juden, die vor Inkrafttreten der Rassengesetze konvertiert waren, und solchen, deren Taufe erst danach stattgefunden hatte. Die faschistischen Maßnahmen unterschieden aber sehr wohl zwischen den beiden Gruppen, was zu einer wahren Litanei von Beschwerden seitens der Kirche führte. Beispielhaft sei hier ein Brief genannt, den der an der Spitze der Apostolischen Pönitentiarie (eines Gerichtshofs des Heiligen Stuhls) stehende Kardinal im August an Monsignore Montini sandte. Darin wurde der Fall einer jungen Jüdin geschildert, die christlich getauft worden war und nun einen Katholiken heiraten wollte. Der Kardinal bat Montini um seine Mithilfe bei dem Bemühen, eine staatliche Anerkennung dieser Eheschließung zu erreichen. Die Antwort war simpel: »Hier lässt sich, leider, nichts machen. … Seit das Rassengesetz verkündet wurde, hat der Heilige Stuhl sich bemüht, allerdings vergeblich, eine zivilrechtliche Anerkennung solcher Mischehen zu erreichen, insofern beide Ehepartner katholischen Glaubens waren. Die Regierung hat dies jedoch rundweg abgelehnt.«4 Obwohl die Kirche offiziell lehrte, zwischen Juden und Katholiken gebe es in rassischer Hinsicht nichts Trennendes, kursierten doch auch hinter den Mauern des Vatikans lange schon Auffassungen, denen ein rassistischer Beigeschmack anhaftete. Die Prälaten im Vatikan machten sich etwa die Gleichsetzung von Christen mit Ariern und von Juden mit Nichtariern bereitwillig zu eigen. Ein gewisser Widerhall solcher Denkweisen begegnet 225

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im Umgang des Papstes mit jenen 125 000 US-Dollar, die der American United Jewish Appeal zur Unterstützung von Kriegsflüchtlingen, die vor religiöser Verfolgung geflohen waren, gespendet hatte. Der Papst verwendete einen großen Teil des von der jüdischen Organisation gespendeten Geldes, um Katholiken zu helfen, die vor ihrer Taufe jüdisch gewesen waren; aber er unterstützte auch ein »arisches« katholisches Paar aus Österreich. Als im vatikanischen Staatssekretariat Bedenken aufkamen, dass das Geld womöglich nur für »Nichtarier« gedacht gewesen sein könnte, prüfte Monsignore Tardini den Fall genauer. In seinem Bericht zitierte Tardini aus dem Schreiben des Weihbischofs von Chicago, das seinerzeit das Geldgeschenk begleitet hatte. Der Bischof, schrieb Tardini, habe vorgegeben, dass das Geld für die Opfer von Verfolgung verwendet werden solle, und zwar »ohne Ansehen der Rasse oder Religion«. Also, schloss der Monsignore, »kann dieses Geld gewiss eingesetzt werden, um bisweilen auch Ariern zu helfen«. Er fügte hinzu: »Wenn bislang diejenigen bevorzugt wurden, die der Rasse nach Juden, der Religion nach aber Katholiken sind, so besteht keine Notwendigkeit, auch weiterhin nach diesem Muster zu verfahren.« Bezeichnenderweise findet sich diese Bemerkung zwar in den einschlägigen Quellenbänden, die die Hilfeleistung des Heiligen Stuhls für Kriegsopfer dokumentieren, doch unterschlägt die veröffentlichte Version eine heikle Formulierung Tardinis – eines Mannes also, der zu den engsten Vertrauten Pius’ XII. gehörte und unter Papst Johannes XXIII. zum Kardinalstaatssekretär aufsteigen sollte. Zu der Angabe »der Rasse nach Juden, der Religion nach aber Katholiken« hatte Tardini am Rand angemerkt, dass derartige »Katholiken … durch ihr Tun [d. h. indem sie die Hilfsgelder annahmen] … ihrer Rasse doch größere Ehre erwiesen als ihrem Katholizismus«. Anstelle dieser Bemerkung findet sich in der offiziellen Quellenedition des Vatikans nur eine Auslassung in eckigen Klammern und dazu die Fußnote: »Persönliche Anmerkungen ausgespart.«5 Im November bat der italienische Minister für Volkskultur, in dessen Zuständigkeitsbereich die antisemitische Propagandakampagne fiel, Attolico um Aufklärung über die aktuelle vatikanische Position bezüglich der Rassengesetze. Der Botschafter konnte den Minister beruhigen: »Was den Rassismus betrifft, so ist es wahr, dass zumindest manche der im Umlauf 226

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befindlichen Theorien von der Kirche (jedenfalls implizit) verurteilt worden sind; dies betrifft jedoch nur diejenigen Theorien, die dem [kirchlichen] Dogma widersprechen. Ein Rassismus, der sich auf die biologische Sphäre beschränkt, wird nicht verurteilt.« Mit Blick auf die Rassengesetze selbst bemerkte der Botschafter: »Die Kirche kann eine wie auch immer geartete ›Verfolgung‹ der Juden natürlich keinesfalls gutheißen, lehnt umsichtige Maßnahmen jedoch nicht ab, welche darauf abzielen, die Juden in ihrem Verhältnis zu der Gesellschaft, in der sie leben, unschädlich zu machen. Tatsächlich hat dies die Kirche ja selbst getan, indem sie die ›Ghettos‹ einrichtete, wie auch durch andere Maßnahmen mehr.«6 All dies waren willkommene Nachrichten für den Propagandaminister. Schließlich hatte eines der Lieblingsargumente der faschistischen Regierung, das die öffentliche Akzeptanz für ihre Rassengesetze vergrößern sollte, stets im Vergleich dieser Gesetze mit den Einschränkungen bestanden, welche die Päpste in der Vergangenheit in ihrer Eigenschaft als weltliche Herrscher des Kirchenstaates über die Juden in ihrem Machtbereich verhängt hatten. Pius’ Vorgänger hatten die jüdische Bevölkerung des Kirchenstaates in Ghettos festgesetzt, hatten ihnen verboten, bestimmte Berufe auszuüben oder Grundbesitz zu erwerben, und hatten sie generell von ihrer christlichen Umwelt zu isolieren versucht. Farinacci veröffentlichte wiederholt Artikel, die sich mit diesem Aspekt der Papstgeschichte befassten, und sparte nicht mit Zitaten von früheren Päpsten und Konzilien. Die übrige italienische Presse tat es ihm nach. In Frankreich hatte inzwischen das Pétain-Regime begonnen, seine eigenen antijüdischen Maßnahmen umzusetzen. Ein Gesetz aus dem ­Oktober 1940 übernahm etliche der Bestimmungen, die Mussolini zuvor in Italien in Kraft gesetzt hatte, darunter den Ausschluss der Juden vom Lehrerberuf an öffentlichen Schulen, ihre Entfernung aus öffentlichem Verwaltungsdienst, Gerichtswesen, Militär und den Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften. Die katholische Presse Frankreichs reagierte darauf ähnlich positiv, wie dies in Italien der Fall gewesen war. Ende November griff die ehrwürdige Pariser Tageszeitung La Croix eine Argu­ mentationslinie auf, die auch in der katholischen Presse Italiens durchweg präsent war: Während die Kirche »einen allzu sektiererischen Antisemitismus« ablehne, habe sie doch schon seit Langem den Stand227

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punkt vertreten, dass das christliche Europa vor dem schädlichen Einfluss der Juden geschützt werden müsse.7 Der Vatikan bereitete Mussolini also keine schlaflosen Nächte – die Kriegsberichte vom Balkan dagegen schon. In den Bergen Griechenlands war der Winter angebrochen, und die italienische Heeresführung musste feststellen, dass Erfrierungen unter ihren schlecht ausgerüsteten Soldaten ebenso große Verluste forderten wie die feindlichen Kugeln. Und die Nachrichten aus Nordafrika waren kaum besser. Die italienischen Einheiten, die den Duce durch die Einnahme ägyptischer Küstenstädte zuvor so begeistert hatte, wurden jetzt über die libysche Grenze zurückgeworfen, und bis zum Januar 1941 hatten sich 130 000 italienische Soldaten der wesentlich kleineren Streitmacht der Briten ergeben.8 Diese Rückschläge auf dem Schlachtfeld riefen in der italienischen Öffentlichkeit eine Welle der Unzufriedenheit, ja Kriegsmüdigkeit hervor, gespeist von dem Kontrast, der sich zwischen der faschistischen Unbesiegbarkeitsrhetorik einerseits und den Erlebnisberichten der zurückgekehrten Soldaten andererseits auftat. Mussolini reagierte so, wie es ihm zur Gewohnheit werden sollte: Er gab die Schuld an dem Debakel seinen Generälen und entließ den Marschall Pietro Badoglio, Generalstabschef des italienischen Heeres und »Held« des Abessinienkrieges. Auch die zunehmend strengere Rationierung von Grundnahrungsmitteln und Kohle trug nicht eben dazu bei, die Stimmung in der italienischen Bevölkerung zu heben, wie der amerikanische Militärattaché in Rom Mitte Dezember 1940 festhielt: Die Kampfmoral im italienischen Volk ist ausgesprochen schlecht, was an der Aussicht auf einen langen Krieg mit unsicherem Ausgang liegt. Die Erfolge der griechischen Armee in Albanien haben das ganze Land schockiert. Von einer griechischen Armee hatten die meisten hier noch nicht einmal gehört, während die italienische Armee hierzulande über einen Zeitraum von 15 Jahren zu einer der weltgrößten Militärmaschinen aufgebauscht worden ist. Aus diesem Grund haben die Ereignisse in Albanien hier Fassungslosigkeit und Unverständnis ausgelöst.9

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In der Hoffnung, dass die Italiener sich gegen den Duce erheben könnten, hielt der britische Premierminister Churchill zu Heiligabend 1940 eine Radioansprache an das italienische Volk. Ein einziger Mann, sagte Churchill den Italienern, sei verantwortlich für den Eintritt ihres Landes in den Krieg gegen Großbritannien, der Italien ruinieren werde. »Es war ein einziger Mann, der gegen die Krone, gegen die königliche Familie von Italien, gegen den Papst und die gesamte Autorität des Vatikans und der Katholischen Kirche, gegen den Willen des italienischen Volkes, das diesen Krieg nicht gewollt hat, die Erben des alten Roms an die Seite der wilden heidnischen Barbaren gezwungen hat.«10 Ob tatsächlich viele Italiener mutig oder interessiert genug waren, um für das Hören eines Feindsenders Arrest zu riskieren, wissen wir nicht. Letztlich war es eine andere Weihnachtsansprache, die auf den Titelseiten der italienischen Zeitungen dominierte: Inmitten der dramatischen Kriegsereignisse erwarteten alle mit Spannung die alljährliche Ansprache des Papstes beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium. Falls die Italienerinnen und Italiener sich von dieser Rede Pius’ XII. jedoch konkrete Orientierung oder Führung erhofft hatten, wurden sie enttäuscht: Wie man es von Pius inzwischen schon gewohnt war, erging er sich auch bei dieser Gelegenheit in einem weitschweifigen Redestrom, der in einem derart abstrakten und schwer verständlichen Kirchenjargon gehalten war, dass ihm wohl nur wenige überhaupt folgen konnten. Oder wie ein faschistischer Polizeiinformant später meinte: »Der Papst hätte mehr sagen können, wenn er weniger gesagt hätte … die große Weitschweifigkeit der Reden Pius’ XII. geht zulasten ihrer Substanz.«11 Nachdem er sich ausführlich in diesem Stil geäußert hatte, ging der Pontifex schließlich doch noch auf den gegenwärtigen Krieg ein. Zunächst verwendete er einen guten Teil seines Redeschwalls auf die Art von Selbstgefälligkeit, die in den späteren Kriegsjahren zu einem wesentlichen Merkmal der päpstlichen Rhetorik werden sollte: Pius erinnerte daran, was er alles unternommen habe, um den Kriegsausbruch zu verhindern, und führte die zahlreichen humanitären Bemühungen des Vatikans an, die das vom Krieg verursachte Leid lindern sollten. Den nächsten Abschnitt seiner Rede stellte er unter eine Überschrift, die klar bei Mussolini geborgt war: »Die Voraussetzungen für einen gerechten und dauer229

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haften Frieden«. Auch die »Bestrebungen um eine Neuordnung« im darauffolgenden Abschnitt waren eine Parole, die Mussolini für sich reklamieren konnte. Als der Papst sich dem Schluss seiner Rede näherte, wurden seine Worte mit einem Mal ungewohnt deutlich: »Wo gegensätzliche [Staats-]Systeme im Widerstreit stehen …, kann man von der Kirche nicht verlangen, dass sie zur Parteigängerin der einen und nicht der anderen Richtung werde.«12 Attolico informierte Ciano unverzüglich über diese Rede und lobte sie in den höchsten Tönen. Des Papstes »Bekenntnis zu der Notwendigkeit einer neuen Weltordnung« hob der Botschafter durch Unterstreichung besonders hervor. Er machte auch gleich Vorschläge, welche Aussagen des Papstes sich in der Presseberichterstattung am besten nutzen ließen.13 Sobald die weihnachtliche Festzeit vorüber war, empfing der Papst der Reihe nach die Botschafter beim Heiligen Stuhl zu ihrer alljährlichen Neujahrsaudienz. Für den neuen französischen Botschafter Léon Bérard, den Marschall Pétain zum Nachfolger d’Ormessons gemacht hatte, war es das erste Mal. Der 64-jährige Jurist Bérard, Mitglied der Académie française, strenggläubiger Katholik, Konservativer und früherer französischer Bildungsminister, war ebenso zurückhaltend und vorsichtig, wie sein Vorgänger aufgeschlossen und freimütig gewesen war. Da er beim Heiligen Stuhl eine Regierung vertrat, die mit den Deutschen kollaborierte, konnte er sich nie damit anfreunden, in demselben Gästehaus der Vatikanstadt untergebracht zu sein wie auch die Botschafter der mit den Achsenmächten verfeindeten Staaten.14 Die allererste Begegnung Bérards mit dem Papst, die Anfang Januar stattfand, beschränkte sich im Wesentlichen darauf, dass der Papst ein Loblied auf Marschall Pétain sang, dessen Regierung viele Privilegien der Kirche wiederhergestellt habe, die diese Jahrzehnte zuvor eingebüßt hatte. Bérard seinerseits war angenehm überrascht darüber, wie viel Verständnis Pius XII. für die »Kollaborationsbeziehungen« aufbrachte, welche die neue Regierung mit den Deutschen hatte knüpfen müssen. In diesem Zusammenhang wiederholte der Papst seine oft geäußerte Beobachtung, dass die Deutschen auch viele gute Eigenschaften hätten. Dessen ungeachtet ließ er jedoch keinen Zweifel daran, dass die in seinen Augen antireligiöse 230

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Doktrin der Nationalsozialisten und ihre antikirchlichen Maßnahmen ihm große Sorge bereiteten.15 Bei seiner eigenen Neujahrsaudienz mit Pius XII., die am selben Tag stattfand, nutzte der italienische Botschafter die Gelegenheit, um dem Papst für seine jüngste Weihnachtsansprache zu danken. Die Rede habe, so Attolico, einen hervorragenden Eindruck hinterlassen, und darin ganz besonders die päpstliche Verurteilung eines »ignoranten und deprimierenden Pessimismus«. Auch verlieh der Botschafter seiner Hoffnung Ausdruck, die Worte des Papstes möchten das italienische Volk erkennen lassen, dass es in Kriegszeiten die Aufgabe der Kirche sei, die öffentliche Moral zu stärken. »Wie ich feststellte«, heißt es in Attolicos Bericht, »stimmt der Heilige Vater dieser Auffassung absolut zu.«16 In der Tat schien der Krieg für die Achsenmächte noch immer bestens zu laufen, trotz der militärischen Rückschläge der Italiener. Am letzten Tag des Jahres 1940 überbrachte Monsignore Borgongini, der päpstliche Nuntius bei der italienischen Regierung, dem König die Neujahrsgrüße des Papstes. Wie Vittorio Emanuele III. dem Nuntius mitteilte, glaubte er nicht, dass die Briten noch viel länger durchhalten würden, denn durch die unerbittliche Bombardierung Londons erleide die britische Hauptstadt »katastrophale Schäden«. Einige mochten sich Sorgen über einen möglichen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten machen, aber es bestehe doch eigentlich kein Grund zur Beunruhigung. Es sei unwahrscheinlich, dass die Ameri­kaner tatsächlich eingreifen würden, und selbst wenn sie es doch täten, versicherte der König, würden die deutschen U-Boote, die im Atlantik patrouillierten, jeden Versuch einer groß angelegten Landung auf europäischem Boden zunichte machen.17

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Kapitel 20

Hitler, der Retter

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ls das Jahr 1941 heraufzog, war das italienische Militär zum Gespött ganz Europas geworden. »Schon vor dem Krieg«, heißt es in einem deutschen Lagebericht von Anfang Januar, »stand im deutschen Generalstab das Urteil fest, daß vom italienischen Heere nicht allzu viel zu erwarten sei.« In Mussolinis Luftwaffe und Kriegsmarine hatten Hitlers Generäle höhere Hoffnungen gesetzt, doch auch diese waren bald enttäuscht worden. Von der Luftwaffe hatte man kaum etwas gehört, und Mussolinis viel gepriesene Marine hatte schon »nach einem halben Jahr Krieg … die Seeherrschaft im Mittelmeer sowie im Roten Meer komplett den Engländern überlassen – und zwar kampflos«. Der britische Außenminister Anthony Eden spottete über die kürzlich erfolgte Kapitulation der Italiener in Nordafrika: »Noch nie wurde so viel durch so viele an so wenige abgetreten!« In Italien wurden spätestens jetzt die letzten der großen, bunt bemalten Landkarten aus Gips, die mit bunten Fähnchen den Vormarsch der italienischen Truppen angezeigt hatten, ganz heimlich, still und leise von den öffentlichen Plätzen entfernt.1 Als Folge der militärischen Rückschläge im Ausland und auch der sporadischen Bombardierung italienischer Städte durch die Briten trübte sich die öffentliche Meinung über den Krieg bald ein. Zwar hatten die Bombenangriffe bislang nur vergleichsweise wenige Opfer gefordert, doch herrschte einige Irritation darüber, dass nach Jahren der Prahlerei mit der Unverwundbarkeit Italiens eine italienische Luftabwehr praktisch nicht existent war.2 Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl legte Kardinal Ma­ glione eine Liste von Pfarrbriefen vor, die von der Polizei beschlagnahmt worden waren, weil sie angeblich den Kampfgeist in der Bevölkerung untergruben. Maglione entgegnete, er habe dieses Problem erst neulich mit 232

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Pius XII. besprochen, und der Papst habe, so meldete der Botschafter später, »die Notwendigkeit eines Eingreifens eingesehen«.3 Nachdem der Bischof, der an der Spitze der italienischen Katholischen Aktion stand, erneut dazu aufgerufen hatte, die Kriegsanstrengungen Italiens zu unterstützen, widmete der Chefredakteur der wichtigsten katholischen Tageszeitung des Landes, L’Avvenire d’Italia, dem angeblichen Bekenntnis des Papstes zum Krieg der Achsenmächte einen ganzseitigen Leitartikel: »Die Menschen fordern heute eine bessere Verteilung von Grund und Boden und Reichtum. Pius XII. hat oft genug unterstrichen, dass dies ein legitimes Ideal ist.« Erzbischof Bartolomasi, der oberste Militärseelsorger Italiens, bekräftigte ebenfalls, dass der Papst der Sache der Achsenmächte seinen Segen erteilt habe. In einem Rundschreiben an alle Feldkapläne der italienischen Armee, das auch in der katholischen Presse abgedruckt wurde, lobte der Erzbischof den hohen Wert der Militärseelsorge »in diesen Tagen eines Krieges, der um jeden Preis gewonnen werden muss. Er muss gewonnen werden … für eine bessere Verteilung des Reichtums … für ein besseres Verständnis und eine bessere Umsetzung der ethisch-sozialen Prinzipien des Evangeliums.« All diese Punkte, erklärte der Erzbischof, spiegelten »die Absichten des Heiligen Vaters bei seiner Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium« wider.4 Dass die Kette der italienischen Misserfolge in Griechenland und Nordafrika nicht abreißen wollte, wirkte sich auch auf die Stimmung Galeazzo Cianos aus, wie Monsignore Borgongini, der päpstliche Nuntius, feststellen musste, als er mit ihm zu einem Gespräch zusammentraf. Der Nuntius hatte den Außenminister um seine Hilfe bitten wollen. Wegen der Rationierung aller kriegswichtigen Waren hatte der Vatikan inzwischen Probleme, seine Lebensmittelversorgung sicherzustellen; selbst an Grundnahrungsmitteln wie Brot, Olivenöl und Pasta mangelte es zunehmend. Borgongini regte an, dass Ciano diesen Punkt ja einmal bei seinem Schwiegervater ansprechen könne. »Das wäre nicht in Ihrem Interesse«, antwortete Ciano, »denn er hat sich mir gegenüber in der letzten Zeit in einem Tonfall über den Vatikan geäußert, den ich noch gar nicht von ihm kannte, in einem ziemlich brutalen Ton.« Ciano erklärte, bereits sein Bestes zu tun, um den Duce zu be233

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schwichtigen. »Das tue ich gern für Sie, als Faschist, als Italiener und als Katholik, und das soll auch der Heilige Vater wissen. In solchen Situationen wie jetzt wird es jedoch selbst für mich schwierig.« Die Ursache für Mussolinis Zornausbruch, führte Ciano weiter aus, sei der jüngst eingegangene Bericht eines Polizeiinformanten gewesen, der behauptete, dass eine Clique von Verschwörern um den Chefredakteur des Osservatore Ro­ mano im Verborgenen gegen die faschistische Regierung arbeite. Jetzt sei Vorsicht angeraten, warnte Ciano. »Ich würde nicht wollen, dass der Duce irgendetwas Unangenehmes unternimmt. Sie kennen ja seinen Stil, wenn er interveniert.«5 Cianos Laune wurde kaum verbessert durch die Entscheidung seines Schwiegervaters, die Minister seiner Regierung als gewöhnliche Offiziere an die Front zu schicken – das sollte der allgemeinen Nörgelei über den Krieg den Boden entziehen. Ciano selbst war davon nur teilweise ausgenommen und musste sich ins Hauptquartier der Luftwaffe im süditalienischen Bari begeben. Ein Polizeiinformant, der aus dem Inneren der Vatikanstadt berichtete, zeichnet ein Bild der getrübten öffentlichen Stimmung: »In katholischen Kreisen machen der fortgesetzte Anstieg der Lebenshaltungskosten sowie die Probleme bei der Beschaffung von vielen Grundnahrungsmitteln immer größeren Eindruck. Selbstverständlich führt all dies zu einer ausgeprägten Unzufriedenheit und zu scharfer Kritik an der Politik der Regierung.«6 Da die Anzeichen sich mehrten, dass der breite Rückhalt für den Krieg zu bröckeln begann, veröffentlichte Pater Gemelli, der Rektor der Katholischen Universität Mailand, in der Zeitschrift für den italienischen Klerus einen Plan, wie dem entgegenzuwirken sei: Alle Gemeindepfarrer des Landes sollten am Sonntag, dem 2. Februar 1941 in ihren Gemeinden eine besondere Messe halten, um für den Sieg der Achsenmächte zu beten. Die Opfer, die der Krieg fordere, klaglos zu tragen und regelmäßig zu beten, erklärte Gemelli, »lässt uns mit gläubiger Gewissheit die Stunde Gottes erwarten und rückt die Morgenröte des Sieges näher«. Die katholische Presse Italiens gewährte der Initiative ihre enthusiastische Unterstützung, dasselbe taten die italienischen Kardinäle. Als sich dann bei den Gottesdiensten in den Kirchen und Kathedralen ganz Italiens die Gemeindemitglieder dicht an dicht in den hinteren Kirchenbänken drängten, während 234

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die lokalen Vertretern des faschistischen Establishments in ihren schwarzen Hemden die vordersten Reihen belegten, hielt man das Ganze für einen großen Erfolg.7 Trotzdem verlief der Krieg, zumindest für Italien, alles andere als gut. Anfang Februar drangen britische Schiffe in die Gewässer um Genua ein, ohne auf Widerstand zu stoßen, ließen ihre Aufklärungsflugzeuge über der Stadt kreisen, um Ziele zu identifizieren, und belegten die Hafenstadt mit anhaltendem Beschuss. Um ein Haar wäre sogar die Kathedrale zerstört worden, als ein fehlgeleitetes Projektil die Wand durchschlug, über den Marmorboden schlitterte – und liegen blieb, ohne zu explodieren. Eine andere Granate schlug in ein Krankenhaus ein und tötete 17 Personen. Und obwohl die Hälfte der abgefeuerten Granaten im Wasser versank, ohne Schaden anzurichten, wurden 29 der 55 Schiffe, die in Genua festgemacht hatten, versenkt oder zumindest beschädigt. Insgesamt fanden weit über 100 Genuesen den Tod, und noch viel mehr wurden verwundet. Aus dem Propagandaministerium erging Anweisung an die Zeitungen des Landes, keinerlei Details über die Zerstörungen zu berichten. Stattdessen wurde die Presse aufgefordert, die angebliche jüdische Abstammung des US -­ Präsidenten Roosevelt zum Thema zu machen.8 In den Zeitungen stand also nichts von der Bombardierung Genuas zu lesen. Dennoch sprach das Geschehen sich in Windeseile im ganzen Land herum, was die öffentliche Stimmung weiter drückte. In einer Rede, die er gegen Ende des Monats hielt, gestand Mussolini die jüngsten Rückschläge ein – was eigentlich gar nicht seine Art war – , stellte jedoch in Aussicht, dass das Schicksal Italiens sich schon bald zum Besseren wenden werde. Dabei hatte er wohl gewisse Botschaften Hitlers im Sinn, der ihm nämlich versichert hatte, Hilfe sei bereits auf dem Weg. Und tatsächlich landete Mitte Februar der deutsche General Erwin Rommel (später als der »Wüstenfuchs« bekannt) mit ersten Einheiten der Wehrmacht in Nordafrika, um eine Offensive gegen die Briten zu beginnen. Es gebe »eine wachsende Überzeugung«, schrieb Botschafter Phillips an Präsident Roosevelt, »dass der Krieg spätestens im September vorbei sein wird, mit einem deutschen Sieg auf ganzer Linie«. Da das Schicksal Italiens nun offenbar von deutscher Hilfe abhing, änderte sich die öffentliche Meinung über die deutschen Truppen, die in 235

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immer größerer Zahl ins Land strömten und entweder die italienischen Verteidigungslinien stärken sollten oder auf dem Durchmarsch in Richtung Nordafrika waren. Es schien, meldete der amerikanische Botschafter, »dass die Italiener ihre Anwesenheit keineswegs übel nehmen, sondern sich vielmehr dankbar zeigen, weil sie ihnen in einer schwierigen Situation Beistand leisten«. Auch Pius XII. empfing nun immer häufiger deutsche Militärs, die sich später damit brüsten können wollten, eine Audienz beim Papst bekommen zu haben. »Am 12. Februar«, heißt es etwa in dem Bericht eines Polizeiinformanten aus dem Vatikan, »empfing der Heilige Vater eine Gruppe von deutschen Offizieren und Mannschaften zu einer Privataudienz. Dabei unterhielt er sich eine Weile mit ihnen auf Deutsch. Diese Audienz hat, genau wie die andere, die vor einigen Tagen stattgefunden hat, im ganzen Vatikan großen Eindruck gemacht, und man spricht sehr wohlwollend davon, dass dies nur eines von vielen Anzeichen der Annäherung zwischen Deutschland und dem Vatikan sei.«9 Jedoch machte Pius XII. auf den französischen Geschäftsträger einen niedergeschlageneren Eindruck als je zuvor, als bei einer Audienz Anfang März die Rede auf die Zukunft kam. Die Kombination aus deutscher Lufthoheit und tödlicher U-Boot-Blockade erwies sich für Großbritannien als absolut fatal – oder zumindest hatte es den Anschein. Dass die Vereinigten Staaten rechtzeitig eingreifen könnten und würden, um die Briten zu retten, schien unwahrscheinlich. Mit dem Nahen des Frühlings konnte eine Landung deutscher Truppen in Großbritannien jederzeit beginnen.10 Während der Papst verzweifelte, tat der restliche Klerus Italiens weiterhin das Seine, um die Bevölkerung auf den Krieg einzuschwören. Als eine von zahllosen derartigen Veranstaltungen im ganzen Land lud Ende Februar die römische Hochschulgruppe der Katholischen Aktion zu einem Fürbittgottesdienst für ihre Mitglieder ein, die zum Armeedienst eingezogen worden waren. In seiner Predigt bat der Zelebrant darum, dass »der Herr der Heerscharen uns gewogen sein möge und schon bald den glorreichen Sieg der italienischen Waffen herbeiführen möge, welcher Europa und der Welt Frieden und Gerechtigkeit bringen wird«.11 Wie in jedem Frühjahr hatte Mussolinis Botschafter im Vatikan ein wachsames Auge auf die Osterbotschaften der italienischen Bischöfe an ihre Gemeinden.12 In diesem Jahr, meldete Attolico, waren von den 236

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Schreiben der 284 Diözesanbischöfe Italiens nur zwei als problematisch anzusehen. Und bei den Osterbriefen der Gemeindepfarrer in den 27 000 Pfarreien des Landes waren es nur etwa zehn, an denen es etwas auszusetzen gab.13 Zugleich hob der Botschafter die jüngste patriotische Initiative des Erzbischofs von Bologna, Kardinal Giovanni Nasalli Rocca, hervor. Der Kardinal hatte vorgeschlagen, zukünftig in allen Kirchen seines Erzbistums regelmäßig Messen lesen zu lassen »für unsere glorreichen Toten, die ihr Leben für uns und unser Wohlergehen geopfert haben«. In diesen Kriegszeiten, erklärte der Erzbischof weiter, sollten alle Katholiken sich als Soldaten »im Heere Christi« betrachten. Abschließend griff er die Forderung des Papstes nach einer »neuen Ordnung« auf.14 Im Corriere della Sera, der auflagenstärksten Zeitung Italiens, war die Osterbotschaft eines anderen, weniger prominenten Bischofs abgedruckt, dessen Eintreten für den Faschismus kaum glühender hätte sein können: »Jener von Gott gesandte Mann, der nunmehr die Geschicke unseres Vaterlandes lenkt, hat als Erster begriffen, dass wir den Deutschen die Hand zur Freundschaft reichen müssen, um so viele Ungerechtigkeiten berichtigt zu sehen.« Bedauerlich sei nur, klagte der Bischof, dass so viele christliche Nationen stattdessen ihre Hand »den Abkömmlingen jener Juden, die einst Christus gekreuzigt haben« gereicht hätten. In der »neuen europäischen Welt«, gelobte er, werde für die Juden kein Platz sein.15 Mussolini hatte die Sorgen seiner Generäle über die beschränkten Kriegsressourcen Italiens anfangs nicht hören wollen und ihnen entgegnet, der Krieg werde ja ohnehin in wenigen Monaten vorbei sein. Da es nun aber so aussah, als würde das Ganze sich hinziehen, gingen die Meldungen über Engpässe am laufenden Band ein. Da auch Bronze ein Mangelgut war, warf der Duce bald ein begehrliches Auge auf die scheinbar unendliche Zahl von Kirchenglocken im Land. Weil allen Beteiligten klar war, dass es sich hierbei um eine heikle Angelegenheit handelte, arbeitete die Regierung einen abgestuften Handlungsplan aus: Nach Möglichkeit sollten Kirchen mit mehreren Glocken zur Entnahme ausgewählt werden, sodass man einige entfernen könnte, aber noch mindestens eine zum Läuten übrig blieb. Die Geläute der Bischofskirchen in ganz Italien sollten ohnehin verschont werden. Die Präfekten wurden angewiesen, zusammen mit den Bischöfen 237

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oder Erzbischöfen in ihrer Provinz die genaue Zahl der Glocken zu erfassen und für deren Entnahme eine Rangfolge aufzustellen. Sie sollten dabei für jede einzelne Glocke das Gewicht und die Materialzusammensetzung festhalten und auflisten, welche Glocken auf Vorschlag des zuständigen Bischofs von der Entnahme auszunehmen seien – samt der vom Bischof angegebenen Begründung dafür. Die Listen sollten bis Ende März 1941 nach Rom gesandt werden. Nach Gesprächen mit Kardinal Maglione arbeitete der italienische Botschafter Anfang Februar ein Dokument aus, das er als »die Grundlage für eine mögliche Übereinkunft zwischen dem Staat und der Kirchenführung bezüglich der in Betracht gezogenen Requirierung von Kirchenglocken zur Kriegsverwendung« bezeichnete. Maglione hatte ihm gesagt, falls eine Requirierung von Kirchenglocken zu diesem Zweck sich als notwendig erweisen würde – was hoffentlich nicht der Fall sein werde – , müsse unbedingt eine Übereinkunft mit dem jeweiligen Ortsbischof darüber erzielt werden, welche Glocken ausgewählt werden sollten. Am besten sei es wohl, schlug der Kardinal vor, wenn man zunächst eine Einigung mit den Erzdiözesen anstrebe, denen ein Kardinal vorstehe, da es hier leichter sein würde, auch die ihnen unterstellten Bischöfe zur Kooperation zu bewegen.16 Magliones Schmerzgrenze war die Stadtgrenze von Rom: Aus der Ewigen Stadt, deren Bischof ja der Papst selbst war, sollte keine einzige Glocke entfernt werden. Und eine letzte Forderung hatte er noch: Die Mitwirkung des Vatikans bei der Ausarbeitung dieser Maßnahmen sollte nicht öffentlich werden. Im Lauf der folgenden zwei Jahre ließ die faschistische Regierung dann tatsächlich mehr als 13 600 Glocken aus den Kirchen Italiens abtransportieren und zu Kriegszwecken einschmelzen. Viele davon waren jahrhundertealte feinste Handwerkskunst gewesen.17 Nach einer Serie von Niederlagen, die die Briten den Italienern in Nordafrika bereiteten, wendete sich das Kriegsglück der Achsenmächte, als im Februar 1941 deutsche Truppen unter dem Kommando des Generalleutnants Erwin Rommel in Libyen landeten. Im Lauf der folgenden Monate sollte der »Wüstenfuchs« Rommel die Briten aus ihren Stellungen in Libyen wieder vertreiben und dabei zwei hochrangige britische Generäle gefangen nehmen. In den italienischen Kolonien in Ostafrika, die dem 238

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Duce so am Herzen lagen, sah die Situation jedoch ganz anders aus. Bei seiner Kriegserklärung an Großbritannien im Juni des Vorjahres scheint Mussolini kaum bedacht zu haben, was ein solcher Krieg für ItalienischOstafrika – wie das Konglomerat aus den italienischen Kolonien Eritrea, Abessinien und Italienisch-Somaliland genannt wurde – bedeuten würde. Tatsächlich wurde es durch feindliche Truppen vollkommen abgeschnitten: Seine 3900 Kilometer Küstenlinie wurden sofort durch die überlegenen britischen Seestreitkräfte blockiert, und seine 4800 Kilometer Landgrenze waren Angriffen aus den umliegenden britischen Kolonien schutzlos ausgeliefert, deren Versorgung bestens gesichert war. In den ersten sechs Wochen der britischen Offensive in Ostafrika, von Mitte Januar bis Ende Februar 1941, besetzten Commonwealth-Truppen eine Fläche von mehr als 600 000 Quadratkilometern Italienisch-­­Ostafrikas. Die somalische Hauptstadt Mogadischu fiel am 25. Februar an Commonwealth-Truppen, die eritreische Hauptstadt Asmara am 1. April. Einen Monat später kehrte Haile Selassie, der Kaiser von Abessinien, den die Italiener fünf Jahre zuvor aus der Hauptstadt seines Reiches vertrieben hatten, im Triumph nach Addis Abeba zurück. Zu Beginn der Kämpfe waren die Italiener zahlenmäßig stark überlegen gewesen: 90 000 italienische Soldaten wurden durch fast 200 000 einheimische Kämpfer verstärkt. Auf der Gegenseite standen etwa 20 000 Mann, die zum größten Teil aus den britischen Herrschaftsgebieten in Übersee stammten, etwa aus Indien. Als die Kämpfe schließlich endeten, waren über 15 000 Italiener getötet worden und viele mehr in Gefangenschaft geraten.18 Vom Balkan erreichten Mussolini deutlich bessere Nachrichten, denn dorthin strömten deutsche Truppen, um die bedrängten italienischen Kräfte zu retten. Mit der Unterstützung der Luftwaffe benötigten die deutschen Bodentruppen gerade einmal elf Tage, um Jugoslawien zu erobern. Schnell wurde das Land, abzüglich eines neu errichteten unabhängigen Kroatiens, zwischen Rom und Berlin aufgeteilt. Zwei Monate später sollte Kroatien unter der Herrschaft von Ante Pavelić, dem Anführer der kroatischen katholischen Faschisten, offiziell der Achse beitreten. Anschließend überschritt die deutsche 12. Armee die Grenze nach Griechenland und besetzte am 9. April Thessaloniki. Noch einmal zweieinhalb Wochen später rückten deutsche Kradschützen in Athen ein. Von den Soldaten aus dem 239

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britischen Commonwealth, die vergeblich versucht hatten, die griechische Verteidigung zu verstärken, gelang immerhin rund 50 000 die Flucht, doch Tausende gerieten auch in Gefangenschaft. Die Leichtigkeit, mit der die Deutschen Griechenland eroberten, nachdem die Italiener dort zuvor derart glücklos gewesen waren, gab Mussolinis frühere Prahlerei mit der faschistischen Kampfesstärke endgültig der Lächerlichkeit preis.19 Während der Lauf der Ereignisse den Duce also anderswo zum Gespött werden ließ, konnte in Italien hiervon keine Rede sein – nicht zuletzt dank der strengen Zensur durch das faschistische Regime. Wie der amerikanische Botschafter in Rom Mitte April in einem Schreiben an Präsident Roosevelt erklärte, hatten die Italiener »seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens … begonnen, wieder größere Zuversicht zu schöpfen, und dürfen natürlich unter keinen Umständen erfahren, wie wenig ihre eigenen Truppen in diesem Zusammenhang vollbracht haben«. Dann fügte er hinzu, dass »in den Regierungskreisen ein sehr starkes Wunschdenken vorherrscht«, da man dort inzwischen überzeugt sei, der Krieg werde bis zum Ende des Sommers gewonnen sein. Die Einwohner Roms, die dank der Anwesenheit des Papstes in ihrer Stadt nur wenig Grund sahen, britische Bombenangriffe zu befürchten, taten alles, um den unliebsamen Krieg zu vergessen: Tag für Tag füllten sich schon am frühen Abend die Bars, Theater, Kinos und Bordelle der Ewigen Stadt – denn pünktlich zur Sperrstunde um halb neun Uhr musste man ja schon nach Hause hasten. Zwar hatten die Italiener ein durch die Zensur verzerrtes Bild vom Krieg, doch brachten heimkehrende Soldaten durchaus Kunde davon, wie schwach die eigene Armee tatsächlich war und wie überwältigend stark die Deutschen. Wer weniger glücklich über den Krieg war, musste freilich aufpassen, was er in der Öffentlichkeit sagte: »Überall ist die Polizei«, meldete der amerikanische Militärattaché in Rom, »insbesondere die Männer in Zivil, die wie stets das Rückgrat des Spionagedienstes vor Ort bilden. Jedem Hotel, Restaurant, Mietshaus etc. sind seine Polizeiagenten zugeteilt. Viele Telefonanschlüsse werden abgehört und natürlich haben die Leute Angst, sich frei zu äußern.« Zwar fürchtete man sich in Italien durchaus davor, was die überheblichen Deutschen dem Land womöglich antun würden, ging aber laut dem Bericht des amerikanischen Beobachters fest davon aus, dass Deutschland den Krieg gewinnen werde. Das Einzige, was die Italie240

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ner von einem amerikanischen Kriegseintritt erwarteten, sei daher eine Verlängerung des ganzen Elends, bevor eben doch der unausweichliche deutsche Sieg kommen werde. Um dieselbe Zeit schickte auch der amerikanische Botschafter in Rom seine Einschätzung der Lage nach Washington: »Paradoxerweise hat Mussolinis Versagen in diesem Krieg ihn vorderhand gestärkt; die meisten hier glauben, dass der Faschismus und der Duce am Ende sind, aber im Falle, dass sie stürzen, durch ein Nazi-­Regime ersetzt würden.«20 In der Tat legte der faschistische Zensur- und Überwachungsapparat noch einen Zahn zu. Mitte April teilte der Militärgeheimdienst Mussolini mit, dass fortan alle Telefongespräche aus dem Vatikan überwacht würden. Dort beugte man sich dem Druck der faschistischen Regierung und wirkte selbst an der Überwachung mit, indem die vatikaneigenen Polizisten die Bewegungen der in der Vatikanstadt untergebrachten Diplomaten aus Feindländern auskundschafteten.21 Nachdem die Regierung sich darüber beschwert hatte, dass in einigen Auslandssendungen von Radio Vatikan das deutsche Militär in ein schlechtes Licht gerückt worden sei, erlaubte der Papst seinen Sicherheitsorganen unter der Hand, auch die an den Sendungen beteiligten Jesuiten auszuspionieren. »Als Ergebnis einer Bedrohungs- und Einschüchterungskampagne«, schrieb der britische Gesandte Osborne, »hat das Staatssekretariat jetzt verfügt, dass Deutschland im Programm von Radio Vatikan gar nicht mehr erwähnt werden soll.« Osborne beschwerte sich daraufhin bei Pius XII. und vertrat in einer Protestnote die Auffassung, dass »Hitler gegenüber eine Politik der Beschwichtigung nirgendwohin führe«. Der Papst bestritt zwar, mit den Achsenmächten eine Abmachung getroffen zu haben, Radio Vatikan mundtot zu machen, aber Osborne glaubte ihm nicht.22 Der britische Gesandte wäre vielleicht sogar noch skeptischer gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Hitler in der Person Philipp von Hessens über einen geheimen Zugang zu Pius XII. verfügte. Die Treffen des Papstes mit Abgesandten des deutschen Diktators hatten nämlich mit Ribbentrops Besuch in Rom im Jahr zuvor keineswegs aufgehört. Zwar sind diese geheimen Treffen kürzlich durch die Öffnung der vatikanischen Archive ans Licht gekommen, doch erfahren wir selbst aus den neu verfügbaren Dokumenten nicht, weshalb eigentlich Hitler den hessischen Prinzen immer 241

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wieder in geheimer Mission zum Papst schickte – außer vielleicht, um diesen hinzuhalten und ruhigzustellen. Eines dieser Treffen wurde auf dem üblichen Weg Ende März 1941 anberaumt und fand dann Anfang April statt. Der Prinz werde, erläuterte Kardinal Lauri dem Papst, als er dessen Zustimmung zu der Begegnung einholte, wie üblich bis in das päpstliche Vorzimmer von Raffaele Travaglini begleitet werden, dem mysteriösen Mittelsmann vom italienischen Malteserorden.23 Im Vatikan hielten viele einen Sieg der Achsenmächte für wahrscheinlich. Ende April traf Harold Tittmann, Roosevelts Gesandter beim Heiligen Stuhl, zufällig Monsignore Bernardini, den päpstlichen Nuntius für die Schweiz, der gerade im Vatikan weilte. Selbst wenn die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten würden, erklärte der Nuntius, könne Deutschland nicht besiegt werden. Es wäre also besser, rechtzeitig einen Kompromissfrieden auszuhandeln. Erstaunt fragte Tittmann den Erzbischof, wie er als ein Mann der Kirche einem Kompromiss das Wort reden könne, der ein von Hitler kontrolliertes Europa zur Folge haben würde. Bernardini antwortete, dass der Vatikan keinen Anlass zur Sorge habe, denn er sei »gewiss, dass binnen weniger Jahre das Vorurteil der Nazis gegenüber den Katholiken aussterben wird«.24 Selbst diejenigen, die es kritisch gesehen hatten, als Italien sein Schicksal mit dem Nazideutschlands verband, waren jetzt sehr darauf bedacht, sich mit den Deutschen gut zu stellen. Bezeichnend war der sorgfältig formulierte und als »persönlich!« gekennzeichnete Brief, den Bernardo Attolico, der italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Anfang Mai an Hitlers Botschafter in Rom sandte. Dass Hitler in seinen Augen ein kriegswütiger Wahnsinniger war, behielt Attolico für sich und schrieb stattdessen: »Die gestrige Rundfunkrede des Führers habe ich mir nicht nur einmal, sondern gleich zweimal angehört. Es ist die erhabenste, edelste Rede gewesen, die er jemals gehalten hat, und solcherart, dass sie bei allen Hörern einen absolut unvergesslichen und anhaltenden Eindruck hinterlassen wird. Bitte erlauben Sie mir, als einem einfachen Bürger, ihnen hierzu meinen innigsten und herzlichsten Glückwunsch auszusprechen.«25 Während die Gewissheit eines deutschen Sieges immer noch weiter zuzunehmen schien, erfüllte den Papst ein beunruhigendes Gerücht mit 242

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Sorge. Ribbentrop, hieß es, habe Ciano gegenüber erklärt, dass die Achsenmächte, wenn der Krieg erst einmal vorbei sein würde, den Papst am besten aus Rom entfernen sollten. In dem neuen Europa, habe der Reichsaußenminister dem Vernehmen nach gesagt, werde für einen Papst schlicht kein Platz mehr sein. Kardinal Maglione zitierte unverzüglich den italienischen Botschafter zu sich. Obgleich Attolico das Gerücht als eine absurde Falschmeldung verwarf, versprach er, Ciano darauf anzusprechen. Ciano sandte später ein eigenes glühendes Dementi. Ganz beruhigt war der Pontifex aber noch immer nicht, weshalb er den ungewöhnlichen Schritt unternahm, bei Mussolini direkt nachzuhaken. Er bediente sich dazu eines Mönchs, der als Feldkaplan der italienischen Truppen in Albanien gedient hatte und dort mit Mussolini zusammengetroffen war. Diesen Mönch bat er also darum, Mussolini seine Verwunderung über das Gehörte zu übermitteln. Mussolini saß hinter seinem massiven Schreibtisch, als der Kirchenmann die Sache vorbrachte. Noch bevor er zum Ende gekommen war, sprang der Duce auf und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »Das wundert mich auch!«, stieß er aus. Die ganze Geschichte sei frei erfunden und zweifellos von den Feinden Italiens in Umlauf gebracht.26 Während Pius XII. sorgsam darauf bedacht war, Hitler und die Nazis mit keinem Wort zu verurteilen, gab es doch ein anderes Übel, das anzuprangern ihm keinerlei Probleme bereitete. Als er Ende Mai 1941 vor Mitgliedern der Mädchenorganisation der Katholischen Aktion sprach, warnte er sie vor diesem gefährlichen Übel. Wie üblich wurde der Papst in seiner sedia gestatoria herbeigetragen, während 4000 aufgeregte Mädchen, alle in Weiß gekleidet, ihn stehend erwarteten. Die Veranstaltung, der alljährlich begangene »Kreuzzug für die Keuschheit«, erschien wichtig genug, um in einem Sonderbericht des örtlichen Polizeichefs protokolliert zu werden. Darin wird auch die »wichtige Rede« Pius’ XII. festgehalten. Den Kampf, den es aktuell zu führen gelte, stellte der Papst mit den »glorreichen« Kreuzzügen von einst auf eine Stufe. Mit demselben Feuereifer sollten die Mädchen die staatlichen Stellen dabei unterstützen, »die Gefahren der Unsittlichkeit in den Bereichen der Damenmode, des Sports, der Hygiene, der gesellschaftlichen Beziehungen und der Unterhaltung zu bekämpfen«. Wie die römische katholische Presse erläuterte, hatte der 243

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Papst dabei das skandalöse Verhalten von Frauen und Mädchen im Sinn, die sich unbescheiden kleideten, Sport trieben in Kleidung, die Teile ihrer Körper entblößte, und den Verlockungen unanständiger Tänze, Theateraufführungen, Bücher und Zeitschriften erlagen. Auch in den weiteren Kriegsjahren sollte Pius XII. nicht aufhören, vor diesen Gefahren zu warnen.27 Aus erster Hand wusste der Papst nicht allzu viel über Mädchen und Frauen, denn abgesehen von den Nonnen, die ihm den Haushalt führten, lebte er in einer Welt von Männern. Nur eine einzige Frau gab es, der Pius sich anvertraute: seine langjährige Haushälterin Schwester Pascalina. »Was so bemerkenswert erscheint«, notierte damals ein Polizeiinformant, »ist die volle Kommandogewalt der deutschen Nonne, die seit der Zeit, als er noch Kardinal war, für den Papst als Privatsekretärin tätig ist. … Die Sache führt naturgemäß zu allerlei Klatsch, der von bösen Zungen darüber verbreitet wird. Von diesen Verleumdungen abgesehen, bleibt doch die offenkundige Tatsache der großen Macht einer Sekretärin, die tut und lässt nach ihrem eigenen Belieben.« Der Informant führte als Beispiel gerade laufende Renovierungsarbeiten im Vatikan an, die dem Papst am Herzen lagen: »Sie selbst beaufsichtigt die Arbeiten an dem Gebäude und ist schon des Öfteren abends hingegangen, wenn keine Arbeiter dort sind. … Jede Anweisung aus dem Mund der oben benannten Nonne wird genauestens befolgt, als hätte der Heilige Vater selbst sie gegeben.«28 Dank des Eingreifens deutscher Truppen auf dem Balkan und in Nordafrika lief der Krieg für Mussolini nun besser. Jedoch schien er merkwürdig desinteressiert, was dessen Tagesgeschäft anging, und verbrachte stattdessen unverhältnismäßig viel Zeit mit Clara Petacci. Mussolinis Affäre rief in Rom inzwischen wachsende Kritik hervor, wie Botschafter Phillips schon im Januar nach Washington gemeldet hatte. In Anspielung auf ihre unverwechselbare Frisur hatte Phillips Clara den Spitznamen »Madame Pompadour« verpasst und servierte Roosevelt das pikante – wenn auch unzutreffende – Detail, dass Mussolini neben Clara auch deren Schwester zu seiner Geliebten gemacht habe. So besessen sei der Duce von seiner Mätresse, behauptete Phillips, dass ihn »die Armee wochenlang nicht mehr gesehen hat«.29 244

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Beunruhigend waren auch die Anzeichen dafür, dass sich um Mussolinis ungebildete, aber äußerst rechthaberische und eigensinnige Ehefrau Rachele – in den Augen ihrer Kinder die eigentliche Chefin des Haushalts – einerseits und die intrigierende Petacci-Familie um Clara andererseits zwei rivalisierende Lager bildeten. »In der Tat«, notierte Ciano Mitte Mai in seinem Tagebuch, »ist Donna Rachele unruhig, mißtrauisch, und sie kümmert sich wie ein Polizist um tausend Dinge, die sie nichts angehen.« Als Beispiel nannte er einen – allerdings ziemlich unglaubwürdi­ gen – Bericht, dem zufolge Rachele, als arme Römerin verkleidet, inkognito durch die Straßen Roms gezogen sei, um herauszufinden, was die Leute auf den Straßen tatsächlich redeten. Als Richter über das Verhalten seiner Schwiegermutter war Ciano jedoch alles andere als unparteiisch, hatten die beiden sich doch nie besonders gut verstanden. Für Rachele, die demselben bescheidenen anarcho-sozialistischen Milieu der Romagna entstammte wie ihr Ehemann, verkörperte Ciano all das, was mit dem italienischen Faschismus nicht mehr in Ordnung war, seitdem er angefangen hatte, betuchte Weichlinge aus der saturierten Oberschicht anzuziehen, die in der faschistischen Bewegung ein probates Werkzeug sahen, um ihre eigenen Privilegien zu verteidigen.30 Für Ciano bestand das Problem mit Clara nicht darin, dass sie Mussolinis Geliebte war, sondern vielmehr in der Tatsache, dass die Affäre der beiden auf dem besten Weg war, einen gewaltigen Skandal zu verursachen. Schon 1939 hatte es für Stirnrunzeln gesorgt, als Claras Familie – die Familie eines Vatikanarztes – in eine gewaltige Luxusvilla an den Hängen des Monte Mario gezogen war, mit Blick über den Vatikan. Auch wenn die Zeit erst noch kommen sollte, als sich die volle öffentliche Aufmerksamkeit Mussolinis Schwäche für Clara und ihre parasitische Familie zuwandte: Die Dossiers der Polizeiinformanten waren jetzt schon voller Berichte über den Volkszorn angesichts des zur Schau gestellten Reichtums der PetacciFamilie, den wohl nur der Duce über ihr ausgegossen haben konnte. Häufig suchte der liebestolle Diktator Claras Elternhaus auf, wo er von der Mutter seiner Mätresse willkommen geheißen wurde, die im Hause Petacci das uneingeschränkte Sagen hatte. Obschon eine fromme Kirchgängerin, hatte sie seit Langem ihren Frieden mit der doppelt ehebrecherischen Affäre ihrer Tochter gemacht, deren süße Früchte sie nun genoss. Dasselbe taten 245

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Claras Bruder Marcello – dem fragwürdige Geschäfte wichtiger waren als seine medizinische Karriere – und ihre glamouröse jüngere Schwester, deren Traum von einer Karriere als Filmstar unter Mussolinis tätiger Mithilfe Wirklichkeit wurde. Wie der Generalinspekteur der italienischen Polizei dem Finanzminister gegenüber bemerkte: »Dr. Petacci schadet dem Duce mehr als 15 verlorene Schlachten.« Eine Schlüsselfigur, wenn es darum ging, Geld aus der Staatskasse in die Taschen der Familie Petacci umzuleiten, war Mussolinis Staatssekretär Buffarini, der es irgendwie schaffte, sich als Parteigänger beider Seiten zugleich zu inszenieren: der Ehefrau und der Geliebten Mussolinis.31

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Mussolini selbst schien inzwischen nur noch selten gute Laune zu haben. In einem seiner typischen Wutanfälle wetterte er gegen den amerikanischen Präsidenten (der im Rollstuhl saß), nachdem er eine Rede von ihm gelesen hatte: »Man hat in der Geschichte noch kein Volk gesehen, das von einem Paralytiker geleitet wurde. Man hat kahle Könige gehabt, dicke Könige, schöne Könige und auch dumme Könige, aber noch niemals hat es einen König gegeben, der von andern gestützt werden muß, wenn er auf die Toilette geht, ins Bad oder zu Tisch!«32 Roosevelt seinerseits hatte für den Duce auch nicht viel übrig, jedoch wenig Zutrauen, dass die Italiener sich gegen ihn erheben würden. Sein Botschafter in Rom hatte ihm berichtet, dass in Italien die eigene Kampfmoral gering, dafür aber die Überzeugung desto größer sei, dass die Deutschen den Krieg gewinnen würden. Mussolini, meinte Phillips, bleibe trotz­dem populär, weshalb er Roosevelt davon abriet, es Winston Churchill darin nachzutun, den Duce vor den Italienern bloßzustellen. Eine bessere Strategie wäre es, meinte der Botschafter, wenn man Italiener und Deutsche voneinander zu trennen versuchte, indem man zwischen beiden unterschied, anstatt sie gemeinsam als Achsenmächte abzuurteilen. Diesen Vorschlag verwarf der Präsident kurzerhand: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint es wenig wahrscheinlich, dass das italienische Volk mehr zu unternehmen bereit sein könnte, als sich mit der schmachvollen Position abzufinden, die sein Bündnis mit Deutschland ihm aufgezwungen hat.« Auch »würde es hierzulande wenig Rückhalt für eine derartige Erklärung geben«, fügte er hinzu.33

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Kapitel 21

Der Kreuzzug

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m 22. Juni 1941 begann mit dem »Unternehmen Barbarossa« der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. Drei Viertel des deutschen Heeres – 160 Divisionen – und 2500 Kampfflugzeuge waren daran beteiligt. Bald standen 3,5 Millionen deutsche Soldaten, verstärkt durch 700 000 Mann verbündeter Streitkräfte, darunter auch Italiener, einer Roten Armee gegenüber, die 5,5 Millionen Mann zählte. Binnen sechs Monaten hatte die Rote Armee, nach dem rasanten deutschen Vorstoß in Richtung Moskau, Ausfälle in Höhe von 4 Millionen Mann zu beklagen, darunter 3 Millionen, die in deutschen Kriegsgefangenenlagern (ver)hungerten. Hitler hatte den Angriff zwar seit Monaten geplant, informierte Mussolini jedoch erst wenige Stunden, bevor es losging – um drei Uhr morgens wurde Ciano von dem deutschen Geschäftsträger aus dem Schlaf gerissen, der ihm einen Brief des Führers persönlich und an seine Privatadresse zustellte. Trotz der späten Stunde griff Ciano sofort zum Telefonhörer, um Mussolini über das Geschehen in Kenntnis zu setzen.1 Angesichts der Mühelosigkeit, mit der die Wehrmacht im Frühjahr 1940 durch Westeuropa marschiert war, und der Schwierigkeiten, die der hartnäckige Widerstand der Finnen im Winterkrieg 1939/40 der Roten Armee bereitet hatte, war Hitler überzeugt, dass der Russlandfeldzug nur wenige Monate dauern würde. Auch die Alliierten hatten wenig Zuversicht, dass die Russen lange durchhalten würden, geschwächt wie ihre Armee nach Stalins »Säuberungen« in den Offiziersrängen war. Im Vatikan wurde die Nachricht vom deutschen Angriff auf den kommunistischen Staat mit großer Erleichterung aufgenommen, war damit doch die besorgniserregende Möglichkeit vom Tisch, dass Russland an einem Sieg der Achsenmächte teilhaben könnte. Für den Papst rückte die 248

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Der Kreuzzug

Nachricht den ganzen Krieg in ein anderes Licht, denn schließlich nahmen die Nazis es nun mit dem aus seiner Sicht größten Feind des Christentums auf. Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl war ebenfalls zufrieden. Er glaubte, dass Hitlers Schachzug die Bemühungen der Alliierten untergraben würde, sich als Verteidiger des Christentums darzustellen, indem sie gegen Nazis und Kommunisten zugleich kämpften.2 Die ersten Meldungen von den Schlachtfeldern im Osten schienen sämtliche Hoffnungen (beziehungsweise Befürchtungen) zu bestätigen: Alles sah nach einem weiteren deutschen Blitzsieg aus. Besonders euphorisch zeigten sich Mussolini und sein Schwiegersohn. Ciano hielt in seinem Tagebuch fest, dass schon in der ersten Nacht der deutschen Offensive 1700 zerstörte russische Flugzeuge gemeldet wurden. Der neue italienische Generalstabschef, General Ugo Cavallero, versicherte dem Duce, dass die schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten sowjetischen Soldaten den Kampf bald einstellen würden. Der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Rom äußerte sich Ciano gegenüber ähnlich: Das Oberkommando der Wehrmacht rechne schon in naher Zukunft mit fünf Millionen russischen Kriegsgefangenen. Hitler hatte zwar nicht um die Unterstützung der Italiener gebeten, aber Mussolini bestand darauf, eigene Truppen zu schicken: »In einem derartigen Krieg«, schrieb er an Hitler, »kann Italien nicht untätig zusehen.« Der Feldzug werde »mit einem großartigen Triumph« enden, »als Vorspiel zu der totalen Niederwerfung der Angelsachsen«.3 Dass auch die Kirche begeistert war, konnten die Katholiken Italiens leicht der katholischen Presse entnehmen. Auf der Titelseite von L’Avennire d’Italia erschien, gleich neben der Schlagzeile von der italienischen Kriegserklärung an die Sowjetunion, ein Leitartikel des Chefredakteurs mit der Prophezeiung:. »Das Kreuz wird wieder wie einst auf der Kuppel des Kremls erstrahlen.« Als einige Tage später die ersten italienischen Einheiten an die Ostfront aufbrachen, gab ihnen auch sein Kollege von der führenden katholischen Zeitung Roms seinen Segen mit auf den Weg: Diese Männer zögen nun in eine Schlacht, schrieb er, »gegen die Mörder des katholischen Spaniens, die ›Gottlosen‹, die unverbesserlichen Feinde der christlichen Zivilisation. … In diesen Tagen steigen unsere Gebete desto sehnlicher zu Gott auf, dass die Achsenmächte sich ihrer gottgegebenen historischen Aufgabe gewachsen zeigen mögen«.4 249

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Die Kriegserklärung gegen die Sowjetunion rief erneut zahlreiche Solidaritätsbekundungen für die italienischen Kriegsanstrengungen seitens hoher kirchlicher Würdenträger hervor, denen dabei das Wohlwollen des Vatikans gewiss war.5 Kardinal Adeodato Piazza, der Patriarch von Venedig, hielt im Markusdom eine flammende patriotische Ansprache zur Verabschiedung der italienischen Soldaten, die an die Ostfront zogen. Er schloss mit dem Wunsch, dass sie schon bald in den Markusdom zurückkehren möchten, »um das Tedeum des Triumphes anzustimmen«. Am anderen Ende von Italien äußerte sich der Erzbischof von Catania ähnlich hoffnungsvoll. Und auch die Berichte über den Klerus, die die Präfekten aus allen Teilen Italiens Monat für Monat nach Rom sandten, zeichneten ein erfreuliches Bild. »Der Klerus und die Katholiken im Allgemeinen«, schrieb der Präfekt von Salerno, »haben das deutsche Vorgehen gegen Russland mit Begeisterung aufgenommen.« Aus ihrer Sicht handele es sich dabei um einen »heiligen Krieg …, einen Kreuzzug gegen die Gottlosen. … All diese starken Äußerungen nationalen Charakters durch den hohen Klerus Italiens sind unmittelbar vom Papst inspiriert, der in der letzten Zeit auch selbst nicht müde geworden ist, seine Sympathie für und seinen Glauben an Italien und die Mission Roms zu äußern«.6 Das Bild vom Kampf der Achsenmächte als einem christlichen Kreuzzug wurde nicht nur in der katholischen, sondern auch in der faschistischen Presse zu einem Gemeinplatz. Im Juli druckte Mussolinis eigene Zeitung einen Hirtenbrief des Erzbischofs von Gorizia (Görz) im äußersten Nordosten des Landes ab. Alle guten Katholiken, schrieb der Erzbischof da, sollten bereit sein, bis zum letzten Blutstropfen für den Sieg des Christentums gegen die finsteren Mächte der Barbarei zu kämpfen: »Es ist nun wie in der Zeit, als die ehrwürdigen Männer an der Spitze der Kirche die Scharen von freiwilligen Streitern segneten, die in den Orient zogen, um das Grab Christi zu befreien.«7 Auch wenn Mussolini sich über die klerikale Unterstützung zweifellos freute, erwartete er vom Vatikan eigentlich noch mehr. Eine Woche nach Beginn des Russlandfeldzugs sandte Ciano seinem Botschafter beim Heiligen Stuhl eine Mitteilung: »Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass zu Zwecken der Propaganda in amerikanisch-katholischen Kreisen und insbesondere unter den isolationistischen irischen [Amerikanern] zum jetzi250

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gen Zeitpunkt nichts einen tieferen Eindruck machen würde als eine klare und eindeutige Verurteilung des Bolschewismus durch den Heiligen Stuhl.« Mussolinis größte Sorge war, dass die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten könnten. Alles, was der Papst dazu beitragen konnte, einen solchen Kriegseintritt zu verhindern oder auch nur hinauszuzögern, wäre für den Duce von allergrößtem Wert.8 Im Hochsommer waren der Botschafter Attolico und sein Geschäftsträger Francesco Babuscio Rizzo, ein erfahrener Diplomat und konservativer Katholik wie Attolico selbst, zu regelmäßigen Treffen mit Kardinal Maglione und seinen Mitarbeitern übergegangen, um über diese Schiene den Papst möglichst zu einer unmissverständlichen Verurteilung des Kommunismus zu bewegen. Doch Pius XII. dachte gar nicht daran, irgendetwas zu unternehmen, das, zumal zum gegebenen Zeitpunkt, als eine öffentliche Parteinahme für die Achsenmächte gewertet werden musste. Dass die Kirche Italiens, wenngleich unter der Autorität des Papstes stehend, sich auf die Seite der Achsenmächte schlug, war eine Sache. Dass der Papst selbst dies tun sollte, war eine andere. Die Abneigung des Vatikans gegen den Kommunismus sei allgemein bekannt, bekam also Babuscio von Kardinal Maglione zu hören; daher sei es überflüssig, dass der Papst dies noch einmal wiederhole. Dann brachte der Kardinal noch ein weiteres Argument vor, das der Vatikan in der Folge noch oft bemühen sollte: Wenn die italienische Regierung von Pius tatsächlich eine Stellungnahme gegen die Sowjetunion und ihre Religionsfeindlichkeit hören wolle, so könne der Papst bei dieser Gelegenheit von der schlechten Behandlung der katholischen Kirche durch die Nationalsozialisten kaum schweigen. Dem Vatikan lägen Berichte vor, sagte der Kardinal mit einer gewissen Übertreibung, wonach die deutschen Truppen, wohin auch immer sie auf ihrem Vormarsch kamen, als Erstes sämtliche Nonnen, Mönche und Priester auf die Straße würfen.9 Aus deutscher Sicht bestand einiger Grund zu der Annahme, dass die Rote Armee schon bald in sich zusammenbrechen und dem Krieg damit ein Ende bereiten werde. Entlang einer breiten Front von der Ostseeküste im Norden – wo die Deutschen bereits Estland, Lettland und Litauen besetzt 251

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hatten – über das weißrussische Minsk bis nach Odessa an der Küste des Schwarzen Meeres stieß die Wehrmacht mit hoher Geschwindigkeit vor. Großbritannien, das durch fortgesetzte Luftangriffe und eine zunehmende Isolierung geschwächt wurde, schien keine andere Wahl zu bleiben, als um Frieden nachzusuchen. Ende Juli warnte D’Arcy Osborne, der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl, die Regierung in London, dass Hitler im Herbst versuchen könnte, den Papst im Rahmen einer »Friedensoffensive« für seine Zwecke einzuspannen. Osborne glaubte zwar, dass die »angeborene Vorsicht« des Papstes diesen davon abhalten werde, sich in einer wenig aussichtsreichen Initiative zu engagieren, sah aber dennoch gewissen Grund zur Sorge: »Es ist mit großem Druck, ja sogar Erpressungsversuchen durch die Achsenmächte zu rechnen, und der Papst ist geradezu besessen von der Idee, er müsse einen Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens leisten.«10 Als Primas von Italien war Pius XII. darauf bedacht, es sich nicht mit Mussolini zu verscherzen. Also unternahm er nichts, um die italienische Kirchenprominenz von ihrer verbalen Unterstützung für die Sache der Achse abzubringen. Zur Verärgerung des Duces vermied der Papst es aber ebenso sehr, das Missfallen der Briten oder gar der Amerikaner zu erregen. Entsprechend fand er in den Tagen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nur bei einer einzigen Gelegenheit halbwegs lobende Worte für die Sache der Achsenmächte, nämlich in seiner Ansprache zum Hochfest der römischen Stadtpatrone Peter und Paul am 29. Juni. Zumindest die deutsche Presse posaunte die päpstlichen Äußerungen bei dieser Gelegenheit als eine klare Parteinahme für den Krieg der Achsenmächte heraus. Pius hatte von dem »großen Mut« gesprochen, der »bei der Verteidigung der Grundlagen der christlichen Zivilisation« erkennbar sei, sowie von der »festen Hoffnung auf deren Triumph«.11 Da jedoch die Meldungen nicht abrissen, dass die Deutschen die katholische Kirche schlecht behandelten, suchte und fand der Papst etwa um dieselbe Zeit eine Strategie, um den Verdruss des Heiligen Stuhls über die deutsche Reichsregierung auf unverfängliche Weise kundzutun. Mitte August sandte Kardinal Maglione neue Anweisungen an den päpstlichen Legaten in Washington: Zwar sollte kein amerikanischer Bischof sich öffentlich für die eine oder andere Kriegspartei aussprechen, »jedoch ist es 252

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wünschenswert, dass zumindest einige von ihnen … eine Möglichkeit finden, um die Gläubigen wissen zu lassen, unter welch schmerzlichen Bedingungen das religiöse Leben in Deutschland und den deutsch besetzten Gebieten zurzeit stattfinden muss. Dabei müssen sie jedoch so vorgehen, als äußerten sie sich aus eigenem Antrieb, und nicht im Namen des Heiligen Stuhls.« Den Papst außen vor zu lassen, war entscheidend. Wenn ein Bischof das Thema anspreche, dürfe er »nicht implizieren, und schon gar nicht die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass diese Neuigkeiten vom Heiligen Stuhl stammen«.12 Tatsächlich verschärfte der Krieg die Spannungen innerhalb der amerikanischen Kirchenhierarchie, die ohnehin von Parteiungen und persönlichen Rivalitäten zerrissen war. Nicht lange nachdem Maglione seine Anweisungen nach Washington gesandt hatte, schilderte der New Yorker Erzbischof Spellman, der Pius XII. von allen hochrangigen Kirchenvertretern in den Vereinigten Staaten am nächsten stand, dem Papst in einem Brief, wie unerträglich die Situation inzwischen geworden war. Den vorerst letzten schlimmen Fauxpas hatte sich Bischof Joseph Hurley geleistet, als er in einer öffentlichen Ansprache behauptet hatte, der Nationalsozialismus sei schlimmer als der Kommunismus. Die amerikanischen Katholiken hatte er aufgefordert, Präsident Roosevelts Vorhaben von Hilfslieferungen nach Russland zu unterstützen. »Die katholischen Zeitungen haben Bischof Hurley offen angegriffen«, schrieb Spellman, »und dann ist etwas passiert, das es in der amerikanischen Geschichte bisher nicht gegeben hat: Der Erzbischof [von Dubuque, Francis] Beckman hat Bischof Hurley in einer Radioansprache angegriffen. Kurz gesagt, hier herrscht ein ziemlicher Tumult.«13 Ende August 1941 erreichte Mussolini nach dreitägiger Fahrt mit seinem Sonderzug den Bahnhof des ostpreußischen Dorfes Görlitz bei Rastenburg. Neben seinen Generälen befanden sich in seinem großen Gefolge auch Hans von Mackensen, der deutsche Botschafter in Rom, dessen Zigarrenqualm fast den ganzen Zug verpestete, sowie der SS-Obersturmbannführer Eugen Dollmann, der an der Spitze der SS in Italien stand.14 Hitler kam selbst zum Bahnhof, um den Duce abzuholen und mit ihm die paar Kilometer zur »Wolfsschanze« zu fahren, einem weitläufigen Komplex, den 253

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Hitler gerade erst als sein Führerhauptquartier für das »Unternehmen Barbarossa« hatte errichten lassen. Tausende von Arbeitern hatten für den Bau von Bunkeranlagen den Wald gerodet und den Komplex nach außen mit Minenfeldern und Stacheldraht gesichert. In ganz Italien gab es nichts Vergleichbares. Mussolini war wie immer darauf bedacht, Hitler zu imponieren, und im Übrigen fest vom nahen Sieg überzeugt. Also teilte er Hitler seinen innigen Wunsch mit, dass die italienischen Streitkräfte eine größere Rolle im Krieg gegen die UdSSR spielen sollten. Hitler, der ebenso siegesgewiss war, aber dessen Generäle vom militärischen Wert der italienischen Armee wenig hielten, mühte sich vergeblich, Mussolini diesen Einfall wieder auszureden. So führte er an, dass Italien sehr weit von der russischen Front entfernt liege und logistischen Schwierigkeiten gegenüberstehen werde.15 Im Vatikan gingen derweil erste Nachrichten darüber ein, dass die Wehrmacht weit im Osten doch auf Widerstand gestoßen war. Ja sogar von ersten Gegenangriffen der viel geschmähten Roten Armee war die Rede. Obwohl der Papst und die Kurie den Triumph eines übermächtigen Nazideutschlands fürchteten, eröffnete die Alternative eines russischen Erfolgs gegen die Wehrmacht – so unwahrscheinlich er scheinen mochte – die Möglichkeit einer Siegermächtekonferenz, bei der die Zukunft Europas in den Händen Stalins liegen würde – ein Alptraumszenario. Jedoch gab es noch einen dritten möglichen Ausgang, einen, der zumindest einen Hoffnungsschimmer barg: Was Gott in seinem unergründlichen Rat beabsichtigte, war womöglich ein brutaler Krieg zwischen Russland und Deutschland, durch den der Kommunismus zerschlagen, der Nationalsozialismus jedoch ebenfalls schwer geschwächt würde. In einem solchen Szenario schien es nicht undenkbar, dass der Papst tatsächlich eine gewisse Rolle bei der Aushandlung einer Friedensregelung spielen würde. Ja, vielleicht würde man ihn eines Tages sogar als den Retter Europas feiern.16 Präsident Roosevelt verstärkte derweil seine Bemühungen, Großbritannien Hilfe zu senden, sah sich aber mit dem Drängen seiner Landsleute konfrontiert, die Vereinigten Staaten aus einem weiteren europäischen Krieg herauszuhalten. In dieser verzwickten Lage beschloss Roosevelt, seinen Gesandten Taylor zurück zum Papst zu schicken. »Duce!«, heißt es in einer 254

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anonymen Mitteilung an Mussolini, »Myron Taylor kehrt nach Rom zurück. Er ist Jude und will den Vatikan zu seinem Schlupfloch machen. Sehen Sie sich vor!«17 Taylors Mission war eine zweifache: Angesichts der breiten Opposition, auf die Roosevelts Unterstützung für Großbritannien ebenso wie seine Bemühungen, die Vereinigten Staaten auf einen möglichen Kriegseintritt vorzubereiten, bei den amerikanischen Katholiken stießen, erschien eine öffentlichkeitswirksame Erneuerung der Beziehungen zum Papst politisch wertvoll. Zudem fand Taylors neuerliche Romreise kurz nach einem Treffen Roosevelts mit dem britischen Premierminister Churchill in Neufundland statt. Dabei hatten die beiden Männer jenes acht Punkte umfassende Dokument entworfen, das später als die Atlantik-Charta bekannt werden sollte. Darin hielten sie ihre Ziele für die Welt nach dem Krieg fest, darunter die Entwaffnung von Aggressorstaaten und das Recht aller Völker auf freie Selbstbestimmung. Roosevelt hoffte, dass er Pius davon würde überzeugen können, seine Unterstützung für diese Charta zu signalisieren. Taylors Bemühungen, ein enges Verhältnis zum Papst aufzubauen, machten gute Fortschritte. Der imposante Industriemagnat konnte auch eine sanfte Seite an den Tag legen, wenn er etwa dem Papst respektvoll zuhörte oder sich an den prunkvollen Ritualen im Vatikan erfreute. Taylor war zwar Protestant, vergaß aber nie, vor dem Papst das Knie zu beugen und am Ende jeder Audienz um seinen Segen zu bitten. Der Pontifex schätzte Taylors Zuversicht, die auf den enormen Ressourcen basierte, die den Vereinigten Staaten zu Gebote standen. Und Taylors persönliche Freundschaft mit dem Präsidenten stellte für den Papst so etwas wie eine Schlüsselressource dar. Osborne notierte, dass beide Männer noch etwas gemeinsam hatten: einen »militanten christlichen Idealismus«.18 Am 9. September 1941 traf Taylor mit Pius XII. zusammen. Er überreichte dem Papst einen Brief Präsident Roosevelts, worin dieser seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, der Papst möge sich öffentlich für die Ziele aussprechen, die Churchill und er, Roosevelt, in ihrer Charta formuliert hatten. Der Pontifex zeigte sich vorsichtig wie eh und je und erklärte, er werde über die Sache nachdenken. Dann traf Taylor sich mit Kardinal Maglione und schärfte auch ihm ein, wie wichtig die Unterstützung des Papstes für die acht Punkte der Atlantik-Charta sei. Es gebe nur zwei Män255

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ner auf der ganzen Erde, so Taylor, die glaubhaft für den »Triumph der Gerechtigkeit« die Stimme erheben könnten: den Papst und den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was genau Pius XII. dem Amerikaner zusagte, als die beiden das nächste Mal zusammentrafen, ist umstritten. Taylors Darstellung zufolge erklärte der Papst, sein Wunsch, auch weiterhin eine »unabhängige Rolle« zu spielen, verbiete es ihm, »eine solche Stellungnahme sofort abzugeben und ohne dass ein passender Anlass hierfür gegeben wäre. Er willigte jedoch ein, sich einigermaßen bald in diesem Sinne zu äußern«.19 In den Aufzeichnungen des Vatikans findet sich von einer solchen Zusage keine Spur. Weil er wusste, wie nervös Mussolini wegen des Treffens mit dem amerikanischen Gesandten war, ließ der Papst seinen Staatssekretär unmittelbar im Anschluss an das Treffen dem italienischen Botschafter Bericht darüber erstatten. Von Roosevelts Vorhaben erwähnte der Kardinal dabei jedoch nichts. Sinn und Zweck von Taylors Besuch sei es gewesen, unterrichtete Maglione den Botschafter Mussolinis, den amerikanischen Katholiken zu demonstrieren, dass man miteinander in Kontakt blieb, und die Sichtweise des amerikanischen Präsidenten auf den Krieg zu übermitteln.20 Wie oft in solchen Angelegenheiten brauchte der Papst die Hilfe von Monsignore Tardini, dem scharfsichtigen und eine deutliche Sprache pflegenden Stellvertreter Kardinal Magliones, um einen Entwurf für die päpstliche Antwort an Präsident Roosevelt auszuarbeiten. Dieses Dokument erlaubt wertvolle Einblicke in die Ansichten des Papstes und seiner engsten Ratgeber. »Um den Nazismus zu besiegen«, schrieb Tardini, »unterstützen die Vereinigten Staaten Russland«, letztlich also den Kommunismus und damit »den militanten Atheismus … den Kampf gegen die Religion, einen rücksichtslosen Krieg vor allem gegen den Katholizismus!« Während Roosevelt sehr darauf bedacht sei, sich die Unterstützung der amerikanischen Katholiken zu sichern, »sind die führenden Köpfe der katholischen Kirche [in den Vereinigten Staaten] vielmehr davon überzeugt, dass Nazismus wie Kommunismus zwei überaus gefährliche Feinde der Kirche sind. Beide müssen vernichtet werden. Wenn einer von beiden überlebte, egal welcher, wäre dies der Ruin der ganzen Menschheit.« Mit welcher Berechtigung, fragte Tardini, könnten sie erklären, dass die amerikanischen Kirchen256

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führer hierin irrten?21 Am nächsten Tag nahm er Ergänzungen vor: »Roosevelts Brief hat bei mir einen schmerzlichen Eindruck hinterlassen. Er stellt den (wenn auch erfolglosen) Versuch einer Apologie des Kommunismus dar. … In einem vom Krieg erschöpften Europa, in dem Deutschland ausgelöscht wäre, würde er [der Kommunismus] zum absoluten Herrscher über den europäischen Kontinent aufsteigen.« Am Ende kam der Papst zu dem Schluss, dass es wohl am besten wäre, wenn er so wenig wie möglich sagte. Also sandte er dem amerikanischen Präsidenten unverbindliche gute Wünsche und vermied jede Aussage, auf die man ihn später hätte festnageln können.22 Während sich Taylor noch in Rom aufhielt, suchte der italienische Botschafter den Papst auf, um herauszufinden, was der Amerikaner mit seinem Besuch hatte bezwecken wollen. Auch wollte er noch einmal versuchen, den Papst zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen den Kommunismus zu überreden. Das Treffen endete für den Botschafter jedoch frustrierend, denn eines war klar: Pius XII. machte sich Gedanken über Deutschland, nicht über Russland. »Wenn ich über den Bolschewismus etwas sagen würde – und ich wäre durchaus bereit, das zu tun – «, gab der Papst zu bedenken, »sollte ich über den Nazismus denn dann nichts sagen?« Die Situation in Deutschland verschlechtere sich gerade dramatisch. Selbst wenn der Führer, wie man Pius berichtet habe, eine Aussetzung der gegen die katholische Kirche gerichteten Maßnahmen angeordnet habe, »so heißt das doch noch nicht, dass Christus wieder in die Schulen eingezogen wäre … oder dass die vielen Klöster und anderen religiösen Einrichtungen wieder geöffnet würden, die man geschlossen hat … oder dass sie das Gebet wieder abschaffen würden, in dem die deutschen Kinder, die es aufsagen müssen, in Umdichtung des Vaterunsers Hitler für ihr tägliches Brot danken …« Nachdem der Papst etwa eine halbe Stunde in dieser Manier weitergeredet hatte, versicherte er Attolico, dass er froh über dessen Besuch sei, denn es gebe da etwas, das er ihn fragen wolle. Schon seit Langem habe er sagen hören, dass einige in Deutschland in der neuen europäischen Ordnung, welche die siegreichen Achsenmächte einläuten würden, »ohne den Vatikan auskommen« wollten. »Und jetzt«, erklärte Pius, »höre ich, dass 257

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Hitler bei seinem Treffen mit Mussolini geäußert haben soll, den Vatikan müsse man ›beseitigen‹. Ist das wahr?« Attolico versicherte dem Pontifex, dass an solchen Berichten absolut nichts Wahres dran sei. Als der Papst das hörte, meldete Attolico später, »war er erfreut, ja ich möchte fast sagen: erleichtert, was erkennen lässt, wie sehr die Vorstellung, um nicht zu sagen das Schreckgespenst neuer und noch schlimmerer Verfolgungen ihm auf der Seele gelastet hat«. Solcherart beruhigt, rief der Papst sich die vielen angenehmen Jahre, die er in Deutschland verlebt hatte, ins Gedächtnis. »Ach, wenn Deutschland mich nur in Frieden gelassen hätte«, sagte er zu Mussolinis Botschafter, »wäre meine Haltung in diesem Krieg, besonders zum jetzigen Zeitpunkt, eine ganz andere.«23 In Frankreich hatte das Pétain-Regime schon kurz nach seinem Machtantritt im Jahr zuvor eigene drakonische Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung erlassen. Anfängliche Sorgen der Kollaborationsregierung, dass dies zu Protest aus dem Vatikan führen könnte, hatte Léon Bérard, der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl, zerstreuen können: »Es gab da nichts«, meldete er, »das aus der Sicht des Heiligen Stuhls Anlass zur Kritik geben würde.« In einem späteren Schreiben erklärte Bérard, dass die Kirche den Rassismus zwar verurteile, aber schon lange anerkannt habe, dass ein »Judenproblem« existiere. Tatsächlich hätten die Päpste selbst seit dem Mittelalter darauf hingewirkt, die Juden aus einer Reihe von Berufen auszuschließen. Wie der Botschafter noch hinzufügte, betreffe der einzige Einwand der Kirche gegen die aktuelle antijüdische Kampagne die Behandlung von getauften Juden als Juden statt als Katholiken. Das könne die Kirche niemals akzeptieren.24 Obwohl er seine Stimme nicht gegen die antisemitischen Kampagnen erhob, die in Italien, Frankreich und anderswo von Staats wegen betrieben wurden, war Pius XII. alles andere als wohl zumute angesichts erster eingehender Berichte über die systematische Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen. Sein Unbehagen geht deutlich aus den Aufzeichnungen hervor, die Monsignore Angelo Roncalli nach einer Audienz mit dem Papst im Oktober 1941 in seinem Tagebuch machte. »Er fragte mich«, schrieb der spätere Papst Johannes XXIII., der damals den Posten 258

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eines päpstlichen Nuntius in der Türkei bekleidete, »ob sein Schweigen über die Taten der Nazis nicht ein Fehler sei.«25 Der deutsche Feldzug zur Vernichtung der europäischen Juden intensivierte sich, je weiter die deutschen Truppen nach Osten vorstießen. Gleich nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 hatten eigens aufgestellte mobile Mordkommandos, die sogenannten Einsatzgruppen, begonnen, unter Mithilfe einheimischer Antisemiten Juden zu ermorden. Am 27. Juni tötete eine solche Einsatzgruppe zusammen mit ortsansässigen Ukrainern 2000 Juden in Luzk im Nordwesten der Ukraine. Am selben Tag verbrannte eine motorisierte deutsche Einheit Hunderte Juden bei lebendigem Leib in einer Synagoge im ostpolnischen Białystok. Zu Beginn des folgenden Monats wurden in einem Wald in Litauen mindestens 6000 Juden erschossen und in Gruben geworfen, wobei wiederum Einheimische assistierten. Überall in dem gewaltigen Territorium, das die deutschen Truppen auf ihrem Vormarsch durchquerten, kam es zu Massenerschie­ ßungen von Juden. Ihre Leichen wurden in Gruben verscharrt, die sie zuvor selbst hatten ausheben müssen.26 Im Oktober 1941 erhielt der Papst Nachrichten über das Massaker an den Juden Europas, die über jeden Zweifel erhaben waren. Sein Nuntius in Bratislava leitete ihm den Bericht eines Bischofs weiter, der für die slowakische Militärseelsorge zuständig war. Im Jahr zuvor hatte sich die Slowakei, wie auch Ungarn und Rumänien, den Achsenmächten angeschlossen. Während man jedoch andere Kriegsgefangene nach Hause zurückschicke, »werden die Juden kurzerhand erschossen … systematisch ermordet, ohne Ansehen von Alter oder Geschlecht«, berichtete der Bischof. Als die Nachricht den Vatikan erreichte, spendete der Papst gerade in einer Audienz einer Gruppe von achtzig deutschen Soldaten seinen Segen – eine Praxis, die er viele weitere Monate lang beibehalten sollte. Am selben Tag hatte der Papst auch noch einen Termin, bei dem er einem Bildhauer für eine Porträtbüste Modell sitzen musste. Der Künstler fand sein Gegenüber launisch und gereizt; immer wieder fuhr der Papst auf Deutsch die Nonnen an, die ihm den Haushalt führten. Nach deren Meinung grenzte es ohnehin an ein Wunder, dass der Pontifex sich überhaupt auf all diese ZweiStunden-Sitzungen eingelassen hatte. Normalerweise sei er viel zu nervös, um so lange auf demselben Fleck sitzen zu bleiben.27 259

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Pius XII. posiert für den Bildhauer, 1941.

Im November 1941 erfuhr Pius XII. noch sehr viel detaillierter von dem Massenmord an den europäischen Juden, als Pater Pirro Scavizzi, ein Feldkaplan der italienischen Armee, ihm nach seiner Rückkehr von der Ostfront eine haarsträubende Schilderung dessen lieferte, was dort vor sich ging. Während er Ende Oktober in einem italienischen Lazarettzug die Ukraine durchquert hatte, hatte er seine Beobachtungen schriftlich festgehalten: »Die Juden sind hier sehr zahlreich und werden von jedermann gehasst.« Sobald die Wehrmacht auf den Plan getreten sei, »brach ein Massaker an den Juden los, das man sich abscheulicher und entsetzlicher gar nicht vorstellen kann. Ein paar Hundert von ihnen wurden wie Vieh dicht an dicht in alte Eisenbahnwaggons gepfercht, auf jede nur denkbare 260

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Weise misshandelt und dann, nach mehreren Tagen dieses Martyriums, schließlich ermordet.« Die Deutschen sprengten Synagogen, wusste Scavizzi zu berichten, und »es vergeht kein Tag, an dem nicht weitere Morde an den Juden geschehen«. Einige Tage später notierte er: »Massaker an Hunderten von Juden, die zuerst gezwungen wurden, einen Graben auszuheben, um dann mit Maschinengewehren niedergeschossen und hineingeworfen zu werden«. Als Pater Scavizzi nach seiner Rückkehr im November mit dem Papst zusammentraf, gab er ihm einen langen Augenzeugenbericht. Pius hörte aufmerksam und mit wachsender Bestürzung zu, je mehr der Priester von den Gräueln berichtete, die die Deutschen an Juden, katholischen Polen und vielen anderen an der Ostfront verübten. »Ich sah ihn weinen wie ein Kind und beten wie einen Heiligen«, erinnerte der römische Priester sich später. Scavizzi übergab dem Papst auch einen leidenschaftlichen Brief aus der Feder eines polnischen Priesters. Der Briefschreiber schilderte das schreckliche Geschehen, das sich in Polen abspielte. Seine Landsleute könnten die Haltung des Vatikans nicht verstehen, die sie »das Verbrechen des Schweigens« nannten. Er flehte den Papst an, seine Stimme zu erheben.28

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Kapitel 22

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it dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor trat der Krieg am 7. Dezember 1941 in eine neue Phase ein. Am folgenden Tag ordnete Botschafter Phillips an, dass sämtliche sensiblen Unterlagen, die in der amerikanischen Botschaft in Rom aufbewahrt wurden, verbrannt werden sollten. Harold Tittmann, der Assistent Myron Taylors in Rom, kam in die Vatikanstadt, um in Erfahrung zu bringen, ob die Wohnung bezugsfertig sei, die ihm das vatikanische Staatssekretariat für den Fall einer italienischen Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten in Aussicht gestellt hatte. Am 11. Dezember wurde Botschafter Phillips von Mussolinis Schwiegersohn einbestellt. Als der Amerikaner das Büro des Außenministers betrat, erhob sich Ciano von seinem Schreibtisch und teilte seinem Besucher so förmlich und steif wie nur möglich mit: »Ich habe Sie zu mir rufen lassen, um Ihnen im Namen meines Königs und der italienischen Regierung Folgendes mitzuteilen: Seine Majestät der König und Kaiser erklärt, dass sich Italien von heute an als im Kriegszustande mit den Vereinigten Staaten von Amerika befindlich betrachtet.« Noch am selben Tag erklärte auch das Deutsche Reich den Vereinigten Staaten den Krieg. In der italienischen Öffentlichkeit hielt sich die Begeisterung in engen Grenzen. Zwar war die obligatorische Menschenmenge vor Mussolinis Fenster schnell versammelt – eine bunte Mischung aus glühenden Faschisten und zum Jubeln abkommandierten Staatsangestellten und Studenten. Der Duce trat auf seinen Balkon hinaus und gab sich alle Mühe, so selbstherrlich wie sonst aufzutreten, wirkte jedoch auffallend blass. Seine Ansprache war nur kurz:

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Kameraden! Männer und Frauen von Italien! Dies ist ein weiterer entscheidender und großer Tag in der Geschichte Italiens … Die Mächte des stählernen Paktes, das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien, enger denn je zusammengeschlossen, stellen sich heute an die Seite des heldenhaften Japan und gegen die Vereinigten Staaten. … Weder die Achsenmächte noch Japan wollten eine Ausdehnung des Konfliktes. Ein Mann, ein einziger Mann, ein echt demokratischer Despot hat durch eine ununterbrochene Reihe von Herausforderungen, bei denen er sein eigenes Volk betrog und hinters Licht führte, den Krieg gewollt und ihn mit teuflischer Hartnäckigkeit vorbereitet … Italiener an die Gewehre! Seid dieser großen Stunde würdig! Wir werden siegen.1

Begeisterte Rufe aus der Menge unterbrachen die Rede wie stets an den passenden Stellen, also bei der Erwähnung von Deutschland und Japan, und folgten auf Mussolinis abschließende und längst schon zum Ritual gewordene Beschwörung des unvermeidlichen Sieges. Aber der Jubel war merklich weniger enthusiastisch als bei ähnlichen Gelegenheiten in der Vergangenheit. Als der Diktator wieder im Palazzo Venezia verschwunden war, gingen die Leute rasch auseinander und kehrten nach Hause zurück, wo auf dem Esstisch ihre rationierte Mahlzeit auf sie wartete.2 Für Mussolini wurde die Unterstützung des Papstes jetzt noch wichtiger. Binnen weniger Tage nach dem amerikanischen Kriegseintritt verlieh der italienische König den Fürstentitel an die Nachfahren von Francesco Pacelli, dem geliebten älteren Bruder des Papstes. Der einige Jahre zuvor verstorbene Francesco war es gewesen, der als Vertreter Pius’ XI. mit Mussolini die Lateranverträge von 1929 ausgehandelt hatte. Welchen Vorteil das Regime von dieser Standeserhöhung hatte, wurde unmittelbar ersichtlich: Der Osservatore Romano hielt die Nobilitierung der päpstlichen Verwandtschaft für »einen neuerlichen Beweis der Treue zu jenen historischen Ereignissen und zu den glückhaften Auswirkungen, die daraus in Übereinstimmung mit der großen christlichen Tradition des italienischen Volkes erwachsen sind«.3

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Der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl, D’Arcy Osborne, bemerkte, dass die Standeserhöhung ja durchaus verständlich wäre – würden dem nicht zwei entscheidende Tatsachen entgegenstehen: Die Ehrung erfolgte so viele Jahre nach dem Ereignis, das sie angeblich würdigte, und auch Jahre nach dem Tod des Geehrten, während in der Zwischenzeit dessen Bruder Papst geworden war. Am plausibelsten sei daher die Erklärung, schrieb Osborne, die Ehrung solle »die italianità des Vatikans bekräftigen und damit dem italienischen Volk vor Augen führen, dass im gegenwärtigen weltweiten Kampf der Papst ganz selbstverständlich auf der Seite der Achsenmächte stehen müsse«. Bedauerlicherweise, so die Einschätzung des Gesandten, zögen die Italiener wohl genau diese Schlussfolgerung. »Der Papst selbst war, wie ich gehört habe, ein wenig peinlich berührt, da der gesamten Angelegenheit jetzt ein leichter Beigeschmack von Nepotismus anhaftet.«4 Auch zu Weihnachten 1941 sollte Pius XII. sich wieder mit einer Radioansprache an die Weltöffentlichkeit wenden. Wie es für seine Reden typisch war, war auch diese langatmig und so anspruchsvoll formuliert, dass sie für die meisten Italiener zu hoch gewesen sein dürfte. Und wieder einmal wählte der Papst seine Worte so, dass beide Parteien sie als Unterstützung ihrer Sache verstehen konnten.5 Die italienische Katholische Aktion hob in ihrem landesweit verbreiteten Mitteilungsblatt den Kernpunkt der päpstlichen Botschaft – oder was sie dafür hielt – hervor: »Was ist der Grund so vieler Übel? Der Mensch hat sich gegen das wahre Christentum empört.« Man dürfe Minderheiten nicht unterdrücken. Man dürfe die Ressourcen der Erde nicht monopolisieren. Verfolgung der Religion oder der Kirche dürfe es nicht geben. Der französische Botschafter erläuterte seiner Regierung in Vichy, der Papst wünsche, dass die Regierungen exakt das täten, was die Pétain-Regierung ohnehin schon tue, nämlich »indem man gute Beziehungen zur Kirche pflegt, die Werte der christlichen Zivilisation und die Regeln der religiösen Moral« wiederherzustellen. Der Botschafter wies auch darauf hin, dass der Papst zwar keine Schuldigen genannt habe, als er die Verfolgung von Religion und Kirche beklagte, aber bestimmt Stalin und die Nationalsozialisten dabei im Sinn gehabt habe.6 264

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Mussolinis Zeitung vergrub ihren Artikel über die Ansprache zwar auf der zweiten Seite und paraphrasierte selbst, was der Papst gesagt hatte, lieferte aber einen respektvollen Bericht. Farinacci lobte die Ansprache in einem langen Leitartikel überschwänglich und verstand es, daraus durch eine geschickte Auswahl der zitierten Papstworte ein bündiges Grußwort zugunsten der Achsenmächte zu machen. Der deutsche Botschafter in der Schweiz teilte mit dem dortigen Nuntius die Auffassung, dass die Weihnachtsansprache des Papstes »sehr schön« gewesen sei, weil »jedes Wort darin sorgsam gemessen [war] und sie reichlich Stoff zum Nachdenken für alle kriegführenden Parteien [bot]«.7 Als er eine englische Übersetzung des Redemanuskripts nach London schickte, bemühte sich Osborne, den Text in ein möglichst positives Licht zu rücken. So betonte er etwa, dass der Papst sich allgemein gegen religiöse Verfolgung ausgesprochen hatte. Im britischen Außenministerium gab man sich weniger ehrfürchtig. Wie ein Mitarbeiter dort feststellte, musste man das Lob, mit dem der Papst all jene Regierungen bedacht hatte, die freundschaftliche Beziehungen zur Kirche pflegten, wohl als »ein Kompliment an die Adresse Mussolinis« auffassen. Das jedoch erscheine »kaum notwendig, obwohl ja gerade erst die Neffen des Papstes mit einer Fürstenwürde bedacht worden sind, als eigentümlich späte Würdigung der Mithilfe seines verstorbenen Bruders bei der Aushandlung der Lateranverträge«. Von deutscher Seite feierte ein Rundschreiben des Auswärtigen Amtes die Ansprache dafür, dass der Papst den Kernaussagen von Nationalsozialismus und Faschismus Unterstützung gezollt habe. Und wenn der Papst in seiner Rede von »unterdrückten Minderheiten« gesprochen hatte, erklärte das Rundschreiben, habe er dabei zweifellos an die deutsche Minderheit im Vorkriegspolen gedacht.8 Bei seiner Neujahrsaudienz musste der britische Gesandte feststellen, dass der Papst über den gerade erfolgten Kriegseintritt der Vereinigten Staaten und die sich daraus ergebende Ausweitung des Krieges alles andere als glücklich war. Zur niedergeschlagenen Stimmung des Pontifex hatte auch die Rede beigetragen, die Winston Churchill drei Tage zuvor in Washington vor beiden Kammern des Kongresses gehalten hatte. Der Premierminister hatte prophezeit, dass der Krieg bis in das Jahr 1943 hinein andauern werde; dann erst werde das Blatt sich endlich wenden. Das britische 265

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Außenministerium gab Osbornes Bericht über seine Papstaudienz auch König Georg VI. zur Kenntnis, mitsamt der handschriftli­chen Anmerkung: »Mr. Osborne hebt zweimal die Depression des Papstes hervor. Diese wird vermutlich noch zunehmen durch die Gewissensbisse aufgrund seiner zögerlichen Politik.« In seinem Jahresabschlussbericht für 1941 brachte Osborne das päpstliche Beharren auf Unparteilichkeit mit Pius’ XII. Überzeugung in Zusammenhang, nur so eine Schlüsselrolle bei der Aushandlung eines Friedens spielen zu können. In der Zwischenzeit vertiefe der Papst sich »in wohltätige Initiativen aller Art und gibt seiner Schwäche zur Beredsamkeit nach«. Der von Pius eingeschlagene Weg, schloss der britische Gesandte, gehe »zulasten des moralischen Prestiges des Heiligen Stuhls, wie es ihm von Pius XI. hinterlassen wurde«.9 Während Mussolini viele andere Überzeugungen aus seiner radikalsozialistischen Jugendzeit mittlerweile über Bord geworfen hatte, empfand er doch noch immer eine lebhafte Abneigung gegen den katholischen Klerus und die katholische Lehre. Auch wenn diese Empfindungen im Privaten von Zeit zu Zeit hochkochten und sich etwa in Gesprächen mit Clara oder seinem Schwiegersohn in giftigen Spitzen entluden, hatte Mussolini doch seit Langem eingesehen, dass er in der Öffentlichkeit besser gute Miene bewahren sollte, und so waren seine bissigeren Ansichten über die Kirche Pius XII. noch kaum je zu Ohren gekommen. Das begann sich nun zu ändern. Als er Anfang Januar 1942 vor dem Direktorium der Faschistischen Partei sprach, fragte Mussolini, wie es sein könne, dass Amerikas katholische Bischöfe eine Unterstützungserklärung für ihren Präsidenten abgegeben hatten, die italienischen Bischöfe jedoch keine vergleichbare gemeinsame Erklärung für ihn, den Duce, zustande brächten? »Im Vatikan sitzen Verräter!«, rief jemand dazwischen. »Nieder mit den Pfaffen!«10 Als einige Tage darauf der päpstliche Nuntius mit Mussolinis Staatssekretär Guido Buffarini zusammentraf, bekam er aus dessen Mund noch ein Echo von den Beschwerden des Duces zu hören. »Es fiel mir nicht schwer«, erinnerte sich Monsignore Borgongini später, »die Vorwürfe zurückzuweisen und die lobenden Worte hervorzuheben, die der Heilige Vater für Italien gefunden hat, von dem patriotischen Einsatz der Bischöfe 266

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und des ganzen italienischen Klerus in diesen Zeiten einmal ganz abgesehen.« Wie der Nuntius Buffarini gegenüber erklärte, konnte der Papst nicht umhin, die schlechte Behandlung der Kirche durch die Deutschen zu kritisieren; und doch habe Pius XII. seine Kritik trotz aller Provokationen stets »mit der äußersten Feinfühligkeit« geäußert.11 Tatsächlich sollte Mussolini in den folgenden Monaten nur wenig Grund zur Klage haben. Mitte Januar druckte seine Zeitung eine Rede ab, die der Bischof von Triest vor Priestern seines Bistums gehalten hatte und worin er vor dem Kommunismus als gefährlichem Feind des Christentums gewarnt hatte, der besiegt werden müsse.12 Eine Woche später rief der prominente Kurienkardinal Carlo Salotti höchst öffentlichkeitswirksam die Muttergottes um ihren Beistand an für »unsere Soldaten, die für eine gerechtere Gesellschaft und für den sicheren Sieg kämpfen«.13 Als der Februar anbrach, stimmte auch die unter vatikanischer Aufsicht stehende Zeitschrift des Jesuitenordens in den Unterstützungschor für die Sache der Achse ein und griff mit einem Artikel unter der Überschrift »Lebensraum« das Konzept auf, mit dem Nazis und Faschisten den Krieg rechtfertigten. Der Papst, hieß es in dem Artikel, habe keinen Zweifel daran gelassen, dass alle Menschen einen Anspruch auf ihren gerechten Anteil an den weltweiten Ressourcen hätten. Dieses Anrecht, wurde Pius zitiert, »gilt ebenso für den Staat … Also hat der Staat … das Recht auf den Besitz einer solchen Menge an Gütern, wie zur Erfüllung seiner grundlegenden Funktionen benötigt wird, oder, um moderne Begrifflichkeiten zu bemühen, er hat das Recht auf einen solchen Lebensraum, wie er für die Bewahrung seines gesellschaftlichen Lebens sowie des materiellen und moralischen Wohlergehens seiner Bürger unerlässlich ist«.14 In der Absicht, gute Beziehungen zu dem launischen Diktator zu bewahren, beschloss Pius XII., Mussolini eine private Nachricht zukommen zu lassen. Eine entsprechende Gelegenheit bot sich Mitte Januar 1942, als der Papst Pietro Fedele eine Audienz gewährte, dem früheren Bildungsminister Mussolinis, der auch ein langjähriges Mitglied des Senats war. Der Papst bat also Fedele, dem Duce auszurichten, wie sehr er die kürzlich erfolgte Erhebung seiner Familie in den Adelsstand zu schätzen wisse, und fügte hinzu, dass er Mussolini mit »großer Bewunderung und tiefer Ergebenheit« gegenüberstehe. Als er die Botschaft des Papstes in einem Brief 267

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an Mussolini weitergab, unterstrich Fedele diese letzten Worte und merkte ausdrücklich an: »Ich gebe Seine Worte verbatim wieder.« Auch habe der Papst seiner »Freude« darüber Ausdruck verliehen, dass »die Bischöfe Italiens, zumindest die meisten, in völliger Harmonie mit der politischen Obrigkeit und mit der Führung der [Faschistischen] Partei handeln«.15 Während die Beziehungen zu Italiens faschistischem Regime überwiegend freundlich blieben, nahm das Misstrauen des Papstes gegenüber den deutschen Absichten nur noch weiter zu. Bei dem jüngsten Vorfall hatte Fritz Menshausen, die »Nummer zwei« in der deutschen Botschaft in Rom, angeblich gespottet: »Ach, der Vatikan! Das ist doch ein Museum, wo wir in ein paar Jahren die Leute zur Besichtigung einlassen werden, für 10 Lire das Billett!«16 Der Papst schickte einen Feldkaplan, um mit dem Duce über diese neuesten Gerüchte zu sprechen. Am 4. Februar traf Pater Giacomo Salza mit dem italienischen Diktator zusammen und sprach mit ihm über die Besorgnis des Papstes. »Aber ich bitte Sie, ehrwürdiger Vater«, antwortete Mussolini, »zwischen dem Vatikan und dem Faschismus gibt es nicht die geringste Inkompatibilität. … Ich bin in Rom, und solange ich hier bin, wird niemand den Vatikan anrühren. Der Vatikan ist beinahe zweitausend Jahre alt. Er wird noch mindestens zweitausend weitere überstehen. Da bin ich mir ganz sicher.«17 Am 9. Februar 1942 verstarb nach langem Herz- und Leberleiden Bernardo Attolico, Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl. Die Totenmesse in der Mutterkirche des Jesuitenordens im Herzen Roms hielt Pater Tacchi Venturi; Kardinal Maglione gehörte ebenfalls zu den Zelebranten. Galeazzo Ciano führte die große Regierungsdelegation an.18 Mussolinis Entscheidung, als Attolicos Nachfolger den 53-jährigen Berufsdiplomaten Raffaele Guariglia zu benennen, wurde im Vatikan sehr begrüßt. Nicht nur galt Guariglia als ein guter, praktizierender Katholik, sondern er und Kardinal Maglione waren beide stolze Söhne Neapels – und alte Freunde.19 Bei der ersten Papstaudienz für den neuen Botschafter Ende Februar gab Pius XII. seinen Sorgen Ausdruck, angefangen mit seiner anhaltenden 268

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Raffaele Guariglia und seine Ehefrau, Francesca Maria Palli, mit Kardinal Maglione nach der Akkreditierung als neuer italienischer Botschafter beim Heiligen Stuhl, 24. Februar 1942.

Nervosität über Gerüchte, dass »jenseits der Alpen«, wie er sich vorsichtig ausdrückte, damit gedroht werde, aus dem Vatikan ein Museum zu machen. Solche Geschichten seien doch lächerlich, erwiderte Guariglia, genauso lächerlich, wie die Drohung es wäre, ganz Italien in ein Museum zu verwandeln. Hiervon etwas beruhigt kehrte der Papst zu dem Thema zurück, auf das er unermüdlich zu sprechen kam, sobald von Deutschland die Rede war: seine eigene große Zuneigung zum deutschen Volk sowie sein Unverständnis darüber, dass die deutsche Führung – oder zumindest ein Teil davon – sich gegen die Kirche gewandt hatte. »Er endete damit«, hielt Guariglia in seinem Bericht über die Audienz fest, »dass er im Gegensatz hierzu sein volles Vertrauen in die politische Weisheit des Duces ausdrückte.«20 Einen Monat später, nachdem der neue Botschafter Treffen mit dem Papst, Kardinal Maglione und dessen Stellvertretern sowie etlichen weiteren 269

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­ ardinälen und Bischöfen absolviert hatte, berichtete Guariglia an Ciano, K was er mittlerweile in Erfahrung gebracht hatte. »Im Umfeld des Vatikans«, schrieb er, »können sie kaum an etwas anderes denken als an die antikatholische Politik des Deutschen Reichs und an die in gewissen deutschen Kreisen verbreiteten Ideen, die auf die Schaffung einer neuen, gewissermaßen ›theo-nazistischen‹ Religion abzielen.« Ihrerseits erklärten die Kirchenführer für »nicht wahr, dass der Vatikan, wie ihm verschiedentlich angelastet wurde, besondere theoretisch oder praktisch begründete Sympathien für die demokratische Staatsform hege, da sich zumindest mit Blick auf Italien die Erkenntnis aufdränge, dass allein der Faschismus für die katholische Kirche jene großen Vorteile gebracht hat, welche die vorangegangenen Regime ihr verwehrt hatten«. Ein Problem entstehe erst, wenn ein totalitärer Staat nicht, wie es das faschistische Regime in Italien tue, seine Kraft aus der katholischen Kirche beziehe, sondern versuche, seine eigene nationale Religion an deren Stelle zu setzen. In seinen Gesprächen im Vatikan begegnete Guariglia immer wieder die Befürchtung, dass Deutschland nach seinem unausweichlichen Sieg versuchen könnte, Italien eine Religionspolitik aufzuzwingen, die seiner eigenen entsprach. Der beste Schutz für die Kirche würde es sein, so die einhellige Meinung der Prälaten, wenn der Heilige Stuhl seine engen Beziehungen zu Mussolini und der faschistischen Regierung bewahrte. Aus diesem Grund riet der neue italienische Botschafter dazu, dass wirklich »alle Bereiche im Vatikan, und nicht nur der Papst und die politischen Entscheidungsträger, ihr volles und aufrichtiges Vertrauen in die politische Strategie des Faschismus und in die Weisheit des Duces – als des Urhebers des Versöhnungsvertrages – legen sollten«. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten über den Osservatore Romano und die bisweilen im Regime Fascista aufflammende Kirchenfeindlichkeit »sind in Wahrheit gar nicht Tatsachen von solcher Natur, dass sie das realistische Verständnis jener breiten Interessengemeinschaft aushöhlen könnten, die zwischen dem faschistischen italienischen Staat und der Kirche von Rom zweifellos besteht, zumal in der gegenwärtigen politischen Situation«.21 Der Papst erhielt weiterhin detaillierte Berichte über Hitlers Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden. Sie stammten nicht nur aus jüdischen 270

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Quellen und Pressemeldungen, sondern auch von Männern der Kirche, die das volle Vertrauen des Papstes besaßen. Am 9. Januar 1942 kehrte Pater Scavizzi, der römische Militärkaplan, von einer weiteren Reise an die Ostfront zurück und gab dem Papst eine weitere haarsträubende Schilderung dessen, was er gesehen hatte.22 »Es ist offenkundig«, berichtete der Priester, dass es die Absicht der Besatzungsmacht ist, so viele Juden wie möglich zu eliminieren. Getötet werden sie auf verschiedene Weise, wobei die am häufigsten verwendete und bekannteste Methode darin besteht, sie in Massen mit Maschinengewehren zu erschießen. Sie [die Deutschen] transportieren Gruppen von Hunderten oder sogar Tausenden Juden aus ihren Wohnorten ab. Sie zwingen sie, eine große Grube auszuheben, mähen sie sie mit ihren Maschinengewehren nieder und werfen die Leichen in die Grube. Die Zahl der getöteten Juden nähert sich inzwischen einer Million.23

»Ein junger deutscher Offizier«, berichtete der Militärseelsorger weiter, »brüstete sich damit, dass er gelernt habe, wie man eine Mutter und ihr Kind mit einem einzigen Schuss tötet.« Nur Augenblicke später hatte der Soldat stolz ein Foto seiner eigenen Frau und seiner Kinder hervorgezogen, um es dem Geistlichen zu zeigen. Als er davon sprach, wie sehr er seine Familie liebte, waren dem Mann Tränen in die Augen gestiegen. Pius XII. vertraute Scavizzi an, er habe in Erwägung gezogen, die Exkommunikation über die Missetäter zu verhängen, die derartige Gräueltaten begingen. Dann habe er sich jedoch dagegen entschieden, weil er glaube, dass das die Massaker nicht beenden, sondern den Judenhass vielleicht sogar noch weiter anfachen würde. Nach ihrem Gespräch ließ Scavizzi dem Papst seinen Augenzeugenbericht auch noch in Schriftform zukommen. Für Hitlers Soldaten in Deutschland, Polen und der Ukraine, schrieb er, »heißt die Parole: ›[die Juden] mitleidlos auslöschen!‹ Die Massenmorde werden allerorten mehr und mehr«. Weitere schreckliche Details sollten folgen. Ende März sandte Pater Scavizzi zusätzliches Belegmaterial an das vatikanische Staatssekretariat und bat darum, es im Osservatore Romano veröffentlichen zu lassen. Der Papst hielt das für unklug: Man sollte besser weder Mussolini noch Hitler gegen sich aufbringen.24 271

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Ebenfalls im März hörte Pius wieder einmal von seinem Nuntius in Bratislava, der ihn von der »unmittelbar bevorstehenden massenhaften Deportation aller slowakischen Juden in Galizien und der Region von Lublin ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder Religion« unterrichtete. Dieser »abscheuliche Plan«, so der Nuntius, sei das Werk von Jozef Tiso, einem katholischen Priester, der seit 1939 Präsident der Slowakischen Republik war, die als Vasallenstaat mit Nazideutschland kollaborierte. Tiso hatte aus eigenem Antrieb die Deportation der slowakischen Juden in die Vernichtungslager angeordnet, ohne dass die Nazis ihn dazu hatten auffordern müssen. Als der Nuntius deswegen Tiso aufsuchte und Protest einlegte, »hat er (der seinen katholischen Glauben bei jeder Gelegenheit zur Schau stellt) sich erdreistet, mir ins Gesicht zu sagen, dass er darin nichts Unmenschliches oder Unchristliches erkennen könne«. Der Nuntius selbst hatte keinen Zweifel, was das Schicksal der deportierten Juden sein würde: »Die Deportation von 80 000 Menschen nach Polen, wo sie den Deutschen schutzlos ausgeliefert sein werden«, schrieb er, »ist für den größten Teil von ihnen gleichbedeutend mit einem sicheren Todesurteil.«25 In Italien richtete sich das Hauptinteresse des Papstes an der »Judenfrage« auch weiterhin weniger auf die im Gang befindliche Verfolgung der Juden des Landes als vielmehr auf die Anwendung der geltenden Rassengesetze auf getaufte Juden und die getauften Kinder aus »Mischehen«, womit in vatikanischen Dokumenten meist Ehen zwischen Katholiken gemeint sind, von denen eine(r) zuvor vom Judentum konvertiert war. Mehrfach schickte Kardinal Maglione Pater Tacchi Venturi zu Mussolinis Staatssekretär, um Protest einzulegen gegen die »unfaire« Anwendung antijüdischer Gesetze auf Personen, die nach kirchlicher Auffassung Katholiken waren. Beim Treffen mit dem jesuitischen Abgesandten des Papstes Ende März hatte es so gewirkt, als wäre besagter Staatssekretär im Innenministerium, Buffarini, mit einer Nachbesserung der Rassengesetzgebung einverstan­ den, sodass »die gesamte Familie, wenn einer der beiden Ehepartner der arischen Rasse angehört, als arisch« gegolten hätte. Dann jedoch machte Buffarini einen Rückzieher. »Wegen dieser rigiden Anwendung [der Rassengesetze]«, klagte der Jesuitenpater, »wurden und werden unzählige Katholiken und ihre Nachkommen behandelt wie reinrassige Juden!«26 272

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Kapitel 23

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A

n einem Tag im Frühling tauchten die ersten Männer in dunklen Anzügen im Vatikan auf und schleppten ihre sperrige Filmausrüstung durch die Gegend. Bald waren sie überall, wie es schien, stellten ihre Stative und Scheinwerfer in den freskengeschmückten Sälen des Apostolischen Palastes auf, im Petersdom, im Damasus-Hof und entlang der Spazierwege durch die Vatikanischen Gärten. Ein seltsamer Anblick war es, eine so große Zahl von Laien mit schweren Kameras und anderem Gerät durch die heiligen Hallen des Vatikans hasten zu sehen, und doch hatte der sonst so asketische Papst selbst diesem nie dagewesenen Einbruch der glitzernden Kinowelt in die zeitlose Sphäre des Vatikans zugestimmt. Wie der hieraus entstehende Film gleich zu Beginn dem Betrachter in Großbuchstaben erklärte, hatte ein irischer Bischof im 12. Jahrhundert prophezeit, dass der 262. Nachfolger des heiligen Petrus als »Pastor Angelicus« bekannt werden würde. Ende 1941 hatte deshalb Pius XII., um dieses Image des päpstlichen Friedensstifters inmitten des Krieges zu stärken, seine Zustimmung zu dieser ambitionierten hagiografischen Darstellung in Spielfilmlänge gegeben. Der Drehort des Pastor Angelicus betitelten Films war der Vatikan, und die Hauptrolle spielte der Papst selbst.1 Im Osservatore Romano war das Filmprojekt im Dezember angekündigt worden: »Der Betrachter, der sich daranmacht, diese gewaltige Dokumentation über Pius XII. anzuschauen, sollte das mit derselben Achtung und Ehrerbietung, dem Glauben und der Verehrung tun, welche die Seele eines jeden Katholiken bewegen sollten, sobald er des Stellvertreters Gottes auf Erden ansichtig wird. Und tatsächlich: Aus seinem Antlitz, aus dem ernsten und erhabenen Handeln des vicarius Christi strömen Licht und Güte im Überfluss.« Die Vatikanzeitung ging davon aus, dass für denjenigen, der 273

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das große Glück haben werde, beim Betrachten des Films die Präsenz des Heiligen Vaters zu erleben, »die emotionale Wucht … unmittelbar sein wird«.2 Im Frühjahr 1942 folgten also Kamerateams dem Papst auf Schritt und Tritt durch seinen Tag: wenn er zur Audienz auf seinem Thron saß, durch die Vatikanischen Gärten spazierte, sich mit den Klerikern in seinem Gefolge beriet, seine weiß gewandeten Arme hob, um eine Menschenmenge zu segnen, oder wenn er seine Hand ausstreckte, damit eine dankbare kniende Frau im schwarzen Schleier sie küssen konnte. Die Dreharbeiten fielen zeitlich mit einer ambitionierten Kampagne zusammen, die der Vatikan angestrengt hatte, um das Image des Papstes als eines heiligmäßigen Mannes aufzupolieren. Den Anlass für eine ganze Reihe größerer öffentlicher Auftritte lieferte das 25-jährige Jubiläum von Eugenio Pacellis Bischofsweihe. Im März, am Jahrestag seiner Krönung zum Papst, gab der Vatikan eine Gedenkmedaille heraus. Die Medaille zeigte auf der einen Seite das unverwechselbare Profil des Papstes, auf der anderen Jesus mit einem Heiligenschein. Für den Monat darauf sahen die Pläne zu den Jubiläumsfeierlichkeiten unter anderem die Grundsteinlegung für eine Kirche vor, die seinem Namenspatron, dem wenig bekannten Papst Eugen I. aus dem 7. Jahrhundert, geweiht wurde. Der italienische Diktator gehörte zu den vielen Spendern, die Mittel zum Bau dieser Kirche bereitstellten.3 Während die Kameraleute damit beschäftigt waren, die Szenen für ihren Film auszuarbeiten, erhielt dessen Hauptdarsteller immer alarmierendere Nachrichten über die deutsche Vernichtungskampagne gegen Europas Juden. Im Mai erstattete ihm der italienische Militärkaplan Pater Scavizzi einen weiteren Schreckensbericht, nachdem er von seinem letzten Besuch an der Ostfront zurückgekehrt war. »Das Massaker an den Juden in der Ukraine«, teilte er dem Papst mit, »ist jetzt vollbracht. In Polen und Deutschland wollen sie mit ihrem systematischen Massenmord nun auch zu einem Ende kommen.«4 Monsignore Orsenigo, der langjährige päpstliche Nuntius in Berlin, dem das Schicksal der Juden durchaus bewusst war, schien dennoch nicht allzu besorgt. Dem Sekretär der italienischen Botschaft in Berlin gegenüber äußerte er, er habe mehrmals versucht zu intervenieren, »um das Vorgehen 274

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gegen die Juden, oder wenigstens gegen die christlichen Juden, abzumildern«, sei dabei jedoch erfolglos geblieben. Der Botschaftssekretär informierte Ciano über dieses Gespräch, nicht ohne zu erwähnen, dass »der Nuntius es nicht versäumt habe, die Juden darauf hinzuweisen, dass ihr eigener übertriebener Sinn für Rasse nun gegen sie gewendet wird«. Das Wohlwollen, das der Nuntius Hitler entgegenbrachte, hatte der italienische Botschafter in Berlin schon früher bemerkt. »Orsenigo«, berichtete er dann auch, »wird vom Führer respektiert und geschätzt.«5 Der Nuntius tat sein Bestes, um Befürchtungen zu zerstreuen, die Nazis wollten eine eigene neue Religion aus der Taufe heben; diese Gerüchte, erklärte Orsenigo mit Nachdruck, seien maßlos übertrieben. Einem italienischen Diplomaten sagte er in Berlin, dass zwar ein paar Nazis eine solche Entwicklung bedauerlicherweise begrüßen würden, doch selbst »im Schoße der nationalsozialistischen Bewegung« gebe es viele »vernünftige Leute, mit denen man reden kann«. Mit 40 bis 45 Millionen Katholiken im jüngst erweiterten Reich, fügte er hinzu, wäre es für Hitler geradezu selbstmörderisch, sich gegen die Kirche zu wenden.6 In Italien hatte Mussolini kurz zuvor angeordnet, dass die Juden zum Dienst in Arbeitsbrigaden verpflichtet werden sollten. Es sei skandalös, dass jüdische Männer unbehelligt zu Hause säßen, während gut katholische Italiener auf dem Schlachtfeld ihr Leben riskierten. (Die Rassengesetze hatten Juden vom Dienst in der italienischen Armee ausgeschlossen.) Bald erschienen in den Zeitungen Fotos von römischen Juden, die mit nacktem Oberkörper Schwerstarbeit am Ufer des Tibers verrichteten. Diese Aufnahmen verstörten Kardinal Maglione so sehr, dass er Pater Tacchi Venturi losschickte, um mit den Verantwortlichen über diese neue Maßnahme zu sprechen. Antonio Le Pera, der Leiter der Generaldirektion für Rasse und Demografie, versicherte dem Pater, dass entgegen den Zeitungsberichten Angehörige der »vornehmeren Berufe, wie etwa Ärzte, Rechtsanwälte oder Buchhalter«, keineswegs zu entwürdigender physischer Arbeit herangezogen würden. Vielmehr bleibe diese auf Juden von geringem Stand beschränkt. Anschließend sprach der Jesuit auch noch mit Le Peras Vorgesetztem, dem Staatssekretär im Innenministerium, Guido Buffarini. Diesem drückte er sein Missfallen darüber aus, die römischen Juden derart erniedrigt zu sehen, und forderte, dass, »falls diese An275

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ordnung um jeden Preis in die Tat umgesetzt werden sollte, bei der Zwangsarbeit zumindest eine strikte Trennung angeordnet werden müsse zwischen denjenigen Juden, die Christen geworden waren, und jenen, welche Juden geblieben waren«.7 Die faschistische Presse veröffentlichte immer wieder Artikel, in denen die judenfeindlichen Maßnahmen damit gerechtfertigt wurden, dass die katholische Kirche genau dieses Vorgehen schon immer befürwortet habe. Ein Artikel, der im Juli in Mussolinis Popolo d’Italia erschien, befasste sich eingehend mit einer kürzlich in Mailand gehaltenen Rede Farinaccis, bei der dieser Sätze aus dem Talmud laut vorgelesen hatte, die er als dessen »Maximen« identifiziert hatte. »Italien wie Deutschland«, heißt es in dem Artikel, »konnten sich durch eine lange antijüdische Tradition inspirieren lassen …, die von der katholischen Kirche selbst genährt worden ist, durch die Lehrsätze ihrer Päpste und die Beschlüsse ihrer Konzilien.« Ein Foto zeigte Farinacci bei seiner Rede vor einem voll besetzten Saal, der mit Hakenkreuzfahnen und japanischen Flaggen dekoriert war. Eine Woche später wiederholte Farinacci in seiner eigenen Zeitung Il Regime Fascista, was zu einer Art persönlichem Refrain geworden war: »Wir, die faschistischen Katholiken, sind antijüdisch, weil wir von den gelehrten Doctores und Heiligen der Kirche gelernt haben, diese Feinde der christlichen Zivilisation zu bekämpfen.«8 In der katholischen Presse Italiens erschienen derweil Berichte über die Razzien, bei denen vor Kurzem in Paris von der französischen Polizei 20 000 Juden festgenommen worden waren, denen Konzentrationslager und Tod in Polen vorbestimmt waren. Einige Tage darauf versammelten sich die französischen Kardinäle und Erzbischöfe zur Beratung über das Geschehen, doch die Minderheit, die öffentlich protestieren wollte, wurde letztlich überstimmt. Stattdessen schrieb der Erzbischof von Paris einen privaten Brief an Marschall Pétain und teilte diesem die Besorgnis der Bischöfe mit.9 Mit dem Erfolg, den die neue Offensive der Achsenmächte in Nordafrika verbuchen konnte, und den regelmäßigen Meldungen über alliierte Handelsschiffe, die im Atlantik durch deutsche U-Boote versenkt wurden, 276

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brachte der Sommer 1942 für Mussolini eine Fülle von guten Nachrichten. Nach Monaten eher pessimistischer Stimmung meldeten seine Spitzel nun, dass die Kriegsmoral im Volk wieder steige. Wenn die Deutschen jetzt noch Ägypten einnähmen, stellte Präsident Roosevelt um dieselbe Zeit fest, dann hätten die Nazis und ihre japanischen Verbündeten einen gewaltigen Streifen Land und Wasser unter ihre Kontrolle gebracht, der sich vom Atlantik bis zum Pazifik erstreckte.10 Zugleich mit den Berichten über deutsche Erfolge in Nordafrika gingen auch neue Nachrichten über den Massenmord an der Zivilbevölkerung in Mittel- und Osteuropa ein. D’Arcy Osborne, der britische Gesandte beim

Roberto Farinacci.

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Heiligen Stuhl, erneuerte seine dringlichen Bitten an den Papst, hiergegen das Wort zu ergreifen – doch all seine Bemühungen waren vergeblich, wie er am 12. Juli nach London meldete. Es sei zwecklos, den Papst gegen die Gräueltaten protestieren zu lassen, hatte Kardinal Maglione vorgebracht, weil die Deutschen dann einfach bestreiten würden, dass die Berichte wahr seien. Dabei hatte Osborne den Eindruck, dass dem Kardinal selbst das Schweigen des Papstes unangenehm war: »Er muss die Politik des Papstes verteidigen, ganz egal, ob er sie befürwortet oder nicht.« Ein Beamter des Londoner Außenministeriums vermerkte handschriftlich auf Osbornes Rapport: »Kleinmut des Papstes wird offenbar immer jämmerlicher.«11 Während Kardinal Maglione zunehmend in Verlegenheit geriet, geriet sein Stellvertreter, Monsignore Tardini, langsam in Rage – aber nicht dem Papst gegenüber. Vielmehr war es der endlose Strom auswärtiger Diplomaten, die sich bei ihm darüber beschwerten, dass der Papst die Naziverbrechen nicht klar verurteilte, der an Tardinis Nerven nagte. So wurde etwa der polnische Botschafter erneut vorstellig und bat – in den Worten des Monsignore – »zum zigsten Mal darum, dass der Heilige Stuhl sich öffentlich zugunsten der Polen und gegen die schreckliche Verfolgung, unter der sie zu leiden haben, aussprechen möge«. Am nächsten Tag war es Osborne, der den Monsignore beehrte, um »mehr oder weniger dasselbe zu sagen«. Beiden Männern antwortete Tardini auch dasselbe: Nach der Überzeugung des Heiligen Stuhls sei es am wirksamsten, auf privaten Wegen und diskret vorzugehen. Jede öffentliche Stellungnahme berge die Gefahr, diese wertvollen Bemühungen zu kompromittieren.12 Tardinis Irritation wuchs gewiss noch, als Osborne ihm einen Brief zur Kenntnis gab, den ihm angeblich ein »Freund« im Außenministerium geschrieben hatte, der in Wahrheit jedoch die Sichtweise des Ministeriums selbst widerspiegelte. Mit diesem bemerkenswerten Winkelzug vermied er es, den Brief als ein offizielles Schreiben des Außenministeriums zu präsentieren. »Seit dem Eintritt Italiens in den Krieg«, hieß es darin, hat der Papst sich zunehmend damit abgefunden, als der Souverän eines kleinen neutralen Staates in geografischer Nachbarschaft zu den Achsenmächten aufzutreten, und hat es aus eher weltlichen denn spirituellen Gründen zugelassen, dass er selbst, ebenso wie andere, drangsaliert wurde. Kurz gesagt

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scheint es uns, dass Seine Heiligkeit nicht sehr erfolgreich darin ist, seine moralische und spirituelle Führungsrolle zu verteidigen – und das, obwohl ihm doch klar sein sollte, dass in Hitlers neuer Weltordnung kein Platz mehr für die katholische Religion sein wird und dass, wenn das Papsttum weiter schweigt, auch die freien Nationen kaum die Macht haben werden, den Antiklerikalismus einzudämmen, der auf den Krieg folgen mag.

Eine Notiz, die am folgenden Tag handschriftlich auf dem Schreiben angebracht wurde, vermerkt: »vom Heiligen Vater zur Kenntnis genommen«.13 Eine Woche darauf unternahm Osborne den ungewöhnlichen Schritt, einen Brief direkt an den Papst zu richten. Wieder griff er zu der Finte, seine schärfsten Worte einer anderen Person in den Mund zu legen: In dem als »persönlich und vertraulich« gekennzeichneten Schreiben übermittelte er dem Papst in Auszügen einen Brief, den er seinerseits »von einer sehr guten Freundin aus England« erhalten haben wollte, einer »frommen Katholikin und Mutter von sechs Kindern«. Diese habe ihm also geschrieben: Der Vatikan hat hierzulande gerade einen äußerst schlechten Ruf, wie mir scheint, und zwar nicht nur bei den Protestanten! … Was niemand hier versteht, ist, warum Seine Heiligkeit immer weiter davon redet, wie die Menschen handeln sollten, anstatt eine gewisse Orientierung dadurch zu geben, dass er verurteilt, wie sie tatsächlich handeln. Warum spricht er nicht frei heraus, und nennt dabei Ross und Reiter, über das wirklich schockierende Schicksal der Polen, Juden, Tschechen etc. unter den Deutschen?

Nichts deutet darauf hin, dass der Papst Osbornes Brief beantwortet hat, doch lässt eine womöglich von Tardini stammende Bleistiftnotiz am Rand vermuten, dass er auf einem rasch anwachsenden Stapel abgelegt wurde: »Druck auf den Heiligen Vater, sich gegen die deutsche Barbarei zu äußern«, heißt es dort lapidar.14 Als Osborne am Abend, bevor er seinen Brief absandte, wie üblich einen Spaziergang durch die Vatikanischen Gärten machte, wurde er Zeuge einer seltsamen Szene: Die Kapelle der Palatingarde marschierte auf einem kleinen Pfad immer rund um die Hügelkuppe hinter dem Petersdom. Zuerst wusste der Brite nicht, was er davon halten sollte, doch dann begriff er, dass 279

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hier Dreharbeiten für den Pastor Angelicus stattfanden. »Ich finde das sehr bedauerlich«, notierte Osborne in seinem Tagebuch, »es riecht viel zu sehr nach Hollywood-Publicity.« Je mehr der Papst sich unter Druck gesetzt fühle, »fürchte ich, dass der Heilige Vater seine Frustration dadurch kompensiert, dass er es mit dem Pastor Angelicus dann doch übertreibt. … Aber warum nur verurteilt er nicht die deutschen Gräueltaten gegen die Bevölkerung in den besetzten Gebieten?«15 Sie war großgewachsen, schlank und attraktiv: Verständlich, dass die 36-jährige Prinzessin Marie José von Belgien Aufsehen erregte, als sie ganz allein im Apostolischen Palast erschien (ihren Fahrer ließ sie draußen ­warten). Sie war gekommen, um eine dringende, geheime Bitte vorzubringen. Vielleicht war es ganz passend, dass in diesem Palast voller Männer ausgerechnet sie, die Ehefrau von Umberto, dem Sohn und Erben des italienischen Königs, als Erste den Papst um seine Mithilfe ersuchte, um Italien von Mussolini zu befreien und das Land aus dem Krieg herauszuziehen. Eine besondere Ironie lag freilich schon darin, denn immerhin war ihre Schwägerin Mafalda mit dem Nazi-Prinzen Philipp von Hessen verheiratet, Hitlers geheimem Emissär zum Papst. Die Heirat zwischen Prinz Umberto von Savoyen und Marie José, der Tochter des früheren belgischen Königs und Schwester des aktuellen, der von den Deutschen unter Hausarrest gestellt worden war, stand in einer langen Tradition von Heiratsallianzen innerhalb des europäischen Hochadels. Marie José förderte nicht nur die Künste und Wissenschaften, namentlich die Archäologie, sie war auch stark politisch interessiert – was weder der Papst noch der König bei einer Frau für wünschenswert hielten. Die Prinzessin hatte unter den italienischen Intellektuellen, die Mussolini und seinem Bündnis mit Hitler kritisch gegenüberstanden, ein dichtes Netzwerk von Kontakten geknüpft, und unterhielt auch gute Beziehungen zur italienischen Militärführung. »Sie hasst die Deutschen aus ganzer Seele«, hatte Ciano nach einem ihrer Besuche Ende 1939 in seinem Tagebuch notiert.16 Ein paar Monate nachdem Hitlers Truppen im Frühjahr 1940 Belgien besetzt hatten, war Marie José im Auftrag ihres Bruders nach Deutschland gereist, um im persönlichen Gespräch mit dem deutschen Diktator eine 280

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Prinzessin Marie José und der italienische Kronprinz Umberto, 1939.

bessere Behandlung ihres Heimatlandes zu erreichen.17 Nach der Schilderung, die sie von dieser Begegnung gab, hatte Hitler ihre Hand genommen und gesagt: »Wissen Sie, dass Sie das Musterbild einer arischen Prinzessin sind? Ihre Augen haben die Farbe des deutschen Himmels.« Doch so ergriffen, dass er auf ihre Bitten eingegangen wäre, war er dann doch nicht gewesen. Bei ihrer Rückkehr nach Italien war Marie José von dem NS-­ Regime noch angewiderter als zuvor und noch fester überzeugt, dass Italien sich aus diesem Krieg zurückziehen sollte. In der italienischen Oberschicht und den höheren Rängen des Militärs gab es einige, denen die Monarchie als einzige Hoffnung zur Absetzung Mussolinis erschien und 281

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die unzufrieden damit waren, dass weder der König noch sein Sohn Umberto davon etwas hören wollten. Für sie war Marie José zum Mittelpunkt eines lose geknüpften Netzwerks geworden. Ihr Schwiegervater nahm es ihr übel, dass sie sich in die Politik einmischte, doch machte sich die Prinzessin keinerlei Illusionen darüber, wie wenig Einfluss sie auf Vittorio Emanuele ausübte. Ihren Gatten hielt sie über ihre Aktivitäten vermutlich auf dem Laufenden, jedoch war klar, dass dieser nichts gegen den Willen seines Vaters unternehmen würde. Den Besuch der Prinzessin im Vatikan hatten Berichte ausgelöst, wonach Myron Taylor, der Abgesandte Präsident Roosevelts beim Heiligen Stuhl, kurz vor der Rückkehr nach Rom stehe. Um dem Papst ihre Botschaft zu übermitteln, arrangierte Marie José eine Unterredung mit Monsignore Montini, der dem Papst bekanntermaßen besonders nahestand. Montini gegenüber erklärte sie, dass sie aus eigenem Antrieb gekommen sei, und bat darum, dass Pius XII. den amerikanischen Gesandten wissen lassen möge, dass das italienische Volk den Krieg beenden wolle und bereit sei, zu diesem Zweck einen neuen Staatsführer zu unterstützen. Warnend merkte sie an, dass die Amerikaner Verhandlungen über einen Kriegsaustritt Italiens auf keinen Fall mit dem inneren Kreis um den Duce führen dürften. Da gebe es andere Männer, Männer mit Verbindungen zum Militär, die in einem solchen Fall das Ruder übernehmen könnten. Sie nannte verschiedene Personen, von denen sie glaubte, dass die Alliierten mit ihnen würden reden können, und die mit Unterstützung der Kirche auch das Vertrauen der Italiener würden gewinnen können. Die Alternative, meinte die Prinzessin, sei nicht nur eine Fortsetzung von Krieg und Leid, sondern irgendwann auch die Gefahr einer »anarchistischen Revolution«, wie sie es nannte. Es sei im Interesse sowohl der königlichen Familie als auch der Kirche, einen derartigen Volksaufstand mit seinen unabsehbaren Konsequenzen zu vermeiden. Wir wissen nicht, ob Prinz Umberto im Voraus von dem Vatikanbesuch seiner Frau wusste; sein Vater war ganz sicher nicht darüber informiert. Als man den König im Nachhinein in Kenntnis setzte, stieß Vittorio Emanuele, der Nachkomme einer langen Reihe von Antiklerikalen, im piemontesischen Dialekt aus: »Ich will keine Pfaffen, die mir zwischen den Füßen sind!« Da hätte er unbesorgt sein können: Pius XII. war zwar keineswegs 282

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glücklich über die fortgesetzte Kriegsbeteiligung Italiens, machte jedoch keinerlei Anstalten, den Plan der Prinzessin aufzugreifen und irgendetwas zu unternehmen, das zum Sturz Mussolinis hätte beitragen können. Montini blieb jedoch mit Marie José in Kontakt und traf sich im Lauf der folgenden Monate noch mehrere Male im Geheimen mit ihr – etwas, das er ohne den Segen des Papstes vermutlich nicht getan hätte. Diese Treffen fanden nicht im Vatikan statt, wo die Augen und Ohren der Polizeispitzel überall lauerten, sondern in Privathäusern in Rom. Nach der Darstellung der Prinzessin kam sie zu diesen Rendezvous inkognito in einem neutralen Wagen und trug eine große Sonnenbrille und ein Kopftuch. Montinis Berichte über diese Treffen, so sie denn existieren, sind bislang noch nicht aufgefunden worden.18 Dem Papst war keine Atempause vergönnt: Unaufhörlich sah er sich dem Druck ausgesetzt, seine Stimme gegen die deutschen Gräueltaten zu erheben, deren ganzes Ausmaß nach und nach deutlich wurde. Kurze Zeit nach dem Besuch der Prinzessin versuchte Monsignore Montini, die neuerlich vorgetragenen Beschwerden des britischen Gesandten abzuwehren, indem er ihn auf einen Artikel in einer Schweizer Zeitung verwies, der das Thema »Die vatikanische Politik im Zweiten Krieg« behandelte. Der Monsignore habe ihm damit zweifellos zu verstehen geben wollen, berichtete Osborne nach London, dass dieser Artikel die politische Linie des Papstes zutreffend wiedergebe. Als Leitmotiv des Artikels bezeichnete Osborne das Insistieren auf der politischen wie moralischen Neutralität des Vatikans im Interesse einer »Bewahrung der Freiheit der Kirche und ihrer Hierarchie, ihrer Mitglieder und ihres Glaubensbekenntnisses«. Dort heißt es, dass das Recht, einen moralischen Standpunkt zu vertreten, den politischen Erfordernissen untergeordnet ist. … Hier haben wir das Eingeständnis, dass der moralische Führungsanspruch des Heiligen Stuhls von opportunistischen Nützlichkeitserwägungen konditioniert wird. Das bedeutet beispielsweise, dass der Papst die Religionsverfolgung durch die Nazis nicht verdammt, weil sich das Los der betroffenen Katholiken verschlechtern könnte, wenn er es täte. … (Dies ist ein Lieblingsargument des Vatikans.)

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Osborne beschloss seinen Bericht mit einem scharfen Urteil: »Jedoch muss ein moralischer Führungsanspruch, dessen Ausübung von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt wird, seine Berechtigung einbüßen, und genau das ist hier geschehen. … Ich habe oft darauf hingewiesen, und werde es auch weiterhin tun, dass die päpstliche Politik des Schweigens und der Neutralität um jeden Preis die moralische Autorität des Vatikans zerstört.«19 Unter den neuen Berichten über den Massenmord an den europäischen Juden, die beim Papst eingingen, stammte einer aus besonders verlässlicher Quelle: Der Erzbischof der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine wendete sich Ende August 1942 in einem persönlichen Brief an den Papst, um ihm das »teuflische« Wüten der deutschen Besatzer in der Ukraine zu schildern: Die Juden sind die ersten Opfer. Die Zahl der Juden, die allein in unserem kleinen Gebiet getötet worden sind, hat 200 000 mit Sicherheit überstiegen. Mit dem Vorrücken der [deutschen] Armee nach Osten steigt die Zahl der Opfer. In Kiew haben sie binnen einiger Tage nicht weniger als 130 000 Männer, Frauen und Kinder exekutiert. Alle kleinen Städte der Ukraine haben ähnliche Massaker erlebt. … Mit der Zeit haben sie begonnen, die Juden auf den Straßen zu töten, vor aller Augen und ohne jedes Schamgefühl.20

Auch aus den italienischen Konzentrationslagern, wo seit Einführung der faschistischen Rassengesetze vier Jahre zuvor ausländische Juden zusammengepfercht wurden, erreichten Berichte den Vatikan. Am 10. September schilderte ein Franziskanermönch im Vatikan, was er kürzlich bei seinem Besuch des Konzentrationslagers im kalabrischen Ferramonti gesehen hatte. Dort wurden 1400 ausländische Juden festgehalten, die sich auf ein paar Dutzend Baracken verteilten. Sie hatten ein gewisses Maß an Selbstverwaltung aufgebaut, organisierten ihr religiöses Leben selbst und hatten eine Schule für die Kinder eingerichtet. Jetzt sorgte die Nachricht für Panik, dass unlängst Massendeportationen von deutschen Juden, die in Frankreich lebten, in Todeslager in Polen stattgefunden hatten. Der Priester versuchte vergebens, die Juden in Ferramonti zu beruhigen, indem er ihnen versicherte, es bestehe keine unmittelbare Gefahr, dass ihnen das284

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selbe Schicksal drohe. Dabei erschienen ihm selbst ihre Ängste nur zu verständlich. Ihnen war eben bewusst, dass die Deportation einen nicht in Worte zu fassenden Tod bedeutete.21 Um dieselbe Zeit erhielt der Papst noch einen weiteren Bericht aus erster Hand, der das Schicksal der polnischen Juden betraf, als nämlich Giovanni Malvezzi, ein prominenter italienischer Katholik, bei Monsignore Montini vorsprach. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vizedirektor der gigantischen staatlichen Holdinggesellschaft, über die Mussolini einen großen Teil der italienischen Wirtschaft dirigierte, war Malvezzi kurz zuvor nach Polen gereist. »Die Massaker an den Juden«, notierte der spätere Papst nach diesem Treffen, »haben schreckliche Ausmaße und schreckliche Formen angenommen. Ein unglaubliches Schlachten, Tag für Tag.«22 Schon zwei Monate zuvor hatte der brasilianische Botschafter beim Heiligen Stuhl, frustriert durch die Weigerung Pius’ XII., die deutschen Verbrechen zu verurteilen, eine koordinierte Aktion gleichgesinnter diplomatischer Vertreter angeregt. Nachdem die Kollegen hierfür die Erlaubnis ihrer Regierungen eingeholt hatten, gingen nach und nach ihre Appelle im Vatikan ein.23 Am 12. September 1942 begaben sich der belgische und der polnische Botschafter zum Apostolischen Palast, um ihren gemeinsamen Appell zu überreichen. Als sie mit Monsignore Tardini zusammentrafen, konnten sie ihm berichten, dass auch die Vertreter der anderen deutsch besetzten Staaten – Niederlande, Norwegen, Tschechoslowakei und Jugoslawien – ihre Botschaft mit unterzeichnet hatten.24 Zwei Tage darauf war Osborne an der Reihe. Er übersandte den britischen Appell in Briefform an Kardinal Maglione: »Ich wurde von meiner Regierung angewiesen, darauf zu drängen, dass Seine Heiligkeit der Papst sorgsam die Zweckmäßigkeit erwägen möge, die eine öffentliche und ausdrückliche Verurteilung des Vorgehens der Nazis gegen die Bevölkerung der Länder unter deutscher Besatzung haben könnte.« Nachdem er die unspezifischen Äußerungen des Papstes über Kriegsverbrechen als wenig hilfreich abgetan hatte, schlug Osborne einen warnenden Ton an: »Eine Politik des Schweigens im Angesicht derartiger Verbrechen gegen das Gewissen der Welt muss notwendigerweise zur Aufgabe des moralischen Führungsanspruchs führen und wird in der Folge den Einfluss und die Autorität des Vatikans schwinden lassen.« Am selben Tag übermittelte 285

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auch der amerikanische Gesandte Harold Tittmann einen ähnlichen Appell im Namen der US-Regierung.25 »Sogar Peru!«, notierte der verzweifelte Tardini, als Ende des Monats die letzten Schreiben dieser Art eingingen. Eine andere handschriftliche Notiz in der dicken Akte, die das Staatssekretariat zu dem Vorgang angelegt hatte, lautete: »Kaum jemand fehlt in diesem Chor.«26 Am 19. September hatte Roosevelts Gesandter Myron Taylor eine Audienz bei Pius XII. Es war sein erstes Treffen mit dem Papst, seitdem die Vereinigten Staaten neun Monate zuvor in den Krieg eingetreten waren, und es dauerte beinahe zwei Stunden. Taylor hatte den Eindruck, dass Pius sich bester Gesundheit erfreute, nur etwas dünner sei er geworden, »was seine asketische Erscheinung noch verstärkt«. In dieser ersten Audienz wollte der Gesandte dem Pontifex vor allem eines vermitteln: die Zuversicht seines Landes, dass es den Krieg gewinnen werde. In diesem Sinne wies Taylor etwa auf die gewaltigen materiellen Ressourcen hin, über die sein Land verfügte, während die Ressourcen seiner Feinde beständig abnahmen. Er argumentierte auch damit, dass im Fall eines Sieges der Achsenmächte »von einem christlichen Abendland überhaupt nicht mehr die Rede sein« könne. Aber er bemühte sich darum, sorgsam zwischen der amerikanischen Haltung gegenüber Deutschland und gegenüber Italien zu unterscheiden: In den Vereinigten Staaten richte sich der öffentliche Unmut fast ausschließlich gegen Deutschland und Japan; über Italien höre man dagegen kaum je ein böses Wort. Wenn Italien sich jetzt von seinem Bündnis mit Hitler lossagte, würde es vielleicht noch dem Schicksal entgehen, das eines Tages den besiegten Achsenmächten bevorstünde. Präsident Roosevelt hatte noch eine weitere Botschaft für Pius XII., die Taylor dem Papst in Form eines zehnseitigen Memorandums überreichte. Wie es darin hieß, bestand Grund zu der Annahme, dass »unsere Feinde, die Achsenmächte, über gewundene Kanäle versuchen werden, den Heiligen Stuhl dazu zu drängen, in naher Zukunft Vorschläge zu einem Frieden ohne Sieg zu befürworten. Angesichts der gegenwärtigen Position der Kriegsparteien können wir uns gut vorstellen, welch starken Druck die Achsenmächte unter Umständen auf den Vatikan ausüben werden.« In 286

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einer Situation, da deutsche Truppen einen großen Teil Europas besetzt hielten, könne eine solche Friedenskonferenz letztlich nur damit enden, Hitlers Eroberungen zu ratifizieren. Roosevelt wollte deshalb sicherstellen, dass der Papst solchem Druck widerstehen würde.27 Drei Tage später traf Taylor erneut mit Pius zusammen und überreichte ihm eine Dokumentation der deutschen Gräueltaten. »Weithin herrscht der Glaube«, sagte ihm Taylor, »dass Ihr Wort der Verurteilung alle anderen ermutigen würde, die darauf hinarbeiten, diese Tausende vor Leid und Tod zu bewahren.«28 Seinen Appell ergänzte der Gesandte um ein umfangreiches Memorandum zu dem fortgesetzten Massenmord an den polnischen Juden, das an Kardinal Maglione gerichtete war. Darin wurde ein schreckliches Bild gezeichnet:

Myron Taylor bei seiner Rückkehr aus Europa, New York, Oktober 1942.

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Die Liquidierung des Warschauer Ghettos ist im vollen Gange. Unterschiedslos alle Juden, ungeachtet ihres Alters oder Geschlechts, werden in Gruppen aus dem Ghetto gebracht und erschossen. Ihre Körper werden zur Fettgewinnung verwertet und ihre Knochen zur Herstellung von Düngemittel. … Juden, die man aus Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich und der Slowakei deportiert hat, werden zur Schlachtbank geführt. … Da ein solches Schlachten im Westen viel Aufmerksamkeit erregen würde, müssen sie sie zunächst in den Osten deportieren, wo Außenstehende weniger Möglichkeit haben, in diese Vorgänge Einblick zu erlangen. Im Verlauf der letzten Wochen ist ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung, die nach Litauen und Lublin deportiert wurde, bereits umgebracht worden. … Vorkehrungen für neue Deportationen werden getroffen, sobald durch die Morde Platz geschaffen wurde. Lange Züge voller Deportierter in Viehwaggons sind ein häufiger Anblick.

Taylors Memorandum schloss mit den Worten: »Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Eure Eminenz mir mitteilen könnte, ob der Vatikan über irgendwelche Informationen verfügt, durch welche die in dieser Denkschrift enthaltenen Berichte bestätigt werden könnten. Falls dem so wäre, würde ich gerne erfahren, ob der Heilige Vater Vorschläge dazu hat, wie man, auf ganz praktischer Ebene, die Kräfte der zivilisierten Öffentlichkeit mobilisieren könnte, um eine Fortsetzung dieser Barbarei zu unterbinden.«29 Obwohl ein Vermerk in den jetzt zugänglichen Akten des Staatssekretariats belegt, dass der Papst dieses Memorandum sofort nach dessen Übergabe las, ließ er sich mit seiner Antwort Zeit. Eine handschriftliche Anmerkung auf dem Dokument, die vom 30. September datiert, beantwortete die Frage, ob dem Vatikan Berichte über den Massenmord an den Juden vorlägen. Sie lautet: »Es gibt den von Signor Malvezzi«, womit der kürzlich eingegangene Bericht des italienischen Wirtschaftsbosses über seine Polenreise gemeint ist. Tatsächlich hatte der Papst noch viele weitere derartige Berichte erhalten, so etwa den des ukrainischen Erzbischofs oder die detaillierten Schilderungen, die Don Scavizzi von der Ostfront geliefert hatte. Taylor sollte Rom verlassen, bevor er Antwort auf seine Fragen erhalten hatte.30 Einige Tage nach seiner Abreise machte sich sein Assistent Harold 288

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Tittmann, der jetzt in der Vatikanstadt wohnte, auf den Weg zum Apostolischen Palast, um der Angelegenheit nachzugehen. Laut einer Notiz in den Akten des Staatssekretariats sprach der amerikanische Gesandte vor »mit der inständigen Bitte um eine Antwort, egal zu welcher Stunde, auf das Memorandum über die Morde an den Juden, welches Seine Exzellenz Myron Taylor hinterlassen hat«.31 Am Tag darauf, es war der 2. Oktober 1942, äußerte Monsignore Dell’Acqua, den der Papst im Staatssekretariat für den Experten in jüdischen Angelegenheiten hielt, seinen Rat bezüglich einer Antwort.32 Über die folgenden Jahre sollten Dell’Acquas antisemitische Kommentare noch viele Schriftstücke prägen, die in Reaktion auf Bitten an den Papst zur Parteinahme für die verfolgten Juden entstanden. Dem Monsignore selbst stand eine glänzende Kirchenkarriere bevor: 1953 wurde er Monsignore Montinis Nachfolger als Substitut im Staatssekretariat; 1967 ernannte Montini, mittlerweile selbst Papst, Dell’Acqua zum Kardinalvikar von Rom. Am besten, schlug Dell’Acqua vor, antworte man auf die Bitte der Amerikaner vorderhand überhaupt nichts. »Zweifellos sind die in Botschafter Taylors Brief enthaltenen Nachrichten äußerst ernster Natur. … Allerdings muss zunächst sichergestellt werden, dass dies der Wahrheit entspricht, denn auch zur Übertreibung neigen die Juden.« Es stimme ja, dass der Papst in den vergangenen Monaten sehr ähnliche Berichte über den Massenmord an den Juden vom ukrainischen Erzbischof und von Malvezzi erhalten hatte. Aber, wie der Ratgeber des Papstes an dieser Stelle anmerkte (und dabei offenbar den Erzbischof aus der Ukraine im Sinn hatte): »Auch die Orientalen sind tatsächlich kein Musterbild an Aufrichtigkeit.« »Jedoch«, riet der Monsignore schließlich, »selbst wenn diese Nachrichten der Wahrheit entsprächen, wäre es doch ratsam, bei einer Bestätigung an Signor Tittmann mit der äußersten Vorsicht zu verfahren, weil mir hier auch eine politische (wenn nicht eine rein politische) Absicht seitens der amerikanischen Regierung zu bestehen scheint, und so würden die Amerikaner eine letztendliche Bestätigung durch den Heiligen Stuhl vielleicht nicht aus der Öffentlichkeit heraushalten.« Kurz: Die Alliierten könnten sich zur Untermauerung ihrer Anklage, dass die Nazis die europäischen Juden systematisch ermordeten, womöglich auf den Vatikan berufen. Das jedoch, meinte Dell’Acqua, »könnte unangenehme Folgen haben, nicht für den 289

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Heiligen Stuhl, sondern auch für die Juden selbst, die sich in der Hand der Deutschen befinden. … Man könnte natürlich die Meinung des Nuntius in Berlin einholen, doch was wird der arme Mann schon mit Sicherheit sagen können!«33 Am Tag darauf machte der polnische Botschafter dem Papst weitere Mitteilungen über den Massenmord an den Juden in seiner Heimat und erklärte: »Die von den Deutschen in Polen an Juden begangenen Massaker sind von trauriger Berühmtheit.« Im Weiteren nannte er Details über die Deportation von Zehntausenden Juden in die Todeslager und schloss mit der Einschätzung: »Es ist davon auszugehen, dass im Laufe der nächsten Monate die gesamte jüdische Einwohnerschaft des Warschauer Ghettos, bestehend aus 300 000 Juden, dorthin verbracht wird und dass die Häuser in jenem Teil der Stadt an ›Arier‹ vergeben werden.«34 Zufälligerweise war, während der Papst noch darüber grübelte, was er dem amerikanischen Präsidenten antworten solle, Pater Scavizzi von einem neuerlichen Besuch bei den italienischen Truppen an der Ostfront zurückgekehrt. Prompt legte er einen weiteren Bericht über die Gräueltaten vor: »Die Auslöschung der Juden durch Massentötungen ist nahezu vollständig, ohne Rücksicht auf Kinder, ja nicht einmal auf Säuglinge. … Es heißt, dass mehr als zwei Millionen Juden umgebracht worden sind.«35 Am 10. Oktober überreichte Kardinal Maglione dem amerikanischen Gesandten Tittmann endlich die Antwort des Papstes. Die Stellungnahme, die nicht namentlich unterzeichnet ist, räumt ein, dass Berichte über »harte Maßnahmen gegen Nichtarier« dem Heiligen Stuhl auch aus anderen Quellen zugegangen seien, doch sei es »bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich gewesen, deren Stichhaltigkeit abschließend zu prüfen«. Der Papst hatte den Ratschlag Monsignore Dell’Acquas beherzigt: Am besten lieferte man den Alliierten keine Bestätigung für die Mordberichte und riskierte folglich auch nicht, dass sie sich zur Bestätigung ihrer Anklage auf den Vatikan berufen könnten. Am allerbesten schien es sogar, noch nicht einmal das Wort »Juden« in den Mund zu nehmen.36

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Teil III:

Schicksalswende

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Kapitel 24

Schuldzuweisungen

I

n der Nacht des 22. Oktober 1942 durchstießen britische Bomber in mehreren Angriffswellen die Wolkendecke 800 Meter über Genua und warfen Hunderte Bomben und Brandbomben ab. Zwei Scheinwerfer suchten den Himmel ab, während die Flugabwehr der Stadt von den nahen Hügeln aus erfolglos auf ihre flüchtigen Ziele feuerte. Der Angriff läutete eine neue Phase des alliierten Luftkriegs ein, ein »Flächenbombardement«, das die Italiener terrorisieren und demoralisieren sollte. Hafen, Stadtzentrum, Wohnviertel, Krankenhäuser und Kirchen wurden getroffen. Zwei Tage später kam Mailand an die Reihe, wo britische Bomber zum ersten Mal bei Tageslicht angriffen und 132 Menschen töteten. Bis zum Ende des Krieges erlebten Genua, Mailand und Turin jeweils über fünfzig alliierte Bombenangriffe.1 Womöglich gravierender für die Sache der Achse war, dass alliierte Truppen in der Nacht des 23. Oktober unter dem britischen General Bernard Montgomery ihre Offensive in Ägypten von der zentral gelegenen Hafenstadt El Alamein aus begannen. Montgomery kommandierte über 190 000 Mann mit über 1000 Panzern. Ihm gegenüber stand der deutsche Kriegsheld Erwin Rommel mit 116 000 deutschen und italienischen Soldaten und 540 Panzern. Montgomerys Angriff begann mit einem massiven Artilleriebeschuss der Achsentruppen, gefolgt von einem heftigen Panzerangriff durch die von Rommel angelegten Minenfelder hindurch. Binnen zehn Tagen hatten die Alliierten die Achsentruppen in die Flucht geschlagen, wobei die Hälfte von Rommels Männern fiel, verwundet oder gefangen genommen wurde. Um alles für die Achse noch schlimmer zu machen, strömten am 8. November die ersten GIs unter General Dwight Eisenhower in die französi295

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Teil III Schicksalswende

schen Kolonien Marokko und Algerien hinein und besiegten dort zusammen mit ihren Alliierten in kurzer Zeit die deutschen und italienischen Truppen. Bis dahin war die Position Frankreichs nicht eindeutig gewesen und die Loyalität seiner Truppen in Nordafrika unklar geblieben. Als nun die französischen Soldaten, die unter dem Befehl von Marschall Pétain und der Kollaborationsregierung von Vichy standen, den alliierten Angriff auf die Kolonien nicht verhinderten, reagierten die Deutschen darauf, indem sie ihre Truppen in jenen großen Landesteil im Südosten von Frankreich schickten, der bis dahin unter der militärischen Kontrolle der Franzosen geblieben war. Für Deutschland und Italien waren die Entwicklungen in Nordafrika eine Katastrophe. Die Alliierten neutralisierten nicht nur Hunderttausende Achsensoldaten und zerstörten viel Kriegsmaterial, sie schufen auch einen großen Aufmarschplatz, von dem aus sich das von den Achsenmächten kontrollierte Europa von Süden her aufrollen ließ. Italien lag verführerisch nah an den neuen Flugplätzen und Häfen der Alliierten.2 Seit die Wehrmacht zwei Jahre zuvor so rasch durch Westeuropa vorgestoßen war, hielten viele in Italien und im Vatikan einen Sieg der Achsenmächte für unausweichlich. Deutsche Truppen hatten einen großen Teil Europas erobert, waren tief in die Sowjetunion vorgestoßen und trieben die britischen Truppen in Nordafrika zurück, während Japan ein gewaltiges Gebiet in Asien und Ozeanien erobert hatte. Nun trat eine ganz andere Zukunft ans Licht. Mussolini brauchte jemanden, dem er die Schuld für die immer misslichere Lage seines Landes geben konnte. »Die Bombardierung von Genua und Turin ist allein die Schuld des Vatikans«, sagte er zu dem überraschten Raffaele Guariglia, seinem Botschafter beim Heiligen Stuhl. Myron Taylor habe bei seinem letzten Besuch im Vatikan eine defätistische Haltung gespürt und angenommen, dies spiegele einen verbreiteten Mangel an italienischer Kriegsbegeisterung wider. »Also fuhr er nach London und sagte, sie sollten die terroristische Bombardierung Italiens verstärken, weil er sicher war, die Alliierten könnten unser Land so in die Knie zwingen.« Guariglia versuchte Mussolini zu überzeugen, dass er sich täusche. Die Prälaten im Vatikan würden gewiss nichts tun, um die Kampfmoral zu 296

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untergraben, sagte er, denn sie lebten in ständiger Furcht davor, den faschistischen Hitzköpfen Anlass zu Aktionen gegen den Heiligen Stuhl zu geben. »Das stimmt«, sagte Mussolini, »denn es wäre sehr leicht, ein paar Hundert Leute zu schicken, um den Vatikan zu attackieren.«3 Zur selben Zeit beschloss der italienische Botschafter, mit seinem deutschen Kollegen über jenen Punkt zu sprechen, den er als größte Bedrohung für den Kooperationswillen des Papstes ansah. Pius XII. stehe unter großem Druck, die deutschen Maßnahmen gegen die Kirche zu verurteilen, teilte Guariglia Botschafter von Bergen mit. Vor Kurzem habe der Papst einen Bericht in Auftrag gegeben, der die Lage der Kirche in den deutsch besetzten Gebieten untersuche, und dieser zeichne ein alarmierendes Bild. In Österreich waren alle Priesterseminare geschlossen worden, und die Kinder wurden auf Schulen geschickt, wo man über Religion nicht einmal sprechen durfte. Aus der Tschechoslowakei war eine Reihe von Priestern ins KZ Dachau geschickt worden. Im Lager Mauthausen befanden sich laut dem Bericht »etwa 42 000 Juden, Priester und politische Häftlinge. Es ist ein Ort des Leidens und der brutalsten und unmenschlichsten Behandlung, einschließlich des Einsatzes von Gas«.4 Obwohl all diese alarmierenden Nachrichten den Papst erreichten, habe er sich laut Guariglia »aus Höflichkeit gegenüber Deutschland zurückgehalten, was auch Italien zugutekommt«. Wenn die Deutschen aber weiterhin gegen die Kirche vorgingen, werde die päpstliche Politik des Schweigens möglicherweise unhaltbar. Der deutsche Botschafter stimmte völlig zu und konnte nun in seinen Einlassungen für Berlin eine neue Taste anschlagen. Am 12. Oktober 1942 schrieb er nach Hause: Botschafter Guariglia äusserte kürzlich zu mir seine lebhafte Sorge über zunehmende Verschlechterung deutsch-vatikanischer Beziehungen und fragte vorsichtig, ob nicht Kurie wenigstens während des Krieges ein gewisses Entgegenkommen entgegengebracht werden könnte, zum Beispiel hinsichtlich Beschlagnahme der Klöster und der kirchlichen Eigentümer … . Er brachte – wie bei jeder Unterhaltung – Sprache auf die unerträgliche angelsächsische Propaganda, die England und die Vereinigten Staaten als die Stütze

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Teil III Schicksalswende

der Religionsfreiheit gegen die Achsenmächte hinstellte; von dieser Propaganda befürchte er auf die Dauer auch eine Abdrängung Argentiniens und Chiles in das feindliche Lager.

Bergen riet dem Auswärtigen Amt zum Schluss, »die mögliche Rückwirkung auf unsere Bundesgenossen in Erwägung ziehen zu wollen. Ein offener Konflikt mit dem Papst würde im katholischen Italien die für Deutschland im allgemeinen wenig freundliche Stimmung schwer belasten und die Treibereien aller derjenigen fördern, die bestrebt sind, Italien von Deutschland zu trennen.«5 Während die nächtlichen Bombardements norditalienischer Städte weitergingen, warnte Mussolinis Erziehungsminister Giuseppe Bottai seinen Dienstherrn vor der Eintrübung der öffentlichen Stimmung. Er solle sich nicht so viele Sorgen machen, erwiderte der Duce und erinnerte ihn daran, dass auch nach dem Einmarsch in Abessinien vor sieben Jahren der Krieg manchmal schlecht zu laufen schien und die allgemeine Begeisterung dann entsprechend nachließ. Kaum standen die Dinge aber wieder besser, sei das Volk begeisterter als je zuvor bei der Sache gewesen.6 Doch die Dinge entwickelten sich nur zum Schlechteren. In der Nacht des 20. November warfen 250 alliierte Flugzeuge Bomben und Brandbomben über Turin ab, zerstörten ganze Stadtviertel und töteten 117 Menschen. Ein Zeuge beschrieb die Szene: »Eine Wolke aus Feuer, die durch die Dunkelheit noch heller leuchtete, hat sich auf Turin herabgesenkt.« Acht Tage später erschien eine neue Welle britischer Bomber am Himmel und warf große Bomben und Phosphorbomben ab.7 Der Turiner Erzbischof belegte den Papst mit einem Sperrfeuer an Telegrammen und Briefen, die von den Zerstörungen berichteten. Anfang Dezember, als die Bombardements weitergingen, schrieb er: »Kirchen, Krankenhäuser zerstört, Seminar und Dom intakt. Haushalt und ich selbst sicher.« D’Arcy Osborne, Churchills Gesandter im Vatikan, beschrieb London die Reaktion des Papstes so: Es kann … keinen Zweifel geben, dass die jüngste schwere Bombardierung norditalienischer Städte den Papst und seine Umgebung sehr getroffen hat.

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Schuldzuweisungen

Da Seine Heiligkeit nie den bewusst einkalkulierten Mord an Tausenden von Zivilisten verurteilt hat, die bei den deutschen Bombardierungen etwa von Warschau, Rotterdam, Belgrad, London, Coventry und anderen britischen Städten starben, verbietet ihm die elementarste Logik, unsere jüngsten Angriffe auf Mailand, Genua und Turin zu verurteilen.8

An der russischen Front lief es für die italienischen und deutschen Truppen auch nicht besser. Am verschneiten und nebligen Morgen des 19. November 1942 griffen über eine Million sowjetischer Soldaten die deutsche Armee bei Stalingrad an. Rasch waren die 300 000 Achsensoldaten eingeschlossen. Im Lauf der folgenden drei Monate zog die Rote Armee den Ring enger, während im Kessel die Rationen ausgingen, eine Typhusepidemie wütete und Verwundete und Kranke im Freien liegen blieben, wo sie erfroren. Bald übersäten die gefrorenen Leichen deutscher, italienischer, ungarischer und rumänischer Soldaten das Ödland zwischen den Trümmern der Stadt und ihrem Hinterland.9 Wenn sie mit Mussolini allein war, bemerkte Clara seine Nervosität. »Ich bin enttäuscht und müde«, sagte er ihr am 30. November. »Alles ist anders, als ich es erwartet und erhofft habe. … Nichts interessiert mich mehr, nicht einmal du.« Clara reagierte auf diese Episoden von Selbstmitleid und Gehässigkeit stets damit, dass sie ihn aufzumuntern versuchte in dem Wissen, dass all die grausamen Worte gegen sie bald von neuen Liebesschwüren abgelöst werden würden. Seine Stimmung konnte sehr rasch wechseln. Nur wenige Tage später kehrte Mussolini euphorisch von einer Reise nach Mailand zurück, wo er den begeisterten Empfang durch die Menge genossen hatte, die sich dort zu seiner Rede eingefunden hatte. »Er ist bereits in himmlischer Stimmung«, erinnerte sich Clara glücklich.10 Trotz der Bombardierung italienischer Städte und des stecken gebliebenen Vormarschs in Russland hielt auch der italienische König an seiner Überzeugung fest, der Krieg werde bald gewonnen sein. »Die Alliierten sind in keiner sehr bequemen Lage, und ich glaube, sie werden den Krieg nicht gewinnen können«, sagte er zum päpstlichen Nuntius, als er ihn Ende November empfing. Der König hatte auch einen Rat für den Papst: »In seinem hohen Amt muss der Heilige Vater die strengste Neutrali299

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tät bewahren. Ich glaube aber, dass er im Herzen keinen Sieg der Juden, Bolschewisten und Lutheraner wünscht.«11 Die verstärkten alliierten Luftangriffe auf italienische Städte erzeugten neue Befürchtungen, dass auch Rom bald zum Ziel werden könne. Anfang Dezember 1942 erfuhr der Papst, dass in einer Sendung auf Radio London damit gedroht worden war, den alliierten Bombenkrieg auf die Ewige Stadt auszudehnen. Er beschloss, sich nicht an den britischen Premierminister, sondern an den amerikanischen Präsidenten zu wenden. Er hatte schließlich guten Grund zu der Annahme, dass Roosevelt seinen Bitten zugeneigter sein werde, weil die Katholiken für den amerikanischen Präsidenten politisch wichtiger waren als für den britischen Premierminister, und weil natürlich London, nicht Washington, unter dem heftigen Bombardement der Achsenmächte gelitten hatte. Dabei benutzte der Papst offizielle wie inoffizielle Kanäle. Monsignore Amleto Cicognani, der Apostolische Legat in Washington, benachrichtigte Erzbischof Spellman, der sofort den Präsidenten anrief. Der New Yorker Erzbischof hatte so viel Einfluss, dass er drei Tage später einen Termin bei Roosevelt bekam. Gleichzeitig informierte Cicognani den Staatssekretär im US -Außenministerium über die Drohung des Papstes, öffentlich zu protestieren, falls Rom bombardiert würde. Dies erwies sich als wenig hilfreich, denn der Staatssekretär reagierte mit der Frage, ob Pius XII. je protestiert habe, als London bombardiert wurde.12 Im Papstpalast ließ Kardinal Maglione Mussolinis Botschafter kommen. Immer wenn sie die Engländer bäten, Rom zu schonen, würden sie dieselbe Antwort bekommen: Nicht nur habe der Papst eben nicht gegen die italienische Beteiligung an der Bombardierung Londons protestiert, sondern Rom sei auch noch der Standort italienischer und deutscher Armeehauptquartiere. Es sei daher entscheidend, drängte der Kardinal Guariglia, dass der Duce alle militärischen Aktivitäten aus der Stadt verlege.13 Mussolini signalisierte bald seine Einwilligung. Auch der König, der nicht wollte, dass britische Bomben auf seinen Palast fielen, stimmte zu.14 Es folgten fieberhafte Verhandlungen, bei denen der amerikanische Gesandte Harold Tittmann und sein britischer Kollege D’Arcy Osborne sich fast täglich mit Kardinal Maglione trafen, der unbedingt eine Übereinkunft 300

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aushandeln wollte. Osborne glaubte aber nie wirklich daran, dass Mussolini seine Hauptstadt aufgeben würde. Er fand auch das starke Interesse des Papstes am Schutz der Achsenhauptstadt unpassend. Statt nur daran zu denken, Rom vor Angriffen zu schützen, notierte Osborne in sein Tagebuch, solle der Papst besser an seine Pflicht angesichts »des beispiellosen Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Hitlers Vernichtungskampagne gegen die Juden« denken, bei der »Italien als Partner und Verbündeter Deutschlands ein Komplize ist«.15 Unterdessen berichteten die italienischen Medien weiter über die patriotischen Appelle des Klerus zur Unterstützung des Krieges. Im Dezember übertrug der staatliche Rundfunk eine besondere Messe für den Sieg der Achse. Wenige Tage später wurden in Kirchen im ganzen Land ähnliche Messen abgehalten, bei denen faschistische Amtsträger und Offiziere gemeinsam mit den Gläubigen einen »Tag des Glaubens« begingen. Mussolinis Zeitung berichtete begeistert über das Ereignis, besonders über die Zeremonie in der Basilika San Patronio in Bologna. Der faschistische Parteichef der Provinz war dabei ebenso anwesend wie der Bürgermeister, der Präfekt und örtliche Armeekommandeure. »Nach der Messe hielt Kardinal Nasalli Rocca, der Erzbischof von Bologna, eine sehr edle Rede, in der er das Heldentum unserer Soldaten feierte, die für Italien, die Wiege des Christentums, die Fackel der Zivilisation für die ganze Welt, kämpfen und sterben.« Im Dezember genehmigte der Papst auch wie in früheren Jahren persönlich die Abhaltung einer Trauermesse zum Jahrestag des Todes von Arnaldo Mussolini, der seinem Bruder als Chefredakteur bei Il Popolo d’Italia gefolgt war.16 Die Hauptquelle kirchlicher Beschwerden über die derzeitige Regierung war aber laut den Monatsberichten der italienischen Präfekten nicht etwa Unzufriedenheit mit dem Krieg, sondern die zu nachlässige Aufsicht über das Unterhaltungswesen. Was die kirchlichen Moralhüter besonders erboste, waren die beliebten Varieté-Veranstaltungen, zu denen aktuell besonders viele Menschen strömten, um sich von den Härten der Kriegszeit abzulenken. Ein langer Bericht des für Moralfragen zuständigen nationalen Sekretariats der Katholischen Aktion von Ende 1942 hielt fest, dass seine Mitglieder in jüngster Zeit 229 solcher Shows überprüft hätten. Das 301

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Sekretariat forderte die Regierung auf, sie ausnahmslos zu verbieten. Die Beschwerden lauteten etwa, dass Schauspieler mit der Darstellung des gehörnten Ehemanns die Lacher auf ihre Seite brachten und Tänzerinnen so winzige Kostüme trügen, dass manchmal ihr Nabel zu sehen sei. Homosexuelle würden nicht für ihre Entartung verurteilt, sondern in einem witzigen Licht dargestellt, »und Tänze haben ausnahmslos einen Zweck: bei den Zuschauern einen sexuellen Orgasmus hervorzurufen«.17 Luigi Lavitrano, einer der drei vom Papst bestellten Kardinäle, die über die italienische Katholische Aktion Aufsicht führten, hielt die Sache für so ernst, dass er einen langen Brief an Mussolini persönlich schrieb. Im Namen des gesamten italienischen Episkopats lenkte er den Blick des Duces auf »ein ernstes Problem moralischer Art, das die Hirten der Seelen und die Erzieher der Jugend tief besorgt«, nämlich die Varieté-Darbietungen, die sich in den Lichtspieltheatern im ganzen Land ausbreiteten und auf dem besten Weg seien, zur Lieblingsunterhaltung der Italiener zu werden. »Die moralischen Folgen sind extrem verderblich«, schrieb der Kardinal.18

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Kapitel 25

Päpstliche Premiere

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achdem die Alliierten sich in Nordafrika festgesetzt hatten, wurden aus Furcht, sie könnten einen Angriff über das Mittelmeer auf Italien planen, Tausende deutsche Soldaten die Halbinsel hinabgeschickt, um die italienische Verteidigung zu verstärken.1 Ein Nebeneffekt der wachsenden deutschen Militärpräsenz war die immer größere Zahl von Soldaten, die eine Papstaudienz besuchen und den päpstlichen Segen empfangen wollten. Die regelmäßigen Audienzen für deutsche Soldaten bereiteten dem Papst Freude, der die Deutschen seit den vielen in ihrem Land verbrachten Jahren mochte und stolz darauf war, mit ihnen Deutsch sprechen zu können. Weder Hitler noch andere Nazigrößen waren davon entzückt. Eine Beschwerde der Partei-Kanzlei vom 8. Dezember an das deutsche Außenministerium forderte eine bessere Durchsetzung der Vorschrift, wonach der Audienzbesuch von Wehrmachtsangehörigen vorher von der deutschen Botschaft in Rom zu genehmigen war.2 Gleichzeitig erzeugte die stärkere militärische Präsenz der Deutschen in Italien neue Nervosität im Vatikan. Kardinal Maglione schrieb: »Man hört Gerüchte von Invasion oder Bombardement des Vatikans durch die Deutschen, von der Beschlagnahme von Archiven, der Ausweisung von Diplomaten aus Ländern, die Feinde der Achse sind, usw.« Da war auch wieder das alte Gerücht, das schon dem Papst so an die Nerven gegangen war: dass die Deutschen planen könnten, den Vatikan zu einem Museum zu machen.3 Auch von britischer Seite stand der Papst unter Druck. Am 18. Dezember 1942 informierte der britische Gesandte Osborne Monsignore Tardini über die systematische Ermordung der Juden in den deutsch besetzten Gebieten. Bevor er ging, überreichte er ihm einen schriftlichen Bericht für 303

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den Papst. Was der Papst da zu lesen bekam, sei hier mit einigen Auszügen veranschaulicht: 8. Dezember: Polnische Regierung in London informiert Mr. Eden und Mr. Maisky, dass die Nazis bis jetzt über eine Million Juden in Polen ermordet haben. Inzwischen sind 180 000 Juden aus Rumänien deportiert worden, auch die Deportation aus Frankreich, Holland, Norwegen (wo heute herzzerreißende Szenen bei der Festnahme der jüdischen Opfer berichtet werden), Kroatien und der Slowakei geht weiter. Die Deportierten werden nach Polen geschickt, das als Vernichtungszentrum für das europäische Judentum ausgewählt zu sein scheint. [Der britische Erzbischof] Kardinal Hinsley verurteilt die Vernichtungspolitik. … 10. Dezember: Polnische Regierung sendet einen Rundbrief an alle Regierungen über die deutschen Massaker an den Juden. Eine Million von drei Millionen Juden in Polen sind bereits ermordet worden. Der Erzbischof von York erklärte in London: »Wir erleben die geplante Ermordung eines ­Volkes.« … 13. Dezember: Neue Beweise treffen ein für die unaussprechliche Grausamkeit von Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Juden Europas, den er in seiner letzten Rede erwähnte. … Ganze Gemeinden in Polen werden ermordet, und es gibt mehrere Tausend Tote am Tag. Nachdem Hitler Himmler nach Polen geschickt hatte, um die Vorbereitungen für die vollständige Vernichtung zu treffen, wurde eine Reihe spezieller Hinrichtungslager errichtet. … 16. Dezember … Bis heute sind etwa 500 000 Juden aus dem besetzten Europa oder Ländern unter deutschem Einfluss zur Ermordung nach Polen transportiert worden.4 Dazu zählen 50 000 aus Frankreich, 70 000 aus ElsassLothringen, 250 000 aus Rumänien, 57 000 aus der Slowakei und 50 000 aus Luxemburg. Diese sind nicht in der einen Million Juden aus Polen enthalten, die bereits ermordet wurden.

»Ich hatte heute Abend ein eher deprimierendes Gespräch mit Monsignore Tardini über die Haltung des Heiligen Stuhls zur Judenverfolgung«, begann Osborne seinen Bericht über jenes Treffen, bei dem er das Memorandum für den Papst übergab. »Ich glaube, er fühlte sich unbehaglich und in der Defensive.« Werde der Papst nun endlich das Vorgehen der Nazis gegen die Juden verurteilen?, fragte Osborne. Tardini gab dieselbe Ant304

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wort wie schon oft zuvor. Der Papst könne nicht gegen die Gewalttaten protestieren, die gegen Juden oder auch gegen katholische Polen gerichtet seien, ohne den Eindruck zu erwecken, im Krieg Partei zu ergreifen. Außerdem verteidigte Tardini das Schweigen des Papstes mit dem oft wiederholten, aber wenig ehrlichen Argument, man habe die Gräuel nicht verifizieren können.5 Der Druck kam nicht allein von den Engländern. Polen blieb für den Papst ein besonders heikles Thema, da die ganz überwiegend römisch-katholische Bevölkerung des Landes von ihm ein klares Wort gegen ihre deutschen Unterdrücker erhoffte. Drei Tage nach Tardinis Treffen mit Osborne sprach der polnische Botschafter als Vertreter der Londoner Exilregierung mit demselben Anliegen vor. Er brachte ebenfalls ein Memorandum mit, das den Papst darüber informierte, dass die Deutschen dabei seien, die gesamte jüdische Bevölkerung Polens zu vernichten, und bis jetzt über eine Million Menschen ermordet hätten. Der Botschafter bat den Papst, »diese und andere deutsche Verbrechen, deren Ausmaß alles aus der Geschichte Bekannte übersteigt, scharf und deutlich zu verurteilen«.6 Raffaele Guariglia, der italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl, war zufällig gerade in Kardinal Magliones Büro zugegen, überbrachte seinerseits freilich eine ganz andere Botschaft. Der Duce wünschte, dass der Papst in seiner kommenden Weihnachtsansprache auf alle »Aufrufe zum Frieden, die eine lähmende Wirkung auf das italienische Volk haben könnten«, verzichten sollte. Die Antwort des Papstes am nächsten Tag war vage. Er werde den Vorschlag des Duces überdenken und in Betracht ziehen, soweit sein päpstliches Amt es ihm erlaube.7 Drei Tage später machte Osborne eine kurze Notiz in seinem Tagebuch: »Nachdem mir verlässlich zugesichert wurde, der Papst werde diese Weihnachten Stellung beziehen, wurde mir nun ebenso verlässlich zugesichert, dass er es nicht tun wird. Der Vatikan wird der einzige Staat sein, der die Judenverfolgung nicht verurteilt hat.«8 Neben den vielen Sorgen des Papstes in dieser Weihnachtszeit gab es einen Lichtblick. Pastor Angelicus, der Film, auf den er im letzten Jahr so viel Mühe verwandt hatte, erlebte endlich seine Premiere. Es war ein historisches Ereignis, das erste Mal, dass ein Papst die Hauptfigur in einem Film 305

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war, dessen Ziel es war, der Welt den Papst zu präsentieren. Das katholische Filmzentrum hatte 25 Kameramänner aufgeboten, die dem Papst monatelang durch den Vatikan gefolgt waren. Beabsichtigt war, den Film in jeder italienischen Stadt und in vielen anderen Ländern zu zeigen. Über 200 Vorstellungen fanden allein im besetzten Paris statt. Osborne notierte, dass der Vatikan nun die moderne Technik benutzte, um das öffentliche Bild des Papstes zu gestalten: »Seine Heiligkeit«, beobachtete er, »ist nicht ganz frei von der menschlichen Eitelkeit des Künstlers. Schmeicheleien bezüglich des Grades seiner Eloquenz schaden nicht und werden von seiner Umgebung nicht versäumt, wohingegen jeder Hinweis, dass die barocke Architektur seiner Reden die Kraft oder Klarheit seiner Lehren mindern könnte, übel aufgenommen wird.« Wenn der britische Diplomat das Filmprojekt mitten im Krieg geschmacklos fand, so war der Duce noch weniger erbaut. Obwohl die faschistische Regierung die Dreharbeiten unterstützt hatte, war er eifersüchtig auf jede Zurschaustellung päpstlichen Charismas, die sein eigenes Licht überstrahlen könnte.9 Mussolinis Unbehagen an dem neuen filmischen Loblied auf den Papst wurde zweifellos von seinen Krankheiten verstärkt. Er litt seit Langem an regelmäßigen Anfällen von Magenkrämpfen, die anscheinend von stressbedingten Magengeschwüren herrührten. Seit Jahren hielt er eine spartanische Diät ohne Fleisch, Alkohol und Kaffee ein. Im letzten Juli, als seine Schmerzen nach einem langen Besuch bei den italienischen Truppen in Libyen aufgeflammt waren, dachten seine Ärzte zunächst, er habe sich mit Amöbenruhr angesteckt. Bis November waren die Schmerzen viel schlimmer geworden, und vor Weihnachten verbrachte er viele Tage im Bett. Er hatte einen lebenslangen Kampf gegen die Tendenz seiner Familie zur Fettleibigkeit geführt, aber nun verlor er ein Viertel seines Gewichts und sah ausgezehrt und gealtert aus. Claras Vater, ein Vatikanarzt, besuchte Mussolini regelmäßig, um ihm Vitamine zu spritzen. Außerdem nahm der Duce krampflösende Tabletten ein und verabreichte sich selbst Natriumbromidinjektionen. Wenn er wie üblich mehrmals am Tag per Telefon mit Clara sprach, suchte Mussolini ihr Mitleid und klagte, sein Leben sei ein Misserfolg. »Nicht die Magengeschwüre bringen mich um, Clara«, sagte er. »Es ist, 306

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weil ich sehe, dass 20 Jahre Arbeit und Schweiss zerstört und nutzlos sind.« Er ließ auch seiner Eifersucht auf die Popularität des Papstes bei den Römern freien Lauf und beschwerte sich, wie üblich ohne jedes Zeichen von Selbstbesinnung, über das alliierte Bombardement italienischer Städte. »Alle Städte sollten im Namen Christi respektiert werden … das hätte der Papst fordern sollen … nicht bloß Rom verteidigen, weil er dort ist.«10 Am Morgen nach der römischen Galapremiere des Pastor Angelicus erwachte Mussolini mit heftigen Magenschmerzen und griff erneut nach seinen Pillen und der Spritze. Clara traf bald ein und verabreichte ihm eine lindernde Massage. Deprimiert sagte er, er glaube nicht, dass er weitermachen solle; es sei Zeit, aufzuhören. Clara besaß nicht viel Schulbildung und wusste wenig von der Welt. In den ersten Jahren ihrer Beziehung unterstützte sie in der Regel genau das, was ihr »Ben« sagte. Inzwischen äußerte sie mutiger ihre Meinung, nämlich die einer überzeugten, Mussolini anbetenden Faschistin. In der Hoffnung, Ben aufzumuntern, drängte sie ihn, »nicht vor den Engländern und den Priestern einzuknicken«. Dann legten sie eine klassische Schallplatte auf, wie so oft, wenn sie sich entspannen wollten. Sie begannen mit ihrer beider Lieblingsplatte, Beethovens siebenter Sinfonie. Während sie, nebeneinander auf dem Boden liegend, der Musik lauschten, begann Mussolini zu weinen. Die Sinfonie hatte häufig diese Wirkung auf ihn. Was ihn besonders ärgere, vertraute er Clara an, sei, dass er den Papst brauche, damit die Engländer Rom nicht bombardierten. Sie erwiderte, er dürfe sich nicht von den »anglo-priesterlichen« Kräften besiegen lassen, denn wenn er es täte, würde Rom in den Händen des Vatikans und seiner »Priestermacht« bleiben.11 Der Papst wäre überrascht gewesen, wenn er gewusst hätte, dass unter den Zuhörern, die am 24. Dezember seiner Weihnachtsansprache im Radio folgten, auch der Duce war. Wie zu erwarten, blieb Mussolini unbeeindruckt. Zu Ciano sagte er: »Gottes Vikar, also der irdische Vertreter des Herrschers über das Universum, sollte niemals sprechen. Er sollte oben in den Wolken bleiben. Diese Ansprache ist so voller Gemeinplätze, dass sie genauso gut vom Priester von Predappio [Mussolinis Heimatstadt in der Romagna] sein könnte.«12 307

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Wie gewohnt ließen die Worte des Papstes sich von beiden Seiten als Unterstützung deuten. Mussolinis Zeitung gab eine respektvolle Zusammenfassung der Rede und betonte die päpstliche Verurteilung des »marxistischen Sozialismus« und seine Verteidigung des Privateigentums. Darauf folgte ein fett gedruckter Absatz: »Der Papst sagte, dass dieser Krieg die Auflösung einer sozialen Ordnung darstellt, die hinter der Maske konventioneller Formeln ihre fatale Schwäche und ihren ungezügelten Drang nach Profit und Macht verbirgt.«13 Auf Seite 24 des päpstlichen Textes fanden sich Worte, die später von den Verteidigern Pius’ XII. zitiert wurden, um seine Rede als schallende Verurteilung des im Gang befindlichen Massakers an den Juden Europas darzustellen.14 Obwohl der Papst im ganzen Text ausdrücklich weder von Nazis noch von Juden sprach, beklagte er in dieser gut versteckten Passage doch die »Hunderttausende, die, persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Nationalität oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind«. In seinem Bericht zum Jahresende erinnerte sich Osborne, der Papst habe »schmerzlich überrascht« gewirkt, dass diese seine Worte jenen nicht genügten, die ein offenes Wort von ihm gefordert hatten. »Obwohl die Ansprache mir als die wirksamste unter den jüngsten Äußerungen des Papstes erscheint, leidet sie unter dem üblichen Fehler übermäßiger Länge und daran, dass … seine Lehren von dem rhetorischen Fluss geschwächt werden, in den sie stets verpackt sind.« Pater Vincent McCormick, ein amerikanischer Jesuit und früherer Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, der nur einen Steinwurf vom Vatikan entfernt lebte, drückte seine Enttäuschung über die Rede so aus: Wie gewöhnlich sei sie »viel zu schwer« und ihre Botschaft »dunkel ausgedrückt«. Als Tittmann kurz danach mit dem Papst zusammentraf, fand er ihn verstimmt darüber vor, dass seine Worte für unzureichend gehalten wurden. Er berichtete nach Washington: Pius XII. »erklärte, dass er ›befürchte‹, es gebe Grund für die alliierten Berichte über Gräueltaten, deutete aber an, er habe das Gefühl, sie seien zu Propagandazwecken etwas übertrieben«.15 Zwei Tage nach Weihnachten erschien der polnische Botschafter Kazimierz Papée zu seiner Neujahrsaudienz beim Papst. Erneut begann er mit 308

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Berichten über die brutale Verfolgung, die Juden und Katholiken in Polen durch die Deutschen erlitten. Darauf wiederholte Pius XII. sein Argument, jeder päpstliche Protest riskiere, neues Unglück zu bringen, und fügte hinzu, er habe sich schon sehr deutlich in seiner Weihnachtsansprache geäußert. Statt mit Anerkennung wurde das von dem polnischen Diplomaten mit Schweigen aufgenommen, was wiederum den Papst vor den Kopf stieß. Papée berichtete über die Audienz: »Ich bin sicher, dass er aufrichtig sprach. Der Papst ist jetzt überzeugt, er habe die deutschen Verbrechen in den besetzten Ländern deutlich und scharf, wenn auch allgemein, verurteilt.« Der Botschafter fügte hinzu: »Hier liegt die Quelle der Schwierigkeiten. … Pius XII . … kann wegen seines sensiblen und empfindlichen Wesens, der Art der von ihm betriebenen Studien und einer gewissen Einseitigkeit seiner Karriere – rein diplomatisch und weit weg vom [echten] Leben – keine andere Sprache sprechen und geht an der Realität unserer Zeit vorbei, denn er erkennt nicht, wie wenig ein durchschnittlicher Katholik von seinen Formulierungen verstehen und behalten kann, die von den Fakten losgelöst, komplex und sorgfältig aufpoliert sind.«16 Der deutsche Botschafter Diego von Bergen hatte seine Audienz zum Jahresabschluss am selben Tag. Es sollte seine letzte sein. Seit Hitlers Machtantritt hatte Bergen versucht, die Beziehungen zwischen dem Papst und dem Deutschen Reich zu glätten und Hitler und Ribbentrop davon zu überzeugen, dass ein besseres Verhältnis zum Pontifex in ihrem Interesse liege. In seinem Bericht über die Audienz schrieb er nach Berlin, Pius XII. habe »nur durch bestimmte Bewegungen« seine Zustimmung ausgedrückt, als der Botschafter auf »die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Heldenkampfes im Osten, die Gefahr des Bolschewismus, dem die Engländer und Amerikaner Europa ausliefern wollten« zu sprechen kam. Falls der Papst im privaten Gespräch irgendwelche harschen Worte über die deutschen Gräueltaten äußerte, wollte der Botschafter die ohnehin schon prekären Beziehungen zwischen dem Vatikan und seiner Regierung jedenfalls nicht dadurch stören, dass er sie nach Berlin meldete.17 So endete das Jahr mit einem kranken Mussolini, einem Papst, der sich für sein Schweigen unfair angegriffen fühlte, fleißiger Öffentlichkeitsarbeit des Vatikans zugunsten eines heldenhaften Papstbildes und wachsendem Elend der Italiener. Lebensmittelknappheit, im Stakkato eingehende Be309

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richte über militärische Rückschläge und zunehmende Luftangriffe auf Städte im ganzen Land zogen die öffentliche Stimmung hinunter. Die Zahl der überzeugten Faschisten war im Schwinden begriffen. Nachdem der öffentliche Zorn sich lange auf die Männer rund um den Duce konzentriert hatte, zeichnete sich nun eine neue Entwicklung ab: Der Mythos des allwissenden Führers, der den öffentlichen Enthusiasmus für das Regime so viele Jahre lang angetrieben hatte, begann endlich zu bröckeln.18

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Kapitel 26

Eine Katastrophe mit Ansage

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um Jahresbeginn 1943 konnte der Krieg für Mussolini kaum schlechter laufen. Ciano notierte Mitte Januar in sein Tagebuch: »Ein sehr bedrückender Tag. … In Rußland geht der Rückzug weiter, und er scheint in manchen Sektoren zur Flucht geworden zu sein. In Libyen verlassen die Infanteriedivisionen Tripolis in Richtung nach Westen, während die Nachhuten den vorsichtigen, aber unerbittlichen Vormarsch Montgomerys aufzuhalten versuchen. Ich telephoniere mit Mussolini, der einen deprimierten Eindruck macht.« Drei Tage später setzte er hinzu: »Der Duce hält das heutige deutsche Communiqué für das schlechteste seit Kriegsanfang, und das ist es sicherlich. Zusammenbruch in Stalingrad, Rückzug an der ganzen Front, baldiger Fall von Tripolis.«1 Mussolini war deprimiert, musste sich aber zumindest über den Vatikan wenig Sorgen machen. Zu Jahresbeginn schickte Francesco Borgongini einen Bericht über seine letzten drei Jahre als päpstlicher Nuntius bei der italienischen Regierung. Er erwähnte zwar, in dieser Zeit nicht einmal von Mussolini empfangen worden zu sein, der sich überhaupt mit keinem anderen Botschafter als dem deutschen mehr treffe, aber sein Bericht liest sich wie ein Loblied auf die faschistische Führung. Der Nuntius prahlte, er habe eine »fast schon intime« Beziehung zu Ciano aufgebaut, der beim Umgang mit dem antiklerikalen Farinacci und seiner Zeitung Il Regime Fa­ scista besonders hilfreich sei. Erziehungsminister Giuseppe Bottai sei »stets freundlich«, ebenso Guido Buffarini, der Staatssekretär im Innenministerium, mit dem er oft wegen der Rassengesetze zu tun hatte. »[Justiz-]Minister Grandi war stets sehr freundlich und bekannte sich zum Glauben.« Grandi habe insbesondere dabei geholfen, jeden Versuch zur Legalisierung der Scheidung abzuschmettern. Borgongini lobte auch den 311

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Finanzminister, der »sich immer zugänglich gezeigt hat, wenn es darum ging, die Kirche auf die eine oder andere Weise von verschiedenen fiskalischen Lasten auszunehmen«. Der Bericht des Nuntius führte noch viele andere Bereiche der aktuellen Zusammenarbeit von Kirche und Staat auf: »In diesen drei Jahren ist eine spürbare Entspannung in allen Konflikten mit der Katholischen Aktion eingetreten und die Haltung gegenüber der Geistlichkeit ist positiver geworden.« Die Regierung habe ihren Respekt für den Papst auch dadurch gezeigt, dass sie seinen Bitten entsprochen habe, Protestanten an der Bekehrungsarbeit in Italien zu hindern. Tatsächlich habe der Kriegsausbruch »dem Kampf gegen den Protestantismus genützt, weil alle finanziellen Mittel für die Sekten aus Ländern kamen, die mit Italien im Krieg stehen«. Sogar der Kampf der Kirche für die Moral habe dank staatlicher Maßnahmen viele Erfolge gezeitigt, obwohl Ciano und andere Faschistenführer auf diesem Gebiet weniger begeistert schienen. Dennoch seien Buffarini, der Minister für Volkskultur und der Polizeichef den Wünschen der Kirche gefolgt und hätten gemeinsam gute Arbeit geleistet bei der Schließung von Varietés und der Beschlagnahme von Büchern und Zeitschriften, die der Kirche anstößig erschienen.2 In Übereinstimmung mit der langen vatikanischen Tradition hielt Pius XII. Anfang Januar den päpstlichen Neujahrsempfang für den römischen Adel ab. Im Namen der Aristokratie huldigte Fürst Marcantonio Colonna, der den Titel eines Fürst-Assistenten des päpstlichen Throns trug, dem Pontifex. Dann hielt der Papst eine lange Rede, die Italiens führende katholische Zeitung unter dem Titel »Die Mission der regierenden Klassen« abdruckte.3 Am Tag nach der Zeremonie richtete Fürst Colonna auf Wunsch Cianos einen privaten Lunch in seinem Haus aus. Der Außenminister hatte dem Papst außerhalb der offiziellen Kanäle etwas mitzuteilen, weshalb der Fürst auch Monsignore Montini einlud. Nach dem Essen mit dem Fürstenpaar sprachen Ciano und Montini eine Stunde lang allein miteinander. Der Schwiegersohn des Duces lobte zunächst die päpstliche Weihnachtsansprache im Radio, die zwar »dicht und in gelehrter Form« gehalten gewesen sei, aber in Übereinstimmung mit »der Würde der Person, 312

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Eine Katastrophe mit Ansage

die sie hielt«. Ciano sagte dem Monsignore auch, wie gut ihm der Papstfilm Pastor Angelicus gefallen habe. Dann wendete Ciano sich dem Thema Krieg zu. Er begann damit, dass er 1939 gegen Deutschlands Entscheidung zum Krieg gewesen sei, und behauptete, er habe auch den Kriegseintritt Italiens abgelehnt. Hiernach kam er auf den Punkt zu sprechen, den er dem Papst am dringendsten mitteilen wollte. Obwohl der Krieg nicht so bald enden werde, hoffe er, wenn die Zeit gekommen sei, werde der Vatikan dabei helfen, einen annehmbaren Frieden auszuhandeln. Er beendete das ungewöhnliche Treffen damit, dass er Montini von seinem tiefen Glauben erzählte und wie sehr es ihm geholfen habe, in seiner privaten Zuflucht in der Toskana allein zu beten.4 Cianos neuester Versuch, das Wohlwollen des Papstes zu gewinnen und mit der Planung für Italiens Kriegsausstieg zu beginnen, kam zur selben Zeit wie weitere schlechte Nachrichten für die Achsenmächte. Angesichts der alliierten Offensive in Nordafrika gaben deutsche und italienische Truppen ihre letzten Stellungen dort auf. Im Lauf der nächsten Tage wurde die Lage für Italien noch schlimmer, als alliierte Flugzeuge von Nordafrika aus die Fähreinrichtungen zwischen Sizilien und dem Festland zu bombardieren begannen. Der heftigste Schlag für die Achse war aber die Kapitulation der deutschen 6. Armee mit 250 000 Mann am 2. Februar bei Stalingrad.5 Ende Januar kehrte der polnische Botschafter in den Papstpalast zurück, um gemäß den neuerlichen Instruktionen seiner Exilregierung in London hervorzuheben, welche Bedeutung einer klaren Stellungnahme des Papstes zukomme. »In Polen sind neue Ereignisse vorgefallen, deren schrecklicher Charakter mit nichts in der Geschichte verglichen werden kann«, sagte er zum Papst. Dann verlas er einen persönlichen Appell des polnischen Präsidenten. Während Pius XII. zuhörte, lächelte er nervös. Als der Botschafter geendet hatte, sagte er auf Französisch: »Zunächst frage ich mich, ob der Herr Präsident meine Weihnachtsbotschaft gelesen hat. Ich bin überrascht, sogar verletzt. Jawohl, es schmerzt mich. Kein Wort des Dankes, der Anerkennung, ich meine: der Anerkennung« – und hier benutzte der Pontifex den deutschen Begriff, weil er sich nicht sicher war, ob das Französische seinen Gedanken wiedergab. »Und doch habe ich alles gesagt. Ich war 313

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klar und deutlich.« An diesem Punkt begann der Papst Teile seiner Weihnachtsbotschaft aus dem Gedächtnis zu zitieren und endete mit seiner Verurteilung der Verfolgung nationaler Minderheiten und Rassen. Der Botschafter erwiderte, die polnischen Bischöfe hätten seine Worte nicht ausreichend gefunden, da er nirgends die Nazis und ihre Untaten erwähnt habe. Der Papst unterbrach ihn. Für die Bischöfe im Exil sei es leicht, unverblümt zu reden, aber die Menschen in Polen müssten den Preis dafür bezahlen. Die Deutschen warteten nur auf einen Vorwand für weitere Verfolgungen. Die Deutschen bräuchten keinen Vorwand, gab der Botschafter zurück. Das polnische Volk habe für solche Entschuldigungen keine Geduld mehr.6 Auch seien es nicht nur die Deutschen, die einen Eroberungskrieg betrieben und Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung begingen. Denn obwohl nur wenige Italiener es je zugeben würden, gelte das auch für die Italiener. Wie ein paar Wochen später Vincent McCormick, der amerikanische Jesuit in Rom, in seinem Tagebuch notierte: Der Heilige Stuhl scheint sehr großes Interesse am Leiden der Zivilbevöl­ kerung zu haben, wenn sie italienisch ist. Er weiß genau, welche Grausamkeiten der Zivilbevölkerung in Slowenien, Kroatien und Griechenland zugefügt worden sind, und das durch Italiener – Niederbrennen ganzer Städte, Mord an unschuldigen Geiseln zur Vergeltung, aber kein Brief des Mitgefühls ist an die Bischöfe in diesen Gegenden gegangen. Ich finde es immer schwieriger, eigentlich unmöglich, die Neutralität des jetzigen Vatikans zu verteidigen. Der Katholizismus ist schwer belastet.7

Nachrichten von dem Debakel bei Stalingrad, den Niederlagen der Achsentruppen in Nordafrika und den alliierten Bombenangriffen auf Sizilien ließen – imVerbund mit der zunehmenden Knappheit von Fleisch, Milchprodukten, Brot, Pasta und vielem anderen – die Unterstützung für das Faschistenregime im Volk rasch schwinden. Mussolini kam zu dem Schluss, es sei mutiges Handeln nötig, um Schuld abzuwälzen und sich neu aufzustellen. Also entließ er neun seiner zwölf Minister, dazu Guido Buffarini, der als sein Staatssekretär im Innenministerium praktisch wie ein mächtiger Innenminister agiert hatte. 314

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Am Nachmittag des 5. Februar bestellte der Duce seinen Schwiegersohn zu sich. Als Ciano eintraf, überraschte ihn der verlegen wirkende Mussolini mit der Frage: »Was wünschest du jetzt zu tun?« Die Frage wäre seltsam gewesen, wenn der Diktator nicht die Erklärung hinterhergeschickt hätte, er habe eine umfassende Regierungsumbildung beschlossen. Ciano war schockiert, und Mussolini, der vielleicht die Reaktion seiner launischen Tochter Edda auf die Entlassung ihres Mannes fürchtete, versuchte das Gespräch rasch darauf zu lenken, welchen neuen Posten Ciano gerne bekleiden würde. Vielleicht wolle er Gouverneur in Albanien werden, schlug Mussolini vor.8 Ciano hatte kein Interesse daran, nach Albanien zu gehen. Stattdessen überraschte er seinen Schwiegervater mit dem Wunsch, Botschafter beim Heiligen Stuhl zu werden. Um das peinliche Treffen rasch zu beenden, stimmte Mussolini zu. Früh am nächsten Morgen informierte Ciano den Vatikan über die Entscheidung, denn er befürchtete, Mussolini könne es sich anders überlegen.9 Cianos Verwandlung, die mitten in einem Weltkrieg aus Mussolinis Nummer zwei mit Verantwortung für die Außenpolitik über Nacht einen Botschafter in einem briefmarkengroßen Staat machte, löste in Roms diplomatischen Kreisen fieberhafte Spekulationen aus. Der deutsche Botschafter behauptete in einem Telegramm nach Berlin, Ciano habe sich lange auf diesen »Rückzug« vorbereitet, indem er wiederholt die Sympathie des Papstes zu gewinnen gesucht habe. Ein britischer Geheimdienstbericht legte nahe, Mussolini habe den Schritt vielleicht vollzogen, »um den Weg für Italiens Ausstieg aus dem Krieg zu ebnen und schließlich Friedensverhandlungen mithilfe des Vatikans zu eröffnen«. Der Industrielle Alberto Pirelli spekulierte in seinem Tagebuch, Ciano sei über den Wechsel wahrscheinlich glücklich, weil er ihn in eine gute Position bringe, Italien von Deutschland zu lösen. Ähnlich schrieb Harold Tittmann an den amerikanischen Außenminister. Ciano sei »wegen seiner kolportierten proalliierten Neigungen geeignet, im Vatikan mit den Vertretern der Vereinten Nationen im Vatikan [d. h. dem britischen und amerikanischen Gesandten] auf einen Kompromissfrieden hinzuarbeiten, indem er ihnen die russische Gefahr vor Augen führt«.10 315

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Der Papst selbst empfing die Nachricht mit gemischten Gefühlen. Als Blitzableiter für die Unzufriedenheit der Italiener war Ciano vielleicht der unbeliebteste Mann im Land. Schlimmer noch, seine wohlbekannten Playboy-Eskapaden und kaum verhüllten Affären waren eine Peinlichkeit. Ebenso wenig gefiel dem Papst, dass Mussolini dauernd die Botschafter auswechselte. Ciano würde der fünfte italienische Botschafter sein, seit Pius XII. vor kaum vier Jahren Pontifex geworden war. Es gab aber auch eine positive Seite der Ernennung. Man konnte sich kaum einen Botschafter vorstellen, der leichteren Zugang zu Mussolini hätte oder besser platziert wäre, um die päpstliche Haltung zu vertreten.11 Unter denen, die über die Entlassung erfreut waren, war Mussolinis Geliebte Clara, die Ciano und seine Frau Edda als Feinde betrachtete, die den Duce gegen sie einnehmen wollten. Dass aber auch Buffarini seinen Posten verlieren würde, brachte sie in Rage, denn Clara sah ihn als ihren wirksamsten Verteidiger im Umfeld des Duces an. Im ersten von vielen Briefen Claras an Mussolini, die Buffarini als seinen treuesten und fähigsten Regierungsmitarbeiter darstellten, drängte sie ihn, den neuen Posten eines Polizeiministers für ihn zu schaffen. Später im Jahr schickte sie, unter dramatisch anderen Umständen, lange Botschaften im Tagestakt. Indem sie »Ben« immer mehr politische Ratschläge gab, folgte Clara in gewisser Weise dem Vorbild Margherita Sarfattis. Diese frühere Geliebte Mussolinis aus der Zeit seines Aufstiegs, die einer venezianischen jüdischen Familie entstammte, war ihm auch eine wichtige politische Beraterin gewesen. Später machte Clara sogar Anspielungen auf die Rolle ihrer Vorgängerin. »Ben, ich weiß nicht genau, wie viel du auf das gibst, was ich dir sage. … Du bist voreingenommen, weil du eine traurige Erfahrung mit dieser Frau hattest, der lächerlichen Jüdin Sarfatti. Aber der Unterschied ist wesentlich, nicht nur wegen der Rasse, dem Blut – ein klarer Unterschied, den ich hochhalte – , sondern auch, weil ihr Rat nicht von Liebe motiviert war, sondern von ihren persönlichen Interessen … einem übergroßen Stolz, weil sie Presidentessa sein wollte. Das heißt, die Jüdin, die den Großen zu ihrem eigenen Vorteil lenkt.«12 Mussolinis Kabinettsumbau erfolgte nur wenige Tage vor dem Jahrestag der Lateranverträge, bei dem faschistische und katholische Zeitungen den 316

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Duce alljährlich mit Lob überschütteten und das enge Verhältnis zur Kirche betonten. Mussolinis eigene Zeitung brachte einen Artikel auf der Titelseite, der hervorhob, dass wie jedes Jahr an diesem Tag öffentliche Gebäude und Privathäuser mit italienischen Fahnen geschmückt waren. Der Artikel endete: »Italien, das ebenso faschistisch wie katholisch ist, hat durch die Versöhnung dem religiösen Gewissen neue Stärke gegeben und in dem neuen Klima, das durch die Revolution der Schwarzhemden geschaffen wurde, den Weg seiner ureigenen historischen Mission wiederentdeckt: der Verteidigung der geistigen Werte und der Zivilisation des unsterblichen Roms.«13 Der Papst, der bis vor Kurzem noch vom Schicksal der Kirche in einem von Hitler beherrschten Europa beunruhigt gewesen war, machte sich jetzt immer größere Sorgen über die Wirkung einer deutschen Niederlage.14 Die Furcht vor der Katastrophe, die Europa und der Kirche widerfahren werde, falls die Sowjets die Achsenstreitkräfte vernichteten, wurde von der italienischen Propaganda permanent angefacht und täglich in der faschistischen wie katholischen Presse aufgegriffen. Ein Kommentar von Pater Mario Busti, dem Chefredakteur der Mailänder katholischen Tageszeitung, ging am 21. Februar so weit, in zustimmendem Ton Propagandaminister Goebbels zu zitieren, obwohl der im Vatikan lange zu den führenden Kirchenfeinden im Reich gezählt worden war. Zu Recht habe Goebbels die Notwendigkeit betont, »die Gefahr aus dem Osten auszuschalten, die zunächst Deutschland und dann ganz Europa … durch die bolschewistische Welle droht«. Busti fügte noch ein weiteres Zitat des Naziführers hinzu: »Nur die deutsche Armee und ihre Verbündeten haben die Macht, Europa vor dieser gewaltigen Gefahr zu bewahren.«15 Während die Wahrscheinlichkeit eines Achsensieges abnahm, mehrten sich Spekulationen, Mussolini oder andere Faschistenführer könnten einen Ausweg aus dem Krieg suchen und dabei den Papst als Vermitt­ler brauchen. Mitte Februar informierte Harold Tittmann Washin­gton von seiner Wohnung in Vatikanstadt aus, dass der Papst vielleicht interessiert wäre, eine solche Initiative zu unterstützen. Vielleicht, spekulierte er, wäre Ciano als Mussolinis neuer Botschafter beim Heiligen Stuhl »in einer Position, über den Vatikan Verhandlungen mit den Alliierten zu eröffnen, damit Italien mit einem Separatfrieden aus dem Krieg ausscheiden 317

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könnte«. Der amerikanische Gesandte glaubte, dass die Interessen des Vatikans und der italienischen Regierung sich nun einander annäherten, denn beide wollten Italien vor der Zerstörung bewahren. Da der Vatikan befürchte, der Sturz des faschistischen Regimes könne einen Volksaufstand auslösen, wolle er keinen dramatischen Regierungswechsel ris­ kieren.16 Trotz der Wendung, die der Krieg genommen hatte, sahen die im Vatikan ansässigen alliierten Diplomaten keinerlei Anzeichen dafür, dass die Italiener sich gegen ihre Regierung erheben würden. Genau das war das Ziel der alliierten Bombenkampagne gewesen: einen solchen Volksaufstand zu provozieren. Dass es keine Anzeichen dafür gab, war allerdings, wie der britische Außenminister Anthony Eden in einem vertraulichen Memorandum festhielt, kein Grund, die Luftangriffe einzustellen. Ganz im Gegenteil sprach er sich dafür aus, sie zu verstärken. Statt einen Sonderfrieden mit den Italienern anzustreben, riet er: »Wir sollten darauf abzielen, eine solche Unordnung in Italien zu schaffen, dass eine deutsche Besatzung erforderlich wird. Unserer Meinung nach bestehen die besten Mittel zum Erreichen dieses Ziels darin, alle Formen der Militäroperationen gegen Italien zu verstärken, vor allem die Bombardierung.« Wenn die Deutschen gezwungen wären, Soldaten, die verzweifelt anderswo in Europa gebraucht wurden, nach Italien zu schicken, könne das den Alliierten nur nützen, meinte der britische Außenminister.17 Hoffnungen, dass Pius XII. Italien helfen könnte, mit Hitler zu brechen und aus dem Krieg auszuscheiden, beschränkten sich nicht auf geflüsterte Gespräche unter den ausländischen Botschaftern im Vatikan. Am 22. Februar besuchte General Ettore Bastico, der bis zur jüngsten Niederlage der italienischen Armee in Nordafrika Gouverneur von Libyen gewesen war, den Papst. Er hoffte, dessen Hilfe zu gerade diesem Zweck zu gewinnen, und erklärte ihm, es sei der einzige Weg, um den Zusammenbruch des Landes zu verhindern. Bastico ging enttäuscht. »Ich versuchte den Heiligen Vater für die wirkliche Lage zu interessieren, in der Italien sich in diesem Krieg befindet«, erinnerte er sich, »aber der Papst schwebte weit über allem, wich der Frage geflissentlich aus und verließ mich, ohne mich seine erlauchte Meinung wissen zu lassen.«18 318

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Mit der wachsenden Sorge vor einer alliierten Invasion fanden auch andere Mitglieder der italienischen Elite auf der Suche nach einer Rettungsleine ihren Weg in den Vatikan. Unter ihnen ragte der Gummifabrikant Alberto Pirelli heraus. Er war lange eine Stütze des faschistischen Regimes gewesen und suchte nun, wie andere seiner Klasse auch, verzweifelt einen Weg, um den Volksaufstand zu verhindern, der wohl auf eine militärische Niederlage folgen würde. Um das Terrain zu sondieren, stattete er Kardinal Maglione einen Besuch ab. Maglione fragte den Industriellen, ob er meine, Italien könne einen Friedensvertrag getrennt von Deutschland aushandeln. Nein, antwortete Pirelli. Es wäre nicht nur demütigend für die Nation, ihren deutschen Verbündeten auf diese Art zu verlassen, sondern wenn die Italiener es versuchten, würden die Deutschen sie auch teuer dafür bezahlen lassen. Ihre einzige Hoffnung sei es, einen Frieden auszuhandeln, der auch Deutschland einbezog. »Wer könnte die Initiative übernehmen?«, fragte der Kardinal. »Meine Leute denken an den Vatikan, verstehen aber die Schwierigkeiten.« Maglione vermochte nicht zu sehen, wie der Vatikan dabei Erfolg haben könne. Die Alliierten hatten klargestellt, dass sie weder mit Mussolini noch mit Hitler verhandeln würden. Während Italien einen König besaß, der zumindest theoretisch den Duce ersetzen konnte, hatte Deutschland keinen König und damit keine Hintertür offenstehen, um den Führer abzusetzen. »Außerdem hat Deutschland in Europa wahrlich Hass gesät«, gab der Kardinal gegenüber dem Industriellen zu bedenken. »Für die Gräueltaten an den Juden in Polen und überall sonst haben wir erschreckende Beweise.« Magliones einzige ermutigende Neuigkeit für Pirelli war sein letzter Gedanke: Italien könne noch davonkommen. Es schien ihm unwahrscheinlich, dass alliierte Truppen auf italienischem Boden landen würden. Wahrscheinlicher würden sie ihre neue Front stattdessen an der Nordküste Frankreichs eröffnen.19 Je schlechter die öffentliche Stimmung wurde, desto mehr war Mussolini daran gelegen, jede Kritik am Krieg durch den katholischen Klerus zu vermeiden. Als Ostern heranrückte, brüteten die Präfekten der Provinzen, 319

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Francis D’Arcy Osborne, britischer Gesandter beim Heiligen Stuhl, während seines Besuchs in London, 14. April 1943.

verstärkt durch örtliche Parteifunktionäre und andere eifrige Faschisten, über den jährlichen Fastenbotschaften der Bischöfe. Die Behörden beschlagnahmten Exemplare der Osterbotschaft des Bischofs von Verona, der den Krieg eine Strafe Gottes für die Sittenlosigkeit der Italiener und ihre Entweihung seines heiligen Namens genannt hatte. Meist war die Regierung aber mit der Kirche zufrieden, und faschistische wie katholische Presse hatten weiterhin genug bischöfliche Botschaften zu verbreiten, die die Trommel für einen Sieg der Achsenmächte schlugen.20 Zur Verstärkung des Bombenkrieges flogen nun neben britischen auch amerikanische Maschinen Angriffe. Allabendlich zogen in den italienischen Städten von Neapel bis Mailand lange Schlangen von Menschen zu Fuß, auf Fahrrädern oder in Eselskarren aufs Land hinaus, um dem Tod zu entkommen, der aus dem Nachthimmel regnete. Die Menschen schauten zurück zum Himmel über der Stadt, der von den Flammen brennen320

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der Fabriken und Öltanks rot gefärbt war. Turin, das Zentrum der italienischen Schwerindustrie, erlebte über zwanzig schwere Bombenangriffe. Ein Großteil der Stadt lag in Trümmern, ganze Arbeiterviertel waren zerstört, Strom-, Gas- und Wasserleitungen wiederholt unterbrochen. In Neapel fuhren offene Lastwagen mit hoch aufgetürmten Leichen provisorische Friedhöfe an, wo die Körper in Massengräber geworfen wurden. Für jedes Grab gab es nur ein einziges Kreuz, auf das man hastig die Namen der darin Begrabenen kritzelte.21 Anfang April lud der Papst, der erfahren hatte, dass der britische Gesandte Osborne zu Konsultationen mit dem Außenministerium nach London reisen würde, diesen zum Gespräch ein. Er hatte ein Anliegen: Ob Osborne bitte seiner Regierung den päpstlichen Wunsch übermitteln könne, die Alliierten möchten nicht in Italien einmarschieren? Eine solche Invasion wäre nicht im Interesse künftiger guter Beziehungen zwischen den beiden Ländern, sagte der Papst. Da Osborne wusste, wie schlecht eine solche Bitte in der britischen Hauptstadt aufgenommen würde, die monatelang unter dem mörderischen Bombardement der Achsenmächte gelitten hatte, hielt er es offenbar für das Beste, das päpstliche Anliegen in London gar nicht zu erwähnen.22

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Kapitel 27

Ein heikles Problem

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itte März 1943 schickte Angelo Roncalli, damals päpstlicher Legat in Istanbul, ein verschlüsseltes Telegramm an den Vatikan – fünfzehn Jahre, bevor er selbst Pius XII. auf den Papstthron folgte und den Namen Johannes XXIII. annahm. Als der Text aus dem Dechiffrierbüro kam, stellte er den aktuellen Papst vor ein delikates Problem. Roncalli berichtete, die 20 000 noch in der Slowakei lebenden Juden »sind in Gefahr, am Ende des Monats nach Polen deportiert zu werden. Sie bitten den Heiligen Vater, bei der [slowakischen] Regierung zu intervenieren, … damit 1000 jüdische Kinder mit englischer Erlaubnis nach Palästina emigrieren können … und die Erlaubnis erhalten, durch die Türkei zu reisen.« Die Juden wandten sich in der Hoffnung an den Papst, er könne seinen Einfluss auf den slowakischen Regierungschef, den römisch-katholischen Priester Jozef Tiso, geltend machen.1 Das Problem für den Papst bestand darin, dass er getreu der Haltung, die seine Vorgänger seit Entstehung der zionistischen Bewegung eingenommen hatten, gegen die Gründung eines jüdischen Staats in Palästina war und keine zusätzlichen Juden dort sehen wollte. Wie wir aus den jüngst geöffneten vatikanischen Archiven wissen, wurde Roncallis Bitte an Monsignore Giuseppe Di Meglio aus dem Staatssekretariat weitergeleitet. Di Meglios lange Stellungnahme unter dem Titel »Palästina und die Juden?« ging schließlich an den Papst.2 Mit einem Blick auf die Geschichte der zionistischen Bewegung bemerkte Di Meglio, bis vor Kurzem seien Juden nicht erpicht darauf gewesen, nach Palästina zu gehen. Er erklärte auch, was aus seiner Sicht die Gründe dafür seien:

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Es ist bekannt, dass die meisten Juden hauptsächlich in der Industrie und, ­zuallermeist, im Handel engagiert sind. Dieser Handel ist recht gewinnbringend für sie, wenn sie unter Christen leben. Wenn dagegen sämtlich und einzig Juden zusammenkommen, hat man eine riesige Versammlung von … Schwindlern, während es an denen fehlt, die beschwindelt werden. Darum haben die meisten Juden nicht den Wunsch, nach Palästina auszuwandern.3

Di Meglio fügte hinzu, in der Vergangenheit habe auch die standhafte Opposition des Heiligen Stuhls dazu beigetragen, den Erfolg des zionistischen Plans zu verhindern. Er sehe keinen Grund, warum der Vatikan seine Haltung ändern solle, denn »Palästina jetzt den Juden als Dominion und zu ihrer absoluten Vorherrschaft zu geben, würde bedeuten, die religiösen Gefühle aller Katholiken und aller, die … sich Christen nennen, zu verletzen«. Während Europas Juden früher wenig Neigung gezeigt hätten, nach Palästina auszuwandern, seien sie nun angesichts der drohenden Vernichtung sehr daran interessiert, wobei sie Unterstützung aus England erhielten, schrieb Di Meglio. Das Ersuchen um die Hilfe des Vatikans, damit Juden nach Palästina entkommen könnten, versetze den Heiligen Stuhl in eine schwierige Lage. »Der Heilige Stuhl seinerseits … kann in der gegenwärtigen Kriegsphase nicht leicht Fragen aufwerfen und Protest äußern. … Der Heilige Stuhl wird allein zu dem Zweck gebeten, diese Emigration zu unterstützen, um Tausende von Menschen (vor allem Kinder) vor dem sicheren Tod zu retten.« Kardinal Maglione brachte den Bericht des Monsignore zum Papst, der auf dieser Grundlage eine Antwort an Monsignore Roncalli entwerfen ließ. Monsignore Tardinis Entwurf riet, der Heilige Stuhl solle »weiterhin denselben Kurs verfolgen, das heißt wie in der Vergangenheit versuchen zu verhindern, dass die befürchtete jüdische Vorherrschaft in Palästina entsteht«. Gleichzeitig solle der Vatikan umsichtig vorgehen, denn angesichts der Verfolgung der europäischen Juden »würde es einen schlechten Eindruck machen, wenn es so schiene, als lehne der Heilige Stuhl … einen Akt der Menschlichkeit ab«.4

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Anfang Mai schickte der Papst ein Telegramm mit seiner Entscheidung an Monsignore Roncalli in Istanbul. Der Heilige Stuhl »hat wiederholt bei der slowakischen Regierung zugunsten von Nichtariern interveniert mit besonderem Augenmerk auf Kindern. Er versucht immer noch, alle Transporte von jüdischen Bewohnern der Slowakei zu stoppen.« Der Text ging nicht auf Palästina ein.5 Roncalli erneuerte seinen Appell im Lauf des Monats und bat um Mithilfe bei dem Versuch, 1500 jüdischen Kindern aus der Slowakei eine Transiterlaubnis der ungarischen Regierung zu verschaffen, damit sie nach Palästina entkommen konnten. Diesmal ging Roncallis Note an den Experten für jüdische Angelegenheiten im Staatssekretariat, Monsignore Dell’Acqua. Der empfahl, man solle zunächst beim slowakischen PriesterPräsidenten zu erfragen versuchen, ob die »Transporte von Juden« gestoppt wurden, »weil es für den Heiligen Stuhl angebrachter erscheint, darauf zu beharren, dass die slowakischen Juden in der Slowakei bleiben und nicht nach Palästina transportiert werden«. Wenn Tiso bestätige, dass die Deportationen tatsächlich ausgesetzt worden seien, folgerte Dell’Acqua, »könne man ein Telegramm mit dieser Nachricht an Roncalli schicken«. Er fügte hinzu: »Er sollte die Emigration von Juden nach Palästina nicht zu stark unterstützen.«6 Pius XII. wusste genau, welches Schicksal die Juden erwartete, die in die Todeslager der Nazis deportiert wurden, aber er widersetzte sich weiter dem Druck, öffentlich zu intervenieren. Seine Worte hätten wenig Ein­ fluss auf die Deutschen, und jede päpstliche Kritik riskiere Vergeltungsmaßnahmen gegen die Kirche im besetzten Europa, argumentierte er.7 Unter den vielen Hilfsappellen, die bei ihm eingingen, war auch ein langes ­Telegramm von Generoso Pope, dem einflussreichen Verleger von Amerikas wichtigster italoamerikanischer Zeitung, Il Progresso Italo-Ameri­ cano: Im Namen von Christentum und menschlichem Anstand flehe ich Sie demütig an, Ihre heilige universale Stimme gegen die verstärkte unchristliche Verfolgung des jüdischen Volkes durch das Naziregime zu erheben. Amerikaner jeglichen Glaubens und jeglicher rassischer Abstammung sind von

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Grauen erfüllt und schockiert über die Brutalität gegen Millionen von Juden. Der barbarische Nationalkult der Nazis ist ein grausames Zerrbild des christlichen Gewissens und des menschlichen Geistes. … Ich bete und hoffe, dass die Fürsprache des Heiligen Stuhls, in Rassenfragen stets ein Ort der geistigen Toleranz und Gerechtigkeit, das Weltgewissen wachrufen und dabei helfen wird, die nationalsozialistische Orgie der Barbarei zu beenden.

Nach der inzwischen üblichen Praxis wurde eine kurze Antwort entworfen, die den Apostolischen Legaten in Washington aufforderte, dem amerikanischen Verleger »vertraulich« zu versichern, der Heilige Stuhl tue, was er könne. Eine Notiz am Fuß der Seite stammt von dem Mann mit der unver­ blümten Sprache, Monsignore Tardini, der auch das Antworttelegramm ent­warf: »Ich habe ›vertraulich‹ hinzugefügt, weil [Generoso] Pope der Besit­zer der Tageszeitung Il Progresso Italo-Americano ist und leicht die Antwort des Heiligen Stuhls veröffentlichen könnte. Das wäre einerseits gut, aber andererseits …« Hier erzählen die drei Punkte am Schluss die Geschichte. Maglione schrieb handschriftlich darunter: »sta bene« (schon gut).8 Monsignore Cicognani, der päpstliche Legat in Washington, wurde selbst mit Bitten bestürmt, der Papst solle öffentlich die in Gang befindliche Vernichtung von Europas Juden verurteilen. Seine Korrespondenz mit dem Vatikan nahm bald einen defensiven Ton an, als er erkannte, dass seine Übermittlung eines ununterbrochenen Stroms von Beschwerden über das Schweigen des Papstes nicht geschätzt wurde. Das geht aus einem Telegramm an Kardinal Maglione von Ende März deutlich hervor. Nachdem er die letzten drei Botschaften des Kardinals erhalten hatte, rechtfertigte er sich wie folgt: Ich sollte es nicht wagen, neue Appelle zu schicken, aber drei Rabbis, die verschiedenen jüdischen Vereinigungen vorstehen, kamen heute zu mir angesichts alarmierender Nachrichten besonders aus London, die systematische, schnelle Vernichtung betreffend, die kürzlich von Hitler befohlen worden sein soll und vor allem in Polen begonnen haben soll, und sie baten tränenreich, der Heilige Vater möge öffentlich appellieren und beten, damit das Massaker und die Deportationen aufhörten.

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Cicognani schloss sein Telegramm mit einer weiteren Entschuldigung: »Ich musste ihnen versprechen, diese Botschaft zu übermitteln.«9 Wenn Pius XII. behaupten konnte, sein Einfluss auf die deutsche Regierung sei begrenzt, so ließ sich das gewiss nicht für seinen Einfluss in Italien sagen. Im April informierten ihn jüdische Organisationen über die deutsche Forderung, die Juden aus den italienisch kontrollierten Gebieten in Frankreich und an der dalmatinischen Küste zu deportieren. Der Papst beschloss zu handeln und wies seinen jesuitischen Gesandten an, die Sache bei Italiens neuem Außenstaatssekretär Giuseppe Bastianini anzusprechen.10 Bastianini versprach Tacchi Venturi, Italien werde den Deutschen keine Juden übergeben. Mussolinis Maxime mit Blick auf die Juden laute: »Separation, nicht Verfolgung«. Die Juden in den von Italien besetzten Gebieten würden in italienischen Konzentrationslagern bleiben. Er erklärte: »Wir wollen keine Henker sein. … Auch die Kirche hat immer die Trennung von der Synagoge gefordert.«11 Anfang April 1943 ließ Hitler Mussolini wieder zu sich kommen, um die Kriegslage zu besprechen. Nachdem er schon seine vorige Verabredung mit dem Führer aus Krankheitsgründen verpasst hatte, bestieg der immer noch malade Mussolini widerwillig einen Sonderzug. Starke Magenschmerzen zwangen ihn, den Zug immer wieder halten zu lassen, damit er mit einem Helfer an jeder Seite hinaussteigen und tief frische Luft einatmen konnte. Als der Duce in Salzburg eintraf, bat ihn Hitler, schockiert vom kränklichen Aussehen seines Verbündeten, er solle es deutschen Ärzten erlauben, ihn zu untersuchen, aber Mussolini lehnte ab. So schwach und krank er war, brachte Mussolini doch die Kraft auf, Hitler zu einem Friedensschluss mit der Sowjetunion zu drängen, damit die deutsche Luftwaffe frei würde, um Italien vor alliierten Angriffen zu schützen. Hitler blieb unbewegt. Zurück in Rom blieb der Duce mit heftigen Magenschmerzen einen weiteren Monat im Bett. »In seinem gelblichen Gesicht zeichnet sich sein Leiden ab«, beobachtete ein Besucher. Italiens Diktator tat sein Bestes, die kämpferische Pose aufrechtzuerhalten, aber der defensive Ton, der sich nun in seine Stimme einschlich, war schwer zu überhören. »Die sagen, ich wäre am Ende, weggetreten, kaputt«, sagte er. »Das werden wir ja sehen!«12 326

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Kapitel 28

Eine schwierige Bitte

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m 5. Mai 1943 erhob Mussolini sich von seinem Krankenbett und hielt vom Balkon des Palazzo Venezia eine Rede, die seine letzte von dort aus werden sollte. Sein Auftritt fand im Anschluss an eine Sitzung der faschistischen Führung statt, wo der neu ernannte Parteichef Carlo Scorza seine eigene Mischung aus Faschismus und Katholizismus vertreten hatte: »Das faschistische Volk wird den Krieg und den Frieden gewinnen«, sagte er zu den versammelten hohen Schwarzhemden, »weil es die drei Elemente vereint, die Ewigkeit garantieren: seinen Glauben an die katholische Religion, seine Anerkennung des Hauses Savoyen als Symbol der Kontinuität und des Ruhms und seinen Gehorsam und Glauben gegenüber dem Duce«. Kurz gesagt, bestand die faschistische Dreieinigkeit aus Kirche, Monarchie und Duce. Auf dem kleinen Balkon vor seinem Fenster knüpfte Mussolini an Scorzas Worte an. »Ich bin wie ihr sicher, dass die blutigen Opfer dieser schweren Zeiten durch den Sieg belohnt werden, wenn es wahr ist, und es ist wahr, dass Gott gerecht und Italien unsterblich ist«, verkündete er der hastig zusammengetrommelten Menge.1 Während die Italiener des Krieges, den sie nicht gewollt hatten, immer müder wurden, verbreitete die italienische Presse weiterhin Worte von Kirchenführern, um die Kampfmoral zu stärken. So druckte etwa der Os­ servatore Romano am 9. Mai den jüngsten Segen des Patriarchen von Venedig für die Truppen ab. »Ganz Italien ist stolz auf euch«, hatte der Patriarch gesagt. »Es weiß, mit welcher Entschlossenheit ihr als Wall gegen die große Macht des Feindes steht, es weiß, dass ihr aus Pflichtgefühl nicht vor dem höchsten Opfer zurückschreckt.« Dieser Wall stand in Wirklichkeit vor dem Zusammenbruch.2 327

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Teil III Schicksalswende

Während der Stern des Duces sank, stieg der des Papstes auf, und die vatikanischen Versuche, Pius XII. als heldenhaften Friedensfürsten darzustellen, intensivierten sich. Der Namenstag des Papstes, der 2. Juni als der Festtag des heiligen Eugenius, bot einmal mehr eine Gelegenheit dazu. Nachdem er die Glückwünsche der neunzehn in Rom anwesenden Kardinäle entgegengenommen hatte, hielt der Papst eine Rede, die im Radio übertragen und weithin – wenn auch selektiv – in der italienischen Presse zitiert wurde. Die Schlagzeile des Osservatore Romano lautete: »Die unermüdliche Arbeit des obersten Hirten, um die Leiden des Krieges zu lindern, und sein Appell für eine Rückkehr des wahren Friedens in der Welt«. Der Papst griff damit ein Thema wieder auf, das er schon in seiner Weihnachtsansprache berührt hatte, und drückte seinen Wunsch aus, all jenen zu antworten, die ihn um Worte des Trostes gebeten hätten, »da sie aufgrund ihrer Nationalität und Abstammung in Not sind«. Dann gab er seinem Mitgefühl für jene »kleineren Nationen« Ausdruck, die wegen ihrer geografischen Lage vom Kampf der Großmächte betroffen seien und schreckliches Grauen erlebt hätten. Er äußerte sein Mitgefühl mit dem Schmerz, den das polnische Volk erlitten habe. Der Pontifex schloss seine Rede mit dem Wunsch, es möge bald Friede auf Erden einkehren.3 Erneut konnten beide Seiten Zeichen der Unterstützung in den Worten des Papstes finden. Der britische Gesandte betonte die päpstliche Sympathieäußerung für alle, die wegen ihrer Abstammung verfolgt wurden, und für das polnische Volk und nannte die Rede »seine freimütigste seit Kriegsbeginn«.4 Il Regime Fascista, die Zeitung des Erzfaschisten Roberto Farinacci, brachte eine lange, respektvolle Paraphrase der Rede, und Ciano schrieb für Mussolini eine lange Analyse. Nach seiner Einschätzung hatte den Papst das Gefühl angetrieben, er müsse »den Eindruck der politischen Passivität des Heiligen Stuhls zerstreuen, der sich in katholischen Kreisen verbreitet hat«. Pius XII. sei freilich sehr vorsichtig mit den beiden »besonders heiklen Punkten« umgegangen, die er meinte ansprechen zu müssen. Dass er seine Sorge für die Völker in den besetzten Ländern mit der Klage über die Grausamkeiten des Luftkriegs verband, war in Cianos Augen »fast ein Versuch, die Schuld und Verantwortung beider kriegführender Seiten gleich zu verteilen und dadurch die Universalität und Unparteilichkeit des Heiligen Stuhls zu betonen«. Sicherlich habe der Ponti328

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fex, als er von Völkern unter Besatzungsherrschaft sprach, an die von der Achse besetzten Gebiete gedacht, doch sei bezeichnend, dass er einzig und allein Polen namentlich genannt habe. »Offensichtlich wollte er ein Land wählen, bei dem nach den [jüngsten] Enthüllungen über das Massaker von Katyn [wo die Sowjets 1940 Tausende polnische Offiziere und Intellektuelle erschossen hatten] niemand sagen konnte, ob es mehr unter der Härte der deutschen Okkupation oder der Grausamkeit der UdSSR litt.« Auf der anderen Seite, so behauptete Ciano, war die päpstliche Forderung nach Rückkehr zu den Prinzipien der Menschlichkeit ein impliziter Tadel an den Amerikanern und Briten wegen ihres brutalen Luftkriegs.5 Die Rede des Papstes kam nach dem Zusammenbruch der Achsenarmee an der Ostfront. Das italienische Expeditionsheer war zerschlagen worden, und die Soldaten, die Gefangennahme und Tod entkommen waren, zogen sich verzweifelt durch die schreckliche Kälte und den tiefen Schnee zurück. Ein Überlebender erinnerte sich an den Anblick der Straßenränder, »wie mit Tupfen versehen mit diesen grotesken, unbeweglichen Figuren, menschlichen Skulpturen, marmoriert mit Schnee und Eis«. Insgesamt waren über 87 000 italienische Soldaten gefallen oder vermisst, Tausende weitere waren verwundet und litten unter Erfrierungen. Die Reste der Armee, die in diesem Frühjahr nach Italien zurückkehrten, verbreiteten schreckenerregende Details über das, was geschehen war. Das Elend der Italiener wurde durch zunehmende Lebensmittelknappheit und intensivierte britische und amerikanische Luftangriffe auf ihre Städte verstärkt, und eine alliierte Landung in Italien schien kurz bevorzustehen.6 Anfang Mai warfen britische Bomber über Rom Leuchtgeschosse und Flugblätter ab, die den Italienern mit Zerstörung drohten, wenn sie nicht das Bündnis mit Deutschland aufgäben. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn waren alliierte Flugzeuge am Himmel über Rom erschienen.7 Der Papst hatte das Gefühl, er müsse handeln. Schließlich war er nicht nur Oberhirte aller Gläubigen, sondern auch das Oberhaupt der italienischen Kirche. Am 10. Mai machte Monsignore Tardini Notizen über die Herausforderungen, vor denen sie standen. Mussolini gehe es um nichts als den Machterhalt, während sich zugleich mit den Zerstörungen und Ent329

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behrungen die Keime des Kommunismus ausbreiteten. Den nächsten Punkt formulierte Tardini vorsichtig, hob ihn aber durch Unterstreichung hervor: »Angesichts dieses traurigen Schauspiels könnte man fragen, ob eine Intervention des Heiligen Stuhls nicht ratsam wäre.« Mit Blick auf die Optionen des Papstes räumte Tardini ein, es gebe durchaus Argumente dafür, dass der Papst weiterhin nichts anderes tun solle, als von Zeit zu Zeit das Elend des Krieges zu beklagen. Doch angesichts des Standorts des Vatikans, seiner engen historischen Bindungen an Italien und der Tatsache, dass das italienische Volk in der Stunde der Not Hilfe beim Papst suche, schlug er vor: »Es wäre nützlich, wenn man in Zukunft zeigen könnte, der Heilige Stuhl habe die Dinge gesehen, wie sie waren, und alles ihm Mögliche für Italien getan.« In Klammern setzte der Monsignore hinzu: »Man sollte nicht vergessen, dass all die Antiklerikalen und viele Antifaschisten dem Heiligen Stuhl vorwerfen, den Faschismus unterstützt zu haben!« Jedes päpstliche Handeln müsse freilich bestimmte Kriterien erfüllen. Zunächst einmal müsse es geheim bleiben. Publizität könne vielleicht später kommen, »wenn man all die guten Werke, die der Heilige Stuhl getan hat, vorzeigen kann und auch sollte«. In jedem Fall »müsste sorgsam alles vermieden werden, was als ›Einladung‹ zu einem Sonderfrieden oder als Vermittlungsangebot gedeutet werden könnte«. Tardini schlug zwei mögliche Wege vor, wie man der päpstlichen Sorge Ausdruck geben könnte: durch einen direkten Brief des Papstes an Mussolini oder eine informelle mündliche Mitteilung über Kardinal Maglione an Ciano und über diesen weiter zum Duce. Da inzwischen viele Menschen vom König erwarteten, er werde Mussolinis Herrschaft beenden, hielt Tardini es für keine gute Idee, wenn Pius XII. eine ähnliche Botschaft an den Monarchen schickte, denn »es ist notwendig, den Eindruck zu vermeiden, der Heilige Vater unterstütze auf die eine oder andere Art diesen Plan«.8 Am nächsten Tag las der Papst Tardinis Memorandum samt dem angefügten Textvorschlag für eine päpstliche Botschaft an Italiens Diktator. Obwohl er zustimmte, dass ein Zeichen päpstlicher Initiative nötig sei, war er gegen einen förmlichen Brief an den Duce und zog den bescheideneren Schritt einer mündlichen Kommunikation über Ciano vor. Am 12. Mai kam Ciano ins Büro des Kardinals, wo Maglione ihm die Botschaft des Papstes erst vorlas und dann zur Lektüre reichte. 330

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Die Botschaft hätte kaum kürzer sein können, bestand sie doch nur aus vier Sätzen. Als Vater aller Gläubigen und wie stets bestrebt, Zivilisten vor der Geißel des Krieges zu beschützen, schrieb Pius XII., sei er betrübt über all das Leiden, das der Konflikt »seinen geliebten Kindern in Italien« verursache. Noch mehr Sorge bereite ihm aber die Zukunft, die noch größeres Leid und Zerstörung zu bringen drohe. Angesichts dieser Lage wünsche er als Bischof von Rom und Primas von Italien »dem ehrenwerten Mussolini erneut zu versichern, dass Er, wie stets, bereit ist, alles irgend Mögliche zu tun, um den leidenden Menschen zu helfen«.9 Unter den gegebenen dramatischen Umständen war eine schwächere Botschaft kaum denkbar. Selbst Ciano sagte, der Text komme ihm etwas vage vor. Er las das Blatt, das Kardinal Maglione ihm gegeben hatte, erneut und machte sich Notizen, denn der Papst wollte nicht, dass Mussolini etwas Schriftliches in die Hand bekäme. Ciano sicherte zu, er werde die Botschaft sofort dem Duce überbringen, war aber wenig optimistisch, dass sein Schwiegervater davon erfreut sein werde. Immerhin enthielt sie den impliziten Vorschlag, etwas solle getan werden, um Italien aus dem Krieg herauszulösen. Obwohl Ciano zugab, dass Friedensgespräche tatsächlich dringend nötig seien, war Mussolini doch, wie er sagte, dagegen, und in jedem Fall würden die Alliierten niemals mit ihm verhandeln. Auch der König, fügte Ciano hinzu, zeige keine Anzeichen, die Dinge in die Hand zu nehmen.10 Pius XII. brauchte nicht lange auf die Antwort zu warten, denn am selben Nachmittag diktierte Mussolini sie Ciano, der zweifellos die respektvolleren Passagen selbst formulierte: »Der Duce dankt dem Heiligen Vater … für das Interesse, das er für das Leiden gezeigt hat, das dem italienischen Volk zugefügt worden ist.« Es sei in der Tat wahrscheinlich, bestätigte Mussolini dem Papst, dass die Alliierten ihre Angriffe fortsetzen und so weitere Zerstörung und Leid bringen würden. Immer noch eifrig bemüht, sich als Friedensstifter darzustellen, fügte er hinzu: »Der Duce selbst leidet unter dieser Situation, denn zwischen August und September 1939 unternahm er jede nur denkbare Anstrengung, um den Konflikt zu verhindern.« Dann kam die völlig vorhersehbare Antwort des Diktators auf den Punkt: »Der Duce dankt dem Papst für seine guten Absichten, doch in der gegenwärtigen Lage gibt es keine Alternativen und daher wird Italien weiterkämpfen.«11 331

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Am nächsten Tag brachte Ciano die Antwort seines Schwiegervaters in den Vatikan und las sie Kardinal Maglione laut vor. Er sagte ihm, Mussolini betrachte die Botschaft des Papstes als einen weiteren Versuch, sein Bild auf Mussolinis Kosten aufzupolieren.12 Während der Duce den sorgfältig verpackten Appell des Papstes parierte, ergaben sich die letzten Achsentruppen in Tunis, und die Alliierten nahmen weitere 120 000 Italiener und 130 000 Deutsche gefangen. Unterdessen bombardierten sie beide Küsten im Südosten Siziliens sowie Sardinien, um die Italiener im Unklaren darüber zu lassen, wo sie landen könnten.13 Mit dem Nahen der alliierten Invasion suchten die oberen Ränge der italienischen Gesellschaft verzweifelt nach einem Weg, sich zu retten. Für die Militärführung konnte es nur einen Bezugspunkt geben, den König, dem sie traditionell die Treue schwor und dem sie diente. Es war der König, der das Recht hatte, den Chef der Regierung auszuwählen, was seinen Niederschlag in der – auch in den Jahren der Diktatur niemals aufgegebenen – Erfordernis fand, dass Vittorio Emanuele jedes Gesetz vor seinem Inkrafttreten unterzeichnen musste. Der Papst wusste, dass es Geheimtreffen im königlichen Quirinalspalast auf der anderen Seite des Tibers gab. Giuseppe Dalla Torre, der Chefredakteur des Osservatore Romano, der gute Kontakte zu den Konservativen pflegte, die nun zu retten versuchten, was zu retten war, hielt den Papst auf dem Laufenden.14 Der für seine Zurückgezogenheit bekannte König, der lange im Bann Mussolinis gestanden hatte, fürchtete, der Sturz des Faschismus könne das Ende der Monarchie bedeuten, und wurde mit jedem Kontaktversuch nervöser. Anfang Mai drängte sein Cousin, der Herzog von Turin, ein Armeeführer des Ersten Weltkriegs, ihn zum Handeln. Der König lehnte ab. »Neulich haben immer noch 50 000 Leute dem Duce auf der Piazza Venezia zugejubelt«, erwiderte er. »Ich will keinen Bürgerkrieg provozieren.«15 Seinem Adjutanten gestand Vittorio Emanuele seine Befürchtung, »jeden Moment können die Engländer und der König von England sich direkt an mich wenden, um über einen Sonderfrieden zu verhandeln. Das würde mich in eine sehr peinliche Situation bringen. Wenn das passiert, würde 332

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ich offen handeln, ich würde mit dem Duce sprechen, damit wir den Kurs gemeinsam bestimmen.«16 Drei Monate zuvor hatte Präsident Roosevelt dem Papst eine Reihe unangenehmer Fragen gestellt. Welche Form sollte eine neue italienische Regierung seiner Meinung nach annehmen? Wem sollte ihre Führung anvertraut werden? Sollte die italienische Monarchie beibehalten oder abgeschafft werden?17 Der Papst hatte eine Antwort hinausgezögert, wollte sie nun aber nicht länger aufschieben. Kardinal Maglione und Monsignore Tardini bereiteten Entwürfe für den Pontifex vor und nahmen letzte Änderungen am Text vor. Der heikelste Punkt war die Identifizierung von Personen, die eine neue Regierung leiten könnten. Zunächst nannte Tardini gar keine Namen, weil er eine solche Liste für zu riskant hielt. Der Papst forderte eine neue Fassung. Weil die Amerikaner ausdrücklich nach Namen gefragt hatten, war er der Meinung, man müsse auch einige nennen, wollte sie aber nicht schriftlich festgehalten wissen. Stattdessen sollten die Namen mündlich mitgeteilt werden und nicht als Vorschläge des Papstes selbst erscheinen, sondern, wie er es ausdrückte, »alles muss in den Mund von Informanten und der öffentlichen Meinung gelegt werden«. Gemäß diesen Anweisungen enthielt eine neue Textfassung die Namen der vom Papst favorisierten Personen, wenn auch so verpackt, dass der Papst auf Distanz zu ihnen blieb: »Große Teile der öffentlichen Meinung glauben, dass zumindest für eine Übergangsphase Vittorio Emanuele Orlando, Marschall Enrico Caviglia und Luigi Federzoni zu denen gehören, die zur Führung der Regierung geeignet wären.« Der ältliche Orlando war italienischer Ministerpräsident während des Ersten Weltkriegs gewesen, Caviglia war ein ebenso alter Held jenes Krieges und Federzoni ein prominentes prokirchliches Mitglied des Faschistischen Großrats.18 Als er dem Papst diesen neuesten Entwurf überbrachte, äußerte Kardinal Maglione sein Unbehagen über dessen Wunsch, in der Antwort an den amerikanischen Präsidenten Namen zu nennen. Es bestehe immer die Gefahr, dass die Botschaft in die falschen Hände fallen könnte. Die Sorgen dabei galten nicht nur Mussolini. Viele Männer wollten nur allzu gern den Duce beerben, und wenn jemand von ihnen sehen würde, dass er nicht auf 333

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der päpstlichen Liste stand, konnte das Resultat schädlich sein. Schließlich stimmte der Papst zu. Das kurze verschlüsselte Telegramm an Cicognani in Washington wurde ohne Namen geschickt. Der Papst konzentrierte sich nur auf einen Punkt: seinen Glauben daran, dass die Monarchie unbedingt beibehalten werden müsse. Was die Fragen nach einem potenziellen künftigen Regierungschef anging, war die Antwort kurz. Das müsse gemäß der italienischen Verfassung der König entscheiden.19 Während die Antwort des Papstes auf Roosevelts Fragen kurz ausfiel und ihren Weg über den Apostolischen Legaten in Washington nahm, schrieb der Papst gleichzeitig in einer anderen Angelegenheit, die er für dringender hielt, direkt an den Präsidenten. Das verstärkte alliierte Bombardement italienischer Städte und die Erkenntnis, die Invasion könne kurz bevorstehen, ließen ihn fürchten, Rom könne bald zum Ziel von Luftangriffen werden. Er begann seinen Brief wie gewöhnlich, wenn er vom Krieg sprach, indem er seine unermüdlichen Anstrengungen für den Frieden hervorhob: »Und als die schrecklichen Kräfte der Zerstörung einen großen Teil Europas überschwemmten, verfehlten Wir nicht – obgleich Unser apostolisches Amt Uns über jede Parteinahme bei bewaffneten Konflikten setzte – , alles zu tun, was Wir konnten, die noch nicht ergriffenen Länder vom Krieg fernzuhalten und soweit als möglich jene Schmerzen und Leiden von Millionen unschuldiger Menschen zu lindern – Frauen und Kinder, die wehrlos gegen die Verhältnisse sind, unter denen sie zu leben haben.« Hierauf bat er Roosevelt, die Italiener von weiteren Leiden zu verschonen und »ihre vielen kostbaren Heiligtümer der Religion und der Kunst« zu schützen, »das unersetzbare Erbe nicht nur eines Volkes, sondern der ganzen menschlichen und christlichen Zivilisation«.20 Am 29. Mai kamen Winston Churchill und sein Außenminister Anthony Eden mit General Eisenhower und dem alliierten Oberkommando in ihrem Hauptquartier in Algier zusammen, um die Invasion Italiens zu planen. Die Landung sollte unter dem Codenamen »Husky« an der Küste Siziliens stattfinden. Das Datum stand noch nicht fest, sollte aber bald sein.21 Zur selben Zeit überbrachte Myron Taylor, Präsident Roosevelts Sondergesandter, dem Apostolischen Legaten in Washington, Monsignore Cicog334

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nani, eine Botschaft an den Papst. Obwohl Taylor behauptete, nur für sich zu sprechen, war Cicognani überzeugt, er komme von Roosevelt. Taylor sagte, die Italiener stünden vor einer schicksalhaften Wahl. Wenn sie nicht bald Mussolini absetzten und das Bündnis mit Deutschland aufkündigten, würde die Zukunft schreckliche Zerstörung, Tod und Armut bringen, und schließlich würden sie das Schicksal aller besiegten Völker erleiden.22 Die Nachricht von diesem Gespräch führte zu sorgenvollen Diskus­ sionen zwischen Kardinal Maglione und dem Papst. Wenn Pius XII. eine Rolle beim Ausscheiden Italiens aus dem Bündnis mit Hitler spielen wollte, musste er Vittorio Emanuele III. ermutigen, Mussolini abzusetzen, denn nur der König besaß dazu die verfassungsmäßige Autorität. Indem er zu skizzieren versuchte, wie so ein Versuch aussehen könnte, entwarf Monsignore Tardini sogar einen längeren Text, den der Papst an den König senden könnte. Darin wurde die Sache mit Finesse so dargestellt, als würde Taylors Botschaft »nur zu Informationszwecken« weitergegeben, was eine gewisse Distanz zwischen den Papst und das amerikanische Ersuchen brachte. Tardini war selbst hin- und hergerissen. Wenn der Papst beschloss, nichts zum König zu sagen, »würde es scheinen, als wolle der Heilige Stuhl um jeden Preis Mussolini retten«. Wenn der Papst aber irgendetwas tat, das Mussolinis Absetzung förderte, barg das ebenfalls Risiken.23 Trotz der Dringlichkeit des amerikanischen Appells beschloss der Papst, auf Zeit zu spielen. Er wies seinen Legaten in Washington an, bei Taylor Rückfrage zu halten, ob seine Botschaft die Billigung der amerikanischen Regierung habe.24 Am selben Tag, als der Papst seine Frage nach Washington sandte, bereitete Monsignore Tardini ein neues Memorandum vor, das diesmal alle Gründe aufführte, warum es unklug für den Vatikan sei, irgendwie bei Mussolinis Sturz zu helfen: Die Alliierten wollten, dass Italien sein Bündnis mit den Nazis aufgeben und den Faschismus abschaffen sollte, um das Land unter dem Deckmantel der Behauptung, ihm Schutz zu gewähren, als bequeme Basis für den Angriff auf Deutschland zu nutzen. Die Drohungen der Alliierten, was sie tun würden, falls Italien sich nicht fügte – Italiens Städte zerstören, die Bevölkerung massenhaft umbringen, die Wirtschaft ruinieren – , waren empörend. »Wirkt das nicht wie ein Nazi­ 335

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programm?«, fragte Tardini. Dann war da noch eine weitere Überlegung: Die Deutschen hatten überall Spione und planten zweifellos, Italien zu besetzen, falls das Land etwas tat, um Mussolini abzusetzen und die Achse zu verlassen. Tardini war überzeugt, die Deutschen hätten »den starken Wunsch, einen Schlag gegen den Heiligen Stuhl zu führen«. Es sei unklug, wenn der Vatikan sie irgendwie verärgere.25 Das erste italienische Stück Land, das an die Alliierten fiel, war die kleine Insel Pantelleria auf halbem Weg zwischen Tunis und Sizilien. Nach drei Tagen intensiven Bombardements ergab sich die Garnison, ihre 10 000 Soldaten wurden gefangen genommen. Nach der Kapitulation appellierte Roosevelt am 11. Juni im Radio an die Italiener, Mussolini abzusetzen und sich von ihrem deutschen Verbündeten loszusagen. Am selben Tag besuchte Myron Taylor erneut den Apostolischen Legaten in Washington, diesmal mit einem endgültigen Ultimatum Roosevelts in der Tasche. Wenn Italien und der König seiner Aufforderung folgen würden, seien die Vereinigten Staaten bereit, dem belagerten Land beizustehen und eine neue Regierung zu unterstützen. Das sei ihre letzte Chance. Die Alliierten seien entschlossen, Faschismus und Nationalsozialismus zu stürzen. Sie würden jedes Ziel bombardieren, das diesem Zweck dienlich sei, ob militärisch oder zivil. Nicht einmal Rom würde verschont werden.26 Pius XII. konnte den Kontakt mit dem König nicht länger aufschieben. Am 17. Juni schickte er seinen Nuntius zum König unter dem Vorwand, ihm eine Reihe von Gedenkmedaillons zur Feier des 25. Jahrestags seiner Bischofsweihe zu übergeben. Der Nuntius Francesco Borgongini, vielleicht ein ebenso großer Pedant wie der König, verwendete die ersten Minuten ihres vierzigminütigen Zusammentreffens darauf, dem König die Geschichte hinter jedem einzelnen Stück zu erklären. Der Monarch sprach Pius XII. im Gegenzug seine Glückwünsche aus und sagte, wie sehr er die Fähigkeit des Papstes bewundere, seine Reden so zu formulieren, dass sie niemanden verletzten. Roosevelts wenige Tage zurückliegende Radioansprache bot dem Nuntius den Ansatzpunkt, den der Papst gesucht hatte, um das heikle Thema anzusprechen. Der Präsident hatte nämlich erklärt, dass die Vereinigten Staaten Italien gegenüber nicht feindlich gesonnen seien, und dass es in 336

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Italiens Interesse liege, aus dem Krieg auszuscheiden. Wenn es das tat, hatte Roosevelt amerikanische Unterstützung versprochen. Wenn nicht, würden die Folgen schrecklich sein. In der Zusammenfassung, die der Nuntius dem König von Roosevelts Radiobotschaft gab, vermied er es, Mussolini oder seine erwünschte Absetzung direkt anzusprechen. Da der König beim ersten Mal nicht anbiss und ein anderes Thema ansprach, versuchte der Nuntius es erneut. Wie der Heilige Stuhl erfahren habe, ließ er den König wissen, habe der Präsident es tatsächlich ernst gemeint, als er dem Land Unterstützung zusagte, wenn es sich aus dem Krieg zurückziehe. Hier zeigte der König einen Funken Interesse, wechselte aber erneut das Thema und fragte, wie die Kirche in den Vereinigten Staaten aufgebaut sei. Wieder versuchte der Nuntius das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken: »Die Monarchie wird vom italienischen Volk geliebt und geehrt, und die Regierung hängt von Eurer Majestät ab.« Der König war ein Feigling, aber kein Narr, und verstand, worauf Borgongini hinauswollte. Mit einem schiefen Lächeln sagte er: »Ich bin nicht wie der Papst.« Seiner Meinung nach würde es den Alliierten schwerfallen, in Sizilien zu landen. Dafür bräuchten sie mehr Truppen und große Schiffe, als sie hätten. Es sei wahrscheinlicher, spekulierte er, dass Sardinien ihr Ziel sei. Vielleicht planten sie auch gar keine Invasion von italienischem Territorium, sondern steuerten Griechenland an. Auf keinen Fall, versicherte der König, stehe eine Landung auf italienischem Boden unmittelbar bevor, denn die Armee habe ein wachsames Auge darauf und sehe keine entsprechenden Anzeichen.27 Mussolinis Bedürfnis nach kirchlicher Schützenhilfe, um sich die Unterstützung des Volkes zu bewahren, war nie größer gewesen. Am selben Tag, als der Nuntius mit dem König zusammentraf, versammelte die Leitung der Faschistischen Partei dreißig Militärgeistliche, jeweils zehn aus der Armee, aus den paramilitärischen Gruppen der Jungfaschisten und aus der faschistischen Miliz, dazu Erzbischof Bartolomasi, der die Oberaufsicht über die Militärgeistlichen innehatte. Der Parteisekretär schlug vor, die Partei solle eine Reihe öffentlicher Versammlungen in ganz Italien organisieren, um gegen den Vormarsch der Alliierten »zum Widerstand zu er337

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mutigen«. Bei diesen Veranstaltungen, die für die erste und dritte Juliwoche geplant waren, sollten jeweils Würdenträger der Faschistischen Partei, verwundete Veteranen und ein örtlicher Geistlicher sprechen. Der Erzbischof bot seine Unterstützung für die Initiative an und versprach die »loyale Mitarbeit« des katholischen Klerus.28 Während der Papst seit Langem in Unruhe darüber gewesen war, was ein von den Nazis kontrolliertes Europa für die Kirche bedeuten würde, machte er sich nun auch Sorgen, was ein durchschlagender Sieg der Alliierten bedeuten könnte. Ein Memorandum, das Monsignore Tardini für die britische Gesandtschaft vorbereitete, erlaubt einen wertvollen Einblick in das Denken des Vatikans zu einem Zeitpunkt, als der Krieg sich entschieden zugunsten der Alliierten gewendet hatte. Das christliche Europa und das Christentum standen demnach vor zwei Gefahren: Nationalsozialismus und Kommunismus, beide materialistisch, antireligiös, totalitär, tyrannisch, grausam und militaristisch. Auf die Sorgen des Vatikans, ein alliierter Sieg könne zur kommunistischen Beherrschung Europas führen und so kein besseres Resultat bringen als ein Sieg der Nazis, hatten die alliierten Diplomaten erwidert, dass die beiden Situationen doch sehr unterschiedlich seien. Während ein Achsensieg die Kontrolle Europas durch die Nazis allein bedeuten würde, bestünden die Alliierten aus drei Mächten, und in der Welt nach dem Krieg würden Briten und Amerikaner den Einfluss Russlands ausbalancieren. Dieses Argument fand Tardini schwach. Es gebe tatsächlich gute Gründe für die Befürchtung, ein alliierter Sieg werde zu einem von Russland beherrschten Europa und damit »der Zerstörung der europäischen Zivilisation und der christlichen Kultur« führen. Er sagte voraus, dass Briten und Amerikaner sich auf den Krieg im Pazifik würden konzentrieren müssen, wenn die Kämpfe in Europa erst einmal vorüber wären. Während sie sich mit Japan befassten, würde die gewaltige sowjetische Armee den größten Teil Europas besetzen. Dieser Siegeszug würde nicht allein auf militärischer Eroberung beruhen, denn die unerwarteten Siege der Roten Armee über die Wehrmacht hätten die Arbeiterklasse in Europa sehr beeindruckt. Nach dem Krieg würden die unter Hunger und Elend leidenden Westeuropäer leichte Beute für die Kommunisten sein, wäh338

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rend die Slawen nach Tardinis Meinung von Natur aus den Russen und dem Kommunismus zuneigten. Die kommunistische Eroberung würde dadurch erleichtert werden, dass selbst nach dem Sieg über Japan ein totalitäres Regime wie die Sowjetunion weiter für den Krieg mobilisieren könne, während Demokratien dem Volkswillen unterworfen seien und danach strebten, ihre Armeen zu verkleinern und die Früchte des Friedens zu genießen. Der Monsignore kam zu dem Schluss, das ideale Ergebnis des Krieges wäre die Vernichtung beider Gefahren, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Sollte der Kommunismus oder der Nationalsozialismus allein überleben, wäre das Resultat eine Katastrophe.29 Pius XII. wusste, dass weder die Italiener noch die Deutschen sich daran gehalten hatten, ihr Militär aus Rom abzuziehen. Roosevelts Drohung, dass er die Stadt nicht verschonen werde, wenn Italien weiter aufseiten der Achse kämpfe, ließ den Papst seine frühere Mahnung wiederholen: Wenn die Alliierten Rom bombardierten, werde er laut protestieren. In einer Botschaft an den Präsidenten warnte er: »Wer eine solche Bombardierung durchführt, wird von den Katholiken auf der ganzen Welt und vom Urteil der Geschichte verantwortlich gemacht werden.«30 Roosevelt und Churchill hatten viel Aufmerksamkeit auf die Frage verwandt, ob Rom bombardiert werden sollte, und dabei fast ausschließlich die katholischen Befindlichkeiten in Betracht gezogen. Beide waren aber sehr unterschiedlicher Meinung. Für den Präsidenten stand die innenpolitische Wirkung auf die amerikanischen Katholiken im Vordergrund. Für den britischen Premier war es empörend, dass der Papst Mussolinis Hauptstadt vor Angriffen schützen sollte, nachdem er gegen das heftige Bombardement Londons durch die Achse nicht protestiert hatte. Als schließlich die alliierte Invasion Italiens näherrückte, erhielt General Eisenhower in Algier neue Anweisungen, die von Roosevelt wie Churchill genehmigt waren. Damit wurden Angriffe bei Tag auf die Rangierbahnhöfe Roms autorisiert, die einen wichtigen Knotenpunkt für die Achsentruppen und ihren Nachschub darstellten. Vor einem solchen Angriff sollten die Piloten allerdings gründlich über die Verhältnisse vor Ort instruiert werden und dann den Vatikanstaat umfliegen.31 339

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Roosevelt wollte sich den Papst ungern zum Gegner machen und hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, einen Weg zu finden, um Rom zur »offenen Stadt« zu erklären, also einer Stadt frei von militärischen Aktivitäten, die dann auch nicht angegriffen würde.32 Er stieß mit seiner Idee indes nicht nur auf starken Widerstand beim US-Oberkommando, sondern auch bei seinem Außenminister Cordell Hull. Ende Juni erklärte Hull seine Gründe in einem langen Brief an den Präsidenten. Angesichts von Roms strategischer Lage auf der Halbinsel bleibe die Stadt ein zentraler Bahnknotenpunkt zwischen Nord und Süd. Trotz der früheren vatikanischen Zusagen, italienisches und deutsches Hauptquartier würden aus Rom abgezogen, gebe es sichere Hinweise, dass dies nicht geschehen sei, »vielmehr weist alles darauf hin, dass Mussolini Rom weiterhin als Hauptstadt des faschistischen Italien nutzt«.33 Obwohl dem Papst klar sein musste, dass Mussolinis Tage gezählt waren, blieb er darauf bedacht, sich den Duce oder die faschistische Regierung nicht zum Feind zu machen. Die fatale Wendung des Krieges brachte aber eine wachsende Zahl von italienischen Priestern dazu, ihre Unzufriedenheit über die Fortdauer der Kämpfe zu äußern. Das Ergebnis war ein in Rom eingehender Strom von Klagen seitens der Präfekten und Polizeispitzel, dass Gemeindepriester die öffentliche Kampfmoral untergruben. Mitte Juni argumentierte Cianos Stellvertreter in der Vatikanbotschaft, man solle den Fällen »defätistischer« Priester nicht zu viel Bedeutung beimessen. Er riet dem Außenministerium, die starken Worte der Unterstützung für den Krieg, die nach wie vor von einigen einflussreichen Bischöfen und Kardinälen des Landes kamen, wichtiger zu nehmen. Er erinnerte an den Segen, den der Patriarch von Venedig vor Kurzem den italienischen Truppen erteilt hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte er sie für den Kampf »gegen die erdrückende Macht des Feindes« und »die Verbreitung der römischen und christlichen Zivilisation in der Welt« gelobt. Er zitierte auch die jüngsten Bemerkungen von Kardinal Carlo Salotti, einem Mitglied der Kurie, der die Bereitschaft der italienischen Soldaten gepriesen hatte, ihr Leben für ihr Vaterland zu geben, »stolz in ihrem christlichen Glauben«.34 340

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Während die Rote Armee nach Westen marschierte und die Kommunistische Partei aus dem Untergrund heraus Streiks in norditalienischen Fabriken mitorganisierte, wuchs die Sorge des Papstes, bald könne eine kommunistische Welle über das Land gehen. Mitte Juni sprach er vor 25 000 Arbeitern im vatikanischen Belvedere-Hof. Er mahnte sie zur Vorsicht vor den »Lügenversprechen« der Revolutionäre und warnte, die Kommunisten würden sie alle zu Sklaven machen. Der britische Gesandte berichtete über die Rede nach London: »Ich neige dazu, die Vehemenz der päpstlichen Warnungen vor einer sozialen Revolution der Furcht zuzuschreiben, die Reaktion gegen den Faschismus könne in Italien eine kommunistische Form annehmen.« Osbornes Geschäftsträger merkte kritisch an, der Papst habe »die ›soziale Revolution‹ so streng verurteilt und ihre Folgen in so düsteren Farben gemalt, dass die faschistische und die Nazipresse durch geschickte Auslassungen den Eindruck erwecken konnten, die Rede sei kaum mehr als ein Angriff auf den Kommunismus gewesen«. Tatsächlich machten die Nationalsozialisten zu Propagandazwecken reichlichen Gebrauch von der Rede. Der italienische Geschäftsträger in Berlin berichtete, sie sei »praktisch ungekürzt« in Umlauf gebracht worden als »expliziteste Verurteilung des Kommunismus, die der Papst je geäußert hat«.35 Mochte der Krieg sich auch gewendet haben, der Austausch von Gefälligkeiten zwischen vatikanischen Prälaten und führenden faschistischen Regierungsmitarbeitern ging weiter. Es war ein Austausch, den der Vatikan seinen Partnern auf Regierungsseite später reich vergelten sollte. Den ganzen Krieg über hatten Kardinal Maglione und seine Umgebung ihre Beziehungen zur Regierung benutzt, um ihre Verwandtschaft vor den Gefahren des Krieges zu schützen und vor allem ihre jungen Verwandten davor zu bewahren, an die Front geschickt zu werden. Das jüngste Beispiel vom Mai 1943 war typisch. Maglione schrieb einen Brief an Francesco Babuscio, damals Stabschef im Außenministerium, den er als »lieben Freund« ansprach. Er bat darum, den Befehl zum Fronteinsatz für den Neffen des päpstlichen Nuntius in Belgien aufzuheben und ihn stattdessen dem Außenministerium in Rom zuzuweisen. Babuscio antwortete zwei Tage später: »Erlauben Sie mir zu sagen, dass es mir große Freude bereitet hat, Ihre Handschrift wiederzusehen.« Er 341

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schrieb auch an den General, unter dem der Neffe des Nuntius diente. »Es ist in unserem starken Interesse, herzliche Beziehungen zu Kardinal Maglione aufrechtzuerhalten.« Wie zu erwarten, kam der General der Bitte nach.36 Im Hauptquartier in Algier war Eisenhowers Operation Husky nun in der letzten Planungsphase. Obwohl so viele Personen daran beteiligt waren, blieb das Geheimnis, wo und wann die Alliierten zuschlagen würden, gewahrt. Eine große Invasion stand kurz vor dem Beginn.37

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Kapitel 29

Der gute Nazi

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m 5. Juli 1943 fuhren drei schwarze Limousinen des Vatikans, geschmückt mit weißen Papst- und rotschwarzen Hakenkreuzfähnchen, vor der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vor, die sich in der majestätischen Villa Bonaparte aus dem 18. Jahrhundert befand. Über ein Jahrhundert zuvor war das Anwesen die Residenz von Napoleons Schwester Paolina gewesen. Der Vatikan hatte Wagen und Bedienstete geschickt, um den neuen deutschen Botschafter Ernst von Weizsäcker und sein Gefolge zum Papstpalast zu begleiten, wo er dem Papst sein Beglaubigungsschreiben übergeben wollte. Später sollte Weizsäcker der einzige beim Heiligen Stuhl tätig gewesene Diplomat sein, der in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.1 Als junger Mann hatte Weizsäcker im Ersten Weltkrieg gedient und war dann in den diplomatischen Dienst eingetreten. Nach Botschafterposten in Norwegen und, in den ersten Jahren von Hitlers Regierung, in der Schweiz kehrte er ins Außenministerium nach Berlin zurück. Als Hitler Ribbentrop 1938 zum Außenminister machte, wählte dieser Weizsäcker zum Staatssekretär. Sumner Welles, der amerikanische Außenstaatssekretär, traf Weizsäcker 1940 in Berlin, auf derselben Europareise, auf der er auch den Vatikan besuchte. Er sah in ihm »ein typisches Beispiel eines deutschen Beamten alter Schule des 19. Jahrhunderts«. Wie viele, die unter Hitler in der Regierung gedient hatten, behauptete Weizsäcker später, niemals wirklich Nationalsozialist gewesen zu sein und die Exzesse des Regimes abgelehnt zu haben. Es waren aber Männer wie er, die das reibungslose Funktionieren des Dritten Reichs garantierten. In den ersten vier Kriegsjahren hatte er das Außenministerium geleitet und, wie es ein Historiker formulierte, »der Nazi-­ 343

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Diplomatie eine zivilisierte Fassade verliehen«. Er war von den ersten Eroberungen, die das Reich vergrößert hatten, durchaus angetan gewesen, und sein Büro hatte daran mitgewirkt, Juden aus den besetzten europäischen Ländern in Vernichtungslager zu deportieren. Später behauptete er, er habe nicht gewusst, was sie dort erwartete.2 Obwohl der Papst in Diego von Bergen, dem langgedienten deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, einen Verbündeten gehabt hatte, sah er in der neuen Ernennung auch Vorteile. Bergen hatte wenig Einfluss auf Hitler, war in den letzten Monaten kränklich gewesen und hatte sich im Vatikan kaum noch blicken lassen. Im Gegensatz zu ihm gab es keinen deutschen Diplomaten, der besser vernetzt oder professioneller gewesen wäre als der selbstbewusste, wortgewandte und Aufrichtigkeit ausstrahlende Weizsäcker, der dem Papst und den Männern im Staatssekretariat sofort Vertrauen und Sympathie einflößte.3 Vom vatikanischen Standpunkt aus verkörperte Weizsäcker den guten Nazi. Er war nach den Worten des päpstlichen Nuntius in Berlin einer jener »Regierungsvertreter, die keine fanatischen Nationalsozialisten sind«. Der neue Botschafter, selbst Protestant, machte sich im Vatikan mit der Bitte beliebt, an einer Lehrveranstaltung über die katholische religiöse Kultur teilnehmen zu dürfen.4 Nach der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens begleitete Weizsäcker den Papst in sein Arbeitszimmer. Dort setzte Pius XII. sich an seinen Schreibtisch, während der Botschafter sich einen Stuhl aus einer Raumecke heranzog, um näher bei ihm zu sitzen. Wie immer bei solchen Anlässen begann der Papst, in schönen Erinnerungen an seine vielen Jahre in Deutschland zu schwelgen. Als das Gespräch sich dem Krieg zuwandte, hob der Botschafter die zentrale Rolle seines Landes beim Kampf gegen den Kommunismus hervor. Der Papst kam daraufhin auf seine unangenehmen Erlebnisse während der kurzen Phase der Räterepublik in München 1919 zu sprechen. Weizsäcker konnte nach Berlin berichten, der Pontifex habe mit Blick auf die allgemeine Lage »die geistlose Formel unserer Gegner, die von einer ›bedingungslosen Übergabe‹ rede«, verurteilt. Hitlers neuer Botschafter hatte das Gefühl, er könne ein gutes Verhältnis zum Papst aufbauen. Er fand die Gespräche mit ihm angenehm, war von seinem hervorragenden Deutsch entzückt und brachte ihn sogar 344

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manchmal zum Lachen. Später schrieb er, seine Aufgabe würde ihm größere Freude bereiten, wenn der Papst etwas weniger asketisch wäre. Der sei zuerst ein tiefgläubiger katholischer Priester und erst danach ein praktischer Mensch. In seinen ersten Wochen in Rom bemühte sich Weizsäcker darum, möglichst alle Kurienkardinäle zu treffen, und war von ihrer Haltung erfreut. Was sie vor allem erhofften, war seiner Einschätzung nach, dass England und Deutschland sich in einem Abkommen gegen die Russen vereinigten. Daher sei auch, wie er nach Berlin berichtete, ihre Enttäuschung groß, dass die Briten keine Bereitschaft dazu zeigten.5 Am Tag bevor Weizsäcker seinen zeremoniellen Einstand im Papstpalast hielt, fand im Dom von Frascati, in den Randbezirken Roms, eine andere Art von Zeremonie statt. Der örtliche Priester hatte die Gläubigen zu einer Prozession aufgerufen, »um die Madonna um ›Frieden mit Gerechtigkeit‹ und den Sieg über jene Kräfte anzuflehen, die das Christentum und unser Land bekämpfen«. Er pries den Mailänder Erzbischof dafür, dass er jüngst Hundertausende Gläubige dazu gebracht hatte, ein Gelübde zu unterschreiben, das sie zu Füßen der Madonna im berühmten Dom der Stadt niedergelegt hatten. Wenn die Jungfrau Italien den Sieg bringen würde, wollten sie alle täglich den Rosenkranz beten, nicht mehr in Filme gehen, die unzüchtige Moden zeigten, und ihre Familien dem Heiligen Herzen Mariens weihen. Der Priester aus Frascati verteilte nun seine eigene Version des Versprechens und drängte seine Pfarrkinder zur Unterschrift.6 Die alliierte Landung auf Sizilien stand nur wenige Tage bevor, aber der König schwankte immer noch. Mit Generalstabschef Vittorio Ambrosio drängte ein weiterer hoher Militär den König zum Handeln: Er solle den Duce durch eine Militärdiktatur ersetzen, die mit den Alliierten einen Sonderfrieden aushandeln könne. Doch der König beharrte, ein so dramatisches Vorgehen sei verfrüht, sogar gefährlich, denn nach zwei Jahrzehnten faschistischer Herrschaft könne man das Regime nicht über Nacht beenden.7 Kurz vor Beginn von Operation Husky, also der Landung in Sizilien, beschlossen Roosevelt und Churchill, eine gemeinsame Botschaft an das italienische Volk zu richten. Eine zweite Mitteilung wollte der amerikanische Präsident aber allein schreiben. »Ich schicke die folgende Botschaft an den Papst«, schrieb Roosevelt am 9. Juli an Churchill, »und habe 345

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das Gefühl, sie sollte von mir statt von uns beiden kommen, wegen des großen Anteils an Katholiken hier, und weil der Papst und ich ein eher persönliches Verhältnis haben, besonders in den letzten Monaten.« Roosevelts Note an Pius XII . begann: »Wenn diese Botschaft Eure Heiligkeit erreicht, wird eine machtvolle Landung amerikanischer und britischer Truppen auf italienischem Boden begonnen haben. Unsere Soldaten sind gekommen, um Italien vom Faschismus und all seinen unseligen Symbolen zu befreien und die Naziunterdrücker zu vertreiben, die seinen Boden beschmutzen.« Er versicherte dem Pontifex, die Alliierten würden alles ihnen Mögliche tun, um Kirchen und religiöse Einrichtungen zu schützen. Als sie von dem Vorhaben Roosevelts hörten, schrieben der britische Außenminister Eden und der britische Botschafter in den Vereinigten Staaten, Lord Halifax, gemeinsam an den Präsidenten und an General Eisenhower in Algier, um ihr Missfallen zu äußern: »Wir bezweifeln, dass die Botschaft dazu beiträgt, den Papst mit einer alliierten Invasion zu versöhnen. Der Papst muss ohnehin wissen, dass wir beabsichtigen, den neutralen Status des Vatikans, die Religionsfreiheit und soweit wie möglich kirchliche Gebäude und Einrichtungen zu respektieren, und ihm unsere Absicht zu versichern, wird seine Haltung zur Invasion nicht ändern.« Unbeirrt schickte Roosevelt seine Botschaft trotzdem.8 In der Nacht des 9. Juli legte eine alliierte Armada, bestehend aus 2590 Schiffen, von der nordafrikanischen Küste in Richtung der sizilia­ nischen Südostküste ab. Die Insel wurde von einer Viertelmillion schlecht ausgerüsteter und entmutigter italienischer Soldaten und weiteren 30 000 Mann deutscher Truppen verteidigt. Heftige Böen ließen viele GIs seekrank werden und durchkreuzten die alliierten Pläne, mit Gleitflugzeugen hinter den feindlichen Linien zu landen. Tausende von Fallschirmjägern wurden abgetrieben, konnten aber dennoch die Kommunikationslinien der Achsentruppen durchtrennen. Am frühen Morgen des 10. Juli landeten die ersten Truppen an den noch dunklen Stränden, die britische 8. Armee unter General Bernard Montgomery und die 7.  US-Armee unter General George Patton. Im Lauf der nächsten drei Tage setzten 3000 Schiffe über 150 000 Mann Bodentruppen an Land ab, die von mehr als 4000 Flugzeugen unterstützt wurden. Am 346

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Abend des ersten Tages hatten die Briten Syrakus im Südosten der Insel nahezu kampflos erobert.9 Am selben Abend erhielt der Papst den Brief Roosevelts. Seine Laune wurde nicht gerade dadurch gebessert, dass die alliierten Radiosender den Inhalt verbreiteten, bevor er ihn gelesen hatte. Monsignore Tardini tat den Brief als bloße Übung des Präsidenten in Sachen Public Relations ab, denn er richte sich nicht an den Papst, sondern an die 24 Millionen Katholiken in den USA. Erneut ließ Pius XII. Tardini ein Memorandum vorbereiten, das ihm helfen sollte, seine Antwort an den Präsidenten zu formulieren. Tardini notierte, dass Roosevelt den alliierten Krieg als einen Kreuzzug darstelle und den Papst dabei als seinen Partner hinzustellen versuche. Obwohl er aber zugesichert habe, die Vatikanstadt zu respektieren, habe der Präsident nichts über Rom gesagt. »Er sagt, er wird so weit wie möglich die Kirchen verschonen«, aber erst, »nachdem er so viele höchst wertvolle Kirchen in Sizilien und anderswo zerstört hat!« Tardini schlug vor, der Papst solle mit einer Bekräftigung der Neutralität des Heiligen Stuhls antworten, seine Bitte an die Alliierten erneuern, Zivilisten und Kirchengebäude zu schützen, und den Präsidenten an den heiligen Charakter Roms erinnern. Der Pontifex solle »einmal mehr verkünden, dass die Lehren und das Handeln des Papstes vom wahren Frieden, der Pax Christi, inspiriert sind und darauf abzielen«. An dieser Stelle merkte der Monsignore an: »Meiner Meinung nach ganz anders als der Friede, den Roosevelt in Wirklichkeit, wenn schon nicht in seinen Worten anstrebt.« Der scharfzüngige Tardini fügte noch eine weitere Spitze hinzu: »Dieser sogenannte Befreier Italiens (leider hinterlassen die Befreier nichts als Ruinen!) tut fast so, als wäre er der Freund des Papstes.«10 Als Mussolini von Roosevelts Brief an den Papst erfuhr, ließ er Kardinal Maglione durch seinen Schwiegersohn seine Unzufriedenheit mitteilen und bestand darauf, die Regierung habe ein Recht, zu erfahren, wie der Papst antworten werde. Ciano berichtete, der Kardinal habe »sichtlich betroffen« durch den Brief des Präsidenten gewirkt und »ganz entschieden ausgeschlossen, dass die Kirche irgendetwas getan habe, um eine solche Botschaft auch nur indirekt zu ermutigen«. Maglione sagte, der Heilige Stuhl könne in internationalen Konflikten keine Partei ergreifen, und er347

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innerte Ciano an all die Erklärungen italienischer Kardinäle und Bischöfe zugunsten der Kriegsanstrengungen ihres Landes und an die Unterstützung durch die katholische Presse. »Ich habe aus dem Gespräch den klaren Eindruck gewonnen, dass Roosevelts Botschaft die erste Bombe war, die auf den Vatikan gefallen ist. Der Heilige Stuhl erkennt die peinliche Lage, in die Roosevelt den Papst zu bringen versucht hat.« Trotz des Drängens von Tittmann, dem amerikanischen Vertreter in Rom, den Brief des Präsidenten im Osservatore Romano abzudrucken, hielt der Papst es für das Beste, den Duce nicht weiter zu verärgern.11 Zwei Tage später antwortete Pius XII. Roosevelt in einem kurzen Telegramm an seinen Legaten in Washington. Obwohl er dankbar sei für die Zusicherungen, die der Präsident für das religiöse Leben und die Sicherheit der Vatikanstadt gegeben habe, zeigte er sich doch enttäuscht, dass der Präsident keine solche Zusicherung für Rom abgegeben habe. Er wiederholte seinen Appell, die Stadt zu schonen.12 Während die alliierten Armeen heranrückten, gehörte der Außenstaatssekretär Giuseppe Bastianini zu den faschistischen Regierungsmitgliedern, die eine Katastrophe verhindern wollten. Mussolini hatte sich bei der Kabinettsumbildung vor einigen Monaten den Posten des Außenministers selbst vorbehalten, doch wurde er tatsächlich und praktisch von Bastianini verwaltet. Am Tag nach der alliierten Landung in Sizilien suchte er Hilfe bei Kardinal Maglione, den er seit fast zwei Jahrzehnten kannte. Die vergangenen 24 Stunden hatten zu den dramatischsten in der italienischen Geschichte gehört. Als Bastianini sich in dem großen, reich ausgestatteten, ganz in rotem Damast gehaltenen Büro des Staatssekretärs setzte, dessen Fenster einen wunderbaren Blick über Rom boten, streckte der Kardinal ihm die Hände entgegen und legte eine Hand auf die seine. Bastianini brauchte die Hilfe des Kardinals bei der Eröffnung von Verhandlungen mit den Engländern. Er wollte einen Gesandten schicken, um Kontakt mit der britischen Regierung aufzunehmen, aber es sollte jemand ohne offizielle Regierungsfunktion sein – für den Fall, dass die Sache ans Licht käme. Aus diesem Grund hielt er es für das Beste, wenn der Gesandte einen vatikanischen Pass besitzen würde und sich unterwegs als Mitglied der vatikanischen Verwaltung ausgeben könnte. Welche Art von Handel 348

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mit den Alliierten Bastianini vorschwebte, bleibt unklar. Bei einem früheren Treffen mit Alberto Pirelli hatte er gesagt, es müsse eine Regierung der nationalen Einheit geben, in welcher der Industrielle selbst als Außenminister fungieren könne. Offen geblieben war, ob Mussolini an der Spitze der Regierung bleiben sollte. Der Plan bestand nun darin, bei den Briten auszuloten, ob Italien eine Gruppe von Achsenländern – darunter Rumänien und Ungarn – anführen könnte, um sie aus dem Krieg herauszuführen.13 Wer solle denn dieser inoffizielle Gesandte sein, fragte der Kardinal, dem unbehaglich dabei war, vatikanische Ausweisdokumente zu so einem Zweck auszugeben. Bastianini schlug Giovanni Fummi vor, einen römischen Bankier, der früher amerikanische Finanzgruppen in Europa vertreten hatte. Da er Magliones Widerstreben sah, hob Bastianini die Gefahr für den Vatikan hervor, wenn Italien erst, wie er es ausdrückte, der Gnade »einer Koalition kommunistischer Kräfte im Bund mit Papstfeinden und Protestanten« ausgeliefert sein würde. Der Kardinal blickte nach oben und deutete auf das Elfenbeinkruzifix auf seinem Schreibtisch. »Ja, wir sind in Gottes Hand.« Schließlich willigte Maglione ein, den Gesandten mit entsprechenden Dokumenten auszustatten, und versicherte Bastianini, den Papst über den Plan zu informieren, an dessen Erfolg er nach eigenem Bekunden zweifelte. Briten und Amerikaner hatten schließlich wiederholt verkündet, mit der faschistischen Regierung Italiens nicht verhandeln zu wollen. Auf diesen Einwand werde Fummi eine Antwort haben, erwiderte der Staatssekretär. Die Alternative zu solchen Verhandlungen wäre ein »russifiziertes« Italien und das Ende der christlichen Zivilisation in Europa. Zwei Tage später erschien Fummi im Vatikan, wo seine Papiere auf ihn warteten. Wie der Kardinal vorausgesagt hatte, erwies sich seine Mission als sinnlos.14 In den letzten Monaten hatte Mussolini den Polizeiberichten entnehmen können, wie sehr die Korruption rund um die Familie seiner Geliebten den Volkszorn anstachelte. Claras Bruder Marcello hatte dauernd Ärger mit seinen zwielichtigen Geschäften, für die er seine Regierungsverbindungen 349

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ausnutzte. Bei seiner jüngsten Eskapade hatte er über Kontakte in Spanien einen internationalen Handel mit geschmuggeltem Gold organisiert. Die Kolumne von Claras Vater in der Lokalzeitung und die Schauspielkarriere ihrer jüngeren Schwester Miriam – ihre erste Hauptrolle hatte sie ein Jahr zuvor in dem italienischen Film Wege des Herzens erhalten – wurden dem Einfluss des Duces zugeschrieben. Aus welchen Quellen das Geld für die üppigen Ausgaben der Familie herstammte, erregte viele unwillkommene Spekulationen. Edda beklagte sich bei ihrem Vater ständig über dessen Affäre. Sie war sogar so weit gegangen, einen ihr freundlich gesonnenen Regierungsbeamten dazu zu überreden, ein Dossier über die illegalen Geschäfte von Claras Bruder zusammenzustellen, das sie wiederum ihrem Vater vorlegte. »Die Frau wird entfernt, und diese ganzen Schwindeleien werden aufhören«, versicherte Mussolini seinem Lieblingskind. Es folgte eine Serie halbherziger Versuche des Duces, seine Affäre mit Clara zu beenden. Anfang Mai befahl Mussolini dem Polizisten, der den Hintereingang des Palazzo Venezia bewachte, Clara nicht mehr hinaufkommen zu lassen. Sie war schockiert, als der Wachmann ihr den Weg versperrte, und protestierte laut, konnte ihn aber nicht davon überzeugen, sie hineinzulassen. Zuhause ergriff sie ihre Lieblingswaffe, den Füllfederhalter, und schrieb ihrem Geliebten einen beißenden Brief: »Du hast versucht, dich von mir in der brutalsten und endgültigsten Weise zu befreien, indem du einen Skandal herbeigeführt hast. … Du hast mich wie eine Diebin und Prostituierte behandelt.« Sie werde sterben, »vom Schmerz auf ewig gebrochen«. Auch Claras stets fürsorgliche Mutter schrieb an den Duce. Sie bat ihn, die Verleumdungen Cianos, Eddas und anderer gegen ihre Claretta nicht zu glauben, denn die Liebe ihrer Tochter zu ihm sei grenzenlos. »Clarettas Leben liegt in Ihren Händen.«15 Mussolini hatte Clara unter Polizeibeobachtung stellen lassen, nicht zuletzt, weil er den Verdacht hegte, sie könne ihm untreu sein. Doch in der undurchsichtigen Welt der Geheimpolizei ließ nicht nur der Duce sie überwachen, sondern auch andere, die es für nützlich hielten, an mehr Informationen über seine zweite Familie heranzukommen. Kurz nach der Mittagsstunde am 15. Juli 1943 erschien unter einem Vorwand ein General des Geheimdienstes im luxuriösen Haus der Petaccis auf 350

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dem Monte Mario. Das gesamte Erdgeschoss des riesigen Hauses hatte eine Kristallglasfassade, wodurch der Bau nach den Worten des Generals »wie eine große Schachtel auf einem Eisblock« wirkte. Sein Bericht bietet einen Einblick, wie man in der Villa der Petaccis lebte, die nach Meinung vieler mit Geld erbaut war, das Mussolinis Handlanger aus dem Staatshaushalt abgezweigt hatten. Nachdem es einem Diener der Familie unter Schwierigkeiten gelungen war, die schwere Schiebetür aus Kristallglas zu öffnen, wurde der General in ein riesiges Wohnzimmer geführt, in dem zwanzig Plüschsessel, ein Flügel und eine Harfe standen. An der Wand sah er »ein unglaublich hässliches Bild eines hässlichen Mädchens«. Alle Fußböden im Haus waren aus Marmor. Man sagte ihm, Clara werde ihn in ihrem Schlafzimmer empfangen, sodass er eine detaillierte Beschreibung von ­dessen Prunk geben konnte. Er erwähnte auch, dass das angrenzende Badezimmer ganz aus schwarzem Marmor bestand. An der Wand hing ein großes Farbfoto Mussolinis, daneben stand ein Schränkchen voller Medikamente. Clara habe ihm anvertraut, berichtete er ironisch, sie leide »an vielen eingebildeten Krankheiten«.16 Die Beziehungsstürme zwischen Mussolini und seiner Geliebten kamen zu einem für ihn dramatischen Zeitpunkt. Die Italiener litten, Lebensmittel wie Brot und Pasta waren rationiert. Unzufriedenheit machte sich breit, als die Menschen sich zwischen den vorrückenden anglo-amerikanischen Truppen und einem misstrauischen, aber mächtigen deutschen Verbün­ deten eingeklemmt fanden. Aus Polizeiberichten wusste der Duce von den Bemühungen, den König von seiner Entlassung zu überzeugen. Zwei Monate zuvor hatte Clara, seine standhafteste Verteidigerin, ihn selbst vor der Gefahr gewarnt, die von Marschall Badoglio und den anderen Generälen ausging: »Dein Generalstab ist ein Nest schmutziger Schlangen.« Sie warf Edda und ihrem Mann vor, ihn im Bund mit dem »Zwergenkönig« Vittorio Emanuele zu verraten. Am 18. Juli, nachdem Clara zum dritten Mal am Palazzo Venezia abgewiesen worden war, erneuerte sie ihre Drohungen: »Wenn du wie ein Mythos fällst, wie ein Gott, bleibt mir nur übrig, mich umzubringen.« Ihre Verzweiflung rührte nicht nur daher, nun ausgeschlossen zu sein, sondern auch aus ihrem wohlbegründeten Verdacht, dass ihr »Ben« sich mit anderen Frauen traf. »Du hast Macht über mein Leben oder meinen Tod«, 351

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schrieb sie in dem für sie typischen melodramatischen Stil. »Die Strafe muss unserer Liebe würdig sein.« Zwei Tage später schrieb sie wieder: »Ich würde gern Ambrosio, Badoglio … Cavallero, das ganze Oberkommando und alle Minister, die dich verraten, eigenhändig umbringen. … Rette dich … reagiere, fasse äußerste Beschlüsse, töte, wenn es nötig ist.«17

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Kapitel 30

Die Absetzung des Duces

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ährend auf Sizilien italienische Soldaten vor dem Kampf flohen und unterwegs ihre Uniformen wegwarfen, derweil die alliierten Truppen ihren schnellen Vormarsch über die Insel begannen, unternahm eine Delegation von alten faschistischen Weggefährten Mussolinis – darunter Bottai, Bastianini und Farinacci – einen beispiellosen Schritt. Sie begaben sich zusammen in den Palazzo Venezia, um dem Duce seine prekäre Situation nahezubringen und eine Sitzung des Faschistischen Großrats zu fordern. Der Duce sah besser aus als seit langer Zeit und hörte schweigend zu, während sie ihm das sich eben entfaltende Desaster schilderten. »Na gut, ich werde den Großrat einberufen«, antwortete er. »Beim Feind werden sie sagen, es geschieht, um über die Kapitulation zu reden. Aber ich werde ihn einberufen.« Er entließ sie ohne weiteren Kommentar. Es sollte die erste Sitzung des Großrats seit über drei Jahren sein.1 Operation Husky hatte Hitler überrascht, denn er hatte Sardinien für das wahrscheinlichere Ziel einer alliierten Landung gehalten. Da nur zwei deutsche Divisionen auf Sizilien standen und die italienischen Soldaten davonliefen, informierte man ihn, dass die dortigen Verteidigungsstellungen nicht lange zu halten seien. Beunruhigt bat er Mussolini um eine sofortige Unterredung und bot sogar an, nach Italien zu kommen. Ihr Treffen in Feltre, zwischen Venedig und der österreichischen Grenze, sollte das letzte Mal sein, dass Hitler italienischen Boden betrat. Am 19. Juli flogen beide Männer nach Treviso und fuhren dann mit dem Auto zu einer prächtigen Villa, die für ihr Treffen ausgewählt worden war. Mussolinis Einbildung, dies seien Treffen von gleichrangigen langjäh­ rigen Kampfgenossen, wurde von der italienischen Propagandaindustrie weiterhin verbreitet, aber für den Duce waren es Szenen der Demütigung 353

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geworden, wenn er die endlosen Tiraden seines ehemaligen Bewunderers anhören musste. Diesmal war es nicht anders, und ein bleicher Hitler redete zwei Stunden lang ununterbrochen wie ein Besessener. Er schlug vor, die schlecht funktionierende italienische Armee unter deutsches Kommando zu stellen. Mussolini, der nur sporadisch seinen Worten folgen konnte, saß auf der Kante eines Sessels, der zu breit und zu tief für ihn war, die Hände geduldig über den gekreuzten Knien gefaltet. Die militärische Entourage des Duces beherrschte die deutsche Sprache bestenfalls bruchstückhaft und verstand noch weniger. Manchmal schien Mussolini kurz vor dem Einnicken zu sein, aber als Hitlers schrille Tirade sich Italien zuwandte, wurde er wacher. Ab und zu fuhr er sich nervös mit der rechten Hand über den Mund, während die linke kurz den schmerzenden Magen rieb.2 Die Nachricht, die der Duce mitten während des Treffens erhielt, war für seine Aufmerksamkeit gewiss wenig förderlich. Während die beiden Diktatoren in ihren Wagen nach Feltre fuhren, waren nämlich britische und amerikanische Flugzeuge von Tunis und Malta aus über Rom erschienen und hatten am helllichten Tag Bomben auf die Rangierbahnhöfe und den Flughafen abgeworfen. Rom war gewarnt gewesen. Um zwölf Uhr in der vorigen Nacht waren britische Maschinen über Rom geflogen und hatten Flugabwehrfeuer ausgelöst, während rote Leuchtspurmunition den Himmel erleuchtete. Als die alliierten Diplomaten aus dem Gästehaus des Vatikans nach draußen liefen, um das Schauspiel zu sehen, hörten sie die Nonnen in der nahe gelegenen Kapelle laut beten. In dieser Nacht fielen aber keine Bomben auf Rom, sondern Flugblätter des Inhalts, dass die Stadt am nächsten Tag bombardiert werde und die Einwohner sich von den Rangierbahnhöfen und Flugplätzen fernhalten sollten.3 Bei dem Luftangriff kamen 700 Römer ums Leben, 1600 wurden verwundet und die Häuser von sehr viel mehr Menschen in Schutt und Asche gelegt. Die ersten Bomben fielen um elf Uhr, der letzte Bomber verließ den wolkenlosen Himmel über Rom vier Stunden später. Über 500 alliierte Flugzeuge nahmen am Angriff teil. Sie stießen auf wenig und völlig unwirksames Abwehrfeuer. Eine Handvoll italienischer Kampfflugzeuge stieg zunächst auf, drehte aber schnell ab, um nicht vernichtet zu werden. Laut Eisenhowers Bericht vom nächsten Tag wurden 769 Tonnen Bomben ab354

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geworfen, aber »an historischen oder religiösen Gebäuden ist kein Schaden sichtbar. Die vorläufige Auswertung der Bilder deutet darauf hin, dass allein ein Kirchendach am Rand des Zielgebiets beschädigt ist, was sehr wahrscheinlich Ergebnis der Druckwelle, nicht eines Treffers war.«4 Während Roosevelt sich seit Langem gesorgt hatte, dass eine Bombardierung Roms eine desaströse Öffentlichkeitswirkung haben und den Achsenmächten einen Propagandacoup bescheren könnte, wenn der Papst den Luftangriff wie angedroht verurteilte, empfand sein britischer Kollege weniger Skrupel. Als man ihm mitteilte, die Bombardierung Roms habe begonnen, war Churchill hocherfreut. »Gut. Und haben wir den Papst getroffen? Haben wir ein Loch in seine Tiara geschossen?«, scherzte er. Laut Pirelli war der erste Kommentar des Duces nach seiner Rückkehr am nächsten Tag bittersüß: »Und so endet der Mythos des päpstlichen Roms.«5 Beim Geräusch der ersten Bombenexplosionen auf der anderen Tiberseite ging Pius XII. ans Fenster, von wo er den Schwarm der Flugzeuge vor dem blauen Himmel und den aufsteigenden Rauch sah. Später am Tag wollte er sich seiner verwundeten Herde zeigen und ließ einen Wagen des Vatikans vorfahren. Drei Stunden nach dem Verschwinden der letzten Maschine fuhr der Papst durch die trümmerübersäten Straßen, um die Szenen der Zerstörung in Augenschein zu nehmen. Was die Aufmerksamkeit des Pontifex am meisten erregte, waren Berichte, dass eine der großen Basiliken Roms zerstört sei. San Lorenzo fuori le Mura, eine der sieben Pilgerkirchen in Rom, lag nicht weit vom Rangierbahnhof entfernt und war wie viele andere Gebäude in der Nähe schwer beschädigt worden. Als sich der langsam fahrende Wagen des Papstes der verwüsteten Basilika näherte, erkannten die Menschen den weiß gekleideten Pontifex und schlossen sich ihm an. Sobald der Wagen hielt und der Papst ausstieg, versammelte sich eine wachsende Menge aus traumatisierten Römern um ihn und bejubelte den Mann des Friedens. Da er die Kirche, deren Fassade weitgehend zerstört und deren Dach eingestürzt war, nicht betreten konnte, kniete der Pontifex nieder und sprach ein Totengebet. Dann stand er wieder auf, wandte sich an die Menge und forderte sie zum Gebet auf, »damit der Herr diesen Schmerz in einen Segen für euch 355

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und ganz Italien verwandelt«. Während er die Arme segnend erhob, sanken Hunderte Römer auf die Knie.6 Als Mussolini wieder in der Stadt war, erhielt er Besuch vom deutschen Botschafter, der ihm seine Solidarität aussprechen wollte. »Wissen Sie, Mackensen, ich glaube, dass die Ruinen der Basilika von San Lorenzo tödlich für unsere Feinde sein werden«, antwortete der Duce. »Vielleicht hat mit gerade diesem Ereignis ihre Niederlage begonnen und wird sich von nun an das Rad der Fortuna in die andere Richtung drehen.« Unzufrieden über die öffentliche Verehrung, die der Papst auf den Straßen Roms erlebt hatte, verbot Mussolini den Zeitungen zunächst, über den Besuch des Papstes am Schauplatz der Zerstörung zu berichten. Doch mit der Entschlossenheit des Diktators war es bald vorbei, als er den Propagandawert des sorgenvollen päpstlichen Auftritts vor den Trümmern des katholischen Heiligtums erkannte.7 Am Tag nach dem Bombardement ging Mussolinis eigene Zeitung mit einem großen Foto auf der Titelseite und der Schlagzeile »Der Papst kniet vor den Ruinen der zerstörten Basilika von San Lorenzo« voran. Dass auch Bahnanlagen oder ein Militärflugplatz getroffen worden waren, wurde nicht erwähnt, denn laut der Zeitung beabsichtigten die Alliierten, Roms Kirchen und Wohnhäuser zu zerstören. Ein Untertitel sprach von der »Entweihung« des Friedhofs Verano, der auch von Bomben getroffen worden war: »Die Gottlosigkeit der fliegenden Gangster … verschonte nicht einmal die Toten.« Ein anderer Artikel berichtete detailliert von der Ankunft des Papstes vor der zerstörten Basilika: »Der Papst sah all das, und sein Herz weinte, während von seinen zitternden Lippen ein Gebet zum Himmel stieg.« Danach erlaubte der Papst den Umstehenden, seine Hand zu küssen. Als er wieder davonfuhr, so schloss der Artikel mit einer Ausschmückung, die nur die leichtgläubigsten Römer glauben konnten, »brachen die Anwesenden in den begeisterten Ruf ›Viva l’Italia!‹ aus«. Neben die Nachricht platzierte Mussolinis Zeitung einen Kommentar: »Mit jüdischer Unverschämtheit hatte Roosevelt in einer seiner besonderen ›Botschaften‹ an den Papst versprochen, bei den verstärkten Luftangriffen auf italienische Städte die Kirchen zu schonen.« Der Kommentar beschrieb die religiöse Bedeutung der von den Alliierten zerstörten Basilika und erinnerte daran, dass dort viele Vorgänger des Papstes begraben seien. »Der 356

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Pontifex wartete nicht lange nach der letzten Angriffswelle der Mörder, um seine entfernte Residenz zu verlassen und den Ort zu besuchen, der getroffen wurde. Die christliche und römische Größe dieser Geste wird den verlogenen Mann, der die Verantwortung trägt, und seine Judenclique … im Morast der Schande versinken lassen, den Jahrhunderte nicht abwaschen können.«8 Gemäß seiner oftmals wiederholten Drohung, gegen die Bombardierung Roms zu protestieren, ließ der Papst seinen Staatssekretär einen Brief an alle wichtigen Nuntien und Apostolischen Legaten in den alliierten und neutralen Ländern schicken, der sie über das Bombardement und die »Erbitterung« des Papstes über die Zerstörung »in der Stadt, die das Zentrum des Katholizismus ist«, informierte. Die Botschaft schloss mit der päpstlichen Aufforderung, dass die Katholiken ihren Unwillen ausdrücken sollten: »Der Heilige Vater hofft, dass Bischöfe, Geistliche und katholische Laien zeigen, dass sie seine große Betroffenheit teilen.«9 Der eigene öffentliche Protest des Papstes kam in Form eines Briefs an den Kardinalvikar von Rom, der nicht nur im Osservatore Romano, sondern auch in den faschistischen Zeitungen Italiens abgedruckt wurde. Nachdem er den Kardinal daran erinnert hatte, dass er seit Langem das Blutbad und die Zerstörung beklagt hatte, die der Krieg unschuldigen Bevölkerungen und religiösen und kulturellen Monumenten antat, kam er auf seine wiederholten Versuche zu sprechen, Rom vor dem Bombardement zu bewahren: »Doch leider ist Unsere so vernünftige Hoffnung getäuscht worden. Was Wir so sehr missbilligten, ist nun geschehen.« Pius XII. hatte es für seine Pflicht gehalten, zu sprechen, wenn Rom angegriffen würde, und er hatte es den Alliierten so oft angekündigt, dass er jetzt kaum schweigen konnte. Doch seine Worte lasen sich eher trauervoll als zornig. Der britische Gesandte Osborne hielt die päpstliche Reaktion für »außerordentlich sanft«. Auch Myron Taylor berichtete an Roosevelt, der Papst habe bewusst eine gemäßigte Sprache gewählt, damit seine Botschaft nicht von Nazis oder Faschisten gegen die Alliierten benutzt werden könne.10 Trotz der Vorsicht des Papstes tat die faschistische Presse ihr Bestes, um seinen Brief als laute Verurteilung der Barbarei und des Antikatholi­ 357

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zismus der Alliierten darzustellen: »Bombardierung Roms: Verurteilung des Pontifex brandmarkt den Aggressor mit ewiger Schande« lautete ­Farinaccis Schlagzeile. Der Artikel erklärte, die »Angelsachsen« in London und Washington seien mit dem Bombardement umso zufriedener, »weil es gleichzeitig die Hauptstadt Italiens und des Katholizismus traf«.11 Der Jesuit McCormick, der zu den wenigen antifaschistischen Geistlichen in Rom zählte, war vom Brief des Papstes wenig beeindruckt. Wie er in seinem Tagebuch festhielt, wurden im Brief die Ziele der alliierten Bomben nicht erwähnt. »Aber warum hat der Vat[ikan] der Welt nicht klarer und aufrichtiger gesagt, dass die Hauptverursacher jene sind, die Rom dem Feind ausgeliefert haben, indem sie es als militärisches Zentrum benutzten! … Es scheint kein Mut zu herrschen, irgendetwas zu sagen, das Ärgernis erregen und Deut[sche] und It[aliener] in schlechtem Licht zeigen könnte.«12 Der König konnte nicht viel länger warten. Am Donnerstag, dem 22. Juli, kam die Nachricht, dass Palermo an die Alliierten gefallen war. Wo amerikanische und britische Soldaten auf Widerstand stießen, kam dieser meist von den deutschen Truppen auf der Insel. Peinliche Geschichten, wonach alliierte Soldaten begeistert von italienischen Zivilisten begrüßt wurden, konnten den König auch nicht gerade ermutigen, sein Schicksal länger mit dem des Duces zu verknüpfen. Männer, die eine zentrale Rolle im faschistischen Regime gespielt hatten, suchten nun verzweifelt nach einem Weg, sich von ihm zu distanzieren, und traten in den Prozess ein – der sich über die nächsten Jahre hinziehen sollte – , ihre Lebensgeschichten neu zu schreiben. Unter ihnen war der 48-jährige Dino Grandi, eine der frühen faschis­ tischen Größen und Präsident des Unterhauses. Am Tag, als Palermo fiel, traf er mit Giuseppe Bottai zusammen, bis vor Kurzem Erziehungsminister. Die beiden lasen den Entwurf einer Resolution, die Grandi für die geplante Sitzung des Faschistischen Großrats am Samstag vorbereitet hatte. Im Licht der militärischen Katastrophe forderte die Resolution, den Oberbefehl über die Armee an den König zurückzugeben – eine verfassungsmäßige Rolle, die Mussolini zu Beginn des Krieges von ihm übernommen hatte. Obwohl die Wiederherstellung der Autorität anderer Regierungsinstitu­ 358

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tionen gefordert wurde, ging die Resolution nicht so weit, konkret Mussolinis Entlassung zu verlangen.13 Auch die Wirtschaftselite des Landes distanzierte sich jetzt rasch vom Duce. Ein typisches Beispiel war Alberto Pirelli, der sich am 23. Juli mit Herzog Pietro d’Acquarone, der rechten Hand des Königs, traf, um herauszubekommen, was der König plante. Offensichtlich musste Mussolini gehen, das war dem Industriellen jetzt klar, aber wie sollte man ihn entfernen, ohne gefährliche Unruhe im Land zu erzeugen? Obwohl d’Acquarone nicht sagen wollte, was der König entschieden hatte, gewann Pirelli den klaren Eindruck, Vittorio Emanuele werde endlich handeln. Wichtig sei, dass der neue Premierminister, höchstwahrscheinlich ein General, erkläre, Italien werde den Krieg an der Seite Deutschlands weiterführen, riet der Industrielle. Wenn Italien mit den Alliierten verhandeln müsse, solle es das auch für seine Verbündeten tun. Falls die Alliierten annehmbare Friedensbedingungen anboten und die Deutschen sie ablehnten, könnte Italien dann seinen Ausstieg aus dem Krieg erklären, ohne des Verrats bezichtigt zu werden. Im Gespräch mit d’Acquarone sagte Pirelli auch, der Vatikan sei ihre beste Chance, Verhandlungen mit den Alliierten zu eröffnen. Beide stimmten überein, es wäre klug, den Vatikan erst wenige Minuten, bevor der König handeln würde, zu informieren, damit die Pläne zur Absetzung Mussolinis nicht durchsickerten.14 Die Faschistenführer, die am Samstag, dem 24. Juli, um 17 Uhr zur Sitzung im Palazzo Venezia erschienen, hatten reichlich Grund zur Nervosität. Mehr als einer fragte sich, ob sie beim Hinausgehen festgenommen oder sogar erschossen werden würden. Keiner hatte es je gewagt, den Duce so herauszufordern. In den Stunden vor dem Treffen hatten Ciano und Bottai mit Grandi an seinem Entwurf gearbeitet und andere Mitglieder des Großrats um ihre Unterstützung gebeten. Um 17 . 15 Uhr betrat der Duce in der schwarzen Uniform der faschistischen Miliz den Saal und nahm seinen üblichen Platz am Kopf des langen U-förmigen Tisches ein. Er begann, indem er sich in eine Geschichte des Krieges stürzte. Es sei wahr, gab er zu, dass die Italiener momentan unzufrieden damit seien, aber alle Kriege seien nun mal unpopulär. Dann 359

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skizzierte er seinen Plan für eine neue Verteidigungslinie gegen den alliierten Angriff. Nachdem er geendet hatte, stand Dino Grandi auf, um seine Resolution zur Abstimmung zu stellen. Vorher aber tat er das Undenkbare und hielt eine lange, leidenschaftliche Rede, in der er mit dem Duce abrechnete. Er klagte ihn an, aus dem frühen, kameradschaftlichen Ideal des Faschismus eine persönliche Diktatur gemacht zu haben und den Großrat weder einberufen noch seinen Rat gesucht zu haben, bevor er die Entscheidung für den Kriegseintritt fällte. Mussolini habe siebzehn Jahre lang die Ministerien für alle drei Waffengattungen selbst geführt, aber das Land nicht auf den Krieg vorbereitet, und die katastrophalen Folgen seien für jedermann sichtbar. Während Grandis Rede saß Mussolini schweigend da. Sein Gesicht verriet kein Gefühl. Auch als sein Schwiegersohn aufstand, um zu sprechen, sagte er nichts. Ciano brachte sein Lieblingsargument vor: Deutschland habe seinen italienischen Verbündeten ständig getäuscht. Es habe den Angriff auf Polen geplant, ohne ihn hinzuzuziehen, und so sei es auch bei allen folgenden Invasionen gewesen – Norwegen, Dänemark, Belgien, Frankreich, Russland. Italien sei keineswegs des Verrats schuldig, wenn es sein Schicksal von dem Deutschlands lösen wolle, vielmehr sei es selbst verraten worden. Die Debatte dauerte viele Stunden und endete erst um halb drei Uhr nachts. Schließlich stimmten 19 der 27 Mitglieder für Grandis Resolution, welche die Rückgabe des militärischen Oberbefehls an den König forderte sowie, etwas unklarer, die Rückgabe der verfassungsmäßigen Rechte an die Krone, den Faschistischen Großrat, die Regierung und das Parlament. Welches Resultat die 19 Faschistenführer, die dafür stimmten, erwarteten, ist bis heute unklar. Dass sie immer noch hofften, sich vor der kommenden Abrechnung zu retten, scheint der einzige Faden zu sein, der sie zusammenhielt.15 Um sieben Uhr früh erschien Alberto De Stefani, der in Mussolinis ersten Regierungsjahren Finanzminister gewesen war und nun zu den Mitgliedern des Großrats gehörte, die für die Resolution gestimmt hatten, unangemeldet in der Wohnung eines ihm bekannten hohen vatikanischen Amtsträgers. Es handelte sich dabei um Monsignore Constantini, den Sekretär der vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker. 360

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Er sagte dem Monsignore, er habe dringende Nachrichten, die er dem Papst mitteilen müsse. Als Nächstes werde er zum Palast fahren, um den König zu informieren, doch den Papst wolle er zuerst verständigen. Der telefonisch herbeigerufene Monsignore Montini stieß rasch hinzu. Bei seiner Ankunft erklärte De Stefani, der Großrat habe gerade eine Resolution angenommen, die das Ende der Diktatur bedeuten könne. Dennoch scheine Mussolini noch zuversichtlich, der König werde seiner Entlassung nicht zustimmen. Obwohl De Stefani sagte, es sei unklar, was der König tun werde, wollte er den Papst doch wissen lassen, was er für nötig hielt, und glaubte, darin für die Mehrheit des Großrats zu sprechen. Zwei Verhandlungsstränge müssten gleichzeitig aufgenommen werden, der eine mit Deutschland und der andere durch Vermittlung des Vatikans mit den Alliierten. Deutschland müssten sie davon überzeugen, dass es in seinem eigenen Interesse sei, Italien den Rückzug aus dem Krieg zu erlauben. Das würden sie den Deutschen gegenüber mit dem Argument untermauern, dass diese, wenn sie nicht länger Italien verteidigen müssten, dringend benötigte Truppen an die Ost- und Westfront schicken könnten. Was Italiens Verhandlungen mit den Alliierten angehe, so sei klar, dass das Land entwaffnet werden würde. Entscheidend aber sei, so De Stefani, dass die Alliierten dem Land einen neutralen Status zugestanden und auf eine militärische Besatzung verzichteten.16 Die Nachricht von der Abstimmung des Großrats beschleunigte die bereits getroffene Entscheidung des Königs, Mussolini als Chef der Regierung zugunsten des früheren Armeechefs General Pietro Badoglio abzusetzen. Damals war Badoglio vor allem bekannt dafür, dass er die italienische Armee bei der Eroberung Abessiniens geführt und dafür den Titel Herzog von Addis Abeba erhalten hatte. Er war seit vielen Jahren Mitglied der Faschistischen Partei, hatte die Armee zu Kriegsbeginn angeführt und die Invasion in Frankreich befehligt, war aber Ende 1940 für das Debakel in Griechenland verantwortlich gemacht und abgelöst worden. Diese Demütigung hatte der stolze Mann dem Duce nie verziehen.17 Um 3 . 45 Uhr rief Mussolini kurz nach Ende der Großratssitzung Clara an. Sie warnte ihn, dem König nicht zu trauen. Immer noch verletzt von 361

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ihrer kürzlichen Aussperrung aus dem Palazzo Venezia, setzte sie hinzu: »Denk daran, wer dich liebt und nie müde wird, sich dir hinzugeben.« Als Mussolini nach Hause kam, gab ihm seine Frau denselben Rat, allerdings ohne Liebeserklärung.18 Für denselben Tag ließ Mussolini sich beim König anmelden und hoffte, die Abstimmung des Großrats irgendwie wegzuerklären. Clara schrieb ihm einen langen, tränendurchtränkten Brief, in dem sie erneut die Beteuerung ihrer zurückgewiesenen Liebe mit unerbetenem politischen Rat mischte: »Du willst mich nicht sehen, dich nicht umarmen lassen nach so viel Drama, mich nicht dir sagen lassen, dass ich dich jetzt nur umso mehr liebe, wo du verraten worden bist. … Alles ist, wie mein Blut es mir gesagt hat: Du bist verraten worden, zuerst von deinem Schwiegersohn. Ben, du stößt meine Liebe und meine Worte weg, du demütigst mich weiter, aber es macht nichts.« Sie bat ihn, verspätet, nicht zum König zu fahren. »Was muss ich tun, damit du mir zuhörst! Lehrt die Geschichte dich gar nichts? Hör mir zu. … Glaub mir, es ist der König, der das gewollt hat. Es ist der König, der dich mit der ganzen Armeeführung verrät, und er hat diese ekelhaften, feigen Schlangen benutzt. Ben, verhafte sie! Ben, töte sie und sag dann dem König, du hast die zur Rechenschaft gezogen, die das Vaterland im Krieg verraten haben.«19 Der kleinmütige König hatte zunächst geglaubt, er könne Mussolini einfach seine Entscheidung mitteilen, einen neuen Chef der Regierung zu ernennen, und ihn dann gehen lassen. Erst in letzter Minute überzeugten ihn seine Generäle, der Duce müsse festgenommen und aus Rom weggebracht werden. Bei seinem verlegenen halbstündigen Gespräch am Nachmittag erwähnte der König gegenüber Mussolini nicht, dass er seine Verhaftung angeordnet hatte. Erst als der abgesetzte Diktator auf dem Weg zurück zu seinem Wagen im Hof war, trat ein wartender Hauptmann der Carabinieri auf ihn zu. »Duce, im Namen Seiner Majestät des Königs bitten wir Sie, uns zu folgen, um Sie vor möglichen Gewalttaten der Menge zu schützen.« »Aber das ist nicht nötig!«, protestierte Mussolini. »Duce, ich habe einen Befehl auszuführen.«20 Die Radiomeldung von Mussolinis »Rücktritt« und der Ernennung General Badoglios zum Chef einer neuen Militärregierung durch den König 362

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kam kurz vor zehn Uhr abends am 25. Juli. Die vatikanische Zeitung brachte die Nachricht am nächsten Morgen mit einer kleinen Schlagzeile, versteckt in der Rubrik »Internationale Nachrichten«. Sie druckte dort auch Badoglios Erklärung an das italienische Volk ab. Für die vielen Menschen, die gehofft hatten, der Wechsel werde einen raschen Ausstieg Italiens aus dem Krieg bedeuten, waren Badoglios Worte enttäuschend: »Der Krieg geht weiter. Das schwer getroffene Italien, seine Provinzen ein Opfer der Invasion und seine Städte zerstört, hält sein Wort, ein strenger Wächter seiner uralten Traditionen.« Keine öffentlichen Kundgebungen irgendwelcher Art würden toleriert werden.

General Pietro Badoglio.

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Zwei Tage später brachte der Osservatore Romano weitere Einzelheiten. Als ursächlich für den Regierungswechsel wurde die Abstimmung im Großrat und das darauffolgende Handeln des Königs genannt und angemerkt, dass Deutschland positiv auf Badoglios Ankündigung reagiert habe, der Krieg werde weitergehen. Die Zeitung brachte auch eine Liste der neuen Regierungsmitglieder, angefangen mit dem neuen Außenminister Raffaele Guariglia, der bis zu seiner Ablösung durch Ciano vor wenigen Monaten Botschafter im Vatikan gewesen war. Als weiteres Zeichen des Rückgriffs auf Männer, die früher treue Stützen des faschistischen Regimes gewesen waren, wurde Gaetano Azzariti, der das Sondergericht für die Rassengesetze leitete, zum neuen Justizminister ernannt. Später wurde er Vorsitzender am Obersten Gerichtshof.21 Der Corriere della Sera, der jahrelang Loblieder auf den Duce gesungen und noch die übelsten antisemitischen Angriffe gedruckt hatte, begrüßte die Nachricht von seinem Sturz mit großen Fotos des Königs und Badoglios sowie einem Artikel unter der Überschrift »Mailand jubelt«. Faschisten, die bisher stolz ihre Schwarzhemden getragen hatten, versteckten sie jetzt rasch. Einen Mann, der nicht schnell genug realisierte, dass der Wind sich gedreht hatte, stieß man aus der Straßenbahn, riss ihm sein schwarzes Hemd herunter und verbrannte es. Anderswo wurden Duce-Bilder und faschistische Symbole von den Wänden gerissen und zerfetzt. Monsignore Constantini ging am Tag, nachdem der Regierungswechsel verkündet worden war, zum Vatikan. »Überall ist lebhafte Fröhlichkeit, überall sind fröhliche Stimmen, überall das Flattern der Trikolore«, notierte er in seinem Tagebuch. Der Monsignore erwähnte nicht, dass auch der Ruf »Tod Pater Tacchi Venturi« auf den Straßen Roms zu hören war. Es war eine Warnung für den Papst. Die Zeit war auch für den Vatikan gekommen, seine Geschichte neu zu schreiben.22 Ganz unmittelbar beschäftigte den Papst jedoch eine andere Sache. Obwohl die neue Regierung öffentlich erklärt hatte, an Hitlers Seite zu bleiben, würde sie hinter den Kulissen einen Weg suchen, Italien aus dem Krieg ausscheiden zu lassen. Da der Vatikan gute Beziehungen zu den Alliierten unterhielt und der Eifer des Papstes, den Friedensstifter zu spielen, wohlbekannt war, würde die neue Regierung wahrscheinlich den Vatikan bitten, als Vermittler aufzutreten. 364

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Nach der Entlassung des Duces durch den König ließ der Papst daher Monsignore Tardini ein Memorandum über die dringende Frage schreiben, vor der er bald zu stehen erwartete. Tardini entwarf es, bevor die italienische Öffentlichkeit von den Ereignissen erfuhr, und übergab es am selben Abend Kardinal Maglione. Durch die jüngste Öffnung der vatikanischen Archive sind Tardinis handschriftliche Überlegungen ans Licht gekommen. Sie zeigen, wie die engsten Berater des Papstes die dramatischen Entscheidungen sahen, vor denen er stand. Tardinis Rat war klar: Der Heilige Stuhl sollte jede Anfrage der neuen Regierung zurückweisen, bei ihren Bemühungen um ein Ausscheiden aus der Achse als Vermittler aufzutreten. Die Alliierten hatten klargemacht, dass sie nur die bedingungslose Kapitulation Italiens akzeptieren würden, und daran konnte der Papst nichts ändern. Wenn der Vatikan an einem so schmerzhaften Kriegsende mitwirke, könne das »dem Prestige des Heiligen Stuhls in den Augen des italienischen Volkes großen Schaden zufügen, das früher große Hoffnungen auf die päpstliche Intervention gesetzt hätte und nun schwer enttäuscht würde«. Die Tatsache, dass die Alliierten danach Italien besetzen würden, »wird die Italiener demütigen und das Prestige des Heiligen Stuhls in ihren Augen vermindern«. Die Gründe, warum der Papst den Italienern beim Friedensschluss mit den Alliierten nicht unter die Arme greifen sollte, beschränkten sich indes nicht auf den potenziellen Reputationsverlust in Italien: »Die Deutschen könnten dem Heiligen Stuhl die Schuld für ihre Niederlage geben.« Natürlich würden viele Deutsche froh sein, sich von Hitler zu befreien, »aber es ist auch wahr, dass die Alliierten Deutschland so hart und unmenschlich behandeln werden, dass alle Deutschen, auch die guten, verbittert und empört bleiben werden. Diese Bitterkeit und Empörung könnten sich teilweise gegen den Heiligen Stuhl richten, wenn er daran beteiligt wäre, Italien den Frieden zu ermöglichen mit dem Ergebnis, Deutschland im Stich zu lassen.« Nachdem er an all die Bitterkeit erinnert hatte, die der Vertrag von Versailles nach dem vorigen Krieg in Deutschland hervorgerufen hatte, kam Tardini zu folgender Empfehlung: Weil die Demütigungen und Strafen für die Deutschen diesmal noch schlimmer sein werden als nach Versailles; weil die Alliierten, von Hass verblendet

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(leider!), zahllose willkürliche und ungerechte Maßnahmen ohne rechtes Maß gegen die Deutschen verhängen werden; weil eine (wenn auch unberechtigt) feindselige Haltung der Deutschen gegenüber dem Heiligen Stuhl die künftige Lage des Katholizismus in Deutschland (wo die Kirche bereits erlittene Verluste ausgleichen muss) sehr schwierig machen würde, erscheint es für den Heiligen Stuhl opportun, jede Geste zu vermeiden, die irgendwie eines Tages so ausgelegt werden könnte, als habe er (wenn auch nur minimal) zur Niederlage Deutschlands beigetragen.

Am nächsten Morgen diskutierte Kardinal Maglione das Memorandum Tardinis mit dem Papst. Pius XII. fühlte sich hin- und hergerissen. Gewiss habe Tardini seine, des Papstes, eigene Sorgen formuliert, überlegte der Papst laut, aber wie könne er, nachdem er so oft den Wert des Friedens beschworen habe, ablehnen, wenn die neue Führung Italiens um seine Hilfe bat?23 Am Abend zogen viele Römer, umgetrieben von einer starken Gefühlsmischung aus Hochstimmung, Sorge und Ratlosigkeit, auf den Petersplatz, weil sie hofften, der Papst werde hinaustreten, um sie zu segnen und ihre Freude und Hoffnungen zu teilen. Pius XII. muss in Versuchung gewesen sein, auf den Balkon zu treten, um in ihrem Jubel zu baden, aber er war ein vorsichtiger Mann. Es war klüger, nicht an etwas teilzunehmen, was als Freudenfest über das Ende der faschistischen Diktatur gedeutet werden konnte. Trotz der Rufe von unten blieb er in seinem Zimmer und hielt sein Fenster geschlossen.24

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Kapitel 31

Reise nach Jerusalem

I

n Washington und London war die Verhaftung des Duces ein Grund zum Feiern. In einem Brief an Churchill beharrte Roosevelt darauf, sie sollten eine bedingungslose Kapitulation der Italiener fordern. Churchill antwortete: »Es scheint sehr wahrscheinlich, dass der Sturz Mussolinis zum Umsturz des Faschistenregimes führen wird und dass die neue Regierung unter dem König und Badoglio versuchen wird, eine separate Waffenstillstandsvereinbarung mit den Alliierten auszuhandeln.« Doch der Charakter der neuen italienischen Regierung blieb unklar. Ein amerikanischer Geheimdienstbericht drückte es so aus: »Es gibt kein Anzeichen, dass die Kräfte, die das Mussolini-Regime unterstützt haben – die Monarchie, der Vatikan, die katholische Kirche in Italien und das industrielle und landwirtschaftliche Rückgrat der Faschistischen Partei – , ihre Macht oder ihre Prinzipien aufgegeben haben, als sie Mussolinis Rücktritt annahmen.« Die gerade bekannt gegebene Ministerliste war voller Männer aus der faschistischen Vorgängerregierung.1 Italiens neuer Premierminister, der 72-jährige Pietro Badoglio, war selbst kein kleines Rädchen in den zwei Jahrzehnten faschistischer Herrschaft gewesen. Als Generalstabschef seit Mussolinis Machtergreifung 1925 hatte er die Faschisierung der Armee geleitet. Als Gouverneur der nordafrikanischen Kolonien Tripolitanien und Cyrenaica im Jahr 1930 hatte er den libyschen Widerstand mit brutalen Maßnahmen niedergeschlagen und die einheimische Bevölkerung in Lagern interniert, wo 60 000 Menschen starben. 1940 leitete er die italienische Invasion Frankreichs und musste erst nach der demütigenden Niederlage in Griechenland seinen Posten räumen.2

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Churchill war der Meinung, die Alliierten sollten beim Personal der neuen italienischen Regierung nicht zu wählerisch sein. Es komme darauf an, dass sie in der Lage sei, »zu liefern«. Es stellte sich auch die Frage, was man tun solle, wenn Mussolini und seine »Komplizen«, wie Roosevelt sie nannte, gefangen genommen würden. Churchill nannte die Optionen: »Man könnte eine rasche Exekution ohne einen Prozess, der über die Identifizierung hinausginge, vorziehen. Andere könnten es vorziehen, dass sie bis zum Ende des Krieges in Europa gefangen gehalten werden und ihr Schicksal dann zusammen mit dem anderer Kriegsverbrecher entschieden wird. Mir persönlich ist die Sache relativ gleichgültig.« Ein Grund zur Besorgnis war, dass prominente Faschisten Zuflucht in neutralen Ländern suchen würden. Roosevelt und Churchill schickten ein gemeinsames Telegramm an die Staaten, deretwegen sie die größten Befürchtungen hegten, darunter der Vatikan, und warnten sie davor, solchen Personen behilflich zu sein »bei jedem Versuch, ihrer gerechten Strafe zu entkommen«. Der britische Gesandte übergab die Botschaft Kardinal Maglione. Am unteren Rand des Schriftstücks vermerkte Monsignore Tardini handschriftlich nur dieses eine Wort: »Abwarten …«3 Eisenhower drängte von Algier aus auf rasches diplomatisches Handeln, solange es noch eine Autorität in Italien gebe, die kapitulieren könne. »Wenn der König von Italien länger als für sehr kurze Zeit das Oberhaupt eines Landes bleibt, das noch im Krieg mit den Alliierten steht, wird sich die Abneigung in unseren beiden Ländern, die sich jetzt auf den Duce konzentriert, auf den König übertragen. Es kann dann eine Lage eintreten, in der es unmöglich wird, eine ehrenhafte Kapitulation mit dem König zu arrangieren, und wir ohne jede verantwortliche Autorität dastehen.« Eisenhower schlug vor, eine Radiobotschaft an das italienische Volk zu richten und es aufzufordern, Mussolini, »das Werkzeug Hitlers«, loszuwerden und jedes Engagement zugunsten der Deutschen einzustellen. Roosevelt und Churchill überarbeiteten Eisenhowers Text, bevor sie die Ausstrahlung autorisierten. Am 28. Juli schrieb Roosevelt an Churchill: »Es scheint jetzt möglich, dass wir durch einen geschickten Umgang mit der Situation Italien aus dem Krieg herausbekommen können, ohne eine große Zahl unserer Soldaten und Matrosen zu opfern.« Im Rückblick wirkt diese Vorhersage tragisch naiv.4 368

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Anders als die Amerikaner, die spät in den Krieg eingetreten waren, hatten die Briten viele Kriegsgefangene in Italien, und ihr Schicksal beschäftigte Churchill sehr. 42 000 britische Soldaten und weitere 26 000 aus anderen Ländern des Commonwealth waren an siebzig Standorten – von früheren Waisenhäusern bis zu neu erbauten Gefangenenlagern – in ganz Italien interniert. »Unter Bruch der Etikette habe ich über die Schweiz eine direkte Botschaft an den König geschickt«, schrieb Churchill am 29. Juli an Roosevelt, »die unser großes und intensives Interesse in der Angelegenheit betont.« Als der britische Premier den Punkt früher schon einmal Roosevelt gegenüber angesprochen hatte, hatte der Präsident angeboten, seine guten Beziehungen zum Papst zu nutzen. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für das Versprechen, durch den Papst oder einen anderen passenden Kanal Druck auszuüben«, antwortete Churchill, fügte aber die Warnung hinzu: »Wenn der König und Badoglio erlauben sollten, dass unsere Gefangenen von den Hunnen weggebracht werden, ohne ihr Äußerstes zu tun, um das zu verhindern, und damit meine ich physische Gewalt, wird die Stimmung hier dahin gehen, dass keine Verhandlungen mit dieser Regierung eine Chance in der öffentlichen Meinung hätten.«5 Während Mussolinis Sturz in den alliierten Hauptstädten Freude und Optimismus auslöste, war die Reaktion in Berlin ganz anders. Hitlers Zorn wurde noch durch seine Furcht gesteigert, Mussolini könne hingerichtet worden sein. Sofort wies er Goebbels und andere aus seinem inneren Kreis an, eine Reaktion vorzubereiten, denn er vertraute nicht auf Badoglios Erklärung, Italien werde aufseiten der Achse weiterkämpfen. Tatsächlich hegte Hitler den Verdacht, Badoglio habe Mussolini erst nach einer geheimen Absprache mit den Alliierten abgesetzt. Sein erster Gedanke war der Einsatz einer in Frankreich stationierten deutschen Panzergrenadierdivision, um Rom zu besetzen, Badoglio, den König und die ganze königliche Familie zu verhaften und nach Deutschland zu bringen. Er vermutete zu Unrecht, der Vatikan habe eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung des Königs gespielt, Mussolini abzulösen, und schimpfte auf den Papst und den Heiligen Stuhl. Propagandaminister Goebbels überzeugte ihn gemeinsam mit anderen davon, dass eine Aktion gegen den Papst oder den Vatikan unklug sei, denn sie würde ihre Behauptung Lügen strafen, das christliche Europa gegen Juden und kommunistische Horden zu verteidigen. Am 369

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27. Juli notierte er in sein Tagebuch: »Der Führer hatte zuerst die Absicht, bei der Inhaftnahme der verantwortlichen Männer in Rom auch den Vatikan mit in Anspruch zu nehmen; allerdings wenden Ribbentrop und ich uns stärkstens dagegen. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, in den Vatikan einzubrechen, halte aber andererseits eine solche Maßnahme für außerordentlich verhängnisvoll in Bezug auf die Weltwirkung unserer Maßnahmen.«6 Auch den Papst beschäftigte das Schicksal Mussolinis und seiner Familie. Zwei Tage nach der Festnahme des Diktators machte Kardinal Maglione eine Notiz über diese Sorgen. Er wusste, dass Mussolini sich auf einem nahe gelegenen Militärstützpunkt befand, war aber nicht darüber im Bilde, dass er bald an einen weiter entfernten Ort gebracht werden sollte. Vielleicht würde die Armeeführung es dem Heiligen Stuhl erlauben, Erzbischof Bartolomasi zu schicken, den Mann an der Spitze der Militär­ seelsorge – und bis dahin ein eifriger Anhänger Mussolinis und des Faschismus – , um den gestürzten Diktator zu besuchen und ihm Trost zuzusprechen. Kurz nachdem die Nachricht von Mussolinis Festnahme gekommen war, hatte der Kardinal auch an den Polizeichef geschrieben und ihn gedrängt, genaue Anweisungen »für die Sicherheit der armen Frau Rachele Mussolini« zu geben. Noch im selben Monat schickte Maglione eine detaillierte Liste der gesamten Verwandtschaft Mussolinis – insgesamt 26 Personen – und ihres jeweiligen Aufenthaltsorts an die italienische Botschaft mit der Bitte, dass ihnen kein Leid widerfahren möge.7 Am frühen Morgen des 30. Juli kam Dino Grandi, der Hauptautor der Resolution im Großrat, um den Papst zu sehen.8 Später erinnerte er sich: »Papst Pius XII. begrüßte mich mit väterlichem Wohlwollen. Er bat mich, bei ihm zu sitzen und ihm detailliert von den Ereignissen zu erzählen, an denen ich am Abend des 25. Juli teilgenommen hatte, von meinem letzten Gespräch mit dem Duce, den Vorbereitungen für den Großrat und den Ablauf, meinen Kontakten zum König und den Ministern des Königshauses.« Nach Grandis weiterer Schilderung, die mit einiger Skepsis zu betrachten ist, sagte er dem Papst auch, dass Badoglios Hoffnungen auf einen Rückzug Italiens aus dem Krieg illusionär seien und das Land sich darauf vorbereiten solle, sich gegen eine deutsche Invasion zu verteidigen. Während er mit dem Papst sprach, hörten sie eine ohrenbetäubende Luftschutz370

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sirene. Nach Grandis Worten blieb der Papst zunächst unbewegt, doch wenig später kniete er nieder, faltete die Hände und sprach ein Vaterunser. Grandi kniete neben ihm nieder und sprach die vertrauten Worte mit.9 Die hastige Bildung der neuen Regierung hatte etwas von »Reise nach Jerusalem«, wie am Beispiel von Mussolinis Außenstaatssekretär zu sehen ist. Am 31. Juli bestellte der König Giuseppe Bastianini zu sich, der früh am nächsten Morgen im Arbeitszimmer des Königs im Quirinal erschien. Vittorio Emanuele war in Uniform, Bastianini saß im Frack vor ihm, den Zylinder auf den Knien. Zunächst dankte der König Bastianini für die Arbeit, die er in den letzten Monaten unter schwierigen Bedingungen geleistet habe, als er praktisch Mussolinis letzter Außenminister gewesen war. Dann teilte er ihm seine Ernennung zum Botschafter in der Türkei mit. Die Position war vakant, nachdem Raffaele Guariglia, Mussolinis früherer Botschafter beim Heiligen Stuhl und in den letzten Monaten italienischer Botschafter in der Türkei, zum Außenminister befördert worden war.10 Zu Guariglias ersten Problemen nach seiner Rückkehr aus Ankara nach Rom gehörte die Frage, was mit Mussolinis Schwiegersohn geschehen solle, der noch Botschafter des Landes beim Heiligen Stuhl war. Offensichtlich konnte er diesen Posten nicht behalten. Später schrieb Guariglia aber: »Jede Verwaltungsmaßnahme gegen ihn widerstrebte mir wegen unseres persönlichen Verhältnisses und der hohen Meinung, die ich immer von seinen guten Qualitäten gehabt hatte.« Stattdessen schickte er einen Mitarbeiter aus dem Außenministerium, um ihn zum Rücktritt aufzufordern, und Ciano gehorchte sofort. Er wurde unter Hausarrest gestellt und dachte über seine Optionen nach.11 Statt Ciano als Botschafter beim Heiligen Stuhl zu ersetzen, ließ Guariglia den Posten unbesetzt. Da er ihn selbst bekleidet hatte, bis Ciano ihn vor wenigen Monaten abgelöst hatte, und weil er ein enges Verhältnis zu Kardinal Maglione pflegte, übernahm der Minister persönlich die Pflege der Beziehungen zum Vatikan. Er ernannte seinen alten Kollegen, den 46-jährigen Francesco Babuscio Rizzo, zum Geschäftsträger der italienischen Botschaft im Vatikan. Guariglias Beziehungen zum vatikanischen Staatssekretär entgingen dem deutschen Botschafter nicht. »Zwischen dem Außenminister Guariglia und dem Kardinalstaatssekretär Maglione besteht sogar enge Intimität«, meldete Weizsäcker nach Berlin. »Beide stam371

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men aus derselben Gegend bei Neapel. Guariglia ist strenggläubiger Katholik. Ich glaube nicht, daß es in der italienischen Außenpolitik wichtig[e] Dinge gibt, die Maglione nicht erführe.«12 Nach Mussolinis Sturz stand die Kirche vor der dringlichen Aufgabe, zu leugnen, dass sie jemals die Werbetrommel für das Regime gerührt hatte. Dass die Situation auch für Geistliche gefährlich war, wurde in Mailand offensichtlich, wo trotz Badoglios Verbot von öffentlichen Kundgebungen Arbeiter auf den Straßen demonstrierten, die der neuen Regierung feindlich gesinnt waren. Am Morgen des 26. Juli verwüstete die Menge die faschistische Parteizentrale in Mailand, wie es auch anderswo in Italien geschah. Abends marschierten Tausende in einer spontanen Demonstration zum Domplatz. Rufe ertönten gegen Kardinal Schuster, den Mailänder Erzbischof und langjährigen Unterstützer des faschistischen Regimes. Kleinere Gruppen von Demonstranten scharten sich um Redner, die ein Ende von Faschismus und Krieg forderten. Im Lauf der nächsten Tage setzte die Regierung das Demonstrationsverbot energisch durch, und die Zensur hinderte die Zeitungen daran, über Ausschreitungen gegen besonders verhasste lokale Vertreter des Regimes zu berichten. Gleichzeitig brachen in den Fabriken Streiks aus, mit denen die Arbeiter höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erreichen wollten. Die Unruhen beschränkten sich nicht auf den Norden und die Mitte Italiens. Am 28. Juli eröffnete die Polizei in Bari das Feuer auf 200 Oberschüler, Studenten und Dozenten, als sie zur Parteizentrale der Faschisten marschierten und die Entfernung faschistischer Symbole von der Hausfront forderten. Zwanzig Demonstranten wurden getötet. Ähnlich blutige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und bewaffneten Regierungskräften ereigneten sich auch in Mittelitalien. Insgesamt schätzt man, dass in den Tagen, die auf die Verkündung der neuen Regierung folgten, 93 Demonstranten getötet, über 500 verletzt und mehr als 2000 verhaftet wurden.13 Bischof Colli, der als Chef der Katholischen Aktion in Italien wiederholt alle guten Katholiken zur Unterstützung des Krieges der Achsenmächte aufgefordert hatte, gab nun neue Anweisungen an die Mitglieder aus. Sie sollten der neuen Regierung gehorchen. Er fügte hinzu, was zum 372

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Gemeinplatz der italienischen Kirche werden sollte: »Die Katholische Aktion Italiens hat sich in ihrer vergangenen Arbeit nichts vorzuwerfen.«14 Nach Mussolinis Sturz war der Papst besorgt über die Möglichkeit eines Volksaufstands und die Bedrohung, die daraus nicht nur für den Vatikan, sondern auch für seine persönliche Sicherheit erwachsen könnte. Am 7. August warnte der Kommandant der Schweizergarde, die Sicherheitskräfte seien stark unterbesetzt und schlecht dafür gerüstet, den neuen Bedrohungen zu begegnen. Die »Entwicklung der ungewissen Ereignisse, die voller Überraschungen sind, erfordert deutliche Verbesserungsmaßnahmen bei den Waffen, die der Garde zur Verfügung stehen«, empfahl er Kardinal Maglione. Er legte seinem Ersuchen ein Memorandum für den Papst bei, das dieser am 9. August las. Sollte eine reguläre Armeeeinheit die päpstliche Residenz angreifen, habe man keine Chance, die Oberhand zu behalten, und könne nur symbolischen Widerstand leisten. Zum Glück sei ein solcher Angriff aber unwahrscheinlich. »Andererseits ist eine Verteidigung gegen die wahrscheinlicheren Angriffe revolutionärer Massen im Falle möglicher politischer Unruhen durchaus erfolgversprechend.« In einem solchen Fall müsste man den kirchenfeindlichen Mob nur so lange aufhalten, bis die reguläre Armee zu Hilfe käme. Doch solche Hilfe käme vielleicht »erst, nachdem der Pöbel sich an den Toren und Eingängen zum Vatikan versammelt und möglicherweise die Mauern des Vatikans überstiegen und so die Öffnung des einen oder anderen Eingangs erzwungen hat«. Der Kommandant hielt es für entscheidend, seine Männer mit automatischen Waffen einschließlich Maschinengewehren auszurüsten, die sie bisher nicht besaßen. »Die revolutionäre Menge wird, besonders nach einem Krieg, bessere Waffen besitzen als der Vatikan, nämlich automatische Waffen, Kanonen, Panzer usw.« Dass Soldaten des Vatikans außerhalb der Mauern der Vatikanstadt schwere Waffen einsetzten, um den Mob am Eindringen zu hindern, sei politisch unmöglich, so der Kommandant. Darum sei es entscheidend, die Aufrührer stoppen zu können, sobald sie in den Vatikan eingedrungen seien. Er empfahl, die italienische Regierung um 24 Maschinengewehre und »eine gewisse Anzahl defensiver Handgranaten« zu ersuchen. Mit diesen Waffen könnten sie »die Sicherheit des heiligen Pontifex und aller Personen in den geheiligten 373

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Apostolischen Palästen garantieren«. Er fügte hinzu, die Schweizergarde müsse ihre dekorativen historischen Helme durch moderne Stahlhelme ersetzen und ausreichend Sandsäcke erhalten, um sich im Angriffsfall zu schützen. Der Papst dachte über die Empfehlungen nach, hielt ein paar aber für zu weitgehend. Zu den Maßnahmen, die er genehmigte, gehörten die Einrichtung einer direkten Telefonverbindung zur italienischen Polizei und die bessere Sicherung der Eingänge in die Vatikanstadt und in den Apostolischen Palast. Es sollte auch untersucht werden, welche Mittel geeignet wären, um eine Masse zu zerstreuen, die sich etwa am Tor zum Vatikan sammle. Seine Vorschläge versah er mit Fragezeichen, die sein Zögern zeigen: »Wasserschläuche? Rauch?« Die Frage der Anschaffung schwerer Waffen stellte der Papst zurück und sagte, er werde die Sache mit dem zuständigen Kardinal Canali besprechen. Die Schweizergarde bekam nie die schweren Waffen, die ihr Kommandant dem Papst empfohlen hatte.15 Italiens neuer Premierminister stand vor einem unlösbaren Dilemma. Den Kampf gegen die Alliierten weiterzuführen, würde auf den sicheren nationalen Zusammenbruch hinauslaufen, aber zu verkünden, dass das Land seinen Verbündeten im Stich ließ, konnte ebenfalls katastrophale Folgen haben. Hunderttausende italienische Soldaten waren auf dem Balkan und anderswo neben den Deutschen stationiert. Sobald Italien einen Waffenstillstand erklärte, würden die Deutschen sie wahrscheinlich alle gefangen nehmen oder schlimmstenfalls als Verräter erschießen. Und die Zehntausende Wehrmachtssoldaten in Italien selbst stellten zweifellos eine potentere Militärmacht dar als die demoralisierten italienischen Truppen. Es bestand auch kein Zweifel, dass Deutschland Tausende weitere Soldaten auf die Halbinsel schicken würde, falls der Premierminister einen Sonderfrieden mit den Alliierten verkündete. Ende Juli grübelte Badoglio immer noch darüber nach, wie er Kontakt zu den Alliierten aufnehmen sollte, ohne dass die Deutschen davon erfuhren. Er befürchtete auch, Hitler könne versuchen, Mussolini wieder an die Macht zu bringen. Um Zeit zu gewinnen, gab er dem Leiter der italienischen Militärmission in Berlin, General Luigi Efisio Marras, Anweisung, mit dem Führer zusammenzutreffen. Das war keine leichte Aufgabe für 374

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den General, denn Hitler war außer sich vor Zorn auf die Italiener, und Marras hatte den Auftrag, Zusicherungen zu geben, deren Unaufrichtigkeit ihm bewusst war. Der General dankte Hitler für den kurzfristigen Empfang und versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass der Wechsel in der italienischen Staatsführung nichts an Italiens Engagement für die Sache der Achse ändere. Wie Badoglio öffentlich erklärt hatte, werde der Krieg an der Seite Deutschlands weitergehen. Hitler hörte eine Weile zu, ohne zu unterbrechen. Als der General eine Pause einlegte, begann er einen längeren Vortrag. Den Italienern fehle der Mut, sagte er. Deutsche Städte würden auch bombardiert, aber die Deutschen blieben standhaft. »Der Tag wird kommen, an dem wir Rache nehmen können«, sagte der Diktator voraus. Er erinnerte den General an Mussolinis Lieblingsausspruch: »Lieber einen Tag wie ein Löwe leben als hundert Jahre wie ein Schaf.« Wenn Italien den Krieg verliere, warnte er, werde es nicht nur seine hart erkämpften afrikanischen Kolonien verlieren, sondern auch Sizilien und Sardinien. Am meisten sorgte sich Hitler anscheinend um das Schicksal seines alten Waffengefährten, und der General musste ihm wiederholt versichern, der Duce sei am Leben und wohlauf. Marras schloss seinen Bericht an Badoglio: »Alles in allem zeigte der Führer eine größere Ruhe, Fassung und sogar Herzlichkeit, als in dieser Situation zu erwarten war.«16 Auch wenn das Treffen vielleicht herzlich war, erhielt Badoglio alarmierende Nachrichten von der italienischen Nordgrenze. Deutsche Truppen strömten über den Brenner im Nordosten und über die französische Grenze im Nordwesten ins Land. Die Deutschen wischten den schwachen Widerstand der Grenzschützer beiseite, die weder Befehl hatten, sie mit Gewalt aufzuhalten, noch es gekonnt hätten. In Bolzano (Bozen) besetzten deutsche Einheiten rasch Kraftwerke, Brücken und andere strategische Punkte. Anderswo wiederholte sich dieses Muster.17 Badoglio klammerte sich immer noch an den Glauben oder wenigstens die Hoffnung, Italien könne einen Ausweg aus dem Krieg finden, der nicht als Verrat an seinem Verbündeten erscheinen würde. Er sandte dem Führer eine Botschaft des Inhalts, dass sie gemeinsam einen Weg finden könnten, den Krieg auf »ehrenvolle« Weise zu beenden. Als der davon erfuhr, 375

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explodierte er: »Das ist die größte Unverschämtheit der Weltgeschichte! Bildet der Mann sich ein, daß ich ihm das glauben soll?«18 Voll Sorge, dass ein gewaltsamer Konflikt mit Deutschland ausbrechen könne, berief Kardinal Maglione ein gemeinsames Treffen mit den Botschaftern Portugals, Spaniens, Argentiniens und Ungarns ein, die alle gute Beziehungen zum Dritten Reich pflegten. Da Italien vielleicht bald die Beziehungen zu Deutschland abbrechen werde, sagte er ihnen, könnten die Deutschen Truppen schicken, um Schlüsselpositionen in Italien zu besetzen, einschließlich Roms und vielleicht sogar der Vatikanstadt. Dann formulierte der Kardinal die Sache diplomatisch. Er selbst glaube daran, dass Italien und Deutschland zu einer Übereinkunft finden würden. Er vertraue auch darauf, dass selbst im Fall eines Abbruchs der Beziehungen zwischen beiden Ländern Deutschland, das noch kürzlich so laut gegen die alliierte Bombardierung Roms protestiert hatte, die Stadt und ihren heiligen Charakter respektieren werde, und ebenso den Vatikanstaat, der im Krieg neutral geblieben war. All das vorausgeschickt, fragte der Kardinal, könne es da nicht nützlich sein, wenn die Botschafter mit ihrem deutschen Kollegen im Vatikan redeten und ihren Glauben an Deutschlands gute Absichten gegenüber dem Heiligen Stuhl ausdrückten? Nachdem die Botschafter kurz untereinander diskutiert hatten, versprachen sie, die Angelegenheit gegenüber ihren deutschen Kollegen bei der ersten Gelegenheit anzusprechen.19 Die Botschafter hielten Wort, denn am nächsten Tag schickte Weizsäcker ein Telegramm nach Berlin, das von ihrem Besuch berichtete. Demnach hatten sie ihm gesagt, der Vatikan sei besorgt über Berichte, dass Deutschland in den nächsten Tagen militärische Aktionen plane, um die Regierung Badoglio zu stürzen. »Als man mich darauf ansprach, habe ich das alles natuerlich als reine Phantasie bezeichnet.« Er fügte hinzu: »Ob meinem Dementi geglaubt wird, konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen.«20 Während Italiens neue Regierung immer noch öffentlich ihre Treue zur Achse verkündete, war sie eifrig bemüht, die Alliierten von der Wiederaufnahme der Bombenangriffe auf Rom abzuhalten. Die Regierung war neu, aber ihr Glaube, der Vatikan sei ihre größte Hoffnung für den Schutz der Hauptstadt, war der alte. Am letzten Julitag bat der neue Außenminister 376

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Kardinal Maglione um vatikanischen Beistand bei dem Versuch, die Alliierten dazu zu bringen, Rom zur »offenen Stadt« zu erklären, und ihre Bedingungen dafür herauszufinden. Als er die Sache mit dem Kardinal und höchstwahrscheinlich auch mit dem Papst diskutierte, meldete Monsignore Tardini Zweifel an, ob der Vatikan sich in so heikle Fragen einmischen solle. Es schien, dass die neue Regierung einfach auf Zeit spielte, denn die Forderungen der Alliierten nach Entmilitarisierung waren bekannt, und die Stadt brummte entgegen früheren Zusicherungen immer noch von militärischen Aktivitäten. Weil er nicht noch eine Chance versäumen wollte, als Beschützer der Ewigen Stadt zu handeln, wischte Pius XII. Tardinis Vorbehalte beiseite. Maglione wies die Apostolischen Legaten in Washington und London an, die Anfrage der Regierung weiterzuleiten.21 Als er Magliones Note erhalten hatte, nahm der Apostolische Legat in Washington Kontakt zu Außenstaatssekretär Sumner Welles auf. Das vatikanische Ersuchen vom 2. August kam indes in einem ungünstigen Moment, da Eisenhower den zweiten Bombenangriff auf Rom zwei Tage später angesetzt hatte und Roosevelt auf einem Angelausflug auf einer kanadischen Insel im Lake Huron weilte. Das US -Kriegsministerium schickte einen Funkspruch an Eisenhower in Algier: »Italienische Regierung via Vatikan bat US, Bedingungen festzusetzen für Erklärung Roms zur offenen Stadt. Bis auf weitere Anweisungen erscheint es wünschenswert, weitere Luftaktivitäten gegen die Stadt Rom auszusetzen.« Eisenhower antwortete am nächsten Tag, nachdem er eine weitere Botschaft über einen anschließenden Austausch zwischen Churchill und Roosevelt erhalten hatte. Es war nur noch ein Tag vor dem geplanten Angriff. »Die Bedeutung der Antwort des Präsidenten an den Premierminister … die in Ihrer Nachricht zitiert wird, ist uns nicht ganz klar«, schrieb der amerikanische General. »Wir nehmen aber an, dass sie bedeutet, dass er nicht in den für morgen, 4. August, geplanten Angriff auf die Rangierbahnhöfe in Rom einzugreifen wünscht, über den Sie schon informiert worden sind, aber dass keine weiteren Angriffe auf Rom stattfinden sollen, vorbehaltlich des Resultats der vatikanischen Bemühungen.« Eisenhower sandte auch eine Botschaft an General George Marshall, den Generalstabschef des Heeres, und wiederholte seinen Plan, die römischen Rangierbahnhöfe am 377

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nächsten Tag zu bombardieren. Er fügte aber hinzu: »Ich habe nicht vor, die Operationen gegen Rom zu übertreiben, weil ich sehr wohl alle Implikationen und Auswirkungen erkenne, die daraus erwachsen. Aber dass unsere Flugzeuge über der Stadt präsent sind und Flugblätter und, wenn es zweckdienlich ist, Bomben abwerfen, hat zweifellos eine deutliche Wirkung.«22 Das US-Kriegsministerium hatte eine Liste von 25 Bedingungen vorbereitet, die erfüllt sein müssten, damit Rom zur offenen Stadt erklärt werden könne. Von seinem Angelausflug telegrafierte Roosevelt an Churchill: »Ich glaube, wir wären in einer schwierigen Lage, wenn wir die Bitte ablehnen würden, Rom zur offenen Stadt zu machen. Ich habe aus Washington gerade die vorgeschlagenen Bedingungen erhalten und meine prinzipielle Zustimmung gegeben, glaube aber, wir müssen die Einhaltung genau überprüfen, wenn die Bedingungen von Italien angenommen werden.« Der britische Premier blieb skeptisch: »Die Zeit für Verhandlungen über Rom als offene Stadt ist vorbei«, antwortete er. Das würde Italien nur »ermutigen, weitere Verhandlungen über einen neutralen Status ganz Italiens zu versuchen«. Roosevelt antwortete sofort. Da Eisenhowers geplanter Luftangriff so kurz bevorstehe, sei es unklug, ihn noch zu stoppen. »Vorbehaltlich des Ergebnisses der vatikanischen Bemühungen bin ich jedoch der Meinung, dass die Angriffe nicht fortgesetzt werden sollten.«23 Der hektische Austausch von Botschaften über den Atlantik hinweg endete mit einer Art Antiklimax. Wegen schlechten Wetters sagte Eisenhower das Bombardement in letzter Minute ab. Angesichts der Notwendigkeit, der Luftunterstützung für die Sizilienoperation Vorrang einzuräumen, berichtete er, müssten weitere Angriffe auf die römischen Rangierbahnhöfe zurückgestellt werden.24 Nur wenige Stunden, nachdem er erfahren hatte, dass der Bombenangriff ausfallen musste, berichtete Churchill Roosevelt von der letzten Diskussion in seinem Kriegskabinett. Wenn man Rom von Angriffen ausnehmen würde, wäre die Wirkung auf die britische öffentliche Meinung »höchst unglücklich. … Es würde als Beweis gewertet werden, dass wir einen notdürftig zusammengeflickten Frieden mit dem König und Badoglio schließen werden und das Prinzip der bedingungslosen Kapitulation 378

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aufgegeben haben.« Die Welt würde die Entscheidung als großen Erfolg der neuen italienischen Regierung ansehen. »Zweifellos ist ihre größte Hoffnung, Italien als neutrales Gebiet anerkennen zu lassen, und Rom schiene dann die erste Tranche davon zu sein.« Es gab noch einen anderen Grund für Churchills Beharren, die Alliierten sollten die italienische Bitte ablehnen. Schließlich hofften sie, Rom bald erobert zu haben, und dann wäre es ausgesprochen hilfreich, die Stadt als Aufmarschplatz für die eigenen militärischen Anstrengungen weiter nördlich nutzen zu können. Wenn sie Rom zur »offenen Stadt« erklärten, wäre das unmöglich.25 Dieselbe Botschaft erhielt Roosevelt von seinen eigenen Stabschefs. »Vom rein militärischen Standpunkt ist es nicht ratsam, die Frage der Anerkennung Roms als offene Stadt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu entscheiden«, warnten sie am 5. August. »Durch eine solche Anerkennung würden wir uns die Benutzung von Verbindungen durch Rom nehmen, die für Operationen im Norden unverzichtbar sein könnten.« Sie erkannten aber, warum der Präsident zögerte, das Ersuchen des Papstes abzulehnen. »Aus politischen Gründen scheint es, dass die Notwendigkeit einer direkten Ablehnung dieser Bitte vermieden werden sollte.« Ihr Rat lautete, die Antwort an den Papst so lange wie möglich hinauszuschieben. »Nach unserer Ansicht sind die Kommunikationseinrichtungen, Fabriken und Flugplätze in Rom und seiner unmittelbaren Umgebung wichtige militärische Ziele und sollten angegriffen werden.«26

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Kapitel 32

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eil Badoglio aus gutem Grund befürchtete, Hitler würde seinen gestürzten Kampfgenossen zu befreien versuchen, schickte er Mussolini zunächst auf die kleine Insel Ponza im Tyrrhenischen Meer zwischen Rom und Neapel. Dort blieb er nicht lange, denn Badoglio war in Sorge, die Deutschen könnten nahe daran sein, seinen Aufenthaltsort herauszubekommen. Also ließ er Mussolini an Bord eines Kriegsschiffs bringen, das nordwärts zur kleinen Insel Maddalena vor der Nordküste Sardiniens fuhr. Kurz nachdem Mussolini in der halb verlassenen Villa auf dem Gelände des dortigen kleinen Marinestützpunkts angekommen war, in der er nun wohnen sollte, übergab man ihm ein Päckchen. Einen Tag nach der Nachricht von Mussolinis Verhaftung hatte Hitler der SS befohlen, den abgesetzten Diktator ausfindig zu machen und zu befreien, aber man hatte ihn noch nicht gefunden. Immerhin war es Hitler gelungen, Mussolini über die italienische Regierung ein Geschenk zukommen zu lassen. Mussolini war am 29. Juli sechzig Jahre alt geworden. Er öffnete das Päckchen und fand ein Buch, das ihm der Mann schickte, der einst als junger Aufrührer zu dem italienischen Diktator aufgeschaut hatte. Es war der erste Band einer Prachtausgabe der Werke Friedrich Nietzsches mit der Widmung: »Adolf Hitler seinem lieben Benito Mussolini«.1 In Rom lud Herzog Pietro d’Acquarone, der Minister des königlichen Haushalts, den Industriellen Alberto Pirelli zu einem dringenden Treffen ein. Als der Reifenmagnat am 3. August 1943 eintraf, begleitete der Herzog ihn ins Büro des neuen Außenministers Raffaele Guariglia. Die Lage sei trostlos, ließ dieser die beiden Männer wissen. Wenn Italien die Alliierten 380

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um einen Waffenstillstand bitte, würde Hitler den Tausenden deutschen Soldaten, die schon in der Gegend waren, Befehl geben, auf Rom zu marschieren, die Kontrolle über die Regierung zu übernehmen und höchstwahrscheinlich den König festzunehmen. Womöglich würden sie auch den Papst verjagen, wie Napoleon es vor anderthalb Jahrhunderten mit Pius VII. getan hatte. Guariglia sagte voraus, dass zusätzliche deutsche Truppen ins Land strömen und den Großteil der restlichen Halbinsel übernehmen würden, um die alliierten Armeen weit von deutschem Boden fernzuhalten. Angesichts dieser Gefahren bestand die drängendste Aufgabe der neuen Regierung darin, die Befürchtungen der Deutschen zu besänftigen. Der Unternehmer war derselben Meinung: Sie durften nichts tun, was wie Verrat an ihren deutschen Verbündeten aussah.2 Nie war das Verhältnis zwischen einem italienischen Außenminister und einem vatikanischen Staatssekretär enger gewesen. Wenn er spätabends sein Büro verließ, nahm Guariglia oft noch seinen Weg über den Papstpalast, um Maglione über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Angesichts der potenziellen Tragweite der Ereignisse, vor denen sie standen, berief Maglione eine Zusammenkunft der vierzehn in Rom ansässigen Kardinäle ein, um auch sie zu unterrichten. Dreizehn von ihnen waren Italiener. Maglione sagte ihnen, der Heilige Stuhl habe zwar keine Rolle bei der kürzlich erfolgten Absetzung Mussolinis durch den König gespielt, müsse sich nun aber deren Folgen stellen. Deutsche Truppen besetzten italienische Städte an der österreichischen Grenze, und motorisierte Divisionen näherten sich Rom. Die neue italienische Regierung befürchte eine baldige deutsche Besetzung der Hauptstadt, und es gebe keine Garantie, dass die Deutschen vor dem Vatikan haltmachen würden. Unter den Gerüchten, die ihm zu Ohren gekommen seien, habe eines gelautet, dass die Deutschen den Papst nach München bringen wollten. Der Kardinal hielt es für entscheidend, wie er seinen Kollegen erklärte, dass der Heilige Stuhl nichts tue, was die Deutschen als Unterstützung eines italienischen Sonderfriedens mit den Alliierten ansehen könnten. Italien habe keine Wahl, als den Krieg an der Seite Deutschlands fortzusetzen. Das würde aber eine Wiederaufnahme der tödlichen alliierten Bombardements bedeuten, und er befürchtete, dies werde im Ergebnis nicht nur zu 381

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mehr Zerstörung und Leid führen, sondern zu einem Chaos, das ein fruchtbares Feld für die Ausbreitung des Kommunismus abgeben werde.3 Inmitten all der Spannung war der deutsche Botschafter Ernst von Weizsäcker entschlossen, gute Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Reich zu fördern. Zu diesem Zweck berichtete er nach Berlin, der Vatikan sei mit der neuen Regierung Italiens nicht wirklich glücklich. Er erwähnte das vatikanische Missfallen über die Lockerung der strengen Presse- und Redezensur. Rom sei nun mit Flugblättern übersät, die dem Vatikan seine frühere Unterstützung des faschistischen Regimes vorwarfen. »Die kirchenfeindliche Strömung soll sich … auch in Rom so weit ausbreiten, daß der Vatikan sich im geheimen in Verteidigungszustand setze«, bemerkte Weizsäcker. »Tatsache ist, daß die Kirche sich heute beunruhigt fühlt, für sie ist und bleibt der Kommunismus der Erzfeind.«4 Wegen all der Unsicherheiten nach Mussolinis Sturz hatte Pius XII. es für das Beste gehalten, zunächst öffentlich zu schweigen, aber am 7. August ergriff er die Initiative. Er forderte die Italiener auf, anlässlich des Feiertags Mariä Himmelfahrt für den Frieden zu beten. In einem im Osservatore Romano abgedruckten Text sprach der Papst von dem Schmerz, den die Muttergottes »beim Anblick so vieler ermordeter Söhne« empfinde, und drückte die Hoffnung aus, es könne bald einen »christlichen Frieden« geben, »durch den allein die erobernden und eroberten Völker, wiedervereint nicht durch Gewalt, sondern durch Gerechtigkeit, eine lange Zeit der Ruhe und des Wohlstands genießen können«. In seinem Tagebuch hielt Pater Vincent McCormick, der frühere Rektor der Gregoriana, seine Enttäuschung über diese ersten päpstlichen Worte nach dem Ende des faschistischen Regimes fest: Ich halte es für ein Dokument, das veröffentlicht wurde, um den Vatikan vor Italien gegen den Vorwurf zu verteidigen, nichts für den Frieden zu tun. Der Vat[ikan] scheint jetzt ganz der Furcht zu erliegen, von den Deutschen oder antikirchlichen Italienern übernommen zu werden. Aber was für ein bedauerliches Dokument! Zu einer Zeit, in der die Sizilianer ihre Befreiung feiern und Hunderte Millionen Menschen von Norwegen bis zum Mit[telmeer] einen Seufzer hoffnungsvoller Erleichterung ausstoßen, weil sie nach vier

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­Jahren der Herrschaft von Tyrannei und Sklaverei endlich das Licht der Freiheit am Horizont sehen, sagt uns der H[eilige] V[ater], der Himmel klare nicht etwa auf, sondern sei schwärzer als je zuvor, und das Christentum sei bedroht. Ist das Sein echtes Gefühl über eine deutsche Niederlage oder ist es so, dass Sein Horizont nur bis zu den Alpen und der Straße von Messina reicht? Die beraubten und hungernden Menschen in Griechenland, Frankreich, Belgien, Holland, Österreich, in den Konzentrationslagern – Gläubige, Priester, Seminaristen, Zwangsarbeiter – , bedeutet ihre Befreiung dem V[atikan] nichts? Traurig, traurig.5

Während der Papst das Leid auf beiden Seiten beklagte, betrieb Italiens neuer Regierungschef Pietro Badoglio selbst ein gefährliches Doppelspiel. Während er Hitler weiterhin die italienische Bündnistreue zusicherte, schickte er am 6. August zwei Emissäre auf den Weg, einen zum alliierten Hauptquartier in Tanger, den anderen zu einem Treffen mit alliierten Diplomaten in Lissabon, um die Möglichkeit von Verhandlungen auszuloten. In Tanger erklärte sein Abgesandter dem britischen Generalkonsul, die Einleitung von Verhandlungen durch den Vatikan sei »undurchführbar« geworden, darum habe man diesen direkteren, wenn auch informellen und geheimen Weg gewählt. Aus Furcht vor den Deutschen dürfe nicht der Eindruck entstehen, als autorisiere Badoglio solche Gespräche. Tatsächlich sollte er sich bald mit Hitler treffen, um erneut öffentlich zur Fortsetzung des Kampfes an Deutschlands Seite aufzurufen. Sein Abgesandter erklärte aber, dies seien nicht seine wahren Gefühle oder die seiner Regierung. Leider sei es notwendig, um Zeit zu gewinnen.6 In seinen vier Jahren als Papst hatte Pius XII. sich nie gegen Italiens antijüdische Rassengesetze ausgesprochen. Er hatte sich zwar regelmäßig bei der faschistischen Regierung beklagt, die Gesetze würden unfairerweise auch auf Familien angewandt, die in den Augen der Kirche katholisch waren. Getaufte Juden sollten nach Auffassung des Papstes von den Rassengesetzen ausgenommen werden, ebenso getaufte Kinder aus »Mischehen«. Der Sturz des Faschismus bot nun die Aussicht, jene Änderungen der Rassengesetze zu verwirklichen, die der Papst lange angestrebt hatte. Die jüngst geöffneten vatikanischen Archive zeigen, dass Badoglio selbst für 383

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eine Änderung war. Binnen weniger Tage nach seiner Ernennung zum Premierminister hatte er den Papst wissen lassen, dass er die Gesetze gern aussetzen würde, »vor allem die auf die Ehe bezogenen«, dies aber nicht sofort tun könne, weil er die Reaktion der Deutschen fürchte.7 Pater Tacchi Venturi, der inoffizielle Bote zwischen dem Papst und Mussolini, hatte in den fünf Jahren seit Inkrafttreten der Gesetze wiederholt päpstliche Beschwerden über die Art und Weise ihrer Anwendung überbracht. Nun wollte der Jesuit handeln. Mit der Bitte um päpstliche Genehmigung schrieb er an Kardinal Maglione und drängte, sie sollten die neue Regierung dazu bringen, »die schmerzhafte Lage zu verbessern, in der sich nicht wenige Katholiken aus sogenannten gemischten Familien wegen ihrer Herkunft befinden«. Wie er berichtete, hatte er bereits bei ­Mitgliedern des Innenministeriums vorgefühlt, und ihm war Entgegenkommen für ein solches Ersuchen des Papstes signalisiert worden. Dann skizzierte er die nötigen Korrekturen. Die überarbeiteten Gesetze sollten »allen gemischten Familien einen vollen arischen Status« garantieren. Das würde sicherstellen, dass Kinder aus »Mischehen«, die nach Einführung der Gesetze geboren waren, »nicht länger, so wie jetzt, als Angehörige der jüdischen Rasse eingestuft werden und, obwohl sie Christen sind, als Juden behandelt werden«. Er beendete seinen Brief mit den Worten: »Ich erwarte Ihre Anweisungen.«8 Vier Tage später instruierte Pius XII. Monsignore Tardini, wie er antworten sollte: »Man kann an P.T.V. [Pater Tacchi Venturi] in dem von ihm gewünschten Sinne schreiben.« Kardinal Maglione setzte seinen eigenen Vermerk hinzu: »Genehmigt. Tun Sie es im Namen des Heiligen Stuhls.« Am 18. August schickte Maglione dem päpstlichen Boten ein Schreiben, das ihn autorisierte, in der Sache an die neue Regierung heranzutreten. Die angestrebten Änderungen sollten sicherstellen, dass die Rassengesetze nur auf Personen angewandt würden, welche die Kirche als Juden betrachtete.9 Ende August informierte der Jesuit Maglione über seine Bemühungen. »Bei der Behandlung der Angelegenheit mit Seiner Exzellenz, dem Innenminister, habe ich mich notwendigerweise auf die drei Punkte [betreffend Mischehen und konvertierte Juden] beschränkt, die im Brief Eurer Eminenz vom 8. August aufgeführt wurden … und Sorge getragen, keine völlige Abschaffung eines Gesetzes zu fordern, das nach den Prinzipien und 384

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Traditionen der katholischen Kirchen zwar einige Klauseln enthält, die gestrichen, aber auch andere, die bestätigt werden sollten.«10 Nach einer kurzen Unterbrechung, die auf Mussolinis Sturz gefolgt war, nahmen die Alliierten die Luftangriffe auf Italien in der zweiten Augustwoche wieder auf. Es gab schwere Schäden in Turin und Genua, und das berühmte Opernhaus La Scala in Mailand stand in Flammen. Auch Rom wurde getroffen. Am Vormittag des 13. August erschienen alliierte Maschinen am Himmel, griffen erneut die Bahnanlagen der Stadt an und ließen Zerstörung und Tod auf die nahen Wohnviertel regnen. Da sie wussten, dass die Flugzeuge Distanz zum Vatikan halten würden, strömten viele Römer auf den Petersplatz, sobald sie im Anflug waren. Eine Schweizer Journalistin beschrieb die Szene: Menschen drängten sich unter der Kolonnade zusammen wie Hühner. Lange Reihen von Autos standen auf dem ganzen Platz und Kutschen mit dampfenden Pferden, die offensichtlich in großer Eile hergefahren waren. Immer noch kamen Menschen aus allen Richtungen, in Autos, auf Fahrrädern und zu Fuß. … Eine große Menge im Dom. Aber auch hier zittern die Menschen, wenn sie den dumpfen Knall der Bomben hören. Sie laufen auch von einer Ecke in die andere, weil sie immer wieder glauben, nicht ihre Ecke, sondern die gegenüber wäre sicherer. Das Beste war aber der Anblick eines italienischen Soldaten, der offensichtlich im Dienst war … und sich in einer Ecke der Vorhalle versteckte. Ich grinste ihn an und er grinste zurück, als wollte er sagen: »Ja, ich weiß, ich sollte nicht hier sein, aber hier bin ich wenigstens sicher!«

Nachmittags ließ sich der Papst erneut an den Ort der Zerstörung fahren. Er hielt kurz vor der Basilika San Giovanni in Laterano und hob segnend die Arme, während verzweifelte Römer ihn umringten.11 Am nächsten Tag erklärte Badoglios Regierung Rom einseitig zur »offenen Stadt«. Als sie die Nachricht hörten, welche die selbsterklärte Immunität der Stadt vor weiteren Bombardierungen mit ihrem Rang als Weltzentrum des Katholizismus verband, strömten mehrere Tausend Römer zum Vatikan. Unter dem Fenster des Papstes riefen sie »Lang lebe 385

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der Papst! Frieden! Frieden!« Dreimal trat der Pontifex auf den Balkon, um sie zu segnen. Ein Augenzeuge aus dem italienischen Außenministerium hielt seine ironisch gefärbte Beobachtung in seinem Tagebuch fest: »Die wieder einmal jubelnde römische Menge begibt sich zum Vatikan und ruft mit derselben Inbrunst «Es lebe der Papst», wie sie gestern Badoglio bejubelt hat und vorgestern Mussolini.«12 Da sie nicht wussten, wie Roosevelt auf die Ausrufung der »offenen Stadt« durch Italien reagieren würde, und ein weiterer Angriff auf Rom für den nächsten Tag geplant war, schickten die Vereinigten Generalstabschefs eine kurze Botschaft an Eisenhower: »Vorbehaltlich der Klärung und weiterer Instruktionen wird empfohlen, dass Sie keine weiteren Angriffe auf Rom durchführen.« Eisenhower war nicht erfreut, hatte aber keine Wahl und sagte die Luftschläge für den 15. August ab. Er schrieb: »Alle Informationen deuten darauf hin, dass Angriffe auf Rom eine starke Wirkung auf

Pius XII. am Ort des alliierten Bombardements von Rom, 13. August 1943.

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die italienische Kampfmoral haben. Wir glauben hier, dass wir eine weitere einmalige Gelegenheit verpassen, wenn diese Operationen einge­ schränkt werden, bevor eine beiderseitige Erklärung abgegeben wurde. Es wird sicher eine Weile dauern, bis Regierungsstellen, Rüstungsfabriken und deutsche Truppen die Stadt verlassen haben.« Eisenhower brauchte aber nicht lange zu warten, denn binnen weniger Stunden bekam er neue Instruktionen: »Stillhaltebefehl der Vereinigten Generalstabschefs in ihrer Nachricht vom 14. August bezüglich Bombardierung von Rom wird aufgehoben. … Sie haben freie Hand, diese Operationen in dem Maß, das Sie für nötig oder ratsam halten, auszuführen, unter Maßgabe früherer Einschränkungen bezüglich Sicherheit des Vatikans.«13 An einem Morgen Ende August ertönte erneut der gefürchtete Sirenenklang des Fliegeralarms. Menschen strömten in die barocke Kirche Il Gesù im Zentrum Roms, wo Pater Tacchi Venturi viele Jahre verbracht hatte. Es hatte schon oft falschen Alarm gegeben, und alle hofften, es werde wieder so sein, aber da es keine Bunker gab, schien die gewaltige Kirche den besten Schutz zu bieten. Ein Priester ging zu einer Gruppe eng aneinandergedrängter, teils weinender Frauen, um ihnen Trost zu spenden. »Es gibt vierzehn Millionen Katholiken in den USA«, sagte der Jesuit, »und sie werden Roosevelt sofort hinauswerfen, wenn er es wagt, Rom zu bombardieren, besonders jetzt, wo es eine offene Stadt ist.« »Aber das ist es nicht«, sagte eine Frau mit erhobener Stimme. »Ich stehe bei einem General von Badoglio in Diensten, und er sagt, die Stadt ist voller Deutscher.« Die Schweizer Journalistin, die die Szene beobachtete, fügte hinzu: »Jedermann weiß, dass Rom voller deutscher Soldaten ist. Gestern habe ich auf der Piazza Navona gesehen, dass alle umliegenden Straßen voller Panzerwagen waren. Es waren mindestens hundert.«14 Im Lauf des Augusts verhaftete die Polizei der neuen Regierung immer mehr faschistische Führungsfiguren. Manchen war es gelungen, nach Deutschland zu fliehen, unter ihnen Ciano, doch er sollte es bald bedauern. Mussolini war von einer Insel zur nächsten gebracht worden und sollte 387

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bald zurück aufs Festland verlegt werden, in ein abgelegenes Berggebiet. Mussolinis Frau Rachele blieb unbehelligt, aber seine Geliebte Clara wurde mit ihrer ganzen Familie verhaftet. Für Badoglios Regierung symbolisierte die Familie Petacci die Korruption der faschistischen Vorgängerregierung, und die Nachricht, dass sich ihr Schicksal nun gewendet hatte, wurde allgemein mit Genugtuung aufgenommen. Aus ihrer Zelle schrieb Clara an Mussolini, dass sie, ihre Mutter und ihre Schwester Tag und Nacht zur Muttergottes von Pompeii für seine Freilassung beteten. »Ich habe Vertrauen, ich habe Vertrauen«, versicherte sie. »Der Führer wird dich retten, ich fühle es!«, schrieb sie später im August. »Nicht nur ich brauche dich, sondern die Welt, die Geschichte.« In Rom richteten Ursulinerinnen in der nun verlassenen Petacci-Villa ein Waisenhaus ein und brachten dort bequem fünfzig Kinder unter.15 Für die italienische Regierung hätte die Lage kaum heikler und dramatischer sein können. Die Alliierten forderten die bedingungslose Kapitulation und drohten mit weiterem Bombardement und der Invasion des Festlands. Badoglios öffentliche Loyalitätserklärungen gegenüber der Achse verärgerten die Alliierten, ohne Deutschland zu beruhigen. Ende des Monats entwarf Außenminister Guariglia ein Memorandum für Badoglio, das die unangenehmen Optionen darlegte, die ihnen blieben: Die Deutschen sahen Italien als entscheidenden Schutzschild, um dem Reich die Alliierten möglichst weit vom Leib zu halten. Damit blieben der Regierung nur zwei Alternativen. Sie konnte den gegenwärtigen Kurs fortsetzen, den Krieg halbherzig weiterführen und derweil sämtliche Zugeständnisse machen, die erforderlich sein würden, um Deutschland auf Distanz zu halten. Oder sie brach die Beziehungen zu Deutschland ab. Damit dieser Kurs irgendeine Aussicht auf Erfolg bot, müsste Italien militärisch stark genug sein, um die Deutschen lange genug fernzuhalten, bis ein militärisches und diplomatisches Abkommen mit den Alliierten geschlossen war. Außerdem müssten die Alliierten sofort beginnen, alle grundlegenden Güter zu liefern, die Italien bisher aus Deutschland eingeführt hatte. Guariglia war pessimistisch. Sollte die Regierung das Bündnis mit dem Reich aufkündigen, würden deutsche Truppen sofort Rom besetzen. Italienische Soldaten auf dem Balkan würden in deutsche Gefangenenlager 388

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gesperrt werden, und die desorganisierten Truppen in Italien würden wahrscheinlich dasselbe Schicksal erleiden. Hunderttausende Italiener, die in Deutschland arbeiteten, würden eingesperrt werden. Die Grundstoffe und Lebensmittel, die die Italiener zum Überleben brauchten, würden abgeschnitten und das Land, zumindest ein großer Teil, von der Wehrmacht besetzt werden. Diese Lage würde sich durch den Durst der Deutschen nach Rache für Italiens Treuebruch noch verschlimmern. Vielleicht, dachte Guariglia, würden die Alliierten ja bald von Sizilien aufs Festland übersetzen, aber auch dann würde ihr Vormarsch auf der Halbinsel langsam sein. Unterdessen würde Rom verwüstet und Italien geteilt werden, unterdrückt von einer doppelten feindlichen Besatzung. »Die Wahrheit ist, dass wir nicht die notwendige Macht haben, um eine Politik zu verfolgen, die dem Land einen Konflikt mit Deutschland erlaubt.« Auch in die Engländer setzte Guariglia wenig Vertrauen. Er sagte Badoglio, es sei eine gefährliche Illusion, zu glauben, dass England ihnen gegenüber freundlich eingestellt sei. Stattdessen würde England Italien eher als besiegten Feind statt als verspäteten Verbündeten behandeln. Es war ja vorsichtig genug gewesen, nicht etwa zu versprechen, dass Italien irgendetwas von seinen hart erkämpften Kolonien in Afrika werde behalten dürfen, wenn es sich vom Faschismus löse. Amerikaner und Briten, die Guariglia »unsere Feinde« nannte, dächten nicht an die Interessen Italiens, sondern nur an ihre eigenen. Sie würden dort landen, wo es ihren Zielen am besten diente, und »es könnte bequemer für sie sein, wenn Italiener und Deutsche einander umbringen und Italiens Verteidigung geschwächt ist, bevor sie intervenieren«.16 Obwohl der Papst bewusst nichts getan hatte, was die Deutschen gegen den Vatikan aufbringen könnte, war die Lage Italiens so verzweifelt geworden, dass er nun – gegen den Rat von Kardinal Maglione – beschloss, einen geheimen Abgesandten in die USA zu schicken. Mit dieser Aufgabe betraute er den vatikanischen Chefingenieur Enrico Galeazzi. Galeazzi hatte 1936 den damaligen Kardinal Pacelli auf seiner langen Reise durch die Vereinigten Staaten begleitet und besaß enge Beziehungen zum New ­Yorker Erzbischof Spellman. Der Mann, den Tittmann den »ungekrönten Gouverneur des Vatikanstaats« nannte und der Tag für Tag die Vatikan389

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stadt am Laufen hielt, genoss seit Langem ein gutes persönliches Verhältnis zum Pontifex und erschien als gute Wahl für den Job.17 Galeazzi sollte Roosevelt eine zweiteilige Botschaft des Papstes übermitteln. Teil eins erklärte, dass die Regierung Italiens und das italienische Volk den Frieden suchten, aber diesen Wunsch wegen der deutschen Truppen im Land nicht verwirklichen könnten. Die Italiener seien nicht nur außerstande, die Deutschen zu verjagen, sie wären auch hilflos, falls diese entschieden, die Kontrolle über Rom zu ergreifen. Hieran schloss die größte Furcht des Papstes an: »In so einem Fall wird vorhergesagt, dass der Vatikanstaat, der die diplomatischen Vertreter der alliierten Länder beherbergt, nicht verschont würde und die Person des Heiligen Vaters selbst in Gefahr sein könnte.« Zweitens warnte der Papst, der Kommunismus verbreite sich rasch in Italien, vor allem unter den Arbeitern. Zur Anziehungskraft des Kommunismus trügen »die schweren Schäden und vielen Todesfälle durch die jüngsten terroristischen Bombardements von italienischen Städten bei, die großen Groll unter dem Volk erzeugt haben, das vorher den Alliierten und besonders den Amerikanern wohlgesonnen war und nun immer mehr zum … Kommunismus gedrängt wird«. Der Papst warnte, seit dem Sturz des Faschismus gebe es klare Anzeichen für gut organisierte kommunistische Unterwanderungsversuche. Er schloss: »Aus diesem Grund ist leicht vorherzusagen, wie schwer, wenn nicht unmöglich die Lage für den Heiligen Stuhl und die Leitung der Weltkirche würde, falls Italien dem Kommunismus in die Hände fallen sollte.«18 Als die geheime Mission auf den Weg gebracht war, hielt der Papst einen öffentlichen Auftritt ebenfalls für angebracht. Was er vielleicht nicht erkannte, war, dass die Ankündigung seiner Rede gewaltige Erwartungen unter den Römern weckte. Als sie erfuhren, er werde am 1. September, dem vierten Jahrestag des Kriegsbeginns, eine Radioansprache an die Welt halten, explodierten die Gerüchte. Vielleicht würde er verkünden, erfolgreich ein Ende der Bombardierungen Roms erreicht zu haben oder sogar ein Ende des Krieges in Italien. Und dann saß der Papst in seiner weißen Robe mit einem weißen Käppchen auf dem Kopf auf seinem Thron und sprach mit seiner nasalen Stimme ins Mikrofon. Tausende drängten sich im Petersdom und auf dem 390

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Platz, wohin Lautsprecher die Worte des Papstes übertrugen. Seine Redeweise war nie seine Stärke gewesen, und er sprach in stakkatoartigen Ausbrüchen von drei oder vier Worten und unter sorgfältiger Betonung. Anderswo in Rom drängten sich die Menschen in den Cafés, deren Radios voll aufgedreht waren. Wer auf gute Nachrichten gehofft hatte, wurde enttäuscht. Der französische Botschafter sprach von einer »gewissen Selbsttäuschung«, die von den Worten des Papstes verursacht werde, die zwar den aufrichtigen Wunsch nach einem »gerechten und bleibenden Frieden« ausdrückten, aber nichts Konkretes anzubieten hatten. »Wie in seinen vorherigen Botschaften betonte der Heilige Vater energisch seine Unparteilichkeit in Hinsicht auf alle Kriegsteilnehmer, seine gleiche Sorge für alle Völker.« Der britische Gesandte Osborne berichtete nach London, eine Reihe seiner Diplomatenkollegen glaube, dem Papst sei es mit seiner Rede vor allem darum gegangen, bei den Alliierten eine bessere Behandlung Italiens zu erreichen. »Ich meine jedoch eher, dass er es für den richtigen Zeitpunkt hielt, auf die Titelseiten zu kommen und sich mal wieder als Verfechter des Friedens darzustellen.« Obwohl viele Römer enttäuscht waren, blieb Pius XII. aus ihrer Sicht dennoch ihre beste Chance, dem drohenden Unheil zu entkommen. Die glücklose italienische Regierung flößte wenig Zutrauen ein. Als der Papst nach der Übertragung aus seiner Wohnung ans Fenster trat und den Arm hob, wurde die unten versammelte Menge zu einem Meer aus Händen, die Hüte und weiße Taschentücher schwenkten, um Gottes Stellvertreter auf Erden zu grüßen.19 Die Gespräche der neu gebildeten Regierung mit den Alliierten begannen Mitte August in Lissabon. Ende des Monats wurden sie auf eine neu errichtete alliierte Militärbasis im Südosten Siziliens verlegt. Robert Murphy für die Amerikaner und Harold Macmillan für die Briten flogen aus Algier ein, um die Verhandlungen mit Premierminister Badoglios Abgesandten, den Generälen Giuseppe Castellanos und Giacomo Zanussi, abzuschließen. Roosevelt und Churchill hatten die Bedingungen des Waffenstillstands festgelegt und warteten ungeduldig darauf, dass die italienische Regierung unterzeichnete. Seit den Gesprächen in Lissabon war die italienische Hal391

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tung aber immer vorsichtiger geworden. Während deutsche Truppen von Norden nach Italien strömten, wurde Badoglio immer nervöser, und sein Außenminister fachte diese Ängste an. Die italienischen Generäle beharrten, sie würden kein Abkommen unterzeichnen, wenn die Alliierten nicht garantieren könnten, zeitgleich zur Unterzeichnung nördlich von Rom mit Truppen zu landen. Murphy berichtete Roosevelt: »Sie behaupteten, wenn wir nur südlich von Rom landen, würden die Deutschen die Stadt und alles nördlich davon besetzen. Schon der bloße Gedanke an all das Gemetzel, die Plünderungen und Zerstörungen sei schrecklich.« Falls die Italiener versuchten, Druck auf die Alliierten auszuüben, hatten sie schlechte Karten. Wenn sie jetzt nicht die Kapitulationsurkunde unterzeichneten, warnten Murphy und Macmillan, würden drei Dinge geschehen. Der König und die gegenwärtige italienische Regierung wären aus Sicht der Alliierten abgemeldet. Wir wären gezwungen, Anarchie und Unordnung in ganz Italien anzufachen. Wir wären offensichtlich gezwungen, unerbittlich und umfassend zu bombardieren, bis alle großen italienischen Städte, einschließlich Roms, in Schutt und Asche gelegt wären.20

Abends flogen die beiden italienischen Generäle zurück nach Rom, um Badoglio über das Ultimatum zu informieren. Eisenhower schrieb an das Kriegsministerium in Washington: »Es ist klar, dass die italienische Regierung nicht den Mut aufbringt, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen und zu verkünden, wenn sie nicht die Zusicherung, dass alliierte Truppen in der Umgebung von Rom landen, und eine Garantie gegen die Deutschen bekommt.« In diesem Licht »glauben wir, dass der Einsatz einer Luftlandedivision zu diesem Zweck … das Risiko wert wäre, weil der Erfolg von AVALANCHE [«Lawine», der geplanten Landung südlich von Neapel bei Salerno] gut davon abhängen könnte, ein gewisses Maß an italienischer Hilfe zu erhalten, um die Bewegung deutscher Kräfte entscheidend zu behindern.« Eisenhower kam zu dem Schluss: »Daher habe ich gemäß meinen Instruktionen, jede ita392

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lienische Einheit zu unterstützen, die gegen die Deutschen kämpft, entschieden, eine Luftlandedivision in der Region Rom einzusetzen, wenn wir uns denn auf die Aufrichtigkeit der Italiener hinreichend verlassen können.«21 Am nächsten Tag, dem 2. September 1943, schickten Roosevelt und Churchill eine gemeinsame Antwort an Eisenhower: »Wir befürworten sehr Ihre Entscheidung, AVALANCHE fortzusetzen und eine Luftlandedivision bei Rom unter den genannten Bedingungen einzusetzen.«22 Am 3. September flog Eisenhower nach Sizilien, um an der Zeremonie teilzunehmen, bei der Castellanos im Namen Badoglios die Kapitulationsurkunde unterzeichnen sollte. Dies sollte wenige Tage später öffentlich verkündet werden, wenn die Alliierten eine größere Streitmacht bei Salerno landen und Luftlandetruppen nach Rom schicken würden. Der Plan hing davon ab, dass die Italiener die römischen Flugplätze sicherten, damit die 82. US-Luftlandedivision landen und die Deutschen daran hindern konnte, die Stadt zu besetzen. Roosevelt und Churchill planten eine gemeinsame Erklärung über die italienische Kapitulation am 8. September. Gleichzeitig sollte Badoglio sie öffentlich machen.23 Doch im letzten Moment drohte alles zunichte zu werden. Am Tag vor der Verkündung des Waffenstillstands versuchte Badoglio, ihn plötzlich aufzuschieben, weil er nicht länger die Kontrolle über die Flughäfen außerhalb Roms garantieren könne, die die Alliierten zur Landung brauchten. Am Tag, als der Waffenstillstand bekannt gemacht werden sollte, schickte er Eisenhower morgens eine unwillkommene Nachricht: »Wegen der veränderten Situation und der Anwesenheit deutscher Truppen in der Region Rom ist es nicht mehr möglich, einen sofortigen Waffenstillstand zu akzeptieren, da dies dazu führen würde, dass die Hauptstadt besetzt und die Regierung gewaltsam von den Deutschen übernommen würde.« Die Alliierten würden also keine Truppen in Rom absetzen können, hatten aber schon Operation Avalanche gestartet und brauchten dringend die Verkündung des Waffenstillstands, bevor ihre Soldaten das italienische Festland betraten. Eisenhower schickte Badoglios Botschaft nach Washington, nicht ohne seiner Meinung zum weiteren Vorgehen Ausdruck zu verleihen: »Wir bitten … um Ihre Einschätzung, ob wir mit der Verkündung des Waffenstillstands wegen ihres taktischen und Täuschungswerts fort393

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fahren sollen. Auf die italienische Regierung brauchen wir dabei gewiss keine Rücksicht zu nehmen.«24 Washington antwortete rasch: »Es ist die Ansicht des Präsidenten und des Premierministers, dass Sie über die unterzeichnete Vereinbarung eine solche öffentliche Erklärung abgeben sollten, wie sie Ihre militärischen Operationen erleichtert. Die daraus für die italienische Regierung vielleicht entstehende Verlegenheit kann vernachlässigt werden.« Eisenhower schickte Badoglio ein letztes Ultimatum: »Ich beabsichtige, die Annahme des Waffenstillstands zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt im Radio zu verkünden. … Wenn Sie oder ein Teil Ihrer Armee nicht wie vereinbart kooperieren, werde ich alle Unterlagen in dieser Angelegenheit öffentlich machen. Heute ist der Tag X, und ich erwarte, dass Sie Ihren Teil beitragen.«25 Endlich gab Badoglio seine Erklärung ab, wenn auch erst spätabends, nachdem die italienische Kapitulation bereits im Radio verkündet worden war. Die Menschen gingen raus auf die Straßen. Manche von den Jüngeren sangen, tanzten und schwenkten italienische Fahnen, aber viele Ältere durchlebten gemischte Gefühle: Schmerz über die demütigende Niederlage ihres Landes und Furcht vor dem, was kommen mochte. Mehrere Tausend Römer strömten auf den Petersplatz, wo sie ihrer Hoffnung auf Frieden Ausdruck gaben und den Papst baten, ans Fenster zu treten. Doch der Papst kam ihrem Wunsch nicht nach. Da er wusste, wie leicht Rom nun von den Deutschen besetzt werden konnte, wollte er den Eindruck vermeiden, er freue sich über den italienischen Treuebruch an seinem Bündnispartner. Als er trotz wiederholter Rufe nicht am Fenster erschien, zerstreute sich die enttäuschte Menge.26

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Teil IV

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Kapitel 33

Fake News

I

n den Stunden nach Bekanntgabe des Waffenstillstands verfolgte der 74 Jahre alte König von Italien angespannt die Meldungen vom Näherrücken der deutschen Truppen. Weil er argwöhnte, dass er im Quirinals­ palast nicht sicher sein könnte, verbrachte er die Nacht auf einer Couch in dem Palazzo, der das italienische Kriegsministerium beherbergte. Zu später Stunde traf die Meldung ein, dass die deutschen Truppen nun begonnen hätten, auf Rom vorzurücken; die alte Hafenstadt Civitavecchia im Nordwesten sowie die Seefestung Gaeta im Süden der Metropole waren bereits besetzt. Auf einer einzigen Straße, der Via Tiburtina, konnte man Rom zu diesem Zeitpunkt noch verlassen, doch auch das sollte sich bald ändern. Es war noch dunkel, als sich um 5 Uhr morgens am 9. September 1943 im Innenhof des Palazzos eine Kolonne aus fünf Limousinen formierte. Der König und die Königin bestiegen das vorderste Fahrzeug, einen graugrünen Fiat 2800, Ministerpräsident Badoglio und der königliche Berater Herzog Acquarone den zweiten Wagen, Kronprinz Umberto den dritten. An die Spitze setzte sich eine Motorradstaffel der Carabinieri. In den nächsten zwei Stunden sollten zahlreiche italienische Generäle und Admiräle ihrem Beispiel folgen, ebenso eine Schar von Kammerdienern und sonstigem Hauspersonal der Königsfamilie mit dem hastig zusammengerafften Gepäck. Alle fuhren sie nach Osten, über den Apennin; ihr Ziel war die Hafenstadt Pescara an der Adriaküste. Unter denen, die im königlichen Konvoi fehlten, war die Prinzessin ­Mafalda, die sich zu diesem Zeitpunkt bei ihrer jüngeren Schwester Giovanna in Bulgarien aufhielt, deren Ehemann, der bulgarische Zar Boris, kürzlich verstorben war. Mafalda sollte ihren Vater nie wiedersehen, denn kurz nachdem sie später im Monat nach Rom zurückgekehrt war, wurde 399

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Teil IV Ein pechschwarzer Himmel

sie von der Gestapo festgenommen und in ein Flugzeug nach Berlin gesetzt. Von dort brachte man sie in das KZ Buchenwald, wo sie eines grausigen Todes sterben sollte.1 Vittorio Emanuele hatte damit gerechnet, dass bei seiner Ankunft am Flugplatz von Pescara bereits eine Maschine warten würde, die ihn und seine Familie nach Süden und damit in Sicherheit bringen konnte. Allerdings ging er in Pescara nie an Bord; ob nun aus Furcht vor den Abfangjägern der deutschen Luftwaffe oder weil die italienischen Piloten sich weigerten,

Prinzessin Mafalda.

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bei einem derart würdelosen Spektakel mitzumachen, bleibt unklar. Stattdessen wurde ein Schiff der italienischen Kriegsmarine für die Evakuierung angefordert. Während der König und sein Tross noch auf das Eintreffen dieses Schiffes warteten, machte die Nachricht vom Fluchtversuch des Königs bereits in Pescara die Runde, was wiederum Befürchtungen weckte, es könnte zu öffentlichen Protesten kommen. Im letzten Moment wurde die Bayonet daher nach Ortona umgeleitet, einer kleinen Hafenstadt etwas weiter südlich. Dort gingen der König, die Königin, der Ministerpräsident sowie 56 weitere Mitglieder des königlichen Gefolges an Bord des kleinen Kriegsschiffs, das ohne weitere Verzögerung Kurs auf das am »Stiefelabsatz« gelegene Brindisi nahm. In der Eile des Aufbruchs hatten weder Badoglio noch der König noch die hohen Militärs, die bei ihm waren, irgendwelche Anweisungen für die Armee oder die zurückgebliebenen Minister hinterlassen. Der Außenminister Raffaele Guariglia hatte die ganze Nacht damit zugebracht, Telegramme an die italienischen Diplomaten im Ausland zu formulieren, um diese über den Waffenstillstand zu informieren; von der Abreise des Königs und des Ministerpräsidenten hatte ihn niemand unterrichtet.2 Später am selben Vormittag eilten zwei Assistenten Guariglias, nachdem sie von der Flucht des Königs und seines Ministerpräsidenten erfahren hatten, in den Vatikan, um den Papst hierüber in Kenntnis zu setzen. Guari­ glia selbst suchte Zuflucht in der spanischen Botschaft beim Heiligen Stuhl und sollte während der nächsten neun Monate dort bleiben. Später am Tag suchte ein italienischer Offizier als Vertreter der italienischen Militärführung – oder besser: als Vertreter dessen, was davon noch übrig war – Monsignore Montini, den engsten Vertrauten des Papstes, auf. Könnte der Heilige Vater nicht auf die Alliierten einwirken, damit deren Truppen schneller in Rom einträfen? Der Papst ließ diese Bitte unbeantwortet: Die Deutschen standen bereits kurz vor Rom; dies war kaum der Zeitpunkt, um es sich mit ihnen zu verderben.3 »Die Entwicklung haben wir seit dem Abgang [Mussolinis] kommen sehen und erwartet«, notierte Goebbels am 9. September in seinem Tagebuch. »Wir brauchen uns also in unseren Maßnahmen nicht wesentlich umzustellen. Das, was der Führer eigentlich gleich nach der Abdankung Mussolinis tun wollte, kann jetzt in Gang gesetzt werden.« Binnen Stun401

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den, nachdem der Waffenstillstand bekannt geworden war, besetzten deutsche Soldaten die Städte Oberitaliens, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Die Alliierten konzentrierten sich derweil auf ihre Operation Avalanche, die Landung von Truppen bei Salerno, südlich von Neapel.4 Einer der ersten, die an jenem Morgen im Vatikan vorstellig wurden, war Ernst von Weizsäcker, der deutsche Botschafter. Sein Anliegen im Gespräch mit Monsignore Montini war, den Papst wissen zu lassen, dass die auf Rom marschierenden deutschen Truppen die Neutralität des Vatikans auf jeden Fall respektieren würden. Allerdings mischte er in diese guten Nachrichten auch eine dissonante Note: Die anhaltenden Gerüchte, der Papst habe beim Sturz des Duces seine Finger im Spiel gehabt, seien alles andere als hilfreich. Ja, eine römische Zeitung hatte sogar behauptet, der Papst habe kurz vor Mussolinis Absetzung ein langes Telefongespräch mit Roosevelt geführt. Diese Zeitungsgeschichte sei eine reine Erfindung, versicherte Montini, und ließ den Osservatore Romano am nächsten Tag ein prominent auf der Titelseite platziertes Dementi abdrucken. Hierauf telegrafierte Weizsäcker nach Berlin: »Formelles kurzes Dementi, betreffend angebliche Mittäterschaft Vatikans beim Abfall Italiens, ist im heutigen Osservatore Ro­ mano … enthalten. In [dem Dementi] werden auf Grund von Erklärungen autorisierter vatikanischer Stelle Telefonat Papst–Roosevelt als reine Erfindung … bezeichnet.«5 Am nächsten Abend meldete Weizsäcker sich telefonisch im Vatikan, um Zusicherungen des Generals zu übermitteln, der die deutschen Truppen vor Ort befehligte: Sie würden den Vatikan und seine Institutionen respektieren. Goebbels’ Tagebucheintrag vom folgenden Tag bestätigt, dass der Befehl von Hitler persönlich gekommen war: »Der Vatikan hat bei unserem Botschafter anfragen lassen, ob im Falle, dass wir Rom besetzen, seine Rechte gewahrt werden. Der Führer lässt diese Anfrage bejahen.«6 Bereits am 3. September hatten Einheiten der britischen Armee von Sizilien her die Straße von Messina überquert, waren auf dem italienischen Festland gelandet und hatten Reggio Calabria, die Stadt an der »Stiefel402

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spitze« Italiens, besetzt. Nur sechs Tage später gingen bei Tarent, am »Stie­ felabsatz«, alliierte Truppen an Land. Von hier aus erreichten die Alliierten schon bald Brindisi. In der so entstandenen Schutzzone im äußersten Süden der italienischen Halbinsel sollten Vittorio Emanuele und sein Ministerpräsident Badoglio ihre Übergangsregierung etablieren. Als der König das sichere Brindisi erreichte, warteten dort bereits Botschaften von Roosevelt, Churchill und Eisenhower auf ihn: Da die Wehrmacht dabei sei, die italienische Halbinsel zu besetzen, sei es nun seine Aufgabe, die Nation zum Widerstand aufzurufen. Badoglio kam dieser Aufforderung pflichtschuldig nach, indem er einen matten Appell an die italienischen Soldaten richtete.7 »Unsere Armee«, notierte der spätere sozialistische Außenminister ­Pietro Nenni um diese Zeit in sein Tagebuch, »ist dahingeschmolzen wie Nebel in der Morgensonne. … Der Anblick einer völlig ruinierten Truppe, ohne Anführer, ohne Waffen, ohne Disziplin, und nur von einem Wunsch beseelt: nicht mehr kämpfen zu müssen, gegen niemanden, aus keinem Grund. … Überall dieselbe Geschichte: zurückgelas­ sene Waffen, verlassene Feldlager und Kasernen … auf den Befehl einer winzigen Zahl von Deutschen hin.« Am Ende folgten nur wenige italie­ nische Truppen in Italien und im Ausland dem Aufruf zum Widerstand. Die Deutschen entwaffneten mehr als eine Million ihrer vormaligen Waffenbrüder und töteten etwa 10 000 italienische Offiziere und Solda­ ten. Vor allem aus den Regionen, in denen es so gut wie keine Gegenwehr gab, wurden 600 000 italienische Soldaten zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt.8 Am Abend des 10. September 1943 stellten die Deutschen den verstreuten italienischen Kräften, die in und um Rom noch Widerstand leisteten, ein Ultimatum: Bis Mitternacht sollten sie sich ergeben und den Deutschen die Kontrolle über die Stadt überlassen. Der Vatikan, so das Versprechen, werde unbehelligt bleiben. Am nächsten Morgen meldete das Radio, dass zwischen italienischem und deutschem Militär eine Übereinkunft erzielt worden sei und die Kampfhandlungen eingestellt würden. Von italienischer Seite sollte der General Giorgio Calvi di B ­ èrgolo, der mit der ältesten Tochter des Königs verheiratet war, die Verantwortung für die Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern übernehmen. 403

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Monsignore Costantini beschrieb die Szene, die sich ihm bei einem Gang durch die Straßen Roms an jenem Tag darbot: Die Stadt ist friedlich; die Läden sind alle geschlossen, jegliche Arbeit ruht. Auf den Gehwegen stehen Gruppen von Leuten beisammen, die erstaunt und auch ein wenig verängstigt wirken. Nicht ein lächelndes Gesicht. Auf allen Seelen lastet es wie ein Albtraum. … [A]uf der Piazza Venezia sah ich eine Kolonne aus unzähligen deutschen Panzerwagen mit gesenkten, gefechtsbereiten Maschinengewehren, die Soldaten mit zur Schau gestellter Arroganz. … Die Wagen fuhren in alle Richtungen davon. Man hatte den Eindruck, dass sie zu einer Vergnügungsfahrt aufbrächen … eine prahlerische Machtdemonstration, eine Art von Triumphzug durch die Straßen der Ewigen Stadt.

Einige Tage darauf fügte der Monsignore an: »Wir befinden uns im Krieg. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass man den Heiligen Stuhl und Rom respektieren wird.«9 Am 14. September 1943 bezog ein halbes Dutzend deutscher Soldaten auf dem Petersplatz Stellung. Der Vatikan bot an, ihnen gleich außerhalb des vatikanischen Territoriums einen kleinen Unterstand aus Holz als Wetterschutz errichten zu lassen, und die Deutschen nahmen das Angebot an. Es war, wie es im Monat darauf der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl in einem Bericht formulierte: »Die größte Sorge des Vatikans ist, dass er diesen Sturm heil übersteht, und also vermeidet man jede nur denkbare Spannung mit den Deutschen nach Kräften. Hilfe gewährt dabei der deutsche Botschafter [Weizsäcker], der sich allem Anschein nach wohlwollend zeigt.«10 Hitler ließ keine Zeit verstreichen, um Mussolini aus seiner Gefangenschaft im Gebirgsmassiv des Gran Sasso, mitten im Apennin nordöstlich von Rom, zu befreien. Schon am 12. September landeten deutsche Soldaten mit Lastenseglern an dem entlegenen Ort, während zugleich deutsche Truppen die Talstation der Bergseilbahn besetzten, die hinaufführte. Die 200 gut bewaffneten Carabinieri, die zur Bewachung des Duces abgestellt waren, kapitulierten, ohne dass auch nur ein einziger Schuss fiel. Der gestürzte 404

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Duce wurde ausgeflogen und gesellte sich in Deutschland zu den anderen führenden Faschisten im Exil. Nach einigen Meinungsverschiedenheiten mit seinen Generälen entschied Hitler schließlich, dass es im Interesse des Deutschen Reiches sei, in Italien eine neue Regierung unter der Führung Mussolinis zu installieren. Also sendete der Großdeutsche Rundfunk am Abend des 18. September eine Rede des Duces: Er übernehme nun erneut die Führung des Faschismus in Italien, verkündete Mussolini. Am Tag zuvor hatten die Deutschen bereits Clara, ihre Schwester und ihre Eltern aus ihren Gefängniszellen in Novara im Nordwesten Italiens befreit. Von dort war Clara in Richtung Nordosten gereist, zum Haus ihres Bruders in Meran. Bei ihrer Ankunft in Südtirol küsste sie als Erstes das Gnadenbild der Madonna von Pompei, zu der sie um diesen Moment gebetet hatte – dann drückte sie ihre Lippen auf ein Foto von Mussolini. In ihrem Tagebuch hielt sie die Erregung fest, die sie empfunden hatte, als sie seine Stimme im Radio gehört hatte: »Du sprichst, du sprichst noch immer zum Volk …, aber mir scheint, du sprächest auch zu mir. Deine Seele dringt tropfenweise in die meine ein, und ich spüre dich noch immer in mir, ganz wie zuvor. Ich bin ganz und gar von dir umfangen, ganz umflossen, wie immer! Deine Worte ohnegleichen, deine bewegenden Wendungen, deine Art zu reden – so menschlich, so schlicht, präzise, poetisch!« Eine Woche später wurde Mussolinis neue Italienische Sozialrepublik auf der Antrittssitzung der dazugehörigen Marionettenregierung offiziell proklamiert. Einen allzu guten Eindruck machte diese Veranstaltung allerdings nicht, denn sie fand in der deutschen Botschaft in Rom statt – und Mussolini selbst glänzte durch Abwesenheit.11 Pius XII. war bestrebt, mit den Deutschen zu kooperieren, um den Vati­ kanstaat zu schützen, und in Hitlers Botschafter fand er einen willigen Partner. Am 16. September traf sich Weizsäcker im Vatikan mit Monsignore Montini; in der Tasche hatte er einen dicken Umschlag mit Bargeld. D ­ ieses Geld, erklärte Weizsäcker, sei als Wiedergutmachung für den Schaden gedacht, der in der Vorwoche, während des kurzen Kampfgeschehens in der Stadt, an einer der Basiliken entstanden war. Als Montini sichtlich zögerte, das Geld anzunehmen, sagte Weizsäcker ihm, er solle es als Spende »für die Armen« betrachten, und bestand darauf, den Umschlag dazulassen. 405

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Weizsäcker berichtete auch, dass Generalmajor Reiner Stahel, der inzwischen den militärischen Oberbefehl über Rom innehatte, nur zu gern sein Wohlwollen dem Vatikan gegenüber ausdrücken wolle und deshalb um ein Gespräch mit Kardinal Maglione im Apostolischen Palast gebeten habe. Wie der Botschafter jedoch erklärte, hatte er es für ratsam gehalten, ihm die Idee auszureden aus Sorge davor, dass ein solches Treffen zu unliebsamen Gerüchten führen würde.12 Als bekannt wurde, dass Stahel nicht im Vatikan empfangen wurde, argwöhnte freilich manch einer in Berlin, der Papst könnte es abgelehnt haben, sich mit dem General zu treffen. Als Ribbentrop anfragen ließ, ob dies zutreffe, antwortete Weizsäcker, dass ihm dieses Gerücht gleichfalls zu Ohren gekommen sei – ebenso wie das entgegengesetzte Gerücht, dass Generalfeldmarschall Albert Kesselring, der »Oberbefehlshaber Süd«, sich bereits mit dem Papst getroffen habe. »Beides ist erfunden«, schrieb der Botschafter zurück. »In Wirklichkeit hat Feldmarschall keinen Versuch gemacht, selbst vom Papst empfangen zu werden, oder einen Abgesandten beim Papst einführen zu lassen. Auch sonst ist kein Beauftragter Kesselrings im Vatikan gewesen.«13 Einen ärgerlichen Punkt musste Weizsäcker im Gespräch mit Kardinal Maglione dann aber doch zur Sprache bringen. Nachdem die deutschen Truppen Rom besetzt hatten, hätten die Briten »eine Serie von Schwindelmeldungen in die Welt [gesetzt], nämlich, die Deutschen hätten die Neutralität des Vatikan mißachtet, sie seien in die Vatikanstadt eingedrungen, der Papst habe sich ergeben, er sei Geisel in deutschen Händen, der Vatikansender werde von den Deutschen bewacht und so weiter«. Wie der Botschafter nach Berlin meldete, hatte er um eine offizielle Richtigstellung dieser Vorwürfe durch den Vatikan gebeten und konnte mit Befriedigung mitteilen, dass sowohl der Osservatore Romano als auch Radio Vatikan eine solche »Widerlegung« hatten verlauten ­lassen.14 Da die »Londoner Lügen«, wie Weizsäcker es nannte, jedoch derart »irreführend« waren, sah er sich genötigt, im Vatikan um ein erneutes und deutlicheres Dementi der Vorwürfe nachzusuchen. Bald druckte die Vatikanzeitung denn auch die gewünschte umfangreichere Gegendarstellung, und der Botschafter regte an, die Reichsregierung solle ihrer406

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seits eine Erklärung veröffentlichen, »die kurz sein und etwa folgenden Inhalt haben könnte«: Seit dem Einrücken deutscher Truppen in Rom bemüht [sich] die gegnerische Propaganda durch Erfindung aller Art, die Stadt Rom und ihre Bevölkerung, vor allem aber auch den Vatikan als das Opfer deutscher Gewaltherrschaft hinzustellen. Damit soll die deutsche Wehrmacht und die deutsche Politik bei den Katholiken der Welt verunglimpft werden. Diese Versuche sind vergeblich. Es versteht sich von selbst, dass deutscherseits die Souveränität und Integrität des Vatikanstaats in vollem Umfang respektiert wird, und dass die in Rom anwesenden deutschen Truppen sich entsprechend verhalten.

Hierauf ließ Weizsäcker einen detaillierten Bericht für seine Berliner Vorgesetzten folgen, in dem er all die Punkte aufführte, in welchen das deutsche Militär mit dem Vatikan zusammenarbeite, um dessen reibungsloses Funktionieren weiterhin sicherzustellen: »Aus diesen Anlässen habe ich mit dem Kardinalstaatssekretär in der letzten Zeit einen ständigen Meinungsaustausch gepflogen. Maglione war dabei natürlich auf die Rechte der Kurie lebhaft bedacht. Unsere Gespräche haben sich aber in dem besten Einvernehmen vollzogen. Hierbei habe ich wiederholt die Anerkennung der Kurie für das deutsche Verhalten erfahren.« Abschließend konnte der deutsche Botschafter sich ein wenig Eigenlob nicht ganz verkneifen und wies darauf hin, wie förderlich die von ihm for­mulierte Stellungnahme im Kampf gegen die »gegnerische Propaganda« gewesen sei. Schließlich war sie in L’Avvenire abgedruckt worden – und das »ist bekanntlich ein dem Vatikan nahestehendes katholisches Blatt«.15 Überhaupt schien Weizsäcker einiges daran gelegen, Ribbentrop und Hitler durch die entgegenkommende Haltung des Papstes zu beeindrucken. »Durch einen Zufall«, schrieb er Ribbentrop schon am nächsten Tag, »habe ich Einblick in drei Schriftstücke nehmen können, die für die politische Haltung des Papstes bezeichnend sind. Alle drei Schriftstücke stammen aus der Zeit nach dem 25. Juli.« Dann ging er detailliert auf die Dokumente ein: 407

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Das erste enthält eine Intervention der Kurie bei der Regierung Badoglio zu Gunsten verfolgter alter Faschisten. In dem zweiten setzt sich die Kurie auf Weisung des Papstes für den Duce und für seine Familie ein[,] und zwar unter namentlicher Aufzählung von etwa zwanzig Familienmitgliedern. Unter diesen fehlen allerdings die Namen des Grafen Ciano und von Edda Ciano. Besonders interessant ist das dritte Dokument, enthaltend eine Ausein­ andersetzung des Kardinalstaatssekretärs Maglione an die italienische Regierung über die Gefahren, die der Welt drohen. Maglione sagt, das Schicksal Europas hänge von dem siegreichen Widerstand Deutschlands an der russischen Front ab. Das deutsche Heer sei das einzig mögliche Bollwerk ›Baluardo‹ gegen den Bolschewismus. Würde dieses brechen, so wäre es um die europäische Kultur geschehen.16

In Berlin suchte der päpstliche Nuntius Monsignore Orsenigo den deutschen Außenminister in dessen Büro auf und unterhielt sich blendend mit ihm. Ribbentrop ließ den Nuntius wissen, dass die Deutschen nur durch ihr zügiges militärisches Eingreifen Aufstände von »bewaffneten kommunistischen Banden« in Mailand und Turin verhindert hätten. Orsenigos Reaktion hierauf hielt das Auswärtige Amt wie folgt fest: »Der Nuntius hat dann von sich aus erklärt, daß seiner Auffassung nach nur Deutschland und der Vatikan, ersteres auf materiellem, letzterer auf geistigem Gebiet[,] in der Lage seien, gegen die bolschewistische Gefahr anzugehen.« Weiter hieß es, Orsenigo habe sogar den Eindruck erweckt, »daß er es gerne sehen würde, wenn unsererseits dem Vatikan Gelegenheit zu einer gemeinsamen Aktion gegen den Bolschewismus gegeben werden würde«.17 Italien hatte jetzt zwei Regierungen: die königliche Regierung mit Badoglio an der Spitze, die in ihrer von den Alliierten beschützten Enklave im äußersten Süden Italiens isoliert war, und Mussolinis republikanische Regierung, die Italienische Sozialrepublik (Repubblica Sociale Italiana). Nach ihrem Sitz in der Kleinstadt Salò am Ufer des Gardasees im Nordosten des Landes wurde sie auch Republik von Salò genannt. Die konkurrierenden Legitimitätsansprüche der beiden Regierungen stellten für den Heiligen Stuhl ein unmittelbares Problem dar. Für die Männer, die der früheren italienischen Regierung angehört hatten und jetzt aufgefordert waren, das 408

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neue faschistische Regime Mussolinis zu stützen, war das Problem freilich noch größer.18 Keine der beiden Regierungen machte einen allzu vielversprechenden Eindruck. Der britische Diplomat Harold Macmillan und sein amerikanischer Amtskollege Robert Murphy, die auf alliierter Seite den Waffenstillstand ausgehandelt hatten, teilten Roosevelt Ende September ihre Einschätzung des königlichen Unterfangens mit: »Diese Regierung besteht, in militärischer wie in ziviler Hinsicht, kaum mehr als dem Namen nach. Ihre Bedeutung liegt darin, dass ihr Anspruch auf Rechtmäßigkeit unbestritten ist.« Der betagte König sei »körperlich geschwächt, nervös, zittrig, aber zuvorkommend im Umgang, mit einer gewissen Bescheidenheit und Schlichtheit des Charakters, die anziehend wirken. Seine Sicht auf die Menschheit und ihre Torheiten ist eine objektive, um nicht zu sagen eine amüsiert-distanzierte.« Jedoch sei er »unfähig, politische Entscheidungen zu treffen, es sei denn, unter großem Druck von außen«. Die Interessen des Königs seien »seine Familie, seine Dynastie und sein Land, in dieser Reihenfolge«. Über die Mitglieder seiner Regierung schrieben die alliierten Diplomaten, dass sie »eher Mitgefühl als Zutrauen wecken. Sie sind alt und ideenlos. … Der Marschall [Badoglio] besitzt Courage und ein starkes Pflichtempfinden. Die anderen sind Männer von durchschnittlicher Begabung. … Sie hassen die Deutschen, fürchten sie aber gleichermaßen. All ihre Divisionen, in ganz Italien und auf dem Balkan, sind von wesentlich schwächeren deutschen Truppen ›umzingelt‹. … Eine Art von kultiviertem Defätismus liegt in der Luft.«19 Der angebliche Plan Hitlers zur Entführung des Papstes – der später oft von den Verteidigern Pius’ XII. bemüht wurde, um dessen Tun und Lassen zu erklären – war eine Erfindung der alliierten Propaganda. Bis Anfang Oktober 1943 hatte das Gerücht sich jedoch derart verselbstständigt, dass die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes es für geboten hielt, eine ausführliche Richtigstellung zu lancieren, die über Mussolinis neu eingerich­ teten Radiosender ausgestrahlt wurde. »Seit einigen Wochen«, begann das Statement, »sind die Hauptsteckenpferde der englisch-jüdisch-amerikanischen Propaganda, die, wie wir nunmehr aus langer und täglicher Erfahrung wissen, der schamlosesten und absurdesten Erfindungen fähig ist, 409

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der Vatikan und die Lage des Papstes.« Radiosender in ganz Amerika, Großbritannien, Afrika und der Sowjetunion, beklagte die Pressemitteilung weiter, hätten »in einem krächzenden Chor« behauptet, »dass Hitlers SS die persönliche Bewachung des Papstes übernommen hätte, der somit zu einem Gefangenen Deutschlands geworden war. … Trotz der vom Osservatore Romano veröffentlichten und vom Vatikan-Rundfunk verbreiteten Dementis setzten und setzen die im Dienste der hohen Interessen des Judentums stehenden Propagandisten ihre Tätigkeit fort und phantasieren über die Gefangenschaft des Papstes und stellen sich von Fall zu Fall tiefbetrübt und entrüstet wegen des unerhörten, dem Vertreter Gottes auf Erden angetanen Unrechts.«20 Die alliierte Propaganda ließ sich durch diese Gegendarstellung jedoch nicht aus dem Tritt bringen, sondern brachte immer besser ausgearbeitete Geschichten darüber in Umlauf, wie die Nazis angeblich den Papst zu entführen gedachten. Am 9. Oktober ließ das britische Komitee für politische Kriegführung ein fingiertes »deutsches« Radioprogramm über den Sender gehen, in dem mitgeteilt wurde, dass nun alle Vorkehrungen getroffen seien, um den Papst ins Deutsche Reich zu holen. Zwei Tage darauf fügten die Briten ihrer Räuberpistole noch einen weiteren Schnörkel an: Auf Schloss Lichtenstein in Württemberg sei nun alles bereit, um nicht nur den Papst aufzunehmen, sondern auch die Kurienkardinäle.21 Nachdem ihn ein weiterer Appell des Vatikans erreicht hatte, Rom als offene Stadt anzuerkennen, suchte Weizsäcker Kardinal Maglione auf, um die Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Vielleicht, sagte Weizsäcker mit einem Lächeln, könnte der Vatikan das Problem ja selbst aus der Welt schaffen, indem er die alliierten Truppen zum Rückzug überredete: »Ich sagte Kardinal scherzhaft, ob nicht, wie einst Papst Leo der Grosse dem Attila, so er den Engländern entgegenreisen wollte, um sie zur Umkehr zu überreden.« Der Kardinal lachte, wurde aber rasch wieder ernst. Er hoffe, dass die drei Regierungen untereinander zu einer Lösung kämen, die einen zerstörerischen »Kampf um Rom« verhindern würde. Da er kein Mann des Militärs sei, wisse er nicht, wie so etwas in der Praxis aussehen könne. Vielleicht sei ja denkbar, dass »die eine Partei Rom verlassen habe, ehe die andere die Stadt berühre«?22 410

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Der Papst und sein Kardinalstaatssekretär fürchteten jedoch nicht nur die handfesten Konsequenzen einer möglichen Schlacht um Rom, sondern zugleich die Möglichkeit, dass inmitten der Zerstörung ein kommunistischer Aufstand losbrechen könnte. Mitte Oktober eröffnete Maglione dem deutschen Botschafter, dass das Fehlen einer schlagkräftigen italienischen Polizeitruppe in der Stadt ihm Sorge bereite. In der Woche zuvor hatten die Deutschen die Kaserne der Carabinieri in Rom besetzt, die dort untergebrachten mehr als 2000 Carabinieri in einen Zug gepackt und in das Deutsche Reich verfrachtet. Die wenigen in der Stadt verbliebenen Polizisten, meinte Kardinal Maglione nun, würden einen kommunistischen Aufstand nicht niederschlagen können. Parallel ließ Maglione über Monsignore Cicognani, den Apostolischen Legaten in Washington, dieselbe Bitte an den amerikanischen Präsidenten übermitteln: »Sollten die Deutschen gezwungen sein, Rom zu räumen, bestehen ernsthafte Bedenken mit Blick auf den Zeitraum bis zum Eintreffen der alliierten Truppen, in welchem die Stadt gewissermaßen auf sich allein gestellt wäre.« Wie der Kardinal erklärte, »wären die wenigen verbleibenden Polizeikräfte dann nicht in der Lage, zahlreiche aufrührerische Elemente in Schach zu halten, insbesondere die Kommunisten«. In seinem Begleitschreiben an Roosevelt fügte Cicognani eine nähere Erklärung hinzu: »Aus verlässlicher Quelle war zu erfahren, dass die Kommunisten über reichliche Vorräte an Waffen verfügen und womöglich einen Plan verfolgen könnten, der auf allgemeinen Raub und die völlige Plünderung der Stadt hinausliefe. Eine solche Eventualität … würde die Möglichkeit eines Angriffs auf den Vatikan selbst wohl kaum ausschließen.«23 Während der Papst den amerikanischen, britischen und deutschen Botschaftern beim Heiligen Stuhl seine Befürchtungen über einen kommunistischen Aufstand anvertraute, lotete die SS aus, wie sie sich die kommunistische Bedrohung zunutze machen könnte, und sei es nach der Einnahme Roms durch die Alliierten, die inzwischen unabwendbar erschien. Am 12. Oktober fing der britische Geheimdienst ein Telegramm ab, das der Nachrichtendienst des Auswärtigen Amtes nach Rom geschickt hatte. Es liefert einen faszinierenden Einblick in die Kontakte, die Nazi-Organe zur Führungsebene der Kommunistischen Partei Italiens geknüpft hatten (oder zumindest glaubten, geknüpft zu haben): 411

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Bitte prüfen Sie mit größter Sorgfalt die Möglichkeit, nach der anglo-amerikanischen Besetzung Roms einen kommunistischen Umsturz zu organisieren. Ziel wäre unter anderem, Druck auf den Vatikan auszuüben. Bitte erwägen Sie diese Möglichkeit und treffen Sie, falls umsetzbar, die nötigen Vorkehrungen. Prinzing, der Kontakte zur Führung der Kommunistischen Partei hat, soll einbezogen werden. Diese Sache ist als Sonderauftrag und als Geheime Reichssache zu behandeln.

Albert Prinzing, Mitglied der NSDAP seit 1934 und der SS seit 1935, hatte an der Universität Berlin »Volks- und Auslandskunde Italiens« gelehrt. Inzwischen war er als Italien-Referent in der Informationsabteilung von Ribbentrops Ministerium tätig. Über welche Art von Kontakten zur italienischen Kommunistischen Partei er letztlich verfügte – falls überhaupt – , bleibt unklar.24 Kurz vor jenem schicksalhaften Tag, dem 16. Oktober 1943, traf Pius XII. erneut mit Botschafter von Weizsäcker zusammen. Beide Männer waren sehr darauf aus, die guten Beziehungen zwischen Vatikan und deutscher Besatzungsmacht zu pflegen. Der Papst eröffnete die Audienz, indem er Weizsäcker für alles dankte, was dieser bisher geleistet habe. Als Weizsäcker die »Verleumdungen« erwähnte, »die unsere Gegner über unsere Truppen in Rom verbreite[n]«, äußerte der Papst sein Bedauern, worauf die beiden Männer besprachen, wie der Papst am besten dazu beitragen könne, solche Lügengeschichten zu bekämpfen. Eine Woche später würde Hitlers Botschafter das nächste Mal in den Apostolischen Palast kommen – doch sollte dieses Treffen unter dramatisch anderen Bedingungen stattfinden.25

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Kapitel 34

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A

m 24. September 1943, kaum zwei Wochen, nachdem die deutschen Truppen in Rom eingerückt waren, erhielt der SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der in Rom die Sicherheitspolizei und den Sicherheitsdienst befehligte, ein Telegramm aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Der darin enthaltene Befehl lautete auf Festnahme aller Juden Roms ohne Rücksicht auf Alter oder Nationalität und ihre Verschickung nach Deutschland zur Liquidation.1 Bei der Wannseekonferenz im Januar 1942 waren führende Vertreter des NS -Regimes zusammengekommen, um die Pläne zur »Endlösung der Judenfrage« auszuarbeiten. Sechs Monate darauf begann die SS im Vernichtungslager Treblinka in Polen mit den Vergasungen. Im Verlauf der folgenden sechzehn Monate wurden dort und in ähnlichen Lagern beinahe eine Million Juden, nichtjüdische Polen, Roma und andere Gefangene ermordet. Im Dezember 1942 stellten die Alliierten in einer Erklärung fest, dass die Deutschen »die von Hitler wiederholt ausgesprochene Drohung der Ausrottung des jüdischen Volkes jetzt zur Ausführung bringen«. Die alliierten Regierungen verurteilten die »bestialische Methode kaltblütiger Ausrottung« und bestätigten ihren »unerschütterlichen Entschluss, die für die Verbrechen Verantwortlichen der Vergeltung nicht entgehen zu lassen«.2 Jetzt, da sie fast ganz Italien unter ihrer Kontrolle hatten, konnten die Deutschen auch die Ermordung der italienischen Juden in Angriff nehmen. Auf der Halbinsel lebten zum damaligen Zeitpunkt etwa 40 000 Juden. Und die Deutschen ließen keine Zeit verstreichen, wiewohl sie anfangs ein wenig improvisieren mussten. Innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Waffenstillstands ergriffen Mitglieder der SS -Panzer413

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grenadierdivision »Leibstandarte Adolf Hitler« in den Orten rund um den Lago Maggiore im Norden Italiens 54 Juden, erschossen die einen und ertränkten die anderen. Die Initiative dazu hatten sie offenbar selbst ergriffen. Einige Tage später wurden bei Razzien in der Gegend von Cuneo im Nordwesten Italiens rund 400 Jüdinnen und Juden zusammengetrieben, von denen viele zuvor vor den Nazis aus dem benachbarten Südfrankreich geflohen waren. Die meisten von ihnen wurden in Auschwitz ermordet.3 Innerhalb eines Tages nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Rom hatte sich der Oberrabbiner der Ewigen Stadt, Israel Zolli, zusammen mit seiner Familie in ein Versteck begeben. Rabbiner Zolli hatte noch wenige Jahre zuvor in Triest gelebt und stand in enger Verbindung mit seinen Amtsbrüdern in Mitteleuropa. Er drängte daher den Vorstand der jüdischen Gemeinde von Rom dazu, die Synagogen zu schließen, die Listen der Gemeindemitglieder zu vernichten, die für Notfälle zurückgelegten Mittel an die Bedürftigen zu verteilen und die römischen Juden aufzurufen, ebenfalls unterzutauchen. Doch Zolli hatte kein gutes Verhältnis zum Gemeindevorstand, und mit seinem deutschen Akzent und seiner als distanziert empfundenen Persönlichkeit war er unter den römischen Juden wenig beliebt. Jedenfalls folgte der Gemeindevorstand aus Sorge, nicht etwa eine Panik auszulösen, seinem Rat nicht.4 Schon seit über 2000 Jahren hatten Juden in Rom gelebt. Vier Jahrhunderte zuvor hatte Papst Paul IV. erstmals angeordnet, dass die jüdischen Einwohner der Stadt in einem von Mauern umgebenen Ghetto wohnen mussten, dessen Tore nachts verschlossen wurden. Zu jener Zeit lebten rund 2500 Juden in Rom. Viele von ihnen waren arm, und die drakonischen Gesetze, mit denen die Päpste sie bedachten, waren darauf ausgelegt, sie in ihrem niedrigen Stand zu halten und den Kontakt mit ihren christlichen Nachbarn zu beschränken. Weiter gedemütigt wurden sie durch die Pflicht, regelmäßig eine nahe beim Ghetto gelegene katholische Kirche aufzusuchen, um sich dort Predigten zu ihrer Bekehrung anzuhören. Auch lebten sie in der ständigen Angst, die kirchliche Obrigkeit könnte ihnen ihre Kinder wegnehmen. Die kirchliche Praxis verlangte, dass jüdische Kinder, die getauft worden waren – und sei es ohne das Wissen oder die Zustimmung ihrer Eltern – , nicht von Juden erzogen werden durften und deshalb ihren Familien weggenommen werden mussten. Solcherart auf 414

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Die Juden des Papstes

Gedeih und Verderb den Päpsten und ihrer Gnade ausgeliefert, wurden die Juden Roms als »die Juden des Papstes« bekannt. Diese Situation endete erst im Jahr 1870 mit der Eroberung Roms durch die Truppen Garibaldis, die das Ende des alten Kirchenstaats besiegelte.5 Viele der 12 000 Juden, die inzwischen in der Provinz Rom lebten, waren arm, und das galt insbesondere für die Bewohner des alten römischen Ghettos am Tiberufer, unweit des Palazzo Venezia und des Pantheons. Nach der deutschen Besetzung Roms packten die bessergestellten Juden, die verstreut in der Stadt wohnten, hastig ihre jüdischen Bücher, Zeitschriften und Zeitungen zusammen, versteckten die Chanukkaleuchter und entfernten die traditionellen Mesusot (Schriftkapseln) von ihren Türpfosten. Am 29. September 1943 beschlagnahmten deutsche Soldaten das Archiv der jüdischen Gemeinde und brachen die Tür zum Wohnhaus der Familie Zolli auf. Einen Experten hatten sie gleich mitgebracht, um des Rabbiners Sammlung seltener jüdischer Bücher daraufhin zu durchforsten, welche Stücke wertvoll genug waren, um sie nach Deutschland zu verfrachten. Ebenfalls Ende September bestellte Obersturmbannführer Kappler aus Gründen, die bis heute unklar bleiben, die beiden Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde von Rom zu sich und verlangte, dass die Juden der Stadt ihm binnen 48 Stunden 50 Kilogramm Gold abliefern sollten. Für den Fall, dass das Gold nicht fristgerecht beschafft werde, drohte Kappler, werde er 200 römische Juden durch das Los auswählen und deportieren lassen. Voller Sorge, die verlangte Menge Gold nicht rechtzeitig aufzubringen, begab sich eine Delegation der jüdischen Gemeinde in den Vatikan, um den Papst um Hilfe zu bitten. Wie berichtet wurde, bot der Papst auch tatsächlich an, die etwa fehlende Goldmenge zu ergänzen, doch sollte das letztlich nicht nötig sein: Nach zwei Tagen lieferten die beiden Gemeindevorsteher, begleitet vom Leiter des Büros für Rassefragen bei der römischen Polizei und von zwei Polizisten, die verlangte Menge Gold in Form eines großen Haufens von Schmucksachen im örtlichen SS-Hauptquartier ab.6 Am 11. Oktober ging bei Kappler ein weiteres Telegramm aus Berlin ein, das die »unverzuegliche und restlose Ausschaltung des Judentums in Italien« anordnete. Auch andere deutsche Kommandostellen in Italien er415

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hielten zur selben Zeit denselben Befehl, darunter General Stahel und der neue Botschafter in Italien, Rudolf Rahn, der Mackensen abgelöst hatte. Um die Ausführung des Vorhabens zu erleichtern, wurden zusätzliche SSKontingente nach Rom entsandt. Samstag, der 16. Oktober 1943, war nicht irgendein Sabbat; es war auch der dritte Tag des jüdischen Laubhüttenfestes (Sukkot). Es war noch dunkel, als an diesem kühlen, regnerischen Morgen eine SS-Abteilung von 100 Mann in Zweierreihen in das alte römische Ghetto einmarschierte, um die »Judenaktion« zu beginnen. Weitere 265 SS-Leute schwärmten in andere Teile der Stadt aus, mit Klemmbrettern bewaffnet, die Listen der unter einer Adresse wohnhaften Juden enthielten. Als die jüdischen Bewohner des Ghettos an diesem Morgen, vom Aufruhr draußen aufgeschreckt, zum ersten Mal aus dem Fenster sahen, nahmen viele an, die Deutschen wollten nach den jüdischen Männern suchen, die ihrer kurz zuvor ergangenen Verpflichtung zur Zwangsarbeit nicht nachgekommen waren. Tatsächlich hatten die meisten jüngeren Männer sich aus diesem Grund bereits versteckt gehalten. Dass die Deutschen anrückten, um alle Juden abzuholen, Frauen wie Männer, kleine Kinder und alte Leute, daran dachten die Menschen an jenem Morgen wohl nicht im Traum. Indem sie die Adressen jedes einzelnen Hauses mit ihren Listen abglichen, arbeiteten die SS-Leute sich langsam vor, hämmerten methodisch an eine Haustür nach der anderen, brachen die Türen auf, die ihnen nicht geöffnet wurden. Die Bewohner waren schockiert von dem Befehl, dass sie alle herauskommen sollten, zogen jedoch eine gewisse Hoffnung aus der schriftlichen Anweisung (von den SS-Leuten sprach keiner Italienisch), dass sie ihre Haustüren hinter sich verschließen und die Schlüssel mitnehmen sollten. Das musste doch heißen, dachten oder hofften wenigstens viele, dass sie schon bald wieder nach Hause zurückkehren würden! Als der Morgen voranschritt, erregten die dramatischen Szenen der Razzia zunehmend die Aufmerksamkeit der Passanten, die still stehen blieben und den schrecklichen Vorgang mitansahen: Männer in SS-Uniform, die hastig angekleidete Familien im holprigen Gänsemarsch durch die nassen Straßen trieben, während von allen Seiten Bitten, Seufzer, Weinen und Schreie zu hören waren. Angsterfüllte Mütter trugen ihre Jüngsten auf dem 416

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Arm und hielten zugleich die kleinen Hände derer fest, die schon laufen konnten. Eine kranke, taube, 85-jährige Greisin wurde abgeführt, ein Gelähmter musste in seinem Rollstuhl getragen werden. Eine Frau, die ihren Säugling bei sich trug, knöpfte ihre Bluse auf, um das Kind zu stillen – in der Hoffnung, dass der deutsche Offizier sie vielleicht beide gehen lassen würde. Doch der Mann tat nichts dergleichen, sondern stieß ihr lediglich die Mündung seines Gewehrs vor die Brust und befahl ihr, mit den anderen weiterzugehen. Die SS-Leute brachten die Juden aus dem alten Ghetto zu einer Art Katakombe, einer unter Straßenhöhe gelegenen Ausgrabungsstätte in der Nähe des antiken römischen Marcellustheaters, von wo drei oder vier Lastwagen mit Planenaufbauten hin- und herfuhren, um die verzweifelten Juden zu ihrem vorläufigen Ziel zu transportieren: einem Militärkolleg auf der anderen Seite des Tibers, unweit des Vatikans. Manchen gelang die Flucht, weil die Rufe aus den Nachbarwohnungen sie rechtzeitig gewarnt hatten. Andere erstarrten vor Angst. Rosa Anticoli floh aus ihrer Wohnung, bevor die SS dort eintraf, und bemühte sich verzweifelt, mit ihren vier Kindern eine nahe gelegene Straßenbahnhaltestelle zu erreichen. Weil ihre kleine Tochter an Diphtherie erkrankt war, kam sie jedoch nicht schnell genug voran. Sie waren noch nicht weit gekommen, als ein argwöhnischer SS-Mann sie entdeckte und auf Deutsch hinter ihnen herbrüllte: »Juden! Das sind Juden!« Rosa fiel auf die Knie und flehte um Gnade. Doch der Deutsche stieß sie nur mit dem Gewehrkolben, hieß sie aufstehen und trieb sie und ihre vier Kinder zu einem der wartenden Lastwagen. Außerhalb des Ghettos trug sich die folgende Episode zu. Als eine SSAbteilung zu einem gutbürgerlichen Haus in der Via Flaminia kam, um eine dort wohnhafte jüdische Familie zu verhaften, begann eine Nachbarin, die Zeugin des Vorgangs geworden war, den verantwortlichen SS-Führer für sein Tun auszuschelten. Dieser hatte jedoch gleich eine Rechtfertigung parat. Der deutsche Botschafter, erklärte er, habe sich vor Kurzem mit dem Papst getroffen und ihm von dem Plan zur Deportation der römischen Juden erzählt. »Wenn Sie die Juden deportieren müssen«, habe Pius XII. gesagt, so berichtete der SS-Mann, »dann sollten sie es rasch tun.« Ein solches Gespräch hatte natürlich nie stattgefunden; aber allein die Tatsache, dass Pius weder gegen die italienischen Rassegesetze noch gegen den 417

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systematischen Mord der Nazis an den Juden Stellung bezogen hatte, leistete der Verbreitung solcher Geschichten in SS und Wehrmacht Vorschub.7 Insgesamt verschleppten die Deutschen 1259 Menschen aus ihren Häusern, viele aus dem alten Ghetto, aber auch aus ihren über die ganze Stadt verstreuten Wohnungen. Alle wurden sie mit Lastwagen zu dem unmittelbar vor den alten Mauern des Vatikans gelegenen ehemaligen Militärkolleg gebracht. Bei der Ankunft dort wurden die 363 jüdischen Männer von ihren Familien getrennt und in einen anderen Teil des Komplexes gebracht. 207 Kinder und 689 Frauen wurden hier festgehalten, die älteste war 90 Jahre alt. Die traumatische Erfahrung löste bei einer schwangeren Frau die Wehen aus, weshalb sich die Zahl der jüdischen Häftlinge bis zum nächsten Tag um eins erhöht hatte.8 Früh am selben Morgen erfuhr Pius XII. von der Razzia. Eine der ersten, die ihm davon berichteten, war die junge Fürstin Enza Pignatelli, die durch eine Freundin von der Tragödie erfahren hatte, die sich da gerade auf den Straßen Roms abspielte. Sofort machte die Prinzessin sich auf den Weg, um mit dem einzigen Mann zu sprechen, von dem die Römer glaubten, dass er in einer Position sei, der Sache Einhalt zu gebieten. Irgendwie gelang es ihr tatsächlich, bis in die Privatkapelle des Papstes vorzudringen, wobei sie »mit den Ellbogen jeden aus dem Weg stieß, der sie aufhalten wollte«.9 Der Papst konnte keine Zweifel an dem Schicksal haben, das die Juden erwartete. Dass nun die römischen Juden betroffen waren und bis zu ihrer Deportation in die Todeslager nur einen Steinwurf von den Mauern des Vatikans entfernt festgehalten wurden, machte alles noch schlimmer und stellte die bisherige päpstliche Politik des Schweigens gegenüber der Vernichtung der europäischen Juden auf die Nagelprobe. Über Jahrhunderte hinweg hatten sich die Päpste als Bischöfe von Rom auch als Schutzherren der römischen Juden geriert, selbst wenn sie sie in ein Ghetto gesperrt hatten. Und erst zwei Monate zuvor war Pius XII. an den Schauplatz eines alliierten Bombenangriffs geeilt, um öffentlich seine Solidarität mit den Opfern zu bekunden. Wie konnte er da jetzt schweigen?10 Tatsächlich gab der Papst Kardinal Maglione telefonische Anweisung, sofort den deutschen Botschafter einzubestellen. Bei seinem Gespräch mit 418

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Weizsäcker am Nachmittag appellierte der Kardinal an dessen Sinn für christliche Nächstenliebe und Humanität und fragte an, ob der Botschafter in dieser Sache nicht intervenieren könne: »Exzellenz, Sie haben doch ein empfindsames, gutes Herz, schauen Sie bitte, ob Sie nicht diese vielen Unschuldigen retten können. Es schmerzt den Heiligen Vater, schmerzt ihn über alle Maßen, dass hier in Rom, vor den Augen des Allgemeinen Vaters der Gläubigen so vielen Menschen Leid angetan wird, nur, weil sie einer bestimmten Rasse angehören.« Weizsäcker dachte einen Moment lang nach und fragte dann: »Was würde der Heilige Stuhl unternehmen, wenn diese Sache weitergehen sollte?« »Der Heilige Stuhl«, meinte Maglione, »würde sich ungern davon abhalten lassen, ein Wort des Missfallens zu äußern.« »Seit mehr als vier Jahren schon«, antwortete der deutsche Botschafter, »habe ich nun die Haltung des Heiligen Stuhls verfolgt und bewundert. Es ist ihm gelungen, das Schiff zwischen Klippen aller Art und Größe hindurchzusteuern, ohne dass es zu einer Kollision gekommen wäre; und selbst wenn er mehr Vertrauen zu den Alliierten gehabt hat, hat [der Heilige Stuhl] doch letztlich eine perfekte Balance gehalten. Ich frage mich also, ob nun, da das Schiff gerade in den Hafen einlaufen will: ob nun der richtige Zeitpunkt ist, alles aufs Spiel zu setzen? Ich denke an die Konsequenzen, die ein Schritt des Heiligen Stuhls nach sich ziehen würde. … Die [von den deutschen Stellen in Rom] erhaltenen Anweisungen kommen von ganz oben.« Nach einer Pause, die dem Kardinal Gelegenheit gab, über den deutlichen Hinweis auf Hitler als den Verantwortlichen hinter der Aktion nachzusinnen, fragte Weizsäcker schließlich: »Wird Eure Eminenz es mir anheimstellen, über dieses offizielle Gespräch keinen Rapport zu geben?« »Ich verwies darauf«, erinnerte sich Maglione in seinen Notizen über das Gespräch, »dass ich bei meiner Bitte um seine Intervention an seinen Sinn für Humanität appelliert hatte. Nun überließ ich es seinem Urteil, ob er unsere Unterhaltung, die so freundschaftlich gewesen war, [in seinen Berichten nach Berlin] erwähnen würde oder nicht.« Dann versicherte Maglione dem deutschen Botschafter, dass – wie Weizsäcker selbst ja bemerkt hatte – der Heilige Stuhl stets sorgsam darauf ge419

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achtet hatte, dass bei den Deutschen nicht etwa der Eindruck entstünde, es habe vonseiten der Kurie »auch nur die geringste Aktivität gegen Deutschland gegeben in diesem schrecklichen Krieg«. »Zu guter Letzt wiederhole ich«, kam der Kardinal zum Schluss, »Eure Exzellenz hat mir versichert, dass Sie versuchen werden, etwas für die armen Juden zu tun. Dafür bedanke ich mich. Was den Rest anbelangt, vertraue ich auf Ihr Ermessen. Wenn Sie es für angebracht halten, diese Unterredung nicht zu erwähnen, dann soll es so sein.«11 Tatsächlich hat Weizsäcker nie versprochen, etwas für die römischen Juden zu tun, und tat es auch nicht. Was er jedoch tat, war, am nächsten Tag nach Berlin zu melden, die Kurie sei »besonders betroffen, da sich der Vorgang sozusagen unter den Fenstern des Papstes abgespielt hat«. Daher versuchten auch »uns feindlich gesinnte Kreise in Rom«, die Razzia für ihre Zwecke auszunutzen, »um den Vatikan aus der Reserve herauszudrängen«. Wie er hinzufügte, begannen die Leute, dem schweigsamen jetzigen Papst »den viel temperamentvolleren Pius XI.« gegenüberzustellen.12 Im Militärkolleg mussten die Juden auf dem blanken Fußboden schlafen. Doch bei all dem Weinen von Frauen und Kindern, dem quälenden Hunger und dem Gestank – Toiletten gab es keine – war an Schlaf ohnehin nicht zu denken. Alle fragten sich, was wohl aus ihnen werden würde, wobei die meisten damit rechneten, in irgendeine Art von Arbeitslager gebracht zu werden. Die wenigsten konnten sich das Grauen ausmalen, das sie tatsächlich erwartete. Während die rund tausend verängstigten Juden sich nur wenige hundert Meter vom Vatikan entfernt zusammendrängten, gingen dort immer neue Hilferufe ein, der Papst möge doch endlich etwas unternehmen. Am Tag nach der Razzia erhielt Pius XII. den dringenden Brief einiger römischer Juden, die der Festnahme entgangen waren und den Papst nun anflehten, bei den Deutschen zu intervenieren. Am selben Tag ging ihm auch der Brief einer älteren Frau »in schlechter gesundheitlicher Verfassung« zu, der irgendwie seinen Weg aus dem Militärkolleg hinaus gefunden hatte, wo die Briefschreiberin festgehalten wurde. Auch sie flehte um die »machtvolle Intervention« des Papstes. Etwa zur selben Zeit wurde eine andere Gruppe römischer Juden im vatikanischen Staatssekretariat vorstellig, um Hilfe für ihre festgesetzten Familienmitglieder zu erbitten.13 420

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Am Morgen hatte Monsignore Montini von den Deutschen die Genehmigung erhalten, einen Mitarbeiter seines Stabes in das Militärkolleg zu schicken. Wie der Emissär erfuhr, hatten die Juden dort seit ihrer Festnahme weder zu essen noch zu trinken bekommen. Bei seinem Eintreffen waren die Ärzte, die die Verletzten versorgt hatten, gerade im Gehen begriffen. Als er mit den Menschen sprach, die sich vor dem Eingang des Kollegs versammelt hatten, erfuhr er noch etwas Bedeutsames: »Nach der Aussage einiger, die draußen warteten und Leute kannten, die man drinnen festhält, scheint es, dass unter den Gefangenen auch Leute sind, die getauft und konfirmiert sind und kirchlich geheiratet haben.«14 Tatsächlich befanden sich unter den Gefangenen etliche Christen, also getaufte und mit Christen verheiratete Juden. Binnen Stunden nach der Razzia gingen im Vatikan zahlreiche Appelle ein, der Papst möge deren Befreiung erwirken. Um 7 Uhr morgens am 16. Oktober erfuhr ein Angestellter der Vatikanischen Bibliothek von der Notlage einer Verwandten, die zu den ersten Festgenommenen gehört hatten. Der Mann eilte in den Vatikan, wo er einen ihm persönlich bekannten Kardinal antraf, der ihm riet, mit Monsignore Dell’Acqua im Staatssekretariat zu sprechen. Das tat er auch, warf jedoch zugleich seine Bekanntschaft mit Monsignore Montini in die Waagschale, indem er diesem einen dringenden Brief schrieb: »Ich wende mich an Eure Exzellenz mit dem inbrünstigsten Bittgebet, dass Eure Exzellenz Ihre Autorität bei der deutschen Botschaft einsetzen möge, damit gute Katholiken, fromme Katholiken wie meine Tante und meine Vettern gerettet werden. … Diese Intervention kann gar nicht schnell genug kommen, wenn es nicht (was Gott verhüte!) schon zu spät ist.«15 Um dieselbe Zeit kam Monsignore Montini ein weiterer, ähnlich gelagerter Fall zu Ohren, woraufhin er eilig an Kardinal Maglione schrieb: »Heute morgen ist der Rechtsanwalt Foligno ›abgeholt‹ worden …, katholisch von Geburt, mitsamt seiner arischen Frau und den Kindern.« Drei Tage später hielt eine Notiz den in diesem Fall guten Ausgang fest: »Der Signor Avvocato Foligno … besucht das Staatssekretariat, um seinen Dank abzustatten für das, was man für ihn getan hat: Nach ein paar Stunden nur hat man ihn freigelassen.« Am Tag nach der Razzia informierte die römische Niederlassung des Malteserordens das Staatssekretariat über einen ähnlichen Fall. Zwar hatte der Mann, um den es ging, einen jüdischen 421

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Vater, hieß es erklärend in dem Schreiben, doch sei er gleich nach der Geburt christlich getauft worden. Auch er war von den Deutschen ergriffen worden. Drei Tage später konnten die Malteser in einem weiteren Brief mitteilen, dass der Fehler der Deutschen berichtigt worden war: »Zu seinem Glück ließ man ihn laufen, bevor er an einen unbekannten Ort hätte weggebracht werden können.« Tatsächlich hatte das vatikanische Staatssekretariat eilig eine Liste all jener Gefangenen aufgestellt, die nach kirchlicher Auffassung katholisch waren, und sie dem deutschen Botschafter vorgelegt.16 Am frühen Sonntagmorgen begannen die Deutschen mit der gründlichen Prüfung der Ausweisdokumente ihrer Gefangenen, um die Fälle festzustellen, wo ihnen aus Versehen Christen ins Netz gegangen waren. Im Lauf der nächsten Stunden setzten sie ehemalige Juden, die getauft worden waren, ebenso wie mit Christen verheiratete Juden auf freien Fuß. Man befand sich ja schließlich in Rom, nicht in Polen oder Russland, und die Deutschen wollten den Vatikan nicht über die Maßen provozieren.17 Am Montag, dem 18. Oktober 1943, wurden seit dem frühen Morgen die verbliebenen 1007 jüdischen Gefangenen auf Lastwagen geladen, die durch die Straßen Roms zum Bahnhof Roma Tiburtina rumpelten. Unter ihnen waren 105 Kinder unter fünf Jahren. Am Bahnhof hielten die Lastwagen neben einem langen Zug, der auf einem toten Gleis wartete, und die Juden mussten sich in die achtzehn fensterlosen Viehwaggons hineinquetschen. Erst Stunden später setzte der Zug sich in Bewegung. Wie Zeugen berichteten, waren entlang der Strecke, die er gen Norden nahm, die klagenden Rufe seiner verzweifelten menschlichen Fracht zu hören. Monsignore Montini fragte Pius XII., wie er auf einen Brief mit der Bitte um päpstliche Intervention antworten solle, den Verwandte der festgenommenen Juden am Vortag geschickt hatten. »Teilen Sie ihnen mit«, beschied ihm der Papst, »dass man hier tut, was man kann.« Der Historiker Lutz Klinkhammer, ein Experte für die deutsche Besatzungszeit in Italien, hat die päpstliche Reaktion auf die Verhaftung und Deportation der römischen Juden wie folgt zusammengefasst: »Es wird jedenfalls deutlich, dass offizielle kirchliche Rettungsbemühungen in erster Linie auf die getauften oder die aus Mischehen stammenden ›Halbjuden‹ gerichtet w ­ aren.«18 422

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Am Tag, nachdem der Zug voller Juden Rom verlassen hatte, überreichte ein Vertreter des vatikanischen Staatssekretariats dem deutschen Botschafter von Weizsäcker die jüngste vatikanische Liste von festgenommenen Personen, die als Katholiken hätten betrachtet werden müssen. »Unter den diversen Fällen von ›Nichtariern‹, die der deutschen Botschaft zuvor nicht angezeigt worden sind«, erläutert eine Notiz aus den jüngst geöffneten Archivbeständen des Vatikans, »befinden sich auch die beiden beigefügten: Sie betreffen ›Nichtarier‹, die getauft worden sind, jedoch nicht freigelassen wurden wie andere mit demselben Status.«19 Es war noch dunkel, als der Zug am frühen Morgen des 23. Oktober 1943 in Auschwitz ankam, genau eine Woche nach dem Beginn der deutschen Razzia in Rom. Als die desorientierten, erschöpften, durchgefro­ renen, ausgehungerten, verdreckten jüdischen Gefangenen aus den Viehwaggons stolperten, wartete der Leitende Lagerarzt, der berüchtigte Josef Mengele, bereits auf sie. Gerade wollten in der Menschenmenge Eheleute einander und Väter ihre Kinder wiederfinden, als ihnen auch schon befohlen wurde, sich nicht von der Stelle zu rühren. Mengele bedeutete den Kindern sowie allen Männern und Frauen, die er für zu alt oder zu krank hielt, um körperliche Arbeit zu verrichten, sich zu seiner Rechten zu sammeln. Die anderen mussten nach links gehen. Anschließend wurden Alte, Kinder, Kranke und Gebrechliche auf Lastwagen verladen und geradenwegs zur Gaskammer gebracht. Das jüngste Kind, das am vorangegangenen Sonntag in Rom im Militärkolleg zur Welt gekommen war, war noch keine Woche alt. KZ-Sklaven würden den Toten später die Goldzähne herausbrechen. Die verbleibenden Juden des Transports aus Rom, 149 Männer und 47 Frauen, wurden in ein Arbeitslager verbracht, wo die meisten von ihnen an Entkräftung oder Krankheiten starben. Von den mehr als tausend Juden, die in Rom in den Zug gepfercht worden waren, überlebten nur sechzehn.20 An dem Tag, an dem der Deportationszug Rom verließ, führte der britische Gesandte Osborne ein langes Gespräch mit Pius XII . Der Papst schien »wohlauf und guter Dinge«, so Osborne, und brachte zwei Anliegen vor. Erstens stand zu befürchten, dass die Lebensmittelknappheit in Rom sich verschlimmern könnte, sollten die Deutschen sich aus der Stadt zurückziehen und die Alliierten nicht unmittelbar darauf einrücken. Diese 423

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Sorge führte direkt zu der zweiten: dass nämlich während eines solchen »Machtvakuums« Unruhen in der Stadt ausbrechen könnten. Osborne fragte, ob die Deutschen den Vatikan gut behandelten. Der Papst antwortete, dass er »keinerlei Grund zur Klage habe über General von Stahel [sic] und die deutsche Polizei, welche die Neutralität [des Vatikans] bislang respektiert hätten«.21 Am nächsten Tag besuchte der amerikanische Gesandte Harold Tittmann den Papst und lieferte hinterher einen ganz ähnlichen Bericht ab. Der Papst nutzte die Gelegenheit, um Tittmann mitzuteilen, dass »die Deutschen bisher die Vatikanstadt und den Besitz des Heiligen Stuhles in der Stadt Rom respektiert hatten und dass der deutsche Stadtkommandant General Stahel dem Vatikan gegenüber sehr gewogen« erscheine. Was mit Roms Juden geschehen war, erwähnte Pius in seinen Gesprächen mit den beiden Gesandten anscheinend mit keinem Wort – oder falls er es doch tat, hielten diese die Information für zu unwichtig, um sie in ihren Berichten zu erwähnen.22 Diejenigen Juden, die der Razzia entgangen waren, befanden sich inzwischen auf der Flucht. Am Tag nach der Abfahrt des Zuges ereignete sich in einem Nonnenkloster eine Szene, die sich an anderen Orten vielfach wiederholt haben muss. Auf ein Klopfen an der Klosterpforte öffnete eine Nonne die Tür und sah sich einem jüdischen Paar gegenüber, die Frau mit einem Säugling im Arm. »Nehmen Sie ihn«, sagte der Mann, »und taufen Sie ihn, wenn Sie wollen. Wenn Sie ihn nicht nehmen, werde ich ihn töten und dann mich selbst.« Monsignore Costantini, der die Episode in seinem Tagebuch festhielt, fügte hinzu: »Das Kind blieb bei den Nonnen. Und die beiden verzweifelten Juden verschwanden, um der Gestapo zu entgehen.«23 Noch immer wandten sich Roms Juden mit verzweifelten Bittschreiben an den Heiligen Stuhl. Am 27. Oktober schrieb der römische Rabbiner David Panzieri direkt an Pius XII. und flehte ihn an, bei den Deutschen zu erwirken, dass die Opfer der Razzia vom 16. des Monats zu ihren Familien zurückkehren dürften. Dass die meisten von ihnen bereits vergast und verbrannt worden waren, konnte der Rabbi nicht wissen. Aber in den Tagen nach der Razzia lag das Hauptaugenmerk des Vatikans darauf, die deutschen Behörden auf solche Fälle aufmerksam zu machen, wo man trotz der 424

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früheren Bemühungen zu ihrer Identifizierung und Freilassung nun tatsächlich »waschechte Katholiken« in den Zug verladen hatte. Am 20. Oktober verwendete sich ein Buchhalter, der in der vatikanischen Verwaltung arbeitete, bei Monsignore Montini für eine ihm bekannte Familie: »Am vergangenen Samstag, dem 16. Oktober, um 5 Uhr früh, sind die folgenden Männer jüdischer Herkunft, aber zum katholischen Glauben bekehrt und getauft, wie aus den beigefügten Bescheinigungen des Hochwürdigsten Generalvikariats erhellt, von deutschen Soldaten aus ihrem Heim verschleppt worden, zusammen mit ihrer Mutter.« Er nannte die beiden Männer, Aldo Veneziani und seinen Bruder Dario, und ihre Taufdaten (1940 und 1941). Die beiden Männer, schrieb der Buchhalter, wollten ihre Taufbescheinigungen gerne den deutschen Behörden zur Kenntnis bringen in der Hoffnung, dann freigelassen zu werden. Außerdem fragte er an, ob das vatikanische Staatssekretariat sich mit dem »bedauernswerten Fall« der betagten Mutter der Männer befassen könne, »obwohl sie nicht katholisch ist, in Anbetracht ihres ehrwürdigen Alters und ihrer schwachen Gesundheit«. Nachdem das vatikanische Staatssekretariat von noch zwei weiteren getauften Mitgliedern der Familie Veneziani erfahren hatte, die am 16. Oktober ebenfalls verhaftet worden waren, sandte es drei Tage später eine Note an die deutsche Botschaft: »Um besonderes Interesse an der Freilassung der nachfolgend genannten Personen, die ihrer Abstammung wegen verhaftet worden sind, wurde gebeten.« Das vatikanische Schreiben führt fünf Mitglieder der Familie Veneziani auf, die mit Ausnahme der betagten Mutter als »getauft« bezeichnet werden. Es schließt mit der Versicherung: »Die Dokumente, aus denen die Taufe der oben genannten Personen zweifelsfrei hervorgeht, liegen im Staatssekretariat Seiner Heiligkeit vor.«24 Am 29. Oktober sandte Magliones Büro an Weizsäcker ein weiteres solches Gesuch: »Das Staatssekretariat Seiner Heiligkeit des Papstes beehrt sich, Seine Exzellenz den deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl um sein wohlwollendes Hinwirken auf die Freilassung des Grafen Victor Cantoni und seiner Mutter zu bitten, die von den deutschen Truppen von ihrem Wohnsitz Rom an einen unbekannten Ort verbracht worden sind. Graf Cantoni, ein Katholik, ist vor dreißig Jahren als Kind getauft worden; 425

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seine Mutter wurde 1927 getauft.« Eine Woche später setzte Maglione sich beim deutschen Botschafter brieflich für alle ein, die an jenem Oktobertag festgenommen worden waren. Dabei vermied er es weiterhin geflissentlich, von »Juden« zu sprechen. Seine Bitte an Weizsäcker lautete, ob dieser nicht das Verlangen der »zahlreichen Verwandten oder Freunde der kürzlich in Rom arretierten Nichtarier« erfüllen könne, »die gern Nachricht von ihren Lieben und letztlich auch etwas wirkliche Hilfe haben möchten«.25 Schon Ende Oktober hatte Weizsäcker seinerseits die willkommene Nachricht nach Berlin gesandt, dass der Papst entschieden habe, sich nicht zu der Razzia auf die römischen Juden zu äußern: Der Papst hat sich, obwohl dem Vernehmen nach von verschiedenen Seiten bestürmt, zu keiner demonstrativen Äußerung gegen den Abtransport der Juden aus Rom hinreißen lassen. Obgleich er damit rechnen muß, daß ihm diese Haltung von Seiten unserer Gegner nachgetragen und von den protestantischen Kreisen in den angelsächsischen Ländern zu propagandistischen Zwecken gegen den Katholizismus ausgewertet wird, hat er auch in dieser heiklen Frage alles getan, um das Verhältnis zu der Deutschen Regierung und den in Rom befindlichen deutschen Stellen nicht zu belasten. Da hier in Rom weitere deutsche Aktionen in der Judenfrage nicht mehr durchzuführen sein dürften, kann also damit gerechnet werden, daß diese für das deutsch-vatikanische Verhältnis unangenehme Frage liquidiert ist.

Wie Weizsäcker mitteilte, hatte die Vatikanzeitung nur einmal und versteckt auf die Razzia Bezug genommen: »Der Osservatore Romano hat … am 25./26. Oktober … ein offiziöses Kommuniqué über die Liebestätigkeit des Papstes veröffentlicht, in welchem es in dem für das vatikanische Blatt bezeichnenden Stil, d. h. reichlich gewunden und unklar, heißt, der Papst lasse seine väterliche Fürsorge allen Menschen ohne Unterschied der Nationalität, Religion und Rasse angedeihen. Die vielgestaltige und unaufhörliche Aktivität Pius’ XII. habe sich in letzter Zeit infolge der vermehrten Leiden so vieler Unglücklicher noch verstärkt.« Die Reichsregierung, empfahl Weizsäcker abschließend, brauche gegen diese Äußerung des Vatikans keinen Protest einzulegen, »umso weniger …, als ihr 426

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Wortlaut, der anliegend in Übersetzung vorgelegt wird, von den wenigsten als spezieller Hinweis auf die Judenfrage verstanden werden wird«.26 Das Schweigen des Papstes, als die Juden Roms in den Tod geschickt wurden, war so wenig zu überhören, dass sogar ein deutscher Priester da­ ran Anstoß nahm, der als Feldkaplan den in Rom stationierten SS-­Einheiten zugeteilt war. Im Gespräch mit einem italienischen Amtsbruder, der in ähnlicher Funktion bei der römischen Polizei tätig war, sagte der Deutsche, dass manche Wehrmachtsangehörige in Rom über die Depor­tation der römischen Juden nicht glücklich und über die »Gleichgültigkeit« der kirchlichen Stellen schockiert seien. Als Montini den Bericht erhielt, der diese Äußerungen des deutschen Feldkaplans kolportierte, vermerkte er darauf handschriftlich: »H[eiliger] S[tuhl] hatte getan, was er konnte.«27 In Ermangelung jeglicher Nachrichten darüber, was mit den Juden geschehen war, nachdem ihr Zug Rom verlassen hatte, überhäuften besorgte Verwandte den Papst weiterhin mit Bittbriefen. Dabei dürfte ein Fall die Aufmerksamkeit des Papstes besonders auf sich gezogen haben: der einer jüdischen Familie aus Rom, die seiner eigenen Familie über persönliche Beziehungen verbunden war. Vier Tage nach der Razzia erfuhr der Papst, dass sich unter den Festgenommenen auch die Nichte eines früheren Klassenkameraden aus dem Liceo Visconti, seinem alten Gymnasium, befand. In einem Brief berichtete sein einstiger Mitschüler, was passiert war: »Eine meiner allerliebsten jungen Nichten, Nella Pontecorvo, verheiratete Mieli, deren einziges Vergehen es war, als Jüdin geboren zu sein, wurde am vergangenen Samstag aus ihrem Zuhause in der Via Padova 43 weggeholt, zusammen mit ihren jungen Kinderchen Marina, 6 Jahre alt, und Claudio, 4 Jahre alt. … Weiter wissen wir nichts mehr von ihnen, als dass sie nach 48 Stunden, wie es scheint, gezwungen wurden, Rom mit unbekanntem Ziel zu verlassen.« Der Schreiber erinnerte sich, wie er noch anmerkte, deutlich an die »Bande tiefer Wertschätzung und inniger Freundschaft«, die zwischen dem Großvater seiner Nichte und Filippo Pacelli, dem Vater des Papstes, bestanden hätten. Auf päpstliche Anweisung hin kontaktierte das vatikanische Staatssekretariat den Generalvikar für das Bistum Rom, um bestätigen zu lassen, dass Nella und ihre beiden Kinder tatsächlich getauft waren und also von der SS-Razzia hätten verschont bleiben sollen. Am 13. Dezember, schrieb 427

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Monsignore Montini, der spätere Papst Paul VI., im Namen der Familie Mieli an Botschafter Weizsäcker mit der Bitte, ob dieser den Angehörigen nicht »Nachricht von den Kindern und ihrer Mutter verschaffen sowie, womöglich, deren Freilassung bewirken« könne. Montini erklärte: »Sie sind nichtarische Katholiken und ihre Taufdokumente liegen im Staatssekretariat Seiner Heiligkeit vor.« Zu Nellas und ihrer Kinder Unglück trafen die Taufnachweise viel zu spät ein. Die Kinder waren gleich nach ihrer Ankunft an der Rampe von Auschwitz ins Gas geschickt worden. Ihre Mutter hatte man, nachdem ihr die Kinder weggenommen worden waren, womöglich noch ins Zwangsarbeitslager gebracht. Kurz vorher hatte sie ihren 31. Geburtstag gefeiert. Es sollte ihr letzter gewesen sein.28

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Kapitel 35

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A

m Abend des 5. November 1943 fielen durch den wolkenlosen Himmel über Rom vier Bomben auf die Vatikanstadt. Eine detonierte in den Vatikanischen Gärten unweit des Sitzes von Radio Vatikan, zwei weitere neben Verwaltungsgebäuden. Die vierte Bombe schlug durch das Dach der vatikanischen Mosaikenwerkstatt. Bemerkenswerterweise wurde niemand ernsthaft verletzt, wenngleich Monsignore Tardini, der im vatikanischen Staatssekretariat für die internationalen Beziehungen zuständig war, nur knapp mit heiler Haut davonkam. Er war gerade auf dem Weg zu seinem Arbeitszimmer im Governatoratspalast, als durch die Druckwelle einer Bombe die Fensterscheiben eingedrückt wurden und die Raumdecke in großen Brocken herunterstürzte. Na, spottete der scharfzüngige Prälat, als der erste Schreck vorüber war, jetzt hätten sie ja endlich ihre »offene Stadt«! Der Schaden hätte schlimmer ausfallen können, war aber auch so schon beträchtlich. An vielen Gebäuden waren bis zum vierten Stockwerk hinauf Bombenschäden zu sehen. In der Mosaikenwerkstatt lagen überall Trümmer herum, eine Hauptwasserleitung war gebrochen, und eine der Unterkünfte für auswärtige Diplomaten war einem Volltreffer nur um Haaresbreite entgangen. Im Petersdom waren zwar einige Fensterscheiben zu Bruch gegangen, ansonsten war die Basilika jedoch unbeschädigt geblieben.1 Die Suche nach dem Schuldigen begann ebenso rasch wie die propagandistische Ausnutzung des Vorfalls durch die Achsenmächte. Der Vatikan sandte diplomatische Noten an den amerikanischen und britischen Gesandten ebenso wie an den deutschen Botschafter, enthaltend eine detaillierte Aufstellung der entstandenen Schäden und die Bitte, den hierfür Verantwortlichen zu ermitteln. Der britische Außenminister Anthony Eden 429

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telegrafierte an das alliierte Hauptquartier in Algier: »Feindliche Propaganda macht viel Wind um angebliche Bombardierung der Vatikanstadt durch alliierte Flugzeuge am 5. November um 21:00 Uhr. Wenn, wie wir vermuten, an dieser Geschichte nichts Wahres ist, schlagen wir vor, dass das AFHQ [Allied Forces Headquarters] unverzüglich eine Stellungnahme veröffentlicht, des Inhalts, dass sich zu der fraglichen Zeit überhaupt keine alliierten Flugzeuge im Luftraum über Rom befanden.« Um dieselbe Zeit telegrafierte das amerikanische Kriegsministerium an General Eisenhower in Algier mit der Empfehlung, dass auch er umgehend ein Dementi herausgeben solle.2 Am Tag, nachdem die Bomben auf den Vatikan gefallen waren, überschlugen sich die faschistischen Medien in einer einzigen Welle der Empörung. »Ein krimineller Luftüberfall ist gestern Abend gegen 9 Uhr auf die Vatikanstadt verübt worden«, meldete Radio Rom. »Die heilige Stadt …, die von den Truppen des [Deutschen] Reichs gegen jede denkbare Missachtung beschützt wird, wurde von vier schweren Sprengbomben getroffen, welche beträchtliche Schäden anrichteten. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Angriff gegen den Petersdom gerichtet war.« »krimineller angelsächsischer angriff auf die vatikanstadt«, brüllte eine gewaltige Schlagzeile auf der Titelseite der größten römischen Tageszeitung. Die Schlagzeile in Farinaccis Zeitung Il Regime Fascista – die nach Mussolinis Sturz für kurze Zeit verboten gewesen, inzwischen aber wieder im Geschäft war – verkündete: »Erneute Untat der Luft-›Gangster‹: Vatikanstadt bombardiert. Barbarischer Übergriff mit Vorsatz.«3 Eisenhower veröffentlichte umgehend eine Gegendarstellung: »Die Crews haben sich an ihre klaren Befehle gehalten und haben die Vatikanstadt nicht bombardiert.«4 Am nächsten Tag, es war der 8. November, ließ das britische Kriegskabinett in einer Stellungnahme verlauten: »Wie Nachforschungen erwiesen haben, kann die Bombardierung der Vatikanstadt in der vorigen Woche nicht durch alliierte Flugzeuge erfolgt sein.«5 Noch einen Tag später sollte der britische Premierminister allerdings von dem britischen Chefdiplomaten in Algier, Harold Macmillan, ein Telegramm mit einer unerwünschten Nachricht erhalten. »Wir glauben, dass wir den Vatikan wahrscheinlich doch bombardiert haben«, schrieb Macmillan. »Es war sowieso nur eine ganz kleine Sache, womöglich nur eine 430

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Maschine, die vom Kurs abgekommen war.« Die britische Regierung ließ Macmillans Bericht schleunigst verschwinden. Am nächsten Tag veröffentlichte das US-Außenministerium eine eigene Pressemitteilung, um der vatikanischen Bitte um Aufklärung des Vorfalls zu entsprechen: »Es ist nun eine Antwort von General Eisenhower eingegangen, aus der absolut zweifelsfrei hervorgeht, dass das angreifende Flugzeug kein alliiertes war.«6 Aus einem Brief Monsignore Carrolls, des einzigen Amerikaners, der im vatikanischen Staatssekretariat tätig war, erhielt Kardinal Maglione acht Tage nach dem Vorfall Kenntnis von dem unterdrückten Bericht der Alliierten und erfuhr so, was tatsächlich geschehen war. Carroll hielt sich nämlich gerade zufällig in Algier auf. »In einem Gespräch mit dem amerikanischen Stabschef während der letzten Woche ist mir höchst vertraulich mitgeteilt worden, dass man hier davon ausgeht, die Bombardierung des Vatikans sei vermutlich auf einen amerikanischen Piloten zurückzuführen, der vom Kurs abgekommen ist.« Tatsächlich hatte, wie der amerikanische Prälat weiter ausführte, »ein anderer amerikanischer Pilot gemeldet, dass er ein alliiertes Flugzeug beim Abwurf seiner Ladung auf den Vatikan beobachtet hatte«. Der amerikanische General hatte Carroll sein Bedauern ausgesprochen und zugesagt, dass man in Zukunft strenge Maßnahmen ergreifen werde, damit ein solcher Vorfall sich nie mehr wiederhole.7 Ende Oktober konnte Clara Petacci endlich ihren Geliebten wiedersehen. Seit die Deutschen sie aus ihrer kurzen Gefangenschaft befreit hatten, bedachte sie Mussolini mit einem Strom von langen handschriftlichen ­Briefen, einer seltsamen Mischung aus Aufmunterungsversuchen, Beteue­ rungen ihrer unsterblichen Liebe zu ihm, Beschwerden ob seiner mangelnden Wertschätzung ihrer Person, unverlangten politischen Ratschlägen und Warnungen vor seinen vermeintlichen Feinden. Im Verlauf der nächsten anderthalb Jahre sollte sie ihm über 300 solche Briefe schreiben, und obwohl Mussolini Clara wiederholt dazu drängte, ihre Korrespondenz zu vernichten, hob sie nicht nur alle seine Briefe auf, sondern fertigte auch noch Kopien ihrer eigenen an. Claras Besuch an jenem Oktobertag in ­Mussolinis Residenz in Gargnano am Gardasee, etwa fünfzehn Kilometer von Salò gelegen, war nur möglich, weil dessen Ehefrau Rachele noch nicht aus Deutschland zurückgekehrt war. Während der Autofahrt zu ihrem 431

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Rendezvous umklammerte sie den Rosenkranz in ihren Händen und betete zu ihrer Lieblingsheiligen, der heiligen Rita von Cascia. Als sie Mussolinis Villa durch einen Seiteneingang betrat und seiner ansichtig wurde, beschrieb sie das so: »Ich sehe ihn langsam im Schatten herankommen. Mir wird schwindlig … Ich sehe ihn, ich sehe ihn wieder! Er nimmt meine Hand, er fasst mich, wir schauen einander an, wir zittern beide heftig.« Sie verbrachten die Nacht miteinander – ein Privileg, das ihnen nicht mehr allzu oft zuteilwerden sollte, denn Claras Erzfeindin Rachele war schon bald wieder an Mussolinis Seite und nutzte jede Waffe in ihrem Arsenal, um Clara fernzuhalten.8 Mussolini seinerseits fühlte sich ebenso sehr als Gefangener wie als Diktator, denn er hasste es, unter Kontrolle der Deutschen zu stehen, und hatte im Umgang mit seinen faschistischen Schergen an Selbstbewusstsein und Souveränität verloren. Die Ministerien seiner neuen Regierung lagen über ganz Venezien verstreut, und seine Villa in Gargnano diente ihm als Wohnund Amtssitz zugleich. Lange Zeit hatte er in der Vergötterung geschwelgt, die ihm überall entgegengebracht wurde, und hatte es genossen, gewaltige Menschenmengen mit seinen kämpferischen Reden aufzupeitschen. Jetzt aber fühlte er sich allein, verließ kaum je seine Villa und vertraute nicht einmal seinen Leibwächtern voll und ganz. Seit seiner abrupten Absetzung durch den König war er nicht mehr nach Rom zurückgekehrt, und dabei sollte es auch bleiben. An der Balustrade jenes Balkons des Palazzo Venezia, von wo er so viele denkwürdige Reden geschwungen hatte, erinnerte an ihn nur noch ein Bild, das ihn mit zum »Römischen Gruß« erhobenem rechten Arm zeigte. Den Eingang zum Gebäude bewachten allerdings nicht mehr seine eigenen Truppen, sondern ein deutscher Panzer und vier Panzerwagen der Wehrmacht. Vielleicht war jedoch nichts so demütigend wie die Gerüchte, die in Rom kursierten – und die da besagten, dass der Duce längst tot sei.9 In diesen ersten Wochen der deutschen Besatzung blieben die Beziehungen zwischen dem Vatikan und den Deutschen weiterhin harmonisch, zur großen Erleichterung des Papstes.10 Am 8. Oktober hatte Weizsäcker den Papst gebeten, alliierte Meldungen über die angebliche schlechte Behandlung des Vatikans durch die Deutschen in einer eigenen Stellungnahme zurückzu432

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weisen. Der Papst zögerte. Wenn er sich dazu äußern solle, erklärte er, könne er lediglich bestätigen, dass die Deutschen sich bisher tadellos verhalten hätten. Er schlug deshalb vor, dass eine Verlautbarung der deutschen Besatzungsbehörden wirkungsvoller sein würde, da sie nicht nur von der Vergangenheit sprechen, sondern auch Garantien für die Zukunft abgeben könne.11 Am Ende gab der Papst seine Zustimmung zu einer gemeinsamen Erklärung, die vom deutschen Botschafter und von Kardinal Maglione unterzeichnet, im Osservatore Romano vom 30. Oktober an prominenter Stelle veröffentlicht und in La Civiltà Cattolica kurz darauf erneut abgedruckt wurde: Um den haltlosen Gerüchten ein Ende zu setzen, welche zurzeit kursieren – insbesondere im Ausland – und welche die Behandlung des Vatikans durch die deutschen Truppen zum Gegenstand haben, hat sich Seine Exzellenz der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl auf die Anweisung seiner Regierung hin beehrt, dem Heiligen Stuhl mitzuteilen, dass das Deutsche Reich, so wie es bislang die Institutionen und Betätigung der Römischen Kurie sowie die Hoheitsrechte und Unverletzlichkeit des Staates Vatikanstadt geachtet hat, fest entschlossen ist, diese auch in Zukunft zu achten. Der Heilige Stuhl erkennt an, dass die deutschen Truppen die Römische Kurie und die Vatikanstadt bisher respektiert haben, und hat erfreut die Zusicherung des deutschen Botschafters für die Zukunft zur Kenntnis genommen.12

Bei der Pflege der guten Beziehungen zwischen dem Vatikan und den deutschen Besatzungsbehörden in Rom war keiner aktiver als Pater Pankratius Pfeiffer, ein gebürtiger Deutscher, der seit 1915 als Generalsuperior des Salvatorianer-Ordens amtierte. Als Sympathisant der Achsensache und deutscher Muttersprachler diente er sich dem Vatikan als Vermittler im Umgang mit der deutschen Besatzungsmacht an. Während der neun Monate, in denen die deutschen Truppen in Rom stationiert blieben, sollte der Papst sich mindestens ein halbes Dutzend Mal mit ihm treffen.13 Am 30. Oktober war Pater Pankratius, der mit der deutschen Militärführung in Rom rasch Bekanntschaft geknüpft hatte, als Gast bei einem Festessen zu Ehren von General Stahel eingeladen, der von seinem Posten 433

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als Kampfkommandant von Rom abberufen wurde. Pfeiffer erhielt den Platz zwischen den beiden deutschen Botschaftern in Italien und beim Heiligen Stuhl. In seinen Notizen über diesen Abend hielt Pfeiffer fest: »Weizsäcker beglückwünschte mich dazu, dass ich mich in solch schwierigen Zeiten derart nützlich mache. Hierauf bemerkte Botschafter Rahn, dass auch er sich stets bereithalte, sollte seine Hilfe einmal vonnöten sein. Es würde dann ausreichen, ihm eine kurze Zeile zu schicken.« In seinen Worten an die Festgesellschaft erklärte General Stahel, es erfülle ihn mit Stolz, in solch schwieriger Zeit zum Stadtkommandanten von Rom ernannt worden zu sein. Besondere Zufriedenheit äußerte er darüber, dass er so viel für das Wohlergehen der Vatikanstadt habe bewirken können.14 Seitdem der König und Badoglio Rom verlassen hatten, befand sich der Geschäftsträger der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl, Francesco Babuscio, in einer misslichen Lage. Das neue republikanische faschistische Regime rief alle Mitglieder der italienischen Regierung auf, ihm die Treue zu schwören. Und Babuscio hatte zwar viele Jahre lang dem Duce loyal gedient, doch hatte dies für ihn stets in Einklang mit seiner Bindung an die italienische Monarchie gestanden. Was außerdem dagegen sprach, dass er der wiederhergestellten faschistischen Regierung seine Treue schwor, war sein Bewusstsein der Tatsache, dass die Alliierten vermutlich den Krieg gewinnen würden. Babuscio steckte also zwischen zwei konkurrierenden Loyalitätseinforderungen in der Klemme und war deshalb nicht gerade erpicht darauf, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.15 Mitte Oktober 1943 bat Babuscio Kardinal Maglione, ihm bei der Kontaktaufnahme zur königlichen Exilregierung behilflich zu sein, da er von allen Kommunikationswegen abgeschnitten war. Maglione wollte aber weder die Deutschen vor den Kopf stoßen noch die republikanische Regierung Mussolinis verärgern; außerdem konnte er nicht sicher sein, dass die angestrebte Kommunikation tatsächlich geheim bleiben würde. Also wies der Kardinal die Bitte ab.16 Pius XII. hatte gleichfalls kein Interesse daran, dass die heikle Lage publik wurde, in der er sich mit Francesco Borgongini, seinem eigenen Nuntius bei der italienischen Regierung, befand. Der Papst machte keinerlei 434

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Anstalten, Borgongini die königliche Regierung im äußersten Süden Italiens kontaktieren zu lassen, und wollte in den Monaten der deutschen Besatzung am liebsten überhaupt nicht mit jener Regierung in Verbindung gebracht werden. Ebenso wenig wollte er, dass sein Nuntius etwas mit Mussolinis Republik zu schaffen hatte, wäre dies doch ihrer offiziellen Anerkennung gleichgekommen. Am besten erschien es deshalb, den Nuntius überhaupt nichts unternehmen zu lassen.17 Eine Bedingung der Alliierten bei den Waffenstillstandsverhandlungen war gewesen, dass die italienischen Rassengesetze aufgehoben würden. Als im November 1943, zwei Monate nach dem Inkrafttreten des Waffenstillstands, noch immer keine Bemühungen zur Annullierung der Rassengesetze erkennbar waren, beschloss die Stadtverwaltung von Neapel, auf eigene Faust zu handeln – und erklärte die Bestimmungen kurzerhand für außer Kraft gesetzt. Bereits im Monat zuvor waren die Alliierten in Neapel eingerückt. Den Ministerpräsidenten Badoglio ärgerte dieses eigenmächtige Vorgehen so sehr, dass er sich bei der Alliierten Kontrollkommission für Italien in Brindisi darüber beschwerte. Nachdem sein Ministerium erfahren habe, dass Neapel »entschieden hatte, alle faschistischen antisemitischen Gesetze für null und nichtig zu erachten«, schrieb der Generalsekretär von Badoglios Außenministerium an die alliierte Behörde, wolle er die Alliierten nun wissen lassen, dass die Regierung des Königs die Abschaffung der besagten Gesetze bereits erwäge. »Einstweilen wäre ich dankbar, wenn Sie gelegentlich dessen, dass Sie die anglo-amerikanischen Kommandostellen in Italien über das Vorstehende unterrichten, ihnen zugleich ans Herz legen könnten, nicht zur Ergreifung punktueller Maßnahmen auf diesem Gebiet durch Provinz- oder Stadtverwaltungen zu ermutigen.«18 In ihrer Antwort, die drei Tage später erfolgte, hoben die alliierten Behörden hervor, wie wichtig die möglichst rasche Abschaffung der faschistischen Rassengesetzgebung sei, und erinnerten Badoglio daran, dass seine Regierung sich durch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen hierzu verpflichtet hatte. Außerdem nutzten die Alliierten die Gelegenheit, um eine Reihe von Fragen an den Ministerpräsidenten zu richten: Waren die antijüdischen Maßnahmen noch in Kraft? Waren die zahlreichen in 435

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i­talienischen Konzentrationslagern internierten Juden inzwischen befreit worden? Erhielten die Juden seitens der königlichen Regierung Unterstützung, wenn sie versuchten, den Besitz und die Arbeitsstellen zurückzuerhalten, die man ihnen genommen hatte? Konnten die italienischen Juden jetzt ihr normales Leben wiederaufnehmen und ihre Gemeindeinstitutionen wiederaufbauen? Indes muss den zuständigen Stellen auf alliierter Seite klar gewesen sein, dass keiner der Entscheidungsträger in der königlichen Regierung bislang auch nur das geringste Interesse an diesen Fragen gezeigt hatte.19 Während die Rassengesetze also auch im »Königreich des Südens« – wie der Einflussbereich der königlichen Regierung bald genannt wurde – noch offiziell in Kraft waren, war die dort ansässige jüdische Bevölkerung doch immerhin in Sicherheit, geschützt durch die Anwesenheit alliierter Truppen. Für die große Mehrheit der italienischen Juden ließ sich das nicht sagen, befanden sie sich doch in Regionen, in denen die deutschen Besatzer und ihre italienischen Kollaborateure das Sagen hatten.20 In Rom und andernorts im deutsch besetzten Italien suchten die Juden Zuflucht, wo sie nur konnten, und nicht wenige fanden Schutz in Konventen und Klöstern. Das war auch bei Enzo Finzi der Fall, der mitsamt Frau und Familie vor der Razzia vom 16. Oktober Zuflucht im römischen Carissimi-Kloster suchte, wo die Familie jemanden kannte. Zwar war das Kloster schon gut gefüllt mit politischen Dissidenten, fahnenflüchtigen italienischen Soldaten und Carabinieri sowie anderen, die mit Nazis und Faschisten nicht gemeinsame Sache machen wollten, aber die Mönche ließen die jüdische Familie dennoch ein. Vielen Juden gelang es zwar, auf diese oder ähnliche Weise einen sicheren Zufluchtsort zu finden; doch andere hatten weniger Glück. Manchen sagte man, wenn sie an der Pforte einer katholischen Einrichtung um Schutz baten, dass man sie nur unter der Bedingung ihrer Konversion aufnehmen werde. Wieder andere wurden einfach weggeschickt. Die römische Jüdin Emma Fiorentino, um nur ein Beispiel zu nennen, wurde am frühen Morgen des 16. Oktober durch einen Telefonanruf gewarnt, dass eine große Razzia im Gange sei. Verzweifelt überlegte sie, wo sie mit ihren Kindern Zuflucht suchen sollte, und verfiel schließlich auf ein nahe gelegenes Nonnenkloster, in dem auch zwei Nonnen lebten, mit denen sie 436

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bekannt war. Die Nonnen verweigerten ihnen jedoch den Einlass. Also zog Emma mit ihren Kindern zu Fuß weiter, von Kloster zu Kloster, und flehte um Schutz, aber überall wies man sie ab.21 In einem anderen Fall schrieb ein Gemeindepfarrer in den Tagen nach der Razzia vom 16. Oktober an den Vatikan, um Hilfe für zwei jüdische Kinder aus Rom zu erbitten, ein neunjähriges Mädchen und ihren vierzehnjährigen Bruder. Die Eltern, erklärte der Priester, wollten sie »einer weiblichen respektive männlichen Klostergemeinschaft anvertrauen«, doch als sie verzweifelt die Klöster Roms abgelaufen seien, habe man sie überall abgewiesen: »Manche weigerten sich, sie aufzunehmen, weil sie jüdisch waren, und behaupteten, es bestehe ein Verbot seitens höherer Autoritäten.« Wie der Priester berichtete, wurde noch immer ein Konvent oder ein Kloster gesucht, das sie aufnehmen würde.22 Obgleich es, wie dieser und andere ähnlich gelagerte Fälle erkennen lassen, keine Hinweise darauf gibt, dass Pius XII. jemals kirchliche Einrichtungen angewiesen hätte, Juden aufzunehmen – und viele taten dies ja auch nicht – , muss ihm doch bewusst gewesen sein, dass sich unter den vielen Flüchtlingen, die sich in den Klöstern und Kirchen Roms versteckt hielten, zahlreiche Jüdinnen und Juden befanden.23 Guido Buffarini Guidi, der Innenminister der neuen republikanisch-­ faschistischen Regierung, spielte während der mörderischen neuen Phase der antijüdischen Kampagne in Italien eine entscheidende Rolle. Im Anschluss an den Sturz Mussolinis einige Monate zuvor hatte die Regierung Badoglio ihn inhaftieren lassen. Binnen Tagen nach seiner Verhaftung schrieb jedoch die Oberin einer römischen Ordensgemeinschaft direkt an den Papst, um für Buffarini ein gutes Wort einzulegen: »Seine Heiligkeit, gedenkt der schier unendlichen Zahl von Wohltaten und Gefälligkeiten, die Seine Exzellenz Buffarini den Werken unserer Kongregation im Laufe vieler Jahre hat zuteilwerden lassen«, schrieb sie und bat den Papst inständig um sein Eingreifen, damit Buffarini aus dem Gefängnis entlassen und stattdessen unter Hausarrest gestellt werde. Auf das Bittschreiben der Mutter Oberin hin setzte sich der päpstliche Nuntius auch tatsächlich beim Polizeichef von Rom für Buffarini ein. Der Polizeichef versicherte ihm, der prominente Faschist müsse zwar im Gefängnis bleiben, werde jedoch »mit aller möglichen Rücksichtnahme« behandelt. Buffarini blieb inhaftiert, bis die Deutschen ihn Anfang September befreiten.24 437

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Am 30. November 1943 sandte Buffarini in seiner neuen Rolle für die Italienische Sozialrepublik ein Telegramm an die Präfekten aller ihm unterstellten Provinzen: »Der folgende Polizeibefehl wird zur sofortigen Ausführung übermittelt. … Alle Juden … ohne Unterschied der Nationalität … die sich auf [italienischem] Staatsgebiet befinden, müssen in gesonderte Konzentrationslager verbracht werden. Ihr gesamter Besitz, einschließlich des Grundbesitzes und anderer Güter, ist mit sofortiger Wirkung beschlagnahmt.« Vielleicht als kleines Zugeständnis an die wiederholten Gesuche, die der Heilige Stuhl an Buffarini in seiner früheren Zuständigkeit für die italienischen Rassengesetzgebung gerichtet hatte, merkte er nun an: »Juden, die Mischehen entstammen, sollen als Arier gelten.«25 Tatsächlich setzte der Vatikan sich noch immer sehr für den Schutz getaufter Juden vor solchen staatlichen Übergriffen ein. Vier Tage, bevor Buffarini den Polizeibefehl erteilte, richtete Kardinal Maglione das jüngste derartige Bittschreiben an den deutschen Botschafter. Der Bischof von Triest hatte den Vatikan angefleht, dafür zu sorgen, dass die fatale Lage der »Nichtarier« in seinem Bistum nicht noch weiter verschlimmert werde, wie es durch die immer strengeren antijüdischen Maßnahmen zu befürchten war. »Es scheint«, teilte Maglione Weizsäcker mit, »dass die dortige deutsche Obrigkeit begonnen hat, eine Anzahl von Juden festzunehmen und ihren Besitz zu beschlagnahmen, und das, ohne zwischen Getauften und Nichtgetauften zu unterscheiden oder diejenigen auszunehmen, die mit Katholiken verheiratet sind.« Also bat Maglione den Botschafter, einzugreifen.26 Auch der Patriarch von Venedig, Kardinal Adeodato Piazza, sah sich genötigt, nach Rom zu schreiben, um sich darüber zu beschweren, dass auch getaufte Juden wie Juden behandelt würden. Er appellierte an den Heiligen Stuhl, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um diese Leute zu retten. Kardinal Piazza trieb aber noch eine weitere Sorge um, die er bei einem Treffen mit dem deutschen Konsul in Venedig zur Sprache brachte. Er finde es verstörend mitanzusehen, sagte er, wie fanatische italienische Faschisten in die Häuser von armen, alten und kranken Juden eindrängen und diese festnähmen, während »die reichen … Juden« weiter frei herumliefen! »Diese Ungerechtigkeit beunruhig[t] ihn so stark«, schrieb der Konsul, 438

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»dass er eine Lösung nur dann sehe, wenn die Maßnahmen gegen die Juden durch deutsche Stellen durchgeführt würden, weil dann jedenfalls Gerechtigkeit gegenüber allen garantiert werde. Bekanntlich ist der Hauptwunsch des Patriarchen der, alle Juden und auch die Halbjuden in ein Ghetto einzuschließen.«27 Die Nachricht von Buffarinis Befehl, alle italienischen Juden festzunehmen, ihren Besitz zu konfiszieren und sie selbst in Konzentrationslager zu verbringen, sorgte für einen ungewöhnlich kritischen Kommentar auf der Titelseite des Osservatore Romano. In ihrer Ausgabe vom 3. Dezember 1943 fragte die Vatikanzeitung, weshalb es den italienischen Behörden ausgerechnet jetzt geboten erscheine, die bestehenden Rassengesetze drastisch zu verschärfen. Wenn man Grund zu der Annahme habe, dass von den Juden irgendeine neue, größere Gefahr ausgehe, wäre es doch ausreichend gewesen, sie stärker von der Polizei überwachen zu lassen. Besonders schlimm erschien dem Verfasser »die schmerzliche Erkenntnis, dass die neuen Maßnahmen mitunter auch solche treffen, die Katholiken von Geburt sind, Kinder katholischer Eltern, aber auch solche, die aufrichtigen Herzens konvertiert sind und seit ihrer Jugend oder zumindest seit vielen Jahren den christlichen Glauben praktizieren, jedenfalls in den Schoß der Kirche und des christlichen Lebens aufgenommen sind, die an der Gnade Gottes und der Gemeinschaft der Heiligen teilhaben wie alle Getauften«.28 Der amerikanische Geheimdienstbericht über die Lage in Südeuropa, der aus der betreffenden Woche datiert, kommentiert auch die Reaktion des Vatikans auf die neuerdings intensivierte Verfolgung der italienischen Juden: »Nach mehreren inoffiziellen und erfolglosen Appellen stellt sich der Vatikan nun offen, aber mit charakteristischer Milde gegen die neofaschistische Regierung, nachdem deren drastische antisemitische Kampagne mit einer Grausamkeit geplant und durchgeführt wird, die dem Vorgehen der Nazis in nichts nachsteht.« Die Hirtenbriefe der oberitalienischen Bischöfe, heißt es weiter, »ermahnen die Gläubigen lediglich zu Fügsamkeit und Geduld ›in diesen sehr schweren Zeiten‹«. Falls Hitler sich noch sorgte, der Papst könne womöglich seine Stimme gegen die neue antijüdische Kampagne in Italien erheben, konnte Weizsäcker ihn beruhigen: »Von Protesten des Papstes bei mir wegen Judenverhaftungen in Norditalien ist keine Rede«, meldete Weizsäcker Mitte Dezember nach Berlin.29 439

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Inzwischen war es an der Tagesordnung, dass italienische Juden in ihren Verstecken aufgespürt wurden. Unter den Spuren, die sie auf ihren Fahrten in den Tod hinterließen, waren hastig hingekritzelte Briefe, die aus den Zügen herausgeflattert kamen, mit denen man sie in Richtung Norden verschleppte. Ein solcher Brief, den der 23-jährige Abramo Segre seiner Verlobten Lucia geschrieben hat, kam aus einem Zug geflogen, der am 7. Dezember 1943 Brescia passierte. Bei Abramo waren auch seine Mutter und seine Schwester. Liebe Lucia, ich vertraue meinen Brief der Herzensgüte eines lieben Finders an, der ihn vielleicht absenden wird. Heute ist nun schon der zweite Tag, an dem ich mich mit meiner Familie und 200 anderen Personen in einem Viehwaggon eingesperrt wiederfinde. Wir sind auf dem Weg ins Konzentrationslager. Vor uns liegt die schreckliche Aussicht einer Reise von acht Tagen bis nach Krakau in Polen. Leider habe ich das Gefühl, dass es von dieser Reise für mich und meine Familie keine Wiederkehr geben wird, denn wenn wir nicht an Hunger und Erschöpfung sterben, die uns zusetzen werden, so werden wir der schrecklichen Kälte nichts entgegensetzen können, dürftig gekleidet und beschuht, wie wir sind. Unsere letzte Hoffnung liegt in Gott, der uns bis hierher leider nicht geholfen hat, zu dem wir aber weiterhin beten. Die Leiden der Gefängnishaft waren ein Paradies im Vergleich zu dem, was uns bevorsteht. … Hier haben wir noch nicht einmal einen Namen, sondern nur mehr eine Nummer, wie Tiere. Der Zug fährt nicht sehr schnell, aber unerbittlich in Richtung Grenze. Ich muss nun diesen kurzen Brief beschließen, der ohnehin kaum Aussicht hat, dich zu erreichen.

Der Brief erreichte Lucia tatsächlich nicht. Abramo, seine Mutter und seine Schwester Rosa wurden alle drei in Auschwitz ermordet.30 Als sich das Vorgehen gegen die Juden Italiens intensivierte, konnte der Papst es irgendwann nicht mehr ignorieren. Mitte Dezember war der Erzbischof von Ferrara der Nächste in einer langen Reihe von Kirchenver440

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tretern, die den Vatikan beschworen, zugunsten der Opfer einzugreifen, »und namentlich zugunsten derer, die gemischten Familien entstammen«. Aus einer Aktennotiz im Archiv des Staatssekretariats lässt sich entnehmen, wie die Antwort an den Erzbischof in etwa lautete: »Man kann hierauf antworten, dass der Heilige Stuhl auch in der gegenwärtigen Situation – wie schon in der Vergangenheit – bemüht ist, den Nichtariern beizustehen, soweit es ihm möglich ist, und besonders denen aus gemischten Familien.« Es sei unwahrscheinlich, dass man hierbei irgendwelche Ergebnisse erzielen werde; »jedoch wird man auf diese Weise immerhin sagen können, der Heilige Stuhl habe alles Menschenmögliche unternommen, um diesen Unglücklichen zu helfen«. Weiter hieß es: »Man könnte auch den Herrn Nuntius bitten, ein Wort zu äußern oder dafür zu sorgen, dass jemand ein vertrauliches Wort mit dem Marschall Graziani [dem Kriegsminister der Italienischen Sozialrepublik] oder mit Buffarini wechselt und darum bittet, dass besonders gegenüber den gemischten Familien Gnade gewährt wird.«31 Der dramatische neue Befehl zur Verhaftung, Enteignung und Deportation aller Juden Italiens machte das anhaltende Schweigen des Papstes für manche immer unerträglicher. Pater Tacchi Venturi, der überzeugt davon war, dass der Vatikan etwas unternehmen müsse, beschloss schließlich, die Initiative zu ergreifen, und richtete einen langen Appell an den Papst. Zwar ging er nicht so weit, dessen öffentlichen Protest zu fordern, aber er drängte doch darauf, dass dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl ein offizieller Schriftsatz vorgelegt werden solle, in dem seine Regierung aufgefordert würde, ihre mörderische Kampagne gegen die italienischen Juden zu beenden. Mitte Dezember 1943 bereitete der Jesuit ein solches Schreiben auch im Entwurf vor. Auch wenn dieser Appell sich für die italienischen Juden einsetzen sollte, hielt er an den traditionellen kirchlichen Lehrmeinungen fest: Juden und Christen sollten voneinander getrennt bleiben; Juden sollten daran gehindert werden, in gesellschaftlich einflussreiche Positionen zu gelangen. Physische Gewalt dürfe man ihnen jedoch nicht antun. Tacchi Venturi argumentierte folgendermaßen: Mussolinis fünf Jahre zuvor eingeführte Rassengesetze hätten die Juden erfolgreich in ihre Schranken gewiesen, und also seien die neuen Maßnahmen überhaupt nicht notwendig. In Ita441

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lien stellten die Juden keinen ernsthaften Anlass zur Sorge für die Regierung dar, wie dies anderswo der Fall sei. Sie hätten auch nicht im selben Maß die Feindseligkeit der »arischen« Bevölkerung auf sich gezogen wie in anderen Ländern. Das liege zum einen daran, so Tacchi Venturi, dass es in Italien nur so wenige Juden gebe; und dann seien auch noch so viele von ihnen mit Christen verheiratet. Wenn die neuen Gesetze die Juden Italiens in Konzentrationslager sperren wollten, verstoße das gegen den »gesunden Menschenverstand des italienischen Volkes«, das davon überzeugt sei, »dass die Rassengesetze, welche die faschistische Regierung vor fünf Jahren gegen die Juden eingeführt hat, völlig ausreichen, um der kleinen jüdischen Minderheit ihre angemessenen Grenzen aufzuzeigen«. »Aus diesen Gründen«, schrieb der Jesuit und päpstliche Gesandte, »darf man darauf hoffen, dass die deutsche Regierung in Zukunft davon absehen wird, weitere Juden zu deportieren, ob nun en masse, wie im Oktober geschehen, oder einzeln.« Dann kam er auf sein früheres Argument zurück: »Die oben erwähnte Rassengesetzgebung von 1938 hat, solange sie nur konsequent angewandt wird, die unbestrittenen Probleme bereits gelöst, die das Judentum dann verursacht, wenn es in einer Nation zur dominanten Kraft wird oder allzu großes Ansehen genießt. Da dies jedoch in Italien gegenwärtig nicht zutrifft, ist nicht nachvollziehbar, warum … es nötig gewesen sein sollte, ein Problem wieder aufzuwerfen, das die Regierung Mussolini bereits als gelöst betrachtete.« Weiter empfahl Tacchi Venturi, der Papst solle seine Botschaft an die Reichsregierung mit der Drohung beschließen, sich öffentlich in dieser Angelegenheit zu äußern. Das könne mit folgenden Worten geschehen: »Wenn die harten Maßnahmen gegen die kleine jüdische Minderheit erneuert werden, eine Minderheit, zu der auch eine beträchtliche Zahl von Angehörigen der katholischen Religion gehört« – also von zum Katholizismus konvertierten Juden – , »wie soll die Kirche da weiter schweigen und nicht ihre große Sorge äußern über das Schicksal von Männern und Frauen, die sich kein Verbrechen haben zuschulden kommen lassen, … ohne ihre göttliche Sendung, ihr Mitgefühl und all ihre mütterliche Fürsorge zu vernachlässigen?«32 Am 19. Dezember leitete Kardinal Maglione den Textentwurf Tacchi Venturis an Monsignore Angelo Dell’Acqua weiter, um dessen Meinung 442

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einzuholen. Unklar bleibt, ob der Papst den Appell des Jesuiten zuvor gelesen hatte und selbst angeregt hatte, ihn Dell’Acqua zukommen zu lassen, oder ob Maglione es für ratsam gehalten hatte, zuerst die Meinung des »Juden-Experten« im Staatssekretariat einzuholen, bevor er den Entwurf dem Papst vorlegte. Dell’Acqua, der später bis zum päpstlichen Generalvikar des Bistums Rom aufsteigen sollte, war damals ein vierzigjähriger Mitarbeiter des Staatssekretariats. Das Vertrauen des Papstes in Fragen, die Juden betrafen, hatte er sich jedoch bereits erarbeitet. Einen Monat zuvor hatte man Dell’Acqua um seinen Rat dazu gebeten, wie der Papst auf den Hilferuf des Bischofs von Triest reagieren sollte, den dieser nach der deutschen Besetzung seiner Stadt und der beginnenden Deportation ihrer beträchtlichen jüdischen Bevölkerung – eine der größten Italiens überhaupt, die zu Beginn des Krieges etwa 6000 Menschen zählte – geschickte hatte. »Ich teile nicht die Auffassung des Hochwürdigen Herrn Bischofs von Triest, dass die gegenwärtige Situation in Julisch-­ Venetien [der Region um Triest] für eine solche offizielle Intervention des Heiligen Stuhls zugunsten der Juden spreche. … Eine offizielle Intervention des Heiligen Stuhls könnte die nationalsozialistische Führung in ihrer falschen Überzeugung bestärken, dass der Heilige Stuhl dem internationalen Judentum beipflichte, welches die Notwendigkeit der Vernichtung, oder doch weitgehenden Vernichtung, des deutschen Volkes predigt.«33 Zwei Tage, nachdem er Pater Tacchi Venturis Entwurf eines Plädoyers für die italienischen Juden erhalten hatte, schickte Dell’Acqua seine umfangreiche Kritik daran zurück. Er riet von einem Protest ab, nicht zuletzt weil – seiner Ansicht nach – der Text des Jesuiten viel zu stark mit den Juden sympathisierte: »Die Verfolgung der Juden, welche der Heilige Stuhl missbilligt, ist das eine, insbesondere, wenn sie mit gewissen Mitteln erfolgt; etwas anderes ist es jedoch, dem Einfluss der Juden mit Misstrauen zu begegnen, was durchaus angebracht sein kann.« Tatsächlich hatte die unter vatikanischer Aufsicht stehende Jesuitenzeitschrift La Civiltà Catto­ lica schon des Öfteren angemahnt, Regierungen müssten Gesetze erlassen, um die Rechte der Juden einzuschränken, weil nur so die christliche Mehrheitsgesellschaft vor deren Machenschaften geschützt werden könne. Wie könnte der Vatikan ein solches Engagement für die Juden rechtfertigen, 443

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fragte Dell’Acqua, wenn er geschwiegen hatte zu der Gewalt, die die Deutschen »Ariern, welche von Geburt an der katholischen Religion angehörten« angetan hatten? Auch solle der Vatikan keinesfalls leugnen – wie es die vorgeschlagene Erklärung tat – , dass in Italien schon seit Langem ein »arisches Umfeld« bestehe, das den Juden abgeneigt sei. Immerhin, schrieb Dell’Acqua, »herrscht in der Geschichte Roms kein Mangel an Maßnahmen, die von den Päpsten ergriffen wurden, um den Einfluss der Juden zu begrenzen«. Er erinnerte zudem an das päpstliche Bestreben, alles zu unterlassen, was die Deutschen verärgern könnte. »In der Note wird die schlechte Behandlung der Juden hervorgehoben, derer man die Deutschen bezichtigt. Dies mag ja sogar zutreffen – aber sollte man das in einer diplomatischen Note so offen aussprechen?« Insgesamt führte Dell’Acqua zwölf Einwände gegen Tacchi Venturis Textentwurf auf, bevor er zu seinem Fazit kam: Es sei nicht ratsam, eine

General Graziani mit Hitler und Mussolini, Führerhauptquartier, ­Ostpreußen, 20. Juli 1944.

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solche Note auszufertigen, selbst wenn ihr Inhalt dem deutschen Botschafter nur mündlich mitgeteilt werden sollte. Besser wäre es, ein weniger förmliches Gespräch mit Weizsäcker zu führen »und ihm zu empfehlen, dass die bereits ernste Lage der Juden nicht weiter verschlechtert werden sollte«. Außerdem könnte man über einen Mittelsmann »ein Wörtchen mit Marschall Graziani wechseln, sodass die Regierung der Republik mit Umsicht vorgeht«. Der Monsignore beschloss seine Empfehlungen mit einem letzten Vorschlag, der seine Verstimmung über die andauernden Hilferufe der Juden an den Papst erkennen lässt: »Wichtig wäre auch, dass man die jüdischen Signori einmal wissen ließe, sie sollten ein bisschen weniger reden und mit großer Umsicht handeln.«34 Nachdem der Papst die beiden Memoranden für und gegen einen derartigen Appell an den deutschen Botschafter bedacht hatte, entschied er sich für die Seite Dell’Acquas und damit für die Beibehaltung des bisherigen Kurses. Es ist nicht auszuschließen, dass er in seiner Entscheidung auch durch kürzlich eingegangene Nachrichten beeinflusst wurde.35 Mussolini hatte demnach befohlen, »Mischfamilien« von der Deportation aller Juden auszunehmen, und es schien, dass weitere solche »Modifikationen« zumindest in Betracht gezogen würden. Damit war die Sache erledigt. Im Lauf der nächsten Monate wurden in Rom Hunderte weitere Juden aufgespürt, festgenommen und nach Norden in den Tod geschickt, und dazu noch Tausende mehr aus Norditalien. Dem Papst erschien es am besten, sich nicht dazu zu äußern.36

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Kapitel 36

Verrat

A

ls das Jahr 1944 anbrach, fand sich Galeazzo Ciano, Mussolinis Schwiegersohn, langjähriger Außenminister und – bis vor Kurzem jedenfalls – Botschafter beim Heiligen Stuhl, in einer kalten Gefängniszelle in Verona wieder. Die Anklage lautete auf Hochverrat. Als der König am 25. Juli 1943 den Diktator entmachtet hatte, stand Ciano vor einem Dilemma. Mehrere Faschistenführer waren nach Deutschland geflohen, weil sie die Festnahme durch die neue italienische Regierung fürchteten. Farinacci war einer von ihnen. Für diejenigen jedoch, denen die Deutschen die Schuld am Sturz Mussolinis gaben – und Ciano war einer von ihnen – , erschien Deutschland als ein ziemlich riskantes Fluchtziel. Ende Juli stand Ciano schließlich unter Hausarrest, Carabinieri bewachten seine Wohnungstür. Seine Frau Edda wandte sich an den Vatikan und bat um Asyl für sich und ihre Familie, doch war die Situation ­derart heikel, dass der Papst lieber nicht als Beschützer eines Mannes dastehen wollte, der zu den meistgehassten in ganz Italien zählte. Dino Alfieri, einer der faschistischen Anführer, die in Rom noch auf freiem Fuß waren, besuchte Ciano in dessen häuslichem Arrest. Ciano umarmte seinen alten Kameraden und brach dann, als er auf seinen inhaftierten Schwiegervater zu sprechen kam, in Schluchzen aus: »Er war ein großer Mann, ein wahres Genie!« Dann betrat Edda das Zimmer. Sie wirkte, wie Alfieri sich später erinnerte, »blass, abgemagert, die Lippen bleich, ihre großen, sonst stets leuchtenden Augen eingefallen und traurig verhangen. … Zum ersten Mal erschien sie mir als eine einfache, arme Frau«. Obwohl das Paar sich schon seit Jahren auseinandergelebt hatte, sollte Edda in den folgenden Monaten zur hartnäckigen Verteidigerin ihres Ehemannes werden.1 446

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Spanien war für Mussolinis Schwiegersohn ein verlockenderes Fluchtziel, zumal er bei dem erfolgreichen Staatsstreich Francos eine Rolle gespielt hatte. Das Problem war nur, wie er dorthin gelangen sollte. Im August beging Ciano dann, verzweifelt wie er war, einen Fehler, der sich als fatal erweisen sollte: Er nutzte deutsche Kontakte, um eine Fluchtmöglichkeit für sich und seine Familie zu arrangieren. Hitler, dessen Zustimmung für diesen Plan erforderlich war, war Edda stets sehr zugeneigt gewesen, ihrem Mann hingegen überhaupt nicht. Zunächst willigte er deshalb nur ein, Edda und ihre Kinder nach Deutschland kommen zu lassen, offenbar in der Erwartung, dass sie froh sein würde, sich von dem Mann lossagen zu können, der ihren Vater verraten hatte. Als Edda allerdings darauf bestand, auch ihren Gatten mitzubringen, erlaubte Hitler widerstrebend auch dies. Ihre Flucht war dramatisch. Am frühen Morgen des 27. August zog Edda ihren Kindern zwei Sätze Kleidung an und verließ mit ihnen die Wohnung der Familie in dem vornehmen Wohnviertel Parioli im Norden der Stadt. »Tut so, als würden wir spazieren gehen«, sagte sie zu ihnen. Auf einer nahe gelegenen Piazza hielt neben ihnen plötzlich eine schwarze amerikanische Limousine, in der zwei Deutsche saßen. Edda und die Kinder stiegen ein und der Wagen raste davon. Zur selben Zeit verließ Ciano das Wohnhaus der Familie, eine große Sonnenbrille auf der Nase, und sprang, bevor die Carabinieri reagieren konnten, in einen Lieferwagen, der mit offener Heckklappe langsam vorbeifuhr. Bis heute ist nicht ganz geklärt, ob die wachhabenden Polizisten von den Deutschen bestochen worden waren, damit sie Ciano entkommen ließen. Eugenio Di Rienzo hat in seiner Ciano-­Biografie kürzlich die alternative Theorie aufgestellt, die italienischen Behör­den seien in Cianos Fluchtpläne eingeweiht gewesen und hätten diese sogar unterstützt. Di Rienzo zufolge befürchteten die neuen Machthaber, dass Ciano, falls er den Alliierten in die Hände fiele, detaillierte Beweise für das stillschweigende Einverständnis des Vatikans und der italienischen Monarchie mit dem faschistischen Regime liefern könnte.2 Die beiden Wagen mit der Familie Ciano erreichten schließlich einen Innenhof irgendwo in Rom, wo bereits ein geschlossener Lastwagen der Wehrmacht wartete, der sie zum Flugplatz der Stadt bringen sollte. Dort 447

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wiederum wartete eine Junkers Ju 52 (»Tante Ju«) der deutschen Luftwaffe mit laufenden Motoren, bereit zum Abflug nach München. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland beschaffte sich Ciano einen falschen Schnurrbart und eine Brille, dazu einen Pass, der ihn als Argentinier italienischer Abstammung auswies. Edda wurde durch ihren neuen Pass zu Margaret Smith, einer in Schanghai geborenen Engländerin. Mussolini traf zwei Wochen nach seiner Tochter in München ein. ­Hitler, der zum ersten Mal seit der Befreiung des Duces mit diesem zusammenkam, legte ihm nahe, dass die neue italienische Regierung unverzüglich Todesstrafen gegen die Verräter des Großrats verhängen müsse. Den Grafen Ciano hielt Hitler für einen vierfachen Verräter: einen Verräter an seinem Land, am Faschismus, am Bündnis mit Deutschland und an seiner Familie.3 Am besten wäre es, fügte Hitler hinzu, wenn die Todesstrafe in Italien vollstreckt würde. Die Aussicht, den Vater seiner Enkelkinder hinrichten zu lassen, war Mussolini zuwider – aber Hitler blieb hart. Am 10. Oktober 1943 eskortierten zehn SS-Männer Ciano an Bord eines Flugzeugs mit Ziel Verona. Bei seiner Ankunft wurde er von Milizionären der Italienischen Sozialrepublik in Empfang genommen. Diese teilten Ciano mit, dass er unter Arrest stehe, und brachten ihn in ein Kloster aus dem 16. Jahrhundert, das nun als Gefängnis genutzt wurde. Dort waren Zellen für alle Männer vorbereitet worden, die in der Sitzung des Faschistischen Großrats am 24. Juli gegen Mussolini gestimmt hatten. Ciano wurde einer entwürdigenden Leibesvisitation unterzogen und durfte lediglich ein kleines Marienbild behalten, das er stets bei sich trug, sowie Fotografien von Edda und seinen Kindern. Die nächsten Wochen brachte er damit zu, auf seinen Prozess zu warten, der, wie er wusste, nur ein einziges Ergebnis haben konnte.4 Edda kehrte mit den Kindern nach Italien zurück, um ihren Vater um Gnade für Ciano zu bitten. Sie drohte Mussolini sogar damit, dass sie im Fall einer Hinrichtung das Tagebuch Cianos veröffentlichen werde, das voller peinlicher Enthüllungen steckte. Mussolini, der ob seiner Machtlosigkeit in verzweifelter Stimmung war und vielleicht spürte, dass sein eigenes Ende nicht fern war, sagte ihr nur, dass er die Sache nicht mehr in der Hand habe. Für die Erzfaschisten, die in der neuen republikanischen Regierung das Sagen hatten, war Ciano ein Verräter. Sie wollten sei448

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Edda Mussolini mit ihren Kindern, 1938.

nen Kopf. Würde Mussolini nun zugunsten seines Schwiegersohnes intervenieren, meinte er, erschiene das in den Augen sowohl seiner eigenen faschistischen Anhänger als auch in denen der Deutschen, auf die er angewiesen war, als ein Zeichen unverzeihlicher Schwäche. Edda blieb in der Nähe und bemühte sich weiter um die Freilassung ihres Mannes, während Freunde bereits eine Fluchtgelegenheit für ihre drei Kinder arrangierten. Am späten Abend des 12. Dezember – es war der zehnte Geburtstag ihrer Tochter Raimonda – wurden die drei über die Grenze in die Schweiz geschmuggelt und verbrachten ihre erste Nacht dort in der Residenz des Bischofs von ­Lugano. Nachdem man ihr nur ein einziges Mal erlaubt hatte, ihren Mann in seiner Gefängniszelle zu besuchen, und ihre wiederholten Drohungen, Cianos Tagebuch publik zu machen, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat449

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ten, schmiedete Edda Pläne, zu ihren Kindern in die Schweiz zu gehen. Die Deutschen waren alarmiert. Am 9. Januar 1944 erhielt die SS in Verona ein Telegramm mit neuen Anweisungen, wonach die Tochter des Herrn Mayer (der deutsche Codename für Mussolini) strengstens überwacht werden sollte. Sie könne sich frei bewegen, dürfe aber keinesfalls Schweizer Boden erreichen; ein etwaiger Fluchtversuch sei nötigenfalls mit Gewalt zu unterbinden. Nach den noch nicht ausfindig gemachten Tagebüchern von Herrn Mayers Schwiegersohn sollte gesucht werden. Noch am selben Abend entwischte Edda über die Grenze in die Schweiz, trotz aller Bemühungen der SS, sie aufzuspüren.5 Am 10. Januar wurde Ciano nach einem dreitägigen Prozess, den ein Sondergericht der Italienischen Sozialrepublik in einer Festung am Ufer der Etsch in Verona durchgeführt hatte, des Hochverrats für schuldig befunden. Er war an einer Verschwörung beteiligt gewesen, urteilte das Gericht, deren Ziel Mussolinis Entmachtung gewesen war. Zusammen mit vier weiteren Mitgliedern des Faschistischen Großrats, die bei jener schicksalhaften Sitzung gegen Mussolini gestimmt hatten, wurde er zum Tod durch Erschießen verurteilt. Mussolini erfuhr von der Verurteilung seines Schwiegersohns in seiner Residenz am Gardasee. Er nahm die Nachricht zumindest äußerlich mit Fassung auf, machte aber den Eindruck eines Mannes, der in den letzten Nächten nicht gut geschlafen hatte. Auch seine Magenschmerzen, die zwischenzeitlich nachgelassen hatten, waren zurückgekehrt. An diesem Abend besuchte der Gefängnisgeistliche die zum Tode Verurteilten, die beichten und die heilige Kommunion empfangen wollten. Er blieb die ganze Nacht bei ihnen, während die Männer Erinnerungen an ihre Leben und ihre Familien austauschten. Um 6 Uhr morgens schlug die Glocke im Turm einer nahe gelegenen Klosterkirche. Der älteste der verurteilten Männer, Marschall Emilio De Bono, der bei dem faschistischen Marsch auf Rom, der Mussolini 1922 an die Macht gebracht hatte, einer der vier Anführer gewesen war, hörte das Läuten und erhob sich. Sie sollten nun, schlug er vor, alle der Muttergottes einen letzten irdischen Gruß entbieten, bevor sie sie im Paradies wiedersehen würden. Im Wechsel mit dem Geistlichen begannen die Männer, das Angelus-Gebet zu sprechen: 450

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Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist. Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit dir …6

Bald wurden die Männer in einen Polizeiwagen gesetzt und zu einer Festung in der Nähe gebracht. Der 77-jährige Marschall De Bono, der 1935 die italienischen Truppen in der ersten Phase des Abessinienfeldzugs befehligt hatte, stieg als Erster aus dem Wagen. Unverkennbar leuchtete sein weißer Spitzbart zwischen seinem dunklen Anzug und dem schwarzen Hut hervor. Ihm folgte Ciano, der gegen die Kälte einen grauen Mantel übergeworfen hatte. Man eskortierte die Männer auf ein angrenzendes Feld, wo sie sich mit verbundenen Augen rittlings auf wackelige Holzstühle setzen mussten, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Das auf die Schnelle zusammengetrommelte Exekutionskommando stellte sich in zwei Reihen auf. Fünf Kugeln trafen Ciano im Rücken, aber er starb nicht sofort. Auch andere wanden sich noch auf dem Boden neben ihren umgekippten Stühlen,

Die Erschießung Galeazzo Cianos, Verona, 11. Januar 1944.

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weshalb die Soldaten den Befehl erhielten, noch eine Salve auf die blutenden Körper abzufeuern. Irgendwie gelang es Ciano, immer noch ein Wimmern hervorzubringen: »Oh, Hilfe, Hilfe!« Der Offizier, der das Erschießungskommando befehligte, ging mit gezogenem Revolver zu ihm hinüber und schoss ihm eine Kugel in den Kopf. »Es war eine einzige Schlächterei«, erinnerte sich ein deutscher Diplomat, der die Hinrichtung als Augenzeuge miterlebte.7 Am ersten Tag des Jahres 1944 hatte der Papst erfahren, dass Mussolinis Regierung Francesco Babuscio, den geschäftsführenden Leiter der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl, ersetzen wollte. Seit Monaten schon hatte sich Babuscio in der delikaten Situation befunden, dass niemand genau wusste, welche der beiden verfeindeten Regierungen Italiens er eigentlich vertrat. Nachdem es ihm im Dezember gelungen war, einen ersten geheimen Kontakt zur königlichen Regierung im Süden zu knüpfen, hatte er sein Botschaftsgebäude auf stadtrömischem Boden verlassen und war in die Vatikanstadt umgezogen. Dieser Schritt kam bei der faschistischen Regierung nicht gut an, und sie sprach ihm seine Abberufung aus. Um eine direkte Konfrontation mit dem Vatikan zu vermeiden, sollte er offiziell »aus medizinischen Gründen« ausscheiden.8 Dem Papst war nicht daran gelegen, die Entscheidung darüber zu forcieren, welche italienische Regierung die bestehende Botschaft beim Heiligen Stuhl repräsentierte. Also ließ er einen Mitarbeiter des vatikanischen Staatssekretariats, Monsignore Testa, einen Kollegen im italienischen Außenministerium aufsuchen, der sich noch in Rom auf seinem Posten befand. »Ich bin gerade wieder mit unserem Freund, dem Monsignore [Testa], zusammengetroffen«, meldete der Beamte. »Er teilte mir mit, der Heilige Vater lasse uns ausrichten: ›Ich bete darum, dass sie nicht darauf bestehen, offiziell Stellung zu beziehen.‹«9 Einige Tage darauf ließ die faschistische Regierung dem Papst ihre Antwort zukommen: »In Übereinstimmung mit den ausdrücklichen Anweisungen des Regierungschefs hat das Außenministerium sich seit dem 8. September bemüht, jegliches Verhalten zu vermeiden, welches die Aufmerksamkeit auf die Frage der Beziehungen zwischen der republikanischen Regierung und dem Vatikan lenken könnte.« Indem er seine Bot452

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schaft verlassen und sich in den Vatikan begeben hatte, war Babuscio es gewesen, der diese delikate Balance zerstört hatte. Monsignore Testa regte an, Babuscio zum Verzicht auf seinen Posten aufzufordern, »zum Besten des Heiligen Stuhls, dem er ja immer dienen will, wie er sagt. Er könnte … einen Vorwand finden, um seine Tätigkeit zu beenden.« Wenn Babuscio die Entscheidung als seine eigene darstellte, meinte der Monsignore, »entginge der Heilige Stuhl der Gefahr eines lautstarken Zerwürfnisses mit der republikanischen Regierung, wie auch der Gefahr, dieselbe Regierung [offiziell] anerkennen zu müssen«. Babuscio weigerte sich jedoch, von seinem Posten zurückzutreten. Am Ende war es die Regierung Mussolini, die einen Rückzieher machte, weil man es für das Beste hielt, die gegenwärtige unklare Situation zu belassen, wie sie war. Babuscio sollte die nächsten Monate also in seinem neuen Zuhause in der Vatikanstadt verbringen.10 Nach der Erschießung Cianos fühlte Mussolini sich zunehmend elend. Hätte er versucht, den Vater seiner Enkelkinder vor dem Tod zu retten, wäre er seinen faschistischen Anhängern und deutschen Verbündeten als ein Schwächling erschienen; aber es zuzulassen, dass der Ehemann seiner Tochter als Verräter hingerichtet wurde, war kaum weniger demütigend. Und jetzt weigerte sich Edda, sein Lieblingskind, das ihm in vieler Hinsicht so ähnlich war, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, und war sogar – eine weitere Peinlichkeit – in die Schweiz geflüchtet. Clara, die mit Edda schon lange auf Kriegsfuß stand, tat, was sie konnte, um die Stimmung ihres Geliebten zu heben. Er müsse wieder wie ein »echter Diktator« auftreten, meinte sie.11 Auch überschüttete sie ihren »Ben« mit detaillierten politischen Ratschlägen, oft vermischt mit Vorwürfen, weil er sie nicht ausreichend wertschätze. Unter den Zielen ihrer Tiraden waren sowohl Juden als auch »Plutokraten« prominent vertreten. Es war ganz so, wie zwei Historiker, die sich intensiv mit Clara Petacci beschäftigt haben, es formulierten: »Wäre sie keine Frau gewesen, würde Clara ganz dem Bild des ›neuen Italieners‹ entsprechen, der nach faschistischer Vorstellung Italien erneuern sollte.« Tatsächlich ließ Clara nicht locker, Mussolini zu einer »harten Linie« zu ermahnen, damit er den Italienern die faschistische Haltung nötigenfalls einprügeln und sich auch Hitler gegenüber 453

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stärker behaupten könne (der, wie sie versicherte, gleichwohl sein großer Unterstützer und Freund sei).12 Einen gewissen Eindruck von Mussolinis damaligem Gemütszustand – oder zumindest davon, wie seine Tochter ihn einschätzte – erhält man aus einem Memorandum des US-Geheimdienstes, das kurz nach Eddas Ankunft in der Schweiz entstand. Darin wird Edda mit den Worten zitiert, ihr Vater sei »überzeugt, dass alles vorbei und nichts mehr zu machen« sei. Er sei ein »Gefangener der Deutschen und der Neofaschisten, und die Letzteren haben für ihn nichts übrig. Seine Autorität ist tot. Er ist kraftlos, niedergeschlagen, krank und verbittert, weil ihn selbst seine engsten Freunde im Stich gelassen haben.«13 Eine gewisse Bestätigung dieser Einschätzung liefert ein Brief, den Mussolini am 4. Februar 1944 an Clara schrieb: »Ich bin eine Art podestà [Bürgermeister] einer größeren Stadt mit äußerst beschränkten Machtbefugnissen. Ein Staat ohne Waffen ist doch eine Farce! Der Papst ist unendlich besser bewaffnet als ich. Selbst die Palatingarde, diese letzte Zuflucht aller adligen Drückeberger, verfügt über ihre eigenen Waffen und leichte Artillerie, wenn man den Zeitungen glauben darf. Ich habe noch immer nichts. … Ja, ich bin ein ›lebender Leichnam‹. … Ich bin ein lebender, lächerlicher Leichnam. Lächerlich vor allem.«14 Später im selben Monat machte Mussolini jenem Selbstmitleid Luft, das in den Monaten der »Marionettenregierung« aus vielen seiner Briefe an Clara spricht. Seit jener verhängnisvollen Sitzung des Faschistischen Großrats im vergangenen Juli, schreibt er da, »bin ich tot. … Meine Autorität liegt von Tag zu Tag mehr in Trümmern. Mein Ansehen ebenso. Ich war mal wer. Selbst wenn sie mich am Tower von London aufgehängt hätten, wäre ich noch wer gewesen. Jetzt bin ich ein Nichts. … Das Einzige, worüber ich jetzt noch befehle, ist die Friedhofspolizei«. Indem der gestürzte Diktator Clara mit solchen Klagen überhäufte, würde er natürlich (wie er genau wusste) neue Bemühungen zur Hebung seiner Stimmung heraufbeschwören, wie Clara sie noch am selben Tag unternahm. Es war ein typischer Versuch, ihn aus seiner lähmenden Resignation zu reißen: »Wirf die Düsternis ab, die dich umgibt, erlange deine Kraft und Energie zurück, deinen Willen. Nicht die Ereignisse sollten dich beherrschen, sondern du die Ereignisse.«15 454

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So verzweifelt war der Duce, dass er einen Priester kommen ließ, Pater Giusto Pancino, der seiner Tochter eine Nachricht übermitteln sollte. Der Pater hatte Edda kennengelernt, als sie einige Wochen als Krankenschwester bei den italienischen Truppen in Albanien verbracht hatte, wo er als Feldkaplan eingesetzt gewesen war. Mussolini wollte die Zuneigung seiner Tochter zurückgewinnen, weil er befürchtete, dass sie ihn nun, nach der Erschießung ihres Mannes, hassen könnte. Um Edda aufzuspüren und seine Mission zu erfüllen, würde der Priester die Unterstützung des Vatikans benötigen, weshalb er zunächst nicht nach Norden, sondern südwärts nach Rom reiste.16 Nachdem es Pater Pancino gelungen war, ein Treffen mit Monsignore Tardini zu arrangieren, konnte er diesem eine dramatische Geschichte erzählen. Mussolini wolle Edda davon überzeugen, dass nicht er für den Tod ihres Mannes verantwortlich sei, sondern die Deutschen alle Schuld daran trügen. Mussolini habe erklärt, er habe seinen Schwiegersohn begnadigen wollen, doch die Deutschen hätten die Übermittlung seiner Entscheidung so lange hinausgezögert, bis es zu spät gewesen sei. Als der Duce ihm davon berichtet habe, erzählte Pancino, sei er in Tränen ausgebrochen. Auch hatte der Priester etwas bei sich, das er Edda überbringen sollte: das kleine Andachtbuch über die Nachfolge Christi, das ihr getöteter Ehemann stets bei sich getragen habe. Tatsächlich hatte Ciano es bei sich gehabt, als er erschossen wurde. Pater Pancino bat Tardini um ein Empfehlungsschreiben an den Nuntius in Bern, dessen Kontakte es ihm ermöglichen würden, Edda zu finden. Tardini versprach, sein Möglichstes zu tun, und gab Pancino eine geprägte Briefkarte des vatikanischen Staatssekretariats mit, die eine schlichte, absichtlich vage gehaltene Botschaft an den Nuntius enthielt: »Der Priester Giusto Pancino kommt in die Schweiz, um ein Werk der Nächstenliebe zu vollbringen, das er Ihnen mündlich erläutern wird. Versuchen Sie, ihm behilflich zu sein.« Tardini nutzte den Besuch des Paters, um ihm eine Nachricht für Mussolini mitzugeben, die er ihm auf seinem Weg in die Schweiz würde ausrichten können: Mussolini sollte erfahren, dass auch dem Heiligen Stuhl Eddas Wohlergehen am Herzen gelegen habe. Im Vatikan wusste man bereits, dass sie wohlbehalten in der Schweiz angekommen war, kannte je455

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doch ihren Aufenthaltsort nicht. Außerdem ließ Tardini Mussolini wissen, dass der Heilige Stuhl in den Wochen, die auf seine Festnahme im vorigen Sommer gefolgt waren, regen Anteil an dem Wohlergehen seiner anderen Familienmitglieder genommen habe. Obwohl er offenkundig das Wohlwollen des Duces gewinnen wollte, konnte sich Tardini eine Spitze doch nicht verkneifen: Sagen Sie ihm, meinte der Monsignore, dass sich Italien heute nicht in einer derart trostlosen Lage befände, wenn er nur auf die Mahnung Pius’ XI. gehört hätte, das Schicksal seines Landes nicht mit dem der Nazis zu verbinden. Und selbst wenn Mussolini seine Tochter vielleicht davon überzeugen mochte, dass er keine Schuld an der Hinrichtung ihres Mannes trug, fügte Tardini noch hinzu, werde ihm das in ganz Italien niemand sonst abkaufen.17 Dank der Hilfe von Monsignore Tardini und Nuntius Bernardini in der Schweiz konnte Pater Pancino seine Mission für den Duce schließlich erfüllen. Mussolini habe ihn in der Absicht in die Schweiz entsandt, erklärte Pancino dem Nuntius, eine »Wiederannäherung« an seine Tochter zu erreichen, die »nach dem Tod ihres Ehemannes einen Hass auf ihre gesamte Familie empfindet«. Am Ende sollte das ganze Unterfangen dem gestürzten Duce aber nur wenig Befriedigung bringen. Edda nutzte die Gelegenheit, um Pancino einen Brief an ihre Schwiegermutter mitzugeben, der die Bitte enthielt, Ciano neben dem Grab seines Vaters beisetzen zu lassen und regelmäßig für frischen Blumenschmuck zu sorgen. Die Nachricht, die sie dem Priester für ihren Vater auftrug, war knapp: »Sagen Sie ihm, dass er mir leid tut und dass er seine jetzige Stellung aufgeben sollte, der es völlig an Autorität und Prestige mangelt.«18 Am 21. Januar 1944 begann eine neue Offensive der Alliierten. Achtundzwanzig Zerstörer, 103 weitere Kriegsschiffe und 241 Landungsboote liefen aus dem Hafen von Neapel aus, nahmen Kurs nach Norden und erreichten kurz nach Mitternacht den vorgesehenen Brückenkopf bei Anzio, sechzig Kilometer südlich von Rom. Alliierte Kampfflugzeuge flogen 1200 Einsätze, um die Landung von mehr als 36 000 Soldaten und 3000 Fahrzeugen zu decken, die allein an diesem ersten Tag den Strand erreichten. Die Deutschen waren anfangs überrumpelt, und die Gegend war nur leicht verteidigt. Bisweilen liest man, die Alliierten hätten mit einem entschiedeneren 456

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Vorgehen rasch bis in die Albaner Berge im Norden vorstoßen können, womit die deutschen Nachschublinien unterbrochen worden wären, und hätten die Deutschen kurzerhand aus Rom vertreiben können. Doch der Befehlshaber über die Landungsoperation war vorsichtig und konnte kaum glauben, dass die Gegend um Anzio tatsächlich nur so schlecht verteidigt sein sollte. Während die Alliierten sich also im Lauf der nächsten beiden Tage in ihrem Brückenkopf am Strand von Anzio eingruben, holten die Deutschen in Windeseile Verstärkungen herbei und bezogen Stellungen auf den Hügeln über Anzio. Von dort aus konnte die deutsche Artillerie auf die alliierten Truppen hinabfeuern und fügte diesen schwere Verluste zu. Siebentausend alliierte Soldaten liegen auf dem großen Friedhof nahe beim Strand begraben: ein Meer von weißen Kreuzen, gesprenkelt mit Davidsternen, das noch heute viele Besucher anzieht.19 Auch wenn die Landung bei Anzio dem Vatikan neue Hoffnung machte, dass Rom schon bald befreit werden könnte, war sie doch auch mit neuen Ängsten verbunden. Besonders unliebsam war der Aufruf der Alliierten, die Einwohner von Rom sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um die deutsche Besatzungsarmee zu schwächen: »Für Rom und alle Italiener ist die Stunde gekommen, auf jedem möglichen Weg und mit aller Kraft zurückzuschlagen. Sabotiert den Feind. Versperrt seine Rückzugswege. Zerstört seine Kommunikation bis auf den letzten Draht. Wehrt euch überall gegen ihn, setzt den Kampf unermüdlich … fort.« Wie die Vertreter des Vatikans den deutschen Besatzern immer wieder versicherten, redeten sie den Italienern ins Gewissen, damit diese die Appelle der Alliierten ignorierten. Ein solcher Widerstand, so ihr Argument, würde nur weiteres Blutvergießen nach sich ziehen. Ob nun aufgrund dieses kirchlichen Ratschlags oder aus eigener Abneigung: Nur eine bescheidene Anzahl tapferer Römer beteiligte sich an der Art von Sabotageakten, zu denen die alliierte Propaganda aufrief. Ein Aufstand, wie ihn die Alliierten erhofften, war weit und breit nicht in Sicht.20 Der alliierte Vormarsch löste beim Papst noch eine andere Befürchtung aus: Vier Tage nach der Landung bei Anzio ließ er Kardinal Maglione dem britischen Gesandten Osborne eine dringende Mitteilung übergeben. Osborne leitete diese noch am selben Tag nach London weiter: »Kardinalstaatssekretär ließ mich heute zu sich kommen, um mir die Hoffnung des 457

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Papstes mitzuteilen, dass keine farbigen alliierten Truppen unter den wenigen Truppen sein würden, die nach der Besetzung in Rom stationiert sein würden. Er beeilte sich hinzuzufügen, dass der Heilige Stuhl zwar die Menschheit nicht nach der Hautfarbe einteile, aber dennoch hoffe, dieser Bitte könne entsprochen werden.« Aus den Akten des britischen Außenministeriums wissen wir, dass diese päpstliche Bitte für Aufmerksamkeit auf höchster Ebene sorgte: Sie erreichte sogar Außenminister Anthony Eden. Dieser sandte wiederum eine Abschrift an Lord Halifax, den britischen Botschafter in Washington, mit der Bitte, die amerikanischen Verbündeten hierauf aufmerksam zu machen.21 Die ohnehin schon entsetzliche Lage der italienischen Juden verschlimmerte sich weiter, denn immer mehr Personen wurden bei Razzien festgenommen, die nicht selten von italienischen Polizisten oder Milizionären durchgeführt wurden, und nach Norden in die deutschen Vernichtungslager geschickt. Im Februar begann Pietro Caruso, der erst kürzlich ernannte Polizeichef von Rom, erneut Jagd auf Juden zu machen – mit dem Ergebnis mehrerer Hundert weiterer Opfer. Ihnen konnte es kein Trost mehr sein, dass Badoglios Regierung im Süden im Januar die faschistischen Rassengesetze endlich außer Kraft gesetzt hatte.22 Es war ein kalter Winter. Weil Kohle knapp war, blieben die marmorgefliesten Säle des Vatikans kalt; besonders an regnerischen Tagen war das Leben dort sehr ungemütlich. »Wir sterben vor Kälte«, beklagte sich der brasilianische Botschafter. Pius XII. hielt es für angebracht, mit der leidenden Bevölkerung Roms zu leiden, und verbot deshalb den Einsatz von Heizgeräten. Wenn der Papst einmal seine Gemächer verlassen hatte, schmuggelte Schwester Pascalina, der die froststarre Anmutung von Pius’ feingliedrigen Händen nicht entgangen war, bisweilen einen elektrischen Ofen hinein, achtete aber stets darauf, das Gerät wieder entfernt zu haben, bevor der Heilige Vater zurückkehrte. Jenseits der vatikanischen Mauern herrschte ernste Lebensmittelknappheit, patrouillierte die faschistische Polizei auf den Straßen, stets auf der Suche nach antifaschistischen Verschwörern, und griffen deutsche Soldaten Männer auf, die als Zwangsarbeiter in Richtung Norden verschleppt wurden. »Und um diese unmittelbaren Sorgen noch zu verschlimmern«, schrieb Osborne Anfang Februar nach London, »wird die Hoffnung auf 458

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raschen Entsatz durch die alliierten Landungstruppen von Tag zu Tag schwächer.«23 Als die Front sich Rom näherte, begannen alliierte Kampfflugzeuge, deutsche Konvois in den Albaner Bergen südlich der Stadt unter Beschuss zu nehmen. Am 1. Februar schlug eine fehlgeleitete Bombe in ein Konventsgebäude gleich neben der päpstlichen Residenz in Castel Gandolfo ein und tötete siebzehn Nonnen. Am nächsten Tag fielen Bomben auf das päpstliche Anwesen selbst, wobei eine weitere Person zu Tode kam. Wie durch ein Wunder gab es keine weiteren Todesopfer, denn Tausende hatten auf päpstlichem Grund oder in der Nähe Zuflucht gesucht in dem Glauben, hier vor alliierten und deutschen Angriffen sicher zu sein. Ein drittes alliiertes Bombardement am 11. Februar endete dann allerdings in einer Katastrophe: Die Bomben fielen auf das Areal der Papstresidenz und töteten Hunderte von Flüchtlingen. Osborne hatte seine Vorgesetzten in London unmittelbar nach der ersten Bombardierung gedrängt, solche Zwischenfälle in Zukunft unter allen Umständen zu vermeiden. Der Amerikaner Ira Eaker, der als Luftwaffengeneral für die Angriffe verantwortlich zeichnete, rechtfertigte sich in seiner Antwort an das britische Außenministerium: »Dieses Gebiet«, schrieb er am Tag nach dem ersten Angriff, »liegt inzwischen mitten in der Kampfzone und umfasst Straßen, die hochwichtige Nachschublinien darstellen. Ich habe diese Sache mit [Harold] Alexander [dem Oberkommandierenden der britischen Truppen in Italien, die sich langsam gen Norden vorankämpften] besprochen, und er ist der Auffassung, dass wir das Gelingen unseres Vorstoßes auf Rom nicht aufs Spiel setzen sollten, indem wir dem Feind mitten auf dem Schlachtfeld ein sicheres Refugium lassen.«24 Am Abend des 3. Februar 1944 umstellten republikanisch-faschistische Polizisten in Zivil die im Süden Roms unweit des Tibers gelegene Papstbasilika Sankt Paul vor den Mauern. Die Kirche, eine der vier großen Basiliken der Ewigen Stadt, in der Größe nur vom Petersdom selbst übertroffen, war im 4. Jahrhundert n. Chr. über dem Grab des Apostels Paulus errichtet worden. Eine halbe Stunde vor Mitternacht, als alles ruhig war, kletterte ein Stoßtrupp der Polizei über eine Mauer im hinteren Teil des Komplexes. Seit dem Inkrafttreten der Lateranverträge 1929 besaß Sankt 459

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Paul vor den Mauern einen extraterritorialen Status und wurde von Mitgliedern der Palatingarde bewacht. Als eine Wache sah, wie die ersten Gestalten in schwarzen Hemden über die Mauer geklettert kamen, gab der Mann mit seinem Gewehr einen Warnschuss in die Luft ab und rannte los, um seinen Vorgesetzten zu alarmieren. Als der sich kurz darauf den Eindringlingen entgegenstellte, entwaffneten diese ihn kurzerhand. Zur selben Zeit läutete die Glocke am vorderen Eingang der Basilika, worauf der Pförtner erschien und zunächst durch die verschlossene Tür fragte, wer da sei. Eine Stimme antwortete, dass hier zwei Mönche aus Florenz seien, die um Obdach für die Nacht bäten. Als der Pförtner nach kurzem Zögern die Pforte entriegelte, drang sofort ein Trupp von Männern mit gezogenen Pistolen ein, wobei einer die rätselhaften Worte rief: »Wir wissen alles!« Nachdem die Eindringlinge ein weiteres Mitglied der Palatingarde zu Boden geworfen und ihm sein Gewehr abgenommen hatten, begannen sie, mittlerweile etwa hundert Mann an der Zahl, an die Türen der Räume zu schlagen, in denen Flüchtlinge schliefen. Sie stießen die einen mit dem Gewehrkolben in die Magengrube und feuerten in die Luft; andere bearbeiteten sie mit den Fäusten. Schließlich führten sie ihre verschreckten Opfer in zwei große Räume, um sie zu verhören. Die Mönche, die sich ihnen in den Weg stellen wollten, überschütteten sie mit Beschimpfungen. Die Habseligkeiten der Flüchtlinge wurden durchwühlt und die Beute – von Uhren und Mänteln bis zu Zucker und Kaffee – gierig aufgeteilt. »Sie sind eine Schande für die ganze Priesterschaft«, fuhr einer der Polizisten den Benediktinerabt an, »verstecken hier Juden und Drückeberger und schauen zu, wie subversive Zeitungen zirkulieren …« Als die Eindringlinge Stunden später wieder abrückten, führten sie Dutzende von Menschen ab, die im Kloster Zuflucht gesucht hatten. Einige von ihnen waren Juden, andere hatten dem Dienst in der faschistischen Armee entgehen wollen, und einer – der dickste Fang – war ein italienischer Luftwaffengeneral, der trotz seiner Verkleidung als Mönch entdeckt worden war. Pietro Caruso, Roms Polizeichef, war während der gesamten Razzia anwesend, hielt sich jedoch im Hintergrund. Der berüchtigte Pietro Koch war der Mann, der die Operation leitete und im Inneren der Basilika die Be460

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fehle gab. Koch war ein glühender Faschist, der sich als Anführer einer Schlägertruppe einen Namen gemacht hatte, die auf Einschüchterung, Folter und Mord spezialisiert war. Er war dafür bekannt, dass er mit dem größten Vergnügen den deutschen Besatzern dabei zur Hand ging, versteckte Juden aufzuspüren.25 Als der Papst am frühen Morgen von dem Überfall auf die Basilika erfuhr, reagierte er mit Empörung. Den ganzen Tag über feilten die Mitarbeiter des vatikanischen Staatssekretariats an einer Protestnote, die dem deutschen Botschafter überreicht werden sollte. Um halb neun Uhr abends meldete sich Pater Pfeiffer, der stets um Glättung der Wogen bemühte Mittelsmann des Vatikans im Kontakt mit dem deutschen Militär, telefonisch im Staatssekretariat. Die deutsche Stadtkommandantur habe erklärt, nichts mit dem Überfall zu tun zu haben, teilte der Pater mit. Schon der Vorwurf treffe die Deutschen vielmehr schwer, weshalb sie spekulierten, dass die Schändung der Basilika tatsächlich ein Sabotageakt gewesen sein könnte, der sie diskreditieren sollte.26 Am nächsten Morgen traf sich Kardinal Maglione mit dem Papst, um den endgültigen Entwurf des Protestschreibens an den deutschen Botschafter zu besprechen. Sie gingen auch die Meldungen zu dem Überfall auf die Basilika durch, die im Osservatore Romano abgedruckt, von Radio Vatikan gesendet oder den diplomatischen Vertretungen beim Heiligen Stuhl zugesandt werden sollten. Kurz nach Mittag traf Botschafter von Weizsäcker ein. Er bestand darauf, dass die Deutschen von der Sache nichts gewusst hätten, und erklärte, der Angriff gehe allein auf das Konto der italienisch-republikanischen Polizei. Er warnte den Kardinal davor, eine Stellungnahme zu dem Vorfall zu veröffentlichen. Dies könnte den Eindruck erwecken, gab der Botschafter zu bedenken, dass die Deutschen doch irgendwie dafür verantwortlich gewesen seien.27 Maglione fand sich in der Defensive wieder. Wenn irgendjemand die geplante Stellungnahme des Heiligen Stuhls zu dem Überfall auf die Basilika fälschlicherweise als eine Anklage gegen die deutschen Besatzer deuten sollte, sagte er dem Botschafter, »dann wäre ich bereit, vielmals um Entschuldigung zu bitten. … Ich glaube jedoch nicht, dass ich mich unklar ausgedrückt habe, und ich bin mir sicher, dass ich nicht zugelassen habe, dass den Deutschen die Verantwortung für das Geschehene zugeschrieben 461

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wird, und das, obwohl man mich vorhin darüber informiert hat, dass ein gewisser Koch, der Polizeichef Caruso bei dieser schändlichen Aktion begleitet hat, im Beisein sowohl von Caruso selbst als auch von Vertretern des Vatikans geäußert hat, die deutschen Behörden hätten davon Kenntnis gehabt«. Dann zeigte der Kardinal dem deutschen Botschafter das an ihn gerichtete Schreiben in der vom Papst gebilligten Fassung. Darin wurde der Polizeichef von Rom als Leiter der Operation benannt; von irgendeiner Beteiligung der Deutschen war nicht die Rede. Weizsäcker signalisierte nickend sein Einverständnis, erklärte aber, dass es besser sei, wenn der Kardinal nicht darauf bestehe, dass er, Weizsäcker, das Schreiben annehme. Wozu sollte dies noch gut sein, jetzt, da er den Brief ohnehin gelesen hatte? Das könne ja nur heißen, dass er den Inhalt des Schreibens würde nach Berlin melden müssen – und dabei sei gerade überhaupt kein guter Zeitpunkt, um die harmonischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich durch ein derart unkluges Vorgehen zu gefährden. Maglione willigte ein, das Schreiben wieder in der Schublade verschwin­ den zu lassen, bat Weizsäcker jedoch, den deutschen Behörden das darin enthaltene Anliegen weiterzuleiten, dass der Vatikan für den erlittenen Schaden entschädigt werden solle und sichergestellt werden müsse, dass etwas Ähnliches in Zukunft nicht wieder vorkommen würde. Denn selbst wenn man davon ausgehe, dass hinter dem Angriff die Italiener und nicht die Deutschen steckten, sei das Deutsche Reich als Besatzungsmacht doch verantwortlich dafür, dass die öffentliche Ordnung in Rom aufrechterhalten werde und die Rechte des Vatikans respektiert würden. Bevor Weizsäcker wieder ging, brachte er noch einen eigenen Wunsch vor: Maglione möge bitte die Botschafter der neutralen Staaten darauf hinweisen, dass die Deutschen nach Überzeugung des Vatikans nichts mit dem Überfall zu tun hatten. »Das kann ich gern tun«, entgegnete der Kardinal, »wenn Eure Exzellenz einwilligen, dass ich ihnen auch von den Zusicherungen erzähle, die Sie mir gerade gegeben haben.« Weizsäcker signalisierte sein Einverständnis.28 Einige Tage darauf erhielt der Kardinalstaatssekretär einen Bericht, der seinen Verdacht bestätigte. Er stammte von Giovanni Gangemi, einem General der faschistischen Miliz, der in den vatikanischen Akten als prakti462

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zierender Katholik und Neffe einer bekannten Nonne charakterisiert wird. Dieser Gangemi berichtete nun also von einem Gespräch, das er am Tag nach dem Überfall auf die Basilika mit dem Polizeichef geführt hatte. Der General war mit dem Polizeichef gut bekannt, denn Caruso hatte noch wenige Monate zuvor unter Gangremis Kommando gedient. Als der General zu verstehen gab, für wie unglücklich er den Angriff auf die Basilika hielt, habe Caruso ihm folgendermaßen geantwortet: Die haben mich gezwungen. Schon kurz nach meiner Ernennung zum Polizeichef hat mich [Eugen] Dollmann [der Sonderbeauftragte der SS in Rom] zu sich gerufen und mir eingeschärft: ›Sie werden diese vertrauensvolle Stellung nur behalten, wenn sie unerbittlich gegen Juden, Kommunisten und Deserteure vorgehen!‹ Und vor ein paar Tagen wurde ich dann wieder zu Dollmann gerufen, der mich bedrängt hat und die Details für den Überfall auf San Paolo geplant hat und mir dann einen Mann seines Vertrauens, diesen Koch, an die Seite gestellt hat, damit meine Leute und ich auch parieren.29

Der Papst hatte zwar allen Grund, diesem Bericht Glauben zu schenken, aber er hielt es dennoch nicht für ratsam, die deutsche Verantwortlichkeit für den Überfall auf die Basilika publik zu machen.30 Der Überfall auf die Basilika hatte Pius XII. zunehmend nervös gemacht angesichts der in anderen kirchlichen Einrichtungen versteckten Juden, Deserteure und sonstigen Personen, die auf der Flucht vor den nationalsozialistischen und faschistischen Obrigkeiten waren.31 Wie die große römische Tageszeitung Il Messaggero meldete, waren in Sankt Paul neben dem bereits erwähnten Luftwaffengeneral noch vier weitere italienische Offiziere ergriffen worden, dazu neun Juden, zwei Polizeifunktionäre und 48 junge Männer, die ihrer Einberufung entgehen wollten.32 Besonders bedenklich erschien dem Papst die Anwesenheit solcher Flüchtigen auf dem Gebiet der Vatikanstadt selbst. Kurz nach dem Überfall bestellten die drei Kardinäle, aus denen sich die Päpstliche Kommission für den Vatikanstaat zusammensetzte, drei Kanoniker von Sankt Peter zu sich. Von den Priestern war bekannt, dass sie im Palazzo della Canonica, ihrem Wohnsitz 463

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gleich neben dem Petersdom, Schutzsuchende aufgenommen hatten. Präsident der Kommission war Kardinal Rossi, dessen starke Sympathien für den Faschismus allgemein bekannt waren. Er gab Anweisung, die Flüchtlinge hinauszuwerfen. Einige Tage später erstellte ein päpstlicher Kaplan für Pius XII. ein Verzeichnis derjenigen Personen, die in der Residenz der Kanoniker Unterschlupf gefunden hatten. Er begann mit denjenigen, die er in seinen eigenen Wohnräumen beherbergte: »Signor A. und seine Familie, die zwar katholischer Religion sind, aber doch nicht als Arier gelten können [d. h., sie waren getaufte Juden], und nach denen deshalb aktiv gesucht wird, um sie nach Polen zu schicken.« Dann führte er acht weitere Priester mit Namen auf, die im Gebäude Flüchtlinge aufgenommen hatten, manche davon, weil es ihnen »an arischen Vorbedingungen fehlte«, wie er es ausdrückte, andere aus politischen Gründen oder weil sie sich dem Militärdienst entziehen wollten. Als letzten Punkt der Liste vermerkte er: »Im Erdgeschoss, bei den Küstern und Sakristanen, sind etliche Personen aufgenommen worden, zumeist Juden, die schon vor Jahren getauft worden sind.« Alles in allem, hielt er fest, beherbergten die Priester des Kapitels von Sankt Peter »etwa fünfzig Individuen, die sich in großer Gefahr befinden, verhaftet und erschossen oder deportiert zu werden. Diejenigen, denen die geringste Gefahr droht, haben sich bereits aus eigenem Entschluss fortbegeben; die Verblie­ benen ziehen es vor, jeglicher Gefahr hier in der Canonica ins Auge zu sehen, im Schatten des Hauses des Vaters, den sie voller Angst und Pein anflehen: Salva nos, perimus!«33 Monsignore Tardini hielt in seinem Bericht über diese Vorgänge fest, dass die Anordnung des Kardinals zur Ausweisung der Flüchtlinge im vatikanischen Klerus für gehörigen Unmut gesorgt hatte. Am 10. Februar schließlich drängten gleich mehrere der anlässlich eines päpstlichen Konsistoriums zum fünften Todestag Pius’ XI. versammelten Kardinäle den Kardinal Rossi und seine zwei Kommissionskollegen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Rossi lehnte dies zunächst ab und verwies darauf, dass er lediglich den Anweisungen einer »höheren« Instanz – des Papstes nämlich – Folge leiste. Nach dem Bericht Tardinis bewegten die anderen Kardinäle daraufhin Kardinal Maglione dazu, Pius XII. im persön464

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lichen Gespräch zur Rücknahme seiner Anordnung zu bringen, die er ja in einem Moment nervlicher Anspannung nach dem Überfall auf die Basilika erteilt habe. So kam es dann schließlich auch.34 Als am 12. Februar 1944 erneut Bomben auf Rom fielen, war das der Beginn einer Reihe alliierter Luftangriffe, die sich über drei Tage hinziehen sollten. Wieder setzten die örtlichen Behörden – allen voran General Domenico Chirieleison, der von italienischer Seite für die Stadtverwaltung zuständig war – auf den Einfluss des Vatikans, um die Bombardierung zu stoppen. Wie schon zuvor ließ der Papst Kardinal Maglione an die Regierungen in Washington und London appellieren, die Angriffe auf das Weltzentrum des Katholizismus einzustellen. Doch obwohl in diesen Appellen wiederholt von Rom als einer »offenen Stadt« die Rede war, musste Pius XII. doch bewusst sein, dass die Stadt für die deutschen Truppen einen wichtigen Knotenpunkt darstellte. Die Tatsache, dass London zur selben Zeit unter den schweren Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe zu leiden hatte, trug auch nicht gerade dazu bei, dass die päpstliche Bitte in Großbritannien mit Sympathie aufgenommen worden wäre.35 Den größten Schaden für die Kirche richteten die alliierten Bomben jedoch weiter südlich an – und lieferten den Deutschen und ihren faschistischen Verbündeten damit eine wahre propagandistische Goldgrube. Der alliierte Vormarsch gen Norden war inzwischen an der sogenannten Gustav-Linie im Gebirgszug des Apennin zwischen Neapel und Rom ins Stocken gekommen. Die Deutschen hatten sich das Gelände zunutze gemacht, höher gelegene Stellungen bezogen und mehrmals Durchbruchsversuche der Alliierten zurückgeschlagen. Die Verluste an Menschenleben waren enorm. Nun stand mitten auf der Gustav-Linie, auf einer markanten Bergkuppe, auch das aus dem 6. Jahrhundert stammende Kloster Montecassino. Am 15. Februar 1944 warfen amerikanische Flugzeuge mehr als 1000 Tonnen Bomben auf die Anlage ab, weil die Alliierten mutmaßten, die Deutschen könnten das ehrwürdige Kloster als militärischen Stützpunkt nutzen. Doch wie sich herausstellte, hatten sich in dem Klosterkomplex, von dem kaum mehr als Schutt übrigblieb, ausschließlich Mönche und Flüchtlinge aufgehalten. Die Wehrmacht hatte das Kloster nie für ihre Zwecke genutzt.36 465

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Die Benediktinerabtei Montecassino nach der Bombardierung durch die ­Alliierten, 1944.

Kardinal Maglione zitierte den amerikanischen Gesandten Harold Tittmann zu sich und ließ seinem Ärger freien Lauf. Die Deutschen, wetterte er, hatten ihr Wort gehalten und die besondere Würde dieses unschätzbaren Heiligtums, des ältesten Klosters der abendländischen Christenheit, respektiert. Wiederholt habe die Kirche den Alliierten versichert, dass dort keine deutschen Truppen stationiert seien. Die Bombardierung sei schlicht »eine himmelschreiende Dummheit«. »Die deutsche Propaganda macht sich dieses unverhoffte Geschenk natürlich sehr zunutze«, heißt es in einem amerikanischen Geheimdienstbericht, der sechs Tage nach der Bombardierung entstand. »Eine wütende Kampagne ist angelaufen.« Auch der britische Gesandte Osborne war beunruhigt über den fatalen Luftangriff und berichtete von dem propagandistischen Nutzen, den die Deutschen aus dem Vorfall zogen. Das Ziel der »gegenwärtigen deutschen katholischen Kampagne«, schrieb Osborne an das britische Außenministerium, liege darin, die Alliierten als Feinde der katholischen Kirche hinzustellen und die Deutschen als deren Verteidiger. 466

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»Der hauptsächliche Zweck ist es, dem Vatikan durch das Drängen von Klerus und Gläubigen Daumenschrauben anzulegen in der Hoffnung, dass der Papst sich öffentlich gegen die angelsächsischen Mächte ausspricht. Hierdurch hoffen die Deutschen, das Wahlverhalten der amerikanischen Katholiken bei den kommenden Wahlen gegen den Präsidenten umschlagen zu lassen und auch die öffentliche Meinung im katholischen Spanien und in Südamerika zu beeinflussen.«37 Die Vertreter von Mussolinis Italienischer Sozialrepublik zögerten gleichfalls nicht, im Licht der Bombardierung von Montecassino sich selbst als die Verteidiger des römischen Katholizismus gegen das anglikanische England und seinen angeblich jüdisch kontrollierten amerikanischen Verbündeten darzustellen. Eine kleine Gruppe faschistisch gesinnter Prälaten im Norden des Landes stellte sich vollends in den Dienst an der Sache und lancierte – unter der redaktionellen Leitung eines Priesters – eine neue Zeitschrift mit dem Titel Crociata Italica (Italienischer Kreuzzug). Der Bombenangriff auf das Benediktinerkloster passte bestens in ihr Narrativ. Der Großteil des katholischen Klerus hielt jedoch gehörigen Abstand von Mussolinis Schwarzhemden. Viele unterstützten schließlich sogar den Widerstand gegen den Faschismus. Inzwischen war ohnehin den meisten Italienern klar, dass die faschistische Rumpfregierung sich am Ende dieses Krieges auf der Verliererseite wiederfinden würde. Zugleich sorgte das Vorgehen der faschistischen Schlägertrupps zunehmend für Empörung.38 Der einflussreichste Mann in der oberitalienischen Kirche war der Erzbischof von Mailand, Kardinal Schuster. Im weiteren Verlauf dieses Dramas sollte er eine herausragende Rolle spielen. Ein amerikanischer Geheimdienstbericht von Ende Februar 1944 wirft ein Schlaglicht auf die Situation: »In Mailand unternehmen die Neofaschisten verzweifelte Versuche, den Klerus auf ihre Seite zu ziehen oder aber durch Einschüchterung zur Kollaboration zu zwingen, jedoch mit äußerst geringem Erfolg. Der Kardinalerzbischof von Mailand, Schuster, der früher einmal mit dem Faschismus geliebäugelt hat, steht dem Neofaschismus inzwischen ablehnend gegenüber, und der katholische Klerus insgesamt, in dem der faschistische Einfluss zuvor stark war, hat eine völlige Kehrtwende vollzogen.«39 Zu sagen, Kardinal Schuster habe »mit dem Faschismus geliebäugelt«, trifft die Sache freilich nicht ganz. Tatsächlich hatte der Kardinal lange Zeit 467

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eine wichtige Rolle für die Bemühungen des faschistischen Regimes gespielt, in Oberitalien seine katholische Identität hervorzukehren. Dass er sich nun weigerte, dem neuen republikanischen Regime seinen Segen zu erteilen, ließ in dessen Führungsriege gar den Vorwurf laut werden, Schuster habe die Bewegung »verraten«. In einem »Offenen Brief an seine Exzellenz Kardinal I. Schuster«, der auf der Titelseite des Regime Fascista erschien, vergoss Farinacci reichlich Krokodilstränen. Schon vor Schusters Ernennung zum Erzbischof von Mailand im Jahr 1929, schrieb Farinacci, sei dieser ihm »ein Geistesverwandter gewesen, sowohl als Italiener wie auch als faschistischer Katholik«, und habe ihn durch seine »Worte der Bewunderung für unseren Duce und für die Arbeit, die der Faschismus leistete« erfreut. In den folgenden Jahren, erinnerte sich Farinacci, seien dann die Hoffnungen, die er in Schuster gesetzt habe, Realität geworden, und zwar durch »Ihre faschistische Betätigung, Ihre Teilnahme an den wichtigsten [faschistischen] Zeremonien, Ihre Flugreisen zu Besuchen in unseren Kolonien oder schlicht die Freude, Sie in unserer Mitte zu wissen«. Wie konnte es passieren, fragte Farinacci, dass der Erzbischof nun dem Faschismus den Rücken gekehrt hatte? Wie hatte Roosevelt ihn für sich gewinnen können – Roosevelt, dessen jüdische Seele offenbar geworden sei und der »den Papst betrogen hat, entgegen seinen feierlichen Versprechungen, und der die Katholiken auf der ganzen Welt betrogen hat? Heute zerstört er Kirchen, Seminare, Konvente und andere religiöse Einrichtungen, massakriert er den Klerus und mordet Tausende von Frauen und Kindern«. Und wie konnte es so weit kommen, fragte Farinacci den Erzbischof in seinem offenen Brief weiter, dass »Sie nichts anderes im Sinn haben, als den Priestern der Crociata Italiana mit der Exkommunikation zu drohen, die doch nur das Vaterland retten und die Kirche vor den jüdischen und kommunistischen Horden bewahren wollen?«40

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Kapitel 37

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A

m 1. März 1944 überflog ein einzelnes Flugzeug den Vatikan und warf sechs kleine Bomben ab. Drei Monate zuvor waren es vier Bomben gewesen, die den Vatikanstaat getroffen hatten. Diesmal gab es zwar keine Treffer innerhalb der Mauern, aber mehrere knapp außerhalb. »Angelsächsische Bomben auf Vatikanstadt«, lautete die Schlagzeile auf der Titelseite von Farinaccis Il Regime Fascista.1 Auch wenn die Alliierten den Angriff den italienischen Faschisten in die Schuhe schoben: Es war ein alliiertes Flugzeug gewesen, das die Bomben abgeworfen hatte. Die amerikanischen und britischen Stabschefs erhielten später im Monat diese unliebsame Meldung aus dem Hauptquartier der Royal Air Force. An dem betreffenden Abend hatte schlechte Sicht geherrscht, hieß es in dem Bericht, der in offenbar entschuldigender Absicht hinzufügte: »Flugzeugführer war Offizier McAneny, der römisch-katholischer Konfession ist.« Was also tun? Als dieser Bericht Ende März 1944 endlich vorlag, hatten die Alliierten über Wochen hinweg bestritten, für den Zwischenfall verantwortlich zu sein. Nach einem hektischen Austausch von Nachrichten zwischen London und Washington einigte man sich schließlich auf eine Art von Kompromiss: Zukünftig sollten die alliierten Stellen es sofort zugeben, wenn ein solcher Fehler unterlaufen war. »Dennoch«, rieten die britischen Stabschefs, »wäre es unklug, in diesem speziellen Fall den Fehler einzugestehen …, unnötigerweise so lange danach. Wenn wir es täten … wäre es geradezu eine Einladung für den Feind, auf jedes künftige Dementi zu erwidern: ›Wartet nur ein, zwei Monate, dann werden sie es schon zugeben!‹« Tatsächlich gestanden die Alliierten niemals offiziell ein, dass es ihre Bomben gewesen waren, die an jenem Tag im März bei469

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nahe durch die Dächer des Petersdoms und des Papstpalastes geschlagen wären.2 Zwei Tage nach dem Zwischenfall nahmen die Alliierten ihre groß angelegten Luftangriffe auf Rom wieder auf. Am 3. März flogen amerikanische Kampfflugzeuge im Tiefflug über die Stadt und konnten, da das Feuer der Flugabwehr nur spärlich war, ungehindert ihre Ziele bombardieren, darunter einen Güterzug mit Munition. Die Kette von Explosionen, die hieraus folgte, war noch eine Stunde lang zu hören. Der amerikanische Geheimdienstbericht über die Operation rühmte denn auch deren »absolute Präzision«. Weniger glücklich war man mit der Berichterstattung der vatikanischen Tageszeitung über den Angriff, die nämlich aus amerikanischer Sicht »vollkommen den Umstand übersieht, dass die Stadt von den Deutschen schamlos als Knotenpunkt ihrer gesamten militärischen Transporte genutzt wird«. Und obwohl der Luftangriff aus Perspektive des amerikanischen Militärs absolut präzise ausgeführt worden sein mag, kostete er doch Hunderte Zivilisten das Leben und zerstörte etliche Wohnhäuser. Das Fazit der amerikanischen Analyse erscheint daher in der Rückschau allzu abgeklärt: »Die Versuche der römischen Presse, aus dem Angriff propagandistischen Gewinn zu ziehen, waren nicht erfolgreich«, da »die Einwohner Roms wie üblich vollkommen teilnahmslos bleiben; ihre größte Sorge ist weiterhin, an Lebensmittel zu kommen und der Einberufung zu entgehen.«3 Am 12. März 1944 stand der fünfte Jahrestag der Papstkrönung Pius’ XII. bevor, der unbedingt würdig begangen werden sollte. Also beschloss Pius, die Gläubigen auf dem Petersplatz zusammenzurufen und von seinem Balkon aus zu ihnen zu sprechen. Weder die Alliierten noch die örtlichen faschistischen Vertreter waren allzu erfreut über diese Ankündigung. Am Tag vor dem Ereignis warnte der Polizeichef von Rom, dass »subversive Elemente« planten, die Versammlung für ihre Zwecke zu nutzen und in eine antifaschistische und antideutsche Kundgebung umzumünzen. Zugleich schlug der britische Gesandte D’Arcy Osborne die Bitte des Papstes ab, dass die Alliierten versprechen sollten, Rom an dem betreffenden Tag nicht zu bombardieren. Osborne sandte seine Antwort an Kardinal Ma­ gliones Büro: 470

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Sie sollten dem Kardinalstaatssekretariat mitteilen, dass wir zu unserem großen Bedauern nicht imstande sind, Ihnen Zusicherung zu geben, dass am Nachmittag des 12. März keine alliierten Flugzeuge über Rom fliegen werden. Sie sollten Seiner Eminenz klarmachen, dass wir keinerlei Verantwortung für die möglichen Folgen übernehmen können, sollte sich an diesem Tag eine große Menschenmenge mitten in der Kampfzone versammeln. Machen Sie deutlich, dass, wenn der Papst seinen Plan in die Tat umsetzt, dies auf sein eigenes Risiko und seine eigene Verantwortung geschieht.4

Doch Pius XII. ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. In Scharen versammelten sich die Römer auf dem Petersplatz, nachdem das Gerücht aufgekommen war, der Papst werde die Gelegenheit für eine wichtige Ankündigung nutzen. Vielleicht war es ihm ja gelungen, den Alliierten ihre Luftangriffe auf Rom auszureden? Oder hatte der Heilige Vater etwa zusätzliche Lebensmittellieferungen für seine Stadt ausgehandelt? Ja, vielleicht hatte er sogar die Deutschen dazu gebracht, mit der Einziehung von italienischen Männern zur Zwangsarbeit Schluss zu machen? Vielen erschien damals, inmitten der verheerenden alliierten Bombenangriffe und all der Drangsalierung durch Deutsche und Faschisten, der Papst als einziger möglicher Retter. Als der große Tag gekommen war, füllten Zehntausende Menschen den großen Platz vor dem Petersdom, gerahmt von Berninis eleganten Kolonnaden. Alle Augen waren auf den Balkon über dem Hauptportal der Basilika gerichtet. Davor hatten Wachen der Palatingarde Aufstellung genommen, daneben waren Priester und Seminaristen versammelt. In einer der Loggien mit Blick auf den Platz hatten Angehörige des vatikanischen diplomatischen Korps sowie diverse Würdenträger des päpstlichen Hofes Platz genommen. Während die Menge auf das Erscheinen des Papstes wartete, sang sie Kirchenlieder, und die Stimmen der vielen Menschen vermischten sich mit dem Läuten sämtlicher Glocken von Rom, die fünf Minuten lang ohne Pause schlugen. Pünktlich um halb vier Uhr am Nachmittag traten der weiß gewandete Papst und sein Gefolge auf den zentralen Balkon des Petersdoms. Der Pontifex hielt einen Moment inne, bis der Applaus und die Rufe, mit denen die Menge ihn begrüßt hatte, wieder abgeebbt waren, und begann dann zu 471

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sprechen. Schon der erste Satz war typisch für Pius XII., denn er war verschachtelt und über hundert Worte lang: Ihr, meine geliebten Söhne und Töchter, durch Verzweiflung des häuslichen Glücks beraubt und durch das gegenwärtige Unheil in die Zerstreuung gezwungen, ohne ein Zuhause, vielleicht von dem einen oder anderen Familienmitglied getrennt, oft unwissend umherziehend, ohne Kunde von jenen, an die Blut und Liebe euch umso mehr binden, voller Sorge um ihr Schicksal, wie sie sich um eures sorgen; ihr, denen der Glaube dennoch den Weg zu einem himmlischen Vater weist, der denen, die ihn lieben, versprochen hat, alles zum Guten zu wenden, selbst das Schwerste und Bitterste [vgl. Röm 8,28]; ihr seid heute hergekommen, angezogen und vorwärtsgetrieben von dem kindlichen Impuls, von dem Statthalter Christi ein Wort des Segens und des Trostes zu empfangen.

In diesem Stil fuhr Pius fort, beklagte das Leid der Menschen, gab aber auch der Zuversicht Ausdruck, dass Gott dereinst ihr Glück wiederherstellen werde. Dass der Papst den Römerinnen und Römern an diesem Nachmittag nichts Neues mitzuteilen hatte, ihnen keine frische Hoffnung mitgeben konnte, war zutiefst entmutigend. Doch als er schließlich zum Schluss seiner Rede kam und der Chor im Wechselgesang mit den Gläubigen das Kirchenlied »Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat« (Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit) anstimmte, da erhoben sich in der Menge auch Rufe: »Viva il Papa!« Die Befürchtung der römischen Polizei, es könnte zu Unruhen kommen, erwies sich als nicht gänzlich unbegründet: Nach Ende der Rede kam es auf dem Petersplatz verschiedentlich zu Handgemengen, als die enttäuschten Zuhörer der nächstgelegenen Tiberbrücke zuströmten, um auf die andere Seite der Stadt zurückzukehren. Im Vorbeigehen riefen manche Beschimpfungen gegen ein deutsches Fahrzeug, das gerade vorbeifuhr, während andere Unerschrockene antideutsche Flugblätter verteilten. Polizisten gaben Warnschüsse in die Luft ab, um die Menge auseinanderzutreiben, und nahmen einige Verdächtige fest, bevor es ihnen schließlich gelang, den Platz und die umliegenden Straßen zu räumen.5 472

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In seinem Bericht nach Berlin stellte der deutsche Botschafter die Rede des Papstes in leuchtenden Farben dar. Der Papst, schrieb Weizsäcker, habe »die alliierten Angriffe auf Rom in ungewöhnlicher Schärfe verurteilt … [Dies] wurde von der auf Petersplatz versammelten Menge … mit grösstem Beifall aufgenommen«. Auch konnte der Botschafter befriedigt melden, dass der Vatikan ihm seine »dankbare Anerkennung der Fürsorge der deutschen Kommandostellen für die Ernährung Roms« ausgesprochen habe. Tatsächlich mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die Einwohner Roms auf die Alliierten nicht mehr gut zu sprechen waren. Wie Osborne nach London berichtete, bewirkten die ständigen Luftangriffe, »dass die öffentliche Meinung in Italien sich langsam, aber sicher gegen uns wendet. … Die Vernichtung von zivilen Menschenleben und zivilem Besitz steht in überhaupt keinem Verhältnis zu den dadurch erzielten militärischen Resultaten«. All dies »bringt die Italiener zu der Auffassung, dass im Vergleich zur angloamerikanischen Befreiung die deutsche Besatzung beinahe das kleinere Übel darstellt, so allgemein verhasst die Deutschen hier auch sind. … Die Deutschen nutzen den durch die Bombardierung entstandenen Schaden effektiv aus, insbesondere hier in Rom«. Was die Sache in den Augen des britischen Gesandten noch schlimmer machte, war der Umstand, dass auch die kommunistische Propaganda immer effektiver wurde. Deren Hauptargument lautete, dass allein die sowjetische »Volksarmee« stark genug sei, das deutsche Militär zu besiegen, ohne zugleich Zerstörung über die Zivilbevölkerung zu bringen. Osborne warnte, dass ein weiteres Feststecken der alliierten Truppen südlich von Rom sich »schließlich, wie ich fürchte, in einem anti-angelsächsischen Ressentiment niederschlagen wird, das dem bestehenden anti-deutschen Empfinden ­beinahe vergleichbar wäre, während die Sympathie für Russland im selben Maße zunehmen wird, was der Kommunistischen Partei Italiens zugutekäme«.6 Mit dem Vorrücken der Front intensivierten sich die alliierten Bombardierungen. Am Ende wurden bis zum Einrücken der Alliierten in Rom bei insgesamt 25 Luftangriffen mehr als 4000 Menschen getötet und 10 000 verwundet, 2500 Gebäude wurden zerstört oder schwer beschädigt. Selbst für diejenigen Römer, deren Häuser verschont blieben, wurden die Lebens473

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umstände immer schwieriger angesichts der zeitweilig unterbrochenen Wasser-, Gas- und Stromversorgung und der Lebensmittelknappheit. In ihrem Bestreben, Hochachtung vor dem Vatikan unter Beweis zu stellen und ihr Image als Kunstpatrone aufzupolieren, organisierten die deutschen Besatzer mit der Hilfe des Vatikans eine hastige Rettungsaktion, um die bedeutendsten Kunstschätze Italiens vor der Zerstörung zu retten. Buffarini hatte Mussolini im Monat zuvor nahegelegt, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten, um wichtige Kunstwerke innerhalb der Vatikanstadt in Sicherheit zu bringen. Dabei war es nicht nur Roms eigener Reichtum an Kunstschätzen, der akut gefährdet war, sondern noch viel mehr: So hatte man etwa unschätzbar wertvolle Kunstwerke aus der Abtei Montecassino hierhergebracht, dazu Werke aus Museen in Neapel, Mailand und anderen Städten, die schon seit Langem unter alliiertem Bombardement standen. Also transportierten nun Lastwagen der Wehrmacht in langen Konvois Kunstschätze in die Sicherheit der Vatikanstadt.7 Der Papst tat weiterhin, was er konnte, um die Alliierten von ihren Luftangriffen auf Rom abzubringen. So erging etwa Anweisung an die diplomatischen Vertreter des Vatikans im Ausland, die dortigen Bischöfe und katholischen Laien zu mobilisieren, damit sie gegen die Bombardierung Roms protestierten. Als Reaktion auf den jüngsten derartigen Aufruf hatte der irische Premierminister Eamon de Valera, der gewiss kein Freund der Briten war, die alliierten Luftangriffe verurteilt. Der Geschäftsträger der irischen Botschaft beim Heiligen Stuhl übersandte Kardinal Maglione eine Abschrift von der Protestnote des Premiers und ließ anfragen, ob der Papst sie gerne veröffentlicht sehen wollte. Der irische Premier, teilte der Diplomat mit, werde sich da ganz nach den Wünschen des Heiligen Vaters richten. Welche Instruktionen der Papst gab, ist in den Notizen Tardinis festgehalten: »Antworten Sie: Danke. Wenn sie es veröffentlichen wollen, nur zu … Ich glaube, dass angesichts der großen Bedeutung der Iren in den Vereinigten Staaten sowie ihrer Verbundenheit zu de Valera die irische Regierung ihre Note in den Vereinigten Staaten durchaus bekannt machen könnte. Das können Sie ihm sagen – aber nichts Schriftliches!«8 Inmitten der vatikanischen Verärgerung über die intensivierten Luftangriffe der Alliierten machte sich Präsident Roosevelt noch unbeliebter, als er sich Mitte März zu den neuesten Protesten gegen den Bombenkrieg äu474

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ßerte. Da, wo Roosevelt in seiner Rede versicherte hatte: »Wir haben uns peinlich genau und oft unter beträchtlichen Opfern darum bemüht, religiöse und kulturelle Denkmäler zu verschonen, und werden dies auch in Zukunft tun«, kritzelte Monsignore Tardini seinen Kommentar auf den gedruckten Redetext: »Erklärungen: größtenteils falsch, in sich nicht vertrauenswürdig, gefährlich für die Zukunft.« Roosevelt neige dazu, »jede Verantwortung abzustreiten und einer andauernden Bombardierung Roms den Weg zu bahnen, nach einem inzwischen allzu vertrauten System … 1. Man übertreibt die militärische Bedeutung Roms für die Deutschen … 2. Man gibt sogenannten militärischen Sachzwängen den Vorrang und schiebt 3. alle Schuld auf Hitler und die Deutschen«.9 Sollte manch einer in Rom tatsächlich geglaubt haben, die deutsche Besatzung könne dem vorzuziehen sein, was die Alliierten für sie bereithielten, dann dürften die Ereignisse vom 23. März 1944 dem ein Ende bereitet haben. An diesem Tag marschierte eine SS-Kompanie, deren Männer aus dem deutschsprachigen Südtirol stammten, durch eine enge römische Gasse, als Partisanen einen Sprengsatz detonieren ließen, der in einem Müllkarren am Straßenrand platziert worden war. Dreiunddreißig SS Leute starben. Als es den Deutschen nicht gelang, die für den Anschlag Verantwortlichen ausfindig zu machen, kündigten sie an, für jeden getöteten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen. Hitler persönlich gab den Befehl, dass die Erschießungen binnen 24 Stunden stattfinden sollten. Eilig trieben die Deutschen also ihre Opfer zusammen, wobei sie zumeist auf Personen zurückgriffen, die bereits in Rom gefangen gehalten wurden, darunter auch 77 Juden. Während die meisten nichtjüdischen Opfer wegen antifaschistischer Betätigung verhaftet worden waren, hatte man die Juden festgenommen, weil sie eben jüdisch waren, und deshalb auch mit ihren gesamten Familien. Der Jüngste von ihnen, Michele Di Veroli, hatte gerade im Monat zuvor seinen 15. Geburtstag gefeiert. Er wurde zusammen mit seinem Vater zur Erschießung ausgewählt. Zu einer anderen Familie von sechs Personen gehörte das älteste Opfer, der 74-jährige Mosè Di Consi­glio, bei dem sich auch sein 17-jähriger Enkel Franco befand. Die SS lud die Todgeweihten auf Lastwagen und fuhr sie zu den Ardeatinischen Höhlen (Fosse Ardeatine) im Süden Roms. Dort wurden die unglücklichen Opfer 475

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in Fünfergruppen in die Höhlengänge geführt und von den Deutschen durch Genickschüsse getötet. Zu spät fiel den Deutschen auf, dass sie 335 statt der benötigten 330 Geiseln verschleppt hatten; doch anstatt die überzähligen fünf Gefangenen zurück nach Rom zu bringen, ermordeten sie auch diese. Als das erledigt war, sprengten sie die Höhlengänge, um die Leichen zu begraben und den Schauplatz des Verbrechens unkenntlich zu machen.10 Spätestens um zehn Uhr am Vormittag des 23. März hatte der Papst von dem deutschen Vergeltungsplan erfahren. Wie es scheint, gelang es ihm, einige Personen von der Exekutionsliste streichen zu lassen, die in besonderer kirchlicher Gunst standen; diese wurden jedoch sämtlich durch andere Personen ersetzt, die keinen so guten Draht zum Vatikan besaßen. Weder der Papst noch irgendjemand sonst im Vatikan legte generellen Protest ein, im Gegenteil: Noch am selben Abend verurteilte die Vatikanzeitung das Attentat auf die SS -Männer und ermahnte die Römer, sich nicht an solchen Gewalttaten gegen die Besatzer zu beteiligen. Diese Botschaft wiederholte der Vatikan immer wieder, solange Rom von den Deutschen besetzt blieb.11 Im Lauf der folgenden Wochen wandten sich die tief besorgten Familien der Ermordeten hilfesuchend an den Vatikan, weil sie nicht wussten, was mit ihren Verwandten geschehen war. Einen Monat nach den Morden ließ der Papst seinen Kardinalstaatssekretär ein Schreiben an den deutschen Botschafter aufsetzen. Man versicherte Weizsäcker zunächst, dass er selbstverständlich keine Verantwortung für das Geschehen trage, bat aber um seine Mithilfe angesichts all der Bitten, etwas über das Schicksal von geliebten Angehörigen zu erfahren. Der Botschafter leitete die Anfrage aus dem Vatikan zwar nach Berlin weiter, verriet aber nie, was geschehen war. Die Wahrheit über die Massenexekution in den Ardeatinischen Höhlen sollte erst ans Licht kommen, nachdem die Alliierten die Deutschen aus Rom vertrieben hatten.12 Weizsäcker sandte seinen Vorgesetzten in Berlin auch weiterhin beruhigende Berichte darüber, wie kooperativ sich der Papst verhalte. Er behauptete sogar, Pius XII. sei von solcher Furcht erfüllt, dass eine kommunistische Flut Europa zu überschwemmen drohe, dass er der Sache Hitlers 476

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mit Sympathie gegenüberstehe. In einem Brief vom 29. März 1944 berich­ tete Weizsäcker: »Im Buch eines Schweden lese ich gestern über den Papst Pius XII.: ›Sechs Tage arbeitet er für die Deutschen, am siebten Tage betet er für die Alliierten.‹ Das ist ziemlich richtig.«13 Der Papst hatte zwar die alliierten Bombenangriffe auf Rom verurteilt, ihm war aber bewusst, dass die Deutschen die Stadt als wichtigen Verkehrsknotenpunkt für ihre militärischen Operationen nutzten. Schlimmer noch: Sie nutzten nun sogar Eisenbahnlinien, die in unmittelbarer Nähe des Vatikans verliefen. Das veranlasste Anfang April 1944 Kardinal Maglione, dem deutschen Botschafter eine Note zukommen zu lassen. In den vergangenen Tagen, beschwerte er sich, hätten auf den Gleisen des Bahnhofs San Pietro insgesamt 39 Güterwaggons mit explosivem Material Halt gemacht. Außerdem hätten vier von deutschen Soldaten bewachte Zugwaggons mit Flugabwehrgeschützen das Verbindungsgleis zwischen dem römischen und dem vatikanischen Bahnhof blockiert. In einer ungewöhnlich freimütigen Notiz äußerte Monsignore Tardini sein Unbehagen über die Position, in welcher der Vatikan sich nun befand. Durch alliierte Bomben war kurz zuvor der Bahnhof Roma Ostiense zerstört worden, wobei auch eine ganze Zugladung Waffen und Munition explodiert war – und doch beklagte der Papst nur die Zerstörung von Kirchen und Wohnhäusern und verlor kein Wort darüber, dass die Alliierten in der Tat militärische Ziele aufs Korn nahmen. »Wir bringen auf Radio Vatikan ›Nachrichten‹«, schrieb Tardini, »aber nur über die Tötung von Zivilisten, ohne etwas über das militärische Ziel zu sagen, das getroffen wurde. Ist Radio Vatikan damit denn wirklich noch ›unparteiisch‹?«14 Fünfhundert Kilometer weiter nördlich befand sich Benito Mussolini in einer verzwickten Lage eher häuslichen Charakters. Seine treusorgende Geliebte Clara hatte sich mit ihrer Familie mittlerweile ebenfalls am Gardasee niedergelassen, zwanzig Kilometer entfernt von Mussolinis Villa. Rachele tat mithilfe ihres Sohnes Vittorio, was sie konnte, um ihren Ehemann von Treffen mit seiner jungen Favoritin abzuhalten. Auch auf die Hilfe der faschistischen Hardliner in der republikanischen Marionettenregierung konnte sie bauen, denn für sie stellte die Affäre des Duces einen hochpeinlichen, spießbürgerlichen Skandal dar. Clara, frustriert, aber ungebrochen in ihrer Zuneigung für Mussolini, ließ den Strom von leidenschaftlichen 477

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Briefen nicht versiegen und vermischte weiter Klagen über ihre schlechte Behandlung mit Versuchen, Mussolinis Stimmung zu heben, das Ganze regelmäßig garniert mit unerbetenem politischen Rat. Mitte April schickte sie ihrem »Ben« ein Bild ihrer persönlichen Schutzpatronin, der heiligen Rita. »Ich hatte es im Gefängnis bei mir«, schrieb sie ihm, »deshalb ist es so zerfleddert, wegen der ständigen, eindringlichen, hingebungsvollen Gebete, die ich daran gerichtet habe, wegen der Tränen, die in jenen langen, angsterfüllten Nächten darauf niedergefallen sind. … Verlier es nicht, Liebster. … Bewahre es für immer auf, halte es lieb und wert, wie ich es getan habe, und vertraue auf Ihre wunderbare Hilfe, denn Sie ist wahrlich die Patronin des Unmöglichen.« Um die gleiche Zeit schrieb sie in ihrem Tagebuch über den Geburtstag, den sie beide in jenem Monat hätten feiern können, wobei sie an ihre einzige, fehlgeschlagene Schwangerschaft dachte: »Meines – unseres – wäre jetzt ein wenig über zwei Jahre alt, drei jetzt vielleicht diesen Monat, bei einer Geburt im April! Wie schlimm und böse das Schicksal ist! Auch diese Freude ist mir versagt geblieben, dein Kind, gemacht von dir und mir.«15 Als Mussolini sich auf ein Treffen mit Hitler vorbereitete, das erste seit der Gründung der Italienischen Sozialrepublik einige Monate zuvor, schickte Clara ihm ein ganzes Papierbündel, das detaillierte politische Ratschläge ebenso wie ein Foto von ihr enthielt. Sie drängte den Duce, auf seiner »absoluten Gleichrangigkeit« mit Hitler zu bestehen. Seit dem letzten Treffen der beiden Diktatoren hatte das Kriegsglück sich noch weiter gegen sie gewendet: Die Rote Armee hatte die Wehrmacht aus einem Großteil der zuvor eroberten russischen Gebiete verdrängt und war nun im Begriff, die Deutschen von der Krim zu vertreiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Alliierten schon bald eine groß angelegte Landungsoperation in Frankreich durchführen würden, wurde von Tag zu Tag größer. Das Treffen fand schließlich am 22. April 1944 im großen Saal von Schloss Kleßheim bei Salzburg statt, unweit von Hitlers »Berghof« auf dem Obersalzberg. Mussolini kannte den Ort samt seiner Interieurs aus dem 18. Jahrhundert mit ihren hohen Spiegeln und prunkvollen Treppen schon von früheren Treffen mit seinem deutschen Verbündeten. In seinem auf Deutsch vorbereiteten Redetext beklagte er sich als Erstes über die unzureichenden Bedingungen, unter denen 600 000 italienische Soldaten seit 478

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dem italienischen Waffenstillstand vom September 1943 in deutschen Kriegsgefangenenlagern festgehalten wurden. Hierauf protestierte Mussolini gegen die in seinen Augen überzogene Forderung, dass die Italiener immer noch mehr Arbeiter für die deutsche Industrie zur Verfügung stellen sollten. Ferner hielt er es für wichtig, dass bei den Italienern nicht der Eindruck entstehen dürfe, seine, Mussolinis, Regierung stehe unter deutscher Kontrolle. Hitler hatte wenig Geduld mit den Punkten, die Mussolini da vorbrachte. »Was ist das für ein Faschismus, der wie Schnee in der Sonne schmilzt?«, stieß er aufgebracht hervor. Die Anliegen des Duces wies er in der Sache zurück, tat aber dennoch sein Bestes, um ein wenig Optimismus zu verbreiten: Das Bündnis zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, so Hitler, werde schon bald in die Brüche gehen. Zum Abschluss der Unterredung ließ er eine Botschaft folgen, die Mussolini wohl inspirieren sollte: Das faschistische Italien sei der engste Verbündete des Deutschen Reichs und dem Reich auch ideologisch besonders verbunden, versicherte er seinem Gast. Sie beide, er selbst und der Duce, müssten auch weiterhin fest zusammenstehen, denn sie seien die beiden meistgehassten Männer auf der Welt. Deutschland und Italien mussten diesen Krieg ganz einfach gewinnen, so Hitler – denn wenn sie es nicht täten, wären beide Länder und beide Völker dem Untergang geweiht. Im Anschluss an ihre Gespräche posierten Hitler und Mussolini betont freundschaftlich für die Kameras. »Jetzt ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen«, erklärte Mussolini am nächsten Morgen seinem Sohn Vittorio, der wissen wollte, was geschehen war. »Es scheint, dass die [deutschen] Geheimwaffen nun einsatzbereit sind. Sie sollen die Situation zu unseren Gunsten wenden. Ich hatte den Eindruck von starken Spannungen zwischen der Führungsspitze der Nazis und den Generälen. Wenn die Dinge schiefgehen, ist es doch überall das Gleiche.«16 Als der Duce von dem Treffen nach Italien zurückkehrte, ohne die von Clara gesetzten Ziele erreicht zu haben, schrieb sie ihm abermals und bejammerte den Tod, der sie beide erwarten werde: »begraben unter den Trümmern, die uns versoffene Neger, Juden und Plutokraten hinterlassen haben«. Inzwischen schrieb Claras Mutter aus Verärgerung darüber, dass Mussolinis Ehefrau ihn offenbar gegen seine Geliebte aufstachelte, dem 479

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Duce selbst einen Brief, in dem sie Rachele beschuldigte, »in einen Zustand des Wahnsinns voller Mordgedanken eingetreten« zu sein, der »auf einer senilen, postmenstruellen Phobie beruht«. Von Claras 21-jähriger Schwester erhielt der von allen Seiten bedrängte Diktator weitere Briefe ähnlich denunziatorischer Natur. Einseitig verlief die ganze Korrespondenz jedoch nicht: In den neunzehn Monaten, in denen die Italienische Sozialrepublik Bestand hatte, schrieb Mussolini seiner Clara insgesamt mehr als 300 Briefe.17 Während der Frühling 1944 voranschritt, wurde das Leben in Rom immer grimmiger. Deutsche wie italienische Polizei setzten ihre Razzien in Wohnungen fort, um bewaffnete Untergrundkämpfer (partigiani) aufzuspüren, die ihrerseits immer mal wieder Attacken auf deutsche Truppen oder italienisch-faschistische Kräfte landeten. Die Polizei suchte aber auch einfach nach arbeitsfähigen Männern, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt werden konnten – wer zu flüchten versuchte, auf den wurde geschossen. Auf dem florierenden Schwarzmarkt wurden Mondpreise für Güter des täglichen Bedarfs einschließlich des knappen Trinkwassers verlangt. Da die Strom- und Gasversorgung immer wieder aussetzte und Kohle Mangelware war, machten sich Frauen und Kinder zu Fuß auf den Weg ins Umland, um Brennholz zu sammeln. Ihre Fahrräder durften sie dazu nicht verwenden, denn deren Gebrauch durch Zivilisten war verboten worden, nachdem im Dezember ein Partisan auf einem Fahrrad eine Bombe geworfen hatte und schnell davongefahren war. Im Januar verhängten die Deutschen eine Ausgangssperre ab fünf Uhr nachmittags, um die Römer für einen weiteren Partisanenangriff in der Stadt kollektiv zu bestrafen.18 Die Frauen Roms waren es leid, in endlosen Schlangen für ihre karge Tagesration von hundert Gramm Brot anzustehen und doch nicht genug Essen für ihre hungernden Kinder zusammenzubekommen. Die Mauern der Stadt trugen vielerorts die immer gleiche, in großen Lettern aufgepinselte Botschaft: vogliamo pane! pane! pane! – »Wir wollen Brot!«19 Am schlechtesten ging es den geschätzt 200 000 bis 300 000 Neuankömmlingen, die vor den Bombenangriffen im Umland in die Stadt geflüchtet waren. Weil sie keinen Anspruch auf Lebensmittelkarten hatten, kamen sie 480

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kaum an Nahrungsmittel heran.20 Doch die einheimischen Römer waren nur wenig besser dran. Im April führten spontane Plünderungen von Brotlagern, Bäckereien und Lastwagen, die Lebensmittel für die deutschen Truppen anlieferten, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und faschistischen beziehungsweise deutschen bewaffneten Kräften. Die Akten der römischen Polizei vom April 1944 sind voll von Berichten über verzweifelte Frauen, die mit ihren Kindern Bäckereien und Lebensmittellager stürmten, bisweilen mit dem heimlichen Einverständnis der Besitzer. »Um 6:30 Uhr morgens«, heißt es in einem solchen Bericht vom 25. April, »versuchten etwa fünfzig Frauen und Kinder im Quartier Tiburtino III die dortigen Bäckereien zu erstürmen. Obwohl die Polizeikräfte den Aufruhr erfolgreich eindämmen konnten, gelang es den Besagten dennoch, … 400 Kilogramm Brot an sich zu bringen.« Ein ähnlicher Bericht, der nur wenige Tage später entstand, schildert die Lage im Quartier um die Porta Pia: »In der Via Nomentana 433 haben mehrere Hundert Personen, die aus den [städtischen] Randgebieten gekommen waren, die Bäckerei des Luigi Franzoni überfallen und Brot, Mehl sowie Nudeln fortgeschafft, insgesamt rund 800 Kilogramm. Nach dem Eintreffen der Polizei wurden drei Personen festgenommen.«21 Der Vatikan organisierte in dieser Not Hilfe für die Einwohner Roms und ließ mit Lastwagen die dringend benötigten Lebensmittel herbeischaffen. »Sechzehn kleine Lieferwagen aus dem Vatikan fahren in der Stadt umher und verteilen Lebensmittel«, heißt es in einem weiteren Polizeibericht. Die Wagen waren auf beiden Seiten mit dem vatikanischen Wappen bezeichnet. Der Verfasser des Berichts, ein Offizier der faschistischen Polizei Roms, fügte einen Vorschlag an: »Warum sorgen wir nicht dafür, dass in Absprache mit den deutschen Behörden mindestens 200 solcher Wagen die Stadt mit Nahrung versorgen – Wagen, auf denen ›Repubblica Sociale Italiana‹ geschrieben steht im Gegensatz zu denen mit ›Città del Vaticano‹ darauf?«22 Die vatikanischen Bemühungen, per Schiff und Lastwagen Lebensmittel nach Rom zu bringen, sorgten schnell für Konflikte mit den Alliierten, die sich nämlich nur wenig Mühe gaben, bei ihren Luftangriffen die Konvois des Vatikans auszunehmen. Als Antwort auf ein entsprechendes Ersuchen aus dem Vatikan erklärte das britische Luftfahrtministerium am 21. April: 481

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»Die Regierungen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten sind der Auffassung, dass die Verantwortlichkeit für die Versorgung der römischen Bevölkerung mit Lebensmitteln ganz bei den sogenannten faschistisch-­ republikanischen Behörden oder ihren deutschen Herren liegt. … Die Regierung Seiner Majestät und die US-Regierung … müssen dieses Ansinnen daher bedauerlicherweise abschlägig bescheiden.«23 Nachdem er von dieser Entscheidung erfahren hatte, wandte sich der britische Gesandte Osborne in einem hitzigen Schreiben an seine Londoner Vorgesetzten: »Es wird einen überaus schmerzlichen Eindruck machen, wenn ich dem Papst beibringen muss, dass die Regierung Seiner Majestät seinen Wunsch, die Römer vor dem Hungertod zu retten, zwar würdigt, jedoch leider ›aus militärischen Gründen‹ ihre Zustimmung zu den vorgeschlagenen Maßnahmen verweigern muss.« Die Bevölkerung Roms, fuhr Osborne fort, stehe tatsächlich kurz vor dem Verhungern und sei schon jetzt angewiesen auf die Lebensmittel, die der Vatikan erfolgreich in die Stadt gebracht habe. »Sofern die Stadt nicht auf dem Seeweg mit Mehl versorgt wird, ob nun auf den Schiffen des Vatikans oder anderweitig, erscheint eine Hungersnot unvermeidlich. … [W]enn wir nicht in unmittelbarer Zukunft entweder selbst die notwendige Versorgung Roms mit Mehl gewährleisten oder es dem Vatikan ermöglichen, dies zu tun, dann fordern wir damit eine Katastrophe heraus, deren einzige Nutznießer die Deutschen sein werden.«24 Weitere Appelle an die Alliierten, die Lebensmittelkonvois des Vatikans unbehelligt passieren zu lassen, ließen den Chef des alliierten Luftwaffenkommandos schließlich ein streng geheimes Memorandum erstellen. LkwKonvois mit vatikanischen Hoheitszeichen vom Bombardement auszunehmen, heißt es darin, »würde die Effizienz unseres Vorgehens gegen die feindlichen Kommunikationswege zwangsläufig mindern und wahrscheinlich zu vermeidbaren Verlusten an Menschenleben unter den Flugzeugbesatzungen führen, die sich um die Identifizierung von päpstlichen Fahrzeugen bemühen müssten«. Dazu kam, dass die Alliierten eben im Begriff standen, einen Belagerungsring um Rom zu ziehen: von Süden her an Land, von Westen her zur See, von Norden und Osten her aus der Luft. Die regelmäßigen Lebensmittellieferungen nach Rom, so der Bericht, »stellen seitens des Vatikans … zweifellos einen nichtneutralen Akt dar, da er im 482

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Grunde darauf hinarbeitet, eines der anerkannten Instrumente des Belagerungskrieges – nämlich das Aushungern der Bevölkerung – unbrauchbar zu machen«. Es sei im Krieg ein etabliertes Prinzip, dass eine militärische Besatzungsmacht die Ernährung der ansässigen Bevölkerung zu gewährleisten habe. Wenn die Deutschen hierzu nicht imstande seien, »dann ist es gewiss nicht an uns, ihnen zu helfen, da dies für uns einen doppelt nachteiligen Effekt hätte: Es würde ihre Schwierigkeiten in Rom lösen und zugleich unser eigenes militärisches Vorgehen behindern, durch welches wir ihnen Rom entreißen wollen«.25 Die Deutschen setzten derweil ihre Razzien gegen Roms Juden fort. Seit dem ersten großen Zugriff der SS am 16. Oktober 1943, der über tausend Personen betroffen hatte, waren während der nächsten Monate der deutschen Besatzung noch viele Hundert weitere Juden aus ihren Verstecken hervorgeholt worden. Überlebende berichteten später von der ständigen Angst, von ihren Nachbarn verraten zu werden. Tatsächlich wurden die meisten aufgrund von Hinweisen aus der römischen Bevölkerung entdeckt, denn für jeden verratenen Juden wurde eine saftige Belohnung gezahlt.26 Aus den anderen Teilen des deutsch besetzten Italiens wurden in diesen Monaten noch Tausende weitere Juden in die Todeslager der Nazis deportiert. Niemand war besser sichtbar und damit stärker gefährdet als die geistlichen Oberhäupter der jüdischen Gemeinden. Von 21 italienischen Oberrabbinern wurden neun in Auschwitz ermordet. Die meisten festgenommenen Juden wurden in dieser Zeit zunächst in das Durchgangslager Fossoli gebracht, das bei Carpi in der Nähe von Modena gelegen war. Auf dem Papier stand das Lager unter italienischem Kommando, wurde in der Praxis aber von einem SS-Offizier befehligt. Aus Fossoli wurden dann in regelmäßigen Abständen Transporte zusammengestellt, deren Ziel die Vernichtungslager in Polen waren. Etliche der Gefangenen kamen gar nicht so weit. Pacifico Di Castro aus Rom etwa war am 16. Oktober des Vorjahres durch einen Zufall nicht zu Hause gewesen, als die SS seine Ehefrau und die sieben Kinder holte und nach Auschwitz in den Tod schickte. Nachdem er selbst später in seinem Versteck entdeckt worden war, brachte man ihn nach Fossoli. Als er dort 483

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krank wurde und einen Arbeitsauftrag nicht erfüllte, tötete ihn ein Wachmann an Ort und Stelle. Ebenfalls in Fossoli starb ein älterer tauber Jude durch einen Schuss in den Hinterkopf, weil er beim Anwesenheitsappell nicht »Hier!« gerufen hatte, als sein Name verlesen wurde. Vielen italienischen Juden, die nach Fossoli gebracht wurden, war offenbar nicht bewusst, welches Schicksal sie am Ende ihrer Zugfahrt in Richtung Norden erwarten würde. So war es etwa bei Tranquillo Sabatelli, seiner Frau Enrica und den zwei Kindern, die mit ihnen aufgegriffen worden waren. Nachdem sie der Razzia vom 16. Oktober entgangen waren, hatte sich die sechsköpfige Familie aufgeteilt und getrennt versteckt. Tranquillo und der mit ihm zusammen versteckte Sohn wurden gefasst und nach Fossoli gebracht. Dort stellten sie fest, dass Enrica und der andere Sohn schon früher aufgespürt und in dem Konzentrationslager interniert worden waren. Allein die beiden Töchter der Familie konnten sich weiter versteckt halten. Am 16. Mai 1944 gelang es Tranquillo, aus Fossoli einen Brief an seine ältere Tochter zu schicken, kurz bevor er, seine Frau und die beiden Söhne nach Auschwitz deportiert wurden: Meine liebe Tochter, es ist dein Papa, der dir hier aus Modena schreibt, weil ich mit Carlo aus Verona hierher verlegt wurde, und sie haben uns in das Lager in Carpi gebracht, wo ich mit Überraschung und Sorge Mamma und Mimmo vorgefunden habe. … Jetzt fahren wir alle in einem Konvoi mit unbekanntem Ziel ab, wer weiß wohin, aber weit weg von Italien, denke ich. Wir werden Onkel Angelino finden. [Sein Bruder Angelo Sabatelo war bereits am 16. Oktober 1943 in Rom aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert worden, von wo er nie zurückkehrte.] Ich bitte dich von Herzen, meine liebe Tochter, weine nicht und sei stark, kümmere dich gut um Mara [ihre jüngere Schwester]. … Wir werden zurückkehren, ich schwöre es dir, und ich werde nicht von Mammas Seite weichen, so wie jetzt. Bleib stark … Nach all dem Unglück hat der Herrgott immerhin gewollt, dass wir vier hier beisammen sind.27

Im April erfuhr der Papst, dass sich ein recht prominenter italienischer Jude in großen Schwierigkeiten befand. Mario Segre war ein weltweit re484

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nommierter Professor für Epigrafik. Seine Mutter und seine Schwester waren nach der Razzia vom 16. Oktober bereits nach Auschwitz in den Tod deportiert worden. Er selbst, seine Frau und sein einjähriges Kind hatten zunächst Zuflucht im Schwedischen Institut für Altertumswissenschaften gefunden, doch nachdem ein italienischer Informant sie verraten hatte, wurden sie am 5. April 1944 von zwei italienischen Polizisten festgenommen und in das Regina-Coeli-Gefängnis gebracht, wo sie ihre Deportation erwarten sollten. Die brasilianische Botschaft beim Heiligen Stuhl informierte das vatikanische Staatssekretariat per Brief über die Festnahme. Äußerst besorgt notierte Monsignore Montini am Seitenrand: »Professor Mario Segre ist bereits in die Hände der Deutschen übergeben worden! Mit seiner Frau und seinem kleinen Jungen!« Ihre einzige Hoffnung, meinte der spätere Papst, liege darin, Weizsäcker zum Eingreifen zu bewegen, und entsprechend rasch nahm er mit dem deutschen Botschafter Kontakt auf. Dessen Antwort kennen wir nicht, aber es ist leicht vorzustellen, dass Weizsäcker jede Verantwortung für das Tun seiner Landsleute von sich wies, die gerade Tausende italienische Juden in den Tod schickten. Professor Segre, seine Frau Noemi und ihr kleiner Sohn Marco wurden in das Durchgangslager Fossoli gebracht und von dort weiter nach Auschwitz, wo sie noch am Tag ihrer Ankunft, dem 24. Mai 1944, in der Gaskammer ermordet wurden.28 In der Vatikanstadt hatten zu dieser Zeit 160 Verfolgte Zuflucht gefunden, viele von ihnen in den Wohnräumen der Kanoniker von Sankt Peter oder anderweitig innerhalb des Palazzo della Canonica. Seitdem man im Februar einen Anlauf unternommen hatte, sämtliche Flüchtlinge aus dem Vatikan zu entfernen – wovon sich der Papst am Ende doch hatte abbringen lassen – , war die Zahl der Schutzsuchenden nur wenig angestiegen. Wie es scheint, hatten um diese Zeit alle, für die dies überhaupt eine Option war, einen Weg in die Vatikanstadt hinein gefunden, mochte sich der Vatikan auch noch so sehr bemühen, sie nicht hineinzulassen. Unter ihnen waren Aristokraten, hochrangige Offiziere der italienischen Armee, Richter und wohlhabende Geschäftsleute, die entweder als Dissidenten von den Behörden gesucht wurden oder weil sie in der faschistischen Armee oder Regierung nicht hatten dienen wollen. 485

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Das Staatssekretariat zählte am 2. Juni 1944 unter den Flüchtlingen im Vatikan auch »etwa vierzig …, die der jüdischen Rasse angehören, davon etwa fünfzehn Getaufte«. Tatsächlich waren einige Juden erst nach ihrer Ankunft im Vatikan getauft worden. Im Prinzip hätte kein einziger Flüchtling hier sein sollen. Einige waren in Fahrzeugen mit Diplomatenkennzeichen oder Kennzeichen der Vatikanstadt über die Grenze gekommen; andere waren vom Petersdom durch die Sakristei in den Palazzo della Canonica gelangt; wieder andere hatten, wie das Staatssekretariat ausführte, »eine kleine List angewandt, um der Wachsamkeit der Posten an den Eingängen zum Vatikan zu entgehen«. Keinen einzigen von ihnen, befand der Bericht zum Schluss, werde man anders als durch Gewalt zum Gehen bewegen können, da sie alle genau wüssten, welches Schicksal sie draußen erwartete.29 Endlich standen die Alliierten vor den Toren Roms. Über Monate waren sie in den Bergen südlich der Stadt von deutschen Kräften regelrecht festgenagelt worden und hatten Zehntausende von Männern verloren. Doch dann, Ende Mai, war den alliierten Truppen schließlich der Durchbruch gelungen. Am 25. Mai fuhr der amerikanische General Mark W. Clark im offenen Jeep – und mit zwei Dutzend Kriegsberichterstattern im Schlepptau – bis zu genau jenem Punkt auf der Straße von Anzio nach Terracina, wo seine Leute mit den alliierten Truppen zusammengetroffen waren, die zuvor am Brückenkopf von Anzio festgesessen hatten. Für die Fotografen nahmen die kaugummikauenden Soldaten ihre Helme ab, grinsten in die Kameras und verlegten sich auf allgemeines Schulterklopfen. Die Zeit für den abschließenden Vorstoß auf Rom war gekommen.30 Mit päpstlichem Einverständnis bestellte Tardini den deutschen Botschafter ein und teilte ihm mit, dass der Vatikan neue Anweisungen an die Gemeindepfarrer Roms herausgegeben habe. Sie sollten ihren Pfarrkindern einschärfen, die Ruhe zu bewahren, sollten die deutschen Truppen aus der Stadt abziehen und alliierte Kräfte einrücken. Es solle keine Gewalt geben. Dafür war es jedoch entscheidend, wie Tardini dem ­B otschafter erklärte, dass die Deutschen nichts tun würden, was die Bevölkerung provozieren könnte. Besonders wichtig werde es gegebe­ nenfalls sein, dass die Deutschen ihren mäßigenden Einfluss auf die 486

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italienischen Faschisten ausübten, »denn das sind die Härtesten und Brutalsten«. Botschafter Weizsäcker – der in regelmäßigem Kontakt zu dem deutschen Oberkommandierenden in Italien, Generalfeldmarschall Kesselring, stand – erwiderte, dass die deutsche Seite ihrer Verpflichtung zum Schutz Roms auch weiterhin nachkommen werde. Tardini war erleichtert und erklärte, er persönlich sei von den »guten Absichten« der deutschen Reichsregierung überzeugt sowie davon, dass »Marschall Kesselrings Taktik darauf abzielt, Rom zu retten«.31 Aus der Perspektive der Einwohner Roms waren die »guten Absichten« der Besatzer weniger offenkundig, fand doch noch am 1. und 2. Juni 1944 eine geradezu fieberhafte Jagd deutscher Militärs auf junge Männer und Frauen statt, die zur Zwangsarbeit nach Norden geschickt werden sollten. Im Vatikan ging eine Flut von verzweifelten Berichten ein, wonach die Deutschen etwa katholische Behelfsunterkünfte für Ausgebombte überfallen hatten. Eine solche Nachricht vom 1. Juni kam aus einer Schule, die als Unterkunft genutzt wurde. Um ein Uhr in der Nacht, heißt es da, sei das Gebäude von deutschen Soldaten und italienischen Polizisten umstellt worden. Glücklicherweise »gelang den Burschen ausnahmslos die Flucht, dank der Hilfe der italienischen Polizei. Die Mädchen, die sich in einem großen Raum im Erdgeschoss befanden, konnten allesamt durch ein Fenster entkommen«. Aus einer anderen Schule meldete ein Priester, dass auch hier um zwei Uhr nachts Soldaten aufmarschiert seien und fünf junge Frauen sowie vier junge Männer ergriffen und auf einen Lastwagen geladen hätten. »Ich erspare es mir hier, die herzzerreißenden Szenen unter den Familienangehörigen zu schildern«, schrieb der Priester, »besonders der Mütter, die mit ansehen mussten, wie ihre jungen Töchter gewaltsam von ihnen gerissen wurden.« Im Bemühen, auf solche Hilferufe zu reagieren, wandte sich das vatikanische Staatssekretariat an Pater Pankratius Pfeiffer. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist in einer Aktennotiz vom 4. Juni festgehalten: »Pater Pancrazio teilt mit, dass die jungen Männer und Frauen, die in den letzten Tagen von den Deutschen abgeholt worden sind, zur Arbeit nach Deutschland geschickt werden. Man wird sie dort gut behandeln und gut bezahlen.«32 Nach monatelanger Anspannung angesichts der Gefahren, die Rom in dem Zeitraum zwischen deutschem Rückzug und alliiertem Einmarsch 487

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womöglich bevorstanden, löste sich das Problem schließlich in Luft auf: Das befürchtete Machtvakuum trat gar nicht erst ein, und auch sonst geschah nichts, worüber der Papst sich hätte sorgen müssen. In den letzten Maitagen hatten unmittelbar südlich der Stadt noch einmal heftige Kämpfe stattgefunden. Dichte Olivenhaine hatten den Scharfschützen der Wehrmacht Deckung gegeben, während aus tiefen Schützengräben deutsche MGs feuerten und ein Gewirr von Stacheldraht den alliierten Soldaten den Weg versperrte. Doch nun stießen die Alliierten zügig durch die letzte deutsche Verteidigungslinie vor. Mit ihren Bazookas setzten alliierte Trupps deutsche Panzer außer Gefecht, während andere die bewaldeten Hänge, die von deutschen Soldaten nur so wimmelten, mit dem Feuer ihrer automatischen Waffen bestrichen. Soldaten der Pioniertruppe verbreiter­ ten die Straßen, die schon bald mit alliierten Panzern, Artilleriegeschützen, Lastwagen und Jeeps verstopft waren. Am 3. Juni, die Alliierten näherten sich bereits den Außenbezirken der Ewigen Stadt, erteilte Hitler persönlich Feldmarschall Kesselring Anweisung, die Kampfhand­lungen nicht auf römischem Stadtgebiet fortzusetzen. Die Deutschen würden Rom auf ihrem Rückzug nicht beschädigen.33 Am selben Abend, eine Stunde vor Mitternacht, wies die deutsche Militärverwaltung Botschafter Weizsäcker an, die deutschen Vorschläge zur Evakuierung der Stadt über das vatikanische Staatssekretariat an die Alliierten weiterleiten zu lassen: Die Deutschen wollten, dass die Alliierten Rom als »offene Stadt« anerkannten, in der kein Militär erlaubt sein sollte. Im Gegenzug versprachen sie, von Akten der Zerstörung Abstand zu nehmen und auch die Wasser- und Stromversorgung Roms unversehrt zu lassen. Am nächsten Morgen ließ Kardinal Maglione den britischen Gesandten Osborne zu sich rufen, um diesem das deutsche Angebot zu unterbreiten. Osborne zögerte nicht, sofort im Namen seiner Regierung zu antworten: Der Vorschlag, Rom zur offenen Stadt zu erklären, könne nicht ernst genommen werden.34 Ab den Abendstunden des 2. Juni strömte eine endlose Prozession deutscher Panzer, Lastwagen und Fahrzeuge aller Art durch die Straßen Roms in Richtung Norden. Die Deutschen hatten sämtliche Transportmittel requiriert, die irgend einsetzbar erschienen, von Privatautos bis hin zu Ochsenkarren. Für viele Bewohner Roms dürfte der Anblick, der sich 488

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ihnen nun bot, ein höchst erfreulicher gewesen sein. Nach neun Monaten, in denen die Angst vor den Deutschen und ihren faschistischen Verbündeten ihr ständiger Begleiter gewesen war, konnten sie nun entmutigte und erschöpfte deutsche Soldaten dabei beobachten, wie sie sich angesichts der vorrückenden alliierten Armee in Richtung Norden davonmachten. Monsignore Tardini bemerkte: »Dieses Spektakel ist deprimierend, sieht man doch lauter niedergeschlagene, demoralisierte, ausgelaugte Soldaten …, aber es hat auch etwas Tröstliches, sieht man nun doch, wie die Tyrannen gedemütigt und die Gewalttäter niedergedrückt werden.« Die Römer schauten schweigend zu – aus Furcht, dass die Deutschen beim ersten Anzeichen von Jubel das Feuer eröffnen könnten.35 Am 4. Juni, als die allerletzten deutschen Soldaten gerade Rom verließen, zogen die ersten alliierten Truppen in eine Stadt ein, die nun ihre Befreiung bejubelte. Kämpfe im Stadtgebiet hatte es nicht gegeben; die einzigen Schüsse, die zu hören waren, wurden vor Freude in die Luft abgefeuert. Am nächsten Tag um sieben Uhr morgens erschien Pius XII. am Fenster seiner Gemächer im vierten Stock des Papstpalastes, um der versammelten Menschenmenge den Segen zu spenden. Bei dieser Gelegenheit musste der Papst zu seinem Verdruss feststellen, dass unten auf dem Petersplatz auch ein amerikanischer Panzer Stellung bezogen hatte. Im Lauf des Vormittags telefonierte Pius drei Mal mit Tardini, weil er den Panzer dort unbedingt wieder loswerden wollte.36 Kardinal Maglione bestellte den Geschäftsträger der italienischen Botschaft im Vatikan ein. Schon seit Monaten war der Kardinal nicht bei guter Gesundheit gewesen und hatte in den vergangenen Wochen sogar häufiger das Bett hüten müssen. Als Babuscio nun das Arbeitszimmer des Staatssekretärs betrat, sah er sofort, dass es Maglione überhaupt nicht gut ging, was der Kardinal zumindest teilweise darauf zurückführte, dass er den letzten Winter in den vollkommen ungeheizten Räumlichkeiten des Vatikans zugebracht hatte. Trotz seiner schlechten Verfassung glaubte Ma­ glione, nicht aufschieben zu können, worüber er mit Babuscio sprechen wollte – jetzt, da die Deutschen aus Rom abgezogen waren. Der Papst, führte er aus, sei in Sorge, dass nach den Geschehnissen der vergangenen Monate die Sieger gegenüber den italienischen Kollaborateuren der deutschen Besatzer womöglich nicht jene Milde zeigten, die ihnen gut an489

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stünde. Maglione bat deshalb Babuscio, dieses Anliegen der königlichitalienischen Regierung zu übermitteln.37 Um sechs Uhr abends am 6. Juni versammelte sich auf dem Petersplatz erneut eine große Menschenmenge. Glaubte man dem Osservatore Ro­ mano, wollten diese Menschen dem Papst als dem Defensor Civitatis ihre Dankbarkeit dafür erweisen, dass er ihre Stadt vor der Vernichtung bewahrt hatte. Auch für die Alliierten war es ein großer Tag, der D-Day: In den Morgenstunden des 6. Juni hatten sie mit der groß angelegten Landung ihrer Truppen an den Stränden der Normandie begonnen. Im Verlauf der nächsten paar Tage sollten sie, zunächst nur langsam und unter schweren Verlusten, damit beginnen, sich aus den ungeschützten Stellungen ihrer Landungsköpfe herauszukämpfen und die Deutschen schließlich aus Frankreich zu vertreiben. Im fernen Rom trat derweil unter dem Jubel der Menge der Pontifex hinaus auf die Loggia über dem Hauptportal des Petersdoms. Er dankte Gott dafür, dass er »den beiden kriegführenden Parteien« eingegeben habe, die Ewige Stadt zu verschonen. »Das Volk schreibt dem Papst die Rettung Roms zu«, erklärte Osborne, als er London Bericht erstattete, »dabei hatte er damit überhaupt nichts zu tun.« Denn hätte Hitler seinen Soldaten befohlen, sich dem Feind entgegenzustellen und zu kämpfen, würden die Römer jetzt bestimmt nicht auf den Straßen feiern. Doch fügte Osborne in scheinbarem Widerspruch zu dem vorigen Gedanken hinzu, Hitler habe die Stadt womöglich verschont, um sich das Wohlwollen des Papstes zu erhalten »in der Hoffnung, dass ihm der Papst weiterhin als ein Fürsprecher zu Diensten sein könnte, um die Härte eventueller Waffenstillstands- oder Friedensbedingungen zu mildern«. Plausibler erscheint es jedoch, die Rolle des Papstes bei der Verschonung Roms darin zu sehen, dass beide, Deutsche wie Alliierte, darauf aus waren, sich vor der Weltöffentlichkeit als »Verteidiger der Christenheit« zu präsentieren. In diesem Sinne hatte der Papst – oder genauer gesagt: das Papsttum – Rom tatsächlich gerettet.38

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Kapitel 38

Bösartige Meldungen

A

m frühen Morgen eines strahlend sonnigen Tages im Juni 1944 war General Mark W. Clark, der Kommandeur der 5. US -Armee, mit einem Konvoi aus Anzio aufgebrochen. In der Kolonne fuhren zwei Panzerwagen und sechs Jeeps, die mit Journalisten voll besetzt waren. Es war der Tag vor der Befreiung Roms. Seit der Landung ihrer ersten Truppen auf Sizilien waren beinahe elf Monate vergangen, in denen die Alliierten sich in blutigen Kämpfen Richtung Norden vorgearbeitet hatten – Monate, in denen erste Hoffnungen, Rom könnte schon bald befreit werden, immer wieder zerschlagen wurden. Irgendwo an der Strecke durch die Albaner Berge hielt der Konvoi an diesem Morgen an, damit der General für die Fotografen neben einem großen blau-weißen Straßenschild posieren konnte, das den Weg Richtung »ROMA« wies. Die Kameras klickten, da wurde die Festtagsstimmung durch ein anderes Geräusch jäh zerrissen: Scharfschützenkugeln. Der General und seine Begleiter warfen sich zu Boden und krochen hangabwärts, bis sie ein Haus mit soliden Mauern erreicht hatten, das Schutz bot. Erst am nächsten Tag sollte das letzte deutsche Scharfschützennest ausgehoben werden: Der Weg nach Rom war frei.1 Während in den Tagen darauf draußen alliierte Soldaten den Kindern von Rom Bonbons zusteckten und die Menschen auf den Straßen ihre Befreiung feierten, wetteiferten die hohen alliierten Würdenträger um eine Privataudienz beim Papst. General Clark war der Erste, der sich auf den Weg zum Papstpalast machte. Am 8. Juni 1944 fuhr sein Jeep auf dem Petersplatz vor, der General war noch im Feldanzug. Zur Vorbereitung seiner Unterredung mit Clark hatte Pius XII. sich Stichpunkte gemacht, die ihn durch das Gespräch leiten sollten. Die ersten drei Punkte, die der Papst ansprechen wollte, um den Alliierten dafür zu danken, dass sie Rom vor 491

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weiterer Zerstörung verschont hatten, hatte vermutlich Tardini für ihn aufgeschrieben; einen vierten Punkt hatte der Papst eigenhändig hinzugefügt: »Man hat uns zugetragen, dass die Kommunisten jetzt in zahlreiche staatliche Ämter gelangen. Dies ist ein Grund zu großer Sorge. Es kann dabei wohl kaum etwas Gutes herauskommen. Wir hoffen, dass man sie einigermaßen im Zaum halten wird.«2 Am Tag darauf empfing Pius XII. den Premierminister von Neuseeland, dessen Truppen ebenfalls an dem alliierten Vorstoß auf Rom beteiligt gewesen waren. Der britische Gesandte Osborne, der den Premier begleitete, hatte den Papst noch nie in derart guter Stimmung gesehen. Die Tatsache, dass der Übergang aus deutscher unter alliierte Kontrolle ohne Beschädigung der Stadt und ohne Übergriffe auf die Kirche vonstattengegangen war, hatte für große Erleichterung gesorgt. Tatsächlich hatte der Vatikan die deutsche Besetzung Roms relativ unbeschadet überstanden. Die Alliierten hatten zwar über Monate hinweg einen Propagandafeldzug geführt, dessen Thema die angebliche Tyrannisierung des Vatikans durch die deutschen Besatzer gewesen war, doch waren die entsprechenden Meldungen zumeist nur ebendas gewesen: Propaganda. Mitte Juni meldete Robert Murphy, der ranghöchste US-Diplomat im Tross der alliierten Truppen in Italien, nach Washington, dass »bislang in Rom keinerlei Belege für eine Unterdrückung und Verfolgung der dortigen katholischen Kirche aufgefunden wurden«. Soweit es zu Schäden gekommen war, hatten alliierte Bomben sie angerichtet.3 Als ein weiterer Vertreter der alliierten Prominenz bemühte sich Charles de Gaulle, der Oberbefehlshaber der Forces françaises libres, um ein persönliches Treffen mit dem Papst. Ende Juni war es dann so weit. »Was den Heiligen Vater ängstigt«, erinnerte sich der Anführer des französischen Widerstands nach diesem Gespräch, »ist vor allem, was die Sowjets tun.« Der Papst glaube, »dass der Christenheit ausgesprochen schwere Prüfungen bevorstehen und dass nur ein enges Bündnis der katholisch geprägten europäischen Staaten – Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Portugal – diese Gefahr wird abwenden können. Dies ist das vorrangige Ziel Papst Pius’ XII.« Als de Gaulle einige Tage später in das alliierte Hauptquartier nach Algier zurückkehrte, teilte er seine Eindrücke von der Papstaudienz Duff Cooper mit, dem britischen Gesandten bei de 492

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Gaulles französischer Exilregierung. »Wie General de Gaulle mir gestern Abend anvertraute«, meldete Cooper nach London, »hat das Gespräch mit dem Papst bei ihm keinen besonders günstigen Eindruck hinterlassen. Es hat den Anschein, dass Seine Heiligkeit gerade keine größere Sorge hat als das mögliche künftige Leid der armen Deutschen …«4 So erleichtert der Papst angesichts des reibungslosen Übergangs Roms an die Alliierten auch war, blieb doch die Unzufriedenheit darüber, dass sein dringender Wunsch, Rom solle zur offenen Stadt erklärt werden, nicht erfüllt worden war. Nachdem die Alliierten auch den deutschen Vorschlag abgelehnt hatten, die Stadt zu demilitarisieren – drohte da nicht eine abermalige Bombardierung Roms, dieses Mal durch die deutsche Luftwaffe? Auf diese spezielle Sorge bezog sich der amerikanische Außenminister in einem Brief von Anfang Juli: »Angesichts der gegenwärtigen militärischen Gesamtlage, und insbesondere der alliierten Lufthoheit über Italien sowie weiterer militärischer Mittel, erscheint die Kurie übertrieben besorgt, was die Gefährdung Roms betrifft. Die Vereinigten Stabschefs sind der Auffassung, dass ernstzunehmende deutsche Luft- oder sonstige Angriffe auf die Stadt Rom wenig wahrscheinlich sind, weder zurzeit noch in absehbarer Zukunft.«5 Bald nachdem alliierte Truppen in Rom eingerückt waren, bat Präsident Roosevelt seinen vormaligen Sondergesandten Myron Taylor, in den Vatikan zurückzukehren. Taylors erste Berichte an Roosevelt, in Form von handschriftlichen Briefen, erzählen davon, in wie heiterer Stimmung er den Papst angetroffen hatte, der jetzt täglich Tausende von alliierten Offizieren und Mannschaften bei seinen Audienzen begrüßen durfte. Den Pressevertretern hatte der Pontifex sogar eine Sonderaudienz im päpstlichen Thronsaal gewährt und jeden Einzelnen von ihnen mit einem Handschütteln und einem persönlichen Gespräch begrüßt. In den langen Gesprächen, die Taylor mit Pius XII. führte, ließ der Papst keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass Deutschland den Krieg schließlich verlieren werde, drückte jedoch seine Sorge über die Verluste an Menschenleben aus, die hierzu nötig sein würden. Kummer bereitete ihm auch der Gedanke, dass eine Niederlage Deutschland dem Kommunismus in die Arme treiben könnte. Der Papst fühlte bei Taylor vor, ob er einen weiteren Friedensaufruf ergehen lassen sollte, worauf Roosevelts 493

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­ esandter ihm ein deutliches Nein zur Antwort gab. Schließlich sei die bisG lang letzte päpstliche Friedensbotschaft, verlautbart nur wenige Tage vor der Befreiung Roms, »in Amerika … als deutschfreundlich … interpretiert worden. Es sollte alles vermieden werden, das in Deutschland oder anderswo falsche Hoffnungen schüren könnte, weil es den Konflikt nur verlängern würde« und, so die Warnung, »weil es missverstanden und übelgenommen würde«.6 Anfang Juli 1944 empfing der Papst William »Wild Bill« Donovan, den legendären Leiter des US -Nachrichtendienstes OSS (Office of Strategic Services), zu einer Privataudienz.7 Kurioserweise glaubte der Papst zum Zeitpunkt seines Gesprächs mit dem amerikanischen Oberspion, dem er seine Besorgnis über den Kommunismus und die Zukunft Deutschlands mitteilte, dass der US-Präsident persönlich auf dem Weg nach Rom sei.8 Deshalb beauftragte er den einzigen amerikanischen Prälaten im Staatssekretariat, Monsignore Walter Carroll, ein englischsprachiges Memoran-

Myron Taylor und Kardinal Maglione mit dem amerikanischen ­Kriegsminister Henry L. Stimson bei dessen Besuch im Vatikan, 6. Juli 1944.

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dum zur Vorbereitung des Treffens mit Roosevelt aufzusetzen. Obwohl der Präsident tatsächlich gar nicht nach Rom unterwegs war, gewährt dieses Dokument wertvolle Einblicke in die Denkweise des Papstes und der vatikanischen Behörden unmittelbar nach dem alliierten Einmarsch in Rom. So hielt der Papst es beispielsweise für wichtig, dass in den kommenden Monaten die Amerikaner – und nicht die Briten – in Italien die entscheidende Rolle spielen sollten. »Die Amerikaner«, schrieb Carroll in seinem Papier, »scheinen geneigt, nach Amerika zurückzukehren und Europa den Engländern zu überlassen. Eine solche Rückkehr zum amerikanischen Isolationismus ist äußerst gefährlich und könnte für Europa verhängnisvoll sein.« Hinter der amerikanischen Sichtweise, man könne sich rasch wieder aus den italienischen Verhältnissen herausziehen, meinte Carroll, stehe letztlich die Idee, man solle Italien den Italienern überlassen. Diese Auffassung beruhe jedoch »auf dem grundlegenden Irrtum, dass Italien reif für eine demokratische Regierungsform sei und sich die amerikanische Demokratie ohne Weiteres nach Italien verpflanzen lasse«. Aus einer solchen Sicht der Dinge sprach in den Augen des Monsignore letztlich die blanke Unkenntnis der italienischen Geschichte und Mentalität. Es sei vielmehr unabdinglich, dass die amerikanische Regierung »noch für eine ganze Weile unauffällig, aber effektiv in die Geschicke dieses Landes eingreift«. Als letzten Punkt hätte der Papst gegenüber dem amerikanischen Präsidenten auf die Gefahr zu sprechen kommen sollen, dass die deutsche Niederlage zu einer russischen Vormachtstellung in Europa führen könnte. Vorkehrungen müssten getroffen werden, um dies auszuschließen. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, schrieb Carroll, um auf Roosevelt einzuwirken, der »zweifellos für eine vierte Amtszeit kandidieren wird« und »äußerst empfänglich [ist] für die Reaktionen und Meinungen katholischer Kreise in Amerika. … Er wird deshalb sehr bestrebt sein, die Wünsche des Heiligen Stuhls zu erfahren, und wird ganz bestimmt jede Anstrengung unternehmen, um diese Wünsche zu erfüllen. Folglich ist nun der richtige Zeitpunkt, um hart zuzuschlagen«.9 Für viele alliierte Soldaten war die Aussicht, an einer Papstaudienz in den freskengeschmückten Hallen des Vatikans teilnehmen zu können, einfach 495

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zu verlockend, und Pius XII. genoss seinerseits das Bad in der Menge. Er hielt jetzt täglich große öffentliche Audienzen ab, meist in der Sala Regia vor der Sixtinischen Kapelle. Dort war eigens ein Podest errichtet worden, von dem der Papst einige Worte auf Englisch an die versammelten Soldaten richten konnte, bevor er ihnen den Segen spendete. Wenn der Papst den Saal verließ, hielt er oft noch einmal bei den Umstehenden an, unterhielt sich mit ihnen und ließ sie seinen Ring küssen. »Seine liebenswürdige Art und sein Lächeln und die ungeteilte Aufmerksamkeit, die er jedem einzelnen seiner Gesprächspartner widmet, hinterlassen bei allen einen äußerst günstigen Eindruck«, meldete Osborne nach London. Es schien seltsam, dass der Papst sich dennoch Gedanken machte, was seine Rezeption in den Audienzen mit den amerikanischen Soldaten anging. Bei einem seiner nächsten Gespräche mit General Clark vertraute er sich dem US-Befehlshaber an: »Wissen Sie, ich glaube, Ihre amerikanischen Soldaten mögen mich nicht.« Angesichts der großen Zahl von GIs, die sich lautstark um einen Platz bei einer Audienz bemüht hatten, glaubte Clark zuerst, der Papst habe einen Witz gemacht – dabei war es ihm bitterernst. Wenn er italienische oder deutsche Soldaten empfangen hatte, erklärte Pius, waren diese stets in lauten Jubel ausgebrochen, sobald er den Saal betrat; »aber wenn ich vor Ihre amerikanischen Soldaten trete, geben die keinen Ton von sich«. Zur großen Erleichterung des Papstes konnte Clark ihm das damit erklären, dass man in den Vereinigten Staaten bei derartigen Gelegenheiten mehr Wert auf eine ehrerbietige Haltung legte: Applaus und Jubelrufe bei einer Papstaudienz schienen da respektlos und völlig fehl am Platz.10 So sehr den Papst die Besucherzahlen bei seinen alltäglichen Audienzen freuten, ließ ihn doch die Angst nicht los, ein kommunistischer Umsturz in Italien stehe womöglich unmittelbar bevor. Diese Angst war bei seinen wöchentlichen Treffen mit Taylor das eine beherrschende Thema, das mit dem zweiten eng verbunden war: seinem Wunsch, die alliierten Truppen noch möglichst lange in Italien stationiert zu sehen. Als Osborne Ende Juli mit dem Papst zusammentraf, kamen dieselben Anliegen zur Sprache: »In unserem Gespräch über die derzeitige Lage Italiens äußerte der Papst seine Hoffnung, dass wir im Land noch eine ganze Weile unauffällig eingreifen, selbst wenn die Besatzungstruppen vielleicht abgezo­ 496

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gen werden. Andernfalls, fürchtet er, wird das Chaos die Oberhand gewinnen.« Osborne, der selbst kein Freund der politischen Linken war, stimmte prinzipiell zu, wies den Papst aber auch darauf hin, dass die »kompromisslosen Verfechter der Demokratie, die in London und Washington sitzen, einem derartigen Vorgehen niemals zustimmen würden«. Sowohl die amerikanische als auch die britische Regierung waren nämlich der Auffassung, dass die Italiener möglichst bald freie Wahlen durchführen sollten, um über die Zukunft ihres Landes selbst zu bestimmen. »Hierauf meinte der Papst«, wie Osborne berichtete, »dass dies in der Theorie ganz hervorragend sei, in der Praxis sowie unter den derzeit gegebenen Umständen jedoch dem italienischen Volk nur einen zweifelhaften Nutzen bescheren werde.«11 Osborne sollte schon bald die seltene Gelegenheit haben, dem britischen Premierminister persönlich zu berichten, denn Churchill hatte entschieden, zu einem Besuch nach Rom zu kommen. Als Francesco Babuscio, dessen Status als offizieller italienischer Gesandter beim Heiligen Stuhl inzwischen wieder gefestigt war, von den Reiseplänen erfuhr, bat er Pius XII. für den 17. August um ein Gespräch. Die königlich-italienische Regierung hatte die Alliierten schon seit Längerem gedrängt, Italien nicht als besiegten Gegner, sondern als Kriegsverbündeten im Kampf gegen Hitlerdeutschland zu behandeln. Jetzt, da die italienische Hauptstadt aus der Hand der Deutschen befreit war, wurde diese Unterscheidung für die italienische Seite immer wichtiger. Wenn Italien nämlich als Alliierter betrachtet würde anstatt als besiegte Achsenmacht, dann könnte auch die italienische Regierung wieder ihre alte Autorität ausüben, anstatt die Staatsgewalt noch länger den Alliierten zu überlassen. Babuscio bat den Papst deshalb, er möge Churchill eindringlich vor Augen führen, wie wichtig dieser Schritt für die Zukunft Italiens sei. Außerdem drängte er den Papst, dem britischen Premier noch etwas anderes nahezubringen: die Dringlichkeit der Versorgung Italiens mit Nahrungsmitteln, damit die Bevölkerung im nächsten Winter nicht würde hungern müssen. In Italien, erklärte Babuscio, fehlte es an allem: Kohle, Treibstoffe, Medikamente. Und seit dem Zusammenbruch des Transportwesens konnte selbst Obst und Gemüse, das in kürzeren Abständen geerntet wurde, nicht dorthin gebracht werden, wo man es dringend brauchte. 497

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Der Papst versprach, bei seinem Treffen mit Churchill all diese Punkte anzusprechen, hatte jedoch auch seinerseits eine Botschaft, die Babuscio übermitteln sollte. Teilen Sie der italienischen Regierung mit, bat er den Botschafter, dass er, Pius, fest darauf hoffe, dass, welche Maßnahmen auch immer gegen »die für die italienische Tragödie Verantwortlichen« – also Mussolini und die faschistische Führungsriege – ergriffen würden, diese doch »nicht von jenem Geist der Milde abweichen, der in unserem Volk so stark verwurzelt ist«.12 Wie der Zufall es wollte, fand der Besuch des britischen Premierministers schließlich zu einem Zeitpunkt statt, der für den Papst kaum ungünstiger hätte sein können. Am 22. August 1944, dem Tag, an dem Churchill in Rom ankam, starb der lange schon herzkranke Kardinal Maglione im Alter von 67 Jahren. Einige Wochen zuvor war er in die amerikanische Abteilung eines Krankenhauses in Neapel eingeliefert worden, doch selbst die Spezialisten dort konnten ihn nicht mehr retten. Sein Begräbnis sollte eine Woche später in Rom stattfinden, einige Tage nach der geplanten Abreise des britischen Premiers. Zwar war das Verhältnis zwischen Maglione und Pius XII. nie wirklich herzlich gewesen, und gerade in jüngerer Zeit hatte der Papst sich lieber an die beiden Stellvertreter seines Staatssekretärs, die Monsignori Montini und Tardini, gehalten, doch bei den Mitgliedern des diplomatischen Korps beim Heiligen Stuhl war der Kardinal aus Neapel allgemein beliebt gewesen. An seinem Scharfblick als Beobachter des internationalen Geschehens konnte ohnehin kein Zweifel bestehen. Magliones Tod riss eine Lücke, die so bald nicht wieder gefüllt werden sollte.13 Am Tag nach dem Tod des Kardinalstaatssekretärs traf Churchill sich in Begleitung Osbornes mit Pius XII. Monsignore Tardini hatte den bevorstehenden Besuch mit dem Papst besprochen und eine Gesprächsvorlage mit allen Punkten ausgearbeitet, die Pius dem britischen Premier gegenüber zur Sprache bringen wollte. Anschließend war dieses Papier ins Englische übersetzt worden. Zum größten Teil ging es um die politische Situation Italiens, vor allem um die Frage, was mit der italienischen Monarchie geschehen solle. Nachdem Vittorio Emanuele III. zwanzig Jahre lang Mussolini und sein faschistisches Regime unterstützt hatte, drohte der Dynastie, die einst das Königreich Italien gegründet hatte, nun der Untergang. Der Papst wollte Churchill jedoch nahelegen, die Monarchie zu erhalten, 498

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und zwar mit dem Argument, »dass der Wechsel vom monarchischen System zu einem republikanischen in der gegenwärtigen Lage nur eine weitere Belastung darstellen, die Zwietracht verschärfen und neuen, zukünftigen Verwerfungen den Boden bereiten würde«. Dann war da noch die größte Sorge des Papstes: »Der Kommunismus stellt für das italienische Volk eine gewaltige und unmittelbare Bedrohung dar, verarmt, ausgehungert und erschöpft, wie es ist.« Nur mit einer umfassenden wirtschaftlichen Unterstützung durch die Alliierten, glaubte der Papst, könne die kommunistische Gefahr in Italien fürs Erste gebannt werden. Der Papst wollte auch beunruhigende Meldungen ansprechen, die ihm aus Süditalien zugegangen waren: Demnach hatten es die Alliierten zugelassen, dass der katholische Religionsunterricht aus den Lehrplänen der öffentlichen Schulen gestrichen wurde. Die Mitglieder der Bildungskommission der Alliierten, beklagte sich der Papst, waren mehrheitlich keine Katholiken! Unter dem Vorwand, dass sie zu ihrer Unterstützung nur erwiesene Antifaschisten heranziehen könne, habe die Kommission sich ihren Rat »bei italienischen Intellektuellen geholt, die für ihre antikatholische Gesinnung bekannt sind, die aber im Verhältnis zur großen Mehrheit der gebildeten katholischen Italiener nur eine winzige Minderheit darstellen«. Was die Alliierten nach Meinung des Papstes stattdessen brauchten, war der Rat kirchlicher Stellen, insbesondere bei der Auswahl geeigneter Lehrwerke für die öffentlichen Schulen. Der nächste Punkt auf der päpstlichen Gesprächsagenda betraf die Zukunft der Lateranverträge, die der Vatikan fünfzehn Jahre zuvor mit Mussolini geschlossen hatte: »Manche sind der Ansicht, dass die Lateranver­ trä­ge vom Faschismus abgeschlossen wurden und deshalb auch mit diesem zu Fall kommen sollten.« Ganz im Gegensatz hierzu vertrat der Papst eine geschichtsrevisionistische Sicht, die rasch zum neuen vatikanischen Standard werden sollte. Demnach sei die faschistische Regierung der Kirche gegenüber niemals besonders gewogen gewesen. Auch sei die Vereinba­ rung gar nicht zwischen der Kirche und Mussolini geschlossen worden – der die Verträge immerhin ausgehandelt und schließlich auch unterzeichnet hatte – , sondern zwischen der Kirche und dem italienischen König. Schlussendlich wollte der Papst erreichen, dass die alliierten Behörden etwas gegen eine aus seiner Sicht alarmierende neue Entwicklung unter499

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nahmen. Auf das Drängen des Vatikans hin hatte das faschistische Regime seinerzeit jegliche Ansätze zu protestantischer Überzeugungsarbeit in Italien unterdrückt. Mit dem Vorrücken der Front gen Norden fanden aber mittlerweile auch wieder protestantische Prediger ihren Weg ins Land. Wenn man solche »protestantische Propaganda« in Italien zulasse, warnte der Papst, würden dies die Folgen sein: »a) eine betrübliche Spaltung und ernsthafte Unruhe in der Bevölkerung; b) eine starke Reaktion seitens der Bischöfe, des Klerus und der Katholischen Aktion; c) eine unvermeidliche Verurteilung und Gegnerschaft seitens des Heiligen Stuhls«.14 Wie viele Punkte aus dieser Gesprächsvorlage Pius XII. mit Churchill im Verlauf ihres etwa 45-minütigen Treffens tatsächlich besprechen konnte, wissen wir nicht. Offenbar hat der Papst aber nicht davor zurückgeschreckt, dem britischen Premierminister gegenüber offen seine Meinung zu sagen. Nach dem Gespräch äußerte Churchill nämlich Myron Taylor gegenüber, der Papst sei »eine sehr geradlinige und starke Persönlichkeit«. Churchill, sollte man meinen, wusste, wovon er sprach: Wenn er jemanden als eine »starke Persönlichkeit« bezeichnete, warf dies ein gewisses Licht auf die betreffende Person, und entsprechend aufschlussreich ist seine Bemerkung über Pius XII. Der Krieg hatte diesen Papst verändert, von dem viele Kardinäle anfangs gedacht hatten, er sei nicht hart genug für die Anforderungen seines Amtes. Zwar pflegte Pius XII. noch immer das Image eines Asketen und erfreute sich hinter verschlossenen Türen weiterhin daran, wenn seine Kanarienvögel ihm aus der Hand fraßen, doch war er inzwischen alles andere als schüchtern darin, seine Meinung kundzutun. Wo er sich Rom nun nicht mehr mit Mussolini teilen musste, der sich immer darauf verstanden hatte, ihn einzuschüchtern, und auch Hitler zunehmend in die Defensive geriet, begann der Papst selbstbewusster aufzutreten.15 Nirgendwo trat die neue gebieterische Eigenart des Papstes klarer hervor als in der Frage der Besetzung des vakanten Staatssekretärspostens. Wie es in solchen Situationen meist der Fall ist, kursierten schnell Gerüchte über Magliones angeblichen Nachfolger. Doch Pius XII. schien es mit der Ernennung eines neuen Staatssekretärs überhaupt nicht eilig zu haben. Tatsächlich fühlte er sich wohler ohne Staatssekretär, war sein Umgang mit Maglione doch nie ganz unbefangen gewesen: In den Augen des Papstes hatte der Kardinal sich viel zu sehr als sein ebenbürtiger Partner gesehen. 500

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Und mit den Monsignori Tardini und Montini verfügte Pius über fähige Männer, an deren Unterordnung er nicht zweifeln musste.16 Am 1. September 1944, dem fünften Jahrestag des Kriegsbeginns, während weiter nördlich in Italien noch heftige Kämpfe wüteten, hielt der Papst seine erste weltweit ausgestrahlte Radioansprache seit der Befreiung Roms. Gerade bildete sich in Oberitalien eine neue Front: Im Verlauf des Sommers waren die alliierten Truppen zunächst rasch von Rom über Florenz in Richtung Norden vorgestoßen, bevor ihre Offensive Ende August an der sogenannten Gotenstellung, der neuen deutschen Verteidigungslinie, zum Stillstand gekommen war. Diese Linie zog sich von La Spezia über den Apennin bis nach Pesaro an der Adriaküste. Nicht gerade hilfreich war die Entscheidung des alliierten Oberkommandos, Truppen von erheblicher Stärke aus Italien an die neue Front nach Frankreich zu verlegen. In den Monaten bis zum Wintereinbruch wurde im nördlichen Apennin jedenfalls weiter erbittert gekämpft, und die Deutschen und ihre faschistischen Verbündeten behaupteten ihre Herrschaft über das nördliche Drittel der italienischen Halbinsel. Auch wenn die Alliierten erleichtert waren, dass der Papst in seiner Rundfunkansprache vom 1. September nicht ausdrücklich einen Kompro­ missfrieden gefordert hatte, gab es doch einige verärgerte Reaktionen. Besonders unzufrieden waren die Polen, die nicht nur übel vermerkten, dass der Papst am Jahrestag des deutschen Überfalls auf ihr Land darüber kein Wort verloren und sich stattdessen darauf konzentriert hatte, wie sehr Rom und Italien unter dem Krieg gelitten hatten. Auch in Großbritannien wurde die Rede eher ablehnend aufgenommen, da man den Papst dahingehend verstand, dass er die Einwohner Londons aufforderte, den Deutschen für ihre Bombenangriffe zu vergeben. Ein Leserbrief, den die Londoner Times am 4. September abdruckte, gibt die vorherrschende Meinung mit typisch englischer Ironie wieder: Es tut mir wirklich herzlich leid, falls mir die päpstliche Verurteilung der deutschen Verbrechen entgangen sein sollte; jedoch muss ich feststellen, dass meine Freunde und Bekannten sich allesamt in demselben beklagenswerten Zustand der Unwissenheit befinden. Gestatten Sie doch bitte Ihrem Korrespondenten, dass er aus Anstand gegenüber Seiner Heiligkeit und zur Unter-

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richtung Ihrer Leser uns den genauen Wortlaut der Aussagen mitteilt, in denen die deutschen Überfälle auf Polen, Frankreich, Holland, Belgien, Norwegen, Griechenland, Russland usw. verurteilt werden sowie das planmäßige Gemetzel und die Misshandlung von Polen und Juden, die Massendeportationen und immensen Raubzüge, die Bombardierungen von Warschau, Rotterdam, Belgrad, London usw. Voller Hoffnung habe ich in Ihrem langen Bericht … über die Rundfunkansprache des Papstes zum fünften Jahrestag des Kriegsbeginns nach einer solchen Äußerung gesucht. Ich habe sie nicht gefunden. Es ist vielmehr nichts enthalten, das den Historikern sagen würde, dass dieser Krieg nicht etwa von Amerika oder von Griechenland begonnen wurde.

Was Pius XII. besonders aufbrachte, war, dass einige negative Kommentare zu seiner Rede über den alliierten Militärradiosender ausgestrahlt wurden, woraufhin Montini an Osborne ein Protestschreiben übergab. »Es kann uns nur erstaunen«, schrieb Montini darin, »dass der Pressedienst der alliierten Truppe diese bösartigen und unwahren Meldungen sammelt und so zu ihrer Verbreitung in der Öffentlichkeit beiträgt.«17 Der Kampf um die Ewige Stadt mochte vorbei sein, der Kampf um die (Um-)Deutung der Geschichte hatte gerade erst begonnen. Rom wimmelte von Männern, die im faschistischen Regime eine wichtige Rolle gespielt hatten und sich nun verzweifelt an ihre privilegierte Position klammerten, ohne für das Unheil, das sie über ihr Land gebracht hatten, eine Mitverantwortung zu übernehmen. Francesco Babuscio, der italienische Botschafter beim Heiligen Stuhl, mag hierfür als Beispiel dienen. Wie vielen anderen drohten ihm nun die Amtsenthebung und eine Anklage durch die neue »Säuberungskommission« (commissione di epurazione). Diese einige Monate zuvor von der italienischen Regierung auf Betreiben der Alliierten eingerichtete Kommission, die die Faschisten aus der öffentlichen Verwaltung entfernen sollte, erhielt nach der Befreiung Roms neuen Auftrieb. Ende August erfuhr Babuscio, dass er von seinem Posten suspendiert werden sollte, solange die Kommission ihre Arbeit tat. Tatsächlich trat die Suspendierung aber nie in Kraft – dafür sorgte der adelige Staatssekretär im Außenministerium Giovanni Visconti Venosta. Als Begründung gab er 502

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an, dass es in einer derart heiklen Lage das Beste sei, wenn man jede Art von Spannung zwischen der italienischen Regierung und dem Heiligen Stuhl vermeide.18 Während Babuscio also im Vatikan auf seinem Posten bleiben konnte, lief das Verfahren gegen ihn weiter. Die Anschuldigungen begannen mit seinem frühen steilen Aufstieg im italienischen Außenministerium, den er seinen guten Beziehungen zur faschistischen Bewegung verdankte. Sie gingen weiter mit seiner Verwaltungstätigkeit im besetzten Albanien, die ihm eine weitere Beförderung einbrachte, und endeten mit seiner Ernennung zu Mussolinis Stabschef im Außenministerium im Februar 1943.19 Wenn nun Männer, die noch wenige Monate zuvor als loyale Gefolgsleute des faschistischen Regimes aufgetreten waren, sich nach dessen Sturz in einer kompromittierenden Lage befanden, hätte dasselbe zumindest in der Theorie von den zahlreichen hohen Kirchenvertretern gelten sollen, die das faschistische Regime und den Krieg der Achsenmächte in aller Öffentlichkeit unterstützt hatten. Hätte der Papst aber zugelassen, dass man auch nur einen dieser Männer zur Rechenschaft zog, wäre dies einem Eingeständnis der Rolle gleichgekommen, die die Kirche zugunsten von Faschismus und Krieg gespielt hatte – doch diese Tatsache der jüngsten Geschichte leugnete man im Vatikan und auf den Führungsebenen der kirchlichen Einrichtungen in ganz Italien mittlerweile entschieden. Ein Kirchenmann war freilich so stark kompromittiert, dass selbst Pius XII. ihn nicht halten konnte, so sehr er sich auch darum bemühte: Über beinahe zwei Jahrzehnte hinweg war Erzbischof Angelo Bartolomasi Italiens oberster Militärseelsorger gewesen – eine Ernennung, die der päpstlichen Zustimmung bedurft hatte. Als ein enthusiastischer Unterstützer des Faschismus hatte er lange eine unübersehbare Rolle bei der Mobilisierung der italienischen Katholiken für die Sache Mussolinis und den Krieg der Achsenmächte gespielt. Nach dem Sturz des faschistischen Regimes hatte der Papst keinerlei Anstalten gemacht, Bartolomasi zu ersetzen, und auch noch Monate nach der Befreiung Roms war der Erzbischof auf seinem Posten. Auf das Drängen des italienischen Kriegsministers hin riet Babuscio Mitte August dem Papst, er solle sich der peinlichen »Altlast« an der Spitze der italienischen Militärseelsorge entledigen. Als einen Monat später noch 503

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nichts in der Art geschehen war, gab auch Staatssekretär Visconti Venosta dem Papst zu verstehen, dass er die Entscheidung unmöglich noch länger aufschieben könne.20 Als Pius zu Beginn des Herbstes noch immer untätig geblieben war, suchte Visconti Venosta schließlich Monsignore Montini auf, um seiner Verärgerung Luft zu machen. Montini tat, was er konnte, um den aufgebrachten Staatssekretär zu beruhigen, und versicherte ihm, dass Bar­to­ lomasi seinen Posten zwar behalten, jedoch nicht mehr öffentlich als Chef der Militärseelsorge in Erscheinung treten werde. Doch entgegen diesen Zusicherungen nahm der Erzbischof Anfang Oktober in seiner offiziellen Funktion an der nachgeholten Trauerfeier für den Offizier Giuseppe Cordero di Montezemolo teil, einen Märtyrer der Widerstandsbewegung. Nach seiner Festnahme durch die Deutschen war er zum prominentesten Opfer des Massakers geworden, das sich in den Ardeatinischen Höhlen abgespielt hatte. Die Empörung von Montezemolos Angehörigen und Freunden über die Anwesenheit des Prälaten bei der Trauerfeier für den antifaschistischen Helden hätte jedenfalls größer kaum sein können. Ein wütender Visconti Venosta ließ Babuscio dem Papst ein Ultimatum überbringen: Bislang habe er getan, was er konnte, um die italienische Presse von Angriffen auf den Vatikan abzuhalten, weil der den faschistischen Erzbischof auf seinem Posten beließ. Damit sei nun Schluss. Vielmehr werde er auch andere Mitglieder der Regierung Badoglio nicht mehr dazu anhalten, Stillschweigen zu bewahren. »Zur Vermeidung einer schmerzhaften Polemik«, teilte der Staatssekretär Babuscio mit, »gibt es nur eine einzige Lösung: Versetzen Sie die Regierung in die Lage, zu erklä­ ren, dass Monsignore Bartolomasi nicht länger als Militärbischof amtiert.«21 Babuscio suchte also Monsignore Montini auf. Dieser musste zugeben, durchaus versprochen zu haben, Bartolomasi werde in seiner Eigenschaft als Leiter der italienischen Militärseelsorge nicht mehr an öffentlichen Zeremonien teilnehmen. Sein Erscheinen beim Begräbnis des Widerstandshelden sei »so nicht geplant« gewesen, erklärte der Monsignore und versprach, die Sache werde schon bald bereinigt sein und Bartolomasi abgelöst werden. Tatsächlich beugte Pius XII . sich schließlich dem wachsenden Druck und willigte schweren Herzens ein, den Erzbischof von seinem Posten zu entfernen.22 504

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Ende August waren alliierte Truppen in Paris eingezogen und rückten inzwischen Richtung Osten vor. Während die Alliierten sich also der deutschen Grenze näherten, evakuierten die Deutschen im Verlauf des folgenden Monats ihre Truppen aus Griechenland und Albanien. In Italien aber steckte der alliierte Vormarsch weiterhin in dem unwegsamen ApenninBergland südlich von Bologna fest. Im Frühjahr hatte eine deutsche Pioniereinheit mithilfe italienischer Zwangsarbeiter die rund 320 Kilometer lange Verteidigungslinie angelegt, die sich quer über die italienische Halbinsel zog. Mit mehr als 2000 MG-Nestern, unzähligen Bunkern, Flugabwehr- und Artilleriestellungen, Panzergräben und Beobachtungsposten erwies sie sich als ein ernstzunehmendes Hindernis für die alliierten Truppen. Die Kämpfe hier waren monatelang erbittert und blutig. Auf dem deutschen Soldatenfriedhof am Futapass sollten schließlich mehr als 30 000 Gefallene ihre letzte Ruhestätte finden; auf alliierter Seite lagen die Verluste bei 40 000 Mann. Unter ihnen war auch ein 21-jähriger Leutnant und Zugführer, der durch eine deutsche Granate so schwer an Rücken und Schulter verletzt wurde, dass man ihm wenig Chancen gab. Über drei Jahre hinweg fiel er immer wieder ins Koma, verlor eine Niere und den Gebrauch des rechten Arms. Doch er überlebte. Besagter GI, Bob Dole, sollte noch mehr als ein Vierteljahrhundert lang als Senator dem Kongress der Vereinigten Staaten angehören, bis er 1996 sogar als republikanischer Präsidentschaftskandidat antrat.23 Roms Juden konnten sich nun aus ihren Verstecken wagen, doch im Norden Italiens wurden noch immer Juden zusammengetrieben, in Viehwaggons gepfercht und in die Vernichtungslager der Nazis geschickt. Einen Monat nach der Befreiung Roms hatten die beiden Oberrabbiner von Palästina – der aschkenasische und der sephardische – ein gemeinsames Telegramm an Kardinal Maglione geschickt, worin sie um eine päpstliche Audienz baten: wir nehmen an, apostolischer delegat pater hughes [der für Jerusalem zuständig war] wird dieser tage unsere anfrage übermitteln bezüglich audienz mit seiner heiligkeit über gegenwärtige lage juden europas stop seit unserer letzten botschaft haben erfahren lage verschlechtert sich rapide stop stimme gottes und

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unserer leidenden brüder lässt uns keine ruhe, bevor wir nicht mit seiner heiligkeit sprechen können, der bedrängtem israel helfende hand angeboten hat stop angesichts äusserster wichtigkeit flehen wir stop bitten sie seine heiligkeit rasch um audienz stop dank im voraus

Weil ihm durchaus bewusst war, um welche Art von Hilfe die Rabbis ihn bitten würden, hielt Pius XII. es für das Beste, ihren Gesprächswunsch abzulehnen. Dabei achtete er darauf, keine schriftliche Äußerung dazu herausgehen zu lassen. Eine Notiz in den neu freigegebenen Akten des Vatikans lautet: »Was die Audienz betrifft, um die der Oberrabbiner von Jerusalem, Herzog, gebeten hat, ist die Entscheidung des Heiligen Vaters diese: ›Er hält es für richtig, nicht zu antworten.‹«24

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Kapitel 39

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ls das Jahr 1945 begann, war der Norden Italiens noch immer ein Kriegsschauplatz. Im Apennin südlich von Bologna hielten deutsche Truppen weiterhin den ins Stocken gekommenen Vorstoß der Alliierten auf, während Wehrmachtsoldaten und Soldaten der Italienischen Sozialrepublik gleichzeitig immer häufiger in Gefechte mit der erstarkenden italienischen Partisanenbewegung verwickelt wurden. Wurden Partisanen von den faschistischen Schwarzen Brigaden (Brigate Nere) gefangen genommen, blühte ihnen meist erst die Folter, bevor man sie erschoss. Die rasch anwachsende Kommunistische Partei Italiens stellte nicht nur das größte Kontingent an Partisanenkämpfern, sondern organisierte auch Arbeitsniederlegungen in den Fabriken des Nordens. Jenseits der Alpen befanden sich die deutschen Truppen, nach kurzen Anfangserfolgen im Rahmen ihrer Ardennenoffensive, auf dem Rückzug. Noch im Januar 1945 sollte die Rote Armee Warschau befreien, im Monat darauf Budapest. In Oberitalien war die Lage düster: Noch immer fielen alliierte Bomben auf die Städte. Nachts kamen die britischen Bomber, und tagsüber nahmen die »Präzisionsangriffe« der amerikanischen Luftwaffe die deutschen Stellungen und Nachschublinien ins Visier. Am schwersten traf es das unmittelbar hinter der deutschen Verteidigungslinie gelegene Bologna. Ein großer Teil der historischen Altstadt mit ihren berühmten Arkadengängen wurden dem Erdboden gleichgemacht, als die Stadt im Dezember und Januar fast täglich bombardiert wurde.1 Die Italiener im Norden der Halbinsel lebten in ständiger Angst vor den Deutschen und ihren italienischen Kameraden, die Jagd auf mutmaßliche Helfershelfer der Partisanen machten. Anfang Oktober schilderte Kardinal Schuster, der Erzbischof von Mailand, die Situation in einem Bericht 507

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an den Papst: »Hier wird die Schreckensherrschaft immer schlimmer, indem das Ende immer deutlicher in Sicht gerät.« Viele Gemeindepriester waren untergetaucht, weil die Deutschen und ihre einheimischen Schergen sie als Helfer der Partisanen suchten. Andere Priester waren bereits inhaftiert. Mussolini, so schien es immer mehr, hatte seine eigenen Leute nicht mehr im Griff. »Letzte Woche hat Mussolini auf meine Beschwerde hin die Festnahme [Pietro] Kochs angeordnet, des Anführers der autonomen Miliz, die ihre Opfer mit besonders verfeinerten Methoden gefoltert hat. Der Polizeichef von Mailand hat auf persönlichen Befehl des Duces den Kopf der Bande sowie dessen wichtigste Spießgesellen festnehmen lassen. Hinterher hat er eine Gruppe von Ärzten dazugebeten, um die Folterinstrumente zu begutachten, die diese Leute an ihren Gefangenen zur Anwendung gebracht haben.« Doch binnen Tagen hatte Guido Buffarini, Mussolinis Innenminister, angeordnet, Koch und seine Männer wieder freizulassen, und drohte seinerseits sogar damit, den Polizeichef und den Präfekten von Mailand hinter Gitter zu bringen. »Wie das eben so ist«, schloss der Erzbischof seinen Bericht. Zwei Wochen später brachte Schuster den Papst auf den neuesten Stand: Ein alliierter Bombenangriff auf Mailand hatte 600 Tote gefordert, darunter auch ein Priester sowie fast 200 Kinder, deren Schule getroffen worden war.2 Mussolini, dem sein Autoritätsverlust zusetzte und der vielleicht auch die geringe Chance in Betracht zog, dass er aus dem ganzen Kriegsdesaster mit dem Leben davonkommen könnte, versuchte jetzt hin und wieder, sich von den Deutschen zu distanzieren. Die Proteste, die er wegen besonders krasser Kriegsverbrechen an italienischen Zivilisten gegenüber Rudolf Rahn, dem deutschen Botschafter bei der faschistischen Regierung, und gegenüber der deutschen Militärführung äußerte, wurden lauter. Noch wenige Monate zuvor hatte er geschwiegen, als die Deutschen in den Ardeatinischen Höhlen 335 Zivilisten erschossen hatten. Mitte Dezember raffte Mussolini sich aus seinem Sumpf von Depression und Selbstmitleid auf und fuhr aus seinem entlegenen Villenhauptquartier am Gardasee zurück nach Mailand. Dort hatte er den letzten großen Auftritt seiner Karriere. Im Teatro Lirico hielt er eine furiose Rede vor vollem Haus, ganz wie früher, unterbrochen nur von enthusiastischem Applaus und Zwischenrufen seiner glühenden Anhänger. Der Duce schilderte sei508

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nem Publikum den gegenwärtigen Kampf der faschistisch-republikanischen Regierung gegen die »reaktionären Plutokratien« und beschimpfte die »Verräter vom 25. Juli«, bevor er in nostalgischem Ton die Rückkehr zu dem früheren, kameradschaftlichen Geist des italienischen Faschismus einforderte. Während der folgenden beiden Tage tourte Mussolini im offenen Wagen durch Mailand und machte dabei natürlich auch Halt auf der Piazza San Sepolcro, wo er als 35-jähriger Weltkriegsveteran ein Vierteljahrhundert zuvor seine faschistische Bewegung ins Leben gerufen hatte. Lange währte seine Euphorie freilich nicht. Als ein Kamerad den Duce wenig später zu dem begeisterten Empfang beglückwünschte, den die Bewohner von Mailand ihm bereitet hatten, antwortete Mussolini: »Was ist das Leben? Staub und Altäre, Altäre und Staub.«3 Der Alltag in Rom und den anderen befreiten Landesteilen war zwar weniger dramatisch als die Situation im Norden, aber hart war er dennoch. Lebensmittel waren weiterhin knapp, zahlreiche Wohnungen und Häuser waren zerstört worden, die Wirtschaft lag danieder. Ein amerikanischer Geheimdienstbericht aus dieser Zeit hat etwas von dem alltäglichen Drama eingefangen. Zugrunde lagen die Zustände in Neapel, doch durften diese auch für andere Landesteile unter alliierter Besatzung als durchaus repräsentativ gelten: »In vielen Fällen gibt es ganz einfach kein Essen, und die Häuser sind so kalt und klamm, dass die Leute abends sehr früh zu Bett gehen.« Telefon und öffentlicher Verkehr funktionierten nur sporadisch. Der Schwarzmarkt schien der einzig verbliebene Markt zu sein, und dort waren die Preise für Lebensmittel ins Unermessliche gestiegen. »Die Leute versuchen zu stehlen – ein Paar Socken hier, ein bisschen Butter da, sogar Kastanien.« In ihrer Verzweiflung verkauften viele Frauen sich an die alliierten Soldaten. So sehr das die italienischen Männer verbitterte, »schicken doch nicht wenige Eltern ihre Töchter nach draußen, damit sie der Familie das nötige Kleingeld beschaffen, um sich weiter durchzuschlagen«. Wie dieser amerikanische Bericht es beschreibt, war die öffentliche Stimmung düster und zerflossen die Italiener geradezu vor Selbstmitleid: »Immer wieder sprechen sie von sich selbst voller Verachtung, nennen sich selbst völlig unfähig, ihre Führer entweder Idioten oder Halunken und ihre Kriegsanstrengungen eine Farce. … Insgesamt sind sie verwirrt und ver509

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unsichert und reagieren bisweilen mit einer jämmerlichen, fast kindlichen Abhängigkeit von den Alliierten.«4 Zugleich mit diesen Geheimdienstberichten ging bei Präsident Roosevelt ein Strom von Bitten seines Vatikangesandten Myron Taylor ein, die Vereinigten Staaten möchten Italien die dringend benötigten Versorgungsgüter schicken. Taylor, der ein elegantes Stadthaus nahe der Spanischen Treppe bezogen hatte, beschäftigte sich inzwischen weniger mit dem Vatikan als mit der Koordinierung amerikanischer Hilfsprogramme. Am 15. Januar 1945 wies er auf den dringenden Bedarf an »einer sehr großen Menge von Schuhen« hin und dachte dabei besonders an einen einfachen, praktikablen Arbeitsschuh für Männer. Der Bedarf an Damenschuhen, merkte Taylor an, sei weniger drängend, da die Italienerinnen es gewohnt seien, hausgemachte Holzpantinen zu tragen. Am Tag darauf ließ er ein weiteres Telegramm an Washington folgen, in dem er auf den Mangel an Krankenwagen in Italien hinwies und um Überlassung entsprechender Fahrzeuge bat: »Neulich in Florenz wurden Kranke auf Bahren ins Hospital getragen und in einem Fall in einer Schubkarre gefahren.« Auf die zur Verfügung gestellten Krankenwagen, schlug er vor, solle groß aufgesprüht werden: american relief for italy.5 Das in dem US -Geheimdienstbericht bereits angesprochene Prosti­ tutionsproblem zwischen italienischen Frauen und alliierten Solda­ten hatte seit der Eroberung Roms durch die Alliierten im Juni des Vorjahres auch den Papst sehr beschäftigt. Am 17. Januar 1945 sandte das vatikanische Staatssekretariat dem Sondergesandten des Präsidenten seine bislang letzte Beschwerde in der Sache: »In der Via Babuino Nr. 186 … hat seit dem Juni 1944 ein geheimes Bordell geöffnet. … Dieses Haus wird ständig von alliierten Soldaten aufgesucht, fast ausschließlich von Farbigen. … Das Staatssekretariat wäre sehr erfreut über die geschätzte Koope­ ration des per­sönlichen Vertreters des Präsidenten der Vereinigten Staaten bei der Abstellung dieser Situation, die für die öffentliche Moral so anstößig ist.« Myron Taylor leitete die Bitte an das alliierte Militärkommando von Rom weiter. Einige Wochen später antwortete ihm dessen amerikanischer Stabschef: »Ich darf melden, dass allen Angehörigen der alliierten Streitkräfte der Zutritt zu den bewussten Räumlichkeiten verboten worden ist.«6 510

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Der Papst beklagte sich jedoch auch weiterhin über den Niedergang der guten Sitten, den die alliierte Besetzung Roms zur Folge gehabt habe: »Ich habe durchaus nicht die Absicht, Rom zur Lasterhöhle für alliierte Offiziere werden zu lassen«, erklärte der Papst Anfang April. »So etwas habe ich im Faschismus nicht erlaubt, ich habe es unter den Deutschen nicht erlaubt, und ich werde es auch den Alliierten nicht erlauben. Kein Tag vergeht, an dem ich mir nicht Beschwerden über die unseligen Skandale anhören muss, die sich wieder zugetragen haben.« Wie der Papst ausführte, hatte er hierbei nicht nur »öffentliche und private Vergnügungen« im Sinn, »die allzu oft an Orgien gemahnen«, sondern auch die allgegenwärtige Korruption, womit er vermutlich den florierenden Schwarzmarkt meinte.7 In den letzten Kriegsmonaten hatte niemand von außerhalb des päpstlichen Hofes derart ungehinderten Zugang zu Pius XII. wie der Gesandte des amerikanischen Präsidenten. Zwar musste der Papst im Februar und März eine Grippeerkrankung auskurieren, schlug Taylor jedoch keine Bitte um ein Gespräch aus. »Myron Taylor«, bemerkte Mitte März der Gesandte der neuen provisorischen Regierung Frankreichs, »besucht den Papst mit einer Häufigkeit, die unter all den anderen auswärtigen Diplomaten ohne Beispiel ist. Durch seine Umgänglichkeit und aufrichtige Gutmütigkeit, die ihm die einhelligen Sympathien aller eingetragen hat, scheint er sich als eine Art Berater des Heiligen Stuhls eingeführt zu haben.« Tatsächlich herrschte zwischen dem Papst und Taylor eine gewisse Chemie, gefördert nicht zuletzt – wie der französische Gesandte es formulierte – durch Taylors persönliche Freundschaft mit Roosevelt sowie sein »immenses Privatvermögen«. Nachdem er im allgemeinen Bewusstsein zum Gesicht der amerikanischen Wirtschaftshilfe in Italien geworden war, war Taylor zweifellos einer der populärsten Ausländer im Land.8 Dass Taylor für Pius XII. so wichtig war, hatte aber auch mit den päpstlichen Ängsten vor den möglichen Folgen der drohenden deutschen Niederlage zu tun. Seit dem Sturz Mussolinis hatte der Papst gehofft, es werde zu einem »gemäßigten Sieg der Alliierten« kommen, wie es der französische Gesandte nannte: einem Sieg, der zwar der Hitlerherrschaft sowie Hitlers norditalienischer Marionettenregierung ein Ende bereiten, Deutschland aber dennoch, irgendwie, »die Härte einer totalen Niederlage« ersparen würde. Auf diese Weise würde die kommunistische Pest in 511

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der Sowjetunion isoliert bleiben, zum Besten des restlichen Europas. Nun, da die Rote Armee rasch auf Berlin zumarschierte, entwickelten die Dinge sich jedoch anders. Ohne die Hilfe der Amerikaner, meinte Pius XII., sei Italien und seien überhaupt sämtliche katholischen Länder Europas vor dem Umsichgreifen des Kommunismus nicht mehr zu retten.9 In seinem Bericht an Roosevelt über das lange Gespräch, das er Mitte Dezember mit Pius XII. geführt hatte, wählte Myron Taylor deutliche Worte: »Die hauptsächliche Sorge des Papstes ist die Ausbreitung des Kommunismus in Europa und Italien.« Später im selben Monat musste Taylor einmal ungewöhnlich lange vor dem päpstlichen Arbeitszimmer warten, bevor er hereingebeten wurde. Mit Bestürzung sah er, wie der deutsche Botschafter herauskam. Als er den Papst begrüßte, machte Taylor eine Bemerkung über die viele Zeit, die jener gerade mit Weizsäcker verbracht hatte. Die Antwort des Papstes war defensiv: Botschafter Weizsäcker sei nie ein Nazi gewesen. Der Mann habe auf ihn vielmehr so unglücklich gewirkt, dass er es für geboten gehalten habe, ihm Trost zuzusprechen, so gut er konnte.10 Während die alliierten Armeen sich ostwärts durch Frankreich und Belgien in Richtung der deutschen Grenze vorarbeiteten und die Rote Armee mit gewaltigen Mengen an Menschen und Material in westlicher Richtung vorstieß, war Weizsäcker nicht der einzige hochrangige Vertreter des Dritten Reiches, der nach einem Ausweg suchte. Angesichts des alliierten Beharrens auf einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands schien Pius XII . als einzige prominente Persönlichkeit in ganz Europa in einer Position zu sein, sie in diesem Punkt vielleicht noch umzustimmen. Die lang gehegte Hoffnung des Papstes, dass er im gegenwärtigen Krieg nur neutral bleiben müsse, um am Ende einen Friedensschluss der verfeindeten Parteien aushandeln zu können, war allgemein bekannt. Also waren inzwischen in Italien und Deutschland viele darauf aus, sich seine Dienste zunutze zu machen. Für die deutschen Besatzer im Norden Italiens, aber auch für ihre faschistischen Verbündeten auf italienischer Seite, die zu Pius XII. keinen direkten Zugang mehr hatten, war Kardinal Schuster die nächstbeste Alternative. Seit Rom an die Alliierten gefallen war, war Schuster, früher ein entschiedener Unterstützer des faschistischen Regimes, als Erzbischof von 512

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Mailand der ranghöchste italienische Prälat in den noch deutsch besetzten Landesteilen. Einer der Ersten, die sich an den Kardinalerzbischof wandten, war der deutsche Botschafter bei der Regierung Mussolini, Rudolf Rahn, der sich am 22. Januar 1945 heimlich durch einen Seiteneingang in Schusters Residenz hineinschlich. »Er sucht nach einer Brücke«, erinnerte sich der Erzbischof später an ihre Unterredung, »und hofft, dass der Heilige Vater diese Brücke sein könnte.« Weil Mailand von der direkten Kommunikation mit Rom abgeschnitten war, verlief Schusters Kontaktweg in den Vatikan über Monsignore Bernardini, den päpstlichen Nuntius in der Schweiz.11 Von seinem Hauptquartier am Gardasee aus bediente sich Mussolini derselben Verbindung, um den päpstlichen Beistand zu suchen – eine Notwendigkeit, die ihn vermutlich zur Weißglut getrieben hat. Aber der Duce hatte einen Plan im Sinn, für dessen Umsetzung er Pius’ Hilfe benötigte, und um seine Erfolgschancen zu erhöhen, kontaktierte er den Pontifex gleich auf zwei Wegen. Anfang Februar unternahm Mussolini einen ersten Anlauf, indem er Pater Giusto Pancino aufsuchte, jenen Priester, der ihm zuvor schon dabei geholfen hatte, seine Tochter in der Schweiz zu kontaktieren. Der Duce hoffte, dass der Pater seine Verbindung zur Nuntiatur in Bern einsetzen könnte, um dem Papst eine Botschaft zu übermitteln. Nach seinem Treffen mit Mussolini schrieb Pater Pancino dem Nuntius und bat um Unterstützung bei der Beantragung eines Visums, damit er zu einem persönlichen Gespräch in die Schweiz kommen könne. Seine Mission bestand, wie er erklärte, darin, »Nachrichten von der größten Dringlichkeit und Bedeutung« zu überbringen. Diese Nachrichten stammten von Mussolini und dessen »Freund« – womit, wie der Nuntius glaubte, Hitler gemeint sein könnte. Bernardini war sich unsicher, wie er antworten sollte, und fragte im Vatikan um Anweisung zum weiteren Vorgehen nach. Der Papst antwortete postwendend: Bernardini solle das Visum für Pater Pancino beschaffen, jedoch darauf achten, dass die Alliierten davon nichts mitbekämen.12 Anfang März bediente sich Mussolini einer anderen Route zu demselben Zweck und sandte seinen Sohn Vittorio nach Mailand, um Kardinal Schuster zu bitten, über den Schweizer Nuntius den Papst zu kontak513

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tieren.13 O ­ bwohl der Kardinal und der Nuntius beide Italiener waren, schrieb Schuster seinen Brief in die Schweiz auf Latein, wohl als besondere Vorsichtsmaßnahme gegen neugierige Blicke. Er berichtete darin zunächst vom Besuch Vittorio Mussolinis und gab dann die dreiteilige Botschaft wieder, die dessen Vater dem Papst übermittelt wissen wollte. Die ersten beiden Teile enthielten Drohungen, der dritte ein Angebot: Als Erstes ließ der Duce den Erzbischof von Mailand wissen, dass er zwar den feindlichen Vormarsch nicht aufhalten könne, jedoch »bis zum letzten Atemzug« kämpfen werde. Er schwor, Italien mit sich in den Abgrund zu reißen, wie es auch Hitler in Deutschland tue. »Kurz gesagt«, kommentierte Schuster die Drohung des Duces, »hat er sich verhalten wie Samson bei den Philistern.« Zweitens teilte Mussolini dem Erzbischof mit, dass seinen Truppen nur eine einzige Option blieb, sollte der Krieg noch länger andauern: Sie würden sich selbst retten, solange sie konnten, »indem sie Mailand und die Lombardei opfern«. An dieser Stelle brachte der Erzbischof einen weiteren Kommentar an: »Haben sie das wirklich vor oder sind dies nur leere Drohungen an unsere Adresse?« Als Drittes und Letztes folgte das Angebot: Der Duce, erklärte sein Sohn dem Erzbischof, würde »liebend gern mit dem Feind Frieden schließen«. Was er forderte, war einzig die Zusicherung, dass niemand für seine bloße Treue zur faschistischen Bewegung bestraft würde, sondern nur für begangene Verbrechen. Wie Kardinal Schuster Vittorio sagte, konnte er es kaum ablehnen, sein Möglichstes zur Verhinderung von noch mehr Blutvergießen und Zerstörung beizutragen. Er bat lediglich darum, dass Mussolini seine Vorschläge schriftlich niederlegen möge, »damit ich imstande bin, sein Begehren in seinen eigenen Worten an den Heiligen Stuhl und an seine Feinde zu übermitteln«. Wie der Papst machte auch Schuster sich nicht nur über die deutsche Besatzung Sorgen, sondern ebenso über das rasche Erstarken der Kommunistischen Partei Italiens – nun, da das faschistische Regime im letzten Todeskampf lag. In Italien würde sich wohl ein gewaltiges politisches Vakuum auftun, und die Gefahr, dass die Kommunisten dieses Vakuum füllen würden, erschien groß. Erst im Februar hatte Schuster in einem Hirtenbrief die Gemeindepfarrer seiner Erzdiözese an514

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gewiesen, ihren Schäfchen die folgenschwere Entscheidung auseinanderzusetzen, vor der sie nun stünden: »Entweder mit Christus oder mit dem Satan. Mit Christus oder mit dem materialistischen Kommunismus.«14 Drei Tage nachdem Mussolinis Sohn den Erzbischof aufgesucht hatte, traf Pater Pancino endlich in Bern ein und überreichte dem Nuntius Mussolinis Vorschlag. Pancino schilderte die traurige Situation in Oberitalien, das einerseits heimgesucht werde von der »Grausamkeit kommunistischer Partisanen, angeführt« – ergänzte der Priester hier einigermaßen überraschend – »von slawischen Frauen«, und andererseits unter den Gräueltaten der deutschen Besatzer leide. »Schließlich«, berichtete Bernardini, »sprach er zu mir von der Absicht Signor Mussolinis und Deutschlands (nicht jedoch Signor Hitlers, der nicht kompromittiert werden möchte, sondern Signor Himmlers), mit den Alliierten zu verhandeln.« Die Botschaft, die Mussolini an den Heiligen Stuhl übermitteln wollte, war die folgende: »Deutschland und die neofaschistische Regierung beabsichtigen, unter gewissen Bedingungen in das angloamerikanische Lager hinüberzuwechseln, um die Ausbreitung des Kommunismus einzudäm­ men und die Bolschewisierung Europas zu verhindern.« Deutschland werde auf alle Großreichansprüche verzichten und wende sich, so Pater Pancino, an den Heiligen Stuhl, »auf dass es möglich werde, einen Kompromiss mit den Alliierten zu erreichen«. Auf die Frage, was denn die »gewissen Bedingungen« seien, von denen in Mussolinis Botschaft die Rede war, antwortete Pancino, das habe man ihm nicht gesagt. Er fügte jedoch hinzu, dass »dieselbe Bitte um Verhandlungen mit den Alliierten, begleitet von der Drohung, die ganze Lombardei in Trümmer zu legen, von V ­ ittorio Mussolini im Namen seines Vaters an den Kardinalerzbischof von Mailand gerichtet wurde«.15 Der Nuntius entgegnete, dass Mussolinis Vorschlag in letzter Minute nur geringe Erfolgsaussichten habe, da die Alliierten ja oft genug betont hatten, dass sie weder mit dem Duce noch mit der Naziregierung jemals verhandeln würden. Pancino gestand zu, dass hier eine gewisse Schwierigkeit bestehe, bestand aber darauf, dass Mussolinis Vorschlag dem Papst übermittelt werde.16 Während Pius XII. noch immer die Aussicht verlockte, schon bald seine lang erträumte Rolle als Friedensstifter spielen zu können, tat Monsignore 515

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Tardini alles Erdenkliche, ihn hiervon abzubringen. Kurz nachdem Mussolinis Botschaft eingegangen war, setzte Tardini für den Papst ein Memorandum mit seiner kritischen Einschätzung der Sache auf: »Dass Deutschland und die neofaschistische Regierung … beabsichtigen sollen, in das angloamerikanische Lager hinüberzuwechseln, um den Kommunismus einzudämmen, ist wahrhaft erstaunlich. Während Briten und Amerikaner erklären, Verhandlungen mit den Nazis nicht in Erwägung zu ziehen, … tragen die Nazis ihnen gleich ein Bündnis an.« Tardini sah keinen Grund, warum der Heilige Stuhl sich als Übermittler eines solchen Vorschlags ­exponieren sollte. Die Alliierten würden Mussolinis Vorschlag zweifellos abweisen, während die Russen sich nur veranlasst sehen würden, ihre Attacken auf den Vatikan zu intensivieren. »Beide Seiten könnten den Eindruck gewinnen, dass der Heilige Stuhl geneigt sei, den Nazismus und Faschismus aus größter Todesnot zu retten.« Tardini riet dem Papst, er solle dem Nuntius folgendermaßen antworten: Dem Heiligen Stuhl sei erst kürzlich bestätigt worden, dass die Alliierten weiterhin auf bedingungsloser Kapitulation, unconditional surren­ der, bestünden (Tardini verwendete die englische Formulierung). »Daraus folgt, dass der Heilige Stuhl, so sehr ihm ein wahrer und gerechter Friede am Herzen liegt, nicht in der Position ist, andere Schritte zu unternehmen.« Pius XII. übernahm den Textentwurf im Wesentlichen unverändert und wies Tardini am 14. März an, die Antwort nach Bern zu senden.17 Zur selben Zeit kehrte Mussolinis Sohn nach Mailand zurück, um dem Erzbischof den Vorschlag in Schriftform zu übergeben, wie dieser erbeten hatte. Schuster wiederum sandte den Text zu Bernardini in die Schweiz, der ihn mit dem folgenden Kommentar nach Rom weiterleitete: »Diese Leute begreifen nicht, dass das Ende rasch näherkommt, oder sie tun zumindest so, als begriffen sie es nicht. In einer Sprache aus einer Zeit, die schon Vergangenheit ist, drohen sie mit Zerstörung und Vergeltungsmaßnahmen und legen Vorschläge vor, die keine Chance haben, auch nur in Betracht gezogen zu werden.«18 Mussolinis schriftlicher Vorschlag wiederholte seine Drohungen: Sollten die deutschen Truppen sich aus Italien zurückziehen, lasse der verbreitete Hass auf den Faschismus seiner Regierung keine Wahl, als bis zur letzten Patrone zu kämpfen. Um jedoch weiteren Tod und Zerstörung zu 516

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vermeiden und um zu beweisen, dass ihre Liebe zum italienischen Vaterland über allen politischen Interessen stehe, »schlägt die Regierung der Italienischen Sozialrepublik vor, dass vorläufige Vereinbarungen mit dem Alliierten Oberkommando geschlossen werden, auf deren Grundlage sich die beiden Vertragsparteien zu den folgenden Punkten verpflichten«. Zu den aufgeführten Bedingungen gehörte etwa die Verpflichtung der Alliierten, mit den faschistischen Kräften gegen Partisanenbanden und Kommunisten zusammenzuarbeiten, während der Klerus eine allgemeine Befriedung fördern werde. Die Liste endete mit einer aus Mussolinis Sicht »absoluten Bedingung«: Es durfte keine weiteren Festnahmen von Personen geben, die der faschistischen Sache gegenüber loyal geblieben waren, und die Verfolgung von Faschisten durch die römische Säuberungskommission musste aufhören. Die Alliierten sollten ausschließlich Personen vor Gericht bringen, die sich »schändlicher Verbrechen« schuldig gemacht hatten, die »nicht dem Krieg geschuldet« gewesen seien. Mussolini versprach, dass nach einer Übergangsphase die Republikanisch-Faschistische Partei aufgelöst und eine Regierung der nationalen Einheit gebildet würde.19 Weil er die Hoffnung noch immer nicht ganz aufgegeben hatte, einen Frieden aushandeln zu können, entschied sich Pius XII. dafür, den Ratschlag Tardinis in den Wind zu schlagen und auf Mussolinis Vorschlag einzugehen. Er solle nichts schriftlich festhalten, instruierte er Tardini am 2. April 1945, aber doch mit dem britischen Gesandten Osborne sprechen und über ihn Mussolinis Angebot an die Alliierten übermitteln lassen. Die Bedingung sollte sein, dass Osborne die Rolle des Vatikans dabei »absolut geheim« halten würde. Der Papst selbst, der nach seiner hartnäckigen Grippeerkrankung noch immer kränklich und abgespannt wirkte, hatte sich nur ein paar Tage zuvor mit Osborne getroffen. Bei dieser Gelegenheit hatte er sich bei dem Gesandten über die jüngste russische Propagandakampagne beklagt, die der Welt die zwei Jahrzehnte vatikanischer Unterstützung für den italienischen Faschismus in Erinnerung rief. Das alles, meinte der Papst, sei Teil eines Versuchs, die Kirche in Misskredit und die Kommunisten in Italien an die Macht zu bringen.20 Diese Sorge ging Pius vermutlich im Kopf herum, als er, nur Stunden nach der Anweisung an Tardini, den britischen Gesandten zu kontaktie517

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ren, seine Meinung erneut änderte. In der Zwischenzeit hatte er erfahren, dass Radio Moskau die Schweiz heftig dafür attackiert hatte, als Übergabepunkt für deutsche Friedensvorschläge zu dienen. »Aus diesem Grund«, hielt Tardini in einer Notiz fest, »zieht Seine Heiligkeit es vor, dass wir doch nichts zu Signor Osborne sagen.«21 Unterdessen war im Vatikan selbst noch ein weiterer verzweifelter Versuch im Gang, das Schicksal der faschistischen und nationalsozialistischen Anführer mithilfe des Papstes zum Besseren zu wenden. Einige Wochen zuvor, als Pius XII. grippekrank hatte das Bett hüten müssen, hatte der deutsche Botschafter Weizsäcker bei Monsignore Tardini vorgesprochen und einen Stapel verschlüsselter Telegramme aus Berlin mitgebracht. Das alles seien Vorschläge, erklärte er, wie der Papst seinen Einfluss bei Amerikanern und Briten geltend machen könne, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Die Deutschen hatten nur noch eine einzige Karte in der Hand: Das Ziel Russlands sei es, ganz Europa dem Kommunismus zu unterwerfen. Und die einzige Möglichkeit, eine solche Katastrophe noch abzuwenden, argumentierte Weizsäcker, sei, dass die drei großen Mächte – die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland – gemeinsam dagegen Front machten. Der Nationalsozialismus, so der Botschafter, sei falsch verstanden worden; im Grunde handele es sich nur um eine andere Spielart des Kapitalismus. Da ihm bewusst sein musste, dass der anhaltende Massenmord an den europäischen Juden seinem Vorschlag wenig förderlich war, deutete er an, dass man vielleicht irgendeine Lösung zur Ansiedlung der Juden außerhalb Europas finden könne. Dass seine Regierung zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Europas hatte ermorden lassen, erwähnte Weizsäcker mit keinem Wort. Als Tardini auf den Vortrag des Botschafters mit unverhohlener Skepsis reagierte, fragte Weizsäcker ihn, ob die Alliierten die Sache vielleicht anders einschätzen würden, falls von Hitler nicht mehr die Rede wäre. Obwohl Tardini wenig Enthusiasmus für den Vorschlag gezeigt hatte und auch des Botschafters Uminterpretation des Nationalsozialismus nicht hatte folgen können, kehrte der deutsche Botschafter schon fünf Tage später zurück, um sein Anliegen erneut vorzubringen. Die Demokratien allein würden die kommunistische Flutwelle nicht davon abhalten können, 518

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über Europa hinwegzufegen, und sollte Deutschland diesen Krieg verlieren, könne gar kein Zweifel daran bestehen, dass sich ganz Europa schon bald rot einfärben würde. Ohne zu präzisieren, von wem er sprach, erklärte Weizsäcker, dass man in Berlin an die Alliierten appelliere, ihren Landund Luftkrieg gegen Deutschland einzustellen. Dies würde es den Deutschen erlauben, ihre Kräfte an der Ostfront zu bündeln und die Russen zu besiegen. Danach könne man dann mit den Alliierten über eine Friedensregelung sprechen. Tardini zeigte sich unbeeindruckt. Wenn der Vatikan Weizsäckers Wunsch tatsächlich nachkäme und ein solches Angebot an die westlichen Alliierten übermittelte, entgegnete er, würde sich der Heilige Stuhl damit unweigerlich dem Vorwurf aussetzen, die Nazis noch im Moment ihrer militärischen Niederlage retten zu wollen. Man würde den Papst dafür kritisieren, dass er einem Kompromissfrieden das Wort rede, nachdem die Alliierten diese Option schon wiederholt ausgeschlossen hatten. Und nicht zuletzt könnte ein solcher Vorschlag bei den Alliierten den Verdacht aufkommen lassen, dass der Vatikan es den Deutschen ermögliche, ihre militärischen Kräfte ganz auf die Ausschaltung der Roten Armee zu konzentrieren, nur um sich anschließend mit ganzer Gewalt gegen ihre westlichen Feinde zu werfen. Auf diese Einwände konnte Weizsäcker nur schwach entgegnen, dass Briten und Amerikaner ihre Übereinkunft ja mit anderen deutschen Führern als den Nazis schließen könnten. Aus Tardinis Sicht blieb der Botschafter damit jedoch allzu vage. Tardini brachte dem Papst seine Notizen über das Gespräch und einige Tage später, nachdem er gesundet war, wollte der Papst sich selbst noch einmal mit Weizsäcker treffen, um über den Vorschlag zu reden. Vorsichtig, wie er immer war, hielt er es jedoch für angeraten, zuvor ein vertrauliches Wort mit Myron Taylor zu wechseln. Also fragte er den Gesandten des amerikanischen Präsidenten: Um den Krieg ohne weiteres Blutvergießen zu beenden, wären die Alliierten da womöglich bereit, mit den Deutschen in Verhandlungen einzutreten, sei es direkt oder unter Vermittlung einer dritten Partei, wie es etwa – aber dies sprach der Papst nicht aus – der Vatikan selbst sein könnte? Taylors Antwort hätte nicht deutlicher ausfallen können: Solche Gespräche werde es nicht geben. Nur die bedingungslose Kapitulation Deutschlands könne den Krieg beenden.22 519

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In Berlin war das Ende für Hitler und seine Paladine inzwischen nahe. Und doch hielt sich der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels weiter an der schwindenden Hoffnung fest, der Vatikan könnte noch irgendwie zu ihrer Rettung beitragen. »Die katholische Presse in England fährt fort, den Bolschewismus scharf zu attackieren, an der Spitze der Catholic Herald. Er führt eine Sprache, wie sie besser auch die deutsche Presse nicht führen könnte«, notierte Goebbels am 31. März 1945 in seinem Tagebuch. »Ich nehme an, dass diese massive Kritik auf Anweisung des Vatikans getrieben wird.« Auch solche letzten Hoffnungen sollten bald zerschlagen werden.

Adolf Hitler, Berlin, 20. März 1945.

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Am 13. April standen die sowjetischen Truppen in Wien und kamen damit dem Herzen des Dritten Reichs immer näher. Einen Monat, nachdem er seinen Hoffnungen in den Vatikan Ausdruck gegeben hatte, bereiteten Goebbels und seine Frau sich im Berliner »Führerbunker« auf das Ende vor. Nachdem ihre sechs Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren von einem Arzt mit Morphiumspritzen ruhiggestellt worden waren, verabreichte ein anderer Arzt ihnen das tödliche Gift in den Mund. Anschließend schluckten Joseph und Magda Goebbels selbst das Gift.23 Während Hitler und sein Gefolge sich schon in ihren Berliner Bunker zurückgezogen hatten, erfuhr der Papst von dem Schicksal, das die Tochter Vittorio Emanueles III., Prinzessin Mafalda, ereilt hatte. Sie war im September 1943 vom Begräbnis ihres Schwagers, des bulgarischen Zaren Boris, nach Rom zurückgekehrt. Ihre Eltern hatten die Stadt zwei Wochen zuvor verlassen, wenige Stunden nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands zwischen der königlichen Regierung und den Alliierten. Mafalda besuchte zunächst ihre drei jüngsten Kinder, die vorübergehend bei Monsignore Montini im Vatikan untergebracht waren. Dann erhielt sie Nachricht, dass ihr Ehemann, Philipp von Hessen, sie telefonisch in der deutschen Botschaft zu erreichen wünsche. Das war eine üble List, denn sobald Mafalda die Botschaft betrat, wurde sie auf Hitlers Befehl hin festgenommen und in ein Flugzeug nach Berlin gesetzt. Kurz nach der Befreiung Roms, und damit schon mehrere Monate nach ihrem Verschwinden, unternahm der Vatikan einen ersten Versuch, etwas über Mafaldas Schicksal in Erfahrung zu bringen. Vielleicht geschah dies auf Bitten der kürzlich zurückgekehrten königlichen Familie. Mitte August 1944 erhielt der vatikanische Nuntius in Berlin jedenfalls ein verschlüsseltes Telegramm von Kardinal Maglione: »Ich wäre dankbar, wenn Eure Hochwürdigste Exzellenz mir mitteilen könnten, wo sich I. K. H. Prinzessin Mafalda befindet und wie es ihr geht. Nach meinen letzten Informationen soll sie sich in Kassel aufhalten.« Tatsächlich hatte man Mafalda nicht mehr gestattet, in die hessische Heimat ihres Mannes weiterzureisen, sondern sie unmittelbar nach ihrer Landung in Berlin im September 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Monsignore Orsenigo, der Nuntius in Berlin, konnte dem Vatikan nicht mitteilen, wo sie sich aufhielt.24 521

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Im März 1945 sandte nun Monsignore Montini, der zwei Jahre zuvor für kurze Zeit die Kinder Mafaldas bei sich aufgenommen hatte, eine weitere chiffrierte Depesche an Orsenigo in Berlin: »Den Heiligen Vater haben dringende Bitten erreicht, er möge sich für das Schicksal der Prinzessin Mafalda von Savoyen verwenden, die mit dem Prinzen Philipp von Hessen verheiratet ist.« Ob der Nuntius herausfinden könne, was man für Mafaldas Sicherheit tun könne. Dieses Telegramm kam jedoch viel zu spät. Den Nuntius hat es nicht einmal erreicht – vielleicht wenig überraschend angesichts der Situation in Berlin in den letzten Kriegswochen.25 Einen Monat später richtete Mafaldas Bruder Umberto eine dringende Anfrage an Montini. Umberto war der Regent des Königreichs, seit sein Vater ihm nach der Befreiung Roms widerstrebend die meisten königlichen Befugnisse übertragen hatte. Anlass für Umbertos Anfrage war die Meldung einer Pariser Zeitung gewesen, wonach Mafalda bereits im Jahr zuvor in Buchenwald zu Tode gekommen war. Montini kabelte umgehend an den Nuntius in Paris, Angelo Roncalli, um zu hören, ob er die Meldung bestätigen konnte. Roncalli gelang es, zwei Priester ausfindig zu machen, die vor Kurzem aus Buchenwald nach Paris zurückgekehrt waren. Anschließend meldete der künftige Papst Johannes XXIII . in einem Telegramm nach Rom, was er in Erfahrung gebracht hatte: Die Prinzessin war bei einem alliierten Bombenangriff auf das KZ Buchenwald im vorigen Sommer schwer verletzt worden und wenige Tage später gestorben. Roncalli fügte hinzu: leichnam erhalten und kenntlich. Die schrecklichen Einzelheiten ihres Todes nach einer verpfuschten Amputation ihres übel verbrannten linken Armes wurden erst später bekannt.26 Der Krieg in Italien ging in den letzten Apriltagen zu Ende – ein Ereignis, das US-Präsident Roosevelt nicht mehr erlebte. Binnen Tagen nach Roosevelts Tod am 12. April 1945 hatten alliierte Truppen die letzte deutsche Verteidigungslinie im Bergland zwischen Florenz und Bologna durchbrochen und waren nach Norden vorgestoßen. Mit dem raschen Vorrücken der Alliierten und dem Rückzug der Deutschen brachen überall in den Städten Oberitaliens Volksaufstände aus. Um acht Uhr morgens am 25. April strahlte ein Mailänder Partisanensender einen Aufruf des Nationalen Befreiungskomitees (Comitato di Liberazione Nazionale, CLN) aus, der zum bewaffneten Aufstand in allen Landesteilen aufforderte, die noch 522

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immer von den »Nazi-Faschisten« besetzt waren. In Mailand übernahmen inmitten eines Generalstreiks Partisanen strategisch wichtige Punkte, sobald die deutschen Truppen ihren Rückzug begannen. Durch die Straßen rasten Wagen voller zum Äußersten entschlossener Faschisten, die wild um sich schossen. Im Versuch, ein finales Blutbad zu vermeiden, war Kardinal Schuster am selben Tag der Gastgeber eines Treffens zwischen Mussolini, seinem Kriegsminister Rodolfo Graziani und den Anführern der Widerstandsbewegung. Ein blasser und physisch eingefallener Duce forderte

Benito Mussolini, 1945.

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­ arantien für seine Sicherheit und die seiner faschistischen KameraG den – doch für solche Forderungen war es nun zu spät, viel zu spät.27 Auf seiner Flucht nach Norden erreichte Mussolini Como am Südufer des Comer Sees. Clara hatte darauf bestanden, sich ihm dort anzuschließen. Noch in Mailand hatte Mussolini für ihre Eltern und Schwester ein Flugzeug organisiert, das sie nach Spanien in Sicherheit bringen sollte. Mussolini selbst wollte Franco nicht aufnehmen, weil er die Reaktion der Alliierten fürchtete. Der Mann, der sich so lange in dem Jubel und der Verehrung von Millionen gesonnt hatte, fühlte sich mit einem Mal alleingelassen. Die vorerst letzte Demütigung hatte er in der erzbischöflichen Residenz hinnehmen müssen, als man ihm mitgeteilt hatte, dass das deutsche Militärkommando bereits Verhandlungen mit der Partisanenführung aufgenommen hatte, um seine Evakuierung aus Mailand zu arrangieren. Dem Duce hatten die Deutschen hiervon nichts gesagt. Irgendwo am Comer See las ein deutscher Konvoi, der in Richtung der Schweizer Grenze im Norden unterwegs war, den Duce und seine Geliebte auf. Sie waren noch nicht weit gekommen, als ihnen eine kleine Gruppe leicht bewaffneter Partisanen den Weg versperrte.28 Der befehlshabende deutsche Offizier, der sich ungern aufhalten lassen wollte, willigte ein, dass die Partisanen die Fahrzeuge nach versteckten Italienern durchsuchen durften, wofür sie im Gegenzug versprachen, den Konvoi passieren zu lassen. Mussolini trug zwar eine deutsche Uniform und eine Sonnenbrille, die sein Gesicht teilweise verbarg, wurde aber dennoch erkannt und festgenommen. Clara bestand darauf, ihn zu begleiten. Der örtliche Partisanenchef war schockiert, dass ihm ein derart prominenter Gefangener ins Netz gegangen war, und fragte umgehend in Mailand bei der Führungsspitze der Widerstandsbewegung an: Was sollte er mit dem Duce anfangen? Nachdem die Führungsspitze darüber debattiert hatte, ob man den gestürzten Diktator nach Mailand zurückbringen oder an Ort und Stelle einfach erschießen sollte, traf sie ihre Entscheidung und schickte einen rangniederen Vertreter los, um sie zu vollstrecken. Bei dem Mann handelte es sich um »Oberst Valerio«, der in seinem früheren Leben, vor der Partisanenzeit, Walter Audisio geheißen hatte und Buchhalter gewesen war. Als Audisio am Morgen des 28. April in dem Bauernhaus am 524

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Comer See eintraf, wo Mussolini und Clara festgehalten wurden, sagte er ihnen zuerst offenbar, er habe Befehl, sie gehen zu lassen. Über die Einzelheiten dessen, was im Verlauf der nächsten Stunde geschah, ist unglaublich viel geschrieben und auf den Markt geworfen worden, inklusive der widersprüchlichen Schilderungen, die Audisio selbst später davon gegeben hat. Mussolini und Clara wurden offenbar in einen Wagen gesetzt und fuhren zusammen mit »Oberst Valerio« und anderen Partisanen los. Um vier Uhr nachmittags hielt der Wagen vor einem kleinen, von einer Steinmauer umgebenen Landhaus, und das Paar wurde aufgefordert, auszusteigen. Es regnete, und die schluchzende Clara trug ihren Pelzmantel. Mussolini, der wohl spürte, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, starrte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin. »Bist du nicht glücklich, dass ich dir bis zuletzt gefolgt bin?«, flüsterte Clara ihm zu. Doch Mussolini, der mit seinen Gedanken wohl schon nicht mehr im Hier und Jetzt war, schien sie nicht zu hören. »Auf Befehl des Generalkommandos des Nationalen Befreiungskomi­ tees«, verkündete hierauf der Partisanenoberst – oder zumindest hat er das Geschehen später so geschildert – , »fällt mir die Aufgabe zu, im Namen des italienischen Volkes Gerechtigkeit walten zu lassen.« Als er seine Waffe auf die beiden richtete, stürzte Clara auf ihn zu und versuchte, den Lauf wegzudrücken, doch am Ende konnte er seines Amtes walten: Mussolini und Clara stürzten tödlich verwundet auf den regennassen Boden. Dann luden die Partisanen die beiden Körper in einen Lastwagen und machten sich auf den Weg nach Mailand. Dort, auf dem Piazzale Loreto, warfen sie die Leichname Mussolinis und seiner Geliebten zu denen anderer prominenter Faschisten, die auf ähnliche Weise exekutiert worden waren. Dass hierfür der Piazzale Loreto ausgewählt wurde, war kein Zufall. Im Sommer zuvor hatte, als Vergeltung für einen Partisanenangriff auf einen deutschen Militärkonvoi, genau dort der Gestapo-Chef von Mailand fünfzehn als Geiseln genommene Zivilisten erschossen und ihre in der Hitze verwesenden Leichname tagelang auf dem Platz liegen gelassen. Jetzt nahm die Menschenmenge, die nach Jahren des Krieges und der Entbehrungen wie von Sinnen war, ihre Rache an den Körpern der faschistischen Anführer, spie sie an, verfluchte sie, trat auf sie ein und durchsiebte sie mit weiteren Kugeln, bevor sie Mussolini, Clara und die anderen kopf525

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über an der Überdachung einer Tankstelle aufhängten. Ein Priester hatte ein Seil um Claras Rock geschlungen und an den Schenkeln eng verschnürt, bevor sie hinaufgezogen wurde, sodass ihre Sittsamkeit gewahrt blieb. Von der Hirnmasse des Duces quoll etwas aus dem versehrten Schädel und tropfte zu Boden. Tags darauf erfuhr die Leserschaft des Osserva­ tore Romano vom Tod des Diktators nur durch einen kleinen Artikel im unteren Bereich von Seite zwei: »Faschistische Anführer erschossen«, lautete die schlichte Überschrift.29 Die nächsten Tage waren eine Zeit des Feierns, aber auch der Rache. Einige Tage nachdem der Duce kopfüber am Piazzale Loreto aufgeknüpft worden war, beschrieb Erzbischof Schuster dem Papst die Orgie öffentlicher Gewalt, die sich in der Lombardei abspielte. Er sah darin »eine Welle des Kommunismus, die zu Terror inspiriert«. Volkstribunale, berichtete er, verurteilten viele Menschen zum Tod durch Erschießen, ohne dass ein ordentlicher Prozess stattfinde. »Es reicht schon aus, die Identität des Beschuldigten festzustellen: ›Sind Sie der Soundso? Dann sind Sie des Todes.‹« Unter den Exekutierten war auch Vater Tullio Calcagno, der die profaschistische katholische Zeitschrift Crociata Italica herausgegeben hatte. »Man hat ihn in einer deutschen Kaserne überrascht«, teilte der Kardinal dem Papst mit. »Er starb ohne priesterlichen Beistand, ohne Sakrament [d. h. das Sterbesakrament der Letzten Ölung]. Wie auch immer, er machte zweimal das Zeichen des Kreuzes und wurde dann erschossen. Das ist Gottes Gerechtigkeit!« Dann fiel die Menge über den Priester her, trat seinen leblosen Körper mit Füßen und spuckte darauf. Glücklicherweise, merkte der Erzbischof an, ging eine Gruppe junger Katholiken dazwischen und entfernte den schwarzen Priesterrock, damit der nicht besudelt wurde.30 Mussolinis früherer Gefolgsmann, Partner und Schutzherr überlebte ihn um nur zwei Tage. Hitler hatte sich in seinen Bunker unter der Berliner Reichskanzlei verkrochen und schmiedete dort gerade Heiratspläne, als man Mussolini erschoss. Kurz nach Mitternacht am folgenden Tag erfüllte Hitler den größten Wunsch seiner geheimen Geliebten: Hitler und Eva Braun wurden im Bunker durch einen Berliner NS-Stadtrat getraut. Nach 526

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der kleinen Zeremonie wurden Champagner und Schnittchen gereicht. Dann diktierte Hitler sein »Politisches Testament«, in dem er »dem internationalen Judentum und seinen Helfern« die Schuld am Krieg gab. Am folgenden Tag, nachdem Hitler vom Schicksal Mussolinis erfahren hatte, traf er inmitten von Meldungen über das Nahen der Sowjettruppen seine letzten Vorkehrungen: Er schloss die Tür zu seinem Arbeitszimmer im Bunker und nahm auf einem kleinen Sofa neben seiner Ehefrau Platz. Eva schluckte eine Zyankalikapsel und sackte in sich zusammen. Hitler nahm seine Pistole vom Typ Walther zur Hand, hob sie an die Schläfe und drückte ab. Als Hitlers Kammerdiener Minuten später die Leichen auffand, holte er Decken und wickelte mithilfe dreier SS -Wachleute die Körper hinein.

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Dann trugen die vier Männer die Frischvermählten die Treppe hinauf und hinaus in den Garten der Reichskanzlei. Dort lagen sie nebeneinander auf dem Boden, während ringsumher das schwere Artilleriefeuer der Roten Armee niederging. Die Leichen wurden großzügig mit Benzin übergossen und schließlich in Brand gesetzt. Als zwei Tage später die ersten Rotarmisten eintrafen, waren von Hitler und Eva Braun nur Asche und Zähne übrig geblieben.31 Am Namenstag des Papstes, dem 2. Juni, war noch kein Monat seit der deutschen Kapitulation vergangen. Pius XII. wollte sich die Kardinalsversammlung, die an diesem Tag traditionell zu seinen Ehren abgehalten wurde, offenbar zunutze machen und tat etwas, was er noch nie getan hatte: Er äußerte sich öffentlich und ohne Umschweife zum Thema Nationalsozialismus. Zunächst rechtfertigte er sich für die Unterschrift, die er wenige Monate nach Hitlers Machtantritt unter das Reichskonkordat gesetzt hatte, jene Übereinkunft zwischen Heiligem Stuhl und Deutschem Reich also, die er zuvor selbst als Kardinalstaatssekretär mit ausgearbeitet hatte. Das Konkordat, betonte er, sei damals mit der Zustimmung des deutschen Episkopats geschlossen worden und habe in keiner Weise vatikanische Zustimmung zur Nazidoktrin signalisieren sollen. »In jedem Fall«, behauptete er, »muss man anerkennen, dass das Konkordat im Lauf der folgenden Jahre einigen Gewinn gebracht oder doch zumindest größeren Schaden verhindert hat.« Der Großteil seiner weiteren Rede bestand aus einer chronikalischen Schilderung dessen, was der Papst als gegen die katholische Kirche gerichtete Kampagne des Naziregimes betrachtete. Besondere Erwähnung tat er der zahlreichen katholischen Priester, die – vor allem in Polen – in Konzentrationslager gesteckt worden waren. Er versäumte es auch nicht, noch einmal seine Weihnachtsansprache von 1942 zu erwähnen, mit der er sich in die Fußstapfen seines Vorgängers Pius XI. und dessen 1937 ergangener Enzyklika gestellt sah, die sich gegen die Nazidoktrin ausgesprochen hatte. Seine Rede strich das Leiden der Katholiken und der katholischen Kirche während des Krieges heraus und stellte die deutschen Katholiken als Opfer der Nazis hin. Mit keinem einzigen Wort erwähnte Pius XII. die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis. Wenn es in jenen 528

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Konzentrationslagern, von denen er sprach, neben tapferen Priestern und katholischen Laien auch Juden gegeben hatte, so erfuhr man es aus seiner Rede jedenfalls nicht. Genauso wenig, wie man etwas über Italiens Rolle in der Achse oder gar über italienische Mitverantwortung an der europäischen Katastrophe erfuhr.32 Zwei Tage nach der Namenstagsrede des Papstes feierte man in Rom den ersten Jahrestag der Befreiung von der deutschen Besatzung. Zu diesem Anlass organisierte auch der Jugendflügel der Katholischen Aktion Feierlichkeiten, die Pius XII. als Retter Roms und Verteidiger der Christenheit priesen und ihm Dank sagten. Die Kampagne zu seiner Heiligsprechung musste allerdings bis zu seinem Tod warten, und bis dahin sollten noch einige Jahre vergehen.33

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D

ie Nachkriegsjahre waren eine Zeit des Vergessens. Die Geschichte Italiens wurde neu geschrieben als eine Geschichte, in der Mussolini kein Volksheld und die Italiener keine Faschisten gewesen waren, in der Italien nicht der Verbündete Nazideutschlands gewesen war und der Papst nicht alles darangesetzt hatte, mit Europas mörderischen Diktatoren zu einem Modus Vivendi zu gelangen. Im ganzen Land schossen Zentren zur Aufarbeitung der Widerstandsbewegung aus dem Boden – gleichsam wie Tempel zur Verherrlichung einer Vergangenheit, die ebenso heroisch wie irreführend war, denn entsprechende Einrichtungen zur Erforschung von zwanzig Jahren Faschismus suchte man vergeblich.1 Auch die Juden Italiens trugen ihren Teil bei, die Geschichte ihres Landes umzuschreiben, wäre die Alternative doch viel zu schmerzlich gewesen. Die Tatsache, dass so viele von ihnen unter dem Druck der Verfolgung ihre alte Religion aufgegeben und ihre Hoffnung in die Taufe gesetzt hatten, wollten viele lieber vergessen. Auch war ihnen nicht daran gelegen, die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie wenig Protest die Rassengesetze unter ihren katholischen Mitbürgern hervorgerufen hatten, die nur zu gern die Positionen ihrer jüdischen Kollegen und den Besitz ihrer jüdischen Nachbarn an sich gebracht hatten. Am unangenehmsten war jedoch das Eingeständnis, wie viele ihrer katholischen Nachbarn während der deutschen Besatzung bereit gewesen waren, jüdische Verstecke an die Polizei zu verraten und so ganze Familien in den sicheren Tod zu schicken. Da erschien es besser, die alleinige Schuld den Deutschen zu geben.2 Die Geschichte der antijüdischen Rassengesetze, die bis zu Mussolinis Sturz ihre brutale Wirkung fünf Jahre lang hatten entfalten können, begann man schon umzuschreiben, bevor noch die Kriegstrümmer von den Straßen geräumt waren. Schon im Juni 1945 meldete der italienische Botschafter in Belgien, von einer dortigen jüdischen Zeitung nach den vormaligen italienischen Maßnahmen gegen die Juden gefragt worden zu sein. 531

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Epilog

»Selbstverständlich«, berichtete der Botschafter nach Rom, »habe ich betont, dass unsere Rassengesetzgebung nicht nur äußerst selten auf konkrete Einzelfälle angewandt wurde, sondern dass vielmehr das ganze Volk sowie praktisch alle staatlichen Stellen, die das Gesetz hätten zur Anwendung bringen sollen, sich stattdessen in dem Bemühen überboten haben, es ganz und gar zu sabotieren.« Erst mit der deutschen Besetzung im September 1943, so der Botschafter dem belgischen Journalisten gegenüber, habe die Judenverfolgung in Italien eingesetzt, und dies sei »ausschließlich das Werk der Deutschen« gewesen, während »das italienische Volk über alle Schichten hinweg ebenso wie der italienische Klerus alles getan hat, um die Juden zu verstecken und zu retten, fast immer unter großer Gefahr für ihr eigenes Leben und ihre Familien«.3 Die größte Sorge, die Pius XII. und seine engsten Berater nach der Befreiung Roms umtrieb, galt dem weiteren Schicksal des Konkordats, das Mussolini mit dem Bruder des Papstes ausgehandelt hatte. Schließlich war damit die Trennung zwischen Staat und Kirche, wie sie im liberalen Italien bestanden hatte, aufgegeben worden und die Kirche mit zahlreichen Privi­ legien ausgestattet worden. Bereits ein Memorandum des vatikanischen Staatssekretariats vom 30. Juli 1944 lässt erkennen, wie sehr die Nachkriegszeit von einer Umdeutung der Geschichte geprägt sein würde: »Im Jahre 1929 wurden die Ansprüche der Kirche und der Katholiken nicht von der Faschistischen Partei anerkannt, deren Haltung gegenüber der katholischen Kirche stets ablehnend war, sondern von der italienischen Regierung.«4 Nach Kriegsende sollten einige Jahre vergehen, bis dem neuen Narrativ der Kirche starke Argumente entgegengesetzt wurden. Das geschah mit der Studie des Historikers Arturo Carlo Jemolo über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Italien seit dem Risorgimento. Jemolo schrieb: »Betrachtet man die Beziehungen zwischen der Kirche (nicht nur dem ­Heiligen Stuhl, sondern auch des Episkopats und des Welt- und Ordensklerus) und der faschistischen Regierung einmal ganz unvoreingenommen für den Zeitraum jener elf Jahre, die zwischen dem Abschluss des Konkordats und dem Beginn der 1940er-Jahre liegen, so ist gar nicht zu übersehen, dass diese Beziehungen herzlich waren, geprägt von einem Geist der Zusam­ menarbeit und wechselseitiger Zugeständnisse.«5 Als bald darauf in Italien eine weitere Publikation erschien, die einem breiteren Publikum ganz ähn532

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liche Thesen vorlegte, reagierte der Vatikan rasch und stritt ab, dass die ­italienische Kirche den Faschismus je unterstützt habe. Tatsächlich lancierte der Osservatore Romano seine Gegenattacke sogar schon, bevor das Buch überhaupt in den Buchhandlungen erhältlich war: »Die Kirche«, behauptete das vatikanische Blatt, »hat über die Jahrhunderte ihres Bestehens hinweg stets eine Haltung gewahrt, die korrekt, klar und konsistent gewesen ist …, wachsam, voller Sorge und Umsicht, um all die vielen, die ihrer bedürfen, vor dem Zorn der Despoten oder den finsteren Ränken anderer Übeltäter zu beschützen; und stets unerschütterlich und standhaft mit Blick auf die ewigen Prinzipien, auf denen ihre hohe Sendung beruht.«6 Eine neuerliche Herausforderung für dieses Narrativ stellte 1963 Rolf Hochhuths Schauspiel Der Stellvertreter dar. Das Werk zeichnete das Bild eines Pius XII., der vor dem Holocaust willentlich die Augen verschloss. Trotz kirchlicher Proteste kam Hochhuths »christliches Trauerspiel« in Europa und Nordamerika auf die Bühnen und sollte im Februar 1964 auch in Italien aufgeführt werden. Der Vatikan übte jedoch Druck auf die Regierung aus, und am Ende wurde die Aufführung des Stücks verboten.7 Eine wohlwollende Besprechung von Hochhuths Stellvertreter in einer britischen Publikation provozierte eine Reaktion von denkbar hoher kirchlicher Stelle: Giovanni Montini persönlich schrieb einen Leserbrief an die katholische Wochenzeitung The Tablet, um seinen früheren Mentor mit deutlichen Worten zu verteidigen. Durch einen Zufall ging der Brief just am 21. Juni 1963 bei der Redaktion ein – dem Tag, an dem Montini zum Papst gewählt wurde. Ganz im Gegensatz zu Hochhuths Darstellung von Pius XII ., schrieb Montini, habe der Papst während des Krieges »keine Mühen« gescheut und »nichts unversucht gelassen, um die Gräuel von Massendeportation und Exil zu verhindern«. »Die Geschichte«, so Montini weiter, »wird das Verhalten Pius’ XII angesichts der kriminellen Exzesse des Naziregimes rechtfertigen: Die Geschichte wird zeigen, als wie wachsam, standhaft, uneigennützig und mutig dieses Verhalten in der Rückschau tatsächlich bewertet werden muss.« Pius XII. sei »ein edler und mannhafter Charakter« gewesen, »imstande, felsenfeste Entscheidungen zu treffen und furchtlos Positionen zu vertreten, die beträchtliches Risiko bargen«. Worum es sich bei diesen mutigen Taten während des Krieges gehandelt haben sollte, konkretisierte Montini nicht.8 533

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Ein beschämendes Beispiel für die vatikanische Neubewertung der Geschichte liefert die offizielle Verlautbarung zum Thema Kirche und Holocaust, die unter dem Titel »Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah« 1998 von der päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden vorgelegt wurde. Die Kommission unter Federführung des Kardinals Edward Cassidy wusste die Kernfrage durchaus deutlich zu benennen: »Die Tatsache, dass die Shoah in Europa stattfand, das heißt in Ländern mit einer langen christlichen Kultur, wirft die Frage nach der Beziehung zwischen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Haltung der Christen gegenüber den Juden in allen Jahrhunderten auf.« Anerkannt wurde zwar, dass es eine lange Geschichte von »Gefühlen des Misstrauens und der Feindseligkeit« gegeben habe, »die wir Antijudaismus nennen und deren sich leider auch Christen schuldig gemacht haben«. Doch beharrt das Papier darauf, dass diese Dämonisierung der Juden nichts mit dem Holocaust und dessen Ermöglichung zu tun habe. Der Holocaust sei vielmehr Folge eines »Antisemitismus, der sich auf Theorien stützt, die im Widerspruch zur beständigen Lehre der Kirche über die Einheit des Menschengeschlechts und über die gleiche Würde aller Rassen und Völker stehen«. Damit ignoriert die vatikanische Verlautbarung vollkommen, dass sich Nationalsozialisten und Faschisten immer wieder auf die lange Tradition päpstlicher Warnungen vor dem schädlichen Einfluss der Juden und päpstlicher Repressionsmaßnahmen gegen diese berufen haben. Ignoriert wird auch die kirchliche Unterstützung für die judenfeindlichen Gesetze, die in dem Jahrzehnt vor der »Endlösung der Judenfrage« in weiten Teilen Europas in Kraft traten, eine Unterstützung, die sogar aus solchen Publikationen spricht, die direkter vatikanischer Aufsicht unterstanden. »Wir erinnern« baut seine Argumentation auf einer Unterscheidung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus auf, die so nicht existiert hat in der historischen Realität jener Welle des Antisemitismus, die in den Vorkriegs- und Kriegsjahren über einen großen Teil Europas fegte. Ein treffenderer Titel für die Schrift, zu der auch Papst Johannes Paul II. ein einführendes Wort beisteuerte, wäre gewesen: »Wir erinnern uns lieber nicht.«9 Im Zentrum des neuen, gründlich aufpolierten historischen Narrativs steht Pius XII. als Held der Unterdrückten. Zweideutige Phrasen aus sei534

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nem Mund, begraben unter abertausend Worten schwülstiger Rhetorik, dürfen als klare Verurteilung des nationalsozialistischen Massenmordes an den europäischen Juden gelten.10 All die Anstrengungen des Papstes, es sich nur nicht mit Hitler oder Mussolini zu verscherzen, sind hingegen völlig aus dem Blick geraten. Seine Rolle als Primas der italienischen Kirche, deren Klerus den Krieg der Achsenmächte aktiv unterstützte, ist ebenfalls dem Vergessen anheimgefallen. Zur Sprache kommen lediglich Fälle von tapferen Priestern, die den Faschisten die Stirn boten. Aus dem Gedächtnis der Kirche getilgt sind die regelmäßigen Versicherungen des Papstes an die Adresse des Duces, wonach der ihm nur den Namen eines antifaschistischen Priesters nennen müsse – dann werde er, Pius, schon dafür sorgen, dass dieser zum Schweigen gebracht würde. Es geschah in Windeseile, dass sich die einflussreichen »Ermöglicher« des faschistischen Regimes nach dem Krieg neu erfanden, und zwar unabhängig davon, ob sie nun Laien oder Männer der Kirche waren. Nur wenige Pechvögel mussten wie Erzbischof Bartolomasi dafür geradestehen, dass sie von der Kanzel aus die Trommel für die Achse gerührt hatten. Aber selbst in einem so extremen Fall wie dem Bartolomasis, der sich über Jahre als ein enthusiastischer Anhänger des Faschismus gezeigt hatte, brauchte es Monate wachsenden Drucks und päpstlicher Verzögerungstaktik, bis Pius XII. den Erzbischof endlich seines Postens als oberster Militärseelsorger Italiens enthob. Ebenso blieb Cesare Orsenigo, der hitlerfreundliche Nuntius in Deutschland, nach Kriegsende auf seinem Posten in Berlin und war es immer noch, als er 1946 starb. Der Papst berief auch keinen neuen Nuntius für Italien, sondern beließ Francesco Borgongini auf seinem Posten, bis er ihn 1953 zum Kardinal erhob. Die Kirche hat einige von Mussolinis einflussreichsten Parteigängern mit Ehren überhäuft. Pater Agostino Gemelli hatte nach dem Krieg nur vorübergehend unter Unannehmlichkeiten durch jene italienische Kommission zu leiden, die zur Entfernung alter Faschisten aus dem öffentlichen Leben eingerichtet worden war; danach konnte er auf seinen Posten als Rektor der Katholischen Universität Mailand zurückkehren. Heute trägt das bedeutendste katholische Krankenhaus von Rom seinen Namen. Die Kampagne zur Heiligsprechung des Mailänder Kardinalerzbischofs Schuster, den die Faschisten lange als wichtigen Unterstützer im kirchlichen Be535

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reich betrachtet hatten, begann nur drei Jahre nach seinem Tod 1954. Im Jahr 1996 wurde er seliggesprochen. Die auswärtigen Diplomaten im Vatikan nahmen an, dass sich der Papst im Sommer 1945 – wo nun der Krieg in Europa vorbei war – endlich wieder in die traditionelle päpstliche Sommerfrische in Castel Gandolfo begeben würde. Seit seinem ersten Aufenthalt im Jahr 1939 war Pius nicht mehr dorthin zurückgekehrt: Solange die Römer unter dem Krieg zu leiden hatten, beharrte er, müsse er als ihr Hirte an ihrer Seite bleiben. Doch schien es nun, als sei er gar nicht sonderlich erpicht darauf, den Vatikan zu verlassen. Mitte Juli gab D’Arcy Osborne in einem Bericht an Churchill dafür folgende Erklärung: Tatsächlich ist es so, dass seine villeggiatura [Sommerfrische] auf dem Land ihn zu Tode langweilt und er sich deshalb mit einem gewissen passiven Widerstand gegen sämtliche Versuche seines Hofes und anderer wohlgesinnter Personen gesträubt hat, ihn zu diesem Ortswechsel und der dringend nötigen Luftveränderung zu bewegen. Er scheint zu jenen bedauernswerten Menschen zu gehören, die schlicht nicht entspannen können und an freier Zeit oder einer natürlichen Umgebung nicht die geringste Freude haben. Auf seinem täglichen Spaziergang durch die Vatikanischen Gärten studiert er für gewöhnlich eine seiner Reden und hebt nur selten einmal den Blick von dem Papier auf, das er dicht vor die Augen hält, um ihn stattdessen auf die Blumen und Bäume seines Gartens zu richten oder über die Stadt Rom zu schauen.11

Die traditionelle Weihnachtsansprache des Papstes enthielt in jenem Jahr etwas, das in allen seinen Reden während der Kriegsjahre gefehlt hatte: eine klare Verurteilung totalitärer Regime. »Die Gewalt des totalitären Staates!«, rief Pius XII. nun aus, »Grausame und blutige Ironie! Der ganze Erdkreis, gefärbt von dem in diesen grauenvollen Jahren vergossenen Blut, verkündet laut die Tyrannei dieses Staates!« Wie Osborne bemerkte, hatte Pius mit seiner Absage an die totalitären Staaten so lange gewartet, bis davon einzig die Sowjetunion übrig geblieben war.12

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Der Papst half nicht nur, die italienische Kirchengeschichte der Kollaboration mit dem Mussolini-Regime und der Unterstützung für den Krieg zu »überarbeiten«, er tat dasselbe auch für die italienische und sogar die deutsche Geschichte. Statt den Italienern irgendeine Mitschuld am Krieg zu geben, wurden sie nun ausschließlich als dessen Opfer dargestellt. Als er im Februar 1946 Pasquale Diana, den neuen italienischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, empfing, nannte Pius das italienische Volk »Opfer eines Krieges, in den es gegen das Wollen und Empfinden der großen Mehrheit hineingezogen wurde«. Hierauf äußerte der Papst, wie Diana berichtete, sein überschwängliches Lob »für das Verhalten des deutschen Klerus in seinem Widerstand gegen das Naziregime«. Erst im Jahr 2020 sollten die katholischen Bischöfe Deutschlands endlich eingestehen, wie irregeleitet die päpstliche Geschichtsdarstellung in diesem Punkt gewesen war. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung, die unter anderem das Eingeständnis enthielt, dass die katholischen Bischöfe im Deutschen Reich sich weder der Kriegstreiberei des NS-Regimes noch der Judenvernichtung widersetzt hatten. Zu einem vergleichbaren Anerkenntnis der eigenen Verantwortung hat sich bislang weder die katholische Kirche Italiens noch der Vatikan selbst verstanden.13 Die unmittelbare Nachkriegszeit war dramatisch, für Italien wie für den Papst. Am 2. Juni 1946 wurden die Italiener – und zum ersten Mal in der Geschichte auch die Italienerinnen – an die Urnen gerufen, um darüber abzustimmen, ob die Monarchie des Hauses Savoyen bestehen bleiben oder eine neue, republikanische Staatsform eingeführt werden sollte. Einige Wochen zuvor hatte König Vittorio Emanuele, der durch seine langjährige Unterstützung für Mussolini und den Faschismus kompromittiert war, zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtet. Dieser Schritt sollte der Monarchie größere Sympathien gewinnen, doch er kam zu spät und verfehlte die Wirkung. Die Mehrheit der Italienerinnen und Italiener stimmte für die Republik. Umberto II., der nur einen Monat lang auf dem Thron gesessen hatte, ging an Bord eines Flugzeugs mit Ziel Portugal und verbrachte den Rest seines Lebens im Exil. Italien hatte keine Königsfamilie mehr. Das Abstimmungsergebnis machte den Papst nervös, da er befürchtete, der Wechsel der Staatsform werde zugunsten der rapide anwachsenden 537

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Kommunistischen Partei Italiens ausschlagen. Er befürchtete auch, dass eine neue, demokratisch gewählte Regierung die Lateranverträge aufkündigen könnte, die aus vatikanischer Sicht Mussolinis größte Leistung darstellten. In beiden Punkten sollten die Befürchtungen des Papstes sich letztlich als unbegründet erweisen. Die Kommunistische Partei war im erzkatholischen Italien auf katholische Wählerstimmen angewiesen und bemühte sich deshalb nach Kräften um den Nachweis, dass Kommunismus und Katholizismus durchaus kompatibel seien. Der Generalsekretär Palmiro Togliatti überraschte nicht wenige mit seiner Ankündigung, die Kommunisten würden für die Aufnahme der Lateranverträge in die neue italienische Verfassung stimmen. Dort verbleiben sie bis heute. Und bei den ersten Parlamentswahlen unter der neuen, republikanischen Verfassung, die 1948 stattfanden, setzte sich die neu gegründete christdemokratische Partei (Democrazia Cristiana), die starken Rückhalt im Klerus und bei ­katholischen Aktivisten im ganzen Land genoss, gegen eine kommunistisch-sozialistische Wahlkoalition durch und erlangte die Mehrheit der Stimmen.14 Im August 1946 kehrte der Papst endlich nach Castel Gandolfo zurück, sieben Jahre nach seinem letzten Besuch. Der inzwischen siebzigjährige Pius XII., der sich nie einer besonders robusten Gesundheit erfreut hatte und dem die Kälte der letzten Kriegswinter zugesetzt hatte, wirkte sichtlich geschwächt. Der französische Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl berichtete: »Die Ärzte, denen sein Zustand schon länger Sorge bereitet, haben nun erklärt, dass sie jegliche Verantwortung ablehnen würden, sollte der Oberhirte den gesamten Sommer in Rom verbringen.« Doch selbst nachdem er sich in seine Residenz in den Albaner Bergen begeben hatte, bestand der Papst darauf, abends lange aufzubleiben – auf keinen Fall wollte er zu Bett gehen, bevor er die Radionachrichten der BBC um Mitternacht gehört hatte.15 Das Kriegsende änderte nichts an der päpstlichen Gepflogenheit, alljährlich für die römische Aristokratie einen Neujahrsempfang zu geben. Tatsächlich nutzte er die Gelegenheit, um einer Sorge Ausdruck zu geben, die ihn mit Blick auf die neue, demokratische Staatsform Italiens erfüllte. Die faschistische Zensur von Büchern, Theaterstücken und Filmen, die sich Pius XII. wie auch schon sein Vorgänger oft zunutze gemacht hatte, 538

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gab es ja nun nicht mehr. Das christliche Verständnis von Freiheit, erklärte Pius vor den versammelten Adligen, gestatte es jedoch nicht, dass Presse und Film unüberwacht blieben, denn das ließe die öffentliche Moral ohne jeden Schutz. Der Papst werde also tun, was er könne, damit schädliche Inhalte von der beeinflussbaren italienischen Öffentlichkeit ferngehalten würden. Im Folgemonat griff er diesen Punkt in einem Gespräch mit dem italienischen Botschafter beim Heiligen Stuhl noch einmal auf. »Wie zu erwarten war«, berichtete der Botschafter anschließend, »kam der Pontifex im Laufe der Audienz auch auf die antireligiöse und antiklerikale Presse zu sprechen und verlieh seinem Bedauern Ausdruck, dass noch keine Mittel und Wege gefunden waren, derartige Veröffentlichungen zu unterbinden.«16 Mit dem Ende des Krieges begann man hinter vorgehaltener Hand auch wieder darüber zu reden, dass der Papst noch immer keinen Nachfolger für den verstorbenen Kardinalstaatssekretär Maglione ernannt hatte. Kurz nach Kriegsende setzte sich der amerikanische Gesandte in einem langen Bericht nach Washington mit dieser Frage auseinander: »Offenbar hat er [Pius XII.] gar nichts dagegen, vorerst als sein eigener Staatssekretär zu amtieren, und begrüßt er die Gelegenheit, noch die kleinsten Details der vatikanischen Verwaltung persönlich zu beaufsichtigen.« Tittmann gab auch ein Gerücht weiter, das damals auf beiden Seiten des Atlantiks die Runde machte: Der Papst wolle am liebsten seinen Freund Francis Spellman, den Erzbischof von New York, auf den Posten berufen, halte es jedoch für angebracht, erst einmal abzuwarten, bis die internationale Lage sich wieder beruhigt haben würde, bevor er einen Amerikaner auf einen derart einflussreichen Posten berief. Doch dann nutzte Pius im Jahr darauf zwar die nächste sich bietende Gelegenheit, um Spellman zum Kardinal zu erheben, ließ die Position des Staatssekretärs aber weiterhin vakant.17 Spätestens 1948, vier Jahre nach Magliones Tod, sorgte die Tatsache, dass Pius dessen früheren Posten noch immer nicht neu besetzt hatte, auch im Vatikan selbst für einigen Missmut. Tief blicken lassen beispielsweise die Äußerungen von Monsignore Carbone, einem Mitarbeiter des Staatssekretariats, gegenüber einem Informanten des italienischen Militärgeheimdienstes: 539

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Der Papst ist ein verflixter Kerl, der alles selbst machen will und eine übertriebene Meinung von seinen eigenen Fähigkeiten hat. Er sollte sich einmal daran erinnern, wie wertvoll seine eigene Arbeit als Staatssekretär war, wenn es darum ging, den Personalismus Pius’ XI. einzudämmen, und er sollte beschließen, einen Kardinal an seine Seite zu holen, der eine eigene Meinung hat … und mit dem er Probleme aus zwei unterschiedlichen Perspektiven diskutieren und untersuchen kann. Stattdessen macht er alles allein, entscheidet alles allein, weil ihm Monsignore Montini aus Angst, sein Vertrauen zu verlieren, in allem Recht gibt.18

Der Monsignore hätte es wohl nicht gewagt, eine solche Einschätzung in Hörweite des Papstes zu äußern: Für seine Kritikfähigkeit war Pius XII. nicht gerade bekannt. Der bedeutende katholische Philosoph Jacques Maritain, der am Ende des Zweiten Weltkriegs zum französischen Botschafter beim Heiligen Stuhl ernannt wurde, äußerte seine Sorge über das »empfindliche Temperament des Papstes«, wie er es nannte. »Wenn der Papst feststellte, dass man seine Worte schlechtmachte, oder schlimmer noch, wenn er feststellte, dass man sie ignorierte …, so verletzte ihn das über Gebühr. Obwohl er von seinem nächsten Umfeld ständig bestärkt wurde, war er doch letztlich ganz allein und blieb auf die Bestärkung durch Außenstehende angewiesen.« Wann immer Maritain auf einen Zeitungsartikel stieß, der den Papst in ein freundliches Licht setzte, ließ er ihm den Ausschnitt zukommen, um ihn aufzumuntern.19 Gerade hatte Pius XII. am 3. September 1948 in der päpstlichen Villa in Castel Gandolfo die Messe gehalten, als er ohnmächtig zusammenbrach. Nachdem man ihn auf ein Kanapee gebettet hatte, kam er eine halbe Stunde später wieder zu Bewusstsein. Typisch für ihn war, dass er auch danach den Rat seiner Ärzte in den Wind schlug, nicht mehr so hart zu arbeiten. In seinem Bericht über diesen Vorfall merkte der amerikanische Gesandte Taylor an: »Beständige Versuche seiner engsten Berater, seine Arbeitslast zu erleichtern, indem sie ihn drängen, doch endlich den Posten des Staatssekretärs zu besetzen, der seit 1944 vakant gewesen ist, … [blieben] weiterhin erfolglos.«20

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Am Ende seiner dreijährigen Amtszeit als Botschafter beim Heiligen Stuhl teilte Jacques Maritain dem französischen Außenminister seine abschließenden Eindrücke mit. Der Heilige Stuhl, erklärte er, sei eine Monarchie, in der alte Männer das Sagen hätten. In seiner Begierde, Gutes zu tun und vor den Augen der Welt auch als Wohltäter zu erscheinen, halte Pius XII. es für seine Pflicht als Papst, die abendländische Kultur zu verteidigen. In der Folge habe er seine Aufmerksamkeit immer stärker auf die politische Sphäre gerichtet, eine Tendenz, die in jüngster Zeit noch zugenommen habe durch seine Mitwirkung an dem von Erfolg gekrönten Bestreben, die Kommunisten aus der italienischen Regierung herauszuhalten. Tatsächlich, glaubte Maritain, hatte Pius XII. mit seinem geradezu mystischen Glauben an eine besondere Verbindung zwischen dem Pontifex und der Stadt Rom erreicht, dass die im Vatikan schon immer vorhandene Neigung, die Welt gleichsam durch die italienische Brille zu betrachten, noch verstärkt worden war – ungeachtet der universalen Sendung der Kirche. Pius XII., den der französische Botschafter als »extrem feinfühlig und sensibel« beschrieb, als einen Mann, der »keinen anderen verletzen will und lange zögert, bis er eine Entscheidung trifft«, konnte, wenn er sich einmal entschieden hatte, durchaus unnachgiebig sein. Jedoch, schloss Maritain: »Man sollte von ihm auch nicht die Lebhaftigkeit der Reflexe und Intuitionen, die Spontaneität und Charakterstärke erwarten, die seinen Vorgänger ausgezeichnet haben.«21 Seinem angeschlagenen Gesundheitszustand zum Trotz sollte Pius XII. noch ein ganzes Jahrzehnt lang im Amt bleiben. Er schonte sich auch weiterhin nicht, sondern verlangte sich bis zum Ende alles ab. Am 3. Oktober 1958 empfing der Papst in seiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo eine Gruppe amerikanischer Pilger, die von seinem alten Freund Kardinal Spellman angeführt wurden. Er sprach auf Englisch zu ihnen. Am Tag darauf hörte der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl gerüchteweise, dass Pius XII. erkrankt sei. Er wandte sich an Monsignore Angelo Dell’Acqua, der inzwischen Montini als Substitut im Staatssekretariat abgelöst hatte, und fragte, ob es etwas Ernstes sei. Der Papst, beschied ihm der Monsignore, habe lediglich Halsweh. Zwei Tage später

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gab der Vatikan dann ein Bulletin heraus mit der Nachricht, dass der Papst einen Schlaganfall erlitten hatte. Pius XII. starb am Morgen des 9. Oktober 1958 im Alter von 82 Jahren, im zwanzigsten Jahr seines Pontifikats. »Es kann gar kein Zweifel daran bestehen«, schrieb der britische Gesandte nach London, »dass er sich letztlich mit Überarbeitung selbst umgebracht hat.«22 Als Pius starb, war die Stelle des vatikanischen Staatssekretärs noch immer nicht besetzt worden. Domenico Tardini hatte weiterhin die Position des Pro-Staatssekretärs für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten inne. Giovanni Montini, sein langjähriger Kollege im Staatssekretariat, war freilich nicht mehr an seiner Seite: Vier Jahre zuvor hatte Pius ihn nach dem Tod Kardinal Schusters zum neuen Erzbischof von Mailand bestimmt. Als der sanftmütige Angelo Roncalli von den Kardinälen zum Nachfolger Pacellis gewählt wurde, zeichnete sich ab, dass das Leben im Vatikan sich verändern würde. Im Jahr 1953 hatte Pius XII. Roncalli, den damaligen Nuntius in Frankreich, nach Italien zurückbeordert, zum Kardinal erhoben und als Patriarchen von Venedig eingesetzt. Unter dem Papstnamen Johannes XXIII. berief Roncalli im Folgenden das Zweite Vatikanische Konzil ein, das die römisch-katholische Kirche besser mit der Moderne in Einklang bringen sollte. Zwar starb er, bevor das Konzil seine Beratungen beendet hatte, doch sein Nachfolger Giovanni Montini, als Papst Paul VI ., brachte es zum Abschluss. Zu den zahlreichen Veränderungen, die es einläutete, gehörte nicht zuletzt auch, dass das Konzil der jahrhundertelangen Dämonisierung der Juden durch die Kirche ein Ende setzte.

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Schlussgedanken Das Schweigen des Papstes

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ie Kontroverse um die päpstliche Haltung während des Krieges hat sich überwiegend auf sein Schweigen zum Holocaust konzentriert, sein Versäumnis, den Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die Juden Europas mit klaren Worten zu verurteilen – oder auch nur das Wort »Juden« in den Mund zu nehmen, während diese systematisch ermordet wurden. Der Jesuit und Kirchenhistoriker Pierre Blet, ein sachkundiger und scharfsinniger Verteidiger Pius’ XII., hat dessen Schweigen 1997 auf eine Weise erklärt, die viele überzeugt hat. Der Papst habe demnach »die Möglichkeit öffentlicher Erklärungen ins Auge gefasst«, sich am Ende jedoch dagegen entschieden, seine Stimme zu erheben. Diese Entscheidung habe auf zwei Überlegungen beruht. Da war zum einen seine Überzeugung, dass Proteste »rein gar nichts« bewirkten und möglicherweise »gerade denjenigen einen sehr schlechten Dienst erweisen, denen man zu helfen gedachte«. Der zweite Punkt war subtilerer Natur: »Pius XII. musste im Übrigen auch daran denken, dass eine öffentliche Erklärung von ihm der nationalsozialistischen Propaganda, die sich seit langem darum bemühte, den Papst als einen Feind Deutschlands hinzustellen, Munition geliefert hätte. Eine päpstliche Rede konnte in den Händen eines Experten wie Goebbels eine Waffe … gegen das Christentum werden, die geeignet war, die Gläubigen, die nicht alle gleichgültig gegenüber dem Erfolg des Regimes waren, in ihrem Glauben an ihre Kirche und ihr Oberhaupt ins Wanken zu bringen.« Pierre Blet hat damit einen Gedanken sehr taktvoll formuliert, der im Klartext auf Folgendes hinausläuft: Dem Papst war bewusst, dass beinahe die Hälfte der Bürger des nunmehr vergrößerten Deutschen Reiches Katholiken waren und Millionen von diesen wiederum glühende Anhänger Hitlers. Hitler und die Nazis anzugreifen, während deutsche Truppen auf dem Vormarsch durch 543

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Schlussgedanken

Europa waren und allerorten die jüdische Bevölkerung zur Vernichtung zusammentrieben, hätte bedeutet, die Treue jener Millionen zur katholischen Kirche aufs Spiel zu setzen.1 Was aber sollen wir von dem ersten Erklärungsansatz des Jesuitenpaters halten, der heute zum Lieblingsargument all jener geworden ist, die Pius XII . weiterhin zum Helden stilisieren wollen? Das Schweigen des Papstes, erklären sie uns, gründe in seinem Glauben, dass er durch eine klare Verurteilung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik Hitler nur zu einem noch härteren Vorgehen gegen die Juden provoziert hätte. Wer so argumentiert, hat Vorstellungen von Hitler und der »Endlösung«, die mit der Realität nicht in Einklang zu bringen sind. Er verkennt auch, dass viele Vollstrecker des Judenmordes – ob sie ihre Opfer nun vor Gräben erschossen, die diese zuvor selbst hatten ausheben müssen, oder ob sie sie in Gaskammern pferchten – sich selbst als gute Katholiken betrachteten. In der Tat hätten sie ihr Handeln rechtfertigen können, indem sie rekapitulierten, was sie über die Juden und die Gefahr, die sie für gute Christen darstellten, von ihren Gemeindepfarrern – die damit in einer jahrhundertealten Tradition der Verunglimpfung der Juden durch den niederen Klerus standen – gelernt hatten. Richtet man den Blick auf das Handeln des Papstes in Italien als einem Land, in dem sein Einfluss immens war, ergibt sich eine wertvolle Erkenntnis für die hier diskutierten Fragen. Würde jemand ernsthaft behaupten wollen, Pius XII. habe nur deshalb nie Kritik an Italiens Rassengesetzen geäußert und es nur deshalb nicht für inakzeptabel für gute Katholiken erklärt, sich an der Judenverfolgung zu beteiligen, weil er befürchtete, die Lage der italienischen Juden damit noch zu verschlimmern? Oder wäre es denkbar, dass der Papst nur deshalb Mussolinis Kriegseintritt an der Seite Hitlers nicht anprangerte, weil ihn die Angst umtrieb, die Italiener könnten in Scharen der römisch-katholischen Kirche davonlaufen? Eine Frage, die viele polemische Auseinandersetzungen mit der Haltung Pius’ XII. zum Krieg und im Krieg außer Acht lassen, ist eine ganz einfache: Wann? Wie ich in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt habe, war der Eindruck, den der Krieg zu verschiedenen Zeiten beim Papst hinterließ, ein je verschiedener. Wir können grob zwei Phasen unterscheiden. In der ersten Phase hatte Pius noch allen Grund zu der Annahme, dass die 544

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Das Schweigen des Papstes

Achsenmächte den Krieg gewinnen würden. Binnen Wochen nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 hatten die Truppen der Wehrmacht Warschau besetzt; im Frühsommer des folgenden Jahres dauerte es wiederum nur Wochen, bis die Deutschen Paris erobert und die britische Armee zu einem demütigenden Rückzug vom europäischen Festland gezwungen hatten. Der Kontrast zu dem zähen Grabenkrieg, den sich das Deutsche Reich, Frankreich und Großbritannien nur ein Vierteljahrhundert zuvor geliefert hatten, verschlug den Zeitgenossen damals den Atem. Anfang 1941 besetzte die Wehrmacht in Windeseile den Balkan und begann im Juni ihren raschen Vorstoß tief ins Innere der Sowjetunion. Großbritannien ächzte unterdessen unter monatelangen schweren Luftangriffen, während die Achsentruppen der britischen Armee in Nordafrika schwere Verluste zufügten und deutsche U-Boote die britische Hoffnung auf Hilfe aus Nordamerika zu torpedieren schienen. Im Osten marschierten die Japaner von Sieg zu Sieg. In diesem Licht ist die Beflissenheit zu sehen, mit der Pius XII. in diesen Jahren alles tat, um sich mit den italienischen Faschisten gut zu stellen und Hitler bloß nicht zu verärgern: Er ging ganz einfach von einer Zukunft aus, in der Deutschland den europäischen Kontinent beherrschen würde. Seine erste und vornehmste Pflicht sah er darin, die Institution Kirche zu beschützen. Er hatte keineswegs Vertrauen in Hitler, sondern war verärgert durch die systematische Kampagne der Nazis, die auf Schwächung der Kirche abzielte. Gerade deshalb setzte er auf Mussolini, der einen mäßigenden Einfluss auf den Mann würde ausüben können, in dessen Händen, wie es aussah, das Schicksal Europas und der Kirche lag. In einem von den Achsenmächten dominierten Europa würde zudem die Kollaboration der Kirche mit dem faschistischen Regime deren einflussreiche Stellung in Italien sichern – eine Stellung, die andernfalls vielleicht durch das Vordringen der Nazi-Ideologie auf die italienische Halbinsel gefährdet würde. Erst gegen Ende des Jahres 1942, mehr als drei Jahre nach Kriegsbeginn, als die militärischen Rückschläge in Russland und das Gewicht des amerikanischen Kriegseintritts fühlbar wurden, rückte die schlussendliche Niederlage der Achsenmächte in den Bereich des Wahrscheinlichen. Damit trat der Krieg in seine zweite Phase ein. Überraschenderweise schien das 545

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für den Papst zunächst wenig zu ändern, sieht man einmal davon ab, dass sich gelegentlich einzelne Phrasen in seine Reden hineinschlichen, die vom Leiden von Minderheiten und kleinen Völkern sprachen. Ein Grund für diese bemerkenswerte Kontinuität war, dass die größte Angst des Papstes in der ersten Kriegsphase – die Angst vor den Folgen eines allmächtigen Naziregimes für das Schicksal der Kirche in Europa – inzwischen durch eine neue Angst abgelöst worden war: die Angst vor den Folgen eines sowjetischen Sieges für das Schicksal der Kirche. Mit der Besetzung Roms durch deutsche Truppen im September 1943 kam für den Papst ein weiterer Grund hinzu, es sich mit Hitler nicht zu verscherzen. Weil er die Vatikanstadt und die vielen anderen kirchlichen Einrichtungen in der Welthauptstadt des Katholizismus um jeden Preis schützen wollte, war Pius XII. fest entschlossen, freundliche Beziehungen zur Besatzungsmacht zu pflegen. Nur vor diesem Hintergrund können wir die Entscheidung des Papstes verstehen, nicht zu protestieren, als im Oktober 1943 Tausende von römischen Juden zusammengetrieben und nach Auschwitz geschickt wurden. Dagegen wird die Behauptung kaum Glauben finden, der Protest des Papstes sei nur deshalb ausgeblieben, weil er fürchtete, durch seine Worte die Situation der italienischen Juden noch zu verschlimmern. Um das päpstliche Stillschweigen über den nationalsozialistischen Massenmord an den europäischen Juden zu rechtfertigen, verweisen Pius’ Verteidiger manchmal darauf, dass jegliche päpstliche Kritik eine Gefahr für den Vatikan oder auch für die Sicherheit des Papstes persönlich bedeutet hätte. Hier kommen wir der Motivation des Papstes zwar schon näher, doch muss auch dieses Argument im richtigen Kontext gesehen werden. Wie in diesem Buch gezeigt wurde, hatten sowohl das nationalsozialistische Deutschland als auch das faschistische Italien ein Interesse daran, sich als Verteidiger des Christentums darzustellen. Schließlich waren, wie die faschistische Presse Italiens zu wiederholen nicht müde wurde, die Feinde der Achsenmächte dieselben Feinde, mit denen sich auch die römisch-katholische Kirche im Lauf der Jahrhunderte hatte herumschlagen müssen: Juden, Protestanten und Kommunisten. Und was die Deutschen betraf, so hatten sie jedenfalls nie Rom bombardiert, und den Vatikan schon gar nicht. Das waren die Alliierten gewesen. 546

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Das Schweigen des Papstes

Doch wollen wir uns einen kurzen Abstecher in das Reich der alternativen Geschichtsverläufe erlauben und einmal den Gedanken weiterspinnen: Was wäre gewesen, wenn …? Was wäre gewesen, wenn der Papst Hitler und Mussolini offen verurteilt und exkommuniziert hätte, wenn er gewarnt hätte, dass jeder Katholik, der sich an der Auslöschung der europäischen Juden beteiligte, zu ewiger Höllenqual verdammt würde? In der Tat kann man sich leicht vorstellen, dass die deutschen Besatzer Roms in einem solchen Fall eingeschritten wären, um ihn mundtot zu machen. Doch wenn sie sich tatsächlich dazu gezwungen gesehen hätten, hätte sie das einiges gekostet und ihren Kriegsanstrengungen Schaden zugefügt, weil sie damit eine ihrer wichtigsten Propagandabehauptungen selbst untergraben hätten. Das wiederum bringt einen anderen Teil der Geschichte ans Licht, denn unter den Gründen für das Schweigen des Papstes ist noch ein weiterer, der selten Erwähnung findet. Pius XII. hatte erkannt, dass viele loyale Nazis im katholischen Glauben erzogen worden waren und sich selbst noch immer als Katholiken begriffen. Bei einer Volkszählung bezeichnete sich 1939 nur ein Prozent der Deutschen als »glaubenslos«, während sich der überwältigende Rest – von dem einen Prozent Juden abgesehen – als Christen verstand. Die Führungsspitzen des Dritten Reiches erinnerten all diese Christen in regelmäßigen Abständen daran, dass der Staat beide Kirchen, die katholische wie die evangelische, finanziell unterstützte, was auch bis zum bitteren Ende so blieb.2 Wenn Pius XII. schwieg, weil er sich vor den Maßnahmen fürchtete, die die Achsenmächte gegen die Kirche ergreifen könnten, falls er den Mund aufmachte, so muss er sich auch davor gefürchtet haben, dass ein klares Wort gegen die Nazis schlimmstenfalls Millionen von Katholiken ihrer Kirche entfremden und ein Schisma heraufbeschwören könnte. In diesem Zusammenhang wird die mangelnde Eindeutigkeit, die den päpstlichen Ansprachen während des Krieges eignete, am ehesten verständlich. Pius’ Predigten mischten unverständliche Theologensprache mit moralisierenden Gemeinplätzen; sie waren bemerkenswert durch ihre Länge und das Geschick, mit dem der Papst inmitten dieses Redestroms kleine Bröckchen von Bedeutung einstreute, aus denen beide Seiten Unterstützung für ihre jeweilige Sache herauslesen konnten.3 Mochten sich die 547

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Schlussgedanken

Führungsriegen in London, Rom und Berlin hinter verschlossenen Türen gleichermaßen darüber beklagen, dass der Papst mit seinen Phrasen ihren Feinden zu Munde redete: Nach außen bemühten sich die Regierungen der Achsenmächte wie der Alliierten unermüdlich um den Eindruck, Pius XII. stehe selbstredend auf ihrer Seite. Der Historiker Oliver Logan hat darauf hingewiesen, dass bei der Kon­ struktion des heldenhaften Bildes von Pius XII. die zarte, bebrillte, asketische Gestalt des »Mannes in Weiß« das perfekte Gegenstück zu dem groben, schwarzhemdigen, breitbrüstigen, kampfeslustigen Duce abgab. Und in dem Maß, in dem Mussolinis Schicksal sich eintrübte, wurde der Papst als Retter Roms zum Zentrum eines intensiven Personenkults. Viele Menschen fühlten nach dem Krieg eine emotionale Bindung an dieses Heldenbild, noch verstärkt durch dessen stillschweigende Implikation, wonach der Papst die spirituelle Triebkraft hinter einer Kirche war, die sich dem Faschismus und allen seinen Übeln standhaft widersetzt habe.4 Wie die in diesem Buch erzählte Geschichte deutlich macht, begann die Kontroverse um das Schweigen des Papstes mehr oder minder mit dem ersten Schuss, der im Krieg abgegeben wurde. Die Kritik an der päpstlichen Unterstützung für den italienischen Faschismus und an der Beflissenheit, mit der Pius XII. eine Annäherung an Hitler anstrebte, begann sogar noch früher. Hier sei Kurt Riezler zitiert – Sprössling einer bekannten deutschen katholischen Familie und in der Weimarer Republik eine bedeutende Persönlichkeit, bevor er nach 1933 in die Emigration gezwungen wurde – , dessen Einschätzung der amerikanische Finanzminister im Februar 1940 erhielt. »Die katholische Kirche«, bemerkte Riezler, »hat mit dem italienischen Faschismus einen sehr guten Handel gemacht und ihre Position in Italien erheblich gestärkt. Der Papst hat gerne mit Regierungen zu tun, nicht mit dem Volk und Wahlen und der öffentlichen Meinung. Also wäre ein Handel mit einer gemäßigteren nationalsozialistischen Regierung um des Friedens willen und mit einigen Zugeständnissen an die katholische Kirche für deren gute Dienste als Vermittlerin dieses Friedens – ganz nach seinem Sinn.«5 Seit deutsche Truppen nach Polen einmarschiert waren und begonnen hatten, die polnische Bevölkerung zu terrorisieren, darunter auch zahl548

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reiche katholische Priester, riss die Kritik am Schweigen des Papstes nicht ab. »Der Papst scheint nicht zu realisieren, welch gewaltiger Autorität er sich immer noch in der Welt erfreut«, schrieb der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl im Oktober 1940. »Er scheint gar nicht wahrzunehmen, welch großes Gewicht ein Wort, eine Zustimmung, eine Verurteilung aus seinem Munde hat. Er hat seine Waffen, doch das weiß er entweder nicht oder zieht es vor, sie nicht zu gebrauchen.« Der Botschafter führte die Verzagtheit des Papstes auf dessen Mangel an Selbstvertrauen zurück, den er wiederum zum Teil dessen nervösem Charakter geschuldet sah, zum Teil der »faschistisch-diktatorischen Atmosphäre«, die rund um den Vatikan herrsche. Zwar behaupte man im Vatikan beharrlich, der Papst tue hinter den Kulissen alles, was in seiner Macht stehe, fügte der Botschafter noch hinzu, doch »seine Initiativen sind kleinmütig, ihre Resultate zu vernachlässigen«.6 Die Nachkriegskontroverse über das päpstliche Versäumnis, gegen die Nazis Stellung zu beziehen, begann bald nach der deutschen Niederlage. Mitte Oktober 1945 erschien in einer viel gelesenen französischsprachigen Schweizer Zeitung ein Artikel unter der Überschrift »Crime et châtiment« (Verbrechen und Strafe), der eine Anklage gegen den päpstlichen Nuntius in Berlin, Monsignore Orsenigo, und den ganzen Vatikan darstellte: »Wusste der Apostolische Nuntius etwa nichts von den Massakern an Mitgliedern des deutschen, österreichischen und polnischen Klerus? War der Vatikan imstande, die Methoden derer zu ignorieren, mit denen er ein Konkordat geschlossen hatte?« Der Artikel schloss unter Anspielung auf einen bekannten Bibelvers wie folgt: »Wehe denen, die da Augen haben und sehen nicht, und Ohren haben und hören nicht!« Beunruhigt schrieb der Nuntius in der Schweiz an Monsignore Tardini, eine Antwort des Vatikans hierauf sei »dringend geboten«, und bat um Material zur Entlastung Orsenigos. Als im Mai des folgenden Jahres der Vorwurf im Raum stand, der Vatikan habe nach Auffassung der Polen nichts getan, um den in deutschen Konzentrationslagern internierten polnischen Priestern beizustehen, löste das eine ähnliche Anfrage nach Dokumenten inklusive der Korrespondenz des Berliner Nuntius aus, die den Vatikan entlasten könnten. Am Seitenrand dieser Anfrage vom 30. Mai 1946 vermerkte Monsignore Tardini handschriftlich seine Zweifel daran, dass eine Überlassung 549

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Schlussgedanken

der Dokumente förderlich sein würde: »Ich bin mir sehr unsicher: 1. sind Msgr. Orsenigos Berichte im Ton etwas zu … optimistisch: Er erscheint darin allzu gutgläubig und recht … befangen im Umgang mit den Deutschen. 2. pflegen unsere Berichte einen bürokratischen Tonfall – und das müssen sie ja auch. Insgesamt gesehen wird das wohl nicht ausreichen, um – heute – die Polen zufriedenzustellen.«7 Die neu zugänglichen Akten aus den vatikanischen Archiven untermauern jedenfalls die scharfsichtige Einschätzung der Rolle Pius’ XII. während des Krieges, die der bekannte Historiker István Deák abgegeben hat: Weil er den Zorn Hitlers fürchtete, erhob der Papst kaum seine Stimme gegen den Rassismus und Antiklerikalismus der Nazis, und noch weniger gegen deren Antisemitismus. Er hat weder für die leidende katholische polnische Nation Stellung bezogen noch für die christlichen Opfer des Euthanasieprogramms der Nazis noch für die Juden seiner eigenen Bischofsstadt Rom … Pius XII. hat es sich zum obersten Ziel gesetzt, das Überleben der katholischen Kirche in stürmischen Zeiten zu sichern. Hierin war er erfolgreich, wenn auch unklar bleibt, wie, wann und von wem dieses Überleben bedroht worden sein soll. In seiner Hilfeleistung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung tat der Papst sehr viel weniger, als man es von einer Persönlichkeit in seiner erhabenen Stellung hätte erwarten dürfen.8

Wie Deák festgehalten hat, sah Pius XII. seine vorrangige Verantwortung im Schutz der Institution Kirche, ihres Besitzes, ihrer Vorrechte und ihrer Befähigung, ihre Mission (wie er sie sah) zu erfüllen. Zahlreiche Quellenbelege aus den Kriegsjahren zeigen, dass er sich der Kritik schmerzlich bewusst war, in einer anderen Rolle zu versagen, in der viele den Papst als Kirchenoberhaupt sahen: als mutige moralische Führungspersönlichkeit. Seine defensive Haltung in diesem Punkt zieht sich wie ein roter Faden durch unzählige Berichte von Leuten, die in jener Zeit mit ihm zusammentrafen. In den Augen Pius’ XII. gab es gute Faschisten und schlechte Faschisten, gute Nazis und schlechte Nazis. Für jeden Farinacci gab es einen Ciano, für jeden Ribbentrop einen Weizsäcker. Was die Guten von den Bösen unterschied, war ihre Haltung der katholischen Kirche gegenüber. Diejenigen, 550

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welche die Vorrechte der Kirche respektierten, dem katholischen Klerus mit Ehrerbietung begegneten und die Ressourcen des Staates einsetzten, um die Kirche zu stärken, waren gut. Diejenigen, welche den Einfluss der Kirche zu schmälern suchten, ihre institutionellen Aktivitäten untergruben oder ihrem Besitz und Ansehen schadeten, waren böse. Nie kam es so weit, dass Pius XII. Mussolini oder Hitler tatsächlich die Stirn geboten hätte. Beide Männer schüchterten ihn offenkundig ein, eine Tatsache, derer sich die beiden Diktatoren durchaus bewusst waren und die sie zu ihren Gunsten ausnutzten. Wenn die Verteidiger Pius’ XII. argumentieren, der Papst habe sich in keiner Position befunden, auf die politische Entwicklung in Deutschland Einfluss zu nehmen, ist das ein ernstzunehmender Punkt. Im Fall Italiens lagen die Dinge jedoch anders. Der Papst war schließlich Italiener, wie auch fast sämtliche Mitglieder der Kurie. Der Vatikan lag in Rom nur wenige Kilometer von Mussolinis Palazzo Venezia und dem königlichen Quirinalspalast entfernt, und der Papst selbst war ein gebürtiger Römer. Italien war in seiner überwältigenden Mehrheit katholisch und von einem Netzwerk kirchlicher Organisationen durchdrungen, das bis in die entlegensten Dörfer reichte. Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Papst und der katholische Klerus hier einen erheblichen Einfluss hatten. Die Geschwindigkeit, mit der nach der Absetzung Mussolinis am 25. Juli 1943 der gesamte faschistische Staatsapparat in sich zusammenfiel, ohne dass aus der Bevölkerung nennenswerter Protest gekommen wäre, beweist, wie schwach der Rückhalt des Duces im italienischen Volk am Ende war. Was wäre wohl geschehen, wenn der Papst dem bevorstehenden Kriegseintritt Italiens 1940 eine Absage erteilt hätte, oder wenn er sich dagegen verwahrt hätte, dass sich die Faschisten in ihrer Dämonisierung der Juden immer wieder auf die Autorität der Kirche beriefen? Wie viele der Männer, die Juden ermordeten oder zur Verschickung in die Todeslager zusammentrieben, hielten sich für gute Katholiken? Pius XII. war gewiss nicht »Hitlers Papst«, wie es John Cornwells Buchtitel provokant formulierte. In vielerlei Hinsicht war das Naziregime dem Papst und auch den allermeisten Prälaten im Vatikan ein Gräuel. Sie alle waren alarmiert von den Bestrebungen im Deutschen Reich, den Einfluss der Kirche zu schmälern, ihren Zugriff auf die Jugend zu lockern und zen551

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trale Aspekte ihrer Lehre zu diskreditieren. Das Verhältnis des Papstes zum faschistischen Regime in Italien hatte jedoch eine ganz andere Qualität, und es spricht in der Tat einiges für die Auffassung, der italienische Staat sei damals – wie die Forscher es nennen – »klerikalfaschistisch« gewesen.9 Das Interesse des Papstes an guten Beziehungen zu Mussolini lag zudem darin begründet, dass er im Duce einen wertvollen Fürsprecher zugunsten des Vatikans beim deutschen Führer sah. Diese Rolle erfüllten Mussolini und seine Vertrauten tatsächlich dann und wann. Wenn der Duce im Gespräch mit Hitler und dessen Paladinen zu prahlen begann, kam er seinerseits mit Vorliebe darauf zu sprechen, wie viele Vorteile er schon daraus gezogen habe, den Papst bei Laune zu halten. Wenn viele Italiener es heute vorziehen, sich an Pius XII . als eine Heldengestalt zu erinnern, so liegt dies nicht allein an ihrer römisch-­ katholischen Identität oder dem verständlichen Wunsch, das Oberhaupt ihrer Kirche in einem günstigen Licht zu sehen. Es ist vielmehr Teil eines umfassenderen Bestrebens, die unbequeme faschistische Vergangenheit Italiens umzudeuten, eines Bestrebens, das weit über den kirchlichen Bereich hinausgeht. Die Juden im heutigen Italien und insbesondere in Rom haben allen Grund, diese Vergangenheit anders zu sehen. Schließlich brach der Papst, wie kürzlich herausgestellt wurde, sein Schweigen selbst dann nicht, als mehr als tausend römische Juden am 16. Oktober 1943 zusammengetrieben wurden und die nächsten zwei Tage hindurch nahe dem Apostolischen Palast auf ihren Abtransport nach Auschwitz und damit in den Tod warteten. Nie hat Pius XII. sich gegen die Gräueltaten der Nazis geäußert, nicht im Fall der Massenerschießung in den Ardeatinischen Höhlen und auch bei keinem anderen brutalen Vorgehen in Rom. Die einzige Gelegenheit, bei der Pius öffentlich gegen etwas protestierte, das in Rom geschah, waren die alliierten Bombenangriffe auf die Stadt. Als er diese sehr zur Freude der faschistischen und nationalsozialistischen Propaganda verurteilte, unterließ er es freilich tunlichst, die Ziele zu erwähnen, denen die Angriffe gegolten hatten. Und auch wenn die Verteidiger des Papstes behauptet haben, dass sein hinter den Kulissen vorgebrachter Protest die weitere Festnahme römischer Juden nach dem 16. Oktober gestoppt habe, wurden doch »die Maßnahmen zur Aufspürung und Gefangennahme der Juden nicht einen Augenblick lang 552

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unterbrochen. Ganz im Gegenteil setzten die Deutschen sie vollkommen ungestört fort«.10 Misst man Pius XII. allein an seinem Einsatz für den Schutz der institutionellen Interessen der römisch-katholischen Kirche zu Kriegszeiten, so lässt sich sein Pontifikat mit einiger Berechtigung als Erfolg verbuchen. Die Vatikanstadt blieb unversehrt, und die katholische Kirche ging, inmitten der Trümmer des faschistischen Regimes, mitsamt ihren unter dem Faschismus erworbenen Privilegien unversehrt aus dem Krieg hervor. Nimmt man den Papst jedoch als moralische Führungsinstanz in den Blick, so hat Pius XII. versagt. Für Hitler hatte er gewiss nichts übrig, ließ sich aber von ihm und auch von Mussolini einschüchtern. In einer Zeit großer Unsicherheit hielt Pius XII. eisern an seiner Absicht fest, nichts zu tun, was einen der beiden Diktatoren gegen ihn aufbringen könnte. Und in diesem Bestreben war der Papst bemerkenswert erfolgreich.

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Danksagung

D

ie Dokumente, auf denen dieses Buch beruht, liegen in Archiven, die über fünf Länder verstreut sind – oder sechs Länder, wenn man die Vatikanstadt mitzählt. Für ihre Mithilfe bei den Archivrecherchen habe ich vielen Menschen zu danken, doch unter ihnen fällt Roberto Benedetti in eine eigene Kategorie. Als Historiker ist Roberto ein Experte sowohl für Kirchengeschichte als auch für die neuere Geschichte Italiens. Er hat mit mir zusammen an dem größeren Forschungsprojekt gearbeitet, von dem dieses Buch ein Ertrag ist, und zusammen haben wir eine Reihe von Forschungsbeiträgen verfasst, die in diversen Fachzeitschriften erschienen sind. Seine Unterstützung bei der Recherche für das vorliegende Buch war umso wichtiger, als die Coronapandemie dazu geführt hat, dass ich an einem entscheidenden Punkt meiner Arbeit sehr viel weniger Zeit in Rom verbringen konnte als eigentlich geplant. Ich verdanke Roberto sehr viel, und dieses Buch hat von seinen Recherchefähigkeiten, seiner Fachkenntnis in den Archiven und seiner Hingabe an die Sache enorm profitiert. Meinem Kollegen Lutz Klinkhammer, seines Zeichens der führende Experte für die deutsche Besatzungszeit in Italien während des Zweiten Weltkriegs, danke ich herzlich für Rat und Anleitung, als ich vor der Aufgabe stand, die Archivbestände des Auswärtigen Amtes in Berlin auszuwerten. Dem Historiker Pierluigi Pironti danke ich für seine Arbeit an diesen Archivbeständen. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Meeraal ShafaatBokharee, die als Doktorandin der Universität Cambridge im Britischen Nationalarchiv in Kew für dieses Projekt sachkundige Arbeit geleistet hat. Im US-Nationalarchiv in College Park, Maryland, danke ich Richard Peuser, der dort die Aufsicht über die Leseräume führt, für seinen fachmännischen Rat und seine Freundschaft, sowie Sim Smiley, deren genaue Kenntnis der dortigen Archivbestände überaus hilfreich war. Was die deutschsprachigen Archivalien angeht, war ich zudem auf die Übersetzungshilfe einiger Studenten der Brown University angewiesen, darunter Talia Rueschemeyer-Bailey und Fabienne Tarrant. Besondere Erwähnung verdient auch Gunnar Mokosch, dessen Mitarbeit an diesem Projekt schon während seines Studiums an der Brown University begonnen 557

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Danksagung

hat. Er hat mich durch die Übersetzung von deutschsprachigen Dokumenten ins Englische und auch sonst bei der Arbeit mit deutschen Quellen sehr unterstützt. Es war mir eine Freude, zusammen mit ihm zwei Forschungsbeiträge zu verfassen, in denen wir die judenfeindlichen Kampagnen in Deutschland und Italien miteinander vergleichen. Alleine hätte ich diese beiden Beiträge nicht schreiben können. Zu Dank verpflichtet bin ich überdies Jonathan Petropoulos, der ein hervorragendes Buch über die Prinzen des Hauses Hessen im Dritten Reich geschrieben und mir dabei geholfen hat, die Rolle Philipp von Hessens als Vermittler zwischen Hitler und Pius XII. herauszuarbeiten. Mein großer Dank gilt den Leitern der diversen vatikanischen Archive, die sich vor der Freigabe der Akten zum Pontifikat Pius’ XII. Zeit für ein Gespräch mit mir genommen haben: Monsignore Sergio Pagano, Präfekt des Vatikanischen Apostolischen Archivs; Monsignore Alejandro Cifres, Direktor des Archivs der Kongregation für die Glaubenslehre; und Johan Ickx, Direktor des Historischen Archivs des vatikanischen Staatssekretariats, Abteilung für die zwischenstaatlichen Beziehungen. Ich danke auch Daniel Ponziani im Archiv der Glaubenskongregation sowie Brian Mac Cuarta, SJ, dem akademischen Leiter des jesuitischen Zentralarchivs in Rom. Dank gebührt auch noch anderen in Rom, etwa meinem Kollegen Mauro Canali, der zu den führenden Experten für das faschistische ven­ tennio in Italien gehört und ein intimer Kenner der italienischen Staatsarchive für diese Periode ist, sowie Tommaso Dell’Era, der mein Forschungsinteresse am problematischen Tun und Lassen des Heiligen Stuhls angesichts der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden teilt. Für ihren Rat danke ich außerdem Silvia Haia Antonucci, der Direktorin des historischen Archivs der jüdischen Gemeinde Roms, und Gadi Luzzatto Voghera, dem Direktor der Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporeanea in Mailand. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Zentralen Staatsarchiv in Rom danke ich für ihre Unterstützung. Auch einigen Kolleginnen und Kollegen an der Brown University in Providence möchte ich dafür danken, dass sie mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben: Massimo Riva, Michael Putnam und John 558

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Danksagung

Bodel. Michael und John haben gemeinsam mit Erika Valdivieso – damals Doktorandin der Latinistik in Providence – ihr Bestes gegeben, die Defizite meines Highschool-Lateins auszugleichen. Auch Kevin McLaughlin, dem Dekan meiner Fakultät, und Ed Steinfeld, dem Direktor des Watson Institute for International and Public Affairs, danke ich für ihre Unterstützung, desgleichen Matilde Andrade vom Institut für Anthropologie. Mein letzter Dank an der Brown University gebührt den Verantwortlichen, die mir im Rahmen der Paul Dupee Jr. University Professorship die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt haben, ohne die ich meine Forschung nicht hätte betreiben können. Meiner Agentin Wendy Strothman möchte ich meine tiefe Dankbarkeit für all ihre Bemühungen ausdrücken, ebenso ihrer Mitarbeiterin Lauren MacLeod. Mein Dank gilt auch Laura Hartman Maestro für die hervorragenden Karten, die sie für dieses Buch gezeichnet hat. Ich schätze mich überaus glücklich, dass David Ebershoff mein Buch beim Verlag Random House betreut hat. David ist auch schon der Lektor meines Buchs The Pope and Mussolini (Der erste Stellvertreter) gewesen und ich kenne niemanden in den Vereinigten Staaten oder auch anderswo, der den Job besser machen könnte. Bei Random House möchte ich außerdem dem Cheflektor Andy Ward und seinem Stellvertreter Tom Perry für ihre Unterstützung danken, dazu Darryl Oliver, Barbara Fillon und Michelle Jasmine. Meinen Historikerkollegen Jonathan Petropoulos und Fr. Kevin Spicer, CSC, bin ich zu tiefem Dank verpflichtet, ebenso meinen Freunden Bob Bahr, Katherine Darrow und Peter Darrow, die sich die Zeit genommen haben, eine frühe Fassung meines Manuskripts zu lesen, und die mir wertvolle Hinweise (im Fall von Jonathan und Kevin auch Korrekturen) dazu gegeben haben. Zum ersten Mal hat auch meine Frau, Susan Kertzer, eines meiner Manuskripte gelesen und ihre Gedanken dazu mit mir geteilt. Unseren Befürchtungen zum Trotz hat unsere Ehe diese Prüfung überlebt, und ich bin Susan zutiefst dankbar für ihre hilfreichen Vorschläge und ihre Geduld (und für noch so viel mehr!) Ich kann diese Danksagung unmöglich abschließen, ohne auf meinen Vater zu sprechen zu kommen, der auf jeder einzelnen Seite dieses Buches leise anwesend ist. Als Feldrabbiner ist der damals 33-jährige Leutnant 559

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Danksagung

Morris Kertzer Anfang 1944 mit den alliierten Truppen am Brückenkopf von Anzio gelandet. Er hat in einem Weinkeller Gottesdienst gehalten, während oben deutsche Granaten einschlugen. Er hat verwundeten G.I.s im Feldlazarett Trost zugesprochen und gefallene jüdische Soldaten zur letzten Ruhe gebettet. Er hat die Truppen auch begleitet, als sie nach monatelangen blutigen Stellungskämpfen schließlich durch die deutsche Verteidigungslinie brachen und Anfang Juni 1944 Rom befreiten. Einige Tage später hat er in der Großen Synagoge von Rom, dem Tempio Maggiore, zusammen mit dem Großrabbiner der Stadt den Gottesdienst gefeiert. Es war der erste Gottesdienst in dieser prächtigen Synagoge, seit deutsche Truppen die Stadt im vorangegangenen September besetzt und mit der Deportation ihrer Juden nach Auschwitz begonnen hatten. Seltsam sind bisweilen die Wege, die unser Leben nimmt; und so stelle ich erstaunt fest, dass ich selbst fast achtzig Jahre nach diesen Geschehnissen nach Rom und zu einer Geschichte zurückgekehrt bin, in der mein eigener Vater auch eine Rolle gespielt hat.

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Archivquellen und Abkürzungen Die folgenden Abkürzungen werden in den Anmerkungen verwendet.

Archivquellen Britische Archive NAK National Archives, Kew, London CAB War Cabinet FO Foreign Office WO War Office Deutsche Archive PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin GARV Auslandsvertretung Rom–Vatikan GBS Büro des Staatssekretärs GPA Politische Abteilung GRK Reichskonkordat Französische Archive MAEC Ministère des Affaires Étrangères, La Courneuve MAEN Ministère des Affaires Étrangères, Nantes RSS Rome Saint-Siège Italienische Archive ACS Archivio Centrale dello Stato, Rom CR Segreteria Particolare Duce, Carteggio Riservato DAGR Direzione Generale Pubblica Sicurezza, Divisione Affari Generali e Riservati DAGRA Direzione Generale Pubblica Sicurezza, Divisione Affari Generali e Riservati, Annuali DGPS Direzione Generale Pubblica Sicurezza MAT Fascicoli per Materia (1926–44) 562

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Archivquellen

MCPG MI MIFP PCM SPD ASDMAE

Ministero della Cultura Popolare, Gabinetto Ministero dell’Interno Ministero dell’Interno, Fascicoli Personali Presidenza del Consiglio dei Ministri Segreteria Particolare del Duce Archivio Storico Diplomatico, Ministero degli ­Affari Esteri, Rom AISS Ambasciata Italiana presso la Santa Sede APSS Affari Politici, 1931–1945, Santa Sede Gab. Gabinetto SG Segreteria Generale ASR Archivio di Stato, Roma, Galla Placidia, Rom CAP Corte d’Assise Speciale ATMR Archivio Tribunale Militare, Roma, Rom AUSSME Archivio Ufficio Storico Stato Maggiore dell’Esercito, Rom SIM Servizio Informazioni Militare ISACEM Istituto per la Storia dell’Azione Cattolica e del ­Movimento Cattolico in Italia, Rom PG Presidenza Generale, 1922–69 US-Archive NARA

U.S. National Archive and Records Administration, College Park, Maryland CDF Central decimal file RG Record Group FDR Library Franklin Delano Roosevelt Presidential Library, Hyde Park, New York md, mr, psfa, psfb, psfc sind als pdf-Dokumente im Internet zugänglich Vatikanische und kirchliche Archive AAV Archivio Apostolico Vaticano, Vatikanstadt AESI Segreteria di Stato, Affari Ecclesiastici Straordinari, Italia Segr. Stato Segreteria di Stato 563

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Archivquellen und Abkürzungen

ACDF ARSI ASRS AA.EE.SS.

Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Vatikanstadt Archivium Romanum Societatis Iesu, Rom Archivio Storico della Segreteria di Stato – Sezione per i Rapporti con gli Stati, Vatikanstadt Fondo Congregazione degli Affari Ecclesiastici S­ traordinari

Andere Abkürzungen ADAP ADSS AI AR CC CS DDF DDI FDR FRUS OR PI RF RSI b. fasc. f. ff. posiz. prot.

Akten zur deutschen auswärtigen Politik Actes et Documents du Saint-Siège Relatifs à la Seconde Guerre Mondiale L’Avvenire d’Italia L’Avvenire, Rom La Civiltà Cattolica Corriere della Sera Documents Diplomatiques Français Documenti Diplomatici Italiani Franklin Delano Roosevelt Foreign Relations of the United States L’Osservatore Romano Il Popolo d’Italia Il Regime Fascista Repubblica Sociale Italiano busta fascicolo foglio fogli posizione protocollo

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Anmerkungen Prolog 1  John R. Putnam, Generalkonsul, Florenz, an William Phillips, US-Botschafter, Rom, 21. Mai 1938, und Putnam, »Memorandum of Visit of Their Excellencies Adolph Hitler and Benito Mussolini, May 9, 1938«, NARA, LM 192, Spule 7; Milza 2000, S. 759–761; Kershaw 2000, S. 150;

Corvaja 2008, S. 60–68; Ciano 1949, S. 159 (Tagebucheintrag 9. Mai 1938). 2  Pignatti an Ciano, 5. Mai 1938, DDI, Serie 8, Bd. 9, Nr. 53. 3  Siehe zu Hitlers Verhältnis zu Pius XI. Wolf 2009 und Godman 2004.

Kapitel 1: Tod eines Papstes 1  Monsignore Tardinis Tagebuch beschreibt die Szene; siehe Pagano 2020, S. 101–104. 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Camerlengo. Zur Rolle des camerlengo auch Del Re 1970, S. 297–299. 3  Charles-Roux an französisches Außenministerium, 5. September 1938, MAEC, Europe-Italie 267, ff. 131–132. 4  Gannon 1962, S. 111–115; Gallagher 2008, S. 87–88, 146 Anm. 41; Baudrillart 1996, S. 536 (Tagebucheintrag 22. Juni 1937); O’Shea 2011, S. 130–132; Rivière, Rom, an französisches Außenministe­ rium, 21. Juli 1937, MAEN, RSS 576, PO/1, 1040. 5  Orsenigo, Berlin, an Kardinal Pacelli, 14. Mai 1937, AAV, Arch. Nunz. Svizzera (1935–53), b. 82, fasc. 21, f. 49 r. Monsi­ gnore Orsenigo bezog sich auf das Gespräch mit Außenamtsstaatssekretär Ernst von Weizsäcker. Pacelli-Notizen, »L’Ambasciatore di Francia«, 1. Februar 1933, ASRS, AA.EE.SS., posiz. 430b, fasc. 359, f. 35; Charles-Roux an Außenminister, Paris, 10. Februar 1932 und 20. Mai 1933, MAEC, Europe-Sainte Siège 37, ff. 62, ­71–77; Blet 1996, S. 199; Wolf 2009, S. 194–203; Chiron 2006, S. ­351–352; Kent 1982, S. 154–155. 6  Kershaw 1998, S. 230; Maggiore Renzetti, Bericht, Berlin, 19.–20. Juni 1934,

DDI, Serie 7, Bd. 15, Nr. 419; Mussolini an De Vecchi, 22. Juni 1934; ebd., Nr. 430. 7  »Colloquio fra il Capo del Gover­no …«, 2. Juli 1934, ebd., Nr. 469. 8  »Da fonte vaticana«, 24. Dezember 1934, ACS, MCPG, b. 158. 9  »Chronologie des relations Franco-­ Italiennes«, MAEC, papiers Chauvel, Bd. 121, f. 24; Luza 1977, S. 542; Pacelli an Mussolini, 16. März 1938, DDI, Serie 8, Bd. 8, Nr. 339. Als Österreichs Bischöfe zwei Wochen später bei der Sonntagsmesse eine Erklärung verlesen ließen, die alles lobte, was Hitler getan hatte, und die Katholiken aufrief, beim kommenden Plebiszit für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zu stimmen, war Pius XI. außer sich. Besonders erzürnte ihn das Verhalten des österreichischen Primas, des Wiener Erzbischofs Theodor Innitzer. »Er unterschrieb alles, was man ihm hinlegte«, beklagte der Papst sich bei einem französischen Kardinal, »und dann setzte er ohne jede Aufforderung ›Heil Hitler!‹ hinzu.« Charles-Roux an Georges Bonnet, 20. April 1938, DDF, Serie 2, Bd. 9, Nr. 209. 10  Hitlers Bemerkung während eines ­Besuchs des nazifreundlichen Roberto ­Farinacci stammt von Ende Januar 1939. Attolico, Berlin, an Ciano, 25. Januar 1939, DDI, Serie 8, Bd. 11, Nr. 108.

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Anmerkungen 11  Der italienische Botschafter kam zu dem Schluss, nachdem Hitler im vorigen Jahr Millionen Menschen dem Reich einverleibt habe, brauche er eine Friedensperiode, um sie ganz zu absorbieren. »Jene Stimmen von außerhalb Deutschlands, die glaubten, sie würden in der Rede vom 30. Januar 1939 die Keime und Anzeichen neuer ›Abenteuer‹ finden, werden also zugeben müssen, dass die Rede des Führers für seine Verhältnisse, wie ich wiederhole, letztlich eine friedliche ist.« Attolico, Berlin, an Ciano, 31. Januar 1939, DDI, Serie 8, Bd. 11, Nr. 130. 12  Dies stelle ich in meinem Buch Der erste Stellvertreter (Kertzer 2016) dar. 13  Bergen an Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, Berlin, 23. Juli 1937, Telegramm, PAAA, GRk, R103252, S. 16–18. 14  Pignatti an Ciano, 12. Dezember 1938, ASDMAE, AISS, b. 95, Nr. 152. 15  Pignatti an Ciano, 4. Januar 1939, ebd., Nr. 41. In seiner aktuellen umfangreichen Studie bietet Coco (2019) eine reichhaltige Analyse der Dynamik von Mussolinis Beziehungen zu Pius XI. und Kardinal Pacelli in den Jahren von Pacellis Staatssekretariat. 16  Phillips an Roosevelt, 5. Januar 1939, FDR Library, psfa 400, S. 102. 17  Phillips 1952, S. 188. Cianos kometenhafter Aufstieg erzeugte Neid bei seinen Diplomatenkollegen. Einer bemerkte bissig: »Diese hohe Position für einen unreifen und arroganten Knaben mit obszönem Machthunger, verdorben durch unverdiente Ehren und mit völliger Straflosigkeit, der große Macht besitzt, von Vorlieben und Abneigungen getrieben wird und Sklave einer morbiden Beeindruckbarkeit und Prahlsucht ist, bedeu­tete die klare Abschaffung von einem halben Jahrhundert Tradition, Verantwortung und Prestige der italienischen Diplomatie.« Di Rienzo 2018, S. 161–162. 18  Phillips an Roosevelt, 5. Januar 1939, FDR Library, psfa 400, S. 101–103, auch

in: FRUS, Bd. 2, S. 57–60. Am 26. Januar antwortete Roosevelt Phillips: »Ich habe Ihren Brief vom 5. Januar und das beiliegende Memorandum Ihres Gesprächs mit Mussolini über die Lage jüdischer Flüchtlinge mit viel Interesse gelesen. Obwohl ich natürlich enttäuscht war, dass der Duce für meinen Vorschlag zur Ansiedlung von Flüchtlingen auf dem ostafrikanischen Plateau nicht aufge­schlos­ sen war, bin ich froh, dass er zumindest die Erwünschtheit einer echten Lösung des Flüchtlingsproblems anerkennt und den Willen bekundete, in diesem Zusammenhang zu helfen. Ich habe seine ausdrückliche Bereitschaft, einen spezifischen Plan wohlwollend zu prüfen, zur Kenntnis genommen.« FDR Library, psfa 400, S. 100. 19  Edda Mussolini 1975, S. 40–50, 103. 20  Bottai 1989, S. 141 (Tagebucheintrag 4. Februar 1929); Navarra 2004, S. 46; Bosworth 2017, S. 96–97; Gagliani 2015. 21  »La situazione religiosa nel Reich«, OR, 22. Januar 1939, S. 2; »Dopo il discorso des Cancelliere del Reich«, OR, 3. Februar 1939, S. 1. 22  Sottosegretario di stato gli affari esteri an Pignatti, 22. Januar 1939, ASDMAE, AISS, b. 102; Pignatti an Ciano, 24. Januar 1939, ebd. Tatsächlich hatte Pignatti erst eine Woche zuvor einen langen Bericht an Ciano geschickt, der auf die Bedeutung des Konklaves zur Wahl eines neuen Papstes hinwies, was angesichts der schwachen Gesundheit des Papstes nicht in weiter Ferne zu liegen schien. »Ich fürchte, dass nicht viel Hoffnung besteht, solange der gegenwärtige Pontifikat dauert«, bekannte der Botschafter. Er habe schon dem Duce gesagt: »Der Heilige Vater hält beharrlich an seinen Ideen fest, und diese Hartnäckigkeit ist mit dem Alter und durch seine Krankheit nur größer geworden.« Doch Pignatti blieb hoffnungsvoll: »Ich bin überzeugt, der nächste Pontifikat wird sich merklich vom jetzigen unterscheiden.« Pignatti an

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Anmerkungen Ciano, 14. Januar 1939, ASDMAE, AISS, b. 95. Zu den Details der Geschichte siehe Kertzer 2016. Tardinis Notiz ist zitiert nach Coco 2019, S. 1155, Auslassung im Original. 23  Die ausführlichste Untersuchung des Projekts für die Enzyklika Humani generis unitas bieten Passelecq und Suchecky 1997. Die seit dem Erscheinen dieses Buches geöffneten vatikanischen Archive bieten aber neue Einblicke in das Projekt. Siehe die Dokumente in ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte 1, Stati Ecclesiastici, posiz. 664 A, B, C. Zwei weitere Dokumentensammlungen zur »verborgenen Enzyklika« sind den Forschern im Vatikan noch nicht zugänglich gemacht worden (posiz. D und E). 24  Baudrillart 1996, S. 947 (Tagebucheintrag 5. Februar 1939); Charles-Roux 1947, S. 242. Die Nachricht von der Krankheit des Papstes verbreitete sich durch Rom, was den Vatikan zu der Behauptung veranlasste, der Pontifex sei nur leicht indisponiert. »Der Pontifex hat eine leichte Erkältung« titelte Il Regime Fascista am 8. Februar. Die Titelstory der katholischen Zeitung in Mailand vom nächsten Tag trug die beruhigende Schlagzeile »Der Gesundheitszustand des Papstes ist völlig zufriedenstellend.« »Il Pontefice leggermente raffreddato«, RF, 8. Februar 1939, S. 2; »Le condizioni di salute del Papa sono pienamente soddisfacenti«, L’Italia, 9. Februar 1939, S. 1. 25  Ciano 1946, S. 37 (Tagebucheintrag 10. Februar 1939); Cinfarra 1944, S. 20; Bottai 1989, S. 142 (Tagebucheintrag 9. Februar 1939). 26  »In morte del Sommo Pontefice Pio XI«, OR, 12. Februar 1939, S. 1; »Il Gran Consiglio saluta la memoria del Pontefice«, PI, 11. Februar 1939. 27  G. Sommi Picenardi, »Il Papa della pace«, RF, 11. Februar 1939, S. 1. 28  Ein solches Bild hätte Mussolini nicht gerne in den Zeitungen gesehen. Auf der Rückseite des Originalfotos im vatikani-

schen Archiv steht die Notiz: »Diese Fotografie Seiner Exzellenz Graf Galeazzo Cianos … vor dem Leichnam seiner Heiligkeit Pius XI. in der Sixtinischen Kapelle wurde auf Ersuchen Seiner Exzellenz, des italienischen Botschafters Graf Pignatti, der im Auftrag seiner Regierung handelte, zurückgezogen und jede öffentliche Verbreitung verboten.« AAV, Segr. Stato, 1939, Stati, posiz. 60, ff. 5rv. Cianos Telegramm in ASDMAE, APSS. b. 45, Nr. 1963; Ciano 1946, S. 37. Mussolinis Zeitung Il Popolo d’Italia brachte zu ihrem Bericht über den Tod des Papstes ein großes Foto, das Ciano stehend neben Kardinal Pacelli in der Sixtinischen Kapelle zeigt, wo der Papst aufgebahrt lag, mit der Überschrift: »Als Vertreter der Faschistischen Regierung erweist Ciano dem Leichnam die Ehre«, PI, 11. ­Februar 1939, S. 1. 29  Ciano 1946, S. 38 (Tagebucheinträge 11. und 12. Februar 1939). 30  Appunto Tardini, 15. Februar 1939, AAV, Segr. St., 1939, Stati Ecclesiastici, posiz. 576 PO, fasc. 607, ff. 164 rv; Ciano 1946, S. 38 (Tagebucheintrag 12. Februar 1939); Pacelli an Ciano, 13. Februar 1939, ASDMAE, AISS, b. 95; ASV, AESS, posiz. 576, fasc. 606, ff. 147r–153r. Tardini (AAV, Segr. St., 1939, Stati Ecclesiastici, posiz. 576 PO, fasc. 607, ff. 147r–153r.) dokumentiert den Text der Rede, die Pius XI. am 11. ­Februar vor den Bischöfen halten wollte; Fattorini (2011, S. 210–215) gibt eine englische Übersetzung. Pignatti berichtete an Ciano: »Die Rede, die der tote Papst vor den italienischen Bischöfen halten wollte, die zum zehnten Jahrestag der Versöhnung nach Rom gekommen waren, wurde in einer der ersten Sitzungen der Kardinäle vorgelesen und diskutiert. Die Kardinäle beschlossen einstimmig, sie nicht zu veröffentlichen. … Die Kardinäle trafen diese Entscheidung, weil der Inhalt der Rede zu polemisch und zu stark erschien, und auch, weil sie dem künftigen Papst die Hände gebunden hätte.« Pignatti an Ciano, 22. Februar 1939, ASDMAE,

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Anmerkungen AISS, b. 95. Kardinal Baudrillarts Tagebucheintrag zwei Tage später, kurz nach seiner Ankunft zum Konklave, belegt ebenfalls, dass Pacelli die Sache mit den Kardinälen diskutierte. Der für seine Sympathien für den Faschismus bekannte Kardinal war offensichtlich erleichtert über die Entscheidung, die Rede des Papstes zu

begraben: »Überall wiederholt man hier, wie glücklich es war, dass Pius XI. seine Rede vor den italienischen Bischöfen nicht halten konnte. Sie hätte seinen Nachfolger in Verlegenheit gebracht. Die Rede ist gedruckt, aber geheim gehalten worden.« Baudrillart 1996, S. 968–969 (Tagebucheintrag 24. Februar 1939).

Kapitel 2: Das Konklave 1  Zur Meinung des Vatikans über Pi­ gnatti vgl. Maglione, Paris, an Segretaria die Stato di Sua Santità, 9. Mai 1935, ufficio cifra Nr. 509, AAV, AESI, Segr. Stato, b. 985/658, f. 23r. 2  Der italienische Botschafter war erfreut, das zu hören, und regte an, es würde ihrer Sache helfen, wenn die deutsche Regierung in den folgenden Tagen alles tue, um die Atmosphäre zu fördern, die zur Wahl eines »gemäßigten« Papstes nötig sei. Die deutsche Presse solle mehr Respekt für den Vatikan zeigen, riet er. Pignattis zweiter Rat für Bergen betraf die Rolle, die die nicht kleine Gruppe der deutschen Kardinäle beim Konklave spielen würde. Wenn sie ihren Kollegen signalisierten, dass ein Abkommen mit der deutschen Regierung unmöglich zu erreichen sei, »ist alles verloren«. Bergen antwortete, auch er habe in den letzten Tagen im Vatikan viele Äußerungen der Sympathie für Deutschland gehört, was während der Amtszeit Pius’ XI. auffallend gefehlt habe. Pignatti an Ciano, 18. Februar 1939, ASDMAE, AISS, b. 95, Nr. 21. Nach ihrem Treffen sandte Bergen einen dringenden Appell nach Berlin. Die Regierung solle die deutsche Presse daran hindern, »Ausfälle gegen [die] Person [des] verstorbenen Papstes sowie gegen sonstige jetzt in den Vordergrund tretende Personen [der] Kurie« zu drucken. Er fügte hinzu: »Tatasächlich sollte [die] Bezeichnung Pius XI. als ›politischer Abenteurer‹, wie dies im ›Angriff‹ vom 10. d. Mts. geschehen …, tunlichst unter-

bleiben.« Bergen an Weizsäcker, 18. Februar 1939, Tel. 19, PAAA, GRk, R29814, S. 90. Unterdessen suchte Pignatti die Hilfe des einflussreichen Jesuitengenerals Wladimir Ledóchowski. Die beiden hatten in der Vergangenheit regelmäßig die Sorge über Pius’ XI. wachsende Feindseligkeit gegen das faschistische Regime in Italien geteilt. Pignatti wollte den Jesuitengeneral für eine nützliche Unterredung mit den deutschen Kardinälen interessieren. Er war zuversichtlich, dass Ledóchowski das auch tun werde, wie er später Ciano mitteilte. Pignatti an Ciano, 21. Februar 1939, ­ASDMAE, AISS, b. 95, Nr. 21 und 22. 3  Pignatti an Ciano, 26. Februar 1939, ASDMAE, AISS, b. 95. Cianos Exemplar für den italienischen Botschafter in Berlin in ASDMAE, APSS, b. 63. Unter den Hinweisen, die Mussolini und seine Umgebung zuversichtlich stimmten, Pacelli werde eine freundliche Haltung einnehmen, war ein Informantenbericht vom 1. März. Er enthielt Einzelheiten eines Gesprächs mit Kardinal Angelo Dolci, einem großen Unterstützer von Pacellis Kandidatur. Würde Pacelli nicht gewählt, so wäre das nach Meinung des Kardinals »ein schwerer Fehler, weil Pacelli ein so guter Mensch, ein guter Italiener und dem Regime gegenüber freundlich gesinnt ist«. ACS, MCPG, b. 170. 4  Pignatti an Ciano, 27. Februar 1939, ASDMAE, AISS, b. 95. 5  Baudrillart 1996, S. 965 (Tagebucheintrag 22. Februar 1939); Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 1. März 1939,

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Anmerkungen MAEN, RSS 576, PO/1, 1031; CharlesRoux 1947, S. 266, 272. 6  Der Bericht des italienischen Botschafters in Lissabon an Ciano vom 27. Februar 1939 wurde dann an Pignatti weitergegeben. ASDMAE, AISS, b. 105, Tel. 207233. 7  Baudrillart 1996, S. 973–974 (Tagebucheintrag 1. März 1939); Papin 1977, S. 60–61. 8  Baudrillart 1996, S. 975–976 (Tagebucheintrag 2. März 1939); Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 2. März 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1031. 9  Rhodes 1980, S. 189; Baudrillart 1996, S. 732 (Tagebucheintrag 17. Januar 1938). 10  Ventresca 2013, S. 50–51; Schad 2007, S. 21, 50–54. 11  Das Zitat stammt von der deutsch-­ jüdischen Journalistin Bella Fromm. Schad 2007, S. 36. Siehe auch Tittmann 2004, S. 92–93. 12  Lehnert 1983, S. 33; Cornwell 1999, S. 131. 13  Schwester Pascalina machte sich bald Pacellis jüngere Schwester Elisabetta zum Feind. In ihrer Kindheit hatten Elisabetta und ihr Bruder sich nahegestanden, und sie begleitete manchmal sein Violinspiel mit der Mandoline. In den letzten Jahren hatte Pacelli Schwester Pascalina jeden Tag gesehen, seine Schwester, die mit einem vatikanischen Funktionär in Rom verheiratet war, aber nur selten. Nun, nach seiner Rückkehr, gefiel es Elisabetta nicht, dass eine andere Frau ihm näherstand als sie selbst. Wer es hören wollte, dem erzählte sie, die Nonne, der ihr Bruder so zugetan war, sei »herrisch« und »außerordentlich verschlagen«. Schad 2007, S. 53–54; Coppa 2013, S. 21, 40–41. 14  Charles-Roux 1947, S. 74–75; Tardini 1961, S. 51, 60, 66; Carnahan 1949, S. 19, 30. Eine detaillierte Beschreibung, wie sorgfältig Pacelli seine Reden vorbereitete, gibt Coco 2020. Wie die prominente Kirchenhistorikerin Emma Fattorini (2007, S. 54) bemerkt, sah der Papst in Eu-

genio Pacelli alles, was er selbst nicht war: »groß, würdevoll, nobel, sprachbegabt und ein fähiger Prediger, wahrhaft ein Mann der Kurie, von ausgezeichneten Manieren«. Sie zeichnet ein hervorragendes knappes Porträt Pacellis und seiner komplementären Beziehung zu Pius XI. 15  Pignatti an Ciano, 2. März 1939, ­A SDMAE, AISS, b. 95, Nr. 32. 16  Ciano 1946, S. 46 (Tagebucheintrag 2. und 3. März 1939). 17  »Pace unita alla giustizia«, CS, 3. März 1939, S. 1. Farinacci schrieb: »Die Wahl Kardinal Eugenio Pacellis zum Pontifex maximus ist mit einstimmiger Freude aufgenommen worden.« Auch die deutschen Zeitungen, behauptete er, sangen das Lob des neuen Pontifex. »Il Pontefice Pio dodicesimo«, RF, 4. März 1939, S. 1. Mussolinis Botschafter in Berlin war zufällig gerade im Büro des Außenstaatssekretärs Ernst von Weizsäcker, als die Nachricht von der Wahl des Papstes eintraf. Nach Lektüre der Berichte seines Botschafters aus Rom zeigte Weizsäcker wenig Überraschung. »Man sagt hier, dass Kardinal Pacelli nicht nur ein sehr guter Diplomat ist, sondern im Gegensatz zur allgemeinen Meinung auch keinen besonders starken Willen hat. Damit neigt er charakterlich nicht zu Handlungen, die politisch zu extrem sind.« Weizsäckers vorsichtiger Optimismus wurde bald vom Leiter der Abteilung für vatikanische Angelegenheiten unterstützt. Nach den vielen Jahren, die der neue Papst in Deutschland verbracht hatte, könne er zu Recht als deutschlandfreundlich angesehen werden, berichtete der Abteilungsleiter, der freundliche Beziehungen zum Reich aufbauen wolle. Er fügte hinzu: »Pacelli ist stets für ein gutes Verhältnis zu Mussolini und zum faschistischen Italien eingetreten.« Attolico an Ciano, 3. März 1939, ASDMAE, AISS, b. 95, Tel. 207459; Friedländer 2011, S. 22–23. 18  Lehnert 1983, S. 69; Schad 2007, S. 91–92.

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Anmerkungen Kapitel 3: Gesprächsversuche 1  Hitlers »persönliche Botschaft« an den Papst enthielt nach Meinung der katholischen Mailänder Tageszeitung »besonders respektvolle und herzliche Worte«. »Il nuovo Ponteficio e la situazione religiosa in Germania«, L’Italia, 12. März 1939, S. 1. 2  Bergen an Auswärtiges Amt, Berlin, 5. März 1939, PAAA, GPA, »Beschrän­ kung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und dem Vatikan auf das Altreich«, R261178, 02–20; auch in ADAP, Serie D, Bd. 4, Nr. 472. 3  Die Botschaft des Papstes an Hitler ­lautete: An den erlauchten Herrn Adolf Hitler, Führer und Kanzler des Deutschen ­Reiches! Zu Beginn unseres Pontifikats wünschen wir Ihnen zu versichern, dass wir dem geistlichen Wohlergehen des deutschen Volkes, das Ihrer Führung anvertraut ist, weiterhin verpflichtet sind. Wir bitten Gott den Allmächtigen, ihm jenes wahre Glück zu schenken, das aus der Religion entspringt. Wir erinnern uns mit Freude an die vielen Jahre, die Wir als Apostolischer Nuntius in Deutschland verbrachten, als Wir alles in unserer Macht stehende taten, um harmonische Beziehungen zwischen Kirche und Staat herbeizuführen. Nun da die Verantwortung unseres Hirtenamts unsere Möglichkeiten vergrößert hat, beten Wir umso eifriger, dieses Ziel zu erreichen. Möge das Wohlergehen des deutschen Volkes und sein Fortschritt auf allen Gebieten mit Gottes Hilfe zur Blüte kommen! Wie der Papst später gegenüber Diego von Bergen sagte, hatte er der Botschaft unter Bruch des Protokolls besonderes Gewicht gegeben, indem er nicht nur die förmliche lateinische Note an Hitler, sondern auch eine selbst vorbereitete deut-

sche Version unterschrieb. Bergen an Staatssekretär Weizsäcker persönlich, 18. März 1939, PAAA, GBS, R261178, 04, Nr. 35. 4  Malgeri 2006; Tittmann 2004, S. 87. »Il Cardinal maglione nuovo Segretairo di Stato S. Santità«, L’Italia, 12. März 1939, S. 3; Ciano 1946, S. 57 (Tagebucheintrag 18. März 1939). Das unsignierte und undatierte Profil Magliones aus dem Außenministerium in ASDMAE, AISS, b. 143. Mussolinis Zeitung meldete die Ernennung Magliones begeistert auf der Titelseite und behauptete, sie werde »überall mit echter Freude und großer Sympathie begrüßt werden«. »Il Card. Maglione nominato Segretario di Stato«, PI, 12. März 1939, S. 1. 5  »Il popolo verso la Basilica« und »Il rito al cospetto della moltitudine«, PI, 13. März 1939, S. 1. 6  Phillips an Roosevelt, 12. März 1939, FDR Library, psfa 400, S. 128; Phillips 1952, S. 252–254; Ciano 1946, S. 51; ­Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 12. März 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1031–1033; »Promemoria«, 12. März 1939, ACS, DAGRA, b. 39a; Baudrillart 1996, S. 988–989 (Tagebucheintrag 12. März 1939); Lehnert 1983, S. 75, 88–89. 7  Doyle 1950; Chadwick 1986, S. 130; Papin 1977, S. 66–67; Cheneaux 2003, S. 231–232; Lehnert 1983, S. 84–85, ­96–100; Cianfarra 1944, S. 87–93; Tardini 1961, S. 142–143; Baudrillart 1996, S. 988–989 (Tagebucheintrag 10. März 1939). 8  »Von allen ›Fakten‹, die sich in diesen verhängnisvollen Jahren vollzogen, war dieses Faktum das entscheidende«, erinnerte sich Dino Grandi, einer der prominentesten Faschistenführer, nach dem Krieg. Grandi 1985, S. 459. 9  Bergen an Auswärtiges Amt, Berlin, 22. März 1939, ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 65.

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Anmerkungen 10  Pollard (2005, S. 125) dokumentiert die große Abhängigkeit des Vatikans von den US-amerikanischen Katholiken, »um flüssig zu bleiben«, seit dem Amtsantritt Pius’ XI. 1922. 11  Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 4. März 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1031; »La prima giornata del nuovo Papa«, PI, 4. März 1939, S. 1; »Pio XII invoce la pace nella carità, nella giustizia, nell’ordine«, RF, 4. März 1939, S. 1; »Un grande evento degradato a speculazione politica«, CS, 4. März 1939, S. 2. Die katholischen Zeitungen folgten. L’Avvenire aus Rom brachte auf der Titelseite einen Leitartikel ihres Chefredakteurs zu der päpstlichen Losung »Friede mit Gerechtigkeit« und nutzte die Gelegenheit zu einer antibriti­schen Tirade. »Auspicio e promessa di una pace con giustizia«, AR, 7. März 1939, S. 1. 12  Francois-Poncet 1961, S. 14, 113–116; Moseley 1998, S. 11–53; Bastianini 2005, S. 253–272; Di Rienzo 2018, S. 64, ­161–162; Innocenti 1992, S. 16. 13  Ciano 1946, S. 56 (Tagebucheintrag 18. März 1939); »Pio XII riceve S. E. Ciano«, L’Italia, 19. März 1939, S. 1; »Il Ministro Ciano ricevuto da Pio XII«, PI, 19. März 1939, S. 1; Kertzer 2016, S. 76. »Pius XII. zögerte nicht, diese Organisation in die entgegengesetzte Richtung zu führen«, bemerkte der Botschafter. Pignatti an Ciano, 5. April 1939, ­A SDMAE, AISS, b. 116. Pizzardos offizieller Titel war der eines Präsidenten des Zentralbüros der Katholischen Aktion. Trionfini 2015. 14  Farinacci, »Uomo singulare«, RF, 15. Dezember 1939, S. 1. 15  Die Tatsache, dass Pater Tacchi Venturi allein 1939 mindestens siebenmal vom Papst empfangen wurde, unterstreicht den Wert, den Pius XII. den Kontakten des Jesuiten zu hochrangigen faschistischen Führern beimaß. AAV, Prefettura Casa Pontif., Udienze, b. 38–41.

16  Der offizielle Tagesplan Pius’ XII. zeigt, dass er sich am 22. Mäz 1939 mit Tacchi Venturi traf. AAV, Prefettura Casa Pontif., Udienze, b. 38. 17  Tacchi Venturi an Maglione, 28. März 1939, ADSS, Bd. 6, Nr. 5. Hier ist auch das Dokument abgedruckt, das der Jesuit Mussolini überbrachte. Tacchi Venturis eigene Notizen über das Treffen in ARSI, Fondo Tacchi Venturi, Miscellanea, b. 11, fasc. 33, carte non numerate. 18 »Pio XII benedice la Spagna«, L’Italia, 2. April 1939, S. 1; Fattorini 2007, S. 194; Halls 1995, S. 33. Zum Austausch von Botschaften zwischen Pius XII. und Franco und zu der Messe am 13. April 1939 in der Kirche Il Gesù siehe AAV, Segr. Stato, 1939, Stati, posiz. 27, ff. ­1r–28r. Pignatti schickte den Text der Radioansprache des Papstes vom 18. April an Ciano und nannte sie »sehr befriedigend«. Pignatti an Ciano, 18. April 1939, ASDMAE, AISS, b. 125, Nr. 1312/378. Ein dickes Konvolut vatikanischer Dokumente über das Telegramm, mit dem der Papst Franco zu seinem Sieg gratulierte, und über die Vorbereitung der Messe zu Ehren von Francos Sieg in Il Gesù findet sich in AAV, Segr. Stato, 1939, Stati, posiz. 27. 19  Raul Hilberg (1990, S. 17–18) veröffentlichte eine nützliche Tabelle, welche die antijüdischen Maßnahmen der Nazis neben die entsprechenden Bestimmungen des Kirchenrechts setzte. Siehe auch Kertzer 2001. 20  D. Mondrone, S.I., »Passio Christi, Passio Ecclesiae«, CC, 90, 2, Quaderno 2131 (April 1939), S. 3–15. Andere Beispiele für die Bemühungen päpstlicher Emissäre zugunsten getaufter Juden in ADSS, Bd. 6. Mehr dazu, wie das faschistische Regime die kirchliche Autorität nutzte, um öffentliche Unterstützung für seine antisemitische Kampagne zu generieren, bei Kertzer und Benedetti 2021 und bei Kertzer und Mokosch 2019 und 2020.

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Anmerkungen 21  Riccardo Di Segni (2015, S. 27–28), der Oberrabbi von Rom, dokumentierte die starke Zunahme von Taufen bei den römischen Juden nach Einführung der neuen »Rassenpolitik«. Während 1936 und 1937 durchschnittlich 32 römische Juden pro Jahr getauft wurden, waren es 1938 412. Er fand auch heraus, dass getaufte Juden eine viel größere Chance hatten, die Shoah zu überleben (S. 45–46). 22  »Shoah, lettera ai figli die papà Emilio«, Report, 6, 22 (27. Januar 2017), www. reportpistoia.com/archivio/agora/ item/44653-shoah-lettera-ai-figli-dipapa-emilio.html. Der Run auf die Taufbecken nach Einführung der Rassengesetze ist ein peinliches, wenn auch verständliches Faktum in der Geschichte der italienischen Juden. Von Mussolinis Verkündung der Rassenkampagne 1938 bis zu den ersten vier Monaten der Amtszeit Pius’ XII. im folgenden Jahr ließen sich 4000 Juden – fast ein Zehntel aller Juden im Land – taufen. Die Konvertiten

hatten vorher auch nicht einfach am Rand der jüdischen Gemeinschaft gestanden, sondern unter ihnen waren äußerst prominente Mitglieder, wie der Fall von Dr. Pio Tagliacozzo, dem ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Roms, und seiner Familie illustriert. Michaelis 1978, S. 238–239. Auch wenn die Taufen zu frisch waren, als dass der Staat sie zur »Reinigung« der Juden von ihrer »nichtarischen« Identität akzeptiert hätte, waren sie für die Konvertiten doch hilfreich. Immerhin konnten sie nun die neben dem Staat einflussreichste Institution des Landes um Hilfe bitten: die katholische Kirche. Tatsächlich sind die jüngst geöffneten Archive des Vatikans voll solcher Appelle. Sie enthalten auch Tausende Seiten vatikanischer Bemühungen, die faschistischen Behör­ den davon zu überzeugen, die Konver­ titen nicht als Juden zu behandeln. ­Minerbi 2010, S. 409.

Kapitel 4: Der Friedensstifter 1  Bericht vom 31. März 1939, MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121; Phillips an ­Roosevelt, 17. März 1939, FDR Library, psfa 400, S. 129. 2  Francois-Poncet 1961, S. 101–102; MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121, 875; Cannistraro 1982, S. 9–10; Ciano 1946, S. 76 (Tagebucheintrag 16. April 1939). Laut Grandis späterem Bericht (1985; S. 463–464), der kritisch gelesen werden muss, war es Ciano, der die Invasion Albaniens wollte, während Mussolini erst überzeugt werden musste. 3  »Tutti i principali centri dell’Albania occupati dalle magnifiche truppe italiane« und »L’Albania liberate da una indegna schiavitù«, L’Italia, 11. April 1939, S. 2; »Omaggio al Duce del Vescovo di Coriza«, AR, 21. April 1939, S. 1; Phillips an Roosevelt, 14. April 1939, FDR Library, psfa 400, S. 134–135.

4  Pignatti an Ciano, 14. April 1939, DDI, Serie 8, Bd. 11, Nr. 543; Pignatti an Ciano, 2. Mai 1939, ebd., Nr. 623; Phillips an Roosevelt, 14. April 1939, FDR Library, psfa 400, S. 132–136. 5  Tacchi Venturis Notizen zu seinen Treffen mit Mussolini am 1. und 2. Mai 1939 in ARSI, Fondo Tacchi Venturi, Miscellanea, b. 11, fasc. 33, carte non numerate. Maglione bat die vatikanischen Gesandten, den Vorschlag des Papstes den Regierungen zu übergeben und deren Antworten zurückzutelegrafieren. Maglione an die Nuntien in Paris, Berlin und Warschau und an den apostolischen Legaten in London, 3. Mai 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 19. 6  Orsenigo, Berlin, an Maglione, 6. Mai 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 29; »Aufzeichnung über den Besuch des Päpstlichen Nun-

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Anmerkungen tius …«, ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 331; Kershaw 2000, 60–61. 7  Die Protokolle der Diskussionen im französischen Außenministerium, datiert vom 7. Mai 1939, in MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 8  Was die Zukunft betreffe, zitierte Ciano auf Französisch, was Mussolini ihm gesagt hatte. Das Motto der Achse solle lauten »toujours parler de la paix et préparer la guerre« (immer vom Frieden reden und den Krieg vorbereiten). »Aufzeichnungen über die Besprechungen des Herrn Reichsaußenministers mit dem italienischen Außenminister Graf Ciano in Mailand am 6. und 7. Mai 1939«, 18. Mai 1939, ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 341; Dulles 2011, S. xix. Die Mailänder katholische Tageszeitung kündigte das Treffen der beiden Außenminister mit einer Schlagzeile an: »L’Asse, strumento di pace e non fautore di guerra, esce ulteriormente rafforzato dai colloqui di Milano« (Die Achse, das Werkzeug des Friedens und nicht des Krieges, wird von den Diskussionen in Mailand weiter gestärkt), L’Italia, 7. Mai 1939, S. 1. Pignatti, der dem Papst Mussolinis Ablehnung des Friedensplans mitteilen sollte, hatte das Thema bei Kardinal Ma­ glione kaum angesprochen, als dieser ihm sagte, wie erfreut der Papst darüber gewesen sei, was er vom Nuntius in Berlin über Hitlers Reaktion auf seinen Friedensvorschlag gehört habe. »Der Kardinal verbarg nicht vor mir, dass Seine Heiligkeit einen hervorragenden Eindruck vom Treffen Signor Hitlers mit Mons. Orsenigo hatte.« Pignatti an Ciano, 9. Mai 1939, ASDMAE, Gab., b. 1125, tel. 85. Sobald der Papst aber von Mussolinis Ablehnung seines Plans erfuhr, ließ er Maglione die Nuntien in Berlin, Warschau und Paris und den Apostolischen Legaten in London informieren, dass eine Friedenskonferenz unter päpstlicher

Ägide zur Zeit nicht möglich sei. Maglio­ e erklärte aber in seiner Botschaft, die n Initiative habe einige Früchte getragen, denn »der Heilige Stuhl hat Zusiche­ rungen des guten Willens und der Absicht, den Frieden zu bewahren, von den verschiedenen Regierungen erhalten«. Maglione, Notizen, 9. Mai 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 36; Maglione an die Nuntien, ADSS, Bd. 1, Nr. 38. 9  Weizsäcker an Ribbentrop, 12. Mai 1939, PAAA, GRk, R29814, 94–96, auch in ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 372. Die Kenntnis von der polnischen Reaktion auf den päpstlichen Vorschlag stammte vom französischen Botschafter in Warschau, der den Vorschlag mit dem polnischen Außenminister diskutierte. Letzterer wies nicht nur die Idee zurück, die Italiener sollten an irgendeiner Diskussion von Polens Differenzen mit Deutschland teilnehmen, sondern stellte auch die dem Vorschlag zugrunde liegenden Motive des Papstes in Frage. Da er wusste, dass die öffentliche Meinung in Italien entschie­ den gegen Krieg war, spekulierte der Minister, der Papst hoffe sicher, durch sein Auftreten als Friedensstifter zu Beginn seiner Amtszeit große Popularität zu gewinnen und zugleich die faschistische Regierung zu vorteilhafteren Maßnahmen gegenüber der Kirche in Italien zu bewegen. Leon Nobel, Botschafter in Polen, an französisches Außenministerium, 13. Mai 1939, MAEC, Papiers Duparc, 043–044. 10  Es hätte schlimmer kommen können, berichtete der Botschafter, denn sie hatten den Papst davon abbringen können, unterwegs am Kapitolinischen Hügel als dem antiken Regierungssitz anzuhalten. »Er wollte eine Szene der Vergangenheit wiederaufleben lassen, als Rom unter päpstlicher Herrschaft stand«, bemerkte Pignatti. Zum Glück sei der Tag ohne Ärger verlaufen, »aber ich hoffe, der Papst wiederholt niemals die Erfahrung, im offenen Wagen im Schritttempo durch die

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Anmerkungen Stadt zu fahren, nur von einer Handvoll Polizisten auf Motorrädern begleitet«. Der Papst selbst hatte sich in letzter Minute für einen offenen Wagen und das langsame Tempo entschieden. Dem Botschafter ging es nicht nur um die Sicherheit. »Ich glaube nicht, dass man dem Papst erlauben darf, über die genauen Vereinbarungen mit den königlichen Behörden hinaus durch die Stadt zu kutschieren, und ich vermute auch, es ist nicht die Absicht der faschistischen Regierung, solche Demonstrationen auf italienischem Boden zu dulden.« Pignatti an Ciano und an die Direzione Generale Culti, Innenministerium, 20. Mai 1939, ASDMAE, APSS, b. 49, tel. 1650/493. Die ursprüngliche Bitte des Nuntius ist enthalten in Borgongini Duca an Ufficio Ceremoniale, Außenministerium, 13. Mai 1939, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 20, fasc. 47, ff. 2r–3r. 11  Heinrich Brüning, der ehemalige Reichskanzler und ein prominenter katho­lischer Dissident, bemerkte, dass Orsenigo »nie aufhört, für Herrn Hitler zu arbeiten«. Biffi 1997, S. 74–96. Corbin, französischer Botschafter, an Delbos, Außenminister, Paris, 21. Juli 1937, DDF, Serie 2, Bd. 6, Nr. 257. Mussolini erfuhr bald, dass die Nazis positiv auf die Anstrengungen des Papstes reagieren könnten. Zwei deutsche Zeitungen hatten jüngst Artikel gebracht, die Pius XII. für seine Gratulation an Franco lobten. Angesichts der großen internationalen Spannungen würde das NS-Regime vielleicht vatikanische Unterstützung brauchen. ­Attolico an Ciano, 18. April 1939, DDI, Serie 8, Bd. 11, Nr. 572, tel. 2972/911; Conway 1969, S. 189. 12  Das unsignierte Memorandum stammte offensichtlich von Botschafter von Bergen, 16. Mai 1939, ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 395. Unterdessen taten Mussolini und sein Schwiegersohn, was sie konnten, um ihre Nazifreunde auf dem Weg des Friedens mit dem Papst zu ermutigen, und Ciano sah erste Anzeichen

für ihren Erfolg. Während eines Besuchs in Berlin sprach er lange mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler über das Verhältnis der deutschen Regierung zur katholischen Kirche. Himmler bemerkte, er und seine Kollegen fänden den neuen Papst wohlwollend und hielten es für möglich, einen modus vivendi mit ihm zu erreichen. »Ich ermunterte ihn auf diesem Weg, indem ich darauf hinwies, daß eine Verständigung zwischen dem Reich und dem Vatikan auch viel dazu beitragen könnte, um die Achse volkstümlich zu machen«, notierte Ciano. Ciano 1946, S. 93 (Tagebucheintrag 23. Mai 1939). 13  Fritz Menshausen, stellvertretender Botschafter beim Heiligen Stuhl, schickte lange Ausführungen zu Bottais Osteransprache und seiner folgenden Audienz beim Papst ans Auswärtige Amt. 25. Mai 1939, PAAA, GARV, R711. 14  Bottai 1989, S. 148 (Tagebucheintrag 19. Mai 1939). 15  Zu den wertvollen Quellen, die Einblick in den Charakter des Papstes geben, zählen Tardini 1961; Baudrillart 1998, S. 94–96; Cianfarra 1944, S. 81–85; Charles-Roux 1947, S. 74–75; Rhodes 1980, S. 187; O’Connell 1958, S. 366; Katz 2006, S. 77. Nach einem Abendessen ging Monsignore Montini kurz vor Mitternacht mit seinen zwei Begleitern am Papstpalast vorbei. Er zeigte ihnen das Licht im Fenster des päpstlichen Arbeitszimmers im dritten Stock und bemerkte, es gehe nie vor zwei Uhr nachts aus (Mazzei 2021, S. 221). 16  Phillips sah Mussolini immer kritischer. Zuletzt war er von dessen bei einem Diner hingeworfenen Bemerkung, die USA würden von Juden regiert, beleidigt gewesen. Noch immer hielt er den italienischen Diktator aber für einen der wenigen, die Hitler von einem schrecklichen Krieg abbringen konnten. Um den Duce in einem solchen Kurs zu bestärken, wiederholte Phillips bei seinen häufigen Treffen mit Ciano immer dasselbe Man-

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Anmerkungen tra: Er habe wenig Vertrauen in den deutschen Diktator, aber er »habe Vertrauen zu Mussolini« und glaube, »er werde Hitler bremsen«. »Ich persönlich glaube, dass Mussolini so bestrebt ist, einen Krieg zu vermeiden, dass wir auf seinen beruhigenden Einfluss auf Hitler hoffen können«, schrieb er an den Präsidenten. Phillips an Roosevelt, 26. Mai 1939, FDR Library, psfa 401, S. 4–8. Zu Mussolinis Wirkung als Redner siehe Bollone 2007, S. 43–44. 17  Kardinal Maglione, Notizen, 29. Mai 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 160. 18  Das bedeute nicht, dass sie bis dahin zu warten brauchten, bevor sie den Feind

attackierten, legte Mussolini nahe. Er unterbreitete Hitler verschiedene Ideen, wie sie bis dahin den Feind bearbeiten könnten, etwa durch die Förderung antisemitischer Kampagnen weltweit, die Förderung separatistischer Bewegungen im Elsass, in der Bretagne, Korsika und Irland und von Revolten der englischen und französischen Untertanen in den Kolonien. Ciano an Ribbentrop, 31. Mai 1939, mit Beilage Mussolini an Hitler, 30. Mai, ADAP, Serie D, Bd. 6, Nr. 459. 19  Tacchi Venturi an Tardini, 7. Juni 1939, ARSI, Fondo Tacchi Venturi, Miscellanea, b. 11, fasc. 33, carte non numerate.

Kapitel 5: »Bitte kein Wort über Juden« 1  Chadwick 1986, S. 13–15, 125, 128; Tittmann 2004, S. 98; Lammers 1971, S. 69, 77–78; französische Botschaft beim Heiligen Stuhl an Außenministerium, Paris, Oktober 1943, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. 2  Tardini, Notizen, 4. Juli 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 197; Pignatti an Ciano, DDI, Serie 8, Bd. 12, Nr. 442. Wenige Tage später rief Maglione Pignatti auf Anordnung des Papstes wieder zu sich und wiederholte die Warnung, England wie Frankreich seien »absolut entschlossen, Deutschland den Krieg zu erklären«, wenn es Danzig angreife. Maglione, Notizen, 7. Juli 1939, DDI, Serie 8, Bd. 12, Nr. 500. 3  Biddle, Warschau, an Roosevelt, 20. Juni 1939, FDR Library, psfa 449, S. 88–94; Mons. Valeri, Paris, an Ma­ glio­ne, 20. und 21. Juni 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 66, 68. Besonders verstörend an diesen Zeichen abnehmender Popularität war für Pius XII., wie wenig seine Bemühungen, zu einer Verständigung mit der NS-Führung zu kommen, zu fruchten schienen. Er hatte öffentlich geschwiegen, als Deutschland Österreich annektierte und

danach die Tschechoslowakei besetzte, und dennoch arbeitete die deutsche Regierung weiter an der Schwächung der Kirche. Tatsächlich wurde alles noch schlimmer. Katholische Schulen wurden geschlossen, Kirchenbesitz beschlagnahmt und Priester verfolgt, wenn sie das NS-Regime nicht ausreichend unterstützten. Der Papst ließ Kardinal Maglio­ne eine Warnung an den italienischen Botschafter aussprechen. Wenn die Lage in Deutschland nicht besser werde, müsse er sich äußern. Es war die erste in einer langen Reihe zahnloser Drohungen. Mussolinis Botschafter zeigte Verständnis und teilte die Bestürzung des Papstes darüber, dass die Deutschen nicht dem faschistischen Weg zur Versöhnung mit der Kirche folgten. »Der Heilige Vater weiß, dass [Ciano] wiederholt in Berlin interveniert hat, um zur Mäßigung und zu einem Abkommen mit dem Heiligen Stuhl zu raten.« Pignatti an Ciano, 5. Juli 1939, DDI, Serie 8, Bd. 12, Nr. 478. 4  Am 3. Juli 1933 hatte der deutsche Botschafter Ulrich von Hassell an Hitler ein Telegramm aus Rom geschickt: »Mussolini empfing mich heute, erkundigte sich eingehend nach Stand der Konkordatsver-

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Anmerkungen handlungen und beauftragte mich, Kanzler zu sagen, daß es seines Erachtens in der gegenwärtigen isolierten Lage Deutschlands ein ungeheuerer moralischer Gewinn sein werde, den Vatikan zum Abschluß zu bewegen. Man würde damit gesamte katholische Weltmeinung für sich gewinnen. Mussolini endete, indem er sagte: ›Ich beschwöre Sie, nicht abzureisen, bevor das Konkordat im Hafen.‹« PAAA, GRk, R72095, 07, auch in ADAP, Serie C, Bd. I, 2, Nr. 352. 5  Charles-Roux, Bericht über seine Papstaudienz vom Vortag, 6. Juli 1939, nach Paris, MAEC, Papiers Duparc, ff. 68–72. 6  »Il Sant’Uffizio revoca la proibizione della lettura dell’Action française«, AI, 16. Juli 1939, S. 2; Pignatti an Ciano, 17. Juli 1939, ASDMAE, APSS, b. 47, tel. 2341/733. Für Mussolini waren es weitere ermutigende Nachrichten über den neuen Papst, als er von Bemerkungen des päpstlichen Nuntius in der Schweiz nach seinem jüngsten Vatikanbesuch erfuhr. Nach dem Amtsantritt Pius’ XII. habe sich die dortige Atmosphäre völlig verändert, so die Beobachtung des Nuntius. Er habe sich mit dem Papst unterhalten und der habe »mit großer Sympathie für den Faschismus und echter Bewunderung für den Duce« gesprochen. Der Papst habe erklärt, er habe die Katholische Aktion völlig reorganisiert, um künftige Konflikte mit der Regierung zu vermeiden. Es sei ihm auch sehr an einer Übereinkunft mit dem Führer gelegen. In Hinsicht auf Hitlers Italienbesuch vom Mai 1938 habe der Papst dem Nuntius erzählt, »er habe vergeblich versucht, seinen Vorgänger vom Protest gegen das Aufhängen von Hakenkreuzflaggen in Rom abzubringen«. Attilio Tamaro, Bern, an Ciano, 21. Juli 1939, ASDMAE, APSS, b. 43, tel. 3461/1236. 7  »Colloquio con Rev.mo Padre Tacchi Venturi«, 11. Mai 1939, ARSS, AA.EE.SS, Pio XII, Asterisco Italia, posiz. 1054*, ff. 248–249. Im August drängte Pater

­Tacchi Venturi Pius XII. erfolgreich zu zwei Appellen zugunsten von getauften Juden, wenngleich diese nicht öffentlich erfolgten. Der erste betraf die Regierungsentscheidung, alle jüdischen Kinder aus staatlichen Schulen zu entfernen und damit den Bann auch auf Kinder jüdischer Eltern anzuwenden, die nach Oktober 1938 getauft worden waren. Der zweite betraf das Gesetz, das es Katholiken »jüdischer Rasse«, also Konvertiten und ihren Kindern, verbot, solche »arischer Rasse« zu heiraten, also Katholiken, die nicht von Juden abstammten. Montini, Notizen, 12. August 1939, ADSS, Bd. 6, Nr. 49; Maglione an Borgongini Duca, 23. August 1939, ebd., Nr. 51. 8  De Felice 1974, S. 299; De Felice 1981, S. 280; D’Aroma 1958, S. 218; Moellhausen 1948, S. 203–205; 1949, S. 64–66; Innocenti 1992, S. 169. Vatikanische Versuche, Ciano zur Intervention zu bewegen, damit Katholiken, die vom Judentum konvertiert waren, als »Arier« behandelt würden, wurden brüsk zurückgewiesen. »Ich bitte Sie, mich mit den Juden in Ruhe zu lassen«, erwiderte Ciano im April auf den Appell des Nuntius. Borgongini Duca an Maglione, 19. April 1939, ASRS, AA.EE.SS, Pio XII, Asterisco Italia, posiz. 1054*, ff. 231r–232r. 9  Dokumente, wonach Buffarini in Zusammenarbeit mit Antonio Le Pera, dem Direktor des mit der Durchführung der Rassengesetze betrauten Amtes, von diesen Gesetzen finanziell profitierte, stammen aus der Untersuchung 1944 im ACS, Ministero delle Finanze, Profitti di regime, b. 7. Siehe auch Canali und Volpe 2019; Giovanni und Palla 2019. 10  Borgongini Duca an Maglione, 30. August 1939, ADSS, Bd. 6, Nr. 126 und 127. Zur selben Zeit zeigten die deutschen Bischöfe erhebliche Besorgtheit über die Not jener, die sie »nichtarische Katholiken« nannten, was sich in ihrem Entwurf »Ernste Lage der jüdischen Rasse in Deutschland« ausdrückt. ASRS, AA.EE.SS.,

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Anmerkungen Pio XII, parte Asterisco, Stati Ecclesiastici, posiz. 575*, ff. 184r–196r. 11  Es gibt viele italienische und deutsche Berichte über die zwei Tage der Treffen in Salzburg und Berchtesgaden, die jedoch überraschend gut übereinstimmen: Ciano 1946, S. 122–123 (Tagebucheinträge

1­ 1.–13. August); Grandi 1985, S. 505–508; »Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und dem italienischen Außenminister Graf Ciano …«, ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 43, 47. Siehe auch Kershaw 1998, S. 363–364, und Kershaw 2000, S. 289 (Zitat).

Kapitel 6: Der Nazi-Prinz 1  Dennoch gab es einige Hinweise auf solche Gespräche. Insbesondere hält ein Eintrag in Cianos Tagebuch vom 8. Januar 1940 fest, der Prinz von Hessen habe durchblicken lassen, dass wahrscheinlich eine Übereinkunft zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich erzielt werde (Ciano 1946, S. 185). In seinem Buch über die beiden Prinzen von Hessen griff Jonathan Petropoulos (2006, S. 275–276) diesen Hinweis ebenso auf wie die rätselhafte Bemerkung über die Gespräche, die Philipp von Hessen beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg machte: »Papst Pius XII. setzte besonderes Vertrauen in mich und übertrug mir persönlich eine wichtige Mission. Ich halte es nicht für richtig, über Zweck oder Charakter dieser Mission ohne besondere Erlaubnis Auskunft zu geben.« Petropoulos fügte hinzu: »Leider machen die Weigerung des Vatikans, seine Archive für diese Periode zu öffnen, und Philipps Schweigsamkeit nach dem Krieg über seine Verbindungen zu Pius XII. diese Geschichte sehr lückenhaft.« 2  Patropoulos (2006, S. 67–72) deckte zahlreiche Details zu Philipps Affäre mit Sassoon auf. Philipps Homosexualität war Mussolinis politischer Polizei und damit wohl auch Mussolini ab 1934 bekannt (informatore Nr. 571, 12. Juli 1934, ACS, MI, Polizia Politica, Materia, b. 40, carte non numerate). 3  Serri 2015. 4  So Lothar Machtan in Petropoulos 2006, S. 4. Zur Unterstützung Hitlers durch den deutschen Adel siehe Malinow-

ski 2004. Pius XII. wusste vor Beginn der Geheimverhandlungen bereits einiges über Philipp von Hessen, denn seine Heirat mit der italienischen Königstochter Mafalda hatte 1936–37 zu mehreren längeren Berichten des vatikanischen Staatssekretariats geführt. Es ging um die Weigerung des Prinzen, seine Kinder katholisch zu erziehen, wie es im Ehevertrag festgelegt war. »Es scheint, als seien die beiden Kinder zwar getauft, aber als Protestanten erzogen worden«, bemerkte Monsignore Pizzardi, Tardinis Vorgänger als Sekretär für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, Ende 1936. Pizzardi an Borgongini Duca, 11. Dezember 1936, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 18, fasc. 1, f. 304r. Wie Hitler sich seiner adligen Unterstützer in internationalen Angelegenheiten bediente, untersucht Urbach 2016. 5  Die Mappe mit Informantenberichten über Travaglini, auf dem die obige Beschreibung basiert, liegt in ACS, MIFP, b. 1371. 6  Travaglini fügte hinzu: »Und wenn der Nationalsozialismus die Möglichkeit bietet, einen Weg des Verständnisses und der Übereinkunft zu finden … ist niemand besser geeignet als Papst Pacelli, der wahre Freund Deutschlands, eine Lösung zu finden.« Kardinal Lauri überbrachte den Brief dem Papst. Travaglini an Lauri, 9. März 1939, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 3r–4r. 7  Travaglini schrieb an den Kardinal: »Gestern, am Sonntag, rief mich seine Kgl. Hoheit Prinz Philipp von Hessen, der

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Anmerkungen Schwiegersohn unseres Kaisers und Königs, in die Villa Savoia [die königliche Residenz in Rom], um mir zu sagen, dass er … mit dem Führer und Göring die Möglichkeit auslote, dem Heiligen Vater einen direkten Ideenaustausch vorzuschlagen, um eine Versöhnung zwischen dem Heiligen Stuhl und Deutschland auf neuer Grundlage zu erzielen. … Prinz Philipp von Hessen wird wahrscheinlich gebeten werden, ein geheimes Treffen mit dem Heiligen Vater zu arrangieren und dann den Botschaften die allgemeinen Grundzüge eines diplomatischen Übereinkommens mitzuteilen. … Vielleicht werde ich die delikate Aufgabe übernehmen, dem Prinzen bei seinen geheimen Schritten zu assistieren. Um den Heiligen Vater zu erreichen, werde ich mich der freundlichen Dienste Eurer Eminenz bedienen.« Travaglini an Lauri, 17. April 1939, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 5r. Nach Prinzessin Mafaldas Heirat mit dem Prinzen überließ König Vittorio Emanuele III. ihnen die Villa Polissena als Wohnsitz, die zum Komplex der Villa Savoia gehörte. Petropoulos 2006, S. 76–77. 8  Prinz Philipp sprach neben Italienisch auch Englisch und Französisch. Petro­ poulos 2006, S. 13. 9  In derselben Mappe befindet sich eine Note von Bischof Alois Hudal, anscheinend adressiert an Monsignore Montini, vom selben Datum, dem 14. März 1938: »Ich bitte darum, dass vielleicht mit einem verschlüsselten Telegramm die Nuntiatur in Wien verständigt wird, damit in den Bischofskurien und in den Archiven der Kongregationen und Orden in Österreich alles Material über Fälle von Immoralität bei Priestern sofort und ausnahmslos verbrannt wird und auch die Nummern der Protokolle gelöscht werden. … Die Angelegenheit ist extrem heikel, aber sehr dringend.« Die Empfehlung für das vatikanische Staatssekretariat kam anscheinend vom Heili-

gen Offizium. ASRS, AA.EE.SS., Fondo Spogli, Scatole bianche, posiz. 1, ff. 25–30. Unterstreichungen im Original. 10  Einen Bericht über die erste Untersuchung im Bereich der deutschen katholischen Kirche nannte die Bundesjustizministerin im September 2018 »schockierend«. Siehe »Barley kritisiert ›Verschweigen und Vertuschen‹«, Der Spiegel, 22. September 2018 (www.spiegel. de/panorama/justiz/katholische-kirchekatarina-barley-kritisiert-verschweigenund-vertuschen-a-1229361.html). Folgeuntersuchungen befassten sich etwa 2021 mit der Erzdiözese Köln in den Jahren 1975–2018. Siehe »Das Kölner Kartenhaus bricht zusammen«, Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 18. März 2021 (www.faz. net/aktuell/politik/inland/missbrauch-inder-kirche-gutachten-zeigt-ausmass-imerzbistum-koeln-­17251401.html); »Das unveröffentlichte Missbrauchsgutachten«, tagesschau.de, 25. März 2021 (www.tagesschau.de/inland/erzbistum-koeln-­ gutachten-105.html). 11  »Konferenz Seiner Heiligkeit mit dem Prinz von Hessen, 11. Mai 1939«, ASRS, AA.EE.SS., Fondo Pio XII, parte I, Stati Ecclesiastici, posiz. 802, ff. 555–559. 12  »Relazione sulla conversazione«, Travaglini, 1. Juni 1939, ASRS, AA.EE.SS., Fondo Pio XII, parte I, Germania, posiz. 774, ff. 8r–9r. 13  Travaglini an Lauri, 3. Juli 1939, ebd., ff. 10r–12r. 14  Travaglini an Lauri, 21. August 1939, ebd., ff. 14r–16r. 15  Travaglini an Lauri, 24. August 1939, ebd., ff. 17rv; Lauri an Pius XII., 25. August 1939, Travaglini an Lauri, 21. August 1939, ebd., ff. 20r. 16  »Geheim-Audienz S. K. H. des Prinzen Philipp von Hessen, Samstag 26. Aug. 1939; Abends 6 Uhr«, ebd., ff. 22r–24r. Ich danke Gunnar Mokosch für seine englische Übersetzung dieses Dokuments wie auch anderer deutschsprachiger Dokumente.

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Anmerkungen Kapitel 7: Das Gesicht wahren 1  Phillips an Roosevelt, 18. August 1939, FDR Library, psfa 401, S. 20–23. 2  Grandi 1985, S. 529 (Tagebucheintrag 21. August 1939). 3  Petacci 2011, S. 423; Bosworth 2017, S. 106; Monelli 1953, S. 155–156. 4  Petacci 2011, S. 173 (Tagebucheintrag 21. August 1939). 5  Bastianini 2005, S. 69–73. Gemäß dem Bericht Bastianinis über dieses Treffen war auch er selbst über Mussolinis Reaktion schockiert und versuchte, den Duce davon abzubringen, als Hitlers Verbündeter in den Krieg einzutreten. Dieser Aspekt seiner Darstellung muss mit großer Skepsis gelesen werden, ebenso wie andere nachträgliche Aufzeichnungen hoher Faschisten. Mit Attolico, einem Karrierediplomaten, liegt die Sache etwas anders, denn er war nach Ausweis aller Quellen nicht begeistert davon, dass ­Italien Hitler in den Krieg folgen sollte. Siehe zu Attolico: Losito 1994. 6  Tardini, Notizen, 24. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 116. Die erste Nachricht über den Pakt brachte die New York Times vom 22. August: »Germany and Russia agree on non-aggression: Ribbentrop going to Moscow to draft pact; Berlin sees quick showdown with Poland«, S. 1. 7  Siehe Coco 2019. Das Staatssekretariat bestand nach der Reorganisation von 1908 aus zwei Hauptabteilungen: der ersten Sektion für »außerordentliche kirchliche Angelegenheiten«, die vom Sekretär der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten geleitet wurde, und der zweiten Sektion für »ordentliche kirchliche Angelegenheiten« unter Leitung des Substituten. Wie aber Graham (1984, S. 70–71) bemerkte, hielt sich Pius XII. nie streng an diese Unterscheidung, weshalb auch die Aufgabenteilung zwischen Tardini (erste Sektion) und Montini (zweite Sektion) nie ganz feststand.

8  D’Ormesson, Schlussbericht, 28. Oktober 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550. Kardinal Baudrillarts Tagebucheintrag zu einem Tag, an dem er beide traf, hält den oft bemerkten Kontrast zwischen den Männern fest: »Montini verfeinert und distinguiert, Tardini in allem ein bißchen gewöhnlich.« Baudrillart 1996, S. 969 (Tagebucheintrag 25. Februar 1939). Der britische Gesandte im Vatikan beschrieb Tardini als einen »raubeinigen und lebhaften Römer, freundlich, gutgelaunt und redselig«. Osborne, Bericht, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM, 1993, 1946. Siehe auch Casula 1989, S. 207–212; Ricciardi 1982. Eine gute biografische Skizze gibt Sergio Paganos Einleitung zu Tardinis Tagebuch. Pagano 2020, S. vii–xxxii. 9  Osborne sagte dann in einer für London angefertigten biografischen Skizze über Montini 1946 auch voraus: »er könnte der übernächste Papst werden«, was sich als richtig herausstellte. Osborne, Bericht, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM, 1993, 1946. 10  Pignatti an Ciano, 25. August 1939, DDI, Serie 8, Bd. 13, Nr. 270; Friedländer 2011, S. 40–43; Tardini, Notizen, 26. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 127. 11  Grandi 1985, S. 532 (Tagebucheintrag 25. August 1939). 12  Mackensen an Ribbentrop, 25. August 1939, ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 280. 13  Noch am selben Tag schickte Hitler eine zweite Note und erneuerte seine Forderung, die italienische Armee solle die Franzosen zwingen, ein beträchtliches Kontingent ihrer Truppen an der italienischen Grenze zu binden. Falls die Invasion Polens zu einem größeren Krieg führe, werde er nach der raschen Niederwerfung Polens mit großer Kraft den Westen angreifen. »Ich habe nun hier eine große Bitte an Sie, Duce. Sie und Ihr Volk könnten mir in diesem schweren Kampf am meisten dadurch helfen, daß Sie mich

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Anmerkungen mit italienischen Arbeitskräften unterstützen, Arbeitskräfte für industrielle sowohl als landwirtschaftliche Zwecke.« Mussolini an Hitler (von Ciano telefonisch an Attolico in Berlin mitgeteilt), 26. August 1939; Hitler an Mussolini, 27. August 1939, ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 301, 307, 341. 14  Petacci 2011, S. 174–175 (Tagebucheintrag 27. August 1939). Jeden Morgen brachte Mussolinis Polizeichef ihm neue Beweise für die mangelnde Kriegsbe­ geisterung seiner Landsleute. Am selben Tag, als der Duce der Menge vor dem ­Palazzo Venezia zuwinkte, ging der folgende, durchaus typische Bericht eines römischen Informanten ein: »Hier glauben die Leute immer noch nicht, dass Italien in den Krieg verwickelt wird, wenn es einen gibt, und die meisten sind im Herzen dagegen.« Als Gründe führte er neben der »traditionellen römischen Apathie« an, dass die Leute von den päpstlichen Friedensappellen beeinflusst seien sowie von dem Umstand, dass praktisch keine wahrnehmbaren Kriegsvorbereitungen getroffen worden seien, also etwa keine Flakeinrichtungen oder Schutzbunker in Rom gebaut worden seien. Informativa da Roma (Nr. 535-Mezzabotta), 27. August 1939, ACS, MI, MAT, b. 220. Die Identifikation der Polizeispitzel in diesen Dokumenten basiert auf den Recherchen von Mauro Canali (2004), der jedem Zahlencode in den Polizeiakten einen Namen zuwies. Mussolini hegte immer noch eine gewisse Hoffnung, er könne erneut als Vermittler eine glänzende Rolle im europäischen Drama spielen. Der deutsche Botschafter, der ihm Hitlers Brief überbracht hatte, schrieb: »Duce kam alsdann in eindringlichen Worten noch einmal auf die schon gestern von ihm vertretene Ansicht zurück, daß er auch noch an die Möglichkeit glaube, alle unsere Ziele ohne bewaffneten Konflikt zu erreichen.« Da er nicht schwach erscheinen wollte, fügte

Mussolini hinzu, natürlich könnten sie in drei oder vier Jahren Krieg gegen die Westmächte führen und wären dann in einer viel stärkeren Position. Mackensen an Ribbentrop, 27. August 1939, ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 349. 15  Montini und Tardini, Notizen, 28. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 144; Tardini, Notizen, 28. August 1939, ebd., Nr. 143. Zur selben Zeit beorderte der Papst auch seinen Nuntius bei der italienischen Regierung zu einem Treffen mit Staatssekretär Buffarini vom Innenministerium, um zu hören, was er in Erfahrung bringen könne. Buffarini sagte, Hitler sei überzeugt, er könne Polen binnen drei Wochen erobern und weder Frankreich noch England würden für Polen in den Krieg ziehen. Der Nuntius fügte seinem Bericht hinzu: »Der ehrenwerte Buffarini sang das Loblied des Heiligen Vaters und sagte mir: ›Er ist genau der Papst, der gebraucht wird.‹« Borgongini Duca an Maglione, 1. September 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 178. Als Abschluss dieser Anstrengungen in letzter Minute ließ Kardinal Maglione, der aus seiner neapolitanischen Sommerfrische zurückgeeilt war, den italienischen Botschafter zu sich kommen. Dieser berichtete Ciano: »Der Kardinal sagte mir, der Heilige Stuhl verfolge mit Bewunderung die Arbeit des Duces und Eurer Exzellenz, um eine Katatrophe abzuwenden. Kardinal Maglione äußerte die Hoffnung vonseiten des Papstes, der Duce und Eure Exzellenz würden nichts unversucht lassen, um einen Frieden zwischen den gegnerischen Parteien zu erreichen.« Pignatto an Ciano, 29. August 1939, ­A SDMAE, Gab., b. 1125, tel. 4065R. 16  Tardini, Notizen, 29. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 148; Tacchi Venturis Notiz über seine Audienz bei Mussolini vom 29. August 1939 in ARSI, Fondo ­Tacchi Venturi, Miscellanea, b. 11, fasc. 33, carte non numerate. 17  Maglione an Orsenigo, Berlin, 29. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 147; Tacchi

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Anmerkungen Venturi an Maglione, 30. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 151. 18  Die Auslassung, ein häufiger rhetorischer Kunstgriff bei Tardini, steht im Original. Der Text, der an den Nuntius in Warschau rausging, griff einige von Tardinis Bedenken auf. Statt den Vorschlag einem namenlosen »Diplomaten« zuzuschreiben, wie es die Botschaft des Vatikans nach Berlin tat, sprach der Text für Warschau allgemeiner von einer »verlässlichen Quelle«. Er war länger als das Telegramm nach Berlin und erwähnte etwa auch die päpstliche »besondere Liebe zu Polen«. Tardini an Maglione und Ma­ glione an Cortesi, Warschau, 30. August 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 152, 153. 19  Bérard an Darlan, 22. Februar 1939, mit Bezug auf ein Gespräch, das am 30. August 1939 in Castel Gandolfo stattfand. MAEC, Guerre Vichy, 551. Erneut schienen die Briten am zuversichtlichsten zu sein, der Papst könne erreichen, was die Führer der großen europäischen Nationen offenbar nicht konnten. In einem als »äußerst dringend« bezeichneten Telegramm teilte Attolico Ciano mit, der britische Botschafter in Berlin habe vorgeschlagen, wenn alle anderen Versuche scheiterten, sollten britische und italienische Diplomaten den Papst bitten, mit einem konkreten Friedensvorschlag zu intervenieren, den England und Italien dann gemeinsam Warschau und Berlin vorlegen könnten. Die britischen und italienischen Diplomaten hatten darüber diskutiert, wie ihre Regierungen einen solchen Appell an den Papst richten könnten und was der Vorschlag enthalten solle. Mit der Unterstützung einer solchen päpstlichen Intervention verband Attolico, der Mussolini davon abhalten wollte,

Italien an Deutschlands Seite in einen Krieg zu führen, den positiven Nebeneffekt, dass Italien eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung des Streits würde spielen können. Attolico an Außenminister, 30. August 1939, ASDMAE, Gab., b. 1125, tel. 4109R. 20  Charles-Roux 1947, S. 332. Der französische Text der päpstlichen Botschaft in MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. Magliones Treffen an diesem Tag sind auch beschrieben in Tardini, Notizen, ADSS, Bd. 1, Nr. 159. Bergens Begleitschreiben nach Berlin und der Text der päpstlichen Botschaft in ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 473. Am 2. September unternahm Kardinal Maglione den ungewöhnlichen Schritt, Tacchi Venturi aufzusuchen, um ihn zu bitten, Mussolini eine Botschaft des Papstes zu überbringen. Der Papst war dem Rat des Duces gefolgt und hatte die erbetene Botschaft an den Nuntius in Warschau geschickt, die dieser dem Präsidenten übergeben sollte. Es war aber nicht klar, ob das Telegramm Warschau erreicht hatte. »Eines ist nach den Ereignissen nach der Nacht des 31. August 1939 sicher«, schrieb Tacchi Venturi in seinem Brief an Mussolini, den er am folgenden Tag entwarf, »nämlich, dass das Resultat, entweder weil das [Telegramm] zu spät kam oder weil der Präsident beschloss, den Rat des Papstes nicht zu befolgen, nicht das war, was Seine Heiligkeit und mit ihm alle klugen Menschen auf der Welt wünschten.« ARSI, Fondo Tacchi Venturi, Miscellanea, b. 11, fasc. 33, carte non numerate. 21  Petacci 2011, S. 184–185 (Tagebucheintrag 30. August 1939).

Kapitel 8: Der Krieg beginnt 1  Zitat in Lewy 1965, S. 263, und Friedländer 2011, S. 47; Rarkowski war im Vorjahr vom Nuntius Cesare Orsenigo zum

Bischof geweiht worden, wie auch zwei prominente deutsche Bischöfe: Konrad von Preysing und Clemens August Graf

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Anmerkungen von Galen. Siehe »Bishop Franz Justus Rarkowski, S.M.«, catholic-hierarchy.org/ bishop/brark.html, und Brandt 1983. 2  Details zum deutschen Überfall auf Polen bei Moorhouse 2020 und Rossino 2003. 3  Bérard an Pétain, 22. Februar 1941, MAEC, Guerre Vichy, 551; Roger Moorhouse, »The Brutal Blitzkrieg: The 1939 Invasion of Poland«, BBC History Maga­ zine (2019): www.historyextra.com/­ period/second-world-war/brutal-blitzkrieg-1939-invasion-poland-start-ww2roger-moorhouse/. 4  Fonogramma della questura di Roma alla DGPS, 1. September 1939, ACS, MI, DAGRA 39, b. 38, Nr. 189826; Informativa da Roma, 1. September 1939, ACS, MI, MAT, b. 221. 5  Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 1. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 6  Ciano 1946, S. 138 (Tagebucheintrag 1. September 1939); Mackensen an Außenamt, 1. September 1939, ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 507. »Duce! Ich danke Ihnen auf das herzlichste für Ihre diplomatische und politische Unterstützung, die Sie Deutschland und seinem guten Recht in der letzten Zeit zuteil werden ließen. Ich bin der Überzeugung, die uns gestellte Aufgabe mit den militärischen Kräften Deutschlands lösen zu können. Ich glaube deshalb, der militärischen Unterstützung Italiens unter diesen Umständen nicht zu bedürfen«, hieß es im Telegramm Hitlers. ADAP, Serie D, Bd. 7, Nr. 500. 7  Bottai 1989, S. 156–157 (Tagebucheintrag 1. September 1939); Grandi 1985, S. 513–515; De Felice 1981, S. 674. 8  Bottai 1989, S. 159–160 (Tagebucheintrag 5. September 1939). 9  Pignatti an Ciano, 2. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116, Nr. 152. 10  Farinacci, 1919 einer der Gründer der Faschistischen Bewegung, kultivierte stets seinen Ruf, der faschistischste aller Fa-

schisten zu sein, und hatte seit Langem seine Neigung zur Gewalttätigkeit bewiesen. Im Abessinienkrieg hatte er eine Hand verloren, nicht im Kampf, sondern – vielleicht typisch für ihn – als er Handgranaten in einen See warf, um Fische zu fangen. Er war einer der wenigen Faschistenführer, die sich als Mussolini ebenbürtig betrachteten. Als er zu Beginn seiner Karriere ras (Chef) der Faschisten in Cremona war, kam ihm die Idee, dass eine Zeitung seinen Einfluss sehr vergrößern würde. Mit Unterstützung durch die Industrie und große landwirtschaftliche Finanzinteressen wurde daraus Il Re­ gime Fascista. Wie Mussolini hatte Farinacci eine revolutionär-sozialistische Vergangenheit und gab nie den Antiklerikalismus dieser Zeit auf. Unter den Faschistenführern war Farinacci der größte Bewunderer Hitlers. Innocenti 1992, S. 147–150; Bosworth 2002, S. ­204–205. 11  ACS, MIFP, Serie B, b. 3, Gonella, 3. September 1939. 12  Pignatti berichtete: »Er sagte mir, gestern, am Sonntag, habe der Osservatore Romano Order erhalten, nur noch Nachrichten und keine Kommentare zu veröffentlichen und im Zweifelsfall das Staatssekretariat zu kontaktieren.« Pi­ gnatti an Ciano, 4. September 1939, ­A SDMAE, AISS, b. 116, Tel. 157. 13  Pignatti an Ciano, 6. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116, Tel. 159; Appunto, 7. September 1939, und Pro-Memoria, 8. September 1939, ACS, MIFP, Serie B, b. 3, Gonella; Pignatti an Ciano, 14. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116, Nr. 2998. Ohne Wissen Magliones oder des Papstes war ein Journalist, der für die Zeitung arbeitete, zugleich Polizeispitzel. Drei Tage nach der Festnahme berichtete er, diese habe »enormen Eindruck beim Osservatore Romano und im Vatikan gemacht«. Die anderen Journalisten, die fürchteten, des Antifaschismus verdächtigt zu werden, »zittern alle vor

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Anmerkungen Furcht, selbst verhaftet zu werden«. Informativa da Roma (Nr. 726-Scattolini), 5. September 1939, ACS, MIFP, Serie B, b. 3, Gonella. 14  Huener (2021) gibt eine detaillierte Darstellung dieses Zerstörungswerks. Es war von Versuchen begleitet, die katholischen Kirchen in Westpolen von polnischen zu deutschen Einrichtungen zu machen, d. h. den Gebrauch der polnischen Sprache zu verbieten und deutsche Priester an die Stelle der polnischen zu setzen. In einem Merkblatt des Heeresoberkommandos hatte schon im Juni 1939 gestanden: »Träger der nationalen Hetze ist im Allgemeinen die katholische Geistlichkeit.« (Böhler 2009, S. 141, vgl. Rossino 2003, S. 134). 15  Die Bitte an den Papst vom 2. September beschreibt Tardinis Tagebuch, Pagano 2020, S. 145–146. Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 2. und 3. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108; Visita dell’Ambasciatore di Polonia, 12. September 1939, Segr. Stato, 1940, Stati e Corpo Diplomatico, b. 275, f. 3r. 16  Charles-Roux an Tardini, 11. September 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 198; CharlesRoux an Außenministerium, Paris, 13. und 15. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. Beim Treffen mit Monsignore Tardini am 18. September ließ der französische Botschafter seinen Ärger über das Schweigen des Papstes erkennen. Tardini notierte an diesem Tag in sein Tagebuch: »Dann geht der Botschafter in die Offensive und beklagt die Tatsache, dass der Heilige Stuhl nicht ein Wort zu Polen gesagt hat, das so ungerecht angegriffen wurde. Er bemerkte, dass Frankreich und England für Moral, Gerechtigkeit und christliche Zivilisation kämpften und der Heilige Stuhl nichts tat … für die christliche Zivilisation!« Auslassung im Original. Tardini fügte hinzu: »Ich lache und gratuliere ihm zu seinem rednerischen Talent.« Pagano 2020, S. 163.

17  Tisserants Appell wurde an Monsi­ gnore Montini geschickt, zitiert nach ­Fouilloux 2011, S. 286. 18  Der Botschafter hatte den Eindruck, der Papst fühle sich machtlos, doch das solle »für eine geistliche Macht niemals eine Entschuldigung sein, zu schweigen«. Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 18. und 29. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 19  Nach dem Bericht seines französischen Kollegen hatte der polnische Botschafter gehofft, »der Heilige Vater werde zumindest sein Missfallen über das Schicksal äußern, das Polen von Deutschen und Russen auferlegt werde«. Das tat der Papst jedoch nicht. Auf die Beschwerde des französischen Botschafters hin rechtfertigte Montini das päpstliche Schweigen damit, dass er keine Strafmaßnahmen gegen Millionen Katholiken habe riskieren wollen, nicht nur in Polen, sondern auch in Deutschland. Osborne, Jahresbericht 1939, NAK, AR 1939, S. 2; Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 30. September und 3. Oktober 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. Typisch für die Art und Weise, wie die katholischen Presse Italiens über die Haltung des Papstes berichtete, war der Leitartikel des Chefredakteurs von L’Avvenire d’Italia: »Seine Heiligkeit Pius XII. gab dem polnischen Volk das geistliche Heilmittel in dieser dunklen Nacht des Schmerzes. Nicht Hass. Nicht Rebellion … sondern Stärke im Glauben.« Der Beitrag erwähnte nicht, dass Deutschland Polen angegriffen hatte. »Pio XII al popolo polacco«, AI, 1. Oktober 1939, S. 1. 20  Zitiert nach Friedländer 2011, S. 46.

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Anmerkungen Kapitel 9: Der Prinz kehrt zurück 1  Petacci 2011, S. 188 (Tagebucheintrag 10. September 1939). 2  Ciano 1946, S. 141 (Tagebucheintrag 6. September 1939); Petacci 2011, S. 188 (Tagebucheintrag 10. September 1939); Visani 2007, S. 36; »Discorso del Duce ai Gerarchi Genovesi«, 30. September 1939, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 24, fasc. 9, ff. 9r–11r. Auch im italienischen Offizierskorps gab es wenig Anzeichen der Begeisterung für den deutschen Verbündeten. In der grandiosen römischen Barockkirche San Luigi al Francesi traf unangemeldet ein italienischer Offizier mit einem Ingenieur ein. Er erklärte dem Priester, der sie begrüßte, sie wollten Messungen vornehmen, um auf die Bekämpfung von Bränden vorbereitet zu sein, die aus einem Luftangriff entstehen könnten. Der Priester antwortete, das sei sicher nicht nötig, weil weder britische noch französische Flugzeuge es wagen würden, die Ewige Stadt zu bombardieren. »Wir werden nicht gegen die Franzosen oder Engländer kämpfen«, erwiderte der Offizier, »sondern gegen diese dreckigen Deutschen!« Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 23. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 3  Petacci 2011, S. 199–200 (Tagebucheintrag 19. September 1939). 4  »Alles, was der Papst persönlich und die vatikanische Diplomatie sagte und tat, um den immer näher kommenden Krieg abzuwenden, geschah in Übereinstimmung, wenn nicht in Absprache mit dem, was gleichzeitig die italienische Regierung tat«, bemerkte der französische Botschafter. Er fügte hinzu, er habe kürzlich mit Monsignore Montini gesprochen, der sich zuversichtlich gezeigt habe, Italien werde sich aus dem Krieg heraushalten, und dem Franzosen versichert habe, der Vatikan werde alles tun, um Italien dahingehend zu beeinflussen. ­Charles-Roux an Außenministerium,

Paris, 28. September 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 5  Pignatti an Ciano, 16. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116. Mussolini hatte Grund zur Besorgnis über die vatikanische Zeitung, deren Verbreitung weiter zunahm. »Heutzutage hat das Publikum Hunger auf Nachrichten wie nie zuvor, vor allem auf die Wahrheit, und es sucht danach im Osservatore Romano.« Notizia fiducaria [Nr. 40-Troiani], 17. September 1939, ACS, MI, MAT, b. 241. 6  Der Botschafter sagte Ciano über seine bevorstehende Audienz beim Papst: »Ich werde dem Papst morgen sagen, dass die Tatsache, dass Juden, Freimaurer und alle Antifaschisten im Allgemeinen so leidenschaftlich Reklame für den Osservatore Romano machen, nicht zum Prestige des Heiligen Stuhls beiträgt.« 28. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116. 7  »Man kann mit Sicherheit sagen, dass Graf Dalla Torre, der Direktor des Osser­ vatore Romano und stark frankophil, nicht gut beim [vatikanischen] Staatssekretariat angesehen ist. Ich hoffe und glaube, dass der Papst ihn schließlich hinauswerfen wird.« Der Papst werde aber nur handeln, mahnte er, wenn die italienische Presse aufhöre, den Zeitungsdirektor zu kritisieren, denn der Pontifex könne nicht den Eindruck entstehen lassen, er handle auf Weisung Mussolinis. Laut einem Regierungsspitzel im Vatikan – und der Duce hatte viele davon bei der vatikanischen Zeitung sitzen – fürchtete Dalla Torre selbst, bald entlassen zu werden. Pignatti an Ciano, 29. März 1939, ASDMAE AISS, b. 113, Nr. 1079/311; Informativa da Roma (Nr. 675-Di Legge), 4. April 1939, ACS, MIFP, b. 379; Informativa da Roma (Nr. 726-Scattolini), 27. April und 22. Mai 1939, ebd. Der Informant fügte mit Blick auf Dalla Torre hinzu: »Er hat die Unterstützung von Kardinal Maglione, der nach Gründen sucht,

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Anmerkungen damit der Papst ihn empfängt, aber der Papst will nicht.« Der deutsche Botschafter berichtete Berlin in Bezug auf Dalla Torres Flut von Angriffen auf das Dritte Reich im Osser­ vatore Romano unter Pius XI., ihm sei »unter dem neuen Pontifikat die Betätigung auf diesem Gebiete so gut wie ganz versagt«. Mitte April schickte Dalla Torre eine handschriftliche Botschaft an den vatikanischen Staatssekretär, die höflich das »Schweigen« kritisierte, das der Papst der Zeitung bei der Berichterstattung über deutsche Maßnahmen gegen die Kirche geboten hatte. Seine Bitte, solche Kritik zuzulassen, wurde abgelehnt. Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl an Auswärtiges Amt, Berlin, o. D. (1939), PAAA, GARV, R549; Dalla Torre, 18. April 1939, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte Asterisco, Stati Ecclesiastici, posiz. 378*, ff. 4, 5, 6–8. Der britische Gesandte beim Vatikan lernte Dalla Torre und seine Familie – die im Vatikan wohnten – während des Krieges gut kennen und war von dessen Zuversicht angetan, dass die Alliierten schließlich gewinnen würden. Obwohl Dalla Torre, der den Osservatore Romano zwei Jahrzehnte lang leitete, Pius XI. nahegestanden hatte, entwickelte er zu dessen Nachfolger nie ein ähnliches Verhältnis, und auch seine Beziehungen zu Montini und Tardini waren nicht spannungsfrei. 21. Februar 1945, NARA, RG 226, Mikrofilm M1642, Rolle 103, S. 58–63; Osborne an Außenministerium, London, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM 1993, 1946; Alessandrini 1982, S. 150–153. Pius XII. diskutierte seine Vorbehalte gegenüber Dalla Torre mit Monsignore Tardini am 22. September, wie aus dessen Tagebuch hervorgeht (Pagano 2020, S. 170). Vier Tage später kam der Papst auf das Thema zurück: »Seine Heiligkeit erzählt mir erneut von seiner Unzufrie­ denheit mit dem Osservatore Romano.

Seine Haltung gegenüber Dalla Torre ist sehr streng. Er zieht es vor, wenn er nicht schreibt« (Pagano 2020, S. 176). 8  Pignatti an Ciano, 29. September 1939, ASDMAE, AISS, b. 116, Nr. 165. 9  Pignatti an Ciano, 30. September 1939, ebd., Nr. 166, und Pignatti an Ciano, 1. Oktober 1939, ASDMAE, AISS, b. 113, Nr. 168. Dass der italienische Botschafter weiterhin die Notwendigkeit sah, die Pressekampagne gegen Dalla Torre zurückzufahren, wenn man wollte, dass der Papst ihn entließ, zeigt ein Brief von Mitte Oktober an Dino Alfieri, den Minister für Volkskultur, dem das Zeitungswesen unterstand. »Um Graf Dalla Torre von der Leitung der vatikanischen Zeitung zu entfernen, wäre es nötig, dass die italienische Presse längere Zeit nicht über ihn schreibt; ich sehe ein, dass das schwierig ist.« Pignatti an Alfieri, 18. Oktober 1939, ACS, MCPG, 2 vers, b. 10. 10  Osborne an Halifax, London, 13. Oktober 1939, NAK, FO 380/188, Nr. 99/50/30. Warschau hatte am 27. September kapituliert, und am folgenden Tag unterzeichneten Deutsche und Sowjets einen Vertrag, in dem sie das Land unter sich aufteilten. Bis 6. Oktober waren alle militärischen Operationen abgeschlossen. Herbert 2014, S. 393. Kritik am Schweigen des Papstes wurde von der vatikanischen Zeitung energisch zurückgewiesen. Der Papst habe deutlich seine »väterliche Fürsorge für das unglückliche Polen« gezeigt. Dies bezog sich auf die Worte, die der Papst Ende September an den polnischen Primas und die Polen gerichtet hatte, die ihn bei seinem Besuch im päpstlichen Sommerpalast in den Albaner Bergen begleiteten. Auf Französisch hatte der Papst zu ihnen gesagt: »Sie sind nicht gekom­ men, um etwas zu fordern oder sich lautstark zu beklagen, sondern um ein Wort des Trostes in Ihrem Leid von unserem Herzen, von unseren Lippen zu bitten.« Bei dieser Gelegenheit zitierte der Papst

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Anmerkungen die Worte des Apostels Paulus an die ­Korinther: »Wer leidet unter seiner Schwachheit, ohne dass ich mit ihm leide?« (2 Kor 11, 29). Unzufrieden mit dem Schweigen des Papstes beschlossen die Regierungen in London und Paris, eine Kampagne hinter den Kulissen zu starten, um den Druck zu erhöhen. Britische und französische Kardinäle sollten nach Meinung eines höherrangigen britischen Diplomaten direkt an den Papst schreiben »und aufzeigen, welche unglückliche Wirkung sein Schweigen zum Thema Polen auf die katholische Meinung in unseren beiden Ländern hat«. Der Erzbischof von Paris, dem der französische Botschafter im Vatikan sagte, dass die Weigerung Pius’ XII., die deutsche Aggression zu verurteilen, eine Welle von Antiklerikalismus auszulösen drohe, schickte dem Papst einen eigenen Appell. Sargent, Memorandum an Staatssekretär, 18. Oktober 1939, NAK, FO 800/325, 19; Baudrillart 1998, S. 233–234, 237 (Tagebucheinträge 8. und 11. Oktober 1939). Die vom britischen Außenministerium angedachte Alternativstrategie, die Regierung über den Apostolischen Legaten in London direkt an den Papst herantreten zu lassen, erschien besagtem Diplomaten weniger erfolgversprechend. Es sei besser, riet er Halifax, »wenn führende Katholiken in diesem Land wie der Herzog von Norfolk und Lord Perth dieses Thema aufgreifen. … Ich glaube, der Papst wäre eher beeindruckt, wenn die Kritik an seinem Nichthandeln von den Gläubigen in diesem Land kommt als von der Regierung Seiner Majestät.« Halifax schrieb rasch an die prominentesten katholischen Adligen. Sein Brief an den Herzog von Norfolk begann mit typischem Understatement: Mein lieber Bernard, die Haltung, die der Papst bisher gegenüber dem gegenwärtigen Krieg und besonders gegenüber der deutschen Invasion Polens eingenommen hat, bereitet

mir einige Sorge. … Es stimmt wahrscheinlich, dass er bei einer offenen und kompromisslosen Verurteilung Hitlers und all seiner Taten eine recht große Zahl an Katholiken in Deutschland verlieren würde. … Dennoch hat man bei allem Verständnis für die Schwierigkeit der Entscheidung Seiner Heiligkeit das unangenehme Gefühl, dass seine Haltung gegenüber dem mutwilligen deutschen Angriff auf Polen vielleicht etwas weniger mutig ist, als die seines Vorgängers gewesen wäre. (Halifax an Herzog von Norfolk, 25. Oktober 1939, NAK, FO 380/188, Nr. H/XXXVIII/57). Perth zeigte in seiner Antwort an Halifax wenig Zuversicht bezüglich des Erfolgs der Initiative: »Mein lieber Edward, Ihr Brief spricht ein sehr schwieriges ­Problem an. … Ich bezweifle …, dass der Papst so weit gehen wird, Hitler oder seine Taten zu verurteilen. Ich frage mich, ob wir das von ihm erwarten können, denn seine Hauptaufgabe ist, wie er oft sagt, die Seelsorge.« Er fügte hinzu, darüber mit Monsignore Godfrey, dem päpstlichen Gesandten in England, sprechen zu wollen, hielt es aber für wenig sinnvoll, Englands einzigen Kardinal ­Arthur Hinsley anzusprechen. »Der Kardinal hat in Rom leider nicht viel Einfluss« (Lord Perth an Halifax, 26. Oktober 1939, NAK, FO 800/325, 23). 11  Die Bemerkungen des Papstes richteten sich am 18. Oktober an den neuen litau­ischen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Pignatti an Ciano, 19. Oktober 1939, DDI, Serie 9, Bd. 1, Nr. 811. 12  Summi pontificatus ist abgedruckt in Jussen 1946, S. 132–176, hier 135, 153, 171. 13  Pignatti an Ciano, 30. Oktober 1939, ASDMAE, AISS, b. 100; »La prima enciclica di Pio XII«, PI, 27. Oktober 1939, S. 2; Direzione Generale Stampa Estere, Appunto per il ministro, 28. Oktober 1939, ASDMAE, Minculpop, b. 189; »Considerazioni tedesche sull’enciclica«, OR,

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Anmerkungen 5. ­November 1939, S. 2; »L’Enciclica di Pio XII«, RF, 28. Oktober 1939, S. 2. 14  Questura di Roma alla DGPS, fonogramma, 23. Oktober 1939, ACS, MI, DAGRA 39, b. 38A, Nr. 222710; Lauri an Pius XII, 22. Oktober 1939, ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 18r. 15  Siehe zur nationalsozialistischen Haltung gegenüber dem Christentum Steigmann-Gall 2003.

16  »Sonder-Audienz für Prinz Philipp v. Hessen, Castel Gandolfo, 24.Okt.1939, 16 Uhr«, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 26r–28r. Anscheinend ist die Angabe, das Gespräch habe in Castel Gandolfo stattgefunden, falsch, denn laut Polizeiberichten war der Papst zwei Tage zuvor zurückgefahren.

Kapitel 10: Ein päpstlicher Fluch 1  Phillips an Roosevelt, 18. Oktober 1939, FDR Library, psfa 401, S. 43–46. 2  Petacci 2011, S. 221, 223–224 (Tagebucheinträge 20. und 22. Oktober 1939). 3  Grandi 1985, S. 554–556; CharlesRoux, Berichte, an Außenministerium, Paris, 2. und 3. November 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1108. 4  Der von Huener 2021, S. 98, zitierte Bericht des Vatikans stammt von 1940. 5  »Notiziario polacco«, OR, 19. November 1939, S. 6; »La ›riserva ebraica di ­Lublino‹«, OR, 29. November 1939, S. 1; Osborne an Ivone Kirkpatrick, Außenministerium, London, 29. November 1939, NAK, FO 380/188, Nr. C19637; Lewy 1965, S. 270–271. Zur Schließung der deutschen Priesterseminare, vor allem jener, die im Verdacht standen, Regimegegnern Obdach zu gewähren, siehe Burkhard und Weiss 2007. 6  Charles-Roux 1947, S. 354–355. 7  »La presentazione delle credenziali del nuovo ambasciatore d’Italia« und »Il nuovo Ambasciatore d’Italia«, OR, 8. Dezember 1939, S. 1–2; Roberto Farinacci, »Un discorso ignorato«, RF, 10. Dezember 1939, S. 1. 8  »Il papa impartisce la benedizione ›Urbi et Orbi‹ dalla Loggia di S. Maria Maggiore«, PI, 9. Dezember 1939, S. 1. Die Szene ist auch in einer Luce-Wochenschau zu sehen: https://patrimonio.archivioluce.com/luce-web/detail/

IL5000022947/2/il-papa-impartisce-­ benedizione-urbi-et-orbi-davanti-ad-­ immensa-folla-fedeli.html&jsonVal=. 9  Ciano 1946, S. 176–177 (Tagebucheinträge 18. und 21. Dezember 1939); »Le pape Pie XII au roi et à la reine d’Italie«, 21. Dezember 1939, und Tardini, Notizen, 21. Dezember 1939, ADSS, Bd. 1, Nr. 230, 231; Charles-Roux 1947, S. 357. Mussolinis Zeitung widmete dem Ereignis, genau wie andere in ganz Italien, viel Raum: »Langer Meinungsaustausch mit Pius XII. – Galeazzo Ciano begleitet die hohen Gäste – Der Papst segnet ein wachsames, starkes Italien, die königliche Familie, den Chef der Regierung und seine Mitarbeiter.« »L’odierna visita dei Sovrani d’Italia al Sommo Pontefice«, PI, 21. Dezember 1939, S. 1. Die italienischen Zeitungen hoben besonders hervor, dass der Papst Vittorio Emanuele auch mit seinem neuen Titel »König von Albanien« angeredet habe. 10  Charles-Roux an Außenministerium, Paris, 22. Dezember 1939, MAEN, RSS 576, PO/1, 1090. 11  Der italienische Botschafter in Ägypten, Serafino Mazzolino, war überglücklich, als die Nachricht vom geplanten Papstbesuch ihn in Kairo erreichte: »Die außergewöhnliche Bedeutung des Ereignisses entgeht niemandem. Pius XII. ist ein großer Papst! Und er ist Römer! Und unser König fügt seiner Herrschaft eine

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Anmerkungen neue glorreiche Seite hinzu. Was für ein Beispiel gibt das faschistische und katholische Rom der Welt!« Rossi 2005, S. 251 (Tagebucheintrag 23. Dezember 1939). 12  Kardinal Baudrillart (1996, S. 193– 194, Tagebucheintrag 5. Mai 1936) benutzte den Ausdruck »überzeugter Faschist« für Schuster. »S. E. il Cardinal restituisce la visita al Federale alla sede della Federazione«, L’Italia, 24. Dezember 1939, S. 4. Regierungsberichte über Schusters Sympathien für den Faschismus gibt es seit seiner Ernennung zum Erzbischof von Mailand 1929. 14. August 1929, ACS, SPD, CR-RSI, b. 49; Ferrari 1982, S. 587. Als die Mailänder katholische Zeitung über den geplanten Papstbesuch beim italienischen König berichtete, beschied sie ihren Lesern, es sei »nur richtig, dass der erste Besuch des Papstes als Souverän dem Souverän des kaiserlichen und faschistischen Italien zugedacht wurde«. »Pio XII restituirà al Quirinale la visita ai Sovrani d’Italia«, L’Italia, 24. Dezember 1939, S. 1. Das enge Verhältnis des Papstes zum faschistischen Italien wurde im öffentlichen Bewusstsein einzementiert, als Pius XII. am Tag vor seinem Besuch beim König Ciano mitteilte, er wolle dem König den päpstlichen Ritterorden, den Orden vom goldenen Sporn, verleihen in Anerkennung all dessen, was er für den Frieden und die engen Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Italien getan habe. Der König wiederum ernannte Kardinal Maglione zum Ritter und schickte ihm die prunkvolle Kette des Höchsten Ordens der heiligen Verkündigung (auch

Annun­ziaten-Orden). »Lo Spero d’Oro al conte Ciano«, AI, 27. Dezember 1939, S. 2; Ciano 1946, S. 180 (Tagebucheintrag 27. Dezember 1939). Der Austausch von Auszeichnungen wurde in einem Memorandum des britischen Außenministeri­ ums diskutiert, das spekulierte, die gegenseitigen Besuche von Papst und König seien Cianos Idee gewesen, »und Signor Mussolini war vielleicht weniger begeistert davon«. Außenministerium, Notiz, 27. Dezember 1939, NAK, FO 371, 24935, 33. 13  »Lo Storico Evento al Quirinale: Il popolo dell’Urbe assisterà oggi in festa alla visita del Pontefice ai Sovrani d’Italia«, PI, 28. Dezember 1939, S. 1; Andenkenbroschüre des Papstbesuchs, Casa di Sua Maestà, 28. Dezember 1939, ASDMAE, AISS, b. 116; »La visita di Pio XII ai Sovra­ni in una cornice di fasto imperiale«, PI, 29. Dezember 1939, S. 1–2; Charles-Roux 1947, S. 359–360; Loraine an Halifax, 29. Dezember 1939, NAK, FO 371, 24935, 42–43. US-Botschafter Phillips beschrieb den italienischen König als »kleinen dünnen Mann mit zu kurzen Beinen, verkorkstem Gesicht und borstigem Schnurrbart, doch mit einer gewissen Würde trotz seines unbedeutenden Äußeren«. Phillips 1952, S. 192. 14  Der König war erfreut über den Austausch von Besuchen, wie er Borgongini bei der Neujahrsaudienz sagte, und lobte die Worte des Papstes. Borgongini an Maglione, 30. Dezember 1939, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 18, fasc. 4, ff. ­71r–73r.

Kapitel 11: Mann aus Stahl 1  Beispiele sind »Relazione sulla situazione politica ed economica della Provincia relativa al periodo 1 ottobre–31 dicembre 1939«, Questura di Roma, ACS, MI, DAGRA 41, b. 56, tel. 67161/441/042846; Informativa dalla Città del Vaticano

(Nr. 40-Troiani), 1. Januar 1940, ACS, MI, MAT, b. 221; Informativa da Roma (Nr. 561-Alicino), 5. Januar 1940, ACS, MI, MAT, b. 221. Grandi (1985, S. 559) war derselben Meinung.

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Anmerkungen 2  Menshausen an Auswärtiges Amt, Berlin, 31. Dezember 1939, abgeschickt 1. ­Januar 1940, PAAA, GBS, 29814, 32, Tel. 158. 3  Questura di Roma alla DGPS, fonogramma, 10. Februar 1940, ACS, MI, DAGRA 40, b. 35B, Nr. 25720; »La Conciliazione«, PI, 10. February 1940, S. 1; »All’Ambasciata d’Italia«, OR, 12. Februar 1940, S. 2; »L’anniversario della Conciliazione«, PI, 12. Februar 1940, S. 2; »L’anniversario della Conciliazione fra Stato e Chiesa«, RF, 11. Februar 1940, S. 1; Alfieri 1955, S. 9. 4  Maglione, Notizen, 17. Februar 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 247. Cianos Versuche, sich als derjenige zu präsentieren, der Mussolini vor allen anderen vom Krieg abzubringen trachte, waren nicht ganz erfolgreich, wie aus Tardinis Tagebucheintragungen einige Monate später hervorgeht. Beim Gespräch mit dem Geschäftsträger der italienischen Botschaft am 1. Mai sagte Tardini, er habe Berichten über eine Meinungsverschiedenheit zwischen Ciano und Mussolini nie Glauben geschenkt, wonach Ciano gegen den Krieg und probritisch eingestellt sei, Mussolini aber ein kriegslüsterner Britenfeind. »Alles Theater«, meinte Tardini, das ihnen alle Optionen offenhalten sollte. Pagano 2020, S. 183. 5  Caviglia 2009, S. 266–267 (Tagebucheintrag 19. Februar 1940). 6  Sumner Welles, Berichte, 26. Februar und 1. März 1940, FDR Library, psfa 71, S. 3–14, 27–39. 7  Phillips an Roosevelt, 26. Februar, FDR Library, psfa 401, S. 57–61; Sumner Welles, Bericht, 26. Februar 1940, FDR Library, psfa 71, S. 16–25; Welles an Roosevelt, 26. Februar 1940, FDR Library, psfa 36, S. 2–14; Phillips an Außenminister, Washington D.C., 28. Februar 1940, FDR Library, psfa 36, S. 19–21; Ciano 1946, S. 200–201 (Tagebucheintrag 26. Februar 1940). 8  Roosevelts Brief an den Papst, 23. Dezember 1939, in FRUS 1939, Bd. 2,

S. 871–872, deutsch: Roosevelt 1947, S. 33–36. Roosevelts Ernennungsbrief für Taylor vom selben Tag in FRUS 1939, Bd. 2, S. 873–874; Hull an Phillips, Rom, 23. Dezember 1939, ebd., S. 873; Flynn 1972, S. 183–185; Chadwick 1986, S. 101. Der britische Botschafter in Frankreich schickte am Tag nach der Er­nennung eine Botschaft an das Außenministerium in London und bemerkte: »Die katholischen Wähler waren für Präs. Roose­velt nötig, darum schickte er Mr. Myron Taylor zum Vatikan.« NAK, FO 800/325, 404. Über Roosevelts Verhältnis zur katholischen Kirchenhierarchie in den USA siehe Fogerty 2003. 9  Myron Taylor an Roosevelt, 28. Februar 1940, FDR Library, psfa 36, S. 15–18; Tittmann 2004, S. 8; »Il Sommo Pontefice riceve in solenne udienza il rappresentante del Presidente degli Stati Uniti«, OR, 28. Februar 1940, S. 1. Taylor sollte noch ein Thema vor dem Papst ansprechen, von dem nicht bekannt ist, ob es beim ersten Treffen zur Sprache kam. »Antijüdische Gefühle in Brooklyn, Baltimore und Detroit werden von der katholischen Kirche angeblich ermutigt«, schrieb der Präsident in seinen Instruktionen für Taylor. »Sie sollten betonen, dass dies im Gegenzug nur antikatholische Gefühle hervorruft« (Conway 1975, S. 89 Anm.). 10  Appunto Alfieri, 29. Februar 1940, ASDMAE, AISS, 1947–54, b. 227, auch in DDI, Serie 9, Bd. 3, Nr. 409. 11  Travaglini an Kardinal Lauri, 1. Januar 1940, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 29r–30r. 12  Lauri an Pio XII, 2. Januar 1940, ebd., f. 31r. Die Begleitnote auf f. 32r. 13  Das deutschsprachige Dokument mit den fünf Punkten des Papstes vom 3. Januar 1940 in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 63r–71r. Auf einem Exemplar ist oben handschriftlich auf Italienisch vermerkt: »Dem Prinz von Hessen am 3. Januar 1940 um 6–6:15 Uhr nachmittags privat über-

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Anmerkungen gebene Note, die von ihm gelesen und entgegengenommen wurde, ohne dass er Schwierigkeiten oder Einwände geäußert hätte.« ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 34r. 14  Travaglini an Lauri, 4. Januar 1940, ebd., f. 35 r.; Montini, Notiz, 4. Januar, ebd., f. 36r. 15  Die Antwort des Papstes an den Prinzen vom 5. Januar 1940 ebd., ff. 37rv. Die Aufzeichnung des Telefonats, das der Kardinal am 8. Januar führte, stammt anscheinend von Montini, ebd., f. 38r. 16  Travaglini an Lauri, 5. Februar 1940, ebd., f. 39r–40r. 17  Der maschinengetippte Entwurf unter dem Titel »Aufzeichnung«, mit handschriftlichen Ergänzungen, anscheinend vom Papst, in ebd., f. 45r. 18  Travaglini an Lauri, 18. Februar 1940, ebd., ff. 48r–50r.

19  Das einzige in dieser Dokumentation abgedruckte Memorandum mit einer flüchtigen Anspielung auf diese Verhand­ lungen, eine Notiz von Monsignore Tardini, erscheint in ADSS ohne den folgenden Satz und ohne dessen Auslassung kenntlich zu machen: »Travaglini hat immer gesagt, dass, sobald die Audienz beim Papst arrangiert wäre, Ribbentrop einen Vorwand gefunden hätte, um nach Italien zu kommen.« Tardini, Notizen, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 248v; der gekürzte Text in ADSS, Bd. 1, Nr. 257. 20  Kardinal Lauri an Pius XII, 8. März 1940, und Travaglini an Lauri, 8. März 1940, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 55r, 56r. 21  Tardini, Notizen, 9. März 1940, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 246r.

Kapitel 12: Ein problematischer Besucher 1  Zitat aus Kershaw 1998, S. 700. Siehe Kershaw 2000, S. 1002, zur Haltung anderer NS-Größen gegenüber Ribbentrop. 2  »Unterredung des Reichsaußenministers mit Papst Pius XII. am 11. März 1940«, ADAP, Serie D, Bd. 8, Nr. 668; Pirelli 1984, S. 256 (Tagebucheintrag 15. März 1940); »La visita in Vaticano«, PI, 12. März 1940, S. 1; Ribbentrop udienza Pio XII, 11. März 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stati e Corpo Diplo­ matico, posiz. 45, ff. 4–13. 3  »Für den Empfang des deutschen Reichsaußenministers JOACHIM VON RIBBENTROP beim Heiligen Vater am 11. März 1940«, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 63r–71r. Diesem deutschsprachigen Memorandum zur Vorbereitung der Papstaudienz folgte ein italienisches desselben Inhalts, das aus dem Staatssekretariat stammte und dem Papst am Tag vor dem Treffen übergeben wurde. »Appunto preparato dal Minutante per

Sua Santità e l’em. Cardinale Segretario di Stato in occasione della visita del Sig. Von Ribbentrop, minister egli esteri die Germania, dell’11 marzo 1940«, ff. 74r–76r. 4  Bastianini 2005, S. 292. 5  Tardini, Notizen, 11. März 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 257. 6  Maglione, Notizen, 11. März 1940, ebd., Nr. 258, 259; Bastianini 2005, S. 292. Bastianini war bis zum vorigen Herbst Staatssekretär für Äußeres gewesen und wurde es in Mussolinis letzten Monaten im Amt erneut. Seltsamerweise hatte der Papst am Abend zuvor Instruktionen an Maglione schicken lassen, die ihn anwiesen, falls Ribbentrop während des Gesprächs die Idee äußere, Bergen als deutschen Botschafter im Vatikan durch Franz von Papen zu ersetzen, »wäre es gut, ihm klar verständlich zu machen, dass er nicht die passendste Person zu sein scheint«. AAV, Segr. Stato, 1940, Stati e Corpo Diplomatico, posiz. 45, f. 8r. Franz von Papen war

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Anmerkungen 1932 Reichskanzler gewesen und wurde im folgenden Jahr Hitlers Vizekanzler. Auch nach Ribbentrops Besuch trug der Papst Sorge, die Deutschen könnten Bergen durch Papen ersetzen, und fragte den Berliner Bischof Konrad von Preysing um seine Meinung. In seinem deutschsprachigen Brief vom 22. April 1940 betonte er: »Von der anderen Frage machen Wir dir im strengsten Vertrauen Mitteilung.« »Da der Fall, wie gesagt wurde, vielleicht sehr schnell an den Heiligen Stuhl herangetragen wird, wäre es zweckmässig, wenn du Uns nach Empfang dieses Schreibens so umgehend wie tunlich telegraphisch benachrichtigen wolltest.« Tatsächlich war die Angelegenheit so heikel, dass der Papst ihn anwies, mit einem Code zu antworten: »Die Worte ›bitte um einen Segen anlässlich Trauung‹ würden besagen, dass das Agrement schliesslich doch erteilt werden kann; die Worte ›bitte um Segen für Schwerkranken‹, dass es einfachhin verweigert werden muss.« Am 30. April telegrafierte der Nuntius aus Berlin einen Einzeiler an Maglione: »Der Bischof von Berlin erbittet Segen für Schwerkranken.« Am nächsten Tag schrieb Bischof Preysing direkt an den Papst, um zu erklären, dass er von Papen ablehne, weil die Ernennung »eines hochgestellten katholischen Nationalsozialisten irgendwie als mit kirchlicher Sanktion versehen erschiene«. Von Papen würde in Rom ein Gefolge um sich sammeln, fürchtete der Bischof, das versuchen würde, den falschen Eindruck einer engen, harmonischen Beziehung zwischen NS-Regime und Vatikan zu verbreiten. Diese Dokumente in AAV, Seg. Stato, 1940, Diocesi, posiz. 306, ff. ­114r–116r, 117r, 121r–123v. 7  »Relazione del colloquio avvenuto fra i Signor Ribbentrop e Monsignor Tiso, fatta da quest’ultimo a Monsignor [Michal] Buzalka, Vescovo Auxiliare di Tirnava il 7 agosto 1940«, ASRS, AA.EE.SS.,

Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, f. 156r. 8  Grandi 1985, S. 562; Attolico an Ciano, 9. März 1940, DDI, Serie 9, Bd. 3, Nr. 502. In seinen Memoiren nannte auch der französische Botschafter Ribbentrops Besuch eine wichtige Etappe auf Mussolinis Weg zum Krieg. François-Poncet 1961, S. 161–177. 9  ADAP, Serie D, Bd. 8, Nr. 663, vgl. Rauscher 2001, S. 372–373. 10  Das offizielle italienische Protokoll des Treffens vom 10. März in ASDMAE, Gab., b. 1130A, UC-14, fasc. 2. 11  Das italienische Protokoll des Gesprächs vom 11. März in DDI, Serie 9, Bd. 3, Nr. 524; das deutsche Protokoll in ADAP, Serie D, Bd. 8, Nr. 669. 12  Orsenigo an Maglione, 17. März 1940, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 180r.–182r. 13  Welles’ Berichte über sein Treffen mit Ribbentrop am 1. März und mit Hitler am 2. März in FDR Library, psfa 72, S. 27–39, 45–55. 14  Bei seinem Treffen mit dem Duce und Ciano am 16. März war es allerdings Welles, der wichtige Neuigkeiten erfuhr. Deutschland plante laut Mussolini binnen drei oder vier Monaten Frankreich zu erobern, und die Deutschen seien zuversichtlich, dass England ebenfalls bald zusammenbrechen werde. Der Duce erzählte dem Amerikaner auch, Hitler habe ihn gebeten, in zwei Tagen zu einem dringenden Treffen auf den Brenner zu kommen. Die deutsche Offensive werde sehr bald beginnen, sagte Mussolini: »Der Zeiger steht auf einer Minute vor zwölf.« Seine Bemerkung beim Abschied gab Welles immerhin einen gewissen Anlass zur Hoffnung, Italien könne sich aus dem Krieg heraushalten: »Denken Sie daran, dass zwar der deutsch-italienische Pakt existiert, aber dass ich trotzdem volle Handlungsfreiheit behalte.« Welles’ Bericht in FDR Library, psfa 72, S. 97–103.

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Anmerkungen Weitere Telegramme über den Besuch in FDR Library, psfa 36, S. 60–75. Als Nächstes traf Welles mit dem italienischen König zusammen. Nach seiner Meinung über den Duce befragt, mit dem er sich seit vielen Jahren zweimal wöchentlich traf, nannte er ihn »einen sehr großen Mann«. Als Welles den König bat, alles ihm Mögliche zu tun, um einen Kriegseintritt Italiens zu verhindern, erhob Vittorio Emanuele Einwände: In Italien habe der Monarch wenig Macht. Ebenso wenig ließ er sich auf den Versuch des Amerikaners ein, ihm zu schmeicheln. Als Welles ihm sagte, wie sehr ihn die Liebe und Bewunderung der Italiener für ihren König beeindrucke, schüttelte Vittorio Emanuele den Kopf und erwiderte mit ironischem Lächeln: »Mein Englisch wird rostig, und ich kann nicht genau ausdrücken, was ich meine, aber ich fürchte, der Eindruck, den Sie gewonnen haben, stimmt nicht.« Eines war Welles klar: Der kleinmütige König würde keine Hilfe sein. FDR Library, psfa 72, S. 80–87. 15  Laut dem Italienisch sprechenden ­Assistenten Taylors, Harold Tittmann, sprach Pius XII. bei ihren Begegnungen immer zunächst Englisch, da er auf seine Sprachkenntnisse stolz war, wechselte aber für den Rest des Gesprächs mit sichtlicher Erleichterung zurück ins Italienische. Tittmann 2004, S. 93.

16  Welles’ Bericht über seine Papstaudienz am 18. März in FDR Library, psfa 72, S. 107–111; d’Ormesson, Schlussbericht, 28. Oktober 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550. 17  »L’incontro Mussolini-Hitler al Brennero«, L’Italia, 19. März 1940, S. 1. 18  »La partenza di Hitler«, L’Italia, 19. März 1940, S. 1. Das offizielle deutsche Gesprächsprotokoll in ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 1. »L’incontro al Brennero del Capo del Governo italiano col Cancelliere Hitler«, OR, 18. März 1940, S. 1; Ciano 1946, S. 210–211 (Tagebucheintrag 18. März 1940); Grandi 1985, S. 565; Rauscher 2001, S. 377–378; Navarra 2004, S. 46. 19  Welles’ Bericht über das Treffen mit Ciano am 19. März 1940, FDR Library, psfa 72, S. 118–123; Welles’ Schlussbericht für Roosevelt über seine Europareise, März 1940, ebd., S. 125–133. 20  Visani 2007, S. 77–78; Ciano 1946, S. 217–218 (Tagebucheintrag 2. April 1940). 21  Hitler an Mussolini, 9. April 1940 (nur auf Italienisch vorhanden); Hitlers telefonische Botschaft für Mussolini, 10. April 1940; Mackensen an Auswärtiges Amt, Berlin, 11. April 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 68, 82, 86. 22  Petacci 2011, S. 312–314 (Tagebucheintrag 11. April 1940). 23  Ciano 1946, S. 222 (Tagebucheintrag 11. April 1940).

Kapitel 13: Ein ungünstiger Zeitpunkt 1  Ribbentrop an Mackensen, 7. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 205; Hitlers Brief an Mussolini ist die Nr. 212; Mussolini an Hitler, 10. Mai 1940, ist die Nr. 232; Ciano 1946, S. 231–233 (Tagebucheintrag 10. Mai 1940); Bottai 1989, S. 190 (Tagebucheintrag 12. Mai 1940); Di Rienzo 2018, S. 315. 2  Der Brief des Papstes vom 12. April an Mussolini ist in ASDMAE, Gab., b. 189,

UC–73, fasc. 1 abgedruckt. Pius ließ auch im Osservatore Romano einen Artikel veröffentlichen, in dem klargestellt wurde, dass der Papst bei seinem wiederholt geäußerten Wunsch nach Frieden nicht an einen Frieden der Schwachen dachte, sondern vielmehr an einen Frieden, der – wie auch Mussolini nicht müde wurde zu fordern – »auf Gerechtigkeit beruhen« sollte. Alfieri erstattete Ciano enthusiastisch Be-

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Anmerkungen richt über diesen Artikel (»L’invito del papa«) und sandte ihm den Zeitungsausschnitt zu. Alfieri an Ciano, 21. April 1940, ASDMAE, AISS, b. 113. 3  Mussolinis Brief an Pius XII., 30. April 1940, ASDMAE, AISS, b. 176; auch enthalten in ADSS, Bd. 1, Nr. 290; Ciano 1946, S. 226–227 (Tagebucheintrag 28. April 1940). 4  Hull an Phillips (mit Text von Roosevelts Mitteilungen an Phillips und an Mussolini), 29. April 1940, FRUS 1940, Bd. 2, S. 691–692; Phillips an Hull, 1. Mai 1940, FRUS 1940, Bd. 2, S. 693–695. Was die Abstimmung mit dem Papst betraf, meldete Taylor an Roosevelt: »Der Papst, der mir strengstes Stillschweigen auferlegte, teilte mir am vergangenen Freitag [26. April] mit, dass er seiner Verpflichtung zur allseitigen Diplomatie durch ein handschriftliches Schreiben an Mussolini nachgekommen sei, dem er für Italien eine Nichtbeteiligung an diesem Krieg geraten habe.« Taylor an Roosevelt, 30. April 1940, FRUS 1940, Bd. 2, S. ­692–693. Phillips’ Aktennotiz über sein Gespräch mit Ciano am 2. Mai 1940 ist abgedruckt in FRUS 1940, Bd. 2, S. 699; Phillips an Roosevelt, 2. Mai 1940, FDR Library, psfa 401, S. 71; Mussolini an ­Roosevelt, 2. Mai 1940, FRUS 1940, Bd. 2, S. 698. Mussolini informierte den deutschen Botschafter über Roosevelts Kontaktaufnahme und seine eigene Antwort. Zukünftig, teilte Mussolini Mackensen mit, werde er sich weder mit dem amerikanischen noch mit irgendeinem anderen Botschafter mehr treffen, sondern nur noch mit ihm, Mackensen. Auch schrieb Mussolini noch am selben Tag, an dem Roosevelts Botschaft bei ihm einging, an Hitler und übersandte ihm eine Kopie von dessen Schreiben sowie seiner eigenen Antwort – von der Hitler früher Kenntnis erhielt als der US-Präsident. Angesichts des »drohenden Charakters« von Roosevelts Bitte, fügte er hinzu, habe er den »etwas drastischen Ton« seiner

eigenen Antwort für erforderlich gehal­ ten. Mit derselben Sendung ließ Mussolini Hitler eine Abschrift des jüngsten päpstlichen Friedensplädoyers sowie seiner Antwort an den Pontifex zukommen. Hitler antwortete umgehend: »Ich finde auch Ihre Antwort an den Papst und ­Roosevelt fabelhaft.« Mackensen an Auswärtiges Amt, 1. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 185; Mussolini an Hitler, 2. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 190; Hitler an Mussolini, 3. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 192. 5  Als im Vatikan vermehrt solche Berichte über gewaltsame Zusammenstöße eingingen, wies Pius XII. Maglione an, die Nuntien im Ausland durch ein verschlüsseltes Telegramm über die Entwicklung zu informieren. Memorandum, 14. Mai 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, f. 27r; Monsignore Micara, Brüssel, an Maglione, 10. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 297; Tardini 1961, S. 123; »Messaggi del Santo Padre ai Sovrani del Belgio, dell’Olanda e del Lussemburgo«, OR, 12. Mai 1940, S. 1. »Nachdem sie sämtliche Exemplare des Osservatore Romano verbrannt hatten«, berichtete der Chefredakteur der in Bologna verlegten katholischen Zeitung L’Avvenire d’Italia am 11. Mai, »haben sie unsere auch verbrannt. Sie sind in unsere Redaktion gekommen und haben die gesamte Auflage beschlagnahmt … und öffentlich auf der Straße verbrannt.« AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, f. 329r. Am 12. Mai bestellte Maglione den Geschäftsträger der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl zu einem Gespräch im Vatikan ein, um sich über die Gewalt gegen den Osservatore Romano zu beschweren; wenn dies so weitergehe, drohte der Kardinalstaatssekretär, werde der Papst öffentlich dagegen protestieren. Memorandum, 13. Mai 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 31r–32r. Am 14. Mai ließ er eine Mitteilung an die

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Anmerkungen Apostolischen Nuntien und Legaten folgen, worin er über die Gewaltausbrüche gegen Zeitungskioske informierte, an denen Exemplare des Osservatore Romano vom 12. Mai verkauft worden waren (ADSS, Bd. 1, Nr. 315). Die französischen Fassungen der drei päpstlichen Mitteilungen finden sich in ADSS, Bd. 1, Nr. 301–303. Aus vielen Teilen Italiens gingen ähnliche Berichte ein, in denen von Gewalt gegen die Vatikanzeitung und ihre Verkäufer die Rede war. »Es betrübt mich, mitteilen zu müssen«, schrieb der Erzbischof von Aquila am 13. Mai, »dass hier in Aquila während der vergangenen drei Tage alle Exemplare des Osservatore Romano beschlagnahmt, zerrissen und verbrannt worden sind, auf Anweisung des Generalsekretärs [der Faschistischen Partei], wie es scheint.« Dass die Befehle von ganz oben kamen, vermutete auch Monsignore Montini in seiner Antwort: »Offenbar sind die Schwierigkeiten, die es momentan bei der Verbreitung des Osser­ vatore Romano gibt, das Resultat von Befehlen, die unerklärlicherweise aus den oberen Hierarchierängen kommen.« AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 36r, 35r. 6  D’Aroma 1957, S. 296; Ciano 1946, S. 234 (Tagebucheintrag 12. Mai 1940). 7  Notiz Tardini, 10. Mai 1940, mit einem angehängten Telegramm der französischen Regierung an Charles-Roux, 10. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 298; ­Osborne an das Kardinalstaatssekretariat, 10. Mai 1940, ADSS Bd. 1, Nr. 298, 299, 300. 8  Notiz Tardini, 13. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 312. 9  Botschafter Bullitt, Paris, an USAußenministerium, 14. Mai 1940, FRUS 1940, Bd. 2, S. 703–704. 10  Der Heilige Vater, insistierte Kardinal Maglione, hatte bereits alles getan, was »gerechtfertigt und angebracht« war; Notiz Maglione, 14. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 316. »Seine Heiligkeit ist über-

zeugt, dass Italien binnen eines Monats oder kurz danach in den Krieg eintreten wird«, schrieb Tardini am 15. Mai in sein Tagebuch. »Seine Heiligkeit glaubt, dass die Deutschen siegen werden, weil sie über die stärkere Luftwaffe und Armee verfügen.« Pagano 2020, S. 187. 11  Alfieri 1955, S. 13–14. 12  Ciano 1946, S. 226 (Tagebucheintrag 26. April 1940); Goeschel 2019, S. 215. 13  Bevor er sich mit dem Papst zu seiner letzten Audienz als Botschafter beim Heiligen Stuhl traf, suchte Alfieri Kardinal Maglione auf. Maglione nutzte die Gelegenheit, um sich über die Gewalt gegen Verkäufer und Leser des Osservatore Ro­ mano zu beschweren. War dies, fragte der Kardinal, auf eine Entscheidung der faschistischen Regierung zurückzuführen, »die Atmosphäre der Herzlichkeit und der beiderseitigen Kooperation« zu zerstören, die unter dem neuen Papst »erfreulicherweise wiederhergestellt worden war«? Alfieri bestand darauf, dass seine Regierung nichts mit den Übergriffen zu tun habe, und beschuldigte stattdessen »eine Handvoll impulsiver junger Burschen«, die »in einem Augenblick verständlicher Anspannung der öffentlichen Meinung« ihrem Ärger freien Lauf gelassen hätten. An Ciano meldete der Botschafter, dem Kardinal sei sehr daran gelegen gewesen, den Frieden wiederherzustellen, und er habe »wiederholt darum gebeten, gemeinsam mit Monsignore Montini, dass ich Eurer Exzellenz mitteilen solle, der Vatikan wolle auf keinen Fall der nationalen Regierung irgendeinen Schaden zufügen. … Tief bewegt wiederholte er mir gegenüber, wie sehr er sich Italien verbunden fühle und mit welch glühendem Gefühl er sich für unser gemeinsames Vaterland nur das Beste wünsche.« Alfieri an Ciano, 12. Mai 1940, Nr. 1375/575, ASDMAE, AISS, b. 113. 14  Notiz Montini, 13. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 313. Nach seinem Treffen mit

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Anmerkungen dem Papst beeilte sich Alfieri, Mackensen darüber zu informieren, was Pius gesagt hatte. Insbesondere wollte er den deutschen Botschafter davon in Kenntnis setzen, dass der Papst auf Alfieris Beschwerde über die drei Telegramme geantwortet hatte, er habe Stunden damit zugebracht, seine Botschaften zu formulieren und »jedes Wort von politischer Tragweite wie zum Beispiel Invasion, das eine Stellungnahme enthalten könne« sorgsam zu vermeiden. Ob Alfieri dem deutschen Botschafter mitteilte, dass der Papst auch Hitler gern eine Botschaft zukommen lassen wollte, ist weniger klar. Mackensen an Berlin, Telegramm, 13. Mai 1940, zitiert nach Friedländer 2011, S. ­58–59. Bei seiner Abreise aus Rom verfasste Alfieri einen handschriftlichen Brief an den Papst, um ihm für das am Tag zuvor erwiesene Wohlwollen zu danken. Er prahlte damit, dass er selbst in Erfüllung seiner doppelten Pflicht »als Botschafter und als Katholik« zu einem Einvernehmen zwischen der italienischen Regierung und der Kirche beigetragen habe. Alfieri schloss mit der Bemerkung: »Ich reise in einem ruhigeren Gemütszustand ab, zufrieden darüber, dass ich meine hehre Mission [als Botschafter beim Heiligen Stuhl] mit einer letzten Intervention meinerseits beschlossen habe, nämlich der Intervention von heute Morgen, die aufs Neue meine Haltung der Kirche gegenüber belegt hat sowie meine tiefe, unveränderliche Ergebenheit Eurer Heiligkeit gegenüber.« Alfieri an Pius XII., 14. Mai 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 69r–70v. 15  Weil er darauf bedacht war, die guten Beziehungen zu dem neuen italienischen Botschafter in Berlin zu erhalten, wies Pius XII. Montini an, diesen bei seiner Abreise nach Deutschland am Gleis zu verabschieden. Doch in der falschen Annahme, dass dessen Zug erst um Mitternacht abfahren werde, kam der Monsi­

gnore zu spät. Montini an Alfieri, 15. Mai 1940, ACS, Archivi di Personalità della Politica e della Pubblica Amministrazione, Alfieri, b. 10, Vaticano. 16  Di Rienzo 2018, S. 310; Alfieri an Ciano, 23. Mai 1940, DDI, Serie 9, Bd. 4, Nr. 553. Als Göring nach dieser Ehrung durch den italienischen Staat mit Alfieri zusammentraf, war er bestrebt, ihm Neuigkeiten über den Papst zu entlocken und die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kirche zur Sprache zu bringen. In seinem Vergleich zwischen deutschem und italienischem Klerus schnitt ersterer schlecht ab: In Italien, sagte Göring, unterstütze der Klerus zumeist die Regierung und den Faschismus, während es in Deutschland hohe Prälaten gebe, die sich deutlich gegen den Nationalsozialismus stellten. Alfieri an Ciano, 23. Mai 1940, DDI, Serie 9, Bd. 4, Nr. 553. 17  »Ich muss hinzufügen«, bemerkte der Nuntius in Paris, als er Kardinal Maglione über dieses Treffen Bericht erstattete, »dass der Gedanke an eine mögliche Exkommunikation nicht von allein in Mr. Bullitts Kopf entstanden war.« Tatsächlich hatte erst am Abend zuvor ein französischer Senator den Nuntius aufgesucht, um ihm im Namen des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen die Frage zu stellen, ob nun nicht der richtige Augenblick gekommen sei, Hitler zu exkommunizieren – woraufhin er dieselbe Frage mit Blick auf Mussolini wiederholt hatte. 18  Monsignore Valeri an Maglione, 15. Mai 1940; Maglione an Valeri, 17. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 317 und 324. Auch aus der Kirche wurden Bitten an den Papst herangetragen, klarer Stellung zu beziehen. Am selben Tag, an dem der Nuntius geschrieben hatte, schickte auch der Erzbischof von Paris dem Papst einen bekümmerten Brief und flehte ihn an, mehr zu unternehmen, um Mussolini davon abzuhalten, an Hitlers Seite über

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Anmerkungen Frankreich herzufallen. Als wie dringlich die Angelegenheit empfunden wurde, zeigt ein Detail: Der französische Botschafter persönlich lieferte den Brief Kardinal Suhards im päpstlichen Palast ab, und zwar um 23 . 15 Uhr am Abend des 17. Mai. AAV, Segr. Stato, 1940, Diocesi, posiz. 123, f. 8r. Der Papst antwortete, dass er bereits alles in seiner Macht Stehende getan habe, um Italien aus dem Krieg herauszuhalten. Erzbischof Suhard, Paris, an Pius XII., 15. Mai 1940; Ma­ glione an Suhard, 25. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 319 und 329. Weitere Dokumente zu der Bitte Kardinal Suhards und der Antwort des Papstes in AAV, Segr. Stato, 1940, Diocesi, posiz. 123, ff. ­1r–13r. Auch dem französischen Botschafter im Vatikan war nicht verborgen geblieben, dass Mussolinis Einschüchte­ rungsversuche in Gestalt der faschistischen Angriffe auf die Vatikanzeitung beim Papst durchaus Erfolg gehabt hatten. In einem Schreiben nach Paris vom 16. Mai schrieb Charles-Roux mit Blick auf Montini, dieser leide »sichtlich unter dem Schlag, den die gegen den Heiligen Stuhl gerichtete Einschüchterungskampagne der Faschistischen Partei darstellte, welche vermutlich von den zahlreichen deutschen Agenten inspiriert worden ist, die sich in Rom befinden. Im

Vatikan sind sie leicht zu beeindrucken und durch physische Gewalt schnell eingeschüchtert. Wie mir scheint, erliegen sie im Moment einer übertriebenen Furcht.« Charles-Roux an französisches Außenministerium, 16. Mai 1940, MAEC, Papiers Duparc. 19  Stefano Vitti an Pius XII., 14. Mai 1940, AAV, Segr. Stato, anno 1940, Stato Città Vaticano, b. 63, f. 111r. 20  Una Italiana Civile e Cristiana an Pius XII., n.d., AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. ­139r–140r. 21  Le donne Cattoliche d’Italia an Pius XII., n.d., AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, f. 120r. 22  Alfieri an Ciano, 23. Mai 1940, DDI, Serie 9, Bd. 4, Nr. 553. 23  Foreign Office, London, an Osborne, 18. Mai 1940, R5999/55/22, NAK, FO 371, 24935, 92; handschriftliche Notiz von Dixon, 3. Juni 1942, NAK, FO 371, 33411, 152; Informativa da Roma (Nr. 535— Mezzabotta), 20. Mai 1940, ACS, MI, MAT, b. 217. 24  Kardinal Hlond an Montini, 13. Mai 1940; und Montini an Hlond, 20. Mai 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stati e Corpo Diplomatico, posiz. 275, ff. 29r, 26r.

Kapitel 14: Ein ehrenvoller Tod 1  Buffarini, der Staatssekretär im Innenministerium, überraschte den Nuntius bei ihrem Zusammentreffen mit der Bemerkung, der Heilige Stuhl habe durch die Veröffentlichung der drei päpstlichen Telegramme »gegen ganz Europa« gehandelt. Was bitte, fragte der Nuntius, meine Buffarini mit »ganz Europa«? »Aber wissen Sie denn nicht«, antwortete Buffarini, »dass wir und die Deutschen Europa [unter uns] aufgeteilt haben?« Italien, fügte er hinzu, werde binnen zwei Wochen in den Krieg eintreten, aber nicht

für lange, da dieser schon bald beendet sein werde. Borgongini an Maglione, 23. Mai 1940, Bericht über das Treffen vom Vortag, ADSS, Bd. 1, Nr. 328. 2  Visani (2007, S. 133, 144) enthält die Auszüge aus dem Bericht des Ministeriums für Volkskultur vom 22. Mai sowie aus dem Bericht des Genueser Informanten vom 24. Mai. 3  Hitler an Mussolini, 25. Mai 1940; Mackensen an Ribbentrop, 26. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 317, 320; ­Goeschel 2019, S. 217.

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Anmerkungen 4  Zu der Rolle, die Pirelli und andere führende Vertreter der italienischen Industrie spielten, als sich das desaströse Ende des faschistischen Regimes abzeichnete, siehe Carace 2021. 5  Borgongini an Maglione, 28. Mai 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 332; Pirelli 1984, S. ­262–263 (Tagebucheintrag 28. Mai 1940). Mackensens Bericht nach Berlin vom folgenden Tag beschrieb Ciano ebenfalls als kriegslüstern; es sei die italienische Militärführung, die den Kriegseintritt immer weiter hinauszögere. »Wenn es nach den Militärs ginge«, hatte Ciano dem deutschen Botschafter gesagt, »wäre man nie bereit.« Mackensen an Auswärtiges Amt, Berlin, 29. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 343. 6  Petersen 1994, S. 107, 112–113; Ciano 1946, S. 226 (Tagebucheintrag 27. April 1940). Eleonora, die ebenso attraktiv und glamourös war wie ihr Ehemann reizlos und reserviert, verfügte selbst über Scharfsicht und Talent: Attolico hatte zwar fünf Jahre in Berlin verbracht, jedoch nie Deutsch gelernt, und wenn Hitler (der ausschließlich Deutsch sprach) sich bei Empfängen mit dem italienischen Botschafter unterhalten wollte, stand Eleonora daneben und dolmetschte. Der Papst hatte für die hochgewachsene, schlanke und selbstbewusste Frau jedoch nicht allzu viel übrig. Wie es im Vatikan das Protokoll bei der Präsentation der Beglaubigungsschreiben für einen neuen Botschafter vorsah, hatte Attolico zu dieser ersten Audienz beim Papst auch seine Ehefrau mitgebracht. Pius XII. beklagte sich anschließend, Eleonora habe ohne Unterbrechung geredet. Mackensen an Auswärtiges Amt, Berlin, 30. April 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 181; Informativa da Roma (Nr. 352 – Montuschi), 2. Mai 1940, ACS, MI, MAT, b. 217; Mackensen an Auswärtiges Amt, Berlin, 30. April 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 181; d’Ormesson an Vichy, 21. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 559.

7  Attolico an Ciano, 21. Mai 1940, ­A SDMAE, AISS, b. 113. Das Montini-­ Zitat entstammt Babuscio Rizzos Bericht über sein Gespräch mit dem Monsignore am 21. Mai: Appunto per l’Eccellenza l’Ambasciatore, ASDMAE, AISS, b. 113. Montinis Gespräch mit Attolico am 18. Mai wird in einer Notiz mit Datum vom Folgetag wiedergegeben: AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 56rv. 8  Das Ergebnis war schon bald allen bewusst, wie der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl nach London meldete. Während die Zeitung bislang in Italien die einzig objektive Nachrichtenquelle zum Weltgeschehen gewesen war, »widmet sie sich jetzt fast ausschließlich Belangen von religiöser Natur und macht keine Versuche mehr, über das Weltgeschehen aufzuklären oder es zu kommentieren. Sie ist einen ehrenvollen Tod gestorben, oder hat sich jedenfalls ehrenvoll ihrer einstweiligen Auslöschung als Organ der Information und Interpretation ergeben.« Osborne an Halifax, 21. Mai 1940, NAK, FO 371, 24935, 84–85; Attolico an Ciano, 22. Mai 1940, ASDMAE, AISS, b. 113. Der Artikel aus dem Osservatore Romano vom 25. Mai ist zitiert bei Pighin 2010, S. 43–44. 9  Tatsächlich hatte Pius XII., wie der Botschafter berichtete, geäußert, dass er »gern über unsere Wünsche in Kenntnis gesetzt werden wolle, damit er uns – ­soweit möglich – zufriedenstellen könne«. Jetzt, da der Konflikt um den Osservatore Romano beigelegt war, fragte Attolico den Papst bei einem Gespräch Ende Mai, ob es irgendwelche anderen Punkte gebe, die ihm besonders am Herzen lägen. Ja, antwortete Pius, die gebe es in der Tat. Er sorge sich darüber, wie die italienische Regierung mit den auswärtigen Diplomaten beim Heiligen Stuhl verfahren werde, sollte Italien in den Krieg eintreten. Auch Vertreter von Staaten, die Italien dann als Feinde an-

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Anmerkungen sehen würde, meinte der Papst, sollten unbehelligt in Rom bleiben dürfen. Der Vatikan hatte diesen Punkt schon früher angesprochen, und Attolico war nicht um eine Antwort verlegen: Auch wenn die Lateranverträge das Recht des Heiligen Stuhls garantierten, freie diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten zu unterhalten, könne eine Nation nach dem Völkerrecht doch nicht dazu verpflichtet werden, im Kriegsfall diplomatische Vertreter feindlicher Staaten auf ihrem Boden zu dulden. Das möge ja stimmen, erwiderte der Papst, aber die italienische Regierung solle doch auch die Konsequenzen einer solchen Haltung bedenken: »Wenn diese Diplomaten im Vatikan Zuflucht suchen, was ich nicht verhindern kann, werden sie weniger leicht durch die königlichen Behörden zu überwachen sein.« Dieses Argument dürfte bei Mussolini, der im Vatikan über zahlreiche Spione verfügte, keinen besonderen Eindruck gemacht haben. Attolico an Ciano, 30. Mai 1939 (Bericht über Papstaudienz am 29. Mai), Nr. 1565/692, ASDMAE, AISS, b. 152.

10  Mackensen an Auswärtiges Amt, 30. Mai 1940, und Mussolini an Hitler, 30. Mai 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 350, 356; Ciano 1946, S. 241–242 (Tagebucheintrag 30. Mai 1940); Phillips an Roosevelt, 31. Mai 1940, FDR Library, pfsa 401, S. 73–75. Wie der Botschafter es in einem Brief an Welles vom selben Tag formulierte, »ist Mussolini offenbar ganz hingerissen davon, was die Deutschen durch rohe Gewalt erreicht haben, und sieht für sich selbst einen leichten und billigen Sieg bevorstehen, ein Mittel zur Erhöhung seines eigenen Ansehens«. Phillips an Welles, FDR Library, psfa 401, S. 82–83. 11  Wie Phillips Präsident Roosevelt mitteilte, war Mussolini »zweifellos dem Cäsarenwahn verfallen, sein Imperium zu vergrößern, koste es, was es wolle«. Der Botschafter hielt Mussolinis Kriegsbegeisterung für umso erstaunlicher, als Deutschland einer Unterstützung durch Italien überhaupt nicht bedurfte. Phillips an Roosevelt, 31. Mai 1940, FDR Library, psfa 401, S. 73–77; Milza 2000, S. ­834–835.

Kapitel 15: Ein kurzer Krieg 1  Ciano an alle auswärtigen Diplomaten, 10. Juni 1940, DDI, Serie 9, Bd. 4, Nr. 842; Grandi 1985, S. 586; François-Poncet 1961, S. 178–179; Bottai 1989, S. 193 (Tagebucheintrag 10. Juni 1940). 2  De Felice 1981, S. 841–842. 3  Petacci 2011, S. 327 (Tagebucheintrag 10. Juni 1940); Grandi 1985, S. 588–589. 4  Roberts 2018, S. 553. Am 10. Juni informierte der französische Außenminister den päpstlichen Nuntius in Paris darüber, dass die französische Regierung die Hauptstadt noch am selben Tag verlassen wollte. Vier Tage darauf rückte die Wehrmacht in Paris ein. Einige Tage später schrieb der Nuntius an den Vatikan: »Gott sei Dank ist in Paris nun alles vorüber und ich bin wohlauf. Die Besetzung der

Stadt hat sich in der größten Ruhe und absolut korrekt vollzogen. Auch die Behörden haben mir jede denkbare Zusage gegeben. Der Kardinalerzbischof [von Paris] ist hiergeblieben, auch seine ganze Kurie und beinahe der gesamte Klerus.« Französischer Außenminister an Valeri, Paris, 10. Juni 1940, und Valeri an Ma­ glione, 20. Juni 1940 (übermittelt durch den Nuntius in Berlin), AAV, Nunz. Parigi, Nunziatura Valeri, b. 574, fasc. 368, ff. 1r, 12r. 5  Wenige Stunden vor Mussolinis Kriegserklärung hatte der Militärattaché an der amerikanischen Botschaft in Rom seine Einschätzung von Mussolinis Motiven nach Washington übermittelt: »Weil Italien auf einen langen Krieg überhaupt

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Anmerkungen nicht vorbereitet ist, darf man davon ausgehen, dass der Duce bei einem Kriegseintritt zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgeht, dass der Krieg binnen weniger Monate vorbei sein wird … Wenn seine Schätzung aber falsch ist und der Krieg lange andauert, wird Italien dies nach allgemeiner Auffassung nicht durchhalten können und ruiniert werden.« Colonel G. H. Paine, Rome, 10. Juni 1940, NARA, RG 165, 2062-716, 3, color 125. 6  Friedländer 1966, S. 54; Paxton 1972, S. 13–14. Obgleich Pius XII. nie Anstalten gemacht hat, Orsenigo zu ersetzen, deutet einiges darauf hin, dass er die Sorge seines Nuntius in Berlin, ja nichts zu tun, das Hitler verärgern könnte, seinerseits für übertrieben hielt. Der mahnende Unterton in einem Telegramm von Kardinal Maglione an Orsenigo vom 13. April 1940 ist unverkennbar: »Es ist der Wunsch des Heiligen Vaters, dass Eure Hochwürdigste Exzellenz sämtliche Berichte weiterleiten, welche die Bischöfe ihm zu senden wünschen, wie es ihr Recht und ihre Pflicht ist, und dass Eure Exzellenz die besagten Bischöfe daran weder hindern noch sie davon abzubringen suchen, da sie es für ihre Pflicht als Seelsorger ansehen, auf diese Weise Beschwerden und Proteste zu äußern, sobald die Rechte und Freiheiten der Kirche verletzt werden. Der Heilige Vater ist überzeugt, dass die Nuntiatur seine Anweisung genauestens befolgen wird.« ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte Extracta, Germania, posiz. 600, f. 5r. Dieselbe Akte enthält eine 1956 angefertigte Notiz von Monsignore Tardini, welche die Haltung des 1946 verstorbenen Orsenigo gegenüber dem Nationalsozialismus allzu »passiv« nennt und behauptet, Orsenigo sei »stets voller Zweifel und Misstrauen gegenüber dem Hochwürdigsten Kardinal Pacelli geblieben« (ff. 89v-90r). 7  Bei seinem Treffen mit dem neuen französischen Botschafter am Morgen des 11. Juni erzählte Maglione diesem von der Sache mit den Kirchenglocken, bevor er

ihn bat, auf seine Regierung einzuwirken, damit die Alliierten Rom nicht bombardierten, nachdem Italien nun den Krieg erklärt hatte. D’Ormesson an französisches Außenministerium, 11. Juni 1940, MAEC, Guerre Vichy, 461. 8  D’Ormesson an Außenministerium, Paris, 2. Juni 1940, MAEC, Papiers Duparc. Die Tatsache, dass die Rede des Papstes »kein einziges Wort der Warnung vor einem Kriegseintritt Italiens enthielt«, bemerkte der britische Gesandte im Vatikan, »ist ein offenkundiges Anzeichen dafür, dass er diese Entscheidung für unwiderruflich hält«. Osborne an Halifax, 4. Juni 1940, NAK, FO 380/48, Nr. 86. 9 »Pio XII, Padre dei popoli, invoca da Dio ›una pace giusta, onorevole e duratura‹«, AR, 4. Juni 1940, S. 1. Der italienische Botschafter, der Ciano eine Abschrift des Redetextes sandte, merkte an, dass der Papst jegliche Kommentare geflissentlich vermieden habe, die man in politischer Hinsicht als »polemisch« auffassen könne. Vielmehr habe Pius, wie Ciano erfuhr, Sympathie für die italienische Position erkennen lassen. Insbesondere verwies der Botschafter darauf, dass der Papst den Satz des heiligen Augustinus zitiert habe: Bellum geritur, ut pax acquiratur (Man führt Krieg, um den Frieden zu gewinnen). Dies, schrieb er, »erscheint mir in diesem Zusammenhang bedeutsam und dient beinahe als eine Brücke zwischen dem christlichen Friedensgedanken, den der Papst als Papst ja eigentlich predigen und herbeisehnen muss, und den realistischen, gegenwärtigen Notwendigkeiten des Krieges«. Attolico an Ciano, 2. Juni 1940, tel. 1602/710, ASDMAE, APSS, b. 48. 10  Guariglia an Ciano, 30. Mai 1940, tel. 3480, ASDMAE, APSS, b. 49; Gespräch Charles-Roux mit Guariglia, 19. Mai 1940, MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121; »Il nuovo Ambasciatore di Francia«, OR, 10. Juni 1940, S. 2; Chassard 2015, S. 11; Jahresbericht Osborne für 1940, Osborne

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Anmerkungen an Eden, 13. November 1941, NAK, R 10496/30/507, S. 7–8. 11  Bericht d’Ormessons über seine Papstaudienz vom 9. Juni, 11. Juni 1940, MAEC, Guerre Vichy, 544; Chassard 2015, S. 36–37. 12  Montini, 12. Juni 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 73r–74r. 13  Montini, 12. Juni 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, posiz. 63, ff. 78r–79v. 14  Die Anweisungen des Papstes wurden in einer handschriftlichen Notiz von Montini festgehalten, 12. Juni 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Stato Città Vaticano, b. 63, ff. 75r–76r. 15  Attolico an Ciano, 13. Juni 1940, Nr. 1752, ASDMAE, AISS, b. 113. 16  R. Manzini, »L’ora dell’Italia« und »Dovere«, AI, 11. Juni 1940, S. 1; »Il Card. Arcivescovo di Bologna invita il popolo alla preghiera«, AI, 12. Juni 1940, S. 2. 17  »La dichiarazione di guerra dell’Italia alla Francia e alla Gran Bretagna«, OR, 12. Juni 1940, S. 1; Visani 2007, S. 127; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 13. Juni 1940, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. 18  Im weiteren Verlauf des Krieges sollte ein anderer französischer Botschafter beim Heiligen Stuhl ebenfalls feststellen, dass der Papst keine Geduld mit Tisserant habe. Es bestehe eine fundamentale Unvereinbarkeit zwischen der römischen, empfindsamen, diplomatischen Natur des Papstes und dem »rauen Sohn Lothringens«. Als typischer Vertreter des Kardinalskollegiums kann schon eher ­Nicola Canali gelten, der ranghöchste jener drei Kardinäle, die mit der Verwaltung der Vatikanstadt betraut waren. Der britische Gesandte beschrieb ihn als »einen gefürchteten, ungeliebten Autokraten« und fügte hinzu: »Es heißt, er sei fromm und gerecht, er ist jedoch hartherzig und eigensinnig.« D’Ormesson suchte den korpulenten und streitbaren

Canali kurz nach seiner Ankunft in Rom auf. »Armes Italien!«, erwiderte der Kardinal auf die Beschwerde des Botschafters über Mussolini, jedoch wirkte er dabei völlig ungerührt. »Außerdem«, fügte d’Ormesson an, »sind Kardinal Canalis Sympathien für das faschistische Regime allbekannt.« D’Ormesson an französisches Außenministerium, 11. Juni 1940, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183; Fouilloux 2011, S. 292–93; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 13. Juni 1940, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183; Osborne an britisches Außenministerium, London, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM 1993, 1946; Chadwick 1986, S. 125; Chassard 2015, S. 62, 168; Attolico an italienisches Außenministerium, 9. Dezember 1940, ASDMAE, AISS, b. 164; Baudrillart 1998, S. 786 (Tagebucheintrag 10. Januar 1941). Zu den polizeilichen Bemühungen, Tisserant auf seinen Wegen durch Rom zu überwachen, siehe ACS, MIFP, serie B, b. 25. 19  Es überrascht vielleicht nicht, dass die deutschen Sicherheitsorgane Tisserants Brief abfingen und er schließlich auf dem Schreibtisch von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichsicherheitshauptamtes, landete. Heydrich wiederum sandte eine Kopie nach Rom, die der Chef der italienischen Polizei umgehend Mussolini vorlegte. Chenaux 2003, S. 250; Fouilloux 2011, S. 293–294; Divisione Polizia Politica, 6. Oktober 1940, Nr. 500.28246, ACS, MIFP, Serie B, b. 25. 20  Farinacci an Mussolini, 12. Juni 1940, ACS, MI, MAT, b. 263. Der Informant warnte noch vor einem weiteren französischen Prälaten im Vatikan, Monsignore René Fontenelle, den er als »französischen Spion« bezeichnete. Auch Fontenelle, meinte der Spitzel, verlasse die Vatikanstadt regelmäßig unbehelligt. Das faschistische Regime müsse dringend eine »extrem strenge Überwachung« außerhalb der Mauern des Vatikans auf die Beine stellen. »Das zu vernach­

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Anmerkungen lässigen«, bemerkte er, »könnte teuer zu stehen kommen!« 21  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 13. Juni 1940, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. Farinacci schrieb Mussolini (den er mit »Caro Presidente« anredete) auf seinem Briefpapier als Präsident der Legislativen Justizkommission der Camera dei Fasci e delle Corporazioni, datiert Rom, 12. Juni 1940, ACS, MI, MAT, b. 263. Dass Bocchini über Farinaccis Unterstellung, er mache seine Arbeit nicht richtig, keineswegs erfreut war, zeigt die sarkastische Notiz, die er unter den getippten Bericht des Informanten kritzelte: »Aber diese Weltretter denken wohl, wir schlafen!« 22  Der Aufruf Bischof Collis wurde in der Presse vielfach abgedruckt: »Il patriottico appello dell’ACI«, AR, 14. Juni 1940, S. 1; »Un nobilissimo appello del Direttore Generale dell’ACI«, L’Italia, 14. Juni 1940, S. 2; »Patriottico appello dell’ACI«, AI, 14. Juni 1940, S. 2; »Il clero italiano per la vittoria delle nostre armi«, PI, 14. Juni 1940. Der Brief von Piero Pani­ ghi, dem nationalen Vorsitzenden des katho­lischen Männerbundes, erschien unter dem Titel »I doveri verso la Patria in armi« sowohl in AR (23. Juni, S. 2) als auch in AI (25. Juni, S. 2) und wurde am 23. Juni von Attolicos Vatikanbotschaft auch dem Außenministerium zugesandt (ASDMAE, AISS, b. 164). Pater Giuseppe Borghino, der nationale Vizedirektor der Katholischen Aktion, schrieb an Montini mit der hochwillkommenen Nachricht, dass Alfieri (zu diesem Zeitpunkt noch italienischer Botschafter in Berlin) direkt an Monsignore Colli geschrieben habe, um ihm zu seinem öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des Krieges zu gratulieren. 6. Juli 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Associazioni Cattoliche, posiz. 96, ff. ­2r–4r. 23  »Sobald dies [der Krieg] erklärt war«, schrieb Attolico, »beeilten sich Episkopat und Klerus Italiens, unter den Ersten zu

sein, die die Gläubigen an ihre Pflicht erinnerten, dem Vaterland großzügig zu dienen, und ihrem Wunsch nach Italiens Sieg und größerem Glück Ausdruck zu geben. Alle Bischöfe ließen Instruktionen für das Verhalten der Gemeindepriester und anderen Geistlichen ergehen.« Auch der Bischof von La Spezia machte da keine Ausnahme, schnitt seine Botschaft jedoch auf die maritime Lage seines Bistums zu: »Italien, geführt von seinem allzeit siegreichen König-Kaiser und vom Duce, dem es seine gegenwärtige Größe verdankt, kämpft für die Freiheit seines Meeres.« Die Botschaft des Bischofs von Acqui an den Klerus und die Gläubigen seines Bistums erinnerte diese daran, dass der Duce seine Kriegserklärung mit der Parole »Sieg« beschlossen hatte – »um Italien, Europa und der Welt endlich eine lange Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit zu bescheren« – und auch der König vom »Sieg unserer glorreichen Armeen« gesprochen hatte, der sichergestellt werden müsse. Der Bischof schloss mit den Worten: »Gebe Gott, dass diese Wünsche, welche die Wünsche aller Italiener sind, erfüllt werden mögen!« Der Bericht der italienischen Botschaft vom 15. Juni 1940, der mehrere derartige Aufrufe seitens des italienischen Episkopats zusammenstellt, findet sich in ASDMAE, AISS, b. 164. 24  Botschafter Attolico sandte Ciano Zeitungsausschnitte über Gemellis Rede. Attolico an Ciano, 21. Juni 1940, Nr. 1838/814, ASDMAE, AISS, b. 164. Beispielhaft für die zahlreichen prominent platzierten Artikel in der katholischen und faschistischen Presse siehe »Patriottico appello di Padre Gemelli«, PI, 19. Juni 1940; »Un nobile appello di Padre Gemelli ai professori e studenti dell’Università Cattolica«, AI, 20. Juni 1940, S. 2; »Un nobile appello di Padre Gemelli«, L’Italia, 19. Juni 1940, S. 3.

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Anmerkungen Kapitel 16: Überwachung 1  Valeri, Bordeaux, an Maglione, 15. Juni 1940; Notiz Tardini, 18. Juni 1940; Maglione an Valeri, 18. Juni 1940, ADSS, Bd. 1, Nr. 344, 345, 346. Meine Darstellung der Militäroperationen basiert größtenteils auf Gooch 2020, S. 96–104. Canali 2021 untersucht die Verwirrung, die in den ersten Kriegstagen unter den führenden italienischen Generälen herrschte, im Licht von General Rodolfo Grazianis Tagebuchaufzeichnungen. 2  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 23. Juni 1940, Nr. 484, MAEC, Guerre Vichy, 461. 3  Gesprächsprotokoll Hitler–Mussolini, München, 18. Juni 1940, ADAP, Serie D, Bd. 9, Nr. 479; Goeschel 2019, S. 223–224. 4  Di Rienzo 2018, S. 330; Phillips 1952, S. 283–284; »Elenco delle vittime dell’incursione aerea su Palermo«, PI, 27. Juni 1940, S. 3. 5  D’Ormesson an französischen Außenminister, 11. Juni 1940, MAEC, Guerre Vichy, 461. Als er diese Neuigkeit an den italienischen Botschafter weiterleitete, teilte Kardinal Maglione ihm auch mit, dass der Papst seinen Appell wiederholen werde, dass jedoch auf keinen Fall der Eindruck entstehen solle, dass diese Bitte in Absprache mit der italienischen Regierung erfolge. Stattdessen, so Maglione, solle die Initiative »auch weiterhin voll und ganz als eine Initiative des Vatikans erscheinen«. Attolico an Ciano, 11. Juni and 18, 1940, tel. 2837, ASDMAE, Gab., b. 1192, UC-76, fasc. 1. Unterstreichung im Original. Siehe auch Osbornes Jahresbericht nach London für 1940, NAK, Osborne an Eden, 13. November 1941, NAK, R 10496/30/507, S. 4–5. 6  »Mit dieser jüngsten, allerhöchsten Kundgebung des Summus Pontifex«, schloss der Botschafter seine Wiedergabe der päpstlichen Worte, »kann man den Vatikan als – in patriotischer und nationaler Hinsicht – vollkommen auf Linie

befindlich betrachten.« Attolico an Ciano, 21. Juni 1940, Nr. 1838/814, ASDMAE, AISS, b. 164. 7  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 23. Juni 1940, MAEC, ­Guerre Vichy, 461; Chassard 2015, S. 45. 8  Osbornes Jahresbericht für 1940, ­Osborne an Eden, 13. November 1941, NAK, R 10496/30/507, S. 1. 9  Eine Reihe von Dokumenten aus dem vatikanischen Staatssekretariat, die sich mit der päpstlichen Initiative befassen, befinden sich in ADSS, Bd. 1, Nr. 366– 378; Halifax an Osborne, 3. Juli 1940, NAK, FO 380/61, Nr. 62, 87/6/40; Conway 1973, S. 167; Monsignore William Godfrey an Halifax, n.d., Osborne an Eden, 13. November 1941, NAK, R 10496/30/507, S. 3–4. Zu Osbornes Darstellung seiner langen Diskussion mit dem Papst am 1. Juli über dessen Aufruf zu einer Friedenskonferenz siehe NAK, FO 380/46, und seinen Jahresbericht für 1940, Osborne an Eden, 13. November 1941, NAK, R 10496/30/507, S. 4. 10  Gooch 2020, S. 104–107. 11  Chadwick (1986, S. 137) weist hierauf hin. 12  Italienische Botschaft an Heiligen Stuhl, Memorandum 1. Juli 1940, ­A SDMAE, AISS, b. 164. Der Aufruf Gemellis wurde von der italienischen Botschaft ebenfalls am 1. Juli an das Außenministerium gesandt und befindet sich in derselben Akte. 13  Attolico berichtete über den Artikel in der Civiltà Cattolica in einem Brief an Ciano vom 1. Juli 1940, Nr. 1935/862, ­A SDMAE, AISS, b. 164. Beispielhaft für die darauffolgenden Leitartikel in der katholischen Tagespresse: »Una nazione in guerra«, AR, 3. Juli 1940, S. 1; »La nazione in Guerra. Una nota della Civiltà Catto­ lica«, AI, 3. Juli 1940, S. 1. [Die Übersetzung des Augustinus-­Zitats stammt von Adolf von Harnack, Augustin. Refle­

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Anmerkungen xionen und Maximen, Tübingen 1922, S. 168; Anm. d. Übers.] 14  Nota del Commissario di Borgo al Questore di Roma, 3. Juli 1940, ACS, DAGRA, A5G, IIGM, b. 29. 15  Attolico an Ciano, 2. Juli 1940, Nr. 1943/877, ASDMAE, AISS, b. 194. 16  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 9. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 555. 17  D’Ormessons Abschlussbericht, 28. Oktober 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550; Bérard an Pétain, 2. Februar 1942, MAEC, Guerre Vichy, 551. 18  Osborne an Halifax, 17. Juli 1940, NAK, FO 371, 24962, 42–44. 19  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 9. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 553. 20  Bastianini 2005, S. 286; Ciano 1946, S. 256–257 (Tagebucheinträge 5.–10. Juli 1940). 21  Erneut zu diesem Thema berichtete d’Ormesson Anfang August, der Papst könne nicht begreifen, wie die Franzosen vor dem deutschen Überfall derart schnell hatten die Waffen strecken können, und sei überzeugt, sie hätten auf dem Fuß kehrtgemacht und die Flucht ergriffen. »Im Grunde«, schrieb der französische Botschafter, »betrachten sie uns als eine Nation, die unendlich viel kranker ist, als selbst unsere schlimmsten Feinde annehmen.« D’Ormesson an Charles-Roux, 1. August 1940, MAEC, Guerre Vichy, 551. 22  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 14. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 547; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 18. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 553. 23  Informativa da Roma, 7. Juli 1940, ACS, MCPG, b. 164. 24  Weil man im Vatikan wusste, dass die in der Vatikanstadt untergebrachten Diplomaten aus Feindstaaten inzwischen mit größtem Misstrauen betrachtet wurden, wurde vor ihrer Unterkunft ein Posten

der Vatikanpolizei aufgestellt. Der französische Botschafter war überzeugt, dass dieser Posten alle Bewegungen und Besucher unverzüglich an die italienische Polizei meldete. Außerdem hatte der Vatikan begonnen, die Korrespondenz der Diplomaten zu zensieren. Die vatikanischen Behörden, erklärte d’Ormesson seinen Vorgesetzten in Frankreich, taten, was sie konnten, um die italienische Obrigkeit nicht zu verärgern. D’Ormesson an französisches Außenministerium, 21. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 24. Juli 1940, MAEC, Guerre Vichy, 547. 25  Außerdem hob der Botschafter hervor, dass »das [Presse-]Organ des Heiligen Stuhls Pater Gemellis Aktion publik macht und in gewisser Weise auch lobt«. Attolico an Ciano, 24. Juli 1940, Nr. 2147/968, ASDMAE, AISS, b. 113. Den italienischen Botschafter dürfte weiter erfreut haben, dass der Osservatore Romano drei Tage später eine Meldung veröffentlichte, die am Tag zuvor schon in Mussolinis Zeitung gestanden hatte: Der Erzbischof von Mailand hatte einen Warteraum besucht, den die Faschistische Partei im Mailänder Bahnhof für durchreisende Soldaten eingerichtet hatte. »Der Kardinal«, hieß es in dem Bericht des Os­ servatore Romano, »wurde vom Generalsekretär [der Faschistischen Partei] empfangen, … von der Vertreterin des faschistischen Frauenbundes …, einer Gruppe von Faschistinnen sowie zahlreichen Offizieren der italienischen Armee.« Der Erzbischof seinerseits hatte Gebetbücher an die Soldaten verteilt und jedem ein religiöses Medaillon geschenkt. »Il Cardinale Schuster visita il posto di ristoro per i soldati«, OR, 27. Juli 1940, S. 4; »Il Cardinale fra i militari del posto di ristoro alla Stazione Centrale«, PI, 26. Juli 1940, S. 2. 26  Attolico an Bocchini, 28. Juni 1940, und Bocchini an Attolico, 3. Juli 1940,

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Anmerkungen ACS, DAGR, A5G, IIGM, b. 72; De Felice 1996a, S. 464–466. Attolico drängte um diese Zeit auch Ciano, er müsse sicherstellen, dass die Polizei sämtliche Bewegungen des Chefredakteurs des Osser­ vatore Romano, Giuseppe Dalla Torre, genau im Auge behielt. Wie Attolico berichtete, hatte Dalla Torre sich wiederholt mit dem britischen Gesandten D’Arcy ­Osborne getroffen. Attolico an Ciano, 30. Juli 1940, tel. 2201/996, ASDMAE, AISS, b. 194. 27  Montini an Dalla Torre, 19. August 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Pubblicazioni, posiz. 730, f. 5r. Dalla Torres Anweisung für seine Redaktion findet sich auf f. 3r. 28  In seinem Bericht an das französische Außenministerium vom 12. August lie-

ferte d’Ormesson eine ganz ähnliche Einschätzung von der Denkweise des Papstes (MAEC, Guerre Vichy, 549). Zu den Angriffen der deutschen Luftwaffe auf britische Städte siehe Rauscher 2001, S. 408– 409; Roberts 2018, S. 588. Ebenfalls noch im August flogen die Briten erste Luftangriffe auf Deutschland, beginnend mit Berlin am 25. August. Herbert 2014, S. 423. 29  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 23. August 1940, MAEC, ­Guerre Vichy, 553; d’Ormesson an den französischen Außenminister Baudouin, MAEC, Guerre Vichy, 545. Auslassungen im Original. 30  L.M., »Il Nuovo ordine europeo«, L’Italia, 28. August 1940, S. 1.

Kapitel 17: Der nichtsnutzige Verbündete 1  Der Text der Papstrede wurde auf der Titelseite der römischen L’Avvenire veröffentlicht: »L’Apostolica orazione di S.S. Pio XII«, AR, 5. September 1940, und ebenso ganz vorne im Osservatore Ro­ mano vom selben Tag: »Luminose e fondamentali direttive del Sommo Pontefice Pio XII ai collaboratori dell’Apostolato Gerarchico per il trionfo del Regno di Cristo.« Noch am selben Tag meldete Attolico voller Begeisterung an Ciano, was der Papst gesagt hatte. Die faschistische Presse schloss sich dem Lob an und druckte Auszüge aus dem Redetext. Sogar Farinacci äußerte sich lobend über die Rede, tadelte den Papst jedoch dafür, dass er es versäumt hatte, den »antijüdischen Kampf« zu erwähnen. Als der französische Botschafter sich im Vatikan über die Instrumentalisierung der päpstlichen Äußerungen durch die faschistische Presse beschwerte, entgegnete ein entrüsteter Monsignore Tardini ihm, dass der Papst doch lediglich altbekannte Lehrmei­nungen der katholischen Kirche wiederholt habe. Es überrascht nicht,

dass diese Rechtfertigung in Großbritannien, das gerade unter schwerem Bombenbeschuss stand, nur auf wenig Verständnis stieß. Die britische Presse berichtete offen feindselig und titelte etwa: »Pope’s Advice to Catholics: Die for Country.« Attolico an Ciano, 4. September 1940, tel. 2206/1134, ASDMAE, APSS, b. 48; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 7. September 1940, MAEC, Guerre Vichy, 559; ­Rober­to Farinacci, »Verrà giorno …«, RF, 6. September 1940, S. 1; Roberts 2018, S. 592; d’Ormesson an französisches Außenministerium, 7. September 1940, MAEC, Guerre Vichy, 461. Auf einem maschinenschriftlichen Bericht aus dem Londoner Außenminis­terium über die Rede des Papstes findet sich folgender handschriftlicher Vermerk eines Beamten: »Der Vatikan ist letzten Endes nicht international, sondern italienisch.« NAK, FO 371, 24962[A]. Renato Moro (1988, S. 79–80), ein bedeutender italienischer Historiker auf dem Forschungsfeld der Beziehungen

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Anmerkungen zwischen Staat und Kirche im 20. Jahrhundert, hat die Bedeutung dieser Rede darin gesehen, dass sie einen neuen Modus Vivendi zwischen dem faschistischen Regime und den italienischen Katholiken eingeläutet habe. 2 Appunto, DGPS, per il gabinetto, ministro dell’Interno, 10. September 1940, Nr. 500.25231, ACS, MI, MAT, b. 205; »L’Apostolica orazione di S.S. Pio XII sulla missione religiosa, civile e nazionale dell’Azione Cattolica Italiana«, AR, 5. ­September 1940, S. 1. 3  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 13. September 1940, MAEC, Guerre Vichy, 553. 4  Osborne an britisches Außenministerium, London, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM, 1993, 1946. 5  Fogarty 1996, S. 558–559; Spellman an Roosevelt, 21. März 1940, FDR Library, psfc 117, S. 13–14, Presseausschnitte S. 16–23. Spellman hatte schon lange freundschaftliche Beziehungen zu Mussolinis Regime unterhalten, was Farinaccis Angriff aus vatikanischer Sicht desto ungerechtfertigter erscheinen ließ. Tatsächlich hatte die italienische Regierung Spellman 1937 eine besondere Ehre zuteilwerden lassen, indem sie ihn zum Großoffizier des Ordens der Krone von Italien ernannt hatte. G. Segre, italienischer Konsul in Boston, an den italienischen Botschafter in Washington, D.C., 11. August 1936 und 31. März 1937, Nr. 10, ASDMAE, AISS, b. 1993. 6 »Cinematografia«, RF, 24. September 1940, S. 1. Spellman war außerdem der erste Erzbischof von New York gewesen, der vor italienischen Einwan­ derern in der Kathedrale St. Patrick’s in ihrer Muttersprache gepredigt hatte. Jetzt jedoch, nachdem Mussolini beschlossen hatte, sich rückhaltlos an die Seite Hitlers zu stellen, ließ Spellmans frühere Sympathie für das faschistische Regime – ebenso wie das Wohlwollen vieler anderer Vertreter der amerikanischen

Kirchenhierarchie – rapide nach. Wie jedoch der italienische Botschafter in ­Washington anmerkte, gab es immer noch gewisse profaschistische und dazu sehr viel ausgeprägtere antibritische Strömungen in der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten, deren Klerus nämlich irisch dominiert wurde. Tatsächlich war auch Spellman selbst der Sohn irischer Einwanderer. Die irischen Amerikaner seien keine Freunde der Briten, schrieb der Botschafter, »sie sind in der Mehrzahl Isolationisten und wenig empfänglich für antitotalitäre Strömungen«. Die Angriffe auf Spellman, mahnte er, seien kontraproduktiv, riefen »bei dem Teil des katholischen Klerus, der uns gewogen ist, einen äußerst schmerzhaften Eindruck hervor und … werden von denjenigen Elementen des Klerus, die uns feindlich gegenüberstehen, zu unserem Nachteil ausgenutzt«. Der Originalbericht des Botschafters an das italienische Außenministerium mit Datum vom 8. September 1940 sowie seine Wiedergabe in einer Nachricht des Außenministeriums an das Ministerium für Volkskultur finden sich beide in ­A SDMAE, APSS, b. 49. Für ein extremes Beispiel nazifreundlicher Strömungen in der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten zur damaligen Zeit siehe Gallagher 2021. 7  Dieses Telegramm mit Datum vom 25. September 1940 in ACS, PCM ­1940–43, Nr. 1783/2.5, b. 2936, F2–5. 8  Attolico an Ciano, 23. September 1940, Nr. 2686, ASDMAE, AISS, b. 113. Beigelegt war der Ausschnitt eines Artikels aus dem Popolo di Roma vom 21. September mit dem Titel »Civiltà francese«. 9  Attolico an Ciano, 28. September 1940, Nr. 2805, ASDMAE, AISS, b. 113. 10  A. Brucculeri, »Verso l’ordine nuovo«, CC, 91 II, Quaderno 2166 (21. September 1940), S. 401–413; Attolico an Ciano, 7. Oktober 1940, Nr. 2889/1329, ­A SDMAE, AISS, b. 164.

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Anmerkungen 11  r.m. [Raimondo Manzini], »Giovane Europa«, AI, 11. Oktober 1940, S. 1; r.m., »Volti del tempo«, AI, 27. Oktober 1940, S. 1. Die Bedeutung der katholischen Tagespresse Italiens für die öffentliche Unterstützung des Krieges analysieren Kertzer und Benedetti 2020. 12  Memorandum Weizsäcker, Berlin, 30. September 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 135; De Felice 1996a, S. 189– 190; Ciano 1946, S. 226 (Tagebucheinträge 17. und 18. Oktober 1940). Cianos Drängen, in Griechenland einzumarschieren, ist auch aus den Berichten des deutschen Botschafters Mackensen aus derselben Zeit bekannt: Mackensen an Auswärtiges Amt, Berlin, 18. Oktober 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 191, und Bastianini 2005, S. 287. 13  Auch Metaxas galt zu dieser Zeit nicht als ein Freund der katholischen Kirche. Seitdem er sein »totalitäres Regime« errichtet hatte, meldete der Generalvater des Kapuzinerordens aus Athen in den Vatikan, habe Metaxas, dem man zuvor

eine wohlwollende Haltung der Kirche gegenüber nachgesagt hatte, sich »vollkommen verändert«. Jetzt, da er Diktator geworden war, bedurfte sein Regime der Unterstützung der griechisch-orthodoxen Kirche. Der orthodoxe Metropolit von Athen, den der Generalvater »unseren Feind« nennt, sei zusammen mit seinem Vorgänger für »all die antikatholischen Gesetze« verantwortlich, die von der griechischen Regierung in der letzten Zeit erlassen worden seien. Bericht von Bruder Riccardo, 22. März 1941, ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte 1, Grecia, posiz. 45, ff. 12r–25r. 14  Ciano 1946, S. 281 (Tagebucheintrag 24. Oktober 1940); Pirelli 1984, S. 280 (­Ta­ge­bucheintrag 25.  Oktober  1940);  Bis­ marck, Geschäftsträger, an Auswärtiges Amt, 27. Oktober 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 242; Gesprächsprotokoll Hitler– Mussolini, 28. Oktober 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 246; Corvaja 2008, S. 142–144.

Kapitel 18: Das griechische Fiasko 1  Gedeon 1997; Morris 2015. 2  Hitler an Mussolini, 20. November 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 369; Mussolini an Hitler, 22. November 1940, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 383. 3  Kardinal Maglione äußerte gegenüber dem französischen Geschäftsträger, dass man dem militärischen Debakel der Italiener auch eine positive Seite abgewinnen könne: »Wenn man in Zeiten wie diesen das Kriegshandwerk nicht beherrscht«, meinte er, »ist das vielleicht ein Zeichen von Zivilisation.« Diese Bemerkung findet sich in einem Memorandum des französischen Diplomaten mit Datum vom 22. November 1940, das jedoch von der italienischen Zensur abgefangen wurde. ACS, MI, MAT, b. 263. 4  De Felice 1996a, S. 308–309; 1966b, S. 728; Goeschel 2019, S. 235.

5  D’Ormesson, Abschlussbericht, 28.  Okto­ber 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550. 6  Corvaja 2008, S. 142–145. 7  D’Ormesson an französisches Außenministerium, 30. Oktober 1940, MAEC, Guerre Vichy, 551; Attolico an Ciano, 30. Oktober 1940, Nr. 3117/1419, ­ASDMAE, AISS, b. 164. Ansprache und Segen des Papstes für die italienischen Soldaten am Tag nach dem Angriff auf Griechenland riefen Proteste Großbritanniens und Australiens hervor. Ma­ glione an den Apostolischen Legaten Panico, Sydney, 6. November 1940; und Maglione an den Apostolischen Legaten Godfrey, London, 19. November 1940, ADSS, Bd. 4, Nr. 152, 171. 8  Eine Kopie des Memorandums von Kazi­mierz Papée an Kardinal Maglione,

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Anmerkungen datiert vom 8. November 1940, wurde am 23. November an Myron Taylor übersandt, der den Text wiederum am 4. Febru­ar 1941 an Präsident Roosevelt weiterleitete. FDR Library, psfa 394, S. 21–29. Auch die Briten drängten den Papst auf ähnliche Weise, seine Stimme zu erheben. »Es steht außer Zweifel«, heißt es in einem Memorandum des britischen Gesandten im Vatikan, »dass die Nazis ganz bewusst eine Kampagne durchführen, mit der sie die Katholiken in den besetzten Gebieten, aber auch im eigenen Land, glauben machen wollen, es werde gerade eine neue Übereinkunft zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich ausgehandelt und die neue Ordnung der Achsenmächte werde jene Bedingungen erfüllen, die der Papst als unabdingbar für die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens benannt hat«. Dann klagte Osborne: »Leider muss man feststellen, dass nur wenige prominente Katholiken in den besetzten Gebieten sich besonders hervorgetan haben, weder im Kampf gegen die nationalsozialistische Doktrin noch in der Unterstützung des Freiheitskampfes gegen diese brutale ­Aggression.« 14. November 1940, ADSS, Bd. 4, Nr. 165. Auf das Drängen der Verantwortlichen in London hin kehrte ­Osborne Ende November in den Vatikan zurück, um den Papst zu einer Stel­lung­ nahme gegen den deutschen Luftkrieg gegen die britische Zivilbevölkerung aufzufordern, der in London und anderen Städten des Landes Tag für Tag zahlreiche Todesopfer forderte. »Ich habe in der Sache deutliche Worte gebraucht«, melde­te er an das britische Außenministerium, »bin jedoch nicht sehr zuversichtlich, was das Ergebnis angeht.« Osborne an Halifax, 21. November 1940, Nr. 50, NAK, FO 380/61. 9  Da sie nun alle über die inspirierenden Worte des Papstes nachdächten, meinte der Bischof, sollten sie voller Stolz auch der vielen Mitglieder der Katholischen

Aktion gedenken, die in den Kriegen in Äthiopien und Spanien ihr Leben gelassen hatten, bei der Eroberung Albaniens und in dem gegenwärtigen Krieg. Jeder von ihnen habe den patriotischen Aufruf des Papstes mit ihrem eigenen enthusiastischen (und faschistischen) Ruf »Presente!« beantwortet. Attolico an italienisches Außenministerium, PCM, und PNF, 21. November 1940, tel. 14/00670/c, ACS, PCM 1940–43, b. 2936, F2–5. Sowohl in der faschistischen als auch in der katholischen Presse fand die Veran­ staltung große Beachtung: »L’udienza del Papa a circa 5000 Giovani cattolici«, PI, 11. November 1940, S. 3; »La parola di Pio XII ai giovani d’Italia« and »S.E. Monsignore Colli esalta nella Basilica Vaticana le glorie religiose e nazionali dei Giovani Cattolici d’Italia«, AR, 12. November 1940, S. 1–2. 10  »Le solenni onoranze funebri alla Salma del Capo della Polizia Italiana«, AR, 22. November 1940, S. 4. 11  »L’omelia di Sua Santità«, OR, 25. ­November 1940, S. 1. 12  Attolico an Ciano, 24. November 1940, tel. 136, ASDMAE, AISS, b. 194; die am 26. November an Mussolini übersandte Abschrift, tel. 000671, in ­A SDMAE, APSS, b. 48. »La Messa papale in suffragio dei caduti in guerra«, PI, 25. November 1940, S. 3; »Pio XII celebra in San Pietro una Messa per i caduti in guerra«, RF, 26. November 1940, S. 2. 13  Osborne an Halifax, 30. November 1940, mit einer englischen Übersetzung der Papstrede vom 24. November, NAK, FO 371, 24962.

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Anmerkungen Kapitel 19: Eine neue Weltordnung 1  Sarfatti 2006, S. 138–141; Impagliazzo 1997. Zu den Auswirkungen der Rassengesetze auf jüdische Kinder in Italien siehe Maida 2013. 2  »L’allontanamento degli ebrei«, OR, 17. März 1939, S. 6; »La cancellazione dagli albi dei professionisti considerati di razza ebraica«, OR, 2. März 1940, S. 4. 3  Sarfatti 2006, S. 141–143; Capogreco 2004. 4  Bereits am 21. Juni 1940 berichtete Phillips dem US-Außenministerium davon, dass in Italien ausländische Juden in Konzentrationslagern inhaftiert wurden. NARA, RG 84, box 74, Phillips Correspondence 1940, 840.1, S. 44. Zur Mischehe siehe Kardinal Lauri an Montini, 20. August 1940, und Monsignore Lombardi, handschriftliche Notizen vom 23. August 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Varie, posiz. 1120, ff. 5r–8r. Siehe auch Dell’Era 2018. 5  Die Originaldokumente finden sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte Aste­ risco, Serie Stati Ecclesiastici, posiz. 575*, ff. 732–50. Hervorhebung im Original. Der Abdruck des (bearbeiteten) Dokuments erfolgte in ADSS, Bd. 6, Nr. 341. Die Editoren haben aus ihrer Textfassung auch Tardinis maschinenschriftliche Anmerkung entfernt, wonach das Geschenk von »reichen amerikanischen Juden« gekommen sei. 6  Attolico an Alessandro Pavolini, 26. November 1940, ASDMAE, AISS, b. 116. 7  Um nur einige solche Artikel zu nennen, die im Dezember in Il Regime Fascis­ ­ta abgedruckt wurden: »Pio Nono per il razzismo fascista«, RF, 5. Dezember 1940, S. 3; »La Chiesa cattolica contro i Giudei«, RF, 8. Dezember 1940, S. 3. Wie zuletzt Semelein (2018, S. 200) mit Bezug auf die unter Pétain eingeführten antijüdischen Gesetze in Frankreich bemerkt hat: »Die katholische Hierarchie hat den Status der

Juden als Bürger zweiter Klasse im Großen und Ganzen akzeptiert.« Näheres zur Instrumentalisierung kirchlicher Autoritäten für die antisemitische Propaganda sowohl durch die faschistische als auch durch die katholische Presse bei Kertzer und Mokosch 2019, 2020, sowie Kertzer und Benedetti 2021. Zu La Croix siehe Cointet 1998, S. 187–188. Zur Reaktion der französischen Katholiken auf die neuen antijüdischen Gesetze siehe auch Bernay 2012, S. 149–150; Duquesne 1966, S. 265–269; und Paxton 1972, S. 174. Allgemein zu den Reaktionen in Frankreich siehe Marrus und Paxton 2019. 8  Goeschel 2019, S. 236–239; Di Rienzo 2018, S. 345; Ciano 1946, S. 293, 296 (Tagebucheinträge 4. und 11. Dezember 1940). 9  Der Bericht des amerikanischen Militärattachés vom 16. Dezember findet sich in NARA, RG 165, 2062, 5–6, color 125. 10  »Text of Prime Minister Winston Churchill’s speech to the Italian People, December 23rd, 1940«, https://www. churchillbookcollector.com/pages/ books/­000462/winston-s-churchill/textof-prime-minister-winston-churchillsspeech-to-the-italian-people-december23rd-1940. 11  Informativa Città del Vaticano, 28. Dezember 1940, ACS, SPD, CR, b. 324. 12  Ein Entwurf der päpstlichen Weihnachtsansprache, der auch Pius’ Änderungen gegenüber der früheren Fassung erkennen lässt, findet sich in AAV, Carte Pio XII, Discorsi, b. 3, 1940, fasc. 38, ff. 1r–15r. [Die deutschen Zitate sind entnommen aus: Zur Neuordnung im Staatsund Völkerleben. Ansprachen Papst Pius XII., hg. v. Hermann Schäufele, Waibstadt 1946, S. 18–27; Anm. d. Übers.] 13  Attolico an Ciano, 24. Dezember 1940, Nr. 3699/1646, ASDMAE, AISS, b. 194; Informativa, Città del Vaticano,

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Anmerkungen 28.  Dezem­ber  1940, ACS, SPD, CR, b. 324 (Hervorhebung im Original). Der Redetext und die innerkirchliche Berichterstattung über die Rede finden sich in ISACEM, Bolletino 19, n.1 (1941), S. 1–9; »Il Sommo Pontefice nell’auspicio e nella visione di una pace giusta e duratura«, OR, 25. Dezember 1940, S. 1–2. Die Berichterstattung in Mussolinis Zeitung: »Discorso di Pio XII al Collegio cardinalizio«, PI, 25. November 1940, S. 6.

14  Einiges an biografischen Hintergrundinformationen liefert Chassard 2015, S. 11–19, 99–101. 15  Bérard an französisches Außenministerium, 9. Dezember 1940, MAEC, Guerre Vichy, 544; Bérard an französisches Außenministerium, 24. Dezember 1940, MAEC, Guerre Vichy, 551. 16  Attolico an Ciano, 28. Dezember 1940, Nr. 147, ASDMAE, AISS, b. 164. 17  Borgongini an Maglione, 31. Dezember 1940, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 18, fasc. 4, ff. 82r–85r.

Kapitel 20: Hitler, der Retter 1  Bericht von General Rintelen an das Oberkommando der Wehrmacht, 2. ­Janu­ar  1941, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 597; Bosworth 2002, S. 376; Bericht des US-Konsuls in Palermo, 19. Februar 1941, NARA, RG 165, 2062–72, color 126, 9. 2  Harvey 1985. 3  Am besten wäre es, entschied der Papst, wenn man eine entsprechende Botschaft von Evasio Colli übermitteln ließe, dem Bischof an der Spitze der Katholischen Aktion, dessen patriotische Kundgebung zu Beginn des Krieges die Regierung Mussolini so geschätzt hatte. Am 9. Januar 1941 veröffentlichte Monsignore Colli also einen neuen Appell: »Wenn es eine Situation gibt, in welcher ein jeder Katholik, der dieses Namens würdig ist, das Evangelium ehren und sich als ein loyaler, mustergültiger Bürger betragen muss, welcher der Obrigkeit gehorcht … dann ist es die gegenwärtige.« Mit einer Mischung aus faschistischen und katholischen Schlagworten fuhr Colli fort: »Die Katholiken, für die Gehorsam, Hingabe und Opfer transzendente Werte sind, dürfen sich dabei von niemandem übertreffen lassen.« Der Appell des Bischofs wurde im Osservatore Romano sowie der katholischen Tageszeitung von Rom abgedruckt. Attolico an Ciano, 8. Januar

1941, tel. 78/25, ASDMAE, APSS, b. 55; Monsignore Colli, »Comunicati per la ­Patria nell’ora presente«, 9. Januar 1940, in ISACEM, Bollettino 19, Nr. 2 (19. Februar 1941); »Un indirizzo di Monsignore Colli all’Azione Cattolica Italiana«, OR, 13. Januar 1941, S. 2. Die katholische Tageszeitung Roms betitelte Collis Rede durchaus passend: »Die italienische Katholische Aktion für das Vaterland in Waffen«. In einem Kommentar unmittelbar unter dem Redetext lobte der Chefredakteur die Worte des »großen Bischofs« für ihre »Klarheit der katholischen Doktrin und Praxis«. Indem er die faschistische Sache in ein päpstliches Mäntelchen kleidete, schloss er: »Noch heute ist Rom der Sitz des Nachfolgers Petri, in dem Christus seine Romanità verewigt hat. Im Zeichen des Kreuzes, das stets den Himmel über Rom beherrscht, werden wir sicher triumphieren. Mit der Parole ›Bete und arbeite!‹ wollen wir uns fest entschlossen des Sieges würdig erweisen.« »L’Azione Cattolica Italiana per la Patria in armi«, AR, 11. Januar 1941, S. 1. 4  Wie gewöhnlich beendete der Erzbischof seinen Appell, indem er die faschistische Sache mit Gottes eigener gleichsetzte: »Auf dieser Straße … marschiert unser großartiges Heer, und mit den Soldaten marschiert das italienische

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Anmerkungen Volk, fest in seiner Entschlossenheit, fest im Glauben, voller Gottvertrauen. Dies ist der Pfad, der zum Sieg führt!« R.m. [Raimondo Manzini], »L’alta visione«, AI, 15. Januar 1941, S. 1; »Un alto mes­ saggio dell’Ordinario militare ai Cappellani delle Forze Armate«, AR, 15. Januar 1941, S. 1. Am 11. Januar 1941 beschwerte sich der polnische Botschafter beim Heiligen Stuhl über eine in der Presse verbreitete Äußerung Bischof ­Collis, wonach die jüngsten Gebetsinitiativen der italienischen Kirche zugunsten eines Achsensieges den Segen des Papstes hätten. Dies führte zu einem längeren Schriftaustausch innerhalb des vatikanischen Staatssekretariats, der in den Rat an Bischof Colli (und Erzbischof Bartolomasi) mündete, sich in diesen Dingen künftig nicht auf den Papst zu berufen. AAV, Segr. Stato, 1941, Associazioni Cattoliche, posiz. 5, ff. 1r–8v. 5  Borgongini an Maglione, 17. Januar 1941, ADSS, Bd. 4, Nr. 237. 6  Informativa, Città del Vaticano, 5. Januar 1941, ACS, SPD, CR, b. 324; Bericht des US-Militärattachés, Rom, 18. Januar 1941, NARA, RG 165, 2062-716, color 125, 8–9; Bismarck an Auswärtiges Amt, 29. Januar 1941, ADAP, Serie D, Bd. 11, Nr. 731. 7  Agostino Gemelli, »Per una grande manifestazione di Fede«, AI, 22. Januar 1941, S. 2; R. Manzini, »Fede di un Popolo«, AI, 2. Februar 1941, S. 1; »Solenni funzioni nelle Chiese d’Italia per la vittoria e per la consacrazione del popolo al S. Cuore«, AR, 4. Februar 1941, S. 2. Eine Woche darauf kam die Zeitung nochmal auf den großen Erfolg dieser Veranstaltung zu sprechen und zitierte aus verschiedenen Briefen von Gemeindepfarrern, wonach so viele Gläubige teilgenommen hatten wie sonst nur zur Ostermesse. Ein begeisterter Pfarrer meldete, dass von seinen 1500 Gemein­ demitgliedern ganze 1300 bei der Zeremonie die heilige Kommunion empfan-

gen hatten. »I trionfi della Fede nella giornata propiziatoria«, AR, 11. Februar 1941, S. 3. Man würde vielleicht nicht erwarten, dass der Papst sich derart exponierte, ganz offiziell einer Messe seinen Segen zu geben, die den Krieg der Achsenmächte im Namen des Heiligsten Herzens Jesu verherrlichte. Und obwohl zwei verschiedene Quellen genau dies behaup­ teten und auch die katholische Presse die Sache so darstellte, legen die vom Vati­kan veröffentlichten Dokumente tatsächlich eher nahe, dass der Papst das Ansinnen abgelehnt hatte. Einer von Monsignore Montini Ende Januar verfassten Notiz zufolge hatte der Papst Gemellis Bitte, der Veranstaltung seinen apostolischen Segen zu geben, jedenfalls abgeschlagen. Notiz Montini, 28. Januar 1941, ADSS, Bd. 4, Nr. 247. 8  Tranfaglia 2005, S. 155, 344; Informativa dalla Città del Vaticano, 14. Februar 1941, ACS, SPD, CR, b. 325. 9  Phillips an Roosevelt, 24. Februar 1941, FDR Library, psfa 401, S. 98–99; Bericht des US-Militärattachés, Rom, 25. Februar 1941, NARA, RG 165, 2062-718, color 125, 15; Informativa dalla Città del Vaticano, 14. Februar 1941, ACS, SPD, CR, b. 325. De Felice (1996b, S. 732–743) kommt zu dem ähnlichen Schluss, dass die öffentliche Stimmung in Italien sich Ende Februar zu verbessern begann und die meisten Leute glaubten, der Krieg werde bis September mit einem Sieg der Achsenmächte enden. 10  Bérard an französisches Außenministerium, 4. März 1941, MAEC, ­Guerre Vichy, 551; Attolico an Ciano, 27. Februar 1941, Nr. 640/298, ASDMAE, AISS, b. 193. 11  Anwesend war auch der nationale Präsident der Organisation, Aldo Moro, späterer italienischer Ministerpräsident und christdemokratischer Märtyrer, der nach der Angabe eines Polizeiinfor­ manten »eine warme und patriotische

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Anmerkungen Ansprache« hielt. Informativa da Roma, 25. Februar 1941, ACS, SPD, CR, b. 325. 12  Attolico war verärgert gewesen, als er im März erfahren hatte, dass die Behörden in Cremona den Hirtenbrief mit der Osterbotschaft des dortigen Bischofs unterdrückt hatten, weil sie dem Bischof vorwarfen, er habe den Krieg als eine Strafe Gottes bezeichnet. Wenn es in dem Hirtenbrief irgendetwas Anstößiges gegeben habe, meinte Attolico, hätte man besser ihn davon in Kenntnis setzen sollen, damit er im Vatikan Beschwerde einlegte – »aber, um Himmels willen, man greift doch nicht einfach zu Konfiskationen, was man wirklich als eine Verletzung des Konkordats betrachten könnte«. Schlimmer noch sei, dachte er, dass solche Aktionen die Leute zu dem Schluss bringen könnten, die Kirche stehe nicht hinter dem Krieg. Attolico an Ciano, 7. März 1941, Nr. 715/328, ASDMAE, APSS, b. 55; Attolico an Ciano, 30. März 1941, tel. 945/438, ASDMAE, APSS, b. 55. 13  Buffarini an italienisches Außenministerium, Gabinetto, 16. März 1941, ASDMAE, APSS, b. 55; Attolico an Ciano, 22. März 1941, tel. 863, ASDMAE, APSS, b. 55. 14  Attolico sandte seine Lobeshymne auf den Kardinal nicht nur an Ciano, sondern auch an das Innenministerium und das Ministerium für Volkskultur. 17. März 1941, tel. 811/370, ASDMAE, APSS, b. 55. Selbst Farinacci lobte die starke Unterstützung des hohen italienischen Klerus für die Kriegsbemühungen in den höchsten Tönen. In einem Leitartikel zu den landesweiten Feierlichkeiten am 23. März, dem Gründungstag der faschistischen Bewegung, berichtete er aus Mailand: In einer Kirche, die unmittelbar an der Piazza gelegen war, auf der 22 Jahre zuvor die inzwischen legendäre Versammlung der faschistischen Gründerväter stattgefunden hatte, war eine Gedenkzeremonie abgehalten wor-

den, bei der Kardinal Schuster die neue Fahne der dortigen Ortsgruppe der Faschistischen Partei, die zu Ehren von Mussolinis totem Bruder Arnaldo benannt war, geweiht hatte. »Tutto il popolo italiano stretto intorno al Duce«, RF, 25. März 1941, S. 1. 15  »Patriottica pastorale del vescovo di Recanati e Loreto«, CS, 20. März 1941, S. 2. Zum Corriere della Sera und seiner Beteiligung an der Rassenkampagne siehe Allotti und Liucci 2021, Kapitel 13. 16  Attolico an Ciano, 4. Februar 1941, Nr. 387/160, ASDMAE, APSS, b. 54. 17  Die Dokumente zu der geplanten Beschlagnahmung der Kirchenglocken sowie Attolicos Verhandlungen mit Kardinal Maglione finden sich in ASDMAE, APSS, b. 54. Am 28. März 1941 meldete ein Polizeiinformant aus Mailand, dass die Bischöfe, nachdem sie das Rundschreiben der Regierung über die Bestandsaufnahme von Kirchenglocken zwecks späterer Requirierung zu Kriegszwecken erhalten hatten, schriftlich im Vatikan um Rat für das weitere Vorgehen gebeten hätten. Daraufhin sei aus dem Staatssekretariat die Anweisung ergangen, dass der Klerus sein Missfallen äußern, jedoch keinen öffentlichen Protest erheben solle. ACS, SPD, CR, b. 325. Noch vor Kriegsende wurden erste Forderungen nach einer Rückkehr der Glocken aus den Diözesen im befreiten Italien laut. Im Dezember 1944 erging ein entsprechender Erlass der königlichen Regierung; allerdings begann die tatsächliche Rückkehr der erhaltenen Glocken beziehungsweise der Guss von Ersatzstücken für die bereits eingeschmolzenen letztlich erst im Sommer 1947. De Marchis 2013, S. 42–44. 18  Del Boca 1996. »Wird es tatsächlich so kommen«, fragte ein Polizeiinformant in Rom Mitte des Monats, »dass die Schwarzen nicht wieder an die Macht kommen werden und keine Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen bestehen wird?

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Anmerkungen Wird es tatsächlich so kommen, wie der Papst es der Herzogin von Aosta versichert hat, dass der Apostolische Nuntius die Verantwortung für den Schutz der Weißen übernommen hat?« Informativa da Roma, 11. April 1941, ACS, SPD, CR, b. 326. 19  Boiardi 1990, S. 9; Goeschel 2019, S. 239–250; Rauscher 2001, S. 433. 20  Phillips an Roosevelt, 14. April 1941, FDR Library, psfa 401, S. 126–27; Bericht des US-Militärattachés, Rom, 15. April 1941, NARA, RG 165, 2062-716, color 125, 18–20. 21  Die Prälaten im Vatikan machten sich um diese Zeit große Sorgen über mögli­ che Spione in ihren Reihen, ob nun für Mussolini oder für auswärtige Mächte. Siehe Alvarez 2002. Beispielhaft siehe den Bestand AAV, Segr. Stato, 1941, Varie, posiz. 231, ff. 1r–20r, mit umfangreichen Unterlagen über einen Nutzer des Vatikanischen Geheimarchivs, der Anfang 1941 verdächtigt wurde, ein deutscher Spion zu sein. 22  Colonello Cesare Amé, Capo servizio, SIM-Sezione »Bonsignore«, Rom, 16. April 1941, ACS, PCM 19940–43, b. 3168, cat. G9-1, Sez. »Bonsignore«; Infor­mativa dalla Città del Vaticano, 9. April 1941, ACS, SPD, CR, b. 326; ­Osbornes Jahresbericht für 1941, Osborne an Eden, 28. Oktober 1942, NAK, R 7915/7915/57, S. 5. Zur selben Zeit drängte Osborne wieder einmal Kardinal Maglione, der Papst müsse gegen die deutsche Aggression Stellung beziehen, wobei diesmal der Überfall auf Jugoslawien und Griechenland den Anlass bildete. »Dieser Angriff und die Manöver, die ihm vorausgegangen sind«, argumentierte der britische Gesandte, »sind praktisch von der gesamten zivilisierten Welt verurteilt worden, und bestimmt wird man geneigt sein, dem Vatikan sein Schweigen in dieser Sache zum Vorwurf zu machen.« Osborne an Maglione,

7. April 1941, ADSS, Bd. 4, Nr. 313. Zu Radio Vatikan siehe Perin 2017. 23  Oben auf Kardinal Lauris Bitte vom 2. April um eine Verlegung des Treffens auf eine andere Uhrzeit oder den Folgetag (an dem es dann stattfand) hat Tardini später mit Bleistift seine eigene Erklärung vermerkt: »Der Hochwürdigste Kardinal Lauri war der Protektor des Signore Travaglini, für den er die Erhebung zum ­Visconte arrangiert hat.« Kardinal Lauri an Pius XII., 29. März, 31. März und 2. April 1941, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 774, ff. 253r, 254r, 255r. Seltsamerweise erinnert sich Harold Tittmann in seinen Memoiren (2004, S. 27) daran, dass er Anfang 1941 »mehrmals zum Mittag- oder Abendessen bei Prinz Philipp von Hessen und seiner Gemahlin, der zarten Prinzessin Mafalda, eingeladen« gewesen sei. 24  Tittmann 2004, S. 37. 25  Attolico an Mackensen, 5. Mai 1941, ASDMAE, AISS, b. 131. 26  Notiz Tardini, 6. Mai und 8. Mai 1941, ADSS, Bd. 4, Nr. 338, 340. 27  »Alto discorso di Pio XII«, AI, 24. Mai 1941, S. 1; »La Crociata della purezza nella sublime allocuzione del Santo Padre alla Gioventù femminile di Azione Cattolica«, AR, 24. Mai 1941, S. 4; Bericht des Commissario di Borgo, 25. Mai 1941, ACS, DAGRA 1941, b. 35. 28  »Relativa alla persona del Papa«, 1. August 1941, ACS, SPD, CR, b. 328. Einige Jahre später hatte Pascalina ihren Einfluss im Vatikan nur noch weiter gestärkt, wie J. Graham Parsons, der amerikanische Gesandte beim Heiligen Stuhl, 1947 an das US-Außenministerium berichtete. Er zitierte aus der italienischen Presse: »Die Frau mit der engsten Beziehung zum Papst ist die berühmte Schwester P., die ›Haushälterin‹ Pius’ XII. und Oberin eines Nonnenordens, deren Mitglieder ausschließlich Deutsche oder Deutschschweizerinnen sind … eine gute Frau, nicht mehr jung … dem Papst sehr

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Anmerkungen zugeneigt, den sie auf eine wahrhaft löbliche Art seit vielen Jahren umsorgt hat … Jedoch ähnelt Schwester P. einer allzu liebevollen, allzu leicht zu beeindruckenden Mutter. Die anderen vatikanischen Würdenträger und Prälaten sehen ihr das indiskrete und übertriebene Geplapper nur zu gern nach, wohl wissend, dass sie in dem, was sie für den Papst tut, unersetzlich ist. … Sie ist die einzige Person, die den Papst mehr als einmal am Tag sieht, und es scheint, dass er ihren Rat stets befolgt.« 13. August 1947, NARA, RG 59, CDF 1945–49, 8661.00, box 6971, S. 9. 29  Phillips to Roosevelt, 21. Januar 1941, FDR Library, psfa 394, S. 14. 30  Ciano 1946, S. 322–323 (Tagebuch­ eintrag 16. Mai 1941). 31  De Felice 1996b, S. 1070–1074. Die Bemerkung des Finanzministers wurde von Ciano (1946, S. 372–373) in seinem Tagebucheintrag vom 20. November 1941 zitiert. »Im Zusammenhang mit den neuesten Maßnahmen, welche die Verwendung von Benzin in Privatkraftfahrzeugen verbieten«, berichtete ein Polizeiinformant um dieselbe Zeit, »äußerte Monsignore Monticone, der Archivar der [vatikanischen Kongregation De] Propaganda Fide: ›Jetzt werden wir sehen, wie die drei Automobile der Familie Petacci ganz allein durch Rom fahren, und die Römer werden sich darüber schwarz ärgern.‹« Informatore Nr. 390 (Pozzi), 26. Juli 1941, ACS, MIFP, b. 10. Die Petaccis sollten später behaupten, dass sie ihr Anwesen in Rom, entgegen »ver-

leumderischen und tendenziösen Behauptungen der feindlichen Propaganda«, vollständig mit eigenen Mitteln erworben hatten, nämlich aus einer Erbschaft, die Claras Mutter gemacht hatte, sowie aus den Einkünften ihres Vaters als Arzt. Undatiertes Dokument in ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 5, fasc. 85. 32  Ciano 1946, S. 322–323, 326–327 (Tagebucheinträge 16., 26. und 28. Mai 1941). 33  Phillips an Roosevelt, 17. Mai 1941, FDR Library, psfa 401, S. 143–47; Roosevelt an Phillips, 24. Mai 1941, FDR Library, psfa 401, S. 130. Auch als der Sommer 1941 nahte, blieben die Beziehungen zwischen dem Vatikan und der italienischen Regierung weiter gut. Nach seinem Gespräch mit Pius XII. Ende Mai teilte der italienische Botschafter Ciano mit, der Papst habe »einige Male mit größter Hochachtung vom Duce und von Eurer Exzellenz gesprochen«. Außerdem habe Pius betont, wie sehr er auf den Schutz der italienischen Führung für den Vatikan zähle, sollten, was ja wahrscheinlich sei, die Achsenmächte den Krieg gewinnen. »Man kann nun wohl sagen«, schloss der italienische Botschafter, »dass angesichts Deutschlands feindseliger Haltung gegenüber der Kirche die Entscheidungsträger im Vatikan beinahe ausnahmslos von Italien Unterstützung für die Zukunft erwarten.« Attolico an Ciano, 30. Mai 1941, tel. 5029, ASDMAE, APSS, b. 54.

Kapitel 21: Der Kreuzzug 1  Hitler an Mussolini, 21. Juni 1941, ADAP, Serie D, Bd. 12, Nr. 660; Bismarck an Ribbentrop, 22. Juni 1941, ADAP, Serie D, Bd. 12, Nr. 666; Rauscher 2001, S. 440–441; Robert Citino, »Operation Barbarossa: The Biggest of All Time«, ­National World War II Museum, 18. Juni,

2021, https://www.nationalww2museum. org/war/articles/operation-barbarossa. Dass das »Unternehmen Barbarossa« von langer Hand geplant war, lässt sich an dem Befehl Hitlers vom 18. Dezember 1940 ablesen, der dem Unternehmen seinen Namen gab. ADAP, Serie D, Bd. 11,

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Anmerkungen Nr. 532. Siehe auch Herbert 2014, S. ­424–425. 2  Roberts 2018, S. 659; Attolico an Außenministerium, 23. Juni 1941, tel. 000373, ASDMAE, AISS, b. 193; Herbert 2014, S. 425. 3  Ciano 1946, S. 337–338 (Tagebucheintrag 23. Juni 1941); Mussolini an Hitler, 23. Juni 1941, ADAP, Serie D, Bd. 13, Nr. 7. Eine Untersuchung des italienischen Beitrags zu Hitlers Russlandfeldzug liefert Scianna 2019. 4  Attolico an Ciano, 26. Juni 1941, Nr. 1842/818, ASDMAE, AISS, b. 193; Raimondo Manzini, »Le potenze dell’Asse contro l’Unione delle Repubbliche So­ vietiche«, AI, 24. Juni 1941, S. 1; N., »La situazione«, AR, 27. Juni 1941, S. 1. 5  »Das Staatssekretariat hält sein vor einer Weile gegebenes Versprechen«, bemerkte der Botschafter Attolico, »und setzt seine Tätigkeit an der Peripherie fort, um die vollständige und aufrichtige Kollaboration des italienischen Klerus in der nationalen Sache zu bewirken.« Attolico an Ciano, 1. Juli 1941, tel. 1900/836, ASDMAE, APSS, b. 55. 6  Attività del Clero, Präfekt von Salerno, 3. Juli 1941, ASDMAE, AISS, b. 130; Attolico an Ciano, 1. Juli 1941, tel. 1900/836, ASDMAE, APSS, b. 55. 7  Der Erzbischof fuhr fort: »So grüßen und segnen wir heute die italienischen Legionen, die sich den verbündeten Armeen in ihrem gemeinsamen Ringen anschließen sollen, um jenes gewaltige Gefäng­nis zu öffnen, das Russland umschließt und es des Rechts beraubt, das Licht zu sehen, frei zu glauben und den Glauben zu bekennen.« Die römischen Legionen, schloss der Erzbischof, »werden beide Aufgaben erfüllen: die Zivilisation retten und den Glauben verteidigen!« »Patriottica pastorale del Principe arcivescovo di Gorizia«, PI, 20. Juli 1941, S. 6. 8  Außenministerium an Attolico, 29. Juni 1941, tel. 24901, ASDMAE, AISS, 1947–1954, b. 227.

9  Babuscio Rizzo, Appunto per gli Atti, 1. August 1941, ASDMAE, AISS, b. 193; Attolico an Ciano, 2. August 1941, DDI, Serie 9, Bd. 7, Nr. 450. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion äußerten hochrangige Angehörige des italienischen Klerus ihre ausdrückliche Unterstützung für den Krieg. In einer Ansprache, die in der faschistischen Presse starken Widerhall fand, betete Monsignore Celso Costantini, der Sekretär der Kongregation De Propaganda Fide, für den Sieg der Achsenmächte: »Innig wünschen wir aus ganzem Herzen«, sagte er, »dass dieser Kampf uns einen endgültigen Sieg bringen möge und damit das Ende des Bolschewismus.« Dann rief er »den Segen des Allmächtigen für die italienischen und deutschen Soldaten in diesem Ringen zur Verteidigung unserer Freiheit gegen die rote Barbarei« herab. Attolico hielt diese Rede für besonders bemer­ kenswert, weil Costantini, wie er durch Unterstreichung betonte, »so nicht gesprochen hätte ohne die Einwilligung des Heiligen Stuhls«. Festzuhalten sei auch, fügte der Botschafter hinzu, dass es nicht mehr nur die großen katholischen Presseorgane seien, die den Krieg der Achsenmächte feierten – jetzt, da er sich gegen die UdSSR gewendet habe. »Sogar noch wichtiger«, bemerkte er, »sind all die Artikel, die in den kleinen Mitteilungsblättern religiöser Vereine und der Katholischen Aktion erscheinen, und zwar wegen der Kapillarwirkung bei ihrer Verteilung und des spezifischen Zuschnitts ihres Publikums, wodurch sie, wie ich meine, sogar noch effizienter und ausdrucksstärker werden.« Attolico an Ciano und Ministerium für Volkskultur, 9. August 1941, Nr. 2352/1028, ASDMAE, AISS, b. 193. Aus den monatlichen Berichten über kirchliche Aktivitäten in den Provinzen, die von den Präfekten nach Rom gesandt wurden, ergab sich ein ähnliches Bild. Im vergangenen Monat, heißt es etwa in dem

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Anmerkungen Mitte August verfassten Bericht des Präfekten von Bologna, »haben die Priester und die Katholiken im Allgemeinen den Kampf gegen das bolschewistische Russland weiter gepriesen und dabei immer mehr Aufmerksamkeit auf die idealistischen Motive gezogen, welche die Völker der Achse im Krieg inspirieren.« Attività del Clero, Präfekt von Bologna, 12. August 1941, Nr. 388, ASDMAE, AISS, b. 130. Im Monat darauf meldete der Präfekt: »Der örtliche Klerus folgt den Vorgaben der Kurie und stellt immer wieder unter Beweis, dass er ganz auf die nationalen Ziele ausgerichtet ist, die das Regime erreichen will, und so stellen die Priester sich unter allen Bedingungen auf die Seite der Partei, um bei den Gläubigen das Vertrauen auf den Sieg unserer Waffen zu stärken.« 8. September 1941, Nr. 388, ASDMAE, AISS, b. 130. Monsignore Costantinis Segen für die Soldaten der Achsenmächte erregte auch die Aufmerksamkeit der Deutschen, und Fritz Menshausen, Bergens »Nummer zwei« an der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl, widmete dem Thema einen eigenen Bericht. Aus gut unterrichteter Quelle, teilte er dem deutschen Staatssekretär Ende August mit, habe er erfahren, dass Pius XII. schon durch eine bestimmte Formulierung in einer früheren Radioansprache »seiner Hoffnung Ausdruck verleihen wollte, dass die großen Opfer, die dieser Krieg fordert, nicht vergebens gewesen sein mögen und dass sie letztlich zum Sieg über den Bolsche­ wismus führen mögen, wie es dem Walten der Göttlichen Vorsehung entspricht.« Menshausen an Weizsäcker, 23. August 1941, PAAA, GBS, R29816, 24–28. Im Monat darauf lieferte eine Rede von Camillo Caccia Dominioni, einem prominenten Kurienkardinal, weitere Belege für den großen Eindruck, den der deutsche Angriff auf die Sowjetunion im Vatikan gemacht hatte: »Ich kann bestätigen«, schrieb Attolico in seinem Bericht über

diese Rede, »dass die gesamte italienischkatholische Welt heute geschlossen an der Seite des Regimes in seinem Kampf gegen den Bolschewismus steht.« Attolico an Ciano und Ministerium für Volkskultur, 11. September 1941, Nr. 2655, ASDMAE, AISS, b. 193. 10  Osborne an Eden, 24. Juli 1941, NAK, FO 380/71, Nr. 60/1/41. Anfang August ergriff Osborne bei einem Treffen mit Kardinal Maglione die Gelegenheit, um dem Kardinalstaatssekretär die Mahnung der britischen Regierung in Erinnerung zu rufen, der Papst dürfe unter keinen Umständen an einer von den Nazis vorgebrachten Friedensinitiative mitwirken. Maglione beruhigte den Gesandten und erinnerte ihn an die »äußerste Vorsicht«, mit welcher der Vatikan in solchen Angelegenheiten vorgehe. Osborne an Eden, 4. August 1941, NAK, FO 380/71, Nr. 60/3/41. Zwei Monate später bekräftigte Osborne seine Überzeugung, dass der Papst an keiner Friedensinitiative mitwirken werde, die ohne Aussicht auf Erfolg sei. Allerdings fügte er hinzu: »Es wäre dennoch klug, nicht zu vergessen, dass das leidenschaftliche Verlangen des Papstes nach Frieden, sein zweifellos vorhandener Ehrgeiz, persönlich dazu beizutragen, sowie seine Empfänglichkeit für den Druck der italienischen Regierung und für Appelle an seine Gefühle für das italienische Volk – dass all dies sich verbinden dürfte, um ihn in Richtung jeglicher Initiative zu drängen, die eine gewisse Aussicht auf Erfolg böte.« Osborne an Eden, 25. August 1941, NAK, FO 380/71, Nr. 60/6/41. 11  Bérard an französisches Außenminis­ terium, 19. Juli 1941, MAEC, Guerre Vichy, 551. Weitere Dokumente zu der Radioansprache des Papstes in AAV, Segr. Stato, 1941, Sommo Pontefice, posiz. 69, ff. 1r–30r. 12  Maglione an Monsignore Cicognani, Washington, D.C., 11. August 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 41.

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Anmerkungen 13  Spellman an Pius XII., 4. September 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 61. Zu Hurley siehe Gallagher 2008. 14  Ciano, der seit Monaten unter Halsschmerzen gelitten hatte und kurz vor einer Mandel-OP stand, nahm an der Reise nicht teil. Als er von Cianos Operation erfuhr, suchte Borgongini das Außenministerium auf, um dem Minister die besten Wünsche des Vatikans auszusprechen. Anschließend erstattete er ­Maglione hierüber Bericht. Wie der Kardinal sagte, verfolge der Papst Cianos Genesung mit großer Anteilnahme und bitte den Nuntius, dem italienischen Außenminister die päpstlichen Segenswünsche für seine schnelle Gesundung zu übermitteln. Borgongini an Maglione, 29. August 1941, und Maglione an Borgongini, 30. August 1941, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 20, fasc. 49, ff. 2r, 5r. Dass der Papst Cianos Krankheit tatsächlich mit großem Interesse verfolgte, ist aus den Dokumenten in AAV, Segr. Stato, 1941, Stati, posiz. 203, ff. 10r–14r klar ersichtlich. 15  Der Krieg, meinte Hitler, sei nun ganz auf die Vernichtung des Feindes gerichtet, um so den Weg für eine neue europäische Ordnung zu bereiten. Wenn der Russlandfeldzug erst einmal erfolgreich abgeschlossen sein würde, könne die lange aufgeschobene Invasion Großbritanniens beginnen und damit der letzte Akt des Krieges. Nach dem Krieg, fügte er hinzu, freue er sich schon darauf, Zeit in Florenz verbringen, einer Stadt, die er wegen ihrer herausragenden Kunstschätze und ihrer lieblichen Umgebung besonders liebe. Gesprächsprotokoll Hitler–Mussolini, 25. August 1941, ADAP, Serie D, Bd. 13, Nr. 242; Corvaja 2008, S. 186–200. 16  Die Darstellung in diesem Absatz beruht auf Tardinis Mitteilungen an den französischen Botschafter: Bérard an Darlan, 4. September 1941, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. Bei einem Gespräch mit Atto­lico Anfang September sollte Tardini die Sache anders formulieren. Attolico

drängte bei dieser Gelegenheit wieder einmal darauf, dass der Papst dem Feldzug der Achsenmächte gegen die Sowjetunion ausdrücklich seinen Segen geben solle. Jedoch, meinte Tardini, solle man hierfür nicht das kirchliche Bild vom Kreuzzug bemühen, wie der italienische Botschafter angeregt hatte, sondern besser dieses: »un diavolo scaccia l’altro« (»ein Teufel treibt den anderen aus«; eine Kurzversion von Mt 9,34). Notiz Tardini, 5. September 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 62. 17  Capo di gabinetto, italienisches Außenministerium, an Babuscio Rizzo, 9. September 1941, ASDMAE, AISS, 1947–19254, b. 227. 18  Phillips an Roosevelt, 10. März 1941, FDR Library, psfa 401, S. 100–103; Osborne an Howard, 25. September 1942, NAK, FO 371, 33430, 18–21; Tittmann 2004, S. 129. 19  Taylor an den Präsidenten und an den Minister Hull, Memorandum, 21. September 1941, FDR Library, psfa 394, S. 68–73; Notiz Maglione, 10. September 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 69. Magliones am 11. September verfasste Notizen über das Treffen in ADSS, Bd. 5, Nr. 73. Taylor überreichte dem Papst auch einen vom 3. September 1941 datierten Brief Roosevelts, mit dem dieser die Befürchtungen des Papstes hinsichtlich der Sowjetunion zerstreuen wollte. Roosevelt gestand zwar zu, dass die UdSSR »von einer Diktatur regiert wird, die auf ihre Weise genauso rigide ist wie die Diktatur in Deutschland«, argumentierte jedoch, dass Deutschland für die anderen Staaten gefährlicher sei, weil es »militärische Aggression« betreibe, die UdSSR dagegen lediglich Propaganda. Auch sei nach seiner Einschätzung Russland für das Überleben der Religion weniger gefährlich als Deutschland. AAV, Segr. Stato, 1941, Stati, posiz. 73, ff. 19r–19v. 20  Attolico an Ciano, 11. September 1941, ASDMAE, AISS, 1947–54, b. 227. Nachdem er Attolicos detaillierten

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Anmerkungen Bericht über das Treffen erhalten hatte, leitete Ciano eine Abschrift an Otto Christian von Bismarck in der deutschen Botschaft weiter. Mackensen an Auswärtiges Amt, 13. September 1941, ADAP, Serie D, Bd. 13, Nr. 315. 21  Notiz Tardini, 12. September 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 74. 22  Projet de réponse au Président Roosevelt, 14. September 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 75. Ein englischer Entwurf dessen, was der Papst Taylor am 16. September 1941 sagen wollte, in AAV, Segr. Stato, 1941, Stati, posiz. 73, f. 34r. 23  Attolico an Ciano, 16. September 1941, Nr. 2702, ASDMAE, AISS, 1947–54, b. 227. Binnen 24 Stunden, nachdem Attolicos Bericht über sein Gespräch mit dem Papst bei ihm eingegangen war, hatte Ciano erneut eine Kopie an Mackensen weitergeleitet. Neben den Befürchtungen des Papstes, Hitler könnte nach seinem Sieg über die Alliierten gegen den Vatikan vorgehen, ging es in dem Bericht auch um eine Angelegenheit, die für Mussolini wie Hitler von größtem Interesse war: dem Zweck von Myron Taylors Treffen mit dem Papst. In seinem Gespräch mit Attolico hatte der Pontifex die Bedeutung jenes Treffens heruntergespielt und betont, er glaube nicht an ein unmittelbar bevorstehendes Eingreifen der Amerikaner. Erneut wurde Mackensen eingeschärft, den Bericht streng vertraulich zu behandeln; nicht einmal der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl habe Kenntnis davon. An Mackensens Loyalität gegenüber dem NS-Regime bestanden offenbar keine Zweifel. PAAA, GPA, Politische Lage im Vatikan, R261177, 18– 24, 17. September 1941. Ciano übermittelte Mackensen auch eine Kopie von Attolicos vom 18. September 1939 datierten Bericht über das Gespräch, das Taylor mit Monsignore Tardini geführt hatte. PAAA, GPA, Politische Lage im Vatikan, R261177, 25–27.

24  Chenaux 2003, S. 282. Nachdem die Unterscheidung zwischen Christen und Juden in den von den Achsenmächten kontrollierten Gebieten zugleich das entscheidende Selektionskriterium dafür war, wem Deportation und Tod bestimmt waren, verlangten viele Juden nach der Taufe. Als im Dezember 1941 der Apostolische Nuntius in Bukarest um Rat bat, wie mit dem »gewaltigen Zustrom an Juden« umzugehen sei, die sich in Rumänien taufen lassen wollten, nahm das Heilige Offizium sich der Sache an. ACDF, DV 1942, Nr. 10, ff. 41r–43r. 25  Zitiert in Chenaux 2003, S. 267. Mitte Oktober antwortete Kardinal Maglione dem Nuntius in Frankreich, der ihm über sein jüngstes Treffen mit dem Erzbischof von Lyon berichtet hatte: »Es war äußerst opportun«, schrieb der Kardinalstaatssekretär dem Nuntius, »dass Sie [den Erzbischof] und dann auch den spanischen Botschafter [in Frankreich] daran erinnert haben, welche Güte und Nachsicht Seine Heiligkeit stets Signor Hitler gegenüber gezeigt hat.« Zum Beleg verwies Maglione auf die »wohlwollenden Äußerungen, die in dem handschriftlichen Brief enthalten waren, welchen der Heilige Vater ihm gesandt hat, als er gerade den Stuhl Petri eingenommen hatte«. Um dem Nuntius weitere Munition zu liefern, erinnerte Maglione daran, dass bei Ribbentrops Besuch im Vatikan im Vorjahr der deutsche Außenminister »von dem wohlwollenden und väterlichen Interesse des Pontifex an Deutschland derart beeindruckt« gewesen war, »dass er unmittelbar nach der Audienz sich mir gegenüber wie folgt äußerte: ›Man sieht, dass Seine Heiligkeit mit dem Herzen stets in Deutschland ist.‹« Maglione an Valeri, 18. Oktober 1941, ADSS, Bd. 5, Nr. 121. 26  Yad Vashem, Rajon Zarasai, U.S. Holocaust Memorial Museum, Holocaust Encyclopedia https://www.yadvashem. org/YV/en/about/institute/killing_sites_ catalog_details_full.asp?re gion=Zara-

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Anmerkungen sai&title=Zarasai%20county. Zu dem Vorgehen der Einsatzgruppen in Polen siehe Matthäus, Böhler und Mallmann 2014 sowie Herbert 2014, S. 396–397. 27  Chenaux 2003, S. 267; »Le chargé ­d’affaires à Presbourg«, Burzio, an Kardinal Maglione, 27. Oktober 1941, ADSS, Bd. 8, Nr. 184; fonogramma Questura di Roma alla DGPS e alla prefettura di Roma, 27. Oktober 1941, ACS, MI, DAGRA 41, b. 35, Nr. 218792; informativa, 28. Oktober 1941, ACS, SPD, CR, b. 328. Der Bericht eines Polizeiinformanten enthält weitere Details zu den Audienzen, die der Papst deutschen Soldaten gewährte: »Seine Heiligkeit fährt darin fort, und stets mit Vergnügen, deutsche Soldaten zu empfangen und zu treffen. … Seine Heiligkeit richtet an jeden von ihnen tröstende und aufbauende Worte, indem er etwa sagt, wie sehr er ihr Land liebt … Ihrer Bitte nach Fotografien entspricht er immer gern.« Der Bericht schließt: »Dass der Papst großes Vergnügen daran findet, Gruppen solcher

Soldaten zu empfangen, wird schließlich auch aus dem Umstand ersichtlich, dass er sie gegen die übliche Praxis im Vatikan manchmal am Nachmittag empfangen hat – wenn normalerweise nur einige Privataudienzen oder kleinere Gruppenaudienzen stattfinden.« 1. November 1941, ACS, MI, DAGRA 41, b. 35. In dem Bericht eines Polizeiinformanten vom 26. November 1941 heißt es unter der Überschrift »Der Empfang im Vatikan heute Morgen«: »Seine Heiligkeit sagte heute Morgen im Vatikan, als er eine deutsche Delegation sowie weiterer Soldaten unbekannter Nationalität empfing: ›Wenn Sie Ihrem Land gegenüber ihre Pflicht getan haben, sollten Sie darauf immer stolz sein.‹« ACS, SPD, CR, b. 329. Nach Herbert (2014, S. 475) ermordeten die Einsatzgruppen allein im Oktober und November 1941 Hunderttausende sowjetischer Juden. 28  Die Tagebucheinträge Pater Scavizzis sowie seine Schilderung der Begegnungen mit dem Papst finden sich in Manzo 1997, Zitate auf S. 128–131.

Kapitel 22: Ein neuer Fürst 1 https://it.wikisource.org/wiki/Italia_-_11_dicembre_1941,_Annuncio_ della_dichiarazione_di_guerra_agli_ Stati_Uniti [Deutsche Übersetzung nach dem Artikel »Die Mächte des Dreierpaktes im geschlossenen Einsatz / Der Duce verkündet den Abschluß des Militärbündnisses«, Litzmannstädter Zei­ tung, Nr. 344, 12. Dezember 1941, [S. 2]; Anm. d. Übers.] 2  Informativa, 8. Dezember 1941, ACS, DAGR, A5, G II, GM, b. 72; Phillips an US-Außenminister, Washington, D.C., 11. Dezember 1941, FDR Library, psfa 401, S. 176; Bottai 1989, S. 292 (Tagebucheintrag 11. Dezember 1941). Die Männer im Umfeld des Papstes sähen Roosevelts Entscheidung für den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten durchaus

kritisch, berichtete Attolico, denn sie glaubten, das werde das Blutvergießen nur verlängern. Attolico an Ciano, 12. Dezember 1941, Nr. 3681/1561, ASDMAE, AISS, b. 193. 3  Der französische Botschafter meldete diese Neuigkeit nach Vichy, zusammen mit dem Artikel aus dem Osservatore Ro­ mano. Bérard an Darlan, 16. Dezember 1941, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. 4  Osborne an britisches Außenministerium, 17. Dezember 1941, NAK, FO 371, 33410, 4–6. Was der Papst angesichts der Ehrung tatsächlich empfand, ist nicht ganz klar. Ein Polizeispitzel hielt den allgemeinen Eindruck fest, dass der Papst tief bewegt und erfreut war über die Nobilitierung der Familie seines Bruders und sehr beeindruckt von der Geste des

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Anmerkungen Duces. Notizia fiduciaria, 20. Dezember 1941, ACS, SPD, CR, b. 329. Aus Sicht der faschistischen Regierung eröffnete der amerikanische Kriegseintritt neue Möglichkeiten, wie sich der Vatikan nützlich machen konnte. Ein frühes Ziel in dieser Hinsicht war Lateinamerika, da man befürchtete, die lateinamerikani­ schen Länder– von denen die meisten noch mit Italien Handel trieben – könnten dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgen und die Beziehungen abbrechen. Diese Befürchtungen nahmen noch zu, als Kolumbien kurz nach Pearl Harbor ankündigte, genau so verfahren zu wollen, und dem Vernehmen nach die Außenminister Nord- und Südamerikas sich im folgenden Monat treffen und darüber beraten wollten, ob sie sich diesem Schritt anschließen sollten. Als Attolico Maglione mitteilte, dass Mussolini auf die Unterstützung des Vatikans hoffte, zeigte der Kardinal sich zur Freude des Botschafters durchaus aufgeschlossen. Attolico an Ciano, 17. und 20. Dezember 1941, DDI, Serie 9, Bd. 8, Nr. 36 und 49. Ciano telegrafierte an die Botschafter Italiens in den lateinamerikanischen Staaten, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen: »Ich setze Sie davon in Kenntnis, dass der Kardinalstaatssekretär Maglione aus eigenem Antrieb dem königlichen Botschafter beim Heiligen Stuhl zugesagt hat, dass der Vatikan in ganz Südamerika in einem Sinne vorgegangen ist und noch weiter vorgeht (freilich mit der nötigen Vorsicht), welcher der Erhaltung der Neutralität förderlich ist.« »Dies ist ein Bereich«, erläuterte Ciano, »in dem unsere eigenen Interessen und diejenigen des Heiligen Stuhls vollkommen übereinstimmen und in dem folglich ein von beiden Seiten vereinbartes paralleles Vorgehen, das auf dieselben Ziele hinwirkt, zum beiderseitigen Gewinn wäre.« Bei der anstehenden Außenministerkonferenz in Rio de Janeiro, so viel schien klar, würde man die südamerikanischen Länder zum Wider-

stand gegen den Druck der Vereinigten Staaten ermuntern müssen. »In diesem Zusammenhang«, wies Ciano an, »sollten Sie, insofern dies ratsam und möglich erscheint, und wo die örtlichen Gegebenheiten dies erlauben, in Zusammenarbeit oder Übereinstimmung mit den katholischen Kreisen vor Ort vorgehen, und insbesondere mit den Vertretern des Vatikans.« Ciano sandte Attolico eine Kopie seines Telegramms und bat den Botschafter, Kardinal Maglione davon in Kenntnis zu setzen. 29. Dezember 1941, tel. 424, ASDMAE, AISS, b. 176. Cianos Telegramm an die Botschafter in Südamerika liegt auch ediert in DDI, Serie 9, Bd. 8, Nr. 74, vor. Nicht alle italienischen Botschafter in den lateinamerikanischen Staaten hielten den Vorschlag für zweckmäßig, einige aber schon. Der italienische Botschafter in Brasilien beispielsweise versicherte Ciano, er habe schon vor Erhalt von dessen Anweisung in Kontakt mit dem dortigen Nuntius gestanden, und sie beide arbeiteten bereits zusammen, damit die brasilianische Regierung dem Druck der Vereinigten Staaten nicht nachgebe. Sola, italienischer Botschafter in Rio de Janeiro, an Ciano, 29. Dezember 1941, DDI, Serie 9, Bd. 8, Nr. 77. 5  Sowohl im Osservatore Romano als auch in den großen katholischen Presseorganen Italiens wurde der Text vollständig abgedruckt. »Il radiomessaggio natalizio del Sommo Pontefice Pio XII«, OR, 25. Dezember 1941, S. 1–2; »Il Mes­ saggio Natalizio del Papa al Mondo«, L’Italia, 25. Dezember 1941, S. 1; »I presupposti essenziali dell’ordine internazionale«, AR, 25. Dezember 1941, S. 1–2. 6  Radiomessaggio Pio XII, ISACEM, Bol­ lettino 20, Nr. 2 (febbraio 1942), S. 25–29; Bérard an französisches Außenministerium, Vichy, 24. Dezember 1941, MAEC, Guerre Vichy, 551. 7  »Natale in Vaticano. Il radiomessaggio del Papa«, PI, 25. Dezember 1941, S. 2; »La parola del Papa«, RF, 25. Dezem-

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Anmerkungen ber 1941, S. 1; Bernardini an Maglione, 11. Januar 1942, AAV, Arch. Nunz. Sviz­ zera, b. 218, fasc. 620, ff. 29r-30r. Noch am Tag des Erscheinens des genannten Artikels im Regime Fascista übersandte Attolico eine Abschrift an Cianos Büro. ASDMAE, AISS, b. 194. Wie Farinacci tatsächlich über den Papst dachte, wird aus dem Transkript eines abgehörten Telefongesprächs deutlich, das er Anfang Juli 1941 mit dem Minister für Volkskultur, Alessandro Pavolini, geführt hat. Auf irgendeine Weise gelangte dieser Text in den Besitz des vatikanischen Staatssekretariats. Farinacci beschwerte sich in dem Telefonat darüber, dass Ciano dem Vatikan gegenüber zu nachgiebig sei, und stellt die Frage, warum der staatliche Radiosender eigentlich immer noch die Ansprachen des Papstes sende. »Conversazione svoltasi il giorno 3/7/1941 ore 10,20 fra Pavolini e Farinacci«, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, f. 304r. 8  Osborne an britisches Außenministerium, London, 24. Dezember, 25, NAK, FO 371, 33410, 20–23. Das Außenministerium berichtete über den Inhalt des Rundschreibens aus dem Auswärtigen Amt. Osborne hatte um Anweisung gebeten, ob er sich bei seiner bevorstehenden Neujahrsaudienz dem Papst gegenüber positiv zu dessen Weihnachtsansprache äußern solle. In einer Reihe von Randkommentaren auf dem Dokument äußerten sich dazu mehrere Beamte des Außenministeriums ablehnend. Als Letzter merkte am 25. Januar 1942 der stellvertretende Staatssekretär Orme Sargent an: »Ich stimme zu. Der Papst muss sich mit der Zustimmung begnügen, die ihm Farinacci und das deutsche Auswärtige Amt ausgesprochen haben!« 9  Osborne an britisches Außenministerium, 29. Dezember 1941, NAK, FO 371, 33410, 7–10; Jahresbericht Osborne für 1941, NAK, AR 1941, S. 1. Der Text von Churchills Rede vor dem ameri-

kanischen Kongress ist unter https://www. nationalchurchillmuseum.org/churchilladdress-to-congress.html verfügbar. 10  Meine Darstellung beruht auf den Notes de la Secrétairerie d’État, 6. Januar 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 191. Hätte der Papst den Redetext des Duces zu Gesicht bekommen, wäre er wohl noch beunruhigter gewesen. »Gewisse Interessengruppen in der katholischen Welt haben sich gegen die Achsenmächte gewandt … und predigen außerdem den Pazifismus. … All diese pazifistischen Tendenzen … müssen identifiziert, isoliert und von der Partei verurteilt werden. Um den Rest wird die Polizei sich kümmern.« http://bibliotecafascista.blogspot.com/2012/03/discorso-aldirettorio-nazionale-del_4.html. Siehe Moro 1988, S. 81. 11  Borgongini Duca an Maglione, 9. Januar 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 195. 12  »Wir sind Hirten«, schloss der Bischof, »und wir müssen den Wolf enttarnen, wir müssen die Herde verteidigen, und wenn es unser Leben kostet.« »Allo­ cuzione antibolscevica del Vescovo di Trieste«, PI, 15. Januar 1942, S. 6; Attolico an Ciano und das Ministerium für Volkskultur, 23. Januar 1942, tel. 246/88, ­A SDMAE, AISS, b. 164. 13  Italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl an Ciano und das Ministerium für Volkskultur, 23. Januar 1942, tel. 246/88, ASDMAE, AISS, b. 164. Einige Wochen zuvor hatte Kardinal Salotti Attolico brieflich seinen Dank dafür ausgesprochen, dass der Botschafter die Freilassung eines Priesters erwirkt hatte, der aufgrund von als unpatriotisch eingestuften Äußerungen festgenommen worden war. »Es ist meine Pflicht«, schrieb Kardinal Salotti, »den besagten Priester zu ermahnen, damit er in Zukunft vorsichtiger ist und in seinen Predigten alle Formulierungen und Begriffe vermeidet, die falsch verstanden werden könnten. Wir befinden uns in einem Moment, in dem alle gemeinsam versuchen müssen, die Moral in

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Anmerkungen der italienischen Bevölkerung zu stärken, während wir den ersehnten Sieg erwarten.« Italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl an Ciano, 12. Januar 1942, tel. 155/40, mit Abschrift des Briefes von Kardinal Carlo Salotti (Präfekt der Ritenkongregation) an Attolico vom 10. Januar, ASDMAE, APSS, b. 58. 14  Osborne sandte einen langen Bericht über diesen Artikel nach London. Ein Beamter des britischen Außenministeriums kommentierte am Rand: »Diese Jesuitenzeitung vertritt das Recht der ›Habenichtse‹, an dem Besitz der Reichen teilzuhaben, & kommt dabei, wie Mr Osborne richtig bemerkt, der Forderung der Achsenmächte nach Lebensraum sehr nahe.« Osborne an britisches Außenministerium, 5. Februar 1942, NAK, FO 371, 33411, 37–39. 15  Pietro Fedele an Mussolini, 16. Januar 1942, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 5, fasc. 84. 16  Maestro di Camera di Sua Santità, 14. Dezember 1941, und das maschinenschriftliche Memorandum vom 10. Januar 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 826, ff. 2r, 5r. Der französische Botschafter meldete: »Hier macht man sich kaum Illusionen über das Schicksal, das der Kirche droht, sollten die Deutschen nach dem Sieg ihrer Armeen völlige Handlungsfreiheit erhalten. Dass Hitler so wenig Rücksicht auf die christlichen Konfessionen im Deutschen Reich nimmt, wird im Vatikan als Hinweis auf die radikalen Maßnahmen aufgefasst, die er nach einem deutschen Triumph wohl ergreifen würde.« Bérard an französisches Außenministerium, Vichy, 21. Januar 1942, MAEC, Guerre Vichy, 551. In einem Bericht an Pétain vom 2. Februar 1942 äußerte Bérard sich ebenfalls zu diesem Thema. MAEC, ­Guerre Vichy, 551. Tatsächlich war die Angst des Papstes vor den möglichen Folgen eines deutschen Sieges für die Kirche so stark ge-

worden, dass nach vielen Monaten, in denen die Vatikanzeitung keinerlei Kritik an dem kirchenfeindlichen Vorgehen des Deutschen Reichs hatte äußern dürfen, dort nun ein Leitartikel zu dem Thema »Die religiöse Situation in Deutschland« erschien. Dieser war zwar diplomatisch formuliert, doch die Botschaft war klar: »Gewisse Zeitungen«, begann der Artikel, »haben ermutigende Nachrichten zur Situation der katholischen Kirche in Deutschland abgedruckt. Wir bedauern sehr, feststellen zu müssen, dass wir derartige Einschätzungen leider weder teilen noch bestätigen können.« Osborne sandte einen Ausschnitt des Artikels samt beifälligem Kommentar nach London. Eine Notiz aus dem Außenministerium empfahl daraufhin, man solle die BBC auf den Text aufmerksam machen, damit er in Italien, Spanien und Lateinamerika gesendet werde. Osborne an britisches Außenministerium, 22. Januar 1942, NAK, FO 371, 33410, 91. Auch die Civiltà Cattolica zitierte ausgiebig aus dem Artikel des Osservatore Romano vom 22. Januar. »Cronaca contemporanea«, CC, 93 I, Quaderno 2199 (Februar 1942), S. ­240–241. Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl sandte einen ungewöhnlich langen Bericht nach Berlin, der sich mit dem Stand der Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl befasste und besonders auf die Befürchtungen des Papstes einging, etwaige deutsche Pläne zum Umgang mit der Kirche nach dem Krieg betreffend. Pius XII. bezeichnete er als den einzigen Vertreter des italienischen Klerus, der Deutschland – dem Land der Reformation aus italienisch-kirchlicher Sicht – nicht von Natur aus feindlich gegenüberstehe. Bergen an Auswärtiges Amt, Berlin, 21. ­Februar  1942, PAAA, GPA, Beschränkung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und dem Vatikan auf das Altreich, R261178, 02-20.

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Anmerkungen 17  Notes du père Salza, 8. Februar 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 243. 18  Ciano 1946, S. 403 (Tagebucheintrag 9. Februar 1942); Rossi 2005, S. 359; Bérard an Darlan, Vichy, 12. Februar 1942, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183; Harold Tittmann an US-Außenministerium, 13. Februar 1942, NARA, RG 59, CDF 1940–44, 701.6566A, S. 2. 19  Guariglia 1950, S. 490–492; Babuscio Rizzo an Lanza d’Ajeta, capo di gabinetto im italienischen Außenministerium, 13. Februar 1942, ASDMAE, AISS, b. 152; De la Flotte, französisches Außenministerium, Vichy, an Bérard, 18. März 1942, MAEC, Guerre Vichy, 546. 20  Memorandum Guariglia, 26. Februar 1942, Nr. 644/233, ASDMAE, AISS, b. 152. 21  Guariglia an Ciano, 23. März 1942, Nr. 907, ASDMAE, APSS, b. 58. 22  Das Treffen des Papstes mit Pater Scavizzi ist in AAV, Prefettura Casa Pontif., Udienze, b. 50, vermerkt. 23  Scavizzi, »La questione ebraica«, in Manzo 1997, S. 132–136, 215–216. 24  Manzo 1997, S. 137–139, 229–232. 25  »Le chargé d’affaires à Presbourg«, Burzio, an Kardinal Maglione, 9. März 1942, ADSS, Bd. 8, Nr. 298. Kardinal Maglione, den der Nuntius in Budapest über die bevorstehende Deportation der slowakischen Juden und die Bitte des Budapester Oberrabbiners, der Papst möge dies verhindern, informiert hatte, bestellte den slowakischen Botschafter

beim Heiligen Stuhl ein und forderte ihn auf, seiner Regierung unverzüglich die Bitte des Vatikans zu übermitteln, der Deportationsbefehl möge aufgehoben werden. »Le nonce à Budapest«, Rotta, an Kardinal Maglione, 20. März 1942, und Notiz Montini, 24. März 1942, Nr. 317, 322. Ebenfalls im März erhielt der Papst einen detaillierten Bericht des Schweizer Abgesandten zum Jüdischen Weltkongress, den der Nuntius in Bern nach Rom weitergeleitet hatte. Darin waren zahlreiche Fälle von Massenmorden an Juden in Polen, Rumänien und anderen deutsch besetzten Teilen Europas dokumentiert. Chenaux 2003, S. 284. Zu Tiso als Priester, Politiker und Kollaborateur siehe Ward 2013. Im März 1942 begannen auch die massenhaften Deportationen französischer Juden in die Vernichtungslager im Osten. Herbert 2014, S. 463. 26  Tacchi Venturi an Maglione, 26. März 1942, ADSS, Bd. 8, Nr. 331. Kardi­nal Maglione selbst hatte sich am 6. März mit Buffarini getroffen, um ihm darzulegen, dass getaufte Juden von den Rassengesetzen ausgenommen werden sollten; erneut äußerte er keine Einwände gegen die Anwendung der Gesetze auf Juden, die bei ihrer Religion geblieben waren. Gespräch zwischen Kardinal Ma­ glione und Buffarini Guidi, Memorandum von Tacchi Venturi, 6. März 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Asterisco ­Italia, posiz. 1054*, ff. 983.

Kapitel 23: Am besten nichts sagen 1  Die führende katholische Tageszeitung von Rom hatte schon die Wahl des Papstes mit einem großen Porträt Pacellis und der Schlagzeile »Gott hat der Kirche Pius XII. gegeben und der Welt den Pas­ tore Angelico« gewürdigt. Zum ersten Jahrestag seiner Papstwahl lautete die Schlagzeile: »Die Welt begrüßt in dem PASTOR ANGELICUS den Friedens-

fürsten«. Novus (Imolo Marconi), »Dio ha dato alla Chiesa Pio XII e al mondo il Pastore Angelico«, AR, 4. März 1939, S. 1; »Il Mondo saluta nel ›PASTOR ANGELICUS‹ il Principe della Pace«, AR, 5. März 1940, S. 3–4. 2  »Il terzo anno di Pontificato di Sua Santità Pio XII«, OR, 12. März 1942, S. 1, 3–4; Remo Branca, »Vita e arte nel ›Pastor

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Anmerkungen Angelicus‹«, und M.M., »Per meglio apprezzare la visione«, OR, 13. Dezember 1941, S. 4. Am 27. April 1942 machte die italienische Botschaft Ciano und das Ministerium für Volkskultur darauf aufmerksam, dass die Dreharbeiten für den Film im Monat zuvor begonnen hatten und es bereits Pläne gab, ihn weltweit zu verbreiten. N. 1316/495, ASDMAE, APSS, b. 64. 3  Zu Mussolinis Mitwirkung siehe die Dokumente mit Datum vom 1. und 5. April 1942 in ACS, PCM 1940–43, b. 2937, ff. 2–5. 4  Pater Scavizzis dritter Bericht vom 12. Mai 1942, der auf seinen Beobach­ tungen von April während der Fahrt im Lazarettzug beruht, ist in Manzo 1997, S. 233–240, abgedruckt. 5  Attolico an Ciano, 27. Februar 1941, tel. 642/300, ASDMAE, AISS, b. 148; Attolicos Bericht wurde anschließend an den italienischen Botschafter in Berlin, Alfieri, weitergeleitet: tel. 05264, ASDMAE, APSS, b. 52. 6  Der Diplomat schloss seinen Bericht mit der Bemerkung, dass der Nuntius »in einem gelassenen und erhabenen Tonfall sprach, ohne jede Bitterkeit, und sogar erklärte, er fürchte sich nicht davor, dass man ihn für einen Optimisten halten könnte«. Italienisches Außenministerium an italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl, Bericht des Botschaftssekretärs, Berlin, 20. Juni 1942, tel. 14751, A ­ SDMAE, AISS, b. 148. Nicht einmal der Bischof von Berlin scheint mit Orsenigos Arbeit zufrieden gewesen zu sein, denn er hatte längst Beschwerde über Orsenigo direkt beim Papst eingelegt. Konrad von Preysing an Pius XII., 5. April 1940, AAV, Segr. Stato, 1940, Diocesi, posiz. 306, f. 93r. 7  Tacchi Venturi an Maglione, 17. Juni 1942, ADSS, Bd. 8, Nr. 399. 8  »Giudaismo. Roberto Farinacci illustra il problema«, PI, 5. Juli 1942, S. 3; Roberto Farinacci, »Cattolici e cattolici«, RF, 14. Juli 1942, S. 1–2.

9  »20 000 ebrei rastrellati a Parigi«, L’Italia, 18. Juli 1942; Cointet 1998, S. 222. Cointet zufolge belief sich die Zahl der bei den Razzien vom 16./17. Juli in Paris verhafteten Juden auf 12 884, zumeist Frauen und Kinder. 10  De Felice 1996b, S. 757; Ciano 1946, S. 444, 449–450 (Tagebucheinträge 2. und 21. Juni 1942); Roberts 2018, S. 738–740. 11  Osborne an Howard, London, 12. Juli 1942, NAK, FO 371, 33426, 2–4. Der Papst hatte sich in den vorangegangenen Monaten ein Kräftemessen mit der britischen Regierung geliefert, die verlangt hatte, dass der italienische Prälat, der als Apostolischer Legat nach Ägypten und Palästina entsandt worden war, abgelöst werden solle, da die Briten ihn wegen seiner Ergebenheit gegenüber Italien für kompromittiert hielten. Dies hatte im März 1942 dazu geführt, dass Maglione sich mit der Bitte an den Nuntius in Washington gewandt hatte, »einmal zu sehen, ob es nicht opportun wäre, in dieser Sache das Gespräch mit der [amerikanischen] Regierung zu suchen«. Maglione an Cicognani, 28. März 1942, AAV, Segr. Stato, 1941, Stati, posiz. 73, f. 14r. Es war ein weiteres Beispiel dafür, dass der Papst die amerikanische Regierung für stärker dem Vatikan zugeneigt hielt als die britische. 12  »Es ist allerdings erschütternd«, bemerkte Tardini über die Besuche, »wie diese Koalition von Diplomaten, die Gäste des Heiligen Stuhls sind, die außerordentlich gut behandelt werden, die Tag für Tag mit ansehen können, mit welcher Überlegenheit der Heilige Stuhl vorgeht – wie diese Leute alle übereinstimmen und stur einen Glauben und eine Haltung bewah­ ren, die ebenso falsch ist wie beleidigend für jene, die so gut und freundlich zu ihnen sind.« Notizen Tardini, 20., 21. und 24. Juli 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 414. 13  Osborne an Tardini, 21. Juli 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 416. Nachdem er den Brief überbracht hatte, erstattete Osborne

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Anmerkungen dessen Verfasser im Londoner Außenministerium, Douglas Howard, Rapport: Zwar habe er das Schreiben dem Papst persönlich aushändigen wollen, als jedoch seine Audienz verschoben wurde, habe er den Brief Tardini zu geben beschlossen, damit dieser ihn dem Papst überreiche. Tardini habe ihm gesagt, er solle die Sache mit dem Papst persönlich besprechen. »Das werde ich auch tun«, versprach Osborne. »Mehrere meiner Kollegen äußern sich im Vatikan in demselben Sinne«, meldete er nach London, »jedoch bin ich nicht allzu zuversichtlich, was das Ergebnis angeht.« Osborne an Howard, 22. Juli 1942, NAK, FO 371, 33412, 60–61. 14  Osborne an Pius XII., 30. Juli 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 847, ff. 48r, 49r–50r. Zur selben Zeit beantwortete Orsenigo die jüngste Anfrage des Staatssekretariats, das Informationen über das Schicksal der aus Deutschland und Österreich deportierten Juden erbeten hatte. Es ist typisch für Orsenigo, dass er in seiner ausführlichen Antwort statt von Juden mehrmals von »Nichtariern« sprach, während er erklärte, dass es gefährlich geworden sei nachzufragen, wohin sie gebracht wurden oder was mit ihnen geschah. »Bedauerlicherweise«, schrieb er, »hört man auch Berichte, die kaum zu überprüfen sind, von Reisen ins Verderben und sogar Massakern. Sogar jede Intervention, die nur zugunsten von katholischen Nichtariern erfolgt, ist bislang abgewiesen worden mit der üblichen Begründung, dass das Wasser der Taufe am jüdischen Blut nichts ändere und dass das Deutsche Reich sich gegen die nichtarische Rasse verteidigen müsse, nicht gegen das religiöse Bekenntnis der getauften Juden.« Orsenigo an Maglione, 28. Juli 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, ff. 30r–31r. Etwa um dieselbe Zeit fragte Monsi­ gnore Godfrey, der Apostolische Legat in London, im Vatikan an, ob man dort bri-

tische Presseberichte bestätigen könne, denen zufolge der Papst gegen die laufenden Deportationen von Juden in Frankreich protestiert habe. Maglione antwortete, dass er eine solche Meldung nach Sachlage nicht bestätigen könne. Godfrey an Maglione, 8. August 1943, und Ma­ glione an Godfrey, 11. August 1942, AAV, Segr. Stato, 1942, Commissione Soccorsi, b. 301, fasc. 19, ff. 2r, 3r. 15  Osbornes Tagebucheintrag für den 31. Juli ist zitiert bei Chadwick 1984, S. 452–353. 16  Ciano 1946, S. 181–182 (Tagebucheintrag 30. Dezember 1939). 17  Im Tagebuch Monsignore Tardinis wird die Papstaudienz von Marie José und ihrem Ehemann am 6. Mai geschildert. Bei dieser Gelegenheit hatte der Papst ihr mitgeteilt, er sei aus zuverlässiger Quelle darüber informiert, dass die Deutschen sowohl ihr eigenes Heimatland als auch die Niederlande innerhalb der nächsten paar Tage überfallen würden. »Heute Abend um 9«, schrieb Tardini am 8. Mai, »entnehme ich dem amerikanischen Radio, dass die Aufregung in den Niederlanden durch einen Brief ausgelöst wurde, den die Prinzessin von Piemont offenbar nach ihrem Besuch im Vatikan an eine Frau in Belgien geschrieben hat.« Pagano 2020, S. 184–185. 18  Notizen Montini, 3. September 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 454; Di Nolfo und Serra 2010, S. 18–19; Regolo 2002, 2013. In einer handschriftlichen Notiz für das britische Außenministerium vom 21. Juni 1943 bemerkte Denis Laskey: »Die Kronprinzessin ist wahrscheinlich die stärkste Persönlichkeit in der königlichen Familie, und zahlreichen Berichten zufolge arbeitet sie gegen das Regime – wenn auch hierüber bislang keine sichere Bestätigung vorliegt.« Noch am selben Tag kommentierte dies Pierson Dixon wie folgt: »So lange & regelmäßig wie wir nun schon gehört haben, die Kronprinzessin arbeite gegen das Regime, können wir den

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Anmerkungen Wert ihrer Bemühungen wohl getrost vernachlässigen.« NAK, FO 371, 37556. 19  Osborne an Eden, 8. September 1942, NAK, FO 371, 33412, 96–105. 20  Andrea Szeptzyckyj, Metropolita ruteno di Leopoli, an Pius XII., 29. August 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, f. 11r. 21  P. Lopinot, Ferramonti-Tarsia, an Borgongini Duca, 10. September 1942, ADSS, Bd. 8, Nr. 471; »Life in Ferramonti«, Italy and the Holocaust Foundation, 2014, http://www.italyandtheholocaust.org/places-life-in-Life-In-Ferramonti-2.aspx. 22  Notizen Montini, 18. September 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, f. 12r. 23  Der amerikanische Gesandte meldete den neuen Vorstoß Ende Juli nach Washington. Wie die anderen Diplomaten der Alliierten war er seit dem Kriegseintritt seines Heimatlandes in dem Gästehaus Santa Marta in der Vatikanstadt untergebracht. Tittmann erinnerte daran, schon mehrfach »darauf hingewiesen zu haben, dass das Versäumnis des Heiligen Stuhls, öffentlich gegen die Gräueltaten der Nazis zu protestieren, sein moralisches Ansehen gefährdet und das Vertrauen in die Kirche und den Heiligen Vater selbst untergräbt«. Hierauf habe man ihm und seinen Kollegen stets dieselbe Antwort gegeben: Der Papst habe Verstöße gegen die Moral bereits verurteilt, und »wenn man nun konkret würde, würde das die Sache nur noch schlimmer machen«. Tittmann bezweifelte von daher, dass die Briefkampagne, die der brasilianische Botschafter ins Rollen gebracht hatte, bei Pius XII. einen Sinneswandel bewirken würde; aber schaden könne sie natürlich auch nicht. Einige Tage später teilte der amerikanische Außenminister seine Unterstützung des gemeinsamen Appells mit. Tittmann an Hull, Washington, 30. Juli 1942, NARA, RG 59, Eintrag 1070, Box 29, S. 125–26; Hull an Titt-

mann, 4. August 1942, FRUS 1942, Bd. 3, S. 773. 24  Eine erst kürzlich in den vatikanischen Archiven aufgefundene Notiz lässt Tardinis Unmut über ihren Besuch erkennen: Der belgische Botschafter las ausführlich aus dem Dokument vor, das sie mitgebracht hatten, bevor er die Blätter an seinen polnischen Amtskollegen weiterreichte. »Dieser las nach demselben System (aber mit noch gewaltigerer Stimme und lähmender Langsamkeit) bis zur Seite 21 vor.« Notiz Tardini, 15. September 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 847, f. 29r. 25  Tittmann an US-Außenminister, ­Washington, D.C., 11. September 1942, NARA, RG 59, Eintrag 1070, Box 29, S. 121–122; belgischer Botschafter Nieuwenhuys und polnischer Botschafter Papée an Kardinal Maglione, 12. September 1942, brasilianischer Botschafter Accioli an Kardinal Maglione, 14. September 1942, Osborne an Maglione, 14. September 1942, ADSS, Bd. 5, Nr. 465–467; Tittmann an Maglione, 14. September 1942; und Tittmann an Hull, 14. September 1942, FRUS 1942, Bd. 3, S. 774–775. 26  Peruanischer Botschafter an den Heiligen Stuhl, 17. September 1942 (Eingangsdatum 28. September), ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 847, f. 47r. Die zweite Notiz findet sich auf f. 52. 27  Bericht Taylor, 19. September1942, FDR Library, psfa 494a, S. 14–24. Die päpstlichen Exemplare von Taylors Schriftsätzen finden sich in AAV, Segr. Stato, 1942, Stati, posiz. 204, ff. 59r–71r. 28  Memorandum Taylor an Pius XII., 22. September 1942, FDR Library, psfa 494a, S. 40. Das Original befindet sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, ff. 16r–19r. 29  Memorandum Taylor an Maglione, 26. September 1942, FDR Library, psfa 494a, S. 138–139. Eine italienische Über-

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Anmerkungen setzung findet sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte Extracta, Germania Extracta, posiz. 742, Ebrei, ff. 21–23, mit dem Vermerk: »Il Santo Padre ne ha preso visione« (»Vom Heiligen Vater gesehen«), f. 14r. 30  Falls Roosevelt zu diesem Zeitpunkt noch die geringste Hoffnung darauf gesetzt haben sollte, Italien von seinem deutschen Verbündeten zu trennen, dürften Taylors Berichte aus dem Vatikan diese Hoffnung entscheidend gedämpft haben. »Während vieler Jahre«, teilte Taylor dem Präsidenten mit, »hat sich keine einflussreiche Stimme mehr öffentlich gegen das totalitäre Regime geäußert.« Auch die Vorstellung, dass der König den Italienern helfen könnte, Mussolini wieder loszuwerden, sei verfehlt, denn »von dieser Dynastie, die sich dem Regime stets absolut unterworfen hat, ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten«. Eines Tages werde Mussolini bestimmt gestürzt werden, meinte Taylor, aber »erst, nachdem die deutsche Niederlage besiegelt ist«. Eine der größten Sorgen des Papstes war ja gerade, was mit Italien passieren würde, sollten die Achsenmächte den Krieg verlieren. »In vatikanischen Kreisen herrscht die Auffassung vor«, meldete Taylor, »die auch der Papst und der Kardinal teilen, dass dann nämlich ein großes Chaos ausbrechen würde, und beide hegen einigen Zweifel, dass die Vereinten Nationen [d. h. die Alliierten] oder andere Einflüsse dies dann würden unterdrücken können.« Taylor an Roosevelt, 24. September 1942, FDR Library, psfa 495, S. 44–45; Memorandum über Unterredung zwischen Kardinalstaatssekretär Maglione und Myron Taylor, 25. September 1942, FDR Library, psfa 494a, S. 38. Ein paar Anzeichen dafür, dass die Italiener mit dem faschistischen Regime nicht restlos zufrieden waren, hatte Taylor aber doch beobachtet. Giuseppe Dalla Torre, der Chefredakteur des Osservatore Romano, hatte ihm während seines Auf-

enthalts ein geheimes Memorandum zukommen lassen, das seine Analyse der verschiedenen Gruppierungen enthielt, die in Opposition zum Duce standen. Neben den offensichtlichen Kandidaten aus den Reihen der antifaschistischen Parteien, die Mussolini schon vor vielen Jahren verboten hatte, benannte Dalla Torre auch zwei prominente Generäle sowie Personen aus jenen Kreisen, die er als katholische Aristokratie bezeichnete. Er gab auch das Gerücht weiter, Kronprinzessin Marie José persönlich suche den Kontakt zu Adligen, die ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg befür­ worteten. Aber auch die Kommunisten, warnte Dalla Torre, bemühten sich, die Opposition gegen Mussolini zu stärken, und hatten einigen Erfolg bei der Infiltrierung kriegswichtiger Fabriken. Giuseppe Dalla Torre, September 26, 1942, NAK, FO 371, 33430, 39. Taylor verließ Rom am 29. September und schrieb Roosevelt am nächsten Tag aus Madrid. Seine Mission, teilte er mit, habe zwei Hauptziele gehabt: erstens den Papst zu überzeugen, dass er sich unter keinen Umständen an Friedensinitiativen der Achsenmächte beteiligen solle; und zweitens die Idee einzupflanzen, dass Italien, sobald die Alliierten in der Lage sein würden, ihm entsprechende Unterstützung zu gewähren, »sich in seinem eigenen zukünftigen Interesse von Hitler lossagen sollte«. »Dies Letztere«, schrieb Taylor nach Washington, »hat den Papst und die Entscheidungsträger im Vatikan sehr beeindruckt.« Taylor an Roosevelt, 29. September 1942, FDR Library, psfa 494a, S. 184. Mussolini verfolgte Taylors Besuch mit großem Interesse und konnte sich dabei unter anderem auf die Berichte seines eigenen Botschafters beim Heiligen Stuhl, Guariglia, verlassen. Guariglia an Ciano, 2. Oktober 1942, DDI, Serie 9, Bd. 9, Nr. 179. Über die Gespräche des Amerikaners mit dem Papst berichtete ihm etwa

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Anmerkungen auch sein Botschafter in Madrid, nachdem Taylor dort einen kurzen Zwischenhalt gemacht hatte. Roosevelts Absicht hinter der Gesandtschaft sei es gewesen, meldete der Botschafter, die Unterstützung des Papstes dafür zu gewinnen, Italien zu einem Separatfrieden mit den Alliierten zu bewegen. Eine weitere Facette ergibt sich aus dem Bericht eines Polizeiinformanten im Vatikan. Taylor hatte dem Papst demnach noch einen weiteren Anreiz mitgebracht, es sich bloß nicht mit den Amerikanern zu verscherzen: Der New Yorker Erzbischof Spellman hatte nämlich vor Kurzem 2 Millionen US-Dollar, das Ergebnis einer Kollekte unter den New Yorker Katholiken, bei einer amerikanischen Bank auf den Namen des Papstes eingezahlt. Italienischer Botschafter in Madrid, Lequio di Assaba, an Ciano, 2. Oktober 1942, DDI, Serie 9, Bd. 9, Nr. 177; Informativa, Vaticano, 17. Oktober 1942, ACS, DAGR, A5G, IIGM, b. 72. Zur selben Zeit meldete der französische Botschafter in Lissabon Gerüchte, dass Taylors Mission, einen Keil zwischen den Papst und das faschistische Italien zu treiben, letztlich den Papst davon habe überzeugen sollen, Rom zu verlassen und den Heiligen Stuhl nach Spanien oder Portugal zu verlegen. Gentil, Lissabon, an französisches Außenministerium, 6. Oktober 1942, MAEC, Guerre Vichy, 550, 484–485. 31  Memorandum, Vatikanisches Staatssekretariat, 1. Oktober 1942, ASRS,

AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, f. 24r. 32  In ihrer Einleitung zu Band 6 der ADSS bezeichnen die jesuitischen Herausgeber Monsignore Angelo Dell’Acqua als »den Spezialisten in der ersten Abteilung des Staatssekretariats in allen Fragen Nichtarier betreffend« (S. 25). 33  Dell’Acquas Memorandum vom 2. Oktober findet sich in ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, Parte Extracta, Germania, posiz. 742, Ebrei, f. 25r. Für Forschungsarbeiten zu Dell’Acqua siehe Melloni 2004. 34  Bericht, auf dem Briefpapier der polnischen Botschaft, an den Heiligen Stuhl, datiert Vatikan, 3. Oktober 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte Extracta, Germania, posiz. 742, f. 35r. 35  Bericht Scavizzi, 7. Oktober 1942, ASRS, AA.EE.SS. Pio XII, parte Extracta, Germania, posiz. 742, f. 26r. 36  Tittmann an Hull, 10. Oktober 1942, NARA, RG 59, CDF 1940–44, 740.00116, box 2917, S. 2, 3; auch abgedruckt in FRUS 1942, Bd. 3, S. 777–778. Das vatikanische Exemplar findet sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte Extracta, Germania, posiz. 742, f. 27r. Auch in den folgenden Monaten sollte Monsignore Bernardini, der Nuntius in Bern, immer wieder Unterlagen jüdischer Organisationen an den Vatikan weiterleiten, die die Vernichtung der Juden in Mittel- und Osteuropa dokumentierten. AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 221, fasc. 626, ff. 93r–120r.

Kapitel 24: Schuldzuweisungen 1  Gioannini 2012, S. 80. 2  Rauscher 2001, S. 486–488; Davis 2006, S. 77–78, 138; »75(nz) squadron«, https://75nzsquadron.wordpress.com/ october-1942/; »Second Battle of El ­Alamein«, National Army Museum, www.nam.ac.uk/explore/battle-alamein. 3  Schließlich meinte der Botschafter, er habe Mussolini überzeugt, dem Vatikan

besser keine Mitschuld an den Angriffen auf italienische Städte vorzuwerfen. Am nächsten Tag musste er aber überrascht feststellen, dass Farinaccis Kommentar auf der Titelseite von Il Regime Fascista Wort für Wort die Vorwürfe Mussolinis enthielt. Wahrscheinlich hatte Mussolini selbst Farinacci entsprechend instruiert. Guariglia 1950, S. 528–529; Ciano 1946,

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Anmerkungen S. 480 (Tagebucheintrag 26. Oktober 1942). 4  »Relazione circa la situazione religiosa in Austria e nel Lussemburgo richiesta dal Santo Padre«, 7. Oktober 1942, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 854, ff. 31r–36r. 5  Bergen an Auswärtiges Amt, Berlin, 12. Oktober 1942, PAAA, GPA, Beschränkung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und dem Vatikan auf das Altreich, R261178, ­100–102, Tel. 264. Während all dieser Vorgänge sprachen wenig Anzeichen dafür, dass die Kirche die Achsenmächte etwa nicht unterstützte. Typisch war vielmehr ein Kommentar von Pater Busti, dem Chefredakteur der Mailänder katholischen Zeitung, worin er sein Lob über den Krieg der Achsenmächte ausschüttete, der für »eine neue Ordnung von Gerechtigkeit und Frieden« geführt werde, gegen »die Politik des Hasses, die von England mit dem Vertrag von Versailles begonnen wurde«. D. m. B. (Don Mario Busti), »Ritorno alla tradizione«, L’Italia, 4. Oktober 1942, S. 1. In einem anderen Kommentar feierte Busti etwas später im Oktober Mussolinis Machtergreifung vor zwanzig Jahren und erinnerte an ein Interview, das der Duce einige Jahre zuvor gegeben hatte. Darin war auch das Thema Religion zur Sprache gekommen. »Vor Kurzem haben Sie Caesar Ihre Ehrerbietung erwiesen, aber Jesus über ihn gestellt, wenn ich mich nicht irre«, hatte der Reporter gesagt. »Caesar kommt nach ihm«, hatte der Duce entschieden geantwortet, »Jesus ist der Größte!«, »1922–28 ottobre–1942 Le Opere del Ventennio«, L’Italia, 28. Oktober 1942, S. 3. Unterdessen hielt der Duce den Druck auf den Papst aufrecht. Am 8. Oktober ließ er seinen Staatssekretär Buffarini den Nuntius in sein Büro bestellen. Buffarini teilte dem Kirchenmann mit, Mussolini

sei »außer sich« vor Zorn über einen Bericht – den Buffarini dem Nuntius übergab – , wonach Kardinal Salotti bei einem Diner vor zwei Monaten antifaschistische Gefühle geäußert habe. »Kardinal oder nicht, ich lasse ihn verhaften, und dann werden wir sehen, was passiert«, drohte der Duce. Wenige Tage später kehrte der Nuntius zurück und übergab Buffarini den langen Verteidigungsbrief des Kardinals. Der Bericht des Informanten sei nichts als ein Haufen Lügen und Verdrehungen, schrieb Salotti. Ein Korn Wahrheit enthalte einzig die Behauptung, er habe gesagt: »Hitlers Sieg würde einen totalen Krieg gegen die katholische Religion auslösen.« Da der Papst erneut gewarnt war und der Kardinal seine Hoffnung auf einen Achsensieg beteuerte, ließ Mussolini die Sache ruhen. Die Dokumente über diesen Vorgang in AAV, Segr. Stato, 1942, Cardinali, posiz. 51, ff. 1r–19r. Die katholische Presse hatte den 20. Jah­restag des faschistischen Marschs auf Rom, der Mussolini an die Macht gebracht hatte, zum Anlass genommen, erneut ihr Loblied auf alles zu singen, was Mussolini vollbracht habe. In seinem Presseüberblick für Ciano lenkte Botschafter Guaraglia Cianos Aufmerksamkeit besonders auf einen Artikel im Osservatore Romano, der von einem prominenten Autor der Civiltà Cattolica stammte. »Wer das Bild der letzten zwei Jahrzehnte betrachtet, ist verblüfft über die Vielzahl und historische Bedeutung der Ereignisse, die unter der Dynamik des faschistischen Regimes geschehen sind«. Guariglia an Außenministerium und Ministerium für Volkskultur, 13. November 1942, ­ASDMAE, APSS, b. 62, Tel. 3436/1339. Auch die Reaktion des Vatikans auf einen Kommentar in einer faschistischen Zeitung aus Salerno, der den Faschismus für unvereinbar mit dem Katholizismus erklärte, ist aufschlussreich. Die Reaktion erfolgte schnell. Am 30. November be-

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Anmerkungen stellte Kardinal Maglione den italienischen Botschafter ein, zeigte ihm den Ausschnitt und forderte ihn auf, in einer anderen faschistischen Zeitung eine Richtigstellung erscheinen zu lassen. Es gebe keine Unvereinbarkeit zwischen Faschismus und Katholizismus, beharrte der Kardinal. Guariglia appunto, 30. November 1942, ASDMAE, AISS, b. 164. 6  Bottai 1989, S. 335 (Tagebucheintrag 19. November 1942). 7  »Bombardamento a Torino«, www.‑museotorino.it/view/s/acb7d7d49d6147e188377fb9e9c491ef. 8  Osborne an Eden, 22. November 1942, NAK, FO 371, 33412, 157–160. Der Briefwechsel des Erzbischofs mit dem Papst in FDR Library, psfc 117, S. 61–67 enthält auch Material, das der Vatikan an Erzbischof Spellman schickte und Spellman an Roosevelt. 9  Dulles 2011, S. xxi; Herbert 2014, S. 511–515; Ian Johnson, »Stalingrad: WWII’s Turning Point«, Origins, https:// origins.osu.edu/milestones/august2017-stalingrad-75-turning-point-worldwar-ii-europe. Eine gute, kurz gefasste Untersuchung des Umschwungs an der Ostfront bietet Hartmann 2011. 10  Clara Petacci Tagebuchnotizen, 30. November und 2. Dezember 1942, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 10, fasc. 157. 11  Im Bericht über das Gespräch für Kardinal Maglione gab der Nuntius zu, etwas verblüfft über die Erwähnung von »Lutheranern« durch den König gewesen zu sein. Der Bezug auf Juden und Bolschewisten war klar gewesen, aber meinte er mit Lutheranern die Deutschen? Oder hatte er »Anglikaner« sagen wollen? Beim König, der keine hohe Meinung von der Menschheit allgemein hatte, konnte man nicht sicher sein. Borgongini an Maglio­ne, 27. November 1942, ADSS, Bd. 7, Nr. 115. 12  Maglione an Cicognani, Washington, 3. Dezember 1942, und Cicognani an

Maglione, 4. Dezember 1942, ADSS, Bd. 7, Nr. 43, 44; Trisco 2003, S. 226. 13  Nach ihrem Treffen vom 4. Dezember bereitete Guariglia ein Memorandum für Ciano vor über das, was Maglione ihm gesagt hatte. Seltsamerweise schickte er ein Exemplar an Maglione, der einen Kommentar darunterkritzelte: Diese Note des italienischen Botschafters gibt genau das Gespräch wieder, das er mit mir führte, bis auf den letzten Satz: »Es wäre nötig, zumindest die wichtigsten dieser [militärischen] Ziele zu verlegen.« Ich wies den Botschafter darauf hin. Er antwortete, in Wirklichkeit hätte ich von »den militärischen Zielen« generell gesprochen, nicht nur den wichtigsten. Er fügte aber hinzu, er habe nicht geglaubt, meinen Satz so zitieren zu können, weil er es nicht für möglich hielt, alle militärischen Ziele zu verlegen, und weil er dachte, der Vorschlag einer Verlegung aller militärischen Ziele könne dem Chef der Regierung übertrieben vorkommen (ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte 1, Volumi bianchi, ff. 256r–257v). 14  Guariglia Appunto, 4. Dezember 1942, ASDMAE, Gab., b. 1192, UC-76, fasc. 3, Nr. 3650; Maglione an Guariglia, 4. Dezember 1942, ADSS, Bd. 7, Nr. 45. Bei der Diskussion der vatikanischen Forderung sagte Mussolini zu seinem Schwiegersohn, er wolle nicht, dass irgendjemand sagen könne, er habe sich »unter den Schirm des Katholizismus geflüchtet, um sich vor den englischen Bomben zu schützen«. Ciano 1946, S. 497 (Tagebucheintrag 6. Dezember 1942). Am 18. Dezember wies Mussolini seinen Botschafter beim Heiligen Stuhl an, den Vatikan zu informieren, das italienische und das deutsche Oberkommando würden Rom bald verlassen, und auch er werde es ihnen wohl nachtun. Er gab aber seinem Widerwillen dagegen Ausdruck, dass es schien, als sei er vom Papst ab-

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Anmerkungen hängig, um seine Hauptstadt zu schützen. Seinen Ärger mehrte noch der stete Zustrom von Menschen nach Rom, die die Stadt angesichts der britischen Luftangriffe auf den Rest des Landes für einen sicheren Ort hielten. Guariglia an Ciano, 18. Dezember 1942, ASDMAE, Gab, b. 1192, UC-76, fasc. 3, Nr. 3797. 15  Die vatikanischen Dokumente über diese intensiven Treffen Mitte Dezember 1942 in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Volumi bianchi I, ff. 259r–281r. Der Auszug aus Osbornes Tagebucheintrag vom 14. Dezember in Chadwick 1986, S. 216. 16  Ministero della Guerra an Ministero dell’Interno, 3. Dezember 1942, ACS, MI, Gab., RSI, b. 51, Nr. 160860; »Solenni riti religiosi in tutta Italia a propiziazione

della Vittoria«, AR, 8. Dezember 1942, S. 1; »Patriottico discorso dell’Arcivescovo di Bologna«, PI, 9. Dezember 1942, S. 4. Über die Zeremonie wurde auch in der katholischen Zeitung Bolognas berichtet: »Riti propiziatori per la patria in Guerra«, AI, 10. Dezember 1942, S. 2. Zur päpstlichen Autorisierung der Messen zu Ehren von Arnaldo Mussolini siehe AAV, Segr. Stato, 1941, posiz. 1950, ff. 1r–18r. 17  Segretariato per la Moralità, ACI, »Relazione sugli Spettacoli di Varietà«, 8. Dezember 1942, ISACEM, PG XII, b. 22. 18  Kardinal Lavitrano an Mussolini, 19. Dezember 1942, ISACEM, PG XII, b. 22.

Kapitel 25: Päpstliche Premiere 1  Ein britischer Geheimdienstbericht von Mitte Dezember 1942, der den Zustrom deutscher Soldaten beschrieb, kam zu dem Schluss, es sei jetzt unwahrscheinlich, dass die Italiener »in einer Position wären, sich von der Achse zu lösen«. OSS-Bericht, »Political Situation in Italy«, 18. Dezember 1942, NARA, RG 165, color 278. 2  Der antikirchliche Flügel der nationalsozialistischen Regierung war wenig glücklich über die Soldatenbesuche beim Papst, hielt das Interesse von Offizieren und Wehrpflichtigen am Vatikan für ungesund und war beunruhigt, sie könnten sich von all dem Prunk, der den Papst umgab, beeindrucken lassen. Entgegen früheren Erlassen besuchten Wehrmachtsangehörige aber weiterhin den Papst, stellte ein Bericht vom 8. Dezember 1942 fest. Partei-Kanzlei an Auswärtiges Amt, Legationsrat Büttner, PAAA, GPA, Vatikan Kirche 3, R98832, 10–11. Acht Tage später notierte Goebbels: »Die Besuche deutscher Soldaten und Offiziere beim Papst haben trotz [von Rintelens] Versicherungen in keiner Weise nach-

gelassen. … Es wäre gut, wenn hier eine Personalveränderung stattfände. Ich sammle die Unterlagen, um dem Führer den Fall vorzutragen.« Goebbels 1996, S. 455 (Tagebucheintrag 16. Dezember 1942). 3  Maglione erklärte, er gebe diese Informationen weiter, damit der Nuntius sie bei passender Gelegenheit in Gesprächen mit Vertretern der spanischen Regierung und der »spanischen politisch-kirchlichen Welt« anbringen könne. Maglione an Nuntius Gaetano Cicognani, Madrid, 15. Dezember 1942, ADSS, Bd. 7, Nr. 61. 4  Unterstreichung im Original. 5  Osborne berichtete nach London: »Ich fürchte, der Papst ist entschlossen, kein spezifisches Verbrechen zu verurteilen, wie grausam es auch sein mag, um einen Anschein von Neutralität zu wahren, der es ihm eines Tages erlauben wird, eine Rolle bei der Wiederherstellung des Friedens zu spielen. Er sieht nicht, dass er durch sein Schweigen seine Aussichten, gehört zu werden, hoffnungslos beeinträchtigt.« Osborne, Memorandum, 18. Dezember 1942, NAK, FO 380/75,

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Anmerkungen Nr. 21/28/42. Das Memorandum, das Osborne Tardini für den Papst übergab, trug den Titel »Verfolgung der Juden«. Chadwick 1986, S. 216–217. 6  Wenn der Papst die Naziverbrechen verurteile, müsse er auch die Verbrechen der Sowjets gegen die Polen verurteilen, antwortete Tardini. In Ordnung, sagte der Botschafter. Hauptsache, die Verurteilung des Papstes sei öffentlich und unzwei­ deutig. Libionka 2008, S. 286–287. 7  Guariglia an Ciano, 18. und 19. Dezember 1942, ASDMAE, AISS, b. 194, Nr. 3796, 3814. Zur Weihnachtsbotschaft des Papstes 1942 siehe Coco 2020. 8  Chadwick 1986, S. 218. 9  Ruozzi 2015, S. 162–164; Osborne, Jahresbericht für 1942, Osborne an Eden, 22. März 1943, NAK, R 3904/3904/57, S. 2. Unter den katholischen Pressebeiträgen zur Filmpremiere siehe Enrico Pucci, »La luce del ›Pastor Angelicus‹ s’irradierà propizia sul mondo«, AR, 18. Dezember 1942, S. 3; M. M., »Pio XII: Pastor Angelicus«, L’Italia, 18. Dezember 1942, S. 2; elledici, »Entusiasmo e commozione di popolo alla visione del ›PASTOR ANGELICUS‹«, AR, 20. Dezember 1942, S. 3. 10  Clara Petacci, Tagebuch 20. Dezember 1942, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 10, fasc. 157; Bosworth 2017, S. 167. 11  Bosworth 2017, S. 167–168; Bosworth 2002, S. 385–389; De Felice 1996b, S. 1079–1085. 12  Ciano 1946, S. 502 (Tagebucheintrag 24. Dezember 1942). 13  »Il radiomessagio del Pontefice«, PI, 25. Dezember 1942, S. 1; Rossi 2005, S. 394. Wie die Rede außerhalb Roms aufgenommen wurde, zeigt der Bericht des Präfekten von Bologna: »Die Weihnachtsansprache des Heiligen Vaters im Radio stieß auf breite Zustimmung.« Man hatte in der ganzen Provinz Lautsprecher vor die Kirchen gestellt, damit die Gläubigen die Worte des Papstes hören konnten. »Die Grundsätze der Rede des Pontifex

waren sehr vorsichtig, aber entschieden gegen die kommunistische Ideologie und die nichtkatholischen Staaten eingestellt.« »Attività del Clero«, prefetto, Bologna, 7. Januar 1943, ASDMAE, AISS, b. 130, Nr. 301. 14  Phayer (2008, S. 53–56) bietet eine ausgewogenere Analyse der Papstrede und der Motive dahinter. Eine deutsche Übersetzung in Jussen 1946, S. 68–92, das im Text folgende Zitat auf S. 91. 15  Osborne an Eden, 28. Dezember 1942, NAK, FO 371, 37537, 6–16; Osborne, Jahresbericht für 1942, Osborne an Eden, 22. März 1943, NAK, R 3904/3904/57, S. 2; Friedländer 2011, S. 124; Hennesey 1974, S. 36; Tittmann an Hull, 30. Dezember 1942, NARA, RG 59, Entry 1070, box 29, S. 5–7. Unterdessen rissen die Appelle an den Papst nicht ab, die Ermordung der europäischen Juden zu verurteilen. Ein ganzer Stapel davon, darunter die Schreiben eines Londoner Rabbiners und der orthodoxen Rabbis in Nordamerika, liegt in den jüngst geöffneten vatikanischen Archiven. Die Sammelmappe trägt eine Notiz vom Weihnachtstag, welche die diesbezügliche Anweisung des Papstes enthält. Die Apostolischen Legaten in Washington und London sollten demnach mündlich antworten: »Der Heilige Stuhl tut, was er kann.« Dieselbe Akte enthält Kopien der Instruktionen, die später an die Legaten in London und Washington geschickt wurden. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Germania, Posiz. 742, ff. 52r–59r. 16  Libionka 2008, S. 288. Bei seiner Audienz zum Jahresende bemerkte auch ­Harold Tittmann die defensive Haltung des Papstes, als der ihm sagte, seine Weihnachtsansprache habe viele enttäuscht, weil sie die Gräueltaten der Nazis nicht explizit verurteilt habe. Der Papst lieferte dafür nicht nur seine übliche Begründung ab, dass er nicht die Nazis verurteilen könne, ohne auch die »Bolschewiken« oder ihre Gräueltaten zu

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Anmerkungen verurteilen, ­sondern deutete darüber hinaus an, »er habe das Gefühl, es habe ein paar Übertreibungen zum Zweck der Propaganda gegeben«, wie der US-Ge-

sandte es formulierte. Tittmann 2004, S. 123–124. 17  Friedländer 2011, S. 158. 18  De Felice 1996b, S. 767.

Kapitel 26: Eine Katastrophe mit Ansage 1  Ciano 1946, S. 513, 514–515 (Tagebucheinträge 19. und 22. Januar 1943). 2  Relazione Triennale 1940–1942, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 13, fasc. 18, ff. 3r– 25r. Maglione hatte den Bericht in einem Brief an Borgongini am 3. Juni 1943 angefordert, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 13, fasc. 18, ff. 2rv. Zum Hintergrund der Hilfeleistung der faschistischen Regierung für den Vatikan, um das protestantische Missionswerk in Italien zu verhindern, siehe Madigan 2001. 3  »La missione delle classe dirigenti«, AI, 12. Januar 1943, S. 1. Der handschriftliche Kommentar aus dem Londoner Außenministerium auf Osbornes Bericht über das Ereignis war ablehnend: »Trotz der Erwähnung sozialer Reformen nenne ich das eine durch und durch reaktionäre Rede, so überholt wie die Zeremonie selbst.« Osborne an Eden, 12. Januar 1943, NAK, FO 371, 37537. 4  Montini, Notizen, 12. Januar 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 88. Ciano hielt über das Treffen fest, dass Monsignore Montini – und nicht Kardinal Maglione oder Monsignore Tardini – der engste Vertraute des Papstes sei. »Er war vorsichtig, maßvoll, wie ein Italiener.« Obwohl Montini keine Meinung über den Krieg äußerte, sagte er immerhin, die Prälaten im Vatikan glaubten nicht, dass er bald enden würde. »Er hat hinzugefügt, daß er zu unserer vollen Verfügung steht, wenn irgend etwas zu Gunsten unseres Landes getan werden kann.« Ciano 1946, S. 511 (Tagebucheintrag 12. Januar 1943). 5  Davis 2006, S. 93; Rauscher 2001, S. 491–492; Di Rienzo 2018, S. 425. 6  Libionka 2008, S. 291–293. 7  Hennesey 1974, S. 40.

8  Ciano 1946, S. 519 (Tagebucheintrag 5. Februar 1943); Edda Ciano 1975, S. 169; De Felice 1996b, S. 1047–1048. Edda war überzeugt, die Entscheidung zur Entlassung ihres Ehemanns sei das Werk jenes Personenkreises, den sie den Petacci-Clan nannte, also von Claras Familie und ihren Günstlingen. Edda glaubte, sie und ihr Mann hätten sich den Zorn des Clans dadurch zugezogen, dass sie versucht hatten, den wachsenden öffentlichen Skandal wegen all der Reichtümer und Gefälligkeiten des Duces für sie zu beenden. Edda Mussolini 1975, S. 171. Siehe den Informantenbericht: Informativa da Roma (Nr. 484-Nicosia), 28. Februar 1943, ACS, MI, MAT, b. 239. 9  Im Lauf des Vormittags rief Mussolini tatsächlich seinen Schwiegersohn an und sagte, er habe beschlossen, dessen Ernennung zum Botschafter beim Heiligen Stuhl zu stoppen. »Man wird sagen, daß du kalt gestellt worden bist, und du bist zu jung, um kalt gestellt zu werden.« Ciano erwiderte, es sei zu spät, der Vatikan sei über die Entscheidung schon informiert worden. Ciano 1946, S. 520 (Tagebucheintrag 6. Februar 1943). In seiner aktuellen Ciano-Biografie zweifelt Di Rienzo (2018, S. 490) Cianos Darstellung an, wonach Mussolini seine Meinung über die Ernennung änderte. Die Darstellung wird aber durch den Bericht Guariglias (1950, S. 534) gestützt, der am Mittag desselben Tages Ciano versicherte, Kardinal Ma­ glione informiert zu haben. »Er war sehr froh«, erinnerte sich Guariglia, »denn nur eine halbe Stunde zuvor hatte Mussolini ihn aus dem Palazzo Venezia angerufen und ihm gesagt, er habe seine Meinung geändert und wolle ihn anderswo hin-

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Anmerkungen schicken. Darauf sagte Ciano, es sei nicht mehr möglich, weil ich schon offiziell das Ersuchen gestellt hätte.« Auch durch einen Tagebucheintrag Pirellis (1984, S. 401) am 9. Februar 1943 wird Cianos Version bestätigt. 10  Bergen an Auswärtiges Amt, Berlin, 7. Februar, PAAA, GBS, 29818, 12, Tel. 46; London, Report, Nr. 54450: »Italien«, 26. Februar 1943, NARA, RG 165, color 279; Pirelli 1984, S. 401 (Tagebucheintrag 9. Februar 1943); Tittmann an Hull, Washington, 9. Februar 1943, NARA, RG 59, CDF 1940–44, 701.6566A, S. 7–8. 11  Montini, Notizen, 6. Februar 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 105. Der Nuntius ergriff die Gelegenheit, Ciano einen Brief zu senden, um ihm für persönliche Gefallen zu danken und für »die wirksame Zusammenarbeit mit Eurer Exzellenz, um die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien auch in schwierigen Fragen zu pflegen«. Borgongini an Ciano, 8. Februar 1943, ASDMAE, AISS, b. 148. 12  Petacci an Mussolini, o. D., ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petac­ci, b. 4, fasc. 51. 13  »L’Annuale dei Patti Lateranensi. Avvenimento storico«, PI, 12. Februar 1943, S. 1. 14  Wenige Tage vor dem Jahrestag der Lateranverträge informierte Osborne London darüber, dass die militärischen Erfolge der Sowjets die Angst des Vatikans vor der »Bolschewisierung Europas« neuerdings anfachten. Beim Treffen mit Maglione zwei Tage später beschäftigte den Kardinal dann auch die prekäre Lage der deutschen Armee in Russland. Osborne an Außenministerium, 5. und 7. Februar 1943, NAK, FO 371, 37538, 17 und 19. Später berichtete Osborne erneut: »Beunruhigung des Vatikans wegen fortgesetzter russischer Siege scheint zu wachsen.« 22. Februar 1943, NAK, FO 371, 37538, 47.

15  D. m. b., »La diga«, L’Italia, 12. Februar 1943, S. 1. Drei Tage später schickte die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl den Text an das Ministerium für Volkskultur und das Außenministerium, ASDMAE, APSS, b. 68, Tel. 599. 16  Tittmann an Hull, 13. Februar 1943, NARA, RG 59, CDF 1940–44, 701. 6566A, S. 9–11. Nicht nur den Amerikanern kamen Gerüchte zu Ohren, dass Mussolinis dramatische Kabinettsumbildung mit einem geheimen Friedensplan unter Beteiligung des Vatikans zu tun habe. Ende des Monats traf Ribbentrop unerwartet in Rom ein und löste eine Welle von Spekulationen über den Grund seiner Reise aus. »Er wollte sich selbst von der Bedeutung der ministeriellen Krise vor drei Wochen überzeugen«, schrieb Luca Pietromarchi in sein Tagebuch. »Die Deutschen fürchten immer die Möglichkeit, dass Italien einen Sonderfrieden anstrebt. Sie wissen nie, ob der Heilige Stuhl dabei als Vermittler wirken könnte.« Zitiert nach De Felice 1996b, S. 1050; Pietromarchi 2009. 17  Unter denen, die mit dem offensichtlich willkürlichen Bombardement haderten, war der britische Gesandte im Vatikan, der sich in der unangenehmen Position befand, dass er wiederholt beim Papst gegen die deutsche Bombardierung ziviler Ziele protestiert hatte. Anfang 1943 wurden Osbornes Vorbehalte auf höchster Ebene im Außenministerium diskutiert. »Es kann kein Zweifel bestehen, dass ein großer Teil unserer Angriffe sich jetzt gegen Stadtzentren richtet und nicht gegen rein militärische Ziele wie Kasernen, Fabriken oder Eisenbahnen, um das Leben der Zivilisten, die in der Rüstungsindustrie arbeiten, möglichst stark zu desorganisieren«, bemerkte Denis Laskey, ein Berater des Außenministers. Das durfte natürlich nicht öffentlich zugegeben werden, aber Laskey riet: »Ich glaube, es wäre ehrlicher, zumindest unter uns zuzugeben, dass wir versuchen, so viele Zivilis-

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Anmerkungen ten wie möglich zu töten oder zu verstümmeln, und dass unsere Angriffe ebenso wahllos sind wie die der Deutschen und Italiener gegen London ­1940–41.« Laskey sagte das als Einleitung zu seiner Argumentation, dass die Bombardierungen mehr Schaden als Nutzen brächten. Statt die Italiener dazu zu bewegen, gegen ihre Führung zu rebellieren und Italien aus dem Krieg zurückzuziehen, habe das Bombardement bloß Hass gegen die Angreifer erzeugt. Es wäre viel besser, riet er, wenn England die Angriffe wieder auf militärische Ziele beschränke. Als Reaktion auf diese Empfehlung gab Außenstaatssekretär Orme Sargent zu, es habe keinen Zweck, »um den heißen Brei herumzureden, denn unsere jetzige Strategie in Italien … erfordert eindeutig ein wahlloses Bombardement, um einen Zusammenbruch der italienischen Kampfmoral zu erreichen, ohne eine militärische Invasion des italienischen Festlands durchführen zu müssen.« Obwohl Sargent selbst Zweifel am Wert der Strategie hegte, hielt er es doch für sinnlos, wenn das Außenministerium Einwände erhebe, da die Strategie nun mal von den Stabschefs beschlossen worden sei. Unter diese Kommentare vermerkte Außenminister Eden handschriftlich: »Ich stimme Sir O. Sargent zu.« Zwei Wochen später äußerte sich Eden ausführlicher über die britische Strategie in Italien, und zwar in einem Brief an Präsident Roosevelt und Außenminister Hull: »Unser Ziel muss es sein, Italien so schnell wie möglich aus dem Krieg zu stoßen, und das ließe sich mit fast gleicher Wirkung erreichen, indem Italien entweder einen Sonderfrieden schließt oder Unzufriedenheit und Unordnung im Land ein solches Maß annehmen, dass die Deutschen gezwungen wären, eine vollständige Besatzung aufzubauen.« Die zweite Variante habe den Vorteil, die Deutschen zur Verlegung dringend ge-

brauchter Truppen nach Italien zu zwingen und ihnen zugleich die italienischen Truppen zu entziehen, die mit ihnen in der Sowjetunion und auf dem Balkan kämpften. Ein Seitenwechsel Italiens hatte für die britische Militärführung wenig Reiz, da sie den Wert der italienischen Armee im Kampf gegen die Deutschen gering einschätzte. Sie hielt es für eher im Interesse der Alliierten, wenn Italien Teil der Achse bleibe und sich als »ein wachsender Aderlass für die deutsche Stärke« erweise. (Montgomery an Howard, 31. Dezember 1942, mit Kommentaren von Laskey, 20. Januar 1943, D. Howard, 22. Januar 1943, O. G. Garton, 25. Januar 1943, A. E. [Anthony Eden], undatiert, aber nach dem 25. Januar, NAK, FO 371, 37538; Eden an Roosevelt und Hull, 14. Januar 1943, übermittelt von ­Matthews, US-Geschäftsträger in London, 15. Januar 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. ­318–320). 18  Monsignore Arborio di S. Elia, Notizen, 24. Februar 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 125. Seltsamerweise behauptete ein US-Geheimdienstbericht, der Präsident Roosevelt vorgelegt wurde: »Eine sehr zuverlässige Quelle glaubt, dass der Papst intervenieren wird, damit Mussolini von sich aus zurücktritt und der König zugunsten von Prinz Umberto abdankt. Er wird von der Armee unter Führung von Badoglio unterstützt.« OSS-Bericht, 20. März 1943 FDR Library, mr 435, S. 199. 19  Pirelli 1984, S. 418–423 (Tagebucheintrag 26. März 1943). 20  Die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl wies Anfang April auf die neueste derartige Meldung hin: einen Artikel der katholischen Zeitung L’Avvenire, der groß über die patriotischen Osterbotschaften von zwei italienischen Bischöfen berichtete. »Obwohl unsere glorreiche Armee mobilisiert ist, kann nicht jeder Bürger ein Kämpfer sein«, hatte der Bischof von Trapani auf Sizilien gesagt.

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Anmerkungen »Jeder muss aber zum Sieg beitragen. … Genau das will die Katholische Aktion, damit die Herrschaft Christi im neuen Europa gestärkt wird.« Rundbrief des Innenministeriums an den Präfekten von Verona, 4. Februar 1943, ACS, DAGR, A5G, IIGM, b. 27; Botschaft beim Heiligen Stuhl an das Ministerium für Volkskultur, 8. April 1943, ASDMAE, APSS, b. 68, Tel. 1124. Zitat aus L’Avve­ nire, 2. April 1943. 21  De Felice 1996b, p. 941; Davis 2006, p. 89. Von den hier benutzten Berichten stammen mehrere aus ACS, MI, MAT, b. 239. 22  Maglione, Notizen, 6. April 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 163. Auch Tardini traf

sich mit Osborne vor dessen Abreise nach London und kritisierte die Forderung der Alliierten nach einer bedingungslosen Kapitulation Italiens, da deren Annahme für Italien zu demütigend wäre. Bei derselben Gelegenheit sagte er Osborne, dass die Alliierten kein Vertrauen zu den italienischen politischen Emigranten haben sollten, weil sie nicht nur den Kontakt zur Realität des Lebens in Italien verloren hätten, sondern auch vom Wunsch nach Rache motiviert seien. Tardini hielt seine Erinnerung an dieses Gespräch über ein Jahr später in einer Notiz vom 4. September 1944 fest, ASRS, AA.EE.SS, Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, ff. 5r–8r.

Kapitel 27: Ein heikles Problem 1  Telegramm von Roncalli, 13. März 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Turchia, posiz. 223 II, f. 143. Auslassungspunkte im Original. 2  Di Meglio hatte den Rang eines »Addetto« (Adepten) in der ersten Abteilung (zwischenstaatliche Beziehungen) des vatikanischen Staatssekretariats. Annuario Pontificio, 1943, S. 618. 3  Auslassungspunkte im Original. 4  Di Meglio schrieb die britische Unterstützung für die Ansiedlung von Juden in Palästina der Tatsache zu, dass England »philosemitisch und zumindest in seinen Wurzeln antikatholisch ist«. Er fügte hinzu: »Die englische Regierung kann nicht ignorieren, dass die Überlassung Palästinas an die Juden eine Bevorzugung ebendieser und einen Affront zum Nachteil des Katholizismus darstellt.« Di Meglios Bericht von Mitte März 1943 und Tardinis Notizen vom 13. April in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Turchia, posiz. 223 II, ff. 223– 233c. 5  Maglione, Telegramm, an Roncalli, Istanbul, 4. Mai 1943, mit handschriftlicher Notiz »vom Heiligen Vater genehmigt«,

ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Turchia, posiz. 223 II, f. 144. 6  Roncalli, Telegramm, Istanbul, 31. Mai 1943, mit getippter Notiz von Dell’Acqua darauf, 1. Juni. 1943, ebd., f. 146. 7  Zu den jüngsten Nachrichten über die Ermordung der europäischen Juden zählten die Berichte des polnischen Botschafters beim Heiligen Stuhl und des Nuntius in der Schweiz. Ambasciata di Polonia, 2. Februar 1943; Bernardini an Maglione, 24. und 27. Februar 1943, ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, ff. 72r–76v, 92r–98v. 8  Generoso Popes Telegramm an Pius XII. datiert vom 5. März 1943. Magliones Antwort wurde am 7. März vorbereitet. Ebd., ff. 177r–180r. Generoso Pope war wie viele führende Mitglieder der italoamerika­ nischen Gemeinschaft früher ein starker Unterstützer Mussolinis gewesen. Zur Haltung der Italoamerikaner gegenüber Mussolini und dem Faschismus siehe Luconi 2000. 9  Cicognani an Maglione, 26. März 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, f. 100r. In seiner Antwort vom 3. April wies Maglione

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Anmerkungen ­ icognani an, die Rabbis zu informieren, C »dass sich der Heilige Stuhl weiterhin zugunsten der Juden engagiert«, f. 102r. 10  Mussolini hatte im Februar keinen Nachfolger für Ciano als Außenminister ernannt, sondern übernahm den Posten selbst mit Bastianini als Staatssekretär. 11  Tacchi Venturi an Maglione, 14. April 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 152; Pirelli 1984, S. 430 (Tagebucheintrag 23. April 1943). Italienische Armeekommandeure wiesen wiederholt deutsche Deportationsforderungen zurück und internierten die Juden in diesen Gebieten stattdessen in italienisch kontrollierten Konzentrations-

lagern. Dokumente zu den vatikanischen Verhandlungen mit Bastianini über die Forderung der Nazis in ADSS, Bd. 7, Nr. 104, 105, 122, 127, 140, 146. Bastianinis eigene Darstellung in Bastianini 2005, S. 98. Zur Frage, wie die italienischen Behörden im italienisch besetzten Teil Frankreichs auf deutsche Deportationsforderungen reagierten, siehe Fenoglio 2020. 12  Rauscher 2001, S. 497–498, Bottai 1989, S. 374 (Tagebucheintrag 14. April 1943), Pirelli 1984, S. 428 (Tagebucheintrag 14. April 1943), Bastianini 2005, S. 128.

Kapitel 28: Eine schwierige Bitte 1  »Evolution de l’Italie en 1943«, 5. Mai 1943, MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121, S. 197–198. Eine für den Duce bestimmte Note der italienischen Botschaft im Vatikan berichtete, dass Scorzas Worte den Prälaten im Staatssekretariat gut gefallen hatten, die den neuen Parteisekretär mit einer gewissen Nervosität beobachteten, weil sie ihn mit früheren Attacken auf die Katholische Aktion verbanden. Appunto per il Duce, 7. Mai 1943, ASDMAE, AISS, b. 164. 2  Italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl an Ministerium für Volkskultur, 13. Mai 1943, ASDMAE, APSS, b. 68, Tel. 1553. Am 1. Mai brachte die größte römische Zeitung unter dem Titel »Möge das brennende Herz des Vaterlands den Sieg prophezeien« einen Artikel, der den Text von Kardinal Salottis aktueller Botschaft an den Bürgermeister von Siena enthielt. Der Kardinal pries Italiens Soldaten als »wahre Helden, die im harten Kampf auch ihr Leben opfern«, und endete mit dem Wunsch nach einem Sieg der Achsenmächte, der den Titel des Artikels bildete. Angesichts von Salottis Position in der Kurie als Präfekt der Ritenkongre­ gation lösten seine kriegerischen Be-

merkungen Proteste des amerikanischen Gesandten Tittmann und des brasilianischen Botschafters beim Heiligen Stuhl aus. Der Fall ist dokumentiert in AAV, Segr. Stato, 1942, Cardinali, posiz. 51, ff. 23r–34r. 3  »Incessante attività del Supremo Pastore per lenire le sofferenze della guerra e Sua invocazione per il ritorno della vera pace nel mondo«, OR, 3. Juni 1943, S. 1. 4  Osborne an Außenministerium, 3. Juni 1943, NAK, FO 371, 37537, 37–39. 5  Ciano, 4. Juni 1943, ASDMAE, APSS, b. 64, Tel. 3751. 6  Schlemmer 2005. 7  Tittmann 2004, S. 146. 8  Tardini, Notizen, 10. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 185. 9 Pius XII. an Mussolini, 12. Mai 1943, ebd., Nr. 185. 10  Maglione, Notizen, 12. Mai 1943, ebd., Nr. 186. 11  Mussolini an Pius XII., 12. Mai 1943, ASDMAE, Gab., b. 1189. 12  Ciano teilte auch einige sehr sensible Staatsgeheimnisse mit dem Kardinal. So gab er weiter, dass der Armeechef die Lage verzweifelt genannt hatte und ein anderer hoher General ihn informiert hatte, dass Palermo und Marsala im Westen Siziliens

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Anmerkungen weitgehend zerstört seien, und auch Catania an der Ostküste durch das ständige alliierte Bombardement gewaltigen Schaden erlitten habe. Nach Cianos Worten bedeckten alli­ierte Flugzeuge jetzt den Himmel wie Fliegenschwärme. Bald würde sie auch über den übrigen Städten Italiens sein und eine Luftabwehr gebe es nicht mehr. Maglione, Notizen, 13. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 189, 190. 13  Dulles 2011, S. xxii; Davis 2006, S. 117. 14  Dalla Torre hatte jüngst eine kurze Botschaft an Kardinal Maglione geschickt. Eine einflussreiche Gruppe suche das Gespräch mit dem König darüber, wie man Italien aus dem Krieg herauslösen könne. Zu ihr gehörten drei hochrangige Militärs – die beiden Marschälle Enrico Caviglia, der Held des Ersten Weltkriegs, und der kürzlich entlassene Oberbefehlshaber Pietro Badoglio, dazu Admiral Thaon di Revel, Mussolinis erster Marineminister – und zwei Minister aus der vorfaschistischen Zeit, einer davon Ivanoe Bonomi. Sollte Vittorio Emanuele ein Treffen ablehnen, so wollte Bonomi, der einflussreichste Nichtfaschist im Land, dem König mitteilen, das lasse ihnen keine Alternative, als eine Zukunft zu überdenken, in der kein Platz für die Monarchie sei. Dalla Torre an Maglione, 12. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 188. Einen Monat später lieferte Dalla Torre einen detaillierten Bericht über die laufenden Bemühungen, den unentschlossenen König zum Handeln zu bewegen. Dalla Torre an Maglione, 11. Juni 1943, ebd., Nr. 244. 15  Pirelli 1984, S. 432–433 (Tagebucheintrag 12. Mai 1943). Bonomi suchte den König am 2. Juni auf und forderte ihn auf, Mussolini zu entlassen und eine provisorische Militärregierung einzusetzen, um das Bündnis mit Deutschland zu beenden. Danach sollte eine zivile Koalitionsregierung aus Antifaschisten folgen. Der König erwiderte, er wolle die

Antifaschisten nicht an die Macht bringen. Boiardi 1990, S. 12. 16  Raccolta di prove documentali, 12. Mai 1943, ASR, Galla Placidia, CAP, Sezione istruttoria, b. 1669, f. 1010; De Felice 1996b, S. 1181. 17  Cicognani, Washington D. C., an ­Ma­glio­ne, 10.  Februar 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 110. 18  Bei Kriegsende im Mai 1945 wurde Federzoni, eine wichtige Stütze des faschistischen Regimes, zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Dank der Hilfe Monsignore Montinis entging er dem Gefängnis, indem er Zuflucht im Päpstlichen Ukrainischen Kolleg in Rom suchte. Im Mai 1946 konnte er mit vatikanischer Hilfe nach Brasilien flüchten. Mola 2019, S. xxii; Cicozzi 2019, S. lxxiv–lxxv. 19  Maglione an Cicognani, Washington D. C., 22. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 208. 20 Pius XII. an Präsident Roosevelt, 19. Mai 1943, FDR Library, psfa 495, S. 73–75, abgedruckt in FRUS 1943, Bd. 2, S. 916–917, auf Deutsch in Roosevelt 1947, S. 105–106. 21  Protokoll der Planungskonferenz in Algier, 29. Mai–3. Juni 1943, FDR Library, mr 844, S. 9–10. 22  Cicognagni an Maglione, 29. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 215. 23  Tardini, Notizen, 31. Mai 1943, ebd., Nr. 219. 24  Maglione an Cicognani, 1. Juni 1943, ebd., Nr. 223. 25  Tardini, Notizen, 1. Juni 1943, ebd., Nr. 221. 26  Cicognani an Maglione, 12. Juni 1943, ebd., Nr. 246. 27  Borgongini an Maglione, 17. Juni 1943, ebd., Nr. 252; Borgongini an Maglione, 18. Juni 1943, AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 18, fasc. 4, ff. 124r–125r. 28  Einige Kapläne, die von dem Plan hörten, äußerten ihr Unbehagen, und Kardinal Maglione bestellte Bartolomasi zu sich. Die Sache wurde an die Konsistorialkongregation verwiesen, die den Erz-

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Anmerkungen bischof anwies, seine Aufforderung an die Kapläne »auszusetzen«, denn wenn sie im gegenwärtigen Klima eine solche Rolle spielten, könnte das »in der Bevölkerung Abscheu gegenüber dem Klerus« erzeugen. AAV, Segr. Stato, 1943, Diocesi, posiz. 179, ff. 1r–6v. 29  Tardini, Notizen, 30. Mai 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 216. 30  Die Note erreichte Roosevelt über den Nuntius in Washington. Cicognani an Myron Taylor, 15. Juni 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 918–919. 31  Vereinigte Generalstabschefs an Eisenhower, Algier, 15. Juni 1943, FDR Library, mr 303, S. 105. Am selben Tag schrieb Roosevelt an Pius XII. einen Brief, den er Churchill in Kopie zur Kenntnis gab. Italien habe den Krieg begonnen, schrieb Roosevelt. Obwohl die Amerikaner große Hochschätzung für die religiösen Schreine und Monumente Italiens hegten, seien sie entschlossen, den Krieg zu gewinnen. Er fügte hinzu: »Für den Fall, dass es für alliierte Flugzeuge notwendig sein sollte, über Rom zu operieren, sind unsere Flieger angewiesen worden, Bombenabwürfe auf die Vatikanstadt zu vermeiden.« FDR Library, psfa 495, S. 69–71, auf Deutsch in Roosevelt 1947, S. 109–110. 32  Der Gegensatz zwischen dem kämpferischen britischen Premierminister und der verbindlichen Haltung des amerikanischen Präsidenten war dem Papst seit Langem bewusst, weshalb er sich wiederholt hilfesuchend an Roosevelt statt an Churchill wandte. Das Memorandum, das die britische Regierung Ende Juni an den vatikanischen Staatssekretär schickte, machte diesen Gegensatz nochmals deutlich. »Aus unmittelbar praktischen Gründen ist es nicht möglich, zwischen der faschistischen Führung und Politik Italiens und dem italienischen Volk zu unterscheiden, und Italien wird unvermeidlich mit Mussolini und seiner Politik identifiziert.« In England, erklärte

das Außenministerium, wo Menschen, die mit der Regierung unzufrieden seien, die Freiheit hätten, sie abzuwählen, stoße »die blinde Unterwerfung des italienischen Volkes unter Mussolinis Führung teilweise auf Unverständnis und rufe, soweit sie überhaupt verstanden werde, eine Mischung aus Mitleid und Verachtung hervor«. Nicht nur hätten der König oder das italienische Volk in keiner Weise signalisiert, dass sie Mussolinis Politik ablehnten. Vielmehr gebe es sogar guten Grund zu der Annahme, dass Mussolini, wenn er den Krieg so schnell gewonnen hätte, wie er geglaubt hatte, »vom italienischen Volk als großer Staatsmann, brillanter Führer und Wohltäter seines Landes angesehen worden wäre«. Es sei daher unmöglich, Sympathie für die Italiener zu empfinden, und man werde dem Land nicht gestatten, seinen Weg aus dem Krieg heraus zu verhandeln, den es so mutwillig begonnen habe. Der Faschismus müsse zerstört werden und Italien bedingungslos kapitulieren. Légation de Grande Bretagne à la Secrétairerie d’État, Vatican, 28. Juni 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 271. 33  Hull an FDR, 29. Juni 1943, FDR Library, psfa 495, S. 83–86. 34  Der Diplomat wies auch darauf hin, dass Bischof Colli, der Chef der Katholischen Aktion, kürzlich hatte verlautbaren lassen: »Nun, da der Krieg total ist, kann es bedeuten, ein Deserteur zu werden, ja in manchen Fällen sogar, ein Verräter zu werden, wenn man sich von bestimmten sozialen Pflichten ausschließt.« D’Ajeta an Außenministerium, 12. Juni 1943, ­A SDMAE, AISS, b. 164, Nr. 1882/717. 35  Osborne an Außenministerium und Montgomery an Außenministerium, 13. Juni 1943, NAK, FO 371, 37537, ­61–66. Der Bericht aus Berlin vom 15. Juni wurde vom italienischen Außenministerium am 18. Juni an die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl gesandt. ASDMAE, APSS, b. 68, Tel. 19700.

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Anmerkungen Auch Mussolinis Il Popolo d’Italia widmete der Rede des Papstes einen langen, respektvollen Artikel: »Il discorso del Papa contro il bolscevismo«, 15. Juni 1943, S. 4. Zu den Streiks in Norditalien siehe Gooch 2020, S. 365. 36  Maglione an Babuscio Rizzo, 3. Mai 1943; Babuscio Rizzo an Maglione, 5. Mai 1943, Babuscio Rizzo an General Cesare A.M.E., Capo del S.I.M., Rom, 3. Juni 1943, AAV, Carte Babuscio Rizzo, b. 1, fasc. 4, sottofasc. 8, ff. 2r–3r, 4r–5r, 6r–7r. Mitte Juni schrieb der Nuntius, Monsignore Luigi Micara, in einem überschwänglichen Dankesbrief an Babuscio:

»Ich habe die Nachricht erhalten, dass mein Neffe seinen neuen Posten in Ihrem Ministerium erhält.« Mons. Pietro Micara an Babuscio Rizzo, 12. Juni 1943, ebd., ff. 8r–9v. 37  Mitte Juni meldete der französische Botschafter beim Heiligen Stuhl warnend nach Vichy, man glaube im Vatikan, die Alliierten würden wahrscheinlich nicht an der italienischen Küste landen, sondern die Provence zur Basis für einen Angriff auf Norditalien machen. Bérard an Laval und Rochat, 14. Juni 1943, MAEC, Guerre Vichy, 544.

Kapitel 29: Der gute Nazi 1  Bericht an Mussolini, 5. Juli 1943, ACS, SPD, CR, b. 12; »La presentazione delle credenziali del nuovo Ambasciatore di Germania«, OR, 5. Juli 1943, S. 1. 2  Welles, Bericht, 1. März 1940, FDR Library, psfa 71, S. 41–43; Wheeler-Bennett 1954, S. 439–440; Hill 1987, S. 477; Hill 1967, S. 138–141; Namier 1952, S. 63; Lippman 1997, S. 107–108. Ein OSS-Bericht vom Dezember 1944 kam zu dem Urteil über Ernst von Weizsäcker: »Seine nationalistischen Ziele für Deutschland und seine lange Erfahrung als Diplomat machen ihn sehr nützlich für die Nazis.« FDR Library, psf 794, S. 91. 3  Rossi Longhi, Außenministerium, an Orsenigo, Berlin, 21. April 1943, ­A SDMAE, APSS, b. 66, Tel. 13312. Die Versetzung an die vatikanische Botschaft bedeutete eine dramatische Degradierung für den deutschen Staatssekretär. Ribbentrop, der vor seinem raschen Aufstieg in der NS-Hierarchie als Geschäftsmann tätig gewesen war, fühlte sich zunehmend unbehaglich gegenüber dem geschliffenen Diplomaten, der unter ihm diente. Im Vergleich zu Ribbentrops Kriegshetzerei war Weizsäcker gemäßigt, und der Außenminister wurde ihn schließlich los, indem er ihn auf einen entfernten Posten

versetzte, den er schon hatte abschaffen wollen. Für Weizsäcker war der Wechsel aber nicht ohne Reiz. Als der Krieg sich zu Ungunsten der Achse wendete, erschien der Vatikan als vielversprechender Ort, um einen Kompromissfrieden auszuloten, der Leute wie ihn retten konnte. Hill 1967, S. 143. 4  Zu dem Wunsch, an religionswissenschaftlichen Studien teilzunehmen, siehe Di Meglio. Notizen, 9. Juli 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 866, ff. 14rv. 5  Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 5. Juli 1943, PAAA, GBS, 29818, 17–18, Tel. 269; Miccoli 2000, S. 237. 6  Regia Prefettura di Roma, nota, controllo dell’attività del clero, 5. Juli 1943, ACS, MI, Gab., RSI, b. 51, Nr. 10952. 7  De Felice 1996b, S. 1151, 1184 (auf der Grundlage von Puntonis Tagebucheintrag, 5. Juli 1943). 8  Roosevelt an Churchill, 9. Juli 1943, FDR Library, mr 21, S. 44–45; Eden und Halifax an Washington und Algier, 9. Juli 1943, NAK, CAB, 122/866, 7–8. 9  Atkinson 2007. Laut Gooch (2020, S. 378) standen zum Zeitpunkt der alliierten Landung 28 000 deutsche und 175 000 italienische Soldaten auf Sizilien.

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Anmerkungen 10  Tardini, Notizen, 11. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 287. Roosevelts Botschaft und die Reaktion des Papstes sind dokumentiert in AAV, Segr. Stato, 1943, Stati e Corpo Diplomatico, posiz. 199, ff. 1r–15r. 11  Ciano appunto, 13. Juli 1943, ­A SDMAE, Gab, b. 1198, UC-82, Nr. 2252; Tittmann 2004, S. 159. 12  Maglione an Cicognani, Washington D. C., 15. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 297. 13  Pirelli 1984, S. 450 (Tagebucheintrag 19. Juli 1943); Tittmann 2004, S. 177. Nach De Felices (1996b, S. 1316–1317) Untersuchung der Fummi-Mission hatte Bastianini vor seiner Initiative einen Hin-

weis von Mussolini erhalten, er sei für Verhandlungen aufgeschlossen. Tatsächlich glaubte Bastianini, der Duce solle nicht gestürzt werden, denn nur er könne Hitler davon überzeugen, Italien aus dem Krieg ausscheiden zu lassen. Siehe auch De Felice 1970. 14  Bastianini 2005, S. 131. 15  Edda Mussolini 1975, S. 174–175; Bosworth 2017, S. 170; Festorazzi 2012, S. 89–95; General Carboni, Bericht, in De Felice 1996b, S. 1536. 16  De Felice 1996b, S. 1537–1540. 17  Bosworth 2017, S. 169, 171; Gagliani 2015.

Kapitel 30: Die Absetzung des Duces 1  Bottai 1989, S. 392–398 (Tagebucheintrag 16. Juli 1943). 2  De Felice 1996b, S. 1322–1338; ­Kershaw 2000, S. 771. 3  Tittmann 2004, pp. 162–163. 4  Eisenhower, Bericht, 20. Juli 1943, FDR Library, mr 303, S. 84–86, 88; Bericht der Air Force, Kairo, 20. Juli 1943, ebd., S. 87, 89–90; Davis 2006, S. 130. 5  Roberts 2018, S. 789; Pirelli 1984, S. 457 (Tagebucheintrag 23. Juli 1943). 6  Polizeiberichte vom Besuch des Papstes am Ort der Bombardierung am 19. Juli 1943, 19. und 20. Juli, in ACS, MI, DAGRA 1943, b. 71, Nr. 2290, 149268, und ACS, SPD, CR, b. 127. 7  Bastianini 2005, S. 141; Pirelli 1984, S. 457 (Tagebucheintrag vom 23. Juli 1943). 8  Marco Maffei, »Il Papa si inginocchia sulle macerie della distrutta Basilica di San Lorenzo« und »La promessa del bu­ giardo«, PI, 20. Juli 1943, S. 1. Zwei Tage später griff die Zeitung das Thema wieder auf und titelte: »Die Tränen des Papstes vor der Ruine der Basilika San Loren­zo«. Sie zitierte den Rektor der Basilika mit den Worten, der Papst sei vom Anblick der Zerstörung so bewegt gewesen, dass er kaum sprechen konnte. »Er brach

in Tränen aus; während der ganzen Zeit, die er dort betete, liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Die Tränen des Heiligen Vaters waren beredter als alle Worte, schwerer hätte man die Urheber dieses gemeinen Angriffs nicht verurteilen können.« PI, 22. Juli 1943, S. 1. Farinaccis Zeitung brachte ähnliche Geschichten über den heroischen Papst in den Ruinen der Basilika, z. B. »Il Pontefice tra i sinistrati della zona Tiburtina«, RF, 20. Juli 1943, S. 1. 9  Maglione an die Nuntien und Apostolischen Legaten, 20. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 302. Gleichzeitig schickte der Papst eine lange Botschaft direkt an Präsident Roosevelt, die seinen Schmerz über die große Zahl getöteter Zivilisten ausdrückte. Er fügte hinzu, dass Rom, wie es nun mal beschaffen sei, »nicht angegriffen werden kann, ohne dass dem Erbe der Religion und Zivilisation ein unvergleichbarer Verlust zugefügt wird«. Pius XII. an Roosevelt, 20. Juli 1943, ebd., Nr. 303. Eine Kopie des Originals in FDR Library, psfa 495, S. 104–108, auf Deutsch in ­Roosevelt 1947, S. 113–116. Nach Erhalt der päpstlichen Instruktionen gab der Nuntius in Spanien sie an den Erzbischof von Toledo als den Primas

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Anmerkungen von Spanien weiter. Dieser schickte rasch eine Botschaft an Roosevelt: Im Namen der spanischen Bischöfe forderte er den Präsidenten auf, Rom nie wieder zu bombardieren. Außenminister Cordell Hull hatte dafür wenig Verständnis. Er wi­es den amerikanischen Botschafter in Madrid an, dem Erzbischof keine derartige Versicherung zu geben, und fügte hinzu: »Übrigens kann man sich nicht erinnern, dass der spanische Episkopat jemals gegen die unchristlichen Akte protestiert hätte, die die Kriegführung der Achsenmächte charakterisieren. Unsere Bombardierung Roms, die die italienische Regierung notwendig gemacht hat, wurde sehr sorgfältig ausgeführt, um so wenig Schaden wie möglich an kulturellen Monumenten und Kirchenbesitz anzurichten, und man kann sagen, dass der Angriff unter diesem wie auch dem militärischen Gesichtspunkt bemerkenswert erfolgreich war.« ­U S-­Botschafter Hayes, Madrid, an Hull, 21. Juli 1943, und Hull an Hayes, 24. Juli 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 933–934. 10  Osborne an Eden, 21. Juli 1943, NAK, FO 371, 37537, S. 148–151. Der Originaltext des päpstlichen Briefs in »Una Lettera del Sommo Pontefice al Cardinale Vicario in Roma«, OR, 22. Juli 1943, S. 1. Taylor an Roosevelt und Hull, 24. Juli 1943, FDR Library, psfa 495, S. 116. 11  »Il bombardamento di Roma: La deplorazione del Pontefice bolla di eterna ignominia gli aggressori«, RF, 23. Juli 1943, S. 1. 12  Hennesey 1974, S. 49: McCormick, Tagebucheintrag 24. Juli 1943. 13  Bottai 1989, S. 402–404 (Tagebucheintrag 22. Juli 1943). 14  Pirelli 1984, S. 451 (Tagebucheintrag 23. Juli 1943). 15  Es liegen viele Berichte von Teilnehmern an dieser historischen Sitzung des Großrats vor. Natürlich sind sie alle eigennützig und bieten ein Kaleidoskop konkurrierender Narrative. Emilio Gentile (2019) hat ein ganzes Buch dem Ver-

such gewidmet, sie zu entwirren. Weitere Berichte, die ich herangezogen habe, sind Bottai 1989, S. 404–421 (Tagebucheintrag 24. Juli 1943) und Bastianini 2005, S. 291. Eine gute Sammlung von Dokumenten über die Sitzung, die vom französischen diplomatischen Dienst zusammengestellt wurde, in MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121, S. 901–961. Siehe auch Carace 2021. 16  Pighin 2010, S. 179–180; Montini, Notizen, 25. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 313. Anscheinend schickte Ciano an diesem Vormittag auch rasch ein Exemplar der Großratsresolution an Kardinal Maglione. Di Rienzo 2018, S. 515. 17  Ivone 2002, S. 27. 18  Bosworth 2017, S. 171. 19  Clara zitiert aus ihrem Brief vom 25. Juli 1943 in einem Brief, den sie Mussolini genau ein Jahr später schrieb, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 4, fasc. 63. 20  De Felice 1996b, S. 1391–1401. Ein ergiebiger und dramatischer Bericht über Mussolinis Gemütszustand während der folgenden zwei Tage, die er als Gefange­ ner in einer Militäreinrichtung in Rom verbrachte, stammt von dem Militärarzt, der ihn dort besuchte und mehrere Gespräche mit ihm führte. Irgendwie gelangte sein Bericht, der von Mussolinis Krankengeschichte bis zu seinen Gedanken über die Lage Italiens und des Krieges reicht, ins Büro des vatikanischen Staatssekretariats, wo er sich jetzt befindet. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 76r–78r. 21  »Il Maresciallo Badoglio Primo Ministro«, OR, 26. Juli 1943, S. 1; »Il nuovo governo italiano«, OR, 28. Juli 1943, S. 1; Pighin 2010, S. 180–181. 22  »L’esultanza di Milano«, CS, 26. Juli 1943, S. 1; Pighin 2010, S. 184–185; Tramontin 1982, S. 633. 23  Die handschriftliche Notiz auf Tardinis Bericht lautet: »Seine Eminenz [Ma­ glione] diskutierte diese Argumente mit

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Anmerkungen Seiner Heiligkeit in der Audienz vom 26. Juli 1943. Der Heilige Vater geruhte, die Frage zu bedenken: wie könne der Papst sich einem offiziellen Ersuchen verschließen, nachdem er so oft den Frieden empfohlen habe?« ASRS, AA.EE.SS.,

Pio XII, Parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 123r–128r. Unterstreichungen im Original. 24  Babuscio, Bericht, unterzeichnet von Pucci, o. D., AAV, Carte Babuscio Rizzo, b. 1, fasc. 2, ff. 110–111.

Kapitel 31: Reise nach Jerusalem 1  OSS-Bericht, 28. Juli 1943, FDR Library, mr 436, S. 111–112. 2  Ivone 2002, S. 27; Grandi 1985, S. ­602–603; Cannistraro 1982, S. 53–55. 3  Roosevelt an Churchill, 25. Juli 1943, FDR Library, mr 159, S. 153; Churchill an Roosevelt, 28. Juli 1943, ebd., S. 142–144; Hull 1948, Bd. 2, S. 1361; Osborne an Maglione, 4. August 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 328. Auslassung im Original. 4  Eisenhower an Kriegsministerium, 26. Juli 1943, FDR Library, mr 159, S. 150–151; Roosevelt an Churchill, 27. und 28. Juli 1943, FDR Library, mr 21, S. 117–119, 122–123. Der endgültige Text von Eisenhowers Botschaft an das italienische Volk ist enthalten in Kriegsministerium an Eisenhower, 28. Juli 1943, FDR Library, mr 159, S. 132. 5  Churchill an Roosevelt, 29. Juli 1943, FDR Library, mr 159, S. 125–126. Zu den britischen Kriegsgefangenen in Italien im August 1943 siehe Teresa Malice, »Prigionieri militari nella Seconda guerra mondiale tra Italia e Inghilterra«, E-Review: Rivista degli Istituti Storici dell’Emila Ro­ magna in Rete (2013): https://e-review.it/ malice-prigionieri-militari-nella-secondaguerra-mondiale-tra-italia-e-inghilterra. Nach Mussolinis Sturz war die deutsche Regierung bestrebt, britische Kriegsgefangene ins Reich zu verlegen, weil sie befürchtete, sie könnten in Italien freigelassen werden. Am 25. August übergab Babuscio Kardinal Maglione das getippte Protokoll eines Gesprächs, das er am Vortag mit Otto von Bismarck von der deutschen Botschaft in Rom geführt hatte. Bismarck hatte gesagt: »Deutschland for-

dert dringend alle Kriegsgefangenen an, die deutsche Truppen in Nordafrika und Sizilien gefangen genommen haben … die deutsche Armee hat ein Recht auf diese Gefangenen.« Die Deutschen wünschten, dass mindestens 50 000 Kriegsgefangene sofort nach Deutschland transportiert werden sollten. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 249rv. 6  Goebbels 1993, S. 171 (Tagebucheintrag 27. Juli 1943). 7  Maglione, Notizen, 27. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 316. Die Liste von Mussolinis Angehörigen mit Magliones handschriftlicher Notiz vom 28. August 1943 in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 250r–251r. Siehe zu den Verbindungen von Angehörigen Mussolinis, einschließlich seiner Frau Rachele, zum Vatikan die Informantenberichte in ACS, MIFP, Serie B, b. 8, »Mussolini famiglia«. 8  Am vorigen Vormittag hatte der Papst ein anderes führendes Mitglied des Faschistischen Großrats, Luigi Federzoni, zu einer einstündigen Privataudienz empfangen. Siehe den undatierten Bericht in AAV, Carte Babuscio Rizzo, b. 1, fasc. 2, f. 113r. 9  Grandi 1985, S. 651–652. Grandi genoss nach dem Fall des Faschismus die Unterstützung des Vatikans, vor allem durch Monsignore Montini. Siehe die dicke Akte mit Korrespondenz in AAV, Segr. Stato, 1950–54, Stati e Corpo diplomatico, posiz. 352. 10  Bastianini 2005, S. 223–227. 11  Guariglia 1950, S. 739–740.

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Anmerkungen 12  Guariglia an Babuscio Rizzo, 30. Juli 1943, ASDMAE, Gab., b. 1198, UC–82, Tel. 23678; Guariglia 1950, S. 739–740; Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 4. August 1943, Tel. 339, PAAA, GBS, 29818, 24–25, Tel. 339. Weitere Details zu Babuscios diplomatischer Karriere, darunter sein Mitgliedsbuch der Faschistischen Partei, in ASDMAE, Personale, Serie VII, Babuscio Rizzo. 13  Tortoreto 1956; Di Capua 2005, S. 414–415. 14  OSS-Bericht, 1. August 1943, FDR ­Library, mr 436, S. 52; Colli, 2. August 1943, ASDMAE, AISS, b. 130. In ihrem ersten Presseüberblick unter dem neuen Regime schrieb die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl, die großen katholischen Zeitungen hätten sofort alle guten Katholiken aufgerufen, die neue Regierung zu unterstützen. 5. August 1943, ACS, MCPG, b. 133, Tel. 2502. Aus Furcht vor öffentlichem Chaos nach dem Zusammenbruch des Regimes und besonders aus Furcht vor einem kommunistischen Aufstand in den norditalienischen Großstädten suchte die Regierung die Hilfe des Vatikans. Der Chef des Propagandaministeriums schickte eine Note an den neuen Außenminister Guariglia: Nach der Auflösung der Faschistischen Partei und der Einsetzung der neuen Regierung bestehe ein dringender Bedarf an Propaganda, die sich besonders an die Industriearbeiter und ihre Familien richten müsse, um die subversiven Bewegungen unter ihnen zu bekämpfen: »Die Hilfe des Klerus würde besonders angeraten erscheinen.« Das Memo schlug vor, Guariglia solle beim Vatikan vorfühlen, damit das Propagandaminis­ terium »die Präfekten des Königreichs über die resultierenden Vereinbarungen für eine notwendige Koordination mit den kirchlichen Autoritäten informieren könnte«. Guariglia legte den Vorschlag Kardinal Maglione und Monsignore Montini vor,

die ihre volle Unterstützung zusagten. Die Katholische Aktion hatte bereits Gehorsam gegenüber der neuen Obrigkeit gefordert, und viele italienische Bischöfe hatten spontan ähnliche Appelle ergehen lassen, wie der Kardinal sagte. Ein weiterer Bericht über die Unterstützung durch den hohen italienischen Klerus wurde am 10. August von Babuscio Rizzo von der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl an Guariglia geschickt. ASDMAE, AISS, b. 164, Nr. 2572/979. Gleichzeitig richtete Maglione eine Anfrage an den Außenminister. Der Vatikan hatte erfahren, dass die neue Regierung Luigi Federzoni als Präsidenten der Königlichen Akademie von Italien durch Benedetto Croce ersetzen wollte, einen bekannten Humanisten, der für seine Distanz zur institutionalisierten Kirche bekannt war. In seiner Antwort versicherte Guariglia, es gebe keinen Plan, eine neue Akademieleitung einzusetzen. Da die Akademie unter dem Faschismus begründet worden sei und eng mit ihm verbunden gewesen sei, werde sie sich auflösen. Rocco, Ministerium für Volkskultur, an Guariglia, 9. August 1943, and Antwort von Guariglia, 10. August 1943, ASDMAE, AISS, b. 130, Nr. 29648, 2602/989. Siehe auch AAV, Arch. Nunz. Italia, b. 31, fasc. 7, ff. 2r, 3r, 4r. 15  Das andere Sicherheitsproblem, vor dem der Papst nach dem Sturz der faschistischen Regierung stand, betraf die sporadischen Fälle deutscher Soldaten, die Zuflucht im Vatikan suchten. Am 25. August antwortete der Kommandeur der päpstlichen Gendarmen auf eine Anfrage Kardinal Magliones, worin er gebeten wurde, »Vorschläge zu formulieren, wie eine Wiederholung der kürzlich von den Deserteuren Henry Hannemann und Augustus Filusch provozierten Zwischenfälle zu vermeiden sei«. Der Kardinal hatte eine geheime Absprache mit der italienischen Polizei getroffen, sie solle »eine besondere Wache nahe dem Eingang zum

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Anmerkungen [Vatikan-]Staat postieren, die eingreift, bevor die Soldaten das Territorium der Vatikanstadt betreten, um dort Zuflucht zu suchen, oder wenn die Soldaten, die an einem der Eingänge abgewiesen worden sind, sich durch einen anderen einzuschleichen versuchen«. AAV, Segr. Stato, 1943, Stato Città Vaticano, posiz. 108, ff. 1r–33r. 16  Marras, Bericht an Badoglio, 30. Juli 1943, ASDMAE, Gab, b. 1159A, UC-43 fasc. 1. 17  Berichte über die Geschehnisse des 31. Juli 1943 ebd., fasc. 3. 18  Rauscher 2001, S. 529, Zitat: Der Spie­ gel Nr. 12/1967, S. 101. 19  Maglione, Notizen, 31. Juli 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 321. 20  Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 1. August 1943, PAAA, GARV, R235, 09. 21  Italienische Botschaft an Staatssekretariat, 31. Juli 1943; Maglione an ­Cicognani, Washington D.C., 1. August 1943; Maglione an Godfrey, London,

2. August 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 322, 323, 324. 22  Cicognani, Washington, D.C., an ­Welles, 2. August 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 938–939; Kriegsministerium an Eisenhower, 2. August 1943, FDR Library, mr 303, S. 80; Eisenhower an General Marshall, 3. August 1943, ebd., S. 76–77; Eisenhower an Marshall, 3. August 1943, ebd., S. 75. 23  »Entwurf Bedingungen für offene Stadt«, US-Kriegsministerium, 2. August 1943, ebd., S. 46–47; Roosevelt an Churchill, 3. August 1943, ebd., S. 42; Churchill an Roosevelt, 3. August 1943, ebd., S. 33– 43, 78. 24  Eisenhower an Marshall, August 4, 1943, ebd., S. 72–73. 25  Churchill an Roosevelt, 4. August 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 939–940. 26  Vereinigte Stabschefs an Roosevelt, 5. August 1943, FDR Library, mr 303, S. 35–37.

Kapitel 32: Treuebruch 1  Rauscher 2001, S. 529. 2  Pirelli 1984, S. 460–461 (Tagebucheintrag 3. August 1943). 3  Tardini, Notizen, 4. August 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 327; De Blesson, Bericht, Oktober 1943, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. Am Tag zuvor hatte Tittmann einen Bericht über die Stimmung im Vatikan geschickt, der die dortige Angst vor einer deutschen Besetzung betonte. Er brachte auch seine eigene Beobachtung vor, wonach die Apathie der Römer »nahelegt, dass ein Volksaufstand gegen die Deutschen in naher Zukunft unwahrscheinlich ist«. Tittmann an Hull, 3. August 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 345–346. 4  Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 4. August 1943, PAAA, GBS, 29818, 24–25. 5  Hennesey 1974, S. 51–52. Die Zitate aus dem päpstlichen Gebetsaufruf stammen aus der englischen Übersetzung, die Os-

borne seinem Bericht an Eden beifügte, 10. August 1943, NAK, FO 371, 37537, 166–169. 6  Britischer Generalkonsul, Tanger, an Außenministerium, London, FDR Library, mr 159, S. 74–76. Die Zitate stammen aus dem Bericht des Generalkonsuls über sein Gespräch mit dem italienischen Abgesandten. 7  Tardini, handschriftliche Notiz, 30. Juli 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 131r–132r. 8  Tacchi Venturi an Maglione, 10. August 1943. ADSS, Bd. 9, Nr. 289. 9  Maglione an Tacchi Venturi, 18. August 1943, ebd., Nr. 289, 296. 10  Tacchi Venturi an Maglione, 29. August 1943, ebd., Nr. 317. 11  Davis 2006, S. 148; De Wyss 1945, S. 83; Questura di Roma alla Prefettura et

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Anmerkungen al., 13. August 1943, ACS, MI, DAGRA 1943, b. 71, Nr. 161250-066695. 12  Questura di Roma al Capo della polizia e al Prefetto di Roma, 14. August 1943, ACS, DAGR, A5G, IIGM, b. 134, Nr. 05161; Rossi 2005, S. 419–420. 13  KKADC Quebec an Kriegsminis­ terium, 14. August, FDR Library, mr 303, S. 68; Eisenhower, Algier, an Kriegsministerium, 15. August 1943, ebd., S. 63; Vereinigte Generalstabschefs, 15. August 1943, ebd., S. 62, 64. In den nächsten beiden Wochen standen Kardinal Maglione und der Apostolische Legat in Washington in ständiger Verbindung miteinander, während sie die Alliierten zu einem Ende der Bombardierung Roms zu bewegen versuchten. Die Botschaften des Kardinals machten einen Punkt klar, den er vorher anzusprechen vermieden hatte: Wenn die italienische Regierung sich weiterhin öffentlich zur Achse bekannte, dann nur, weil sie von der Aussicht auf eine militärische Intervention der Deutschen geradezu gelähmt war. Ein Teil seiner Korrespondenz in ADSS, Bd. 7, darunter Nr. 355, 576, aber siehe den Bericht vom 21. August 1943, U.S. Chronicle, FDR Library, psfa 495, S. 138. Siehe auch Cicognanis Memorandum an das US-Außenministerium, 18. August, FRUS 1943, Bd. 3, S. 944–945. Am 16. August 1943 berichtete Mon­ signore Godfrey, der Apostolische Legat in London, was der britische Informationsminister Brendan Bracken, der als »enger Freund Churchills« galt, ihm gesagt hatte. Die Briten verstünden, dass Badoglio in einer schwierigen Lage sei, aber je mehr Zeit vergehe, desto feindlicher werde die öffentliche Meinung gegenüber der neuen italienischen Regierung, »und jetzt wird offen gesagt, der Abgang Mussolinis habe den Faschismus nur enthauptet, aber den Körper weitgehend intakt gelassen«. Die Idee, es könne eine Art Handel geben und Italien von der alliierten Besatzung ausge­nom­

men werden, sei eine reine »Fantasie«, sagte der britische Minister, denn die Alliierten würden jeden Teil des Landes besetzen, der für ihren weiteren Krieg gegen Deutschland nützlich sei. Godfrey an Maglione, 16. August 1943, ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 181r–182r. 14  De Wyss 1945, S. 94. 15  Siehe zu den Petaccis: Montevecchi 2011; Chessa und Raggi 2010; Bosworth 2017, S. 174, 180–181. Clara Petaccis Gefängnistagebücher in ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 10, fasc. 159. Von der öffentlichen Freude über den Fall der Familie Petacci berichten »Le sorelle Petacci arrestate per spionaggio?«, L’Italia, 30. August 1943, S. 1; und »Raccolta delle prove documentali [informative da Città del Vaticano per il periodo dicembre 1942–settembre 1943] per il procedimento penale istruito contro Trojani Virginio di Nerfa«, ASR, Galla Placidia, CAP, Sezione Istruttoria, b. 1669, f. 1010. Nach der Befreiung Roms strengte die italienische Regierung Untersuchungen zur Korruption in den Führungsriegen des faschistischen Regimes an; siehe Canali und Volpini 2019. 16  Guariglia, Memorandum per Badoglio, 29. August 1943, ASDMAE, Gab., b. 1159, UC-43, fasc. 6. 17  Tittmann 2004, S. 82. Über Galeazzi siehe Informativa Nr. 40 (Troiani), 18. Januar 1940, ACS, MIFP, b. 546, und andere Akten von Polizeiinformanten in b. 546; Comando Supremo S.I.M., Centro C.S. di Roma, 7. Oktober 1944, AUSSME, SIM, Div. 1, faldone Nr. 67. Osborne schrieb später, Galeazzi sei »ein enger persönlicher Freund des Papstes« und »gewiss der einflussreichste Laie im Vatikan«. Osborne an Außenministerium, London, 6. Juni 1946, NAK, FO 371, 60812, ZM 1993, 1946. 18  Tardini erklärte die Galeazzi-Mission in einer Notiz vom 26. Juni 1944, die er dem Dokument mit Galeazzis Instruktio-

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Anmerkungen nen hinzufügte. Maglione an Cicognani, 28. August 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 374. Eine weitere Notiz Tardinis hält die päpstliche Genehmigung des Textes am 28. August fest. 19  Osborne an Außenministerium, London, 2. September 1943, NAK, FO 371, 37537, 163–164; Bérard an Außenministerium, Vichy, 4. September 1943, MAEC, Guerre Vichy, 544; Babuscio Rizzo an Außenministerium, Rom, 5. September 1943, Tel. 24683, ASDMAE, APSS, b. 64. Es existiert ein Wochenschaubericht über die päpstliche Radioansprache: https://patrimonio.archivioluce.com/luce-web/detail/ IL5000018619/2/sommo-pontefice-inviamessaggio-al-mondo-pace-e-giustizia-ipopoli.html. 20  Robert Murphy an Roosevelt, 8. September 1943, FDR Library, mr 855, S. 228–236. 21  Eisenhower, Algier, an Kriegsministerium, 1. September 1943, und ­Algier an Kriegsministerium, FDR Library, mr 160, S. 50–51, 53–56. 22  Roosevelt und Churchill an Eisenhower, Algier, 2. September 1943, ebd., S. 48. Gleichzeitig schrieben die beiden westlichen Führer an Stalin, um ihren Plan zu erklären: »Unsere Invasion des Festlands steht unmittelbar bevor, und der schwere Schlag mit dem Codenamen AVALANCHE wird etwa in der nächsten Woche geführt werden. Die Schwierig-

keiten der italienischen Regierung und des Volkes, sich aus Hitlers Fängen zu befreien, machen ein noch kühneres Unternehmen nötig, für das General Eisenhower so viel italienische Hilfe wie möglich brauchen wird. Die italienische Annahme der Bedingungen beruht weitgehend auf der Tatsache, dass wir eine Luftlandedivision nach Rom schicken, damit sie imstande sind, die Deutschen abzuwehren, die in der Umgebung Panzer gesammelt haben und die Regierung Badoglio durch ein Quisling-Regime ersetzen könnten, wahrscheinlich unter Farinacci.« Roosevelt und Churchill an Stalin, 2. September 1943, FDR Library, mr 160, S. 45–46. 23  Eisenhower, Algier, an USFOR London und Kriegsministerium, 3. September 1943, ebd., S. 41; Algier an Kriegsministerium, 6. September 1943, ebd., S. 36. 24  Badoglio an Eisenhower, 8. September 1943, DDI, Serie 9, Bd. 10, Nr. 769; Eisenhower an Kriegsministerium, 8. September 1943, FDR Library, mr 160, S. 25. 25  Kriegsministerium an Eisenhower, 8. September 1943, ebd., S. 19; Eisenhower, Algier, an Badoglio, 8. September 1943, DDI, Serie 9, Bd. 10, Nr. 770. 26  Gabinetto, Questura Roma, an MIDGPS, 8. September 1943, ACS, DAGR, A5G, IIGM, b. 146, Nr. 176776/Gab; MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121, S. ­923–934; Klinkhammer 1993, S. 40.

Kapitel 33: Fake News 1  Zu Mafaldas Festnahme, ihrer Inhaftierung und ihrem Tod in Buchenwald siehe D’Assia 1992 und Barneschi 1982. Verschiedentlich haben Historiker darüber spekuliert, dass die Flucht des Königs von dem deutschen General Kesselring unterstützt worden sein könnte, der darauf gebaut habe, dass das italienische Militär bei der Einnahme Roms weniger Widerstand leisten werde, wenn der

König sich nicht in der Stadt befinde. Mattesini 2015, S. 91–92. 2  Eisenhower an Kriegsministerium, ­Algier, Telegramm, 18. September 1943, FRUS 1943, Bd. 2, S. 331. 3  Notizen, Secrétairerie d’État, 9. September 1943, und Notiz Montini, 9. September 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 389, 391; Guariglia 1950, S. 718.

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Anmerkungen 4  Goebbels 1993, S. 450 (Tagebucheintrag 9. September 1943; »Evolution de l’Italie en 1943«, MAEC, Papiers Chauvel, Bd. 121, S. 216–217; Davis 2006, S. 173. 5  Notiz Montini, 9. September 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 390; Weizsäcker an Berlin, Telegramme, 9. und 10. September 1943, PAAA, GBS, 29818, 31, 32, 33. 6  Notiz Montini, 10. September 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 392, 394, 397; Goebbels 1993, S. 483 (Tagebucheintrag 11. September 1943). Bevor er sich am 10. September an Kesselrings Adjutanten wandte, hatte Weizsäcker in einem Telegramm nach Berlin von seinem Treffen mit Maglione berichtet und darum gebeten, die deutsche Militärführung in Rom möge ihn umgehend kontaktieren, da sein Kontakt zu Kesselring unterbrochen worden sei. PAAA, GBS, 29818, 34. 7  Eisenhower an Badoglio sowie Churchill und Roosevelt an Badoglio und das italienische Volk, 10. September 1943, FDR Library, mr 160, S. 4–5, 6–7. 8  De Felice 1997, S. 78, 155; Goeschel 2018, S. 260. Zur Kriegsgefangenschaft italienischer Soldaten in Deutschland siehe Avagliano und Palmieri 2020. Zu italienischen Zwangsarbeitern in Deutschland siehe D’Amico, Guerrini und Mantelli 2020. 9  Pighin 2010, S. 195–197. 10  Bericht von Stefani, 15. September 1943, NAK, FO 371, 37571; Bericht ohne Verfasser- und Datumsangabe, NARA, RG 84, box 5, 800 It-Vatican, S. 28; Französische Botschaft beim Heiligen Stuhl an französisches Außenministerium, Vichy, 19. Oktober 1943, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. Zu der Vereinbarung über die Aufstellung deutscher Militärposten siehe Weizsäcker an Berlin, 15. September 1943, PAAA, GPA, Vatikan Kirche 6, R98833, 06. 11  De Felice 1997, S. 37–43, 52–73; Boiardi 1990, S. 12–14; Tagebuch A. Rosso (Tagebucheintrag 15. September 1943),

Nr. 097835, ASDMAE, RSI, Gab., b. 1; Bosworth 2017, S. 181–182. 12  Notiz Montini, 16. September 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 406. 13  Franz von Sonnleithner (Assistent Ribbentrops) an Weizsäcker, 17. September 1943, und Weizsäcker an Berlin, 18. September 1943, PAAA, GBS, 29818, 35–36. 14  Weizsäcker an Berlin, 18. September 1943, PAAA, GPA, Vatikan Kirche 6, R98833, 02-03. 15  Weizsäcker an Berlin, 21. und 22. September 1943, PAAA, GBS, 29818, 37–38 und 40–41. Ribbentrops anhaltende Sorge über die Bemühungen der alliierten Propaganda, den Papst als ein Opfer der deutschen Besetzung Roms darzustellen, war auch im folgenden Monat noch nicht verflogen. Er sandte Weizsäcker ausführliche Instruktionen dazu, dass er das Gespräch mit dem Papst suchen und ihn bitten solle, die alliierte Propaganda, inklusive einer Äußerung Präsident Roosevelts persönlich, öffentlich zu dementieren. Ribbentrop an Weizsäcker, 19. Oktober 1943, PAAA, GBS, 29818, 52–53. 16  Weizsäcker an Reichsaußenminister [Ribbentrop] und den Staatssekretär, 23. September 1943, PAAA, GBS, 29818, 44. 17  Steengracht an Weizsäcker, 24. September 1943, PAAA, GBS, 29818, 48–51. 18  Einen Hinweis darauf, wie sich dieses Dilemma für Pius XII. darstellte, liefert eine Anfrage Pater Gemellis, des Rektors der Katholischen Universität von Mailand, der vor Kurzem noch einer der größten Unterstützer Mussolinis in den oberen Rängen des italienischen Klerus gewesen war. Ende September sandte nun Gemelli einen Kleriker, dem er vertraute, mit einer dringenden Frage an den Papst nach Rom: Was sollte er tun, ließ Gemelli fragen, wenn er demnächst, wie zu erwarten war, aufgefordert würde, Mussolinis neuer Regierung die Treue zu schwören? Anfang Oktober kehrte sein Bote

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Anmerkungen noch einmal nach Rom zurück und traf sich dort mit Montini. In einem Schreiben, das er seinem Boten mitgegeben hatte, erläuterte Gemelli: »Durch die Umstände sehe ich mich gezwungen, Ihnen wiederum meinen Vertrauten zu schicken, um weitere Anweisungen zu erbitten, die ich angesichts der veränderten Lage für äußerst notwendig halte … Mailand wird nicht nur vom Dritten Reich besetzt sein, sondern die öffentlichen Schulen dort werden dem Ministerium für Volksbildung der neuen republikanischen faschistischen Regierung unterstehen.« Gemellis Anfrage demonstriert, wie der Vatikan in diesen Monaten die unklare Position Babuscios als italienischer Botschafter beim Heiligen Stuhl ausnutzen konnte. Solange weder Babuscio noch der Papst eine Entscheidung in dieser Sache forcierten, konnten die beiden konkurrierenden Regierungen die Botschaft beide für sich beanspruchen. »Ich bat Seine Exzellenz Babuscio«, schrieb Montini, »dem Minister für Volksbildung (neue Regierung!) vertraulich zu empfehlen, die Katholische Universität nicht unter Zugzwang zu setzen, sich für oder wider zu erklären.« Gemelli wurde instruiert, die Universität geöffnet zu halten, dabei jedoch nach Möglichkeit jegliche Veranstaltungen zu vermeiden, die eine politische Konnotation haben könnten. In einer vertraulichen Mitteilung vom 12. Oktober teilte Montini dem Rektor mit, dass der Vatikan die »solide Zusicherung« erhalten habe, dass »angesichts der gegenwärtigen Lage diese faschistische Regierung die Katholische Universität nicht dazu zwingen wird, sie öffentlich in irgendeiner Form anzuerkennen, noch ihr irgendwelche kompromittierenden Auflagen zumuten wird«. Um dieselbe Zeit gab Pius XII. auch Anweisung für alle Angehörigen des vatikanischen Staatssekretariats. Wenn sie sich über die aktuelle politische Lage äu-

ßerten, sollte gelten: Je weniger sie sagten, desto besser. Die Dokumente rund um Gemellis Anfragen und die Antworten des Staatssekretariats aus dem September und vom 19. Oktober 1943 finden sich in AAV, Segr. Stato, 1943, Seminari e Università, posiz. 35, ff. 2r–14r; Notiz Ma­ glione, 27. September 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 415. Die Instruktionen des Papstes vom 4. Oktober finden sich in AAV, Segr. Stato, 1943, Curia Romana, posiz. 95, f. 2r. Wie ein Bericht der französischen Botschaft beim Heiligen Stuhl festhält, der im Oktober angefertigt wurde: »Vatikanisches Staatssekretariat hofft, die faschistische, republikanische Pseudoregierung nicht anerkennen zu müssen, ohne zugleich eine entsprechende Aufforderung Mussolinis offiziell abweisen zu müssen.« MAEN, RSS 576, PO/1, 1183; Malgeri 1986, S. 314. 19  Macmillan und Murphy an Roosevelt, 20. September 1943, FDR Library, mr 855, S. 212–215. 20  Presseabteilung des Auswärtigen Amts, Berlin, 6. Oktober 1943, PAAA, GPA Inland ID— Kirchenpolitik »Vatikan«, Heft 1, R98841, 09-15. Kurzman (2007) hat zur Untermauerung dieser Geschichte ein ganzes Buch geschrieben, dessen Schwachstellen sein prominenter Historikerkollege István Deák (2008) in seiner Rezension aufgezeigt hat. Schon Moellhausen (1948, S. 157–158; 1949, S. 103–104), der es als gut informierter Zeitzeuge gewusst haben sollte, hat diese Version der Geschehnisse angezweifelt. 21  Chadwick 1986, S. 275. Am 12. Oktober sandte Weizsäcker einen weiteren Bericht nach Berlin, der sich mit den Bemühungen der britischen Propaganda befasste, den Deutschen Pläne für eine Papstentführung anzudichten; entsprechende Meldungen waren von der Nachrichtenagentur Reuters verbreitet worden; PAAA, GBS, 29818, 76. Gerüchte, wonach die Deutschen eine Entführung des Papstes planten, tauchten

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Anmerkungen schließlich auch in den Berichten italienischer Polizeispitzel auf, möglicherweise als Folge der alliierten Propaganda: »Es heißt, General Stahel habe einen Plan gefasst, deutsche Soldaten in die Vatikanstadt einmarschieren zu lassen«, heißt es in einem solchen Bericht aus dem Herbst 1943. Zu Stahels Plan, berichtet der Informant weiter, gehöre auch die Entführung Pius’ XII. »Informazione dal Ministro dell’Interno«, Oktober–November 1943, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 328, fasc. 227, ff. 65r–84r. 22  Weizsäcker an Berlin, 9. Oktober 1943, PAAA, GBS, 29818, 58–59 und 71–74. 23  Notiz Maglione, 14. Oktober 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 435; Weizsäcker an Ber-

lin, 14. Oktober 1943, PAAA, GBS, 29818, 78; Maglione an Cicognani, Washington, D. C., 12. Oktober 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 433; Anschreiben Cicognani, 12. Oktober 1943, FDR Library, psfa 495, S. 165. 24  Das abgefangene Telegramm von (Albert) Reissmann, Berlin, nach Rom findet sich in NAK, HW, 19/238. Hintergrundinformationen zu Prinzing liefert Hausmann 2002. Prinzing war außerdem damit betraut, die deutschen Kulturinstitute in Italien auf die politische Linie des NS-Regimes zu bringen. Zur Tätigkeit der NS-Geheimdienste in Italien siehe Paehler 2017. 25  Weizsäcker an Auswärtiges Amt, Berlin, 9. Oktober 1943, tel. 115, PAAA, GBS, 60–62.

Kapitel 34: Die Juden des Papstes 1  Picciotto Fargion 2002, S. 878. 2  Ende 1941 waren, nachdem Mitglieder der »Einsatzgruppen« sich darüber beklagt hatten, wie unangenehm und ermüdend das massenhafte Erschießen von Frauen und Kindern sei, auf deutscher Seite erstmals Gaswagen zur Ermordung der Juden eingesetzt worden. Erst 1942 wurden die ersten stationären Gaskammern in Konzentrationslagern auf polnischem Boden installiert. Siehe »Gassing Operations«, Holocaust Encyclopedia, https://encyclopedia.ushmm.org/content/ en/article/gassing-operations. Eine Chronologie der Vergasungsoperation findet sich unter https://www.ushmm.org/ learn/timeline-of-events/1942–1945. 3  Klinkhammer 2016, S. 49; Sarfatti 2000, S. 238–239; Picciotto Fargion 1994, S. 159; Katz 2003, S. 55. Wie groß die jüdische Bevölkerung Italiens zu diesem Zeitpunkt war, ist nicht genau bekannt (ganz abgesehen von der Frage, wie man die Tausende von Juden zählen soll, die aus Angst vor Verfolgung zum Katholizismus konvertiert waren). Seit dem Inkrafttreten der Rassengesetze 1938 waren viele italieni-

sche Juden aus dem Land geflohen, aber viele andere waren vor der Verfolgung in Zentraleuropa nach Italien geflüchtet. 4  Coen 1993, S. 432–445. Zollis Konversion zum Katholizismus im Januar 1945 sollte in der jüdischen Weltöffentlichkeit einen Skandal auslösen. Über ihn sind inzwischen etliche Forschungsbeiträge erschienen, siehe etwa Rigano 2006 sowie Weisbord und Sillanpoa 1992. 5  Siehe Kertzer 2001. 6  Moellhausen 1948, S. 112–117; 1949, S. 87–90; Breitman und Wolfe 2005, S. ­79–80; Chadwick 1977, S. 187; Rigano 2016, S. 72; Klinkhammer 2016, S. 52. Eine maschinenschriftliche, auf den 27. September 1943 datierte Notiz in den Akten des vatikanischen Staatssekretariats lautet wie folgt: »Monsignore Arata meldet: Doktor Foà, Oberrabiner von Rom, wurde von der deutschen Polizei vorgeladen und erhielt den Befehl, bis morgen Vormittag 11 Uhr 50 Kilogramm Gold abzuliefern«, AAV, Segr. Stato, Com­ missione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, f. 108r. Ein Bericht über diesen Vorgang aus dem Tagebuch von Rosina Sorani, einer Mit-

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Anmerkungen arbeiterin der jüdischen Gemeinde von Rom, findet sich in Avagliano und Palmieri 2011, S. 177–179. 7  Die Meldung dieses Vorgangs an das vatikanische Staatssekretariat nahm ein Marchese Serlupi am 19. Oktober 1943 vor, AAV, Segr. Stato, Commissione Soc­ corsi, b. 326, fasc. 216, ff. 110rv. 8  Coen 1993, S. 64–85; Debenedetti 2001, S. 40–46; Klinkhammer 2016, S. 56–61; Osti Guerazzi 2017, S. 82–83, 209–210; Chadwick 1977, S. 190–191; Hudal an ­Stahel, 16. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 373. 9  Diese Darstellung des eiligen Besuchs der Prinzessin bei Pius XII. an jenem Morgen geht auf den Bericht des deutschen Jesuitenpaters Peter Gumpel zurück. Eine weitere Bestätigung wäre wünschenswert, auch wenn Gumpels Version immer wieder zur Stützung des Seligsprechungsverfahrens für Pius XII. herangezogen wird. Emanuele D’Onofrio, »Pio XII e la Shoah: ecco cosa raccontano i documenti dell’Archivio segreto«, Alete­ ria, 27. Januar, 2014, https://it.aleteia. org/2014/01/27/pio-xii-e-la-shoah-eccocosa-raccontano-i-documenti- dellarchivio-segreto/2/; Blet 1999, S. 215. 10  Susan Zuccotti (2000) hat ihrer hervorragenden Studie dieser Geschehnisse den treffenden Titel Under His Very Window gegeben, der darauf anspielt, dass die tausend römischen Juden in unmittelbarer Nachbarschaft des Vatikans festgehalten wurden. 11  Übersetzung nach Sara Berger u. a. (Bearb.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933– 1945, Bd. 14: Besetztes Südosteuropa und Italien, Berlin 2017, S. 219. Die Entscheidung des Papstes, nichts zu tun, um die Deportation der römischen Juden vielleicht noch zu stoppen oder zumindest öffentlich seiner Missbilligung Ausdruck zu geben, war zum Teil gewiss seinem Wunsch geschuldet, die harmoni-

schen Beziehungen, die er zur deutschen Besatzungsmacht geknüpft hatte, nicht zu stören. Es ist bezeichnend, dass die einzige Amtshandlung, die der Apostolische Nuntius bei der italienischen Regierung am Tag der großen Razzia vornahm, mit dem Schutz der Juden rein gar nichts zu tun hatte: Der Monsignore schrieb an Rodolfo Graziani, Mussolinis Kriegsminister, mit der Bitte, er möge eine Verstärkung der vatikanischen Palatingarde gestatten, um den päpstlichen Besitz und die Vatikanstadt vor »störenden Elementen« zu schützen. Notiz Maglione, 16. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 368. Vielleicht ebenso entlarvend ist, dass das dramatische Geschehen der Razzia einen der Landesvorsitzenden des Hochschulablegers der Katholischen Aktion nicht davon abhielt, an demselben Tag aus Rom an Monsignore Montini zu schreiben, um ihn vor einer anderen Bedrohung zu warnen, die seiner Meinung nach der Aufmerksamkeit des Vatikans bedurfte: dem neuen Phänomen der »katholischen Kommunisten«. Der Verfasser dieses Schreibens, Giulio Andreotti, sollte später drei Wahlperioden lang als christdemokratischer Ministerpräsident Italiens amtieren. AAV, Segr. Stato, 1943, Popolazioni, posiz. 18, ff. 1r–2r. 12  Telegramm Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 17. Oktober 1943, ADAP, Serie E, Bd. 7, Nr. 147. 13  Osti Guerazzi 2017, S. 209–210; Madame X an Kardinal Maglione, 17. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 375; Notiz Montini, 18. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 376. Diese Appelle an den Papst werden auch von Kühlwein (2019) diskutiert, dessen Buch sich mit der Reaktion Pius’ XII. auf die Razzia vom 16. Oktober befasst. 14  Der Bericht stammte von Don Igino Quadraroli, 17. Oktober 1943, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, f. 109. Er ist abgedruckt in ADSS, Bd. 9, Nr. 374.

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Anmerkungen 15  Ciro Giannelli an Montini, 16. Oktober 1943, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 453r–455r. 16  Notiz Montini, 16. Oktober 1943, Nr. 369; Notiz Montini, 18. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 376 und 377. Das Schreiben der Legazione del Sovrano Militare Ordine di Malta findet sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 444r–449r. Eine vom 23. Oktober 1943 datierte Liste mit den Namen getaufter Juden, für die das vatikanische Staatssekretariat bei der deutschen Botschaft intervenierte, um ihre Freilassung zu erwirken, findet sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 530r–540r. 17  Coen 1993, S. 89–93. 18  Notiz Montini, 18. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 376; Klinkhammer 1993, S. 540–541. 19  Notizen des vatikanischen Staatssekretariats, 19. und 21. Oktober 1943, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 86r–88v. 20  Osti Guerazzi 2017, S. 82; Coen 1993, S. 103–105; Breitman und Wolfe 2005, S. 81; Katz 2003, S. 114; Calimani 2015, S. 613. 21  Osborne an britisches Außenministerium, London, 18. Oktober 1943, NAK, CAB, 122/866, 9. Seltsamerweise erwähnt Osborne die Festnahme der römischen Juden in seinem Bericht nur andeutungsweise: Er habe dem Papst gesagt, »nach Meinung einiger Leute unterschätze er seine eigene moralische Autorität sowie das Ausmaß des Respekts, den die Nazis ihm mit Blick auf die katholische Bevölkerung in Deutschland widerstrebend zollten. Ich fügte an, dass auch ich dieser Meinung sei.« Am 28. Oktober lieferte Giuseppe Dalla Torre dem Papst jedoch weiteren Grund zu der Annahme, dass die deutsche Militärführung Rom unversehrt wissen wollte, indem er Kardinal Maglione einen Bericht weiterleitete, der ihm von einem Angehörigen der

deutschen Botschaft in Rom zugegangen war. Darin hieß es, der von der Wehrmacht zuvor ausgearbeitete Plan zur Sprengung der römischen Brücken sowie anderer militärisch bedeutsamer Bauwerke bei einem etwaigen Rückzug aus der Stadt sei in Berlin nicht genehmigt worden. Dalla Torre schloss sein Schreiben mit der Feststellung: »Aus diesem Grund dürfen wir wohl, auch wenn es noch so unglaublich erscheint, davon ausgehen, dass die Zerstörungen, welche die Deutschen bei ihrer Evakuierung aus Rom anrichten werden, minimal sein werden.« Dalla Torre an Maglione, 28. Oktober 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 292r–93v. 22  Tittmann an amerikanischen Außenminister, Washington, D.C., 19. Oktober 1943, FDR Library, psfa 495, S. 106. 23  Pighin 2010, S. 216–217. 24  Diese Dokumente finden sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 530r-540r. 25  Panzieri an Pius XII., 27. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 394; Staatssekretariat an deutsche Botschaft, 29. Oktober 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 397; Maglione an Weizsäcker, 6. November 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 416. 26  Hervorhebung im Original. Die Aussage des deutschen Botschafters zu weiteren deutschen Aktionen mag überraschen angesichts dessen, dass die Maßnahmen gegen die Juden Roms in den folgenden Monaten weitergingen, und ist vielleicht einem Anflug von Wunschdenken geschuldet. Weizsäcker an Berlin, 28. Oktober 1943, PAAA, GPA, Inland ID— Kirchenpolitik »Vatikan«, Heft 2, R98842, 02-03. 27  AAV, Segr. Stato, Commissione Soc­ corsi, b. 326, fasc. 216, f. 119, abgedruckt in ADSS, Bd. 9, Nr. 388. 28  Die Dokumentation zu diesem Fall, angefangen mit dem Brief Ugo Di Nolas an Pius XII. vom 22. Oktober 1943, findet

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Anmerkungen sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, ff. 399r–415r. Marina und Claudio, die 1937 beziehungsweise 1939 in Rom zur Welt ge-

kommen waren, wurden beide am 2. Oktober 1940 getauft. Zum Tod von Nella, Marina und Claudio Mieli siehe Picciotto Fargion 2002.

Kapitel 35: Haltlose Gerüchte 1  Notiz Tardini, undatiert, aber erst im Nachhinein 1944 entstanden, ADSS, Bd. 7, Nr. 453; Bérard an Vichy, 10. November 1943, MAEC, Guerre Vichy, 544; Tittmann an Hull, 6. November 1943, FDR Library, mr 303, S. 58; Italienisches Außenministerium, Notiz per il Duce, 7. November 1943, Nr. 096686, ASDMAE, RSI, Gab., b. 23. 2  Eden an Halifax (Kopie eines Telegramms nach Algier), 6. November 1943, NAK, CAB, 122/865, 1; AGWAR Surles an Eisenhower, 6. November 1943, NARA, RG 84, box 5, S. 26. 3  Sprechtext von Radio Rom, 6. November 1943, NAK, FO 371, 37548; McGoldrick 2016, S. 777; »La Città del Vaticano bombardato«, RF, 7. November 1943, S. 1. Weitere Artikel berichteten von der Entrüstung, die der alliierte Bombenangriff in der ganzen katholischen Welt hervorgerufen hatte. Farinacci legte in seinen Leitartikeln nahe, der König und Bado­ glio könnten an der Planung des Angriffs beteiligt gewesen sein – notorische Freimaurer und Feinde der katholischen Kirche, die sie seien. Roberto Farinacci, »Le bombe sul Vaticano«, 9. November 1943, S. 1; »Anglicani e Badogliani contro il Vaticano«, RF, 13. November 1943, S. 1. In seiner Antwort auf die vatikanische Bitte um eine Untersuchung des Vorfalls erinnerte Osborne Kardinal Maglione an seine oft wiederholte Warnung, die Deutschen hielten erbeutete alliierte Flugzeuge bereit, um in einem günstigen Augenblick den Vatikan zu bombardieren und so die Alliierten in Misskredit zu bringen. »Außerdem besteht die Möglichkeit«, meldete er nach Rom, »dass es eine Gruppe von Faschisten war, die den An-

griff ohne das Mitwissen oder die Billigung der Deutschen ausgeführt hat, woraus die Deutschen nun den größtmöglichen propagandistischen Nutzen ziehen.« Osborne an britisches Außenministerium, London, 6. und 7. November 1943, tel. 409, 411, NAK, FO 371, 37548. 4  Eisenhower für Arnold und Surles, 7. November 1943. In einer folgenden Mitteilung informierte Eisenhower Washing­ton über weitere Details: An dem fraglichen Abend waren in der Nähe von Rom neun alliierte Flugzeuge in der Luft gewesen, es hatte jedoch gute Sicht geherrscht und keine Besatzung hatte gemeldet, Ziele nahe beim Vatikan angegriffen zu haben. »Der Gewinn, den die Deutschen aus einem solchen Angriff ziehen«, fügte Eisenhower hinzu, »liegt natürlich auf der Hand. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass am selben Abend ein deutscher Luftangriff auf Neapel stattgefunden hat.« 7. November 1943, FDR Library, mr 303, S. 57, 54–55. 5  Fazit einer Sitzung des Kriegskabinetts, 10 Downing Street, 8. November 1943, NAK, CAB, 65, 1943, S. 145. 6  Am 12. November teilte das britische Außenministerium Osborne per Telegramm mit, dass man die Bitte des Apostolischen Legaten in London unter Verweis auf Eisenhowers Erklärung vom 7. November beantwortet habe, wonach kein alliiertes Flugzeug Bomben auf den Vatikan abgeworfen hatte. Resident in Algier an britisches Außenministerium, 8. November 1943, NAK, FO 371, 37548; Pressemitteilung des amerikanischen Außenministeriums, 9. November 1943, Nr. 469, und britisches Außenministerium

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Anmerkungen an Osborne, 12. November 1943, tel. 275, NAK, FO, 371, 37548. 7  Notiz Tardini, undatiert, aber erst im Nachhinein 1944 entstanden, ADSS, Bd. 7, Nr. 453. Dokumente zu den vatikaninternen Nachforschungen finden sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Stati Ecclesiastici, posiz. 755, ff. 48r–76r. Weiter verkompliziert wurde der Fall durch einen Telefonanruf, den die römische Polizei am 8. November abfing: Ein Priester namens Don Giuseppe berichtete Pater Tacchi Venturi, dass er kürzlich aus Viterbo nach Rom zurückgekehrt sei. Am Flughafen von Viterbo habe ihm ein Zeuge berichtet, der Luftangriff auf den Vatikan sei von Farinacci persönlich ausgeführt worden, und am Steuer des Flugzeugs habe ein römischer Pilot gesessen. Das Transkript des Telefonats ist in Guspini 1973, S. 249, abgedruckt. Die jüngste Öffnung der vatikanischen Archive fügt der Geschichte nun noch eine weitere Facette hinzu. In den Unterlagen des Staatssekretariats findet sich nämlich die angebliche Mitschrift eines Telefongesprächs vom 7. November 1943, in dem Mussolinis Staatssekretär Francesco Barracu seinem Chef mitgeteilt haben soll: »Die Vatikan-­Affäre läuft gut, es ist uns gelungen, die Ermittlungen auf eine falsche Fährte zu lenken.« Tardini notierte auf dem Transkript »Bombardierung von 5-XI-43« und vermerkte, dass es unverzüglich dem Papst vorgelegt wurde. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 298r–303r. 8  Chessa und Raggi 2010, S. 46–47; AgaRossi 2011, S. 13. 9  Mussolinis für den 28. Oktober geplante Radioansprache hatte nach Ansicht eines römischen Polizeiinformanten keinen anderen Zweck, als zu beweisen, dass er noch am Leben war: »Raccolta delle prove documentali per il procedimento penale istruito contro Trojani«, ASR, Galla Placidia, CAP, Sezione istruttoria, b.1669, fasc. 1010.

10  Die Deutschen hatten die vatikanischen Besitzungen in ganz Rom sogar rundum mit kleinen päpstlichen Fahnen bezeichnet und im Namen General Stahels in deutscher wie italienischer Sprache bekannt machen lassen, dass es sich hierbei um extraterritoriale Gebiete des Vatikans handelte. Ende Oktober notierte Monsignore Costantini, der Sekretär der vatikanischen Kongregation De Propaganda Fide, nicht ohne Erleichterung in seinem Tagebuch, dass sowohl die deutschen Behörden als auch Mussolinis neue republikanische Regierung die Kirche mit Ehrerbietung behandelten. Pighin 2010, S. 220–221. 11  Weizsäcker an Berlin, 9. Oktober 1943, tel. 115, PAAA, GBS, 29818, 60–62. 12  Notiz Maglione, 29. Oktober 1943, ADSS, Bd. 7, Nr. 449; »Cronaca contemporanea«, CC, 94 IV, Quaderno 2242 (1943), S. 267. Maglione wird hier nach der englischen Übersetzung wiedergegeben, die Osborne seinem Bericht nach London vom 30. Oktober beifügte. NAK, FO 371, 37571. 13  AAV, Prefettura Casa Pontif., Udienze, buste 56–59. Schon früh waren bei Mussolinis Geheimdienst Meldungen über die Sympathien eingegangen, die der deutsche Priester für die Sache der Achsenmächte hegte. Ein einschlägiger Bericht stammt etwa vom 25. Juli 1941. Demnach hatte Pater Pfeiffer im Gespräch »seine Freude und seinen Stolz über den Triumph der Achsenarmeen« sowie »seinen Glauben an ihren vollständigen Sieg« ausgedrückt. »Außerdem verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, dass Hitler in der Zukunft dahin gelangen möge, seine Einstellung der Religion gegenüber zu ändern.« Notizia fiduciaria, ACS, SPD, CR, b. 327. Zu Pfeiffer siehe Samerski 2013. 14  Als Pius XII. einige Tage später Pater Pfeiffer im Apostolischen Palast empfing, brüstete der Besucher sich mit der wichtigen Rolle, die er im Namen des Papstes

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Anmerkungen übernommen habe. Unter den Teilnehmern des Banketts befand sich neben den führenden deutschen Offizieren in Rom und den deutschen Botschaftern in Italien und beim Heiligen Stuhl auch Rodolfo Graziani, der Kriegsminister von Mussolinis neuer Republik. Bevor das Essen aufgetragen wurde, erbot sich Pater Pfeiffer, bei einem Gespräch zwischen Graziani und General Stahel als Dolmetscher zu fungieren, und der deutsche General schmeichelte dem Priester für all seine Dienste zur Förderung der freundschaftlichen Beziehungen zum Vatikan. Notizen Pfeiffer, 5. November 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 414; Original in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 294r–295r. Dass Pfeiffer im Vatikan einen gewissen Ruf als Prahlhans im Priesterrock genoss, deutet der handschriftliche Kommentar an, den Monsi­ gnore Tardini neben Pfeiffers Bericht über die Lobesworte Weizsäckers setzte: »Der deutsche Botschafter hat sich im Staatssekretariat oft genug über Pater Pancrazios Wichtigtuerei beklagt.« Pfeiffers Anwesenheit bei dem Festessen mit den Generälen Stahel und Graziani blieb auch den Mitgliedern der italienischen Widerstandsbewegung, der Resistenza, nicht verborgen. Eine in den Akten des Vatikans enthaltene maschinenschriftliche Botschaft eines »Komitees für die nationale Befreiung« warnte jedenfalls, Pater Pfeiffer sei durch Umtriebigkeit in deutschen und faschistischen Kreisen aufgefallen, »unter anderem durch die Mahlzeiten, die er an einem Tisch mit General Stahel und General Graziani eingenommen hat«. AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 227, f. 135r. Diese Warnung erreichte den Vatikan in den ersten Novembertagen 1943. 15  Wie Osborne es in seinem Jahresbericht für 1943 formulierte, hatte sich Babuscio gegen Ende des Jahres in der Vatikanstadt niedergelassen, »wo er ver-

mutlich weiterhin das Haus Savoyen und die Regierung Badoglio vertrat, wenn auch in diskreter, unauffälliger Weise«. Jahresbericht Osborne für 1943, Osborne an Eden, 24. März 1944, NAK, R 6770/6770/57, S. 8. 16  Da der Vatikan keinen direkten Kontakt zu Badoglio unterhielt, hatte Babuscio den Kardinal gebeten, dem päpstlichen Nuntius in Madrid eine von ihm verfasste Mitteilung zukommen zu lassen, zusammen mit der Bitte, den Text an den dortigen italienischen Botschafter weiterzuleiten. Sie lautete: »Botschafter Babuscio Rizzo bittet Botschafter Paulucci, Marschall Badoglio davon in Kenntnis zu setzen, dass sämtliche Angehörigen der italienischen Botschaft beim Heiligen Stuhl der Regierung Seiner Majestät die Treue halten und auf ihrem Posten bleiben, und bislang sind weder die Amtsträger noch die Botschaft selbst behelligt worden.« n. 3133, ASDMAE, APSS, b. 77 und ADSS, Bd. 7, Nr. 437. Ein Brief, den er Paulucci am 7. Dezember 1943 auf anderen Wegen zukommen lassen konnte, findet sich in ASDMAE, APSS, b. 72. Bislang, erklärt er darin, habe er allem Druck standhalten können, ihn zu einem Umzug in die Vatikanstadt zu bewegen. »Die Tatsachen«, fügte er hinzu, »haben mir recht gegeben, denn … es haben weder Menschen noch Mobiliar einen Schaden erlitten, bis dato jedenfalls.« Dies war insbesondere deshalb bemerkenswert, weil er am Eingang des Botschaftsgebäudes neben dem päpstlichen Wappen auch das »originale« Staatswappen des Königreichs Italien hatte anbringen lassen, also die Variante ohne das faschistische Symbol des Liktorenbündels, das Mussolini zentral hatte einfügen lassen. »Auf diese Weise«, schrieb Babuscio, »hat die Botschaft in Rom überdauert, wenn sie nun auch geschlossen ist.« Fairerweise sollte man aber noch sagen, fügte er an, dass niemand aus dem Außenministerium (das nun in den Händen der Regierung Mussolini war)

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Anmerkungen jemals Druck auf ihn ausgeübt hatte, an den neuen Regierungssitz in Norditalien umzuziehen, oder auch nur nach seiner Meinung dazu gefragt hatte. »Mit anderen Worten wurde die Botschaft offiziell ›ignoriert‹. Eine derart günstige Situation hat sich natürlich nur aufgrund des Verständnisses unserer Kollegen aufrechterhalten lassen und hängt auch eng mit der Entscheidung sowohl der Besatzer als auch der Besetzten zusammen, die Frage der Apostolischen Nuntiatur (und des Heiligen Stuhls im Allgemeinen) nicht anzusprechen.« Zwei Wochen später sandte Babuscio erneut eine Nachricht: Nach weiterem Nachdenken habe er, ohne dazu gezielt gedrängt worden zu sein, beschlossen, in die Vatikanstadt umzuziehen und einen Teil des Botschaftsarchivs sowie Wertgegenstände mitzunehmen. Babuscio Rizzo an Kgl. Regierung in Brindisi, 21. Dezember 1943, tel. 3/3, ASDMAE, APSS, b. 72. 17  Ende September fragte der spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl Kardinal Maglione, was der Vatikan wohl täte, wenn Mussolini den Papst auffordern würde, seine Regierung offiziell anzuerkennen. »Ich will hoffen, dass eine solche Forderung dem Heiligen Stuhl niemals gestellt werden wird«, antwortete der Kardinal. Während die Entscheidung hierüber natürlich dem Papst zustehe, führte Maglione weiter aus, sei er persönlich der Auffassung, der Vatikan solle seine bisherige Linie weiterverfolgen und keine Regierung anerkennen, die infolge des Krieges und noch während des Krieges gebildet worden sei, wenn eine zuvor anerkannte, legale Regierung noch immer existiere. Notiz Maglione, 27. September 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352b, ff. 18rv. 18  Renato Prunas an Generalmajor ­Kenyon Joyce, 12. November 1943, Nr. 303, ASDMAE, SG, b. 27. Zum Status der Rassengesetze um diese Zeit siehe den Bericht vom 19. Oktober 1943 in

ACS, PCM 43–44, Salerno-Gab., b. 11, fasc. 3–16. 19  Prunas, Bericht für den Capo del Governo, Brindisi, 15. November 1943, ­A SDMAE, SG, b. 27. 20  Zur Judenverfolgung in Italien während der deutschen Besatzung siehe Osti Guerazzi 2020. 21  Zuccotti (2000, S. 189–201). Zuccotti liefert eine herausragende Untersuchung zur Situation der römischen Juden, die nach dem 16. Oktober 1943 in katholischen Einrichtungen Zuflucht suchten. 22  Don Saverio Quadri an das Staatssekretariat, n. d., AAV, Segr. Stato, Com­ missione Soccorsi, b. 326, fasc. 216, f. 449r. Eine interne lateinische Notiz auf dem Ersuchen des Priesters in den Staatssekretariatakten lautet: »Quid faciendum?« (Was ist zu tun?). Die Antwort gibt eine zweite handschriftliche Notiz: »Es ist nicht zu sehen, wie das Staatssekretariat hier eingreifen könnte.« 23  Drei Monate nach der großen Razzia in Rom erhielt das vatikanische Staatssekretariat den Hinweis, die Gestapo suche unter dem Vorwand einer Bestandsaufnahme der Kunstwerke in der ganzen Stadt nach »jüdischen und nichtjüdischen« Flüchtlingen, die sich in den römischen Klöstern versteckt hielten. Hierauf wurde die Warnung herausgegeben, dass »die Klostervorstände vor ihnen auf der Hut sein sollen und sicherstellen müssen, dass ihnen während ihres Besuchs keinerlei verdächtige Personen unter die Augen kommen«. Bericht, 22. Januar 1944, AAV, Segr. Stato, Com­ missione Soccorsi, b. 332, fasc. 307, ff. ­2r–9r. 24  Schwester M. Margherita Vaccari an Papst Pius XII., 8. August 1943, AAV, Segr. Stato, 1943, Varie, posiz. 1632, ff. ­1r–3r. Die Notiz über das Gespräch des Nuntius mit dem Polizeichef Carmine Senise brachte Kardinal Maglione handschriftlich auf dem Brief der Nonne an.

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Anmerkungen 25  Der Originalbefehl findet sich in ACS, MI, Gabinetto RSI, Carte del Ministro Buffarini Guidi (1938–45), fasc. 75. Siehe auch Klinkhammer 1993, S. 543–544. Die Nachricht von dem Befehl fand am 1. Dezember ihren Weg auf die Titelseiten der größten Mailänder Zeitung (»L’arresto di tutti gli ebrei«, Corriere della Sera) und des Regime Fascista Farinaccis (»Tutti gli Ebrei saranno inviati in appositi campi di concentramento«). Zwei Wochen zuvor hatte Pater Tacchi Venturi sich mit Buffarini getroffen, um dessen Unterstützung für das vatikanische Anliegen zu erbitten, die Zustimmung der deutschen Besatzungsbehörden zu einer Aufstockung der Palatingarde auf 2000 Mann zu erwirken. Wie Buffarini dem Jesuitenpater versicherte, werde er alles in seiner Macht Stehende tun, um zu helfen. Tacchi Venturi an Maglione, 12. November 1943, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 326, fasc. 227, f. 137r. 26  Maglione an Weizsäcker, 26. November 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 441. 27  Kardinal Rossi an Maglione, 6. Dezember 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 455. Der Brief des deutschen Konsuls Koester nach Berlin ist abgedruckt in Friedländer 2011, S. 184–185. In seinem Bericht für Berlin hielt es der Konsul offenbar für ratsam, nicht zu erwähnen, dass er den kirchlichen Würdenträger im Konsulat empfangen hatte, sondern stellte die Sache so dar, als habe der Patriarch lediglich »einen Freund« aufgesucht, der ihm die Unterhaltung dann im Detail wiedergegeben habe. 28  »Carità civile«, OR, 3. Dezember 1943, S. 1. 29  Bericht Nr. 12 der Aufklärungsabteilung Südeuropa, Unterabteilung Radio und Presse: »The Vatican on AntiSemitism«, 9. Dezember 1943, NARA, RG 165, color 279; Klinkhammer 1993, S. 542. 30  Avagliano und Palmieri 2011, S. ­304–306.

31  Notizen des Staatssekretariats, 17. Dezember 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 469. 32  Tacchi Venturi, »Nota verbale sulla situazione ebraica in Italia«, 19. Dezember 1943, ASRS, AA.EE.SS., PXII, Asterisco Italia, posiz. 1054*, ff. 1097–1103. 33  Notiz Dell’Acqua, 24. November 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Jugoslavia, posiz. 160, f. 268r. 34  Dell’Acqua, 20. Dezember 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Asterisco Italia, posiz. 1054*, ff. 1104–1105. Siehe auch Notiz Maglione, 20. Dezember 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 473. Das vatikanische Staatssekretariat versuchte auch weiterhin, über die private Kommunikation mit Rodolfo Graziani darauf hinzuwirken, dass die in Italien verhafteten Juden eine bessere Behandlung erfuhren. Eine Aktenmappe vom 11. Mai 1944 aus dem vatikanischen Geheimarchiv trägt die Aufschrift »Notizen zur Aushändigung an Marschall Graziani«. Darunter ist auch das folgende Ersuchen: »Es wird gebeten, dass die Nichtarier, die noch in Italien festgehalten werden (z. B. in dem Konzentrationslager von Fossoli di Carpi [und] im Gefängnis von Verona), wenigstens weniger grob behandelt werden und Priester zu ihnen kommen dürfen.« AAV, Segr. Stato, Com­ missione Soccorsi, b. 331, fasc. 285, f. 5r. Eine solche Herangehensweise war freilich ohne Aussicht auf Erfolg. Eine englische Übersetzung der Memoranden von Tacchi Venturi und Dell’Acqua ist in Kertzer 2020 enthalten. 35  Diese Nachricht kam von General Menotti Chieli, dem derzeitigen Oberkommandierenden der in Rom statio­ nierten italienischen Truppen. Kardinal Ma­glione hatte den General gebeten, ­Graziani dazu zu ermutigen, mit Mussolini über die Sorgen zu sprechen, die der Vatikan sich wegen der neuen judenfeindlichen Maßnahmen machte. Nun erstat­ tete Chieli Meldung darüber, was er in Erfahrung gebracht hatte.

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Anmerkungen 36  Notiz Maglione, 20. Dezember 1943, ADSS, Bd. 9, Nr. 473. Kurz nachdem er sein Memorandum übermittelt hatte, wurde Dell’Acqua gebeten, einen im Staatssekretariat eingegangenen Bericht zu bewerten, wonach es in Rom eine jüdische Untergrundorganisation gebe, die falsche vatikanische Ausweispapiere für untergetauchte Juden anfertige. In seiner Antwort schrieb der Monsignore, er zweifle an der Existenz einer derartigen Organisation, fügte aber noch einige Gedanken an, wie der Vatikan seiner Meinung nach mit den Juden umgehen sollte: »Ich habe jedoch schon oft feststellen können, dass manche Leute, die im Vatikan oder in seinem Umfeld beschäftigt sind, sich zu sehr (auf eine Weise, die ich fast übertrieben nennen möchte) mit den Juden befasst haben, sie begünstigt haben, vielleicht sogar mit einem eleganten Betrug. In letzter Zeit, scheint mir, haben zu viele Nichtarier das Staatssekretariat aufgesucht, und sogar im Staatssekretariat

selbst ist zu viel von den Juden die Rede und von den entsprechenden Maßnahmen der Deutschen und der italienischen republikanischen Regierung. Ich habe es immer für eine grundlegende Regel der Weisheit gehalten, im Gespräch mit Juden größte Umsicht walten zu lassen.« Memorandum Dell’Acqua, 31. Dezember 1943, AAV, Segr. Stato, Commis­ sione Soccorsi, b. 302, fasc. 11, f. 3r. Nach verlässlichen neuen Zahlen saßen damals 32 294 italienische und weitere 6842 ausländische Juden im deutsch besetzten Italien fest. Von 7186 ist bekannt, dass sie entweder in Italien ermordet wurden oder durch Deportation in ein deutsches Konzentrationslager zu Tode kamen. Von den 32 000, die überlebten, gelang 6000 die Flucht in die Schweiz und 500–600 konnten sich nach Süden in die Sicherheit der von den Alliierten kontrollierten Landesteile durchschlagen. Picciotto Fargion 2016, S. 25.

Kapitel 36: Verrat 1  Moseley 1999, S. 178. 2  Di Rienzo 2018, S. 550. 3  Corvaja 2008, S. 265. 4  Als er erfuhr, dass Mussolinis Regierung Ciano und andere Mitglieder des faschistischen Großrats hatte verhaften lassen, bat der Papst Kardinal Maglione, dem Kriegsminister der Italienischen Sozialrepublik, Graziani, die Bitte zu übermitteln, er möge in der Behandlung derjenigen, die bei der schicksalhaften Sitzung am 24. Juli gegen den Duce gestimmt hatten, »Milde zeigen«. Notiz Maglione, 29. November 1943, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352b, f. 237r. 5  Anfang Februar 1945 konnte sich der amerikanische Geheimdienst OSS in der Schweiz eine Kopie von 1200 Seiten aus Cianos Tagebüchern beschaffen, indem er, wie der OSS-Bericht an den amerika-

nischen Vizeaußenminister erklärte, »die Originalseiten abfotografierte, die sich weiterhin im Besitz der Gräfin Ciano befinden. Die Fotografien mussten in großer Eile in dem Sanatorium angefertigt werden, in dem die Gräfin behandelt wird.« Charles S. Cheston, kommissarischer Direktor des OSS, an James Dunn, 6. Februar 1945, NARA, RG 226, Microfilm M1642, roll 21, S. 69–71. 6  Der Priester berichtete dies in einem Brief an Edda Mussolini, der in den unlängst zugänglich gemachten Archivbeständen des Vatikans aufgefunden wurde, datiert auf den 3. Februar 1944 (AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, ff. 198rv). 7  Diese Ereignisse werden bei Moseley 1999, S. 176–236, und Di Rienzo 2018, S. 537–576, geschildert. Das offizielle Urteil des Tribunale Speciale Straordina-

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Anmerkungen rio di Verona, nebst einem Vermerk über seine Vollstreckung am folgenden Tag, findet sich in ACS, MI, Gabinetto RSI, Carte del Ministro Buffarini Guidi (1938– 45), fasc. 33. Ein Augenzeugenbericht von Cianos Hinrichtung ist auch in den kürzlich geöffneten Beständen des Vatikans enthalten: AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, ff. 193r–195r. 8  Im Gründungsmanifest des wiederhergestellten faschistischen Regimes, über das ein Kongress der Republikanisch-­ Faschistischen Partei (PFR) nur wenige Wochen zuvor abgestimmt hatte, war festgehalten, dass der Katholizismus die offizielle Staatsreligion sein sollte. Da der Kongress Mitte November in Verona stattgefunden hatte, wurde dieses 18-Punkte-Programm der PFR als »Manifest von Verona« bezeichnet. Die Festlegung auf den Katholizismus als offizielle Staatsreligion Italiens erfolgte in Punkt 6. Unter Punkt 1 wurde das Ende der Monarchie erklärt; Punkt 7 hielt fest: »Angehörige der jüdischen Rasse sind Ausländer. Für die Dauer dieses Krieges gehören sie einer Feindnation an.« »Manifesto di Verona«, Storiologia, https:// www.storiologia.it/apricrono/storia/ a1943u.htm. 9  Italienisches Außenministerium (Giurati) an Serafino Mazzolini, Generalsekretär im Außenministerium, 2. Januar 1944, ASDMAE, RSI, Gab., b. 37. 10  Notizen des Staatssekretariats, 11. Januar 1944, sowie Annexe, Memorandum du Ministère des Affaires Étrangère de la RSI, n.d., 19. Januar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 9; Notiz Montini, 17. Januar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 16. Das Giurati-Memorandum vom 12. Januar 1944 ist auch enthalten in ASDMAE, RSI, Gab., b. 37. Es sei im allseitigen Interesse, erklärte Babuscio dem Berufsdiplomaten Camillo Giurati, wenn die Sache nicht an die große Glocke gehängt werde. Kardinal Maglione hatte zugesichert, dass er das prekäre Gleichgewicht in den Be-

ziehungen des Vatikans zu den beiden konkurrierenden italienischen Regierungen nicht stören wolle. Entsprechend hatte der Kardinal auch Babuscio empfohlen, demselben Rat zu folgen, den er dem Nuntius gegeben hatte: dormire, »sich schlafen legen«. Giurati, Rom, an Außenministerium, 12. Januar 1944, tel. 176, ASDMAE, RSI, Gab., b. 37. Wie so viele »Überbleibsel« des alten Regimes in der neuen italienischen Regierung fand Giurati sich in einer unbequemen Lage wieder: Er blieb auf seinem Posten und diente Mussolinis republikanischer Regierung, ohne dem König seine Gefolgschaft aufzukündigen. Er hielt es deshalb für das Beste, die Situation zu entspannen. Mitte Januar suchte ihn Monsignore Testa auf und teilte ihm mit, dass Kardinal Maglio­ne sich im Vormonat genötigt gesehen habe, Babuscio in die Vatikanstadt umziehen zu lassen, weil er andernfalls nach eigener Aussage in Gefahr gestanden hätte, von den Deutschen verhaftet zu werden. Aber Testa sagte auch, dem Kardinal sei sehr daran gelegen, den von Babuscio ausgelösten Skandal möglichst klein zu halten, weshalb er nicht geneigt sei, noch weitere Mitarbeiter der italienischen Botschaft in den Vatikan hineinzulassen, damit »der Ölfleck nicht noch größer wird«. Der vatikanische Staatssekretär, bemerkte Giurati, als er der Regierung im Norden über diese Unterredung Bericht erstattete, wisse das Verständnis, das die neue Regierung bislang an den Tag gelegt habe, sehr zu schätzen. In einer separaten Mitteilung bat Giurati darum, die für den weiteren Umgang mit Babuscio vorgesehenen »Maßnahmen von äußerster Rigorosität« noch einmal zu überdenken. Diese würden Babuscio nämlich nur erlauben, sich in den Mantel eines Märtyrers zu hüllen. Giurati an das Kabinett, 15. Januar 1944, tel. 205 und 206, ­A SDMAE, RSI, Gab., b. 37. Zu dieser Zeit hatte Babuscio endlich Kontakt zur Regierung Badoglio her-

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Anmerkungen gestellt. In seinem Bericht vom 18. Januar ist von seinen Problemen mit der republikanischen Regierung die Rede und von seiner Entscheidung, die italienische Botschaft beim Heiligen Stuhl an ihrem angestammten Ort in Rom zu belassen und nicht zu versuchen, sie mit in die Vatikanstadt zu verlagern. 18. Januar 1944, Nr. 5/5, ASDMAE, APSS, b. 72. 11  Bosworth 2017, S. 190. 12  Chessa und Raggi 2010, S. 5. 13  OSS-Meldung, via Radio, Bern, »Italy: Countess Ciano’s story«, 29. Januar 1944, FDR Library, mr 438, S. 220. 14  Mussolini an Petacci, 4. Februar 1944, Montevecchi 2011, S. 32. Der Papst hatte sich um diese Zeit schon ein ähnliches Bild von Mussolinis Gemütszustand machen können, denn ihm waren Bemerkungen zugetragen wurden, die der Duce gegenüber Umberto Guglielmotti gemacht hatte, dem frisch ernannten Chefredakteur der Tageszeitung Giornale d’Italia. Die Information erreichte den Papst über Monsignore Enrico Pucci, den halboffiziellen Direktor des internationalen Pressedienstes des Vatikans, der Guglielmotti bei dieser Gelegenheit als »meinen Freund« bezeichnete. »Unglücklicherweise«, hatte Mussolini demnach gesagt, »ist Italien heute ein besetztes Land und die Deutschen sind die Besatzer … Ein besetztes Land, aus gutem Grund besetzt zwar, aber doch besetzt. Meine eigenen Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Meine eigenen Bewegungen werden überwacht. Selbst, wenn ich nur jemanden anrufen möchte, muss ein deutsches ›Fräulein‹ die Verbindung herstellen.« Pucci an Pius XII., 13. Januar 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352°, ff. 24r–25r. 15  Mussolini an Clara Petacci, 26. Februar 1944, Chessa und Raggi 2010, S. 79; Montecchi 2011, S. 110; Clara Petacci an Mussolini, 26. Februar 1944, ACS, Archivi

di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 3, fasc. 23. 16  Notiz Bernardini, 19. März 1944, AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, f. 131r. 17  Notiz Tardini, 4. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 27; Notiz Tardini, 28. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 57. 18  In Zusammenhang mit Pancinos Besuch berichtete der Nuntius, dass Edda viel geweint habe, als sie mit ihren Kindern die Seelenmesse für ihren Ehemann besucht habe. Das vom 24. März 1944 datierte Telegramm Bernardinis an den Vatikan, in dem er vom Erfolg von Pancinos Mission berichtet, befindet sich in AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, ff. 136r–140r, ebenso Pancinos Dankesbrief an Bernardini »für alles, was Sie getan haben«, vom 25. März und der Bericht über Pancinos Besuch an die Schweizer Regierung vom 31. März. Die Beteiligung von Kardinal Maglione und Monsignore Tardini bei der Anbahnung des Treffens ist in ff. 128r–135r dokumentiert. Bernardinis Berichte über Pancinos Mission finden sich auf f. 132r und 140r. In dem späte­ren Bericht mit Datum vom 31. März 1944 schreibt Bernardini: »Ich bin überzeugt davon, dass vom spirituellen Standpunkt aus betrachtet das lange Gespräch [zwischen Edda Mussolini und Pater Pancino] für die arme Seele viel Gutes bewirkt hat, die in ihrer Gottesferne umherirrt und in den Trümmern ihres alten Lebens verstockt nach Trost sucht.« In einem scharf formulierten Brief, den Edda kurz darauf, am 28. Mai 1944, ihrem Vater schrieb, erklärte sie, wie stolz sie auf ihren Ehemann sei, und sprach wütend von ihren »Dienern« und seinen »Herren«. Mussolinis Antwort, die schlicht mit »Juli 1944« datiert ist, findet sich jetzt zusammen mit Eddas Brief in AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, ff. 200r, 201r. 19  Atkinson 2007, S. 358–392; Nicolas Roland, »Operation Shingle: Landing at

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Anmerkungen Anzio Italy«, Naval History and Heritage Command, 2018, https://www.history. navy.mil/browse-by-topic/wars-con­flictsand-operations/world-war-ii/1944/­anzio. html. 20  Katz 2006, S. 180–182, Zitat S. 180. 21  Osborne an britisches Außenministerium, London, 26. Januar 1944, NAK, CAB, 122/865, 40. 22  Michaelis 1978, S. 390; »Presidenza del Consiglio dei Ministri, Sottosegretario di Stato, Salerno, to On. Comitato Parlamen­tare Ebraico, Camera dei Comuni, Londra«, 25. Februar 1944, Nr. 1378, ASDMAE, SG, b. 27. 23  Lehnert 1984, S. 129; Notiz Montini, 25. Januar 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 20; Osborne an britisches Außenministerium, London, 4. Februar 1944, tel. 70, NAK, WO 220/274. 24  Luftfahrtministerium, Großbritan­nien, Memorandum Eaker 2. Februar 1944, NARA, RG 84, box 47, S. 48; L. Mathewson, Memorandum für den Präsidenten, 22. Februar 1944; Stabschefs im Kriegsministerium an Hauptquartier der Luftwaffe, 12. Februar 1944; und Wilson, Kriegsministerium an britische Stabschefs, 2. Februar 1944, all in FDR Library, mr 293, S. 51, 55, 56; Memorandum der britischen Stabschefs, 8. Februar 1944, NAK, CAB, 122/865, 41, 45; Osborne an britisches Außenministerium, London, 2. Februar 1944, tel. 64, NAK, WO, 220/274. 25  Zu den Aktivitäten von Caruso und Koch um diese Zeit siehe Osti Guerazzi 2020. 26  Notiz Tardini, 4. Februar 1944; Notizen Staatssekretariat, 4. Februar 1944; Notiz Tardini, 4. Februar 1944; Notiz Montini, 4. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 23, 24, 25, 26. Bérards Schilderung der Geschehnisse in seinem Bericht für die Regierung in Vichy vom 5. Februar findet sich in MAEC, Guerre Vichy, 461. Babuscio Rizzos Bericht, datiert vom 7. Februar 1944, findet sich in ASDMAE, AISS, b. 186.

Der Überfall auf Sankt Paul vor den Mauern war nicht das erste deutsch-italienische Gemeinschaftsunternehmen, das sich gegen eine bedeutende katholische Einrichtung in Rom richtete mit dem Ziel, dort versteckte Flüchtlinge aufzuspüren. Ende Dezember 1943 fanden Razzien unter anderem im Päpstlichen Lombardischen Priesterseminar, im Päpstlichen Orientalischen Institut und in der Päpstlichen Archäologischen Akademie statt. In jeder dieser Einrichtungen wurden Flüchtlinge entdeckt und festgenommen. Einem Bericht zufolge, der in den vatikanischen Archiven erhalten ist, wurden im Lombardischen Seminar sieben Personen verhaftet, darunter ein Stabsarzt des italienischen Heeres, ein junger Mann, der offenbar der Einberufung entgehen wollte, ein kommunistischer Aktivist, ein als römischer Jude bezeichneter Mann sowie drei andere, die als »getaufte Juden« mit ihrem jeweiligen Taufjahr aufgeführt sind. AAV, Segr. Stato, Commissione Soc­ corsi, b. 332, fasc. 307, f. 18r. Reiches Material zu diesen Razzien findet sich in demselben Bestand auf ff. 11r–37r. Auch in diesem Fall behauptete Pater Pfeiffer zuerst, die Deutschen seien an den Razzien nicht beteiligt gewesen – bis ihm das Staatssekretariat Beweise für das Gegenteil vorlegte (f. 25r). 27  Es scheint, dass der Kardinal den Entwurf des Protestschreibens in Kopie an den brasilianischen Botschafter weitergereicht hatte, der die Sache wiederum seinem deutschen Amtskollegen gegenüber erwähnt hatte. 28  Notiz Maglione, 5. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 27. Obwohl der Kardinal es für angeraten hielt, den Deutschen weder eine Beteiligung noch auch nur eine Mitwisserschaft an dem Überfall auf Sankt Paul vorzuwerfen, hatte er zu diesem Zeitpunkt doch guten Grund zu der Annahme, dass die Wahrheit eine andere war. Nicht nur hatten die Mönche des Klosters bezeugt, zum Zeitpunkt der

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Anmerkungen ­ azzia draußen Fahrzeuge der deutschen R Polizei gesehen zu haben; sie wussten auch von gebrochen Italienisch sprechenden Deutschen unter den Männern, die drinnen die Festgenommenen befragt hatten. Notiz Tardini, 5. Februar 1944 und 7. Februar 1944, Staatssekretariat an diplomatische Vertretungen beim Heiligen Stuhl, 7. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 23, 28, 31, 32. 29  Notizen Staatssekretariat, 9.–11. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 35. Caruso sollte das Jahresende nicht mehr erleben: Am 22. September 1944 wurde er in Rom vor ein Erschießungskommando gestellt. Osti Guerazzi 2005, S. 94–97. 30  Der Papst hatte seine Gründe, die öffentliche Aufmerksamkeit möglichst nicht auf die Vorgänge gerichtet wissen zu wollen, wie der italienische Gesandte im Vatikan in seinem Bericht darlegte: »Es ist klar, dass der Heilige Stuhl durch die Tatsache in Verlegenheit gebracht wurde, dass einige der Flüchtlinge in der Basilika San Paolo in geistliche Gewänder gekleidet waren.« Tatsächlich hatten faschistische Zeitungen Fotos abgedruckt, auf denen der in der Basilika ergriffene italienische General in einer Mönchskutte zu sehen war. Der Heilige Stuhl fordere zwar die Freilassung der bei der Razzia illegal Festgenommenen, beobachtete Babuscio, doch »anstatt in direkte Verhandlungen mit der republikanischen Regierung einzutreten, möchte man die Dinge lieber hübsch beim Alten belassen«. Babuscio Rizzo an kgl. Außenministerium, 11. Februar 1944, Nr. 1/4, ASDMAE, APSS, b. 72. Zwei Wochen später wies der Papst Kardinal Maglione an, den Benediktiner­ abt von Sankt Paul einzubestellen und ihm einzuschärfen, er dürfe den Flüchtlingen dort auf keinen Fall das Tragen geistlicher Gewänder gestatten. Notiz Maglione, 6. April 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 30. In den neu geöffneten Archivbeständen des Vatikans findet sich eine Notiz Kardinal Magliones vom

26. April 1944, in der von einem Versprechen die Rede ist, das Buffarini ihm gegeben habe: Er werde sich darum kümmern, dass »nach und nach alle dort in San Paolo Verhafteten wieder freikommen«. Am selben Tag traf Maglione mit Botschafter Weizsäcker zusammen, erinnerte ihn an dieses Versprechen und bemerkte, dass bislang noch nichts geschehen sei, um es einzulösen. AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 332, fasc. 307, f. 97v. 31  Kurze Zeit nach der Razzia in Sankt Paul vor den Mauern erhielt Monsignore Montini eine Warnung von dem römischen Polizeikommissar Camillo Liccardi, wonach dieselbe Truppe, die Sankt Paul überfallen habe, für die nahe Zukunft eine Razzia in der Lateranbasilika plane. Ziel der Operation sei es, »flüchtige Personen« aufzugreifen sowie einen verborgenen Raum aufzuspüren, in dem man ein Waffenlager vermute. Tardini fügte später eine handschriftliche Notiz hinzu: »Dieses Blatt dokumentiert eines der vielen Gerüchte, die zwischen September 1943 und Juni 1944 oft wiederholt wurden und die verantwortlichen Stellen sehr beunruhigt haben.« »Appunto per Sua Eccellenza«, 21. Februar 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, f. 18r. 32  Osti Guerazzi 2004, S. 65. 33  Nach Mt 8,25: Domine salva nos peri­ mus, »Herr, rette uns, wir gehen zugrunde«. 34  Monsignore Anichini an Pius XII., 13. Februar 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 53. Die Furcht des Papstes davor, der Vatikan könne als ein Schlupfloch für flüchtige Juden und andere, die vor den Deutschen Schutz suchten, gesehen werden, erwuchs letztlich aus seinem Wunsch, möglichst produktive Beziehungen zur deutschen Militärführung in Italien aufrechtzuerhalten. Im Februar wurden, wieder mit Pater Pfeiffer als vatikanischem Mittelsmann, private Treffen zwischen Kardinal

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Anmerkungen Canali, dem Präsidenten der Kommission zur Verwaltung der Vatikanstadt, und den deutschen Offizieren General Stahel, General Mälzer und Major Böhm arrangiert. Am 26. Februar 1944 wurde Enrico Galeazzi zusammen mit Pfeiffer losgeschickt, um das etwa fünfzig Kilometer von Rom entfernt gelegene Hauptquartier Marschall Kesselrings aufzusuchen und dort im Namen des Vatikans der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass die gute Zusammenarbeit andauern möge. Galeazzi an Maglione, 28. Februar 1944, sowie Bericht Galeazzi/Pfeiffer, 27. Februar 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 314r, 315r–320r. 35  Chirieleison, »Appunto per il Maresciallo d’Italia Rodolfo Graziani«, 13. Februar 1944, ATMR, Processi definiti, 34901, Chirieleison, b. 592-C; Comando Supremo, Promemoria Consegnato al Vaticano 15. Februar 1944, prot. 10, ­A SDMAE, APSS, b. 71; Chirieleison, »Promemoria consegnato al Vaticano«, 15. Februar 1944, ATMR, Processi definiti, 34901, Chirieleison, b. 592-C; Ma­ glione an Cicognani, Washington, D. C., 17. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 41; Cicognani an Roosevelt, 17. Februar 1944, FDR Library, psfa 496, S. 20–21; Osborne an britisches Außenministerium, London, 17. Februar 1944, NAK, CAB 122/865, 51A and 51B; Staatssekretariat an Weizsäcker, 17. Februar 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 42 (siehe auch die Antwort Osbornes unter Nr. 49); Roberts 2018, S. 812. 36  Zur Bombardierung von Montecassino siehe Atkinson 2007, S. 432–441. 37  Tittmann an Hull, 19. Februar 1944, FRUS 1944, Bd. 4, S. 1282–1283; OSS-­ Memorandum, 31. März 1944, Bericht über den 21. und 28. Februar, NARA, RG 84, box 47, 840.1, S. 60, 61; Osborne an britisches Außenministerium, London, 7. März 1944, tel. 147, NAK, WO 106/4038. 38  Kardinal Schuster sandte Exemplare sowohl des Regime Fascista als auch der

neuen katholisch-faschistischen Zeitschrift in den Vatikan, wo die Tatsache, dass sich unter den Autoren mehrere prominente Priester befanden, für einige Beunruhigung sorgte. Im April 1944 teilte er Kardinal Maglione seinen Verdacht mit, dass »die Gruppe von Priestern, die hinter der Crociata Italica steht, in Wahrheit vom Duce angeführt wird«. Schuster an Maglione, 25. April 1944, ASRS, AA.EE. SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352a, f. 531. In einem an den Papst gerichteten Schreiben vom Juli beklagte er sich erneut über diese Zeitschrift, die »ihre Kampagne gegen den Osservatore Romano, den Heiligen Vater, den Klerus fortsetzt«. Der Brief Schusters erreichte den Papst mit Bernardinis Telegramm aus Bern vom 14. Juli. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, f. 130r. Im Oktober notierte Tardini, dass »sich um Farinacci ein kunterbunter Haufen von Priestern sammelt, die seiner würdig sind … Doch sollte der Schaden, den diese Priester mit ihren Schriften anrichten, nicht unterschätzt werden, zumal nicht alles, was sie schreiben, ›sciocchezze‹ [Dummheiten] oder ›Lügen‹ sind: Don Calgano, beispielsweise, scheint ein intelligenter Mann zu sein.« Notiz Tardini, 21. Oktober 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 397. 39  OSS-Bericht, Mailand, 24. Februar 1944, FDR Library, mr 438, S. 177. Bereits im vorangegangenen Oktober war dem amerikanischen Geheimdienst der Umschwung in Kardinal Schusters Loyalität aufgefallen, nachdem die republikanischen Faschisten begonnen hatten, Priester und andere mutmaßliche Gegner ihrer Herrschaft von deutschen Gnaden zu verhaften: »Kardinal Schuster hat diese Woche einen Erlass herausgegeben, der all jene mit der Exkommunikation bedroht, die ›in verleumderischer Weise‹ Personen bei den Behörden anzeigen und ihnen politische Verbrechen oder Verstöße gegen die Anweisungen der Militärbehörden vorwerfen. Der Schuster-Erlass

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Anmerkungen weist auf eine wahre Epidemie von anonymen Denunziationen hin, nachdem das faschistische Regime wiederhergestellt wurde, was die Festnahme und Inhaftierung zahlreicher Angehöriger des Klerus zur Folge gehabt hat … Der Erlass ist von besonderer Bedeutung, da er von einem Kirchenführer ausgeht, dessen stark pro-faschistische Haltung bestens bekannt ist.« Weekly Review of Foreign Broadcasts, FCC 15–21, 19. Oktober 1943, NARA, RG 165, color 279. 40  Roberto Farinacci, »Lettera aperta a S.E. il Card. I. Schuster«, RF, 3. Mai 1944, S. 1. Zur Crociata Italica siehe Franzinelli 2012, S. 81–82. Kurz nach der deutschen Besetzung Oberitaliens im September 1943 hatte Kardinal Schuster begonnen, Pius XII. in einer Reihe von Briefen

ebenso von der Verhaftung von Priestern zu berichten, die der Unterstützung von Partisanen verdächtigt wurden, wie von Deportation und Ermordung der Juden. Zu den frühesten Schreiben gehört ein handschriftlicher Brief, den Schuster am 15. Oktober 1943 an den Papst richtete. Er beschreibt die brutale Festnahme zweier Gemeindepfarrer, die Schändung von Kruzifixen durch deutsche SS-Männer und die Ermordung mehrerer jüdischer Familien, die in einem Hotel untergekommen waren, siebzehn Menschen insgesamt: »Männer wie Frauen wurden massakriert und in den Lago Maggiore geworfen; die drei Kinder wurden im Wald getötet und dort verscharrt.« ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352b, ff. 550r–551v.

Kapitel 37: Ein höchst erfreulicher Anblick 1  »Spezzoni anglo-sassoni sulla Città del Vaticano«, RF, 3. März 1944, S. 1. »Wenige Minuten vor 8 Uhr abends am 1. März«, heißt es in dem amerikanischen Geheimdienstbericht, »warf dieselbe Art von einzelnem Flugzeug, das für die Schandtat vom 5. November verantwortlich war, in unmittelbarer Nähe zur Vatikanstadt sechs Bomben ab … Alle sind sich einig, dass es sich hierbei um eine Wiederholung jenes ersten Angriffs auf die Vatikanstadt gehandelt hat, die in denselben faschistischen Kreisen ausgeheckt worden ist. Solche Methoden, so unglaublich töricht sie auch sind, stehen im Einklang mit Farinaccis Kampagne gegen den Vatikan.« OSS-Memorandum 31. März 1944, Eintrag vom 7. März, NARA, RG 84, box 47, 840.1, S. 61–62. 2 Wilson, RAF-Hauptquartier, an Luftfahrtministerium, britische Stabschefs, Kopie nach Washington, D. C., 25. März 1944, NARA, RG 84, box 47, 840.4, S. 58–59; Vertreter der britischen Stabschefs, 4. April 1944, und Gesandtschaft der vereinigten Stabschefs an Stabs-

chefs, Memorandum 7. April 1944, NAK, CAB, 122/865, S. 76, 70A. 3  OSS-Memorandum 7. März 1944, NARA, RG 84, box 47, 840.1, S. 62; NARA, RG59, Entry A1, 1068, box 7, fold 711.6. Der Artikel im Osservatore Romano erschien auf Veranlassung des vatikanischen Staatssekretärs. Notiz Tardini, 4. März 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 75. Auch Osborne gegenüber beschwerte Maglione sich über den Bombenangriff. Der britische Gesandte erwiderte, dass »solange die Deutschen das römische Eisenbahnnetz nutzten, um militärische Verstärkungen und Nachschub heranzuschaffen, Luftangriffe gerechtfertigt und notwendig« seien. Osborne an britisches Außenministerium, London, 7. März 1944, tel. 146, NAK, WO 220/274. 4  Comando Forze di Polizia, Rom, an Questura und andere, 11. März 1944, ACS, MI, DAGRA 1944–46, b. 214, Nr. 6058/18; britische Gesandschaft an Staatssekretariat, 12. März 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 93. In seinem Bericht an die königliche Regierung erwähnte Babuscio

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Anmerkungen Rizzo auch die Enttäuschung der Menge über die päpstliche Rede. 21. März 1944, Nr. 10/10, ASDMAE, APSS, b. 72. 5  Präfektur der Provinz Rom an Sekretariat des Duces, 12. März 1944, tel. 3687 und 3688, ACS, SPD, CR-RSI, b. 18; Cesare Bonzani, I nove mesi di occupazione tedesca di Roma, März 1946, ATMR, Processi definiti, 34901, Chirieleison, b. 592C; »Pio XII rivolge ai romani la sua nobilissima parola di conforto«, L’Italia, 13. März 1944, S. 1; »I voti le opere la invocazione del Supremo Pastore per ottenere al travagliato genere umano la pace con Dio e la pace tra le nazioni«, OR, 13./14. März 1944, S. 1. 6  Weizsäcker an Berlin, 14. und 21. März 1944, tel. 166 und 180, PAAA, GPA, R98830, 34–37, 28–29; Osborne an britisches Außenministerium, London, 18. März 1944, tel. 174, NAK, WO 106/4038. Im Monat darauf beschrieb ein Bericht der römischen faschistischen Polizei für den Duce die Situation wie folgt: »So verhasst die Deutschen auch sind, sind doch Engländer und Amerikaner heute sogar noch verhasster. Der Papst hasst die einen und die anderen … Massaker auf allen Seiten und Katastrophen ohne Ende. Das Volk sehnt sich nach Frieden, das Volk will nichts mehr hören von Ausländern in Italien.« »Promemoria per il Duce«, 18. April 1944, ACS, MI, Gabinetto R.S.I., b. 5. 7  Chirieleison, »La Città Aperta di Roma, Relazione sintetica«, 28. Februar 1950, AUSSME, RSI, b. 76; Bericht des Comando Supremo, 17. Juli 1944, prot. 10, ASDMAE, APSS, b. 71; Bericht für den Duce, Sekretariat Mussolinis, 15. Februar 1944, ACS, SPD, CR-RSI, b. 18; Chirieleison, »Promemoria—Bombardamenti aerei di Roma«, 9. März 1944, ATMR, Processi definiti, 34901, Chirieleison, b. 592-C; italienisches Außenministerium an Volksbildungsministerium, Salerno, 6. Juli 1944, tel. 5554, ACS, PCM 1943–44, b. 20, cat. 21.

8  Kardinal Maglione an die Vertreter des Heiligen Stuhls im Ausland, 16. März 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 102; Kiernan an Maglione, 17. März 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 104. Der Nuntius in Washington schrieb an den amerikanischen Außenminister Hull, Kardinal Maglione habe ihm mitgeteilt, dass »die andauernde Bombardierung Roms das Prestige der Alliierten beschädigt, eine Bevölkerung verbittert, die [der alliierten Seite] ansonsten gewogen ist, und als weitere Folge den Kommunismus begünstigt, der ohnehin in einem großen Teil des Volkes schon virulent ist«. Cicognani an Hull, 22. März 1944, FDR Library, psfa 496, S. 42–43. 9  Tittmann an Tardini, 19. März 1944, und Notiz Tardini, 20. März 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 108 sowie 108 Anh. 10  Zu dem Massaker siehe Moellhausen 1948, S. 218–224; 1949, S. 128–141; Zuccotti 1987, S. 192–193; sowie Katz 2003, S. 249–265. 11  Notizen Staatssekretariat, 24. März 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 115; Deák 2008; Osborne an britisches Außenministerium, 25. März 1944, tel. 195, NAK, WO, 106/4038; Miccoli 2000, S. 257–262. Mitte Mai wandte sich der Generalvikar von Rom an Montini mit der Bitte um weitere Anweisungen. Die örtliche faschistische Führung habe ihn aufgefordert, eine Bekanntmachung zu veröffentlichen, in der alle Deserteure aufgefordert würden, aus ihren Verstecken zu kommen und sich den Behörden zu stellen. »Beschränken Sie sich darauf, Besonnenheit und Gehorsam den Behörden gegenüber zu empfehlen«, lautete die Antwort. Notiz Montini, 13. Mai 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 181. 12  Staatssekretariat an Weizsäcker, 22. April 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 159. Die Abschrift, die Weizsäcker noch am selben Tag nach Berlin übersandte, befindet sich in PAAA, GARV, R997, 14–15. 13  Chassard 2015, S. 171.

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Anmerkungen 14  Staatssekretariat an Weizsäcker, 3. April 1944, und Notiz Tardini, 2. April 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 145, 144. Noch schlimmer war der Schaden, wie Tardini in seiner Notiz hinzufügte, den der Ruf des Vatikans nahm. »Als sich herumsprach, dass der Heilige Stuhl erfolgreich die Ausrufung Roms zur ›offenen Stadt‹ betrieben habe«, notierte der Monsignore, »erreichten den Heiligen Vater zahlreiche Briefe von Leuten, die ihm vorwarfen, einzig und allein an Rom zu denken!« 15  Petacci an Mussolini, 20. April 1944, Tagebucheintrag Petacci vom 21. April 1944, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 3, fasc. 25. 16  Corvaja 2008, S. 280–285; Deakin 1962, S. 681–689. 17  Petacci an Mussolini, 21. April 1944, ACS, Archivi di famiglie e di persone, Clara Petacci, b. 3, fasc. 25; Bosworth 2017, S. 17, 194–195. 18  Osti Guerazzi 2004, S. 103. 19  In der Polizei war man der Ansicht, dass diese Parolen »nicht das Werk des Volkes« seien, »sondern das von antifaschistischen Elementen« sowie von bestimmten Elementen innerhalb der faschistischen Bewegung, die ein Interesse daran hätten, starke öffentliche Spannungen aufrechtzuerhalten. Anonymer Bericht, ACS, MI, Gabinetto della RSI, b. 5, fogli non numerati, n.d. [April 1944]. 20  Osti Guerazzi 2004, S. 158. 21  »Rapporto del Comando Forze di Polizia della città aperta di Roma del 30 aprile 1944«, Ufficio di collegamento con le autorità militari germaniche, ACS, MI, DGPS, DAGR, RSI busta unica, 1943–44, fasc. 1, Segnalazioni incidenti 1944. 22  Rapporto anonimo, ACS, ACS, MI, Gabinetto della RSI, b. 5, fogli non numerati, n.d. [April 1944]. 23  Bérard an Vichy, 8. April 1944, MAEC, Guerre Vichy, 551; Babuscio Rizzo an Massimo Magistrati (italienischer Botschafter in Bern), 13. Mai 1944,

Nr. 45/35, ASDMAE, APSS, b. 72; AMSSO an Britman, Washington, D. C., 21. April 1944, NAK, WO 220/274, 90A. 24  Osborne an britisches Außenministerium, London, 24. April 1944, tel. 281, NAK, WO 220/274. 25  MEDCOS, re COSMED 104, Mai 1944, NARA, RG 84, box 47, 840.4, S. ­67–68. 26  Levis Sullam 2018; Foa und Scaraffia 2021. 27  Michaelis 1978, S. 390–392; Zuccotti 1987, S. 136, 180–181; Avagliano und Palmieri 2011, S. 316–317. Berichte von italienischen Juden, die der Festnahme entgehen konnten, finden sich bei Picciotto Fargion 2017. 28  Notizen Staatssekretariat, 15. April 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 145. Während dieser letzten Monate der gemeinsamen deutsch-faschistischen Herrschaft über Rom suchte der Vatikan auch weiterhin den Beistand der lokalen Behörden für seine Kampagne gegen »unanständige« Kleidung sowie Publikationen und Filme, die nach kirchlicher Auffassung moralisch verwerflich waren – eine Kampagne, die letztlich vom Papst persönlich beaufsichtigt wurde. Siehe etwa den Bericht über öffentliche Unmoral in Rom, den Pater Gremigni, Interimsdirektor des Zentralbüros der Katholischen Aktion, am 24. Mai 1944 an Monsignore Montini sandte und der am 29. Mai von Pius XII. zur Kenntnis genommen wurde. AAV, Segr. Stato, 1944, Associazioni Cattoliche, posiz. 75, ff. ­2r–15r. 29  Notizen Staatssekretariat, 2. Juni 1944, ADSS, Bd. 10, Nr. 219. Kurz gesagt wurde nur wenigen Juden im Vatikan Zuflucht gewährt, und die meisten von ihnen waren hineingelangt gerade trotz aller Bemühungen des Vatikans, ebendies zu verhindern. Während in der Vatikanstadt nur wenige römische Juden Unterschlupf fanden, wurde vielen in den über Rom verstreuten

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Anmerkungen Konventen und Klöstern Zuflucht gewährt. Im März 1945 berichtete Myron Taylor von einem Gespräch zu diesem Thema, das ein Mitarbeiter von ihm mit Monsignore Tardini geführt hatte. Während der deutschen Besatzungszeit, habe Tardini gesagt, habe der katholische Klerus in Rom schätzungsweise 6000 Juden Asyl gewährt, die sich auf rund 180 kirchliche Einrichtungen verteilt hätten. Taylor fügte hinzu: »Monsignore Tardini schloss mit der Bemerkung, dass der Heilige Stuhl natürlich sehr darauf bedacht sei, dass diese Information nicht an die Öffentlichkeit gelange, damit in den von den Nazis kontrollierten Gebieten keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den katholischen Klerus und katholische Gemeinschaften erfolgten.« Taylor an USAußenminister, Washington, D. C., 25. März 1945, NARA, RG 59, Entry A1, 1068, box 9, fold 800b, S. 18–19. 30  Atkinson 2007, S. 543–545. 31  Notiz Tardini, 27. Mai 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 196. 32  Die Dokumentation findet sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 331, fasc. 254, ff. 3r–10r. 33  Telegramm Weizsäcker an Auswärtiges Amt, Berlin, 3. Juni 1944, PAAA,

GARV, R997, 02; Atkinson 2007, S. ­550–564. 34  Telegramm Weizsäcker an Auswärtiges Amt, Berlin, 3. Juni 1944, PAAA, GARV, R997, 03–04; Jahresbericht Osborne für 1944, Osborne an Eden, 4. April 1945, NAK, ZM 2608/2608/57, S. 6. 35  Notiz Tardini, 3. Juni, 4, 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 208; Modigliani 1984, S. 97. 36  Notiz Tardini, 5. Juni 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 208. 37  Babuscio Rizzo an italienisches Außenministerium, 6. Juni 1944, tel. 870, ASDMAE, APSS, b. 71. 38  Osborne an britisches Außenministerium, London, 6. Juni 1944, tel. 404, NAK, WO, 106/4038; Jahresbericht Osborne für 1944, Osborne an Eden, 4. April 1945, NAK, ZM 2608/2608/57, S. 1. Eine Schilderung des begeisterten Empfangs, den die Menge dem Papst am 6. Juni auf dem Petersplatz bereitete, findet sich in Babuscio Rizzos Bericht an die königliche Regierung in Salerno, 6. Juni 1944, ASDMAE, AISS, b. 176. Der Redetext des Papstes ist nachzulesen unter: https://www.vatican.va/content/pius- xii/ it/speeches/1944/documents/hf_p-xii_ spe_19440606_popolo-roma­no.html.

Kapitel 38: Bösartige Meldungen 1  Atkinson 2007, S. 569–571. 2  Notizen Staatssekretariat, 8. Juni 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 218. In seinen Memoiren aus der Kriegszeit hat Clark (1950, S. 373–375) seine Version von dieser und weiteren Papstaudienzen festgehalten. Nach der Ankunft der alliierten Truppen in Rom benannte der Papst als Mittelsmann zu ihnen Enrico Galeazzi, der durch die amerikanischen Monsignori Carroll und McCormick unterstützt wurde. Ihre Treffen mit der alliierten Militärführung in den Tagen unmittelbar nach der Befreiung der Stadt sind detailliert nachgezeichnet in ASRS, AA.EE.SS.,

Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1336, ff. 342r–345r. 3  Osborne an Eden, 9. Juni 1944, NAK, CAB, 122/866; Murphy an US-Außenministerium, 17. Juni 1944, NARA, RG 84, box 47, 840.4, S. 66. 4  Chenoux 2003, S. 265; Duff Cooper, Algier, an britisches Außenministerium, London, 5. Juli 1944, NAK, WO, 106/4038, Nr. 1251. 5  Hull an Kirk, 3. Juli 1944, FRUS 1944, Bd. 4, S. 1313–1314. 6  In seinem Bericht an Roosevelt fügte Taylor hinzu: »Die Propaganda hört nicht auf zu behaupten, die amerikani-

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Anmerkungen schen Katholiken befürworteten einen Verhandlungsfrieden.« Taylor an Roosevelt, 30. Juni 1944, FDR Library, psfa 496, S. 111–118; Taylor an Roosevelt, n.d., Juni 1944, FDR Library, psfc 5, S. 54. 7  »Er äußerte ein großes Interesse an Ihrer Wiederwahl«, schrieb Donovan nach der Audienz an Roosevelt, »und am Ende bat er mich, Ihnen auszurichten, dass er Ihnen ›seine ganz herzliche Zuneigung‹ übermitteln lässt.« Donovan an Roosevelt, 3. Juli 1944, NARA, RG 226, Mikrofilm M1642, Rolle 24, S. 37. 8  »Monsignore Carroll teilt mir mit, dass Roosevelt heute Abend oder morgen in Rom eintreffen wird«, heißt es in einer Notiz Tardinis vom 3. Juli. »Er wünscht, zusammen mit Signor Taylor von Seiner Heiligkeit empfangen zu werden.« ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, f. 387. 9  Notizen Monsignore Carroll, 3. Juli 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 271. 10  Osborne an Eden, 7. Juli 1944, NAK, FO 371, 44217, 9–10. 11  Notiz Tardini, 4. Juli 1944, Myron Taylor an Pius XII., 12. Juli 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 276, 292; Osborne an britisches Außenministerium, 29. Juli 1944, tel. 565, NAK, WO, 106/4038. 12  Babuscio Rizzo an italienisches Außenministerium, 20. August 1944, Nr. 365/251, ASDMAE, APSS, b. 71. 13 Pius XII. an Maglione, 5. August 1944, Montini an die Vertreter des Heiligen Stuhls, 22. August 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 314, 330; Babuscio Rizzo an italienisches Außenministerium, 30. August 1944, tel. 421/286, ASDMAE, APSS, b. 71. 14  Notizen Staatssekretariat, 23. August 1944, ADSS, Bd. 11, Nr. 333. 15  Bericht Taylor, 25. August 1944, FDR Library, psfb 216, S. 101. 16  Chenaux 2003, S. 230. Nach dem Tod Magliones sandte Babuscio Rizzo mehrere Berichte an das italienische Außen-

ministerium, die sich alle um die Frage drehten, wann und durch wen der Kardinal wohl ersetzt würde. 7. September 1944, tel. 481/326, ASDMAE, APSS, b. 71; 16. September 1944, tel. 559/375, ASDMAE, AISS, b. 160; 7. Oktober 1944, tel. 709/468, ASDMAE, APSS, b. 71. 17  Der englische Text der Papstrede vom 1. September wird im Anhang zu Osbornes Bericht darüber an Eden (ebenfalls vom 1. September) wiedergegeben, NAK, FO 371, 44217, 87–107. Der Leserbrief an die Times findet sich in NAK, FO 371, 44217, 79. Eine englische Übersetzung von Montinis (im Original französischem) Brief an Osborne liegt Osbornes Bericht an das britische Außenministerium vom 26. September 1944 bei, London, NAK, FO 371, 44217, 110–112. 18  Visconti Venosta an »Alto Commissariato per l’Epurazione dell’Amministrazione«, 1. September 1944, Nr. 61/00831/6, ASDMAE, Personale Serie VII, Babuscio Rizzo. Der Ministerpräsident Ivanoe Bonomi löste die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission und seinem Staatssekretär im Außenministerium im Sinne des Letzteren, solange die Kommission Babuscios Schuld nicht eindeutig festgestellt hatte. Bonomi an Alto Commissario, 9. Oktober 1944, prot. 2664, ASDMAE, Personale Serie VII, Babuscio Rizzo. 19  Die umfangreiche Dokumentation dieses Vorgangs, der sich über viele Monate hinzog, ist in ASDMAE, Personale Serie VII, Babuscio Rizzo, niedergelegt. Nach einigen Versuchen, ihn aus dem Dienst im Außenministerium zu entfernen, erhielt er letztlich nur eine Verwarnung (wie viele andere, die dem faschistischen Regime auf vergleichbaren Posten gedient hatten) und wurde zeitweilig degradiert. 20  Babuscio Rizzo an Visconti Venosta, 14. September 1944, ASDMAE, Gab., b. 104.

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Anmerkungen 21  Visconti Venosta an Babuscio Rizzo, 2. Oktober 1944, ASDMAE, Gab., b. 104. 22  Babuscio Rizzo an Visconti Venosta, 6. Oktober 1944, ASDMAE, Gab., b. 104; Visconti Venosta an Ministerium des königlichen Hauses, Marchese Falcone Lucifero, 30. Oktober 1944, Nr. 2/661, ­ASDMAE, Gab, b. 104. Während all dies sich im Oktober abspielte, arbeitete der italienische Militärgeheimdienst an einem eigenen Dossier über Monsignore Bartolomasi, das freilich nicht für die Öffentlichkeit gedacht war. Es bot einen klarsichtigen Blick auf die Position, die der enthusiastische Unterstützer des faschistischen Regimes über viele Jahre hinweg als Vertreter des Vatikans innegehabt hatte. »Er blieb stets im Einklang mit der politischen Linie des Heiligen Stuhls«, formulierte das Dossier, »und der hat ihn stets als einen Prälaten von sehr ausgewogenen Ansichten betrachtet, der besonderen Respekt ver­diente.« SIM report, 9. Oktober 1944, AUSSME, SIM, Div. 1, b. 139, ff. 56775– 56776. 23  Dole 2005. 24  Isaac Herzog und Benzion Uziel an Maglione, 6. Juli 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte 1, Germania, posiz. 742, f. 244r. Die interne Diskussion darüber, wie hierauf zu antworten sei, einschließlich der Instruktionen des Papstes vom 18. Juli, findet sich auf ff. 246r–247r. Während der letzten Augustwoche reiste Rabbi Herzog nach Kairo, um sich dort mit Pater Arthur Hughes zu treffen, dem päpstlichen Delegierten für Palästina, und auf diesem Weg den Papst zu drängen, gegen die Deportation der ungarischen Juden zu intervenieren. Dem Delegierten gegenüber »bedauerte er es zutiefst, nicht persönlich in den Vatikan kommen zu können …, jedoch respektiert er die Entscheidung des Heiligen Stuhls aus den ihm dargelegten Gründen, zu denen die Vorsicht rät«. Hughes an Tardini, 12. September 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, Parte Asterisco, Stati Ecclesiastici, posiz.

575*, f. 2069r. Tardini war nicht gerade zufrieden mit dem Entwurf für ein Antwortschreiben, den Monsignore Dell’Acqua vorgelegt hatte. Am Seitenrand merkte er an: »Die Sprache ist zu kalt. Das Interesse, das der Heilige Stuhl nimmt, sollte klarer herausgearbeitet werden. Je weniger man tatsächlich erreichen kann, desto wichtiger ist es, die Haltung des Heiligen Stuhls lobend hervorzukehren« (f. 2073r). Ende Juli hatte Myron Taylor den Papst um Hilfe gebeten, um zu einer Vereinbarung mit den neuen Machthabern in Oberitalien zu kommen, die den Tausenden dort festsitzenden Juden das Leben hätte retten sollen. Die Alliierten hätten Schiffe in einen norditalienischen Adriahafen schicken und die Juden aus den italienischen Konzentrationslagern in Sicherheit in italienische Gebiete unter alliierter Kontrolle oder nach Afrika bringen wollen. Am 7. August leitete Tardini diesen Vorschlag an den deutschen Botschafter weiter, der inzwischen seinerseits in der Vatikanstadt festsaß. Weizsäcker lehnte es ab, sich darauf einzulassen, und erklärte, in keiner Position zu sein, um helfen zu können. Er schlug vor, den päpstlichen Nuntius in Berlin in der Sache sondieren zu lassen. Das geschah auch, aber mit wenig Erfolg: Ende August antwortete Orsenigo, er habe das Thema im Auswärtigen Amt angesprochen. Dort habe man ihm jedoch beschieden, die Sache falle nicht unter dortige Zuständigkeit, sondern unter die der Regierung Mussolini.

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Anmerkungen Kapitel 39: Ein schreckliches Ende 1  »Bologna bombardata 1943–1945«, Biblioteca Digitale dell’Archiginnasio, Bologna, http://badigit.comune.bologna.it/ bolognabombardata/cronologia.htm. 2  Am 24. Oktober 1944 übersandte Bernardini eine Abschrift des Briefs von Kardinal Schuster vom 5. Oktober an Tardini; ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, ff. 106rv. Schusters Bericht vom 20. Oktober über den Luftangriff, den Bernardini am 26. Oktober an Tardini weiterreichte, findet sich auf f. 99r. 3  Milza 2000, S. 928–931. Mussolini spielte hier vermutlich auf die italienische Redensart passare dall’altare alla polvere an, also in etwa: »von der Höhe der Altäre zu Staub werden«. 4  Memorandum für den Präsidenten, von Charles S. Cheston, kommissarischer Direktor des OSS, 10. Januar 1945, FDR Library, psf 794, S. 23–27. 5  Taylor an US-Außenministerium, 15. und 16. Januar 1945, NARA, RG 59, Entry 1070, box 29, S. 62, 63; Tittmann 2004, S. 212. 6  Staatssekretariat Seiner Heiligkeit an Myron Taylor, 17. Januar 1945, und Oberst William A. Wedemeyer an Taylor, 12. Februar 1945, NARA, RG 59, Entry A1, 1068, box 11, fold 811.5. 7  OSS-Hauptquartier, 2677. Office of Strategic Services Regiment, italienische Abteilung, 6. April 1945, Bericht Nr. 131, NARA, RG 226, Entry A1–210, box 340. Selbst während der deutschen Besatzung hatte der Papst sich Sorgen über eine Zunahme der »Unmoral« in den von den Alliierten besetzten Gebieten Unteritaliens gemacht. Ende Mai rief er die italienische Katholische Aktion dazu auf, sich für die moralische Bedrohung zu rüsten, die das Eintreffen alliierter Truppen in Rom darstellen werde. »Relazione sull’immoralità in Roma«, 24. Mai 1944, AAV, Segr. Stato, 1944, Associazioni Cattoliche, posiz. 75, ff. 2r–5r.

8  Taylor war in Italien derart populär, dass im September 1944 der Großmeister des Malteserordens dem Vatikan seine Absicht mitteilte, dem Amerikaner eine hohe Ehrung zuteilwerden zu lassen. Zuvor wollte der Großmeister jedoch mit dem vatikanischen Staatssekretariat Rücksprache halten, das seinerseits Erzbischof Francis Spellman um seine Meinung fragte. Spellman sprach sich gegen die Ehrung für Taylor aus – nicht weil er etwas gegen ihn persönlich habe, sondern weil Taylor Protestant war und der Malteserorden ein katholischer Orden. Der Erzbischof bedauerte den Umstand, dass in der Vergangenheit verschiedentlich Protestanten durch den Malteserorden geehrt worden waren. Dies habe in den Vereinigten Staaten einen äußerst schlechten Eindruck hinterlassen. Auf dem Memorandum des Staatssekretariats vom 30. September 1944, das Spellmans Einschätzung wiedergibt, ist handschriftlich vermerkt: »Der Malteserorden hat die Ehrung einstweilen ausgesetzt.« AAV, Segr. Stato, 1944, Ordini religiosi maschili, posiz. 76, f. 2r. 9  Hubert Guérin an Georges Bidault, französisches Außenministerium, Paris, 17. März 1945, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183. 10  Taylor an Roosevelt, 12. Dezember 1944, FDR Library, psfc 5, S. 74–78; Taylor an Roosevelt und Hull, 28. Dezember 1944, NARA, RG 59, Entry 1070, box 29, S. 65. Dem Papst war schon verschiedentlich zu Ohren gekommen, dass er bei dem deutschen Botschafter in hohem Ansehen stand. Zu Anfang desselben Jahres hatte ihm etwa Monsignore Pucci berichtet, dass Weizsäcker »große Bewunderung« für ihn hege, seine Predigten überaus inspirierend finde und dass ihm nach seinen Audienzen beim Papst »stets und vor allem jener Eindruck von väterlich-freundlicher Güte im

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Anmerkungen Bewusstsein haften bleibe, mit dem Eure Heiligkeit jedem Gesprächspartner die Befangenheit nimmt und es ihm gestattet, seine Seele mit kindlichem Zutrauen zu öffnen«. Pucci an Pius XII., 13. Januar 1944, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1352a, ff. 25r–26r. Gegen Jahresende berichtete Mussolinis Botschafter in Berlin über die jüngsten Aktivitäten Monsignore Orsenigos, des päpstlichen Nuntius in der Reichshauptstadt. Der Botschafter hatte von Freunden im Auswärtigen Amt erfahren, dass Orsenigo »in den letzten Tagen … seine Bemühungen vervielfacht hat, engere Beziehungen zu den deutschen Behörden zu knüpfen«. Bei einem Mittagessen, zu dem das Auswärtige Amt die Botschafter der Achsenverbündeten eingeladen hatte, habe sich Monsignore Orsenigo »ganz außergewöhnlich freimütig und freundlich gegenüber Deutschland geäußert und manche der strikt antikommunistischen Äußerungen seiner Tischgenossen offen gutgeheißen«. Anfuso, Berlin, an Außenministerium der Italienischen Sozialrepublik, 19. Dezember 1944, tel. 10089, ASDMAE, RSI, Affari Commerciali, b. 203. 11  Schuster an Bernardini, 22. Januar 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 494. 12  Pancinos Brief an Bernardini, datiert vom 5. Februar 1945, findet sich in AAV, Arch. Nunz. Svizzera, b. 224, fasc. 631, ff. 162rv; Bernardini an Tardini, 9. Februar 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 501. Pater Pancino traf am 5. März mit Mussolini zusammen und erstattete ihm Bericht, bevor er in die Schweiz zum dortigen Nuntius weiterreiste. Mussolini an Petacci, 5. März 1945, Brief 292, Montevecchi 2011, S. 372. 13  Erzbischof Schuster hatte während der vergangenen Monate mit Mussolini in Verbindung gestanden und dem Duce mehrmals persönlich geschrieben, um ihn um Abstellung der Grausamkeit zu bitten,

mit der seine republikanische Regierung gegen Klerus und Laien vorging. Unter den jüngsten Schreiben ist Schusters Brief an Mussolini vom 1. März 1945, AA.EE. SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, f. 551r. 14  Schuster an Bernardini, 5. März 1945, Anhang II zu ADSS, Bd. 11, Nr. 514; Untersekretariat für Pressefragen beim Ministerrat an italienisches Außenministerium, 15. März 1945, prot. 499, ASDMAE, SG, b. 43. 15  Bernardini an Tardini, 12. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 512; Schuster an Bernardini, 5. März 1945, Anhang I zu ADSS, Bd. 11, Nr. 514. 16  Bernardini an Tardini, 13. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 514. 17  Notiz Tardini, 13. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 513. Die Befürchtung des Nuntius, dass Spione in der Schweiz Wind von den Vorgängen bekommen könnten, sollte sich als wohlbegründet erweisen. An demselben Tag, an dem der Papst seine Antwort losschickte, teilte der amerikanische Nachrichtendienst auch schon Präsident Roosevelt mit, Mussolini schicke dem päpstlichen Nuntius in der Schweiz über einen befreundeten Priester Briefe. »Himmler bittet den Nuntius, dem Vatikan mitzuteilen, dass Deutschland den Frieden anstrebt und bereit wäre, das Einrücken anglo-amerikanischer, nicht jedoch sowjetischer Truppen zu erleichtern.« Die OSS-Berichte aus Berlin an den amerikanischen Außenminister Hull (die auch Roosevelt vorgelegt wurden) datieren vom 14. und 16. März 1945, FDR Library psf 799, S. 4, 9–10, and NARA, RG 226, Microfilm M1642, roll 21, S. 66–68. 18  Bernardini an Tardini, 26. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 528. 19  Schuster an Bernardini, 13. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 515. 20  Osborne an britisches Außenministerium, London, 28. März 1945, tel. 14, NAK, WO, 106/4038.

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Anmerkungen 21  Bernardini an Tardini, 26. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 528. Drei Tage nach seinem Gespräch mit Tardini traf Pius XII. mit Myron Taylor zusammen und berichtete ihm von Mussolinis Kontaktaufnahme mit Kardinal Schuster und der Existenz des schriftlichen Friedensangebots. Zugleich versicherte er ihm, sofort geantwortet zu haben, dass die Weitergabe des Schriftstücks die Mühe nicht lohne, da die Alliierten ihre Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation unmissverständlich geäußert hatten. Taylor bat dennoch um eine Abschrift des Dokuments zur Weiterleitung an Roosevelt. Auf Tardinis Drängen hin ließ der Papst das Papier zunächst durch Monsignore Carroll ins Englische übersetzen, sodass der Originaltext geheim blieb. Notiz Tardini, 5. April 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 533. 22  Notiz Tardini, 20. Februar, 25, 1. März 1945, ADSS, Bd. 11, Nr. 504, 505, 508. Zur Krankheit des Papstes siehe »Fonogramma dall’Ufficio speciale di S. Pietro« an Sekretariat des Polizeichefs, 7. April 1945, ACS, MI, DAGRA, 1944– 46, b. 214, Nr. 046-1. 23  Goebbels 1995, S. 642; Weizsäcker [ungezeichnet] an Auswärtiges Amt, Berlin, 28. März 1945, PAAA, GARV, R997; Kershaw 2000, S. 832–833. 24  AAV, Segr. Stato, Commissione Soc­ corsi, b. 57, fasc. 908, ff. 3r–4r. Da das von Maglione gezeichnete Telegramm das Datum 17. August 1944 trägt (fünf Tage vor Magliones Tod), scheint es tatsächlich von Monsignore Montini verfasst worden zu sein. Dafür spricht auch die Handschrift des Textentwurfs, der am Tag vor Versendung des Telegramms entstand. 25  Ein handschriftlicher Vermerk unten auf der Staatssekretariatskopie des Telegramms lautet: »Das vorliegende chiffrierte Telegramm scheint seinen Adressaten nicht erreicht zu haben.« AAV, Segr.

Stato, Commissione Soccorsi, b. 57, fasc. 908, f. 6r. 26  Die Dokumentation dieses Austauschs sowie das folgende päpstliche Kondolenztelegramm an Mafaldas Bruder, den Kronprinzen Umberto, finden sich in AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 57, fasc. 908, ff. 1r–29r. Aus Paris berichtete ein Reporter der New York Times (24. April 1945, S. 13) über die Umstände ihres Todes. Mafaldas ältester Sohn Maurizio (Moritz) diente zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme in der deutschen Armee. 27  Am nächsten Tag erstattete Schuster dem Papst Bericht über das Treffen vom 25. April. Nachdem Mussolini gegangen war, sei der deutsche Generalkonsul eingetroffen und habe sich in seinem Arbeitszimmer mit den Anführern der Partisanen getroffen. ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, f. 624r. 28  Chessa und Raggi 2010, S. 29. 29  Meine Schilderung basiert überwiegend auf Milza 2000, S. 935–947. Taylor selbst machte auf die Platzierung der Meldung von Mussolinis Tod im Osserva­ tore Romano in seinem Bericht an das US-Außenministerium vom 1. Mai 1945 aufmerksam, NARA, RG 59, Entry 1070, box 29. 30  Schuster an Tardini, 4. Mai 1945, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Italia, posiz. 1356, ff. 626r–627r. Schuster hatte sich immer wieder schriftlich über Calcagno beschwert und betrachtete ihn als eine Schande für den Priesterstand. 31  Kershaw 2000, S. 820–831. 32  Der Text der päpstlichen Rede vor dem Kardinalskollegium ist verfügbar unter: https://www.vatican.va/content/ pius-xii/it/speeches/1945/documents/ hf_p-xii_spe_19450602_accogliere.html. D’Arcy Osborne, der britische Gesandte beim Heiligen Stuhl, übersandte eine Kopie der Rede an den britischen Außenminister Anthony Eden und gab dazu folgenden Kommentar ab: »Hauptzweck der Ansprache scheint zu sein, die Hal-

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Anmerkungen tung der katholischen Kirche gegenüber dem Naziregime zu begründen – und zu einem gewissen Grad vielleicht zu rechtfertigen.« Osborne an Eden, 2. Juni 1945, NAK, FO 371, 50062, 3. Die Einschätzung der Rede durch den französischen Geschäftsträger Jean Bourdeillette fiel ähnlich aus, wie aus seinem Bericht an den französischen Außenminister Georges Bidault vom 5. Juni 1945 hervor-

geht: MAEN, RSS 576, PO/1 1183. Siehe auch die kritische Beleuchtung der Papstrede vom 2. Juni 1945 durch Miccoli (2003, S. 164–165). 33  Die Feierlichkeiten der Katholischen Aktion zum Jahrestag der Befreiung Roms sind in Bourdeillettes Bericht an Georges Bidault vom 16. Juni beschrieben, MAEN, RSS 576, PO/1, 1183.

Epilog 1  Inzwischen gibt es einige Forschungsliteratur über den Mythos vom guten Italie­ner, dem für die Zeit des Zweiten Weltkriegs oft der böse Deutsche gegenübergestellt wird und der auch den italienischen Kolonialismus (fälschlicherweise) in einem besonders milden Licht erscheinen lässt; siehe etwa Del Boca 2011; Focardi 2013; Allegra 2013. 2  Siehe Osti Guerazzi 2016 und Levis Sullam 2018. 3  Spataro, Ministero dell’Interno, Gabinetto, Rom, 26. Juni 1945, AAV, Segr. Stato, Commissione Soccorsi, b. 304, fasc. 29, ff. 6rv. 4  ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Stati Ecclesiastici, posiz. 739, f. 77. 5  Jemolo 1955, S. 270. 6  Das fragliche Buch stammt von Ernesto Rossi (1958). Der Beitrag des Osservatore Romano wird in Mimmo Franzinellis Nachwort zur Neuauflage von Rossis Buch zitiert (2000, S. 337–338). 7  Franzinelli 2000, S. 339–341. 8  Montinis Brief wurde in The Tablet vom 6. Juli 1963 veröffentlicht und in Commonweal, 28. Februar 1964, S. 651– 652 erneut abgedruckt. 9  Der deutsche Text des Dokuments »Wir erinnern« findet sich unter https:// www.blaetter.de/ausgabe/1998/juni/wirerinnern-eine-reflexion-ueber-die-shoah. Siehe dazu auch Caffiero 2009. 10  Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang die Weihnachtsansprache

des Papstes von 1942 zitiert. Erstaunlicherweise ließ die Catholic League for Religious and Civil Rights in the United States am 17. Dezember 2012 eine Anzeige in der New York Times veröffentlichen, um jene siebzig Jahre zurückliegende Weihnachtsansprache in Erinnerung zu rufen. Der vom Präsidenten der Organisation unterzeichnete Anzeigentext schließt wie folgt: »Wir sind zuversichtlich, dass es nach der vollständigen Öffnung der vatikanischen Archive noch mehr Grund geben wird, die heldenhaften Taten Papst Pius’ XII. zu würdigen.« 11  Osborne an Churchill, 14. Juli 1945, NAK, FO 371, 50062, 115. 12  Osborne an Ernest Bevin, London, 26. Dezember 1945, no. 238. Osbornes Bericht nebst der offiziellen englischen Übersetzung der päpstlichen Weihnachtsansprache befindet sich in NAK, FO 371, 60794, ZM77/8/57. Pius XII. wird hier zitiert nach: Bischöfliches Ordinariat Berlin 1946, S. 74. 13  Diana an De Gasperi, 11. Februar 1946, DDI, Serie 10, Bd. 3, Nr. 179; »Bishops criticize actions of their predecessors in Nazi Germany«, Catholic San Francisco, 30. April 2020, https://catholicsf.org/news/bishops-criticize-actions-oftheir-predecessors-in-nazi-germany. Die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz findet sich unter https://www. dbk.de/presse/aktuelles/meldung/wort-

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Anmerkungen der-deutschen-bischoefe-zum-ende-deszweiten-weltkriegs-vor-75-jahren-veroeffentlicht. 14  Diana berichtete dem Ministerpräsidenten De Gasperi am 5. Juli 1946, dass der Papst Montini angewiesen habe, mit ihm, Diana, über die päpstlichen Sorgen hinsichtlich des weiteren Schicksals der Lateranverträge zu sprechen und Zusicherungen einzuholen, dass diese auch unter der neuen Regierung Bestand haben würden. DDI, Serie 10, Bd. 3, Nr. 663. Die Lateranverträge bestanden aus drei separaten Vereinbarungen: dem Vertrag, durch den der Vatikan zum souveränen Staat erhoben wurde, dem Konkordat, das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Italien regelte, und einer finanziellen Vereinbarung, die eine große Geldzahlung des italienischen Staates an die katholische Kirche vorsah. Im Jahr 1984 einigten sich der Vatikan und der italienische Staat auf eine revidierte Fassung des Konkordats, womit auch den Veränderungen innerhalb der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Rechnung getragen wurde. Der italienische Text dieser Modifikationen findet sich unter https://www.vatican.va/roman_ curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19850603_santa-sedeitalia_it.html.

15  Jean Bourgeillette an Georges Bidault, Paris, 21. August 1946, MAEN, RSS 576, PO/1, 1205; Parsons, Memorandum nach Gespräch mit Tardini, 30. Juli 1947, NARA, RG 59, Entry A1, 1068, box 15. 16  Franklin Gowen, Vatikanstadt, an USAußenministerium, 8. Januar 1946, NARA, RG 59, CDF 1945–49, 866A.001/1-847, box 6971; Diana an italienisches Außenministerium, 20. Februar 1947, tel. 407/189, ASDMAE, Gab., b. 104. 17  Tittmann an US-Außenministerium, 25. Juli 1945, NARA, RG 59, CDF ­1945–49, 8661.00, box 6971, S. 12–13. 18  Bericht vom 27. Januar 1948, AUSSME, SIM, Div. 12, b. 364, f. ­332588-9. 19  Parsons, Memorandum nach Gespräch mit Jacques Maritain, 18. März 1948, NARA, RG 59, Entry A1, 1068, box 19. 20  Gowen an US-Außenministerium, 7. Oktober 1948, NARA, RG 59, CDF 1945–49, 8661.00, box 6971. 21  Das 1948 entstandene Memorandum für Georges Bidault in Paris ist abgedruckt in Maritain 1982, S. 91–96. 22  Marcus Cheke, britische Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl, an Selwyn Lloyd, britisches Außenministerium, London, 9. Oktober 1958, NAK, FO 371, 136800.

Schlussgedanken: Das Schweigen des Papstes 1  Blet 2000, S. 293–294. Die französische Originalausgabe von Blets Buch erschien 1997. 2  Munson 2018, S. 4. 3  Chassard 2015, S. 171. 4  Logan 1998, S. 237–245. 5  Riezler wird zitiert in dem Bericht William Pulestons an den US-Finanzminister Henry Morgenthau, 25. Februar 1940, FDR Library, md 396, S. 196–197. 6  Abschlussbericht Ormesson, 28. Oktober 1940, MAEC, Guerre Vichy, 550.

7  Die Auslassungen stehen im Original. Die hier zitierten Dokumente finden sich in ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte I, Germania, posiz. 858, ff. 117r–125r, 186rv. Der Schweizer Artikel »Crime et châtiment«, Gazette de Lausanne, 17. Oktober 1945, stammte von Dr. Nerla E. Gun; im Archiv des Staatssekretariats ist ein Zeitungsausschnitt auf f. 119r abgelegt. Das Bibelwort, auf das angespielt wird, findet sich in Jer 5, 21 und Mk 8,18.

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Anmerkungen Nach der deutschen Niederlage baten die Alliierten Pius XII. zwar darum, Monsignore Orsenigo umgehend von seinem Posten in Berlin zu entfernen, der Papst weigerte sich jedoch. G. Sensi (über Monsignore Bernardini) an Tardini, 17. Juli 1945, ASRS, AA.EE.SS., Pio XII, parte Extracta, Germania, posiz. 600, f. 56.

8  Deák 2008. 9  Zum Konzept des Klerikalfaschismus und seiner Anwendung auf Italien siehe etwa Pollard 2007 und Valbousquet 2018. 10  Antonucci und Procaccia 2017, S. 21; Klinkhammer 2016, S. 58–59.

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Register Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Abessinien/Äthiopien  40–42, 87, 216, 228, 239, 298, 361, 451 Action Française  83 Albanien  71–73, 82, 177, 194, 215–216 Alexander, Harold  459 Alfieri, Dino  127 Grundlegendes über 16 Ciano und  446 letztes Treffen mit Pius XII. 164–166 Entsendung nach Berlin  164 Akkreditierung 126 Ambrosio, Vittorio  345, 352 Anticoli, Rosa  417 Attolico, Bernardo  173 Ernennung zum ital. Botschafter im ­Vatikan  172–173 Grundlegendes über  16–17, 100, 164, 172 Versuche, Pius XII. zu einer Stellungnahme gegen den Kommunismus zu bewegen 250–251 Tod 268 Urteil d’Ormessons über  196 Hitler und  172 Mussolinis Kriegseintritt und  100, 195 Meinung über Hitler  242 über Pius’ XII. Unterstützung der Achsenmächte 222 Überwachung im Vatikan und ­199–201 im Vatikan  172 Kriegsmeldungen in der Vatikanzeitung und  182 Attolico, Eleonora  173 Audisio, Walter  524–525 Auschwitz  414, 423, 428, 483–485, 546, 552 Avvenire 200, 221, 407 Avvenire di Roma, 200, 221, 407 Avvenire d’Italia  183, 212, 233 Azzariti, Gaetano  364

Babuscio Rizzo, Francesco Bartolomasi und  251, 371, 503–504 Besuch Churchills und  497–498 Umzug in den Vatikan  452–453 Gesuche zugunsten von Verwandten hoher Prälaten und  341–342 Verfahren gegen  502–503 königliche Regierung und  434 Badoglio, Pietro  363 Waffenstillstand mit Frankreich  189 Grundlegendes über  361–364, 367, 409 Entlassung durch Mussolini  228 Flucht aus Italien  399, 401 Stellungnahme gegen den Krieg ­174–175 Badoglio, Regierung antijüdische Rassengesetze  383–385 Demonstrationen gegen  372–374 Festnahme von Faschisten durch ­387–388 deutscher Einmarsch in Italien und 402–405 Mitglieder  364, 371–372 Ablösung Mussolinis durch  361–363 Erklärung Roms zur »offenen Stadt« 385–387 alliierte Forderung der bedingungslosen Kapitulation an  388 Beziehungen des Vatikans zu  382–383 Badoglio, Regierung im Exil siehe Italien, königliche Regierung Balkan 239–240 Bartolomasi, Angelo Bocchini und  221 Mussolini und  370 Pius XII. und die Absetzung von ­503–504, 535 Unterstützung der Achsenmächte  233 Bastianini, Giuseppe in der Regierung Badoglio  371

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Register über Auslieferung von Juden an die Deutschen 326 Verhandlungen mit den ­Briten ­348–349 über Ribbentrop  145 Bastico, Ettore  318 Baudrillart, Alfred  49, 51–52 Beckman, Francis  253 Belgien  159–160, 162–164, 171 Benedikt XV.  52, 73 Bérard, Léon  230, 258 Bergen, Diego von Aktionen gegen kath. Kirche  297–298 Papstwahl Pacellis und  48–49 erstes Treffen mit Pius XII. 57 letztes Treffen mit Pius XII. 309 über Maglione  59 über Beziehungen des Vatikans zu Deutschland 77 Bernardini Filippo  242 Blet, Pierre  543 Bocchini, Arturo Tod 221 Überwachung im Vatikan und ­186–187, 199–201 Borgongini Duca, Francesco  85 Grundlegendes über  13 Meinung über Minister  311–312 Sturz Mussolinis und  336–337 nach dem Krieg  535 Bottai, Giuseppe Folgen der Luftangriffe auf öffentliche Meinung in Italien  298 Borgonginis Meinung über  311 Vergleich zwischen Pius XI. und Pius XII. 78 Buffarini Guidi, Guido  85 Grundlegendes über  17 Borgonginis Meinung über  311 Entlassung  314, 316 Petacci, Rachele Mussolini und  246 Beschwerden Pius’ XII. über Behandlung getaufter Juden und  84– 85 Festnahmen von Juden und  437–439 Bullitt, William  167 Busti, Mario  317

Calcagno, Tullio  526 Camera Apostolica (1939)  49 Cantoni, Victor  425 Carbone (Monsignore)  539–540 Carroll, Walter  494–495 Caruso, Pietro  458, 460, 462–463 Cassidy, Edward  534 Castellanos, Giuseppe  391, 393 Castro, Pacifico Di  483–484 Cavallero, Ugo  249 Caviglia, Enrico  132, 333 Charles-Roux, François über Maglione  151 deutscher Überfall auf Belgien und 163–164 über Pius’ XII. Popularität in Frankreich 82–83 Schweigen Pius’ XII. und  114 nach Frankreich zurückberufen  180 Chirieleison, Domenico  465 Churchill, Winston Atlantik-Charta 255 über Regierung Badoglio  368 über Luftangriffe auf Rom  339, 355 über Sturz Mussolinis  367 alliierte Invasion Italiens und  334, 393 Treffen mit Pius XII. 497–500 Reaktion auf ital. Kriegseintritt  178 Geheimgespräche und Waffenstillstand mit Regierung Badoglio  391–394 Rede vor US-Kongress 265–266 Besuch in Rom  497 Ciano, Galeazzo Botschafter beim Heiligen Stuhl ­315–316 über Ernennung Magliones zum Staatssekretär 59 Selbstdarstellung als Friedensstifter 132 unter der Regierung Badoglio  446 Grundlegendes über  17, 40, 133 Borgonginis Meinung über  311 Tod 447–452, 451 Tod Attolicos und  268 Tod Pius’ XI. und  44–46 Tagebuch 448 Entlassung als Außenminister  315 Flucht nach Deutschland  387

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Register erstes Treffen mit Pius XII. 65–66 Italiens Kriegseintritt und  153, 171–172, 174, 176, 313 Treffen zwischen Mussolini und Hitler (1940) 151–153, 152 Rachele Mussolini und  245 Mussolinis antikath. Rhetorik und 233–234 Stahlpakt 79, 80 Petacci und  245 Pius XII. als Friedensstifter und  75, 317–318 Papstkrönung Pius’ XII. 59 Pläne für ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg  313 Rücktritt und Hausarrest unter Regierung Badoglio  371 Ribbentrop und  147 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  347–348 favorisierte Form des Faschismus ­65–66 Welles und  153 Ciano, Maria  121 Cicognani, Amleto  300, 325–326, 335, 411 Civiltà Cattolica  70, 194, 443 Clark, Mark W.  486, 491, 496  Colli, Evasio Aufruf zur Loyalität gegen Regierung Badoglio 372 Unterstützung für Achsenmächte und Krieg 187 Colonna, Marc’Antonio  312 Consiglio, Mosè Di  475 Cooper, Duff  492–493 Cornwell, John  551 Corriere della Sera  55, 65, 237, 364 Costa, Elia Dalla  51 Costantini, Celso  404, 424 Crociata Italica  467, 526 d’Acquarone, Pietro  359, 380 Dalla Torre, Giuseppe als Informant Pius’ XII. 332 Pignatti und  117–118 Vatikanpresse und  112, 117–118, 201 Déak, István  550 De Bono, Emilio  450–451

de Gaulle, Charles  492–493 Dell’Acqua, Angelo Grundlegendes über  289 Deportationen slowakischer Juden und 324 deutsche Razzien gegen Juden und  421 Berichte für Pius XII. über Massenmord an Juden und  289–290 Der Stellvertreter (Hochhuth)  533 De Stefani, Alberto  360–361 Deutsche Allgemeine Zeitung  120 Deutschland Maßnahmen gegen kath. Kirche  27, 36, 92–94, 122, 137–138, 144, 146, 252–253, 269–270, 297–298 alliierte Luftangriffe auf Italien und  465–467, 471 Österreich und  36–37, 205 Truppen auf dem Balkan  239–240 Belgien und  159–160, 171 Luftangriffe auf Großbritannien ­201–202, 205 brit. und franz. Kriegserklärungen gegen 111 Flucht Cianos nach  387–388 Kritik der Vatikanzeitung an  42–43 Tschechoslowakei und  63 Danzig und  79 als Schutzmacht des Christentums  546 anfängliche Siege  170–171, 251–252 erwarteter »Endsieg«  170 Einmarsch in Frankreich  163, 171, 181 Truppen in Griechenland  239–240 ital. Kommunisten und  411 Einmarsch in Italien  403–405 Verluste in Nordafrika und der Sowjetunion  313, 338–339 Truppen gegen alliierte Landung in Italien 303 Niederlande und  159 Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion  100–101, 103 Norwegen und  154 deutsche Besatzung Italiens  399–401, 432–445 Unternehmen Barbarossa  248–249, 254 Stahlpakt 79–80, 80

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Register Pius XII. und  57, 64, 77 Polen und  108–112, 220 Razzien in kath. Einrichtungen, die Juden versteckten  459–465 Vergeltungsmaßnahmen für Partisanenangriffe in Italien ­475–476 Soldatenaudienzen bei Pius XII. 259, 303 Truppen in der Sowjetunion  299 siehe auch Hitler, Adolf Diana, Pasquale  537 di Bèrgolo, Giorgio Calvi  403 Di Consiglio, Mosè  475 Di Meglio, Giuseppe  322–323 Di Rienzo, Eugenio  447 Dole, Bob  505 Dollmann, Eugen  253, 463 Donovan, William »Wild Bill«  494 d’Ormesson, Wladimir Meinung Attolicos über  196 Grundlegendes über  180–181 letzte Audienz bei Pius XII. 219 Pétain und  217 über Pius’ XII. Furcht vor Deutschland 217–218 über Pius’ XII. Schweigen zur Situation in Frankreich  195–196 Tisserant und  184–185 Eaker, Ian  459 Eden, Anthony über alliierte Luftangriffe auf den Vatikan 429–430 über Luftangriffe auf Italien  318 Invasion Italiens und  334 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  346 Eisenhower, Dwight D. alliierte Landung in Nordafrika ­295–296 Luftangriff auf den Vatikan und ­430–431 alliierte Invasion Italiens und ­334–335, über Verhandlungen mit der Regierung Badoglio 368 Rom als »offene Stadt« und  377–378, 386–387

über Geheimverhandlungen und Waffenstillstand mit der Regierung Badoglio 392–394 Farinacci, Roberto  277 antijüdische Rassengesetze und  276 Angriffe auf Kirchenvertreter  206–208 Grundlegendes über  17–18, 112 über Papstwahl Pacellis  55 über Pius’ XII. Segen für Alfieri und Mussolini 126 über Pius’ XII. Rede zur Ursache der Übel 264–265 über Kardinal Schuster  468 Warnung an Mussolini vor hohem Kirchenvertreter 186 Federzoni, Luigi  333 Finnland  128, 145 Finzi, Enzo  436 Fiorentino, Emma  436 Florenz 26–27 Foà, Emilio  70 Foà, Giorgio  70 Fossoli 483–485 Franco, Francisco  66, 68–69, 216, 219 François-Poncet, André  176 Frank, Hans  25, 125 Frankreich Deportationen von Juden  276, 304 ital. Offensive und  188–189, ital. Kriegseintritt und  176–177 Mussolinis Forderungen an  73 deutscher Überfall auf  163–164, 171, 180–181 Pius XII. als Friedensstifter und  73–75 Schweigen Pius’ XII. zum Überfall auf Polen und  114 Schweigen Pius’ XII. zur Situation in 195–197 öffentliche Meinung über Pius XII. in 82–83 Kriegserklärung an Deutschland  111 siehe auch Pétain, Philippe Frieden, Definition Pius’ XII. von  64–65 Fummi, Giovanni  349 Galeazzi, Enrico  389–390 Gangemi, Giovanni  462–463

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Register Gemelli, Agostino  nach dem Krieg  535 Kriegsunterstützung  187, 194, 199, 234 Geschichtsrevisionismus nach dem Krieg 531–532 »Giovinezza«  26, 60, 127 Godfrey, William  193 Goebbels, Joseph  127, 317, 369, 401–402, 520–521 Gonella, Guido  112–113, 117 Göring, Hermann  80, 166–168 Grandi, Dino Borgonginis Meinung über  311 über Mussolini  111 Pius XII. und  370–371 Unterstützung Vittorio Emanueles III. 358–360 Graziani, Rodolfo  441, 444, 445, 523 Griechenland deutscher Einmarsch in  239–240 ital. Einmarsch in  213, 213–217, 220, 228–229 Großbritannien Wunsch der Regierung Badoglio nach geheimen Friedensverhandlungen mit 383 Verhandlungsversuche Bastianinis mit 348–349 deutsche Luftangriffe auf  201–202, 205 Luftangriffe auf Italien durch  181, 190–191, 232, 235, 295, 298, 320–321, 329, 507 Luftangriff auf den Vatikan durch ­469–470 Danzig und  82 in Italienisch-Ostafrika  238–239 ital. Einmarsch in Griechenland und 215–216 Juden in Palästina und  322–323   Wunsch Mussolinis zur Teilnahme an deutscher Landung in  197 deutscher Einmarsch in Belgien und 161–162 angeblicher deutscher Plan zur Entführung Pius’ XII. und  409–410 in Nordafrika  216, 228, 295–296

Pius XII. als Friedensstifter und  74, 193 Kriegsgefangene in Italien  369 Rommel und  238–239 Geheimverhandlungen und Waffen­ stillstand mit Regierung ­Badoglio ­391–394 in Sizilien  346–347 angedrohte Bombardierung Roms  300 Kriegserklärung an Deutschland  111 Guariglia, Raffaele  269 Waffenstillstand und  401 in der Regierung Badoglio  364, 371–372, 388–389 Grundlegendes über  18 Schuldzuweisung an Vatikan für Luftangriffe auf Italien und über enge Verbindung zwischen kath. Kirche und Mussolini  270 Maglione und  269–270 NS-Vorgehen gegen kath. Kirche und 297 deutsche Besetzung Italiens und ­380–381 Pius XII. als Friedensstifter und  305 Halifax, Lord Pius XII. als Friedensstifter und  193 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  346 Herzog, Isaac  506 Hess, Rudolf  127 Hessen, Philipp von  90 Grundlegendes über  19–20, 88–90 Freundschaft mit Hitler  89 Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion  123 als geheimer Mittler zwischen Pius XII. und Hitler  88–98, 120–123, 136–141, 241–242 Travaglini und  242 Himmler, Heinrich  85 Friedensbemühungen 515 Besuch in Rom  124 Hitler, Adolf  149, 173, 444, 520 Attentat auf  125 Regierung Badoglio und  374–375 Grundlegendes über  19, 149–150

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Register Reichskonkordat  26, 34–35, 83 Tod 526–528 Papstwahl Pacellis und  57 Franco und  219 Freundschaft zwischen Italien und Deutschland 38 Freundschaft mit Philipp von Hessen 89 Unbeliebtheit in Italien  199 als »motorisierter Attila«  199 siehe auch Mussolini und Hitler; Pius XII. und Hitler Hlond, August  114, 169 HMS Illustrious  215 Hochhuth, Rolf  533 Hull, Cordell  340 Huntziger, Charles  189 Hurley, Joseph  253 Il Messaggero  463 Il Popolo d’Italia  120, 276, 301 Il Popolo di Roma  208 Il Progresso Italo-Americano  324–325 Il Regime Fascista  55, 56, 65, 112, 120, 126, 186, 206–207, 270, 276, 311, 328, 430, 468–469 Italien alliierte Angriffe auf das Festland ­392–393, 402–403, 456–459, 465–467, 466, 470, 486, 501–502, 505–507 alliierte Landung auf Sizilien  334, 336, 342, 345–347, 353, 358 als »klerikalfaschistisch«  552 als Schutzmacht des Christentums  546 Luftangriffe auf  232, 295, 298, 318, 320–321, 329, 332, 334, 385, 459, 465–467, 466, 473–475, 507 kath. Einfluss in  551 Gleichsetzung von Christen mit Ariern und Juden mit Nichtariern  225–226 Kommunisten und Streiks in ­Fabriken  341 Kriegserklärung 176–178 Kriegsende in  522–524 Faschistische Partei  124, 162, 202, 266, 337, 372, 376, 532 Lebensmittelknappheit 329

deutsche Besatzung  403–405 Zensur und Überwachung durch Regierung 240–241 Unbeliebtheit Hitlers in  199 Verbesserung der Beziehungen zum Vatikan  77–78, 128–132 militärische Schwäche  228, 232 Verluste in Nordafrika  332 Truppen an der Ostfront  248–251, 254, 299 Truppen auf dem Balkan  239–240 Truppen in Ostafrika  238–239 Truppen in Frankreich  188–189 Truppen in Griechenland  212–217 Truppen in Nordafrika  212, 216–217, 238–239 Presseangriffe auf kath. Klerus  206, 208–211 Stahlpakt 79, 80 Stellung des Papstes in  64 Popularität des Krieges in  105, 116, 131, 133, 150, 228–229, 234 Möglichkeit eines Separatfriedens 318–319 Wandel zur Demokratie nach dem Krieg 537–538 Geschichtsrevisionismus nach dem Krieg 531–536 Kriegsgefangene in  369 öffentliche Meinung über ital. Kriegs­eintritt  153–154, 160, 167–169, öffentliche Meinung über US-Kriegs­ eintritt 262 öffentliche Reaktion auf Sturz Muss­olinis  364 Rationierung in  228, 233 Beziehungen zum Vatikan  341 öffentliche Meinung in den USA über 286 unter alliierter Besatzung  499, 510–511 Krieg als christlicher Kreuzzug  250 siehe auch Badoglio, Regierung; Faschismus; italienische Juden; Italienische Sozialrepublik; Mussolini, Benito; Rom Italien, königliche Regierung

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Register antijüdische Rassengesetze und ­435–436, 458 Waffenstillstand 435–436 Besetzung durch deutsche Truppen 375–376 diplomatische Vertretung im Vatikan 433–434 Herrschaftsgebiet nach deutschem Einmarsch 408–409 Italienisch-Ostafrika 239 italienische Juden Maßnahmen gegen  69–70 antijüdische Rassengesetze  37, 69–70, 84, 223–224, 226–228, 275–276, 383–385, 435–436, 458 Gemeinde von Rom  414–415 Flucht aus Rom  424 Vernichtung 416–418 versteckt in kath. Einrichtun­ gen ­459–464 Geschichte im Kirchenstaat  227 Anzahl  69, 413 kath. Taufe  70, 86, 225–226, 424–425, 531 Mussolini und  445 Pius XI. und die Rassengesetze  69, 224 Eintreten Pius’ XII. für getaufte Juden  68–70, 85–86, 383–384 Razzien und Deportationen getaufter Juden 422–428 Italienische Sozialrepublik alliierte Luftangriffe auf Montecassino und 465 Verschlechterung der Lebensbedingungen in  480–483 Gründung 405 Fossoli 483–485 Mussolini als Gefangener seiner Marionettenregierung 431–432 Partisanenangriffe und deutsche Vergeltung  475–476, 480, 507–508 Razzien gegen Juden und  436–438 Herrschaftsgebiet 408 Japan  262–263, 286, 296, 545 Jemolo, Arturo  532

Juden Dämonisierung durch kath. ­Kirche ­69–70, 237, 276, 441, 534, 544 Deportationen aus ital. kontrollierten Gebieten 326 »Endlösung der Judenfrage« und Wannseekonferenz 413 in Frankreich  227, 258, 276 Massenmord durch die Nazis an  110, 125, 259–261, 270–272, 276–278, 286–290, 304, 413 in Palästina  322–324 im Kirchenstaat  69–70 Pius XII. und nicht-italienische getaufte 272 in Polen  110, 125, 287–290, 304 in der Slowakei  304, 322–323 in der Ukraine  284 dem Vatikan vorliegende Beweise für NS-Gräueltaten an  319 siehe auch italienische Juden; Pius XII. und die Juden »Juden des Papstes«  415 Jugoslawien  239–240, 285 Kappler, Herbert  413, 415 Katholische Aktion (Italien) Aufruf zum Gehorsam gegen die Regierung Badoglio  372–373 Pius XI. und  66, 84, 210 Pius XII., Mussolini und  67 Unterstützung der Achsenmächte durch Pius XII. und  220–221 Unterstützung für Achsenmächte und Krieg  194, 210–212, 233, 236 Katholische Kirche Maßnahmen des NS-Regimes gegen  25, 35–36, 92–94, 122, 136–138, 144, 146 in Österreich  205 Unterstützung der Regierung Badoglio 372–373 Aufrufe zur Unterstützung des Krieges  187, 194, 234–235, 301 Beschlagnahmung von Kirchenglocken 237–238 Kommunismus als größter Feind der  28, 205, 248–251, 267, 317,

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Register 381–382, 390, 408, 411–412, 492–494, 496, 499, 511–512, 514–515, 517 Klagen über moralischen Verfall ­301–302 Dämonisierung der Juden durch ­69–70, 237, 276, 441–442, 534–535, 544 Unterstützung des Faschismus durch 382 Deportationen franz. Juden und ­276–279 Göring und  166–167 Gleichsetzung von Juden mit Nichtariern und Christen mit Ariern 225–226 Einfluss in Italien  551 Flucht ital. Juden und  436–437 Reaktion auf ital. Rassengesetze ­226–227 über Juden als »Christusmörder«  237 versteckte Juden in Einrichtungen der 459–464 moralisches Prestige der  266, 283–284 Mussolini als Vermittler zwischen Hitler und  36 Vorgehen der Nazis gegen  27, 36, 92–94, 122, 137–138, 144, 146, 252–253 Zahl der Katholiken unter NS-Herrschaft 275 Unternehmen Barbarossa und ­248–250 Gemeindepfarrer gegen Fortsetzung des Krieges  340 in Polen  125 kath. Presse (siehe auch La Civiltà Cattolica; Osservatore Romano) 68– 69, 72, 203, 211–212 Berichte über den Massenmord an Juden und  259–261, 270–272, 274–276, Geschichtsrevisionismus nach dem Krieg 533–537 Unterstützung der Achsenmächte und des Krieges durch  204–205, 211–212, 233, 236–237, 319–320, 327, 340–341, 344

Unterstützung Mussolinis durch ­266–267 Zweiter Weltkrieg als christlicher Kreuzzug 250 Kennedy, Joseph  59 Kershaw, Ian  35 Kesselring, Albert  406, 487–488 Kirchenstaat Juden im  69–70, 227 Koch, Pietro  460–463, 508 Kommunismus alliierte Luftangriffe auf Italien und 473–474 als größter Feind der kath. Kirche  28, 205, 248–251, 267, 317, 338–339, 381–382, 390, 408, 411–412, 492–494, 496, 499, 511–512, 514–515, 517 ital. Partisanen und  507 Lateranverträge und  539 Pius XII. zur Verurteilung gedrängt  250–251, 256–257 Streiks in ital. Fabriken  341 Kroatien  239, 304, 314 La Civiltà Cattolica  70, 194, 211, 433, 443 La Croix  227 LaFarge, John  44 Lateranverträge (1929)  38, 44–45, 120, 131, 211, 263, 265, 316, 459, 499, 538 Lauri, Lorenzo Grundlegendes über  91 Geheimverhandlungen zwischen Hitler und Pius XII.  91, 94–96, 136–140 Philipp von Hessen und  241–242 Lavitrano, Luigi  302 Ledóchowski, Wlodimir  44 Lehnert, Pascalina Räumlichkeiten Pius’ XII. während deutscher Besatzung und  458 Papstwahl Pacellis  55 als Vertraute Pius’ XII. 244 Einfluss 244 Verhältnis zu Pacelli  53–54 Le Pera, Antonio  275 Logan, Oliver  548

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Register Mackensen, Hans Georg von  103–104, 159, 253, 356, 416 Macmillan, Harold  391–392, 409, 430–431 Mafalda von Savoyen  90, 400 Grundlegendes über  21, 88–89 Verschleppung nach Buchenwald ­399–400, 521–522 Maglione, Luigi  58, 102, 269, 494 Einsatz für getaufte Juden in Rom ­425–426 Ernennung zum Staatssekretär  57–58 Grundlegendes über  13–14, 57–58, 150–151 Luftangriffe auf Montecassino und  466 Luftangriffe auf Rom und  465 Luftangriff auf den Vatikan und  431 Aufnahme von Verfolgten in kath. Einrichtungen und  463–464 Kooperation mit deutscher Besatzungsmacht 406–407 Tod 498 Tod Attolicos und  268 Besorgnis über Nachkriegspläne der Nazis für die kath. Kirche  303 deutscher Überfall auf Basilika St. Paul vor den Mauern und  462–463 über den deutschen Sieg im Krieg  408 Guariglia und  268–269 über Beweise für NS-Gräueltaten an Juden 319 Razzien gegen Juden in Rom  418–420 NS-Vorgehen gegen kath. Kirche und 252–253 deutsche Besatzung Italiens und ­376–377, 381 Schweigen Pius’ XII. zu NS-Gräueltaten an Juden und  325 über das Schweigen Pius’ XII. zum NS-Vorgehen in Polen  110 Verhältnis zu Babuscio  341 Verhältnis zu Pius XII.  101, 114, 498, 500 Forderung nach Abzug ital. Truppen aus Rom  300 Beschlagnahmung von Kirchenglocken und 238 Rom als »offene Stadt« und  488–489

Roosevelts private Nachricht an Pius XII und  347–348 königliche Regierung und  434 Geheimverhandlungen zwischen Pius XII. und Hitler  146–147 Separatfrieden für Italien und  319 als Kandidat bei Papstwahl  51 Malvezzi, Giovanni  285, 288–289 Manzini, Raimondo  212 Marie José von Belgien  281 Grundlegendes über  21, 280–281 Verschwörung zum Sturz Mussolinis und  280, 282 Montini und  282–283 Opposition gegen die Nazis  280–282 Maritain, Jacques  540–541 Marras, Luigi Efisio  374–375 McCormick, Vincent  308, 314, 358, 382 Mengele, Josef  423 Menshausen, Fritz  48, 131, 268 Metaxas, Ioannis  213 Mieli, Claudio  427 Mieli, Marina  427 Mieli, Nella Pontecorvo  427 Molotow, Wjatscheslaw  100 Montecassino, Abtei von  465–467, 466, 474 Montezemolo, Giuseppe Cordero Lanza di  504 Montgomery, Bernard  295, 311, 346 Montini, Giovanni Battista 102 als Erzbischof von Mailand Grundlegendes über  14, 101–102 Urteil über Der Stellvertreter  533 in Rom festgehaltene Juden und  421 Mafalda von Savoyen und  522 Marie José von Belgien und  282–283 als Papst Paul VI. 542 Verhältnis zu Pius XII.  114, 282, 401, 498, 501, 540 Geschichtsrevisionismus nach dem Krieg 533 Familie Segrè und  485 Vatikanzeitung und  182, 201 Murphy, Robert  391–392, 409, 492 Mussolini, Benito  2, 134, 213, 444, 523, »Anschluss« Österreichs und  36–37, Festnahme und Haft  362, 380, 387–388

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Register Grundlegendes über  16, 38–39, 42, 134 Luftangriffe auf Rom  356 Katholische Aktion und  66–67 Beschwerden über kath. Unterstützung für 266–267 Abneigung gegen kath. Klerus und Lehre 266 Papstwahl Pacellis und  55 vorgeschlagene Exkommuni­ kation ­167–168 letzte Tage  523–526 über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt 103–104, 116–117 Festnahme Gonellas und  112–113 Gesundheit  306–307, 326–327, Lateranverträge (1929)  38, 211 Liebesleben 41–42, Maglione und  59 Treffen mit Ribbentrop  147–148 psychische Gesundheit  299, 306, 311, 454, 508–509 Sturz  280, 335–338, 367 »Frieden mit Gerechtigkeit«  178, 180 Clara Petacci als Geliebte von  99–100, 105, 107–108, 178, 244, 299, 306–307, 350–351, 431–432, 477–480 Clara Petacci als politische Ratgeberin von  316, 351, 361–362, 453–454, 478 Pétain und  219 Pius XI. und  34, 36, 44–46 Beliebtheit 79 Unterstützung durch Prälaten  267 öffentliche Reaktion auf Absetzung 364 Marionettenregierung  405, 454, 477, 511 Religiosität 39 Rom als »offene Stadt« und  488 Roosevelt und  247 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  347 Tacchi Venturi und  66–77 Zusammentreffen mit Welles  133–134 in der »Wolfsschanze«  253–254

Mussolini und Hitler  444 Geburtstagsgeschenk des Führers  380 Cianos Tod und  447–448 Hochachtung Hitlers für den Duce ­37–38 Duce von deutschen Soldaten b ­­ efreit  404 erstes Treffen nach Gründung der Italienischen Sozialrepublik ­478–479 Hitler und Mussolinis Sturz  369–370 Hitlers Reichskonkordat und  34–35 Hitlers Besuch in Italien und  25–27 Marionettenregierung der Italienischen Sozialrepublik und  404 Treffen (1940)  151–153, 152 Treffen (1941)  253–254 Treffen (1943)  326, 353–354 Mussolini als Mittler zwischen kath. Kirche und Hitler  36 Mussolini über deutschen Einmarsch in Polen  124 Druck auf Mussolini zum ital. Kriegs­eintritt  147–148 ital. Einmarsch in Griechenland ­212–216, 213 Mussolini und die italienischen Juden Rassengesetze  37, 69–70, 223–224, 226–228, 275–276, 383–385, 435–436, 458 getaufte Juden und  68–69 Widerstand Pius’ XI. gegen die Rassengesetze  69–70, 224 über möglichen Judenstaat in Ostafrika 40–41 Zwangsarbeit 275–276 Mussolini und der Zweite Weltkrieg Friedensappelle 160–161 Entlassung Badoglios  228 über die »Feigheit« der Italiener ­154–155 Kriegserklärung 177–178 deutsche Siege und  170 ital. Truppen in Nordafrika  212 Kriegseintritt Italiens  154, 160, 174–175 Unternehmen Barbarossa  248–250 Beschlagnahmung von Kirchenglocken 

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Register Kriegseintritt der USA und  263–264 Mussolini, Edda  449 Grundlegendes über  18 Festnahme Cianos und  446–450 Tod Cianos und  453, 456 Entlassung Cianos als Außenminister und 315–316 Flucht nach Deutschland  446–447 Flucht in die Schweiz  449–450 Pacelli und  350 Pancino und  455–456 Petacci und  350 Mussolini, Rachele Regierung Badoglio und  388 Grundlegendes über  18, 41 Verhalten 245 Ciano und  245–246 Petacci und  432, 477 Mussolini, Vittorio  513–515 Nasalli Rocca, Giovanni  237, 301 Nenni, Pietro  403 Nordafrika brit. Eroberung von Italienisch-­ Äthiopien 238–239 Niederlage der Achsenmächte in  332 deutsche Truppen in  238, 276–277, 295–296, 313 ital. Truppen in  216, 228, 238–239 O’Connell, William  50, 206 Operation Avalanche  392–393, 402 Operation Husky  334, 342, 345, 353 Orlando, Vittorio Emanuele  333 Orsenigo, Cesare  149 Grundlegendes über  14 Pius XII. als Friedensstifter und  73, 75 nach dem Krieg  535, 549–550 Reaktion auf ital. Kriegseintritt  179 Kenntnis von der Judenvernichtung 274–275 Osborne, Francis D’Arcy antisemitische Einstellung  81–82 Grundlegendes über  81 Bombardierung Roms und  300–301, 470–471 über Pastor Angelicus  306 über Pius XII. als Friedensstifter  252

über Pius XII. als moralische Autorität  265, 283–285 über Pius XII. als Retter Roms  490 über Audienzen Pius’ XII. für alliierte Soldaten 496 über Pius’ XII. bedrückte Stimmung 266 über das Schweigen Pius’ XII. zu den NS-Gräueln  277–280, 285, 301, 304–305, 308 über die Sympathie Pius’ XII. für das polnische Volk  328 Berichte über NS-Massenmord an Juden 303–305 Osservatore Romano Kritik an Deutschland  42–43, 112 päpstliche Aufsicht über  201, 209 über Pius XII., Razzien, Deportation und Vernichtung der römischen Juden 426–427 Kriegsberichterstattung in  181–182 Österreich »Anschluss« 36–37 NS-Vorgehen gegen kath. Kirche in 205 Pacelli, Carlo  142 Pacelli, Eugenio Grundlegendes über  34, 52–55 Reichskonkordat Hitlers  28, 36, 83, 532 Tod Pius’ XI. 45–47, 46 Papstwahl  48–51, 55–57, 56 über Hitlers Charakter  34 als Nuntius in Deutschland  52–55 Verhältnis zu Pius XI.  33, 54 siehe auch Pius XII. Pacelli, Francesco  211, 263 Palästina  322–324, 505 Palli, Francesca Maria  269 Pancino, Giusto  455–456, 513, 515 Panzieri, David  424 Papée, Kazimierz  102, 220, 308–309 Pastor Angelicus (Film)  273, 280, 305, 307, 313 Patton, George  346 Paul IV. 414 Paul VI. siehe Montini, Giovanni Battista

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Register Pavelić, Ante  239 Petacci, Clara  246 Festnahme 388 Grundlegendes über  18, 41 Ciano als Botschafter beim Heiligen Stuhl und  316 Edda Mussolini und  350 Familie  245, 349–352, 388, 405 letzte Tage  524–526 Befreiung durch deutsches Militär  405 als Geliebte Mussolinis  99–100, 105, 107–108, 178, 244, 299, 306–307, 350–351, 431–432, 477–480 als politische Ratgeberin Mussolinis  316, 351, 361–362, 453–454, 478 Petacci, Marcello  246, 349 Pétain, Philippe antijüdische Rassengesetze  227, 258 Waffenstillstand 188 d’Ormesson und  217 franz. Truppen in Nordafrika unter 296 enge Beziehungen seiner Regierung zu den Deutschen  230 Hitler und  219 Pius XII. und  198 Petropoulos, Jonathan  558–559 Pfeiffer, Pankratius (Pancrazio)  433–434, 461, 487 Phillips, William über Ciano  40 über die ital. Kriegsbereitschaft  71–72 über den ital. Kriegseintritt  174 über Mussolinis Popularität  79 Kriegseintritt der USA und  262 Piazza, Adeodato  250, 438 Pignatelli, Enza  418 Pignatti, Bonifacio Grundlegendes über  19, 48 Dalla Torre und  117–118 Papstwahl Pacellis und  48–49, 55 Festnahme Gonellas und  112–113 Pius XII. als Friedensstifter und  75 über Pius’ XII. Ausflüge  77 Ruhestand 126 Pirelli, Alberto Grundlegendes über  171–172

Ciano als Botschafter beim Heiligen Stuhl und  315 über Separatfrieden für Italien  319 Pius XI. Grundlegendes über  14–15, 33–34, 52 Katholische Aktion und  66, 84 Tod 44–45 Enzyklika gegen NS-Rassismus und Antisemitismus  39, 43–44, 46–47 Enzyklika gegen kirchenfeindliche NS-Politik 36 Gesundheit 44 Hitler und  25–28, 34, 36 Lateranverträge  38, 120, 211 Mussolini und  25, 28–29, 38 Widerstand gegen antijüdische Rassengesetze  69, 224 Pacelli und  33, 54 im Vergleich mit Pius XII. 217 Pius XII.  61, 76, 119, 386, 527 Alfieri und  164–166 Gespräch mit Taylor über AtlantikCharta 255–256 Haltung gegenüber totalitären Regimen 131 Audienzen für alliierte Solda­ ten ­493–496 Audienzen für deutsche Soldaten  259, 303 Bartolomasi und  504, 535 Grundlegendes über  13, 78–79, 130, 132, 536–538, 540–541 Belgien und  161–162, 164 Glaube an Mussolinis mäßigenden Einfluss auf Hitler  190 Segen für die königliche Familie  126 Luftangriffe auf Italien  299–300, 320–321, 334 Luftangriffe auf Rom  191, 300–301, 339, 354–358, 465 Katholische Aktion und  66–67, 210 kath. Kirche in Deutschland und  36, 82, 92–94 Aufnahme von Verfolgten in kath. Einrichtungen und  463–464 Feier des fünften Jahrestags der Papstkrönung 470–471

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Register Ciano als Botschafter beim Heiligen Stuhl und  316 Kommunismus als größter Feind der kath. Kirche  205, 248–251, 317, 341, 411–412, 492–494, 496, 499, 511–512, 517 Besorgnis über moralischen Verfall  243–244, 510–511, 539 Sorge um Mussolini und seine Familie 370 Sorge um das deutsche Volk  492–493 Kooperation mit deutschen Besatzern in Rom  405–408, 476–477 Krönungszeremonie 59–60, 61 Tschechoslowakei und  63 tägliche Routine  60–63 Dalla Torre und  118, 332 Danzig und  103 Tod 542 depressive Stimmung  201, 266 Verärgerung über NS-Vorgehen gegen kath. Kirche in Österreich  205 Wahl zum Papst  48–51, 55–57, 56 Schweigen über NS-Gräuel 278–279, 304–305, 307–309, 324–325 Angst vor Kommunismus bei Sieg der Alliierten 338–339 Angst vor Deutschland  217–218 Besorgnis über Nachkriegspläne der Nazis für die kath. Kirche  268–270 Angst vor Aufstand gegen die Regierung Badoglio  372–373 letzte Audienz für ­d’Ormesson ­217–218 erstes Treffen mit Ciano  65–66 erstes Treffen mit Myron Taylor  135 erste öffentliche Rede  64–65 Franco und  68 deutsche Besatzung Roms und ­546–547 Festnahme Gonellas und  112–113 gute und böse Faschisten  202 Grandi und  370–371 Griechenland und  219–220 Gesundheit  538, 540–541 Hlond und  169 Einfluss in Italien  551 Kriegseintritt Italiens und  179

Privataudienzen für Laien  62 Maglione und  101, 114, 498, 500 Treffen mit Churchill  498–500 Montini und  114, 282, 401, 498, 501, 540 moralisches Prestige des Papsttums und  192, 266, 283–284 Edda Mussolini und  446 NS-Vorgehen gegen kath. Kirche und  253, 269–270, 297 angebliche deutsche Pläne zu seiner Entführung in der alliierten Propaganda 409–410 Neujahrsansprache (1943)  312 Unternehmen Barbarossa und ­248–249 Pastor Angelicus und  274 Definition von Frieden  65 als Friedensstifter  106–107, 252, 254, 286, 305, 312, 317–319, 328, 334, 364–366, 382–383, 493–494, 515–517 »Frieden mit Gerechtigkeit«  65, 178, 180 Pétain und  198, 230 im Vergleich mit Pius XI. 217 Pizzardo und  66 Einsatz für Rom als »offene Stadt«  410 Popularität  82, 197, 391 als Staatssekretär nach Magliones Tod 539–540 Unterstützung der Achsenmächte und des Krieges  221–222 Anerkennung der Italienischen Sozialrepublik 434–435 Geschichtsrevisionismus nach dem Krieg 535–536 Roosevelts private Nachricht an 347–348 königliche Regierung und  434–435 Gerücht über Beteiligung am Sturz Mussolinis 402 als Retter Roms  490 sexueller Missbrauch durch Priester und 93 Schweigen über Naziverbrechen ­313–314

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Register Schweigen über Vergeltungsmaßnahmen für Partisanenangriffe 475–476 Schweigen über die Situation in Frankreich 195–196 Schwester Pascalina und  244 Spellman und  206–208, 253 Spione im Vatikan und  241 Summi pontificatus (Enzykli­ka) ­118–119 Unterstützung des Krieges  221–222, 233 Mitgefühl für das polnische Volk  220 Tardini und  498, 501 Taylor und  255–256, 510–512 Vatikanzeitungen und  201, 209 Vittorio Emanueles III. Besuch bei  128 Visum für Nazis  513 Weizsäcker und  512 Pius XII. und Hitler Attentat auf Hitler und  125 Exkommunikation 168 päpstliche Sorge über Schwächung der kath. Kirche in deutsch besetzten Gebieten 198–199 Sicherheit des Papstes unter deutscher Besatzung in Rom  402 Papst als Friedensstifter und  73–75, 192 Wiederherstellung harmonischer Beziehungen zwischen kath. Kirche und deutscher Regierung  57 Geheimverhandlungen ­zwischen ­88–98, 120–123, 136–147, 241–242 Pius XII. und die Juden Einsatz für getaufte ital. Juden  68–70, 85–86, 383–384 Appelle an den Papst, den ital. Juden zu helfen 505–506 deutsche Razzien in kath. Einrichtungen in Rom, die Juden versteckten 461–464 Namenstagsrede nach der deutschen Kapitulation 528–529 Berichte über die Judenvernich­ tung  259–261, 270–272, 276–278,

286–290, 303–305, 309, 324, 422–423 Schweigen über NS-Gräueltaten ­258–259, 277–280, 304–305, 308–309, 324–325, 426–428, 437, 439–445, 552–553 Kritik am Schweigen zur NS-­ Politik 548–551 Erklärungsansätze für das Schweigen zur NS-Politik  543–548, 550 Judenbild 70 Pius XII. und Mussolini antifaschist. Tendenzen in der Katholischen Aktion  210 Umstrukturierung der Katholischen Aktion 67 Rundfunkansprache zu Weihnachten 1942 307–308 Exkommunikation und  168 Angriffe auf Kirchenvertreter in der faschist. Presse  208–211 Mussolini über Pastor Angelicus  307 Sturz Mussolinis  335 päpstlicher Segen  126 Beziehungen zwischen dem Vatikan und Italien  77–78, 551 Kriegseintritt der USA und  263 Vatikanzeitung und  173, 201 Visum für Mussolini  513–517 Pius XII. und Polen Bitte um Segen  113 Stahlpakt und  79–80 Friedensbemühungen 107 Schweigen über NS-Verbrechen in  110, 113–115, 118–119, 124, 220, 261, 313–314 Pizzardo, Giuseppe  66 Polen kath. Kirche in  125, 220, 305 Danzig und Hitlerdeutschland  79, 103 Vernichtungslager in  413, 483 deutscher Angriff auf  109–110 deutsche Besetzung  118 Tempo des deutschen Vormarsches in 111 Mussolini über Hitlers Überfall auf 124

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Register NS-Judenvernichtung in  67–68, 110, 124, 288–290, 304 Bemühungen Pius’ als Friedensstifter und 107 Sowjetunion und  114, 220, 329 vatikanische Hilfslieferungen nach  125 siehe auch Pius XII. und Polen Pope, Generoso  324–325 Popolo di Roma  208 Popolo d’Italia  120, 276, 301 Prinzing, Albert  412

Rahn, Rudolf  416, 434, 508, 513 Rarkowski, Franz Justus  109 Ratti, Achille siehe Pius XI. Ribbentrop, Joachim von Reichskonkordat und  94 Grundlegendes über  20, 142 Treffen zwischen Mussolini und Hitler (1940) 151 Treffen mit Mussolini  147–148 Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion 100 Sturz Mussolinis und  370 Stahlpakt 79–80, 80 Rolle Pius’ XII. als Friedensstifter  75 Geheimverhandlungen zwischen Hitler und Pius XII. 136–147 Weizsäcker und  343 Riezler, Kurt  548 Rivista del Clero Italiano  194 Rom alliierter Vorstoß auf  486–489, Bekanntgabe des Waffenstillstands  394 jüdische Gemeinde  414–415 Luftangriffe auf  300–301, 339, 354–356, 385, 465, 470–475 Besuch Churchills in  497–500 unter alliierter Besatzung  509–510 unter deutscher Besatzung  458–459, 480–483 erster alliierter Luftangriff auf ­354–358 deutsche Besetzung von  387, 404, 432–445 deutsche Razzien in kath. Einrich­ tungen, die Juden ­versteckten ­459–465 deutscher Abzug aus  489

Razzien und Deportationen von Juden in  416–424, 426–428, 436–445, 458, 483, 552 Besuch Himmlers in  124 Karte der Vatikanstadt (1939)  8–9 Mussolini und der Abzug des ital. Militärs aus  300 als »offene Stadt«  340, 377–379, 385–387, 410, 429, 465, 488, 493 Operation Avalanche und  392–393 Befehl zur Vernichtung der Juden in 413 Pius XII. und die deutsche Besatzung 532–533 Pius XII. und die Juden in  418–420, 424–428 Pius XII. als Retter der Stadt  490 Roosevelt und Luftangriffe auf  300 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  347 unter General Stahel  406 Einsatz des Vatikans für getaufte Juden 425–426 Rommel, Erwin  235, 238, 295 Roncalli, Angelo als Johannes XXIII.  322, 542 Mafalda von Savoyen und  522 über Pius’ XII. Schweigen zur Judenvernichtung 258–259 Roosevelt, Franklin Delano Atlantik-Charta 255 Regierung Badoglio und  368, 391–394, Luftangriffe auf Rom und  300, 474–475 Tod 522 ital. Zeitungsberichte über angebliche jüdische Abstammung  235 Mussolini und  161, 247, 336 neue ital. Regierung und  333 Operation Avalanche und  393 Pius XII. und  286–287, 345–348, 390 Reaktion auf ital. Kriegseintritt  179 Wiederwahl 135 Rom als »offene Stadt« und  377–379 Spellman und  206, 300 ital. Kapitulation  367 Unterstützung durch kath. Bischöfe in den USA 266

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Register Rosenberg, Alfred  96 Rossi, Raffaello  464 Rumänien  205, 259, 304, 349 Sabatelli, Enrica  484 Sabatelli, Tranquillo  484 Salotti, Carlo  267, 340 Salza, Giacomo  268 Sankt Paul vor den Mauern, ­Basilika ­459–461, 463, 465 Sarfatti, Margherita  105, 316 »Säuberungskommission« (commissione di epurazione)  502, 517 Scavizzi, Pirro  260–261, 271, 274, 288, 290 Schuster, Ildefonso Grundlegendes über  512–513 als Faschist  129, 372, 467–468, 507–508 Mussolini und  523 über »Volkstribunale«  526 nach dem Krieg  535–536 Schwester Pascalina siehe Lehnert, Pascalina Scorza, Carlo  327 Segre, Abramo  440 Segre, Marco  485 Segre, Mario  484–485 Segre, Noemi  485 Selassie, Haile  239 Slowakei, Deportationen von Juden in der  288, 304, 322, 324 Smith, Margaret  448 Sowjetunion militärisches Vorrücken in Zentraleuropa 521 deutscher Überfall auf  248–251 Nichtangriffspakt mit Deutschland  97, 100, 103, 123 Besetzung der baltischen Staaten  194 Besetzung Polens  114, 220, 329 Schlacht von Stalingrad  299 Sieg über deutsche und ital. Truppen an der Ostfront  313, 329 Spellman, Francis  207 Grundlegendes über  206 Erhebung zum Kardinal  539 Angriffe faschistischer Zeitungen auf 207 Galeazzi und  389

Pius XII. und  253 Roosevelt und  206, 300 Stahel, Reiner  406, 416, 424, 433–434 Stahlpakt (1939)  79–80, 80, 172 Stimson, Henry Lewis  494 Summi Pontificatus (Enzyklika Pius’ XII.) 119 Tacchi Venturi, Pietro  268, 272 ital. Rassengesetze, getaufte Juden und 68–69 Grundlegendes über  15 deutsche Razzien gegen Juden und 441–443 als Bote Pius’ XI. bei Mussolini  66–67 Pius XII. als Friedensstifter und  73, 106 als Bote Pius’ XII. bei Mussolini  68, 384 »Tag des Glaubens«  301 Tardini, Domenico  102 Grundlegendes über  15, 101 über Luftangriffe auf Rom  474–475 Luftangriff auf den Vatikan und  429 Aufnahme von Verfolgten in kath. Einrichtungen und  464 Furcht vor Kommunismus bei alliiertem Sieg  338–339 deutscher Vorschlag zur Bekämpfung des Kommunismus und  518–519 über die unverblümte Art Pius’ XI. 43 Pius XII. als Friedensstifter  107, 365–366 Schweigen Pius’ XII. über die NS-Gräuel  278–279, 285–286, 304–305, 325 Treffen Pius’ XII. mit Churchill ­498–501 Roosevelts private Nachricht an Pius XII. und  347 nach dem Krieg  542 Verhältnis zu Pius XII.  498, 501 Geheimverhandlungen zwischen Pius XII. und Hitler  140, 143, 145 über US-Unterstützung für Russland 256

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Register Taylor, Myron Ernennung zum persönlichen Abgesandten Roosevelts  135 Diskussion mit Pius XII. über die Atlantik-Charta 254–255 Grundlegendes über  135–136 erstes Treffen mit Pius XII. 135 erstes Treffen mit Pius XII. nach US-Kriegseintritt 286–287 Treffen mit Pius XII. und Welles  150 Pius XII. als Friedensstifter und ­493–494 über Pius’ XII. Reaktion auf die Bombardierung Roms  357 Verhältnis zu Pius XII.  254, 510–512 als Koordinator von Hilfsprogrammen 510 Berichte an Pius XII. über die Judenvernichtung 287–289 The Tablet  533 Tiso, Jozef  147, 272, 322 Tisserant, Eugène  185 d’Ormesson und  184–185 Papstwahl Pacellis und  50 Pius XII. und  114, 186 Tittmann, Harold Bernardini über den Sieg der Achsenmächte und  242 Bombardierung Roms und  300 Ciano als Botschafter beim Heiligen Stuhl und  315 über Galeazzi  389–390 über Pius XII. als Friedensstifter ­317–318 über das Schweigen Pius’ XII. zu den NS-Gräueln 286 Berichte an Pius XII. über die Judenvernichtung 289 über Separatfrieden mit Italien  318 Kriegseintritt der USA und  262 Togliatti, Palmiro  538 Travaglini, Raffaele Grundlegendes über  89–91 Geheimverhandlungen zwischen Pius XII. und Hitler  91, 94–96, 136–141, 242 Tschechoslowakei 63–65

Ukraine 284 Umberto (ital. Kronprinz)  89, 280, 281, 282, 399–401, 522, 537 Valera, Eamon de  474 Vatikanstadt Archive 22–23 Sicherheitsaufbewahrung von Kunstschätzen 474 Glaube an Achsensieg  242 Bombardierung  429–431, 469–470 an Luftangriffen auf Italien schuld 296–297 Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum ­534–535 unter deutscher Besatzung  458 der Unterstützung des Faschismus beschuldigt 382 Anerkennung als souveräner Staat  38 Besorgnis über Nachkriegspläne der Nazis für die kath. Kirche  242, 268, 303 Dreharbeiten für Pastor ­Angelicus  273–274, 280 Verbesserung der Beziehungen zur ital. Regierung 128–132 Kenntnis über deutsche Razzien auf Juden 437 Karte (1939)  10–11 Unternehmen Barbarossa und ­248–250 Einsatz für getaufte Juden  424–425, 438–439 Radio Vatikan  220, 241 Anerkennung der Italienischen Sozialrepublik 434–435 Flüchtlinge in  463–464, 485–486 Beziehungen zur Regierung Badoglio  368, 381–382 Beziehungen zur faschist. Regierung 341 Beziehungen zur deutschen Besatzungsmacht 432–434 Hilfslieferungen nach Polen  125 Spione im  241 öffentliche Unterstützung für Mussolini 267–268

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Register Überwachung auswärtiger Diplomaten 200 Überwachung von Prälaten  186–187 Kriegseintritt der USA und  262 ohne diplomat. Beziehungen zu den USA 135 Veneziani, Aldo  425 Veneziani, Dario  425 Vereinigte Staaten von Amerika (USA) Luftangriffe auf Italien durch  320, 329, 469, 507 Unterstützung Roosevelts durch kath. Bischöfe 266 Furcht Mussolinis vor US-Kriegseintritt 251 ohne diplomat. Beziehungen zum Vatikan 135 Präsenz in Nordafrika  295–296 Besuch Pacellis in  34 Haltung kath. Prälaten gegenüber dem Nationalsozialismus 252–253 öffentliche Meinung über Deutschland, Japan und Italien  286 Reaktion auf ital. Kriegseintritt  179 Geheimverhandlungen mit Regierung Badoglio 391–394 Krieg gegen Italien  262–263 Veroli, Michele Di  475 Visconti Venosta, Giovanni  502, 504 Vittorio Emanuele III. albanische Krone und  71–72, 72, 216–217 Bekanntgabe des Waffenstillstands  399 antijüdische Rassengesetze und ­435–436 Regierung Badoglio und  361–362, 371 Grundlegendes über  21, 130, 409 Glaube an den Achsensieg  299–300 Weihnachtsbesuch bei Pius XII. 128 Kriegserklärung 176 Flucht aus Italien  399–401 als Regierungschef  332, 334 Invasion Italiens und  336 Sturz Mussolinis und  336–338, 345, 358–359 Nazis und  103 gegen ital. Kriegseintritt  154–155 Segen Pius’ XII. für  126

Separatfrieden und  332–333 Verzicht auf den Thron  537 Wannseekonferenz 413 Weizsäcker, Ernst von Ernennung zum Botschafter beim Heiligen Stuhl  344–345 Grundlegendes über  20, 343–344 Kooperation des Vatikans mit  404–406 deutsche Besatzung Roms und Sicherheit Pius’ XII. 402 deutscher Vorschlag zur Bekämpfung des Kommunismus  518–519 deutsche Überfälle auf kath. Einrichtungen, die Juden versteckten 461–462 als »guter Nazi«  343 Razzia und Gefangensetzung röm. Juden 419–420 Entschädigungszahlung an Vatikan 405–406 Pius XII. als Friedensstifter und  75 über Pius’ XII. Schweigen nach der Festnahme und Deportation der Juden in Rom  426 über das Verhältnis zwischen Guariglia und Maglione  371–372 Verhältnis zu Pius XII.  476–477, 512 Rom als »offene Stadt« und  410–411 Welles, Sumner Ciano und  153 über Hitler  149–150 Mussolini und  133–134, 150–151 Pius XII. und  150–151 über Weizsäcker  343 »Wir erinnern« (Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum) 534–535 Zanussi, Giacomo  391 Zionismus 322–323 Zolli, Israel  414–415 Zweiter Weltkrieg als christlicher Kreuzzug 250

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Abbildungsnachweis S. 2 Popperfoto/via Getty Images (Papst Pius XII.), Fototeca Gilardi (Hitler und Mussolini); S. 46 AAV, Segr. Stato, 1939, Stati, posiz. 60, f. 5 @Archivio Apostolico Vaticano 2021. Reproduced by permission of the AAV, all rights reserved; S. 49 L’Illustration, Paris; S. 56 Biblioteca Statale di Cremona; S. 58 Süddeutsche Zeitung Photo/Alamy Stock Photo; S. 61 Hulton Archive/via Getty Images; S. 72 AP Images; S. 76 Keystone/Staff/Hulton Archive/via Getty Images; S. 80 Keystone-France/Gamma-Keystone/via Getty Images; S. 85 Istituto Luce Cinecittà; S. 90 Austrian Archives/Imagno/Alinari Archives; S. 102 Historic Images; S. 119 Fototeca Gilardi; S. 127 Süddeutsche Zeitung Photo/Alamy Stock Photo; S. 134 Marka/Universal Images Group/ via Getty Images; S. 149 Süddeutsche Zeitung Photo/Alamy Stock Photo; S. 152 Ullstein Bild/ Contributor/via Getty Images; S. 173 Ullstein Bild/Getty Images; S. 183 Archivio Generale Arcivescovile, Bologna; S. 185 Popperfoto/via Getty Images; S. 200 L’Avvenire (Rome); S. 207 Historic Images; S. 213 De Agostini Picture Library/via Getty Images; S. 246 INTERFOTO/ Alamy Stock Photo; S. 260 Fototeca Gilardi; S. 269 Istituto Luce Cinecittà; S. 277 Ullstein Bild/ Getty Images; S. 281 Fototeca Gilardi; S. 287 Historic Images; S. 320 Keystone/Hulton Archive/ via Getty Images; S. 363 Ullstein Bild/Alinari Archives; S. 386 AP images; S. 400 akpool GmbH/ Abteilung Arkivi/Alamy Stock Photo; S. 444 Ullstein Bild/Getty Images; S. 449 Keystone/Hulton Archive/via Getty Images; S. 451 Istituto Luce Cinecittà; S. 466 Süddeutsche Zeitung Photo/ Alamy Stock Photo; S. 494 Alinari Archives, Florence; S. 520 Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv; S. 523 Popperfoto/via Getty Images; S. 527 UIG/Alinari Archives

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DAVID I. KERTZER

Foto: © Random House

DIE BRISANTE GESCHICHTE EINER GANZ UND GAR UNHEILIGEN ALLIANZ

DAVID I. KERTZER ist Professor für Sozialwissenschaft, Anthropologie und italienische Studien an der amerikanischen Brown University. Für sein Buch über Pius XI. (2016 auf Deutsch unter dem Titel Der erste Stellvertreter bei der wbg erschienen) wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Pulitzer-Preisträger David I. Kertzer erzählt in seinem neuen Werk die dramatische Geschichte des umstrittenen Papstes Pius XII. und seiner Beziehungen zu Italiens Diktator Benito Mussolini und Deutschlands »Führer« Adolf Hitler. Auf der Grundlage von Tausenden bisher unbekannten Dokumenten aus dem Vatikan und anderen Archiven weltweit zeichnet Kertzer ein neues, packendes Bild dessen, was der Papst tat und was er nicht tat, als der Krieg Europa verwüstete und die Nazis die europäischen Juden systematisch ermordeten. »Kertzers Buch … ist … elegant und bisweilen fast literarisch geschrieben. Eine Vielzahl von klug ausgewählten Anekdoten macht das Buch für ein breites Publikum hochinteressant.« Simon Unger-Alvi, FAZ »Nach Öffnung der Archive im Vatikan im Jahr 2020 setzt Kertzer … Maßstäbe und stößt Debatten an. Ein wichtiges Buch.« Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

ISBN 978-3-8062-4502-8

€ 39,00 [D] € 40,10 [A] Umschlagabbildungen: Papst Pius XII. © colaimages/Alamy Stock Photo; Benito Mussolini und Adolf Hitler 1940 © MARKA/ Alamy Stock Foto Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

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DAVID I. KERTZER

DER PAPST, DER SCHWIEG

DER PAPST, DER SCHWIEG

PIUS XII. ist eine höchst umstrittene Persönlichkeit: Einerseits als »Hitlers Papst« verunglimpft, weil er nicht öffentlich gegen den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden protestierte, wird er andererseits von manchen Katholiken, die ihn gerne heiliggesprochen sähen, als heldenhafter Gegner des Faschismus und des Nationalsozialismus verklärt. Ein halbes Jahrhundert lang haben Wissenschaftler und jüdische Organisationen Druck auf den Vatikan ausgeübt, seine Archive für die Kriegsjahre zu öffnen, um die Kontroverse um die Bewertung Pius XII. beizulegen. »Der Papst, der schwieg« ist weltweit das erste Buch, das Tausende von Dokumenten aus diesen im März 2020 endlich geöffneten Archiven nutzt, um eine bisher unbekannte und in vielen Punkten schockierende Geschichte zu erzählen.

Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler

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