Die geheime Geschichte von Wonder Woman 9783406784569

Jill Lepores berühmtes, nun endlich auch auf Deutsch vorliegendes Buch ist ein Kabinettstück. Es erzählt die Geschichte

117 61 102MB

German Pages 566 Year 2022

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Motto
Inhalt
Die Splash Page
Erster Teil: Veritas
1. Hat Harvard Angst vor Mrs. Pankhurst?
2. Die amazonische Unabhängigkeitserklärung
3. Dr. Psycho
4. Jack Kennard, Feigling
5. Mr. und Mrs. Marston
6. Das experimentelle Leben
7. Maschine entdeckt Lügner, schnappt Gauner
8. Studien zu Zeugenaussagen
9. Frye und die Folgen
Zweiter Teil: Familienkreis
10. Herland
11. Die Rebellin
12. Die Frau und der neue Mensch
13. Die Boyette
14. Die Baby-Party
15. Eheglück
16. Die Gefühle normaler Menschen
17. Der Scharlatan
18. Venus mit uns
19. Fiction House
20. Der Duke of Deception
21. Herrschaft der Frau zur Tatsache erklärt
Dritter Teil: Paradiesinsel
22. Suprema
23. So schön wie Aphrodite
24. Die Justice Society of America
25. Der Milch-Schwindel
26. Die Wonder Women der Geschichte
27. Leidende Sappho!
28. Superprof
29. Die Comic-Gefahr
30. Liebe für alle
Epilog: Grosse Hera! Ich bin wieder da!
Nachwort: der Hyde-Detektor
Anhang
Quellen
Anmerkungen
Abbildungsnachweis
Personenregister
Bilddteil
Zum Buch
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Die geheime Geschichte von Wonder Woman
 9783406784569

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JILL LEPORE

DIE GEHEIME GESCHICHTE VON

WONDER WOMAN ★★★★★

JILL LEPORE DIE GEHEIME GESCHICHTE VON

WONDER WOMAN

★★★★★★★★★★★★★★★★★★★★★★

Aus dem Englischen übersetzt von Werner Roller

C.H.Beck

Die Originalausgabe des Buches ist 2014 unter dem Titel «The Secret History of Wonder Woman» bei Alfred A. Knopf, New York, erschienen

© Jill Lepore, 2014 Für die deutsche Ausgabe: © Verlag C.H.Beck oHG, München 2022 Umschlagentwurf: geviert.com, Christian Otto, nach dem Entwurf von Maggie Hinders Umschlagabbildung: Wonder Woman ist ™ und © DC Comics. Mit freundlicher Genehmigung der Smithsonian Institution Libraries, Washington, D. C. Satz: Fotosatz Amann, Memmingen ISBN Buch 978 3 406 78455 2 ISBN eBook (epub) 978 3 406 78456 9 ISBN eBook (PDF) 978 3 406 78457 6 www.chbeck.de Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Für Nancy F. Cott, die Geschichte schrieb ★★★★★

So schön wie Aphrodite – so klug wie Athene – so schnell wie Merkur und so stark wie Herkules – man kennt sie nur als Wonder Woman, aber niemand weiß zu sagen, wer sie ist oder woher sie kam!

All-Star Comics, Dezember 1941

Bei der gestern erfolgten Ankündigung, dass der beliebten Comic-Heldin «Wonder Woman» ab dem 22. Juli ein ganzes eigenes Heft gewidmet sein wird, teilte M. C. Gaines, der Verleger der in der Lexington Avenue 480 ansässigen All-American Comics, erstmals offiziell mit, dass der Autor von «Wonder Woman» Dr. William Moulton Marston ist, ein Psychologe von internationalem Ruf.

Pressemitteilung, All-American Comics, Frühjahr 1942

«Was ist der Grund dafür, mich mit Wonder Woman anzusprechen?»

Olive Byrne, in: Family Circle, August 1942

Wonder Woman war von Anfang an eine Figur, die auf Gelehrsamkeit beruhte.

The ΦBK Key Recorder, Herbst 1942 Wonder Woman ist, offen gesagt, psychologische Propaganda für den neuen Frauentyp, der meiner Ansicht nach die Welt beherrschen sollte.

William Moulton Marston, März 1945

INHALT

DIE SPLASH PAGE  13

★ ERSTER TEIL  1 2 3 4 5 6 7 8 9

VERITAS  19

Hat Harvard Angst vor Mrs. Pankhurst? . . . . . Die amazonische Unabhängigkeitserklärung . . Dr. Psycho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jack Kennard, Feigling . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mr. und Mrs. Marston . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das experimentelle Leben . . . . . . . . . . . . . . . . Maschine entdeckt Lügner, schnappt Gauner . Studien zu Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . Frye und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

ZWEITER TEIL 

21 35 49 61 75 81 91 99 111

FAMILIENKREIS  119

10 Herland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Die Rebellin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Die Frau und der neue Mensch . . . . . . . . . . . . 13 Die Boyette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 131 143

151 14 Die Baby-Party . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 15 Eheglück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 16 Die Gefühle normaler Menschen . . . . . . . . . . . 177

17 18 19 2 0

Der Scharlatan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Venus mit uns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiction House . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Duke of Deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Herrschaft der Frau zur Tatsache erklärt . . . . .

DRITTER TEIL 

GROSSE HERA!

ICH BIN WIEDER DA!  379 NACHWORT 

227 237

PARADIESINSEL  253

2 2 Suprema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3 So schön wie Aphrodite . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Die Justice Society of America . . . . . . . . . . . . 25 Der Milch-Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Die Wonder Women der Geschichte . . . . . . . . 27 Leidende Sappho! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Superprof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 9 Die Comic-Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 0 Liebe für alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

EPILOG 

189 203 213

DER HYDE-DETEKTOR  401

★ ANHANG QUELLEN  427 ANMERKUNGEN  433 ABBILDUNGSNACHWEIS  540 PERSONENREGISTER  542

255 263 279 289 301 317 337 355 371

Aus: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942

DIE SPLASH PAGE

WONDER WOMAN   ist die beliebteste Comic-Heft-Superheldin aller Zeiten.

Mit Ausnahme von Superman und Batman hat keine andere Comic-­ Figur eine so lange Geschichte. Wie alle anderen Superhelden verfügt auch Wonder Woman über eine geheime Identität. Im Unterschied zu allen anderen Superhelden verbirgt sich hinter ihr auch eine geheime Geschichte. Superman sprang erstmals 1938 über hohe Gebäude. Batman lag seit 1939 im Schatten auf der Lauer. Wonder Woman landete 1941 mit ihrem unsichtbaren Flugzeug. Sie war eine Amazone von einer Insel der Frauen, die seit den Zeiten des antiken Griechenland von Männern getrennt gelebt hatten. Sie kam in die Vereinigten Staaten, um für Frieden, Gerechtigkeit und Frauenrechte zu kämpfen. Sie trug goldene Armbänder; mit ihnen konnte sie Kugeln abwehren. Sie besaß ein magisches Lasso; wer mit diesem Lasso eingefangen wurde, musste die Wahrheit sagen. Um ihre wahre Identität zu verbergen, verkleidete sie sich als Sekretärin namens Diana Prince; sie arbeitete für den USMilitärgeheimdienst. Ihre Götter waren weiblich, und das waren auch ihre Ausrufe. «Große Hera!», rief sie. «Leidende Sappho!», fluchte sie. Sie sollte die stärkste, klügste, tapferste Frau sein, die die Welt je gesehen hatte. Sie sah aus wie ein Pin-up-Girl. 1942 wurde sie in die Justice Society of America aufgenommen und schloss sich Superman, Batman, The Flash und Green Lantern an; sie war die einzige Frau. Sie trug ein goldenes Diadem, ein rotes Bustier, blaue Shorts und kniehohe, rote Lederstiefel. Sie war ein bisschen verführerisch; sie war ziemlich speziell. Über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten, über Kontinente und Meere hinweg waren Wonder-Woman-Geschichten immer im Handel.

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DIE SPLASH PAGE



Wonder Woman, Tageszeitungs-Comicstrip, 12.–13. Mai 1944

Die Zahl ihrer Fans geht in die Millionen. Generationen von Mädchen trugen ihre Pausenbrote in Wonder-Woman-Lunchboxes zur Schule. Aber nicht einmal die leidenschaftlichsten Anhänger von Wonder Woman kennen die wahre Geschichte ihres Ursprungs. Sie ist ein Herzensgeheimnis. In einer Episode aus dem Jahr 1944 setzt ein Zeitungsredakteur ­namens Brown, der unbedingt Wonder Womans geheime Vorgeschichte aufdecken will, ein Team von Reportern auf sie an. Sie entkommt ihnen mühelos, rennt mit ihren hochhackigen Stiefeln schneller, als das Reporter-Auto fährt, und springt wie eine Antilope. Brown, vor Enthüllungseifer halb verrückt geworden, erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Wonder Woman, die Mitleid für ihn empfindet, verkleidet sich als Krankenschwester und bringt ihm eine Schriftrolle. «Dieses Pergament scheint die Geschichte der jungen Frau zu erzählen, die Sie ‹Wonder Woman› nennen!», sagt sie ihm. «Eine fremde, verschleierte Frau gab es mir.» Brown springt aus dem Bett und rennt im Patientenkittel zurück an seinen LokalchefSchreibtisch, wo er, die Schriftrolle schwenkend, brüllt: «Haltet die Druckerpressen an! Ich habe die Geschichte von Wonder Woman!»

DIE SPLASH PAGE



Brown ist übergeschnappt; er hält nicht die wirkliche Geschichte von Wonder Woman in Händen. Alles, was er hat, ist ihre AmazonenLegende. Dieses Buch bietet etwas anderes. Die geheime Geschichte von Wonder Woman ist das Ergebnis von jahrelangen Recherchen in Dutzenden von Bibliotheken, Archiven und Sammlungen, einschließlich des Nachlasses von Wonder Womans Schöpfer William Moulton Marston, von Dokumenten, die bis dahin nur Familienangehörige zu sehen bekommen hatten. Ich las zunächst das bereits veröffentlichte Material: Zeitungen und Zeitschriften, Fach- und wissenschaftliche Zeitschriften, Comicstrips und Comic-Hefte. Dann ging ich in die Archive. Dort fand ich nichts, was auf Pergament festgehalten war; ich fand ­etwas Besseres: Tausende Seiten von Dokumenten, Manuskripte und Typoskripte, Foto­grafien und Zeichnungen, Briefe und Postkarten, Gerichts­akten aus Strafprozessen, auf Buchränder gekritzelte Notizen, Anwaltsschriftsätze, medizinische Dokumente, unveröffentlichte Memoiren, Storyentwürfe, Skizzen, Studienbücher, Geburtsurkunden, Adoptionsunterlagen, militärische Dokumente, Familienalben, Sammelalben, Vorlesungsmitschriften, FBI-Akten, Filmdrehbücher, die sorgfältig g ­ etippten Protokolle von Treffen eines Sexkults und winzige, in einem Geheimcode verfasste Tagebücher. Haltet die Dru­ ckerpressen an. Ich habe die Geschichte von Wonder Woman. Wonder Woman ist nicht nur die Geschichte einer Amazonenprinzessin mit ausgefallenen Stiefeln. Sie ist das fehlende Glied in einer Kette von Ereignissen, die mit den Kampagnen für das Frauenwahlrecht in den 1910 er Jahren beginnen und mit dem unruhigen Standort des Feminismus ein volles Jahrhundert später enden. Der Feminismus schuf Wonder Woman. Und dann sorgte Wonder Woman für ein Remake des Feminismus, was für den Feminismus nicht vorbehaltlos gut war. Superhelden, die vermeintlich besser sind als alle anderen Lebewesen, sind hervorragend, wenn es darum geht, Widersacher zusammenzuschlagen; im Kampf um Gleichberechtigung haben sie eine miserable Bilanz. Aber Wonder Woman ist keine gewöhnliche Comic-Heft-Superheldin. Die Geheimnisse, die dieses Buch enthüllt, und die Geschichte, die es erzählt, verschaffen Wonder Woman nicht nur einen Platz in der

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DIE SPLASH PAGE

Wonder Woman, als Mann verkleidet, versucht den verletzten Steve Trevor vor Reportern zu verstecken. Aus «Racketeer’s Bait», einer unveröffentlichten, für Sensation Comics geschriebenen Story

Geschichte der Comic-Hefte und Superhelden, sondern rücken sie auch ins Zentrum der Geschichte von Wissenschaft, Recht und Politik. Superman macht Anleihen beim Science-Fiction-Genre, Batman steht in der Tradition des abgebrühten, nüchtern-sachlichen Detektivs. Wonder Woman hat Bezüge zum fiktionalen feministischen Utopia und zum Kampf für Frauenrechte. Ihre Ursprünge liegen in der Vergangenheit von William Moulton Marston und in den Lebensläufen der Frauen, die er liebte; auch sie schufen Wonder Woman. Wonder Woman ist keine gewöhnliche Comic-Heft-Figur, weil Marston kein gewöhnlicher Mann und seine Familie keine gewöhnliche Familie war. Marston war ein Universalgenie. Er war ein Experte für Täuschungen: Er erfand den Lügendetektor-Test. Er führte ein ungewöhnliches Privatleben: Er hatte vier Kinder von zwei Frauen; sie lebten zusammen unter einem Dach. Sie waren Meister in der Kunst der Verheimlichung.

DIE SPLASH PAGE



Ihr Lieblingsversteck waren die Comics, die sie produzierten. Marston war Gelehrter, Professor und Wissenschaftler; Wonder Woman begann auf einem College-Campus, in einem Vorlesungssaal und in einem Labor. Marston war Rechtsanwalt und Filmemacher; Wonder Woman begann in einem Gerichtsgebäude und in einem Kino. Die Frauen, die Marston liebte, waren Suffragetten, Feministinnen und Befürworterinnen von Verhütungsmitteln. Wonder Woman begann bei einem Protestmarsch, in einem Schlafzimmer und in einer Klinik für Empfängnisverhütung. Das rote Bustier ist noch nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Margaret Sanger, eine der einflussreichsten ­Feministinnen des 20. Jahrhunderts, war, ohne dass die Welt davon gewusst hätte, ein Teil von Marstons Familie. Wonder Woman hat sehr lange für Frauenrechte gekämpft. Es waren hart geführte, aber nie gewonnene Kämpfe. Dies ist die Geschichte ihres Ursprungs – der Stoff, aus dem Wunder und auch Lügen sind.

17

★ ERSTER TEIL ★

VERITAS

Aus: «In the Clutches of Nero», in: Sensation Comics Nr. 39, März 1945

1

HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?

WILLIAM MOULTON MARSTON ,  der die Ansicht vertrat, dass Frauen die

Welt beherrschen sollten, beschloss im unnatürlich jungen und ganz und gar ungestümen Alter von 18  Jahren, dass der Zeitpunkt des ­Todes für ihn jetzt gekommen sei. Er war in jeder Hinsicht frühreif. Zur Welt gekommen war er jedoch bemerkenswert spät, jedenfalls dachte das seine Mutter; jahrelang hatte sie unter erheblichem Druck gestanden, einen Stammhalter zu produzieren. Sie war eine von fünf Schwestern; ihr einziger Bruder war 1861 gestorben, und ihr gram­ gebeugter Vater hatte danach nördlich von Boston einen von Türmchen überragten mittelalterlichen Landsitz errichten lassen, wo er sich im höchsten dieser mit Zinnen versehenen neogotischen Türme in seiner Bibliothek vor der Welt verschloss, um die Moulton Annals zu verfassen, eine Abhandlung, in der er seine Familiengeschichte bis zur 1066 ausgetragenen Schlacht von Hastings zurückverfolgte. Ein Moulton hatte die Magna Charta unterzeichnet; ein weiterer – «er war schlank, hatte eine breite Brust, lange Arme, gute Lungen und starke Glied­maßen» – war durch die Seiten von Sir Walter Scotts Tales of the Crusaders gestapft. Der Chronist, ein furchtsamer Veteran des Amerikanischen Bürgerkriegs, kam, gemessen an der Kühnheit solcher Männer, kaum umhin, seine eigenen Heldentaten als enttäuschend zu bewerten. («Captain Moultons Unternehmungsgeist wurde bei seinem Versuch deutlich, ein großes Wagenbau-Unternehmen aufzubauen»,

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ERSTER TEIL: VERITAS



Moulton Castle, Newburyport, Massachusetts

schrieb er zaghaft über sich selbst.) Und je weiter seine Recherchen voranschritten, desto heftiger verzweifelte er an seinen Nachkommen: Mädchen mit schwankenden Hochsteckfrisuren, die in Wespentaillen-Kleidern mit Spitzenbesatz müßiggängerisch über die Parkett­ böden von Moulton Castle glitten. Susan und Alice blieben lebenslang unverheiratet; Claribel und Molly ließen sich Zeit. Blieb nur noch ­Annie, eine ledige Lehrerin. Im Jahr 1887 heiratete sie Frederick William Marston, einen Kaufmann für hochwertige Wollstoffe für Herrenanzüge; er war, so wurde getuschelt, eine nicht standesgemäße Partie für sie. Und so begab es sich, dass Captain Moulton bei der Erbfolge in einer Ahnenreihe, die bis zu den Tagen der normannischen Eroberung zurückreichte, auf diese wenig verheißungsvolle Verbindung setzte. Endlich, im vorgerückten Alter von 34 Jahren, gebar ­Annie Moulton Marston im Jahr 1893 ein Baby, einen Sohn. Sie nannten ihn William. Den Eroberer.1 Man könnte sagen, dass es ein Verrat war und zugleich im Geist dieser romantischen Anfänge, als der 18-jährige William Moulton Marston, ein Student des Harvard College, sich bei einem Chemiker in Cambridge ein Fläschchen mit Blausäure beschaffte, mit dem er sein Leben zu beenden gedachte.

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



Die Moulton-Schwestern im Schloss, 1885. Von links: Susan, Claribel, Molly, Alice und Annie

Zur Welt gekommen war er in einem dreistöckigen viktorianischen Haus in der Avon Street in Cliftondale, Massachusetts. Er wurde zärtlich, ja abgöttisch geliebt. Seine Mutter wie auch seine Tanten, deren Aufmerksamkeit er mit niemandem teilen musste, widmeten ihm großzügig ihre Zeit, zogen ihn auf den Schoß. Das Sonntagsmahl nahm er in Moulton Castle ein. Er liebte es, den Abstand zwischen dem Echten und dem Imitat zu ermitteln; er sammelte ausgestopfte Vögel. Seinen ersten Schulpreis gewann er im Alter von sieben Jahren. Er hatte literarische Ambitionen: Er schrieb Gedichte, Geschichten und Theaterstücke.2 Seine Mutter machte Anzeichen von Genialität an ihm aus. Die Selbstmordphilosophie seiner Jugendzeit ist das, was entsteht, wenn ein von der Beobachtungsgabe genährter Pragmatismus sich im Kopf eines sehr schlauen Kindes einnistet, der von den Eltern nicht hinterfragt wird. Ein Nachbar der Marstons in der Avon Street schaute eines Tages in den Badezimmerspiegel, sagte «Was soll’s» und schnitt sich die Kehle durch.3 Der Knabe Marston ließ sich dieses Ereignis

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ERSTER TEIL: VERITAS

durch den Kopf gehen. «Seit ich zwölf war und bis Ende zwanzig glaubte ich fest an den Selbstmord», erklärte er später. Wenn Erfolg mühelos erreichbar war, sinnierte er, war das Leben lebenswert; wenn nicht, «war das einzig Vernünftige, Schluss zu machen».4 Er kam keineswegs schon früh in Versuchung, Schluss zu machen: Alles, was er ausprobierte, geriet ihm zum Triumph. Er wurde groß und sah verteufelt gut aus, auch wenn die Ohren abstanden. Sein Haar war dunkel und lockig, das Kinn war breit und hatte Grübchen. Er wuchs vom Löwenbaby zum Löwen heran. In der achten Klasse der FelWilliam Moulton Marston, 1894 ton Grammar School verliebte er sich in ein aufgewecktes, spindeldürres Mädchen namens Sadie Elizabeth Holloway. Sadie war außerordentlich klug. Sie war von der Isle of Man nach Neuengland gekommen. Sie war eine Manx. Im da­ rauffolgenden Schuljahr wurde er zum Klassenpräsidenten und sie zur Klassensekretärin gewählt; weder für sie noch für ihn wäre ein anderes Ergebnis auch nur vorstellbar gewesen.5 Vielleicht sagte er schon zu diesem Zeitpunkt zu ihr, dass sie ihren ersten Sohn Moulton nennen würden. An der Malden High School wurde Marston zum «Klassenhistoriker», zum Präsidenten der Literary Society und zum Chefredakteur des Oracle gewählt, der Schüler-Literaturzeitschrift. Für seine Geschichte der Klasse wählte er die Form eines Gesprächs mit Klio, der Muse der Geschichtsschreibung, «sie, die erste aller Nymphen, die Zeus entsprang». Er leitete eine Debatte zum Thema Frauenwahlrecht.

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



Er spielte Football, als 1,82  Meter großer, 83 Kilo schwerer Left Guard. Mit seiner Mannschaft gewann er in seinem Abschlussjahr die Staatsmeisterschaft. Als Charles  W. Eliot, der emeritierte Präsident der Harvard University, an seine Schule kam, um vor der Abschlussklasse eine Rede zu halten, entschied Marston, wo seine Bestimmung lag. «Die Auswirkungen Harvards auf das weitere Leben eines Mannes sind nicht abschätzbar», schrieb er im Oracle.6 In seiner Bewerbung fürs College schrieb er in die Marston als Erstsemester in Harvard, ­Rubrik «Berufswunsch» nur ein 1911 Wort: «Law», Rechtswissenschaft.7 Er hegte nicht den Schatten eines Zweifels an seiner Zulassung zum Studium. Im September 1911 zog er nach Cambridge und schleppte dort ­einen mit Anzügen und Büchern vollgestopften Koffer in ein enges Zimmer in einem Boardinghouse an der Ecke Hancock Street und Broadway, östlich von Harvard Yard, und dann stieß er zum ersten Mal auf ein Hindernis. «Ich musste einen Haufen Kurse belegen, die ich hasste», erklärte er. «Englisch A: Rhetorik und Aufsatzlehre» war ein Pflichtkurs für Studienanfänger. «Ich wollte schreiben, und im Englisch-A-Kurs in Harvard durfte man nicht schreiben», klagte er. «Man übte dort Rechtschreibung und Zeichensetzung. Schrieb man dort irgendetwas, das sich wie Schreiben anfühlte, und genoss man das Schreiben, wurde die Arbeit mit Rotstift als ungenügend bewertet.»8 «Während meines ersten Studienjahrs beschloss ich, dass die Zeit zum Sterben jetzt gekommen war», schrieb er.9 Englisch A hatte ihn niedergeschmettert. Aber der Kurs, der ihn von der Notwendigkeit des Selbstmords überzeugte, war «Geschichte  I: Geschichte des Mittel­

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ERSTER TEIL: VERITAS

alters», unterrichtet von Charles Homer Haskins.10 Haskins, der einen mit Bartwachs gepflegten gezwirbelten Schnauzbart trug, war der ­Dekan der Graduate School für höhere Fachsemester. Sein wissenschaft­ liches Interesse galt der mittelalterlichen Scholastik, dem Thema seiner Monografie The Rise of Universities. Zu einem späteren Zeitpunkt gründete er den American Council of Learned Societies. In Professor Haskins’ Mittelalter ging es nicht halb so draufgängerisch zu wie in Captain Moultons Annals: Haskins zog die Gelehrten den Rittern vor. Die Geschichte stellt uns Fragen zum Wesen der Wahrheit. In einer Vorlesung, die Haskins für Studienanfänger hielt, unterschied er das Studium der Vergangenheit von der Untersuchung der Natur. «Der Biologe beobachtet Pflanzen und Tiere; der Chemiker oder Physiker nimmt in seinem Labor unter von ihm beherrschbaren Bedingungen Experimente vor», sagte Haskins. «Im Gegensatz dazu kann der Historiker nicht experimentieren und nur selten beobachten.» Stattdessen müsse der Historiker sein eigenes Beweismaterial zusammenstellen, und das immer in dem Wissen, dass manches davon nutzlos und vieles unzuverlässig sei.11 Haskins liebte es, die mit Krempel vollgestopften Schubladen der Vergangenheit zu durchstöbern und dabei auf die Edelsteine unter den Glasscherben zu stoßen. Für Marston sah alles, was in der Schublade steckte, wie nutzloser Plunder aus. «Es interessierte mich nicht, wer die Schwester der Urgroßmutter von Karl dem Großen geheiratet hatte, und ich wollte auch nicht wissen, wo Philipp an dem Tag, an dem er dem Papst einen Brief schrieb, gefrühstückt hatte», erklärte Marston. «Damit will ich nicht sagen, dass solche Tatsachen uninteressant sind, sondern nur, dass sie mich nicht interessierten und dass ich sie lernen musste. Also traf ich Vorkehrungen, um mir eine gewisse Menge Blausäure bei einem Chemiker-Freund zu besorgen.»12 Blausäure tötet innerhalb von weniger als einer Minute. Sie riecht nach Bittermandeln. Sie ist außerdem das Gift, das Henry Jekyll in Dr. Jekyll und Mr. Hyde, einer 1886 veröffentlichten Geschichte, benutzt, um sich selbst umzubringen. Marston hatte sie noch im Jungenalter in seinem Zimmer in der Avon Street gelesen, eine Geschichte über einen Mann, der zum Ungeheuer wird.13

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



Es war das Studium der Existenz selbst, das Marstons Hand mit dem Giftfläschchen innehalten ließ. Es gab einen Kurs, den er liebte: «Philosophie A: Philosophie der Antike». Der Kursleiter war George Herbert Palmer, der gesundheitlich angeschlagene, von einer Sehschwäche geplagte, 69-jährige Alford-Professor der Philosophie und Vorsitzende der Philosophischen Fakultät Harvards. Palmer hatte dünnes, langes, weißes Haar, buschige schwarze Augenbrauen, blaue ­Augen und einen Walrossbart. Er wohnte in der Quincy Street Nr. 11, wo er sich nach seiner Frau verzehrte, Alice Freeman Palmer, die Präsidentin des Wellesley College gewesen war und sich für die Frauenbildung und das Wahlrecht für Frauen eingesetzt hatte. Sie war 1902 gestorben. Er weigerte sich, seine Trauerzeit zu beenden. «Die Toten ganz und gar dem Tod zu überlassen gehört sich nicht», bemerkte er und klang dabei sehr vernünftig.14 Palmer hatte zu Beginn seiner Laufbahn eine glänzende Übersetzung der Odyssee vorgelegt – er habe mit dieser Arbeit zeigen wollen, erklärte er, «dass die Geschichte, im Unterschied zu einem bloßen Tatsachenbericht, durchgehend, wie Poesie, von einem Grundton der Freude erhellt wird» –, aber sein Hauptbeitrag zum Fortschreiten der Philosophie bestand darin, William James, Josiah Royce und George Santayana davon überzeugt zu haben, sich einer Institution anzuschließen, die schließlich als «The Great Department» bekannt wurde: Harvards Philosophischer Fakultät.15 Nach Palmers Überzeugung bestand der Schlüssel zum Lehrerfolg in der moralischen Vorstellungskraft, «der Fähigkeit, mich selbst in ­einen anderen Menschen hineinzuversetzen, seine Gedanken zu denken und seine Überzeugungen energisch zu vertreten, selbst wenn sie nicht meine eigenen sind». Er «unterrichtete in Blankversen und machte den griechischen Hedonismus zu einer kraftvollen, lebendigen Angelegenheit», sagte Marston.16 Der Philosophie-A-Kurs begann im Herbst 1911 mit einer Geschichte der Philosophie selbst. Marston hörte hingerissen zu, als Palmer zu seinen Schülern sagte: «Laut Aristoteles hat der Aufstieg der Philosophie drei einflussreiche Ursachen: Freiheit, Freizeit und Staunen.» Palmer schwärmte wochenlang von den Griechen: Seiner Ansicht nach waren sie Genies der Dialektik und Rhetorik. Nach Thanks-

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ERSTER TEIL: VERITAS

Aus «Wonder Women of History: Susan B. Anthony», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943

giving referierte er über Platons Politeia; im Dezember erläuterte er, dass «man», der Mensch, «ein vernünftiges Wesen in einem sinn­ lichen, physischen Körper» sei, und betonte zugleich, was er häufig tat, dass er mit «man» sowohl Männer als auch Frauen meine. Er fixierte seine Kursgruppe von Harvard-Männern mit strengem Blick. «Auch Mädchen sind menschliche Wesen», sagte er ihnen, «das ist ein häufig übersehener Punkt!!»17 Die Gleichberechtigung der Frau war ein erstrangiges Anliegen von Palmers intellektuellem und politischem Engagement, und auf diese Art pflegte er zugleich auch die Erinnerung an seine verstorbene Frau. George Herbert Palmer, der Marston das Leben rettete, war ein unterstützender Fakultätssponsor der Harvard Men’s League for Woman Suffrage. Die amerikanische Bewegung für das Frauenwahlrecht geht auf das Jahr 1848 zurück, in dem in Seneca Falls im Bundesstaat New York die erste Versammlung für Frauenrechte stattfand (diese Geschichte wird in Wonder Woman später noch erzählt), bei der die Delegierten eine von Elizabeth Cady Stanton verfasste «Declaration of Sentiments» verabschiedeten, deren Wortlaut sich an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung anlehnte: «Diese Wahrheiten erachten wir als selbst-

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



verständlich: dass alle Männer und Frauen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.» Die Erklärung verlangt, dass die Frauen «sofortigen Zugang zu allen Rechten und Vorrechten ­ haben sollen, welche ihnen als Bürgerinnen der Vereinigten Staaten zustehen».18 Die amerikanischen Suffragetten wurden zu Beginn des 20.  Jahrhunderts militant. Die britische Suffragette Emmeline Britische Suffragetten ketten sich an Pankhurst hatte sie inspiriert. den Zaun vor Downing Street Nr. 10. Pankhurst gründete 1903 die Aus den Illustrated London News, 1908 Women’s Social and Political Union. Ihr Motto lautete «Taten, keine Worte». Pankhurst landete für den Versuch, beim Unterhaus eine Petition einzureichen, im Gefängnis. Suffragetten ketteten sich an den eisernen Zaun vor dem Amtssitz des Premierministers in der Downing Street Nr. 10. «Die Lage unseres Geschlechtes ist so beklagenswert, dass es unsere Pflicht ist, gegen das Gesetz zu verstoßen, um Aufmerksamkeit für die Gründe zu gewinnen, aus denen wir das tun, was wir tun«, betonte Pankhurst.19 «Der Vorfall mit den Suffragetten, die sich mit eisernen Ketten an den Zaun von Downing Street banden, ist eine gute ironische Allegorie des allermodernsten Märtyrertums», stellte G. K. Chesterton fest und sagte voraus, dass diese Taktik scheitern werde.20 Er irrte sich. Die Harvard Men’s League for Woman Suffrage wurde im Frühjahr 1910 von John Reed (damals ein Senior Student) und von einem Studenten der Harvard Law School gegründet, der von Max Eastman für diese Sache gewonnen worden war, einem Graduate Student der Colum­

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ERSTER TEIL: VERITAS

bia University, der seinerseits bei der Gründung einer Men’s League for Woman Suffrage in New York mitgewirkt hatte. Die Harvard Men’s League for Woman Suffrage kündigte im Herbst 1911 eine Vortragsreihe an. Den ersten Vortrag sollte am 31. Oktober Florence Kelley halten, die für die Einführung eines Mindestlohns, den Acht-Stunden-Arbeitstag und für ein Verbot von Kinder­ arbeit gekämpft hatte. Die Ankündigung löste e­inen Tumult aus: Frauen war es untersagt, in Harvard als Rednerinnen aufzutreten. Abbott Lawrence Lowell, Verhaftung von Emmeline Pankhurst der Präsident der Universität, vor dem Buckingham-Palast, 1914 sagte, er befürchte «einen Mob von Frauen, der im Yard umhermarschiert». Die veranstaltende League reichte bei der Harvard Corporation eine Petition ein, und die Universitätsleitung entschied, dass Kelley unter der Bedingung vortragen durfte, dass der Zutritt zur Veranstaltung nur für Universitätsangehörige möglich war und allen Außenstehenden verwehrt blieb.21 Die League akzeptierte das. In ihrem Vortrag betonte Kelley dann, dass die Lebensbedingungen der armen Arbeiterschaft nicht verbessert werden könnten, wenn den Frauen das Wahlrecht verwehrt bliebe.22 Die Corporation, eifrig bestrebt, ihre Universität nicht in den Ruf einer Befürworterin des Frauenwahlrechts geraten zu lassen, ver­ langte von der League, als nächsten Gast jemanden einzu­laden, der oder die sich gegen das Frauenwahlrecht aussprach.23 Die League kündigte jedoch als nächste Gastrednerin ausgerechnet Emmeline Pankhurst an. Vorgesehen war eine Rede Pankhursts im Sanders Theatre, dem (mit 1000  Plätzen) größten und prestigeträchtigsten Veranstaltungs-

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



saal auf dem Campus. Die entsetzte Corporation erließ umgehend ein Auftrittsverbot für Pankhurst auf dem gesamten Campus und hielt darin fest, dass ungeachtet der zuvor erteilten Ausnahmegenehmigung für Kelley «die Veranstaltungssäle des Colleges nicht für Vorträge von Frauen zur Verfügung stehen sollten».24

★ «Hat Harvard Angst vor Mrs. Pankhurst?», fragte die Redaktion der Detroit Free Press. (Die Antwort war: Ja.) Die Nachricht sorgte überall in den Vereinigten Staaten für Schlagzeilen. Die meisten Zeitungen schlugen sich auf die Seite der Suffrage League. «Die Frage des all­ gemeinen Wahlrechts hat nun die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wie niemals zuvor in unserer Geschichte», schrieb die Atlanta Constitution. «Sie ist ein legitimes Diskussionsthema, ein Thema, zu dem der junge und bildsame Verstand mit Recht nach Informationen verlangt.» Der Editorial Board der New York Times stand mit seiner Zustimmung zur Entscheidung der Harvard-Leitung, die er mit dem Argument begründete, dass «das Frauenwahlrecht nicht zum Lehrplan von Harvard gehört», nahezu alleine da.25 In Cambridge war die Wahlrechtsfrage in aller Munde. «Die Undergraduate-Studenten sind in zwei Lager gespalten, in die ‹Sufs› und die ‹Antis›», berichtete die New York Times. «Das Frauenwahlrecht und das Vorgehen der Corporation sind im Seminarraum, im Vorlesungssaal, auf dem College-Gelände und in der Harvard Union das Haupt­ gesprächsthema.»26 Die Corporation hatte entschieden, dass Pankhurst nicht auf dem Campus sprechen durfte; die Universitätsleitung konnte jedoch nicht verhindern, dass die Rednerin in Cambridge auftrat. Die League gab bekannt, dass ein Auftritt Pankhursts in Brattle Hall vereinbart worden sei, einem Tanzsaal in der Brattle Street Nr. 40, der nur einen Häuserblock vom Harvard Yard entfernt war. Der Verleger der New York Evening Post, ein prominenter Harvard-Absolvent, forderte die Studenten auf, möglichst zahlreich zu dieser Veranstaltung zu erscheinen, «zum einen als Wiedergutmachung für die beklagenswerte Fehlentscheidung der Universität, und dann, um eine der fähigsten Rednerin-

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ERSTER TEIL: VERITAS

nen unserer Zeit zu hören«. Zu Pankhursts Vortrag, der am Nachmittag des 6. Dezember stattfand, waren nur Studenten und Studentinnen von Harvard und Radcliffe zugelassen; für den Zutritt war eine Eintrittskarte erforderlich. Der Saal wurde gestürmt: 1500  Studentinnen und Studenten erschienen vor einem Veranstaltungssaal, der nicht mehr als 500  Personen fasste. Sie kletterten die Wände hoch und verDr. Poison. Aus: «Dr. Poison», in: suchten, durch die Fenster einSensation Comics Nr. 2, Februar 1942 zusteigen.27 Pankhurst zeigte sich bei diesem Auftritt so streng wie eh und je. «Der vollkommen unwissende junge Mann, der nichts über die Bedürfnisse von Frauen weiß, hält sich selbst für einen kompetenten Volksvertreter, weil er ein Mann ist», sagte Pankhurst zu ihrem Publikum und musterte dabei die Männer von Harvard. «Diese aristokratische Haltung ist ein Fehler.»28 Marston war fasziniert. Er war begeistert. Er war aufgewühlt. Angesichts einer Revolution, die sich hier, direkt vor seiner Haustür, ­abspielte, brachte er für Professor Haskins’ Mittelalter kein Interesse mehr auf. «Zur Prüfungszeit in der Jahresmitte traf ich die endgültige Entscheidung, meine Existenz zu beenden», erklärte er. Doch dann kam ihm der Gedanke, er sollte vielleicht zu den Prüfungen antreten, «um festzustellen, wie schlecht ich dabei abschnitt».29 George Herbert Palmer überreichte den Teilnehmern des Philosophie-A-Kurses am Prüfungstag die Fragen mit einem Ratschlag: «Ein Wissenschaftler geht eine Aufgabe um seiner selbst willen an, nicht für jemand anderen, wie das ein Schuljunge tut.»30 Marston nahm sich das zu Herzen. Er glänzte bei der Prüfung. Palmer, der so gut wie nie Bestnoten vergab, gab Marston eine Eins.31 Der 18 Jahre alte William Moulton Marston schluckte danach nicht den Inhalt dieser Blausäure-Phiole. Aber er vergaß sie niemals. Noch

1. HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?



vergaß er Emmeline Pankhurst und ihre Handschellen. Als Marston 30  Jahre später eine Comic-Superheldin schuf, die für Frauenrechte kämpft («Wonder Woman, Wonder Woman! Sie stellt diese Männerwelt auf den Kopf!»), besteht deren einzige Schwäche darin, dass sie all ihre Kraft verliert, wenn ein Mann sie in Ketten legt. Und dem ersten Schurken, mit dem sie es zu tun bekommt, wird nachgesagt, dass er eine Zyanid-Bombe entwickle. Sein Name ist Dr. Poison.32

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DIE AMAZONISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG

SADIE ELIZABETH HOLLOWAY ,  die sich gerne als Junge ausgab, war das

erste Mädchen in vier Generationen der Familie Holloway. Sie wurde nach ihren Großmüttern benannt. Geboren wurde sie 1893 auf der Isle of Man, im gleichen Jahr, in dem auch William Moulton Marston auf der anderen Seite des Ozeans zur Welt kam. Ihr Großvater, ein Engländer namens Joseph Goss, war der Kapitän von Königin Victorias Jacht; als auf diesem Schiff eines Tages der König von Spanien über Bord fiel, rettete Goss ihm das Leben und wurde für diese Tat geadelt; ab diesem Zeitpunkt wurde er Don José de Gaunza genannt. Ihre Mutter Daisy heiratete einen amerikanischen Bankangestellten namens William George Washington Holloway. Als Sadie fünf Jahre alt war, wanderten die Holloways nach Amerika aus. In den Sommerferien kehrte sie in die alte Heimat zurück. Ihren Manx-Akzent gab sie nie auf. Sie war wild und sie war wählerisch. Hauptsächlich war sie furchtlos. Sie hatte einen kleinen Bruder; den kommandierte sie gern herum. Die Holloways lebten in Massachusetts zunächst in einer Pension auf dem Beacon Hill, anschließend dann in einem am Meer gelegenen Cottage in Revere, bevor sie sich schließlich in Cliftondale niederließen, in einem Haus in der Morton Avenue, wo sie Wasserleitungen ­installierten und alle Fensterscheiben durch Buntglasfenster ersetzten. Sadie besaß eine orangefarbene gescheckte Katze namens Sandy Ale­ xander MacTabish. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Pearl führte

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Aus: «Introducing Wonder Woman», in: All-Star Comics Nr. 8, Dezember 1941/Januar 1942

sie Theaterstücke auf. Sadie übernahm immer sämtliche Jungen-Rollen, weil sie Kleidungsstücke besaß, die als Hosen durchgingen: «Ich war die Einzige, die Pyjamas hatte.» In der Morton Avenue gab es gegenüber dem Haus der Holloways einen Blumenladen. Er roch nach Jasmin. Zwei Türen weiter lebte eine irische Familie. «Die beiden Jungen in dieser Familie warfen einmal meinen Bruder zu Boden und prügelten auf ihn ein«, erzählte Sadie in einer Geschichte, die sie gerne zum Besten gab. «Ich sprang ihnen auf den Rücken und knallte ihre Köpfe aufs Pflaster.» Aber ihre eindringlichste Erinnerung an das Aufwachsen in der Morton Avenue war mit dem Tag verbunden, an dem die Mutter dieser Jungen sich versehentlich selbst tötete, als sie ihren Gebärmutterhals mit einem Stück Draht durchbohrte, weil sie ein Kind abtreiben wollte, das auszutragen sie sich ihrer eigenen Einschätzung nach nicht leisten konnte.1 Wonder Woman stammte nicht von der Isle of Man, sondern von

2. DIE AMAZONISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG



Wonder Woman, Tageszeitungsstrip, 16. August 1944

der Insel der Frauen. «In den Tagen des antiken Griechenland, vor vielen Jahrhunderten, waren wir Amazonen die führende Nation der Welt», erklärt Hippolyte ihrer Tochter, Prinzessin Diana, in der ersten Wonder-Woman-Story, die Marston jemals schrieb. «In Amazonia herrschten Frauen, und alles war gut.» Doch leider war das nicht von Dauer. Nachdem Hippolyte Herkules besiegt hatte, den stärksten Mann der Welt, stahl er ihren magischen Gürtel, ein Geschenk, das sie von Aphrodite, der Göttin der Liebe, erhalten hatte. Ohne den Gürtel verlor Hippolyte all ihre Kraft, und die Amazonen wurden von den Männern versklavt und in Ketten gelegt. Sie entkamen erst, nachdem sie gelobt hatten, für immer von Männern getrennt zu leben. Sie befuhren den Ozean, bis sie an einen auf keiner Landkarte verzeichneten Ort gelangten, dem sie den Namen Paradiesinsel gaben. Dort lebten sie, mit dem Geschenk des ewigen Lebens gesegnet, jahrhundertelang – bis eines Tages Captain Steve Trevor, ein Offizier der U. S. Army, mit seinem Flugzeug auf der Insel abstürzte. «Ein Mann!», ruft Prinzessin Diana aus, als sie ihn findet. «Ein Mann auf der Paradiesinsel!»

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Sie trägt ihn wie ein Baby auf ihren Armen. Sie verliebt sich in ihn. Hippolyte wendet sich an die Götter. «Du musst ihn nach Amerika zurückbringen lassen, um die Kräfte des Hasses und der Unterdrückung zu bekämpfen», rät Aphrodite. «Du musst ihm deine stärkste und klügste Amazone mitgeben», nach «Amerika, der letzten Zitadelle der Demokratie und der Gleichberechtigung für Frauen», sagt Athene, die Göttin des Krieges. Als stärkste und klügste Amazone erweist sich natürlich Hippolytes Tochter, die Trevor dann mit ihrem unsichtbaren Flugzeug in die Vereinigten Staaten bringt, «um ihm beim Kampf für Freiheit, Demokratie und das weibliche Geschlecht zu helfen!»2 Sie bringt ihn in ein Militärkrankenhaus. Nach seiner Genesung folgt sie ihm ins Hauptquartier des US-Militärgeheimdienstes, wo sich Prinzessin Diana dann als Diana Prince ausgibt, als spröde, bebrillte Sekretärin. Diktate notiert sie mit griechischen Schriftzeichen, was mehr als einmal fast zu ihrer Enttarnung führt. «Das ist keine Kurzschrift!», ruft eine andere Sekretärin. «Das ist kein Gregg, kein Pitman und auch kein anderes Steno-System.» Diana: «Das ist, äh, Amazonisch.»3 Sadie Elizabeth Holloway lernte William Moulton Marston kennen, als sie beide in einer Grammar School in Cliftondale in der 8. Klasse waren. Später zogen die Holloways ins südlich von Boston gelegene Dorchester. Sadie lernte an der Dorchester High School Griechisch. Ihre Mutter schenkte ihr zum 16. Geburtstag John Ruskins Buch Sesame and Lilies. «Die Erziehung eines Mädchens [müsste], in Gang und Material des Studiums, beinahe dieselbe sein wie die eines Knaben», lautete Ruskins Rat.4 Nach ihrem High-School-Abschluss ging Sadie zum Studium ans Mount Holyoke College in South Hadley, Massachusetts, ans erste Frauen-College in den Vereinigten Staaten. Die Ausbildung von Frauen war bis jetzt ein Novum. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte man Mädchen üblicherweise noch nicht einmal das Lesen und Schreiben beigebracht. In der neuen Nation begannen sich die Vorstellungen zur Erziehung von Mädchen zu verändern; in einer Republik mussten Frauen über ein hinreichendes Weltwissen verfügen, um Söhne zu tugendhaften Staatsbürgern erziehen zu können. Mount Holyoke wurde 1837 gegründet. Es fehlte nicht an Kritikern, die die Studentinnen dieser Einrichtungen davor warnten,

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sich in versponnenen Vorstellungen über Gleichheit zu verlieren. Ein Student eines benachbarten Theologischen Seminars namens C. Hartwell verlas am 4. Juli 1851 bei einer Festveranstaltung zum 75. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung vor den versammelten Studentinnen von Mount Holyoke eine von ihm selbst verfasste Parodie auf Elizabeth Cady Stantons «Declaration of Sentiments» von 1848. Er gab ihr den Titel «Amazonian Declaration of Independence». «Wir erachten diese Wahrheiten als intuitiv und unbestreitbar, dass alle Männer und Frauen frei und gleich geschaffen sind», las Hartwell vor und fand das sehr lustig.5 Die Suffragetten hielten die Amazonen allerdings nicht für lächerlich; für sie waren Amazonen erstaunliche Wesen. Seit der Zeit Homers hatte man sich unter einer Amazone eine Angehörige eines sagen­ umwobenen griechischen Volkes von Kriegerinnen aus fernen Zeiten vorgestellt, das von der Männerwelt getrennt lebte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren einige Suffragetten, inspiriert von der Arbeit männlicher Anthropologen, zu der Überzeugung gelangt, dass es ein Land der Amazonen – ein uraltes Matriarchat in der Zeit vor dem Aufstieg des Patriarchats  – tatsächlich einmal gegeben hatte.6 «Die Zeit der Vorherrschaft der Frau dauerte viele Jahrhunderte lang – unumstritten und als natürlich und angemessen akzeptiert, wo auch immer sie existierte, und man nannte sie Matriarchiat oder Mutter-Herrschaft», erklärte Elizabeth Cady Stanton im Jahr 1891.7 Junge Amerikanerinnen gingen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in größerer Zahl aufs College. Viele von ihnen, auch Sadie Holloway, entschieden sich für Frauen-Colleges, für eine der vor 1889 gegründeten «Sieben Schwestern»: Mount Holyoke, Barnard, Bryn Mawr, Radcliffe, Smith, Vassar und Wellesley. (Auch Wonder Woman gründet eine Mädchen vorbehaltene Schule: Wonder Woman College.) Andere entschieden sich für koedukative Ausbildungsstätten. Im Jahr 1910 gingen vier Prozent der amerikanischen Bevölkerung im Alter von 18 bis 21 Jahren aufs College; bis zum Jahr 1920 stieg dieser Anteil auf acht Prozent, und 40 Prozent davon waren Frauen.8 Als Sadie Holloway 1911 ihre Koffer für Mount Holyoke packte, stand das Wort «Amazone» für jede Art von weiblicher Rebellion – viele Menschen verbanden damit eine junge Frau, die ihr Elternhaus

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Aus: «The Adventure of the Life Vitamin», in: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943

verließ, um aufs College zu gehen. «Neue Frauen» wurden sie genannt, und sie wollten genauso frei sein wie die Männer: Amazonen, allesamt. Sadie Holloway hatte weit auseinanderstehende blaue Augen und war 1,52 Meter groß. Sie war ernst und stoisch und verschlossen. In Mount Holyoke trug sie ihr langes, dunkles, welliges Haar in einer Hochsteckfrisur à la Gibson-Girl. Sie trug bis zu den Fußknöcheln reichende weiße Kleider mit Spitzenbesatz; die Ärmel rollte sie bis über die Ellenbogen auf. Sie trat der Debating Society bei, dem Philosophie-Klub, dem Baked-Bean-Klub und dem Chor. Sie arbeitete für die Studentinnen-Zeitschrift Mount Holyoke. Sie war mutig; sie war unerschrocken: Sie spielte Hockey.9 Das Recht auf Bildung war ebenso hart umkämpft wie das Wahlrecht; das erste Ziel musste erreicht werden, bevor das zweite durchgesetzt werden konnte. «Die Zeit wird kommen, in der einige von uns ebenso ungläubig auf die Argumente zurückblicken werden, die gegen die Gewährung des Wahlrechts für Frauen vorgebracht wurden,

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wie wir jetzt das lesen, was gegen ihre Ausbildung geschrieben wird», sagte Mary Woolley, die Präsidentin von Mount Holyoke, in einer Rede, die sie 1906 bei der National American Woman Suffrage Convention hielt.10 Woolley war eine unermüd­ liche Verfechterin von Frauenrechten. Inez Haynes Gillmore, eine Radcliffe-Absolventin, hatte im Jahr 1900 die College Equal Suffrage League gegründet, die erste Organisation, die an Colleges für das Frauenwahlrecht eintrat. Woolley beteiligte sich 1908 an der Ausweitung dieser KamSadie Elizabeth Holloway als Studentin pagne auf die nationale Ebene in Mount Holyoke, 1915 und wirkte bei der Gründung der National College Equal Suffrage League mit.11 Ein Ableger der Equal Suffrage League formierte sich im Frühjahr 1911 auch in Mount Holyoke, es war das Semester unmittelbar vor Holloways Ankunft auf dem Campus. Nicht jedes Frauen-College war eine Hochburg der Suffragetten, aber auf Mount Holyoke traf das zu. Die Lehrenden waren ausnahmslos «ranghohe Suffragetten», sagte eine Studentin. Als eine Mount-Holyoke-Studentin 1914 im Englisch-I-Kurs eine Seminar­arbeit über «Gründe für eine Gegnerschaft zur nochmaligen Erweiterung des Wahlrechts» einreichte, lobte ihre Professorin sie für die Mühe – «eine klare Darstellung einer Seite der Frage» – und setzte sich dann in den Randbemerkungen mit ihr auseinander. Im Frühling von Hollo­ ways drittem Studienjahr berichtete die Zeitschrift Mount Holyoke, dass die Equal Suffrage League beabsichtigt habe, eine Diskussionsveranstaltung über das Wahlrechts-Thema als Sponsor zu unterstützen, und ein Archäologie-Professor sich bereiterklärt habe, als Befürworter des Frauenwahlrechts aufzutreten, aber «niemand war willig, für die Ge-

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genseite zu sprechen». Als Holloway 1915 ihr Studium abschloss, war fast die Hälfte der Studentinnen in der Equal Suffrage League organisiert.12 Mary Woolley war nicht nur eine Suffragette; sie war auch eine ­Feministin. «Feminismus ist keine vorgefasste Meinung. Er ist ein Prinzip«, sagte sie.13 Das Wort «Feminismus», vor 1910 kaum jemals in Gebrauch, war 1913 allgegenwärtig. Es stand für die Befürwortung von Frauenrechten und -freiheiten und eine Vorstellung von Gleichheit, die sich deutlich von der unterschied, die noch von der «Frauenbewegung» des 19. Jahrhunderts vertreten worden war. Die hatte sich, aus nostal­ gischer Verehrung für eine prähistorische matriarchalische «MutterHerrschaft», weniger auf einen Gleichheitsgrundsatz als auf eine Reihe von Vorstellungen zur moralischen Überlegenheit von Frauen berufen. «Alle Feministinnen sind Suffragetten, aber nicht alle Suffragetten sind Feministinnen», erklärte eine Feministin. Feministinnen lehnten die Vorstellung von Frauen als Reformerinnen ab, die ihre moralische Autorität aus ihrer Verschiedenheit von den Männern bezogen – Frauen seien mutmaßlich von Natur aus zartfühlender und liebevoller und keuscher und reiner –, und befürworteten stattdessen die vollständige und gleichberechtigte Teilhabe an Politik, Arbeitswelt und dem kulturellen Leben auf der Grundlage, dass Frauen in jeder Hinsicht den Männern gleichwertig seien. Das Frauenwahlrecht war ein einzelnes politisches Ziel. Die Gleichheitsforderung des Feminismus war umfassender, sowohl radikaler als auch schwieriger. «Ich stecke in einem Leerraum fest, genau zwischen zwei Sphären  – der Sphäre des Mannes und der Sphäre der Frau», schrieb Inez Haynes Gillmore 1912 in ihrem Beitrag «Confessions of an Alien» in Harper’s Bazaar. «Die Pflichten und Freuden der Durchschnittsfrau langweilen und irritieren. Die Pflichten und Freuden des Durchschnittsmannes sind interessant und verlockend.»14 Konnte es ein Leben dazwischen geben? In der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts engagierte Frauen hatten oft die Ansicht geteilt, dass Frauen kein Interesse an Sexualität hätten – keine Lust, kein Verlangen, keine Leidenschaft. Feministinnen waren anderer Meinung. Sie wollten die Sexualität von der Fortpflanzung trennen, so dass Sex auch für

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Holloway (vorne, links) und die Redaktion der Zeitschrift Mount Holyoke, 1915

Frauen  – wie bis dahin für Männer  – mit Vergnügen und nicht mit Aufopferung verbunden war. Die Greenwich-Village-Feministin Margaret Sanger gründete 1914 eine Zeitschrift namens The Woman Rebel. Die «Basis des Feminismus», schrieb Sanger, müsse die Kontrolle der Frau über ihren eigenen Körper sein, «das Recht, Mutter zu sein, ohne Rücksicht auf Kirche oder Staat».15 Neue Frauen wie Sadie Holloway hegten hohe Erwartungen hinsichtlich der politischen Gleichberechtigung mit Männern. Sie wollten ihre Fertilität selbst kontrollieren, mit den Männern, die sie heirateten – wenn sie sich für eine Heirat entschieden –, eine Beziehung auf der Basis von Gleichberechtigung führen und in ihrem Beruf führende Positionen erreichen, ob sie sich nun dafür entschieden, Kinder zu bekommen, oder nicht. Wie all dies erreicht werden könnte, war allerdings weniger klar; offensichtlich erforderte die Gleichberechtigung mit Männern Bedienstete; ein Großteil des frühen Feminismus war eine Phantasie der Wohlhabenden, die Gleichheit für die Wenigen anstrebte. Marthy Carey Thomas, die Präsidentin des Bryn Mawr College, sagte: «Keine Frau, die selbst Staub wischt, kann es zu irgendetwas bringen.» Holloway sagte zu diesem Thema: «Oh doch, das kann sie, wenn sie

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Aus: Margaret Sanger, The Woman Rebel, 1914

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morgens früh genug aufsteht.»16 Holloway wollte immer alles. Holloway liebte Marston, aber in Mount Holyoke machte es ihr nicht viel aus, von ihm getrennt zu sein. «Unsere größten Kämpfe trugen wir mit etwa 14  Jahren aus, so dass wir, als wir mit dem Studium begannen, bereits ein ziemlich gutes Team waren.»17 Marston fuhr für die Besuche bei ihr ab Cambridge mit dem Zug. Holloway holte ihn gern am Bahnhof ab  – von South Hadley bis zum Campus verkehrte eine Straßenbahn –, aber den StudenMarston und Holloway, 1914 tinnen von Mount Holyoke war es nicht erlaubt, ohne Begleitperson gemeinsam mit einem Mann dieses Verkehrsmittel zu benutzen. «Ein törichtes Verbot», lautete ­Holloways Kommentar. Sie beschwerte sich bei der Dekanin. Und dann benutzte sie trotzdem mit Marston die Straßenbahn.18 Während Holloways zweitem Studienjahr kandidierte Woodrow Wilson, ein Professor der Geschichte, der einst in Bryn Mawr gelehrt hatte, für das Präsidentenamt. Wilson trat als Kandidat der Demokratischen Partei gegen William Howard Taft an, den republikanischen Amtsinhaber; mit im Rennen waren noch Theodore Roosevelt als Kandidat der Progressive Party und Eugene Debs, der Sozialist. CollegeStudentinnen im ganzen Land verfolgten den Wahlkampf mit großem Eifer. Die Mount Holyoke Equal Suffrage League sponserte eine nachgestellte Kandidatendebatte, einen Fackelzug, Wahlkampfreden, eine politische Massenversammlung und eine Testwahl. «Die Frage des Frauenwahlrechts stand natürlich bei fast allen Reden deutlich im Vordergrund», berichtete die New York Evening Post in einem Artikel ­unter der Überschrift «Das College-Mädchen und die Politik».19 Die Amazonen erklärten ihre Unabhängigkeit.

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In Mount Holyoke studierte Holloway Englisch, Geschichte, Mathematik und Physik, aber ihr Lieblingsfach war Griechisch.20 Sie liebte die Sprache und die Geschichte, und ganz besonders liebte sie die Frauen. Ihr Lieblingsbuch war die 1885 erschienene Ausgabe von Sappho: Memoir, Text, Selected Renderings and a Literal Translation, herausgegeben und übersetzt von Henry Thornton Wharton. Sappho hat um das Jahr 600 vor Christus auf der Insel Lesbos in der Ägäis gelebt. Die von Wharton betreute Ausgabe war die erste vollständige Übersetzung ihrer Lyrik, die nur in Fragmenten erhalten ist, ins Englische. Whartons Sappho war Teil einer viktorianischen Sappho-­ Renaissance, einer Sappho-Obsession, die vor allem an Frauen-Colleges auf eine besonders begeisterte Resonanz stieß. Die Verwendung des Wortes «lesbisch» – wörtlich eigentlich auf die Einwohnerschaft von Sapphos Inselheimat Lesbos bezogen – als Bezeichnung für eine Frau, die sich zu anderen Frauen hingezogen fühlt, geht auf diese Ära zurück, obwohl es damals noch nicht einschlägig geläufig war. Sappho von Lesbos war zum Symbol der Liebe unter Frauen geworden.21 Sappho nahm in Mount Holyoke eine Sonderstellung ein. Als Mary Woolley das Amt der College-Präsidentin übernahm, sorgte sie dafür, dass Jeannette Marks, eine Literaturwissenschaftlerin, die ebenfalls Suffragette war, eine Stelle im English Department angeboten bekam. Sie hatten sich kennengelernt, als Woolley noch in Wellesley unterrichtete und Marks dort eine Studienanfängerin war; sie lebten 55 Jahre lang zusammen.22 Das Mount Holyoke College feierte 1912, in Holloways zweitem Studienjahr, den 75. Jahrestag seiner Gründung. Die Studentinnen führten ein selbst verfasstes Stück auf, The Thirteenth Amendment, eine Musikkomödie über eine Welt ohne Männer: ein feministisches Utopia.23 Bei einer von Woolley angeführten Parade marschierten Studentinnen der Griechisch-Abteilung, verkleidet als Helena, Penelope, Elektra, Antigone, Sophokles und Sappho, im Zug mit.24 Holloway las Sappho im griechischen Original. «Die Prosa ließ mich völlig kalt, aber die Lyrik war etwas ganz Besonderes.»25 Ein Ausschnitt aus dem Fragment Nr. 31:

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sondern die Zunge ist gebrochen, ein leichtes Feuer augenblicklich läuft unter der Haut mit den Augen sehe ich rein gar nichts, es sausen die Ohren, hinab läuft der Schweiß, ein Zittern packt mich am ganzen Leib, grüner als Gras

Diese Zeilen ließen sie innerlich erbeben. Später, viel später, schickte Sadie Holloway, ein außergewöhnlich kluger Wildfang von der Isle of Man, ein Memo an DC Comics, in dem sie erklärte, welche Ausrufe Wonder Woman, eine Amazone, die von einer Insel der Frauen stammte, benutzen sollte und welche nicht. Zu vermeiden: «Bei Vulkans Hammer!» Zu bevorzugen: «Leidende Sappho!»26 «Ich besitze nach wie vor eine Wharton-Ausgabe von Sappho und lese immer noch darin», schrieb Holloway, als sie bereits in ihren Achtzigern war.27 Einmal schrieb sie in ein Buch: «Χρυδοφάη Φεράπαιναν Αφροδιτας»: «golden leuchtende Dienerin der Aphrodite». Und sie unterschrieb das schlicht mit «Sappho».28

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DR. PSYCHO

IN HARVARD  trug William Moulton Marston eine Brille mit runden ­ läsern, einen Tweedanzug und G ­einen Waschbärmantel. Der ManWonder Woman verwandelt sich in tel hatte Taschen, die so zu­ Diana Prince. Aus: «The Purloined geschnitten waren, dass sich daPressure Coordinator», in: Comic rin ein Dreiviertelliter Whisky Cavalcade Nr. 4, Herbst 1943 verbergen ließ. Am besten schmeckte ihm Roggenwhisky. Er trank und er rauchte; er schrieb eine Parodie auf Poes Gedicht «The Raven»: «Desperately, I wished the morrow; foolishly I sought to borrow / From the beer, relief from sorrow» («Dringend wünscht’ ich mir den Morgen; närrisch suchte ich zu borgen / Aus dem Biere Flucht vor Sorgen»). In diesem Werk bekommt ein Undergraduate Besuch vom Philosophen Josiah Royce – «Wallendes Haar, aber leicht verfilzt» –, der, «endlos im Kreis herumgehend»,

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Am Eingangstor des Holliday College. Wonder Woman, Zeitungsstrip, 9. September 1944

ausruft, dass der Skeptizismus fortbesteht, «Evermore» («Immerfort»)!1 Der Letzte aus der Familie der Moultons von Moulton Castle verliebte sich genau zu dem Zeitpunkt in die Philosophie, als diese sich in die Psychologie verliebte. William James erklärte in seinem 1890  – vier Jahre nach Dr. Jekyll und Mr. Hyde  – erschienenen Essay «The Hidden Self», dass ein Mann über ein öffentliches Ich, die Summe seiner Leistungen, wie auch über ein privates Ich, die Summe seiner Leidenschaften, verfüge.2 Jeder Jekyll hat seinen Hyde. James schrieb Jahrzehnte bevor Comic-Hefte oder Superhelden erfunden wurden, aber seine Argumentation erklärt zu einem gewissen Teil, warum ­Comic-Superhelden geheime Identitäten besitzen: Superman seinen Clark Kent, Batman seinen Bruce Wayne und Wonder Woman ihre ­Diana Prince. Die Distanz zwischen Philosophie und Pop ist tatsächlich bemerkenswert gering. Die Psychologie begann als Zweig der Philosophie. James, ein Phi-

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losoph, der ein Medizinstudium absolviert hatte, leitete den ersten Kurs in experimenteller Psychologie, der in den gesamten Vereinigten Staaten angeboten wurde. Er glaubte, dass die Wissenschaft vom Verstand zum ­Arbeitsbereich der Philosophie gehöre, weil, wie er in The Principles of Psychology darlegte, die Leidenschaften, die das ver­ borgene Ich ausmachten, Manifestationen körperlicher Wahrnehmungen seien: «All meine Launen, Gefühle und Leidenschaften werden in Wahrheit gebildet und bestehen aus diesen Wonder Woman verkleidet sich für körperlichen Veränderungen, die den Besuch einer Vorlesung im Holliday College. Wonder Woman, wir gewöhnlich als ihren AusZeitungsstrip, 14. September 1944 druck oder ihre Konsequenz be3 zeichnen.» Das Studium der Psychologie erforderte deshalb Experimente, weshalb James zu der Überzeugung gelangte, dass es in Harvard ein «psychologisches Labor» geben müsse, einen Ort, an dem Mr. Hyde von Dr. Seek gefunden werden konnte. Auch Marston besaß ein verborgenes Ich. Er verwahrte es ebenso gut wie die Whiskyflasche, die er in die Tasche seines Waschbärmantels steckte – bis er, in einer späteren Lebensphase, seine Geheimnisse auf den Seiten seiner Comic-Hefte ausbreitete. Harvard verbot Frauen nicht nur, auf dem Campus als Rednerinnen aufzutreten, es ließ auch keine Frauen zum Studium zu. Aber Wonder Woman kann sich nicht fernhalten. Sie ist wie Emmeline Pankhurst, sie rauscht heran und wühlt alle Anwesenden innerlich auf. Ein großer Teil der Handlung in den Wonder-Woman-Comics spielt sich im «Holliday College» ab: Der Name ist zusammengesetzt aus «Holloway» und «Holyoke«. Einmal besucht Wonder Woman, ge-

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Dr. Psycho in seinem psycho­ logischen Labor. Aus: «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943

tarnt in einem Uni-Pullover mit einem H auf der Brust – eine unmissverständliche Anspielung auf einen Harvard-Pullover  –, eine Vor­ lesung am Holliday College, die von Dr. Hypno gehalten wird. Im ­Holliday College wimmelt es von sinistren Professoren mit Namen wie «Professor Manly», deren Hauptschurkerei in ihrer Gegnerschaft zum Feminismus liegt. Wonder Womans Erzfeind ist Dr. Psycho, ein bös­ artiger Professor der Psychologie, der vorhat, «den unabhängigen Status moderner amerikanischer Frauen zu den Zeiten der Sultane und Sklavenmärkte, der klirrenden Ketten und elenden Unterdrückung zurückzudrehen». Er ist runzelig und lüstern. Er ist brillant und heimtückisch. Im Selbstgespräch wiehert er vor sich hin: «Frauen sollen leiden, während ich lache – Ha! Ho! Ha!» Bei seiner ersten Begegnung mit Wonder Woman in einer mit «Battle for Womanhood» betitelten Episode sperrt Dr. Psycho sie in einen eisernen Käfig im Untergeschoss seines «Psycho-Labors».4 William James hatte keine besondere Freude an experimenteller Arbeit. Aber er wollte, dass Harvard über ein psychologisches Labor auf dem modernsten Stand der Wissenschaft verfügte. Zu dessen Einrichtung lud er einen deutschen Psychologen namens Hugo Münster-

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Das Harvard Psychological Laboratory

berg nach Harvard ein.5 James schrieb 1892 an Münsterberg: «Die Lage ist die: Wir sind die beste Universität in Amerika, und im Fach Psychologie müssen wir führend sein. Ich, inzwischen 50  Jahre alt, mag von Natur aus keine Laborarbeit und bin daran gewöhnt, Philosophie nach eigenen Vorstellungen zu unterrichten, und obwohl ich das Labor in Gang bringen könnte, wenn auch mehr schlecht als recht, bin ich bestimmt nicht der Typ, der einen erstklassigen Direktor einer solchen Einrichtung abgibt.»6 Münsterberg nahm 1897, nach mehreren Besuchen, eine Berufung auf eine unbefristete Stelle in Harvard an; ein sehr erleichterter James änderte daraufhin seinen eigenen bisherigen Titel «Professor der Psychologie» in «Professor der Philosophie» ab. Bereits im darauffolgenden Jahr wurde Münsterberg zum Präsidenten der American Psychological Association gewählt.7 Schon bald begann er mit der Planung für den Bau eines psychologischen Labors im neuen Zuhause der Phi-

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losophischen Fakultät, einem vierstöckigen Backsteingebäude am Harvard Yard, das den Namen Emerson Hall erhalten sollte.8 Es wurde 1905 eingeweiht. Vögel und Affen hielt man dort in 1,80 mal 1,20  Meter großen Eisen­ käfigen, Kaninchen und Meerschweinchen in Ställen, die nur halb so groß waren, und Mäuse in winzigen Verschlägen.9 Münsterberg verdiente sich ein Zusatzgehalt durch Unterricht im «Harvard Annex», einem 1879 eröffneten provisorischen CamHugo Münsterberg pus für Studentinnen. Der Annex hatte keinen eigenen Lehrkörper; die Studentinnen dort belegten all ihre Kurse bei Harvard-Profes­ soren, akademische Abschlüsse in Harvard wurden ihnen jedoch verweigert.10 George Herbert Palmer, der die Ausbildung von Frauen ebenso engagiert befürwortete wie das Frauenwahlrecht, unterrichtete von Beginn an im Annex. Er verlangte nachdrücklich, wenn auch ohne Erfolg, dass Annex-Studentinnen erlaubt werden sollte, seine Harvard-Vorlesungen zu hören, gemeinsam mit den Harvard-Männern. Alice Freeman Palmer, Palmers Ehefrau, hatte versucht, den Harvard-Präsidenten Charles Eliot zur Zulassung von Frauen in Harvard zu bewegen. Eliot hatte das zwar abgelehnt, ihr aber zugleich versprochen, der Annex könne ein Teil von Harvard werden – und die Annex-Studentinnen könnten Harvard-Abschlüsse erwerben –, wenn es ihr gelinge, 250 000  Dollar für eine Stiftung einzuwerben. Sie brachte das Geld zusammen, musste sich dann aber von Eliot sagen lassen, er habe seine Meinung geändert. Der Annex wurde im Jahr 1894, anstatt ein Teil von Harvard zu werden, als Radcliffe College konstituiert.11 Münsterbergs Forschungsinteresse umfasste die Bereiche Sinneswahrnehmung, Emotion, Reaktion und Empfindung. Als Testpersonen

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für seine Experimente zog er gerne Studierende heran  – besonders gern Studentinnen. «In einem Labor ist man für alle Männer wirklich nur noch ein Versuchsgegenstand», schrieb Gertrude Stein, die sich 1894 als Radcliffe-Studentin in Münsterbergs Labor wiederfand, «mit einem komplizierten, über ihr Herz gespannten Apparat, der ihre ­Atmung aufzeichnete, einem in einer stählernen Maschine festsitzenden Finger und einem Arm, der unbeweglich in einer großen Glasröhre steckte».12 Er versuchte Steins Verstand aufzuspüren. Münsterberg war, seiner Lehrtätigkeit am Radcliffe College zum Trotz, für seine Gegnerschaft zur Frauenbildung und zum Frauenwahlrecht bekannt. Er glaubte weder an die intellektuelle noch an die politische Gleichheit von Frauen. «Gewiss gibt es einige Amerikanerinnen, deren wissenschaftliche Arbeit vortrefflich ist«, räumte er ein, «aber das bleiben doch ganz seltene Ausnahmen. In der großen Masse verrät sich doch überall die reproduktive Tendenz.» Der einzige Grund für die Ausbildung von Frauen bestand seiner Meinung nach darin, sie zu interessanteren Ehefrauen zu machen: «Die Frau sollte nicht nach intellektueller Kultivierung streben, um sich von der Ehe zu lösen, sondern um sie zu erhöhen.»13 Frauen hatten aus seiner Sicht wenig Begabung für vernunftgeleitetes Handeln. Eine Verpflichtung als Geschworene bei Gericht komme für sie nicht infrage. Der San Francisco Chronicle schrieb: «Professor Hugo Munsterberg sagt, dass Frauen für den Dienst in Jurys nicht geeignet seien, weil es ihnen an der Bereitschaft fehle, sich Argumente anzuhören, und weil man sie nicht dazu bringen könne, ihre Meinung zu irgendeinem Thema zu ändern.»14 Münsterberg glaubte außerdem, dass die Wahlberechtigung, falls es den Frauen gelingen sollte, sie zu erlangen, «für die überwältigende Frauenmehrheit ein toter Buchstabe bleiben würde», weil «die Durchschnittsfrau sich nicht nach Politik sehnt». Anständige, gesittete Frauen hätten im Haus zu viel zu tun, um ihre Stimme abzugeben, meinte er, und jede Frau, die sich tatsächlich im Wahllokal blicken ließe, wäre leicht zu korrumpieren, mit dem Ergebnis, dass «die politische Maschinenwirtschaft bei der geringen politischen ­Widerstandskraft der Frauen neue, hässliche Triumphe davontragen würde». Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass «die Politik die Eheleute in getrennte Lager treiben möge». Kurz gesagt: «Alles in allem ist

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so die Selbstbehauptung der Frau auf politischem Gebiet nur eine Doktorfrage.»15 William James starb 1910, im Jahr vor Marstons Ankunft in Harvard. George Santayana ging während Marstons erstem Studienjahr in den Ruhestand. Nach der Bestnote im Kurs Philosophie A belegte Marston Ethik bei Palmer, Metaphysik bei Royce und Experimentelle Psychologie bei einem hageren jungen Dozenten namens Herbert Langfeld.16 Er heimste eine Eins nach der anderen ein, und das zu einer Zeit, in der Bestnoten insgesamt nur selten vergeben wurden.17 Als Marston 1912 im zweiten Studienjahr war, wurde Harvards Philosophische ­Fakultät in Fakultät für Philosophie und Psychologie umbenannt.18 In jenem Jahr begann Marston seine Studien bei Münsterberg, der von Marston so beeindruckt war, dass er ihn als Assistenten für seinen Unterricht in Radcliffe engagierte, für den junge Frauen an Geräte angeschlossen wurden. Es war ein Zeitalter der Experimente und der angewandten Philosophie. Der Historiker Charles Homer Haskins betonte, dass Wissen immer partiell sei. Der Philosoph Royce vertrat eine andere Vorstellung. «Der Begriff der Wahrheit ist in erster Linie ein gesellschaft­ licher Begriff», sagte Royce seinen Studenten. «Wenn Sie erklären, dass eine Behauptung wahr ist, richten Sie damit im Grunde einen ­Appell an Ihr Gegenüber.»19 Marston lernte von Münsterberg, dass es noch einen anderen Weg zur Wahrheit gab. Der experimentelle Psychologe musste auf der Suche nach Beweismaterial nicht in einer Mülltonne stöbern; er konnte sein eigenes Beweismaterial erschaffen, in ­einem Labor. Die Experimente, die Münsterberg und Marston gemeinsam im Psychologischen Labor in Emerson Hall und an ihren Studentinnen in Radcliffe vornahmen, waren so angelegt, dass mit ihrer Hilfe Täuschungen aufgedeckt werden sollten. Die Experimentatoren wollten die Wahrheit von Lügen unterscheiden können. Marston unternahm eine Serie von «Reaktionszeit»-Experimenten: Er wollte wissen, ob Menschen, die lügen, beim Sprechen zögern.20 Haskins definierte die historische Methode als Unterscheidung zwischen den Vertrauenswürdigen und den nicht Vertrauenswürdigen; Münsterberg wollte Ver-

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trauenswürdigkeit vorhersagen können. Wenn man verstand, wie das Denken funktionierte – indem man den körperlichen Ausdruck von Wahrheit und Täuschung entdeckte –, würde man wissen, wessen Aussagen man vertrauen konnte, und zwar nicht durch eine subjektive Bewertung, wie der Historiker, der eine Menge an Beweismaterial mit den intellektuellen Fertigkeiten der Kritik und Interpretation sichtet, sondern durch vorgenommene Beobachtungen und neu entwickelte Testverfahren. Wahrhaftigkeit  – die Wahrheit selbst  – sollte nicht durch Urteilskraft und Unterscheidungsvermögen, sondern durch Beobachtung festgestellt werden. Münsterberg hatte mit dieser Forschung begonnen, bevor Marston nach Cambridge kam. Im Anschluss an Arbeiten, die in Europa im Gang waren, hatte er eine Reihe von Tests entwickelt, mit denen er das messen wollte, was seiner Einschätzung nach Indikatoren der Täuschung und des Betrugs waren: Hauttemperatur, Pulsfrequenz und Sprechgeschwindigkeit. Im Jahr 1907 hatte er versucht, seine Theorie in die Praxis umzusetzen, und einen Auftrag von McClure’s Magazine angenommen, nach Idaho zu gehen, um einen Bericht über den Prozess gegen Harry Orchard zu verfassen.21 Orchard war wegen Mordes am Gouverneur des Bundesstaates ­angeklagt, wegen eines Mordes, der angeblich von Big Bill Haywood angeordnet worden war, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Indus­ trial Workers of the World. Orchard hatte dieses Verbrechen und 18 weitere Morde bereits gestanden; er hatte angegeben, als Auftragsmörder für die Gewerkschaft gehandelt zu haben. Auf der Grundlage von Orchards Geständnis war auch Haywood wegen Mordes angeklagt worden. Haywood erklärte sich für nicht schuldig. Sein Verteidiger war Clarence Darrow, der berühmteste Strafverteidiger im ganzen Land. Münsterberg besuchte Orchard im Staatsgefängnis von Boise, der Hauptstadt des Bundesstaates. «Ich war gekommen, um seinen Verstand zu prüfen und herauszufinden, was er tatsächlich im tiefsten Herzen verbarg.» Im Verlauf von zwei Tagen unterzog er Orchard sieben Stunden lang knapp 100 Täuschungstests. Die Presse beobachtete jeden Gang des Professors zum Gefängnis. «Die gesamte lesende Welt richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Besuch von Professor Hugo

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Munsterberg von der Harvard-Universität in Boise, Idaho», schrieb eine Zeitung. Die Gerätschaften, die Münsterberg in dieses ­Gefängnis mitnahm, um Orchards Arme und Beine, Brust und Kopf zu fixieren, sorgten im ganzen Land für Schlagzeilen: «Maschinen, die anzeigen, wenn Zeugen lügen», lautete eine davon. Bevor Münsterberg mit seinen Tests begann, war er sich noch sicher, dass Orchard log. Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, war er zu der Überzeugung gekommen, dass Orchard die Wahrheit sagte.22 Münsterberg reiste noch vor Prozessende aus Boise ab, nachdem er der Verteidigung zugesagt hatte, dass er seine Testergebnisse bis nach dem Urteilsspruch geheim halten werde, aber auf einer Zugfahrt zu seinem Sommerwohnsitz in Massachusetts brach er sein Versprechen: Er erzählte einem Reporter, dass «jedes Wort in Orchards Geständnis wahr ist».23 Darrow beschuldigte Münsterberg, er sei von der Staatsanwaltschaft bestochen worden. In seinem Schlussplädoyer vor den Geschworenen bezeichnete Darrow Orchard als «monströs» und nannte ihn «einen Lügner». Es sei widersinnig, sagte Darrow, jemanden auch nur aufzufordern, Orchards Aussage irgendeine Bedeutung beizumessen. «Meine Herren», sagte Darrow zu den Geschworenen, «ich kann nicht glauben, dass, wo immer die englische Sprache gesprochen wird, wo immer das Recht herrscht, ein einigermaßen intelligenter Jurist ­einen Angeklagten aufgrund des hier vorliegenden Beweismaterials verurteilen wird.» Und ein Psychologe aus Harvard, ließ Darrow durchblicken, könne einem Geschworenen nichts beibringen. «Man kann Harry Orchards Gesicht oder seine Form nicht hernehmen und innerhalb einer Sekunde neu gestalten, und man kann sein betrügerisches Denken und seine betrügerische, verkümmerte Seele nicht hernehmen und innerhalb einer Minute neu erschaffen, und wenn Sie, meine Herren, in diesem Fall darauf setzen, nehmen Sie damit eine schwere Verantwortung für Bill Haywoods Leben auf sich.»24 Haywood wurde freigesprochen. Münsterberg, der fürchtete, man könnte ihn verklagen, beschloss «Experimente mit Harry Orchard», den Artikel, den er für McClure’s geschrieben hatte, nicht zu ver­ öffentlichen. Er publizierte stattdessen einen Aufsatz über die Bedeutung psychologischer Stellungnahmen in Strafprozessen.25 Darin sagte

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er voraus, dass eine harte und exakte Wissenschaft der Zeugenaus­ sagen eines Tages die Standards der juristischen Beweisführung ab­ lösen werde, die so schluderig und unzuverlässig seien wie die von Historikern – oder von einem Strafverteidiger – verwendeten Beweismittel und Methoden. Er stellte sogar den Zweck des Geschworenengerichts grundsätzlich infrage: Warum sollte man die Entscheidung über Schuld oder Unschuld fehlbaren Geschworenen überlassen?26 Münsterberg veröffentlichte 1908 ein Buch mit dem Titel On the Witness Stand, eine Anthologie seiner Essays. Diese Sammlung wurde von John Henry Wigmore rezensiert, dem Dekan der Northwestern Law School, der zugleich der Autor des vierbändigen Standardwerks Treatise on the Law of Evidence (1904/05) war.27 Wigmore las alles, was – in jeder Sprache – über die «Psychologie der Aussage» geschrieben wurde, eine Recherche, die ihren Mittelpunkt in Deutschland hatte und deren Ziel es war, die Verlässlichkeit von Aussagen auszuwerten, indem Szenen vor nichtsahnenden Zuschauern aufgeführt wurden, die man anschließend als Zeugen aufrief.28 Wigmore gab seiner Rezension die Form eines als Farce inszenierten Prozesses, in dem ein Kläger – die Zunft der Juristen – Münsterberg der Verleumdung beschuldigt, weil dieser erklärt habe, «dass es bestimmte exakte und präzise experimentelle und psychologische Methoden gebe, mit denen sich die Sicherheit der Aussagen von Zeugen und das schlechte Gewissen angeklagter Personen feststellen und vermessen lasse». Münsterbergs Verteidigung obliegt zwei unbrauchbaren Anwälten namens R. E. Search und X Perry Ment. Die Jury entscheidet  – wenig über­ raschend – zugunsten des Klägers.29 Doch Münsterbergs Ruf war bereits vor Wigmores Rezension ruiniert worden, teils wegen seiner Treue zu Deutschland, in der er sich trotz des dort zunehmenden Militarismus nicht beirren ließ, teils auch wegen seiner Kritik an den Vereinigten Staaten, die seiner Ansicht nach an einem Übermaß an Gleichheit litten. Münsterberg glaubte an Hierarchien, an Ordnung und an Deutschland. Für ihn gab es kein besseres Beispiel für den Niedergang Amerikas und die Makellosigkeit Deutschlands als die lächerlichen Ambitionen amerikanischer Frauen. «Das Ziel der deutschen Frau ist es, die Interessen des Haushalts zu befördern», behauptete er, aber «das der amerikanischen Frau ist es, ihm

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zu entkommen».30 William James war 1905 so wütend auf Münsterberg, dass er mit seinem Rücktritt drohte. «Ich will eine Welt der Anarchie, Münsterberg will eine Welt der Bürokratie», sagte James. Aufforderungen, Münsterberg auszuweisen, gab es bereits ab 1907. Er hielt sich von 1910 bis 1911 in Berlin auf, wo er das Amerika-Institut gründete: Er wollte den Amerikanern die Deutschen und den Deutschen die Amerikaner erklären. Als er in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, versuchte ein Harvard-Absolvent, der Münsterberg für einen Spion hielt, seine Entfernung aus dem Lehrkörper der Univer­ sität durchzusetzen.31 Als William Moulton Marston 1912 erstmals das Harvard Psycho­ logical Laboratory in Emerson Hall betrat, war Hugo Münsterberg so gut wie ruiniert. Der Letzte der Moultons von Moulton Castle sollte Dr. Psychos letzter Student werden.

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MARSTON TRUG SEINEN WASCHBÄRMANTEL.   Holloway trug das Haar hoch-

gesteckt, mit kess baumelnden Löckchen. Arm in Arm spazierten sie von Harvard Yard aus die Massachusetts Avenue hinunter bis zum Central Square und dort zum Scenic Temple, der «Heimstätte erst­ klassiger Unterhaltung in Cambridge». Die Karten kosteten zehn Cent. Der Eintrittspreis für ein Nickelodeon-Kintopp betrug fast nie einen ­Nickel (fünf Cent).1 Die Spaziergänger mussten darauf achten, wo sie hintraten. Cambridge war ein Dschungel voller Baugruben und Kräne. Die Boston Elevated Railway Company hatte 1909 mit dem Bau einer U-Bahn-­ Linie ab dem Bahnhof Park Street begonnen, sie sollte Boston Common in einem Tunnel unterqueren, sich dann über die Charles River Bridge erheben, ab dem Kendall Square wieder unterirdisch verlaufen, unter einer Ecke von Harvard Yard hindurchführen und an einem Bahnhof unter Harvard Square enden, wo die Pfeiler auf dem Bahnsteig mit karmesinroten Hs geschmückt waren, ganz im Stil der Buchstaben auf den Universitäts-Pullovern.2 Allein die Erdarbeiten nahmen zwei Jahre in Anspruch. Am 10. März 1912 entdeckte man den übel zugerichteten und kopflosen Leichnam des 23-jährigen James B. Dennehey auf dem U-Bahn-Gleis unter Harvard Yard. Er hatte die Gleisanlage ­inspiziert und war bei einer Testfahrt getötet worden.3 Die U-Bahn-­ Linie wurde dennoch wie geplant am 23. März 1912, frühmorgens um 5.24  Uhr, eröffnet. Zu Pferd hatte man für die etwas mehr als fünf

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­ ilometer von Harvard Square bis zum Bahnhof Park Street in Boston K 25 Minuten gebraucht; mit der U-Bahn waren es jetzt acht.4 Die Eröffnung der U-Bahn bot die Gelegenheit zu mehr Kino-Ausflügen. Als Holloway in jenem Frühling zu Besuch kam, hätte sie mit Marston von Harvard Square bis Park Street fahren können, um auf dem Common ins Tremont Theatre zu gehen und sich dort eine fil­ mische Adaption von Homers Odyssee anzusehen. Holloway hätte das gefallen; sie schwärmte für alles Griechische.5 Marston hatte andere Gründe für Kinobesuche. Die Firma seines Vaters, die mit QualitätsWollstoffen für Herrenanzüge handelte, stand vor dem Bankrott, und Marston hatte beschlossen, sein Collegestudium zu finanzieren, indem er fürs Kino schrieb. Im Psychological Laboratory in Emerson Hall hatte Marston mit Maschinen experimentiert, die vielleicht einmal Wahrheit und Lüge voneinander unterscheiden konnten. Für Filmdrehbücher musste er Lügen in Wahrheiten verwandeln: Er musste lernen, eine Geschichte zu erzählen, die zwar nicht stimmte, aber, filmisch aufbereitet, wahr anmutete. «Motion pictures» – Bilder, die sich bewegten, oder «Movies», wie sie ab 1902 genannt wurden – waren etwas so Neuartiges, dass sich noch nicht eingespielt hatte, was denn nun als Drehbuch zu bezeichnen war. (Das Wort «Screenplay» fand erst ab 1916 Verwendung.) Das Wort «Photoplay», mit dem ein dramatischer Film gemeint war, wurde 1909 geprägt. Die Verwendung von «Scenario» für ein Film-Drehbuch stammt aus dem Jahr 1911. «Ich begann mit dem Drehbuchschreiben während meines zweiten Jahrs in Harvard  – im Studienjahr 1912–1913», erklärte Marston in ­einem Interview, das er 1915 einer Fachzeitschrift namens Moving ­Picture World gab. «Ich kaufte ein Buch zum Thema und verbrachte sehr viel Zeit in Filmvorführungen, studierte die Handlung, den Stil der Bilder, die von verschiedenen Unternehmen produziert wurden, und die visuellen Effekte, die mit bewegten Bildern möglich waren.»6 Das Buch, das er während seines zweiten Studienjahrs kaufte, war How to Write a Photoplay von Herbert Case Hoagland, der für die Filmproduktionsfirma Pathé Frères arbeitete.7 «Das Verfassen eines Filmdrehbuchs erfordert kein besonderes Geschick als Autor», ver­

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sicherte Hoagland seiner Leserschaft. Man müsse zum Beispiel keine Dialoge schreiben, weil die Filme ohne Ton liefen. Den größten Teil der Arbeit machten die Entwicklung einer guten Geschichte und das Nachdenken darüber aus, wie die sich erzählen ließ, indem man die gefilmten Szenen auf Filmrollen so aneinanderfügte, dass sie durch ­einen Projektor laufen konnten. Das alles war so neuartig und unvertraut, dass eine Erklärung der Grundlagen den Großteil von Hoaglands Buch ausmacht: «Nach dem Aufnehmen der Bilder wird der noch unentwickelte Film in die Fabrik gebracht, wo er entwickelt, getrocknet und auf eine Rolle gewickelt wird. (…) Jede Szene wird einzeln entwickelt und kopiert, und die Positive werden anschließend in der richtigen Reihenfolge aneinandergefügt, mit Titeln und Unter­ titeln an der passenden Stelle.» Aber das Buch enthielt auch eine Fülle von praktischen Tipps für ambitionierte Autoren: «Das Leben – das Alltagsleben –, wie Sie es um sich herum wahrnehmen, ist voll von guten Ideen für Filme», schrieb er. Junge Frauen sind wichtig: «Denken Sie daran, dass nur sehr wenige Geschichten von großem Inte­ resse sind, ohne dass ein Rock raschelt.» Der übliche Tarif für ein Drehbuch lag bei etwa 25 Dollar, berichtete Hoagland, und «der Markt für Drehbücher ist groß und noch im Wachsen begriffen». How to Write a Photoplay enthielt auch eine Liste von Filmproduktionsfirmen, einschließlich der Adressen und einer Darstellung der Art von Filmen, die sie jeweils bevorzugten, von der American Film Manufacturing Company of Chicago («Sie sind stark auf den amerikanischen Cowboy ausgerichtet») bis zur Victor Film Manufacturing Company of New York («Diese Firma wurde zur Präsentation von Filmen gegründet, in denen Miss Florence Lawrence der Star sein wird»).8 «Ich verkaufte mehrere Drehbücher an verschiedene Firmen», prahlte Marston, aber gegen Ende seines zweiten Studienjahres sei er «zu beschäftigt gewesen, um diese Arbeit weiterzuverfolgen».9 Marston sagte gerne, er habe mit dem Drehbuchschreiben aufgehört, weil ihn seine wissenschaftliche Arbeit angezogen habe. In Wirklichkeit war er pleite. Im Frühling seines zweiten Studienjahrs bewarb er sich – mit einem Verweis auf die Schulden seines Vaters – um ein Stipendium.10

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Marston kehrte im dritten Studienjahr zu seiner Forschung zurück. Er konzipierte ein Experiment, mit dem festgestellt werden sollte, ob sich der systolische Blutdruck als Messgröße für Täuschungsversuche eignete.11 Er schrieb an Holloway, berichtete ihr über seine Idee für ein Experiment und bat sie um Hilfe.12 Er hatte vor, ein Experiment mit zehn Graduate-Studenten der Psychologie durchzuführen. (Einer davon war Leonard Troland, ein Schulfreund aus der Zeit an der Malden High School, der am MIT Physik und Psychologie studiert hatte, bevor er in Münsterbergs Labor mitarbeitete.) Marston brauchte für jeden der zehn Probanden eine andere Geschichte, und wenn das Experiment gelingen sollte, durfte Marston den Inhalt dieser Geschichten nicht kennen, also wurden sie von Holloway verfasst.13 In jeder Geschichte kam ein Freund der Versuchsperson vor, der eines Verbrechens beschuldigt worden war. Marston steckte jede Geschichte in ­einen Umschlag, gab sie der Versuchsperson zu lesen, verband damit die Aufforderung, ­etwas zu sagen, was den Freund retten könnte, sowie zu entscheiden, ob dies durch Lügen oder durch eine wahre Aussage erreicht werden sollte. Dann schloss er die Versuchsperson an ein Blutdruckmess­gerät, ein Sphygmomanometer, an, das mit einer Maschine verbunden war, die die registrierten Werte auf Millimeter­papier übertrug. Marston verbarg sich dabei hinter einem Wandschirm, damit er die Gesichter seiner Versuchspersonen nicht sehen konnte. (Marston maß, um einen Ausgangspunkt festzulegen, den Blutdruck seiner Probanden auch, während sie William James’ Buch Der Pragmatismus lasen; es war eine Tätigkeit, bei der, wie sich dann herausstellte, ihr Blutdruck völlig stabil und normal blieb.) Im nächsten Schritt befragte er jede Versuchsperson in Gegenwart einer aus zwei bis zehn Studenten von Münsterbergs Psychologie-Grundkurs bestehenden «Jury» zu dem fiktiven Verbrechen. Am Schluss der Befragung versuchte Marston zu bestimmen, ob die jeweilige Versuchsperson log oder die Wahrheit sagte, und zog dazu nur die Blutdruckmessungen heran, während die Jury ihre Entscheidung nur aufgrund der Beobachtung der Probanden und des Mithörens ihrer Aussagen traf. Marston lag bei 107  Fällen 103-mal richtig, während die Jurymitglieder durchschnittlich nur in etwa der Hälfte der Fälle richtig entschieden.14 William Moulton Marston wäre, auch wenn er Wonder Woman nie

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Marston (mit Brille) unterzieht Leonard Troland 1914 im Harvard ­P sychological Laboratory einem Lügendetektor-Test

geschaffen hätte, allein wegen dieses Experiments in Erinnerung geblieben. Er erfand den Lügendetektor-Test. Auch ein Jahrhundert später ist er immer noch in Gebrauch. Er ist auch überall in WonderWoman-Geschichten zu finden. «Komm, Elva, du musst dich einem Lügendetektor-Test unterziehen», sagt Diana Prince zu Elva Dove, einer Sekretärin, die sie der Spio­nage verdächtigt, und zerrt sie durch einen Korridor. «Ich werde dir Fragen stellen», sagt Diana, während sie Elva festschnallt und mit der Maschine verbindet, während Trevor zuschaut. «Antworte wahrheitsgemäß, oder dein Blutdruck wird ansteigen. Hast du diesen Kautschuk-Bericht aus den Geheimakten entnommen?», fragt Diana. «Nein, nein!», behauptet Elva. «Ich fress ’nen Besen», ruft Trevor nach einem Blick auf die Messkurve. «Sie lügt wirklich.»15 Im Frühling 1914, als Marston seine frühen Blutdruck-Experimente veranstaltete, ging Hugo Münsterberg zum allerersten Mal ins Kino. Er

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sah sich Neptune’s Daughter an, einen Film, den Universal Pictures am 25. April herausbrachte. Nach diesem Erlebnis ging er in jede Filmvorstellung, für die er die nötige Zeit fand. «Rolle um Rolle lief vor meinen Augen ab – alle Stile, alle Macharten«, schrieb Münsterberg im Cosmopolitan. «Inmitten der Menge drängte ich zu Anita Stewart, Mary Pickford und Charles Chaplin; ich sah ­Pathé und Vitagraph, Lubin und Essanay, Paramount und Majestic, Universal und Knickerbocker. Ich las Bücher darüber, wie man Szenarien schreibt; ich besuchte Diana Prince nimmt einen die Herstellergesellschaften, und ­L ügendetektor-Test vor. schließlich begann ich selbst zu Aus: «A Spy in the Office», in: experimentieren.»16 Sensation Comics Nr. 3, März 1942 Filme waren eine vollkommen neue Kunstform  – so wie später die Comic-Hefte –, eine Kunst, die Psychologen von Anfang an beobachten und für Experimente zu der Frage nutzen konnten, wie psychische Vorgänge ihren körperlichen Ausdruck finden. Münsterberg lieferte in einer 1916 unter dem Titel The Photoplay: A Psychological Study (dt., 1996: Das Lichtspiel: Eine psychologische Studie) ver­ öffentlichten Schrift eine Theorie des Kinos zu einem Zeitpunkt, als das Kino kaum begonnen hatte. Er interviewte Regisseure; er sprach mit Schauspielerinnen. Er erklärte die Nahaufnahme. Er erklärte die Parallelmontage. Er wollte wissen: «Welche psychologischen Faktoren sind daran beteiligt, wenn wir das Geschehen auf der Leinwand beobachten?»17 Wie wirken Filme auf die Psyche des Publikums? Münsterberg gelangte zu der Überzeugung, dass es kein besseres psychologisches Labor gab als ein Nickelodeon, wie auch Marston später zu der Überzeugung kam, es gebe keine bessere Form der psycho-

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logischen Propaganda als ein Comic-Heft. Münsterberg dachte, die Beobachtung des Filmpublikums während der Vorstellungen könnte es ihm eines Tages ermöglichen, alle Fragen zu beantworten, die ihn ein ganzes Forscherleben lang beschäftigt hatten – Fragen zur Wahrnehmung, zu Emotionen, Empfindungsvermögen, Reaktion und (Sinnes-) Täuschung. «Die Darstellung von Emotionen muss das Hauptanliegen des Lichtspiels sein», betonte Münsterberg. Man betrachte nur die Szenenfolge in einem Film, der die Geschichte eines Mannes erzählt, der wegen Mordes vor Gericht steht: «Der Mann, der seinen besten Freund erschoss, hat in dem Gerichtsverfahren, das wir miterleben, keine Erklärung abgegeben. Das Ganze bleibt für die Stadt ein vollkommenes Geheimnis und ein Mysterium für den Zuschauer, aber als sich nun die Gefängnistüren hinter ihm schließen, verschwimmen und zerfließen die Wände des Gefängnisses, und wir erleben die Szene in dem kleinen Landhaus mit, wo der Freund heimlich seine Frau getroffen hat, und sehen, wie er einbrach und wie es zu all dem kam, und wie er jede Entschuldigung, die sein Haus entehren würde, ablehnte.»18 Konnte diese neue Art, Geschichten zu erzählen, nicht das verborgene Ego  – Mr. Hyde  – dieses Protagonisten offenbaren, und konnte sie nicht zugleich offenlegen, wie der Verstand arbeitet, wie ein Mann sieht und weiß, erinnert und vergisst, fühlt und täuscht? Marston nahm das alles so selbstverständlich auf wie die Luft, die er atmete. Vielleicht ging er gemeinsam mit Münsterberg ins Kino. Und dann, gegen Ende seines dritten Studienjahrs, als er kurz vor dem Abschluss seiner ersten Versuchsreihe mit Täuschungsexperimenten stand, las er eine Anzeige im Harvard Crimson: «100 Dollar geboten für ‹Film›-Drehbuch.»19 Die Edison Company veranstaltete eine landesweite Talentsuche unter amerikanischen College-Studenten und versprach dem Autor des besten Drehbuchs, verfasst von einem Studenten der folgenden zehn Colleges, einen Geldpreis: Harvard, Yale, Columbia, Cornell, Princeton sowie die Universitäten von Kalifornien, Chicago, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin. «Ich begann, wieder in die Kinos zu gehen», sagte Marston, «und hielt vor allem nach Edison-Filmen Ausschau.»20 Er fertigte Studien zur Handlung an, Filmrolle für Filmrolle.

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Bis zur Deadline des Wettbewerbs waren 337  Szenarien eingereicht worden. Der Gewinner wurde im Februar 1915 bekanntgegeben. «Zehn Colleges  – die klügsten Männer des Landes  – wurden zu diesem Wettbewerb eingeladen, und das Ergebnis ist ‹Jack Kennard, Coward›», gab die Edison Company bekannt. Der Autor dieses Drehbuchs war William Moulton Marston.21 Ein Reporter einer Bostoner Aus dem Phi Beta Kappa Key Recorder, Tageszeitung interviewte Mars1944 ton, der inzwischen ins Abschlussjahr aufgerückt war, in seinem Zimmer in Hollis Hall Nr. 8: «Der Autor, über Nacht berühmt geworden, erzählte, auf dem Sofa in seinem Studentenzimmer liegend, wie er mit dem Verkauf von Drehbüchern sein Collegestudium finanzierte, wie er die College-­ Atmosphäre einfließen ließ und den preisgekrönten Text mit der Wirklichkeit entnommenen Handlungen ausstattete, und was seiner Ansicht nach passieren wird, wenn das Lichtspiel im idyllischen und verschlafenen Yard wie eine Bombe einschlägt.»22 «In den vergangenen drei Jahren habe ich ein ziemlich dummes ­Leben geführt», sagte Marston. «Ich habe nur studiert und diese Szenarien geschrieben. Ich absolviere einen Bachelor-Kurs und habe vor, ab dem kommenden Herbst Jura zu studieren, sobald ich meinen Abschluss habe.» Marston war in die Phi-Beta-Kappa-Ehrengesellschaft aufgenommen, zum Präsidenten des örtlichen Ablegers gewählt und außerdem zum Studium an der Harvard Law School zugelassen worden. (Seinen Phi-Beta-Kappa-Schlüssel trug er bis an sein Lebensende an seiner Uhrkette bei sich. Einmal ließ er Harry  G. Peter, den Zeichner von Wonder Woman, seine Figur mit einem Akademiker-Hut und Robe darstellen, wie sie einen Professor und Träger eines Phi-Beta-Kappa-

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Schlüssels mit dem Lasso einfing.)23 «Diese Untersuchung zur Psychophysik der Täuschung wird sich einmal als große Hilfe für mich erweisen, sobald ich als Jurist tätig werde», lautete Marstons Ankündigung von der eigenen Sofakante aus. Er trat außergewöhnlich großspurig auf. Und er erklärte seine Forschungsarbeit. «Ich habe 100  Experimente ausprobiert, und jedes davon hat funktioniert. Man kann erkennen, was für eine wertvolle Sache das für mich sein wird, wenn ich einen Zeugen ins Kreuzverhör nehme. Man kann ein Blutdruck-Messgerät an den Arm eines Zeugen anschließen, und anhand meines Wissens aus diesem Kurs kann ich erkennen, ob man mir die Wahrheit sagt oder nicht.»24 Der Reporter stellte auch Fragen zum preisgekrönten Drehbuch. «Meine Inspiration für die Handlung von ‹Jack Kennard, Coward› entwickelte sich ursprünglich aus einer systematischen Suche nach einer ‹bedeutenden› Situation als Höhepunkt, die reichlich Action enthalten sollte», sagte Marston. «Dann entwickelte ich die Handlung mit dem Ziel, sie konstant zum Höhepunkt hinzuführen. Die Ideen in der Handlung selbst entstammen verschiedenen Ereignissen, die mit persönlichen Erfahrungen hier am College verbunden sind.»25 Jack Kennard, Coward erzählt die Geschichte eines High-SchoolFootballstars aus einer Kleinstadt, der nach Harvard kommt, sich dort zunächst dem Football-Team anschließt und dann wieder aussteigt, was sein gesamtes Umfeld, auch seine Freundin, vermuten lässt, er sei für dieses Spiel zu ängstlich. Die beiden Anführer des Footballteams der Harvard University waren damals zwei landesweit bekannte Spitzenspieler, beide aus Marstons Jahrgang: H. R. «Tack» Hardwick und Stan Pennock.26 (Es war eine außergewöhnlich gute Mannschaft. Der Harvard Crimson behauptete noch zwei Jahrzehnte später unbeirrt: «Dieses Team war das beste in Harvards Geschichte.»)27 Die Namen Tack Hardwick und Stan Pennock erinnern stark an Jack Kennard. Doch wenn die Darstellung Kennards auf einer lebenden Person beruhte, dann hieß diese Person Bill Marston: ein High-School-Footballstar, dessen High School zwar die Staatsmeisterschaft gewann, der aber in Harvard niemals auf einer Mannschaftsliste auftauchte.28 «Sehen Sie», sagte Marston und sprang dabei von seinem Sofa auf, «an dieser Stelle nehme ich meine eigenen Erlebnisse ins Drehbuch

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auf und führe die Harvard-Figuren ein. Der wahre Grund, der Kennard das Footballspielen aufgeben ließ, war der Ärger, den er wegen seiner Spielschulden mit der Collegeverwaltung bekam. Das passierte einem der Spieler des Harvard-Teams tatsächlich.» Marston erklärte in späteren Lebensphasen immer, er habe sich in Harvard dafür entschieden, nicht mehr Football zu spielen, weil ihn seine Forschungsarbeit so in Anspruch genommen habe. «In meinem ersten Studienjahr wurde erheblicher Druck auf mich ausgeübt, im Freshman-Team mitzumachen», behauptete er, aber «ich widerstand ihm». Das war eine Lüge. Marston führte in seinem ersten Studienjahr kein einziges Experiment durch. Wahrscheinlicher ist, dass er sich im Football-Team versucht und es nicht geschafft hatte, oder dass er zu sehr eingeschüchtert worden war, um es zu versuchen, oder dass er es doch versucht und dann aufgegeben hatte. Marston fiel im Herbst seines ersten Studienjahrs in eine Depression und hätte sich fast umgebracht; ein Teil der Entwicklung, die ihn so weit brachte, hatte mög­ licherweise mit Football zu tun. Drei seiner Mitspieler aus der Zeit an der Malden High School hatten spektakuläre Karrieren im CollegeFootball hingelegt; einer von ihnen war Kapitän des Teams von Dartmouth. Marston gelang nichts dergleichen. «Ich ging nach Harvard und beschloss, den Sport aufzugeben», sagte er. Er behauptete, er sei immer wieder gefragt worden, sogar noch im vorletzten Jahr, es doch zu versuchen. Er habe abgelehnt: «Das hätte mich gezwungen, meinen Psychologie-Laborkurs abzubrechen.»29 Vielleicht. Unterdessen war sein Vater in Schulden geraten – zumindest erzählte Marston das in ­einer Bewerbung um ein Forschungsstipendium seinem Dekan, obwohl es vielleicht Marston selbst war, der sich durch Glücksspiele in Schulden gestürzt hatte. Vielleicht hielt ihn Holloway für einen Feigling. Jack Kennard, Coward wurde in weniger als zwei Monaten besetzt, abgedreht, geschnitten und vorführreif bearbeitet. In der Schlussszene, die zugleich den Höhepunkt bildet (es war die «‹bedeutende› Situation», auf der Marston die Handlung aufgebaut hatte), stellt ­Kennard seinen Mut unter Beweis, als er in der neu eröffneten U-BahnStation Harvard Square auf das Gleis springt, um seine Freundin zu retten, die kurz davor ist, von einem Zug überfahren zu werden. All seinen Studien zum Storytelling zum Trotz setzte Marston seine Fiktio­

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Eine Szene aus Jack Kennard, Coward, 1915

nen stets aus seinen Fakten zusammen: der Unfall in der U-Bahn-Station Harvard Square, der High-School-Footballspieler, der am ­College nicht mehr spielen kann, der von Schulden geplagte Student. Selbst seine Lügen sagten die Wahrheit. Jack Kennard Coward kam am 5. Mai 1915 in die Kinos.30 Er lief in weit verstreuten Lichtspielhäusern im ganzen Land. In Gettysburg wurde er zusammen mit Charlie Chaplins Keystone-Komödie Getting Acquainted gezeigt. In Cambridge zeigte ihn das – dem Rathaus gegenüber gelegene  – Durrell-Hall-Filmtheater und bewarb ihn als «ein ­College-Stück, das die Jugend bewegt und die älteren Stammgäste von den Jugendtagen träumen lässt».31 Ein Rezensent schrieb: «William Marston hat mit diesem Kurzdrama eine ziemlich überzeugende Geschichte über einen jungen Collegestudenten geschrieben. Charles  M. Seay hat ihre guten Punkte in den Vordergrund gerückt, und Thomas MacEvoy spielt die Titelrolle großartig.»32 Es war keine gute Woche fürs Kino. Zwei Tage nach der Premiere versenkte ein deutsches U-Boot vor der Küste Irlands das britische Passagierschiff Lusitania. Mehr als 1100 Menschen ertranken, darunter mehr als 100 Amerikaner; vier von ihnen waren Harvard-Absolventen aus kürzlich abgeschlossenen Jahrgängen. Undergraduate-Studenten hüllten vor dem Germanic Museum von Harvard eine Löwen-Statue, ein Geschenk des Kaisers, in schwarzes Tuch.33

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ERSTER TEIL: VERITAS

Holloway und Marston bei Marstons Abschlussfeier in Harvard, 1915

«Meinen deutschen Freunden und Kollegen», verkündete Josiah Royce in seinem Metaphysik-Seminar, es war fast eine direkt an Hugo Münsterberg gerichtete Ansprache, «falls sie zufällig wissen wollen, was ich denke, kann und werde ich ab jetzt nur dieses eine sagen: ‹Ihr mögt in der sichtbaren Welt triumphieren, aber beim Bankett, bei dem ihr euren Triumph feiert, werden die Geister meiner auf der Lusitania ermordeten Toten anwesend sein.›»34 Ein Trauermonat verging. Und dann, am Donnerstag, dem 24. Juni 1915, einem für diese Jahreszeit zu kalten Tag, schloss Marston sein Studium in Harvard ab. Bei einer Feier im Sanders Theatre hielt E. E. Cummings, der zu Marstons Jahrgang gehörte, eine Rede über die

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Moderne, die er «The New Art» nannte. Er zitierte ein Gedicht von Amy Lowell: «Little cramped words scrawling all over the paper / Like draggled fly’s legs» («Kleine, verkrampfte Wörter krabbeln übers ­Papier / Wie schmutzige Fliegenbeine»); er zitierte einen Prosa-Strom von Gertrude Stein: «Please pale hot, please cover rose, please acre in the red stranger, please butter all the beef-steak with regular feel faces» («Bitte bleich heiß, bitte decke Rose, bitte Acker in dem roten Fremden, bitte buttere das ganze Beefsteak mit regelmäßigen Fühl ­Gesichtern»). Dann verlieh Präsident Lowell 124 akademische Grade, er überreichte Diplome, die in lateinischer Sprache auf Pergament geschrieben worden waren. Nach vier Jahren in Cambridge kehrte Gvilielmvs Movlton Marston mit einer aus Schafleder gefertigten Pergamentrolle nach Hause zurück, auf der die Note magna cvm lavde festgehalten war, geschmückt mit dem Motto der Universität: VERITAS.35 Wahrheit.

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MR. UND MRS. MARSTON

SADIE HOLLOWAY  schloss am 16. Juni 1915 ihr Studium in Mount ­Holyoke ab.1 Sie hatte sich einen Kurzhaarschnitt zugelegt. Unter ­ihrem mit einer Quaste geschmückten Akademikerhut trug sie einen Bubikopf, ihre Locken waren bis über den Nacken abgeschnitten. ­Feministinnen in Greenwich Village hatten 1912 die Bubikopf-Frisur eingeführt. 1915 galt sie immer noch als radikal. «Die Idee stammte anscheinend aus Russland», berichtete die New York Times. «Die intellektuellen Frauen jenes Landes waren Revolutionärinnen. Um sich leichter verkleiden zu können, wenn die Polizei hinter ihnen her war, trugen sie die Haare kurz.»2 Auch Holloway war so etwas wie eine ­Revolutionärin. Als Holloway 22 Jahre alt wurde, schenkte Marston ihr ein Buch mit Gedichten des amerikanischen Lyrikers Nicholas Vachel Lindsay. (Holloway wünschte sich immer Gedichte als Geschenke.) Darin hatte er ein Gedicht mit dem Titel «The Mysterious Cat» unterstrichen. Sie gab sich gern geheimnisvoll, sie liebte Katzen; sie stellte sich selbst als eine Manx vor, eine Katze ohne Schwanz; Marston sah sich selbst als ihr Sklave. Er mochte diese Zeilen: «I saw a cat – ’twas but a dream / Who scorned the slave that brought her cream». («Ich sah eine Katze / Es war nur ein Traum / Die den Sklaven verachtete / Der ihr Sahne brachte».) Das klingt ein bisschen schmutzig. Marston schrieb an den Rand: «Ha! Ha!»3 Er machte ihr einen Antrag; sie nahm ihn an; er schenkte ihr einen

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Holloway bei der Abschlussfeier in Mount Holyoke, 1915

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Verlobungsring, der von dem Preisgeld gekauft worden war, das er für das Drehbuch zu Jack Kennard, Coward erhalten hatte.4 Marston stand kurz vor der Einschreibung an der Law School. Holloway beschloss, dass sie es ihm nachtun würde. «Es kam mir nie in den Sinn, nicht zu ­gehen, wenn ich das eigentlich wollte», sagte sie. Sie hatte einmal Ärger bekommen, in einem Ethik-Kurs in Mount Holyoke, als der Professor fragte: «Was sollte ein Rechtsanwalt, der für die Verteidigung eines schuldigen Mannes engagiert wird, in diesem Fall tun?» Holloway sagte: «Seinen Beruf wechseln.»5 Ihr gefiel die Idee, Jura zu studieren. Sie stritt sich gerne über Regeln und Be-

stimmungen. Ihr Vater war dagegen. «Solange ich für euren Unterhalt sorgen kann, solltet ihr euch ­damit begnügen, zu Hause bei eurer Mutter zu bleiben.» Holloway ­ignorierte ihn. Den Sommer verbrachte sie mit dem Verkauf von Koch­ büchern, mit denen sie von Tür zu Tür zog, um sich die Studien­ gebühren zu verdienen.6 Holloway und Marston heirateten im September. Holloway war die Erste in ihrem Jahrgang, die zur Ehefrau wurde, und das zu einer Zeit, in der nur jede zweite Holyoke-Absolventin jemals heiratete.7 Zur Hochzeitsfeier trug sie im Salon ihres Elternhauses ein weißes Satin­ kleid und einen Schleier, der von Maiglöckchen gehalten wurde.8 Marston wollte, dass sie seinen Namen annahm. Das tat sie auch, ­ärgerte sich aber darüber. «Was die Namen anbetrifft, bleibt uns nur die Wahl, den des Vaters oder den unseres Ehemannes zu nehmen, also

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wähle den, der Dir am besten gefällt», riet sie einmal einer Freundin. «In dieser Kultur gibt es so etwas wie «deinen eigenen Namen› überhaupt nicht.»9 Marston mochte den Namen Sadie nicht, obwohl der Holloway sehr gefiel, ganz besonders, wie sie sagte, «wenn man die orien­ talische Schreibweise verwendet, Zaidee, die Mutter Erde». Marston mochte auch den Namen Elizabeth nicht, also wurde Sadie Elizabeth Holloway zu Betty Marston. (Ich werde sie weiterhin «Holloway» nennen.) Sie reHolloway und Marston, 1916 agierte verbittert, gab aber nach. «Ich kam da nicht weiter», sagte sie später.10 Die Hochzeitsreise führte sie nach Maine. Dann bezogen sie eine Zweizimmerwohnung in Cambridge, in der Remington Street.11 Marston begann sein Jurastudium an der Harvard Law School. «Diese Dummköpfe in Harvard nahmen keine Frauen», sagte Holloway, «also ging ich an die Boston University.»12 «Studium an der Boston University Law School und Haushaltsführung», gab Holloway 1916 in ihrem ersten Bericht an das Alumni-Büro von Mount Holyoke als ausgeübte Tätigkeiten an. Sie versuchte sich selbst das Kochen beizubringen und bediente sich zu diesem Zweck eines Fannie-Farmer-Kochbuchs, das sie von ihrer Schwiegermutter bekommen hatte.13 Sie kochte nie gern, das Jurastudium aber liebte sie sehr. Die 1869 gegründete Boston University hatte von Anfang an auch Frauen zum Studium zugelassen; sie war das erste koedukative College in Massachusetts. Aber Holloway war 1915  – mit ihrem Bubikopf  – eine von nur drei Frauen ihres Studienjahrgangs an der juristischen Fakultät. Bei einem Strafrecht-Seminar wurden die Studentinnen hi­

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nauskomplimentiert, wenn Themen wie Vergewaltigung auf dem Lehrplan standen.14 Holloway war eine ausgezeichnete Jura-Studentin, Marston zeigte wenig Interesse. «Ich mühte mich verbissen ab, nahm die ganze vor­ geschriebene Plackerei auf mich und erzielte außerordentlich magere Resultate», räumte er ein.15 (Er bekam niemals etwas Besseres als eine Drei, ein C.) Er hatte sich an der juristischen Fakultät eingeschrieben, um Beweisrecht zu studieren. Im Herbst 1916, in seinem zweiten Stu­ dienjahr, schrieb er sich für das Beweisrecht-Seminar von Arthur D ­ ehon Hill ein. Hill benutzte als Lehrbuch die zweite Ausgabe von James Bradley Thayers Select Cases on Evidence. Thayer, der bis zu seinem Tod im Jahr 1902 in Harvard lehrte, war der Lehrer von John Henry Wigmore gewesen, Hugo Münsterbergs Erzfeind. (Wigmore widmete Thayer sein Werk Treatise on the Law of Evidence.) Nach Thayers Ansicht gab es keine Regeln für die Beweisführung; oder, um genau zu sein, es gab ­deren zwei, und nur diese beiden: «(1) dass nichts anzuerkennen ist, was nicht logisch als Beweis für irgendeine Sache dient, die des Beweises bedarf; und (2) dass alles, was auf diese Weise beweiserheblich ist, berücksichtigt werden sollte, es sei denn, ein klarer rechtspolitischer Standpunkt schließt dies aus.»16 Marston wollte herausfinden, wie er seinen Lügendetektortest vor Gericht einführen konnte. Die Präsidentschaftswahl 1916 drehte sich um zwei Fragen: den Krieg in Europa und das Frauenwahlrecht. Woodrow Wilson, der sich um eine zweite Amtszeit bewarb, war ein Befürworter der Neutralität und blieb ein Gegner eines Verfassungszusatzes, der Frauen das Wahlrecht garantierte. Sein Herausforderer war Charles Evans Hughes, ein ehemaliger Gouverneur des Staates New York und Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Hughes warb für den Kriegseintritt der Ver­ einigten Staaten.17 «Eine Stimme für Hughes ist eine Stimme für den Krieg», erklärte ein Senator aus Oklahoma. «Eine Stimme für Wilson ist eine Stimme für den Frieden.» Beim Nationalkonvent der Republikaner in Chicago nahmen 5000 Frauen an einer Protestveranstaltung teil. Hughes begann, das Frauenwahlrecht zu befürworten. Manche Frauen unterstützten Hughes wegen seiner Haltung zum Wahlrecht; andere sprachen sich für Wilson aus, wegen seiner Haltung zum Frie-

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Frauen als Darstellerinnen von US-Bundesstaaten, diejenigen in Ketten repräsentieren Staaten, in denen Frauen noch kein Wahlrecht hatten, 1916

den. Letztlich waren es die für die Friedensbewegung engagierten Wählerinnen, die Wilson einen knappen Sieg sicherten: Er gewann zehn der zwölf Staaten, in denen Frauen bereits wählen durften. Ohne ihre Stimmen hätte er verloren.18 Den ganzen Herbst hindurch war Harvards Präsident Lowell gedrängt worden, Münsterberg wegen seiner Unterstützung Deutschlands zu entlassen. Lowell lehnte dies in einem Brief vom 2. November 1916 ab und erklärte seine Entscheidung standhaft zur Grundsatzfrage: «Es ist dieser Universität zugefallen, zu den führenden Ver­ tretern der Wahrung des Grundsatzes der akademischen Freiheit zu zählen, die im gegenwärtigen Krieg einer schweren Belastungsprobe unterzogen worden ist. Dieser Grundsatz, dem wir die größte Bedeutung zumessen, darf nicht infrage gestellt werden ohne einen handfesten Beweis für persönliches Fehlverhalten, von der Unbeliebtheit der ausgesprochenen Ansichten einmal abgesehen.»19

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Münsterberg überlebte die Kontroverse nicht. Am Morgen des 16. Dezember 1916 fühlte er sich unwohl und wacklig und ging langsamer als gewöhnlich von seiner Wohnung in der Ware Street Nr. 7 zum Radcliffe Yard. Er betrat den Vorlesungssaal. Marston könnte als sein Assistent durchaus mit dabei gewesen sein. Münsterberg begann zu sprechen; er begann zu schwanken. Mitten im Satz stürzte er zu Boden. Er hatte eine Hirnblutung erlitten. Er starb innerhalb einer Stunde. Er wurde 53 Jahre alt.20 Es gibt eine Seite in einem Wonder Woman-Heft, die einen Grabstein an hervorgehobener Stelle zeigt. Darauf steht: «Ruhe in Frieden, Prof. Psycho.»21

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DAS EXPERIMENTELLE LEBEN

ALS PRÄSIDENT WILSON IM DEZEMBER 1916  seine Rede zur Lage der

­ ation hielt, strömten Suffragetten auf die Besuchergalerien im KapiN tol und entfalteten ein Transparent, auf dem zu lesen war: «Mr. President, was werden Sie für das Frauenwahlrecht tun?» Sie waren Mitglieder der Gruppierung, die zur National Woman’s Party wurde, ­gegründet von Alice Paul und Lucy Burns nach ihrer Trennung von der National American Woman Suffrage Association, deren Strategie darin bestand, die Wahlgesetze in einem Bundesstaat nach dem anderen zu ändern. Paul und Burns kämpften dagegen für die Verabschiedung eines entsprechenden Verfassungszusatzes auf Bundesebene. Die «Neuen Frauen» wollten die Welt verändern. Burns hatte ihr Studium in Vassar 1902 abgeschlossen und ihre Universitätsausbildung in Yale, an der Columbia University und in Oxford fortgesetzt, aber in England hatte sie sich hauptsächlich mit den Methoden militanter Suffragetten befasst. Das galt auch für Paul; sie hatte sich von 1908 bis 1910 in England aufgehalten, wo sie bei Protesten verhaftet worden war, die von Emmeline Pankhursts Women’s Social and Political Union ­organisiert worden waren. Nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten promovierte Paul an der University of Pennsylvania mit einer Dissertation über die Rechte von Frauen. Im Januar 1917 begannen Suffragetten mit einer stummen Mahnwache vor dem Weißen Haus, führten dabei Transparente mit, auf denen sie fragten: «Wie lange müssen Frauen noch auf die Freiheit warten?», und gelobten,

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Suffragetten der National Woman’s Party vor dem Weißen Haus, 1917

die Mahnwache so lange weiterzuführen, bis der Verfassungszusatz verabschiedet wurde. Am 4. März 1917, am Vorabend von Wilsons zweiter Amtseinführung, marschierten mehr als 1000 Frauen bei eisigem Regenwetter ums Weiße Haus herum.1 Wenige Tage nach Wilsons Amtseinführung versenkten deutsche U-Boote drei amerikanische Schiffe. Am 2. April wurde dem Kongress ein Verfassungszusatz zur Einführung des Frauenwahlrechts vorgelegt. Wilson bat den Kongress am gleichen Tag um die Kriegserklärung. Dann kehrte er ins Weiße Haus zurück und weinte.2 Als die rund um das Weiße Haus postierten demonstrierenden Frauen sich weigerten, ihren Protest zu beenden, wurden sie verhaftet. Bei der Gerichtsverhandlung sagte der Richter: «Wir befinden uns im Krieg, und sie sollten dem Präsidenten keinen Ärger bereiten.»3 Am 6. April, an dem Tag, an dem der Kongress die Kriegserklärung beschloss, versammelten sich Experimentalpsychologen aus dem ganzen Land in Emerson Hall in Harvard. Die Leiter des Treffens waren Herbert Langfeld, Marstons Undergraduate-Dozent, und Robert Yerkes, der Präsident der American Psychological Association.4 Yerkes, der 1902 in Harvard promoviert und in Münsterbergs Labor studiert hatte, war ein Fachmann für Verhaltensforschung an Primaten und

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für Intelligenztests; und er war ein prominenter Vertreter der Eugenik. Bei dieser Versammlung formierte sich der PsychologieAusschuss des Nationalen Forschungsrats (National Research Council), dessen Vorsitzender Yerkes wurde. Die erste Aufgabe dieses Ausschusses war «die psychologische Untersuchung von Rekruten mit dem Ziel der Ausmusterung psychisch ungeeigneter Personen».5 Der Krieg, der, wie Wilson hoffte, allen Kriegen ein Ende bereiten sollte, brachte die Kam­ pagne für das Frauenwahlrecht Steve Trevor nimmt einen Test vor. fast völlig zum Schweigen, eine Aus: «The Milk Swindle», in: Kampagne, die eng mit der FrieSensation Comics Nr. 7, Juli 1942 densbewegung verbunden gewe­ sen war. Der Kongress verabschie­ dete 1917 den Espionage Act und 1918 den Sedition Act; beide Gesetze richteten sich in erster Linie gegen Sozialisten, Anarchisten und Pazifisten (Wilson hatte auch die Befugnis zur Pressezensur angestrebt; der Kongress lehnte das mit einer Mehrheit von nur einer Stimme ab). Nach Auffassung der Regierung war für eine letztlich siegreiche Kriegführung die Unterdrückung von Kritik erforderlich, ebenso wie die Mitarbeit der Psychologen des Landes; der Krieg selbst war zu einem psychologischen Laboratorium geworden. Marston beschrieb sein Leben während dieser Jahre als eine Serie von Experimenten. Erstes Experiment: Psychologie am Radcliffe unterrichten, noch während ­ des Grundstudiums in Harvard; Ergebnis: unvorteilhaft für die Mädchen, die etwas über Psychologie gelernt haben mögen, aber nicht über die Liebe. Zweites Experiment: Jura studieren; Ergebnis: unvorteilhaft für die

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ERSTER TEIL: VERITAS Rechtswissenschaft, die einen schlechten Advokaten hinzugewann. Drittes Experiment, 1917–1918: Krieg und Armee.6

Für Marstons Forschung gab es offensichtliche Anwendungsmöglichkeiten in Kriegszeiten: die Befragung von Kriegsgefangenen und der Spionage verdächtigen Personen. Er füllte am 5. Juni 1917 ein Musterungsformular aus, zehn Tage vor der Verabschiedung des SpionageGesetzes durch den Kongress und zwei Wochen vor dem Ende seines zweiten Studienjahrs an der Law School.7 Im Herbst hatte er eine Korrespondenz mit Yerkes aufgenommen.8 Er wollte seine Studien zu Täuschungen weiterführen und fragte Yerkes: «Warum sollte man mir nicht einen solchen Forschungsauftrag im Harvard Psych. Lab. erteilen?»9 Yerkes beriet sich mit Edward L. Thorndike, einem Psychologen an der Columbia University, der sich mit Marston traf und an Yerkes berichtete: «Ich habe fast einen ganzen Nachmittag mit Marston verbracht, finde ihn sehr sympathisch und habe Vertrauen zu ihm. Was seine Ergebnisse angeht, bin ich mir noch etwas unsicher, aber ich meine, dass sie einen ernsthaften Versuch mit realen Fällen wert sind.»10 Langfeld teilte Yerkes mit, er würde Marston gerne die Einrichtung in Emerson Hall zur Verfügung stellen. «Er hat viel Energie und Tatkraft und ist sehr einfallsreich», schrieb er. «Er ist sehr intelligent.» Langfeld war dennoch nicht ganz frei von Sorgen hinsichtlich dessen, was er inzwischen als Marstons Achillesferse wahrnahm: «Ich hege einen bloßen Verdacht, dass er vielleicht etwas übereifrig sein könnte, wenn es gilt, Gelegenheiten zu nutzen, was ihn dazu veranlasst, die Kurven zu scharf anzugehen.»11 Marston schickte Yerkes einen Vorschlag für ein Forschungsvor­ haben.12 Yerkes reagierte mit der Einrichtung eines Sonderausschusses für Tests auf Täuschungen, «um die Zuverlässigkeit und Praktikabilität bestimmter Verfahren zu untersuchen, die von William M. Marston zur Feststellung von Täuschungen vorgeschlagen wurden».13 Marston begann in Emerson Hall, unterstützt von Leonard Troland und einem weiteren Wissenschaftler namens Harold Burtt, mit einer Studie. Sie nahmen – unter Anwendung «hieb- und stichfester Vorkehrungen» – Tests auf Täuschungen an zehn Männern vor: an fünf Harvard-Undergraduates und fünf Jurastudenten im zweiten Studienjahr. Die Ergeb-

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nisse seien bemerkenswert, berichtete Marston an Yerkes.14 Yerkes wies Marston an, «seine Methoden auf eine Reihe von Fällen tatsächlicher Straftaten anzuwenden».15 Marston begann seine nächste Untersuchung im Herbst 1917 und nahm Täuschungstests an 20 angeklagten Straftätern vor, die vom ­Municipal Criminal Court in Boston zur medizinischen und psychologischen Begutachtung vorgeschlagen worden waren. In seinen Fall­ berichten finden sich Passagen wie die folgenden: FALL NR . 2. FRAU (FARBIG). ALTER: 31 JAHRE.

Fallbericht, der dem Prüfer vor dem Täuschungstest übergeben wurde. Farbige Frau, 31 Jahre alt. Vor sechs Monaten wegen des Diebstahls eines Rings verhaftet und auf Bewährung gesetzt aufgrund der Aussage eines farbigen Mannes, dem ein Ring mutmaßlich gestohlen worden war. Die Angeklagte hatte den Gegenstand während der sechs Monate nicht zurückgegeben, wie sie angewiesen worden war, und wurde von der Bewährungshelferin verdächtigt, ihren Anrufen ausgewichen zu sein. Mit der Unter­suchung sollte zunächst einmal festgestellt werden, ob sie den Ring gestohlen hat oder nicht. Blutdruck-Beurteilung Unschuldig. Die Frau sagt die Wahrheit, was den Ring anbetrifft, dass er ihr nämlich geschenkt worden sei. Verifizierung Der Richter stellte das Verfahren ein, obwohl die Bewährungshelferin zu einer Verlängerung der Bewährungsfrist um weitere sechs Monate riet. Es war neues Beweismaterial aufgetaucht, das darauf hindeutete, dass der farbige Mann, der zuerst behauptet hatte, die Angeklagte habe den Ring gestohlen, eine übel beleumundete Person sei, usw.

Die Beurteilung aufgrund der Blutdruckmessung, wie Marston sie vorgenommen hatte, wurde in jedem der 20 Fälle anschließend durch anderes Beweismaterial verifiziert.16 Yerkes begann sich zu fragen, ob Marston seine Kurven zu eng genommen hatte.

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Marston ging während der Winterpause der Harvard Law School nach Washington. Der Dauerprotest der National Woman’s Party rund ums Weiße Haus war zu Ende gegangen, doch es folgten Aktionen, mit ­denen gegen die Behandlung der festgenommenen Frauen protestiert wurde. Viele dieser Frauen, unter ihnen auch Alice Paul, waren in den Hungerstreik getreten und wurden mittlerweile zwangsernährt. Burns war geschlagen und an Ketten gehängt worden. Im November war eine Delegation von Suffragetten, der auch eine feministische Karikaturistin namens Lou Rogers angehörte, nach Washington gereist, um Wilson um die Freilassung der Demonstrantinnen zu bitten. Paul und Burns würden gefoltert, sagten die Delegationsmitglieder. Zum Monatsende wurden Burns, Paul und zwanzig weitere Frauen freigelassen. Wilson gab im Januar 1918 bekannt – Marston befand sich zu dieser Zeit in Washington  –, er habe beschlossen, einen Verfassungszusatz zum Frauenwahlrecht zu unterstützen.17 Yerkes hatte für Marston in Washington ein Gespräch über seine Forschungsarbeit mit John Henry Wigmore arrangiert, der in der Behörde des Judge Advocate General of the Army arbeitete, der obersten Justizinstanz der Armee der Vereinigten Staaten. Yerkes versuchte ­außerdem, Marston eine Position zu sichern, die es ihm ermöglichen würde, seine Arbeit auf diesem Tätigkeitsfeld anzuwenden. Im Justizministerium traf sich Marston mit dem Leiter des Bureau of Investi­ gation (dem späteren FBI) und mit dem jungen J. Edgar Hoover. Auf die Bitte um eine Einstellung Marstons reagierte das Bureau zurückhaltend. Yerkes schickte Marston daraufhin nach New York zu einem Treffen mit dem Chef des Militärgeheimdienstes, der ihn ablehnte und an den Polizeichef von New York weiterreichte, der ebenfalls kein Interesse zeigte. Marston fehlte es gewiss nicht an persönlichem Charme, aber seine nahezu perfekten Laborergebnisse machten im Allgemeinen auf Männer, die mit Ermittlungen zu echten Straftaten befasst waren, keinerlei Eindruck. Marston war aufgebracht. «Es ist mir egal, ob sie mich mögen oder nicht», schrieb er an Yerkes. «Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir, solange das Hauptquartier nicht befiehlt, dass diese Tests an einem ganz bestimmten, festgelegten Ort anzu­ siedeln sind und dass ich ganz bestimmte eindeutige Vollmachten er­ halten soll, um an Fälle zu kommen, immer nur weitere interessante

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Forschungsdaten sammeln und in der Praxis keinen Schritt weiterkommen werden.»18 Marston untersuchte unter Wigmores Aufsicht eine Reihe von Bagatelldiebstählen wissenschaftlicher Instrumente, zu denen es in dem Gebäude gekommen war, in dem Yerkes arbeitete: «Ich wurde gebeten, all die Schwarzen Büroboten im Mills Building zu überprüfen, die Zugang zu dem Raum gehabt haben könnten, aus dem die Instrumente entwendet wurden», erklärte Marston. Er unterzog 18 Boten seinem Täuschungstest und berichtete, dass Proband Nr. 4, ein Mann namens Horace Dreear, schuldig sei. Aber er hatte den falschen Mann erwischt: Es stellte sich zweifelsfrei heraus, dass eine andere Person den Diebstahl begangen hatte. Im verzweifelten Bemühen, sich selbst zu entlasten, fuhr Marston nach New York, wo er, wie er Yerkes berichtete, herausfand, dass Dreear einem «‹üblen Haufen› unter den Negern in New York» entstammte. (Auch wenn Dreear die Instrumente nicht gestohlen habe, sei er immer noch ein schuldiger Mann, versuchte Marston hier vorzubringen; es gehe nur darum, dass er sich einfach in anderer Hinsicht schuldig gemacht habe.) Marston schrieb Yerkes, dass er inzwischen denke, das Problem bei seinem Experiment könnte gewesen sein, dass er das nicht berücksichtigt habe, was aus seiner heutigen Sicht ein «rassisch» bedingter Unterschied sein könnte: «Der Faktor der willentlichen Kontrolle, der bei weißen Männern ­einen täuschungsbedingten Anstieg [des Blutdrucks] regelmäßig und fast zur absoluten Größe macht, scheint bei Negern offensichtlich fast vollständig zu fehlen.»19 Yerkes’ Unterstützung ließ nach. Marston war vom Militärgeheimdienst ebenso abgelehnt worden wie vom Bureau of Investigation, von der New Yorker Polizei, vom Kriegs- und vom Justizministerium. Außerdem hatte er einen unschuldigen Mann einer Straftat bezichtigt. Yerkes entschied, die geeignetste Verwendung für Marston könnte der Seminarraum oder der Hörsaal sein. Er traf die ersten Vorbereitungen für einen Einsatz Marstons als Dozent eines Kurses über Militärpsychologie für Soldaten. Dazu musste Marston sein drittes Studienjahr an der Juristischen Fakultät ohne Abschlussarbeiten beenden, was die widerstrebende Zustimmung des Dekans fand.20 Marston und Holloway schlossen ihr Jurastudium im Juni 1918 ab.

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Marston (2. v. l.) in Camp Greenleaf, 1918

Im August legten sie gemeinsam die Rechtsanwaltsprüfung ab. Holloway erledigte das schneller. «Ich war im Nu mit der Prüfung fertig», sagte sie, «und musste rausgehen und mich auf die Treppe setzen, um dort auf Bill zu warten.»21 Marston wurde im Oktober 1918 zum Leutnant befördert und nach Camp Greenleaf in Georgia geschickt, wo man ihn zum Professor an der U. S. Army School of Military Psychology ernannte.22 Holloway blieb in Cambridge. «Während des Krieges langweilten sich die zu Hause gebliebenen Frauen zu Tode», sagte sie später.23 Es gibt eine Wonder-Woman-Episode, in der Dr. Psycho vor Publikum mit einem Trick die Gestalt des Geistes von George Washington annimmt, um dann den Gedanken niederzubrüllen, dass es Frauen gestattet sein sollte, sich an den Kriegsanstrengungen zu beteiligen.

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«Frauen werden den Krieg für Amerika verlieren! Frauen sollte es nicht erlaubt sein, die Verantwortung zu tragen, die sie jetzt haben!», warnt er. «Man darf ihnen keine kriegswichtigen Geheimnisse anvertrauen, sie dürfen auch nicht in den Streitkräften dienen. Frauen werden ihr Land durch Schwäche verraten oder durch Treulosigkeit!» «Was erzählt dieser großmäulige, verlogene Schwindler da!», ruft Wonder Woman dazwischen und stürmt auf die Bühne. «Ich werde ihn aufhalten.»24 Doch Holloway war es nicht möglich, irgendetwas aufzuhalten. Mr. Marston zog in den Krieg. Mrs. Marston blieb zu Hause. In Camp Greenleaf leitete Marston einen Kurs zum Thema «Militärische Probleme von Zeugenaussagen». Er konzipierte ein «Aussage»Experiment: Dazu verwendete er zehn Fünfcentstücke und «etwa 50 Gegenstände, jeder davon hatte für einen Soldaten einen gewissen inneren Wert», und versteckte alles in einem Raum im ersten Stock des Psychology Building auf dem Camp-Gelände. Er wies 35 Soldaten an, den Raum einzeln zu betreten, einer nach dem anderen, und entweder nichts zu stehlen oder etwas zu entwenden und in einer benach­ barten Kaserne zu verstecken. 14 Offiziere, darunter mehrere Rechtsanwälte, sollten die Soldaten beobachten, wenn sie den Raum betraten und wieder verließen, ihnen dann folgen und sie schließlich an ein Blutdruck-Messgerät anschließen und befragen.25 19  Soldaten hatten etwas gestohlen; 16 hatten nichts gestohlen. (Vor der Befragung schrieben sie noch Geständnisse, die dann bis zum Abschluss des Experiments versiegelt wurden.) Den Offizieren gelang unter Verwendung von Marstons Täuschungstest der Nachweis von Schuld oder Unschuld eines Soldaten in 26 von 35 Fällen, was einer Quote von 74,3  Prozent entsprach. Marston, der keine Befragungen vornahm, sondern nur die Kurven studierte, die Blutdruckveränderungen der Soldaten dokumentierten, lag in 34 von 35 Fällen richtig und erreichte damit eine erstaunliche Erfolgsquote von 97,1 Prozent. Sein Test, lautete seine Schlussfolgerung, war nahezu perfekt; das einzige Problem bestand darin, dass manche Leute bei dessen Anwendung eben nicht so gut waren wie er selbst.26 Das Verfahren machte einen sehr zweifelhaften Eindruck. Marstons Ergebnisse, lautete Yer-

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Aus: «Victory at Sea», in: Sensation Comics Nr. 15, März 1943

ERSTER TEIL: VERITAS

kes’ feinfühlig-vorsichtige Einschätzung, «genossen nicht das Vertrauen aller Mitglieder des Psychologie-Ausschusses».27 Aber Wigmore war beeindruckt. Er drängte Marston, seine Forschungsarbeit in Camp Greenleaf schriftlich zu dokumentieren und den Text beim Journal of Criminal Law and Criminology einzureichen, einer von Wigmore selbst gegründeten Zeitschrift. Marstons Artikel wurde zur Veröffentlichung angenommen.28 «Du bist schon eine kleine Psychologin!», sagt Steve Trevor immer wieder zu Diana Prince.29

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MASCHINE ENTDECKT LÜGNER, SCHNAPPT GAUNER

MARJORIE WILKES ,  die sowohl an das Frauenwahlrecht, Suffrage, wie

auch an Bondage glaubte, wurde 1889 in Atlanta, Georgia, geboren. Sie war ein Einzelkind. Ihr Vater arbeitete für die Eisenbahn in Georgia.1 Sie rauchte seit ihrem 13. Lebensjahr. Sie war kerngesund und spindeldürr, hatte Rehaugen und mausbraunes Haar. Im Jahr 1912 ­arbeitete sie, inzwischen 22 Jahre alt, für eine Frauenwahlrechts-Kampagne in Chicago. Dort heiratete sie einen Mann namens Huntley, weil sie einen anderen Namen wollte: Sie wollte nicht so heißen wie der Mann, der Abraham Lincoln ermordete. 1914 arbeitete sie, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, als Bibliothekarin. 1916 marschierte sie beim Nationalkonvent der Republikaner in Chicago in einem Wahlrechts-Demonstrationszug mit; ein Karikaturist einer Chicagoer Tageszeitung zeichnete Suffragetten, deren Arme mit Handschellen gefesselt waren und die eine an ihre Füße gekettete Eisenkugel mitschleppten, Sklavinnen der Männer, die sie beherrschten.2 «Niemand weiß mehr über die Produktion von Wonder Woman als Marjorie  W. Huntley», sagte Holloway gerne.3 In den 1940 er Jahren half Huntley beim Einfärben und beim Lettering von Wonder Woman, auch bei den zahlreichen Bildern, die an Händen und Füßen gefesselte Frauen zeigten. «Wie kann sie nur rennen, mit dieser Eisenkugel und den Ketten?», ruft einer der Häscher, die Wonder Woman gefangen nehmen.4 Huntley war in Wahlrechtsfragen geschult, aber sie glaubte

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ERSTER TEIL: VERITAS

Suffragetten, als Sklavinnen dargestellt anlässlich einer Parade während des Nationalkonvents der Republikaner in Chicago 1916

Wonder Woman und ihre Freundinnen als Sklavinnen, in: «Mole Men of the Underworld», in: Wonder Woman Nr. 4, April/Mai 1943

auch an das, was sie als «Liebesbindung» («love binding») bezeichnete: an die Bedeutung des Gefesselt- und In-Ketten-gelegt-Seins. Sie glaubte außerdem an außerkörperliches Bewusstsein, an Schwingungen, Reinkarnation und an die übersinnliche Natur des Orgasmus.5 Sie lernte Marston 1918 kennen, nachdem am 11. November der Waffenstillstand verkündet worden war und er nach Camp Upton, New York, geschickt wurde, um dort kriegstraumatisierte Patienten

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zu behandeln. Huntley war die Bibliothekarin des Camps. Marston war 25 Jahre alt und weit weg von seiner Frau; Huntley war 29 und geschieden. Sie waren sechs Monate zusammen. Marston wurde am 9. Mai 1919 aus der Armee entlassen, an seinem 26. Geburtstag. Die National Woman’s Party, die während des gesamten Krieges ­Demonstrationen veranstaltet hatte  – bei denen Wilsons Reden verbrannt, das Kapitol von Demonstrantinnen belagert und Ansprachen in Häftlingskleidung gehalten wurden  –, siegte schließlich in Friedenszeiten. Das Repräsentantenhaus verabschiedete am 21. Mai 1919 den 19. Zusatzartikel zur Verfassung: «Das aktive Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten darf von den Vereinigten Staaten oder einem Einzelstaat nicht auf Grund des Geschlechts versagt oder eingeschränkt werden.» Der Senat verabschiedete den Zusatzartikel am 4. Juni und reichte ihn zur Ratifikation an die Einzelstaaten weiter. Marston reiste heim nach Cambridge. Bald darauf war Holloway schwanger. Sie zogen in ein Haus in der Lowell Street, einer Seitenstraße der Brattle Street; Holloways Eltern kauften es für die beiden.6 Sie vermieteten Zimmer an Freunde aus der Juristischen Fakultät, und in einem Zimmer brachten sie einen von Marstons Patienten unter, ­einen Jungen, der unentwegt masturbierte; er musste Tag und Nacht beobachtet werden.7 Huntley kam zu Besuch. Marston hatte sie mit der Abmachung verlassen, dass sie zu Besuch kommen sollte, wann ­immer sie wollte. Später sprach sie dann darüber, wie sie und Marston und Holloway zu einem «Trio» wurden; das mochte 1919 begonnen h ­ aben.8 Marston schrieb sich im September 1919 in Harvards Doktorandenprogramm im Fachbereich Philosophie ein, und Holloway, im fünften Monat schwanger, begann am Radcliffe College ein Master-Studium. Alle von Radcliffe-Absolventinnen belegten Kurse wurden an Harvards Graduate School von Harvard-Professoren unterrichtet. Mr. und Mrs. Marston schrieben sich gemeinsam für zwei Semester im Psychological Laboratory bei Herbert Langfeld ein.9 Am 7. Januar 1920 brachte Holloway ein totes Baby zur Welt. Sie nannten es Fredericka, nach Marstons Vater. Holloway schrieb ihr ­Leben lang, wann immer sie ein Formular auszufüllen hatte, auf dem sie die Namen ihrer Kinder angeben sollte, den Namen des totgeborenen Babys mit dazu.10

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Im Sommer jenes Jahres machten die Marstons Urlaub auf den Bermudas; das Schiff, das sie in die Vereinigten Staaten zurückbrachte, erreichte das Festland am 9. August.11 Neun Tage später wurde der 19. Zusatzartikel rechtskräftig. Marjorie Wilkes Huntley begleitete am Wahltag in jenem Herbst Frauen zur Stimmabgabe ins Wahllokal. Die National Woman’s Party begann, nachdem das Wahlrecht für Frauen errungen war, für die Verabschiedung von Gleichstellungsgesetzen in den Einzelstaaten und für die Ratifikation eines von Alice Paul formulierten Zusatzartikels zur Gleichberechtigung (Equal Rights Amendment) zu werben.12 Holloway und Marston hatten ihre Mühe damit, zu einer eigenen Art von Gleichberechtigung zu finden. «Kann es ein Teil der gött­ lichen Weltordnung sein, dass eine Doktorin ein Leben lang für einen Doktor den Abwasch erledigt, nur weil sie eine Frau ist und er ein Mann?», fragte 1921 die Autorin eines mit «Reflections of a Professor’s Wife» überschriebenen Aufsatzes.13 Holloway hat vielleicht dieselbe Frage gestellt. Holloway und Marston belegten im akademischen Jahr 1920/21 ein weiteres Mal die gleichen Kurse bei den gleichen Professoren.14 Holloway erzählte gerne, ein großer Teil von Marstons Forschungsarbeit stamme in Wirklichkeit von ihr, und sie verdiene ebenso wie er einen Doktortitel von Harvard, auch wenn sie niemals einen erhalten habe. «Ich schlug das ursprüngliche Lügendetektor-Experiment vor», behauptete sie immer.15 Der einzige Grund, weshalb Harvard ihr einen Doktortitel verweigert habe, sei gewesen, dass sie sich dagegen gesträubt habe, gute Deutschkenntnisse zu erwerben. «Ich weigerte mich, den Gedanken zu akzeptieren, dass es notwendig sei, die deutschen Wissenschaftler zu lesen, wenn man auf seinem Arbeitsgebiet mithalten wollte, selbst wenn man alle anderen Anforderungen erfüllte», erklärte sie. «Ich ging ans Radcliffe, unterschrieb ein paar Formulare, kritisierte sie vom rechtlichen Standpunkt aus, schrieb eine Examensarbeit über Untersuchungen zu Zeugenaussagen und erhielt einen M. A.»16 Entweder log Holloway, oder sie erinnerte sich falsch. Harvard ließ Frauen nicht zu Promotionsverfahren zu; es stand nicht zur Debatte, ob eine Frau sich einer Doktorprüfung stellen durfte, mit oder ohne

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Deutschkenntnisse.17 Für einen MA-Titel des Radcliffe College musste man auch keine Abschlussarbeit vorlegen. Und «Studies in Testimony» ist nicht der Titel einer von Holloway verfassten Masterarbeit  – sie schrieb keine –, sondern der Titel eines zu einem späteren Zeitpunkt von Marston veröffentlichten Zeitschriftenartikels. Holloway hatte, ihrem Master- und juristischen Doktortitel zum Trotz, große Mühe, eine Arbeitsstelle zu finden. In jener Zeit lag der Frauenanteil in der Juristenzunft der Vereinigten Staaten bei unter zwei Prozent.18 Niemand nehme eine Rechtsanwältin ernst, klagte Holloway. «Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die damals tatsächlich einen Fall vor einer Jury vertrat», sagte sie. Sie erzählte diese Geschichte aus ihrer Zeit als Sachbearbeiterin: «Ich war eines Tages bei Gericht, um Schriftsätze einzureichen, als der Vorsitzende sich über seinen Tisch beugte und verkündete: ‹Junge Dame, bitte sagen Sie doch Ihrem ­Arbeitgeber, er solle nicht seine Sekretärin zum Gericht schicken, um Akten einzureichen.›» Sie wartete ihre Zeit ab. Über Männer, die sie so behandelten, sagte sie gerne: «Ich hab’ ihm nicht ins Auge gespuckt, aber ich hätte es gerne getan.»19 Während des Krieges verkaufte Holloway Lifebuoy-Seife vor einem Kino am Central Square. Wer Seife im Wert von 14 Dollar kaufte, erhielt dafür eine Kino-Freikarte. «Möchten Sie die Lifebuoy-Seife ausprobieren, Madame?», lautete ihre Standardfrage. «Nein, das möchte ich nicht; sie riecht nach Krankenhaus.» «Sie meinen wohl, in einem Krankenhaus riecht es nach Lifebuoy?», pflegte Holloway darauf zu antworten. Sie reiste von einer Stadt zur anderen. Dabei lernte sie die anderen reisenden Händlerinnen kennen; sie hielten stets zusammen. Holloway hatte eine Freundin, die von allen «Blackie» genannt wurde, weil sie ihre Haare mit Schuhcreme färbte. Blackies Lieblingsausspruch wurde auch einer von Holloways Lieblingssprüchen. Blackie sagte gerne: «Bei Gott, Missus, es gibt keinen Mann auf Erden, der es wert wäre, dass man mit einem Fuß in der Hölle steht.»20 Marston war die Ausnahme.

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Das experimentelle Leben von William Moulton Marston war von sehr vielen Plänen bestimmt. In seinem letzten Jahr an der Graduate School gründete Marston die Tait-Marston Engineering Company, zu der eine Maschinenfabrik samt Gießerei in Boston und Büroräume in der State Street Nr. 60 gehörten.21 Er wurde Finanzchef eines Unternehmens ­namens United Dress Goods, das mit Stoffen handelte.22 Und gemeinsam mit zwei Studienfreunden von der Juristischen Fakultät  – mit ­Felix Forte, der Marston bei der Arbeit zu seinen Täuschungstests unterstützt hatte, und mit Edward Fischer, einem Mitgründer der Boston Legal Aid Society – gründete er eine Anwaltssozietät: Marston, Forte & Fischer. Auch die Büroräume dieses Unternehmens befanden sich in der State Street Nr. 60.23 Diese drei Unternehmen, Tait-Marston Engineering, United Dress Goods und Marston, Forte & Fischer, scheiterten allesamt. Aber Marston gestand nur das Scheitern der Anwalts­ sozietät ein, des vierten in einer Reihe von Experimenten, die sein ­Leben ausmachten: «Vierte Untersuchung, 1918–21, Tätigkeit als Anwalt, während die psychologische Arbeit in Harvard fortgesetzt wird; Ergebnis: allgemeine Unzufriedenheit aller beteiligten Personen, vor allem der Mandanten.»24 Er war jedoch der Ansicht, mit der Aufdeckung von Täuschungen könnte immer noch Geld zu verdienen sein. Auf der Veranda seines Hauses in der Lowell Street, wo er eine provisorische Bühne errichtet hatte  – einen hölzernen Tisch, der mit Laborausrüstungsgegenständen bedeckt war, mit Steuerrädern, Schnüren, Uhren und einem Blutdruckmessgerät –, ließ er eine Fotoserie anfertigen. Auf diesen Fotografien trägt Marston einen Tweed-Dreiteiler und seine Brille mit den runden Gläsern und befindet sich in der Gesellschaft einer sehr hübschen jungen Frau – der Sekretärin von Marston, Forte & Fischer. Ihr langes, dunkles Haar ist zurückgebunden, ihre großen Augen wirken ausdruckslos; sie trägt ein helles Kleid. Auf einem Bild sitzt sie auf ­einem Stuhl Marston gegenüber, der sich nach vorne beugt. An ihrem linken Arm ist eine Blutdruckmanschette befestigt, und ein Gurt ist über ihren Brustkorb gespannt, unmittelbar über ihren Brüsten. Eine schwarze Scheibe über einem Auge schränkt ihr Sichtfeld auf die Hälfte ein. Marston verschickte die Fotografien im Mai 1921 an Tageszeitun-

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Marston nimmt an der Sekretärin seiner Anwalts­ sozietät einen Lügendetektortest vor, 1921

gen, die beigelegte Pressemitteilung trug die Überschrift «Maschine entdeckt Lügner, schnappt Gauner» («Machine Detects Liars, Traps Crooks»). Die Geschichte wurde von Zeitungen im ganzen Land aufgegriffen: «Erfolgreiches Lügen wird schon bald eine vergessene Kunst sein.»25 Im darauffolgenden Monat schloss Marston sein Studium mit einem Doktortitel ab. Er hatte fast zehn Jahre in Harvard zugebracht. Er hatte Geschichte, Philosophie, Psychologie und Rechtswissenschaft studiert. Er hatte drei akademische Grade erworben. Er dachte gerne über das Wesen der Beweisführung nach und glaubte zu wissen, wie man herausfinden konnte, wer die Wahrheit sagte und wer nicht. Er selbst war dabei zu einem ausgezeichneten Lügner geworden. Die Zeit für sein nächstes Experiment war gekommen: «Fünfte Forschungs­ arbeit, Gründung des (potenziell) großartigen Faches der Rechtspsychologie an der American University.»26 Für dieses Experiment ging Dr. Marston nach Washington.

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STUDIEN ZU ZEUGENAUSSAGEN

DIE VORLESUNG  hatte gerade erst begonnen, als jemand an die Tür

klopfte. Der Professor durchquerte den Raum und öffnete die Tür. Ein junger Mann trat ein. Er trug Handschuhe. In der rechten Hand hielt er einen Briefumschlag. Unter den linken Arm hatte er drei Bücher geklemmt: ein rotes, ein grünes und ein blaues. Er sagte, er müsse eine Nachricht überbringen. Er sprach mit einem texanischen Akzent. Er übergab dem Professor den Umschlag. Während der Professor den Umschlag öffnete, ein gelbes Papier herauszog und dessen Inhalt las, holte der Kurier – nur mit der rechten Hand – ein langes Taschenmesser mit grünem Griff aus seiner Tasche. Er klappte das Messer geschickt auf und begann mit dem Klingenrand über seinen behandschuhten linken Daumen zu schaben.1 Bei dem Kurs handelte es sich um einen Graduiertenkurs zum Thema Rechtspsychologie an der American University in Washington, D. C. Die Gruppe traf sich seit März 1922 zweimal wöchentlich jeweils am Abend. Sie bestand aus 18 Studenten, allesamt Rechtsanwälte. In das Hörsaalgebäude in der F Street Nr. 1901 waren sie nach einem Tag gekommen, den sie entweder im Büro oder bei Gericht verbracht hatten; viele von ihnen arbeiteten im Staatsdienst. Im Vorlesungsverzeichnis hatte der Professor, William Moulton Marston, eine Voraussetzung benannt: «Die Studenten müssen über praktische Kenntnisse zu den Grundsätzen des Common Law verfügen, um sich für diesen Kurs zu qualifizieren, der besonders auf praktizierende Rechtsanwälte

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Eine verkleidete Wonder Woman besucht eine Vorlesung. Wonder Woman, Zeitungsstrip, 14. September 1944

und Juristen zugeschnitten ist, die ein ernsthaftes und aktives Inte­ resse an der Verbesserung der Standards der Rechtspflege in der gegenwärtigen Justizverwaltung haben.»2 Er war immer noch von einem gewissen ambivalenten Idealismus besessen. Marston beendete die Lektüre dessen, was da auf dem gelben Blatt Papier geschrieben stand, sagte etwas zu dem Texaner und entließ ihn wieder. Dann wandte er sich seiner Seminargruppe zu und teilte den Studenten mit, dass der Mann, der gerade eben den Raum verlassen hatte, in Wirklichkeit gar kein Kurier sei; er sei vielmehr ein Schauspieler, der sich an ein von Marston verfasstes Drehbuch gehalten habe, als Bestandteil eines ausgefeilten Experiments. Stellen Sie sich vor, fuhr Marston fort, dass der Mann, der noch vor einem Augenblick hier im Raum war, inzwischen verhaftet und unter Mordanklage gestellt worden ist. Stellen Sie sich außerdem vor, dass Sie alle als Zeugen geladen worden sind. Bitte schreiben Sie alles auf, was Sie sahen.

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18 Rechtsanwälte griffen zu ihren Stiften. Bei der Vorbereitung des Experiments hatte Marston 147  Details ausgemacht, die den Studenten aufgefallen sein könnten – zum Beispiel die Anzahl und Farbe der Bücher, die der Kurier bei sich trug, und dass er sie unter einen Arm geklemmt hatte, den linken. Nachdem die Studenten all ihre Beobachtungen aufgeschrieben hatten, prüfte Marston sie, einen nach dem anderen; dann nahm er sie ins Kreuzverhör. Nach dem Unterricht bewertete er die Antworten, benotete sie nach den Kriterien Vollständigkeit, Genauigkeit und «Vorsicht» (man erhielt einen Punkt für Vorsicht, wenn man, entweder ­direkt oder auf Nachfrage im Kreuzverhör, «Ich weiß es nicht» sagte). Von 147 mög­ lichen beobachtbaren Einzelheiten hielten die Studenten durchschnittlich nur 34 fest. Alle Prüflinge fielen durch. Und niemand, kein einziger Student, hatte das Messer bemerkt.3 Marston hatte die Idee für dieses Experiment einem Beispiel entnommen, das er in John Henry Wigmores 1913 erschienenem 1200-SeitenWerk The Principles of Judicial Proof as Given by Logic, Psychology, and General Experience gelesen hatte.4 Wigmore war trotz seiner Fehde mit Münsterberg der Ansicht, dass keine Wissenschaft für das Recht und das Rechtssystem wichtiger sei als die Psychologie und dass kein ­Aspekt der Psychologie für die gerichtliche Beweisführung wichtiger sei als die Untersuchung und Prüfung von Zeugenaussagen.5 Wigmore beschrieb ein von Arno Gunther 1905 veranstaltetes Experiment. Gunther hatte es so eingerichtet, dass ein Kurier einen Vorlesungssaal betrat, und danach hatte er seine Studenten gebeten, die mit der Szene verbundenen Details zu benennen. Gunthers Szene bestand aus 30 Einzelheiten, in dieser Reihenfolge: 1. Die Uhrzeit war 15.45 Uhr. 2. Der Mann war mittelgroß und hatte eine durchschnittliche Figur. 3. Er hatte braunes Haar. 4. Er hatte einen kleinen braunen Schnurrbart, keinen Vollbart. 5. Er trug Augengläser, das heißt: eine Brille. 6. Er trug einen Mantel aus dunklem Stoff, der zugeknöpft war.

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7. Er trug einen dunklen Anzug. 8. Einen weichen Hut, dunkelbraun. 9. Keine Handschuhe. 10. In Händen hielt er Gehstock, Hut und einen Brief. 11. Der Gehstock war braun, mit einem schwarzen Griff. 12. Der Mann war 21¾ Jahre alt. 13. Er trat ein, ohne anzuklopfen. 14. Nach dem Eintreten sagte er: «Entschuldigen Sie, Herr G., kann ich Sie einen Augenblick sprechen?» 15. Herr G. anwortete: «Selbstverständlich. Treten Sie ein.» 16. Der Besucher trat ein und übergab einen Brief, 17. sagte dabei: «Ich habe hier einen Brief, der Ihnen zu übergeben ist.»6 Marston hielt sich eng an Gunthers Versuchsanordnung. Aber er fügte Gunthers Szene noch ein Messer hinzu. Marston interessierte sich weniger für die Zuverlässigkeit von Aussagen als für die Zuverlässigkeit von Geschworenenjurys, also beendete er, im Unterschied zu Gunther, sein Experiment nicht mit der Mitteilung an seine Studenten, dass sie durchgefallen seien. Vielmehr sammelte er ihre Aussagen und gab sie an Jurys weiter.7 «Ich habe hier die Verabredung getroffen, dass die ­gesammelten Aussagen meiner 18 Zeugen getrennt bei zwei Jurys eingereicht werden», berichtete Marston an Wigmore, «eine besteht aus zwölf Männern und eine aus zwölf Frauen».8 Marstons Untersuchung zur Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen war in Wirklichkeit eine Untersuchung zur Teilhabe von Frauen am politischen Leben. Die Einführung des Wahlrechts hatte keineswegs automatisch dazu geführt, dass Frauen auch als Geschworene bei Gericht fungieren konnten. Im Jahr 1921 änderten sechs Bundesstaaten – nach vorher­ gehender intensiver Lobbytätigkeit von Frauen – ihre Gesetze und ließen weibliche Geschworene zu. Aber 1922 saßen in 31 Bundesstaaten und in den Territorien Alaska und Hawaii immer noch keine Frauen in den Jurys.9 Marston wollte sehen, ob er Resultate liefern konnte, die Licht in die Debatte über die Frage bringen würden, ob Frauen ein ebenso sorgfältiges Abwägen von Beweismitteln zuzutrauen war wie Männern.

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Holloway half bei dieser Forschungsarbeit. Sie hatte in Washington eine Arbeit bei einem 1915 von Frederic Haskin gegründeten ­Informationsdienst angenommen. Haskin schrieb eine in einem Zeitungssyndikat erscheinende Kolumne, in der er Leserfragen beantwortete. Holloway recherchierte Informationen für seine Antworten. Sie arbeitete nach ihrer eigenen Aussage so schnell, dass sie noch vor dem Mittagessen 40  Briefe diktieren konnte. Wenn Marston an der Universität nicht danach war, seine Vorlesungen selbst zu halten, er­ ledigte Holloway das für ihn. Sie sprach mit Verbitterung über diese Erfahrung, und sie lehnte seine Studenten ab. «Ganz vorne saß eine Gruppe von vier Männern, die offensichtlich klüger waren als ich und sich unterhielten, während ich vortrug», sagte sie. «Also rief ich eines Tages einen von ihnen auf und sagte zu ihm: ‹Wissen Sie, Herr Soundso, es wird niemanden auch nur im Geringsten kümmern, wenn Sie bei diesem Kurs durchfallen.›»10 Marston bat Wigmore, bei seiner Aussagen-Studie als Richter zu fungieren. Wigmore war einverstanden. Marston gewann noch zwei weitere Richter für sein Vorhaben: Dr. Charles  C. Tansill, einen ame­ rikanischen Historiker in der Kongressbibliothek, und Emily Davis, eine junge «Zeitungsfrau und Korrespondentin». (Davis hatte Marston zum Täuschungstest interviewt.) Eine Sache, die Marston herausfinden wollte, war, ob Wigmore, die führende Autorität des Landes zum Thema Beweisrecht, beim Abwägen von Beweisen besser abschnitt als der Historiker Tansill oder die Journalistin Davis. Am allerwichtigsten war Marston jedoch, herauszufinden, ob Frauen kompetente Geschworene abgaben.11 In Zusammenarbeit mit Holloway stellte Marston fest, dass die weiblichen Geschworenen bei Messungen der Genauigkeit und Vollständigkeit ihrer Auswertung von Zeugenaussagen besser abschnitten als ihre männlichen Kollegen. «Sie waren sorgfältiger, gewissenhafter, und sie betrachteten alle Aussagen mit sehr viel mehr unparteiischen Überlegungen als die männlichen Jurys.» Frauen waren außerdem die besseren Richter. Davis erzielte bessere Ergebnisse als Tansill und Wigmore: «Ihre Feststellungen waren vollständiger und genauer als all die Erkenntnisse, die von männlichen Richtern vorgelegt wurden.»12 Das war eine interessante Aussage. Holloway gelangte zu einem

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späteren Zeitpunkt in ihrem Leben zu der Überzeugung, dass diese Forschungsergebnisse ihrer Masterarbeit am Radcliffe College entsprachen. Aber es kam nicht viel dabei heraus. Marston verlor das ­Interesse an diesem Thema – es gab nichts, was ihn über einen län­ geren Zeitraum hinweg interessierte. Außerdem war er zu dem Zeitpunkt, als er seine Untersuchungen über Zeugenaussagen abschloss, auch noch in einen Mordprozess verwickelt worden. Der 22-jährige James Alphonso Frye wurde am 10. März 1922, zehn Tage vor dem Beginn des Frühjahrssemesters an der American University, wegen Mordes angeklagt, man warf ihm vor, einen Washingtoner Arzt namens Robert Wade Brown umgebracht zu haben. Brown war im Eingangsbereich seines Hauses erschossen worden. Für Informa­ tionen, die zur Ermittlung des Mörders führten, war eine Belohnung von 1000 Dollar ausgesetzt worden.13 Frye war im Sommer 1921 wegen Raubes verhaftet worden, und im Verlauf der Ermittlungen zu dieser Straftat hatte ein Zahnarzt namens John R. Francis der Polizei gesagt, dass Frye Brown getötet habe.14 Frye, Brown und Francis waren alle Schwarz. Im Verlauf eines Verhörs durch die Polizei gestand Frye den Mord. Er sagte, er habe Brown zu Hause aufgesucht, um sich ein Tripper-Medikament zu besorgen, und den Arzt dann versehentlich während einer Auseinandersetzung erschossen, die begann, als Frye sagte, er habe kein Geld, und Brown sich daraufhin weigerte, ihm das Medikament zu geben. Frye sagte: «Ich wollte zur Tür rennen, und er packte mich abermals und schlug mich nieder, und ich sagte ihm, er solle die Hände hochnehmen, und er schlug weiter auf mich ein, traf mich am Kopf, und ich meine, dass sich bei der Auseinandersetzung ein Schuss aus meiner Waffe löste.»15 Die Nachricht, dass Browns Mörder gefunden worden sei, war, wie bereits der Mord selbst, eine Meldung, die landesweit Aufsehen erregte.16 Frye wurde im November 1921 in einem Strafprozess unter dem Vorsitz von Richter Walter McCoy wegen Raubes angeklagt; Lester Wood fungierte als Verteidiger für einen Mitangeklagten Fryes, einen Mann namens William N. Bowie.17 Der 25-jährige Wood arbeitete als Buchprüfer für den U. S. Shipping Board.18 Er studierte außerdem Rechtswissenschaft an der American University, unter anderem auch

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Frye (2. v. l.) wird von Marston (mit Brille) getestet

bei Marston. Wood verteidigte Bowie, um praktische Erfahrung im Gerichtssaal zu sammeln. Frye und Bowie wurden für schuldig befunden und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Fryes Anwalt James O’Shea beantragte ein neues Verfahren. Wood, der als Bowies Verteidiger auftrat, legte Revision ein.19 McCoy gab im Dezember 1921 dem Antrag auf ein neues Verfahren wegen Raubes gegen Frye und Bowie statt und räumte dabei ein, die Geschworenenjury sei zum Thema der Unschuldsvermutung nicht hinreichend unterrichtet worden. Der neue Prozess, ebenfalls in McCoys Gericht verhandelt, führte zum selben Urteil und zu demselben Strafmaß.20 Frye erzählte Lester Wood, sein Geständnis in der Mordsache sei eine Lüge gewesen. Am 11. März 1922 erklärte sich Frye im Anklagepunkt Mord für nicht schuldig.21 Er trennte sich außerdem von seinem Anwalt und vertraute jetzt auf Wood sowie auf Richard V. Mattingly, einen weiteren Studenten Marstons. Der 22-jährige Mattingly hatte sein Jurastudium an der Georgetown Law School abgeschlossen,

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aber keine Anstellung als Jurist gefunden. Er belegte inzwischen Abendkurse und strebte einen Graduate-Abschluss in Diplo­ matie und Jurisprudenz an; seinen Lebensunterhalt verdiente er tagsüber als Verkäufer.22 Gerichtsakten zum Fall Frye beziehen sich auf die Anwaltsfirma «Mattingly & Wood» mit Kanzleiräumen in der F Street Nr. 918; Frye und Marston in den Washington sie scheint eigens für diesen Daily News, 20. Juli 1922 ­einen Fall gegründet worden zu sein. Die anwaltliche Vertretung Fryes durch Mattingly und Wood erfolgte wahrscheinlich auf Veranlassung Marstons: Er scheint zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass James Frye für ihn das sein könnte, was Harry Orchard für Hugo Münsterberg gewesen war – eine Chance, die Geschichte der Jurisprudenz entscheidend zu beeinflussen. Weder er noch Wood und Mat­ tingly teilten dem Gericht jemals mit, dass die beiden Letzteren Teilnehmer von Marstons Rechtspsychologie-Veranstaltung waren.23 Marston schickte Wigmore am 3. Juni die Erklärungen, die er im Rahmen der Untersuchung zu Zeugenaussagen von seinen 18 Studenten erhalten hatte.24 Eine Woche später nahmen Mattingly und Wood Marston zu einer Begegnung mit Frye ins Gefängnis von Washington mit. Marston fragte Frye, ob er bereit sei, sich dem Einsatz des Lügendetektors zu unterziehen; Frye war einverstanden.25 Frye schilderte später, was dann geschah: «Er stellte mir verschiedene Fragen, keine davon hatte mit dem Fall zu tun, dann wechselte er plötzlich zu Fragen, die den Fall in allen Einzelheiten erfassten.»26 Die Geschichte war in den Washington Daily News nachzulesen; Marston schickte Wigmore einen Zeitungsausschnitt. Erst als Frye genau diesen Zeitungs­ bericht zu lesen bekam, ging ihm auf, dass Marston ihn für unschuldig hielt.27 Bis dahin hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihm das zu sagen.

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Fryes Mordprozess sollte am 17. Juli in McCoys Gericht eröffnet werden.28 Der Vertreter der Anklage, Assistant District Attor­ ney Joseph  H. Bilbrey, brachte die Ärzte in den Zeugenstand, die den Leichnam untersucht hatten, außerdem die Kriminalbeamten, die Fryes Geständnis entgegengenommen hatten, sowie zwei weitere Zeugen, die aussagten, dass sie Frye am Abend, an dem der Mord geschah, in Browns Wonder Woman versucht vor Gericht Haus gesehen hätten.29 Mat­ auszusagen, Wonder Woman, Zeitungsstrip, 28. März 1945 tingly und Wood eröffneten ihre Verteidigung durch das Aufrufen eines Kriminalbeamten als Zeugen, der behauptete, Frye sei zu einem Geständnis genötigt worden.30 Ein entscheidender Vorstoß der Verteidigung wäre ein Alibi g ­ ewesen. Aber Mattingly und Wood unternahmen nur einen halbherzigen Versuch zur Feststellung von Fryes Aufenthaltsort am Mordabend. Frye sagte aus, er sei im Haus einer Frau namens Essie Watson gewesen, und zwar in Gesellschaft einer Frau namens Marion Cox. E ­ ssie Watsons Gesundheitszustand ließ einen Auftritt vor Gericht nicht zu; Mattingly und Wood beantragten eine Vertagung; McCoy lehnte diesen Antrag ab.31 Cox sagte niemals aus. (Frye sagte später, sie habe sich geweigert.)32 Mattingly und Wood versuchten stattdessen festzustellen, dass Fryes Geständis erlogen war und dass der Angeklagte die Wahrheit sagte, als er dieses Geständnis widerrief.33 Diese Verteidigungsstrategie erforderte die Einbeziehung der SachverständigenAussage von Professor William Moulton Marston in das Verfahren. Mattingly und Wood übergaben dem Richter zu diesem Zweck Marstons Veröffentlichungen, einschließlich seiner Harvard-Dissertation.34 Der Gerichtssaal war am darauffolgenden Tag in Erwartung von Marstons Aussage brechend voll.35 Mattingly trat vor den Richtertisch.

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ERSTER TEIL: VERITAS Mr. Mattingly: Wenn es Euer Ehren beliebt, beabsichtige ich jetzt, die Aussage von Dr. William M. Marston als Experten für Täuschungen zur Beweiserhebung anzubieten. Das Gericht: Seine Aussage zu welchem Thema? Mr. Mattingly: Die Aussage zum Wahrheitsgehalt oder zur Unwahrheit bestimmter Erklärungen des Angeklagten, die zu einer bestimmten Zeit vorgebracht wurden.

McCoy war skeptisch; Marston, der mit seinem Blutdruck-Messgerät bereitstand, war nervös. Der Anklagevertreter begann zu sprechen. Mr. Bilbrey: Wenn es Euer Ehren beliebt … Das Gericht: Sie müssen keine Gegenrede vorbringen. Wenn Sie Einspruch einlegen, werde ich dem Einspruch stattgeben. Mr. Bilbrey: Ich möchte keinen Einspruch einlegen, aber meiner Ansicht nach sollte der Zeuge, um das Angebot ordnungsgemäß vorzubringen, in den Zeugenstand treten, vereidigt werden und dann Fragen beantworten.

Die Anklagevertretung erhob keinen Einspruch gegen Marstons Beweismaterial; der Richter schon. Die wirklichen Experten für die Entscheidung darüber, ob ein Zeuge die Wahrheit sagte oder nicht, seien die Geschworenen, teilte McCoy Mattingly mit: «Dafür ist die Jury da.» Mattingly behauptete, ein Experte für Täuschungen sei allen anderen sachverständigen Gutachtern gleichzustellen. McCoy wollte nichts davon wissen: «Wir führen keine experimentellen Methoden in Gerichtsverfahren ein», sagte er. Mattingly stellte einen Antrag nach dem anderen, er suchte nach einem Dreh, mit dem er McCoy überzeugen konnte, Marston als Zeugen zuzulassen; McCoy lehnte alle Anträge ab. Mattingly fragte an, ob ein Zeuge der Anklage, ein Polizist namens Jackson, einem Lügendetektor-Test unterzogen werden könne. McCoy wies auch diesen Antrag ab. «Wohlgemerkt: Ich weiß überhaupt nichts über diesen Test», sagte McCoy. «Ich bekam gestern bestimmte Abhandlungen zur Ansicht überreicht, von einem gewissen Dr. Marston – ich nehme an, das war die Arbeit, mit der er seinen Doktortitel erwarb. Ich werde diese Texte

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lesen, wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme. Ich kann ihnen aber jetzt schon genug entnehmen, um zu wissen, dass die Wissenschaft das Erkennen von Täuschungen mit Hilfe von Blutdruckmessungen bisher noch nicht hinreichend entwickelt hat, um dieses Verfahren zu einem brauchbaren Hilfsmittel in Gerichtsverfahren zu machen.» Mattingly hakte nach: «Euer Ehren, Sie sind bei der Durchsicht dieser Papiere natürlich nicht davon ausgegangen, dass Dr. Marston die einzige Autorität zu diesem Thema sei?» «Oh nein, ich betrachte ihn als Autorität», sagte McCoy. Und zum Lügendetektor merkte der Richter an: «Wenn er bis zu der Perfektion weiterentwickelt ist, die Telefon und Telegraf und die Funktechnik und einige andere Dinge erreicht haben, werden wir ihn berücksichtigen. Ich werde bis dahin vielleicht schon tot sein, und er wird einem anderen Richter Kopfzerbrechen bereiten, nicht mir.»36 Mit dieser Feststellung war Marstons Versuch, den Lügendetektor als Beweismittel vor Gericht einzuführen, beendet.37 Es blieben nur noch die Schlussplädoyers. Die Jury befand Frye nach weniger als ­einer Stunde Beratungszeit des weniger schwerwiegenden Anklagepunkts des Totschlags für schuldig. Mattingly kündigte an, er werde Revision einlegen und dies damit begründen, dass Marstons Aussage nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen.38 McCoy verurteilte Frye am 28. Juli zu lebenslänglicher Haft.39 Zwei Tage später schrieb Marston an Wigmore: «Ich lege einige Zeitungsausschnitte zu unserem ersten Versuch bei, Täuschungstests bei Gerichtsverfahren als Beweismittel einzuführen, was Sie vielleicht interessiert. Natürlich erwarteten wir nicht, dass irgendeine nachgeordnete Instanz die Verantwortung für die Zulassung der Tests auf sich nehmen würde, wir glaubten jedoch, dass die Zeit reif sei, um diesen Punkt zu einem Präzedenzfall für den Supreme Court zu machen.»40 Marston beschloss, für den Sommer einen neuen Kurs anzubieten. In der Washington Post erschien eine Meldung: «Prof. William M. Marston, Ph. D., L. L. B., wird in der Summer School der American University einen Kurs zur Rechtsphilosophie abhalten, der diese Woche beginnt.»41 Mattingly und Wood schrieben sich beide dafür ein. Marston benotete ihre Leistungen jeweils mit einer Drei (C).42 Der

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Dekan gewährte Marston eine Festanstellung und ernannte ihn zum Vorsitzenden des Fachbereichs Psychologie, und die American University richtete für ihn «das einzige rechtspsychologische Forschungslabor in den Vereinigten Staaten ein».43 Und der 22-jährige James ­Alphonso Frye wurde mit dem Zug nach Leavenworth, Kansas, gebracht.

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FRYE UND DIE FOLGEN

IM EXPERIMENTELLEN LEBEN   William Moulton Marstons war James A. Frye

das Experiment Nummer sechs. Marston hatte seinen wissenschaft­ lichen Ruf mit dem Fall Frye verbunden. Er erwartete, dass das Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Washington landen und ihn weltweit berühmt machen würde. Der Schriftsatz für den Berufungskläger, der sehr wahrscheinlich von Marston selbst verfasst wurde, bestand nahezu ausschließlich aus einem Vortrag zugunsten von Marstons Arbeit: «Die Frage, ob ein Zeuge wahrheitsgemäß oder falsch aussagt oder ausgesagt hat, ist eine wissenschaftliche Frage, die, um zu einer genauen Entscheidung zu kommen, der Unterstützung durch die Arbeit und Erfahrung des Wissenschaftlers bedarf.»1 Die Staatsanwaltschaft vertrat in ihrem Schriftsatz die Meinung, in dieser Angelegenheit komme es letztlich auf ­Marstons Glaubwürdigkeit an, mit der es aus der Sicht der Anklagevertretung nicht weit her sei. Bilbrey und der US-Bundesanwalt Peyton Gordon zitierten einen 1922 im Harvard Law Review erschienenen ­Artikel von Zechariah Chafee, einem Professor an der Harvard Law School, in dem der Autor (ohne zu erwähnen, dass Marston einst bei ihm studiert hatte) erklärte, dass es Marstons Arbeit an jeglicher Beweiskraft fehle und dass Täuschungstests «vor Gericht die gegen­ wärtig verwendeten Befragungsmethoden natürlich nicht generell ­ersetzen können, bis ihre Brauchbarkeit sorgfältig nachgewiesen ist».2 Zum Thema Marston teilten die Anklagevertreter dem Gericht mit:

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«Ob er Täuschungen entdecken kann oder nicht, das scheint nun ein Sachverhalt zu sein, der, mit Ausnahme von Dr. Marston selbst, niemandem bekannt ist.»3 Der D. C. Circuit Court of Appeals, die Berufungsinstanz für den Gerichtsbezirk der Bundeshauptstadt, lehnte am 3. Dezember 1923 den Revisionsantrag ab. In der Begründung heißt es unter anderem: «Es ist schwierig zu definieren, wann ein wissenschaftliches Prinzip oder eine Entdeckung die Grenzlinie zwischen dem experimentellen und dem nachweisbaren Stadium überschreitet. Irgendwo in dieser Grauzone muss die Beweiskraft des Prinzips anerkannt werden, und während die Gerichte viel dazu beitragen werden, dass Gutachterwissen zugelassen wird, das aus einem allgemein anerkannten wissenschaftlichen Prinzip oder einer Entdeckung dieser Art abgeleitet wird, muss der Gegenstand, auf den sich die Ableitung bezieht, hinreichend etabliert sein, um auf dem speziellen Arbeitsgebiet, zu dem er gehört, allgemeine Anerkennung gefunden zu haben. Wir sind der Ansicht, dass der Täuschungstest mit Hilfe des systolischen Blutdrucks ein ­Ansehen dieser Art und die wissenschaftliche Anerkennung durch Autoritäten auf den Gebieten der Physiologie und Psychologie noch nicht erreicht hat, die es rechtfertigen würden, dass die Gerichte Fachgutachten zulassen, die aus der Entdeckung, Entwicklung und den bisher vorgenommenen Experimenten abgeleitet wurden.»4 Frye v. United States ist ein Meilenstein des Beweisrechts und einer der am häufigsten zitierten Fälle in der amerikanischen Rechts­ geschichte. Er etablierte den Grundsatz, der als Frye-Test bekannt ist und nach dem ein neuartiges wissenschaftliches Prinzip zunächst allgemeine Anerkennung erlangt haben muss, um als Beweismittel zugelassen zu werden. «Frye» hat, ebenso wie «Miranda», die seltene Ehre, zum Verb geworden zu sein. «To be ‹Frye’d›» bedeutet, dass die Aussage des eigenen Fachgutachters als unzulässig eingestuft wird.5 Frye vs. United States ist zugleich auch eines der größeren Rätsel der amerikanischen Rechtsgeschichte. Das Urteil des Berufungs­ gerichts, das nur 641 Wörter umfasst, enthält keinen einzigen Hinweis auf das Fallrecht oder Präzedenzfälle, noch gibt es einen Hinweis auf die wissenschaftliche Fachliteratur.6 Aber das Urteil mutet nur deshalb kryptisch an, weil die Details des Falles selbst schon längst in

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Vergessenheit geraten sind. So funktioniert das Fallrecht. Menschen, die Frye zitieren, wissen nicht oder interessieren sich nicht dafür, wer Frye war oder wen er mutmaßlich getötet hat, und sie haben sich auch nicht die Mühe gemacht, viel über Marston herauszufinden. Das Fallrecht blendet den Kontext aus, und die experimentelle Wissenschaft verwirft die Tradition; ihr Aufstieg steht für eine Verschiebung, die von dem Gedanken wegführt, dass die Wahrheit durch das Studium der Vergangenheit zu finden ist. Aber es gibt einen Grund dafür, dass das Gerichtsurteil kurz ausfiel, und der hängt mit einer Reihe von Tatsachen zusammen, die nur in den Archiven zu finden sind, in der Rumpelkammer der Geschichte. Zu den zahlreichen mit dem Fall Frye verbundenen Fakten, die niemals von irgendjemandem entdeckt wurden, der diesen Fall zitierte oder studierte, zählen drei Punkte, die den Mann betreffen, der eines Tages Wonder Woman erschaffen sollte: Erstens, Fryes Rechtsanwälte waren Marstons Studenten; zweitens, zu dem Zeitpunkt, als Fryes Rechtsanwälte an dessen Verteidigung arbeiteten, waren sie außerdem an einem Experiment zur Verlässlichkeit von Zeugenaussagen beteiligt, das in Absprache mit John Henry Wigmore unternommen wurde, dem bedeutendsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Beweisrechts; und drittens wurde am 6. März 1923, fünf Tage nachdem Mattingly und Wood ihren Revisionsantrag eingereicht hatten, ihr Professor unter dem Vorwurf des Betrugs verhaftet.7 Marstons juristische Probleme begannen mit einer im Januar 1922 eingereichten Klage von Edward G. Fischer, seinem ehemaligen Geschäftspartner bei Marston, Forte & Fischer. Fischer verklagte Marston wegen angeblichen Vertragsbruchs auf die Zahlung von 5000 Dollar. Der Fall zog sich über das ganze Frühjahr hin.8 Auch die Tait-Marston Engineering Company scheiterte, nicht zuletzt, weil Marston das Unternehmen aufgegeben hatte, als er nach Washington gezogen war. Aber es war der Bankrott der Stoffhandelsfirma United Dress Goods, des dritten im Jahr 1920 von ihm gegründeten Unternehmens, der seine Verhaftung bewirkte. Marston wurde von einer Grand Jury eines Bundesgerichts in Massachusetts am 1. Dezember 1922 unter Anklage gestellt. Gegen ihn

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ERSTER TEIL: VERITAS

wurde ein Haftbefehl erlassen. Ein U. S. Marshal berichtete am 19. Februar 1923, Marston sei für ihn in Boston unauffindbar gewesen.9 Eine nichtöffentliche Anklage wurde daraufhin nach Washington weitergeleitet, wo Marston am 6. März von Bundespolizisten festgenommen wurde. Der Boston Globe – «Verhaftung – Erfinder des Lügendetektors» – und die Washington Post berichteten über seine Verhaftung. «Marston, Erfinder des Lügendetektors, verhaftet» lautete in Washing­ ton die Überschrift eines Artikels, dessen Autor es besonders wichtig war, auf Marstons Rolle im Fall Frye hinzuweisen.10 Die damit verbundene Ironie  – Täuschungsexperte fürs Lügen wegen Lügens verhaftet – war offensichtlich. Marston wurden zwei Straftaten zur Last gelegt: die Benutzung der Post für einen Betrugsplan und Beihilfe zum Verbergen von Vermögenswerten vor dem Konkursverwalter beim Bankrott von United Dress Goods. Die Grand Jury legte Marston zur Last, dass er bei Unternehmen in New York große Mengen von Stoffen bestellt und dabei in dieser Korrespondenz «falsche und betrügerische» Angaben zur ­finanziellen Lage der Firma gemacht habe.11 United Dress Goods meldete im Januar 1922 Konkurs an; Marston wurde vorgeworfen, wissentlich und betrügerisch 2400 Dollar vor dem Konkursverwalter der Firma verborgen zu haben (einen Betrag, der in etwa seinem Jahres­ gehalt als Professor entsprach).12 Marston wurde nach seiner Verhaftung nach Boston überstellt. Für die Entlassung aus der Haft wurde eine Kaution von 2600 Dollar verlangt, die er bezahlte. Die Anklageerhebung fiel auf den 16. März 1923.13 Marston erklärte sich für nicht schuldig und betonte dabei, er habe von den Transaktionen, für die er angeklagt werde, keine Kenntnis gehabt.14 Ein Bericht über die Anklageerhebung gegen ihn erschien am 17. März in Zeitungen in Boston, Washington und New York («Lügendetektor-Erfinder angeklagt»). Ein Reporter zitierte Marston mit der Bemerkung, dass «die Publicity ihn ruiniere».15 Zur Verteidigung gegen die Anschuldigungen verpflichtete Marston einen Stu­ dienfreund aus der Law School, Richard Hale, den Gründer der Bos­ toner Anwaltsfirma Hale and Dorr, die in dem Haus residierte, in dem einst auch die Firma Marston, Forte & Fischer ihren Sitz gehabt hatte, in der State Street Nr. 60.16

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Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, im März 1923, gab Marston eine Reihe von Kursen – unter anderem Psycho-Physiologie, Theoretische Psychologie für Fortgeschrittene und einen Praxiskurs unter dem ­Titel «Rechtspsychologisches Labor» (Psycho-Legal Laboratory).17 Ob er das Trimester noch wie vorgesehen zu Ende brachte, ist unklar, doch er wurde auf jeden Fall entlassen. Die Washingtoner Zeitungen berichteten in dem Monat über seine Verhaftung und die Anklageerhebung gegen ihn, in dem Mattingly und Wood ihren Revisionsantrag stellten. Die Publicity war ihrer ­Sache wohl kaum dienlich. Im Sommer und Herbst 1923 beantragten Mattingly und Wood eine Fristverlängerung und arbeiteten an einem weiteren Schriftsatz, «Memorandum of Scientific History and Authority of Systolic Blood Pressure Test for Deception». (Marston schrieb an Wigmore und bat ihn um Hilfe bei der Vorbereitung des Frye-Berufungsverfahrens, aber Wigmore erwies sich als nicht erreichbar.)18 Der Hauptzweck des zweiten, des Wissenschafts-Schriftsatzes war, Marstons Rolle bei der Feststellung von Täuschungen herunterzuspielen und ihn als nur einen Aktiven unter einer größeren Zahl von Wissenschaftlern hinzustellen, die auf diesem Gebiet arbeiteten.19 Der Text liest sich wie der Versuch von Fryes Anwälten, die Glaubwürdigkeit von Täuschungstests von der Glaubwürdigkeit ihres sachverstän­ digen Zeugen zu trennen. Das funktionierte nicht. Der D. C. Circuit Court of Appeals gab seine Entscheidung zu Frye v. United States am 3. Dezember 1923 bekannt: «Während die Gerichte viel dazu beitragen werden, dass Gutachterwissen zugelassen wird, das aus einem allgemein anerkannten wissenschaftlichen Prinzip oder einer Entdeckung dieser Art abgeleitet wird, muss der Gegenstand, auf den sich die ­Ableitung bezieht, hinreichend etabliert sein, um auf dem speziellen Arbeitsgebiet, zu dem er gehört, allgemeine Anerkennung gefunden zu haben.» Das Urteil fiel kurz und kryptisch aus, weil ansonsten so wenig zu sagen war: Der wichtigste Zeuge des Berufungsklägers – der Sachverständige, um dessen Aussage es bei diesem Fall in erster Linie ging – war vor der Grand Jury eines Bundesgerichts wegen Betrugs angeklagt. Marston schickte Wigmore am 31. Dezember 1923 «Studies in Testimony», seinen Bericht über das Aussagen-Experiment, das er in sei-

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Wonder Woman, Zeitungsstrip, 29./30 März 1945

nem Rechtspsychologie-Kurs vorgenommen hatte, erwähnte dabei aber seine eigenen juristischen Probleme nicht. Wigmore lobte den Artikel als «von großer wissenschaftlicher Sorgfalt und Umsicht geprägt» und empfahl seine Veröffentlichung. In ­Sachen Frye-Urteil gab Marston sich unbeteiligt. «Ich glaube, es wurde im District Court of Appeals bestätigt, habe aber das Urteil nicht ge­ lesen», teilte er Wigmore in vagen Worten mit. «Der Anwalt erwartete dieses Ergebnis natürlich, wollte es aber in angemessener Form vom U. S. Supreme Court haben.»20 Richard Hale verteidigte Marston erfolgreich gegen die Vorwürfe einer Federal Grand Jury. «Ich überzeugte die staatlichen Behörden davon, dass sie gegen Marston nicht das Geringste in der Hand hätten», schrieb Hale an den Präsidenten der American University, nachdem Marston dort entlassen worden war. Und zu den Anklagepunkten teilte er mit: «Ich untersuchte diese Dinge vollständig und war überzeugt davon, dass damit auch nicht der Schatten einer strafbaren Handlung verbunden war.»21 Obwohl der Fall nie vor Gericht verhandelt wurde, kostete der Skandal Marston das Amt des Vorsitzenden des Fachbereichs Psycho-

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logie an der American University, den Status als Direktor des einzigen rechtspsychologischen Forschungslabors in den Vereinigten Staaten und seine Professur. Alle Anklagepunkte gegen ihn wurden am 4. Januar 1924 fallengelassen.22 «Studies in Testimony» erschien im Mai 1924 im Journal of Criminal Law and Criminology.23 Mattingly und Wood wurden im Juni zum U. S. Supreme Court zugelassen. Es sieht aber nicht so aus, als hätten sie versucht, das Verfahren vor den Obersten Gerichtshof der USA zu bringen; und wenn sie es doch versucht haben sollten, weigerte sich das Gericht wohl, über den Fall zu verhandeln.24 Nach Frye gab Marston die Beschäftigung mit der Rechtswissenschaft auf, was ihm ermöglichte, eines Tages Wonder Woman zu erschaffen.25 Das Ende eines ­Experiments bedeutete für Marston immer den Beginn eines anderen. Erst 1945 – in einem Wonder Woman-Comicstrip – rächte sich Marston an Richter Walter McCoy vom D. C. District Court of Appeals. Ein stümpernder, glatzköpfiger Richter Friendly ruft Wonder Woman bei einem Fall in den Zeugenstand, bei dem Priscilla Rich wegen Verbrechen vor Gericht steht, die von einer Cheetah genannten Schurken­ gestalt (der anderen Hälfte von Priscillas gespaltener Persönlichkeit) begangen wurden. Richter Friendly weist Wonder Womans Aussage – und ihren Lügendetektor – nicht als unzulässig zurück, sondern begrüßt sie.

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ERSTER TEIL: VERITAS

«Wie ich höre, befragten Sie, äh, diese Beschuldigte mit Ihrem, äh, bemerkenswerten amazonischen Lasso», sagt der Richter zu ihr. «Ja, ich fragte Priscilla, ob sie Cheetah sei.» «Hm! Das ist zwar äußerst vorschriftswidrig, hm, aber ich würde gerne Ihre Erkenntnisse hören!» «Ich werde sie Ihnen zeigen, Herr Richter», bietet Wonder Woman an, schlingt das Lasso um Priscilla und zerrt sie in den Zeugenstand. «Ich erhebe Einspruch!», ruft der Staatsanwalt. «Einspruch statt …», hebt der Richter an, nur um von Wonder Woman unterbrochen zu werden, die den Einspruch ignoriert und ihre Zeugin befragt. Priscilla, vom Lasso umschlungen, ist gezwungen, nichts als die reine Wahrheit zu sagen. Nach der Urteilsverkündung gibt der Richter Wonder Woman die Hand. «Ihr Rat war, hm, unbezahlbar, Wonder Woman! Ich, äh, hätte gerne, äh, weitere Hilfe von Ihnen …» «Sie können jederzeit auf mich zählen!», sagt Wonder Woman. Und zeigt dabei ihr verschmitztes Lächeln.26

★ ZWEITER TEIL ★

FAMILIENKREIS

Aus: «Grown-Down Land«, in: Sensation Comics Nr. 31, Juli 1944

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HERLAND

OLIVE BYRNE ,  die weggeworfen wurde, kam im Februar 1904 im rückwärtigen Teil eines Hauses mit vier Zimmern in der Glasmacher-Stadt Corning, New York, zur Welt. Sie wurde von der älteren Schwester ­ihrer Mutter entbunden, einer 24-jährigen Krankenschwester namens Margaret Sanger.1 Das Baby krümmte sich und schrie. Seine Mutter Ethel wusste kein Mittel, um das Weinen zu beenden. Der Vater saß in Jimmy Webbs ­Saloon, ein paar Häuser weiter, in derselben Straße. Er kam betrunken und lärmend nach Hause und stampfte den Schnee von seinen Stiefeln. Er öffnete die Hintertür und warf das Baby in eine Schneewehe. Sanger rannte ins Freie, barg Olive aus dem Schnee und brachte sie ins Haus zurück. Jack Byrne ging zu Jimmy Webbs Saloon zurück. Dort blieb er zwei Tage lang.2 Ethel Byrne und Margaret Sanger waren die jüngsten Töchter von Michael Hennessey Higgins, der in Irland geboren wurde und in Corning als Steinmetz Grabsteine bearbeitete, aber den größten Teil seiner Zeit mit Trinken verbrachte und Reden schwang und wütete. Sein Temperament war so hitzig wie die Feuer in der Glashütte von Corning. Er und seine Frau Anne hatten elf Kinder. Margaret entband das jüngste von ihnen, als sie selbst erst acht Jahre alt war. Anne Higgins starb im Alter von 49 Jahren an Tuberkulose, aber Margaret und Ethel wussten, dass sie in Wirklichkeit an der Mutterschaft gestorben war: Sie war innerhalb von 22 Jahren 18-mal schwanger gewesen.

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ZWEITER TEIL: FAMILIENKREIS

Die Higgins-Söhne fanden Arbeit in der Glashütte. Mary, die älteste Tochter, arbeitete als Dienstmädchen für eine Familie namens Abbott und kümmerte sich dort um ein kleines Mädchen namens Olive, und auf diesem Weg kam Mary Olive Abbott Byrne zu einem sehr langen Namen. (Sie hasste ihn. «Ich wäre gerne eine Dorothy gewesen», sagte sie.)3 Anna, die nächstältere Higgins-Tochter, suchte sich eine Arbeitsstelle in New York City, damit sie Geld verdienen und Margaret (links) und Ethel Higgins Margaret den Besuch eines Interin den 1880 e r Jahren nats ermöglichen konnte, denn Margaret war klug und wollte Ärztin werden. Ethel, die braune Augen, kastanienbraunes Haar und das aufbrausende Temperament ihres Vaters hatte, war sogar noch klüger als Margaret. («Sie war die Intellektuelle», sagte eine von Margaret Sangers Enkelinnen später gerne.)4 Aber es war nicht genug Geld im Haus, um auch Ethel auf Margarets Spuren ins Internat geben zu können, also ging sie auf die Corning Free Academy, wo sie Jack Byrne kennenlernte, und wurde schwanger. 1901, er war 19 und sie war 17, brannten sie durch.5 Margaret Higgins wurde keine Ärztin. Stattdessen ging sie auf die Krankenschwesternschule und heiratete einen Architekten namens William Sanger. 1902 entband sie Ethels erstes Baby, Jack. (Ethel entband Margarets Kinder, und Margaret entband die Kinder von Ethel.) Als Olive Byrne im Februar 1904 geboren wurde, hatte Margaret Sanger bereits ein eigenes Kind, und sie litt an Tuberkulose.6 Das einzige Mittel, das Olive zur Ruhe zu bringen schien, als sie noch im Babyalter war, war ein patentiertes, rezeptfreies Arzneimittel, das unter dem Markennamen Mrs. Winslow’s Soothing Syrup verkauft wurde; dieses Mittel ließ sie einschlafen. (Es enthielt Morphium.) Ethel

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ver­abreichte Olive bei einer Gelegenheit so viel Sirup, dass das Kind zwei Tage lang durchschlief; ein Arzt musste geholt werden, um sie wieder aufzuwecken. Nach einiger Zeit beschloss Ethel, dass ihr keine andere Wahl blieb, als fortzugehen. Als Olives Bruder drei und Olive selbst zwei Jahre alt war, brachte Ethel sie bei einem kurzen Spaziergang zum Haus ihrer Schwiegereltern in der East Tioga Avenue Nr. 310, ließ die Kinder in deren Obhut zurück und verschwand. «Das war das letzte Mal, dass man sie in Corning in den nächsten vier Jahren zu sehen bekam», sagte Olive. Ihre Großeltern legten sie in ein Gitterbett in einem Zimmer im ersten Stock ihres Hauses. Sie sagte: «Ich glaube, ich verbrachte sehr viel Zeit in diesem Gitterbett.» Ethel Byrne ging mit einem Koffer in der Hand zum Bahnhof und kaufte sich eine Fahrkarte nach New York. Dort absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester im Mount Sinai Hospital. Verheirateten Frauen war es nicht gestattet, den Schwesternberuf zu erlernen; sie sagte, sie sei ledig. Sie log. Olives Großeltern adoptierten Olive und ihren Bruder. Olives Großmutter sagte zu Olive, ihre Mutter sei tot.7 Auch sie log. Ethel sagte später zu Olive, sie habe versucht, sie und ihren Bruder zurückzubekommen.8 Sie log. «Das Täuschen fällt den Iren leicht», sagte Olive Byrne gerne.9 «Oh Lord I am not worthy that thou shoudst come to me», sang Olive Byrne in der Kirche, als sie fünf Jahre alt war, und sie meinte das so. Sie hatte glatte, pechschwarze Haare, blaue Augen, eine helle Haut und Sommersprossen. Sie kaute an ihren Fingernägeln herum, bis sie bluteten. Sie spielte mit Papierpuppen; sie liebte es, Papier-Familien zu basteln, ein Gespinst aus Fiktionen. Als sie sechs Jahre alt war, kam ihre Mutter zu Besuch – sie war, so wirkte der Auftritt auf Olive, aus dem Grab auferstanden – und umarmte sie so innig, dass die Brosche an ihrem Kleid einen Kratzer auf Olives Wange hinterließ. Die einzige Erinnerung an ihre Mutter, die sie nach dieser Begegnung hatte, war dieser Kratzer.10 Olive Byrnes Vater starb 1913; ihre beiden Großeltern starben im darauffolgenden Jahr. Olive und ihr Bruder, zwölf und zehn Jahre alt, wurden in zwei verschiedene katholische Waisenheime gebracht: in

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eines für Jungen und eines für Mädchen. Zu diesem Zeitpunkt lebte Ethel Byrne in Greenwich Village in einer Wohnung im ersten Stock eines Brownstone-Hauses, 246  West 14th Street, mit Robert Allerton Parker zusammen, einem Theaterkritiker. Auch Margaret Sanger wohnte zeitweise dort. Sanger hatte inzwischen drei Kinder, und ihre Ehe war zerrüttet.11 Ethel Byrne und Margaret Sanger glaubten an freie Liebe, an Sozialismus und Feminismus.12 Sie arbeiteten für das Socialist Olive Byrne, 1906 Party Women’s Committee, die Industrial Workers of the World und für die Masses, eine sozialistische Monatszeitschrift. Sie traten dem Liberal Club bei, einem «Treffpunkt für Menschen, die sich für neue Ideen interessieren», und ­nahmen an Versammlungen von Heterodoxy teil, einem Frauen vorbehaltenen Klub, der Veranstaltungen zu Themen wie «Was mir der ­Feminismus bedeutet» anbot.13 (Beide Klubs wurden 1912 gegründet.) Sie kannten Upton Sinclair, Emma Goldman, John Reed und Crystal Eastman und ihren Bruder Max. Sie lebten in einer Welt der freien Liebe, des Unkonventionellen und der Amazonen, die Ketten zerreißen. Max Eastman war der Chefredakteur von Masses; John Reed war ein fester Autor der Zeitschrift. Max Eastman war außerdem Sekretär der New York Men’s League for Woman Suffrage, und es war Reed, der, als Student im Abschlussjahr in Harvard 1910, in dem Jahr, bevor Marston sich als Studienanfänger dort einschrieb, bei der Gründung der Harvard Men’s League for Woman Suffrage mitwirkte, die von George Herbert Palmer finanziell unterstützt wurde. Crystal Eastman

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arbeitete bei der Gründung der Congressional Union for Woman Suffrage 1913 und der Woman’s Peace Party 1914 mit. Sie war außerdem Mitglied im Heterodoxy Club. Sie wollte wissen, «wie die Welt einzurichten war, damit Frauen menschliche Wesen sein können, mit einer Chance, ihre unendlich vielfältigen Begabungen auf unendlich vielfältige Arten auszuleben, anstatt durch den Zufall ihres Geschlechts für einen Tätigkeitsbereich vorbestimmt zu sein – Hausarbeit und Kindererziehung».14 Die feministische Karikaturistin Annie Lucasta Rogers, ein Lou Rogers, ca. 1910 weiteres Mitglied des Heterodoxy Club, war eine feministische Karikaturistin, deren Art, den Kampf um Frauenrechte darzustellen, Wonder Woman stark geprägt hat. Rogers, 1879 in Maine geboren, war nach New York gekommen, um politische Karikaturen zu zeichnen. Ihre erste Zeichnung ­erschien, von ihr selbst dort abgegeben, im New York Call, einer sozialistischen Tageszeitung. Sie hatte sich zuvor mit einem Hearst-Redakteur getroffen, der ihr sagte, Zeitungen hätten «keine Verwendung für Frauen in diesem besonderen Arbeitsbereich und auch keine große Verwendung für sie auf irgendeinem anderen Gebiet». Danach sandte sie ihre Arbeiten per Post ein und signierte sie mit «Lou Rogers».15 Rogers’ Karikaturen erschienen in allen Blättern, vom Call bis zur New York Tribune und dem Ladies’ Home Journal. Sie spezialisierte sich auf Suffragetten-Publikationen wie die Woman Citizen und die Suffragist. Das Woman’s Journal bezeichnete sie als «die einzige Künstlerin, die ihre gesamte Zeit dem Feminismus widmet». Rogers sagte 1913 dem Cartoons Magazine: «Ich bin der Ansicht, dass die Karikatur bei einem Versuch, die Frauenbewegung zu interpretieren, darauf ab-

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Lou Rogers, Tearing Off the Bonds, Tuschzeichnung für Judge, 19. Oktober 1912

Harry G. Peter, Tuschzeichnung. Aus Marstons Essay «Why 100,000 Americans Read Comics», in: American Scholar 13 (1943/44)

zielen sollte, Männer und Frauen für die Erkenntnis wachzurütteln, dass die Verwirklichung der Ideale der Bewegung ein Teil des Fortschritts der Menschheit ist.» Als die New York Evening Post eine dem Frauenwahlrecht gewidmete Sonderausgabe herausbrachte, steuerte Rogers die Karikaturen bei (die Post bezeichnete sie als «die einzige Karikaturistin»). Als die New York Woman Suffrage Association 1914 bei einem Wettbewerb, der sehr stark der Ausschreibung glich, die Marston im darauffolgenden Jahr mit Jack Kennard, Coward gewann, ein Preisgeld von 50 Dollar für das beste Drehbuch über die Wahlrechtsbewegung auslobte, gehörte Rogers gemeinsam mit Charlotte Perkins Gilman,

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e­ inem weiteren Mitglied von Heterodoxy, der Jury an. Noch im gleichen Jahr startete Rogers «einen Karikaturen-Service zum Wahlrecht», für eine vierspaltige Karikatur, die sie an ein Publikationssyndikat verkaufte, dem unter anderem Harper’s Weekly und Judge angehörten  – das letztere Blatt war eine humoristische Zeitschrift, für die ­Rogers bereits seit 1908 gezeichnet hatte –, verlangte sie fünf Dollar. Als Heterodoxy eine Massendebatte organisierte, mit Themen wie «Das Recht zu arbeiten», «Das Recht der Mutter auf ihren eigenen Beruf», «Das Recht auf ihre Überzeugungen» und «Das Recht auf ihren Namen», wurde der Titel für die Versammlung einer Rogers-Karikatur entnommen, in der eine Frau mit bloßen Fäusten Löcher in eine Ziegelsteinmauer schlägt, die mit «Bildung» und «Wahlrecht» bezeichnet sind; die Zeichnung trägt den Titel «Breaking into the Human Race» («Durchbruch zur Menschheit»).16 Rogers war außerdem eine fest angestellte Zeichnerin der schicken humoristischen Zeitschrift Judge, bei der sie unter der Rubrik «The Modern Woman» eine Seite gestaltete, die von 1912 bis 1917 erschien. Rogers’ Karikaturen stellten oft eine allegorische Frauengestalt in den Mittelpunkt, die mit Ketten oder Stricken gefesselt ist und ihre Bande zerreißt. Ein weiterer Hauskünstler bei Judge sprang manchmal für sie ein. Sein Name war Harry G. Peter, und er war der Künstler, der eines Tages Wonder Woman zeichnen sollte. Wonder Woman wurde im Boheme-Milieu geboren. In den 1910 er Jahren, als Ethel Byrne und Margaret Sanger in Greenwich Village lebten, waren die Amazonen überall. Max Eastman veröffentlichte 1913 einen Gedichtband mit dem Titel Child of the Amazons and Other Poems. Im Titelgedicht berichtet eine junge Amazonin ihrer Königin, dass sie sich in einen Mann verliebt hat. Doch sie müsste gegen ein Gesetz der Amazonen verstoßen, um ihn heiraten und gemeinsame Kinder zur Welt bringen zu können: «No Amazon shall enter motherhood / Until she hath performed such deeds, and wrought / Such impact on the energetic world / That thou canst it behold and name her thine» («Keine Amazone soll Mutter werden / Bevor sie solche Taten vollbracht und gewirkt hat / Mit solchem Einfluss auf die wirkliche Welt / Dass du es sehen und sie dein nennen kannst»). Also beschließt sie

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Die Amazonen in Inez Haynes Gillmores Roman Angel Island (1914)

letztlich, dass sie ihrer Liebe nicht folgen kann, bis zu «dem fernen Zeitalter, in dem Männer ihre Tyrannei» und «Amazonen ihren Aufstand / Beenden werden» («the far age when men shall cease their ­tyranny», «Amazons their revolt»).17 Im darauffolgenden Jahr ver­ öffentlichte Inez Haynes Gillmore, die Maud Wood Park bei der Gründung der National College Equal Suffrage League geholfen hatte und ebenfalls Mitglied von Heterodoxy war, ihren Roman Angel Island. Er erzählt die Geschichte von fünf amerikanischen Männern, die sich als Schiffbrüchige auf eine einsame Insel retten, die von «übermenschlich schönen» Frauen mit Flügeln bewohnt wird. Diese Frauen sind «von nahezu heldenhafter Gestalt, vollbusig, mit breiten Hüften und langbeinig; ihre Arme sind rund wie die einer Frau und stark wie die eines Mannes». Die Männer, von der eigenen Begierde überwältigt, nehmen die Frauen gefangen, fesseln sie und schneiden ihnen die Flügel ab, was sie völlig hilflos macht, denn sie haben zwar Füße, lernten aber nie, sie zu gebrauchen, und können deshalb gar nicht gehen. Die stärkste unter den Frauen führt ihre Gefährtinnen schließlich zur Revolution: Sie lernt zu gehen, und das «mit dem prächtigen, schwungvollen Gang einer Amazone».18 Die Geschichte von Wonder Womans Herkunft, in der Captain Steve Trevor mit seinem Flugzeug auf der Paradiesinsel abstürzt und

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die Amazonenprinzessin Diana sich in ihn verliebt – eine Liebe, die sowohl gegen die Gesetze der Amazonen verstößt als auch ihre Unabhängigkeit bedroht  –, weist direkte Anleihen bei Eastmans Gedicht und Gillmores Roman auf. Aber es waren nicht nur «Child of the Amazons» und Angel Island eingearbeitet worden: In den 1910 er Jahren gehörte diese Art von Handlungsführung zum festen Bestand femi­ nistischer Erzählungen. Das Heterodoxy-Mitglied Charlotte Perkins Gilman veröffentlichte 1915 Herland, einen utopischen Roman, in dem Frauen völlig von Männern befreit leben und nur Töchter zur Welt bringen, die durch Parthenogenese gezeugt wurden. (Auf der Paradiesinsel formt Königin Hippolyte ihre Tochter Diana aus Lehm.) In der fiktionalen feministischen Literatur der Vorkriegszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts beherrschen Frauen eine Welt des Friedens und der Gleichberechtigung, bis Männer auf den Plan treten, die mit Krieg und Ungleichheit drohen. In Angel Island und Herland muss Männern, wenn sie mit Frauen zusammenleben wollen – wenn sie Frauen heiraten und Kinder mit ihnen haben wollen –, beigebracht werden, dies werde ihnen nur unter der Voraussetzung der Gleichberechtigung gestattet. Und damit es so weit kommen kann, muss eine Möglichkeit für Männer und Frauen gefunden werden, Sex miteinander zu haben, ohne dass die Frauen ständig schwanger werden. Die Frauen in Gilmans Utopia praktizieren das, was damals als «freiwillige Mutterschaft» («voluntary motherhood») bezeichnet wurde, es war ein Thema, dem Gilman sich mit einer gewissen Sprödigkeit näherte. «Sehen Sie, sie waren nicht Mütter in unserem Sinn der hilflosen, unfreiwilligen Fruchtbarkeit, dazu gezwungen, das Land, jedes Land, zu füllen und zu überfüllen und dann zu sehen, wie ihre Kinder leiden, sündigen und sterben, untereinander schrecklich kämpfen, sondern im Sinne von bewussten Menschenschaffern», schrieb Gilman.19 Margaret Sanger, die Olive Byrne aus einer Schneewehe holte, war ebenfalls der Ansicht, Frauen sollten bewusste Erzeugerinnen von Menschen sein. Aber sie hatte ein anderes Wort für dieses Thema.20 Sie nannte es «birth control».

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DIE REBELLIN

MARGARET SANGER SCHRIEB 1912,  als Olive Byrne acht Jahre alt war, eine

zwölf Folgen umfassende Serie im New York Call, der sozialistischen Tageszeitung, die Lou Rogers’ Karikaturen veröffentlichte. Die Serie stand unter dem Titel «Was jedes Mädchen wissen sollte» («What Every Girl Should Know»). Sie behandelte in einem sachlich-nüch­ ternen Stil die Themen sexuelle Attraktion, Selbstbefriedigung, ­Geschlechtsverkehr, Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft und Geburt. Die US-Postbehörde verbot Teil  12, «Einige Konsequenzen von Unwissenheit und Schweigen», mit der Begründung, der Text sei obszön. An der für diese Folge vorgesehenen Stelle brachte der Call eine Mitteilung: «‹Was jedes Mädchen wissen sollte›: NICHTS!»1 Sanger war nicht so leicht zum Schweigen zu bringen. Sie begann 1914, unterstützt von Ethel Byrne, mit der Veröffentlichung des Woman Rebel, einer acht Seiten umfassenden feministischen Monatszeitschrift, in der sie den Begriff «birth control» prägte. (Zur Finanzierung des Blattes versuchte sie sich der Unterstützung des Heterodoxy Clubs zu versichern, wurde aber abgewiesen; stattdessen nahm sie durch vorab geschlossene Abonnements Geld ein.)2 Die erste Ausgabe der Zeitschrift enthielt ein Manifest zu der Frage «Why the Woman Rebel?»: Weil ich glaube, dass, ganz tief im Wesen der Frau verborgen, der Geist der Revolte schlummert.

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ZWEITER TEIL: FAMILIENKREIS Weil ich glaube, dass die Frau durch die Weltmaschinerie versklavt wird, durch sexuelle Konventionen, durch Mutterschaft und die gegenwärtig notwendige Kinderaufzucht, durch Lohnsklaverei, durch die Mittel­ schichtsmoral, durch Sitten und Gebräuche, Gesetze und Aberglauben. Weil ich glaube, dass die Freiheit der Frau vom Wecken des inneren Geistes der Revolte gegen diese Dinge abhängt, die sie versklaven. Weil ich glaube, dass diese Dinge, die Frauen versklaven, offen, furchtlos und bewusst bekämpft werden müssen.3

Sanger versprach, im Woman Rebel die mit der Mutterschaft verbundenen Zwänge offenzulegen und die Verhütung zu erklären, sie fragte: «Gibt es irgendeinen Grund dafür, warum Frauen kein sauberes, unschädliches, wissenschaftlich fundiertes Wissen darüber erhalten sollten, wie die Empfängnis zu verhüten ist?» Sechs der sieben Ausgaben der Zeitschrift wurden für obszön erklärt und beschlagnahmt.4 Sanger wurde angeklagt. John Reed sammelte Geldspenden für ihre Verteidigung, aber Sanger floh aus dem Land; sie ließ ihre Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, in Ethel Byrnes Obhut zurück.5 In England sammelte Sanger Informationen zur Empfängnisver­ hütung. Sie traf auch Havelock Ellis, einen Arzt, Psychologen und Sexualwissenschaftler. Ellis feierte sexuellen Freimut, die Ausdrucksformen von Sexualität und sexuelle Vielfalt. In seinem 1897 erschienenen Buch Sexual Inversion, das verboten worden war, behandelte er das Thema Homosexualität mit Sympathie, ebenso wie in seinem sechsbändigen Werk Studies in the Psychology of Sex. Um die Vorstellung zu widerlegen, Frauen würden keine Leidenschaft empfinden, argumentierte Ellis, dass die Entwicklung der Ehe als Institution zum Verbot der weiblichen sexuellen Lust geführt habe, die als schamlos und abnormal verhöhnt wurde. Ellis bestand auf den von ihm so bezeichneten «erotischen Rechten der Frauen» und kritisierte heterosexuelle Männer, die, «da sie in Frauen nicht genau die gleiche Art von sexuellen Gefühlen finden wie in sich selbst, zu dem Schluss kommen, dass es überhaupt keine gibt». Erotische Gleichberechtigung, betonte Ellis, sei nicht weniger wichtig als politische Gleichberechtigung, auch wenn sie schwieriger zu erreichen sei: «Das Anrecht auf Sinnenfreude kann nicht ebenso rigoros gefordert werden wie das Wahlrecht»,

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schrieb er. «Deshalb sind die erotischen Rechte der Frauen erst in ­allerletzter Linie zur Geltung gelangt.»6 Sanger schrieb an dem Tag, an dem sie Ellis zum ersten Mal begegnete, in ihr Tagebuch: «Dies ist für mich ein herrlicher Tag, an dem ich mich mit dem Mann unterhalten habe, der mehr als jeder andere Mensch in diesem Jahrhundert dafür getan hat, Frauen & Männern ein klares und vernünftiges Verständnis ihres Sexuallebens & des ­Lebens insgesamt zu geben.» Sanger und Ellis wurden Freunde, dann ein Liebespaar.7 Sanger schrieb als nächstes ein 15-seitiges Pamphlet mit dem Titel Family Limitation, in dem sie offenherzige Anweisungen gab, wie die besten Methoden einzusetzen seien, die sie in Europa entdeckt hatte. «Es mag kunstlos und schmutzig anmuten, in Erwartung des Geschlechtsakts ein Pessar oder eine Tablette einzusetzen», ließ sie ihre Leserschaft wissen. «Aber es ist sehr viel schmutziger, sich selbst mehrere Jahre später mit einem halben Dutzend ungewollter Kinder wiederzufinden, die hilflos, ausgehungert und armselig gekleidet an Ihrem Rock zerren, und Sie selbst sind ein vor sich hin lebender Schatten der Frau, die Sie einst waren.» Family Limitation enthielt die aufgedruckte Empfehlung «für die private Weitergabe» und wurde auf der Straße verteilt.8 Auch das war illegal. Margaret Sangers Ehemann William Sanger wurde im September 1915, in dem Monat, in dem William Moulton Marston und Sadie Eli­ zabeth Holloway in Massachusetts heirateten, wegen der Verteilung von Family Limitation in New York vor Gericht gestellt und verurteilt. «Ihre Straftat verstößt nicht nur gegen die von Menschen geschaffenen Gesetze, sondern auch gegen das Gesetz Gottes», beschied ihn der Richter. «Wenn einige Menschen die Runde machen und christlichen Frauen eindringlich raten würden, Kinder auszutragen, anstatt ihre Zeit für das Frauenwahlrecht zu verschwenden, würde es dieser Stadt und dieser Gesellschaft besser gehen.»9 Margaret Sanger kehrte im Monat nach dem Prozess gegen ihren Mann in die Vereinigten Staaten zurück, um ihrer Tochter Peggy beizustehen, die sich eine Lungenentzündung zugezogen hatte und im Mount Sinai Hospital von Ethel Byrne betreut wurde. «Ich möchte, dass Tante Ethel mich hält, nicht du», sagte Peggy

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beim Anblick ihrer Mutter.10 Peggy starb. Sanger war am Boden zerstört. Olive Byrne war im Januar 1916 elf Jahre alt und lebte in einer Klosterschule in Rochester, als Margaret Sanger sich vor einem Bundesgericht in New York der Anklage stellte, die wegen der Zeitschrift Woman Rebel gegen sie erhoben wurde. Bittschriften zu ihren Gunsten, die für ihre Sache eintraten, waren an Präsident Wilson gerichtet worden: «Während die Männer, für die die Sonne scheint, stolz posieren und sich damit brüsten, dass sie die Niedertracht der Sklaverei überwunden haben, stellt sich die Frage, welche Ketten der Sklaverei ein so tief sitzendes Grauen auslösen, ausgelöst haben oder jemals auslösen könnten wie die Fesseln, die jeden Körperteil, jeden Gedanken, ja sogar die Seele einer ungewollt schwangeren Frau binden?»11 Sanger verzichtete aus eigenem Entschluss auf einen Rechtsanwalt und bestand darauf, sich selbst zu verteidigen. Im Februar wurde die Anklage gegen sie fallengelassen, weil das Gericht der Auffassung war, ein Strafverfahren gegen eine Mutter, die den Tod ihrer fünfjährigen Tochter betrauerte, würde ihrer Sache nur nützen.12 Sanger war enttäuscht, weil sie ihren Tag vor Gericht nicht bekam, und fasste den Entschluss, eine weitere Verhaftung zu provozieren. Margaret Sanger und Ethel Byrne mieteten im Oktober 1916 ein ­Ladengeschäft in Brooklyn und hängten dort Flugblätter auf Englisch, Italienisch und Jiddisch auf: MÜTTER! Könnt Ihr Euch eine große Familie leisten? Wollt Ihr noch mehr Kinder haben? Wenn nicht: Warum bekommt Ihr sie dann? TÖTET NICHT, LÖSCHT KEIN LEBEN AUS, ABER VERHÜTET Sichere, ungefährliche Informationen sind erhältlich bei ausgebildeten Krankenschwestern in der AMBOY STREET 46

Kinderwägen schiebende Mütter, die Kleinkinder an den winzigen Händchen hielten, standen Schlange bis um die nächste Straßenecke. Sie zahlten zehn Cent für die Anmeldung. Sanger oder Byrne trafen sich mit jeweils sieben oder acht von ihnen, um ihnen zu zeigen, wie

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Margaret Sanger (im Mantel mit Pelzbesatz) und Ethel Byrne (rechts neben der Frau, die das Baby hält) verlassen die Birth Control Clinic in Brooklyn, 1916

Pessare oder Kondome zu benutzen waren. Neun Tage nach der Eröffnung der Beratungsstelle erschien eine Polizistin in Zivil, die sich als Mutter von zwei Kindern ausgab und sich von Ethel Byrne beraten ließ, die mit ihr über Empfängnisverhütung sprach. Am darauffolgenden Tag wurden Byrne und Sanger verhaftet. Sie wurden wegen eines Verstoßes gegen eine Bestimmung des Strafgesetzbuches des Staates New York angeklagt, mit der die Ausgabe «jedweden Rezeptes, Arzneimittels oder Medikaments zum Zweck der Empfängnisverhütung» für illegal erklärt wurde.13 Zunächst wurde Byrne vor Gericht gestellt, ihr Prozess begann am 4. Januar 1917. Ihr Anwalt erklärte das Strafgesetzbuch für verfassungswidrig und betonte, es verstoße gegen das Recht der Frau auf das «Streben nach Glück». Das erwies sich als nicht überzeugend. Byrne wurde am 8. Januar schuldig gesprochen.14

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Byrnes Prozess und Inhaftierung stellten die Wahlrechtsbewegung bei der Aufmerksamkeit, die beiden Themen in der nationalen Berichterstattung gewidmet wurde, deutlich in den Schatten. Alice Paul und die National Woman’s Party begannen am 10. Januar ihre Mahnwache für das Frauenwahlrecht vor dem Weißen Haus und führten dabei Schilder mit, auf denen zu lesen war: «Mr. President, wie lange müssen Frauen noch auf die Freiheit warten?»15 Das war dramatisch, aber nicht ganz so dramatisch wie das, was Ethel Byrne in New York widerfuhr. Margaret Sanger (links) und Byrne nahm sich am 22. JaEthel Byrne vor Gericht, 1917 nuar zwei Stunden von ihrer Krankenhausarbeit frei, um an einer Anhörung teilzunehmen. Sie wurde zu 30 Tagen Haft auf Blackwell’s Island verurteilt. «Die Kinder, die Mrs. Ethel Byrne während ihrer Masernerkrankung betreut, werden eine andere Krankenschwester brauchen», berichtete die New York Tribune. In der gesamten Berichterstattung zu Byrnes Prozess wurde kein Wort über ihre beiden eigenen Kinder verloren; die Reporter scheinen gar nichts von ihnen gewusst zu haben. «Ich werde sofort in den Hungerstreik treten», kündigte Ethel Byrne vor Gericht an. «Sie können mich ins Arbeitshaus bringen, aber sie können mich, solange ich dort bin, nicht zum Essen oder Trinken oder Arbeiten zwingen.»16 Byrnes Inspirationsquelle war Emmeline Pankhurst.17 Byrnes Enkel glaubt, dass seine Großmutter, ebenso wie Alice Paul und Lucy Burns, vor 1916 einige Zeit in England verbrachte und dort für Pankhursts Women’s Social and Political Union arbeitete, deren Mitglieder in den

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Hungerstreik traten, wenn man sie ins Gefängnis sperrte. Fotos von der Zwangsernährung dieser Frauen – mit Stahlklammern öffnete man ihnen den Mund – hatten ihre Sache eher gefördert, das war 1911 auch der Grund gewesen, aus dem die Harvard Corporation Pankhurst das Rederecht auf dem Campus verweigert hatte, und es war außerdem der Grund, aus dem Byrnes im Winter 1917 getroffene Entscheidung, Pankhursts Beispiel zu folgen, die Aufmerksamkeit der Nation fesselte, und das selbst dann, als Suffragetten vor dem Weißen Haus Tag und Nacht ihre Mahnwache hielten. Die New York Times berichtete vier Tage nacheinander auf ihrer Titelseite über Byrne.18 Im Polizeitransporter unterwies Byrne auf dem Weg nach Blackwell’s Island andere weibliche Gefangene in den Methoden der Empfängnisverhütung. Am zweiten Tag ihres Hungerstreiks brachte man sie zurück ins Bundesgericht. Ihr Rechtsanwalt versuchte ihre Freilassung durch eine Haftbeschwerde zu erreichen, scheiterte aber mit diesem Antrag. Byrne kollabierte während der Anhörung und verbrachte die darauffolgende Nacht in einem Gefängnis namens The Tombs («Grabstätten»). Wieder zurück in Blackwell’s Island, ließ sie durch ihren Anwalt eine Erklärung aus Zelle Nr. 139 verlesen. «Ich werde so lange nichts essen, bis ich freigelassen werde», sagte sie. «Es spielt keine große Rolle, ob ich hungere oder nicht, solange meine Notlage Aufmerksamkeit für die archaischen Gesetze weckt, die regelmäßig verhindern, dass wir die Wahrheit über die Tatsachen des Lebens sagen. Der Kampf muss weitergehen.» (Der schlimmste Teil habe darin bestanden, ohne Wasser auszukommen, sagte sie später: «Nachts hielten die Frauen, deren Aufgabe es war, die Korridore auf und ab zu gehen und den Gefangenen einen Schluck Wasser zu geben, wenn diese das wollten, direkt vor meiner Zelle und riefen: ‹Wasser! Wasser!›, bis es so aussah, als könnte ich das nicht mehr ertragen.»)19 Byrne, die rasch in einen Schwächezustand fiel, wurde ins Gefängniskrankenhaus verlegt. Sie verglich ihr Schicksal mit dem Los von Frauen, die bei Abtreibungen sterben. «Das Gesundheitsministerium meldet 8000 tote Frauen pro Jahr in diesem Bundesstaat, die an illegalen Operationen sterben, da kommt es auf eine Tote mehr auch nicht mehr groß an», sagte Byrne. Ihre Anhängerinnen verglichen ihren Kampf mit der Auseinandersetzung um das Frauenwahlrecht, stuften

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aber das Ringen um das Recht auf Empfängnisverhütung als dring­ licher ein: «Keine Gesamtzahl von Stimmen, die Frauen jemals erhalten werden, wird so viel bewirken wie die Lösung dieses seit vielen Generationen bestehenden Problems.»20 Sanger sprach bei einer zu Ehren Byrnes in der Carnegie Hall ab­ gehaltenen Kundgebung, an der mehr als 3000 Menschen teilnahmen, und sagte: «Ich komme nicht vom Scheiterhaufen in Salem, wo Frauen wegen Blasphemie angeklagt wurden, sondern aus dem Schatten von Blackwell’s Island, wo Frauen wegen Obszönität gefoltert werden.» Byrne konnte nach fünf Tagen ohne Essen und Trinken ihr Bett nicht mehr verlassen. Die Zeitungen berichteten täglich über ihren Gesundheitszustand. Byrnes Anwalt sagte, es bestehe die unmittelbare Gefahr, dass sie ins Koma falle. Sanger, die keine Besuchserlaubnis erhielt, sagte, ihre Schwester sei dem Tode nahe. «Ich habe ihr nicht zu diesem Hungerstreik geraten, aber ich würde ihr gewiss nicht sagen, dass sie ihn jetzt beenden solle», sagte Sanger zu Reportern. Ein Leitartikel in der New York Tribune beschwor den Gouverneur, eine Begnadigung auszusprechen, und drohte ihm zugleich mit dem Urteil der Geschichte: «Jungen Leuten wird 1967 kaum zu erklären sein, dass eine Frau 1917 für das, was Mrs. Byrne tat, eingesperrt wurde.»21 Sanger reiste am sechsten Tag von Byrnes Hungerstreik nach Rochester, vorgeblich, um eine Rede vor der örtlichen Birth Control League zu halten. (Die Birth Control League schickte während Sangers Aufenthalt in Rochester eine Petition an den Gouverneur des Staates New York nach Albany und bat ihn darin, «die weitere Verfolgung der vortrefflichen Frauen, die an der Spitze der Bewegung für Geburten­ kontrolle stehen», zu beenden.) Aber in Wirklichkeit war Sanger nach Rochester gegangen, um die mittlerweile zwölf Jahre alte Olive Byrne zu besuchen, die dort in der Nazareth Academy lebte, einer Klosterschule. In Rochester enthüllte Sanger – in der Hoffnung, damit der gemeinsamen Sache zu helfen – vor Pressevertretern, dass ihre Schwester zwei Kinder hatte. Sanger sagte zu Reportern, dass Byrne sich ­darauf vorbereitet habe, ihre Kinder zu sich nach New York zu holen, und schließlich eine gemeinsame Wohnung für sie alle eingerichtet habe, dass dieser Plan aber durch ihre Verhaftung zunichte gemacht

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worden sei. (Nichts von alledem stimmte.) Dann sagte sie, sie sei nach Rochester gekommen, um Olive mitzuteilen, was ihrer Mutter widerfahren sei. «Mrs. Byrnes Schwester erklärte, nach ihrem Gefühl sollten die Kinder über ihre Mutter unterrichtet sein und ihre Motive verstehen», berichtete eine Zeitung.22 Zumindest dieser Teil war zutreffend. «Es ist eine Frau hier, die sagt, sie sei deine Tante und wolle dich besuchen», sagte die Oberin der Nazareth Academy zu Olive Byrne, die sie in ihr Büro bestellt hatte. «Aber du musst sie nicht treffen.» «Oh, das macht mir nichts aus», erwiderte Olive, die ihre Aufregung kaum im Zaum halten konnte. Noch nie zuvor hatte sie Besuch bekommen. Die Nonnen hatten Sanger zunächst den Einlass verweigert. Sanger hatte drei Tage und einen Rechtsanwalt gebraucht, um sich Zutritt zu verschaffen. «Aber Margaret war nicht umsonst eine Pionierin für die Rechte der Frauen», schrieb Olive später. «Sie drohte mit der Polizei und einer Klage wegen Kindesentführung. Schließlich wurde die Sache dem Bischof vorgetragen, der widerwillig erlaubte, dass sie mich in Gegenwart der Mutter Oberin besuchen dürfe.» Olive wurde in einen Raum geführt, der voll besetzt war mit Nonnen, zwei Priestern, einem Bischof und Margaret Sanger, die Letztere winzig und glamourös. Olive fand, dass sie wie ein Filmstar aussehe. (Sanger war später in jenem Jahr die Hauptdarstellerin eines Stummfilms mit dem Titel Birth Control; er wurde verboten.)23 Olive staunte. «Ich war ein pummeliges Kind mit Sommersprossen und trug eine äußerst unvorteilhafte Schuluniform, aber diese schöne Frau kam zu mir, nahm mich schwungvoll in die Arme und sagte: ‹Oh, du hübscher Liebling›. Bis dahin hatte mir noch niemand eine so extravagante Geste der Zuneigung erwiesen, deshalb überwältigte mich die Schüchternheit, und ich konnte nicht sprechen. Aber eine wunderbare Leidenschaft erfüllte mich, so dass ich dachte, ich müsse weinen, und Angst bekam, dass man sie fortschicken könnte, wenn ich das tat.» Sanger umarmte Olive und sagte ihr, dass ihre Mutter sie sehr lieb habe. Sie erzählte diesem kleinen Mädchen nichts über Empfängnisverhütung, den Befürchtungen des Bischofs zum Trotz.24 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Ethel Byrne eine Woche lang geweigert, etwas zu essen oder zu trinken. Die Gefängnisärzte begannen

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jetzt damit, sie über einen Gummischlauch zwangsweise mit Milch und Eiern zu ernähren. Sanger sagte, Byrne sei nicht in der Lage gewesen, sich dem Beginn der Zwangsernährung zu widersetzen, weil sie zu diesem Zeitpunkt bewusstlos gewesen sei. Byrne war der erste weibliche Häftling, der in einem Gefängnis in den Vereinigten Staaten der Zwangsernährung unterworfen wurde.25 Sanger und eine Delegation von Befürworterinnen und Befürwortern der Geburtenkontrolle trafen sich am 31. Januar in Albany mit dem Gouverneur, der bei dieser Gelegenheit anbot, Byrne zu begna­ digen, falls sie zusagen würde, sich nie wieder in der Bewegung für Geburtenkontrolle zu engagieren.26 Am darauffolgenden Tag erhielt Sanger die Erlaubnis, Byrne im Gefängnis zu besuchen. Byrne war zum Sprechen zu schwach. Sanger schickte dem Gouverneur ein Telegramm, in dem sie ihn dringend darum bat, ihre Schwester zu begnadigen. Der Gouverneur, der bereits auf dem Weg von Albany nach New York war, erhielt das Telegramm nicht mehr, aber noch am selben Tag trafen ihn Sanger und ihre Delegation in New York. «Meine Schwester liegt im Sterben», sagte Sanger dem Gouverneur. «Mrs. Sanger», erwiderte dieser, «Sie wissen, dass ich sie sofort freilassen werde, wenn sie nur verspricht, künftig nicht mehr gegen das Gesetz zu verstoßen.» «Sie ist geistig nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu versprechen», sagte Sanger. «Sie wird sterben, wenn Sie sie nicht freilassen. Ich werde die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie keine Gesetzesverstöße mehr begeht, wenn Sie sie freilassen.» Der Gouverneur unterzeichnete noch am Abend jenes Tages die Begnadigung. Byrne wurde aus der Haft entlassen. «Mit geschlossenen Augen und von Schmerzen ausgelösten Gesichtszuckungen wurde Mrs. Byrne aus ihrer Zelle im Gefängniskrankenhaus getragen», berichtete die New York Tribune. Mit einer Tragbahre brachte man sie vom Büro des Gefängnisdirektors zum Fährschiff nach Manhattan und anschließend mit einem Krankenwagen zu der Wohnung in der West Fourteenth Street Nr. 246. Sie hatte zehn Tage einer gegen sie verhängten Haftstrafe von 30 Tagen im Gefängnis verbracht.27 Sie hatte außerdem im Rampenlicht gestanden. Sanger hatte unter-

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dessen eine neue Zeitschrift auf den Weg gebracht, die Birth Control Review; die erste Ausgabe erschien im Februar 1917. Sanger engagierte Lou Rogers für den Posten des Art Editors.28 Bei Sangers Prozess rief der Bezirksstaatsanwalt eine ganze Reihe von Frauen, die sich in der Birth Control Clinic in Brooklyn hatten beraten lassen, in den Zeugenstand. «Sind Sie Mrs. Sanger schon einmal begegnet?» «Jaa. Jaa, ich kenne Mrs. Sanger.» «Wo sind Sie ihr begegnet?» «In der Cleenic.» «Warum gingen Sie dorthin?» «Damit sie dafür sorgt, dass keine Babys mehr kommen.»

Sangers Anwalt nahm dieselben Zeuginnen ins Kreuzverhör. «Wie viele Kinder haben Sie?» «Acht und drei, die tot geboren wurden.»29

Der Richter urteilte schließlich, dass keine Frau «das Recht [hat], den Beischlaf mit einem Gefühl der Sicherheit zu vollziehen, dass es zu keiner Empfängnis kommen wird»: Wenn eine Frau nicht dazu bereit sei, im Kindbett zu sterben, sollte sie keinen Sex haben. Sanger wurde am Freitag, dem 2. Februar schuldig gesprochen, am Tag nach Byrnes Begnadigung. Die Verkündung des Strafmaßes war für den darauffolgenden Montag vorgesehen. «Werden Sie in den Hungerstreik treten, wenn man Sie ins Arbeits­ haus schickt?», fragte ein Reporter. Sanger erwiderte, sie habe sich noch nicht entschieden.30 Sanger wurde am 5. Februar zu 30 Tagen Haft verurteilt. Sie weigerte sich, eine Geldstrafe zu bezahlen, um der Gefängnishaft zu entgehen. Aber sie trat nicht in den Hungerstreik und saß ihre Strafe ab. Aus dem Queens County Penitentiary auf Long Island schrieb Sanger an Byrne und ließ ihre Schwester wissen, dass sie «den großartigsten Kampf geliefert» habe, «den je eine Frau in den USA ausgetragen hat». («Frauen aus dem Arbeitshaus kommen immer wieder hierher & fragen nach Dir», schrieb sie an die Schwester.)31

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«Was würdest Du davon halten, ab & zu eine Rede zu halten?», fragte Sanger. «Denke darüber nach.»32 Aber Reden zu halten, selbst wenn das nur ab und zu geschah, wäre ein Verstoß gegen die Bedingungen für Byrnes Begnadigung gewesen. Als Margaret Sanger aus dem Gefängnis entlassen wurde, holte Ethel Byrne sie ab und begleitete sie nach Hause.33 Aber Ethel Byrne verzieh ihrer Schwester niemals das Versprechen, das Sanger in ihrem Namen dem Gouverneur von New York gegeben hatte. Sie dachte, ihre Schwester habe von Anfang an die Absicht verfolgt, sie aus der Bewegung hinauszudrängen.34 Für die Bewegung, die Margaret Sanger anführen wollte, war Ethel Byrne zu radikal.

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ALS JUNGES MÄDCHEN VERBRACHTE OLIVE BYRNE   den Sommer fernab von

Waisenhäusern und Klosterschulen in der Vaudeville-Szene. Ihre beiden Onkel Billie und Charlie Byrne traten als Frauen-Imitatoren unter dem Bühnennamen Giddy Girls auf. «Die BYRNE & BYRNE MUSICAL COMEDY COMPANY kündigt ihre Giddy Girls an», wurde für die Auftritte des Duos geworben. Sie waren 1917 und 1918 von Pennsylvania über Ohio bis nach Kansas unterwegs und wählten die gleiche Route für den Rückweg, mit drei Auftritten pro Tag. Olive sang im Chor.1 Olive verließ 1918 im Alter von 14 Jahren die Nazareth Academy und ging an die Mount St. Joseph Academy in Buffalo. Sie begann eine Ausbildung zur Krankenschwester. In St. Joseph verliebten sich die Nonnen in die Mädchen, und die Mädchen verliebten sich in die Nonnen, aber Olive gelang es, sich von jeglichem Ärger fernzuhalten, indem sie zu einer ausgezeichneten Lügnerin wurde.2 Als sie 16 Jahre alt war, besuchte sie ihre Mutter in New York; es war das erste Wiedersehen von Mutter und Tochter nach zehn Jahren. Sie fand Unterkunft bei Ethel Byrne und Rob Parker in deren Wohnung in Greenwich Village, West Fourteenth Street Nr. 246. Margaret Sanger war nach Kalifornien gegangen, wo sie an einem Buch schrieb, dem sie den Titel «Voluntary Motherhood» gab. «Ein Kapitel abgeschlossen», schrieb Sanger einmal in ihr Tagebuch. Aber Olive beharrte immer darauf, dass es Parker sei, der Sangers Bücher schrieb.3

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Olive wusste, dass ihre Mutter und Parker miteinander schliefen. «Ich suchte bei einem Händeschütteln nach sexuellen Untertönen.» Und sie wusste auch, dass die beiden nicht verheiratet waren, obwohl «Tante Margaret Sanger mir sagte, dass Bob und Ethel in Nantucket geheiratet hätten». Über diese Aussage hatte Ethel Byrne nur gelacht und anschließend gesagt: «Margaret war bekannt dafür, dass sie ‹hübsche Deckmäntel› für Lebensumstände erfand, die nach ihrer Einschätzung zum Thema eines von ihr selbst als peinlich empfundenen Skandals werden konnten.»4 Es ging jedoch um mehr als einen bloßen Skandal. Der Espionage Act von 1917 und der 1918 verabschiedete Sedition Act, Gesetze, die sich gegen Spionage und Aufwiegelung richteten, hatten viele von Sangers und Byrnes Freunden aus Greenwich Village der Strafverfolgung ausgesetzt. Max Eastman, John Reed und andere Redakteure und Autoren der Zeitschrift Masses wurden aufgrund ihrer Kriegsgegnerschaft wegen Verschwörung angeklagt. Emma Goldman saß wegen ihres Eintretens gegen die Wehrpflicht zwei Jahre im Gefängnis. Eugene Debs verurteilte man wegen einer in Ohio gehaltenen Rede gegen den Krieg zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren. Sanger beschloss, all ihre Verbindungen zu Menschen zu beenden, deren Haltung zum Krieg den Erfolg des Birth Control Movement gefährdete. Das bedeutete den Verzicht auf Ethel Byrnes Mitarbeit. «Ich meine, Margarets Handeln richtete sich nicht darauf, meine Mutter als Person fallen­ zulassen, sie wollte eher die Bewegung aus den Randbereichen des ­Sozialismus herauslösen und sie von Greenwich Village nach Uptown New York verlagern, denn das Geld für jede Art von Tätigkeit lässt sich dort auftreiben, wo die Leute sind, die Geld haben, und nicht beim gemeinen Volk, beim Pöbel und Gesindel», sagte Olive Byrne später. «Meine Mutter war kein guter ‹Uptown›-Mensch: Sie war eine Rebellin, sehr viel rebellischer, als Margaret jemals war, und sie war niemals etwas anderes. Man muss sich ein bisschen anpassen, wenn man vorankommen will, und meine Mutter wollte sich niemals irgend­ jemandem wegen irgendeiner Sache fügen.»5 Sanger schmiedete neue Bündnisse. Der Richter hatte bei Sangers Prozess 1917 geurteilt, dass sie nicht das Recht habe, Verhütungsmittel zu verteilen, Ärzte jedoch sehr wohl, also beschloss Sanger, die Bewe-

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gung für Geburtenkontrolle mit Ärzten zusammenzubringen und mit einer jetzt entstehenden Literatur zur Bedeutung eines lustvollen weiblichen Sexuallebens. Sanger veröffentlichte 1918 in der Birth Control Review einen Essay von Havelock Ellis mit dem Titel «The Love Rights of Women»; Lou Rogers steuerte die Zeichnungen bei.6 Im ­da­rauffolgenden Jahr begann Sanger, die sich von ihrem Ehemann hatte scheiden lassen, eine über Jahrzehnte andauernde Affäre mit H. G. Wells. (Eine nur geringfügig fiktionalisierte Sanger ist die Geliebte des Pro­tagonisten in Wells’ autobiografischem Roman The Secret Places of the Heart, der 1922 erschien.)7 Unterdessen bemühte sich Sanger um Bündnisse mit Konservativen und Eugenikern, die daran interessiert waren, die Empfängnisverhütung zur Begrenzung der Popu­lation von «Schwachsinnigen» zu nutzen – wenn nötig, auch unter Anwendung von Zwang. Sanger gründete 1921 die American Birth Control League; sechs Jahre später wurde bei einer Erhebung zu fast 1000 ihrer Mitglieder ein unverhältnismäßig hoher Anteil von  – in Kleinstädten und Vororten lebenden – Republikanern und Rotariern festgestellt. Sanger, mit einer Mitgliedschaft konfrontiert, die ihrem Feminismus entgegenstand, sah sich gezwungen, vom Amt der Präsidentin der League zurückzutreten.8 Sangers Feminismus war von einer ganz besonderen Art. Olive Byrne, die im Winter 1920 mit Parker und Ethel Byrne zusammenwohnte, hörte viel über das Buch, an dem Sanger damals gerade arbeitete, «Voluntary Motherhood», dessen Titel zunächst in «The Modern Woman Movement» abgeändert wurde. Es erschien im Oktober 1920, zwei Monate nach der Verabschiedung des 19. Zusatzartikels, unter ­einem neuen Titel: Woman and the New Race. In den Jahren von 1920 bis 1926 wurden von Woman and the New Race und von Sangers nächstem Buch The Pivot of Civilization insgesamt mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft.9 Woman and the New Race stufte das Birth Control Movement auf der Bühne der Geschichte als einen Kampf ein, der von noch größerer Bedeutung sei als die Auseinandersetzung um das Frauenwahlrecht. «Die folgenreichste gesellschaftliche Entwicklung der Moderne ist die Revolte der Frau gegen die sexuelle Sklaverei», schrieb Sanger und verband damit das Versprechen, dass die Empfängnisverhütung «die

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Frauen sind an ungewollte Schwangerschaften gekettet. Aus Sangers Birth Control Review, 1923

Welt neu gestalten» werde. Es gebe keine wichtigere Freiheit: «Keine Frau kann sich als frei bezeichnen, wenn sie nicht über ihren eigenen Körper frei verfügt.» Und für diese Revolte gegen die Sklaverei war niemand wichtiger gewesen als ihre eigene Schwester: «Keine andere mit Selbstaufopferung verbundene Handlung hat in der Geschichte der Bewegung für Geburtenkontrolle mehr dafür getan, das öffent­ liche Bewusstsein wachzurütteln oder den Mut der Frauen zu wecken, als Ethel Byrnes kompromissloser Groll gegen die Schandtat, Frauen einzusperren, die versuchten, Wissen zu verbreiten, das zur Emanzipation der Mütter Amerikas führen würde», schrieb Sanger. (Oder es war vielleicht Parker, der das schrieb.) Frauen, schrieb Sanger, «hatten sich selbst durch die mütterlichen Funktionen ihres Wesens an ihren Platz in der Gesellschaft und der Familie gekettet, und nur Ketten von derartiger Stärke konnten sie an ihr Los als Zuchttier gebunden haben».10 Es war an der Zeit, diese Ketten zu zerreißen.

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Wonder Woman, von Männern in Ketten gelegt. Aus: «The Count of Conquest», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942

Frauen als gefesselt und versklavt darzustellen, war in der feministischen Literatur allgegenwärtig, ein Überbleibsel aus der Allianz zwischen der Wahlrechts- und der Abolitionistenbewegung des 19. Jahrhunderts. Charlotte Perkins Gilman beschrieb eine Feministin auf die folgende Art: «Da kommt sie aus dem Gefängnis herausgerannt, vom Podest herunter; ohne Ketten, ohne Krone, ohne Heiligenschein, einfach eine lebendige Frau».11 Frauen in Ketten dienten auch als Inspiration für den Titel eines weiteren Sanger-Buches, Motherhood in Bondage, das eine Auswahl einiger Beispiele aus den Tausenden von Briefen bot, mit denen sie von Frauen um Informationen zur Empfängnisverhütung angefleht wurde; sie bezeichnete die Briefauswahl als «die Bekenntnisse versklavter Mütter».12 Eine von Lou Rogers für die Titelseite von Sangers Birth Control Review in Auftrag gegebene Abbildung zeigte eine geschwächte und verzweifelte Frau, die auf die Knie gefallen ist, und an ihr rechtes Fußgelenk ist eine Eisenkugel gekettet, auf der zu lesen steht: «UNGEWOLLTE BABYS».13 Die Empfängnisverhütung könnte diese Ketten lösen. Eine freiwillige Mutterschaft, schrieb Sanger in ihrem Buch Woman and the New

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Race, «ist für die Frau der Schlüssel zum Tempel der Freiheit». Die Emanzipation der Frauen sei keine Frage des Wahlrechts, meinte sie; sie sei Teil eines Kampfes, der bis in die Zeit des antiken Griechenland zurückreiche. Sie sei eine Frage der Befreiung des «weiblichen Geistes» – eines Geistes, der in den Gedichten Sapphos von Lesbos gut auszumachen sei, die, wie Sanger erklärte, «die griechischen Ehefrauen dazu anstiften wollte, ihr individuelles Ich auszudrücken», ihr sexuelles Ich. Der weibliche Geist, meinte Sanger, «manifestiert sich am häufigsten in der Mutterschaft, aber er ist größer als die Mütterlichkeit». Er sei gewaltsam unterdrückt worden: durch die Gesetze, die Religionen und die Sitten und Gebräuche, die Frauen den Rückgriff auf Empfängnisverhütung verweigert hätten. Die von Frauen geführten Kämpfe hätten weltweit dazu geführt, dass die Frauen «gewaltsame Mittel» ausfindig machten, «mit denen sie sich aus den Ketten ihrer eigenen Fortpflanzungsfähigkeit befreien konnten». Überbevölkerung sei die Ursache allen menschlichen Elends, zu dem auch Armut und Kriege zählten, meinte Sanger. Aber «Gewalt und Furcht sind zu allen Zeiten noch immer gescheitert». Geburtenkontrolle sei «das wahre Heilmittel für den Krieg», und «die Liebe ist die stärkste Kraft des Universums». Wenn die Liebe über die Gewalt siegt, «wird die moralische Kraft der weiblichen Natur von Ketten befreit» und die Welt neu gestaltet werden, sagte Sanger voraus.14 «Man lasse jeden Mann und jede Frau, die des Lesens mächtig sind, dieses Buch lesen», sagte Havelock Ellis über Woman and the New Race.15 Zu den Menschen, die es lasen, zählten auch Mr. und Mrs. William M. Marston, die im Jahr 1920 in Harvard und Radcliffe für ihre Graduate Degrees im Fach Psychologie studierten. Die Philosophie von Margaret Sangers Woman and the New Race sollte sich, ­exakt umgesetzt, als die Philosophie von Wonder Woman erweisen. Mit der Schönheit Aphrodites, des Weisheit Athenes, der Stärke des Herkules und der Geschwindigkeit Merkurs bringt sie die immerwährenden Geschenke der Frau nach Amerika – Liebe und Weisheit! Wonder Woman trotzt den bösartigen Intrigen heimtückischer Feinde und verlacht alle Gefahren, sie führt die unbesiegbare Jugend Amerikas gegen die ­bedrohlichen Kräfte des Verrats, des Todes und der Zerstörung.16

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Wonder Woman sollte über die Welt herrschen, dachten Sanger und Marston und Holloway, weil Liebe stärker ist als die Gewalt. Jahre später, als Marston eine junge Frau namens Joye Hummel einstellte, die ihm helfen sollte, Wonder Woman zu schreiben, gab Olive Byrne Hummel ein Exemplar von Woman and the New Race. Lesen Sie das, sagte sie ihr, dann wissen Sie alles, was Sie über Wonder Woman wissen müssen.17

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DIE BOYETTE

OLIVE BYRNE   war 18 Jahre alt, als sie 1922 bei Byrne & Byrne und den Giddy Girls ausstieg und den Sommer bei ihrer Mutter in Truro auf Cape Cod verbrachte. Margaret Sanger hatte in Truro ein Haus von John Reed gekauft, der es ihr 1917 überließ, kurz bevor er die Ver­ einigten Staaten mit dem Ziel Russland verließ, um von dort über die Revolution der Bolschewiki zu berichten. (Reed wurde 1918 verhaftet, als er bereits die Heimreise angetreten hatte.) Ethel Byrne kaufte ein Haus ganz in der Nähe, in der Mill Pond Road, ein Haus, das einem Schiffskapitän gehört hatte und nur einen kurzen Weg zu Fuß vom Bahnhof entfernt war. Byrnes Haus hatte keinen Stromanschluss, und in der Küche stand nur ein gusseiserner Herd. Sie hängte ein Schild an die Wand: EAT, DRINK, AND BE MERRY. Sie trank zu jeder Tageszeit. Auf der Rückseite des Hauses legte sie einen Fußweg aus farbigen Glasstücken an, das Material lieferten leere Schnapsflaschen, die sie mit dem Hals voraus in den Boden drückte. Der Weg ist heute noch erkennbar, er glitzert wie Meerglas im Sand. Ethel Byrne ging gerne in das nördliche Nachbarstädtchen Provincetown, um dort Freunde zu besuchen. Truro und Provincetown waren Rückzugsorte für radikale Bewohner von Greenwich Village und eine Zufluchtsstätte für Homosexuelle. Ethel Byrne und Margaret Sanger glaubten an die freie Liebe, und das bedeutete, dass sie an ­außerehelichen Sex glaubten und die Ehe selbst als eine Form der Unterdrückung betrachteten. Menschen, die an die freie Liebe glaubten,

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betrachteten die Homosexualität nicht zwangsläufig als eine weitere Ausdrucksform der Sexualität. Aber auf Ethel Byrne traf das zu.1 Ethel und Olive Byrne fuhren im Sommer 1922 mit einem ramponierten Ford-Tourenwagen auf der schmalen, kurvenreichen Straße von Truro nach Provincetown. Eines Abends gingen sie zu einer Party, bei der acht Männer eng umschlungen zusammensaßen und sich küssten. «Ich hatte zwar von Homosexuellen gehört, war aber noch nie welchen begegnet», schrieb Olive später.2 Margaret Sanger verbrachte den Sommer 1922 nicht in Truro mit Ethel und Olive Byrne. Sie ging auf eine Weltreise, warb Spenden ein und dachte über ein Heiratsangebot eines Millionärs nach. Sie wusste, dass es wie ein Verrat an ihren Grundsätzen aussehen würde, falls sie es annehmen würde; sie wusste außerdem, dass die Bewegung, die sie anführte, Geld brauchte. Sanger heiratete am 14. September 1922, an ihrem 43. Geburtstag, im Büro eines städtischen Urkundsbeamten in London den 61-jährigen Ölmagnaten J. Noah Slee. Das Paar hielt die Hochzeit über ein Jahr lang geheim. Aber Sanger musste ihrer Schwester telegrafiert und ihr die Neuigkeit mitgeteilt haben, weil Ethel Byrne bereits wenige Tage später völlig überraschend mit Olive nach New York fuhr, dort in einem College-Auskunftsbüro in der 42. Straße vorsprach und darauf bestand, dass Olive sich sofort für einen Stu­ dienplatz am College bewarb. Ethel Byrne mochte vom Birth Control Movement ausgeschlossen worden sein, aber sie hatte den Entschluss gefasst, dass der millionenschwere Gatte ihrer Schwester dafür bezahlen sollte, dass ihre Tochter keine Krankenschwester, sondern eine Ärztin wurde. Olive und ihre Mutter vertieften sich im Auskunftsbüro in Bewerbungsformulare und schickten Telegramme an Zulassungsstellen. Das Semester hatte bereits begonnen; die meisten Anfängerjahrgänge waren voll belegt. Ethel Byrne entschied sich schließlich dafür, ihre Tochter ans Jackson College zu schicken, das Frauen-College der Tufts University. Olive Byrne packte ihre Sachen, ging zur Grand Central Station, stieg in einen Zug nach Boston und kam allein in Tufts an, zwei Wochen nach Semesterbeginn. Ihre Studiengebühren bezahlte J. Noah Slee.3 Sie stürzte sich ins Collegeleben. Sie schloss sich dem Glee Club an

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und trat in die Redaktion der Tufts Weekly ein. Sie wurde zur Vorsitzenden des Social Committee gewählt. Sie war groß und hager; sie spielte Basketball. Sie erhielt eine Hauptrolle in der Jahrgangs-Operettenaufführung The Wisdom of Neptune. Sie ließ sich einen Bubikopf schneiden und erhielt den Spitznamen Bobbie. (In Wonder Woman hat sie einen Auftritt als Studentin des Holliday College namens Bobbie Strong.) Olive Byrne war eine Freidenkerin von radikaler Gesinnung; sie glaubte außerdem an die freie Liebe. «Wir hielten uns für sehr wagemutig», sagte sie. Sie gründete den Tufts Liberal Club, er orientierte sich am Liberal Club, dem ihre Mutter und ihre Tante in Greenwich Village angehört hatten, und lud alle Menschen zur Mitgliedschaft ein, die «großzügige Freidenker, das heißt: von jeglichen Vorurteilen frei», waren. Sie wurde zur Vizepräsidentin gewählt (ins höchste Wahlamt, das einer Frau offenstand; der Präsident war immer ein Mann).4 In ihrem Studium war Olive Byrne jedoch bereits vor ihrer Ankunft im Hintertreffen. «Die wichtigen Fächer für die medizinische Fakultät, Chemie und Biologie, waren für mich nicht schwierig», erklärte sie, aber mit der Mathematik bekam sie Probleme. Am Ende des ersten Semesters in ihrem ersten Studienjahr erhielt sie eine akademische Probezeit zudiktiert. Ihre Rettung war, wie sie gerne erzählte, eine Freundin: «Die Erlösung kam in der rundlichen Gestalt einer ­Junior-Studentin namens Mary Sears daher.» Unter Sears’ Betreuung kam Byrne mit Dreier-Noten durch.5 Mary Sears war die Inspiration für Wonder Womans beste Freundin, eine Studentin des Holliday College namens Etta Candy. Sears gehörte in Tufts einer Studentinnenverbindung an, der Alpha Omicron Pi. Etta Candy ist im Holliday College Mitglied von Beeta Lambda. Und Etta Candy ist, wie Mary Sears, «rundlich». Sie ist süchtig nach Süßigkeiten und ruft ständig Dinge wie «Bursting brandy drops!» und «Great chocolates!» (Ettas Vater heißt Sugar Candy; ihr Bruder heißt Mint. Ihr Freund studiert am Starvard College.)6 «Etta, du solltest weniger Süßigkeiten essen. Sie werden deine körperliche Verfassung ruinieren», sagt Diana Prince zu ihr. Etta nimmt den Hinweis gerne auf: «In meiner Verfassung ist noch Platz für viele Zusatzartikel.»7

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Olive Byrne (vordere Reihe, mit Stirnband) mit Mitgliedern von Alpha Omicron Pi 1923 in Tufts, gegen Ende ihres ersten Studienjahres. Mary Sears, die Inspiration für Etta Candy, sitzt an ihrer rechten Seite und trägt eine Krawatte.

Auf einem Foto der Alpha Omicron Pi, das im Frühjahr von Olive ­Byrnes erstem Studienjahr aufgenommen wurde, sitzt sie lächelnd in der ersten Reihe und trägt ein kurzärmeliges, gepunktetes Kleid mit einem U-Boot-Ausschnitt und ein breites Flapper-Stirnband über dem kurz geschnittenen Haar. Mary Sears sitzt neben ihr.8 «Ich war nicht der besonders übereifrige Typ einer Sorority Sister», erklärte Byrne, aber im Februar ihres ersten Studienjahrs wurde sie aufgenommen. «Ich fühlte mich gut dabei», schrieb sie. «Endlich gehörte ich zu einer Familie.»9 In ihrem zweiten Studienjahr arbeitete Byrne bei der Organisation des Basketballteams mit und übernahm eine Rolle in der Theaterproduktion des Jahrgangs. Ihre Noten wurden besser.10 Sie lud ihre Tante zu einem Vortrag auf den Campus ein, als Gastrednerin des Liberal

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Etta Candy und die Holliday Girls retten Wonder Woman. Aus: «America’s Guardian Angel», in: Sensation Comics Nr. 12, Dezember 1942

Clubs. Die Verwaltung von Tufts verweigerte Sanger den Zugang zum Campus, so wie Harvard einige Jahre zuvor Emmeline Pankhursts Vortrag an der Universität verboten hatte. Sanger war an diese Vorgehensweise gewöhnt. Als Sanger 1929 nach Boston kam, um in der Ford Hall einen Vortrag zu halten, untersagte die Stadtverwaltung diesen Auftritt, also ging sie mit einem Knebel vor dem Mund auf die Bühne, während der Harvard-Historiker Arthur Schlesinger jr. in ihrem Namen eine Erklärung verlas. «Ich verbinde enorme Vorteile damit, geknebelt zu sein», hieß es darin. «Das bringt mich zum Schweigen, aber es bringt Millionen andere dazu, zu reden.»11 Als die Verwaltung von Tufts Margaret Sanger vom Campus ausschloss, organisierte Olive

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Protest gegen die Zensur: Margaret Sanger tritt mit Knebel auf

Wonder Woman und ihre Mutter, geknebelt. Aus: Wonder Woman Nr. 33, Februar 1949

Byrne für sie einen Auftritt als Rednerin in einer Kirche im nahege­ legenen Somerville.12 Auch Wonder Woman wird immer wieder von Schurken geknebelt. Aber letztlich kommt sie immer zu Wort. Der Feminismus und das Birth Control Movement blieben nicht ohne Auswirkungen auf das Sexualleben von College-Studentinnen. In den 1920 er Jahren bestand für College-Frauen eine sehr viel höhere Wahrscheinlichkeit, vorehelichen Sex zu haben und dabei zum Orgasmus zu kommen, als für ihre Geschlechtsgenossinnen nur zehn Jahre zuvor. Alfred Kinsey stellte bei seinen bahnbrechenden Untersuchungen zum Sexualleben in den 1930 er Jahren fest, dass nur 14 Prozent der vor 1900 geborenen Frauen (Sadie Holloway gehörte zum Jahrgang 1893) vor ihrer Heirat Sex hatten, während dieser Anteil bei den von 1900 bis 1910 geborenen Frauen (Olive Byrne kam 1904 zur Welt) auf 36 Prozent stieg. Die Frauen von Olive Byrnes Generation, die unmittelbar nach der Einführung des Frauenwahlrechts ins Erwachsenen­ alter eintraten, empfanden Sex, im Unterschied zu den Frauen aus Holloways Generation, auch häufiger als sinnliches Vergnügen. Aber

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zugleich verbanden sie eine sinnlich ausgelebte Sexualität auch weniger häufig mit dem Feminismus als die Frauen aus Holloways Generation.13 In den Weihnachtsferien arbeitete Olive Byrne in Margaret Sangers Clinical Research Bureau in der Sixteenth Street in New York. Sanger hatte die mit Slees Geld finanzierte Beratungsstelle 1923 eröffnet. In Tufts wurde Olive Byrne zur Informationsquelle der Undergraduates in Sachen Empfängnisverhütung. Alle dort wussten, dass sie Sangers Olive Byrne in ihrem Abschlussjahr Nichte war. «Im College kamen in Tufts ständig Leute zu mir und fragten mich, ob ich Methoden der Empfängnisverhütung kennen würde», sagte sie. «Die einzige Möglichkeit war, nach New York zu gehen, um sich dort das Material zu besorgen.» Dabei war es hilfreich, wenn man sagen konnte, dass man eine Freundin von Olive Byrne war. «Wenn irgendwelche deiner Bekannten in New York sind und vorbeikommen und Informationen haben wollen, dann sag ihnen, sie sollen nach mir fragen», ließ Sanger sie wissen. «Sag ihnen, sie sollen erwähnen, dass du sie geschickt hast, und wir kümmern uns dann um sie.»14 Eine Methode, mit der Olive Byrne in Tufts durchkam, war, dass sie sich ihren Radikalismus und ihren Intellektualismus zunutze machte: Sie wurde zur witzigsten, klügsten und auffälligsten Studentin des Abschlussjahrgangs 1926 gewählt.15 Und eine Art, mit der sie auffiel, war ihr androgyner Habitus. In ihrem Abschlussjahr legte sie sich einen Haarschnitt zu, der  – wegen des jungenhaften Stils  – als «Eton-Schnitt» bezeichnet wurde. Sie kleidete sich auch wie ein Junge, und das war eine Mode, die eher in England als in den Ver­ einigten Staaten verbreitet war. «Die ‹Boyette› lässt sich nicht nur das

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Haar so kurz schneiden wie ein Junge, sie kleidet sich auch in allen Einzelheiten wie ein Junge», berichtete die Londoner Daily Mail 1927. «Ihr Ziel ist, so weit wie möglich wie ein Junge auszusehen.»16 Olive Byrne, die Boyette, belegte im Herbst 1925 einen Kurs bei ­einem außerordentlich charismatischen jungen Professor, der aus Washington, DC, gekommen war, wo er sich zuvor in einen sensationellen Mordprozess verstrickt hatte.17 Sie fand ihn unwiderstehlich.

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WILLIAM MOULTON MARSTON ,  Professor der Psychologie, kam im Herbst 1925 an die Tufts University. Er war 32 Jahre alt und schwergewichtig. Er wog über 90  Kilogramm. Nach seiner Verhaftung wegen Betrugs und seiner Entlassung an der American University hatte er für das ­National Committee for Mental Hygiene gearbeitet und psychologische Tests an Schülern in Staten Island und an Gefängnisinsassen in Texas vorgenommen. Er hatte außerdem einen Aufsatz veröffentlicht, mit dem er seine akademische Laufbahn zu retten versuchte, indem er sich auf ein neues Arbeitsgebiet vorwagte: das Studium der Sexualität. Psychologen waren in den 1920 er Jahren fasziniert von Sexualität, Geschlechterdifferenz und sexueller Anpassung, und das nicht nur aufgrund von Freuds Einfluss, sondern auch im Gefolge des Aufstiegs des Behaviorismus. Lewis Terman, der an der Entwicklung des IQTests beteiligt war, erfand einen Test zur Messung des Grades der «Männlichkeit» und der «Weiblichkeit»; Ziel dieses Tests war es, Devi­anz, abweichendes Verhalten, zu bestimmen. Nach der Ansicht des Behavioristen John B. Watson war der Feminismus grundsätzlich eine Form der Devianz: eine Feministin war für ihn eine Frau, die nicht akzeptieren konnte, dass sie kein Mann war. «Die meisten der schrecklichen Frauen, denen man unweigerlich begegnet, Frauen mit den marktschreierischen Ansichten und Stimmen, Frauen, die auffallen müssen, die einen beiseiteschieben, die kein ruhiges Leben führen

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können, gehören zu diesem hohen Prozentsatz von Frauen, die niemals eine sexuelle Anpassung vollzogen haben.»1 Marston offenbarte die Faszination, die für ihn von den Themen Sexualität und Geschlechterdifferenz ausging, erstmals in einem Artikel, den er Ende 1923 im Journal of Experimental Psychology veröffentlichte. In dem Beitrag «Sex Characteristics in Blood Pressure» berichtete er über die Ergebnisse einer Untersuchung, die er in der Zeit von 1919 bis 1921 in Harvard vorgenommen hatte  – unterstützt von «Mrs. E. H. Marston» und «ergänzt durch spätere Arbeit des Autors». Er hatte sich als Ziel gesetzt, zu entdecken, auf welche Art und Weise die Gehirne von Frauen anders funktionieren als die von Männern. Er und Holloway hatten Blutdruckmessungen bei zehn Männern und zehn Frauen unternommen. Sie hatten zunächst versucht, die Probanden zu beunruhigen, und dann hatten sie versucht, sie zu erregen. «Der wirksamste sexuelle Reiz, der bei weiblichen Probanden festgestellt wurde, waren nicht die Gegenwart oder die Konversation eines fremden Mannes, sondern sexuelle Themen im Gespräch mit einer gut bekannten Person», berichtete Marston. Er glaubte, seine Studie zeige, dass Frauen emotional unbeständiger seien als Männer («Emotio­ nen, die größere Blutdruckschwankungen auslösen können, fluktuieren im weiblichen Bewusstsein mit großer Leichtigkeit und Schnelligkeit, während emotionale Einflüsse, die einen Ausdruck im männlichen Organismus finden, zur Beständigkeit neigen») und dass die meisten Emotionen von Frauen in deren Sexualität gründeten («angesichts ­einer sehr viel größeren Zahl adäquater Stimuli für sexuelle Emotionen im weiblichen Organismus»). Die Emotion, die Frauen am häufigsten erlebten, sei Zorn, wusste Marston zu berichten; die bei Männern am häufigsten vorkommende Gefühlslage sei Furcht. Aussagen, die Frauen in Aufregung versetzten, waren Sätze wie: «Ich war so wütend, ich hätte sie umbringen können!» Aussagen, die Männer ärgerten, waren Äußerungen wie: «Vielleicht bekomme ich diese Anstellung als Lehrer gar nicht».2 Aber am allerdeutlichsten hatte diese Art von Forschung Marston gezeigt, wie sehr ihm diese Art von Forschung gefiel, besonders der Teil, in dem es darum ging, Frauen in Aufregung zu versetzen. Eine Zeitung in Tufts meldete im Herbst 1925 seine Ankunft:

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Aus: «The Fun Foundation», in: Sensation Comics Nr. 27, März 1944

«Dr. William  M. Marston wird als Assistant Professor of Philosophy lehren und sich dabei besonders auf die Psychologie konzentrieren.»3 An der American University hatte Marston eine ordentliche Professur bekleidet und war Vorsitzender des Fachbereichs Psychologie gewesen. Tufts ernannte ihn zum Assistant Professor ohne Festanstellung. Auf der akademischen Karriereleiter war das ein Abstieg. Mit jeder Sprosse, die es abwärts ging, vergrößerte sich die Belastung durch die Lehre. In Tufts unterrichtete er acht Kurse in zwei Semestern: Experimentelle Psychologie, Psychopathologie, Vergleichende Psychologie, Geschichte der Psychologie, Psychologie des menschlichen Verhaltens, ein Forschungsseminar und zwei Veranstaltungen zur Angewandten Psychologie.4 Holloway begleitete ihn nicht nach Massachusetts. Sie trat stattdessen eine Stelle in New York an, als Chefin vom Dienst (Managing Editor) der Psychologie-Zeitschrift Child Study: A Journal of Parent Education. Dort arbeitete sie mit Josette Frank zusammen, einer Expertin für Kinder- und Jugendliteratur, die der Redaktion des Blattes

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angehörte.5 Child Study erschien ab 1924 und wurde von der Child Study Association of America herausgegeben; das erklärte Ziel der Zeitschrift war, Eltern in der Erziehung ihrer Kinder zu unterrichten. Wohlhabendere Frauen bekamen, wenn sie Empfängnisverhütung praktizierten, weniger Kinder; die damit verbundene Erwartung war, dass sie diesen Kindern dann mehr Aufmerksamkeit widmen würden; sie mussten in der Lehre von der Mutterschaft unterwiesen werden. Genau in diesem Geist erfolgte auch die Gründung des Parents’ Magazine im Jahr 1926.6 In Marstons Kurs zur Experimentalpsychologie in Tufts saß im Herbst 1925 auch eine Studentin, die einen Jungen-Haarschnitt hatte. Sie war Margaret Sangers Nichte. Sie war elegant und intellektuell und radikal und hoffnungslos unglücklich; sie hatte eine unerträglich einsame Kindheit durchlitten. Möglicherweise war sie selbstmordgefährdet. Er schlug ihr vor, in eine Beratungsstelle zu kommen, die er eben erst eröffnet hatte, um dort Studentinnen mit Anpassungsproblemen zu behandeln. Marston schrieb später eine Geschichte, in der sich Wonder Woman in die Niagarafälle stürzt, um ein hübsches Mädchen namens Gay zu retten, das den Tod im Wasser sucht. (Frauen, die andere Frauen liebten, bezeichneten sich selbst ab den 1920 er Jahren als «gay»; Gertrude Stein benutzte das Wort 1922 in diesem Sinn.)7 «Armes Kind! Du hattest ein schreckliches Leben!», sagt Wonder Woman zu Gay, nachdem sie sie gerettet hat. «Dir fehlt die Lebensfreude!» Sie bringt sie ins Holliday College und macht sie mit Etta Candy bei Beeta Lambda bekannt: «Ich möchte, dass du dich um dieses Mädchen kümmerst und dafür sorgst, dass sie Spaß hat!» Etta bringt Gay bei, wie man spielt. «Der Spaß hat mich zu einem neuen Menschen gemacht», sagt Gay. «Bei anderen wird das genauso wirken. Ich eröffne eine Fun Clinic und bringe mutlosen Menschen bei, wie man das Leben genießt!»8 Wonder Woman, von Gays neu entdecktem Glück inspiriert, sammelt eine Milliarde Dollar Spendengelder für eine Fun Foundation und eröffnet Fun Clinics im ganzen Land, «die Millionen von Amerikanern, denen die Lebensfreude fehlt, eine gesunde Erholung bieten».9 Olive Byrne hatte, bevor sie Professor Marston kennenlernte, im Fachbereich Psychologie drei Kurse belegt; sie hatte dabei dreimal die

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Note Drei erhalten. Bessere Ergebnisse erzielte sie in ihrem Hauptfach Englisch, in dem sie mit Zweien abschnitt. Marston gab ihr eine Eins in Experimenteller Psychologie. Die einzige Eins, die sie bis dahin bekommen hatte, stammte aus einem Sportkurs. Im Frühling ihres Examensjahrs belegte sie drei weitere Kurse bei Marston: Angewandte Psychologie, Psychopathologie und ein Forschungsseminar, das üb­ licherweise den Graduate Students vorbehalten war. Marston gab ihr drei weitere Einsen.10 Sie fing an, als seine Forschungsassistentin zu arbeiten. Die beiden beschlossen – oder möglicherweise beschloss er, und sie war einverstanden –, gemeinsam eine Studie zu unternehmen. Er wollte wissen, wie Frauen sich fühlten, wenn sie gefesselt waren, und wie andere Frauen sich fühlten, wenn sie die Gefesselten schlugen. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte Marston eine Theorie zu den «grundlegenden psycho-neuralen Mechanismen des Gefühls», wie er es selbst bezeichnete. Er hatte mit dieser Arbeit begonnen, während er an mehr als 3000 Häftlingen in texanischen Gefängnissen psychologische Tests vornahm; sein besonderes Interesse galt dabei «den homosexuellen Beziehungen, die im Gefängnisleben unvermeidlich sind». Die Ergebnisse dieser Tests hatten Marston zu dem Schluss geführt, dass es vier grundlegende Gefühlslagen gebe: dominance (Dominanz), compliance (Übereinstimmung), inducement (Antrieb) und submission (Unterwerfung). In Tufts konzentrierte er sich auf das, was er als captivation (Faszination) bezeichnete, er beschrieb diesen Zustand als «einen Grundbestandteil sadistischer Reizung oder Folterung schwächerer menschlicher Wesen oder Tiere».11 Olive Byrne erkannte das Interesse ihres Professors am Zustand der Faszination und nahm ihn mit zu Versammlungen von Alpha Omicron Pi, wo Studienanfängerinnen, die sich um die Mitgliedschaft bewarben, sich wie Babys kleiden und an einer «Baby-Party» teilnehmen mussten. Marston schilderte das später so: «Die Studienanfängerinnen wurden in einen dunklen Gang geführt, wo ihnen die Augen verbunden und die Hände auf den Rücken gefesselt wurden.» Dann führte man die Erstsemester in einen Raum, wo Junior- und Senior-Studentinnen sie nötigten, verschiedene Aufgaben zu erfüllen, während Stu-

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Aus: «School for Spies», in: Sensation Comics Nr. 4, April 1942

dentinnen aus dem zweiten Jahr sie mit langen Stöcken schlugen.12 All diese Szenen tauchen in Wonder Woman-Comics auf, in denen Anwärterinnen von Beeta Lambda mit Stöcken geschlagen werden und während einer «Baby-Woche» Windeln tragen. In Tufts beobachtete Marston die Party, und dann begannen er und Olive Byrne mit ihren gemeinsam geführten Interviews. «Fast alle Sophomore-Studentinnen berichteten über das mit Erregung verbundene angenehme Faszinationsgefühl während der gesamten Party», berichtete er. «Das Angenehme bei ihren Faszinationsreaktionen schien noch zuzunehmen, wenn sie sich genötigt sahen, aufsässige Anwärterinnen körperlich zu überwinden, oder sie durch wiederholte Befehle und weitere Bestrafungen dazu veranlassten, die Handlungen auszuführen, denen sich die gefesselten Mädchen zu entziehen suchten.»13 Marston war fasziniert. Als Marston seine Ergebnisse veröffentlichte, achtete er darauf, dass der Name seiner Assistentin genannt wurde: «Untersuchungen zu Gefühlen, die Sophomore- und Upper-Class-Studentinnen während

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Aus: «Three Pretty Girls», in: Sensation Comics Nr. 43, Juli 1945

ihrer alljährlichen Bestrafung der Studienanfängerinnen empfanden und darüber berichteten, wurden von Miss Olive Byrne und mir im Verlauf des akademischen Jahres 1925/26 vorgenommen».14 Was der Psychologe und seine Assistentin in jenem Jahr sonst noch gemeinsam taten, ist schwer zu sagen. Olive Byrne schloss ihr Studium in Tufts am 14. Juni 1926 mit dem Bachelorgrad in Englisch bei einer Feier ab, bei der Jane Addams ihren Abschluss mit Auszeichnung erhielt.15 Ethel Byrne kam mit dem Zug aus Truro, um an diesem Ereignis teilzunehmen. Sie feierte eine Ausbildung, von der sie hoffte, dass sie es ihrer Tochter ermöglichen würde, der Sklaverei ungewollter Mutterschaft zu entgehen. Auch Holloway kam zu der Feier. «Ich möchte, dass du einen ganz besonderen Menschen kennenlernst», sagte Marston zu seiner Ehefrau.16 Auf einem an jenem Tag aufgenommenen Foto trägt Olive Byrne ihren Akademikerhut und Talar, ein Auge ist von einer dunklen Haarlocke verdeckt, und sie lächelt schüchtern, mit leicht nach unten geneigtem Kopf. Zu ihrer Rechten steht Holloway, gut 15  Zentimeter kleiner, sie trägt ein elegantes Kostüm und einen Glockenhut und hält Olives Diplom in der Hand. Zu Olives Linken steht, den Arm um sie

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Von links: Elizabeth Holloway Marston, Olive Byrne, William Moulton Marston und Ethel Byrne bei der Abschlussfeier in Tufts, 1926

gelegt, Marston, groß und massig und grinsend, angetan mit seinen akademischen Insignien – Doktorhut und Talar und Harvard-Kapuze. Auf Marstons anderer Seite ist Ethel Byrne zu sehen, sie trägt einen hellen Mantel und einen Hut mit Krempe. Es ist ein Familienfoto, aber eins von der verwirrenden Art: Marston und Holloway sehen so aus, als müssten sie Olive Byrnes Eltern sein, allerdings waren sie dafür zu jung. (Die beiden waren nur elf Jahre älter als sie.) Ethel Byrne vermittelt den Eindruck, sie könnte eine Tante sein. Olive Byrne klebte das Foto eines Tages in ein Familienalbum und griff dabei zum Federhalter. Auf Holloways Kostümjacke schrieb sie «EHM». Auf Ethel Byrnes Mantel schrieb sie mit blauer Tinte ein einziges Wort: «MUTTER.»

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OLIVE BYRNE ,  die witzigste, klügste und auffälligste Tufts-Absolventin

des Examensjahrgangs 1926, schaffte es nie an die medizinische Fakultät.1 «Ich stelle fest, dass meine Pläne für das kommende Jahr nicht so in Erfüllung gegangen sind, wie ich es mir vorgestellt habe«, schrieb sie am 5. September 1926, drei Monate nach ihrem Abschluss in Tufts, an J. Noah Slee, Margaret Sangers Ehemann. Slee hatte angeboten, die Gebühren für Olives Medizinstudium zu bezahlen, aber sie entschied sich für das Fach Psychologie an der Graduate School der Columbia University und wollte für Marston arbeiten – und mit ihm zusammenleben. «Ich kann in diesem Jahr genug Geld verdienen, um mein Zimmer, mein Essen und meine Kleidung bezahlen zu können, wenn ich mit Dr. Marston an seinem Buch und seinen Vorlesungen arbeite», schrieb sie Slee. «Aber wenn ich einen Graduate-Abschluss in Columbia machen will, werde ich Dich um Deine Hilfe bitten müssen.» Sie bat ihn, ihre Studiengebühren zu bezahlen. «Ich wünsche mir so sehr, unabhängig zu sein, aber ich möchte auch etwas Lohnendes tun, wenn ich unabhängig bin.» Ethel Byrne war nicht einverstanden. «Mutter lacht nur, wenn ich ihr sage, was ich tun will», schrieb Olive an Slee.2 Marston verließ Tufts, als Olive Byrne dort ihren Abschluss machte. Er war kein ganzes Jahr dort gewesen. Möglicherweise wurde er ent-

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lassen. Wären seine Beziehung mit Byrne und seine Anwesenheit bei der Baby-Party bekannt geworden, hätte ihn der Dekan des Colleges wohl aufgefordert, seine Sachen zu packen. Dinge dieser Art kommen in Wonder Woman-Comics laufend vor. «Was machen Sie hier?», fragt Dekanin Sourpuss vom Holliday College Professor Toxino. «Sie wissen, dass Sie an diesem College nicht erwünscht sind!»3 Byrne verbrachte den Sommer nach ihrem College-Abschluss gemeinsam mit Marston und Holloway in Darien, Connec­ ticut. «Die Marstons waren wunderbar, sie halfen mir mit ihrem nahezu grenzenlosen Wissen über Carolyn Marston Keatley, das Fach, das ich studieren will», Marstons Tante schrieb sie an Slee. Sie plante den Umzug nach New York, wo Holloway eine Wohnung besaß, zu Semesterbeginn. «Ich werde bei Mrs. Marston wohnen, ganz in der Nähe von Columbia.»4 Marston hatte Holloway die Wahl gelassen. Olive Byrne durfte entweder bei ihnen wohnen oder er würde sie verlassen. Das war ein vollkommen anderes Arrangement als das, was mit Marjorie Wilkes Huntley vereinbart worden war. «Er wurde auf ziemlich seltsame Art von Frauen angezogen», sagte Sheldon Mayer, Marstons Redakteur bei DC Comics, einmal. «Eine war nie genug.»5 Holloway war völlig verzweifelt. Sie verließ die Wohnung, ging ohne anzuhalten sechs Stunden lang spazieren und dachte nach.6

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Holloway erklärte Jahrzehnte danach, dass sie, Marston und Byrne ­einen «nonkonformistischen» Lebensstil entwickelt hätten. «Alle Grundprinzipien» ihres Zusammenlebens, sagte sie, seien «in den Jahren 1925, 1926 und 1927» entwickelt worden, «als eine Gruppe von etwa zehn Personen regelmäßig einmal in der Woche in Tante Carolyns Wohnung in Boston zusammenkam».7 Tante Carolyn war Carolyn Marston Keatley, eine Schwester von Marstons Vater. Sie war Pflegedienstleiterin im Deaconess Hospital in Boston.8 Sie war eine «Aquarian», eine Anhängerin der Theorie vom Zeitalter des Wassermanns: Sie glaubte an die Lehre, die in The Aquarian Gospel of Jesus the Christ (dt., 1980: Das Wassermann-Evangelium von Jesus dem Christus) verkündet wurde, einem 1908 erschienenen Buch eines amerikanischen Predigers namens Levi H. Dowling (1844– 1911). Dowling behauptete, er habe historische Dokumente entdeckt, die bewiesen, dass Jesus als junger Mann nach Indien und Tibet ­gereist sei und dort eine Friedensreligion erlernt habe. Keatley glaubte, dass sie im heraufziehenden Zeitalter des Wassermanns lebte, dem ­Beginn eines neuen astrologischen Zeitalters, eines Zeitalters der Liebe: des New Age.9 Zu den rund zehn Personen, die sich während Olive Byrnes letztem Studienjahr in Tufts in Keatleys Wohnung trafen, zählten Keatley, Holloway, Marston, Marjorie Wilkes Huntley und Byrne. Ihr New Age war bemerkenswert ausgefallen – noch ausgefallener als die Baby-Party. Ein 95 Seiten umfassendes, einzeilig geschriebenes Typoskript mit Notizen zu diesen Treffen in Keatleys Wohnung liest sich wie die Chronik eines Kultes weiblicher sexueller Macht – im Besonderen wie die Beschreibung einer «Clinic» –, in dem es «Love Leaders», «Mistresses» (oder «Mütter») und «Love Girls» gibt. Es klingt wie die Beschreibung eines sexuellen Trainingslagers. Love Girls «glauben nicht an oder praktizieren nicht die Flucht vor oder das Verbergen von Liebesorganen»; bei den Treffen trugen die Love Girls vermutlich keine Kleidung. Es gibt astrologische Untertöne: ein Love Leader und eine Mistress und ihr Love Girl bilden eine «Liebeseinheit» («Love Unit»), eine perfekte Konstellation. Ein großer Teil der Notizen zu den Treffen bezieht sich auf Marstons Theorie der Dominanz und Unterwerfung; Frauen «enthüllen in ihrer Beziehung zu Männern ihre Körper und bedienen sich ver-

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schiedener legitimer Methoden der Liebessphäre, um bei Männern die Unterwerfung ihnen, den Mistresses oder Love Leaders gegenüber zu erzeugen, damit sie, die Mistresses, sich in Leidenschaft den Männern hingeben können.» Ein großer Teil der Notizen betrifft die Sexualität an sich: «Während des Geschlechtsverkehrs zwischen dem Mann und seiner Mistress stimuliert das Liebesorgan des Mannes die inneren Liebesorgane der Mistress und nicht die äußeren Liebesorgane», aber «wenn irgendjemand das Bewusstsein der Unterwerfung erzeugen möchte, muss er oder sie den sexuellen Orgasmus zurückhalten und es so der Nervenenergie gestatten, frei und ununterbrochen in die äußeren Geschlechtsorgane zu fließen.» (Vom unterwürfig agierenden Partner wurde erwartet, den Orgasmus zurückzuhalten.) In den Notizen zu den Treffen fallen nur sehr wenige Namen, allerdings ist die Rede von «der Botin Betty», «dem Boten R» und «dem Mädchen Zara».10 Die Botin Betty muss Holloway gewesen sein: Marston nannte sie Betty. Der Bote R muss Marston selbst gewesen sein. In Olive Byrnes Tagebüchern ist «R» der Code für Marston (ihr geheimer Name für ihn war Richard). Und «das Mädchen Zara» muss Huntley gewesen sein. «Zara oder Zaz ist der Name, den mir Doktor und Ms. Marston gegeben haben, als wir eine Dreiecksbeziehung begannen», erklärte Huntley einmal.11 Wie ernst alle Beteiligten außer Keatley und Huntley diese Vorgänge nahmen, lässt sich kaum sagen. In einer Wonder-Woman-Geschichte mit dem Titel «Mystery of the Crimson Flame» unterstützt die Tochter eines Senators Diana Prince bei Nachforschungen zu einem Kult, der von der «Hohepriesterin Zara» betrieben wird; Wonder Woman entlarvt Zara als Betrügerin.12 Zu Marstons Interessen zählte das, was er als Faszination und Huntley als «Liebesbindung» bezeichnete: Bondage. Holloway schrieb eines Tages an ihre Kinder, wenn sie sich vorstellen wollten, was bei diesen Treffen in Keatleys Wohnung geschah, bräuchten sie «große Flexibilität in eurem Denken und eine enorme Erweiterung eures geistigen Horizonts bei eurer Erkundung dessen, was ist, im Vergleich zu dem, was nicht ist».13 Olive Byrne scheint die ganze Angelegenheit für ein bisschen lächerlich gehalten zu haben. Außerdem hielt sie Huntley für verrückt. «Diese Frau ist eine Irre», pflegte sie zu sagen.14

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Aber Byrne brachte etwas ganz Wichtiges zu diesen Treffen mit: Empfängnisverhütung und die Bücher ihrer Tante  – auch Woman and the New Race –, die alle Mitglieder dieser Gruppe ­lasen. Vermutlich lasen sie auch Happiness in Marriage, ein Buch, das Sanger 1926 veröffentlichte. Sanger schrieb nicht über Love Girls und Love Leaders, aber sie betonte die Verpflichtung des Mannes, einer Frau einen Orgasmus zu ermöglichen, indem er seinen eigenen verzögerte: «Der erfolgreiche Ehemann und Liebhaber wird in jedem Akt des LieDie Hohepriesterin Zara. Aus: besdramas bestrebt sein, alle «Mystery of the Crimson Flame», in: egoistischen Impulse zu steuern Comic Cavalcade Nr. 5, Winter 1943 und sich, wie ein geschickter Fahrer, jederzeit auf intelligente Art selbst zu kontrollieren». Im Kapitel «Die Geschlechtsorgane und ihre Funktion» erklärte sie die Bedeutung der Klitoris, des «besonderen Sitzes sexueller Empfindlichkeit», und riet den Männern hinsichtlich ihrer Stimulierung: «Lasst euch Zeit.»15 Die Lebensform, für die sich Marston, Holloway und Byrne entschieden  – in einer Dreierbeziehung und, wenn Huntley anwesend war, zu viert –, hatte ihren Ursprung, wie Holloway später sagte, in einer Idee: «Eine neue Lebensweise muss in den Köpfen der Menschen existieren, bevor sie tatsächlich verwirklicht werden kann.»16 Das hatte mit Marstons Theorie der Gefühle zu tun, mit Keatleys und Huntleys Vorstellungen von einer «Liebeseinheit» und mit Margaret Sangers und Havelock Ellis’ Gedanken zu «Liebesrechten». Holloway versuchte zu erklären, was sie aus der Lektüre von Woman and the New Race mitgenommen hatte: «Die neue Menschheit wird über eine

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sehr viel größere Liebesfähigkeit verfügen als die gegenwärtige, und ich meine damit die körperliche Liebe wie auch andere Formen.» Was nun die Menschen anbetraf, die diese neue Menschheit schaffen sollten, so «waren Ethel und Mimi gewillt, sich der breiten Masse zu ­widersetzen», räumte Holloway ein (Sanger wurde von ihrer Familie Mimi genannt), aber «sie widmeten sich beide der freien Liebe, die einfach nicht funktioniert».17 Das, was Marston wollte, ging weit über freie Liebe hinaus. Olive Byrne wollte unbedingt Teil einer Familie sein. Holloway wollte etwas anderes. Als Marston Holloway sagte, sein Wunsch sei es, dass Byrne bei ­ihnen einziehe – und ihr zugleich sagte, sie habe die Wahl zwischen dieser Lösung und einem Leben ohne ihn –, dachte sie nicht nur über die sexuellen Arrangements nach. Sie fragte sich auch, ob ihr diese Lebensweise vielleicht eine Lösung für die Bindung bieten könnte, in der sie sich als Frau befand, die beides haben wollte: Berufstätigkeit und Kinder. Mitte der 1920 er Jahre war kaum eine Zeitschrift auf dem Markt, die nicht in einem Artikel an prominenter Stelle fragte: «Kann eine Frau einen Haushalt führen und zugleich einer Erwerbsarbeit nachgehen?»18 Freda Kirchwey, eine Absolventin des Barnard College in New York City, die Chefin vom Dienst der Zeitschrift Nation war, beschloss, die Frage mit einer Serie autobiografischer Essays anzugehen, die sie unter dem Titel «These Modern Women» veröffentlichte. Sie stellte berufstätige Frauen in den Mittelpunkt; ihr Ziel war, «den Ursprung ihres modernen Standpunkts in Sachen Männer, Ehe, Kinder und Berufs­ tätigkeit herauszuarbeiten». Eine der Frauen, die Kirchwey ins Rampenlicht stellte, war Lou Rogers, die Feministin und Karikaturistin, die zusammen mit Harry G. Peter der Redaktion von Judge angehört und auch als Art Director von Margaret Sangers Birth Control Review gearbeitet hatte. Die meisten der Frauen, die Kirchwey 1926 einlud, für die Nation zu schreiben, waren mehr oder weniger einer Meinung über den springenden Punkt bei dieser Frage. Crystal Eastman erklärte, die moderne Frau sei «nicht rundum zufrieden mit Liebe, Ehe und einer ganz auf den Haushalt beschränkten Tätigkeit. Sie will ihr

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eigenes Geld haben. Sie will ihre eigene Arbeit haben. Sie will vielleicht irgendein Mittel zur Selbstdarstellung haben, irgendeine Möglichkeit, ihren persönlichen Ambitionen nachzugehen. Aber sie will auch einen Ehemann, ein Zuhause und Kinder. Wie diese beiden Sehnsüchte in der Realität miteinander zu vereinbaren sind, das ist die Frage.»19 Und das war auch Holloways Frage. Helen Glynn Tyson, die früher für Sangers Birth Control Review geschrieben hatte, warf in ihrem Artikel «The Professional Woman’s Baby», der im April 1926 in der New Republic erschien, einen Blick auf die Volkszählungsdaten und den Stand der Diskussion und verzweifelte. Der Zusatzartikel zur Gleichberechtigung – «Männer und Frauen sollen überall in den Vereinigten Staaten die gleichen Rechte haben» – war 1923 in den Kongress eingebracht worden, aber Tyson befand ihn für beklagenswert naiv; er bot keinerlei Lösung  – geschweige denn eine erhellende Darstellung – der strukturellen Probleme, die sich aus der Verbindung von Mutterschaft und Berufstätigkeit ergaben. «Als wir im College über unsere ‹Karrieren› diskutierten, lösten wir die ganze Sache sehr geschickt», schrieb Tyson wehmütig. «Die Tages­ betreuung des Kindes sollte nach meiner Erinnerung an ‹Expertinnen› delegiert werden, die für diese besondere Aufgabe ausgebildet worden waren. Ach! Wo sind diese ‹Expertinnen›? Die hingebungsvolle weibliche Verwandte ist natürlich ausgestorben; und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so wäre die moderne Mutter heute nicht mehr mit der Fürsorge zufrieden, die Tante Minnie bieten konnte.» Die ­Tagesbetreuung in Gruppen war ungenügend, es gab sie so gut wie gar nicht. Und wer konnte ein Kindermädchen auftreiben, das in der psychologischen Wissenschaft des Kinderstudiums ausgebildet war, wie sie von Child Study propagiert wurde, der Zeitschrift, für die Holloway arbeitete? «Das ist dann das Dilemma der modernen Mutter», schrieb Tyson, «wie es – auf die eine oder andere Art – schon so oft dargelegt wurde und ebenso oft ungelöst blieb: einerseits bestehen ein starkes Interesse an ihrer beruflichen Tätigkeit, ein echtes Bedürfnis, ein eigenes Einkommen zu haben, die Furcht vor geistiger Stagnation, und die Ruhelosigkeit, die sich entwickelt, wenn der ganze Tag mit unbedeutenden Dingen ausgefüllt ist; andererseits gibt es neue Anforderungen an die Kinderpflege, die noch vor einem Jahrzehnt unbe-

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kannt waren, und ein Angebot an Hilfen für den Haushalt, das rasch abnimmt, und zwar an Qualität und Quantität; und ihr eigener emo­ tionaler Konflikt, der tief in ihrer Mutterschaft wurzelt, steht wie eine Wolke über all ihren Aktivitäten.»20 In das Jahr 1926 fiel außerdem die Veröffentlichung einer ganzen Reihe von Büchern zu diesem Thema, die allesamt Meilensteine waren. Alice Beal Parsons fragte in Woman’s Dilemma, «ob die körperlichen und geistigen Unterschiede zwischen den Geschlechtern so beschaffen sind, dass sie unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen rechtfertigen, und ob das Zuhause unweigerlich in Gefahr gerät, wenn die Mutter einer Erwerbstätigkeit außer Haus nachgeht». Parsons war nicht dieser Ansicht. Sie erklärte, dass die Lösung für das «Dilemma der Frau» darin bestehe, dass Männer mehr Hausarbeit übernehmen und sich mehr um ihre Kinder kümmern. «Wenn sie außer Haus ebenso viel arbeitet wie ihr Ehemann, scheint es keinen Grund mehr dafür zu geben, aus dem sie auch künftig für die gesamte Hausarbeit zuständig sein sollte», schrieb Parsons.21 Suzanne La Follete warf in Concerning Women einen düsteren Blick darauf, ob genau dies wohl wahrscheinlich wäre, vertrat aber dennoch die Überzeugung, dass «für die Frauen die Gleichheit fast in Reichweite ist»: Da sie die politische Gleichheit erreicht hätten und auf dem Weg zur Erreichung der rechtlichen Gleichstellung seien, bliebe jetzt nur noch das Streben nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit.22 Virginia MacMakin Collier berichtete in Marriage and Careers: A Study of One Hundred Women Who Are Wives, Mothers, Homemakers and Professional Workers von den Ergebnissen einer Studie über berufstätige Ehefrauen mit Kindern, die im Auftrag des Bureau of Vocational Information erstellt wurde; sie präsentierte das Problem auf die folgende Art: «Eine große Zahl von erwartungsvollen jungen Frauen, die jetzt das College verlassen, ja sogar eine große Zahl bereits glücklich verheirateter Frauen stellt sich jetzt die Frage: Wie werden sie das dauerhafte Glück erlangen, das sich mit einem Ehemann und Kindern verbindet, und dennoch die geistige Aktivität und den Ansporn bewahren, der zu einer interessanten Arbeit gehört?» Der Prozentsatz verheirateter Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgingen, hatte sich in den Jahren von 1910 bis 1920 fast verdoppelt, und die Zahl der verheirateten Frauen in den

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freien akademischen Berufen war um 40 Prozent gestiegen, hielt Collier fest. «Die Frage lautet deshalb nicht mehr: Sollten Frauen Ehe und Berufstätigkeit miteinander verbinden, sondern: Wie?»23 Elizabeth Holloway Marston, eine Neue Frau, die in einem Neuen Zeitalter lebte, traf mit ihrem Ehemann eine Vereinbarung. Marston konnte seine Geliebte haben. Holloway konnte berufstätig sein. Und die junge Olive Byrne, eine studierte Psychologin, würde die Kinder erziehen.24 Sie würden eine Möglichkeit finden, dies zu erklären und zu verbergen. Das Arrangement würde ihr Geheimnis sein. Niemand sonst sollte je davon erfahren.

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DIE GEFÜHLE NORMALER MENSCHEN

«ICH WOLLTE EINE PROMOTION BEGINNEN ,  aber ich wurde durch Heirat

und Mutterschaft abgelenkt», sagte Olive Byrne später als Erklärung auf die Frage, warum sie ihre Dissertation nie fertigstellte. Sie erwähnte dabei nicht, dass nicht sie es war, die schwanger wurde.1 Olive Byrne begann im Herbst 1926 ihre Promotion im Fach Psychologie an der Columbia University. Der Fachbereich Psychologie ebendort bot eine Promotion und einen einjährigen Studiengang für einen Master-Abschluss an. Bevor Byrne mit ihrer Arbeit begann, schrieb sie Noah Slee, dass sie im Sommer nach ihrem Abschluss in Tufts für Marston so viel Forschungsarbeit geleistet habe, dass sie glaube, sogar eine Doktorarbeit innerhalb von zwei Jahren abschließen zu können.2 Sie absolvierte die Kurse, die für einen Master-Abschluss verlangt wurden und insgesamt 30 Leistungspunkten entsprachen, innerhalb eines Jahres. Sie erhielt den akademischen Grad am 1. Juni 1927, ihre Masterarbeit trug den Titel «The Evolution of the Theory and Research on Emotions» und war eine Analyse der Forschung zur Psychologie der Gefühle, in der sie Marstons wissenschaftliche Arbeit besonders hervorhob.3 Einen Monat später ernannte der Fachbereich Psychologie der Columbia University Marston zum Dozen­ ten.4 Für Marston ging es auf der akademischen Karriereleiter weiter nach unten, eine Sprosse nach der anderen, vom Vorsitzenden des Fachbereichs an der American University zum Assistant Professor in

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Tufts und schließlich zum Dozenten an der Columbia University, wo er nur engagiert wurde, weil am Fachbereich ein dringender Bedarf an Lehrkräften herrschte. Die Psychologie war 1920 an der Columbia University zu einem eigenen Fachbereich aufgewertet worden und dabei so schnell gewachsen, dass sie sowohl unter einem Lehrkräftemangel als auch unter einer übermäßig hohen Zahl von Graduate Students litt. «Im akademischen Jahr 1923/24 standen 67  Kandidaten für die Promotion auf unserer Liste, und wenn man dort noch die Master-­ Abschlussarbeiten hinzunahm, wurden 85 eigenständige Forschungsprobleme betreut», hieß es in einem Bericht des Fachbereichs. Die Einstellung von Dozenten wie Marston war eine Lösung für das Pro­ blem. Eine andere Lösung sei, «die Zahl der Promotionskandidaten klein zu halten», lautete die Empfehlung in diesem Bericht. Robert Woodworth, der Vorsitzende des Fachbereichs, erstellte eine Studie zu den Absolventen der jüngsten Zeit und stellte dabei fest, dass zwar eine beachtliche Zahl von Frauen promoviert worden war, aber nur wenige von ihnen auch auf diesem Gebiet arbeiteten.5 Als Lösung für das zu groß geratene Graduiertenprogramm schien sich deshalb anzubieten, dass man Frauen zum Ausstieg ermunterte. Woodworth war keineswegs der einzige Fachbereichs-Vorsitzende und die Psychologie auch keineswegs das einzige Fach, das auf diese Lösung verfiel. Der Prozentsatz der an Frauen vergebenen Doktortitel verdoppelte sich in den Jahren von 1900 bis 1930, und danach ging er drei Jahrzehnte lang zurück.6 Der Boden, den Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gutgemacht hatten, ging überall wieder verloren, da Frauen, die sich bis ins College und in die Graduierten-Programme vorgekämpft hatten, feststellen mussten, dass man sie von den Spitzenpositionen an den Universitäten ausschloss. Es waren keine Strukturreformen vollzogen worden, die es den Frauen ermöglicht hätten, ein intellektuelles Leben zu führen und zugleich Kinder zu erziehen: Viele stiegen aus; viele wurden hinausgeworfen; die meisten gaben einfach auf. Emilie Hutchinson, eine Wirtschaftswissenschaftlerin am Barnard College, zitierte 1929 in der Untersuchung Women and the Ph. D. einen Associate Professor, der sagte, wenn im ganzen Land ­«jeder Universitätspräsident und Fachbereichs-Vorsitzende darauf besteht, in den höheren Positionen nur Männer zu haben, kommt es mir

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idiotisch vor, wenn man Frauen dazu auffordert, die höheren Abschlüsse anzustreben, und dabei denkt, sie würden auch nur ansatzweise fair behandelt».7 Olive Byrne erreichte 1927/28, in ihrem zweiten Studienjahr, fast die gesamte Zahl von Credits, die für eine Promotion verlangt wurden, reichte aber nie eine Dissertation ein.8 Sie könnte vom Abschluss abgebracht worden sein, weil sie eine Frau war. Aber sie musste auch aussteigen, um ein Kind betreuen zu können. Es war nicht ihr Kind. «Im Jahr 1927 beschlossen wir, dass wir jetzt wohl anfangen sollten, wenn wir Kinder haben wollten», erklärte Holloway.9 Sie war 34 Jahre alt. Holloway wollte schwanger werden, hatte aber keineswegs die Absicht, dafür ihre Berufstätigkeit aufzugeben. Sie hatte bei Child Study gekündigt, um eine Stelle als Redakteurin im New Yorker Büro der Encyclopaedia Britannica anzutreten. Die 1768 gegründete Encyclopaedia Britannica hatte seit der 11. Auflage von 1910/11 keine grundlegende Überarbeitung erfahren. Die Arbeit an der 14. Auflage hatte 1926 begonnen; es war die erste Ausgabe, an der zwei Redaktionen arbeiten sollten, eine britische und eine amerikanische.10 Der Plan für diese Neuauflage sah vor, im Vergleich zu früheren Ausgaben nicht nur das amerikanische Element, sondern auch den Einfluss des Journalismus zu stärken. Diese Arbeit nahm zweieinhalb Jahre in Anspruch und kostete 2,5 Millionen Dollar. Die fertige Enzyklopädie umfasste 24 Bände und mehr als 37 000 000 Wörter, die von mehr als 3500 Autorinnen und Autoren stammten. Knapp die Hälfte von ihnen waren Amerikaner (während unter den 1500 Autoren der 11. Auflage nur 123  Amerikaner gewesen waren). «Das ist keine bloße Überarbeitung», schrieb ein Kritiker der New York Times über die fertige Enzyklopädie. «Das Buch ist von A bis Z fast völlig neu geschrieben worden.»11 Holloway war eine leitende Redakteurin, die für die Akquise und Bearbeitung von Artikeln aus sieben Themenbereichen zuständig war: Psychologie, Recht, Hauswirtschaft, Medizin, Biologie, Anthropologie und Personalwesen. Sie lektorierte mehr als 600 Artikel.12 Holloway wurde im Dezember 1927 schwanger. Olive Byrne stieg im Frühjahr 1928 aus ihrem Promotionsstudium an der Columbia Uni-

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versity aus, um sich auf das Baby vorzubereiten, so wie auch das Buch, bei dessen Niederschrift sie Marston geholfen hatte, Emotions of Normal People, schließlich nur unter seinem Namen erschien. Emotions of Normal People ist, neben anderen Dingen, eine Verteidigung der Homosexualität, des Transvestismus, des Fetischismus und des Sadomasochismus. Das Buch argumentiert, dass Ausdrucksformen der Sexualität, die gemeinhin als «abnormal» verächtlich gemacht würden, in Wirklichkeit völlig normal seien. Marston widmete das Buch fünf Frauen: seiner Mutter, seiner Tante Claribel, Elizabeth Holloway Marston, Marjorie Wilkes Huntley und Olive Byrne. Emotions of Normal People erschien in London wie auch in New York als Teil ­einer Buchreihe, die von dem britischen Psychologen C. K. Ogden unter dem Titel «International Library of Psychology, Philosophy and Scientific Method» herausgegeben wurde. Sie war auf gewisse Weise ein Triumph. Zu den Autoren, die Werke zu dieser Serie beisteuerten, zählten Ludwig Wittgenstein, Jean Piaget und Alfred Adler.13 Das Buch umreißt Marstons Theorie von den vier wichtigsten Emotionen. Sein Hauptargument ist, dass ein großer Teil des Gefühlslebens, der allgemein als abnormal eingestuft wird (zum Beispiel ein sexueller Appetit auf Dominanz oder Unterwerfung) und deshalb ­üblicherweise verborgen und geheim gehalten wird, in Wirklichkeit nicht nur normal, sondern neuronal sei: Er sei ein fester Bestandteil der Struktur des Nervensystems. Marston vertrat die Ansicht, die Arbeit des klinischen Psychologen bestehe darin, Patienten eine «emotionale Umerziehung» zu bieten (eine Umerziehung von der Art, die er in einer Beratungsstelle für Studentinnen in Tufts praktizierte). Er schrieb: «Die einzige praktisch umsetzbare emotionale Umerziehung besteht darin, den Menschen beizubringen, dass es eine Norm des psychoneuralen Verhaltens gibt, die in gar keiner Weise von dem abhängig ist, was ihre Nachbarn tun, oder davon, welches Verhalten ihrer eigenen Ansicht nach die Nachbarn von ihnen erwarten. Den Menschen muss beigebracht werden, dass die liebevollen Bestandteile ihrer Persönlichkeit, die sie selbst als abnormal betrachten, vollkommen normal sind.»14 Aber Emotions of Normal People brachte Marston nicht die Anerkennung seiner Zunft ein. Das Buch wurde weitgehend ignoriert. Eine

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der ganz wenigen Rezensionen, die in den Vereinigten Staaten erschienen, war im Journal of Abnormal and Social Psychology zu lesen. Sie fiel ekstatisch aus. «Dieses Buch präsentiert die erste logische und vernünftige Abhandlung über Emotionen, die die Psychologie je geliefert hat», war da zu lesen. «Dr. Marston sagt, dass seine Arbeit das Ergebnis von 15 Jahren experimenteller und klinischer Studien sei, und die Leserschaft kann ohne weiteres glauben, dass diese 15 Jahre sich als lohnend erwiesen haben.» Diese Rezension hatte Olive Byrne verfasst.15 Ein Buch aus der Feder eines Menschen zu rezensieren, mit dem man zusammenlebt und mit dem man schläft, ist, das versteht sich von selbst, falsch. In einer Zeit, in der männliche Wissenschaftler und Gelehrte routinemäßig die Forschungsergebnisse ihrer Ehefrauen und Freundinnen publizierten und dies unter ihrem eigenen Namen taten, war Marston bei der öffentlichen Anerkennung der Beiträge von Frauen zu seiner Gelehrsamkeit bemerkenswert offen, wann immer er das tat: Er widmete ihnen seine Bücher; im Text und in den Fußnoten verwies er auf ihre Mitwirkung; und in einem Lehrbuch, das er unter dem Titel Integrative Psychology veröffentlichte, nannte er Holloway als Mitautorin.16 Olive Byrnes Arbeit für Marston beschränkte sich zeitweise auf reines Sekretariat; sie versah Briefe und Manuskripte, die sie für ihn tippte, mit dem üblichen Sekretariats-Zeichen «wmm/ ob».17 Aber in der Art, wie Marston, Holloway und Byrne Autorschaft anzeigten, liegt auch etwas außergewöhnlich Unzuverlässiges; ihre Arbeit ist so eng miteinander verbunden, und ihre Rollen überlagern sich dabei so stark, dass oft nur schwer zu bestimmen ist, wer was schrieb. Das schien keine der drei Personen auch nur im Geringsten zu beunruhigen. Die Bereitwilligkeit, mit der Byrne eine Rezension zu Emotions of Normal People schrieb – also zu einem Buch, zu dem sie, neben den anderen Zusammenhängen, in denen sie mit dem Autor verbunden war, auch noch eigene Forschungsarbeit in erheblichem Umfang (in Tufts, als sie die Baby-Party analysierte) und einen Überblick über die Forschungsliteratur beisteuerte (ihre Masterarbeit an der Columbia University) –, legt den Gedanken nahe, dass die Fami­ lienregel hinsichtlich jeder Art von Autorschaft auf ein «Anything goes» hinauslief.

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Aber in der akademischen Welt ist eben nicht alles erlaubt. Marston erfuhr Anfang 1928, kurz nachdem Holloway schwanger geworden war, dass sein Dozentenvertrag an der Columbia University nicht verlängert werden würde. Er hatte jetzt Anstellungen an drei verschiedenen Universitäten verloren. Er hatte es eilig, eine weitere zu finden. Er muss gewusst haben, dass seine Chancen gering waren, und wandte sich an seine Alma Mater. «Wüssten Sie für das nächste Jahr irgendeine Stelle für mich?», schrieb Marston am 18. März 1928 an Edwin G. Boring in Harvard und legte seinen Lebenslauf bei.18 Boring hatte seine Tätigkeit am Fachbereich Psychologie in Harvard 1922 begonnen, kurz nachdem Marston weggegangen war, aber Marston kannte ihn, weil sie beide während des Krieges mit Robert Yerkes zusammengearbeitet hatten. Boring kannte auch Holloway. Sie hatte Ende 1927 eine Korrespondenz mit ihm begonnen, unmittelbar bevor Boring zum Präsidenten der American Psychological Association gewählt wurde. Boring war Holloways wichtigste Quelle für Artikel zum Themenbereich Psychologie in der Encyclopaedia Britannica. Er steuerte nicht nur selbst eine Reihe von Artikeln bei, einschließlich des Eintrags zur Experimentellen Psychologie, sondern warb auch seine Kolleginnen und Kollegen als Autoren für Holloway an.19 Holloway war eine resolute und entschlossene Redakteurin. Aber sie ließ auch niemals eine Gelegenheit aus, wenn es galt, für die Arbeit ihres Ehemanns zu werben. Sie schrieb an Boring wegen eines Artikels über Emotionen, der von der britischen Redaktion gekommen war, und beschrieb den Text als «einen netten, verschwommenen und altmodischen philosophischen Artikel voller zeitgebundener Wundt’­ scher Witzeleien». Sie wollte jedoch «einen guten, lebendigen, modernen amerikanischen Artikel». Außerdem wollte sie 3500  Wörter und, wie sie an Boring schrieb: «Ich will, dass Bill ihn schreibt, nachdem er eben erst eine Studie zur wichtigsten Arbeit abgeschlossen hat, die derzeit auf diesem Gebiet geleistet wird.»20 (Es war nicht ihr Ehemann, der eben erst eine Studie zur wichtigsten Arbeit abgeschlossen hatte, die auf diesem Gebiet damals geleistet wurde; es war Byrne. Diese Studie war ihre Master-Abschlussarbeit.)

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Holloway nahm Marstons Beitrag zu «Emotionen, Analyse von» in die 14. Auflage der Encyclopaedia Britannica auf; sie veröffentlichte den Text allein unter Marstons Namen. Die kurze Bibliografie umfasst fünf Titel, darunter einen Zeitschriftenartikel und Byrnes Master­ arbeit. Aber der einzige mit diesem Artikel verbundene Zweck scheint gewesen zu sein, Marstons Theorie der Emotionen zu propagieren, ­indem seine Arbeit zitiert wurde, die «eine definitive neurologische Basis für Liebe und Begierde als die beiden grundlegenden zusammengesetzten Emotionen» aufzeige.21 Marston hatte sehr viel Liebe und sehr viel Begierde in sich. Aber er hatte keine feste Arbeit. Als er Boring per Brief nach einer Arbeit fragte, schlug dieser ihm vor, er solle sich ans Harvard Appointments Bureau wenden.22 »Ich möchte meinen Namen gerne als Hochschullehrer auf der ­Suche nach einem Lehrauftrag im Fach Psychologie mit einem Jahresgehalt von 3500 Dollar registrieren lassen», schrieb Marston an das für Einstellungen zuständige Bureau. «Mein besonderes Interesse gilt der Arbeit zu Fragen der Persönlichkeit und der klinischen Arbeit zum Thema Emotionen.» Er bezeichnete sich selbst als «Universitäts- und beratender Psychologe». Eine Arbeit, mit der er bisher befasst gewesen sei und die er gerne fortführen würde, sei das Betreiben von «Persönlichkeits-Beratungsstellen zur emotionalen Neuorientierung von Studenten», ähnlich der Beratungsstelle, die er in Tufts betrieben und mit der er Studentinnen geholfen hatte, die «liebevollen Bestandteile» ihrer Persönlichkeit zu lieben.23 «Dr. Marston war in unserem Fachbereich während des laufenden Jahres und eines Teils des vergangenen Jahres als Dozent tätig», berichtete A. T. Poffenberger von der Columbia University in seinem Empfehlungsschreiben, das er ans Harvard Appointments Bureau schickte. «In der Lehre wie auch im unmittelbaren Kontakt mit Studenten hinterließ er einen ausgezeichneten Eindruck. Er leitete eine Reihe von kleineren Forschungstätigkeiten, allerdings lag der Hauptteil der Tätigkeit im Undergraduate-Bereich. Wir alle mögen ihn als Kollegen und Lehrbeauftragten und würden ernsthaft erwägen, ihn weiterzubeschäftigen, wenn eine passende Stelle für ihn zur Verfügung stände. Dr. Marstons Fähigkeiten rechtfertigen meiner Ansicht

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nach eine außergewöhnlich gute Anstellung.»24 Und dennoch galt: Hätten Marstons Kollegen an der Columbia University ihn tatsächlich bewundert, hätten sie seinen Vertrag auch verlängert, und sei es nur aus dem Grund, dass sie zu viele Studenten und nicht genug Dozenten hatten. Das einzige Empfehlungsschreiben, aus dem sich eine uneingeschränkte und vorbehaltlose Unterstützung für Marston herauslesen ließ, kam von Leonard Troland, einem Fachmann für Optik, der in Physik und Psychologie gleichermaßen versiert war. Troland kannte Marston und Holloway schon seit der High-School-Zeit. Er zählte außerdem zu den Männern in Emerson Hall, die Boring als Autoren für die Encyclopaedia Britannica angeheuert hatte (Troland steuerte den Artikel über die Farbe Schwarz bei).25 «Dr. Marston ist ein persönlicher Freund von mir», schrieb Troland in seiner Empfehlung. «Ich kenne ihn seit etwa 20 Jahren. Er wurde in Harvard im Fach Psychologie promoviert und erbrachte einen Teil seiner Arbeit unter meiner Anleitung. Ich halte ihn für einen Mann mit großen Fähigkeiten und enormer Entschlusskraft, vor allem in den Bereichen Forschung und Lehre. Er wurde in der Rechtswissenschaft und in der Psychologie ausgebildet und sammelte auf beiden Gebieten Berufserfahrung. Er ist aufgrund seiner Untersuchungen und Schriften zur Physiologie der Emotionen im ganzen Land sehr bekannt. Der möglicherweise verblüffendste Teil seiner Arbeit befasst sich mit Methoden der Entdeckung absichtlicher Täuschung. Ich empfehle ihn eindringlich.»26 Boring lieferte eine Unterstützung, die mit sehr viel stärkeren Einschränkungen verbunden war. «Dr. Marston ist ein sehr dynamischer und effizienter Psychologe, ein Experte für die physiologische Forschung über Emotionen und bestimmte Phasen von Persönlichkeitsproblemen. Er kann Studenten unterrichten und ihr Interesse wecken. Er kann immer produktiv sein. Manche Leute sind der Ansicht, dass er etwas zu stark spezialisiert ist.» Und dann verstärkte er diesen letzten Punkt: «Ich darf hinzufügen, dass diese Spezialisierung vielleicht etwas extrem ausgeprägt ist und dass bei jedem seiner Unterrichts­ inhalte die Wahrscheinlichkeit besteht, dass seine eigenen Absichten darauf abfärben. Es ist außerdem zutreffend, dass sein Enthusiasmus

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sich bis zum Grad einer sanften Exzentrizität steigern kann. Zu manchen Einrichtungen mag er sehr gut passen, aber im durchschnitt­ lichen, normalen, allgemeinen Fachbereich für Psychologie würde er mit seiner Arbeit möglicherweise für sich allein und zuweilen sogar für die Dynamik der Sensationslust anfällig bleiben.»27 Das war ehrlich und angemessen und, unter Berücksichtigung des vorliegenden Gesamtwissens über die Person, großzügig. Ein eher kritischer Bericht kam von Edward Thorndike, einem Kollegen Marstons an der Columbia University. Thorndike hatte während des Krieges Marstons Arbeit für Yerkes’ Psychology Committee unterstützt. Seine Meinung über Marston hatte sich seitdem zu dessen Ungunsten entwickelt. Thorndikes mit der Maschine geschriebener Brief enthielt eine bemerkenswerte Korrektur: «Dr. W. M. Marston ist ein kompetenter Psychologe Dozent für Psychologie.» Der Rest des Briefes klang nicht hoffnungsvoll: «Sein Erfolg bei früheren Tätigkeiten ist ein Maßstab für seine Zukunftsaussichten. Er ist nur mäßig ausgefallen.»28 Aber der härteste Tadel, der in Marstons Personalakte dokumentiert ist, kam von seinem ehemaligen Hochschullehrer Herbert Langfeld, der sowohl Marston als auch Holloway unterrichtet hatte und beide gut kannte. Langfeld hatte inzwischen von Harvard nach Princeton gewechselt. «Die Akten in Harvard werden zweifellos zeigen, dass Dr. Marston ein ausgezeichneter Student war und als Undergraduate immer sehr gute Noten erhielt», begann Langfelds Schreiben. «Er erhielt problemlos seinen Doktortitel.» Dann listete Langfeld seine Vor­ behalte auf: «Er hatte verschiedene Positionen inne, auf denen er sich nicht halten konnte. Von diesen verschiedenen Orten kamen mir Gerüchte zu Ohren, die ich nicht überprüfen konnte. Deshalb fällt es mir sehr schwer, irgendetwas zu sagen, was weiter geht als: Als er in Harvard seinen akademischen Grad erhielt, war er ein vielversprechender Mann, der ausgezeichnete Arbeit erwarten ließ.» An den Schluss seines Textes tippte Langfeld den Hinweis: «Vertraulich: nur für den Dienstgebrauch.»29 Mit einem solchen Brief in der Personalakte würde Marston niemals irgendwo angestellt werden. Das war die Sprache der schwarzen Listen. Dinge dieser Art sagte man über Homosexuelle. Mars­ ton erhielt nie wieder eine reguläre Anstellung an einer Universität.

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Holloway arbeitete während ihrer gesamten Schwangerschaft. «Wenn du diese Arbeit nicht aufgibst, wird das Kind nie geboren werden», sagte Marston zu ihr. Sie verließ ihr Büro an einem Dienstag und fuhr mit dem Zug an ihren Wohnort Darien in Connecticut. (Holloway machte nie einen Führerschein.) Sie hätte das Kind beinahe zu Hause bekommen, aber Marjorie Wilkes Huntley war da, als die Wehen einsetzten; sie setzte Holloway in Marstons Auto und raste mit ihr zum Lenox Hill Hospital in Manhattan. «Zaz brachte mich rechtzeitig nach New York», sagte Holloway.30 Das Baby kam am 26. August 1928 zur Welt. Sie nannten den Jungen Moulton. «Sie sind außerordentlich ziel­ bewusst, wenn Sie Ihre Arbeit so Olive Byrne mit Moulton Marston, lange machen, wie Sie das taten», Holloways Baby, im Herbst 1928 schrieb Boring in seinem Glückwunsch an Mrs. Marston.31 Aber Mrs.  Marston hatte die unbedingte Absicht, ihre Arbeit weiterzuführen. Ihr Ehemann war arbeitslos. Für die Betreuung des Babys hatten sie andere Vereinbarungen getroffen.32 Bei der Beantwortung eines Fragebogens überging sie einmal alle angebotenen Antworten zum Zeitpunkt der Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer Schwangerschaft, kreuzte stattdessen die Option «Other» an und schrieb dazu: «Sobald es körperlich möglich ist».33 Holloway kehrte zu ihrer Arbeit nach New York zurück und überließ das Neugeborene auf dem Land der Fürsorge von Marston und Byrne.

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«Die Stadtluft tat dem Baby nicht gut», schrieb Olive Byrne im November jenes Jahres aus Connecticut an J. Noah Slee. «Das sind die Fakten zu meiner scheinbaren Flatterhaftigkeit», sagte sie ihrem Onkel.34 Mehr sagte sie nicht.

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DER SCHARLATAN

CARL LAEMMLE , der Direktor der Universal Studios in Hollywood,

schaltete am 21. Juli 1928 eine Anzeige in der Saturday Evening Post: Gesucht – ein Psychologe Irgendwo in diesem Land gibt es einen praktizierenden Psychologen – ­sachkundig in der Seelenkunde –, der zum Unternehmen Universal passt. Er kann bei der Analyse bestimmter Situationen in einer Filmhandlung und bei der Vorhersage, wie das Publikum darauf reagieren wird, eine große Hilfe sein. Da die bewegten Bilder um eine ständige Weiterentwicklung bemüht sind, wird ein geistiger Showman dieser Art einen großen Einfluss auf die Leinwände in aller Welt ausüben. Ich werde eine solche Person gut bezahlen.1

Der mittlerweile 61-jährige, kaum 1,50 Meter große Laemmle hatte sein erstes Nickelodeon-Filmtheater 1906 in Chicago eröffnet, damals war er 39 Jahre alt: Er stellte in einem umgebauten Bekleidungsgeschäft in der Milwaukee Avenue, das er von einem Bestattungsunternehmer angemietet hatte, 120 Klappstühle auf. Drei Jahre später gründete er in New York die Independent Moving Pictures Company und begann in einem improvisierten Studio in der Eleventh Avenue Filme zu produzieren. 1912 brachte er seinen ersten «Feature Film» heraus, der fünf Filmrollen füllte. Nachdem er mit Stummfilmen, in denen Mary Pick-

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Marston und Byrne (gemeinsam im Hintergrund) bei der Ausführung eines Experiments an der Columbia University, 1928

ford als Hauptdarstellerin auftrat («Uncle Carl», wie er genannt wurde, etablierte das Star-System), Millionen verdient hatte, gründete er 1915 (in dem Jahr, in dem Marstons Drehbuch Jack Kennard, Coward den Edison-Preis gewann) Universal Pictures, zog mit seinem Unternehmen nach Los Angeles um und baute auf einem 160 Hektar großen Areal die Universal City Studios auf. Laemmle suchte 1928 einen geistigen Showman, weil die Ära des Stummfilms zu Ende ging und er nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Er war müde und reif für den Ruhestand. Er mochte die Tonfilme nicht besonders. Und er war besorgt wegen der zunehmenden Bedrohung durch die Zensur, gegen die, das dachte er jedenfalls, ein Psychologe sich als die beste Verteidigung erweisen könnte.2 Und deshalb inserierte er in der Saturday Evening Post. «Während viele Leute die Anzeige vielleicht für einen Witz hielten», berichtete die Zeitschrift Variety, gingen beim Inserenten Hunderte von Briefen ein, einige davon stammten von «den besten Köpfen im Land, wenn Psychologie gefragt war».3 Als Marston Laemmles Anzeige las, war er vom Universitätsbetrieb auf die schwarze Liste gesetzt und aussortiert

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worden und stand kurz davor, Vater zu werden. Er brauchte eine Arbeit. Marstons Interesse an Filmen war in jüngster Zeit wieder erwacht. Im Januar 1928 hatten Marston und Byrne, unmittelbar nachdem Holloway schwanger geworden war, im Embassy Theatre in New York ­ein Experiment ausgeführt. Marston lud Reporter und Fotografen als ­Beobachter ein, als er ein aus sechs Tänzerinnen – drei Blondinen und drei Brünetten – bestehendes Publikum in die erste Reihe des Film­ theatersaals setzte. (Als Boring in seinem Empfehlungsschreiben erwähnte, Marston neige zur Sensationslust, spielte er damit auf das ­Experiment im Embassy Theatre an.) Dann schloss er die Frauen an Blutdruckmanschetten an – er bezeichnete die Apparatur als «LiebesMessgerät» («Love Meter») – und zeichnete den Grad ihrer Erregung auf, während sie sich den romantischen Höhepunkt des MGM-Stummfilms Flesh and the Devil (1926) mit Greta Garbo in der weiblichen Hauptrolle ansahen. Er behauptete, seine Messergebnisse würden beweisen, dass Brünette leichter zu erregen seien als Blondinen.4 «Das Experiment wurde von Dr. William Marston unternommen, einem Dozenten für Psychologie an der Columbia University; sein Labor war ein Filmtheater am Broadway, und sein Publikum bestand hauptsächlich aus Pressevertretern», berichtete eine Tageszeitung in Wisconsin.5 Marston hatte eine Werbeagentur gegründet; die MGMStudie war ein Reklametrick. Er funktionierte. Die Geschichte, von der Nachrichtenagentur Associated Press aufgegriffen und in manchen Fällen auch durch ein Publicity-Foto ergänzt, das Marston, Byrne und hübsche Tänzerinnen zeigte, die an ein Kabelgewirr und allerlei Gerätschaften angeschlossen waren, war überall im Land in den Zeitungen nachzulesen. Sie wurde sogar zum Thema eines Wochenschauberichts, der in den Kinos lief: «Dr. William Marston testet seine neueste Erfindung: das Liebes-Messgerät!»6 Marston war keineswegs der einzige Psychologe in Amerika, der sich für Filme interessierte. Noch nicht einmal an der Columbia University war er der einzige Psychologe, der Interesse an Filmen zeigte. Das galt zum Beispiel auch für Walter Pitkin. Pitkin, der amerikanische Chefredakteur der Encyclopaedia Britannica, war Holloways Chef. Er war außerdem auch Psychologe. Und Pitkin hatte zwar keinen Col-

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lege-Abschluss vorzuweisen, war aber 1905 aufgrund einer Empfehlung von William James von der Columbia University als Dozent für Psychologie eingestellt worden. Außerdem arbeitete er als Redakteur für die New York Tribune und die New York Evening Post. Er war einer der einflussreichsten amerikanischen Journalisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Gründungsjahr der Columbia School of Journalism, 1912, wurde er ebendort zum Professor für Journalismus ernannt. Er unterrichtete in dieser Funktion bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1943. Eines seiner bekanntesten Bücher war das 1923 erschienene How to Write Stories.7 Marston lernte Pitkin über Holloway kennen. Er wurde einer von Pitkins engsten Freunden.8 Sie teilten ein gemeinsames Interesse an der Filmkunst und an den Überschneidungen von Storytelling und Psychologie. Sie sahen sich eine große Zahl von Filmen gemeinsam an. «Er und ich betrachteten die Tonfilme regelmäßig aus einem psychologischen Blickwinkel», schrieb Pitkin später, «und wir waren uns schnell darin einig, dass Charlie Chaplin & Konsorten entweder Narren oder Lügner (vielleicht sogar beides zugleich) waren, wenn sie behaupteten, dass der Tonfilm eine schwächere Wirkung habe als der Stummfilm. Man musste in Fragen der Wahrnehmung und der allgemeinen Ästhetik nicht gerade furchtbar gebildet sein, um zu erkennen, dass die ästhetische Wirkung, falls es gelang, die Verbindung von Bild und Ton zu perfektionieren, den Effekt der bloßen Bildbetrachtung gewaltig übertreffen würde. Also wurden Bill und ich zu lautstarken Anhängern des Tonfilms. Nach meiner Ansicht waren wir die Ersten aus den Reihen der Akademiker.»9 Auch andere Psychologen interessierten sich, an Münsterbergs ­Pioniertätigkeit in den 1910 er Jahren anschließend, für den Film. Eine Master-Studentin in Byrnes Graduate-Kursprogramm an der Columbia University hatte untersucht, wie viel dem Publikum nach der Betrach­ tung eines Films im Gedächtnis geblieben war.10 Will Hays, der Präsident der Motion Picture Producers and Distributors of America, des Dachverbands der großen Filmproduktionsgesellschaften, schrieb 1929 an den Präsidenten der Columbia University und bot ihm finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte an. (Hays interessierte sich für das Sammeln von Beweisen zur Unterstützung eines Zensur-Codes.)11

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Marstons Freund Leonard Troland hatte für die Technicolor Motion Picture Corporation of California gearbeitet; er war 1925, nach wie vor in Harvard lehrend, zum Forschungsdirektor von Technicolor ernannt worden. Später zog er dann nach Kalifornien. (Troland, der 1932 Selbstmord beging, wurde die Entwicklung der zweifarbigen Fotografie wie auch der Technik zugeschrieben, die Farbfilme ermöglichte.)12 Doch nur wenige Psychologen hatten so viel Vorerfahrung beim Nachdenken über Filme und Gefühle wie Marston. Die Universal Studios luden ihn zu einem Vorstellungsgespräch ein. «Carl Laemmle mag den Doc», berichtete Variety am 26. Dezember 1928 und gab bekannt, dass Marston, «der drei Harvard-Studiengänge absolvierte, ohne auszusteigen, den Leuten in Universal City sagen wird, welche Themen wie laufen». «Endlich habe ich den richtigen Mann gefunden», wurde Laemmle zitiert.13 Am darauffolgenden Tag interviewte ein Reporter der New York Evening Post Marston im New Yorker Universal-Büro. «Dr. Marston, der hinter seinen Namen bald nicht mehr B. A., PhD und LLB schreiben wird, weil Hollywood bei solchen Sachen empfindlich ist, wird die psychologische Fachautorität hinter allen künftigen Filmen sein, die von einem großen Unternehmen kommen», berichtete die Post. «Er hat eben erst einen Vertrag als Direktor des neuen Public Service Bureaus dieses Unternehmens unterschrieben. Seine Aufgabe wird sein, den emotionalen Gehalt von Geschichten und Treatment zu prüfen und den Film durch das Entwicklerbad der wissenschaftlichen Prüfung laufen zu lassen. Das bedeutet eine Revolution für die gute alte Kino-Schule, die auf Blut und Donner, Kitsch und Gefühligkeit setzt.» «Ein Spielfilm muss lebensnah sein», sagte Marston. «Wenn ein Film ein falsches Gefühl vorführt, trainiert er die Menschen, die das sehen, darauf, abnormal zu reagieren. Wenn der Mann in einer Liebesbeziehung als Anführer und Diktator gezeigt wird, ist das ein falsches Gefühl. Die Frau sollte jedes Mal als Anführerin gezeigt werden. Sie kontrolliert und lenkt die Liebesbeziehung. Vielleicht nutzt sie ihre vermeintliche Unterwerfung unter einen Höhlenmenschen, um ihn letztlich besser in den Griff zu bekommen. Aber der Film sollte zeigen, dass das Höhlenmenschen-Appeal der Frau nur als Herausforderung dient, diesen schwer zu fangenden Vogel an sich zu binden!»

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Er erläuterte seine Theorie der Gefühle und erklärte, wie er sie bei Universal-Filmen anzuwenden gedachte. «Wir gehen davon aus, die tatsächliche Wirkungsweise des Gefühls der Liebe zu zeigen, mit den interessanten Aspekten der Unterwerfung und Dominanz und Faszination», sagte er. «Die Menschen akzeptieren die Wahrheit immer, sobald sie auf ihre eigenen Erfahrungen angewendet wird. Sie wollen, dass eine Liebesbeziehung erfolgreich ist, und sie werden alles annehmen, was ihnen helfen wird, dieses Ziel zu erreichen.» Er erklärte, dass Hollywood ihm ein größeres psychologisches Labor biete als Harvard. «Filme sind der einzige bekannte Typ eines emotionalen Reizes, bei dem der Experimentator die Gefühle derjenigen kontrollieren kann, die zusehen», sagte Marston. «Das ist mit keinem anderen Hilfsmittel möglich. Ich hoffe, dem Publikum diese emotionalen Probleme durch eine Reihe von lehrreichen Zielen vorführen zu können, die die Wirkungsweise von Gefühlen zeigen, und außerdem dadurch, dass man die Zuschauer ihre eigene Version des Filmendes schreiben lässt.» Der Reporter schloss daraus: «Kein Anflug von Bedauern beeinträchtigt den Abschied dieses optimistischen Wissenschaftlers von Labor und Hörsaalpodium zugunsten des Filmstudios. Er widmet sich einer größeren Aufgabe.»14 Marston hatte eben erst ein kurzes Zwischenspiel an der New York University hinter sich gebracht, wo er als Lehrbeauftragter im Herbstsemester einen Kurs angeboten hatte.15 In der ersten Januarwoche ging er zum Washington Square, um sein Büro auszuräumen, und dort, später auch noch in der Grand Central Station, während er auf den Zug für die Heimreise nach Darien wartete, wurde er von einem Studenten interviewt, der für die Universitätszeitung schrieb – eine Publicitymaßnahme, die Marston zweifellos selbst arrangiert hatte. Marston erklärte, zu seiner neuen Tätigkeit gehöre auch die Genehmigung eines jeden Drehbuchs vor Beginn der Aufnahmen. «Auf diese Art wird ein Drehbuch psychologisch schlüssig gemacht, bevor es den Filmtechnikern für die Produktion übergeben wird», sagte er. Er werde außerdem jeden Film nach der Produktion und vor dem Versand der Kopien an die Vorführkinos abnehmen. «Keine andere Orga-

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Von links: Carl Laemmle jr., Elizabeth Holloway Marston, Moulton («Pete») Marston, William Moulton Marston und Carl Laemmle bei der Ankunft der Marstons und Olive Byrnes (nicht im Bild) in Hollywood, 1929

nisation, nicht einmal die Kirche, ist so machtvoll dafür ausgestattet, der Öffentlichkeit psychologisch zu dienen, wie die Filmproduktionsfirma», sagte Marston.16 Im Januar 1929 stiegen Marston, Holloway und Byrne mit dem fünf Monate alten Moulton in einen Zug, der das ganze Land durchquerte. (Alle Welt nannte das Baby Pete.) Huntley ließen sie zurück.

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Marston, rechts, am Set von The Charlatan in den Universal Studios, 1929

Sie machten Halt in Chicago, wo sie Marstons Tante Claribel besuchten, die, nach Holloways Erinnerung, «so darauf erpicht war, dass ihr Freundeskreis den ‹GRROSSEN Doktor Marston› kennenlernte, dass das Baby, meine Begleiterin und ich dabei vollkommen vernachlässigt wurden.» (Mit «meine Begleiterin» meinte Holloway Byrne.)17 In Kalifornien mieteten sie ein Haus in den Hügeln, von denen man einen Blick auf Los Angeles hatte. Marston fuhr mit einem Ford Model T nach Universal City. Holloway kehrte zu ihrer Arbeit für die Ency­ clopaedia Britannica zurück; sie arbeitete per Postsendung. Und Byrne kümmerte sich um den kleinen Pete.18 Marston führte bei Universal den Titel eines Direktors des Büros für Öffentlichkeitsarbeit. Vorgesehen waren einige Monate Probezeit mit der Option, danach einen Vertrag über fünf Jahre zu unterschreiben. Aber zunächst, so stand es in Variety, «muss er den Jungs dort draußen im Westen beweisen, dass eine Geschichte kein glückliches Ende nehmen muss, nur weil sie während der vorhergehenden fünfein-

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halb Filmrollen rührselig ist.» Man erwartete von ihm, dass er bei der Rollenbesetzung, der Bearbeitung der Geschichten und der Gestaltung von Aufnahmen mitwirkte und, ganz allgemein, «Psychologie einsetzt, wo immer Psychologie gebraucht wird».19 Marstons erste Idee war die Veranstaltung eines Wettbewerbs für Kinobesucher. Er überredete Laemmle, Bargeldpreise im Gesamtwert von 2000 Dollar für die besten Antworten auf die Frage «Warum lieben verführerische Frauen hässliche Männer?» auszusetzen. Das war kein Experiment; es war ein Verkaufstrick, mit dem für Laemmles neuesten Film The Man Who Laughs geworben werden sollte, einen der ersten Tonfilm-Versuche des Produzenten. Der Film, der auf einem ­Roman von Victor Hugo basiert, erzählt die Geschichte eines blinden Mädchens, das sich in einen Mann verliebt, dessen Gesicht entstellt wurde; seine Gesichtszüge sind zu einem scheußlichen, dauerhaften Grinsen verzerrt. Die Arbeit in Hollywood werde es ihm ermöglichen, «das Rätsel des Publikumsgeschmacks zu lösen», sagte Marston. Die Reaktion des Publikums auf die Liebesgeschichte in The Man Who Laughs, sagte er, «eröffnet eine interessante Diskussion über ein elementares psychologisches Phänomen»: Warum lieben schöne Frauen hässliche Männer? Als Beispiel hierzu verwies er auf arabische Scheichs und ihre Harems. Die Scheichs, sagte er, seien «dunkelhäutige Männer mittleren Alters, mit ledriger Haut, Hakennasen, schmalen Lippen und schmutzigen Bärten, die jedoch von den bezaubernden Frauen angebetet werden, die sie zuvor grausam behandelt haben.»20 Marston führte einen Teil seiner Arbeit für Laemmle in einem von ihm selbst eingerichteten Labor an der University of California in Los Angeles aus. Bei einem Experiment zeigte er 1000 Studentinnen und Studenten den 1929 gedrehten Universal-Film The Love Trap, jedoch mit Ausnahme der – auch als «tag» bezeichneten – Schlussszene, die später angefügt wurde und in der unserer Heldin, einer Tänzerin, die von der gut betuchten Familie ihres Ehemanns mit Geringschätzung behandelt wurde, die Genugtuung widerfährt, diese Leute demütigen zu können. Marston wollte wissen, wie das Publikum mit Filmen umgeht, die böse enden.21 Marston hatte auch Vorstellungen zur Verwendung des neuen Ausdrucksmittels Ton in Filmen. «Ton und Gespräche steigern zweifellos

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den Unterhaltungswert eines Films», sagte er einem Hollywood-Repor­ ter. «Es besteht jedoch ein deutlicher Konflikt zwischen Bild- und Tonelementen, der nicht völlig vermieden werden kann, bis dreidimensionale Filme gedreht werden.»22 Marston drängte Laemmle, Walter Pitkin als Story Editor zu engagieren. «Was nun den guten Bill angeht: Ich stehe ewig in seiner Schuld, weil er mich fünf Jahre jünger gemacht hat», schrieb Pitkin später, «und bei Onkel Carl besteht die gleiche Schuld, weil er weitere fünf Jahre weggenommen hat. Ich war 51, als ich nach Hollywood ging. Ich kann nicht älter gewesen sein als 41, als ich sechs Monate später wieder ging.»23 Marston erzählte gerne eine Geschichte über einen Produzenten, der ihn in sein Büro rief und ihn dort bat, ihm bei der Beschaffung von zehn Millionen Dollar für einen neuen Film zu helfen. Marston sagte, er bräuchte ein paar Monate, um einige Treffen mit wohlhabenden New Yorkern zu vereinbaren. Eineinviertel Stunden später rief der Produzent zurück. «Vergessen Sie den Plan, den wir diskutierten, Marston», sagte er. «Ich habe das Geld, und Sie brauchen wir bei dem Film nicht.» Pitkin hatte das Geld beschafft, indem er einem Freund an der Wall Street ein über einen halben Meter langes Telegramm schickte.24 Marston und Pitkin beschlossen, zusammen ein Buch zu schreiben. The Art of Sound Pictures erschien im November 1929.25 «Tonfilme sind die einzige Kunst, die für Leonardo da Vinci, würde er heute leben, attraktiv wäre», schrieben Pitkin und Marston. Diese Kunstform, erklärten sie, «ist ein Riesenbaby, das so ungelenk wie alle Babys ist. (…) Wir wissen nicht, was das Baby tun und sagen wird, wenn es heranwächst. Aber wir sind sicher, dass es für diese Welt noch wichtig werden wird.»26 Ein großer Teil des Buches besteht aus Ratschlägen für angehende Drehbuchautoren. «Vielleicht neun von zehn Geschichten, die sich in Hollywood nicht verkaufen lassen, weisen irgendeinen schwerwiegen­ den Mangel beim Umgang mit Gefühlen auf», erklärte Marston. Und weil «keine erfolgreiche Leinwandgeschichte eine universelle emotionale Anziehungskraft enthalten kann, wenn sie nicht stark mit erotischer Leidenschaft aufgeladen ist», müssten angehende Drehbuchauto-

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ren die Psychologie der Sexualität verstehen und wissen, dass jede ­Geschichte das zeigen sollte, was er als psychologische Gesetzmäßigkeiten bezeichnete: die Tatsachen, dass «die Frau die überlegene Liebesmacht besitzt», dass die Liebe Gewalt und Zwang immer überwindet, dass «Leidenschaft in erster Linie ein männliches Gefühl ist und dass Unterwerfung in der Liebe dem Mann und nicht der Frau zugeordnet ist».27 Ein großer Teil von The Art of Sound Pictures ist außerdem eine Anleitung zur Umgehung der Zensur. Marston und Pitkin verwendeten sehr viel Aufmerksamkeit darauf, zu erklären, Punkt für Punkt und für einen Bundesstaat nach dem anderen, was die Zensoren durchgehen lassen könnten und was nicht. Ein Brandzeichen anzubringen – «Szene, die das Brandeisen im Feuer zeigt, wenn die Anwendung nicht gezeigt wird» – ist okay in New York, Ohio und Virginia, aber nicht erlaubt in Pennsylvania, Maryland oder Kansas. Sex – «Mann und Frau (verheiratet oder nicht verheiratet) gehen in Richtung Schlafzimmer, was auf beabsichtigte Intimitäten verweist, wenn sie nicht gezeigt werden, nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hat» – hängt von der Handlung ab. Homosexualität – «Verhalten der Darsteller weist darauf hin, dass sie pervers sind, etwa eine Szene, die Frauen zeigt, die sich küssen, wenn das in einer langen Einstellung vorgeführt wird» – ist generell nicht erlaubt.28 Das Werk wurde zwar als «das erste umfassende, praxisorientierte Buch über das Schreiben für Tonfilme» beworben, doch die New York Times tat es dennoch kurzerhand ab: «Niemand wird jemals verstehen, was Tonfilme an sich haben, das die Aufmerksamkeit zweier berühmter Psychologen auf sich zieht.»29 In den Universal Studios wirkte Marston bei Filmen wie Show Boat (1929) mit. Außerdem half er dabei, Filme durch die Zensur zu bringen, zum Beispiel All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues, 1930). Als Carl Laemmles Sohn, Junior Laemmle, Universal übernahm, machte er das Horrorfilm-Genre zur Spezialität des Unternehmens: Marstons Theorie der Gefühle steckt hinter einer ganz besonderen Art des psychologischen Schreckens in Laemmles Frankenstein (1931), Dracula (1931) und The Invisible Man (1933). Bevor Marston

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Hollywood wieder verließ, arbeitete er auch für Paramount. Für Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1931) testete er die Publikumsreaktionen, indem er Zuschauer an Blutdruckmanschetten anschloss, während die sich die Filmproben ansahen.30 Marston veranstaltete seine Wettbewerbe, bot seinen Rat an, schloss das Kinopublikum an sein Love Meter an und zog von einer Studiogruppe zur anderen, trank mit Pitkin, kritisierte Regisseure und gab Schauspielern psychologische Ratschläge. Sehr viele Leute hielten ihn für einen Verkäufer von Mätzchen.31 Ein Film, bei dem Marston mit­ arbeitete, bevor er von Universal entlassen wurde, war ein Stummfilm über einen Wahrsager. Er trug den Titel The Charlatan.32 Den Fünfjahres-Vertrag bekam Marston nie. Die Motion Picture Producers and Distributors of America verabschiedeten 1930 gemeinsame Richtlinien für die Filmherstellung, die als Hays Code bekannt wurden. Diese Richtlinien untersagten, dass Filme Inhalte abbildeten, die «die moralischen Wertmaßstäbe derjenigen, die sie sich ansehen, absenken» würden, und zu diesen Inhalten zählten sie beispielsweise Nacktheit, Kindsgeburt und Homosexualität. Der Code wurde bis 1934 nicht besonders streng umgesetzt, aber bis dahin hatte Carl Laemmles Sohn und Nachfolger für die Einschätzung und Überprüfung seiner Filme einen besseren «geistigen Showman» gefunden als Marston. Als Universal mit der Vorführung der Probekopien von Junior ­Laemmles Frankenstein – mit dem Hauptdarsteller Boris Karloff – begann, setzte das Unternehmen für die Überprüfung der Zuschauer­ reaktionen Leonarde Keeler ein, den Chef von Keeler, Inc., einen konkurrierenden Entwickler von Lügendetektoren. Marstons Kollegen vom Psychologie-Ausschuss des National Research Council waren während des Krieges zu dem Ergebnis gekommen, dass es der Feststellung von Täuschungen an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit mangele. Im Fall Frye v. United States hatten die Gerichte eine Zulässigkeit als Beweismittel in Strafprozessen rundweg abgelehnt. Aber John Larson, ein Kriminalkommissar, der an der University of California einen Doktortitel in Physiologie erworben hatte, las 1921 einen wissenschaftlichen Text Marstons – «Physiological Possibilities of the Deception Test» – und beschloss, herauszufinden, wie sich diese Technik bei polizeilichen Verhören einsetzen ließ. Er engagierte Keeler, damals

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noch ein High-School-Schüler in Berkeley, als seinen Assistenten. Keeler versuchte 1925, sich etwas patentieren zu lassen, was er manchmal als Emotograph oder Respondograph bezeichnete, bis er sich schließlich auf den Keeler Polygraph festlegte («Polygraph» kam ins Spiel, weil das Gerät verschiedene Dinge aufzeichnete – Blutdruck, Herzfrequenz und andere Messgrößen). Larson wechselte nach Chicago, um für die dortige Polizeibehörde zu arbeiten, und Keeler folgte ihm, sein neuer Arbeitgeber war das Scientific Criminal Detection Laboratory, das erste forensische Labor der Vereinigten Staaten – gegründet von John Henry Wigmore. Keeler erhielt 1931, nachdem er sein erstes Modell verbessert und verfeinert hatte, ein Patent auf seinen Polygraphen.33 Marston, Holloway, Byrne und der kleine Pete kehrten, ebenso wie Walter Pitkin, nach New York zurück. Marston und Pitkin beschlossen, ihre eigene Filmproduktionsgesellschaft zu gründen: die Equi­ table Pictures Production. Marston, der als Vizepräsident fungierte, hielt 15  Prozent des Aktienbestands. Pitkin betrieb immer tausend Projekte, und alle gleichzeitig. («Wenn man in das Haus eines Mannes kommt und darauf eingestellt ist, die finanziellen Details eines Geschäfts zu erörtern, und ihn dann am Klavier sitzend vorfindet, wie er mit dem Bleistift an der Partitur einer Symphonie arbeitet, wirkt das vermutlich beunruhigend», schrieb Marston einmal über ihn.)34 Er hatte eine Menge Ideen für Geschichten. Einmal warf Pitkin unter dem Briefkopf der Encyclopaedia Britannica eine Idee für einen Film aufs Papier, dessen Handlung sich «um Bill Marstons These» drehen sollte: «Wie kann eine Frau lieben & dennoch ihren Lebensunterhalt verdienen? Wie wirtschaftlich unabhängig & auch erotisch unabhängig sein?» Der springende Punkt dabei sollte sein, zu «zeigen, dass freie Liebe nicht die Lösung ist».35 Marston wollte diesen Film machen, einen Film über das Dilemma der Neuen Frau. Als Titel schwebte ihm «Brave Woman» oder «Giddy Girl» vor, nach seinen beiden Damen: Holloway und Byrne. Er konnte sich nicht für einen der Titel entscheiden. Equitable Pictures wurde im Oktober 1929 als Aktiengesellschaft eingetragen  – mit einem Bestand von 10 000  Stammaktien. Wenige Tage später brach der Aktienmarkt zusammen.36 Equitable Pictures

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erging es genauso. Eine Frau, die eine Frau, die wirtschaftlich und erotisch unabhängig sein konnte, würde das Ende der Weltwirtschaftskrise abwarten müssen. Sie hätte ohnehin eine Superheldin sein müssen. Und Superhelden und -heldinnen waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfunden.

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DIE 24-JÄHRIGE OLIVE BYRNE  heiratete am 21. November 1928 Wil-

liam K. Richard aus Los Angeles.1 Sie nahm seinen Familiennamen an und wurde zu Olive Richard. Ihr erster Sohn Byrne Holloway Richard wurde am 12. Januar 1931 geboren. Ein weiterer Junge, Donn Richard, kam am 20. September 1932 zur Welt. Kurz darauf, so erzählte sie Die Armbänder tragende Olive mit (Olive) ihren Söhnen, sei ihr VaPete und dem kleinen Byrne, 1931 ter gestorben. William K. Richard sei ein schwer kranker Mann gewesen: Er sei im Krieg einem Giftgasangriff ausgesetzt gewesen und habe deshalb ein Lungenleiden gehabt, von dem er sich nie wieder erholte. Seltsamerweise besaß sie kein einziges Foto von ihm.2 Sie besaß kein Foto, weil es keinen William  K. Richard gab. «Olive Richard» war eine Fiktion. (Von jetzt an werde ich sie «Olive» nennen, um jede Verwechslung mit ihrem Sohn Byrne zu vermeiden.) Byrnes und Donns

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Vater war William Moulton Marston. Das Hochzeitsdatum war allerdings keine Lüge. Olive Byrne trug ab dem November 1928 ein Paar eng anliegender, breiter Armbänder. Sie nahm sie niemals ab. Wonder Woman trägt Armbänder von genau dieser Art. Marston und Olive Byrne feierten den 21. November 1928 als ihren Hochzeitstag. Sie vergaßen diesen Tag sehr oft, wie das in vielen Familien geschieht. Olive schrieb unter dem 21. November 1936 in ihr ­Tagebuch: «Hochzeitstag. Den wir vollkommen vergaßen.» Und abermals, am 21. November 1937, mit bitterem Unterton: «Hochzeitstag wieder vergessen, und das ist ganz gut so.»3 Am 6. Dezember 1928, zwei Wochen nach der Hochzeit, schickte Marston einen außergewöhnlichen Brief, in dem er Holloways Fähigkeiten und Leistungen in den höchsten Tönen lobte, ans Alumni O ­ ffice des Mount Holyoke College. «Wussten Sie schon», fragte er, dass «Betty (bei Ihnen wurde sie Sadie genannt)» 1. im Jahr 1925/26 Chefin vom Dienst des Child Study Magazine war? 2. 1926/27 viele interessante und erfolgreiche Fachartikel, Werbe­ broschüren usw. usw. für das Policy Holders Service Bureau, Metropolitan Life Ins. Col., schrieb und viele Angebote bekam, dort zu verlängern, bevor sie 1927 wegging, um sich der Redaktion der Encyclopaedia Britannica anzuschließen, wo sie mit Themen aus den Bereichen Psychologie, Anthropologie, Medizin, Physiologie, Recht und etwas Biologie befasst war? 3. bis zum 21. Aug. 1928 als Redakteurin arbeitete und den Artikel über den «Bedingten Reflex» (der als namentlich gekennzeichneter Beitrag in der zur Veröffentlichung anstehenden Britannica erscheinen wird) schrieb und diese Arbeit aufgab, um am 26. August einen großen, 7 Pfund und […] Gramm schweren kleinen Sohn, Moulton Marston, zur Welt zu bringen? 4. dass besagter Sohn inzwischen 10 Pfund und 280 Gramm wiegt? (Das ist äußerst wichtig!) 5. dass sie zugunsten Seiner Hoheit mit ihrer Familie aufs Land zog, und zwar nach Darien, Conn.? Wo wir jetzt alle wohnen, mit un-

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Marston (rechts) bei der ­Ausführung von Experimenten, Olive Byrne (mit Armbändern) hinter dem Paravent

terschiedlichen Graden der Resignation, zu guter Letzt als Berufspendler. 6. dass Betty in der Columbia University an einer Promotion im Fach Psychologie gearbeitet hat? 7. dass sie bei der Niederschrift des Buches EMOTIONS OF NORMAL PEOPLE, das vor kurzem in New York und London erschien, bei Kegan Paul und Harcourt Brace, umfassend mit ihrem etwas begriffsstutzigen Ehemann zusammengearbeitet hat? 8. dass sie jetzt als Ko-Autorin mit der oben erwähnten Person an ­einer Allgemeinen Psychologie arbeitet, die im kommenden Herbst bei Prentice-Hall erscheinen soll? 9. dass Frau Betty einige Jahre lang Lehrbeauftragte für Psychologie

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Von links: Marston, Huntley, Pete, Holloway und der kleine Byrne, 1931

am Washington Square College der New York University war  – und immer noch ist? 10. dass sie die beste Ehefrau und Mutter ist, die es je gab?4 Zum Familien-Arrangement, bei dem Marston zwei Frauen hatte, eine für die Berufsarbeit und eine für die Kindererziehung, gehörte auch die Förderung von Holloways Berufslaufbahn. Olive Byrne erfuhr die bestmögliche moderne psychologische Ausbildung, die für die zeit­gemäße wissenschaftliche Betreuung von Kindern gebraucht wurde. Indem sie mit Holloways Baby zu Hause blieb, ermöglichte sie es Holloway, das Leben einer berufstätigen Frau zu führen, unbelastet von den Pflichten der Mutterschaft. Und Holloways Einkommen sicherte auch den Lebensunterhalt von Olives Kindern, als diese zur Welt kamen. Marston war niemals imstande gewesen, eine Anstellung länger als ein Jahr zu behalten. Auch er brauchte Holloways Einkommen.

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«Viele Studienkollegen aus meinem Jahrgang können wie ich bezeugen, dass es sehr schwer ist, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen; die einzige Lösung ist, eine Ehefrau wie die meine zu haben, die zur Arbeit geht, um ihren Mann finanziell zu unterstützen», berichtete Marston 1930 anlässlich des 15. Jahrgangstreffens seines Abschlussjahrs nach Harvard, als Holloway als Assistant Editor bei der Zeitschrift McCall’s arbeitete. «Mit der Vorstellung, ihr zu helfen, habe ich an der Columbia und New York University Psychologie unterrichtet und als ‹beratender Psychologe› praktiziert – als einer dieser Lehnsmänner, die zögernden Geschäftsleuten erklären, was die Öffent­ lichkeit wirklich von dem Zeug hält, das sie verkaufen wollen, und die sich die Bekenntnisse enttäuschter Bräute anhören.» Eine gewisse Zeit lang unterhielt Marston Büroräume in der Seventh Avenue Nr. 723.5 Aber während des größten Teils der 1930 er Jahre war er arbeitslos. Die Volkszählung von 1930 registriert Marston und Holloway, inzwischen beide 36 Jahre alt, unter der Adresse Riverside Drive Nr. 460 mit dem ein Jahr alten Pete und der 40-jährigen Marjorie Wilkes Huntley; Huntley wird als «Untermieterin» geführt.6 Sie war ein Familienmitglied, kam und ging aber nach Belieben; sie war ruhelos. Im Lauf ihres Lebens wohnte sie in 35 Städten. Lange Zeit arbeitete sie als Bi­ bliothekarin im Metropolitan Hospital in New York.7 Bei der Volkszählung von 1930 wird weder Olive Byrne noch «Olive Richard» als Mitglied des Marston-Haushalts aufgeführt. Sie muss ausgezogen sein, als sie schwanger wurde, um die Schwangerschaft zu verbergen. Olives erstes Kind war ein flachsblonder Junge. Sie führte ein Tage­ buch, das zur Chronik seiner Kindheit wurde. Auf die Titelseite schrieb sie: «Byrne Holloway Richard, 12. Jan. 1931, um 19.57 Uhr.» Sie gab ihm ihren und Holloways Namen und band so die Familie ­enger aneinander. Sie war eine in ihr Kind vernarrte, liebevolle Mutter. Ihr Buch über Byrne ist teils ein Baby-Buch, teils ein Labor-Notizbuch, Aufzeichnungen einer Frau, die Ärztin werden wollte und eine Ausbildung zur Krankenschwester und zur Psychologin absolviert hatte. Es ist ein Inbegriff wissenschaftlicher Mutterschaft. Eintragungen während Byrnes zweitem Lebensjahr: «Um den 25. Jan. Begann der Erwachsenen Gegenstände zurückzugeben oder einen Gegenstand an einen bestimmten Ort zurückzulegen. (…) 7. Feb. Widmete franzö-

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sischen Wörtern, die W. M. M. zu ihm sagte, deutliche Aufmerksamkeit – lachte über sie und versuchte, ‹adieu› zu sagen.»8 Olive führte außerdem Tagebücher, in denen sie geheime Codes benutzte. «Die einzige praktisch umsetzbare emotionale Umerziehung besteht darin, den Menschen beizubringen, dass es eine Norm des psycho-neuralen Verhaltens gibt, die in gar keiner Weise von dem abhängig ist, was ihre Nachbarn tun, oder davon, welches Verhalten ­ihrer eigenen Ansicht nach die Nachbarn von ihnen erwarten», hatte Marston in Emotions of Normal People geschrieben. Aber das mit dem Lebensstil der Marstons verbundene Problem war, dass ihre Nachbarn ihn für abnormal gehalten hätten. Olive glaubte, dass sie die Wahrheit am besten geheim halten sollten: In erster Linie wollte sie nicht, dass ihre Kinder sie jemals erfuhren. Aber die Wahrung des Geheimnisses erforderte mehrere Schichten der Täuschung. Also erfand sie William  K. Richard, einen fiktiven Ehemann. Wenn sie in ihrem Tagebuch über Marston als Holloways Ehemann schrieb, nannte sie ihn W. M. M. War von ihm die Rede als Vater ihrer Söhne, bezeichnete sie ihn als «R» oder «Ri» (für «Richard»).9 Während Olive Byrne mehr und mehr im Verborgenen lebte, wurde Margaret Sangers Leben sichtbarer. Und während die Marstons ihre Familienverhältnisse so geheim wie nur möglich hielten, erreichte Sangers Ruhm als internationale Anführerin des Birth Control Movements neue Höhen. Sie sprach sich 1931 im Kongress zugunsten einer Gesetzesinitiative aus, die sie als «Mothers’ Bill of Rights» bezeichnete. Die New York Herald Tribune feierte die mit der Medaille der American Women’s Association ausgezeichnete Sanger mit folgenden Worten: «Mrs. Sanger verdient diese Ehre; sie verdient mehr Ehren, als eine Welt, gegen deren geistige Blindheit sie zwanzig Jahre lang tapfer und unentwegt gekämpft hat, ihr vermutlich jemals geben wird. Mrs. Sanger hat fast im Alleingang und konfrontiert mit nahezu jeder denk­ baren Art der Verfolgung einen Weg durch den dichtesten Dschungel der menschlichen Ignoranz und Hilflosigkeit gebahnt. Sie ist oftmals verhaftet, angegriffen und mit Schmutz beworfen worden – was vielleicht die bedeutendste Würdigung ihrer bahnbrechenden Genialität bleibt.» Sie veröffentlichte eine Autobiografie unter dem Titel My Fight for Birth Control. Eine Rezensentin schrieb: «Margaret Sanger

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zählt zu den Weltveränderern un­ serer Generation.»10 Marston hangelte sich von ­einer Gelegenheitsarbeit zur anderen. Er gab Psychologiekurse an wechselnden Orten: an der Long Island University, der New School for Social Research, der Rand School of Social Science und schließlich an der Katharine Gibbs School. Gegenüber einem Reporter äußerte er sich 1931 zu koedukativen Kursen. «Er glaubt, dass die Geschlechter ihren beruflichen Status verändert haben», schrieb der Reporter, «dass die Gejagte zur Jägerin geworden ist, dass die männlichen Studenten mehr Vorstellungen zu Frauen haben als zu sich selbst und dass eine Mehrheit der MänOlive (mit Armbändern) hält Donn auf ner den Status ‹unglücklicher den Armen, die schwangere Holloway Herren› dem von ‹glücklichen steht hinter ihr. Byrne und Pete sind 11 Sklaven› vorzieht.» Vielleicht rechts im Bild zu sehen. Weihnachten war ja Marston selbst in jenen 1932, es ist das Jahr, in dem Marston Jahren ein unglücklicher Herr. Venus with Us veröffentlichte Er gründete eine Firma namens Hampton, Weeks and Mars­ ton. Sie scheiterte. Marston erklärte dieses Scheitern so: «Ich gründete zum falschen Zeitpunkt eine Werbeagentur, verlor dabei mein letztes Geld, wurde von einer Blinddarmentzündung und anschließenden Komplikationen niedergestreckt und verlegte mich während der Rekonvaleszenz aufs Schreiben.»12 Er beschloss, sich als Prosaautor zu versuchen. Marston veröffentlichte im Juni 1932 den Roman Venus with Us: A Tale of the Caesar, der im antiken Rom spielt. Im Mittelpunkt der

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Handlung steht Florentia, eine 16  Jahre alte Vestalin. «Die Jugend brauste durch ihren schlanken Leib wie eine samtene Flamme.» Sie war in einer altrömischen Version der Klosterschulen aufgewachsen, in denen Olive Byrne erzogen worden war: «Ihre Mutter hatte sie kurz vor ihrem achten Geburtstag, als sie noch ein kleines Mädchen war, zum Tempel der Vesta gebracht.» Bevor Florentia dem gutaussehenden Gaius Caesar begegnete – der im Verlauf des Romans diesen Namen ablegt und zu Julius Caesar wird –, hatte sie viel über Frauen, aber nichts über Männer gewusst: «Von Kindheit an war Florentia an die weiche Schönheit der weiblichen Formen gewöhnt worden, die sie umgaben, an Gaius erblickte sie jetzt eine Feinheit von Gesicht und Gestalt, die einer jeden unter ihren Gefährtinnen gleichkam.» Bei der Begegnung mit ihm wird sie von der Leidenschaft überwältigt: «Ihr Mund wurde plötzlich trocken, ihre Beine fingen an zu zittern. Ein Feuer rauschte unter ihrer Haut von den Ohrläppchen bis in die Zehen.» Ihre Liebe wird von Metala vereitelt, einer Frau von der Insel Lesbos, die Florentia in Ketten gefangen hält. Einige Frauen werden im Verlauf der Handlung entführt und auf die Insel Lesbos gebracht. Aber Florentia und Caesar sind der Macht ihrer verbotenen Liebe hilflos ausgesetzt: «Sie hatten einander gefunden; was auch immer die Welt darüber sagen mochte, beide fühlten, dass ihre Beziehung ebenso heilig war wie der Altar der Vesta.» Als Florentia ein Kind von Caesar bekommt, gibt sie dem Mädchen den Namen Dorothea. Dorothy war Olive Byrnes Lieblingsname. Die Geschichte ist stark von Dominanz und Unterwerfung geprägt. «Oh, du mein angebeteter Gebieter!», ist von handelnden Personen zu hören. Marston widmet der Beschreibung von Sklavenketten seine großzügige Aufmerksamkeit. «Die zeremoniellen Ketten, die bei römischen Spektakeln verwendet wurden, waren schwer und kunstvoll gefertigt. Sie sollten die völlige Unterwerfung des besiegten Herrschers oder anderweitig prominenten Gefangenen symbolisieren; doch sie sollten auch die Schönheit oder Bedeutung des auf diese Art aus­ gestellten Gefangenen schmücken und hervorheben», schreibt er. «Neben Arm- und Fußreifen mit verbindenden Ketten trug Florentia einen schweren goldenen Kragen und einen Gürtel aus Gold, und elegante, geschwungene Ketten aus von Hand gefertigten Gliedern reich-

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ten von Nacken und Taille bis zu den Handgelenken und Knöcheln.» Die Geschichte ist eine autobiografische erotische Fantasie – Marston, der Geschichten über sein Leben in der erfundenen Erzählung verbirgt – mit Olive in der Rolle der Florentia, des in klösterlicher Gemeinschaft unter einem Keuschheitsgelübde lebenden «jungen Mädchens, das bei jeder seiner Berührungen vor Ekstase zitterte», und mit Caesar als Sprachrohr für Marstons psychologische Theorien. Als eine ehemalige Sklavin über die Zeit ihrer Sklaverei klagt, erwidert er: «Der Zustand der Sklaverei schadete dir meiner Ansicht nach nicht. Ich denke mir, dass es in Wirklichkeit eher gut für die Menschen ist, wenn sie gezwungen sind, sich anderen zu unterwerfen.»13 Venus with Us wurde für 2,50 Dollar verkauft, hatte ein düsteres Titelbild und fand kaum Beachtung.14 Marston hatte es mit der Wissenschaft versucht. Er hatte es mit der Juristerei versucht. Er hatte es in Hollywood versucht. Er hatte es mit Werbung versucht. Er hatte sich als Romanschriftsteller versucht. Und dennoch: Er hatte immer noch nicht das richtige Medium für seine Botschaft gefunden: Die Liebe bindet.

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DER 20 MONATE ALTE CHARLES AUGUSTUS LINDBERGH JR. ,  Little Lindy, der

Sohn des Ozeanfliegers, wurde am 1. März 1932 aus seinem Kinderbettchen entführt. Der Journalist H. L. Mencken bezeichnete den Fall als «die größte Story seit der Auferstehung». Jedermann hatte eine Theorie dazu. Marston vermutete, der Kidnapper sei eine Frau mit ­einem verzweifelten Kinderwunsch. «Die normal veranlagte Frau braucht und wünscht sich Kinder», sagte er der Presse. Er wiederum wollte unbedingt bei der Suche nach dem entführten Kind helfen und bot seine Dienste an: «Ich schrieb an Colonel Lindbergh und stellte ihm den Lügendetektor und meine Erfahrung damit zur Verfügung.» Lindbergh antwortete nicht. Im Mai wurde das Baby tot aufgefunden. Leonarde Keeler, der Marston 1930 bei den Universal Studios abgelöst und 1931 ein Patent auf sein Gerät erhalten hatte, verkaufte jetzt Polygraphen an Polizeibehörden im ganzen Land. Als Marston an Lindbergh schrieb, seine Hilfe anbot und sich zugleich als Erfinder des Lügendetektors präsentierte, meldete er damit auch einen Anspruch an. Er versuchte außerdem, seine Referenzen als «erster beratender Psychologe der Welt» aufzupolieren, wie Marston sich selbst gerne bezeichnete – mit einem freundlichen Gruß an Sherlock Holmes, den weltweit ersten beratenden Detektiv. Es gebe reichlich Grund für die Annahme, dass Little Lindys Entführer eine Frau sei, erklärte er gegenüber Reportern, weil sich jede Frau nach einem Baby sehne: «Ihre Arme wünschen sich auf dieselbe Art ein Kind herbei wie die

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Von links: Olive Byrne (mit Armbändern) und Donn; Elizabeth Holloway Marston mit Olive Ann; Marjorie Wilkes Huntley, die eine Puppe hält, 1933

Finger eines geborenen Bildhauers unbedingt mit Lehm arbeiten und die Hände eines künstlerischen Naturtalents ruhelos nach Stift und Pinsel greifen wollen.»1 Marston hatte das Gefühl, über diese Art von Sehnsucht recht gut Bescheid zu wissen. Olive Byrne und Elizabeth Holloway waren 1932 beide schwanger. Olive brachte am 20. September 1932 einen zweiten Jungen, Donn, zur Welt. Fünf Monate später gebar die 40 Jahre alte Holloway ein Mädchen namens Olive Ann; alle nannten sie O. A. Mars­ ton fotografierte seine Damen. Auf diesem Bild sitzen die drei Frauen, alle in hellen Kleidern, auf einer Rattan-Gartenbank. Olive hält Donn auf dem Schoß; Holloway hält O. A.; und Huntley hat sich eine Puppe auf den Schoß gesetzt. Huntley hatte eine Hysterektomie hinter sich, eine sogenannte Totaloperation. Marston hatte Kosenamen für die Frauen in seinem Haus. Holloway nannte er «Cutie», Olive war «Docile» und Huntley «Yasmini». Und zu den Kosenamen gab es auch Varianten: Keetsie für Holloway, Dotsie für Olive und Zaz oder Yaya oder Zara für Huntley.2 Holloway kehrte nach O. A.s Geburt wieder an ihren Arbeitsplatz

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Von links: Olive Byrne, Marston, der O. A. und Donn hält, vor ihm steht Byrne, Holloway und Pete in Cliftondale, 1934

zurück. Sie hatte bei der Metropolitan Life Insurance eine Stelle als ­Sekretärin des für Farm-Hypotheken zuständigen Vizepräsidenten angetreten.3 Olive Byrne hatte jetzt vier Kinder zu versorgen; die beiden Jüngsten waren nur fünf Monate auseinander. Diese Aufgabe muss der Betreuung von Zwillingen sehr nahe gekommen sein. Marston verzettelte sich mit allen möglichen Tätigkeiten. Er war bereit, jeden Menschen psychologisch zu beraten, der ihn für diese Dienstleistung bezahlte. «Meine eigentliche Aufgabe besteht jedoch darin, vier junge Menschen auf die vier verschiedenen Arten zu erziehen, auf die sie heranwachsen sollten.»4 In der Stadtwohnung war es eng, aber Holloway konnte New York nicht verlassen; die ganze Familie lebte von ihrem Gehaltsscheck. Also gingen Marston, Olive und die vier Kinder nach Massachusetts und zogen in das Haus, in dem Marston aufgewachsen war, in der Avon Street in Cliftondale, wo Marstons Mutter bis dahin allein gelebt hatte. (Sein Vater war 1923 gestorben.) Marston erzählte seiner Mutter, Olive sei die verwitwete Haushälterin der Familie.5

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Die Sommer verbrachten sie in Cape Cod, in einem alten Bauernhaus ganz in der Nähe von Ethel Byrnes Haus. Sie wohnten nicht bei Ethel, weil, wie Olives Sohn Byrne später erklärte, sein Vater und seine Großmutter «sich nicht immer gerne begegneten». Ethel hatte Marston noch nie leiden können. Auch Olives Bruder Jack und seine Frau Helen verbrachten einige Sommer in Truro. Jack Byrne verehrte seine Schwester, aber er vertraute Marston nicht – wie seine Mutter. «Dein Vater kommt bei Frauen sehr gut an«, sagte er einmal zu seinem Neffen Byrne, «behalte ihn im Auge».6 Jack Byrne war ein Autor und Lektor von Trivialliteratur, «pulp fiction». (Eine «Pulp»-Zeitschrift wird auf einem billigen, rauen Papier gedruckt, im Gegensatz zu einer «Slick», einer Hochglanzpapier-Zeitschrift.) Jack Byrne war in den 1930 er Jahren Lektor bei Fiction House, einem in New York ansässigen Verlag von Pulps, der sich besonders auf Western- und Detektivgeschichten spezialisiert hatte. Er brachte Action Stories, Fight Stories und das Detective Book Magazine heraus. «Wir wollen tempogeladene Geschichten haben», sagte er den Autoren. «Die Interessen von Frauen anzusprechen ist zulässig, es darf aber die Action- und Abenteuer-Elemente nicht überlagern.»7 Marston zog so etwas in Erwägung.

★ Holloway und Marston adoptierten im Februar 1935 Olive Byrnes Söhne Byrne und Donn, die beiden waren inzwischen vier und zwei Jahre alt. Die Jungen erhielten Marstons Familiennamen. Aus Byrne Holloway Richard wurde Byrne Holloway Marston, der die drei Nachnamen seiner Eltern trug.8 Die Tatsache, dass die Jungen zu Marstons wurden, schwächte ihre Verbindungen zur mütterlichen Seite der ­Familie nicht, aber es ist möglich, dass weder Margaret Sanger noch Ethel Byrne wusste, dass Olive auf ihre Rechte als Elternteil verzichtet hatte. Im Jahr der Adoption hatte Olives Familie das Gefühl, dass sie sich vollkommen versteckte.9 Sie verzichtete auf ihre gesetzlichen Rechte als Elternteil aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder. Die Adoption der Jungen durch die Marstons – die der Familie Legitimität verschaffte – mag auch bei der

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Die Familie in Truro, 1935. Olive Byrne mit Kopftuch

Entscheidung von Holloways Eltern, sie finanziell zu unterstützen, eine Rolle gespielt haben. Die ganze Familie zog im Sommer 1935 nach Rye, New York, um und wohnte dort in einem großen Holzhaus auf einem Grundstück mit vielen alten Kirschbäumen, das von knapp 20 Hektar Farmland umgeben war. Das Anwesen war groß genug für eine sieben- oder, wenn auch Huntley dort war, achtköpfige Familie und der Stadt so nah, dass Holloway dort leben und täglich mit dem Zug zur Arbeit fahren konnte. Sie gaben dem Ort den Namen Cherry Orchard, Kirschgarten.10 Das Haus hatte zwei komplette Etagen und ein Dachgeschoss. Im Dachgeschoss gab es drei Schlafzimmer: eines für O. A., eines für Huntley und eines, das Donn und Byrne sich teilten. Huntleys Zimmer lag unter der Dachtraufe; sie hängte Glasperlen in den Türrahmen, füllte das Zimmer mit Kristallglas und verbrannte Weihrauch. Petes Zimmer war im ersten Stock, neben Marstons Arbeitszimmer, wo auch eine Bettcouch stand: Marston schrieb gerne im Liegen. Im ersten Stock gab es noch drei weitere Zimmer: Holloways Schlafzimmer, ein

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Cherry Orchard, das Haus der Marstons in Rye, New York

Bad und Olives Schlafzimmer; diese drei Zimmer lagen nebeneinander. Marston konnte von einem Schlafzimmer ins andere gehen, indem er durch das Bad ging. Er schlief in beiden.11 Margaret Sanger besuchte Cherry Orchard, wann immer sie nach New York kam.12 Und Olive nahm die Kinder – ihre und Holloways Kinder – zu Besuchen bei Sanger in deren Haus in Fishkill mit. (Alle Kinder nannten Sanger «Tante Margaret».) Olive schrieb im August 1935 an Sanger, um einen Besuch zu verschieben. «Ich bin gerade dabei, mir einen Job als Schreiberin – Interviews – für eine Zeitschrift zu angeln.»13 Sie bekam diesen Job auch, als fest angestellte Autorin für Family Circle, eine wöchentlich erscheinende Frauenzeitschrift, die seit 1932 in Lebensmittelgeschäften ausgelegt wurde.14 Es war ein Gratisblatt; der Verleger verdiente Geld, indem er Anzeigen an die Läden verkaufte, in denen die Zeitschrift an den Kassentischen zum Mitnehmen bereitlag. Die Zeitschrift wurde schon bald zum sechsten Titel in einem publizistischen Segment, das schließlich als die «Sieben Schwestern unter den Frauenzeitschriften» bezeichnet wurde, eine Gruppe, zu der auch das Ladies’ Home Journal, Good Housekeeping und McCall’s

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gehörten. Die Leserinnen von Family Circle waren amerikanische Mütter, die in schwierigen Zeiten sparsam einkauften. Die Auflage der Zeitschrift stieg rasch auf weit über zwei Millionen Exemplare, und gelesen wurde sie nahezu ausschließlich von Frauen, die fast alle Mütter – Hausfrauen – und auf der Suche nach Ratschlägen waren, wie sie für ihre Kinder und ihre Ehemänner sorgen und ihre Häuser gestalten konnten.15 Olive Byrnes erster Artikel für Family Circle, eine Titelgeschichte aus der Feder von «Olive Richard», erschien am 1. November 1935. Es handelte sich um ein Porträt von William Moulton Marston. Olive Byrne verbarg nahezu alles, was ihr Leben betraf, und zugleich enthüllte sie es, wie Marston, fast zwanghaft. Dem Artikel über ihn gab sie die Überschrift «Lie Detector». Sie behauptete, sie sei ihm noch nie zuvor begegnet. «Olive Richard» war eine verwitwete Mutter von zwei Kindern. Sie will unbedingt einer Freundin helfen, deren junger Sohn ein hartnäckiger Lügner ist, und ein Gerät, von dem sie gehört hat, ein sogenannter Lügendetektor, hat sie neugierig gemacht: «Also beschloss ich, den Mann aufzusuchen, der ihn erfand – Dr. William Moulton Marston, einen Psychologen und Rechtsanwalt.» Sie schreibt ihm einen Brief. «Eine Woche später stieg ich in einen Zug, sicher verstaut in meiner Tasche war der freundliche Brief, den ich von diesem berühmten Mann erhalten hatte, der mich zu einem Treffen in sein Haus einlud. Ich kam zu diesem großen, geräumigen Haus, das auf ­einer Hügelkuppe steht.» Sie erwähnte nicht, dass sie dort wohnte. Sie nähert sich dem Haus und beschreibt, was sie dort sieht: Auf dem weitläufigen Rasenstück vor dem Haus übten sich vier Kinder und zwei Katzen im Hürdenspringen. Das Stöckchen hielt ein massiger Mann mit einem grauen Haarschopf. Er rief Anweisungen und sorgte für den Fortgang des Spiels, indem er die Höhe des Hindernisses der Beinlänge der einzelnen Wettkämpfer anpasste. Die Kinder entdeckten mich zuerst und zogen sich zurück, wie Kinder das in Gegenwart eines fremden Menschen eben tun.

Sie erwähnte nicht, dass sie die Mutter der Kinder war.

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ZWEITER TEIL: FAMILIENKREIS Dann sah mich der große Mann und lächelte zur Begrüßung. «Hallo», sagte er. «Ich habe Sie erwartet.»

Sie erwähnte nicht, dass sie den Mann seit zehn Jahren kannte und seit neun Jahren mit ihm zusammenlebte. «Sie sehen überhaupt nicht wie der Mann aus, den ich mir vorgestellt hatte! Ich habe schon sehr viele Psychologen kennengelernt, aber …» «Ich weiß», sagte der Doktor und lachte dabei. «Magere Kerle mit langen Gesichtern, einem hohen IQ und sehr viel akademischer Würde. Es tut mir leid, dass ich Sie enttäusche, aber ein beleibter Mann tut sich schwer mit würdevollem Auftreten.»

Und hier – ausgerechnet hier, auf den Seiten einer Frauenzeitschrift – wird die Liebe, die sie für ihn empfindet, deutlich. Vielleicht war das ihr erster Eindruck von ihm, an jenem ersten Tag, als sie ihn in einem Seminarraum in Tufts an seinem Pult stehen sah, oder an jenem Tag, als sie in eine Beratungsstelle für verzweifelte Studentinnen kam. Er war pummelig, nicht würdevoll, humorvoll und warmherzig. Sie fand ihn wunderbar. Dieser bekannte Wissenschaftler ist das ungekünsteltste menschliche Wesen, dem ich je begegnet bin. Er ist nicht dick – jedenfalls nicht auf die gewöhnliche Art. Er ist einfach rundum massig. Wir gingen durch den Garten und über das ganze Anwesen. Der Doktor stellte mir Fragen zu meiner Arbeit und zu mir selbst, und ich erzählte ihm innerhalb von 15 Minuten mehr, als ich meiner besten Freundin in einer ganzen Woche erzählen würde. Er ist die Art von Persönlichkeit, der man Dinge über sich selbst anvertraut, die einem selbst kaum auffallen.

Sie muss vom Augenblick der ersten Begegnung an das Gefühl gehabt haben, dass er sie kannte, dass er sie verstand, dass sie ihm etwas bedeutete. In der Erzählung der Journalistin führt er sie in sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses, von dem aus man den Garten überblickt.

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«Darf ich den Lügendetektor sehen?», fragte ich. «Sie sehen das Gerät direkt an», sagte der Doktor lachend, «oder vielmehr ihn.»

Er erklärt ihr die Wissenschaft der Entdeckung von Lügen und betont dabei, dass sich beim Erzählen einer Lüge der Puls eines Menschen beschleunigt und der Blutdruck steigt. «Das scheint mir nicht möglich zu sein», widersprach ich. «Ich würde nicht die geringste Veränderung meines Herzschlags spüren, wenn ich Ihnen erzählen würde, dass meine Mutter Grace heißt und nicht Ethel.» «Wollen Sie’s versuchen?», fragte Dr. Marston.

Marston befestigt dann eine Blutdruckmanschette an ihrem Arm – das Gerät, für das üblicherweise Olive Byrne selbst zuständig war, wenn sie gemeinsam Experimente vornahmen. «Sagen Sie mir, was Sie gestern Abend gemacht haben – die Wahrheit oder eine Lüge, ganz, wie Sie wollen.» Ich dachte kurz nach. Und dann beschloss ich, schlau zu sein. Ich würde Wahrheit und Lüge vermischen und dann sehen, ob er das eine vom anderen unterscheiden konnte.16

Fast jede Geschichte, die Olive Byrne für Family Circle schrieb, folgt diesem Muster. Ein Problem taucht auf. Unsere unerschrockene Reporterin beschließt, den berühmtesten beratenden Psychologen der Welt zu besuchen. Sie fährt mit dem Zug zu ihm. Sie verbringt eine oder zwei Stunden mit ihm, Watson tauscht sich mit seinem Holmes aus. Dann spickt sie ihren Bericht über diese gemeinsam verbrachte Zeit mit wahren Tatsachen – Marston hatte vier Kinder; Olives Mutter hieß Ethel –, aber das sind eben nur ein paar Inseln der Wahrheit in einem Meer von Lügen. Ich würde Wahrheit und Lüge vermischen und dann sehen, ob er das eine vom anderen unterscheiden konnte. Mal besteht das Problem, das sie mitbringt, in ihrer eigenen Schüchternheit. «Olive Richard» spürt Dr. Marston auf, der seinen Sommerurlaub in Cape Cod verbringt.

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Der Doktor, der fast 14 Kilo abgenommen und sich eine tiefe Bräune zugelegt hatte, begrüßte mich mit seiner gewohnten Herzlichkeit. «Sie machen sich also Gedanken über Schüchternheit», sagte er, nachdem ich ihm erzählt hatte, was mich umtrieb. «Haben Sie ein Glück! Schüchternheit ist ein großer persönlicher Vorzug, wenn Sie sie richtig einsetzen.»

Sie erwähnte ihre eigene Ängstlichkeit  – «Mit einem Menschen zu sprechen, den ich nicht kannte, war mir ein Graus» –, aber den Kosenamen, den er ihr gegeben hatte, erwähnte sie nicht: «Docile». Sie erwähnte nur, welche Gefühle er in ihr weckte. Niemand kann in Dr. Marstons Gegenwart Schüchternheit empfinden. Er ist der Typ, der jede Art von gesellschaftlich motivierter Künstlichkeit beiseitewischt und dafür sorgt, dass man sich uneingeschränkt wohlfühlt. Ich sagte: «Sie sind eine ganz erstaunliche Persönlichkeit.»17

Mal betrifft das Problem, das sie ihm vorträgt, eine junge Frau, die nicht weiß, wie weit sie vor der Hochzeit mit einem Mann gehen sollte. Dr. Marston holte eine Pfeife aus einer vollgepackten Schublade, stopfte sie und brauchte drei Streichhölzer, um sie anzuzünden. «Wie weit sollte eine junge Frau gehen?», wiederholte er. «Ich weiß es nicht. Ich bin weder ein Kommissar beim Sittendezernat noch bin ich ein Glamourgirl. Aber ich kann Ihnen eine ungefähre Vorstellung davon geben, wie ich das bei meiner Tochter sehen würde, wenn sie in das Alter kommt, in dem man sich einen Mann angelt.» «Das genügt vollauf», stimmte ich zu und amüsierte mich mit der Vor­ stellung, wie die Tochter des Doktors wohl mit dem Papa umgehen wird, wenn sie ein paar Jahre älter ist.

(O. A. war erst drei.) «Nun, zunächst einmal sollte die junge Frau verstehen, wie weit man gehen kann, und die Konsequenzen jedes einzelnen Schrittes bedenken. Und dann muss sie entscheiden, wie weit sie mit einem bestimmten Mann gehen muss, um ihm das Gefühl zu geben, dass er für sie etwas Besonderes ist, und an

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welchem Punkt sie innehalten muss, um ihn nicht auf den Gedanken zu bringen, dass sie sich ihm unterwirft.»18

Mal war das Problem eine Frau, die «Ärger mit dem Gatten» hatte. Für die Erörterung dieses Dilemmas verabredet sich unsere Reporterin mit Dr. Marston zum Lunch im Algonquin Club.19 Oder die Liebe selbst ist das Problem. Es spielt keine Rolle, welches Dilemma «Olive Richard» ihrem Gesprächspartner Dr. Marston vorträgt, denn er bezaubert sie unendlich und ganz und gar. Ein großer Teil der Texte, die Olive Byrne für Family Circle schrieb, ist «puff», Lobhudelei (ihr Bruder Jack nannte sie «Puff Richard»).20 So viele von Ihnen haben sich nach Dr. William Moulton Marstons Büchern erkundigt, dass ich es für besser hielt, seine «Emotions of Normal People» noch einmal zu lesen, um meine Erinnerung aufzufrischen. Dr. Marston, der FAMILY-CIRCLE-Psychologe, ist, wie Sie vielleicht wissen, möglicherweise die führende Autorität in diesem Land auf dem Gebiet der Analyse von Gefühlen, er hat auch den Artikel zu diesem Thema für die Encyclopaedia Britannica geschrieben.21

Manches davon dringt jedoch durch und kommt an, auf eine raffinierte Art. Olive Byrne könnte sich auf vielerlei Art selbst beigebracht haben, wie man für eine Zeitschrift schreibt. In Tufts hatte sie für die College-Zeitung geschrieben. Sie lernte schnell. Vielleicht hatte sie Walter B. Pitkins Buch How to Write Stories gelesen. Sie hatte Marstons Zeitschriftenartikel getippt. Sie hatte außerdem mit ihrem Bruder gesprochen. Für Family Circle schrieb sie sogar ein Porträt von Jack. «Olive Richard», die gerne Trivialliteratur schreiben würde, besucht Jack Byrne, Lektor bei Fiction House, um ihn nach Schreibtipps zu fragen. «Nun ja», sagte Mr. Byrne gedehnt, ein erstaunlich junger und gutaussehender New Yorker mit einem irischen Zwinkern in den blauen Augen, «ver­ kraften Sie das, junge Dame? Die Pulp-Welt ist ausschließlich mit ‹starken Männern› bevölkert, und die Mädels müssen wissen, wo ihr Platz ist.»

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Dann erklärt er ihr, dass jeden Monat 200 Pulps veröffentlicht werden, in 43 Heften mit Detektivgeschichten und 41 Heften mit Western, und fünf Hefte seien mit Liebesgeschichten gefüllt, obwohl selbst diese Zahl von Romanzen seiner Ansicht nach noch zu hoch sei. «Die Pulp-Welt verweichlicht», klagte Mr. Byrne. «Selbst ich muss heute einräumen, dass im Verlauf der letzten fünf Jahre das Liebes-Interesse an Geschichten zu einem festen Bestandteil unseres Erzählschemas geworden ist. Das ist ein schlimmer Wandel. Dennoch finden unsere Hefte den größten Zuspruch bei den He-Männern, die ihr Drama gerne stark, schnell und schnörkellos erzählt haben wollen; ihre Helden stark und mutig; und ihre Heldinnen liebreizend, besorgt und schwach.»

Zu diesem Stück gehört auch ein optisch abgesetzter Textkasten, in dem Jack Byrnes Regeln für das Schreiben aufgelistet werden: «SIE MÖCHTEN ALSO GERNE FÜR DIE ROMANHEFTE SCHREIBEN! Okay – hören Sie dann auf den Rat von Jack Byrne, dem Cheflektor von Fiction House.» Unsere Reporterin erwähnt mit keinem Wort, dass der Porträtierte ihr Bruder ist. Aber mit einem Zwinkern in seine Richtung lässt sie durchblicken, dass er nur Blödsinn im Kopf hat. Als ich Mr. Byrne bat, mir etwas über sich selbst zu erzählen, schien er sehr von mir enttäuscht zu sein. «Habe ich Ihnen nicht alles über mich erzählt? Ich bin ein 100-prozentiges Pulp-Produkt.»22

So war sie. Olive Byrne schrieb in Family Circle ihre eigene Art von Trivialliteratur: Frauen-, Mütter-, Hausfrauen-Trivialliteratur. Ihre Family Circle-Geschichten sind erstaunlich spielerisch gehalten – voller Fiktionen und voller Ambitionen. Marston schrieb einen Roman, aber in den 1930 er Jahren war es Olive Byrne, nicht Marston, die sich eingehend mit den Regeln für die Trivialliteratur befasste. Sie war ein 100-prozentiges Pulp-Produkt: eine leidenschaftliche Leserin der Belletristik, eine Studentin der Trivialliteratur und, auf ihre eigene, konsequent zurückhaltende Art, eine wagemutige Autorin. «Ich habe Mühe mit dem F. C.-Artikel», schrieb sie Anfang 1936 in

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ihr Tagebuch. «Ich bin keine Schriftstellerin.» Wenn sie einfach nur die Wahrheit sagen könnte, dachte sie oft, die Wahrheit über ihr eigenes Leben. «Idee zu einer Familiengeschichte beschäftigt mich», vertraut sie ein paar Wochen später ihrem Tagebuch an. «Wünschte, ich könnte schreiben.» Ihre Zuversicht schwand, sie wandte sich an Marston und bat ihn, für sie zu schreiben. «Hatte eine neue Idee für eine Kolumne – Ri machte das unter meinem Namen – für F. C.» Das war immer die mit Marston verbundene Versuchung: sich hinter ihm zu verstecken. Aber der Großteil dessen, was sie unter ihrem Namen in Family Circle veröffentlichte, stammte von ihr selbst. Manchmal entwickelte sich der Schreibprozess langsam: «Begann mit der Arbeit an der F. C.-Geschichte, kam nicht weit.» Manchmal war er langweilig: «Werde vielleicht am F. C.-Stück arbeiten – na ja.» Manchmal zögerte sie die Arbeit hinaus: «Schusterte am F. C.Stück herum.» Aber sie wusste auch, dass manches von dem, was sie schrieb, gut war. «F. C.-Geschichte fertig», berichtete sie. «Nicht schlecht.»23

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DER DUKE OF DECEPTION

«LIE DETECTOR» ,  Olive Byrnes Porträt von William Moulton Marston

in der Zeitschrift Family Circle, lag am 1. November 1935 in Lebensmittelgeschäften aus. Marston teilte am 21. November der Presse mit, ein Rechtsanwalt namens Lloyd Fisher habe ihn gebeten, bei seinem Mandanten Bruno Richard Hauptmann einen Lügendetektor-Test vorzunehmen. Hauptmann war 1934 unter dem Verdacht verhaftet worden, das Lindbergh-Baby ermordet zu haben. Anfang 1935 war er in einem Prozess, der das ganze Land bewegte, schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt worden. Fisher hatte Berufung eingelegt, und am 15. Oktober war Hauptmann ein Aufschub der Hinrichtung gewährt worden, während der Supreme Court in Washington mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens befasst war. Harold G. Hoffman, der Gouverneur von New Jersey, besuchte Hauptmann am 16. Oktober im Gefängnis; beim Gouverneur waren inzwischen Zweifel an Hauptmanns Schuld aufgekommen. Marston sagte der Washington Post: «Durch den Einsatz des Lügendetektors erfahren wir vielleicht neue Fakten über die Entführung und den Mord.»1 Auch Leonarde Keeler wollte Hauptmann testen. Nach dem FryeUrteil waren die Ergebnisse eines solchen Tests nicht als Beweismittel vor Gericht zulässig, aber sie hatten Gewicht bei kriminalistischen ­Ermittlungen; Keelers patentierter Polygraph war bereits zu einem bei Polizeiverhören routinemäßig eingesetzten Mittel geworden. (Er war inzwischen auch bei Unternehmern beliebt: Sie testeten damit gerne

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die Treue und Zuverlässigkeit ihrer Beschäftigten.)2 Im Gegensatz zu Marstons Erklärung gegenüber der Presse hatte ihn Hauptmanns Anwalt nicht darum gebeten, einen Lügendetektor-Test vorzunehmen. «Mr. Lloyd Fisher erwiderte auf Nachfragen zu diesem Bericht, dass er noch nie von Dr. Marston gehört habe», war in einer Tageszeitung zu lesen.3 Im Januar 1936 brachte Marston seinen Lügendetektor zum Amtssitz des Gouverneurs; Hoffman prüfte zu dieser Zeit Hauptmanns Gnadengesuch. «Ich persönlich hätte es gerne, dass ein Blutdrucktest vorgenommen wird», sagte der Gouverneur der New York Times. Mars­ ton sagte, der Test werde mindestens zwei Wochen in Anspruch nehmen, und er würde für seine Dienste einen Tagessatz von rund 100 Dollar verlangen.4 Marston nahm diesen Test nie vor, und der Gouverneur begnadigte Hauptmann nicht. Hauptmann starb am 3. April 1936 auf dem elektrischen Stuhl. Aber Marston, ein arbeitsloser Entdecker von Lügen, hatte binnen weniger Wochen so viel Publicity bekommen wie seit Jahren nicht. Er beschloss, jetzt – solange das Interesse an der Geschichte um die Entführung des Lindbergh-Babys noch so groß war – ein Buch über das Erkennen und die Aufdeckung von Täuschungen zu schreiben. «Ich hoffe, selbst jetzt noch ein lebendes menschliches Wesen zu finden, dessen Gedächtnis Informationen zur Lindbergh-Entführung enthält», sagte er. «Wenn eine solche Person existiert, kann der Lügen­ detektor ihr geheimes Wissen lesen wie einen gedruckten Text.»5 The Lie Detector Test erschien am 10. März 1938. Marston widmete ein Exemplar seinem siebenjährigen Sohn: «Für Byrne Marston – um ihm zu helfen, immer die Wahrheit zu sagen. In Liebe von Daddy.»6 Sein Verleger schickte ein Exemplar an J. Edgar Hoover, den Direktor des FBI, und verband damit die Hoffnung auf ein paar lobende Worte.7 Hoover war nicht grundsätzlich abgeneigt, wenn er um Beiträge für Klappentexte gebeten wurde  – «Herbert  A. Philbrick hat mit seiner furchtlosen Präsentation von Tatsachen in seinem Buch I Led 3 Lives eine herausragende patriotische Pflicht erfüllt», wurde Hoover auf der Rückseite der Enthüllungen eines Doppelagenten zitiert  –, aber bei dieser Gelegenheit sträubte er sich.8 Stattdessen ließ er eine Akte über Marston anlegen.

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Ein großer Teil von The Lie Detector Test ist der Verteidigung von Marstons Behauptung gewidmet, er habe die Wissenschaft der Täuschungsaufdeckung begründet. Keeler hatte ein Patent auf seine Polygraph-Maschine erlangt, aber Marston verwarf diese Errungenschaft und erklärte: «Eine ‹Maschine›, die Lügner entdeckt, hat nie existiert, noch wird sie jemals existieren – es ist ein wissenschaftlicher Test, der in den Händen eines Experten liegt, der das Entdecken von Lügen übernimmt.»9 (Wenn die Leute Marston fragten: «Wo ist der Lügendetektor?», erwiderte er gerne: «Ich bin der Lügendetektor!») Hoovers Büro beauftragte einen FBI-Agenten mit der Begutachtung von Marstons Buch. Der Agent berichtete in einem auf den 11. Mai 1938 datierten Memo: «Das Buch ist insofern typisch für die gesamte Arbeit von Doktor Marston, als es in einem extrem egoistischen Stil verfasst ist und der einzige Zweck des Buches darin zu bestehen scheint, die Tatsache festzustellen, dass Doktor Marston der Erste war, der den Blutdrucktest für die Entdeckung von Täuschungen eingesetzt hat.»10 Marstons Lie Detector Test enthält auch ein Kapitel über James  A. Frye. «Der Fall Frye erwies sich auch als Türöffner für die spätere Zulassung von durch einen Täuschungstest erlangten Beweismitteln bei Gerichtsverfahren», behauptete Marston. (Nichts hätte weiter von der Wahrheit entfernt sein können; der Fall Frye schloss die Tür für diese Art von Beweis.) Marston behauptete außerdem, Frye sei wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt worden, und zwar als Ergebnis eines an ihm vorgenommenen Lügendetektor-Tests. «Was nun Jim Frye anbelangt, so rettete ihm der Test zweifellos das Leben», erklärte Marston.11 Auch das war eine unwahre Behauptung. Frye wurde nicht wegen des weniger schwerwiegenden Verbrechens verurteilt, weil seine Anwälte versucht hatten, Marstons Zulassung als Gutachter zu erreichen (und damit scheiterten), sondern weil Frye in seinem Geständnis erklärt hatte, der Schuss aus der Waffe, mit der der Mord ­begangen worden war, habe sich versehentlich gelöst; im gesamten Prozessverlauf wurde nicht bewiesen, dass der Mord vorsätzlich begangen wurde, was eine Voraussetzung für eine Verurteilung wegen Mordes ist. Niemand verstand diesen Sachverhalt besser als Frye selbst. Nach seiner Verurteilung saß er acht Jahre lang in Leavenworth ein. Dann

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Marstons «Liebesdetektor»-Tests, in: Look, 6. Dezember 1938

verlegte man ihn in ein Bundesgefängnis in Virginia, wo er als Telefonist arbeitete. In dieser ganzen Zeit erklärte er immer wieder seine ­Unschuld. 1934 reichte er ein Gnadengesuch ein. «Der einzige Grund für meine Verurteilung war, dass ich kein Alibi beibringen konnte», schrieb er in diesem Gesuch. Es wurde abgelehnt. Frye glaubte außerdem, dass sein Revisionsantrag gescheitert war, weil seine Anwälte Mattingly und Wood andere Verfahrensfehler ignoriert hatten  – zugunsten von Marstons Versuch, die Zulassung für seine Methode zu erreichen. Frye sagte dazu: «Im Verfahren wurden mehr als 100 Einsprüche erhoben, doch nur die Einsprüche, die sich auf den ‹Lügendetektor› bezogen, wurden der höheren Instanz vorgelegt.» Einem Gnadengesuch, das er 1936 einreichte, legte Frye ein Exemplar von «Lie Detector» bei, Olive Byrnes Marston-Porträt in der Zeitschrift ­Family Circle. Auch dieses Gesuch wurde abgewiesen. Frye wurde erst am 17. Juni 1939 auf Bewährung entlassen, nach mehr als 18 Jahren im Gefängnis. Nach seiner Entlassung aus der Haft richtete er mehrere Gnadengesuche direkt an den Präsidenten. Er bedauerte, dass seine Anwälte ihren Vortrag auf Marstons Glaubwürdigkeit aufgebaut hatten. Außerdem vermutete er, dass auch eine Voreingenommenheit zu

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seiner Verurteilung beigetragen habe: «Wir sind hier in Washington, und die Rassenfrage spielt selbst in den Gerichten eine wichtige Rolle.» Seine Petitionen wurden abgelehnt. Frye starb 1956 in Washington. Er wurde auf dem Arlington National Cemetery begraben.12 Ein großer Teil von The Lie Detector Test ist der Täuschung in Herzensangelegenheiten gewidmet. «Der Tatsache zum Trotz, dass Frauen in sozialen Situationen häufiger als Männer zu Täuschungen greifen, habe ich festgestellt, dass das liebevollere Geschlecht eifrig und ungeduldig bestrebt ist, sich von der Vorspiegelung falscher Tatsachen zu lösen, die intime Beziehungen oder das Wohlergehen ihrer Kinder gefährden.»13 Er wisse dies, sagte er, aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Lügendetektor-Test, aber auch aus seiner Praxis als beratender Psychologe. Regelmäßig kamen Patienten ins Haus in Rye, zum Ärger der Kinder. «Ein wildes Familienhaus mit einem Haufen von Bewohnern musste auf irgendeine Art in ein ruhiges Besitztum auf dem Land verwandelt werden, in einen ländlichen Ruhesitz für Menschen mit schwachen Nerven«, erinnerte sich Byrne Marston. «Man sagte vier Kindern, dass Dad heute einen Patienten erwarte und absolute Ruhe nötig sei. Eine dunkle Limousine fuhr dann langsam die Einfahrt hoch, und eine düstere, deprimiert wirkende Person mittleren Alters stieg aus und verschwand anschließend mit Dad, der für solche Anlässe in seinen guten Anzug schlüpfte, in dessen Bibliothek. Nach ­einer Stunde oder zwei fuhr der Patient wieder fort, Dad kam in seinem ärmellosen Unterhemd wieder, und der normale Radau ging wieder los.»14 Die meisten Fälle von Kummer und Leid diagnostizierte Marston als das Ergebnis von Betrug. «In der Mehrzahl der Fälle, die mir als ­beratendem Psychologen für die Beilegung von Problemen in Liebe und Ehe vorgetragen werden, sind Selbsttäuschungen aufzudecken, ebenso wie Versuche, andere Menschen zu täuschen», erklärte er. «Unter solchen Liebeskonflikten verbirgt sich fast immer ein eiternder psychologischer Kern, der aus Unehrlichkeit besteht.»15 Marston stürzte sich in eine ganze Reihe von Publicity-Aktionen, um sein Buch zu verkaufen. Er organisierte Veranstaltungen für die Presse, bei denen er «Liebesdetektor»-Tests an hübschen jungen Frauen vor-

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nahm. Er wiederholte seine Experimente zum Thema Blondinen versus Brünette.16 Er mietete einen Stand bei der Weltausstellung 1939 in New York. Der elfjährige Pete half ihm beim Bau einer Vorrichtung, die den Lügendetektor-Apparat mit einem Display verband. «Man drückte einen Knopf, und das Licht ging aus», sagte Pete. «Es war wie ein riesiges Thermometer. Mein Dad liebte das.»17 Marston prahlte gegenüber Reportern, dass er die Absicht habe, ein Wahrheitsbüro (Truth Bureau) zu gründen, das mit dem FBI zusammenarbeiten solle.18 Er war in Zeitschriften präsent. Er war in Zeitungen präsent. Er war im CBS-Radioprogramm zu hören. Er sei so beschäftigt, teilte «Olive ­Richard» den Leserinnen von Family Circle mit, dass sie ihn kaum noch zu sehen bekomme: Ich bitte diejenigen unter Ihnen, die an Dr. William Moulton Marston, den FAMILY-CIRCLE-Psychologen, oder mich geschrieben und keine Hilfe erhalten haben, aufrichtig um Entschuldigung. Der vergangene Winter war eine von der Grippe geprägte Jahreszeit. (Dr. Marston hatte sie mindestens zweimal.) Der Hauptgrund, aus dem ich ihn in der letzten Zeit nicht zu sehen bekam, ist jedoch, dass mir so viele andere Leute mit diesem Anliegen zuvorgekommen sind.19

Marstons Bild war am 21. November 1938 in einer Anzeige in der Zeitschrift Life zu sehen, in der er für Gillette-Rasierklingen warb. Er zeigte eine große Aufgeschlossenheit für die Macht der Werbung, der er zugleich mit einem hohen Maß an Zynismus begegnete. Bis zur Mitte der 1930 er Jahre war die Macht der Werbebranche nach und nach auch im Bereich der Politik spürbar geworden. Der Schriftsteller Upton Sinclair bezeichnete 1934 nach dem Scheitern seiner Kandidatur für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien das Werbeunternehmen, das ihn besiegte, als «Lügenfabrik». Marston teilte diese Ansicht weitgehend. Einer der unheimlichsten Gegner von Wonder Woman, der Duke of Deception («Fürst der Täuschung»), betreibt ein Werbeunternehmen namens «Lie Factory». Seine Arbeiterinnen – Sklavinnen – bedienen eine Maschine namens «Lieometer». Ihre Aufgabe besteht darin, «geheime Pläne, Täuschungsmanöver, falsche Propaganda, betrügerische Publicity und unechte Persönlichkeitsprofile» zu verfassen.20

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Aus: «The Duke of Deception», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942

Die Gillette-Anzeigenkampagne war Marstons Idee. Er hatte sich im Frühjahr 1938 an Gillette gewandt. Organisiert wurde die Kam­ pagne von Maxon’s Inc., einer Werbeagentur in Detroit. Die zugrunde­ liegende Idee bestand darin, dass Marston eine Reihe von Tests an Männern vornehmen sollte, während sie sich rasierten. Der Anzeigentext erklärte: «Jeder Proband rasiert sich eine Gesichtshälfte mit einer Gillette-Klinge (…) und die andere Hälfte mit einem Konkurrenzprodukt, ohne zu wissen, welches Produkt wo eingesetzt wird.» Die Ergebnisse seien eindeutig ausgefallen, hieß es im Anzeigentext: «Neun von zehn der von Dr. Marston getesteten Männer geben den GilletteKlingen den Vorzug.»21 Aber in Wirklichkeit waren die Ergebnisse alles andere als eindeutig ausgefallen, wie ein Ermittler der Polizeibehörde von Detroit 1939 ans FBI berichtete. Marston war gebeten worden, seine Rasier-Tests im Polizeipräsidium von Detroit unter der Aufsicht von Polizeibeamten zu wiederholen; bei dieser Versuchsanordnung favorisierten seine Pro-

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Marstons Lügendetektor im Life-Magazin, 21. November 1938

banden die Gillette-Klingen nur noch mit einer Quote von 50 Prozent. John Larson, ein weiterer Polygraph-Experte und Kollege von K ­ eeler, wurde für einen Versuch engagiert, Marstons ursprüngliche, für Gillette günstig ausgefallene Ergebnisse zu wiederholen. Das gelang ihm

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jedoch nicht. Larson behauptete dann, Marston habe versucht, ihn zu bestechen, damit er seine Ergebnisse fälschte, und ihm gesagt, «für ihn selbst seien bei der ganzen Sache etwa 30 000  Dollar drin». Ein FBI-Agent ermittelte zu diesem Fall und schickte Hoover ­einen Bericht. Hoover kritzelte eine abschließende Anmerkung unter dieses Dokument: «Ich war schon immer der Meinung, dass dieser Marston ein Schwindler ist, & das hier beweist es.»22

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MARSTON VERANSTALTETE AM 10. NOVEMBER 1937  eine Pressekonferenz

und wagte dabei eine Vorhersage: Eines Tages würden Frauen die Welt regieren. Die Nachrichtenagentur Associated Press griff die Geschichte auf und verbreitete sie im ganzen Land, Zeitungen von Topeka bis Tallahassee druckten sie. «In 1000 Jahren werden die Frauen herrschen!», verkündete die Chicago Tribune. Und die Los Angeles Times berichtete: «Herrschaft der Frau zur Tatsache erklärt.»1 Die Vorstellung war keineswegs aus dem Nichts entstanden. Betty Boop kandidierte in einem Film, der 1932 in die Kinos kam, für das Präsidentenamt. Andere Kampagnen hatten einen ernsthafteren Hintergrund. «Die amerikanischen Frauen könnten dieses Land in ein Matriarchat verwandeln, wenn sie ihre Macht durchsetzen wollten», sagte eine Rechtsanwältin namens Lillian  D. Rock 1935 zu Journalisten, in dem Jahr, in dem sie die League for a Woman President and Vice President gründete. Und sie redete nicht über etwas, was noch 1000 Jahre in der Zukunft lag. Eine Frau werde innerhalb der nächsten 20 Jahre ins Präsidentenamt gewählt, sagte Rock: «Da bin ich mir sicher.» Es war schließlich die Zeit von Eleanor Roosevelt. Rock bezeichnete 1935, drei Jahre bevor Superman seine ersten Auftritte in Comic-Heften hatte, die Frauen, die sie für die geeignetsten Kandidatinnen für die Präsidentschaft hielt, als «super women». Sie vertrat die Ansicht, Mary Woolley, die Präsidentin des Mount Holyoke College,

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würde eine besonders starke Kandidatin abgeben. Und es könne vielleicht noch 20 Jahre dauern, bis es eine Präsidentin gebe, meinte Rock, aber sie erwarte, dass das amerikanische Volk «1936 oder 1940 eine Vizepräsidentin wählt».2 Mit dieser Einschätzung war sie nicht allein. Franklin D. Roosevelts Sekretär und Berater Louis Howe schrieb 1935 im Woman’s Home Companion: «Innerhalb des nächsten Jahrzehnts wird nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Ratsamkeit, eine Frau zur Präsidentin der Vereinigten Staaten zu wählen, Aus: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943 zu einer sehr ernsthaft erörterten Frage werden. Und wenn die wesentlichen Probleme so weiterbestehen wie zurzeit – in humani­ tären Fragen, in der Erziehung und Bildung –, liegt es nicht außerhalb des Bereichs der Möglichkeiten, dass eine Frau nicht nur nominiert, sondern auch gewählt werden könnte, und zwar auf Grund der Tat­sache, dass Frauen solche Fragen besser verstehen als Männer.»3 Marston ging theatralischer vor. Er machte seine Ankündigung auf einer zweistündigen Pressekonferenz im Harvard Club in New York bekannt und redete dabei so viel über seine Qualifikationen als einer der einflussreichsten Psychologen weltweit, dass die New York Times ihn unzutreffenderweise als «ehemaligen Direktor des psychologischen Labors von Harvard» bezeichnete.4 Ein Matriarchat sei unvermeidlich, sagte Marston. Und die Washington Post versah ihren Bericht mit der Überschrift: «Vernachlässigte Amazonen werden in 1000 Jahren die Männer beherrschen, sagt ein Psychologe.» «Frauen durchlaufen im Vergleich zu Männern eine

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doppelt so umfangreiche emotionale Entwicklung zur Liebesfähigkeit», erklärte Marston. «Und da sie eine ebenso große Fähigkeit zum Erfolg in weltlichen Dingen entwickeln, wie sie in der Liebe bei ihnen bereits vorhanden ist, werden sie in Zukunft eindeutig das Wirtschaftsleben, die Nation und die Welt beherrschen.» Es werde ein neues Geschlecht von Amazonen entstehen: «In den kommenden 100  Jahren werden wir den Beginn eines amerikanischen Matriarchats erleben – eine Nation von Amazonen, aber eher im psychologischen als im körperlichen Sinn», prophezeite er. «In 500  Jahren wird es zu einem ernsthaften Geschlechterkampf kommen. Und in 1000 Jahren werden Frauen dieses Land definitiv beherrschen.»5 Marstons Ansichten zur Überlegenheit von Frauen bezogen sich auf die im Lauf von Jahrhunderten entstandenen Schriften von Frauen, er bediente sich vor allem massiv bei der Philosophie der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts und ihrer besonderen Betonung der moralischen Überlegenheit von Frauen  – ihres «engelsgleichen» Wesens. Wenn Carrie Chapman Catt erklärte, warum Frauen das Wahlrecht verdienten, sagte sie unter anderem, dass Frauen liebevoller  – weil mütterlich – seien und wählen sollten, weil sie gesellschaftliche Pro­ bleme unter einem bestimmten Blickwinkel betrachteten.6 So dachte auch Louis Howe in den 1930 er Jahren. Aber die Feministinnen des 20. Jahrhunderts hatten eher dazu geneigt, sich von Argumenten für (Frauen-)Rechte abzuwenden, die auf der Vorstellung von Differenz beruhten, und stärker die Gedanken zur Gleichheit hervorgehoben. Als Inez Haynes Gillmore, Mitglied der National Woman’s Party und Autorin des Romans Angel Island, 1933 eine Darstellung eines Jahrhunderts des politischen Aktivismus von Frauen verfasste, gab sie ihr den Titel Angels and Amazons.7 Aber Gillmores – und manchmal auch Marstons  – wichtigstes Argument war, dass es schrecklich sei, ein ­Engel zu sein. (Als Steve Trevor Wonder Woman einen «Engel» nennt, ­reagiert sie ungehalten. «Was ist ein Engel?», fragt sie. «Ich möchte lieber eine Frau sein.»)8 Aber eine Feministin des 20. Jahrhunderts, die weiterhin Argumente im Stil des 19. Jahrhunderts vortrug, die auf der mutmaßlichen Überlegenheit von Frauen beruhten, war Margaret Sanger. «Sie sagte,

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Frauen seien ganz großartig, nach ihrem Gefühl seien sie die Kraft der Zukunft», erzählte ihre Enkelin später. «Sie gebrauchte genau diese Worte: ‹Frauen sind die Kraft unserer Zukunft.› Sie kümmern sich um die Kultur und die Tradition und die Rollen, und sie bewahren das, was gut ist. Männer sind meist Zerstörer.»9 Frauen seien die Zukunft des Menschengeschlechts, dachte Sanger. Marston teilte diese Ansicht. Die Pressekonferenz, bei der Marston ein Matriarchat vorhersagte, gehörte zur Werbekampagne für ein neues Buch mit dem Titel Try ­Living, eine Sammlung von Essays zum Thema Selbsthilfe, die er zuvor in beliebten Zeitschriften wie dem Rotarian veröffentlicht hatte.10 «‹TRY LIVING› zu Ende getippt», schrieb Olive Byrne am 10. Juli 1937 in ihr Tagebuch. «Sieht gut aus.»11 Das Buch erschien am 1. Oktober.12 Marstons Hauptargument in Try Living lautet, dass man sein Glück finden kann, indem man das tut, was man liebt. Bei seiner Matriarchats-Pressekonferenz führte er sechs erfolgreiche und berühmte Persönlichkeiten an, deren Lebensläufe diese Glücksformel veranschaulichten. Die New York Times berichtete: «Diese Menschen sind – in der Rangfolge der Bedeutung ihrer Beiträge, die sie seiner Meinung nach zum allgemeinen Fortschreiten der Menschheit geleistet haben – Henry Ford, Mrs. Margaret Sanger, Präsident Roosevelt, Thomas  E. Dewey, Helen Hayes und Bürgermeister La Guardia.»13 Margaret Sanger war in den 1930 er Jahren die bekannteste Feministin der Welt. «Wenn die Geschichte unserer Kultur geschrieben wird, wird es eine biologische Geschichte, und Margaret Sanger wird ihre Heldin sein», sagte H. G. Wells 1935. Sie traf sich in London mit Jawaharlal Nehru; in Indien diskutierte sie mit Mahatma Gandhi. Ihr Bild erschien 1937 auf den Titelseiten von Time und Nation; in Life wurde ihre Lebensgeschichte in einem vierseitigen Bildteil erzählt. Sie erreichte etwas, was sie selbst als den «größten juristischen SIEG des Birth Control Movement» bezeichnete: Nach der Teilnahme an einer Konferenz in Zürich hatte sie dafür gesorgt, dass japanische Pessare – Diaphragmen – in die Vereinigten Staaten geschickt wurden; US-Zollbeamte beschlagnahmten und vernichteten die Lieferung, eine Entschei­ dung, gegen die geklagt wurde. Der Second Circuit Court of Appeals entschied im Verfahren United States v. One Package of Japanese Pessa-

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Von links: Byrne, O. A., Marston, Donn und Pete in Cherry Orchard, 1938

ries, dass die Empfängnisverhütung nicht gegen die gesetzlichen Bestimmungen gegen obszönes Verhalten verstößt, wenn sie von einem Arzt verschrieben wurde; das Urteil befreite die Empfängnisver­ hütung effektiv vom Ruch der Obszönität. Schließlich befürwortete 1937 auch die American Medical Association, die größte ärztliche Standesvertretung des Landes, die Empfängnisverhütung.14 Ein Matriarchat, tat Marston vor Reportern kund, sei unausweichlich. In dem Jahr, in dem Margaret Sanger ihren bis dahin größten Sieg errang und William Moulton Marston eine Pressekonferenz über die Herrschaft der Amazonen abhielt, tippte Olive Byrne die Manuskripte seiner Bücher ab und zog seine Kinder auf, und Sadie Elizabeth Holloway sorgte auch für seinen Lebensunterhalt.15 Ein Matriarchat war Cherry Orchard nicht.

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Holloway arbeitete den ganzen Tag. Mit dem Sieben-Uhr-Zug fuhr sie morgens in die Stadt, und abends kam sie mit dem Sieben-Uhr-Zug nach Hause. Marston trug, aller Energie und eifriger Schreibtätigkeit zum Trotz, nur wenig zum Familieneinkommen bei, und nichts davon floss regelmäßig. Was Olive Byrne durch ihre Texte für Family Circle verdiente, kann nicht viel gewesen sein. Zählte man Huntley noch mit, hatte Holloway mit ihrem Gehalt für sieben Personen zu sorgen. 1936 füllte sie einen Fragebogen aus, den das Mount Holyoke College an Absolventinnen verschickte: «Führen Sie den Haushalt?» «Ja.» «Ist das Ihre Hauptbeschäftigung?» «Nein.» «Wie verbringen Sie Ihre Zeit: Sind Sie ehrenamtlich tätig, engagieren Sie sich kirchlich, künstlerisch, sportlich?» Holloways Antwort bestand aus zwei Wörtern: «Keine Freizeit.»16 Olive Byrne fragte eines Tages alle Kinder des Hauses, was sie gerne tun würden, wenn sie einmal erwachsen sind. Pete, damals acht Jahre alt, sagte, er wolle Schriftsteller werden. Der fünfjährige Byrne wollte Psychologe werden. Donn, vier Jahre, wollte Mutter sein. Und O. A., drei Jahre alt, wollte Ärztin werden. Marston fragte O. A. eine Woche später, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sei. O. A. antwortete: «Oh, ein Junge, nehm’ ich an.»17 Die Kinder wussten, welche der Frauen ihre Mutter war – Pete und O. A. gehörten zu Holloway (sie nannten sie Keets), Byrne und Donn zu Olive (Dots). Allen Kindern wurde erzählt, der Vater von Byrne und Donn sei ein Mann namens William Richard, und er sei tot. Nicht alle Kinder glaubten das. Donn, der Marston sehr ähnlich sah, hatte seine Zweifel. Und Pete betrat einmal Olives Schlafzimmer, als sein Vater und Olive Sex miteinander hatten. Sie erzählten ihm, sein Daddy sei krank, und Dotsie sorge dafür, dass es ihm wieder besser gehe.18 Als der Volkszähler an der Tür stand, erzählte man ihm, Huntley sei eine «Untermieterin» und Olive sei eine «Schwägerin».19 Fragte jemand nach den Familienverhältnissen, wurde von den Kindern erwartet, dass sie das Thema wechselten. («Das Warum und Weshalb der Familienverhältnisse wurde nie mit den Kindern bespro-

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chen – niemals», sagte Pete.)20 Alle Hausbewohner wussten ganz genau, dass Olive die Mutter von Byrne und Donn war, aber Holloway, die beide adoptiert hatte, war auch ihre Mutter.21 «Das war ein bisschen verwirrend», sagte O. A., nicht zuletzt, weil sie und Donn in der Schule in eine Klasse gingen. «Wie kann er dein Bruder sein, wenn er nur sechs Monate älter ist als du?», fragten die anderen Kinder sie.22 Holloways Kinder hielten jahrzehntelang an der Geschichte fest, dass Olive eine Hausangestellte sei – die Haushälterin der Familie. «Sie war die Haushälterin und kümmerte sich um die einfachen alltäglichen Aufgaben wie das Einkaufen und ähnliche Dinge», behauptete O. A. noch 1999 in einem Interview.23 Sie mochten diese Geschichte so erzählt haben. Aber so lebten sie nicht. Am 4. November 1937, in der Woche bevor Marston der Welt die Unvermeidlichkeit der Amazonenherrschaft verkündete, sagte die vierjährige O. A. zu Olive Byrne: «Ich wäre gerne dein Kind.» «Das bist du doch.» «Dann wäschst du mich jeden Abend & Keetie macht das bei Pete.»24 Als O. A. einmal wütend auf Holloway war, schrie sie ihre Mutter an: «Oh, ich wünschte, ich wäre nie aus dir herausgekommen – ich wäre lieber aus Dotsie gekommen!»25 Es kann kein einfaches Zusammenleben gewesen sein. «Für was sind Mamis, Daddys und Keeties überhaupt gut?», fragte O. A. Olive antwortete ruhig: «Das kann ich dir auch nicht sagen.»26 Marston verbrachte den größten Teil seiner Zeit in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock. Dort hatte er seinen Lügendetektor und einen Messing-Aschenbecher. Er arbeitete hauptsächlich im Liegen auf einem Schlafsofa und trug dabei nur seine Unterwäsche, ein ärmelloses Unterhemd und Hausschuhe. Er hielt dort auch gerne ein Schläfchen. Bei kaltem Wetter trug er einen ausgebleichten blauen Wollpullover, der mit Zigarettenlöchern übersät war, und bequeme Leinenhosen. Er war fettleibig geworden. Er wog mehr als 135 Kilo. (Holloway kaufte ihm ein Exemplar eines Diätbuchs mit dem Titel Eat and Reduce, doch das führte zu keinerlei Verbesserung.)27 Wenn er aufstand, quietschten

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die Dielenbretter. Er rauchte Philip-Morris-Zigaretten aus Dosen mit 50 Stück – die Kinder benutzten die Dosen gerne für die Errichtung von Forts für Spielzeugsoldaten. Er trank Rye Whiskey und Ginger Ale, morgens und abends. Das Klavier im Erdgeschoss stand genau unter seinem Arbeitszimmer. Wenn jemand darauf spielte, trommelte er auf den Fußboden und brüllte: «Ich schreibe!»28 Er schrieb für Esquire. Er schrieb für den Rotarian. Für Your Life schrieb er 1939 einen Artikel zum Thema: «Was sind Ihre Vorurteile?» Der Text ist ein Plädoyer gegen Intoleranz. «Tolerante Menschen sind die glücklichsten Leute», betonte er, also: «Warum werden Sie nicht die kostspieligen Vorurteile los, die Sie einschränken?» Er zählte die «Sechs häufigsten Arten von Vorurteilen» auf: 1. Vorurteile gegen Ausländer oder Rassen, denen man verachtenswerte Eigenschaften unterstellt. 2. Religiöse Vorurteile. 3. Klassenvorurteile. 4. Vorurteile gegen sexuelle Freizügigkeit. 5. Männliche Vorurteile gegen erfolgreiche Männer und weibliche Vorurteile gegen verführerische Frauen. 6. Vorurteile gegen unkonventionelle Menschen und Nonkonformisten.29 Die Kinder schoben Mitteilungszettel unter seiner Tür durch. Marston besaß einen Schreibblock mit Memo-Papier und dem Absendervermerk «Memorandum vom Schreibtisch von Dr. W. M. Marston». Er benutzte dieses Papier für die Streitschlichtung. Auf einem Blatt dieses Memo-Papiers handelte er einen mit rotem Stift festgehaltenen Waffenstillstand zwischen dem neunjährigen Byrne (sein Kosename war Whoopsie-Doodle, oder, kurz, Dood, weil er sich gerne von einem Schaukelpferd fallen ließ und dabei «Whoopsie Doodle!» rief) und der siebenjährigen Olive Ann aus (ihr Kosename war Doggie, weil sie in ­einem Schultheaterstück einmal einen Hund spielte).

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Memorandum vom Schreibtisch von Dr. W. M. Marston: Lieber Dood – es ist mir egal, wer was gemacht hat. Ich wünsche mir nur, dass unsere Doggie wieder glücklich ist, weil sie auf der Couch sitzen darf, so wie sie sich das wünscht. Bitte einigt euch! Euer Daddy.

Byrne antwortete auf der Rückseite des Zettels: Okay! Wenn du ihr sagst, dass sie nicht mehr mit Pete streiten und mich nicht mehr ärgern soll. Byrne Marston.30

Marston schrieb ein Gedicht für Pete: «Moulton Marston hurried home / An hour late for dinner / Dotsie said, ‹You’re just in time / To get a little thinner.›» («Moulton Marston rannte nach Haus  / ’ne Stunde zu spät zum Dinner / Dotsie sagte: ‹Du kommst grade recht / Und wirst jetzt ein bisschen dünner.›»)31 Die Marston-Kinder wurden innigst geliebt. Olive war ganz vernarrt in sie; Holloway war stolz auf sie. Huntleys von Weihrauchduft erfülltes Mansardenzimmer war ein Ort, an den sie sich zurückziehen konnten, wenn sie Ruhe brauchten. Marston stellte die Regeln auf.32 Seine Tagebücher und Briefe sind voller Geschichten von Geburtstagspartys, Geschenken und Fahrten zu Schulen, er sah zu, wie Byrne mit sechs Jahren Purzelbäume schlug und mit acht Jahren Trompete spielte. Er trug O. A. auf seinen Schultern umher.33 «Sieben Gutenacht­ umarmungen OOOOOOO und einen Gutenachtkuss X», schrieb Mars­ ton unter einen Brief an Byrne, der in einem Sommercamp war. «Ich flüstere: ‹Ich liebe Dich.›»34 «Verbrachte den Abend mit dem Zusammenbauen von O. A.s Puppenhaus», schrieb Marston an Heiligabend 1938 in sein Tagebuch. Die Kinder wachten um sieben Uhr morgens auf und öffneten ihre Strümpfe, die im Bibliothekszimmer aufgehängt waren. Nach dem Frühstück packten sie unter dem Weihnachtsbaum ihre Geschenke aus. «Peter gefallen seine Skier am besten», schrieb Marston in sein Tagebuch. «Dood seine Puppen, Donn seine Farm-Tiere (und sein Punchingball fast genauso), und O. A. schenkte ihrem Puppenhaus nicht die geringste Beachtung. Fröhliche Weihnachten.»35

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Marston war hingebungsvoll und leidenschaftlich zärtlich, vielleicht sogar zu zärtlich. Er bestand darauf, dass O. A. jeden Abend zu ihm ins Arbeitszimmer kam, «Gute Nacht, Daddy» sagte und ihn auf den Mund küsste. Sie weigerte sich jeden Abend. «Herrgott noch mal», sagte Olive dann, «lauf einfach rein, küss ihn schnell und bring es hinter dich.»36 An den Wochenenden arbeitete Holloway im Garten oder nahm O. A. mit in die Stadt zum Einkaufen oder brachte sie zur Ballettstunde. «Keets lernt jetzt das Fahrradfahren, hat ihre Mühe damit und fährt mit O. A.s Rad, sie vergisst nur, die Bremsen zu benutzen, und am Samstag hat sie sich überschlagen», schrieb Olive an einem Sommertag an Byrne.37 Sonntags veranstaltete Marston den von ihm so bezeichneten Sunday Five Club. Anstatt die Kinder zur Kirche zu schicken, diskutierten sie miteinander über den Sinn des Lebens.38 Marston berief am 23. Juni 1935 die erste Versammlung des Sunday Five Club ein, als die Kinder sieben, vier, drei und zwei Jahre alt waren, aber nur die beiden Ältesten, Pete und Byrne, sagten etwas. «Fragte sie, was Gott sei», schrieb Marston in sein Tagebuch. Byrne: «Ein riesengroßes Zahnrad.» Pete: «Alle Gesetze, die es gibt.»39 Das ging jahrelang so. «Wir alle hassten es», schrieb Byrne später. «Die Frauen fingen uns ein und bugsierten uns, weil wir es alle nicht ­eilig hatten, in Dads Arbeitszimmer.» Bei diesen Versammlungen ging es weniger um Diskussion als um Indoktrination. «Der Zweck der ­Versammlung war, uns Dads Grundsätze und Theorien einzutrichtern, vor allem die zum Thema Liebe gegen Gewalt», sagte Byrne. Die Kinder stritten sich natürlich und schlugen sich auch, und das hartnäckige Beharren ihres Vaters darauf, dass sie einander lieben sollten – dass O. A. auf einen Rippenstoß mit einem Kuss reagieren sollte –, kam bei den Kindern nicht gut an.40 Dennoch nahmen sie diese Ansichten in sich auf, diesen Mischmasch aus der Lehre vom Zeitalter des Wassermanns und Psychologie und Feminismus. «Es war die Philosophie, dass die Gesetze des Planeten Erde Kräfte sind, die durch Liebe gebunden werden, und die Liebe ist an Weisheit gebunden», sagte O. A., und dass «Frauen mehr Macht haben könnten, wenn sie Gewalt einsetzen würden, die in Liebe eingebettet ist, oder Liebe, die auf Weisheit beruht.»41

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Marston unterzog jedes seiner Kinder einem Intelligenztest. «IQ 173!», schrieb er über Byrne in sein Tagebuch. Er informierte die Kinder sofort über ihre Ergebnisse, aus denen sich eine Rangliste ergab, die von Byrne über Donn und Pete bis hinunter zu O. A. reichte und allen Betroffenen endlosen Kummer bereitete. Marston beschloss, dass Byrne zwei Schulklassen überspringen sollte.42 Die Kinder verteidigten sich gegen diese spalterischen Einflüsse, indem sie einen Bund schmiedeten. Im Sommer 1939, als sie elf, acht, sieben und sechs Jahre alt waren, gründeten sie eine Familienzeitung, den Marston Chronicle. Pete war der Chefredakteur, Byrne war der Feuilletonchef und Grafiker, und Donn und O. A. bildeten die Nachrichtenredaktion. (Olive Byrne übernahm das Tippen.) Die Aufmacher­ geschichten verfasste Donn: BYRNE VERLIERT ZAHN

Rye, 18. Juli. Byrne verlor einen Schneidezahn im Unterkiefer und hofft jetzt, dass ihm die Feen heute Nacht zehn Cents unters Kopfkissen legen werden. HUNDEKAMPF

Lucky, unser neuer Hund, wurde bei einem Hundekampf von einem anderen Hund gebissen. Wir brachten ihn zum Tierarzt, der uns sagte, die Verletzungen seien nicht schlimm.

Pete schrieb unter dem Titel «Wer zuerst kommt, mahlt zuerst» eine Geschichte über ein Kind, das die Weltausstellung besuchen will; O. A. steuerte eine Zeichnung bei. Und Byrne schrieb einen aus zwölf Bildern bestehenden Comicstrip: «Die Abenteuer von Bobby Doone» stellten sein Alter Ego in den Mittelpunkt, einen Jungen, der sich auf eine Auto­ fahrt zum Haus seiner Großmutter in Massachusetts begibt, wo er mit dem Bajonett seines Urgroßvaters spielt und großen Ärger bekommt, als er es zerbricht.43 Es handelte sich um Captain Moultons Bajonett aus dem Bürgerkrieg, das in einem Wandschrank in Cliftondale aufbewahrt wurde, William Moulton Marstons Zuhause in Kindertagen. Die Kinder wuchsen im goldenen Zeitalter der Comic-Hefte heran.

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Comicstrips, auch «Funnies» genannt, waren erstmals in den 1890 er Jahren in Tageszeitungen erschienen. Aber Comic-Hefte gab es erst seit den 1930 er Jahren. Mehr oder weniger erfunden hatte sie Maxwell Charles Gaines (alle Welt nannte ihn Charlie), ein ehemaliger Grundschulrektor, der für die Eastern Color Printing Company in Waterbury, Connecticut, als Vertreter arbeitete, als er die Idee hatte, die in den Sonntagszeitungen erscheinenden Seiten mit «Funnies» könnte man auch preisgünstig zusammengeheftet drucken und als Zeitschriften oder «ComicSheena, Königin des Dschungels, in: Hefte» verkaufen. Gaines begann Jumbo Comics Nr. 20, Oktober 1940, 1933 mit dem Verkauf des ersten erschienen bei Fiction House, Comic-Hefts an Zeitungskiosken; wo Olive Byrnes Bruder Jack als es hieß Funnies on Parade. Lektor arbeitete Comic-Hefte waren zunächst nur ausgeschnittene und aneinan­ dergeheftete Strips; doch schon bald wurden sie zu etwas anderem. Gaines verstand Comic-Hefte als eine gänzlich neuartige Kunstform, deren Bezug zum in Tageszeitungen erscheinenden Comicstrip dem der frühen Stummfilme zu Fotografien nicht unähnlich war.44 Auch die Comic-Hefte waren für ihn eine Art Film. Das Heft Detective Comics erschien erstmals 1937. Superman, geschrieben und gezeichnet von Jerry Siegel und Joe Shuster, gab sein Debüt in der ersten Ausgabe von Action Comics im Juni 1938. Superman war nicht aufzuhalten; Gaines verkaufte schon bald eine Million Superman-Comics pro Monat.45

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Olive Byrnes Bruder Jack begann bei Fiction House ebenfalls mit der Produktion von Comics, der Einstieg erfolgte mit Jumbo Comics im September 1938. In der ersten Ausgabe trat auch eine Figur auf, die Will Eisner und S. M. Iger im Vorjahr in London entwickelt hatten: Sheena, die Königin des Dschungels, das weibliche Pendant zu Tarzan. Jack Byrnes Verlag Fiction House wurde für seine kraftvollen, unbesiegbaren Heldinnen bekannt. Fiction House beschäftigte mehr als 20 Künstlerinnen, und das in einer Zeit, in der viele Verlage überhaupt keine Frauen für den künstlerischen Bereich einstellten.46 Die Beliebtheit von Comics nahm mit atemberaubendem Tempo zu. Gaines, der dazu neigte, außerhalb des Sekretariats überhaupt keine Frauen zu beschäftigen, brachte ab 1939 die All-American Comics heraus. Im gleichen Jahr wurde Superman zur ersten Comic-Heft-Figur, der ein eigenes Heft gewidmet war; er war außerdem auch im Radio zu hören.47 Die erste Batman-Geschichte erschien im Mai 1939 in der Nr. 27 der Detective Comics. Drei Monate später zeichnete Byrne Holloway Marston, der Grafiker des Marston Chronicle, die erste Folge der «Abenteuer von Bobby Doone». Im Jahr 1939 las nahezu jedes Kind in den Vereinigten Staaten ­Comic-Hefte. Eine Art des Schreibens, die es nur wenige Jahre zuvor noch gar nicht gegeben hatte, schien das ganze Land übernommen zu haben. Comic-Hefte waren billig – der übliche Heftpreis lag bei zehn Cent –, und die Kinder konnten sie von ihrem eigenen Geld kaufen. Die Hefte waren überall zu haben: in Lebensmittelgeschäften, an Kiosken und in Drugstores. Die Kinder tauschten sie untereinander. Sie verschlangen sie dutzendweise. Ihre Eltern kamen aus dem Staunen nicht heraus. Jack Byrnes Arbeitgeber Fiction House stellte im März 1940 in den Planet Comics «Amazona, the Mighty Woman» vor. Erzählt wird hier die Geschichte einer «Frau von unerreichter Kraft und unübertreff­ licher Schönheit» namens Amazona: «Sie und ihr Volk sind die letzten Überlebenden einer Superrasse, die im Verlauf der letzten Eiszeit zugrunde ging.» Entdeckt wird Amazona von einem amerikanischen ­Reporter namens Blake Manners, dem einzigen Überlebenden einer Polarexpedition. Sie verliebt sich in ihn: «Amazona, die von dem gutaussehenden Fremden fasziniert war, wollte nicht, dass er wieder fort-

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ZWEITER TEIL: FAMILIENKREIS

Aus: «Amazona, the Mighty Woman», in: Planet Comics Nr. 3, Mai 1940, ebenfalls bei ­ Jack Byrnes Arbeitgeber Fiction House erschienen

ging.» Aber er will in die Vereinigten Staaten zurückkehren. «Schließlich überredet sie Blake dazu, sie auf die Rückreise in die Zivilisation mitzunehmen.» Sie bekommt sein Schiff wieder frei, indem sie mit ­ihrer «erstaunlichen Kraft» das den Schiffsrumpf umschließende Eis entfernt. In Amerika erweist sie sich dann als wild und leicht reizbar. Als ein Taxifahrer sie als «süßes Mädchen» anspricht, verpasst sie ihm eine Ohrfeige, verwandelt sein Fahrzeug in einen Schrotthaufen und gibt zurück: «Ich zeig’ dir, was für ein süßes ‹Schätzchen› ich bin!»48 Die Amazonen waren im Aufwind. «Ich weiß aus der Beobachtung in meinem eigenen Haushalt, dass Kinder die sogenannten Funnies morgens, mittags und – leider – auch abends lesen», schrieb Olive Byrne. Bei ihrer Zählung kam sie auf 84 verschiedene Comic-Hefte, die die Kinder lasen und tauschten.49

21. HERRSCHAFT DER FRAU ZUR TATSACHE ERKLÄRT



Die Comic-Lektüre war eine Möglichkeit, in Cherry Orchard einen Augenblick der Ruhe zu erleben; Ruhe war an diesem Ort ansonsten ein knappes Gut. Marston war massig und er war laut und er trank und dröhnte, wenn er wütend war. Eines Abends brüllte ein frustrierter Marston am Abendessentisch: «Wenigstens bekomme ich immer noch eine Erektion!»50 Er war die lauteste, aber zugleich auch die lächerlichste Person im Haus. «So, so, Bill», pflegte Holloway zu sagen, wenn Marston zu schwadronieren anfing. Und dann wartete sie schweigend darauf, dass er den Mund hielt. Die Kinder lasen die Comics. Holloway verdiente das Geld. Huntley brannte im Dachgeschoss Weihrauch ab. Olive kümmerte sich um alle und alles und stahl sich die Zeit, die sie für ihre Artikel in Family Circle brauchte. Und William Moulton Marston, der Letzte der Moultons von Moulton Castle, der Lügendetektor, der die Herrschaft der Frau zur Tatsache erklärte, wurde verhätschelt, und man ließ ihn gewähren. Immer wieder war er aufgebracht, wütete und brüllte, und dann flüsterten die Frauen den Kindern zu: «Am besten beachtet man ihn gar nicht.»51

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★ DRITTER TEIL ★

PARADIESINSEL

Aus: «America’s Wonder Women of Tomorrow», in: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943

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SUPREMA

ES BEGANN MIT EINER PISTOLE.   Die Wehrmacht überfiel am 1. September 1939 Polen. Großbritannien und Frankreich erklärten Deutschland zwei Tage später den Krieg. In der Detective-Comics-Ausgabe vom Oktober 1939 tötete Batman einen Vampir, indem er ihm Silberkugeln ins Herz schoss. In der nächsten Nummer feuerte Batman mit einer Waffe auf zwei üble Schurken. Whitney Ellsworth, Redaktionsleiter bei DC, sah beim ersten Blick auf die nächste Folge, dass Batman schon wieder eine Schusswaffe abfeuerte. Ellsworth schüttelte den Kopf und sagte: Nehmt die Waffe raus.1 Batman hatte im Mai 1939 in Detective Comics debütiert, in genau dem Monat, in dem der Supreme Court in Washington sein Urteil in Sachen United States v. Miller verkündete, einem wegweisenden Verfahren zur Regulierung des Umgangs mit Schusswaffen. Es ging dabei um die Verfassungsmäßigkeit zweier Waffengesetze, des National Firearms Act von 1934 und des Federal Firearms Act von 1938, die den ­privaten Besitz von automatischen Waffen mit abschreckend hohen Steuern belegten, für den Besitz von Handfeuerwaffen eine Lizenz verlangten, Wartezeiten für Käufer und Kriterien für die Genehmigung vorsahen. Die National Rifle Association (zur damaligen Zeit war die NRA ein Sportschützen-Verband) befürwortete die Gesetze. Aber die Waffenhersteller gingen juristisch dagegen vor und begründeten dies mit dem Argument, eine Einschränkung des Waffenbesitzes durch die Bundesregierung verstoße gegen den 2. Zusatzartikel.

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DRITTER TEIL: PARADIESINSEL

Roosevelts Solicitor General Robert H. Jackson hielt dagegen, der 2. Zusatzartikel habe nichts mit einem privaten Recht auf Waffenbesitz zu tun; es gehe dabei nur um das Tragen und den Gebrauch von Waffen für die ­gemeinsame Verteidigung und Sicherheit. Der Oberste Gerichtshof schloss sich dieser Auffassung einstimmig an.2 Die Entwaffnung des Dark Knight durch Detective Comics in einer Zeit, in der in Europa bereits der Krieg wütete, erfolgte aus Respekt vor einer hoch geschätzten amerikanischen Vorstellung zur Trennung von zivilem und militärischem Leben. SuperAus: «The Batman Wars Against the helden waren keine Soldaten; sie Dirigible of Doom», in: Detective waren Privatleute. Und deshalb Comics Nr. 33, November 1939 verfasste einer der Batman-Autoren Ende 1939 eine neue Herkunftsgeschichte für ihn: Bruce Wayne war noch ein kleiner Junge, als seine Eltern vor seinen Augen erschossen wurden. Batman besaß nicht nur keine Schusswaffe; Batman hasste Schusswaffen.3 Der Hass auf die Waffen war das, was ihn zu Batman werden ließ. Batmans neue Backstory besänftigte seine Kritiker, ließ sie aber keineswegs verstummen. Die Chicago Daily News erklärte den ComicHeften am 8. Mai 1940 den Krieg. «Jeden Monat werden Sex-HorrorSeriengeschichten dieser Art im Wert von zehn Millionen Dollar verkauft», schrieb Sterling North, der Literaturchef des Blattes. «Eltern und Lehrer in ganz Amerika müssen sich zusammenschließen, um die ‹Comic›-Zeitschrift zu erledigen, wenn wir keine kommende Generation erleben wollen, die noch wilder und hitziger ist als die gegenwärtige.» 25 Millionen Leserinnen und Leser baten um einen Nachdruck

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von Norths Artikel, in dem der Autor Comic-Hefte als «nationale Schande» bezeichnet hatte.4 Deutschland besiegte Frankreich im Juni 1940. Ein großer Teil der Kontroverse um Comic-Hefte bezog sich zu diesem Zeitpunkt auf ­Superman, der auf sehr viele Menschen mittlerweile wie ein Faschist wirkte. Comic-Hefte würden «nur eine Generation von SA-Leuten hervorbringen», prophezeite der Lyriker Stanley Kunitz im Library Journal. Die New Republic veröffentlichte im September 1940 den ­Essay «The Coming of Superman» aus der Feder des Romanciers Slater Brown. «Superman, schön wie Apoll, stark wie Herkules, ritterlich wie Lancelot, schnell wie Hermes, verkörpert all die traditionellen ­Attribute eines Gott-Helden», schrieb Brown, aber in Deutschland «sind es nicht die Kinder, die einen vulgarisierten ÜbermenschenMythos so begeistert begrüßt haben; das waren die Vorgänger-Generationen.» Die Zeitschrift Time sollte schließlich die Frage stellen, die Kunitz und Brown nur umkreist hatten: «Sind Comics faschistisch?»5 In dieser hitzigen Atmosphäre schlug Olive Byrne ihrem verantwortlichen Redakteur bei Family Circle einen Artikel vor: Wer könnte amerikanischen Müttern besser erklären, ob Comics eine Gefahr für ihre Kinder sind, als Dr. William Moulton Marston? Sie bekam den Auftrag. Ihr Artikel erschien im Oktober 1940. Er beginnt so, wie ihre Artikel immer begannen, nämlich mit der Fiktion, dass sie Marston zu Hause aufgesucht habe, um ihn zu interviewen, in diesem Fall beunruhigt durch «furchtbare Visionen von Hitler’scher Gerechtigkeit». «Wissen Sie irgendetwas über Comic-Hefte?», fragte sie ihn. Oh, er wusste eine Menge. «Er sagte mir, dass er auf diesem Gebiet über ein Jahr lang geforscht habe – und dass er nahezu jedes ComicHeft gelesen habe, das in diesem Zeitraum erschien!» An den Kiosken des Landes würden mehr als 100 verschiedene Comic-Hefte angeboten, die Monat für Monat 40 bis 50 Millionen Leser erreichten, sagte er. «Aber meinen Sie, dass diese auf Fantasien beruhenden Comics eine gute Lektüre für Kinder sind?», fragte sie. Größtenteils ja, erwiderte Marston. Sie beruhten auf einer reinen Wunscherfüllung: «Und die beiden Wünsche, die hinter Superman stehen, sind mit Sicherheit die vernünftigsten von allen; sie entspre-

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DRITTER TEIL: PARADIESINSEL

chen tatsächlich unseren gegenwärtigen nationalen Bestrebungen  – eine unüberwindliche nationale Kraft zu entwickeln und diese Macht, wenn wir sie erlangen, dafür einzusetzen, unschuldige, friedfertige Menschen vor dem zerstörerischen, unbarmherzigen Bösen zu beschützen. Sie glauben doch wohl nicht eine Minute lang, es sei falsch, sich die Erfüllung dieser beiden Ziele für die Vereinigten Staaten vorzustellen, oder? Warum sollte es dann für Kinder falsch oder schädlich sein, sich dieselben Dinge für sich selbst vorzustellen, auf die eigene Person bezogen, wenn sie ‹Superman› lesen?» «Aber was ist mit den anderen Comics?», setzte sie nach. «Ein paar davon enthalten sehr viele Episoden mit Folter, Entführungen, Sadismus und anderen grausamen Taten.» «Das ist bedauerlicherweise wahr», räumte Marston ein. «Aber es gibt auch eine oder zwei Faustregeln, die sich als nützlich erweisen, wenn es in den Comics Sadismus von aufregenden Abenteuern zu unterscheiden gilt. Die Androhung von Folter ist harmlos, aber wenn die Folterung selbst im Strip gezeigt wird, wird Sadismus daraus. Wenn eine hübsche Heldin auf dem Scheiterhaufen an den Pfahl gebunden wird, sind sich die Comicleser sicher, dass die Rettung in Windeseile zur Stelle sein wird. Der Leserwunsch ist, dass die junge Frau gerettet wird, niemand will sie leiden sehen. Eine gefesselte oder in Ketten gelegte Person hat in den Comics nicht einmal Peinlichkeiten zu erdulden, und der Leser wird deshalb auch nicht dazu erzogen, sich am Leiden zu ergötzen.» «Olive Richard» ist, als sie das Haus verlässt, von den Argumenten des Professors restlos überzeugt und kauft sich auf dem Weg zum Bahnhof das neueste Superman-Heft.6 Der Superman-Verleger Charlie Gaines las Olive Byrnes Artikel und war von der Lektüre so beeindruckt, dass er beschloss, Marston als beratenden Psychologen zu engagieren.7 Gaines brauchte Experten, um sich gegen die Angriffe auf Comics wehren zu können. George Hecht, der Verleger des Parents’ Magazine, hatte seinen Plan bekanntgegeben, True Comics auf den Markt zu bringen. «Jede Seite in diesem neuen Comic-Heft ist randvoll mit spannender Action», versprach die Parents-Chefredakteurin Clara

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S­avage Littledale. «Aber die Helden sind keine unwirklichen Geschöpfe. Sie sind echt.» Die erste Nummer enthielt auch Geschichten über Winston Churchill und Simón Bolivar. Aber was die True Comics zu etwas ganz Besonderem machte, war die Tatsache, dass das Blatt von einem aus Fachleuten bestehenden Beratergremium kontrolliert wurde, dem Professoren (vor allem Historiker), Pädagogen, ja sogar der Meinungsforscher George Gallup angehörten.8 Gaines beschloss, sein eigenes redaktionelles Beratergremium ins Leben zu rufen. «‹Doc› Marston ist seit langem ein Befürworter der richtigen Art von Comic-Heften gewesen und gehört ab jetzt dem Editorial Advisory Board für alle ‹D. C. Superman›-Comics an», gab Gaines 1940 in einer Mitteilung an seine Angestellten bekannt und legte eine Kopie von Olive Byrnes Artikel in Family Circle dazu.9 DC beschloss außerdem, alle Comic-Hefte, in denen Superman und Batman auftauchten, mit einem Logo zu versehen, «A DC Publication» oder «A Superman-DC Publication». Der Verlag wies die junge Leserschaft (und ihre Eltern) im Oktober 1941 in einer Mitteilung in More Fun Comics darauf hin, dass das Logo des Unternehmens – ein Kreis, der die Buchstaben DC enthielt, die Abkürzung für Detective Comics – als Gütesiegel für Qualität betrachtet werden sollte, als Zeichen der Zustimmung des Beratergremiums. Zu dessen Mitgliedern zählten Robert Thorndike, ein Professor für Pädagogische Psychologie an der Columbia University; Ruth Eastwood Perl, eine weitere Psychologin; C. Bowie Millican, ein Literaturdozent an der New York University; Gene Tunney, ein Fregattenkapitän der US-Marine und Direktor einer katholischen ­Jugendorganisation; und Josette Frank, eine Expertin für Kinderliteratur und geschäftsführende Direktorin der Child Study Association of America (sie hatte mit Holloway in den Zwanzigerjahren bei Child Study gearbeitet).10 Gaines hatte zunächst auch Marston zum Ausschussmitglied ernannt, aber Frank bat Gaines, dies wieder rückgängig zu machen, weil Gaines Marston auch als Autor engagiert hatte.11 Marston hatte in seiner Eigenschaft als beratender Psychologe ­Gaines davon überzeugt, dass er den Angriffen auf die Comics unbedingt mit einer Superheldin entgegentreten müsse. Nach einigen Versionen dieser Geschichte stammte die Idee dazu von Holloway. «Komm schon, wir brauchen eine Superfrau!», hatte sie nach der Darstellung

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DRITTER TEIL: PARADIESINSEL

ihres Sohnes Pete zu Marston gesagt. «Vergiss all die Kerle.»12 Aber von Holloway selbst war eher zu hören, dass sie niemals irgendetwas mit Wonder Woman zu tun gehabt habe: «Ich habe immer meine eigene Arbeit und mein eigenes Gehalt gehabt, und das bedeutete einerseits, dass für Wonder Woman gar keine Zeit übrig war, und andererseits war das auch nicht nötig», schrieb sie. Eine Superheldin könnte Olive Byrnes Idee gewesen sein, allerdings wäre sie der letzte Mensch auf Erden gewesen, der das für sich in Anspruch genommen hätte. Marston jedenfalls, der 1937 bei einer Pressekonferenz prophezeit hatte, dass Frauen dereinst die Welt beherrschen würden, und Margaret Sanger als zweitwichtigste Persönlichkeit weltweit bezeichnet hatte (nur Henry Ford stufte er noch höher ein), wenn «Beiträge zum Wohlergehen der Menschheit» als Maßstab dienten, wusste ganz genau, wer ihm als Vorbild für eine Superheldin vorschwebte.13 Gaines hatte diese Idee zunächst abgelehnt. Bisher habe sich noch jede weibliche Heldenfigur in der Trivialliteratur und in Comic-Heften als Fehlschlag erwiesen, sagte er zu Marston. «Aber sie waren keine Superfrauen», hielt Marston dagegen. «Keine war den Männern überlegen.» Eine Superheldin sei die bestmögliche Antwort auf all die Kritik, betonte Marston, weil «das größte Vergehen der Comics ihr haarsträubendes Männlichkeitsbild war». Marston erklärte: Einem männlichen Helden fehlen die Eigenschaften von mütterlicher Liebe und Zärtlichkeit, welche für ein normales Kind so lebensnotwendig wie das Atmen sind. Nehmen Sie einmal an, Ihr Kind nimmt sich Superman zum Vorbild, welcher seine außerordentliche Kraft nutzt, um den Schwachen zu helfen. Dann fehlt dennoch die wichtigste Zutat für das menschliche Glück – die Liebe. Es ist gut, stark zu sein. Es ist wichtig, großzügig zu sein. Aber zärtlich, liebevoll, warmherzig und charmant zu sein, wird nach den Regeln der Männlichkeit als weibisch angesehen. «Das ist Mädchenkram!», schnaubt unser junger Comicleser. «Wer will denn schon ein Mädchen sein?» Und das ist der Punkt; noch nicht einmal Mädchen wollen Mädchen sein, solange es unserem Frauenbild an Macht, Kraft und Stärke fehlt. Indem sie keine Mädchen sein wollen, wollen sie nicht zärtlich, demütig und fried­ liebend sein, wie es gute Frauen zu sein haben. Die starken weiblichen Eigenschaften werden wegen ihrer schwachen verachtet. Das offensichtliche Gegenmittel besteht darin, einen weiblichen Charakter zu erschaffen,

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welcher alle Stärken von Superman mit den Reizen einer guten und schönen Frau vereint.14

Marston verflocht mit dieser Argumentation mehr als ein Jahrhundert öffentlicher Rhetorik für Frauenrechte, seine eigene, sehr eigenwillige Art von Psychologie und zwangsläufig auch sein beispielloses, aufdringliches Marktschreiertum. Verleger Gaines war begeistert. «Na gut, Doc», sagte Gaines, «ich entschied mich für Superman, nachdem jeder Zeitungsverbund in Amerika das zuvor abgelehnt hatte. Ich werde es mit Ihrer Wonder Woman versuchen! Aber Sie müssen den Strip selbst schreiben. Nach sechs Monaten auf dem Markt werden wir Ihre weibliche Heldenfigur einem Votum unserer Comicleser aussetzen. Wenn die sie nicht mögen, kann ich in dieser Sache nichts weiter tun.»15 Marston legte im Februar 1941 einen maschinengeschriebenen Entwurf für die erste Folge von «Suprema, the Wonder Woman» vor. Gaines teilte Marston dem Redakteur Sheldon Mayer zu, der auch Superman redaktionell betreute. Der in Harlem aufgewachsene Mayer hatte selbst gezeichnet, seit er ein kleiner Junge war. In einem Comic-Heft namens Scribbly hatte er einst die Geschichte seines Lebens als ambitionierter Comic-Heft-Künstler geschildert. Er arbeitete seit 1936 für Gaines und fasste Zeitungsstrips zu Comic-Heften zusammen. Mayer und Gaines ­arbeiteten regelmäßig die ganze Nacht hindurch und rasierten sich morgens dann gemeinsam in der Bürotoilette. Gaines ernannte Mayer zum geschäftsführenden Redakteur und schickte ihn danach weiterhin zum Zigarettenholen. Mayer war klein und schlank; er trug eine Brille und rauchte Pfeife, sah aber immer noch wie ein Kind aus.16 Mayer war 24 Jahre alt; Marston war 48. Die meisten Autoren und Zeichner, mit denen Mayer zusammenarbeitete, waren sogar noch jünger als er. Seiner Ansicht nach sprach Marstons Alter gegen ihn, von seinen in Harvard erworbenen akademischen Würden ganz zu schweigen. «Als wir mit Wonder Woman anfingen, hoffte ich ernsthaft, dass das nicht länger als 20 Minuten dauern würde», sagte Mayer später. Er habe es damals als leichter empfunden, «einen ehemaligen Kurzwarenverkäufer mit einem Gespür fürs Schreiben» zu engagieren und ihm

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etwas über Comics beizubringen, als mit «einem Typen, der bereits ein fertiger Autor war», zusammenzuarbeiten. Aber je besser Mayer seinen Autor Marston kennenlernte, desto mehr mochte er ihn.17 Mars­ton trat immer entwaffnend auf. In einem Brief, den Marston seinem ersten Manuskript für Mayer beilegte, erklärte er die der Geschichte zugrundeliegende Bedeutung: Männer (Griechen) wurden von lüsternen, liebeshungrigen Frauen erobert, bis sie genug davon hatten und die Frauen gewaltsam zu Gefangenen machten. Aber sie fürchteten sich vor ihnen (männlicher Minderwertig­ keitskomplex) und legten sie in schwere Ketten, damit die Frauen sie nicht überlisten konnten, wie ihnen das früher immer gelungen war. Die Göttin der Liebe tritt auf den Plan und hilft den Frauen, ihre Ketten zu zerbrechen, indem sie ihnen die größere Kraft des wahren Altruismus verleiht. Daraufhin vollzogen die Männer eine Kehrtwendung und verhalfen den Frauen tatsächlich zur Befreiung aus häuslicher Knechtschaft – wie Männer das auch heute tun. Die auf diese Art befreiten und durch selbstständige Lebensführung (auf der Paradiesinsel) gestärkten NEUEN FRAUEN ent­ wickelten eine enorme körperliche und geistige Kraft. Aber sie müssen sie zugunsten anderer Menschen einsetzen, sonst werden sie wieder in Ketten und Schwäche zurückfallen.

Das mochte wie eine Fantasievorstellung klingen, räumte Marston ein, aber «all dies ist wahr», zumindest als Allegorie und tatsächlich auch als historische Darstellung, denn sein Comic sei angelegt als Chronik «einer großen Bewegung, die sich jetzt auf den Weg gemacht hat – der zunehmenden Macht der Frauen». Er hatte nichts dagegen, dass Mayer seine Texte bearbeitete, allerdings zog er es vor, dabei konsultiert zu werden. «Ich hoffe, dass Sie mich bei allfälligen Änderungen an der Geschichte, an Namen, Ausstattung oder Inhalten anrufen werden», schrieb er Mayer. «Das ist Ihre Aufgabe.» Aber wenn es um den Feminismus der Geschichte ging, war er unerschütterlich. «Lassen Sie das Thema so stehen – oder das Projekt fallen», ließ er Mayer wissen.18 Mayer nahm eine Änderung vor: Er lehnte «Suprema» ab. Es sei besser, sie einfach «Wonder Woman» zu nennen. Und was den Rest anbetraf, so klang das für Shelly Mayer nur wie ein Haufen Mist, aber er dachte sich: Was soll’s.

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SO SCHÖN WIE APHRODITE

WIE SOLLTE SIE AUSSEHEN?   Wie Botticellis Venus? Wie die Freiheitssta-

tue? Wie Greta Garbo? «Ich schicke Peter, dem Zeichner, einen Durchschlag», schrieb Marston an Mayer, als er ihm per Post das erste Manuskript schickte. «Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie ihn brauchen, und ich schicke ihn zu Ihnen.»1 Marston hatte seinen eigenen Zeichner engagiert: Harry G. Peter.2 Peter war 61 Jahre alt und damit nach den Maßstäben der Comic-HeftSzene ein sehr alter Mann. «Harry machte auf mich den Eindruck ­eines älteren Gentlemans», sagte Mayer.3 Mayer war mit dieser Personalentscheidung nicht einverstanden; er fand Peters Zeichnungen außerdem schrecklich. Aber er konnte Marston und Gaines nicht dazu bewegen, einen anderen Künstler zu akzeptieren.4 Als Marston Peter engagierte, waren dessen einzige Referenzen im Comic-Bereich die Einzelbilder, die er für George Hechts True Comics gezeichnet hatte. (Im Frühjahr 1941 sollte Peter noch als Zeichner eines Superhelden namens Man o’ Metal, eines hitzköpfigen Gießereiarbeiters, für Reg’lar Fellers Heroic Comics einsteigen – aber damit begann er erst nach der Verpflichtung für Wonder Woman.)5 Gaines musste die Idee gefallen haben, George Hecht einen Künstler abzujagen; er hasste diesen Mann. Gaines schrieb Hecht 1941 einen Brief, mit dem er ihn und den Expertenbeirat von True Comics einlud, bei einem Lunch mit ihm, Gaines, und dem Beratergremium von DC Comics eine öffentliche Debatte

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Aus: Tarpé Mills, Miss Fury, Strip 285

über Comics zu führen, bei der Gaines’ Experten sich mit Hechts Leuten auseinandersetzen sollten. «Ich werde mit Freuden die Unkosten tragen», schrieb Gaines an Hecht. Unterdessen warb er jedoch einen von Hechts Künstlern als Zeichner für Wonder Woman ab.6 Marston sagte zwar gerne, dass Wonder Woman als «psychologische Propaganda für den neuen Frauentyp» gedacht sei, «der meiner Ansicht nach die Welt beherrschen sollte», aber weder er noch Gaines scheinen ernsthaft daran gedacht zu haben, für die Gestaltung ihres Abbildes eine Zeichnerin zu engagieren. Fiction House beschäftigte Dutzende von Künstlerinnen, aber Gaines stellte in seiner ganzen Laufbahn nur eine einzige ein: Elizabeth Burnley Bentley. (Ihre Arbeit wurde nicht im Impressum gewürdigt, aber sie übernahm das Lettering und die Hintergrund-Gestaltung für Superman und Batman.)7 Der Grund dafür war keineswegs ein Mangel an Auswahl. Es gab erfahrene politische Karikaturistinnen wie Lou Rogers; 1940 illustrierte sie Kinderbücher. Es gab Frauen, die Strips für Tageszeitungen zeichneten. Dalia Messick begann 1940 unter dem Pseudonym Dale Messick Brenda Starr zu zeichnen. Und es gab auch erfahrene Comic-HeftZeichnerinnen. June Tarpé Mills, die am Pratt Institute studiert und die Studiengebühren durch eine Tätigkeit als Mannequin aufgebracht hatte, begann Ende der 1930 er Jahre ihre Arbeit als Comiczeichnerin

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Von links: Marston, Harry G. Peter, Sheldon Mayer und Charlie Gaines, 1942

für Reg’lar Fellers Heroic Comics. Sie war die erste Frau, die ihre eigene Action-Heldin erschuf. Ein Zeitungsverbund engagierte sie Anfang 1941 als Autorin und Zeichnerin eines täglich erscheinenden Comicstrips, der zunächst unter dem Titel Black Fury und später dann unter Miss Fury erschien. Miss Fury, elegant und glamourös, ist eine Dame der feinen Gesellschaft namens Marla Drake, die gegen das Verbrechen kämpft und dabei in einem schwarzen Pantherkostüm auftritt. Mills veröffentlichte ihre Arbeiten unter dem Künstlernamen «Tarpé Mills». («Für die Kids wäre das eine große Enttäuschung gewesen, wenn sie herausgefunden hätten, dass der Autor von derart männlichen und beeindruckenden Figuren eine Frau war», sagte sie.) Miss Fury erschien 1942 bereits in ihrem eigenen Comic-Heft im Verlag von DCs größtem Konkurrenten Timely Comics (später: Marvel Comics).8 Anstatt eine Künstlerin zu engagieren, die bereits an Comics gear-

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beitet hatte, verpflichtete Marston einen Mann. Er sagte, ihm gefalle es, dass Peter wisse, «um was es im Leben geht».9 Aber mit Peters ­Alter und Lebenslauf war auch die Tatsache verbunden, dass er selbst noch die Bewegung für das Frauenwahlrecht miterlebt hatte. Henry George Peter wurde 1880 in San Rafael in Kalifornien ge­ boren. Seine Vornamen erhielt er sehr wahrscheinlich nach Henry George, dem Zeitungsredakteur in San Francisco und Sozialreformer, dessen berühmtestes Buch Progress and Poverty (dt. 1881: Fortschritt und Armut), eine äußerst populäre Untersuchung zum Thema wirtschaftliche Ungleichheit, 1879 erschien. Henry George war ein früher und leidenschaftlicher Befürworter der Frauenbildung und des Frauenwahlrechts. «Die Frauen haben an allen die Politik betreffenden Fragen ein ebenso unmittelbares und lebendiges Interesse wie die Männer», schrieb George.10 Wenn Henry George Peter nach Henry George benannt wurde, waren seine Eltern von politisch radikaler Gesinnung. Der jüngere Peter-Sohn wie auch sein älterer Bruder wurden beide Künstler. Im Alter von 20 Jahren arbeitete Henry George Peter für eine Tageszeitung.11 Er signierte seine Arbeiten mit «H. G. Peter»; manchmal nannten ihn die Leute Harry; manchmal nannten sie ihn Pete. Möglicherweise arbeitete er für das San Francisco Bulletin. Für den San Francisco Chronicle arbeitete er 1906 als fest angestellter Künstler, und der Chronicle war die Zeitung, die 1907 den ersten täg­ lichen Comicstrip herausbrachte, Mutt and Jeff. Marston behauptete später, Peter habe bei Mutt and Jeff mitgearbeitet, aber es ist nicht klar, ob das tatsächlich zutraf. Auf jeden Fall zeichnete er für den Chronicle in den Jahren, in denen das Blatt ausführlich über die von der California Equal Suffrage League angeführte Bewegung für das Frauenwahlrecht in diesem Bundesstaat berichtete. Die Frau, die Peter dann heiratete, arbeitete ebenfalls als Künstlerin für eine Tageszeitung und war höchstwahrscheinlich eine Suffragette.12 Adonica Fulton war als Künstlerin beim San Francisco Bulletin fest angestellt.13 Sie studierte am Mark Hopkins Institute of Art. Peter wie auch Fulton wurden vom amerikanischen Illustrator Charles Gibson stark beeinflusst; er hatte in den 1890 er Jahren das Gibson-Girl ein­ geführt. Diese Kunstfigur trug ihr Haar hoch aufgetürmt. Sie war wohlhabend, elegant, modebewusst und voller Hochmut. Ihr Mund war

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spitz, die Augen waren halb geschlossen, die Brüste üppig, und die Taille war eng geschnürt. Gibsons Einfluss ist in Peters Werk ebenso erkennbar wie in Adonica Fultons frühen Zeichnungen von Frauen. Peter wie auch Fulton gehörten in San Francisco der News­ paper Artists’ League an, einer Organisation, deren Mitgliedschaft «den bei örtlichen Tageszeitungen und Zeitschriften beschäftigten führenden Männern und Frauen» vorbehalten war. Beide waren im Jahr 1904 mit ­eigenen Arbeiten bei einer AusEin Gibson-Girl, Tuschezeichnung stellung der Werke von Zeitungsvon Charles Gibson, ca. 1891 künstlern vertreten, bei der die 20  Zeichnungen Fultons besonders hervorgehoben und zu den besten Werken des Gesamtangebots gezählt wurden.14 Peter und Fulton zogen um das Jahr 1907 herum nach New York und folgten damit dem Beispiel ihrer Freunde und ZeitungskünstlerKollegen Rube Goldberg und Herbert Roth. Peter begann für den New York American zu arbeiten. 1908 steuerte er Tuschezeichnungen zu Judge bei. Peter und Fulton heirateten 1912. Sie hatten sich mit diesem Schritt ungewöhnlich viel Zeit gelassen. Beide wurden im Jahr der Eheschließung 32 Jahre alt.15 Bei der Satire-Zeitschrift Judge lernte Peter die feministische Karikaturistin Lou Rogers kennen. Peter wie auch Rogers steuerten in den Jahren von 1912 bis 1917 Illustrationen zum regelmäßig erscheinenden Judge-Feature «The Modern Woman» bei, in dem für das Frauenwahlrecht geworben wurde. Rogers’ Werk war bekannter als die Arbeiten von Peter. Ihr Name stand 1915 in einer Judge-Anzeige auf einer Liste «der Autoren mit echtem Humor und der besonders ausdrucks-

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Adonica Fulton, Tuschezeichnung, 1904. Aus: The Newspaper Artists’ Exhibit, San Franciso Call, 9. Oktober 1904

starken Künstler, für die unsere Leser sich entscheiden»; Peters Name wurde bei dieser Gelegenheit nicht genannt.16 Peter arbeitete ab 1920 für die Werbegrafik-Firma Louis C. Pedlar, Inc., die ihren Sitz in der Madison Avenue 95 hatte. «Wir stellten ihn wegen seiner umfassenden Erfahrung als Schwarz-Weiß-Künstler und als unendlich phantasievollen Koloristen ein», ließ das Unternehmen verlauten.17 Peter und Fulton lebten ab 1925 in einem Haus, das sie sich auf Staten Island gekauft hatten. Die Ehe blieb vermutlich kinderlos, und es ist auch nicht sicher, ob Adonica Fulton Peter weiterhin als Künstlerin tätig war.18 Die Werbegrafik geriet in den 1930 er Jahren, wie alle anderen Wirtschaftszweige auch, in eine Flaute. Die wirtschaftlich schwierigen Zeiten führten Peter zu den Comic-Heften. In das Projekt Wonder Woman brachte er – neben anderen Qualitäten – Erfahrungen mit dem Zeichnen von Karikaturen zum Thema Frauenwahlrecht ein. Genau zu der Zeit, als Marston und Peter sich mit Gaines und Mayer getroffen haben müssen, um über das Konzept und die Gestaltung von Wonder Woman zu sprechen, debütierte ein neuer Super-

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Harry G. Peter, «Seeing Miss America First», in: Judge, 27. Februar 1915

held: Captain America.19 Er wurde schon bald zur beliebtesten Figur von Timely Comics. Marston wollte die seinem Comic-Heft «zugrundeliegende Bedeutung», die «große Bewegung, die sich jetzt auf den Weg gemacht hat – die zunehmende Macht der Frauen», auch in der Art verkörpert sehen, wie Wonder Woman sich verhielt, wie sie sich kleidete, wie sie Macht ausübte. Sie musste stark sein, und sie musste unabhängig sein. Bei den (von Olive Byrnes Exemplaren inspirierten) Armbändern waren sich alle einig: Es half Gaines bei seinem Public-Relations-Problem, dass sie damit Kugeln abwehren konnte; das war gut für das Schusswaffen-Problem. Außerdem musste diese neue Superheldin ungewöhn­ lich schön sein; sie würde ein Diadem tragen, das der Krone glich, die beim Miss-America-Wettbewerb vergeben wurde. Marston wollte, dass sie sich gegen jede Art von Krieg aussprach, aber zugleich bereit war, für die Demokratie zu kämpfen. Sie musste sogar eine Superpatriotin sein. Captain America trug eine amerikanische Flagge am Leib: enge

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Harry G. Peter, «House Cleaning Day», in: Judge, 6. Februar 1915, auf der Frauenwahlrechts-Seite von Judge

blaue Hosen, rote Handschuhe, rote Stiefel, und der Oberkörper war in rote und weiße Streifen gehüllt, mit einem weißen Stern dazu. Wie Captain America – wegen Captain America – sollte auch Wonder Woman

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die Farben Rot, Weiß und Blau tragen. Aber idealerweise würde sie auch sehr wenig tragen. Um die Auflage zu steigern, wollte Gaines, dass seine Superfrau so freizügig dargestellt wurde wie nur möglich, ohne dass man ihn dafür belangen konnte. Peter erhielt seine Anweisungen: Zeichne eine Frau, die so stark ist wie Superman, so sexy wie Miss  Fury, so spärlich bekleidet wie Sheena, die Dschungelkönigin, und so patriotisch wie Captain America. Er fertigte eine Serie von Skizzen an. Die schickte er dann an Marston. Captain America Comics Nr. 1, «Lieber Herr Dr.  Marston, März 1941 diese beiden hier brachte ich in aller Eile zu Papier», schrieb ­Peter und verschickte mit Farbstiften ausgeführte Skizzen von Wonder Woman; seine Figur trug ein Diadem, Armbänder, einen kurzen, blauen Rock mit weißen Sternen, Sandalen und ein rotes Bustier mit einem amerikanischen Adler, der seine Flügel über ihre Brüste ausbreitete. Und Peter erklärte: «Der Adler ist schwer umzusetzen, per­ spektivisch oder im Profil ist er nicht deutlich zu erkennen  – die Schuhe gleichen denen einer Stenografin. Meiner Ansicht nach könnte die Idee auf eine gewisse römische Art dargestellt werden. Peter.» Marston schrieb zurück und fügte seine Notizen der Zeichnung hinzu. «Lieber Pete – meiner Ansicht nach ist das Mädchen mit der erhobenen Hand sehr hübsch. Ich mag ihren Rock, die Beine, das Haar. Armbänder okay + Stiefel. Die funktionieren vielleicht.» Mit einem Pfeil wies er auf die zierlichen, verspielten Sandalen und schrieb dazu: «Die hier nicht!» Nach einem Blick auf die unbedeckte Obertaille fragte er: «Müssten wir ihr nicht einen roten Streifen um die Taille binden, als Gürtel?»20

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Es sieht ganz danach aus, als hätte Marston später noch einen weiteren Vorschlag gemacht. Wie wäre es wohl, wenn Wonder Woman stärker einem Varga-Girl angeglichen würde, einem der von Alberto Vargas gezeichneten Pinup-Girls, die jeden Monat in ­Esquire erschienen (einer Zeitschrift, für die Marston regel­ mäßig schrieb). Das Varga-Girl, in Esquire im Oktober 1940 erstmals präsentiert, war langbeinig, schlank und lächelte dezent mit leicht geöffnetem Mund. Diese Ein Fourth-of-July-Varga-Girl, Frau trug das Haar offen, die NäAlberto Vargas, in: Esquire, Juli 1942 gel waren manikürt, die Beine nackt, und sie trug nur wenig mehr Kleidung, als ein Badeanzug bedeckt. Wonder Woman sieht mit ihren ausgefallenen Stiefeln aus, als wäre sie direkt einem Blatt von Esquires Pin-up-Jahreskalender entnommen. Die Varga-Girls bewegten sich nach den Maßstäben der 1940 er Jahre am Rande des Erlaubten: Die US-Postbehörde erklärte 1943, dass in Esquire Inhalte von «obszönem, unanständigem und laszivem Charakter» zu finden seien.21 Wonder Woman sollte genau diese Art von Ärger bekommen. Peter schickte Marston eine weitere Zeichnung, die mit Feder, ­Tusche und Wasserfarben ausgeführt war. Wonder Woman führte darin ihr Lasso mit sich, sie trug rote Stiefel anstelle von Sandalen, blaue Shorts statt eines Rocks, ein eng anliegendes rückenfreies Oberteil mit weißen Revers und einen Gürtel mit «WW»-Signet. Marston gefielen die Stiefel und die knappen Shorts. Aber er hegte Zweifel wegen des Oberteils. «Dieser Kragen könnte aus der Mode kommen», schrieb er auf die Zeichnung.22 Die Kleidung der Figur kommt der des Fourth-ofJuly-Varga-Girls von 1942 sehr nahe.23 Wonder Woman in der Form, in der Peter sie schließlich zeichnete, sieht seinen früheren Zeichnun-

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gen von Frauen überhaupt nicht ähnlich. Sie hat mehr von einem Varga-Girl an sich als von einem Gibson-Girl, mit einer großen Portion Lou Rogers: die Suffragette als Pin-up. Peter arbeitete unter Marstons Leitung. Marstons Kontrolle über das Endprodukt ist in den Manuskripten selbst angelegt. Marston diktierte die Seitenlayouts, die Bildformate und die Auswahl der Farben. Er schrieb einen Bildtext: «Captain Steve Trevor, ein brillanter junger Offizier aus dem Geheimdienst der Armee, stürzt allein über einsamen Gestaden ab und verschwindet in einem Wirbel aus Nebel und Gischt.» Und darunter erklärte er, was Peter zeichnen sollte: «Trevors Harry G. Peter, Wonder-Woman-­ Flugzeug stürzt senkrecht ins Entwurf, 1942 Meer, über dem dichter Nebel hängt, an der Absturzstelle spritzt das Wasser hoch auf. Trevor wird aus der Pilotenkabine geschleudert und stürzt, hilflos mit Armen und Beinen zappelnd, neben der Maschine kopfüber ins Meer.» Das letzte Bild zeigt genau das. (Marston schlug vor, dass Trevor im Fallen noch rufen sollte: «Keine Hoffnung auf Rettung hier  – das ist das Ende!» Das wurde gestrichen, entweder von Peter oder von Mayer.)24 Marstons Manuskripte enthielten auch Anweisungen für die anderen Künstler, die mit Peter zusammenarbeiteten, für die Letterer und Koloristen, Instruktionen wie diese: «W. W. wirft ihm ein purpurrotes Fläschchen mit Tabletten zu – vom Koloristen zu beachten!»25 Sobald Marston und Gaines sich über Wonder Womans Aussehen

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geeinigt hatten und Mayer das Manuskript guthieß, machte sich Peter an die Arbeit und zeichnete eine neun Seiten umfassende Story unter dem Titel «Introducing Wonder Woman». Sie war von Anfang an eine Frau, die Rätsel aufgab: «Mit den hundertfachen Fähigkeiten und der hundertfachen Kraft unserer besten männlichen Athleten und Ringer ausgestattet, taucht sie wie aus dem Nichts auf, um eine Ungerechtigkeit zu vergelten oder ein Unrecht zu beheben! So schön wie Aphrodite  – so klug wie Athene – so schnell wie MerAus: «The Origin of Wonder Woman», kur und so stark wie Herkules – in: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942 man kennt sie nur als Wonder Woman, aber niemand weiß zu sagen, wer sie ist oder woher sie kam!» (Marston verbarg auch seine eigene Identität und veröffentlichte Wonder Woman unter dem Namen «Charles Moulton», einem Pseudonym, das er aus Maxwell Charles Gaines’ mittlerem und seinem eigenen Namen zusammensetzte.) Marston und Peter handelten die Vorgeschichte ihrer Heldin in «Introducing Wonder Woman» auf einer Doppelseite ab. Für die junge Leserschaft von Comic-Heften war das eine vollkommen neuartige Geschichte. Aber sie erwuchs unmittelbar aus den Seiten der feministischen utopischen Literatur der 1910 er Jahre. Hippolyte rekapituliert für ihre Tochter Diana die Geschichte des weiblichen Geschlechts: In der Epoche des antiken Griechenland, vor vielen Jahrhunderten, waren wir Amazonen die führende Nation der Welt. Im Land der Amazonen herrschten Frauen, und alles war gut. Und dann bot eines Tages Herkules, der stärkste Mann der Welt, angestachelt durch Spöttereien, dass er die

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Amazonenfrauen nicht besiegen könne, seine stärksten und wildesten Krieger auf und landete an unseren Gestaden. Ich forderte ihn zum Zweikampf auf – weil ich wusste, dass ich mit meinem MAGISCHEN GÜRTEL, den mir Aphrodite, die Göttin der Liebe, einst schenkte, nicht verlieren konnte.

Der besiegte Herkules bringt durch List und Verstellung Hippolytes magischen Gürtel an sich, und alle Amazonen werden zu gefesselten und in Ketten gelegten Sklavinnen von Männern, bis ihnen mit Aphrodites Hilfe die Flucht aus Griechenland gelingt und sie sich anschließend auf der Paradiesinsel niederlassen. «Es war Aphrodites Bedingung, dass wir die von Männern geschaffene Welt hinter uns lassen und uns eine eigene, neue Welt aufbauen!», sagt Hippolyte zu Diana. «Aphrodite verfügte auch, dass wir immer die von unseren Häschern gefertigten Armbänder tragen müssen, zur Erinnerung, dass wir uns für alle Zeit von Männern fernhalten müssen.» Ihr Friede wird unterbrochen, als Captain Steve Trevor mit seinem Flugzeug auf ihrer Insel abstürzt. «Die ganze Welt gerät abermals in Gefahr», sagt Aphrodite zu Hippolyte. «Die Götter haben bestimmt, dass dieser amerikanische Offizier auf der Paradiesinsel abstürzen soll. Du musst ihn nach Amerika zurückbringen  – als Unterstützung im Kampf gegen die Kräfte des Hasses und der Unterdrückung.» Athene, die Göttin der Weisheit und des Krieges, ist einverstanden. «Ja, Hippolyte, Amerikas Freiheit und Unabhängigkeit muss bewahrt werden! Du musst ihm deine stärkste und klügste Amazone zur Seite stellen – die Beste unter deinen Wonder Women!» Hippolyte hält ein Turnier ab, um die stärkste und klügste Amazone zu finden. Diana gewinnt. «Und so gibt Diana, die Wonder ­Woman, ihr Anrecht auf ein ewiges Leben auf und verlässt die Paradiesinsel, um den Mann, den sie liebt, nach Amerika zurückzubringen – in das Land, das sie zu lieben und zu schützen lernt und zu ihrer Heimat macht!» Ihre Mutter näht ihr ein in Rot, Weiß und Blau gehaltenes Kostüm.26 Mit Wonder Woman schuf Marston eine Figur, die eine Antwort auf alle Einwände der Kritiker von Comic-Heften gibt. Sie ist stark, aber sie ist kein Schlägertyp: «In einer Welt, die vom Hass und den

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Kriegen von Männern zerrissen ist, erscheint endlich eine Frau, für die die Probleme und Großtaten von Männern bloße Kindereien sind.» Sie hasst Schusswaffen: «Kugeln haben bisher noch kein einziges menschliches Problem gelöst!» Sie ist unnachgiebig, verschont aber immer die von ihr Besiegten. «Wonder Woman tötet niemals!» Und vor allem glaubt sie an die Vereinigten Staaten: «Amerika, die letzte Zitadelle der Demokratie und der Gleichberechtigung der Frau!»27 Wonder Woman verließ die Paradiesinsel, um den Faschismus mit ­Feminismus zu bekämpfen. Wonder Woman gab ihr Debüt in «Introducing Wonder Woman» im All-Star Comics-Heft Nr. 8, das im Herbst 1941 an die Zeitungskioske geliefert und bis zum Ende des auf der Titelseite vermerkten Erscheinungsdatums Dezember 1941/Januar 1942 dort angeboten wurde, genau zu dem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten in einen Krieg eintraten, der sich zum schrecklichsten Krieg der Weltgeschichte entwickeln sollte. Marston schrieb am 12. Dezember 1941, fünf Tage nach der Bombardierung von Pearl Harbor, einen Brief an Franklin Delano Roosevelt. «Sehr geehrter Herr», lautete seine Anrede. «Ich habe die Ehre, Ihnen für die Dauer dieses Krieges meine Dienste in jedweder militärischen oder zivilen Stellung anzubieten, in der meine Ausbildung und Erfahrung als Rechtsanwalt und Psychologe nützlich sein kann.» Nach seiner eigenen Einschätzung konnte er auf vielerlei Art zu den Kriegsanstrengungen beitragen: «Ich weise höflich darauf hin, dass meine nützlichste Qualifikation in der gegenwärtigen Notlage die des Experten für die Aufdeckung von Lügen ist.» Marston, der während des Ersten Weltkriegs in Diensten der Streitkräfte geforscht hatte, wollte sich jetzt freiwillig für den Dienst im zweiten großen Krieg melden. Seinem Brief an den Präsidenten legte er noch ein Exemplar seines 1938 erschienenen Buches The Lie Detector Test bei, neben seinem Eintrag im Who’s Who. Und er fügte hinzu: «Ich bin außerdem Rechtsanwalt, ­Autor, öffentlicher Redner, Werbe- und persönlicher Berater und verfüge über Erfahrungen im Schreiben sowie mit der Leitung von Publicity.» Er ließ unerwähnt, dass er der Schöpfer von Wonder Woman war. Und er schloss: «Mit meiner persönlichen Bekundung der Loyalität und der Hingabe an die großartigste Sache auf Erden.»28

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Das Weiße Haus reichte Marstons Brief ans FBI weiter. Niemand forderte Marston jemals zum Freiwilligendienst auf. Stattdessen wurden Leonarde Keeler und sein kommerzieller Polygraph für die Kriegs­ anstrengungen genutzt, zunächst bei Verhören von Kriegsgefangenen und anschließend bei der Überwachung von amerikanischen Mitarbeitern und Wissenschaftlern, die an der Atombombe arbeiteten. Das Bestehen eines Lügendetektor-Tests wurde während des Zweiten Weltkriegs zur Voraussetzung für die Erteilung einer US-Sicherheitsfreigabe, eines De-facto-Treueeids. Bei Polizeiverhören, Überprüfungen von Mitarbeitern, Verhören von Kriegsgefangenen und Sicherheitsüberprüfungen für sensible Tätigkeiten wurden im Verlauf des Krieges Millionen von Menschen einem Lügendetektor-Test unterzogen, der Tatsache zum Trotz, dass dieser Test nirgendwo sonst auf der Welt Verwendung fand und eigentlich auch keine Täuschungen aufdeckt, wie eine vom National Research Council durchgeführte Unter­ suchung bereits 1941 festgestellt hatte.29 Marston kämpfte in diesem Krieg nicht mit Hilfe seines Lügen­ detektors, sondern auf den Seiten seiner Comic-Hefte. In «Who Is Wonder Woman?», erschienen in Sensation Comics im Januar 1942, verlässt Wonder Woman die Paradiesinsel und fliegt mit ihrem unsichtbaren Flugzeug in die Vereinigten Staaten, um den verletzten und verbundenen und für diesen Transport auf eine Tragbahre gebetteten Steve Trevor dorthin zurückzubringen. In Washington wehrt sie Gangster ab und siegt in Wettrennen gegen Autos. Um ein Auge auf Steve haben zu können, tauscht sie den Arbeitsplatz mit einer Krankenschwester in ­einem Militärkrankenhaus. Die Schwester, «die farblose Diana Prince», sieht ihr täuschend ähnlich. (In einer anderen Version dieser Hintergrundgeschichte klagt Wonder Woman über die Rolle als Krankenschwester: «Im Amazonenland bin ich Ärztin.»)30 Dann gibt Diana Prince die Arbeit als Krankenschwester auf und wird Sekretärin beim US-Militärgeheimdienst. Sie glänzt beim Probediktat und ist eine ­extrem schnelle Maschinenschreiberin. «Diana schreibt blitzschnell!»31 Auch Olive Byrne war an der Schreibmaschine außerordentlich schnell. Wonder Woman trug ihre Armbänder. Und in dem großen, lärmenden Haushalt in Cherry Orchard war es Olive Byrne, die Marstons frühe Comic-Manuskripte in die Maschine hämmerte.

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«Artikel für Bill getippt», schrieb sie 1941 in ihr Tagebuch. «Super­ frau 48 Seiten!!!»32 Man kennt sie nur als Wonder Woman, aber niemand weiß zu s­ agen, wer sie ist oder woher sie kam!

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DIE JUSTICE SOCIETY OF AMERICA

FÜR CHARLIE GAINES   sah das alles aus wie ein ganz viel Gutes enthalten-

des, sauberes, hochpatriotisches Lesevergnügen. Aber die National Organization for Decent Literature setzte Sensation Comics im März 1942 auf ihre schwarze Liste von «Publikationen, die für Jugendliche nicht geeignet sind» («Publications Disapproved for Youth»). Diese Liste wurde für Sittlichkeits-Kampagnen vor Ort verwendet: Die Kampagnenhelfer sollten Zeitungs- und Zeitschriftenhändlern Besuche abstatten und sie auffordern, beanstandete Titel aus den Regalen zu nehmen.1 Wonder Woman wurde verboten. Die Zensur von Kinderliteratur war, wie das Verbot von Informationen und Diskussionen über Empfängnisverhütung, eine von vielen Kampagnen gewesen, die Anthony Comstock führte, Margaret Sangers Erzfeind. Als Comstock 1884 gegen Obszönität zu Felde zog, nahm er in seinem Buch Traps for the Young zugleich auch Groschenromane ins Visier. «Unsere Jugend ist in Gefahr», warnte Comstock. «Geistig und moralisch steht sie unter dem Fluch einer Literatur, die eine Schande für das 19. Jahrhundert ist.»2 Ein Komitee katholischer Bischöfe hatte in den 1930 er Jahren, von einer weitgehend ähnlichen Geisteshaltung motiviert, die «Legion of Decency» («Legion der Anständigkeit») gegründet, um gegen Darstellungen von Sex, Nacktheit und Gewalt in Filmen zu protestieren, und gab eine Liste der kirch­ lichen Ansprüchen genügenden Filme heraus. Aber sobald ein Übel unterdrückt war, tauchte schon das nächste auf: Comic-Hefte, ein

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­ edium, das mit seiner Erzählweise Anleihen beim Kino machte. Das M Komitee der katholischen Bischöfe gründete 1938 die «National Organization for Decent Literature», deren Einschätzung lautete, dass ­Comic-Hefte eine Schande für das 20. Jahrhundert seien.3 Als 1942 die aktuellste Liste veröffentlicht wurde, schrieb Gaines einen Brief an Bischof John F. Noll. «Einerseits freut es mich zu sehen, dass die Comic-Hefte als Gattung aus dieser N. O. D. L.-Liste gestrichen wurden», schrieb Gaines, «andererseits erfüllt es mich natürlich mit großer Sorge, dass ‹Sensation Comics› aufgeführt wurde.» Er erinnerte den Bischof an die tadellosen Referenzen der Mitglieder seines Beratergremiums. Und er hatte nur eine Frage. «Hätten Sie die Güte, mir so bald wie möglich mitzuteilen, welcher der fünf Punkte in Ihrem ‹Kodex für saubere Lektüre› von irgend­ einem Inhalt verletzt wurde, der in ‹Sensation Comics› auftaucht?»4 «Der praktisch einzige Grund, aus dem ‹Sensation Comics› auf die Verbotsliste der N. O. D. L. gesetzt wurde, war der Verstoß gegen Punkt vier des Kodex. Wonder Woman ist unzureichend bekleidet», schrieb der Bischof zurück.5 Gaines machte dieser Einwand nicht allzu viel aus; er bedurfte aus seiner Sicht auch keiner besonderen Reaktion. Er hatte nicht vor, Wonder Woman mehr zu bekleiden. Und er war entschlossen, sie nicht aufzugeben. Stattdessen plante er, sie zum Mitglied der Justice Society zu machen. Die Justice Society of America, eine Liga von Superhelden, hielt ihre erste Versammlung in All-Star Comics Nr. 3 ab, im Winter 1940 und mit acht Gründungsmitgliedern: The Flash, Hawkman, The Spectre, The Sandman, Doctor Fate, Hourman, Green Lantern und The Atom. «Jeder von ihnen ist in seinem eigenen Wirken ein Held, aber wenn die Justice Society ruft, sind sie alle nur Mitglieder, die auf die Wahrung von Ehre und Gerechtigkeit eingeschworen sind!»6 Die Justice Society war eine gute Methode, für bereits etablierte Superhelden zu werben und außerdem neue Figuren zu erproben, bevor man ihnen mehr Seiten einräumte oder einen eigenen Hefttitel gab. Superman und Batman waren Ehrenmitglieder; sie mussten nur erscheinen, wenn die Lage sehr ernst war. Im Sommer 1941, in All-

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Star Comics Nr. 6, wurde auch The Flash zum Ehrenmitglied der Justice Society ernannt, so dass für Johnny Thunder ein Platz für eine einfache Mitgliedschaft frei wurde.7 Wonder Womans Debüt «Introducing Wonder Woman» in All-Star Comics Nr. 8 entfiel auf eine Ausgabe mit einer Justice-Society-Story, in der Green Lantern zum Ehrenmitglied ernannt wurde; Hourman verabschiedete sich in den Urlaub; Dr. Mid-Nite und The Starman nahm man als Mitglieder auf, und Hawkman wurde zum Vorsitzenden gewählt.8 Bei der Justice Society gab es sehr viele Personalwechsel, aber ein weibliches Mitglied war bis dahin noch nie in Erscheinung getreten. Sobald Wonder Woman ihr Debüt gegeben hatte, wies Gaines seine Autoren und Zeichner an, im nächsten Abenteuer der Justice Society einen Platz für sie zu schaffen. Wonder Woman hat ihren ersten Auftritt nicht als gewähltes Mitglied, sondern «als Gaststar in einer nationalen Notlage» in All-Star Comics Nr. 11. Die nationale Notlage ist ­natürlich der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten: Nach der Bombardierung von Pearl Harbor durch die Japaner beschlossen alle Mitglieder der Justice Society, in die Streitkräfte einzutreten. «Ich werde mich für den Dienst in der US Army melden!», verkündet Hawkman. «Ihr werdet einen neuen Vorsitzenden brauchen!» Hawkman meldet sich unter dem Namen seines Alter Ego, eines Archäologen namens Carter Hall. Letztlich entscheidet er sich jedoch dafür, sich seinem vorgesetzten Offizier zu erkennen zu geben. «Ich bin der Hawkman und wurde ihrer Einheit zugewiesen!» Dann fliegt er zu einem Dampfer mit Kurs auf die Philippinen und trifft dort auf Diana Prince; er erkennt sie sofort. «Diana Prince – na, du musst Wonder Woman sein!» «Aber woher wusstest du das?» «Die Justice Society ist sehr lernfähig!» Diana wechselt in ihr Wonder-Woman-Kostüm und greift in die Kämpfe ein. «Wonder Woman meldet sich zum Dienst, Sir!», sagt sie zu einem Offizier der US Army, nachdem sie einige feindliche Soldaten gefangen genommen hat. «Hier sind ein paar Japsen, die ich geschnappt habe!»9 Gaines hatte weitere Pläne für seinen jungen weiblichen Star. In Sensation Comics Nr. 5 machte er ein Sonderangebot: Gratisexemplare

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der nächsten Ausgabe des Heftes für die ersten tausend Leser, die sich an einer Umfrage beteiligten und ihre Antwort an den Verlag schickten. Gaines, der unter dem Einfluss der zunehmenden Bedeutung von Meinungsumfragen und Demoskopie stand, veranstaltete immer wieder Befragungen dieser Art, um sein Publikum besser einschätzen zu können und dabei zugleich für seine Comics zu werben. Mit dieser Umfrage wollte er wissen, welcher der folgenden sechs Superhelden Mitglied der Justice Society sein sollte: Wonder Woman, Mr. Terrific, Little Boy Blue, The Wildcat, The Gay Ghost oder The Black Pirate?10

U10 B*

U10 G 10–12 B 10–12 G 012 B

012 G

Total Boys

Total Girls

Total

Wonder Woman

37

27

128

123

112

73

277

223

500

Mr. Terrific

1

0

12

6

5

0

18

6

24

Boy Blue

5

0

12

4

5

2

22

6

28

Wildcat

1

0

15

4

1

4

17

8

25

Gay Ghost

1

0

12

2

6

2

19

4

23

Black Pirate

1

0

6

2

7

0

14

2

16

Total

46

27

185

141

136

81

367

249

616

*U10 B, Jungen unter zehn Jahren; U10 G, Mädchen unter zehn; 10–12 B, Jungen von zehn bis zwölf; 10–12 G, Mädchen von zehn bis zwölf; 012 B, Jungen über zwölf; 012 G, Mädchen über zwölf [Weitere Rubriken:] Gesamtzahl Jungen / Gesamtzahl Mädchen / Gesamtzahl Die Ergebnisse der Justice-Society-Leserumfrage von 1942

Gaines’ Mitarbeiter erstellten im März 1942 eine Tabelle mit den Ergebnissen der Abstimmung, aufgeteilt nach Alter und Geschlecht: Wonder Woman war in allen Gruppen die erste Wahl.11 Gaines wollte Wonder Woman in die Justice Society aufnehmen. Er bekam genau das erwünschte Ergebnis. Auf dem Stimmzettel ist Wonder Womans Gesicht fast doppelt so groß wiedergegeben wie die Gesichter ihrer Mitbewerber, und ihr Gesicht ist das einzige, das zweimal abgebildet ist. Gaines hatte die Abstimmung manipuliert. Doch das ließ die Kritiker nicht verstummen. Die Liste der von der National Organization for Decent Literature herausgegebenen «Publikationen, die für Jugendliche nicht geeignet sind» («Publications Disapproved for Youth») bereitete Gaines nach

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Justice-SocietyLeserumfrage. Aus: Sensation Comics Nr. 5, Mai 1942

wie vor Sorgen, allem Erfolg von Wonder Woman zum Trotz. Er hatte Marston engagiert, einen Psychologen, der ihm die Zensur vom Leib halten sollte, und erfuhr jetzt, nachdem er Marston auch als Autor verpflichtet hatte, umso mehr Kritik. Er brauchte einen weiteren Experten. Im Winter 1942 ließ er Kopien seines Briefwechsels mit Bischof Noll an die Ärztin Lauretta Bender schicken.12 Bender, 45 Jahre alt, war Psychiaterin in leitender Funktion im Bellevue Hospital in Manhattan, wo sie als Direktorin der Kinderstation arbeitete. Außerdem war sie Associate Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Fakul­ tät der New York University. Sie war Expertin für emotional gestörte

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Lauretta Bender mit ihrem Ehemann Paul Schilder und ihren beiden Söhnen, um 1939

und aggressive Kinder, spezialisierte sich auf Kinder unter zwölf Jahren und hatte ein besonderes Interesse an der Frage, ob Lesen für diese Kinder eine Belastung oder eine Hilfe war. Sie selbst hatte erst in der 4. oder 5. Klasse lesen gelernt; sie hatte eine ausgeprägte Legasthenie, eine Behinderung, die, wie sie später sagte, ihr wissenschaftliches Interesse an der Frage erklärte, was Kinder aus ihrer Lektüre mitnehmen können. Bei ihrer Abschiedsrede für ihren High-School-Jahrgang in Los Angeles 1916 sprach sie über die Bedeutung von Bildung für Mädchen: «Wir haben Hände, die arbeiten müssen, Gehirne, die denken müssen, und Persönlichkeiten, die entwickelt werden müssen.» Als sie beschloss, dass sie das College besuchen wollte, schimpfte ihre Mutter sie aus und sagte ihr: «Der Platz einer Frau ist im Haus», aber Bender ignorierte sie, ging zunächst nach Stanford und später dann an die University of Chicago, um dort einen Graduate-Abschluss in Pathologie zu machen. Ihren medizinischen Doktortitel erwarb sie

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1926 in Iowa. Während einer einjährigen Tätigkeit an der Henry Phipps Psychiatric Clinic der Johns Hopkins University lernte sie Paul Schilder kennen, einen Wiener Psychoanalytiker und Kollegen Freuds. Schilder verließ Baltimore im Frühjahr 1930, um das Amt des Direktors der Klinischen Psychiatrie im Bellevue Hospital in New York zu übernehmen; Bender folgte ihm im Herbst jenes Jahres dorthin. Vier Jahre später wurde sie zur Direktorin der Kinderstation des Krankenhauses ernannt, und zwei Jahre danach, im Jahr 1936, heirateten sie und Schilder.13 Bender beobachtete in den Jahren von 1930 bis 1940 die Fälle von rund 7000 Kindern, die ins Bellevue Hospital eingeliefert wurden. Gemeinsam mit zwei Kollegen veröffentlichte Bender 1936 eine Studie über 38 Kinder, die wegen Verhaltensstörungen ins Bellevue eingewiesen worden waren; die Psychiater hatten den Kindern Szenen mit der Darstellung von Aggressionen in Flash Gordon und anderen Comicstrips gezeigt und ihnen Fragen in der Art von: «Ist es richtig, jemanden zu schlagen, der dich beleidigt?» gestellt.14 1940 wurde der 54-jährige Schilder auf dem Rückweg von einem Krankenhausbesuch bei Bender und ihrer acht Tage alten Tochter von einem Auto angefahren und tödlich verletzt. Bender, jetzt mit drei Kindern allein – dem dreijährigen Michael, dem zwei Jahre alten Peter und der kleinen Jane –, entwickelte schon bald danach ein schmerzhaftes Interesse an der Frage, wie Kinder mit dem traumatischen Verlust ­eines Elternteils zurechtkommen.15 Bei der Beobachtung ihrer eigenen kleinen Kinder stellte sie fest, dass es Geschichten gab, die sie einfach nicht ertragen konnten. «Der ältere Junge kann keine Geschichte dieser Art hinnehmen, selbst bei Peter Rabbit nicht, der, wenn Sie sich an Ihre eigenen Begegnungen mit Peter Rabbit erinnern, in einen Garten ging, wo sein Vater unter die Hacke eines Farmers geriet und schließlich in einer Pastete landete. Ich musste das Puppenspiel bei diesem Bild mit einem schreienden Kind verlassen.» Ihr zweiter Sohn hatte ­jedoch in Comic-Heften Trost gefunden, vor allem in solchen, die ­Geschichten über Kinder enthielten, die Eltern oder Elternteile ver­ lieren. Bender erklärte: «Ich meine, für ihn ist es ein Versuch, eine ­Lösung für das Rätsel von Leben und Tod zu finden, und dafür, wie es passieren kann, dass der Vater eines Kindes dieses Kind verlassen

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kann, noch bevor es den Vater überhaupt kennt.» Ihre Tochter, die niemals eine Chance hatte, ihren Vater kennenzulernen, begann mit dem Verfassen eigener Comic-Hefte, sobald sie alt genug war, um zu schreiben. Sie schrieb eine Mordgeschichte, wie Bender erzählte, «in der der blutige Kopf der angegriffenen Person auf dem Schoß des geliebten Menschen lag, wer immer das auch war, und es wurde versucht, den Schmerz zu lindern.» Das beunruhigte Janes Lehrerin, aber Bender war der Ansicht, das sei völlig normal: «Das ist ihre Art, ihr Problem zu lösen.»16 Gaines wusste nichts von all diesen Dingen. Er wusste jedoch – vielleicht von Marston –, dass Bender 1941 einen sehr interessanten Zeitschriftenartikel geschrieben hatte, und zwar gemeinsam mit Reginald Lourie, einem Assistenzarzt, der unter ihrer Leitung arbeitete. Der Arti­ kel trug die Überschrift «Die Wirkung von Comic-Heften auf das Weltbild von Kindern» («The Effect of Comic Books on the Ideology of Children»). Bender und Lourie berichteten in diesem Beitrag über die Ergebnisse einer Studie, die sie im Gefolge einer ab 1940 einsetzenden öffentlichen Debatte durchgeführt hatten, nachdem Sterling North Comic-Hefte als nationale Schande bezeichnet hatte. In ihrer Eigenschaft als Kinderpsychiater waren beide, Bender wie auch Lourie, von ComicHeften natürlich fasziniert. «Jeder Mensch, der Kontakt zu Schulkindern hat – und ganz besonders diejenigen, die eng mit Kindern zusammenarbeiten –, wird sich früher oder später des Ausmaßes bewusst, in dem das beständige Lesen von Comic-Heften in ihr Denken, ihre Alltagsaktivitäten und ihr Spiel vorgedrungen ist», erklärten sie. Sie wollten wissen, ob die Comic-Hefte das Verhalten der Kinder beeinflussten. «Lösen sie Ängste aus?», fragten sie. «Führen sie zu Aggressionen?» Bender und Lourie gingen diese Fragen an, indem sie vier Fall­ geschichten von Kindern erzählten, die wegen Verhaltensproblemen ins Bellevue Hospital eingeliefert worden waren. Alle vier hatten ein massives Kindheitstrauma erlitten. Die zwölfjährige Tessie hatte mit­ erlebt, wie ihr Vater, ein verurteilter Mörder, sich selbst tötete. Ihre Mutter war krebskrank und lag im Sterben. Sie hatte beschlossen, sich jetzt Shiera zu nennen, nach einer Comic-Heft-Figur, die immer wieder gerettet wird, immer in letzter Minute und von The Flash. Bender und Lourie kamen zu dem Schluss, dass die Comic-Lektüre eine

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Form der Selbsttherapie sei: «Dieses unermesslich belastete Kind versuchte über die Comic-Hefte eine Methode zu entwickeln, mit der sich ihre verwirrenden persönlichen Probleme klären ließen», schrieben sie. «Indem sie sich mit der Heldin identifizierte, die immer wieder aus gefahrvollen Situationen gerettet wird, gelang es ihr, den eigenen Schwierigkeiten zeitweise zu entrinnen.» Der elfjährige Kenneth hatte den größten Teil seines Lebens in Pflegefamilien verbracht. Er war ­außerdem missbraucht worden. Und er glaubte, dass er bald sterben müsse. Ohne Medikamente war er hypernervös, es sei denn er «trug ein Superman-Cape». Mit dem Cape fühlte er sich sicher – er konnte fortfliegen, wenn er das wollte –, und «er hatte das Gefühl, dass das Cape ihn vor einem Angriff schützte, der von hinten kam». Bender und Laurie, die mit deutlich erkennbarem Mitgefühl schrieben, sprachen sich mit erheblicher Begeisterung für die Comic-Hefte aus. ­«Comic-Hefte sind vielleicht am besten zu verstehen, wenn man sie als Ausdruck der Folklore dieses Lebensalters betrachtet», erklärten sie. Sie böten Kindern eine Möglichkeit zu spielen, eine völlig normale Art von Fantasie – sogar eine Möglichkeit, Probleme zu lösen. Sicher, es herrschte überall Chaos – Morde, Fesselungen, Schießereien. Aber es wurde aufgelöst. «Aggression ist in den meisten der Geschichten ein Thema», stellten die Autoren fest, «aber ihr Zweck ist, so wie der Held sie ausübt, von anderen ausgehende feindselige und schädliche Aggres­ sion zu verhindern.» Die Schlussfolgerung: «Man kann den Comics nachsagen, dass sie ihren Lesern die gleiche Art von seelischer Katharsis bieten, die Aristoteles für das Drama in Anspruch nahm.» Doch Bender und Lourie bereitete es Sorgen, dass «männliche Helden vorherrschen».17 Waren Frauen niemals stark? Gaines hatte seine Art, auf die Kontroverse um die Comic-Hefte zu ­reagieren – er wandte sich an Bender; Marston ging anders vor. Family Circle berichtete  – möglicherweise auf Marstons Drängen hin  – im ­April 1942 über Benders und Louries Studie mit einer beruhigenden Tagline: «Helden, die zu jeder Art von Wunderwerk imstande sind – aus der Fantasie geboren, aber mit Bezug zur Wirklichkeit –, sind so etwas wie heutige Gegenstücke für das, was Sie selbst in Ihrer Kindheit begeisterte und erschauern ließ.»18

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Marston gab sich unterdessen alle Mühe, seine Exzesse zu zügeln. «In der Anlage finden Sie ein wunderbares Manuskript des besten ­Autors in diesem Metier», schrieb er im Juni 1942 an Mayer. «Wenn Sie als Zeichen Ihrer Anerkennung Rosen schicken, dann nehmen Sie doch große weiße, die für die Reinheit dieses Manuskripts stehen, für das schöne, saubere Draufhauen, für Blut, Krieg und das Töten, das Sie und unsere katholischen Freunde als schöne, saubere Unterhaltung für die Jugend betrachten, und vor allem für das Fehlen aller elektrischen Stühle und Nadeln, sogar von Stricknadeln, die aus diesem außerordentlich tugendhaften Manuskript herausgenommen worden sind.»19 Wonder Woman verkaufte sich wie verrückt, ob nun gesäubert oder nicht. Mit Ausnahme von Superman und Batman kam keine andere Figur auch nur in die Nähe solcher Zahlen. Gaines musste nicht weiter überzeugt werden. Er veranstaltete aber noch eine weitere Leserbefragung, um ganz auf der sicheren Seite zu sein. All-Star Comics Nr. 11 enthielt einen Fragebogen, der eine ganze Seite einnahm. Eine der dort gestellten Fragen lautete: «Sollte es WONDER WOMAN gestattet werden, Mitglied der Justice Society zu werden, obwohl sie eine Frau ist?» Gaines, der Bender über den Rücklauf berichtete, merkte dabei an: «Es ist eine Überraschung, festzustellen (ist es das?), dass es sehr wenige Vorbehalte gegen das Vordringen einer Frau in eine ehemals rein männliche Domäne gibt.» Auf den ersten 1801 eingesandten Fragebögen sagten 1265  Jungen und 333  Mädchen «Ja»; 197 Jungen und gerade einmal 6 Mädchen sagten «Nein».20 Wonder Woman trat der Justice Society im All-Star Comics-Heft vom August/September 1942 bei. Der Vorgang fiel nicht ganz so triumphal aus, wie es bei diesem Stand der Dinge möglich gewesen wäre. Sie wurde als Sekretärin der Society aufgenommen.

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Wonder Woman   zur Sekretärin der Justice Society zu machen war nicht

Marstons Idee; es war die Idee von Gardner Fox. Wonder Womans Abenteuer als Mitglied der Justice Society stammten nicht aus der ­Feder von Marston, sondern kamen von Fox, der an Batman gearbeitet, Hawkman geschaffen und beim Start von The Flash und The Sandman mitgewirkt hatte. Die Wonder-Woman-Geschichten von Fox wurden, wie die Texte von Marston, von Sheldon Mayer redigiert und von Charlie Gaines herausgebracht. Aber Fox’ Wonder Woman ist zu nichts zu gebrauchen und hilflos. Sie kommt kaum einmal aus dem Hauptquartier der Justice Society heraus. Als alle männlichen Superhelden im Sommer 1942 in den Krieg ziehen, bleibt Wonder Woman in ihrem Büro, um die Post zu bearbeiten. «Viel Glück, Jungs», ruft sie den einrückenden Helden nach. «Ich wünschte, ich könnte euch begleiten!»1 Im Dezember 1942, als die Männer sich auf einen unmittelbar bevorstehenden Auftrag zur Versorgung des vom Krieg verwüsteten ­Europa mit Lebensmitteln vorbereiten, bleibt Wonder Woman wieder im Hauptquartier und erklärt: «Ich muss zurückbleiben, aber ich werde in Gedanken bei euch sein!» Zwei Monate später erscheint nur Wonder Woman zu einer Versammlung der Justice Society; die Männer sind zu beschäftigt. Die gelangweilte Wonder Woman beschließt, «alle Freundinnen der Justice-Society-Mitglieder» ausfindig zu machen, um nach den Jungs zu suchen. «Das ist die Chance unseres

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­ ebens für uns Mädels!» Aber L letztlich retten sie bei dieser Suche niemanden; stattdessen geraten sie in eine Falle und müssen selbst gerettet werden.2 Tut sich im Hauptquartier tatsächlich einmal etwas, was selten genug vorkommt, schreibt Fox Wonder Woman aus der Geschichte hinaus, bevor etwas ­Interessantes geschieht. «Meine Herren!», ruft sie in einer Geschichte vom Sommer 1943 bei Sitzungsbeginn. «Die Protokolle aller früheren Versammlungen der Justice Society wurden gestohlen!» «Bist du sicher, dass du das Diensttagebuch nicht mit nach Hause genommen hast, um das letzte Protokoll zu tippen?», fragt Hawkman. «Absolut!», erwidert Wonder Woman. «Aber ich gehe jetzt nach Hause und sehe nach, um Aus: Gardner Fox, «The Black Dragon ganz sicher zu sein.» Menace», in: All-Star Comics Nr. 12, Und dann geht sie zur Tür hiAugust/September 1942 naus und taucht in dieser Episode nicht mehr auf. Die Geschichte ist 50 Seiten lang; Fox wird Wonder Woman mit zwei Bildern los.3 Marston war außer sich. Er beschwerte sich im April 1942 bei Mayer, und als Fox sein nächstes Manuskript einreichte, bestand ­Marston darauf, es umzuschreiben. «Ich bitte Sie, in meinem Manuskript die allgemeingültige Wahrheit über den Krieg und Frauen zu beachten, die Männer so zähmen, dass sie den Frieden und die Liebe

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dem Kampf vorziehen», schrieb Marston an Mayer im Begleitbrief zu seinem eigenen Manuskript, in dem Wonder Woman auf einer Rakete durch den Weltraum reitet.4 Wonder Woman war bei Fox eine Sekretärin im Badeanzug. Marstons Wonder Woman war eine Feministin der Progressive Era, die ihrem Auftrag folgte, im Namen von Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung der Frau gegen das Böse und gegen Intoleranz, Zerstörung, Ungerechtigkeit, Leiden, ja sogar gegen Sorgen zu kämpfen. Während die Wonder Woman nach der Lesart von Fox 1942 die Protokolle von Sitzungen der Justice Society tippte, organisierte Marstons Wonder Woman Boykottaktionen, Streiks und politische Versammlungen. In einer im Juli 1942 in Sensation Comics veröffentlichten Geschichte entdeckt Wonder Woman, dass die International Milk Company Wucherpreise für Milch verlangt hatte, was zur Unterernährung amerikanischer Kinder führte. Die Geschichte war einer Tageszeitung des Hearst-Konzerns entnommen, für die Harry G. Peter in den 1910 er Jahren gearbeitet hatte. Hearst hatte 1919  – und ein weiteres Mal 1926  – seine Zeitungen für Angriffe auf den Politiker Al Smith benutzt, «einen der Milch-Betrüger», der sich mit «dem Milch-Kartell» verschworen habe, um den Milchpreis in die Höhe zu treiben, und das sei eine Form von Wucher, die amerikanische Babys umbringe.5 «Es kann nicht rechtmäßig sein, armen Kindern die Milch vorzuenthalten!», ruft Diana Prince, als sie Alphonso De Gyppo, den Vorstandsvorsitzenden der International Milk Company, zur Rede stellt. Diana wird von Al De Gyppos Handlangern entführt, die sie in den Tank ­eines Milchlasters sperren und dort ertränken wollen. («Was für eine Verschwendung guter Babynahrung», denkt sie.) Diana wechselt in ihr Wonder-Woman-Kostüm, befreit sich aus dem Milchtank und ­organisiert eine «riesige Demonstration gegen den Milch-Schwindel». Tausende von armen Müttern und ihre Kinder marschieren durch die Straßen, angeführt von Wonder Woman und den Studentinnen des Holliday College. Die führen ein Transparent mit, auf dem zu lesen ist: «DIE INTERNATIONAL MILK COMPANY LÄSST AMERIKAS KINDER HUNGERN!!» Mit diesem Bild, in dem die einen Schimmel rei-

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Inez Milholland Boissevain führt am 3. März 1913 einen Suffragetten-Marsch in Washington, D. C., an

tende Wonder Woman den Demonstrationszug anführt, machte Peter eine Anleihe bei einer berühmten Fotoserie zu einem Protestmarsch von Suffragetten in Washington 1913; Inez Milholland Boissevain führte diesen Protestzug an, sie trug ein goldenes Diadem und ritt auf einem Schimmel. Marston aktualisierte die aus der Progressive Era stammende Geschichte über das Milch-Kartell, indem er sie in eine deutsche Verschwörung einbettete (die ihrerseits, für sich genommen, ein Echo der Geschichte aus den 1910 er Jahren war), deren Fäden Baronin Paula von Gunther zog, eine Agentin des Naziregimes. «Ich habe sieben Millionen Dollar ausgegeben, um amerikanischen Kindern die Milch wegzunehmen!», sagt die Baronin zu Wonder Woman, die sie zuvor an ­einen Tankwaggon ketten ließ, der mit fast 40 Kubikmetern Milch gefüllt ist. «Eure heranwachsende Generation wird geschwächt und verzwergt werden! In zwanzig Jahren wird Deutschland eure ohne Milch aufgewachsene Jugend besiegen und Amerika beherrschen!» Wonder Woman befreit sich von den Ketten, die sie fesseln, sie verhindert,

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Wonder Woman führt eine politische Kundgebung an. Aus: «The Milk Swindle», in: Sensation Comics Nr. 7, Juli 1942

dass der Tankwaggon entgleist («Das wird Zehntausende von Litern guter Milch retten, die für amerikanische Kinder bestimmt ist!»), und nimmt die Baronin fest. Der Milchpreis fällt wieder.6 Wonder Womans nächstes Abenteuer war von gewerkschaftlichen Kämpfen der Progressive Era inspiriert, einschließlich eines Streiks von Textilarbeiterinnen in Lawrence, Massachusetts, im Jahr 1912. (Margaret Sanger hatte sich bei jenem Streik engagiert, und vermutlich galt das auch für Ethel Byrne. Sanger reiste nach Washington, um dort vor dem Kongress über den Schaden auszusagen, den die Textilindustrie dem Leben von Frauen und Kindern zufügte. Sanger wirkte auch bei der gewerkschaftlichen Mobilisierung von Restaurant- und Hotelpersonal in New York sowie von Beschäftigten der Seidenindustrie in Paterson, New Jersey, mit).7 Wonder Woman findet in einer in Sensation Comics Nr. 8 im August 1942 erschienenen Geschichte he­ raus, dass die im Kaufhaus Bullfinch – es gehört der sagenhaft reichen

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Der Textilarbeiterstreik von Lawrence, 1912

Gloria Bullfinch  – beschäftigten Frauen unterbezahlt werden. «Wir Bullfinch-Mädchen verdienen nur elf Dollar pro Woche», klagt Dianas Freundin Molly. Fünfzig junge Frauen sind wegen Aufsässigkeit entlassen worden. Die übrigen befinden sich im Streik. In der Streikpostenkette vor dem Kaufhaus sind Transparente zu sehen, auf denen zu lesen ist: «UNSERE SCHUFTEREI MACHT GLORIA GLAMOURÖS», «DAS KAUFHAUS BULLFINCH BEHANDELT JUNGE FRAUEN UNFAIR» und «WIR HUNGERN, WÄHREND GLORIA BULLFINCH MIT DER FEINEN GESELLSCHAFT SPEIST!» Die Streikenden werden entlassen. Wonder Woman sucht Gloria Bullfinch in ihrer Villa auf und fesselt sie mit ihrem magischen Lasso. Unter dem hypnotischen Einfluss des Lassos flüstert Wonder Woman

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Diana Prince hilft den Streikenden eines Kaufhauses. Aus: «Department Store Perfidy», in: Sensation Comics Nr. 8, August 1942

Gloria Bullfinch ein, dass sie in Wirklichkeit eine junge Frau namens Ruth Smith sei, und befiehlt ihr, sich vom Kaufhaus Bullfinch einstellen zu lassen. Wonder Woman entdeckt dann, dass der eigentliche Schurke, der hinter den ausbeuterischen Praktiken im Kaufhaus Bullfinch steckt, Glorias Verlobter ist, Prinz Guigi Del Slimo. Nachdem sie als Ruth Smith in ihrem eigenen Kaufhaus als Verkäuferin gearbeitet hat, wird sich Gloria der Perfidie Del Slimos bewusst, sie verpasst ihm einen Kinnhaken und ruft: «Ich wünschte nur, ich könnte zuschlagen wie Wonder Woman!» Dann übernimmt sie selbst die Geschäftsleitung des Kaufhauses und kündigt persönlich vor der Belegschaft an: «Mädels, ab sofort wird euer Gehalt verdoppelt!»8 In einer Sensation Comics-Geschichte vom September 1942 knöpft sich Wonder Woman dann herzlose Ehemänner vor. Die wahre Diana Prince – Wonder Womans Doppelgängerin – kehrt nach Washington zurück, sie ist inzwischen mit einem Mann namens Dan White verhei-

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ratet und neuerdings auch Mutter. Ihr Ehemann ist ein eifersüchtiger Grobian. Er ist außerdem auch noch arbeitslos. In einem Bild sieht man Diana White, die, eine Schürze umgebunden, am Küchenherd steht, während das Baby im Wohnzimmer nebenan im Stubenwagen gluckst. Als sie ihrem Ehemann eröffnet, dass sie gerne wieder arbeiten würde, baut er sich bedrohlich vor ihr auf. «Bitte lass mich wieder arbeiten, Dan!» «Nein! Meine Frau muss nicht arbeiten.» «Aber Dan, wir haben kein Geld mehr, und das Baby muss etwas zu essen haben.» Und dann verlässt sie die Wohnung mit ihrer SanitätsschwesternUniform und begibt sich auf Arbeitssuche. Sie besucht Diana Prince in ihrem Büro und verlangt ihre Identität zurück – und ihre Arbeitsstelle. Wonder Woman gibt dem Ansinnen nach und begibt sich dann zur Wohnung der Whites, nur um dort von Dan White mit seiner Frau verwechselt zu werden. «Nun? Hast du eine Arbeit gefunden? Wenn dem so ist, werde ich …» «Meine Güte, bist du stur! Nein, ich habe noch keine Arbeit, aber …» «Du wirst keine Arbeit finden … Ich regle das! Du bleibst jetzt immer in dieser Wohnung.« «Was willst du tun – mich einsperren?» Und dann kettet er sie an den Küchenherd und sagt: «So werde ich dich jedes Mal anketten, wenn ich das Haus verlasse!» Es folgt sehr viel Melodramatisches, einschließlich der Entführung von Diana White durch Nazi-Agenten, die sich auch vorgenommen haben, Dan Whites Karriere zu beenden. Letztlich rettet Wonder Woman alle Beteiligten, und auch die Ehe ist gerettet. Diana Prince, die ihren Arbeitsplatz zurückerhalten hat, sagt zu Diana White: «Aber ich beneide dich um deine Arbeit als Ehefrau und Mutter.»9 Wonder Woman hatte in dieser Episode nicht nur eine geheime Identität, sondern zwei. Sie war Diana Prince, eine berufstätige Frau, und außerdem Diana White, ihre Doppelgängerin, eine Ehefrau und Mutter: Elizabeth Holloway und Olive Byrne, beide. Marston bezog mehr als einmal öffentlich Stellung für die Berufstätigkeit von Frauen.

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In der Zeitschrift Tomorrow schrieb er 1942: «Die wahrhaftigste Freundlichkeit gegenüber jeder Frau besteht darin, ihr eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung auf irgendeinem konstruktiven Gebiet zu verschaffen: zu arbeiten, und zwar nicht zu Hause, am Herd und mit der Scheuerbürste, sondern außer Haus, unabhängig, in der Welt der Männer und Geschäfte.»10 Wonder Woman schätzt ihre Unabhängigkeit. Nach den Gesetzen der Amazonen kann sie nicht heiraten, aber sie will es auch gar nicht, Steve Trevors wiederholten Anträgen zum Trotz. «Zur Hölle noch mal!», schimpft Trevor. «Warum zieht dieses wunderschöne Mädchen immer den Ärger an? Wenn sie mich nur heiraten würde, dann wäre sie jetzt zu Hause und würde mein Abendessen kochen!»11 Aber Wonder Woman ist sehr froh darüber, dass sie nicht zu Hause ist, um das Abendessen zuzubereiten. Sie hat andere Dinge zu tun. Sie ist außerdem vorsichtig, wenn es darum geht, Männern irgendeine Art von Macht über sie zu gestatten. Sie weiß, dass sie all ihre Kraft verliert, wenn sie es zulässt, dass ein Mann Ketten an ihren Armbändern befestigt. Wenn das geschieht, verfällt sie in Verzweiflung. «Diese Armbänder – sie sind die größte Stärke und Schwäche einer Amazone! Was für eine Närrin war ich, als ich einen Mann Ketten daran schmieden ließ. Das führt einer Frau vor Augen, dass sie in dieser Männerwelt auf sich aufpassen muss.»12 Andererseits braucht sie jedoch ihre Armbänder. Die Gefahr besteht darin, dass Wonder Woman ohne ihre Armbänder hemmungslos und furchterregend gewalttätig ist, wie die Story «The Unbound Amazon» zeigt. Als die bösartige Mavis Wonder Woman die Armbänder abnimmt, gerät diese völlig außer sich. «Ich bin ganz und gar außer Kontrolle! Ich kann jetzt zerstören wie ein Mann!»13 Während des Krieges waren die Schurkengestalten in Wonder-WomanGeschichten oft Deutsche, wie etwa die Scheusale, die rufen: «Vonder Voman  – bullets dond’t hurt her!» Oft waren sie auch Japaner. Der Rassismus von Wonder Woman ist der Rassismus, der in Comic-Heften der 1940 er Jahre allgegenwärtig ist. Schwarze und Mexikaner sprechen in einem ihnen zugeschriebenen typischen Soziolekt. «Dis suitcase show am heaby!», klagt ein Pullman-Schaffner. «Si, si! Old mine, muy pronto!», ruft Pancho, ein Mexikaner. Obwohl sich Marston in

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seinen eigenen Schriften gegen jede Art von Voreinge­nommen­ heit wandte, auch gegen Antisemitismus, treten in seinen Comic-­ Heften oft gierige, hakennasige Schufte auf, zum Beispiel die blinden Mole Men, die im Erdreich unter der Paradiesinsel ein geheimes Gefängnis anlegen, wo sie Amazonen als Sklavinnen halten.14 Aber ein Anliegen teilen der König der Mole Men und alle in Wonder-Woman-Geschichten auftretenden Schurken, und das ist ihre Gegnerschaft zur Gleichberechtigung der Frau. Wonder Woman kämpft gegen sie alle für Aus: «Grown-Down Land», in: das Recht der Frau auf ErwerbsSensation Comics Nr. 31, Juli 1944 arbeit, auf eine Kandidatur für öffentliche Ämter und auf die Einnahme von Führungspositionen. Als Wonder Woman die verlorene Welt der Inkas entdeckt, sagt sie der Tochter des Herrschers, dass sie den Thron für sich beanspruchen sollte: «Es ist an der Zeit, dass diese verschollenen Inkas von einer Frau regiert werden!»15 Franklin  D. Roosevelt gründete im Mai 1942 das Women’s Army Auxiliary Corps. 150 000 Frauen traten in die Armee ein, übernahmen dort Aufgaben ohne Kampfauftrag, so dass Männer für Kampfein­ heiten frei wurden. «Das Women’s Army Auxiliary Corps scheint die endgültige Verwirklichung des Traums der Frau von der völligen Gleichberechtigung mit den Männern zu sein», schrieb Margaret Sanger. Aber sie hielt diese neue Organisation für einen zwiespältigen Erfolg. «Die Regierung verbindet diese Ehre jedoch mit einem Haken.» Sanger war aufgebracht, weil die Regierung sich weigerte, WAAC-Soldatinnen Verhütungsmittel zur Verfügung zu stellen, und stattdessen alle Frauen entließ, die während der Dienstzeit schwanger wurden.

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Aus: «The Girl with the Gun», in: Sensation Comics Nr. 20, August 1943

Dennoch hielt Sanger diese Praxis für nützlich, weil sie so erhellend war. «Diese neue Frauenarmee ist eine großartige Sache», erklärte Sanger, «ein echter Testfall für die Frauenbewegung. Noch nie zuvor hat sich der Kampf für die Gleichberechtigung der Frau auf das wahre Problem reduziert: Sex.»16 Sanger war zu diesem Zeitpunkt bestürzt über den Richtungswechsel, den die Birth Control Federation of America vornahm. Die Organisation änderte 1942 ihren Namen – gegen Sangers energischen Einspruch – in Planned Parenthood Federation of America ab und begründete dies mit der Feststellung, der Begriff «Geburtenkontrolle» sei einfach zu radikal. «Wir werden wegen dieses Namens nicht weiterkommen; das versichere ich Ihnen», warnte Sanger. «Unser bisheriger Fortschritt beruht darauf, dass das Birth Control Movement auf ­einem starken Fundament aus Wahrheit, Gerechtigkeit, Recht und ­einem guten, gesunden Menschenverstand errichtet wurde.» Die führenden Persönlichkeiten von Planned Parenthood vertraten während

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des Zweiten Weltkriegs die Ansicht, dass die Beschränkung der Kinderzahl in den Familien zum Kriegserfolg beitragen werde. Sanger war jedoch der Meinung, das beste Argument für die Empfängnisverhütung sei mit den Frauenrechten verbunden. «Ein demokratisches Recht, dessen sich während dieses Krieges eine größere Zahl von Frauen erfreut, das jedoch den meisten von ihnen während des letzten Krieges verwehrt wurde, ist, selbst zu entscheiden, ob sie Babys haben wollen oder nicht.»17 Sanger setzte sich während des Krieges dafür ein, diese Botschaft unter die Leute zu bringen. Die Männer, die Planned Parenthood in den 1940 er Jahren leiteten, wollten von Frauenrechten nichts hören. Aber Marston setzte bei seiner Erklärung, warum er Wonder Woman geschaffen hatte, auf das feministische Argument, das Sanger in The Pivot of Civilization vorgebracht hatte. Er schrieb: «Die einzige Hoffnung für die Zivilisation ist die größere Freiheit, Entwicklung und Gleichberechtigung der Frauen.»18

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DIE WONDER WOMEN DER GESCHICHTE

MIT AUSNAHME VON SUPERMAN UND BATMAN   war kein anderer DC-Super-

held auch nur annähernd so beliebt wie Wonder Woman. Sie war die Hauptfigur in Sensation Comics; sie hatte regelmäßige Auftritte in AllStar Comics; und in Comic Cavalcade, einem vierteljährlich erscheinen­ den Heft, war sie der unbestrittene Star: Sie war auf jedem Titelbild zu sehen, und in jeder Ausgabe blieb ihr außerdem die Aufmacher­ geschichte vorbehalten. Im Juli 1942 wurde sie zur ersten Superheldin, der ein eigenes Comic-Heft gewidmet war. «Die Reaktion auf mein neues Feature ‹WONDER WOMAN› in ‹Sensation Comics› ist so günstig ausgefallen», schrieb Gaines an Lauretta Bender, «dass ich jetzt ein ‹WONDER WOMAN QUARTERLY› herausbringe, das alle Geschichten mit dieser Figur enthält, genau wie bei ‹Superman› und ‹Batman›.»1 Es war eine gute Zeit für Amazonen. By Jupiter, das Musical von Richard Rogers und Lorenz Hart, das sich am längsten auf der Bühne halten sollte, hatte im Juni 1942 am Broadway Premiere. Das Stück, das auf der Farce The Warrior’s Husband von Julian F. Thompson beruht, erzählt die Geschichte von griechischen Kriegern, die ausgesandt wurden, um Dianas heiligen Gürtel zu stehlen. Ray Bolger spielt Hippolytes glücklosen Ehemann. «We’re here to fight the Amazons!», singen die Männer. «They’re only women but we hear / They wield a mighty wicked spear!» («Wir sind hier, um gegen die Amazonen zu

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kämpfen! / Sie sind nur Frauen, aber, so hören wir, / Sie führen den Speer mit Wucht und Gespür»). Marston sah sich das Musical gemeinsam mit Holloway an. Er fand es sehr lustig.2 Außerdem schadete es dem Verkauf seiner Comics keineswegs. Zum Verkaufsstart von Wonder Woman beschloss Marston, dass die Zeit jetzt reif dafür war, durch die Enthüllung eines Geheimnisses für Aufsehen zu sorgen. Er verfasste eine Pressemitteilung unter dem Titel «Bekannter Psychologe als Autor des Bestsellers ‹Wonder Woman› enttarnt» («Noted Psychologist Revealed as Author of Best-Selling ‹Wonder Woman›»): Bei der gestern erfolgten Ankündigung, dass der beliebten Comic-Heldin «Wonder Woman» ab dem 22. Juli ein ganzes eigenes Heft gewidmet sein wird, teilte M. C. Gaines, der Verleger der in der Lexington Avenue 480 ansässigen All-American Comics, erstmals offiziell mit, dass der Autor von «Wonder Woman» Dr. William Moulton Marston ist, ein Psychologe von internationalem Ruf und Erfinder des weithin bekannten «Lügendetektor»Tests.

Marston erklärte in dieser Pressemitteilung, dass Wonder Woman als Allegorie gedacht sei: «‹Wonder Woman› ist, wie ihr männlicher Proto­typ ‹Superman›, mit einer gewaltigen Körperkraft ausgestattet – aber im Unterschied zu Superman ist sie verletzbar.» Er fuhr fort: «‹Wonder Woman› trägt eng an den Handgelenken anliegende Armbänder; mit ihnen kann sie Kugeln abwehren. Aber wenn sie es zulässt, dass ein Mann Ketten an diese Armbänder schmiedet, verliert sie all ihre Kraft. Das, sagt Dr. Marston, widerfährt allen Frauen, wenn sie sich der Herrschaft eines Mannes unterwerfen.» Wonder Woman sei eine Spielart feministischer Propaganda, betonte Marston: «‹Wonder Woman› wurde von Dr. Marston erdacht, um bei Kindern und jungen Menschen einen Maßstab für starke, freie, mutige Weiblichkeit zu setzen; und um die Vorstellung zu bekämpfen, dass Frauen den Männern unterlegen seien, und um Mädchen und junge Frauen zu Selbst­ bewusstsein und Leistungen im Sport, in der Arbeitswelt und in den freien Berufen anzuregen, die sämtlich von Männern monopolisiert sind.»3 Sie war nicht als Superfrau gedacht; sie sollte eine alltagstaugliche Frau sein.

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Alice Marble, in: Wonder Woman Nr. 1, Juli 1942

Die erste Ausgabe von Wonder Woman war ihrer Herkunft gewidmet. «Ich glaube, ich habe so gut wie ALLES untergebracht», schrieb Mars­ ton an Mayer im Begleitbrief zu seinem ersten Manuskript.4 Gleich mit dem ersten Heft von Wonder Woman wurde auch ein vier Seiten umfassender Mittelteil eingeführt, die «Wonder Women der Geschichte» («Wonder Women of History»): feministische Kurzbiografien.5 Das begann, als Gaines die 29-jährige Alice Marble kennenlernte, die damals beste Tennisspielerin der Welt. Marble hatte bei den US Open 1936, 1938, 1939 und 1940 den Einzelwettbewerb gewonnen, das Frauendoppel (mit ihrer Partnerin Sarah Palfrey Cooke) von 1937 bis 1940 und das Mixed (mit vier verschiedenen Partnern, darunter einmal mit Donald Budge) 1936, 1938, 1939 und 1940. Dann zog sie sich vom Amateursport zurück und spielte nur noch als Profi bei Schauturnieren. Gaines lernte sie bei einer Cocktailparty kennen, bei der sich alle Anwesenden über die irrwitzige Popularität von Superman und Wonder Woman unterhielten, und Marble stellte ihm eine Frage. «Warum schreiben Sie nicht über Wonder Women aus dem richtigen Leben, die Frauen, die Geschichte geschrieben haben?»

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«Zum Beispiel?» «Clara Barton, Dolley Madison, Eleanor Roosevelt.» Gaines bat Marble, zu recherchieren und erste Manuskripte zu verfassen. Dann stellte er ihr einen Schreibtisch zur Verfügung und gab ihr einen Titel: Associate Editor. Er druckte ihr Foto im ersten Heft von Wonder Woman. Und er zahlte ihr sehr viel Geld. Marble sagte später, sie habe mit dem Schreiben von «Wonder Women of History» 50 000 Dollar verdient.6 Jede Folge von Marbles «Wonder Women of History» porträtierte eine andere Frau. Eine Absicht der Serie war, das Leben heldenhafter Frauen zu feiern und die Bedeutung der Geschichte der Frauen zu erklären. Eine weitere Absicht war die Werbung für Wonder Woman. Gaines verschickte im Juli 1942 Päckchen an prominente Frauen im ganzen Land, und diese Päckchen enthielten: das erste Heft von Wonder Woman; Marstons Pressemitteilung; einen an den Verlag adressierten Freiumschlag; und einen von Marble unterschriebenen Brief, mit dem um Vorschläge für künftige Frauenporträts gebeten wurde. «Wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, haben Frauen selbst in dieser emanzipierten Welt immer noch viele Probleme und haben deshalb ihre vollständige Entwicklung noch nicht erreicht. ‹WONDER WOMAN› steht für das erste Beispiel, bei dem Wagemut, Stärke und Einfallsreichtum als weibliche Eigenschaften hervorgehoben worden sind. Dieses Beispiel muss zwangsläufig eine dauerhafte Wirkung auf das Denken und Bewusstsein der heutigen Jungen und Mädchen ausüben.» Die erste porträtierte Persönlichkeit sei Florence Nightingale, erklärte Marble, und Clara Barton folge in der nächsten Ausgabe. Aber die Entscheidung darüber, wer sonst noch zu berücksichtigen sei, obliege den Frauen von Amerika, schrieb Marble: «Ich veranstalte eine landesweite Umfrage unter führenden Frauen in der Wirtschaft und im öffentlichen und beruflichen Leben, um festzustellen, welche berühm­ ten Frauen aus vergangenen Zeiten und aus der Gegenwart berücksichtigt werden sollten.»7 Vom dritten Wonder Woman-Heft wurden mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft.8 Wie viele Antworten Marble auf ihre landesweite Umfrage erhielt, ist nicht bekannt, aber unter den Frauen,

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deren Biografien in den 1940 er Jahren auf den vier Seiten in der Heftmitte von Wonder Woman vorgestellt wurden, befanden sich Wis­ senschaftlerinnen, Schriftstellerinnen, Politikerinnen, Sozialarbeiterinnen, Ärztinnen, Krankenschwestern, Sportlerinnen und Abenteurerinnen: Sojourner Truth, Abigail Adams, Madame Curie, Evangeline Booth, Lillian  D. Wald, Madame Tschiang Kai-schek, Susan  B. Anthony, Jeanne d’Arc, Jane Addams, Julia Ward Howe, Helen Keller, Lucretia Mott, Elizabeth Blackwell, Sarah Bernhardt, Amelia Earhart, Maria Mitchell, Carrie Chapman Catt, Dolley Madison, Sacagawea, Elizabeth Barrett Browning, Dorothea Nix, Nellie Bly, Jenny Lind und Fanny Burney. Es war das Konzept von Hechts True Comics – ComicHefte als Informationen zur Geschichte –, aber hier ging es um die Geschichte der Frauen. Gaines ließ das Feature als vierseitigen Comic ­separat heften und verschickte Hunderttausende von Exemplaren an öffentliche Schulen.9 Zeitschriften-Annoncen für Wonder Woman hoben ihre besondere Würdigung der Geschichte der Frauen hervor: Auf einer Anzeige war ein Mädchen mit Haarzopf zu sehen, das auf dem Fußboden liegend Wonder Woman las und davon träumte, was es werden könnte, wenn es erwachsen war; Abbildungen von zwölf «Wonder Women of History» sind rings um den Anzeigenrand herum angeordnet und stehen für das neuerdings erweiterte Spektrum der Vorstellungskraft der Träumenden.10 Es ist schwer zu sagen, wer «Wonder Women of History» tatsächlich schrieb. Marble wurde zwar im Impressum von Wonder Woman als «Associate Editor» geführt, aber sie kann die «Wonder Women of History» nicht über einen längeren Zeitraum hinweg verfasst haben.11 Sie heiratete 1942 einen Hauptmann der Army, kurz bevor dieser Mann an die Front geschickt wurde. Sie war 1944 im fünften Monat schwanger, als sie von einem Betrunkenen mit dem Auto angefahren wurde und das Kind verlor. Bald darauf erhielt sie die Nachricht, dass ihr Ehemann bei einem Flugzeugabsturz in Deutschland ums Leben gekommen sei; sie unternahm einen Selbstmordversuch. 1945 verließ sie das Land, um in der Schweiz als amerikanische Spionin zu dienen.12 Alice Marble brachte die «Wonder Women of History» mit auf den Weg, und sie stellte Gaines ihren Namen und ihr Bild zur Ver­ fügung, aber viel mehr kann sie nicht getan haben.

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Marston hatte in dieser Angelegenheit zumindest eine Hand mit im Spiel. Er entschied, welche Biografie in welchem Heft erscheinen sollte. «Werde für WW6 von Jeanne d’Arc zu Madame Kai-shek wechseln», teilte er Gaines 1943 mit.13 Er könnte auch festgelegt haben, welche Frauen porträtiert werden sollten. Und er könnte sogar zumindest einige der Biografien verfasst haben. Marston, als Studienanfänger in Harvard vom Fach Geschichte noch fürchterlich gelangweilt, hatte eine Faszination für die Geschichte der Frauen entwickelt. Er erklärte seinen Sinneswandel in einer Wonder-Woman-Geschichte mit dem ­Titel «The Ordeal of Queen Boadicea» («Das Martyrium der Königin Boudicca»). «Wer interessiert sich für diese uralten Gestalten, die vor 1900 Jahren lebten?», will ein High-School-Schüler namens Bif von Diana Prince wissen. «Und ganz besonders für Frauen – das sind alles Heulsusen!» «Für dich sind Frauen Heulsusen, weil du ihre wahre Stärke nicht kennst», antwortet sie. Und dann verwandelt sie sich in Wonder Woman, nimmt den Jungen mit auf eine Reise in die Vergangenheit und überzeugt ihn davon, dass die Geschichte eine faszinierende Ange­ legenheit ist.14 Es ist gut möglich, dass «Wonder Women of History» von Dorothy Roubicek geschrieben wurde, der ersten Redakteurin im Hause DC.15 Roubicek wurde 1913 in der Bronx in eine Familie von tschechischen und russischen Einwanderern hineingeboren und wuchs auf Long ­Island auf. Unmittelbar nach ihrem High-School-Abschluss heiratete sie einen Mann namens Irving Taub. Das junge Paar zog nach Florida, wo sie im Alter von 23 Jahren einen Sohn zur Welt brachte. Später kehrte sie mit ihrem Baby, aber ohne ihren Ehemann nach New York zurück und wohnte wieder bei ihren Eltern. Sie arbeitete als Steno­ grafin, bis Mayer sie 1942, inzwischen war sie 29 Jahre alt, als Redakteurin einstellte. Sie gab sich als «Miss  Roubicek» aus, denn selbst während des Krieges fanden verheiratete Frauen nur unter Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle. Sie arbeitete eng mit Gaines und vor allem mit Mayer zusammen, auch an der Superman-Figur. Ihre Mitarbeit bei Wonder Woman begann mit Wonder Womans Aufnahme in die Jus-

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Aus: «The Ordeal of Queen Boadicea», in: Sensation Comics Nr. 60, Dezember 1946

tice Society. Roubicek wird allgemein die 1943 entwickelte Idee mit dem Kryptonit zugeschrieben. Der Geschichte nach war Roubicek der Meinung, dass Superman verletzlicher sein sollte. Diese Idee könnte ihr bei der Arbeit an Wonder Woman gekommen sein, zu der auch häufige und ausführliche Besprechungen mit Lauretta Bender gehörten.16 Wer auch immer diese Texte geschrieben hat, der Sonderteil «Wonder Women of History» stimmte ganz und gar mit Marstons Hoffnung überein, mit der Erschaffung von Wonder Woman «die Vorstellung zu bekämpfen, dass Frauen den Männern unterlegen seien, und Mäd-

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chen und junge Frauen zu Selbstbewusstsein und Leistungen in Sport, in der Arbeitswelt und in den freien Berufen anzuregen, die sämtlich von Männern monopolisiert sind».17 Die Biografien wiesen Wonder Woman einen Platz als aktuellste Vertreterin in einer langen Reihe von Frauen zu, die für die Gleichberechtigung der Frau kämpften. Die Wonder Woman of History im Wonder Woman-Heft vom Juni/Juli 1943 ist Susan B. Anthony. Ein Bild zeigt sie mit einem Schlüssel, mit dem sie in wenigen Augenblicken die Fesseln einer in Ketten gelegten Frau lösen wird. Die Bildunterschrift lautet: «Amerika hat drei große Befreier. George Washington schweißte vier Millionen Kolonisten zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammen. Lincoln befreite vier Millionen Neger aus der Sklaverei. Und Susan  B. Anthony zertrümmerte zugunsten von Millionen amerikanischer Frauen die Fesseln ihrer juristischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Knecht­ schaft. Diese Wonder Woman führte ihr Geschlecht zum Sieg – tapfer, wagemutig, großzügig und aufrichtig, wie sie nun einmal war – und wurde zur ‹Befreierin der Frauen›.» Die vier Seiten umfassende Anthony-Kurzbiografie erklärt, wie die Bewegung für die Gleichberechtigung der Frau aus dem Engagement von Frauen für die Abschaffung der Sklaverei entstand. Es wird gezeigt, wie Anthony 1848 in Seneca Falls eine Rede hält und dabei vor einem Transparent steht, auf dem «FRAUENRECHTE» gefordert werden. Die Rednerin erklärt: «Neger müssen befreit werden, aber es bleibt immer noch eine andere Art der Sklaverei. Immer noch herrscht die alte Vorstellung, dass die Frau ­Eigentum und Besitz des Mannes ist! Der größte Teil des Unrechts und die meisten Konflikte der modernen Gesellschaft entwickeln sich aus diesem falschen Verhältnis zwischen Mann und Frau!»18 Die Bewegung für das Wahlrecht, die von 1848 bis 1920 aktiv war, wird oft für die «erste Welle» der Frauenbewegung gehalten, und die Frauenbewegung der 1960 er und 1970 er Jahre (Women’s Liberation) gilt dann als die «zweite Welle». In der Zwischenzeit blieben die Wasser nach dieser Denkart unbewegt.19 Aber auf den Seiten von Wonder Woman herrschte in den 1940 er Jahren kein Mangel an feministischer Agitation. Das Wonder Woman-Heft, das eine Kurzbiografie von Susan B. Anthony enthielt, in der sie als «Befreierin der Frauen» bezeichnet wurde,

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bot auch eine Wonder-Woman-Geschichte mit dem Titel «Kampf um die Frauen» («Battle for Womanhood»). Sie beginnt mit Kriegsgott Mars, den es erbost, dass so viele amerikanische Frauen an den Kriegs­ anstrengungen beteiligt sind. Die Geschichte wie auch die Zeichnungen beziehen sich ausgiebig auf die Verwendung des Kriegsgottes als Typus durch die Suffragetten in Karikaturen der 1910 er Jahre, in denen Mars, der die Frauen an das Elend des Krieges fesselt, regelmäßig auftaucht. Während des Ersten Weltkriegs erklärten die Suffragetten, der Krieg halte die Frauen in einem Zustand der Sklaverei fest. Im Zweiten Weltkrieg behauptete Marston, der Beitrag der Frauen zu den Kriegsanstrengungen fördere ihre Emanzipation, sehr zum Verdruss des Kriegsgottes Mars. «8 Millionen amerikanische Frauen üben Tätigkeiten aus, die mit dem Krieg verbunden sind – 1944 werden es 18 Millionen sein!», berichtet eine der Sklavinnen des Mars, die durch Kette und Eisenkugel gebunden ist. «Wenn Frauen im Krieg an Macht gewinnen, werden sie der Herrschaft des Mannes vollständig entkommen!», donnert Mars. «Sie werden eine schreckliche Unabhängigkeit erlangen! … Frauen sind die naturgegebene Kriegsbeute! Sie müssen im Haus bleiben, als hilflose Sklavinnen des Siegers! Wenn Frauen sich zu Kriegerinnen nach dem Vorbild der Amazonen entwickeln, werden sie stärker als die Männer werden und dem Krieg ein Ende bereiten!» Er befiehlt dem Duke of Deception, diese Entwicklung aufzuhalten. Der Duke sichert sich die Unterstützung von Dr. Psycho, der mit Hilfe von in seinem psychologischen Labor entwickelten Apparaturen einen Trick inszeniert, bei dem George Washington von den Toten aufersteht und zu einem gebannten Publikum spricht. «Ich habe eine Botschaft für euch – eine Warnung!», sagt Washington. «Frauen werden den Krieg für Amerika verlieren! Frauen sollte es nicht erlaubt sein, die Verantwortung zu tragen, die sie jetzt haben! Frauen dürfen keine Granaten, Torpedos oder Flugzeugteile herstellen – sie dürfen keine Kriegsgeheimnisse anvertraut bekommen und auch nicht in den Streitkräften dienen. Frauen werden ihr Land durch Schwäche verraten oder durch Treulosigkeit!» Wonder Woman, die aus der Kulisse zusieht, ruft dazwischen: «Er

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Aus: «Wonder Woman of History: Susan B. Anthony», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943

arbeitet für die Achsenmächte!» Um Dr. Psycho das Handwerk zu ­legen, bricht sie über ein Dachfenster in sein Labor ein. Psycho überlistet sie, löst ihren Geist mithilfe eines selbstkonstruierten Apparats von ihrem in einen Käfig gesperrten Körper und kettet den Geist an eine Wand. Schließlich sorgen Etta Candy und die «Holliday Girls», die Psycho ablenken, dafür, dass Wonder Woman sich selbst befreien kann. Sie befreit nun ihrerseits Psychos Frau Marva, die dieser mit verbundenen Augen an ein Bett gefesselt hat. «Die Unterwerfung unter die Herrschaft eines grausamen Ehemanns hat mein Leben ruiniert!», klagt die befreite Marva. «Aber was kann eine schwache Frau schon tun?»

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«Werde stark!», lautet Wonder Womans Vorschlag. «Verdiene dein eigenes Geld – melde dich zum Dienst beim WAAC oder bei den WAVES und kämpfe für dein Land!»20 Etta Candy nimmt sich diesen Rat zu Herzen. Im Sommer 1943 schlüpfen Etta Candy und die Holliday College Girls in Uniformen des WAAC und werden zu Special Agents des Geheimdienstes der Armee ausgebildet. «Auxiliary Etta Candy meldet sich zum Dienst», sagt Etta und sa­ Aus: «Battle for Womanhood», in: lutiert vor Generalin Wonder Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943 21 Woman. «Frauen gewinnen an Macht in der Männerwelt!», berichtet Wonder Woman zum Jahresende 1943 an ihre Mutter Hippolyte. Die sichtlich erfreute Hippolyte zeigt Wonder Woman mit Hilfe ihrer «Magischen Sphäre», was die Zukunft bringt: Etta Candy wird das Geheimnis des ewigen Lebens entdecken, sie wird dafür die Ehrendoktorwürde erhalten und zur Professorin für Public Health am Wonder Woman College ernannt werden, und eine Frau wird Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Dies alles wird jedoch zu einem Kampf der Geschlechter führen (zum Kampf der Geschlechter, von dem Marston 1937 sprach, als er eine Pressekonferenz gab und dabei die Herrschaft der Frauen prophezeite). Ein übellauniger Professor namens Manly, der Frauen an der Macht nicht ertragen kann, gründet im Jahr 3000 eine neue politische Partei, die Man’s World Party. «Die Männer dieses Landes haben genug von der Unterdrückung durch die Frauen!», warnt Senator Heeman die Präsidentin bei einer Besprechung im Weißen Haus. «Die Man’s World Party fordert Männerrechte!»22 «Tausende von Männern unterstützen Professor Manlys neue Par-

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Aus: «America’s Wonder Women of Tomorrow», in: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943

tei. Sie werden einen Mann zum Präsidenten wählen. Das wird die ­Regierung deutlich stärken», sagt ein Steve Trevor des Jahres 3004 zu Diana und General Darnell. Die Man’s World Party nominiert Steve Trevor als ihren Kandidaten für das Präsidentenamt. Diana ist seine Gegenkandidatin. Trevor gewinnt, muss dann aber feststellen, dass Professor Manly die Wahl manipuliert hat. Trevor wird daraufhin entführt und muss von Wonder Woman gerettet werden, worauf Diana Prince als Präsidentin vereidigt wird.23 Marston wollte, dass die Kinder und Jugendlichen, die seine ­Comics lasen, sich eine Frau im Amt der Präsidentin der Vereinigten Staaten vorstellten. In dieser Hinsicht war er der öffentlichen Meinung weit voraus. Als Gallup die amerikanische Bevölkerung 1937 fragte: «Würden Sie bei der Präsidentschaftswahl für eine Frau stimmen?», bejahten das nur 33 Prozent der Befragten.24 Marstons Werben für Wonder Woman als eine Erscheinungsform der feministischen ­Literatur führte zu einer kleinen, aber heftigen politischen Reaktion von konservativer Seite, die von Autoren ausging, deren Bestreben es war, Wonder Woman zu zeigen, wo der Platz einer Frau war. «A Wife

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Aus: «The Amazon Bride», in: Comic Cavalcade Nr. 8, Herbst 1944, hier und auf der folgenden Seite

for Superman», lautete die Überschrift eines Leitartikels im Hartford Courant, mit dem das Blatt auf die Pressemitteilung reagierte, in der Marston enthüllt hatte, dass er der Schöpfer von Wonder Woman war. «Kein Geringerer als der Entdecker des berühmten Lügendetektors, Dr. William Moulton Marston aus Harvard, ist aus den nebulösen ­Gefilden aufgetaucht, in denen Psychologen mutmaßlich zu Hause sind, um eine neue Comic-Heft-Figur zu schaffen», erklärte die Redaktion. Was, so fragte man sich in Hartford, würde Wonder Woman mit ihrer Zeit anfangen? «Sie ist natürlich der Typ, der den Tag energie­ geladen angeht, ein herzhaftes Frühstück zubereitet, die Kinder im

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Nu für den Schultag ausstattet, das Haus tipptopp herrichtet und sich dann auf den Weg in die Stadt macht, wo sie einem Vollzeitjob nachgeht.» Und «am Ende des Tages hat sie nur wenig von ihrem Elan verloren, wenn überhaupt. Nach dem Abwasch steht sie bereit, um ihren Ehemann ins Kino oder zu einem Vortrag zu begleiten, wo sie den ganzen Abend lang mit ihren Ideen und ihrer Konversation glänzt.» Ja sicher, «ein Mann, der sie zur Frau hat, könnte sich glücklich preisen. Die Frage ist nur: Könnte er das Tempo mitgehen?»25 Marston wusste eine Antwort auf diese Frage. In «The Amazon Bride», einer im Herbst 1944 in Comic Cavalcade erschienenen Geschichte, büßt Wonder Woman ihre Amazonen-Kraft ein. Steve Trevor, der ihre Schwäche spürt, überredet sie, ihn zu heiraten. «Ich fühle mich schwach!», klagt sie, nachdem Steve sie gegen ­einen Schurken verteidigt hat. «Schatz, du bist schließlich nur eine Frau», antwortet er und hebt sie dabei hoch. «Du brauchst einen Mann, der dich beschützt!» «Nein», protestiert sie. «Aphrodite verbietet uns, uns von irgendeinem Mann beherrschen zu lassen. Wir sind unsere eigenen Herrinnen.» Doch plötzlich wird sie schwach. «Aber ich gebe zu – ich liebe es, wenn du mir zeigst, wer das Sagen hat!» «Ist das so? Ich habe mir schon immer gewünscht, dass du das einmal sagst! Liebling, heirate mich!» Beim Wiedersehen im Büro bittet sie ihn, ihm auf andere Art dienen zu dürfen. «Steve, Liebling», sagt sie, «jetzt, wo wir bald heiraten, kannst du mich nicht bitte zu deiner Sekretärin machen?» «Na ja – vielleicht», erwidert Trevor, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und zieht an seiner Pfeife. «Setz dich an die Schreibmaschine

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und zeig mir, wie flink du tippen kannst. Der Platz einer jeden Frau ist im Haus, und junge Frauen sollten nicht versuchen, eine Männerarbeit zu übernehmen. Sie sollten sich alle Mühe geben, ihren Ehemännern einen guten Haushalt zu führen!» Er bekommt die amtliche Heiratserlaubnis. «Ich bin bereit, deine sanftmütige kleine Frau zu werden!», sagt sie, wobei ihr die Tränen kommen, und verneigt sich vor ihm. Glücklicherweise stellt sich all dies nur als böser Traum heraus, aus dem Wonder Woman schließlich erwacht.26 Und dann macht sie sich wieder an die Arbeit für eine Welt, in der Gleichberechtigung herrscht.

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«BEKANNTER PSYCHOLOGE   als Autor des Bestsellers ‹Wonder Woman›

enttarnt», hatte Marston seine Pressemitteilung im Sommer 1942 überschrieben. Olive Byrne war es gelungen, in der Zeitschrift Family Circle eine Lobeshymne unterzubringen. «Olive Richard» schrieb in der Ausgabe vom 14. August 1942 über die Sorgen, die ihr der Krieg bereitete, erzählte, wie ihr ein Heft von Wonder Woman in die Hände gefallen war und sie sich dann vage daran erinnerte, gehört zu haben, dass die Amazonen-Prinzessin ein Geschöpf ihres Lieblings-Psycho­ logen sei. «‹Na gut›, dachte ich, ‹wenn Marston Comic-Geschichten aufs ­Papier zaubert, während Rom in Flammen steht, muss es einen Grund dafür geben.›» Sie ist jetzt neugierig geworden, will mehr wissen und fährt zu seinem Haus in Rye. «Der Doktor hatte sich kein bisschen verändert», berichtet sie. «Er las gerade in einem Comic-Heft, beendete diesen Zeitvertreib mit einem leisen Kichern und erhob sich galant, was für diesen psychologischen Nero Wolfe eine Bewegung von größerem Umfang war.» «Hallo, hallo, meine Wonder Woman!», begrüßt er sie. «Was ist der Grund dafür, mich mit Wonder Woman anzusprechen?», möchte sie wissen. (Ihr gemeinsames Versteckspiel bereitete ihnen erhebliches Vergnügen.) Er erklärt ihr, dass ihre Armbänder die Inspiration für Wonder

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Aus: «America’s Guardian Angel», in: Sensation Comics Nr. 12, Dezember 1942

Womans Handgelenkschmuck gewesen seien. Er gibt ihr ein Exemplar von Wonder Woman. Sie ist verblüfft. «Ich schlug das Heft auf, um darin zu lesen: ‹Diese erstaunliche junge Frau, stärker als Herkules, schöner als Aphrodite›, und so weiter, und ich erinnerte mich, dass meine Söhne sich über die Frage gestritten hatten, ob sie wohl die gesamte japanische Armee auf einmal besiegen könnte, oder ob sie es lieber nur mit jeweils ein paar Tausend aufnehmen sollte. Der Doktor strahlte, als ich ihm das erzählte, und sagte: ‹Das stimmt, die Kinder lieben sie.›» (Ihre Söhne, seine Jungs, ihre Kinder.) «Jungen, die jüngeren wie die älteren, befriedigen ihr Wunschdenken, indem sie Comics lesen», erzählt er ihr. «Wenn sie sich für Wonder Woman begeistern, bedeutet das, dass sie sich nach einem wunderschönen, aufregenden Mädchen sehnen, das stärker ist als sie selbst.» Wonder Woman, erzählt Marston der Reporterin, ist eine Neue Frau. «Der eine große Nutzen, den der Erste Weltkrieg der Menschheit brachte, war der große Kraftzuwachs der Frauen  – physisch, wirtschaftlich, geistig», sagt er. «Frauen lösten sich endgültig aus einem

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falschen, den Zuständen in einem Harem gleichenden Schutzverhältnis und übernahmen nach und nach bisher den Männern vorbehaltene Tätigkeiten. Sehr zu ihrer eigenen Überraschung entdeckten sie dabei, dass sie ­potenziell genauso stark wie die Männer waren – auf mancherlei Art sogar stärker.» Er war kein Haremswächter. Darauf sagt Olive: «Ich fühle mich jetzt schon wie Wonder Woman.»1 Die Stärke der Frauen war ein Thema von Wonder Woman. Die Lou Rogers, in: Why Should Women Knechtschaft und Fesselung von Vote?, 1915, einer Sammlung von Frauen war ein weiteres. (Olive ­Karikaturen zum Frauenwahlrecht Byrne schrieb für Family Circle einst einen Bericht über Marstons Ratschläge für eine glückliche Ehe. Er trug die Überschrift «Fit to Be Tied?».)2 In keinem Comic-Heft, in dem Wonder Woman auftrat – und dort auf kaum einer Seite –, fehlte eine Fesselungsszene. In einer Episode nach der anderen wird Wonder Woman in Ketten gelegt, gefesselt, geknebelt, mit dem Lasso gefangen, verschnürt, bekommt Fuß- und Handfesseln angelegt. Sie wird in einen elektrischen Käfig gesperrt. Man steckt sie von Kopf bis Fuß in eine Zwangsjacke. Augen und Mund werden ihr zugeklebt. Sie wird mit einem Seil gebunden und dann in einen Glaskasten gesteckt und im Meer versenkt. Man schließt sie in einem Banktresorraum ein. Sie wird an Eisenbahnschienen festgebunden. Sie wird an eine Wand gekettet. Einmal werden ihre durch Fußfesseln gebundenen Füße auf Rollschuhen festgeschnallt, so dass sie gefesselt und beweglich zugleich ist. «Großer Gürtel der Aphrodite!», klagt sie. «Ich bin es leid, zusammengeschnürt zu werden!»3

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Aus: «The Disappearance of Tama», in: Sensation Comics Nr. 33, September 1944

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Und es trifft nicht nur Wonder Woman. Jede Frau in den Wonder Woman-Heften wird gefesselt. Diana Prince wird an ­einen Küchenherd gekettet. Den Frauen der Paradiesinsel werden die Augen verbunden, und den fröhlichen jungen Frauen vom Holliday College ergeht es nicht anders. Sie bekommen Handschellen angelegt. Man fesselt sie an Stühle. Unter der Erde werden sie in Höhlen als Sklavinnen gehalten. Oberirdisch bindet man sie an Händen und Füßen und schleppt sie weg. Sie kriechen über Fußböden, an die Leine gelegt wie Hunde. Sie entkommen zwar immer. Aber zunächst werden sie gefesselt. Und es trifft zwar durchaus zu, dass ein großer Teil dieser Ikonografie in ­feministischen und Frauenwahlrechts-Karikaturen und Protestaktionen der 1910 er Jahre  – bei denen Frauen in Ketten gelegt, gefesselt und geknebelt werden, als allegorische Darstellung von Rechten und Freiheiten, die ­ihnen verweigert werden – eine hervorgehobene Rolle spielt, aber in diesem Fall steckt mehr dahinter. Marston beschreibt in seinen Originalmanuskripten Fesselungsszenen in sorgfältig, gründ-

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lich und mit äußerster Präzision ausgemalten Einzelheiten, so dass Peter sie genau nach seinen Vorgaben zeichnen konnte: «Die ­gefangenen Amazonen marschieren, angetrieben von den Griechen», schrieb er in einem frühen Manuskript. «Die Frauen ­tragen schwere Ketten an Knöcheln und Handgelenken und als Verbindung zwischen Hand- und Fußfesseln, und auch am Hals sind sie für den Marsch zusammengekettet. Der griechische Sklaventreiber schwingt eine Peitsche. Ein weiterer Grieche sticht mit seinem Speer nach Dieses Bild und die beiden folgenden einer Gefangenen. Die Frauen ­ Ausschnitte sind aus «The God of werden mit Schlägen drangsaWar» entnommen, in: Wonder Woman liert, usw.»4 In der ersten GeNr. 2, Herbst 1942 schichte des Wonder WomanHeftes Nr. 2 reist Wonder Woman «in ein verwüstetes Land, in dem Mars’ Krieger Gefangene zusammentreiben». Sie lässt sich ebenfalls gefangen nehmen. Marston widmet in seinem Text der Beschreibung von Wonder Womans Fesselung besondere, fast liebevolle Aufmerksamkeit und liefert Peter so detaillierte Anweisungen für das Bild, in dem Wonder Woman gefangen genommen wird: Eine Ganzkörper-Nahaufnahme von WW. Achten Sie hier auf sorgfältiges Anketten – Mars’ Männer verstehen ihr Handwerk! Legen Sie ihr noch ein Halseisen an, mit einer Kette, die aus dem Bild hinausweist, so, als wäre sie in einer Reihe von Gefangenen mit angekettet. Fassen Sie ihre Hände vor der Brust zusammen, mit doppelten Bändern an den Handgelenken, ihren Amazonen-Armbändern und einem zweiten Paar. Dazwischen verläuft eine kurze Kette, etwa so lang wie eine Handschellen-Verbindung – das zwingt sie dazu, die Hände zu falten. Fügen Sie dann noch eine weitere, schwerere,

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größere Kette zwischen ihren Armbändern hinzu, die in einem weiten Bogen durchhängt, bis knapp oberhalb ihrer Knie. An ihren Knöcheln sieht man ein Paar Arme und Hände, die aus dem Bild kommen und die Knöchel umfassen. Das ganze Bild wird seinen Zweck einbüßen und die Geschichte verderben, wenn diese Ketten nicht genau so gezeichnet werden wie hier beschrieben.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wird Wonder Woman gezwungen, bei einem Turnier von Sklaven mit einer anderen Gefangenen zu kämpfen. Marstons sorgfältige Aufmerksamkeit für Details setzt sich im Manuskript mit großem Nachdruck fort, als wäre er bei diesem Thema zuvor auf einen gewissen Widerstand gestoßen: «Nur hier sind beiden Frauen die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, nicht vergessen.» Nachdem sie die Mitgefangene besiegt hat, wird Wonder Woman an einen Pfahl gebunden: «Zeigen Sie WW mit einer am Fußgelenk befestigten Kette an einen dicken Pfahl gefesselt. Die Fußkette ist lang, aber sehr massiv.» Dann wird sie, immer noch

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an den Pfahl gekettet, von einem der Krieger Mars’ angegriffen. Marston schildert für Peter, wie er die Hiebe abbilden soll, die sie treffen: «Nahaufnahme von WW, die immer noch auf dem Bauch liegt. Der Prügel trifft ihr Gesäß. Der Marsianer ist in diesem Bild nicht zu sehen, nur der Schlag. Zeigen Sie, wie der Prügel niedergeht, durch Bewegungslinien und Sternchen usw.» (Peter folgte der Anweisung, er ließ nur die Sternchen weg.) Nach dieser Züchtigung besiegt Wonder Woman den Marsianer, gerät aber erneut in Gefangenschaft. «Zeigen Sie WW in Ketten, wie zu Beginn der Sequenz. Eine Kette verläuft von ihrem Halsring zu einem in der Wand befestigten Ring aus Stahl.» Sie versucht ein im Nachbarraum ablaufendes Gespräch durch Verstärkung per «Knochenübertragung» mitzuhören, wofür sie sich die Kette zwischen die Zähne klemmt: «Nahaufnahme von WWs Kopf und Schultern. Sie hält die an ihrem Halsring befestigte Kette zwischen den Zähnen. Die Kette verläuft straff zwischen ihren Zähnen und der Wand, wo sie an einem Bolzen mit Stahlring befestigt ist.» Gegen Ende der Geschichte erhält Wonder Woman ihre eigene Sklavin zugewiesen. «Sorge dafür, dass sie jeden Tag die Peitsche spürt», sagt Mars zu ihr. Die Frau reicht Wonder Woman eine Peitsche. «Rede keinen Unsinn, ich würde dich niemals mit einer Peitsche schlagen! Erzähl mir von dir!» Die Frau sagt zu ihr: «Frauen sind auf dem Mars rechtlos.» Wonder Woman lässt sie frei. «Verflucht seist du, Wonder Woman!», brüllt Mars. In welcher Form diese Geschichte für Frauenrechte eintritt, ist nur schwer auszumachen.5 Sie führt Feminismus als Fetisch vor.

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«Marstons Vorstellung von weiblicher Überlegenheit bezog sich auf die Fähigkeit, sich männlicher Herrschaft zu fügen», sagte Mayer.6 Er versuchte Marston zu zügeln, hatte damit aber nicht viel Erfolg. Das Bondage-Thema führte, was abzusehen war, schon bald zu Pro­ blemen mit dem Beratergremium. In besonderem Maß galt das für ­Josette Frank, die 1925 bei Child Study mit Holloway zusammenge­ arbeitet hatte und inzwischen als Beraterin des Kinderbuch-Ausschusses (Children’s Book Committee) der Child Study Association of America tätig war. In einer Zeit, in der sehr viele Bibliothekare, Lehrerinnen und Lehrer vom Zuspruch für Comic-Hefte beunruhigt wurden, lieferte Franks Kinderbuch-Ausschuss meist wohlwollende Berichte über die rund hundert Comic-Hefte ab, die von seinen Mitgliedern jährlich überprüft wurden. Die Grundhaltung des Ausschusses war, dass ComicHefte als «leichte Lektüre» für die heranwachsende Leserschaft eine Brückenbauer-Funktion auf dem Weg zu anspruchsvollerer Lektüre erfüllten.7 Sidonie Gruenberg, die Direktorin der Child Study Associa­ tion, hatte viel für Comic-Hefte übrig; Kritiker wie Sterling North hielt sie für wenig sachkundige Spinner.8 Frank teilte diese Einstellung mehr oder weniger, mit der einen Ausnahme, dass sie Wonder Woman nicht ausstehen konnte. Im Februar 1943 schrieb sie Gaines einen Brief. «Wie Sie wissen, war ich von dieser Figur noch nie begeistert», rief sie ihm in Erinnerung. «Ich weiß aber auch, dass Ihre Auflagezahlen belegen, dass sehr viele andere Leute tatsächlich begeistert sind. Dennoch setzt Sie diese Figur erheblicher Kritik von allen Gruppen mit einem Aufgaben- und Tätigkeitsbereich aus, der dem unseren ähnlich ist, teilweise aufgrund des Kostüms der Frau (oder des Fehlens eines solchen) und teilweise aufgrund der sadistischen Elemente, die Frauen in Ketten gelegt und gefoltert zeigen, usw. Ich wünsche mir, dass Sie über diese Kritikpunkte sehr ernsthaft nachdenken.»9 Gaines reichte den Brief an Marston weiter. «Um Himmels willen», schrieb Marston an Gaines. «Lassen Sie es nicht zu, dass eine Person mit ihrem Ruf (oder fehlendem solchem, soweit es um solche Dinge geht), die eine erklärte Gegnerin des WonderWoman-Strips, von mir und auch von Ihnen ist – insoweit, als sie vor-

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hersagte, dass dieser Strip ein Reinfall werden würde, und Sie rieben es ihr unter die Nase, dass dem nicht so war –, die Sache ins Wanken bringt!» Frank sei ein Leichtgewicht, schrieb Marston und versprach Gaines: «Für jede Kritik, die sie äußert, werde ich Ihnen ein halbes Dutzend Stellungnahmen von wahren Autoritäten beibringen, von ­Eltern, Lehrern, Hochschullehrern, Psychologen von landesweiter Bedeutung …, von bekannten Journalisten wie Pitkin usw., die Wonder Woman für eine bemerkenswert förderliche und konstruktive Bildergeschichte halten, die für Kinder in jeder Hinsicht gut ist.» Auch Dorothy Roubicek hatte die Fesselungen von Wonder Woman kritisiert. Pah, sagte Marston. «Das Geheimnis der Anziehungskraft der Frau» liege darin, dass «Frauen die Unterwerfung genießen – das Gebundensein», ließ er Gaines wissen.10 (Zur Klarstellung: Marstons Sohn Byrne ist sich wirklich ziemlich sicher, dass sein Vater, als er von der Bedeutung des Gebundenseins sprach, dies nur im metaphorischen Sinn meinte. «Ich sah in unserem Haus niemals irgendetwas in dieser Art», sagte mir Byrne Marston, als ich ihn danach fragte. «Er fesselte die Frauen niemals an den Bettpfosten. Er wäre mit so etwas niemals davongekommen.»)11 Marston war irritiert. Er sah die Sache so, nach eigener Einschätzung als «international berühmter Psychologe», dass das Geheimnis der Anziehungskraft einer Frau darin liege, dass sie Unterwerfung und Gebundensein genieße. Hatte er das Gaines nicht bereits erklärt? Was also machte es schon aus, wenn Frauen wie Josette Frank und ­Dorothy Roubicek das nicht verstanden? Warum musste er ihnen antworten? Was wussten sie schon? «Ich würde natürlich nicht erwarten, dass Miss Roubicek all dies versteht», fuhr Marston fort. «Schließlich habe ich mein ganzes Leben der Ausarbeitung psychologischer Grundsätze gewidmet. Miss R. ist erst seit etwa sechs Monaten in der Comic-Branche, nicht wahr? Und hatte noch nie mit Psychologie zu tun.» Was nun die Anschuldigungen wegen Sadismus betraf: «Das Fesseln oder Anketten der schönen Heldin in Comicstrips  – oder des ­Helden, etwa von Flash Gordon et al. – ist kein Sadismus, weil diese ­Figuren nicht leiden und sich auch nicht blamiert fühlen.» Wonder Woman lehrt die Freuden der Unterwerfung unter eine liebevolle

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Dorothy Roubicek, Skizze, 1943

­ utorität: «Dies ist, mein lieber Freund, der eine wahrhaft großartige A Beitrag meines Wonder-Woman-Strips zur moralischen Erziehung der Jugend. Die einzige Hoffnung auf Frieden beruht darauf, den Menschen, die voll Elan und ungebändigter Kraft sind, beizubringen, wie man genießt, gebunden zu sein – die Unterwerfung unter freundliche Autorität, weise Autorität zu genießen, nicht bloß eine solche Unterwerfung zu tolerieren. Die Kriege werden erst aufhören, wenn die Menschen es genießen, gebunden zu sein.»12 Gaines war beunruhigt. Er fragte Roubicek nach ihrer Meinung; er hatte sie zweifellos eingestellt, damit er eine Frau aus dem Kreis seiner Mitarbeiter nach ihrer Meinung fragen konnte. Roubicek sagte, sie hielte es für eine gute Idee, Wonder Woman von der Paradiesinsel fernzuhalten, wo sich tendenziell die ausgefallensten Dinge abspielten. Sie meinte, Wonder Woman sollte Superman ähnlicher sein, und es sollte ihr – ebenso wie Superman nicht zum Planeten Krypton zurückkehren konnte – nicht gestattet sein, auf die Paradiesinsel zurückzukehren.

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«Ich glaube, es würde letztlich zu unserem Vorteil ausschlagen, WW als weiblichen SUPERMAN darzustellen und ihr die gleiche Art von Eskapaden zuzuschreiben, in denen sie sich austoben kann», schrieb Roubicek an Gaines. Sie konnte gegen Schläger und gegen ­Nazis kämpfen, nicht gegen antike griechische Götter. Roubicek ließ auch durchblicken, dass manche von Josette Franks Bedenken abgemildert werden könnten, wenn Wonder Woman einen Rock tragen würde. Sie warnte Gaines. «Es hat in der Vergangenheit eine Tendenz gegeben, WW als ein ziemlich aufreizendes Geschöpf darzustellen, und ich meine, dass das jederzeit vermieden werden sollte – sie sollte eher als der Typ All-American Girl präsentiert werden. Ihr Kostüm mag einer der Gründe dafür sein, warum sie diesen Eindruck erzeugt, und beigelegt ist eine Skizze der Art von Kleidung, die ich vorschlagen würde – feminin und dennoch nicht anstößig, wie es diese kurzen, eng anliegenden Hosen, die sie trägt, vielleicht sein könnten.» Roubicek hatte ein mögliches Outfit skizziert; es sieht fast genauso aus wie der Rock, den Wonder Woman bei ihrem ersten Auftritt in AllStar Comics trug. Gaines schickte die Zeichnung an Marston und legte eine Begleitnotiz bei: «Doc: Sie tat das, ohne auch nur zu wissen, wie nahe sie damit dem Originalkostüm kam!»13 Wonder Woman behielt ihre Mini-Shorts. Wenige Tage nachdem Roubicek diese Nachricht an Gaines geschickt hatte, erhielt Alice Marble einen Brief von einem 26-jährigen CollegeAbsolventen aus Pittsburgh namens Francis J. Burke. Burke bezeichnete sich als Fan von Marbles Tenniskarriere. «Aber ich schreibe ­Ihnen nicht, um über Tennis zu reden», fuhr er fort. «Ihr Auftreten als Associate Editor von Wonder Woman überraschte mich, weil ich Sie eigentlich für eine ‹Frau von Welt› hielt und, in dieser Eigenschaft, für fähig, eine sexuelle Perversion zu erkennen, wenn sie Ihnen unverhüllt unter die Augen tritt.» Damit meine er, wie er erklärte, die in den Wonder Woman-Heften praktizierte Darstellung von «Figuren in Ketten und Fesseln, vor allem von Figuren, die von hübschen jungen Frauen in Ketten gelegt und gefesselt werden». Burke gestand ein, dass er zu den Lesern gehöre, «die selbst von Bildern und Fantasien besessen sind, bei denen es um Ketten und Fesseln geht», aber er

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stellte infrage, ob so etwas zu den Themen gehörte, die in einem ­Comic-Heft für Kinder abgehandelt werden sollten. Und dann berichtete er ausführlich über eine High-School-Schülerin aus seinem Bekanntenkreis – er nannte sie «Violet» –, die sich, inspiriert durch die Lektüre von Wonder Woman, wie Wonder Woman kleidete und eine Geheimgesellschaft von High-School-Schülerinnen anführte, die sich «Wonder Girls» nannten; diese Mädchen warfen sich in anspruchsvoll gestaltete Kostüme, und dann fesselten sie Jungs und schlugen sie.14 Gaines beschloss, sich jetzt doch lieber um die Einschätzung Lauretta Benders zu bemühen. Im Unterschied zu Josette Frank, die weder einen medizinischen noch einen philosophischen Doktortitel besaß, konnte Bender, eine der qualifiziertesten Psychiaterinnen des Landes, von Marston nicht so leicht mit dem Vorwurf der mangelnden Expertise beiseitegeschoben werden. Bender tat Burkes Brief als «lästige Fanpost» («mash note») ab. Gaines schickte Bender außerdem eine vollständige Lieferung bereits erschienener Wonder Woman-Geschich­ ten und bat sie um «Vorschläge zur Beseitigung nicht wünschenswerter charakteristischer Bestandteile, die Sie vielleicht haben».15 Er ließ ihr für die Lektüre der Comics einige Wochen Zeit und schickte dann Roubicek, die Bender zum gesamten Spektrum von Josette Franks Besorgnissen und Marstons Behauptungen befragen sollte, ins Bellevue Hospital. Roubicek berichtete Gaines in einem Memo über Benders Reaktion: «Sie ist nicht der Ansicht, dass Wonder Woman zu Masochismus oder Sadismus neigt. Außerdem glaubt sie, dass man, selbst wenn dem so wäre – man kann Kindern keine der beiden Perversionen beibringen –, nur das zum Vorschein bringen könne, was im Kind selbst bereits angelegt ist. Sie äußerte jedoch diesen Vorbehalt – dass, falls die Sklavinnen ohne jeden damit verbundenen Zweck Ketten trügen (und das genießen würden), es keinen Sinn hätte, sie anzuketten.» Sie war wirklich außerordentlich positiv eingestellt. Bender mochte Wonder Women ebenso wie die Art, in der Marston mit dem Feminismus spielte. Hinzu kam noch, wie Roubicek festhielt, dass «sie meint, dass Wonder Womans Kostüm vollkommen in Ordnung ist». In erster Linie «glaubt sie, dass Dr. Marston dieses ganze ‹Experiment›, wie sie es

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nennt, sehr klug betreut. Sie hat das Gefühl, dass er der Öffentlichkeit vielleicht das wahre Problem nahebringt, um das es in der Welt geht (und das ihrem Gefühl nach möglicherweise eine unmittelbare Ursache des gegenwärtigen Konflikts ist), und das lautet, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern kein Problem des Geschlechts ist noch ein Kampf um Überlegenheit, sondern eher ein Problem des Verhältnisses des einen Geschlechts zum anderen.» Roubicek fasste zusammen: «Dr. Bender meint, dass man diesen Comicstrip in Ruhe lassen sollte.» Bender schrieb Gaines außerdem einen Brief, in dem sie ihn wissen ließ, dass Wonder Woman sie fasziniere, weil die psychologischen Zusammenhänge der Abenteuer dieser Figur «den eigent­ lichen Kern von Männlichkeit und Weiblichkeit und von Aggression und Unterwerfung betreffen».16 Benders Einschätzung von Wonder Woman passte zu ihren allgemeinen Vorstellungen über Comic-Hefte und Fantasie. Bender glaubte, dass Fantasie «ein konstruktiver Aspekt der experimentellen Erkundung der Wirklichkeit durch das Kind oder seines fortschreitenden Bezugs zur Realität ist, seiner von Versuch und Irrtum bestimmten Versuche, seine Probleme mit der Wirklichkeit zu lösen». Und sie glaubte, dass Comic-Hefte «wie die volkstümliche Überlieferung anderer Zeitalter als Mittel zur Stimulierung der kindlichen Vorstellungskraft dienen und ihm so helfen, die individuellen und soziologischen Probleme zu lösen, die untrennbar mit seinem Leben verbunden sind». Zu Wonder Woman hatte Bender noch das Folgende zu sagen: «Sie ist ein einfaches, aber gutes menschliches Wesen, bis sie ihr Kostüm anlegt, dann kann sie alle körperlichen Widerstände überwinden. Sie kann Menschen helfen, die der Hilfe bedürfen. Sie kann den Kurs eines Kriegsschiffes oder die Fallrichtung einer Bombe ändern. Sie kann sich klein machen und einem einsamen Kind als Spielkameradin begegnen. Ihre Macht, anzuziehen und festzuhalten, ist mit einem Lasso verbunden, das, wie ihr Autor William Moulton Marston sagt, für ‹Liebesreiz› steht. Von seinen Symbolen ist man nicht immer überzeugt, vielleicht, weil er sich ihrer zu bewusst ist. Aber ‹Wonder Woman› steht für einen guten Versuch zur Lösung der sehr zeitgemäßen Probleme der Vorstellung eines Mädchens von sich selbst als Frau und ihrem Bezug zur Welt, die sie umgibt.»17

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Gaines war enorm erleichtert. Und dennoch teilten nicht alle Mitglieder seines Beratergremiums Benders Einschätzung. W. W. D. Sones, Professor für Pädagogik an der School of Education der University of Pittsburgh, schrieb an Gaines, dass nach seinem Empfinden  – während ihm Wonder Womans Kostüm keine Sorgen bereite (sie hatte seiner Ansicht nach eher «sportliche» als «Hollywood»-Beine) – die Geschichten ein Übermaß an «Ketten und Fesseln» enthielten, selbst wenn, was «durchaus zutreffe, Grausamkeit und Leiden dabei keine Rolle zu spielen scheinen». Marstons Erklärung  – den Hokuspokus über Unterwerfung  – hielt er dennoch für Geschwätz. «Der soziale Zweck, den er für sich in Anspruch nimmt, unterliegt sehr ernsthaften Einwänden», schrieb Sones. «Es ist genau die Unterwerfung dieser Art, die er nach eigener Behauptung entwickeln will, die diktatorische Herrschaft ermöglicht. Vom Standpunkt gesellschaftlicher Ideale aus betrachtet, ist das, was wir in Amerika und der Welt anstreben, Kooperation und nicht Unterwerfung.»18 Gaines beschloss, Frank und Sones auf Distanz zu halten, und vertraute dafür auf Marston und Bender. Und dann, im September 1943, erhielt Gaines den Brief, vor dem er sich immer gefürchtet hatte. Der Absender war John  D. Jacobs, ein Staff Sergeant (Feldwebel) der US Army, der in der in Fort Leonard Wood, Missouri, stationierten 291. Infanteriedivision diente. Adressiert war der Brief an «Charles Moulton». Gaines öffnete ihn. «Das Comic-Heft Wonder Woman interessiert mich wie kein anderer ‹Lesestoff›, auf den ich jemals in solchen Heften gestoßen bin», begann Jacobs. «Ich bin einer dieser seltsamen, vielleicht unglückseligen Männer, die aus dem bloßen Gedanken an eine wunderschöne Frau, die in Ketten gelegt oder gefesselt oder maskiert ist oder extreme High Heels oder hohe Schnürstiefel trägt, eigentlich aus jeder Art von Einschnürung oder Druck, ein extremes erotisches Vergnügen gewinnen.» Er wollte wissen: «Teilen Sie das Interesse an Fesseln und Ketten, das ich empfinde?» Außerdem interessierte ihn, ob der Schöpfer von Wonder Woman irgendwelche der in den Geschichten abgebildeten Gegenstände in seinem persönlichen Besitz hatte, «die Ledermaske oder das breite Eisenhalsband aus Tibet oder die griechische Fußfessel? Oder ‹erträumen› Sie sich diese Dinge nur?»19 Gaines reichte den Brief mit einer Begleitnotiz an Marston weiter.

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«Das ist eins der Dinge, vor denen ich mich gefürchtet habe (ohne dass ich in der Lage gewesen wäre, es genau zu benennen)», schrieb er. Es musste etwas geschehen. Deshalb legte er, zu Marstons Orientierung, ein von Roubicek verfasstes Memo bei, es enthielt eine «Liste von Methoden, die eingesetzt werden können, um Frauen ohne Verwendung von Ketten einzuschließen oder einzusperren. Jede einzelne davon kann auf vielerlei Arten variiert werden – was uns ermöglicht, wie ich Ihnen in unserer Besprechung letzte Woche gesagt habe, die Verwendung von Ketten um mindestens 50 bis 75 % zu reduzieren, ohne die mit der Geschichte verbundene Spannung oder die Heftverkäufe auf irgendeine Art zu beeinträchtigen.»20 Marston antwortete Gaines umgehend. «Ich habe hier den Brief des guten Sergeants, in dem er seine Begeis­ terung für Frauen in Ketten äußert – na und?» In seiner Eigenschaft als praktizierender klinischer Psychologe sei er nicht beeindruckt, sagte Marston. «Eines Tages schreibe ich Ihnen eine Liste all der Dinge in ­Bezug auf Frauen, von denen bekannt ist, dass sie verschiedene Leute in Erregung versetzen  – Frauenhaar, Stiefel, Gürtel, Seide, die von Frauen getragen wird, Handschuhe, Strümpfe, Strumpfhalter, Schlüpfer, nackte Rücken, Schweiß, Brüste, usw. usw.«, versprach er. «Man kann keine echte Frauengestalt in irgendeiner Art von fiktionaler Literatur einführen, ohne bei einer sehr großen Zahl von Lesern erotische Fantasien auszulösen. Was ganz prima ist, sage ich.» Die Verwendung von Ketten oder Schnüren um 50 oder 75 Prozent reduzieren? Marston weigerte sich. Er war sich sicher, dass er wusste, welche Linie nicht übertreten werden durfte. Harmlose erotische Fantasien sind großartig, sagte er. «Es sind die lausigen, vor denen man sich hüten muss – die schädlichen, destruktiven, morbiden erotischen Fixierungen – echter Sadismus, Töten, zur Ader lassen, Folterungen, bei denen das Vergnügen aus den realen Schmerzen des Opfers besteht, usw. Solche Dinge sind zu hundert Prozent schlecht, und damit habe ich nicht das Geringste zu tun.» Abschließend fügte er noch hinzu: «Bitte danken Sie Miss Roubicek für die Liste der Bedrohungen.»21 Vier Monate später zog sich Josette Frank aus dem Beratergremium zurück.

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«In den letzten Ausgaben sind Auspeitschungen, gefolterte Frauen in Ketten und andere unangenehme Inhalte weggefallen», schrieb sie an Gaines, aber «ich bin widerwillig zu dem Schluss gekommen, dass es eher das Grundthema des Strips ist, das anstößig ist, nicht das ­Detail, oder es wirkt zusätzlich zu den Details so.» Und das heißt, «das Thema Männer gegen Frauen und Frauen gegen Männer ist wohl kaum ein passendes für eine Kindergeschichte.» Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die ganze Sache «voller bedeutsamer Geschlech­ ter-Antagonismen und Perversionen» sei. Ihr bleibe keine andere Möglichkeit mehr als der Rücktritt.22 Gaines schickte Franks Beschwerden einmal mehr an Marston weiter. Und Marston verwarf sie einmal mehr rundheraus. Er wies darauf hin, dass in seinen Comic-Heften niemals jemand tatsächlich ausgepeitscht oder gefoltert werde. Und was nun die Perversionen im Comic anging, «weiß ich offen gesagt nicht, was sie damit meint», betonte Marston. «Vielleicht ist meine Grundidee von Frauen, die männliche Herrschaft, Grausamkeit, Wildheit und Kriegführung mit Liebeskon­ trolle bekämpfen, die durch Gewalt unterstützt wird, das, was sie mit ‹Geschlechter-Antagonismus› meint.» Und zum Thema Fesselung: «Mein ganzer Strip zielt darauf ab, in den Köpfen von Kindern und ­Erwachsenen den Unterschied zwischen Liebesbindungen und männlichen Bindungen, die aus Grausamkeit und Zerstörung bestehen, deutlich zu machen; zwischen der Unterwerfung unter eine liebende höherstehende Person oder Gottheit und der Unterwerfung unter Menschen wie die Nazis, Japsen, usw.», erklärte er. «Wenn das falsch oder unmoralisch ist, dann beruht meine gesamte Laufbahn als beratender Psychologe auf Bösartigkeit und falschen Vorstellungen.»23 Das traf nun wirklich exakt den Kern der Sache: Beruhte seine gesamte Laufbahn als Psychologe auf einer falschen Vorstellung? Gaines wandte sich ein weiteres Mal an Bender. Er ließ 500 Exemplare von DC-Comic-Heften an die Kinderstation des Bellevue Hospitals schicken: ein Geschenk für die jungen Patienten.24 (Bender brachte üblicherweise ein oder zwei Exemplare für ihre eigenen Kinder mit nach Hause.)25 Und dann schickte er Roubicek für ein weiteres Interview mit Bender ins Bellevue. «Grundsätzlich stimmt sie mit Dr. Marstons Auffassung überein,

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Wonder Woman bekommt einen eigenen Zeitungsstrip. Aus: «Wonder Woman Syndication», in: Independent News, April 1944

dass der Strip Kindern auf keinen Fall schaden kann und ihnen nur eine Lösung für eine gesellschaftliche Problemströmung in der heutigen Welt anbietet – das heißt: für die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau zur Klärung ihrer jeweiligen Stellung in der Welt», berichtete Roubicek. «Sie sagt, es ist keine sexuelle Auseinandersetzung im genitalen Sinn, und zweifellos liest Miss  Frank etwas von ­ihrer eigenen Verwirrung in dieser Hinsicht in den Strip hinein, so wie es zweifellos viele Menschen halten werden, wenn sie solche Probleme haben.» Aber, da sei sich Bender sicher, «KINDER lesen keinerlei sexuelle Bedeutungen dieser Art in den Strip hinein». Roubicek kam zu dem Schluss, dass Bender glücklicherweise «denkt, dass wir uns von dieser Kontroverse überhaupt nicht beunruhigen lassen sollten».26 Gaines wollte verstehen, welchen Einfluss Comic-Hefte auf ihre kindliche Leserschaft ausüben, aber weder die Psychologie noch die Psychiatrie lieferte eine definitive Antwort auf diese Frage. Vielleicht machte es ihm auch gar nichts aus, dass er dem Problem nicht auf den Grund gehen konnte. Er dachte überhaupt nicht daran, Wonder

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Aus: Editor and Publisher, 6. Mai 1944

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Woman aufzugeben. Am Tag von Josette Franks Rücktritt unterzeichneten Gaines und Marston einen Vertrag, mit dem Wonder Woman zu einem Zeitungsstrip wurde, der von King Features vertrieben wurde. Aus dem Angebot von Hunderten von veröffentlichten Comic-Heften hatte  – neben Superman und Batman  – keine andere Superhelden­ gestalt den gigantischen Sprung aus den Comic-Heften in die Verbreitung durch ein Zeitungssyndikat mit seiner riesigen täglichen Auflage geschafft. Gaines ließ seine Zeichner zur Feier dieser Übereinkunft ein Bild anfertigen, in dem Superman und Batman aus der Titelseite einer Tageszeitung herausragen und Wonder Woman begrüßen, die auf diese Seite springt: «Welcome, Wonder Woman!»27 Gaines hatte noch eine andere Art von Willkommensgruß zu entbieten. Er bat Lauretta Bender, Franks Platz im Beratergremium zu übernehmen. Sie nahm das Angebot an.28 Marston schrieb die Geschichten für den Zeitungsstrip selbst; Harry G. Peter lieferte die Zeichnungen.29 Die Strips waren zahmer als die Comic-Hefte, aber Wonder Woman eignete sich immer noch, wie eh und je, für Fesselungen. In einer Anzeige, die King Features schaltete, um Zeitungen zur Übernahme des Strips zu bewegen, wird ihr Name mit dem Lasso-Seil geschrieben.

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IM FRÜHJAHR 1944   erfreute sich Marston zum ersten Mal seit seiner Studentenzeit in Harvard eines uneingeschränkten Erfolgs. Wonder Woman hatte zehn Millionen Leser. Er war gut bei Kasse und mietete Büroräume im 14. Stock eines Hauses mit der Adresse Madison Avenue  331, Ecke 43. Straße, an. Auf dem Schild an der Tür stand: MARSTON ART STUDIO.1 Er hatte so viel Arbeit, schrieb für Sensation Comics, All-Star ­Comics, Comic Cavalcade, Wonder Woman, jetzt auch noch für einen Tageszeitungs-Comicstrip, dass er eine Assistentin brauchte. Er beschloss, eine Studentin aus einem Psychologiekurs einzustellen, den er an der Katherine Gibbs School unterrichtete. Bei der zu Hause zu erarbeitenden Abschlussprüfung wurden von den Kursteilnehmerinnen acht kurze Essays verlangt, mit denen sie Stichworte zu Marstons Theorie der Gefühle erläutern sollten. Die Fragen legen den Schluss nahe, dass der größte Teil dessen, was Marston die an der Gibbs School eingeschriebenen Frauen lehrte, aus Hinweisen bestand, wie sie am Arbeitsplatz selbstsicherer und durchsetzungsfähiger auftreten konnten. (Frage 6: «Raten Sie Miss F., wie sie ihre Angst vor Gesprächen mit dem Vizepräsidenten des Unternehmens überwinden kann, der für ihre Abteilung zuständig ist und den sie jederzeit kontaktieren kann, wenn sie das will; sagen Sie Miss  F. außerdem, warum diese Kontakte für sie selbst vorteilhaft sind.») Olive Byrne benotete die Prüfungsarbeiten. Eine davon erwies sich

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als so gut, dass sie dachte, Marston selbst könnte sie geschrieben haben. Sie gab ihm die Texte. Die Arbeit war von einer sehr hübschen jungen Frau namens Joye  E. Hummel verfasst worden.2 Im März 1944, ein paar Wochen bevor Hummel ihren Abschluss an der Gibbs School machen sollte, lud Marston sie zum Tee mit ihm und mit Holloway im Harvard Club in New York ein. Er sagte ihr, er wolle sie als Mitarbeiterin für das Verfassen von Manuskripten einstellen. Hummel war 19 Jahre alt. Er meinte, sie könne ihm helfen, Slang zu schreiben. Sie war erstaunt und entzückt zugleich. «Ich hatte schon immer eine große Vorstellungskraft», sagte sie.3 Marston stellte Hummel für das Büro in der 43., Ecke MadiJoye Hummel, ca. 1945 son ein, wo er selbst sich «persönlich um sämtliche Aspekte der Produktion kümmerte, bis zur Druckfreigabe und dem Versand an die Druckerei», wie Holloway berichtete. All diese Tätigkeiten, sagte Holloway später, seien von Marjorie Wilkes Huntley beaufsichtigt worden, die «Büroleiterin des Art Studios war und jede Phase des Werkes kannte, einschließlich des Hintergrunds und der Vorgeschichte».4 Nach Hummels Erinnerung war Huntley nicht sehr oft im Büro. Aber Harry G. Peter war jeden Tag da, und Hummel kam gut mit ihm aus. Peter rauchte Pfeife; sie hing ihm immer im Mundwinkel.5 Er war berühmt für seine nachlässige Art, sich zu kleiden. Hummel musste ihn einmal aus einer Armenstation des Bellevue Hospitals holen; man hatte ihn dort für mittellos gehalten, nachdem er wegen eines

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Hühnerknochens behandelt wurde, der ihm im Hals steckengeblieben war.6 Hummel und Peter waren nur selten alleine im Büro. Peter beschäftigte drei Künstler: eine Koloristin namens Helen Schepens und ein Ehepaar, das für das Lettering zuständig war. Auch Marston war oft da, ebenso wie seine Kinder. Huntley brachte O. A. immer wieder ins Studio; O. A. liebte es, Peter bei der Arbeit zuzu­sehen. «Er setzte mich auf einen Stuhl und sagte, wenn ich ein artiges kleines Monster sei, dürfe ich ihm beim Zeichnen zusehen», erzählte O. A. «Ich hätte acht Stunden lang so dasitzen können.» Peter sprach nur wenig. «Er hielt es eher mit Thurber», sagte Byrne Marston. «Witzig, aber nicht sehr viele Worte.»7 Hummel tippte zunächst Marstons Manuskripte. Doch schon bald schrieb sie eigene Texte. Das erforderte einen gewissen Leseaufwand. Olive Byrne wollte Hummel helfen, die Idee zu verstehen, die hinter Wonder Woman steckte, und machte ihr ein Geschenk: ein Exemplar von Margaret Sangers 1920 erschienenem Buch Woman and the New Race. Sie sagte ihr, das sei alles, was sie brauche.8 Das Leben in Cherry Orchard war lauter als das ruhige Marston Art Studio. Marston liebte es, in seinem Haus Partys zu veranstalten. Pete Marston fiel, sobald er einen Führerschein hatte, die Aufgabe zu, die Betrunkenen nach Hause zu fahren. Holloway trank niemals Alkohol. Sie trug lieber ein Highball-Glas durchs Haus, das mit Wasser und ­einem winzigen Schluck Scotch gefüllt war, und tat so, als würde sie daran nippen. Olive Byrne trank, bis sie kollabierte. Sie und Marston gingen einmal gemeinsam zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker. (Die Organisation wurde 1935 gegründet.) Sie traten nicht bei.9 Wann immer Marston Gäste hatte, holte er seinen Lügendetektor hervor. «Eines der Dinge, die sie mit einem veranstalteten, wenn man in ihr Haus zu Besuch kam, war, einen Lügendetektor-Test vorzunehmen», sagte Sheldon Mayer, «und das nicht, weil sie dir nicht trauten, sondern weil sie ihren Spaß mit dir haben wollten.» Bei DC Comics stritten sich Marston und Mayer «wie die Teufel», aber «sobald man in sein Haus kam», berichtete Mayer, «war man der Gast, und er war der wunderbarste Gastgeber, der bemerkenswerteste Gastgeber mit einer hübschen Kinderschar von verschiedenen Frauen, und alle lebten zu-

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sammen wie eine große Familie – alle waren sehr glücklich, und alle waren gute, anständige Leute. Und was mir bei den Kindern am meisten gefiel, war, dass sie sich über mein Klavierspiel freuten, das sehr bescheiden war, aber das machte ihnen nichts aus, weil sie alle unmusi­ kalisch waren.»10 Mayer und seine Frau zogen nach Rye hinaus. Er verbrachte viel Zeit in Cherry Orchard. Er zeichnete Karikaturen für die Kinder. Für O. A. bastelte er einmal ein Daumenkino. Er sang ihnen unanständige Lieder vor. Zur Melodie des Kinderlieds «Sing a Song of Sixpence» sang er: «The king was in his counting house, counting out his ­money. The queen was in her parlor, eating bread and honey. The maid was in the kitchen, explaining to the groom, ‹The vagina, not the rectum, is the entrance to the womb!›» («Der König war im Kontor, er zählte all sein Geld. / Die Königin war in ihrem Salon, sie aß Brot und Honig. / Die Dienstmagd war in der Küche, erklärte dort dem Stallknecht, / ‹Die Vagina, nicht das Rektum, ist der Zugang zur Gebärmutter!›»)11 Auch Gaines hatte, all dem Ärger mit dem Bondage-Thema in Wonder Woman zum Trotz, eine Zuneigung zu Marston und seiner ganzen Familie entwickelt, was einer der Gründe dafür war, dass er sich mit den Ketten und Seilen abfand. Gaines war, wie Mayer, von Marstons Familienverhältnissen verblüfft, aber er war ganz vernarrt in Marstons Kinder. Als O. A. wegen einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus kam, besuchte Gaines sie dort und schenkte ihr einen Stoff-Affen; sie nannte ihn Charlie.12 Cherry Orchard hatte mit Marston, Holloway («Keets»), Olive («Dots»), Huntley («Yaya») und den vier Kindern insgesamt acht Bewohner, ohne die Haustiere. «Wir haben jetzt sechs Katzen und einen Hund!», schrieb Marston im Sommer 1944 an den 13-jährigen Byrne, als dieser, fern von zu Hause, in einem Sommerlager war. «Dots wollte die neuen Kätzchen loswerden, bevor ihr Kinder nach Hause kommt, aber ich dachte, dass ihr sie noch sehen wollt, also behalten wie sie solange für euch. Wenn ihr im Lager irgendwelche Kinder kennt, die von hier kommen und gerne Kätzchen hätten: Versprecht ihnen am besten eins.» Außerdem: «Hedy Lamarrs Wurf ist jetzt schon ziemlich groß», schrieb Marston an Byrne. «Fuzzy hat sich schon ein paar Tage

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Die Familie im Jahr 1946. Von links: Huntley, Byrne, O. A., Pete, Marston, Olive Byrne, Donn und Holloway

nicht blicken lassen – Yaya meint, dass er tot ist. Molecat wird bald noch eine Familie haben.»13 Hedy Lamarr, Fuzzy und Molecat waren Kaninchen. In Cherry ­Orchard wurden schon seit Jahren Kaninchen gehalten. «Wir hatten heute eine häusliche Krise in der Familie, was mit schwerwiegenden Überlegungen wegen mir, deiner Nichte, zu tun hat», berichtete Olive Byrne einmal an Margaret Sanger. «Noch vor vier Wochen hatten wir zwei Kaninchen, vor drei Wochen erhöhte sich die Zahl durch ein ­segensreiches Ereignis auf acht. Der Kaninchenvater wurde eilends aus der Umgebung der Mutter entfernt und führt seitdem ein einsames Dasein. Doch heute wurden uns zehn weitere Junge geschenkt – der Vater verabschiedete sich offenbar auf die liebevolle Art.»14 Marston berichtete 1944 mit Bedauern an seinen Sohn Byrne: «Ich musste den armen kleinen Limpy, das gelähmte Kaninchen, von sei-

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nem Elend erlösen»; er versicherte dem Sohn, dass er diese Aufgabe schnell erledigt habe. «Die anderen Kaninchen gedeihen», fuhr er fort. «Hedy Lamarr entwischte gestern und lief Richtung Garten, aber Pete fing sie bald wieder ein; sie ist ein sehr zahmes Kaninchen, und sie leckte die Wunden des kleinen Limpy unentwegt und bis zum Schluss – eine großartige Mutter.» (Marston schrieb eine Geschichte über Wonder Woman und ein Kaninchen; sie wurde nie veröffentlicht.)15 Als die elfjährige O. A. im Camp Po-Ne-Mah in Connecticut war, kutschierte Marston die ganze Familie zu einem Besuch dorthin. «Donn und Pete fuhren hin (mit beiden Mamis und dem armen alten Dad)», berichtete er an Byrne und fügte hinzu, dass O. A. sich zu einer sehr guten Tischtennisspielerin entwickelt habe. Marston schrieb alle paar Tage an Byrne und schickte ihm Fresspakete – auch Comics wurden beigelegt. «Wonder Woman läuft sehr gut – sie haben sie an eine Menge weiterer Zeitungen verkauft, auch an eine in Honolulu und eine in Rio de Janeiro. Werde Dir noch mehr Comic-Hefte schicken, wenn Du willst und das Camp es erlaubt. (Aber Du musst WW nicht lesen, wenn Du nicht willst – sag mir, welche Hefte Du willst.)» Zum ersten Mal in seinem Leben schrieb Marston Texte, die seine Kinder vielleicht tatsächlich lesen wollten. Er liebte es, sie nach ihrer Meinung zu fragen, und veranstaltete seine eigenen inoffiziellen Leserumfragen. «Schreib mir doch irgendwann, wenn Du daran denkst, was Dir und anderen Jungen an anderen Heften besser gefällt, im Vergleich zu den D-C Comics (nicht zu WW, sondern zu den anderen DC-Heften)», bat er Byrne.16 Marston liebte sein von Nonkonformismus bestimmtes Leben, ein Familienleben mit «beiden Mamis und dem armen alten Dad». Je älter die Kinder wurden, desto dringender wollte Marston Donn und Byrne sagen, dass er nicht nur ihr Adoptivvater, sondern ihr leiblicher Vater war. Olive Byrne weigerte sich. Sie sagte, sie würde sich umbringen, wenn irgendjemand es den Jungen sagen würde.17 «Olive Richard hat mich jahrelang gepiesackt», schrieb Marston 1943 in einem Artikel für Family Circle. «Ich kam zu dem Schluss, dass sich das ändern muss.» Er und «Olive Richard» tauschten die Rollen. Als

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«Olive Richard» ihn das nächste Mal zu Hause besucht, setzt er ihr zu. Er hält ihr vor, dass sie eine Nichtstuerin sei. «Ich werde Ihnen mal was sagen, Herr Psychologe!», erwidert sie. «Meinen Sie wirklich, dass ich Artikel schreibe, nur um mir die Muße­ stunden angenehmer zu gestalten? Ich habe zwei Kinder – Sie haben sie untersucht, und Sie sagen, dass die beiden hohe IQs haben und in ihrer Schule und in der häuslichen Umgebung ganz wunderbar zurechtkommen. Meinen Sie, diese hübsche Anpassung ist einfach so eingetreten? Oder denken Sie, dass ich mich förmlich zerrissen habe, um dafür zu sorgen?» «Sie faszinieren mich», sagt Marston. «Sie denken, dass ich lüge, nicht wahr?» Der wahre Zweck des Artikels bestand darin, Marston eine Gelegenheit zu bieten, Olive Byrne mit Zuneigung zu überschütten, und das in gedruckter Form: «Diese junge Frau ist eine wahrhaft bemerkenswerte Mutter. Es missfällt mir, das öffentlich einzugestehen, weil sie das unerträglich großspurig auftreten lassen wird, wenn sie mich wieder interviewt. Aber es ist eine Tatsache, dass sie über alles verfügt, was diese Rolle verlangt.»18 Aber selbst wenn Marston alles hatte, was er wollte – ein kunterbuntes Haus voller Kinder und Tiere, exakt die Zahl von Frauen, die er um sich haben wollte, und einen außergewöhnlichen Bestseller –, so spürte er doch überdeutlich den Stachel der Kritik und Missbilligung. Und da war noch etwas, was er wollte: Er wollte akademischen Beifall. Er wollte, dass die Welt erfuhr – er wollte, dass Wissenschaftler er­ fuhren, er wollte, dass Harvard erfuhr  –, dass Wonder Woman ein Werk der Gelehrsamkeit war. Er setzte sich in sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses in Rye und versuchte das zu erklären. Er schrieb ­einen Artikel mit dem Titel «Why 100,000,000  Americans Read Comics». Der Text erschien Anfang 1944 im American Scholar, der Zeitschrift der Phi Beta Kappa Society. «Die phänomenale Entwicklung einer nationalen Comic-Sucht verblüfft die Erziehungswissenschaft und verschlägt den Literaturkritikern den Atem», schrieb Marston. «Comics, sagen sie, sind keine ­Literatur – Abenteuerstrips mangelt es an künstlerischer Gestaltung, geistiger Substanz und emotionaler Ansprache für alle Menschen mit

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Ausnahme der schwachsinnigsten.» Aber Marston fragte: «Kann es sein, dass 100 Millionen Amerikaner Schwachköpfe sind?» Nein, natürlich nicht. Die Leser von Comics waren keine Schwachköpfe, ebenso wenig wie die Autoren. Sie waren brillant! Und Comics waren brillant; sie waren die höchste Kunstform: «Die Fantasie der Bildergeschichte legt die hemmenden Überreste von Kunst und Kunstfertigkeit ab und rührt an die empfindlichen Stellen universeller menschlicher Sehnsüchte und Ambitionen, die üblicherweise unter langfristig angehäuften Schutzschichten der Unehrlichkeit und Verstellung verborgen sind.»19 Diese Erklärung kam bei Literaturwissenschaftlern nicht gut an. Besonders die Vertreter des New Criticism reagierten empört. Cleanth Brooks und Robert Heilman, die damals beide an der Louisiana State University lehrten, wandten sich gegen Marstons Vermessenheit in seiner Selbstdarstellung als Gelehrter, der Wonder Woman als gelehrtes Projekt präsentierte. Sie wandten sich gegen Marstons Feminismus. Vor allem wandten sie sich gegen Marstons Argument, die Beliebtheit eines Comic-Hefts, oder irgendeines beliebigen Werks, sei ein Maßstab für seine Qualität. Mit ihrer im American Scholar veröffentlichten Erwiderung lieferten Brooks und Heilman eine Satire auf Marstons aufgeblasenen und prätentiösen Essay. Sie gaben vor, Marstons Verbindung der akademischen und der Populärkultur, des hohen und des niederen Stils, zu feiern: «Hier ist kein Elfenbeinturm, kein intellektuelles Oberstübchen: hier ist niemand abgehoben: hier ist die hohe Gelehrsamkeit mit der Tagesaktualität verbunden.» Sie sagten, sie hätten ein von Marston inspiriertes Experiment in ihren eigenen Vorlesungssälen veranstaltet: «In all unseren Kursen werden wir jetzt von zwei charmanten jungen Geschöpfen unterstützt, die als ‹Wonder Woman› kostümiert sind. Einen Teil der Vortragszeit stehen sie in anmutiger Haltung auf beiden Seiten des Podiums. Mindestens einmal pro Stunde legen wir eine Pause ein, während die beiden Schönheiten eine Modern-Dance-Übung vorführen, und man kann sich kaum vorstellen, wie sehr das die ganze Veranstaltung belebt. Die Anmeldezahlen für unsere Kurse sind unglaublich. Unser gemeinsames Seminar über vedische Mystik ist von zwei auf 367 Personen angewachsen. Wer wagt da zu sagen, dass 367 amerikanische Studenten sich irren können?»

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Zum Verlauf ihres Kurses über vedische Mystik fügten sie noch hinzu: «Der Höhepunkt jeder Stunde ist erreicht, wenn unsere beiden Hübschen sich strecken und uns mit bezaubernden Hämmern mit perlenbesetzten Stielen leicht auf den Kopf klopfen, und wenn das Glockenzeichen der Entlassung ertönt, fallen wir um (natürlich nicht in Wirklichkeit). So wird der Feind besiegt; und so fügen unsere Wonder Women ihrer Anziehungskraft und ihren altruistischen Moralpredigten noch eine überzeugende Machtdemonstration hinzu. Alles in ­allem haben wir daran mitgewirkt, wunderschöne Frauen von den Fesseln der ÜBERHEBLICHKEIT DES MANNES, der VOREINGENOMMENHEIT und PRÜDERIE zu befreien.» (Marstons Artikel war mit ­einer Wonder-Woman-Zeichnung von Harry Peter illustriert worden, in der sie die Ketten zerreißt, die ihre Hände und Füße binden. Die Ketten tragen die Aufschriften VOREINGENOMMENHEIT, PRÜDERIE und ÜBERHEBLICHKEIT DES MANNES.) Die Professoren hatten größte Popularität erlangt: «Die Studenten hier stimmten mit vierzig zu eins für uns bei einem Beliebtheitswettbewerb, bei dem wir gegen einen Professor antraten, der in seinen Vorlesungen männliche Sportler Gymnastikübungen vorführen ließ.» Ein Kollege von ihnen, sagten sie, habe Marston noch übertroffen, er habe «einen neuen Comic, ‹Super­prof›», geschaffen.20 Marston, Holloway und Olive Byrne gingen am 11. August 1944, einem Freitag, zunächst zum Dinner in den Harvard Club und anschließend ins Theater. Im Royale in der West 45th Street sahen sie sich School for Brides an, eine Komödie um einen vielmals verheirateten (und wieder geschiedenen) Mann. Das Stück sei sehr lustig gewesen, erinnerte sich Holloway; sie erinnerte sich an alle Einzelheiten, die mit jenem Abend verbunden waren: an das Abendessen, das Stück und daran, dass sie Marston zugerufen habe, er solle warten und nicht so schnell durch die 45. Straße rennen. «Unsere letzte Verabredung», so bezeichnete sie diesen Abend.21 Sie erinnerte sich an das Rennen, weil er nie wieder rannte. Zwei Wochen später, am 25. August, nahm Marston, der eine Akten­tasche bei sich trug und noch einen Koffer zu schleppen hatte, den Zug in die Stadt und ging vom Bahnhof zu seinem Büro in der 43.,

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Ecke Madison. Kurz vor 17 Uhr ging Joye Hummel mit ihm zum Bahnhof Grand Central zurück, wo er in den Zug nach Boston stieg; er hatte dort Bankgeschäfte zu erledigen. Im Zug arbeitete er an Wonder Woman und schrieb weiteren Text für den Zeitungsstrip, der für etwa eine Woche reichte. Im Bostoner Bahnhof wartete Marjorie Wilkes Huntley auf Marston, sie hatte zuvor Ethel Byrne in Cape Cod besucht. Marston und Huntley brachten sein Gepäck in Carolyn Marston Keatleys Wohnung, aber das gelang nur unter Schwierigkeiten; Marston war unsicher auf den Beinen und hatte Schmerzen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sein linkes Bein «unerklärbar lahm und wacklig». Noch bevor der Abend kam, wurde er ins Deaconess Hospital eingeliefert. Er konnte sein linkes Bein nicht mehr bewegen. Am 28. August wurde er mit dem Krankenwagen ins Lenox Hill Hospital in New York gebracht. Er hatte sich eine Polio-Infektion zugezogen.22 Marston verbrachte einen Monat im Krankenhaus und kehrte erst am 25. September nach Cherry Orchard zurück. Noch am Abend jenes Tages begann er wieder zu arbeiten, so gut ihm das möglich war. «Als gegen Mitternacht die Schmerzen einsetzten, konzentrierte ich mich auf die Durchsicht einer WW pro Tag», schrieb er in sein Tagebuch.23 Zunächst benutzte Marston Beinschienen und Krücken – Schienen tauchen auch in der Wonder-Woman-Geschichte «The Case of the Girl in Braces» auf –, aber schon bald sah er sich in den Rollstuhl gezwungen. Holloway ließ vor dem Haus eine Rollstuhlrampe bauen, und drinnen wurde ein handbetriebener Treppenaufzug installiert, so dass Marston vom Auto aus ins Haus und im Haus vom Erdgeschoss in den ersten Stock gelangte. Die Krankenschwester Annette Trainor schaute nahezu täglich vorbei. Die Kinder nannten sie Misty (aus «Miss T.» abgeleitet).24 Joye Hummel hatte erst seit fünf Monaten für Marston gearbeitet, als er erkrankte. Er konnte unmöglich nach New York reisen, um die Produktion von Wonder Woman persönlich zu beaufsichtigen. Hummel arbeitete unter der Woche mit Peter im Marston Art Studio. An den Wochenenden nahm sie den Zug nach Rye, um Marston zu Hause aufzusuchen. Von den Familienverhältnissen hatte sie keine Ahnung. Man erzählte ihr, Olive Byrne sei Marstons verwitwete Schwägerin. Der tägliche Zeitungsstrip wurde 1945 eingestellt. Möglicherweise

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Marston nach der Polio-Erkrankung

war er nicht von einer ausreichenden Zahl von Zeitungen übernommen worden; wahrscheinlicher ist jedoch, dass Marston ihn einfach nicht mehr schnell genug produzieren konnte. Je schwächer Marston wurde, desto mehr Schreibarbeit übernahm Hummel.25 «The Winged Maidens of Venus», die erste von Hummel verfasste Geschichte, erschien in Wonder Woman Nr. 12 unter dem ­Titel-Datum Frühjahr 1945. Pro Manuskript erhielt sie 50 Dollar. Marston schrieb auch weiterhin seine eigenen Manuskripte. Er und Hummel besprachen die Ideen für neue Geschichten miteinander. «Er schrieb seine Manuskripte», sagte Hummel. «Und ich schrieb meine Manuskripte. Ich tippte alle meine Manuskripte selbst und brachte sie dann dem Redakteur Sheldon Mayer. Meine Texte winkte er stets schneller durch, weil ich sie nicht so sexy machte.»26 Hummels Geschichten waren unschuldiger als die von Marston. Außerdem begann sie mit dem Schreiben eigener Wonder Woman-­ Geschichten genau zu dem Zeitpunkt, als die Kritik der katholischen

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Bischöfe, die Fanpost von Fetischisten und Josette Franks Rückzug Gaines dazu veranlasst hatten, vom Beratergremium noch mehr Beaufsichtigung zu erbitten. «Wir hatten eine Gruppe von Leuten, die aus Psychologen oder Professoren bestand, was auch immer, die sich anschauten, was ich schrieb», sagte Hummel. «Wir hatten zehn Einschränkungen. Dinge, die wir nicht in einem Comicstrip unterbringen durften. Und am Schluss sagte Mayer dann immer: Na, trauen Sie sich mal, eine gute Geschichte zu schreiben.»27 Die massivste Attacke auf Wonder Woman kam unmittelbar nach der deutschen Kapitulation und dem Ende des Krieges in Europa. Walter  J. Ong, ein Jesuiten-Pater, der eine von Marshall McLuhan betreute Master-Abschlussarbeit geschrieben hatte und am Beginn einer langen Berufslaufbahn als Literaturtheoretiker stand, hatte Marstons Essay im American Scholar gelesen und ihn für töricht und verachtenswert befunden. Er schrieb eine Erwiderung unter dem Titel ­«Comics and the Super State». Das Manuskript schickte er an Atlantic Monthly, Harper’s, den Commonweal, die Yale Review und die Kenyon Review. Alle genannten Blätter lehnten eine Veröffentlichung ab.28 Schließlich brachte Ong seinen Artikel in der allerersten Nummer einer neuen Zeitschrift namens Arizona Quarterly unter. Sie erschien im Frühjahr 1945. «In den 25 000 000  Comic-Heften, die in diesem Land monatlich produziert und jeweils von durchschnittlich vier bis fünf Personen gelesen werden, und in den 6 000 000 000 Comicstrips, die in den Vereinigten Staaten jeden Monat in Tageszeitungen erscheinen, wirkt eine undefinierbare Masse von psychologischen Kräften», schrieb Ong. «Niemand weiß, was für Kräfte das sind. Nicht viele Leute interessieren sich dafür.» Aber Ong interessierte es, als Priester, als Literaturtheoretiker und als Bürger einer Demokratie. Er glaubte, dass vor allem die Superman- und Wonder-Woman-Comics sehr viel mit dem Dritten Reich gemeinsam hatten, und nicht zuletzt mit Hellenismus, Heidentum und Totalitarismus. «Schon der Titel ‹Superman› – ebenso wie seine frühere und erfolglose Form ‹Overman› – ist ein Import in die englische Sprache von George Bernard Shaw, übernommen aus dem Werk von Nietzsche,

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dem Herold des Nazismus und der neuen Ordnung», schrieb Ong. Wonder Woman war seiner Ansicht nach noch schlimmer: «Das Gegenstück mit der weiblichen Heldengestalt, das jüngeren Datums ist, ist in gewisser Weise symptomatischer als Superman selbst.» Dafür machte er Marston verantwortlich: «Der berechnende Entwurf als ideal­er Comicstrip im Denken eines amerikanischen pädagogischen Psychologen belegt die Fruchtbarkeit der Übermenschen-Ideologie außerhalb Deutschlands.» Ong befand Marstons Erklärung für Wonder Woman als Abhilfe für die Mängel von Comic-Heften für vollkommen unglaubwürdig. «Obwohl er sagt, Wonder Woman sei als Gegenentwurf zum ‹haarsträubenden Männlichkeitsbild› der anderen Comics und für die Einführung von ‹Liebe› in den Bereich der Comics angelegt, wird sie von ihrem begeisterten Schöpfer als Amazone bezeichnet, während ihr Aufgabenbereich das Leben ausschließt, das die meisten normalen Frauen sich wünschen mögen.» Ongs größtes Pro­ blem mit Wonder Woman war, dass sie einem Mann zu ähnlich war: «Angesichts der von der monolithischen Staatsideologie erhobenen Forderung nach totaler Gleichmacherei ist sie nicht imstande, weib­ liche Wertmaßstäbe beizubehalten. Sie lebt deshalb ganz und gar nach den Wertmaßstäben von Männern, zugunsten ihrer Weiblichkeit schlägt nur die Sexyness zu Buche, nach der die Masse der Männer verlangt. Das ist natürlich keine gesunde Sexualität, die sich an der Ehe und am Familienleben orientiert, sondern eine antisoziale Sexualität, Sexualität, die so verlockend wie möglich dargestellt wird, während ihre normale Ausprägung in der Ehe von Anfang an ausgeschlossen wird.» Ong hatte die Wonder-Woman-Comics sorgfältig gelesen. Und er hatte die Arbeiten ihrer Kritiker wie auch ihrer Verteidiger gelesen. Er zitierte die Bemerkungen über «Frauen in Ketten», die Josette Frank in einem von ihr verfassten Bericht für die Child Study Association of America gemacht hatte. Er wiederholte Lauretta Benders Behauptung, Comic-Hefte seien die volkstümliche Überlieferung der Moderne, und verwarf sie als lächerlich: «Man erkläre einfach, dass die Comics volkstümlichen Sagen und Legenden gleichen, und alle Zweifel verschwinden. Die strammen Muskeln des Denkapparats erschlaffen.» Wer immer so etwas unbesehen hinnehme, sei einfach nur leichtgläubig, behaup-

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tete Ong: Man denke nur daran, wie die Werke Wagners als «Requisiten für die offizielle Kultur des Dritten Reiches vereinnahmt» wurden, und es werde deutlich, dass «die Verteidigung der Comics, die als letztgültigen Wertmaßstab eine unterschiedslose Begeisterung für massenhafte Zustimmung und Ablehnung übernimmt, in derselben Tradition steht». Zweifellos würden 100 Millionen Amerikaner Comics lesen; daraus folge jedoch nicht, dass die Comics brillant oder gar Folk­ lore seien. Nein: Sie seien faschistische Propaganda.29 Harry Behn, der Chefredakteur der Zeitschrift Arizona Quarterly, hatte entschieden, Ongs Essay in der ersten Nummer des Blattes zu bringen, weil er davon ausging, dass dieser Text die Aufmerksamkeit der Presse auf sich ziehen würde. «Ihr Artikel über die Comics verspricht die aufregendste Granate zu werden, die wir bis jetzt losgelassen haben!», schrieb Behn an Ong und ließ ihn wissen, dass er sich um eine Besprechung in Time und einen Nachdruck in Reader’s Digest ­bemühe. Time brachte eine Zusammenfassung unter dem Titel «Are Comics Fascist?». Ong erhielt Glückwünsche von katholischen Intellektuellen aus dem ganzen Land. «Ich musste laut lachen, als ich las, dass Moulton [sic] zwei Bachelor- und einen Doktortitel hat und dass er zu derart niedrigen und verabscheuungswürdigen Mitteln gegriffen hat, um eine arglose Öffentlichkeit zu überzeugen», schrieb Aldo Notarianni von der Catholic University. «Auch wenn Superman und die Nachahmer-Publikationen weiterhin erscheinen sollten, ist jetzt definitiv verkündet worden, dass das katholische Denken nicht so weit eingelullt worden ist, dass es akzeptieren würde, was in Wirklichkeit eine Beleidigung des Menschen ist.»30 Ongs Essay war zum Zeitpunkt seines Erscheinens größtenteils überholt. Wonder Woman war geschwächt. Nach Kriegsende und in einer Zeit, in der Marston ans Bett gefesselt war, wurden viele Wonder-Woman-Geschichten von Joye Hummel geschrieben, und diejenigen, die Marston noch schrieb, waren zahm geworden.31 Er ließ jetzt seine Kinder darin auftreten. In der Geschichte «The Battle of Desires», die Marston 1946 verfasste, als Donn 13 Jahre alt war (sie erschien in Comic Cavalcade Nr. 16), ringt ein 13-jähriger Junge namens Don mit seinem impulsiven Wesen. Donn Marston war bekannt dafür, dass er leicht reizbar war und rasch in Wut geriet. Zudem war er leichtsin-

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Aus: «The Battle of Desires», in: Comic Cavalcade Nr. 16, August/ September 1946

nig und unbesonnen. Er hatte mit seinem Bruder Byrne einige Rohrbomben gebastelt, was beinahe zu beider Verhaftung führte, als die Polizei in das Haus in Rye kam.32 In der Geschichte «The Battle of Desires» gerät Don, der seine Wut nicht zügeln kann, immer wieder in Schwierigkeiten. Vor kurzem hat er an einer Straßenbaustelle eine Bombe gezündet. «Deine Sehnsucht nach Dominanz ist zu stark», sagt Wonder Woman zu ihm. «Sie beherrscht deine guten Sehnsüchte. Ich werde dir zeigen, was in deinem Kopf vor sich geht: ein Kampf der Sehnsüchte.» Dann schließt sie ihn an ihre «Introspektions-Maschine» an. Sie zeigt Don, dass sich in seinem Kopf ein Kampf abspielt, eine Auseinandersetzung zwischen einem riesigen, bösartigen Höhlenmenschen namens Dominanz und einem wunderschönen geflügelten Engel namens Liebe. Dominanz nimmt Liebe gefangen und greift zu einer großen Schere. «Oh, lass mir meine Flügel», bittet sie ihn. Er lehnt ab: «Ich traue dir nicht, Liebe. Deine Flügel müssen abgeschnitten werden!» (Diese Szene ist unmittelbar aus Inez Haynes Gillmores Angel ­Island übernommen.) Wonder Woman eilt zu Hilfe, aber Don hat etwas gelernt. «Danke, Wonder Woman, dafür, dass du mir beigebracht hast, meine Dominanz zu beherrschen.»33 In einer anderen Geschichte, die Marston 1946 schrieb, als Olive

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Ann Marston, ein Mädchen mit Zöpfen, zwölf Jahre alt war, lernt Wonder Woman ein Mädchen mit Zöpfen genau dieses Alters kennen, das ebenfalls Olive heißt und von seinen älteren Brüdern drangsaliert wird. Auf der großen Eröffnungsseite ist zu lesen: «Arme Olive! Die Jungs wollten sie nicht mitspielen lassen. Sie sagten, sie sei nur ein Mädchen – eine Heulsuse. Aber nachdem Wonder Woman mit Olive zur Paradiesinsel geflogen war und ihr dort eine Amazonen-Ausbildung verschafft hatte, zeigte sie Stärke und Mut, womit sie ihre Aus: «The Bog Trap», in: Sensation früheren Quälgeister verblüffte Comics Nr. 58, Oktober 1946 und einen von ihnen sogar vor einem schrecklichen Tod bewahrte! Die Jungs mussten dann zugeben, dass Mädchen etwas wert sind!» In der Geschichte spielt Olive mit ihren Brüdern Baseball, scheidet aber schnell aus, wenn sie am Schlag ist. Wonder Woman sagt zu ihr: «Du kannst so stark wie ­jeder Junge sein, wenn du hart arbeitest und sportlich so trainierst, wie das die Jungs tun.»34 Marston lag im Sterben. Er wurde zu Hause operiert, ließ sich einen Leberfleck entfernen, der sich als bösartig erwies. Man sagte ihm nie, dass er Krebs hatte. «Die Familie verschwor sich dazu, das Geheimnis zu bewahren», sagte Hummel. «Hätte er es erfahren, wäre er in eine tiefe Depression verfallen.» Außerdem bestand eine gewisse Besorgnis, dass er gewalttätig und im täglichen Umgang schwierig werden könnte; Marstons Wutausbrüche konnten furchterregend ausfallen. Er litt jetzt fast ständig unter Schmerzen.35 Der Krebs entwickelte Metastasen in den Lymphknoten in seinen Armbeugen. Man gab ihm Morphium. Noch zwei Tage vor seinem Tod

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arbeitete er an Wonder Woman.36 «Am Abend vor seinem Tod konnte er kaum mehr sprechen», schrieb Byrne Marston.37 Marston starb am 2. Mai 1947. O. A. zog gerade ihre Schulkleidung an, als Joye Hummel in ihr Zimmer im zweiten Stock kam, um ihr zu sagen, dass ihr Vater gestorben sei. Olive Byrne sagte es ihren Söhnen. Byrne Marstons Mütter schickten den Jungen nach New York, er sollte den Nachruf auf Marston bei der New York Times abgeben.38 «Dr. W. M. Marston, Psychologe, 53», lautete die Überschrift. «Er war in den vergangenen fünf Jahren als Schöpfer, Autor und Produzent von ‹Wonder Woman› überaus aktiv gewesen», stand im Nachruf, der ihn aber in erster Linie beschrieb als «den Urheber des 1915 entwickelten Täuschungstests mit Hilfe des systolischen Blutdrucks, der allgemein als Lügendetektor-Test bekannt ist». Der Text enthielt eine Lüge über den Fall Frye, die Geschichte, die Marston sich selbst erzählte, die Geschichte, die er glauben wollte: «Dr. Marston half in ­einem Fall mit, das Leben eines Negers zu retten, der unter Mord­ anklage stand.» Er zählte die Hinterbliebenen auf: «Er hinterlässt eine Witwe, Mrs. Elizabeth Holloway Marston; drei Söhne, Moulton, Byrne H. und Donn  R. Marston, und eine Tochter, Miss  Olive Marston.» Keine Erwähnung fand Olive Byrne.39 Ruhe in Frieden, Superprof.

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IM JANUAR 1948,  acht Monate nach Marstons Tod, schickte Holloway dem DC-Verleger Jack Liebowitz einen drei Seiten langen Brief. «Stellen Sie mich ein», bat sie ihn.1 Liebowitz sah sich in einer Zwickmühle. Wonder Woman war zur Waise geworden. Marston war im Mai 1947 gestorben. Charlie Gaines war im August des vergangenen Jahres während eines Urlaubs in Lake Placid bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen. Joye Hummel heiratete im gleichen Monat einen Witwer mit einer vier Jahre alten Tochter; Hummel liebte das Mädchen abgöttisch. «Ich höre auf», sagte sie bei der Rückkehr aus den Flitterwochen zu Sheldon Mayer. «Ich kann dieses Kind nicht im Stich lassen.»2 Auch Mayer wäre am liebsten ausgestiegen, aber er fühlte sich für Marstons Familie verantwortlich. «Ich erbte diese Kinder, das war wirklich so», sagte er später. «Ich wurde plötzlich zum Familienmitglied, weil, nun, es gab verschiedene Gründe, aber hauptsächlich, weil es zu meiner Aufgabe wurde, den Autor zu ersetzen, jemand anderen zu finden, selbst wenn ich seinen Ansatz bei Wonder Woman nicht guthieß. Und ich war der einzige Mensch, der tatsächlich verstand, was er umzusetzen versuchte.»3 Aber in Wirklichkeit war Mayer eben nicht der Einzige, der wusste, was Marston angestrebt hatte, wie Holloway im Januar 1948 Liebowitz zu erklären versuchte.4 «Bedenken Sie, dass ich Bill gekannt habe, seit er 12 Jahre alt war», rief Holloway dem Adressaten

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ihres Briefes in Erinnerung. «Ich schlug das erste Lügendetektor-­ Experiment vor und arbeitete bei seiner Labortätigkeit in Harvard mit ihm zusammen. Ich habe die gleiche Ausbildung wie er – Bachelor of Arts in Mt. Holyoke; Bachelor in Rechtswissenschaft, Boston University, und M. A. in Radcliffe. Der Hauptunterschied ist, dass ich ihn drängte, seine Promotion abzuschließen, während ich dafür zu faul war. Bedenken Sie außerdem, dass ich mein Leben lang Texte redak­ tionell bearbeitet und die mechanische Produktion von Bills Büchern materiell unterstützt habe.» Seit dem Tod ihres Ehemanns, sagte sie Liebowitz, habe sie Wonder Woman aus redaktioneller wie auch aus geschäftlicher Perspektive analysiert und «unsere Fortschritte seit dem 1. Juni sorgfältig überprüft». Sie sei nicht beeindruckt. Die Wonder-Woman-Comics, die in den Monaten nach Marstons Tod erschienen, wurden auf der Grundlage von Story-Ideen und halbfertigen Manuskripten produziert, die Marston und Hummel hinterlassen hatten. Die meisten davon sind ­Robert Kanigher zugeschrieben worden, weil er Jahrzehnte später die Autorschaft für sie beanspruchte, aber in Wirklichkeit hatte nicht ­Kanigher, sondern eine Autorengruppe von unklarer Zusammensetzung – Holloway hielt sie für sehr schlechte Autoren – Marstons und Hummels Material zu Manuskripten ausgearbeitet. «Offen gesagt zeigt sich in den Ergebnissen eine ebenso umfassende Inkompetenz, wie es mir immer Unbehagen bereitet hat, von der Seitenlinie aus ohne Einfluss zuzusehen», schrieb Holloway an Liebowitz. Die Wonder-WomanGeschichten waren kürzer geworden, und die Herstellungskosten für die Hefte waren gestiegen. Der Produktionsplan war chaotisch, «vier Episoden hinter dem Plan, und nur noch acht neue Manuskriptseiten von fragwürdiger Druckreife als Arbeitsgrundlage für die Zeichner.» Und es gab noch mehr Grund zur Sorge. «Zu diesem Zeitpunkt müssen wir uns auch der Konkurrenz von Moon Girl stellen», warnte Holloway Liebowitz. «Das wird anteilig von einem sehr intelligenten, an einem jungen Publikum orientierten, professionellen Autor geschrie­ ben, dessen Frau zumindest für kurze Zeit Redakteurin von Wonder Woman war.»5 Dorothy Roubicek hatte 1947 einen Comic-Heft-Autor namens William Woolfolk geheiratet; bei DC Comics hatte sie gekün-

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digt, als sie im dritten Monat schwanger war.6 Moon Girl erschien erstmals im Herbst 1947 bei Charlie Gaines’ EC Comics (nach Gaines’ Tod wurde EC von seinem Sohn William geführt). Weder Woolfolk noch Roubicek werden im Impressum des Heftes genannt, aber Moon Girl war ihre Schöpfung. «Als Team sind sie gerüstet für die Veröffent­ lichung eines Qualitätsprodukts und einer starken Konkurrentin für Wonder Woman», schrieb Holloway. «Die eine Sache, die sie nicht haben, ist die Marston-Psychologie des Lebens, die auf jeder Seite von WW zu finden war.»7 Moon Girl ähnelt Wonder Woman dennoch auf bemerkenswerte Art und Weise. Mit ihren langen schwarzen Haaren und engen blauen Hosen ist sie «eine Frau von sensationeller Stärke, übermenschlicher Geschwindigkeit und Ausdauer und unübertreff­ licher Schönheit». Sie ist die Prinzessin des Mondes, die von ihrer Mutter, der Königin, zur Erde geschickt wurde, um sich dort mit dem Mann zusammenzutun, den sie liebt. Sie verfügt über eine Mond­ rakete, und ihr Zauber-Mondstein ermöglicht es ihr, Kugeln abzuwehren, und verleiht ihr «die Kräfte von zehn Durchschnittsmännern». Sie sieht aus wie Wonder Woman, und sie klingt auch wie sie; ständig sagt sie Dinge wie «Pluto, hilf mir!» und «Jupiter, beschütze uns!». Ihr Alter Ego Clare Lune arbeitet als Geschichtslehrerin. Im zweiten, im Winter 1947 unter dem Titel «Future Man» erschienenen Heft geht ein drangsalierter, unter dem Pantoffel stehender Ehemann, der in ­einer 3000 Jahre entfernten Zukunft lebt, in eine Bibliothek, um sich Filme anzusehen, die im 20. Jahrhundert gedreht wurden, und verliebt sich dabei in Moon Girl. Er begibt sich auf eine Zeitreise, um sie kennenzulernen; er will sie heiraten. Sie schlägt ihn nieder, aber er nimmt sie gefangen, nachdem es ihm gelungen ist, ihr den Mondstein zu stehlen. Doch dann, als er sich gerade mit ihr davonmachen will, erscheint seine ewig nörgelnde Gattin, die ihm auf der Zeitreise gefolgt ist, um ihn wieder heimzuführen, wozu sie ihren «Ehemann-Ruhigsteller» («Husband Pacifier») benutzt.8 Holloway plädierte energisch dafür, dass Liebowitz sie selbst als Redakteurin von Wonder Woman engagieren sollte. «Jack, ich weiß, dass ich Autoren auftun kann», versprach sie. «Ich weiß, dass ich Geschichten beschaffen und eine Wonder Woman von hoher Qualität liefern kann, mit allen Charakteristika, mit denen Bill sie ausgestattet

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Aus: Dorothy Roubicek Woolfolk und Bill Woolfolk, Moon Girl Nr. 3, Frühjahr 1948

hat, wenn ich Ihre hundertprozentige Unterstützung habe.» Die einzige Möglichkeit, Wonder Woman zu retten, betonte sie, bestehe darin, sie in der Familie zu halten. «Jack, wenn die Marston-Familie nicht an Wonder Woman arbeitet, gebe ich ihr noch zwei Jahre – eines, das mit Bills Texten bestritten wird, und ein zweites, um die Sache auslaufen zu lassen», ließ sie Liebowitz wissen.9 Aber Liebowitz gewährte Holloway keine hundertprozentige Unterstützung; er unterstützte sie überhaupt nicht. Stattdessen engagierte er Kanigher und setzte sich dabei nicht nur über Holloways, sondern auch über Mayers Einwände hinweg. Mayer hatten Kanighers Wonder-Woman-Storys nie gefallen. Kanigher berichtete über seinen ersten Versuch, bei Mayer ein Wonder-Woman-Manuskript abzuliefern: «Ich brachte es ihm, und er schmiss es auf den Fußboden und trampelte darauf herum. Ich las die Blätter wieder auf, ging nach Hause und kam mit einer anderen Wonder-Woman-Story wieder. Er ging wieder so vor, warf den Text auf den Boden und trampelte darauf herum. Als ich das dritte Mal zu ihm kam, benahm er sich genauso. Also sagte ich: ‹Leck mich.›» Aber Mayer rief ihn – nach Kanighers Angaben  – noch am Abend jenes Tages an, um ihm zu sagen, dass

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­ iebowitz mit ihm sprechen wolle. «Ich fragte: ‹Wozu?› Er sagte: ‹WeL gen der Übernahme von Wonder Woman.›» Kanigher kam zu einer ­Besprechung. Liebowitz bot ihm einen Posten als Autor und Redakteur an, verbunden mit der uneingeschränkten Verantwortung für Wonder Woman. Als Holloway dagegen protestierte, sagte Whitney Ellsworth, der Redaktionsleiter von DC Comics, zu Kanigher: «Führen Sie die alte Dame zum Lunch aus.»10 Nach diesem Vorfall wurde Holloway von allen Gesprächen über redaktionelle und verlegerische Angelegenheiten ausgeschlossen. Fest entschlossen, Marstons Vorstellungen von diesem Projekt weiterzu­ geben, schickte sie Kanigher ein langes Dokument mit dem Titel «Information for Wonder Woman Scripts». Das Papier erklärt Wonder Womans Herkunft, ihre Motivation, ihre Lieblings-Redensarten und jeden einzelnen ihrer besonderen Tricks und Ausrüstungsgegenstände. («WWs Flugzeug ist unsichtbar. Es ist kein Roboterflugzeug.») Es listet sämtliche immer wieder auftauchenden Figuren auf, einschließ­ lich der Schurkengestalten, ebenso wie ihre Hintergrundgeschichten. («Paula verfügt über Geheimlabors in Washington; am Holliday College, in der Nähe von Washington, unter dem Dampfkraftwerk.») Es erklärt den Aufbau der Geschichten: Wonder Woman muss spätestens auf Seite 2 oder 3 auftauchen, die Bedrohung auf Seite 4. Und es enthält auch eine Liste von Kraftausdrücken und Ausrufen: Feminin (vorzugsweise)

Maskulin (zu vermeiden)

Gnädige Minerva

Beim Barte Poseidons

Große Hera

Beim Blitzschlag des Zeus

Leidende Sappho

Bei Vulkans Hammer

Beim Schild Athenes

Beim Geist des großen Cäsar

Allwissende Athene

Bei Hephaistos’ Hämmern (mein Lieblingsausdruck)

Aphrodite, steh mir bei, usw.

Bei Phaetons Sonnenwagen

«Bill verwendete meist weibliche Ausrufe. Das ist ein Detail, das bei der Schaffung der ‹Frauen›-Atmosphäre hilfreich ist», instruierte Holloway Kanigher.11 «Du, Tochter, musst die Anführerin der Frauen werden», sagt der

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Duke of Deception in einer von Kanigher 1948 geschriebenen WonderWoman-Geschichte zu Lya. «Du musst sie davon überzeugen, dass sie keine politischen Rechte beanspruchen wollen, und dass sie für all das stimmen, was ich diktiere.» Lya lächelt. «Das wird leicht!»12 Kanigher heftete Holloways Anweisungen ab. Und dann verfuhr er mit Wonder Woman ganz nach seinem Belieben. Mayer kündigte. Holloway war es praktisch untersagt, jemals wieder in den Räumlichkeiten des Verlags zu erscheinen. «Die Leute bei DC versteckten sich unter ihren Schreibtischen, wenn sie auftauchte», sagte eine ihrer Enkelinnen.13 Holloway schickte diese Handreichung mit Anweisungen im Februar 1948 an Kanigher. Der Oberste Gerichtshof der USA erklärte im darauf­ folgenden Monat im Verfahren Winters v. New York einen Abschnitt des Strafgesetzbuches des Staates New York für verfassungswidrig, mit dem bis dahin gedruckte Texte, die mutmaßlich der Verherr­ lichung von Verbrechen dienen, verboten worden waren. Das Gericht entschied, dass in diesem Gesetzestext verwendete Wörter wie «anstößig» («indecent») oder «ekelhaft» («disgusting») keine «formal­ juristische oder im Common Law verankerte Bedeutung» hätten. Kritiker der Comic-Hefte vertraten die Ansicht, dass das Urteil einen ­trügerischen Unterschied zwischen Obszönität (die damals nicht durch den Ersten Zusatzartikel geschützt war) und Gewalt feststellte (die diesen Schutz genoss). Aus Protest gegen das Urteil organisierte ein Psychiater namens Fredric Wertham ein Symposium zur «Psychopathologie von Comic-Heften». Gershon Legman von der Association for the Advancement of Psychotherapy, einer der Referenten, sagte bei dieser Tagung, die Entscheidung in Sachen Winters v. New York bedeute, dass nackte Frauen auf den Seiten eines Comic-Heftes nicht gefoltert werden dürften, aber «wenn sie im voll bekleideten Zustand zu Tode gefoltert würden, wäre das für Kinderaugen völlig in Ordnung». Seine Attacke galt sowohl Marston, der mit Wonder Woman eine Figur geschaffen habe, die «ihre Opfer lyncht», als auch Lauretta Bender, weil sie «die gängige psychiatrische Rechtfertigung für diese Comic-Hefte» geliefert habe.14

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Eine von Wertham verfasste Anklageschrift gegen Comics erschien im Mai in der Saturday Review of Literature. Bei Wertham hatte sich im Verlauf seiner Arbeit mit Kindern in Queens und Harlem eine Sorge wegen möglicher Schäden entwickelt, die Comic-Heft-Figuren wie Wonder Woman kleinen Mädchen zufügen könnten. Er erzählte eine Geschichte über ein vier Jahre altes Mädchen, das in einem Mehrfamilienhaus lebte, in dem alle anderen Kinder Jungen waren; die waren durch Comic-Heft-Lektüre auf die Idee gekommen, es könnte Spaß machen, dem Mädchen wehzutun: «Die Jungen im Haus, alle im Alter von etwa drei bis neun Jahren, schlugen sie, verprügelten sie mit Spielzeugwaffen, fesselten sie mit einem Seil, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Sie schlugen sie mit Peitschen, die sie im Zirkus kauften. Sie schubsten sie vom Fahrrad und nahmen ihr die Spielzeuge weg. Sie legten sie in Handschellen, die sie sich mit Gutscheinen aus Comic-Heften besorgten. Sie verschleppten sie auf ein unbebautes Grundstück und benutzten sie als Ziel für ein Spiel mit Pfeil und Bogen. Sie bastelten eine Speerspitze und jagten ihr damit Angst ein. Einmal kreisten sie sie ein und zogen ihr das Höschen herunter, um sie zu quälen (wie sie sich ausdrückten). Jetzt hat die Mutter das Höschen des Kindes mit einem Band um den Nacken herum befestigt, so dass die Jungs es nicht mehr herunterziehen können.»15 Wertham, 1895 in Nürnberg geboren, erwarb seinen medizinischen Doktortitel 1921 noch in Deutschland; im darauffolgenden Jahr wanderte er in die Vereinigten Staaten aus. Er war ein politisch liberal gesinnter Mensch, ein leidenschaftlicher Anhänger der Gleichberechtigung aller Ethnien und ein Befürworter strenger Waffengesetze. In den 1930 er Jahren arbeitete Wertham eng mit Clarence Darrow zusammen; in Strafprozessen sagte er oft zugunsten von mittellosen Schwarzen aus. Margaret Sanger richtete 1930 in Harlem, unterstützt von W. E. B. DuBois, eine Beratungsstelle für Empfängnisverhütung ein. («Menschen, die Frauen auf das Kindergebären beschränken wollen, sind reaktionäre Barbaren», sagte DuBois.)16 Zwei Jahre später begann Wertham in der unmittelbaren Nachbarschaft mit dem Aufbau psy­ chiatrischer Beratungsstellen. 1934 begann er seine Tätigkeit am Bel­ levue Hospital. In den Jahren von 1936 bis 1940 war Paul Schilder, ­Direktor der Mental Hygiene Clinic am Bellevue Hospital und Lauretta

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Benders Ehemann, Werthams Vorgesetzter. Wertham vertrat 1938 in John Henry Wigmores Journal of Criminal Law and Psychology die Ansicht, dass die Psychiatrie sehr viel zur Rechtspflege beitragen könne, weil Psychiater die seelischen Kräfte verstehen könnten, die die Psyche von Kindern beeinträchtigten und sie zu Kriminellen machten. Damit meinte er unter anderem auch, dass Psychiater darüber befinden sollten, welche Art von Lektüre Kindern verboten bleiben sollte. In Schilders Todesjahr, 1940, verließ Wertham das Bellevue Hospital, um sein neues Amt als Direktor des psychiatrischen Dienstes am Queens Hospital anzutreten. Dort rief er den später so genannten Hookey Club ins Leben, eine Therapiegruppe für straffällig gewordene Kinder. 1946 gründete er dann die Lafargue Clinic in Harlem.17 Der Rassismus, die sexuelle Ausbeutung von Frauen und die Verherrlichung von Schusswaffen in Comic-Heften störten Wertham am meisten, obwohl er auch von etwas besessen war, das er als Förderung von Erscheinungsformen sexueller «Perversion» – einschließlich der Homosexualität – durch Comics betrachtete. Werthams Animosität gegenüber Comics hatte jedoch sehr viel mit Lauretta Bender zu tun, die für ihn eine berufliche Rivalin und eine Erzfeindin war. Wenn er die Berater der Comic-Heft-Branche als «Psycho-Primadonnas» bezeichnete, meinte er damit in erster Linie Bender: «Die Tatsache, dass einige Kinderpsychiater Comic-Hefte loben, beweist nicht den guten Gesundheitszustand der Comic-Hefte», sagte er. «Sie beweist lediglich den schlechten Gesundheitszustand der Kinderpsychiatrie.» Selbst die problembeladenen Kinder im Hookey Club könnten erkennen, dass eine jede Person, die im wissenschaftlichen Beratergremium eines Comic-Heft-Verlags mitarbeite, nicht vertrauenswürdig sei. «Wenn Sie einen Tausend-Dollar-Scheck für diese lustigen Heftchen bekommen würden, würden Sie sich dann gegen sie aussprechen?», habe, schrieb Wertham, ein 14-jähriger Junge gesagt. «Sie geben ein paar Leuten ein Zusatzhonorar, damit sie schreiben können: ‹Von Dr. Soundso bestätigt: Guter Lesestoff für Kinder.›»18 Dutzende von Städten und Bundesstaaten verabschiedeten bis zum Ende der 1940 er Jahre Gesetze, die den Verkauf von Comic-Heften ganz verboten oder einschränkten. Der Kongress veranstaltete 1950 eine Reihe von Hearings zum Problem der Jugendkriminalität, die von

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Fredric Wertham inspiziert das Comic-Sortiment

Estes Kefauver geleitet wurden. Der Sachverständige Wertham führte bei solcher Gelegenheit aus, der Held in Comic-Heften sei nahezu immer «ein athletischer, rein amerikanischer weißer Mann», während «die Schurken andererseits im Ausland geborene Juden, Orientalen, Slawen, Italiener und dunkelhäutige Menschen sind.»19 Nur sehr wenige Personen, die sich für die Stilllegung der Comic-Heft-Industrie einsetzten, störten sich an dem in den Comics enthaltenen Rassismus so sehr wie Wertham. Kefauver interessierte sich stattdessen für die Beziehung zwischen Comic-Heften und Jugendkriminalität. «Ich bin der Überzeugung, dass Comics Kinder nicht zu kriminellen Aktivitäten anstacheln», schrieb Lauretta Bender noch vor Beginn der Hearings an Kefauver. «Ich habe bei Kindern zwar eine Beziehung zwischen ­Comics und Delinquenz festgestellt, aber es ist eine positive Beziehung, weil Comics von Kindern als ein Mittel der Erleichterung und Entlastung bei Konflikten, allgemeiner Verwirrung, Frustration und

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Ängsten genutzt werden können und auch genutzt werden und sich außerdem als eine stellvertretende Freisetzung von Aggressionen erweisen können. Auf diese Art lässt sich die Nutzung von Comics durch Kinder mit der Nutzung von Literatur aller Art, bildender Kunst, Musik, Theater, Filmen und so weiter durch Erwachsene vergleichen, da diese Ausdrucksformen uns allen zu einem besseren Verständnis des Lebens, von Problemen anderer Menschen und gesellschaftlichen Vorstellungen verhelfen und alle Menschen in einem wechselseitigen Verständnis enger zusammenführen.»20 Wertham versuchte Bender zu diskreditieren, indem er in seiner Aussage darauf hinwies, dass «die Comic-Heft-Experten, die in der Öffentlichkeit den höchsten Bekanntheitsgrad genießen, vor dem Senatsausschuss zu Fragen der Kriminalität zugegeben haben, in Diensten der Crime-Comic-Heft-Industrie zu stehen.»21 Kefauver konnte in seinem Abschlussbericht nicht belegen, dass Comic-Hefte Kinder zu Gewalttaten anregen. Wertham brachte das in Rage, er bezeichnete Kefauvers Schlussfolgerungen als «die großartigste Werbung, die die Crime-Comic-Heft-Industrie bislang erlebt hat».22 Bender zeigte sich erfreut und schrieb an Whitney Ellsworth bei DC ­Comics, um ihm mitzuteilen, dass Kefauvers Hearings ihrem Eindruck nach bei der Frage nach der Beziehung zwischen Comic-Heften und Jugendkriminalität keinerlei Zusammenhang aufgezeigt hätten, denn «es gibt eindeutig keinen Beweis dafür, dass ein negativer Einfluss vorliegt».23 Wertham kam zu dem Schluss, dass die einzige Möglichkeit, sich in diesem Kampf gegen die Comic-Heft-Industrie durchzusetzen, für ihn in der Diskreditierung Benders bestand. Er stellte eine Liste zusammen, die er mit folgender Überschrift versah: «Bezahlte Experten der Comic-Heft-Industrie, die sich als unabhängige Wissenschaftler ausgeben» («Paid Experts of the Comic Book Industry Posing as Independent Scholars»). Auf Platz eins dieser Liste, als Lakai Nummer eins der Comic-Heft-Industrie, führte er Bender. «Seit 1941 auf der Gehaltsliste von Crime Comics», schrieb Wertham. «Prahlte im privaten Rahmen damit, ihre drei Kinder mit Geld aufzuziehen, das mit CrimeComic-Heften verdient wurde.»24

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«Dr. Wertham geht wieder um», schrieb ein Freund im Oktober 1953 an Bender. «Er hat ein Buch geschrieben.»25 Dieses Buch erschien im Frühjahr 1954 unter dem Titel Seduction of the Innocent. Wertham hatte 1951 im Namen der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in Delaware in einem Verfahren ausgesagt, in dem es um die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen ging. In ­einer Studie, die Wertham an der Lafargue Clinic erarbeitete, stellte er fest, dass die Rassentrennung an Schulen psychische Schäden ver­ ursachte (Werthams Arbeit wurde 1954, zusammen mit seiner Aussage im Namen der NAACP, im Fall Brown v. Board of Education zitiert.)26 In Seduction of the Innocent griff er dieses Argument bei seinem Plädoyer gegen Comics noch einmal auf. Anhand seiner eigenen Behandlungsunterlagen erzählte er die Geschichten von Kindern, mit denen er in seiner Klinik in Harlem arbeitete, und zitierte beispielsweise ein zwölfjähriges Schwarzes Mädchen, das sieben oder acht Comic-Hefte pro Tag las, unter anderem auch Wonder Woman. Das Kind sagte: Meiner Meinung nach stellen sie die farbigen Menschen nicht richtig dar. So wie sie gezeigt werden, habe ich sie noch nie gesehen – ihre Haare und die große Nase und das Englisch, das sie sprechen. Sie sprechen nie das Englisch, das wir sprechen. Sie machen sie so dunkel – in Wirklichkeit habe ich noch nie so jemanden gesehen. Weiße Kinder denken dann, dass alle Farbigen so aussehen, und in Wirklichkeit stimmt das nicht.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Wertham den drei beliebtesten Superhelden. «Diese Superman-Batman-Wonder-Woman-Gruppe ist eine Sonderform der Crime Comics», erklärte er. Eines seiner Haupt­ argumente war, dass Comics Homosexualität propagierten. Batman und Robin leben zusammen («es ist wie ein Wunschtraum zweier Homo­ sexueller»); sie lieben sich. «Manchmal landet Batman mit einer Verletzung im Bett, und der junge Robin sitzt an seiner Seite.» Selbst ihre Haushaltsführung ist schwul: «Sie leben in einer Luxuswohnung, man sieht dort wunderschöne Blumen in großen Vasen.» Und sie teilen sich die Möbel: «Manchmal sind sie auf einer Couch zu sehen, Bruce zurückgelehnt, und Dick sitzt neben ihm, das Jackett hat er ­abgelegt, der Kragen steht offen, und seine Hand liegt auf dem Arm

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des Freundes.» Es gehe nicht nur darum, dass Bruce und Dick ein Liebespaar seien; es gehe darum, dass sie Jungen zu Schwulen machten. «Die typische Batman-Story kann Kinder zu homosexuellen Fantasien stimulieren», lautete Werthams Vorwurf.27 Doch die Amazonen-Prinzessin war seiner Ansicht nach noch schlimmer. «Das lesbische Gegenstück zu Batman ist in den Geschichten von Wonder Woman zu finden», behauptete Wertham und nutzte die Gelegenheit für eine ­Attacke auf Bender: «Die Zeitschrift Psychiatric Quarterly beklagte in einem Editorial das ‹Auftreten einer bedeutenden Kinderpsychiaterin als implizite Befürworterin einer Serie, (…) die einen extrem sadistischen Hass auf alle Männer in einem Rahmen zeigt, der offensichtlich lesbisch ist›.»28 Wertham erzählte die Geschichte der 14-jährigen Edith, einer straffällig gewordenen Jugendlichen. «Ihr Ideal war Wonder Woman», erklärte er. «Es stand außer Frage, dass dieses Mädchen in schwierigen sozialen Verhältnissen lebte. Aber durch den besonders verderblichen Einfluss, den die Verführung durch Comic-Hefte auf ihre charakter­ liche Entwicklung nahm, wurde sie daran gehindert, sich über diese Verhältnisse zu erheben. Die Frau in ihr hatte sich Wonder Woman gebeugt.» Wonder Woman war für Wertham mit einiger Sicherheit die schlimmste unter allen Comic-Figuren. Sie konnte heimtückisch sein; ihre Comic-Hefte waren rassistisch; sie war ein lesbischer Batman, und die jungen Frauen aus dem Holliday College waren «gay». Bender hatte geschrieben, dass die Wonder Woman-Hefte «eine verblüffend fortschrittliche Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit» zeigten und «Frauen in diesen Geschichten den Männern gleichgestellt und auf den gleichen Tätigkeitsfeldern aktiv sind». Wertham empfand den Feminismus in den Wonder-Woman-Geschichten als abstoßend. «Was nun die ‹fortschrittliche Weiblichkeit› anbelangt, wie sehen denn die Aktivitäten in den Comic-Heften aus, mit denen Frauen, ‹den Männern gleichgestellt, befasst sind›? Sie arbeiten nicht. Sie sind keine Hausfrauen. Sie ziehen keine Kinder groß. Mutterliebe ist völlig abwesend. (…) Selbst wenn Wonder Woman ein Mädchen adoptiert, sind lesbische Untertöne im Spiel.»29 Seduction of the Innocent erschien am 19. April 1954. Zwei Tage später hielt der Unterausschuss des Senats zur Jugendkriminalität Anhö-

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rungen in New York ab.30 William Gaines sagte am ersten Tag der Anhörungen aus. Nach dem Tod seines Vaters hatte Gaines eine ganze Reihe von Horror-Comics auf den Markt gebracht, zu denen auch The Vault of Horror und Tales of Terror zählten. 1952 hatte er die Zeitschrift Mad gestartet. «Wovor haben wir Angst?», fragte Gaines bei den Anhörungen. «Haben wir Angst vor unseren eigenen Kindern?» Wertham sagte am zweiten Tag der Anhörungen aus, benannte dabei genau, wovor er Angst hatte, und führte alle Argumente erneut ins Feld, die er bereits in Seduction of the Innocent vorgetragen hatte. «Im Vergleich zur Comic-Heft-Industrie war Hitler ein Anfänger», sagte er. Bender sagte am darauffolgenden Tag aus. Und da sie – wie vor ihr William Gaines – Wertham immer wieder unterschätzte, tat sie sich sehr schwer damit, seine Kritik an Comics ernst zu nehmen. Sie sagte, sie halte Horror-Comics für «unsäglich dumm». Sie versuchte – ohne Erfolg – die Aufmerksamkeit des Ausschusses von den Comic-Heften abzuziehen und dafür auf Film und Fernsehen zu lenken, indem sie ausführte, dass sie an ihrer Klinik Kinder gesehen habe, die beim Ansehen von Walt-Disney-Trickfilmen in Panik gerieten. Wenn irgend­ etwas an der amerikanischen Populärkultur für Mädchen schlecht sei, meinte Bender, dann sei das nicht Wonder Woman; es sei Walt Disney. «In Walt Disneys Filmen werden die Mütter immer getötet oder ins ­Irrenhaus gebracht», sagte sie. «Würden Sie in Erwägung ziehen, dass die übermäßige Lektüre von Crime- und Horror-Comics symptomatisch für ein gestörtes emotionales Gleichgewicht ist?», fragte man sie. Nur wenn das Beweismaterial erfunden sei, erwiderte sie: «Es ist vorstellbar, und ich bin mir sicher, dass früher oder später, wenn genug geforscht wird, irgendjemand auf einen Vorfall stößt, bei dem ein Kind zu der Aussage gebracht wird, dass es die Idee dazu irgendeinem Comic-Heft entnommen hat.» Aber sie war der Ansicht, dass Wertham seinen Patienten Dinge entlockt hatte, die auf falsche Bekenntnisse hinausliefen.31 Doch es spielte keine große Rolle, was Bender sagte oder nicht sagte. Sie war hinters Licht geführt worden. Bender hatte in einem Brief, den sie 1950 an Kefauver schrieb, als Antwort auf einen Fragebogen, den er ihr zugeschickt hatte, dem Senator ihre Funktion als

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Mitglied des Beratergremiums von DC Comics ebenso offenbart wie ihr monatliches Salär für diese Tätigkeit, das mittlerweile 150 Dollar betrug.32 Kefauver verband, von Wertham entsprechend bedrängt, mit Benders Einladung in den Zeugenstand das Ziel, sie zu diskreditieren und so aus der am besten beleumundeten Fürsprecherin der ComicHeft-Industrie eine «bezahlte Apologetin» zu machen, weil sie seit 1944 Geld von DC Comics angenommen hatte.33 Im Anschluss an die Anhörungen gab sich die Comics Magazine Association of America neue Richtlinien, die sich eng an den Hays Code der Filmindustrie anlehnten. Nach diesen Bestimmungen durften Comic-Hefte keinerlei Grausamkeiten enthalten: «Szenen des Grauens, exzessives Blutvergießen, blutrünstige oder grausige Verbrechen, Lasterhaftigkeit, Wollust, Sadismus, Masochismus sind nicht gestattet.» Es durfte nichts «Perverses» enthalten sein: «Verbotene sexuelle Bezie­hun­ gen dürfen weder angedeutet noch beschrieben werden. Gewalttätige Liebesszenen sind ebenso inakzeptabel wie sexuelle Abnormitäten.» Für Unkonventionalität gab es keinen Spielraum: «Die Gestaltung von romantischen Liebesgeschichten soll den Wert des Zuhauses und die Heiligkeit der Ehe hervorheben.» Und für Homosexualität war absolut kein Platz: «Sexuelle Perversion oder jegliche Schlussfolgerung in dieser Richtung ist streng verboten.» Jack Liebowitz löste das Beratergremium von DC Comics auf und gründete ein neues; Bender war nicht mehr dabei.34 Die meisten Superhelden überstanden entweder den Friedensschluss oder den Code nicht. Die Justice Society beendete 1948 ihre Tätigkeit. Sensation Comics wurde 1953 eingestellt. Wonder Woman lebte weiter, war aber kaum mehr wiederzuerkennen. Robert Kanigher hasste die Figur, die er als «die groteske, unmenschliche, ursprüngliche Wonder Woman» bezeichnete.35 Und auch Harry G. Peters Zeichnungen gefielen ihm nicht; er machte sich daran, ihn hinauszuekeln. Das erste Wonder Woman-Titelbild, das nicht von Peter stammte, erschien 1949. Es zeigte Steve Trevor, der eine dümmlich lächelnde, hilflose Wonder Woman durch einen Fluss trägt. Anstelle ihrer kecken und auffälligen roten Stiefel trägt sie auf diesem Bild zierliche gelbe Ballerinas.36 Peter starb 1958.

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Wonder Woman folgte in den 1950 er Jahren den Hunderttausenden amerikanischen Frauen, die während des Krieges einer Erwerbs­ arbeit nachgegangen waren, nur um dann, als der Friede da war, erzählt zu bekommen, dass ihre Arbeitskraft jetzt nicht nur nicht mehr gebraucht werde, sondern die Stabilität der Nation gefährde, weil sie die gesellschaftliche Stellung der Männer schwäche. Die Zahl der amerikanischen Frauen, die außer Haus einer Erwerbsarbeit nachgingen, hatte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs um 60 Prozent zugenommen; drei Viertel dieser Frauen waren verheiratet, und ein Drittel von ihnen waren Mütter kleiner Kinder. Die Frauen hatten mit ihrer Arbeitskraft einen entscheidenden Beitrag zu den Kriegsanstrengungen geleistet. «Es gibt praktisch keine unverheirateten Frauen mehr, auf die man zurückgreifen könnte», hatte die Zeitschrift Fortune 1943 berichtet. «Es bleiben, als nächste potentielle Arbeitskräfte-Ressource für die Industrie, die Hausfrauen.» Drei Viertel der berufstätigen Frauen hofften bei Kriegsende darauf, ihre Arbeitsplätze behalten zu können; nur sehr wenigen von ihnen gelang das auch. Man legte ihnen nahe zu kündigen, um Platz für die aus dem Kriegsdienst zurückkehrenden Männer zu machen. Den Frauen wurde der Lohn gekürzt. Fabri­ken, die während des Krieges für eine Kinderbetreuung gesorgt hatten, schafften dieses Angebot ab. Unverheirateten Frauen legte man die Heirat nahe; verheiratete Frauen bekamen zu hören, sie sollten Kinder bekommen. Berufstätige Frauen traten vor den Altar und begaben sich zur Entbindungsstation.37 Wonder Woman wurde zur Babysitterin, zum Mannequin und zum Filmstar. Sie wollte Steve unbedingt heiraten. Sie trat als Beraterin der Liebeskranken auf, als Redakteurin einer Ratgeberkolumne in einer Zeitung für einsame Herzen. Kanigher beseitigte 1950 Etta Candy. («Etta Candy! Mein Gott!», schimpfte er.) Er schaffte auch die «Wonder Women of History» ab und ersetzte diese Reihe durch eine Serie über Hochzeiten unter dem Titel «Marriage a la Mode».38 Frauen kehrten an Heim und Herd zurück. Frauenrechte gingen in den Untergrund. Und Homosexuelle wurden verfolgt. Ob es wohl einen «Schnelltest in der Art eines Röntgenbilds» gebe, «das diese Dinge aufdeckt?», fragte die US-Senatorin Margaret Chase Smith 1950 in Anhörungen zum Thema Homosexualität. Im Außenministerium

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Aus: Robert Kanigher, «Wonder Woman, Romance Editor», in: Wonder Woman Nr. 97, März 1950

erhielt ein ehemaliger FBI-Beamter den Auftrag, den Staatsdienst mithilfe von Lügendetektor-Tests von Homosexuellen zu säubern. Wer diesen Test nicht bestand, musste den Dienst quittieren. In den Jahren von 1945 bis 1956 verloren 1000 angebliche Homosexuelle in Diensten des State Departments und nicht weniger als 5000 Mitarbeiter der Bundesregierung ihre Arbeit.39 Marston, Holloway und Byrne hatten ein geheimes, abgeschirmtes Privatleben geführt. Das hatte seinen Preis.

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LIEBE FÜR ALLE

OLIVE BYRNE UND ELIZABETH HOLLOWAY   lebten ihr ganzes weiteres Leben

zusammen. Sie waren unzertrennlich.1 Ihre vier Kinder erzählen sehr unterschiedliche Geschichten über ihre Familie, wie das wohl die Kinder in allen Familien tun. Pete sagt, sein Vater sei wie ein Schnellzug gewesen und seine Mutter wie ein Bulldozer. Byrne sagt, seine Mutter sei in vielerlei Hinsicht wie Jane Eyre gewesen. Donn vergab allen Elternteilen niemals die Lügen. O. A. wollte lieber nicht sagen, was sie denkt. Olive Byrne sagte ihren Kindern nie, dass Marston ihr Vater war. Zu einigen Dingen machte sie jedoch Andeutungen. «Ihr hattet eine merkwürdige Erziehung», schrieb sie 1948 an ihren Sohn Byrne, als er ein Studienanfänger in Harvard war. Auch wenn sie nichts weiter eingestand, räumte sie doch so viel ein: Es sei nicht leicht gewesen, das experimentelle Leben von William Moulton Marston zu teilen. «Ich gab mir die größte Mühe, seinen Fanatismus zu minimieren, soweit es euch Kinder betraf«, schrieb sie dem Sohn. Aber mehr habe sie nicht ausrichten können. «Damit will ich nur sagen, dass wir tolerant mit uns selbst umgehen und uns Abweichungen vom geraden Weg zugestehen müssen, den wir uns vorgenommen haben. Und wir müssen auch anderen dasselbe Vorrecht zugestehen.»2 Holloway kehrte 1948 an ihren Arbeitsplatz bei der Metropolitan Life Insurance zurück, nachdem es ihr nicht gelungen war, DC Comics dazu zu bewegen, sie einzustellen, und sie sich noch eine Trauerzeit

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eingeräumt hatte. Olive Byrne fand eine andere Art von Arbeit. «Ich arbeite jetzt für unsere örtliche ‹Maternal Health Center›-Beratungs­ stelle», schrieb sie an Margaret Sanger, «und amüsiere mich sehr, wenn sie über Dich sprechen. Aus irgendeinem Grund halten sie Dich für eine Zeitgenossin von Florence Nightingale.» Das klang so, als hätte Sanger in einem anderen Jahrhundert gelebt, als eine «Wonder Woman of History». Olive Byrne versuchte den Leuten in der ­Beratungsstelle zu erklären, dass Sanger noch lebte und bei guter Gesundheit war, aber sie erzählte dort niemandem, dass sie Sangers Nichte war. «Ich befürchte, dass sie dann zu viel von mir erwarten!»3 Pete, der nach Harvard gegangen war, das Studium aber nach dem ersten Jahr abbrach, heiratete früh und gründete eine Familie. Das tat auch O. A., die das Junior College nicht abschloss. Byrne und Donn Marston machten ihren Abschluss in Harvard; Margaret Sanger beteiligte sich finanziell an ihrer Ausbildung. Die Mütter blieben unzertrennlich, aber die Kinder gingen verschiedene Wege. Olive Ann entfernte «Olive» aus ihrem Namen; Byrne Holloway Marston verzichtete auf «Holloway». Holloway und Olive Byrne – die Kinder nannten sie «die Ladys» – zogen 1952 aus dem Haus in Rye aus. «Du verlässt also das Nest», schrieb Sanger an ihre Nichte, als sie die Neuigkeit erfuhr. «Das müssen wir alle tun. Aber es war eine wunderbare Basis & Wurzel für diese Kinder, auf der sie sich entwickeln konnten.»4 Olive Byrne und Holloway bezogen ein Apartment in New York City. Marjorie Wilkes Huntley wohnte ab und zu bei ihnen. Während der Zeit, in der alle drei zusammenlebten, teilten sich Holloway und Huntley ein Schlafzimmer; Olive schlief in einem anderen Zimmer.5 Sanger wandte sich in den 1950 er Jahren der Frage zu, wie sie der Nachwelt wohl in Erinnerung bleiben würde. Sie hatte ihre Unter­ lagen gesichtet und für eine Übergabe an die Library of Congress und das Smith College vorbereitet, wozu auch die Entscheidung darüber gehörte, was aufzubewahren und was wegzuwerfen war.6 Ein für Sanger sehr wichtiges Anliegen war, ihre Schwester Ethel aus ihrer Lebensgeschichte hinauszuschreiben. Sanger verkaufte 1952 die Rechte für einen Film, der auf ihrer Autobiografie beruhte. Dann schrieb sie

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einen Brief an Ethel Byrne, in dem sie behauptete, der Drehbuchautor wolle bei den Fakten zur Gründung des Birth Control Movement eine geringfügige Änderung vornehmen, es ging dabei um die beiden Gerichtsprozesse, die die beiden Frauen 1917 durchzustehen hatten. Im Film sagte Sanger zu ihrer Schwester: «Ich sollte die Hungerstreikerin sein.» Ethel Byrnes Name sollte nicht erwähnt werden; es sollte so aussehen, als hätte sie nie existiert. Sanger bat ihre Schwester, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben, in der sie ihre Zustimmung zu der Tatsache bekundete, dass der Film weder «mich noch irgendeinen Teil meines Lebens schilderte» und dass es im Film so aussehen sollte, «dass Mrs. Sanger an meiner statt in den berühmten Hungerstreik trat». Ethel Byrne hielt diese Verzichtserklärung nach Olives Darstellung für «die lustigste Sache der Welt». Sie unterschrieb sie nie. Der Film wurde nie gedreht.7 So wie sich Sanger wünschte, die Tatsache, dass Ethel Byrne und nicht sie selbst in den Hungerstreik getreten war, aus der historischen Erinnerung tilgen zu können, so verbarg sie auch sorgfältig ihre Verbindungen zu der von William Moulton Marston geschaffenen ComicSuperheldin. Vielleicht hielt sie es für unwichtig. Vielleicht war es ihr peinlich. Vielleicht zählte diese Nichterwähnung zu den Dingen, die Sanger tat, um die Geheimhaltung von Olive Byrnes Familienverhältnissen zu unterstützen, Olive und den Kindern den Skandal zu ersparen und Schaden von ihrer eigenen Sache abzuwenden. Was auch ­immer der Grund gewesen sein mochte, in keinem Teil ihrer Lebens­ geschichte, so wie Sanger selbst sie erzählte – wie sie sie aufbewahrte – erwähnte sie jemals Wonder Woman. Ethel Byrne starb 1955. In ihren letzten Lebensjahren wohnte sie bei ihrem Sohn Jack.8 Olive dachte an sie fast nur noch mit Verbitterung. «Ich konnte Mutter einfach nicht verzeihen, dass sie Jack und mich im Stich gelassen hatte», sagte sie zu Sanger. Die Beerdigung war grausig. «Der Bestatter kannte sie nicht», schrieb Olive an Sanger, «er machte ihr eine Löckchenfrisur und schminkte sie so, dass wir sie kaum mehr erkannten.» Sie verstreute die Asche ihrer Mutter in Truro.9 Dann sichtete sie Dokumente ihrer Mutter, die sie ihrer Tante übergeben wollte, damit sie den Unterlagen hinzugefügt werden konn-

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ten, die Sanger für eine Schenkung an das Smith College vorbereitete. Nur ein sehr geringer Teil von Ethel Byrnes Nachlass ist erhalten.10 Olive Byrne fand 1953 eine Arbeitsstelle bei den Victor Chemical Works in New York. «Der Job ist nicht der weltbeste und erfordert nur sehr wenig Intelligenz», schrieb sie an Sanger. «Dieser letzte gefällt mir aber ganz gut, weil es eine Veränderung ist im Vergleich zum Brillieren am Spültisch.» Sanger schlug vor, Olive solle sich doch um eine Anstellung bei Life, Time oder Reader’s Digest bemühen.11 Olive erwiderte, sie würde lieber für Dr. Abraham Stone arbeiten, den Direk­tor des Margaret Sanger Research Bureau in New York. Das Büro war der mit klinischer Forschung befasste Ableger von Planned Parent­hood; die Verhütungsmethode mit Diaphragma und Spermizidgel war in den 1930 er Jahren dort entwickelt worden.12 In den 1950 er Jahren drängten Sanger und Stone auf die Entwicklung eines oralen Verhütungsmittels.13 Olive Byrne arbeitete letztlich nie für das Büro; Sanger engagierte sie 1955 stattdessen als Privatsekretärin.14 Die Beratungsstellen von Planned Parenthood boten in den 1950 er Jahren vor allem Eheberatung an. Sanger hatte mit der Organisation, die sie und Ethel Byrne 1916 gegründet hatten, mittlerweile nur noch wenig zu tun. Sie hatte ab 1942, dem Jahr, in dem der Name Birth Control Federation of America aufgegeben wurde, mehr und mehr die Geduld mit der neu benannten Organisation verloren. Sanger schrieb 1956 an den ehemaligen nationalen Direktor von Planned Parenthood: «Wenn ich Ihnen sagte oder schrieb, dass der Name Planned Parent­ hood das Ende der Bewegung bedeuten würde, dann war das richtig und hat sich auch als richtig erwiesen. Die Bewegung war damals eine kämpferische, fortschrittliche, zielgerichtete Organisation, die sich für die Freiheit der ärmsten Eltern und die biologische Freiheit und Entwicklung der Frau einsetzte. Die P. P. F. hat all das aufgegeben.»15 Sanger hatte dennoch zahlreiche organisatorische Verpflichtungen zu erfüllen und erhielt enorm viel Post, die es zu beantworten galt. Olive Byrne und Elizabeth Holloway Marston reisten 1955 zu einem ausgiebigen Besuch nach Tucson und wohnten auch in Sangers Haus, damit Olive sich um Sangers Korrespondenz kümmern konnte, während sie auf Asienreise war. «Ich bin so froh darüber, dass Deine Freundin Betty Marston dort bei Dir ist, und zweifellos wirst Du mit

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ihr nach New York zurückkehren», schrieb Sanger an Olive. Jedes Mal, wenn Sanger eine Reise antrat, fuhren Olive und Holloway nach Tucson und wohnten in ihrem Haus. Sanger hatte sehr genaue Vorstellungen zur Zimmerverteilung: «Du und Betty, Ihr könnt kommen und Euch hier in dem Zimmer mit zwei Betten einrichten – nicht in meinem Zimmer.»16 Olive schrieb 1956 an Sanger, um ihr mitzuteilen, dass ihr Sohn Byrne sich verlobt hatte. «Weiß er über Empfängnisverhütung Bescheid?», fragte Sanger nach. «Er und seine Braut sollten Hand in Hand zu Dr. Stones Büro oder zum M. S. Bureau gehen und sich eine gute Grundlage in Sachen Empfängnisverhütung verschaffen.»17 «Ich bin mir ziemlich sicher, dass Byrne mit der Empfängnisverhütung vollständig vertraut ist», schrieb Olive amüsiert zurück.18 (Byrne Marston studierte noch, sein Berufsziel war Geburtshelfer.) Am Vorabend der Hochzeit richteten Olive und Holloway das R ­ ehearsal Dinner, das Familienessen nach der Hochzeitsprobe, aus.19 Sangers Sohn Stuart und seine Frau lebten mit Margaret und Nancy, ihren beiden Töchtern, die noch im Teenageralter waren, ebenfalls in Tucson, ganz in der Nähe von Sangers Haus. Olive Byrnes Sohn Donn, der seine Mütter in Arizona besuchte, lernte dabei Margaret Sangers Enkelin Margaret kennen (seine Cousine zweiten Grades), und sie verliebten sich ineinander. Donn Marston studierte Jura. «Ich finde großen Gefallen an Deinem Clarence Darrow», schrieb Sanger an Olive, als sie die Neuigkeit erfuhr. «Es ist an der Zeit, dass wir so jemanden in der Familie haben.»20 Sanger, mittlerweile kränklich, schwierig im Umgang und von ­ihrem Vermächtnis regelrecht besessen, trat 1957 in einem Fernseh­ interview mit Mike Wallace auf. Es sollte sich als verheerend für ihren Ruf erweisen. Sanger wirkte paranoid, feindselig und unentschlossen – Wallace umgarnte und verwirrte sie mit seinen Fragen. Er lenkte das Gespräch wiederholt von Sangers Lebenswerk weg und stellte Fragen zum Privatleben. Hatte sie nicht ihren ersten Ehemann verlassen? Hatte sie nicht ihre Kinder im Stich gelassen? Und für was? Er trieb sie in die Enge: «Könnte es sein, dass Frauen in den Vereinigten

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Staaten zu unabhängig geworden sind  – dass sie dem Beispiel von Frauen wie Margaret Sanger gefolgt sind, indem sie das Familienleben zugunsten einer Berufslaufbahn vernachlässigten?»21 Sangers Gesundheitszustand verschlechterte sich. Holloway trat 1958 in den Ruhestand. Im darauffolgenden Jahr zogen sie und Olive Byrne nach Tucson, um sich um Sanger zu kümmern. «Es ist eine wunderbare Idee von Dir und ‹Bet›, hierherzukommen & Euch ein Haus zu suchen», schrieb Sanger an Olive.22 Im Jahr 1960 erhielt die Antibabypille, das Produkt von Sangers jahrzehntelangem Eintreten für die Forschung zur Empfängnisver­ hütung, die Marktzulassung; das beendete noch nicht die landesweite Debatte über das, was zu Beginn von Sangers Laufbahn als «freiwillige Mutterschaft» bezeichnet wurde. Aber Ethel Byrne war nicht vergeblich in den Hungerstreik getreten und dabei fast gestorben. Und Olive Byrne war, trotz ihrer Verbitterung gegen ihre Mutter, stolz auf den Kampf, den ihre Mutter geführt hatte. Der Supreme Court entschied 1965 im Verfahren Griswold v. Connecticut, dass das Verbot der Empfängnisverhütung verfassungswidrig sei. In Tucson setzte sich Olive Byrne an ihre Schreibmaschine und schrieb dem Bundesrichter William O. Douglas einen Brief. Sehr geehrter Herr: Durch die Niederschrift der Mehrheitsmeinung, mit der die Gesetze des Staates Connecticut zur Geburtenkontrolle außer Kraft gesetzt werden, beenden Sie eine äußerst verwerfliche Missachtung der individuellen Freiheit. Für mich ist das eine besondere Genugtuung, weil meine Mutter Ethel Byrne und Margaret Sanger (ihre Schwester) vor 40 Jahren in Brooklyn die erste Beratungsstelle zur Geburtenkontrolle eröffneten. Damals wurden sie verhaftet und verfolgt und danach noch jahrelang von religiösen und politischen Gruppen mit Schmutz beworfen. Ich bin mir sicher, dass Mrs. Sanger, die sehr krank ist, über die Verkündung dieses Urteils, die ihr seit 50 Jahren andauerndes Engagement für die Befreiung der Frauen aus der durch Selbstgerechtigkeit und Fanatismus genährten Knechtschaft krönt, sehr erfreut wäre. Alle Frauen im ganzen Land müssen über diesen end­ gültigen Sieg über Unwissenheit und Intoleranz hoch erfreut sein. Mit freundlichen Grüßen, Olive Byrne Richard (Mrs.)23

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Margaret Sanger starb im September 1966, wenige Tage vor ihrem 87. Geburtstag. Die New York Times bezeichnete sie als «eine der großen Rebellinnen der Geschichte».24 Olive Byrnes Sohn Donn und Margaret Sangers Enkelin Margaret ­Sanger heirateten am 25. März 1961 in Tucson. Die Hochzeitsanzeige stellte den Bräutigam als «Sohn von Mrs. William Kendall Richard aus Tucson» vor. Die Braut nahm den Namen ihres Ehemannes an.25 Margaret Sanger Marston war nicht bereit, sich mit der Geheimnistuerei der Familie Marston abzufinden. Donn Marston wusste immer noch nicht, wer sein Vater war. Seine Frau hielt das für lächerlich und stellte sich selbst die Aufgabe, eine der beiden Ladys dazu zu bewegen, ihr die Wahrheit zu sagen. Zu guter Letzt war sie erfolgreich. «Wir haben gute Neuigkeiten zur Vater-Diskussion», schrieb sie 1963 an Byrne Marston und seine Frau Audrey. «Als Dots und Betty hier waren, brachte ich Betty dazu, mir die ganze Geschichte zu erzählen. Sie sagte, sie würde das tun, wenn Donn & Byrne Dots in Ruhe lassen & ihr keine weiteren Fragen zu ihrem Vater mehr stellen würden. Sie meinte, dass Dots nie, nie die Wahrheit sagen würde, und sagte, falls sie versuchen würden, sie zum Reden zu bringen, würde sie das Morphium nehmen, das sie versteckt habe. Und das wäre dann das Ende der Geschichte.» Byrnes und Donns Vater sei William Moulton Marston, sagte Holloway. Es sei Olive Byrnes Idee gewesen, die wahre Identität des Vaters der Jungen geheim zu halten; Holloway und Marston seien dagegen gewesen, hätten aber das Gefühl gehabt, dass die Entscheidung bei ihr liege. Das Leben zu dritt sei Marstons Idee gewesen, sagte Holloway und betonte zugleich, «dass W. M. M. sich selbst 100 Jahre voraus gewesen sei» und «dass eines Tages alle Menschen so leben werden». Holloway fuhr noch eine Zeit lang in diesem Stil fort und redete darüber, wie in der Zukunft alle Welt so leben würde, wie die Marstons das in Cherry Orchard getan hatten, in einer der seltsameren Ecken Amerikas in der Zwischenkriegszeit. Am Ende des Briefes findet sich noch ein P. S.: «Ihre [EHMs] Gedanken zum Thema W. M. M. sind so eigenwillig und abseitig, dass man sie kaum festhalten kann.»26 Zu jedem Leben gibt es so vieles, das sich unmöglich festhalten

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lässt. Jede Ehe, jede Liebe ist unbeschreiblich. Und die Lebensweise von Müttern und Vätern bleibt für jedes Kind rätselhaft. Sie seien miteinander außerordentlich glücklich gewesen, sagte Holloway. «W. M. M. liebte Dots wirklich, & sie liebte ihn», berichtete Margaret Sanger Marston. «Und Betty liebte ihn auch.» Ihre Leidenschaft habe niemals nachgelassen. «Die Affäre dauerte bis zu seinem Tod», berichtete Holloway, «mit körperlicher Liebe für alle.» Margaret Sanger Marston war erleichtert. «Endlich ist die Wahrheit ausgesprochen!!»27 Holloway hatte eine Bitte: Niemand sollte jemals wieder darüber sprechen.

★ EPILOG ★

GROSSE HERA! ICH BIN WIEDER DA!

Titelbild der Zeitschrift Ms., Juli 1972

«ICH BIN ELIZABETH MARSTON ,  und ich weiß alles über Wonder Woman»,

sagte sie, als sie im Frühjahr 1972 in die Redaktionsräume der Zeitschrift Ms. stürmte. Sie war fast 80 Jahre alt, bleich wie ein leeres Blatt Papier, spindeldürr und hart wie Feuerstein. In Virginia, wo sie mit der inzwischen 68-jährigen Olive Byrne wohnte, hatte sie einen Brief von einer Ms.-Redakteurin bekommen, die ihr mitteilte, dass die Zeitschrift für ihre erste reguläre Ausgabe eine Titelgeschichte über Wonder Woman plante. Holloway, so unaufhaltsam wie eh und je, flog nach New York. Sie vertiefte sich in den Text; sie begutachtete die Zeichnungen. Sie setzte sich mit der Redaktion zusammen. «Alle gehörten zur jüngeren Generation, ganz im Ernst», berichtete sie an Marjorie Wilkes Huntley. «Ich sagte ihnen, ich sei zu 100 Prozent auf ihrer Seite in dem, was sie gerade versuchten, und sie sollten ‹los­ legen›!» Huntley war begeistert und beeilte sich mit der Überweisung für ein Abonnement, die sie, im Alter von 82 Jahren, mit «Marjorie Wilkes Huntley (Ms.)» unterschrieb.1 Ms. war als Sprachrohr für eine wiederbelebte feministische Bewegung gedacht. Betty Friedans Buch The Feminine Mystique (dt., 1970: Der Weiblichkeitswahn) erschien 1963. Die National Organization for Women wurde 1966 gegründet. Ellen Willis und Shulamith Firestone riefen 1969 die Redstockings of the Women’s Liberation Movement ins Leben. Firestones Manifest The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution (dt., 1975: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution) erschien im darauffolgenden Jahr, ebenso wie Kate Milletts Sexual Politics (dt., 1971: Sexus und Herrschaft) und Robin Morgans Anthologie Sisterhood is Powerful. Zu einer Revolution kam es auch in der Welt der Zeitschriften. Im März 1970 verklagten 46 bei Newsweek angestellte Frauen das Blatt wegen Diskriminierung. Beim Ladies’ Home Journal veranstalteten mehr als 100 Frauen ein elfstündiges Sit-in, bei dem sie

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EPILOG: GROSSE HERA! ICH BIN WIEDER DA!

eine Regelung für die Kinderbetreuung, die Beschäftigung von Frauen auch in redaktionellen Leitungsfunktionen und eine Sonderausgabe der Zeitschrift verlangten, die unter dem Titel Women’s Liberated Journal erscheinen sollte. Firestone stieg auf den Schreibtisch des Chefredakteurs und zerriss vor seinen Augen Exemplare des Ladies’ Home Journal.2 Wonder Woman war ein Teil jener Revolution. Die Women’s Liberation Basement Press starAus: «Breaking Out», in: tete im Juli 1970 in Berkeley, It Aint Me Babe, Juli 1970 Kalifornien, das Underground­ Comic-Heft It Aint Me Babe. Das Titelbild der ersten Ausgabe zeigte Wonder Woman, die sich an einem Protestzug beteiligt, bei dem gegen die handelsüblichen Klischee-Comic-Erzählungen demons­ triert wird. Im Heft selbst sagt Supergirl zu Superman, er solle verschwinden, Veronica gib Archie zugunsten von Betty den Laufpass, Petunia Pig legt Porky Pig nahe, sich sein Abendessen selbst zu kochen, und als Iggy zu Lulu «Kein Zutritt für Mädchen!» sagt, hat sie nur eine Antwort für ihn: «Fuck this shit!»3 Ein landesweiter Women’s Strike for Equality fand am 26. August 1970 statt, am fünfzigsten Jahrestag der Verabschiedung des 19. Zusatzartikels. Eine junge Autorin namens Joanne Edgar half mit, die ­Arbeitsniederlegung bei Facts on File zu organisieren. Patricia Carbine streikte bei Look. Ein Jahr später waren beide bei Ms., Edgar als ­Redakteurin, Carbine als Verlegerin.4 Ms. sollte eine «Frauenzeitschrift» sein – wie eine der Sieben Schwestern, wie Family Circle –, aber zugleich auch eine Kritik an ihnen: eine Frauenzeitschrift, die befreit war. Sie war außerdem ein Ableger des im Juli 1971 gegründeten National Women’s Political Caucus, einer Gruppe von Frauen, der un-

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ter anderem auch Friedan, Gloria Steinem, Bella Abzug und Shirley Chisholm, die erste in den Kongress gewählte Schwarze Frau, angehörten. Ein Probeheft der Zeitschrift gelangte im Dezember 1971 in den Verkauf; es war innerhalb von acht Tagen ausverkauft. Ein ambitioniertes Konglomerat investierte eine Million Dollar in die Zeitschrift, hielt aber nur 25 Prozent der Aktienanteile. «Warner Communications half mit, die erste landesweit vertriebene Zeitschrift zu schaffen, die von den Beschäftigten kontrolliert wird», sagte Steinem.5 Zu Jahresbeginn 1972, als die Ms.-Redaktion die erste reguläre Ausgabe der Zeitschrift plante, schien die Frauenbewegung unmittelbar vor einem dauerhaften, atemberaubenden Erfolg zu stehen. Chisholm gab im Januar bekannt, dass sie für die Präsidentschaft kandidieren und sich um die Nominierung durch die Demokratische Partei be­ mühen werde. Der Senat verabschiedete im März das Equal Rights Amendment, das dem Kongress erstmals 1923 zur Abstimmung vorgelegen hatte. Präsident Nixon unterzeichnete im Juni die Gesetzesvorlage Title IX (Gleichberechtigung der Geschlechter im Leistungssport an Bildungseinrichtungen), in der festgeschrieben wurde, dass «keine Person in den Vereinigten Staaten aufgrund ihres Geschlechts von der Teilnahme an oder der Inanspruchnahme von Leistungen aus sämt­ lichen Bildungsprogrammen oder Aktivitäten, die von der Bundes­ regierung finanziell unterstützt werden, ausgeschlossen oder in einem solchen Rahmen einer Diskriminierung ausgesetzt werden darf.» Das Jahr 1972 war eine gesetzgeberische Wasserscheide. «Wir brachten überall Bestimmungen gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung unter», sagte Abzug. «Es regte sich keine Opposition. Wer wäre wohl gegen gleiche Rechte für Frauen?»6 Als die Ms.-Ausgabe für den Juli 1972 im Juni an die Kioske aus­ geliefert wurde, war Chisholm immer noch im Rennen. George McGoverns Sieg im Kampf um die Nominierung akzeptierte sie erst beim Nationalkonvent der Demokraten, der in der zweiten Juliwoche in Miami abgehalten wurde. Die Delegierten sahen noch auf dem Weg nach Florida in den Flughafengeschäften das Titelbild von Ms., die Zeichnung, die auch Holloway zu sehen bekam, als sie die Redaktion der Zeitschrift besuchte: eine riesenhafte Wonder Woman, die mit gewaltigen Schritten eine Stadt durchquerte, unter der Titelzeile «Won-

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der Woman for president». (Holloway gefiel dieses Titelbild nicht: Es sei «von einem Mann gemacht, der kein Gefühl für das hatte, was er da tat», schrieb sie an Huntley.)7 Die Ms.-Redaktion versuchte durch die Ausrufung der Präsidentschaftskandidatur von Wonder Woman politisches Terrain abzustecken: Man wollte eine politische Zeitschrift machen. Die Redakteurinnen wollten außerdem mit der Wonder Woman der 1940 er Jahre, dem Feminismus ihrer Kindheit, die Distanz zwischen dem Feminismus der 1910 er und dem Feminismus der 1970 er Jahre überbrücken.8 «Wenn ich mir heute diese Wonder-Woman-Geschichten aus den 40 ern anschaue, staune ich über die Aussagekraft ihrer feministischen Botschaft», sagte Steinem. Steinem, die 1934 in Ohio geboren wurde, hatte die Original-Wonder-Woman im Mädchenalter geliebt. Außerdem hatte sie noch als erwachsene Frau mit Comics zu tun gehabt. Als sie in den 1960 er Jahren für Harvey Kurtzman arbeitete, William ­Gaines’ Unterstützer bei der Entwicklung von Mad, hatte sie Dorothy Roubicek Woolfolk kennengelernt, die zu DC Comics zurückgekehrt war, um dort eine Produktlinie von Liebesromanzen-Comics zu betreuen.9 Steinem sollte für die Ms.-Ausgabe vom Juli 1972 sowohl eine Titelgeschichte über Wonder Woman als auch ein Feature über Wählerinnen schreiben. Den Auftrag für die Titelgeschichte gab sie an ­Joanne Edgar weiter. Auch Edgar, 1943 in Baton Rouge geboren, war mit der Comic-Lektüre aufgewachsen. Die Kinder in ihrer Straße, mehrheitlich Jungen, boten ihre Hefte überall auf dem Bürgersteig stapelweise zum Tausch an. Für eine Ausgabe von Superman bekam Edgar drei Hefte von Wonder Woman.10 «Wonder Woman hatte einen feministischen Ursprung, aber wie so viele von uns erlebte sie in den ‹Fünfzigern› einen Niedergang», erklärte Edgar in ihrer Titelgeschichte. Marston starb 1947, aber Wonder Woman lebte weiter. Die neuen Autoren verstanden jedoch ihren Geist nicht, und sie büßte einiges von ihrer ursprünglichen feministischen Orientierung ein. Ihre übermenschliche Stärke blieb, aber die von ihr ausgeübte Gewalt nahm zu. Anstatt ihre Überlegenheit über Männer zu beweisen, wurde sie immer unterwürfiger.

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Edgar (wie auch Steinem) bereitete es Sorgen, dass Wonder Woman ab 1968 – in einer Zeit, die heute als die «Ära Diana Prince» bezeichnet wird, in der sie nicht einmal mehr Wonder Woman genannt wurde – ihr Kostüm wie auch ihre Superkräfte verloren hatte. Aber nach ­Edgars Auffassung sollte sich all das vor dem Hintergrund einer wiedererstarkten Bewegung für Frauenrechte schon bald wieder ändern. DC Comics ernannte Roubicek Woolfolk 1971 zur neuen Redakteurin von Wonder Woman, und Edgar berichtete, dass sie vorhabe, Marstons Wonder Woman ein Comeback zu verschaffen: «Ms. Woolfolk plant außerdem, die Gewalt in den Plots zu verringern und unsere Heldin zum Feminismus ihrer Geburtsjahre zurückkehren zu lassen. Und vielleicht auch zur Politik?»11 Die Gründerinnen von Ms. hatten großes Vertrauen zu Wonder Womans Fähigkeit, der Zeitschrift einen guten Start zu verschaffen. Die Ausgabe vom Juli 1972 stellte nicht nur «Wonder Woman for President» auf dem Titelbild und Edgars Artikel im Heftinnern groß he­ raus, sondern enthielt auch einen herausnehmbaren vierseitigen Mittelteil, eine Reproduktion von «Introducing Wonder Woman» aus dem Heft der All-Star Comics vom Dezember 1941/Januar 1942. Steinem, Edgar und Carbine beschlossen außerdem, eine eigenständige Anthologie von Wonder Woman-Comics ab den 1940 er Jahren zu veröffentlichen, als Publicity und zur Anwerbung von Abonnentinnen für Ms. Steinem entschied, welche von Marstons Originalgeschichten dafür berücksichtigt werden sollten, und umschiffte dabei das Bondage-Thema, so gut sie konnte.12 Wonder Woman: A «Ms.» Book erschien im Sommer 1972 als Ms.-Publikation im Vertrieb von Warner. «Die Ms.-Titelgeschichte über Wonder Woman im Juli 1972 führte zu so vielen Anfragen nach diesen alten und vergriffenen Geschichten, dass sie jetzt in einem unwiderstehlichen Buch gesammelt worden sind», behauptete die Redaktion der Zeitschrift. (Das war unehrlich; das Buch war zu Druckbeginn der ersten Nummer der Zeitschrift bereits fertig gesetzt.) Der Erlös kam der Zeitschrift zugute; Bestellformulare ermunterten die Fans von Wonder Woman zu einem Ms.Abonnement.13 «Lovely and Wise Heroine Summoned to Help the Feminist Cause»,

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meldete die New York Times. Die Los Angeles Times erklärte Wonder Woman zur «Fantasiegestalt der Bewegung». Im November 1972, in der Woche der Präsidentschaftswahl, erschienen Geschichten der Nachrichtenagenturen über die Rückkehr von Wonder Woman im ganzen Land.14 Im März 1973 dachten Ms. und Warner gemeinsam über die Herstellung und Vermarktung einer Wonder-WomanPuppe nach.15 Im Juli 1973 setzte ein Frauen-Gesundheitskollektiv in Los Angeles eine Spekulumschwingende Wonder Woman auf die Titelseite eines NewsletTitelseite eines feministischen ters, mit dem Frauen informiert Newsletters in Los Angeles, 1973 werden sollten, wie sie ihre eigenen vaginalen Untersuchungen vornehmen konnten.16 Der Supreme Court verkündete 1973, in dem Jahr, in dem Wonder Woman zu einem «Symbol der feministischen Revolte» erklärt wurde, ein Urteil, mit dem die Abtreibung legalisiert wurde. Aber die Nachwirkungen von Roe v. Wade stärkten die Frauenbewegung nicht; stattdessen wurde sie geschwächt. Wenn 1972 die gesetzgeberische Wasserscheide war, so stand 1973 für den Beginn einer Dürreperiode. Einige Errungenschaften gingen verloren; andere erwiesen sich als ­illusorisch. Selbst die Vorstellung, dass DC Comics Dorothy Roubicek Woolfolk einstellte, damit sie ein neues Wonder Woman-Comic-Heft redaktionell betreute und «unsere Heldin zum Feminismus zur Zeit ­ihrer Geburt zurückführte», stellte sich als falsch heraus. Dorothy Roubicek Woolfolk war Redakteurin einer Ausgabe von Wonder Woman im Jahr 1971 und einer weiteren Nummer im Frühjahr

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1972; diese Ausgaben unterscheiden sich in keiner Weise von den Heften, die während der Diana-Prince-Ära erschienen.17 Etwa zu dieser Zeit sah Steinem, bei DC Comics zu Besuch, um alte Wonder-WomanGeschichten für den Nachdruck im Wonder Woman-Buch von Ms. auszuwählen, einige der Hefte aus der Diana-Prince-Ära und fragte: «Was ist mit Wonder Woman passiert? Ihr habt ihr alle Superkräfte ­genommen. Versteht ihr nicht, wie wichtig das für alle jungen Frauen in Amerika ist?»18 Roubicek Woolfolk stellte sich auf Steinems Seite – sie wollte, dass Wonder Woman ihre Superkräfte zurückbekam – und wurde dafür entlassen, ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, als die Ms.Nummer vom Juli 1972 in den Verkauf gelangte. «Ich habe gerade erfahren, dass Sie nicht mehr bei National Publications sind, und ich wollte Ihnen sagen, dass das meiner Meinung nach eine unglaubliche Schande ist», schrieb die Glamour-Autorin Flora Davis am 23. Juni an Woolfolk. Davis hatte einen Artikel über Wonder Woman geschrieben. Glamour brachte ihn nicht. «Ich habe gerne mit Ihnen an dem Wonder Woman-Artikel gearbeitet», sagte Davis zu Roubicek Woolfolk. «Ich hatte gehofft, dass es ein Stück darüber werden würde, wie Comics in aller Stille – und langfristig – zu einer vernünftigen Lektüre für Kinder und Jugendliche wurden, vor allem für Mädchen. Es ist enttäuschend, das zurücknehmen zu müssen. Was immer Sie jetzt tun werden, ich wünsche Ihnen Glück für Ihre weitere Laufbahn. Sie sind eine der redegewandtesten und verständlichsten Sprecherinnen der Frauenbewegung, die ich jemals kennengelernt habe.»19 Die inzwischen arbeitslose Roubicek Woolfolk schrieb im Juli an Steinem, um ihr mitzuteilen, dass sie eine Vortragsreise angetreten habe, bei der sie über «Frauenbefreiung und die Rolle der Comics» spreche, und dass Ms. in jeder Stadt, in der sie auftrete, ausverkauft sei: «Ich hatte dabei den Eindruck, dass das lebhafte Wonder-WomanTitelbild dem Verkauf kein bisschen geschadet hat.»20 Roubicek Woolfolk hatte nichts mehr damit zu tun, aber DC Comics brachte im Dezember 1972 eine «Special! Women’s Lib Issue» von Wonder Woman heraus, redaktionell betreut von Dennis O’Neil und geschrieben von einem Science-Fiction-Autor namens Samuel  R. Delany. Sie war als erste Folge einer auf sechs Teile angelegten Handlung

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Aus: ­S amuel R.  Delany, «The Grandee Caper», in: Wonder Woman Nr. 203, ­Dezember 1972, dem «Women’s Lib»-Sonderheft

gedacht; Diana Prince sollte sich in jeder Folge einen männlichen Chauvinisten vornehmen.21 In der ersten Geschichte (einer recycelten Story aus den 1940 er Jahren) besiegt Diana einen Kaufhausbesitzer, der seine weiblichen Angestellten unterbezahlt. «Ein anderer Schurke war ein College-Studienberater, der tatsächlich die Ansicht vertrat, der richtige Platz für eine Frau sei im Haus», erklärte Delany später. «Das setzte sich fort bis zu einer männlichen Gangsterbande, die versucht, eine von Ärztinnen betriebene Abtreibungsklinik zu zerstören.» Die Geschichte über die Abtreibungsklinik wurde abgelehnt. Nur die erste von Delanys sechs «Women’s Lib»-Geschichten wurde jemals veröffentlicht.22 Die Comic-Heft-Industrie musste feststellen, dass es für sie nahezu unmöglich war, auf die Frauenbewegung zu reagieren. Marvel Comics, eifrig bestrebt, sich an diese Bewegung anzuhängen, produzierte 1972 und 1973 drei «Frauencomics»  – Night Nurse, Shanna the She-Devil

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Aus: Robert Kanigher, «The Second Life of the Original Wonder Woman», in: Wonder Woman Nr. 204, Februar 1973

und The Cat; alle drei wurden nach weniger als einem halben Dutzend Ausgaben wieder eingestellt.23 DC Comics gab Delanys Diana-PrinceStorys auf. Stattdessen kehrte Anfang 1973 Wonder Woman zurück, im bekannten Kostüm und mit allen wiederhergestellten Superkräften, und zwar in der DC-Produktion «New Adventures of the Original Wonder Woman», geschrieben und redaktionell betreut von Robert Kanigher, der, gelinde gesagt, nicht gerade für seine Sympathien für die Frauenbewegung bekannt war. («Bob Kanigher war ein ziemlich wilder Chauvinist», sagte sein Assistent später.)24 Kanighers erste schriftstellerische Amtshandlung in den «New Adventures» war, eine kaum fiktionalisierte Dorothy Roubicek Woolfolk ermorden zu lassen. Ein Bild zeigt sie tot an ihrem Schreibtisch, über der Schreibmaschine zusammengesunken. Der Bildtext dazu lautet: «Die erste Kugel des Schützen trifft Dottie Cottonman vom Woman’s Magazine.»25 «Wer wäre wohl gegen gleiche Rechte für Frauen?», fragte Bella Abzug 1972. Sehr viele Leute. Ende der 1970 er wie auch in den 1980 er Jahren stagnierte die Frauenbewegung. Ein Gleichstand bei Löhnen und Gehältern wurde nie erreicht; gesellschaftliche und wirtschaft­ liche Errungenschaften wurden zurückgedrängt; politische und juris-

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tische Siege, die scheinbar bereits in Sichtweite waren, gelangen nie.26 Und dann waren die Feministinnen auch noch gespalten, Radikale ­attackierten Liberale und Liberale attackierten Radikale im Rahmen e­ ines Phänomens, das so weit verbreitet war, dass es sogar einen Namen hatte: «Trashing.»27 Bereits im Jahr 1970 warnte die Gründerin des New Feminist Theater in einem von Resignation geprägten Brief vom «Congress to Unite Women», dass die feministische «Wut, die sich als pseudoegalitärer Radikalismus maskiert», sich zu einem «furchter­ regend bösartigen, antiintellektuellen Faschismus» entwickle.28 Wonder Woman geriet bei dieser Schlacht nicht etwa ins Kreuzfeuer; Wonder Woman war die Munition. William Dozier, der 1966 bei ABC eine Batman-Fernsehserie gestartet hatte, machte 1967 Probeaufnahmen für eine überaffektierte Wonder-Woman-Serie, die unter dem Titel Who’s Afraid of Diana Prince? laufen sollte; die Show wurde nie produziert.29 Aber das von Ms. eingeleitete Revival von Wonder Woman motivierte ABC zu einer weiteren Prüfung des Themas. Cathy Lee Crosby war im März 1974 die Hauptdarstellerin e­ ines Wonder-­ Woman-Fernsehfilms, der bei ABC-TV lief. Er hatte mit der Wonder Woman der 1940 er Jahre nur wenig zu tun, spielte in den 1970 ern und war ein Flop.30 Aber im darauffolgenden Jahr startete ABC The New Original Wonder Woman. Die in den 1940 er Jahren angesiedelte Geschichte hielt sich sehr eng an Marstons Comics, ebenso wie der Titelsong: Wonder Woman! Wonder Woman! All the world is waiting for you And the power you possess. In your satin tights, Fighting for your rights, And the old red, white, and blue. Wonder Woman! Wonder Woman! Now the world is ready for you, And the wonders you can do: Make a hawk a dove, Stop a war with love, Make a liar tell the truth.

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Wonder Woman! Get us out from under, Wonder Woman! All our hopes are pinned upon you!31

The New Original Wonder Woman lief vier Jahre lang. Auf radikale Femi­nistinnen wirkte die Serie wie ein Totalausverkauf von allem, für das die feministische Bewegung eintrat. Die Redstockings of the Women’s Liberation Movement hatten 1968 gegen die Miss-AmericaWahl in Atlantic City demonstriert, hochhackige Schuhe und PlayboyHefte in eine Freedom Trash Can befördert und ein Schaf zur Miss America gekrönt. Der Star von The New Original Wonder Woman war Lynda Carter, eine Siegerin bei Schönheitswettbewerben, die 1972 die Ver­ einigten Staaten bei der Kür der Miss World vertreten hatte. Aber die Auseinandersetzung über Wonder Woman ging Carters Debüt in der Rolle der Wonder Woman zeitlich voraus. Betty Friedan distanzierte sich bereits im Juli 1972 von Gloria Steinem, indem sie ihr vorwarf, sie würde den Frauen erzählen, sie müssten «Superfrauen» sein.32 Die Redstockings hielten im Mai 1975 – sechs Monate bevor ABC den Pilotfilm mit der Hauptdarstellerin Carter sendete – eine Pressekonferenz ab, bei der die Veröffentlichung eines 16-seitigen Berichts angekündigt wurde. In diesem Text wurde behauptet, man könne beweisen, dass (1) Gloria Steinem eine CIA-Agentin sei; dass (2) Ms. sowohl ein kapitalistisches Manifest als auch Teil der CIA-Strategie für die Zerstörung der Frauenbewegung sei; und dass Wonder Woman (3) ein Symbol für den Ruin der Frauenbewegung sei.33 Der im Prospektformat gedruckte Bericht war mit einer Zeichnung von Wonder Woman illustriert, die man mit Steinems Kopf versehen hatte.34 Die Redstockings klagten Ms. wegen der Geschäftsbeziehung der Zeitschrift zu Warner Communications an, zitierten dabei die Bestimmungen des Originalvertrags – nach denen Warner den größten Teil der finanziellen Mittel bereitstellte, aber nicht die Aktienmehrheit besaß  – und fragten: «Welches denkbare Interesse könnte dieser Mammutkonzern an der Frauenbefreiung haben, das ihn dazu bewegen würde, so wenig geschäftsmäßigen Vertragsbedingungen zuzustimmen?» Die Redstockings wollten wissen: Warum sollte Warner eine Million Dollar ausgeben, um eine feministische Zeitschrift zu finanzieren, es sei denn

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als Teil eines geheimen Plans zur Sabotierung der feministischen Bewegung? Selbst die Tatsache, dass Diana Prince «Offizierin des ArmeeGeheimdienstes» ist, galt den Redstockings als Indiz dafür, dass Steinem eine CIA-Marionette sei, eine bereitwillige und gut unterrichtete Beteiligte an einer Verschwörung, die sich die Zerstörung der Bewegung für die Frauenbefreiung als Ziel gesetzt hatte. Und es ging noch weiter: «Wonder Woman spiegelt außerdem die volksfeindliche Haltung der ‹liberalen Feministinnen› und der Vertreterinnen des Matriarchats, die sich an mythischen und mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Heldinnen und ‹Vorbildern› orientieren und dabei die Leistungen und Kämpfe auf dem Boden der Wirklichkeit stehender Frauen ignorieren oder herabwürdigen. Das führt zur individualistischen Haltung der ‹befreiten Frau›, die die Notwendigkeit einer Bewe­ gung bestreitet, und beinhaltet außerdem, dass Frauen selbst schuld sind, wenn sie keinen Erfolg haben.»35 Steinem wies all diese Anschuldigungen zurück.36 «Das ist wirklich irre, nicht wahr?», schrieb Edgar an den Präsidenten von Warner und legte dem Brief die Erklärung der Redstockings bei.37 Aber dieses Zerwürfnis erwies sich, wie so viele andere auch, als unüberbrückbar.38 Und während die Verschwörungstheorie der Redstockings wirklich irre war, war an ihrer Einschätzung von Wonder Woman durchaus etwas dran. Wer braucht schon ein entwickeltes Bewusstsein und gleiche Bezahlung, wenn man eine Amazone mit einem unsichtbaren Flugzeug ist? Eine Tragödie des Feminismus im 20. Jahrhundert war die Art, auf die seine Geschichte unaufhörlich zu verschwinden schien. Shulamith Firestone und eine Gruppe junger Feministinnen besuchten 1969 die 84-jährige Alice Paul in Washington, DC. Paul hatte 1916 die National Woman’s Party gegründet, war 1917 in den Hungerstreik getreten und hatte 1923 den Text des Equal Rights Amendments verfasst. Sie führte die Besucherinnen in ihr Wohnzimmer, dessen Wände mit Ölgemälden bedeckt waren, Porträts von Suffragetten. Als Paul die Besucherinnen bat, die porträtierten Frauen zu identifizieren, konnten sie keinen einzigen Namen nennen.39 In den späten 1970 er und in den 1980 er Jahren, in einer Zeit, in der Feministinnen sich gegenseitig schlechtmachten, der Kampf für Gleich-

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Der Angriff der Redstockings auf Ms., 1975, mit Steinem als Wonder Woman



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berechtigung auf die Verteidigung der Abtreibung reduziert wurde und die Neue Rechte erstarkte, geriet die Frauenbewegung in eine Krise. Das bereits 1926 beschriebene «Dilemma der Frau»  – «Kann eine Frau einen Haushalt führen und einer Erwerbsarbeit nachgehen?» – war ein halbes Jahrhundert später ­einer Lösung kaum nähergekommen.40 Der von Alice Paul 1923 vorgelegte Zusatzartikel wurde Margaret Sanger, Karikatur von nie ratifiziert; der Kampf um das David Levine, 1978 Equal Rights Amendment war 1982 aufgegeben worden. Unterdessen verschrieb sich eine Generation von Historikerinnen dem Ziel, nie wieder die Namen der Frauen zu vergessen, deren Porträts an den Wänden von Alice Pauls Wohnzimmer hingen. Die Geschichte der Frauen explodierte: Brillante, leidenschaftliche Wissenschaftlerinnen untersuchten alles, von der Gestaltung der Leben von Frauen bis zur Geschichte ihrer ­politischen Kämpfe. Anne Firor Scott veröffentlichte 1970 einen Reader unter dem Titel Women in American Life. Die erste Ausgabe von Notable American Women, einem biografischen Wörterbuch, erschien 1971. Das galt auch für Gerda Lerners bahnbrechendes Lehrbuch The Woman in American History. Nancy Cotts Dokumentargeschichte Root of Bitterness erschien 1972. Linda Gordons Geschichte des Birth Control Movement, Woman’s Body, Woman’s Right, kam 1976 heraus. Eli­ zabeth Pleck und Nancy Cott veröffentlichten 1979 A Heritage of Their Own, eine 600  Seiten umfassende Geschichte der amerikanischen Frauen. Diese wissenschaftliche Arbeit warf nur wenig Licht auf Wonder Woman. Das, was sie der Boheme von Greenwich Village verdankte, dem Sozialismus, der freien Liebe, der Androgynie, dem sexuellen ­Radikalismus und Feminismus; Holloways und Marstons Einstellung

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zum Frauenwahlrecht; ihre Familienverhältnisse; Jack Byrne und Fiction House; Wonder Womans Verbindungen zu Olive Byrne, Ethel Byrne und Margaret Sanger  – diese Geschichte war nicht vergessen worden; sie war bewusst und sorgfältig verborgen worden. Der Künstler David Levine zeichnete 1978 eine Karikatur von Margaret Sanger im Kostüm von Wonder Woman, die ein riesiges Diaphragma als Trampolin benutzt, um hoch in der Luft zu schweben. Levine versuchte damit eine Verbindung zwischen einer früheren und der zeitgenössischen Ära des Feminismus herzustellen. Er ahnte nicht, dass Sanger eine Inspiration für Wonder Woman gewesen war. Wie hätte er das auch ahnen können? Die Geschichte von Wonder Womans Ursprüngen war keine vernachlässigte Episode, die nur darauf wartete, auf­ geschrieben zu werden. Sie war ein gut gehütetes, unter Verschluss gehaltenes Familiengeheimnis. Mitunter entschlüpften ein oder zwei Geheimnisse durchs Schlüsselloch. Holloway prahlte in den 1970 er Jahren damit, wie gut sie ­Sanger gekannt habe. «Ich verbrachte viel Zeit gemeinsam mit M. S., in ihrem wie in meinem Haus», sagte sie zu Joanne Edgar. «Hatte das große Glück, mit Ethel Byrne und Margaret Sanger in ihren späten Jahren gut bekannt zu sein», schrieb sie 1975 ans Mount Holyoke Alumni Office und bezeichnete die beiden Schwestern als «zwei, die Women’s Lib überhaupt nicht brauchten». Aber sie erklärte nie, wie sie die beiden kennengelernt hatte, weil dazu auch Erklärungen zu Olive Byrne nötig gewesen wären. Manchmal erwähnte sie ihre «Gefährtin vieler Jahre», aber sie nannte Olive Byrne nie beim Namen, ­erklärte auch nie, dass sie Sangers Nichte war.41 Als eine Studentin in Berkeley 1974 eine Dissertation über Wonder Woman schrieb und Holloway nach Wonder Womans Armbändern fragte, schrieb Holloway zurück: «Eine Studentin von Dr. Marston trug an beiden Hand­ gelenken schwere, breite Silberarmbänder, eines war afrikanischer, das andere mexikanischer Herkunft. Er wurde auf sie aufmerksam und deutete sie als Symbole der Liebesbindung, so dass er sie für den Wonder-Woman-Comicstrip übernahm.»42 Die Armbänder gehörten natürlich Olive Byrne. Und es trifft zwar zu, dass Olive Byrne einst «eine Studentin von Dr. Marston» war, aber zu diesem Zeitpunkt lebte sie bereits seit 48 Jahren mit Holloway zusammen.

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Olive Byrne erwähnte in Interviews mit Historikern und Biografen, die sich in den 1970 er und 1980 er Jahren mit Margaret Sanger beschäftigten – in Interviews, die oft mehrere Stunden dauerten –, niemals Marston oder Wonder Woman.43 Das machte es für jede Person außerhalb des Familienverbands unmöglich, eine Verbindung zwischen Sanger und Wonder Woman herzustellen. Und wenn Reporter oder Wissenschaftler Holloway nach Wonder Woman fragten, sagte sie ihnen, sie sollten an Marjorie Wilkes Huntley schreiben, um von Olive Byrne abzulenken. «Niemand weiß mehr über die Produktion von Wonder Woman als Marjorie W. Huntley», pflegte sie zu sagen. «Sie ist die Person, an die Sie die Leute verweisen sollten, falls es ­irgendwelche Fragen gibt.»44 Die über 90-jährige Marjorie Wilkes Huntley zog in ein Pflegeheim in Massachusetts. In ihrem Zimmer hängte sie ein Plakat auf; darauf war zu lesen: «When God made man She was only joking.» Huntley wurde 1982 von einer Reporterin einer Lokalzeitung interviewt. Die Guinness trinkende und in einem Schaukelstuhl sitzende 93-Jährige erzählte, sie habe einst für den Mann gearbeitet, der Wonder Woman ersann; Elizabeth Holloway oder Olive Byrne erwähnte sie nicht. Huntley starb 1986, einen Tag nach ihrem 97. Geburtstag. Sie hatte Anweisungen hinterlassen. Sie wünschte keine Trauerfeier bei ihrer Einäscherung, nur ein Gedicht sollte verlesen werden: «Oh, my soul is not a timid spirit.»45 Lange Zeit schenkte niemand der Tatsache, dass der Schöpfer von Wonder Woman auch der Erfinder des Lügendetektor-Tests war, besondere Aufmerksamkeit. Das liegt zum Teil daran, dass Marston seine Comics unter dem Pseudonym «Charles Moulton» veröffentlicht hatte, aber der Hauptgrund ist, dass die Menschen, die sich für die Geschichte der Comic-Hefte interessieren, nicht die Menschen sind, ­deren Interesse der Geschichte des Polygraphen gilt. (Und nur sehr wenige Menschen in beiden Gruppen interessieren sich zugleich für die Geschichte des Feminismus.) In den 1980 er Jahren wurden Jahr für Jahr zwei Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner einem Lügendetektor-Test unterzogen. Die Reagan-Regierung versuchte Sicherheitslecks durch die willkürliche Anordnung von Tests zu stopfen: Während Reagans Präsidentschaft mussten sich mehr als 200 000 Re-

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gierungsangestellte einem Lügendetektor-Test stellen. Vor der Verabschiedung des Employee Polygraph Protection Acts von 1988, der diese Praxis einschränkte, testete ein Viertel aller US-Unternehmen ihre Beschäftigten auf diese Art. Der Einsatz des Polygraphen nahm nach den Anschlägen vom 11. September 2001 explosionsartig zu, als er zu einem festen Bestandteil der Vernehmung von Terrorverdächtigen und von Tests wurde, denen sich amerikanische Staatsbürger im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen mussten. Das alles geschah einem 2003 veröffentlichten Bericht der National Academy of Science zum Trotz, der zeigte, dass der Polygraph nicht funktionierte.46 Niemand unterzog Elizabeth Holloway Marston, Olive Byrne und Marjorie Wilkes Huntley jemals einem Lügendetektor-Test, und sie brachen ihr Schweigen nie. Es erwies sich als unmöglich, den Schleier zu lüften, den die Familie über die Vergangenheit von Wonder Woman legte. Joanne Edgar, die 1972 mit einer festgelegten Deadline einen Zeitschriftenartikel über die Geschichte von Wonder Woman schrieb, und sogar Karen Walowit, die 1974 eine Dissertation verfasste, waren kaum besser dran als der Zeitungsredakteur in einem Wonder WomanZeitungsstrip von 1944, der, auf der Suche nach der «exklusiven Story von Wonder Woman», diese Jagd so irre findet, dass er einen Nervenzusammenbruch erleidet und im Krankenhaus landet. Die geheime Geschichte von Wonder Woman blieb geheim. Diese Geheimhaltung führte zu einer Verzerrung, die nicht nur Wonder Woman, sondern auch den Verlauf der Geschichte der Frauen und des Kampfes für Gleichberechtigung betraf. Wonder Woman begann nicht erst 1941, als William Moulton Marston sein erstes Manuskript an Sheldon Mayer schickte. Wonder Woman begann an einem Wintertag 1904, als Margaret Sanger Olive Byrne aus einer Schneewehe barg. Der Kampf um Frauenrechte entwickelte sich nicht in ­Wellenbewegungen. Wonder Woman war ein Produkt der Frauenwahlrechts-, der feministischen Bewegung und des Birth Control Movement der 1900 er und 1910 er Jahre und wurde zu einer Inspirationsquelle der Women’s-Lib- und der feministischen Bewegung der 1960 er und 1970 er Jahre. Der Kampf für Frauenrechte ist ein Fluss gewesen, der sich auf den Weg gemacht hat.

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Elizabeth Holloway Marston und Olive Byrne, 1985

Olive Byrne starb 1990 im Alter von 86 Jahren. Sie und Holloway hatten zuletzt in einem Apartment in Tampa gewohnt, unweit von Olives Sohn Byrne. Während Olive im Krankenhaus im Sterben lag, stürzte Holloway und erlitt eine Hüftfraktur; sie wurde ins gleiche Krankenhaus eingeliefert. Die beiden Frauen lagen in getrennten Zimmern. Sie hatten 64  Jahre zusammengelebt. Als Holloway in ihrem Krankenhausbett die Nachricht von Olives Tod erhielt, sang sie ein Gedicht von Tennyson: «Sunset and the evening star, / And one clear call for me! / And may there be no moaning of the bar, / When I put out to sea.»47 Byrne Marston streute die Asche seiner Mutter in den Pamet River in Truro. Keine Zeitung brachte einen Nachruf.48

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Elizabeth Holloway Marston starb 1993 im Haus ihres Sohnes Pete, Whartons Sappho-Ausgabe lag auf ihrem Nachttisch.49 Die New York Times veröffentlichte einen Nachruf. Die Überschrift lautete: «Eliza­ beth H. Marston, Inspiration zu Wonder Woman, 100.»50 Das war bestenfalls eine Halbwahrheit.

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★ NACHWORT ★

DER HYDE-DETEKTOR

Im Sommer 1941 veranstaltete Marston ein letztes Experiment. Im Astor Theatre in New York schloss er seine Testpersonen während der Vorführung von Dr. Jekyll and Mr. Hyde, einem neuen MGM-Film mit Spencer Tracy, Ingrid Bergman und Lana Turner, an seinen Lügen­ detektor an. (Der MGM-Film war ein Remake einer sehr gruseligen und unglaublich gewagten Paramount-Produktion, die 1931 entstanden war, in der Zeit vor der Verabschiedung des Hays Codes, als Mars­ ton noch in Hollywood war.) «Mehr als 100 junge Frauen aus allen Lebensbereichen nahmen an einer Reihe von psychologischen Experimenten teil, um emotionale Reaktionen von Frauen auf männliche Aggressivität festzustellen», war in einem Artikel des Hollywood Reporter unter der Überschrift «MGM Tries Out ‹Hyde Detector›» zu lesen. Marston unterschied seine Versuchspersonen nach der Haarfarbe (blond, brünett, rothaarig), nach dem Familienstand (ledig und verheiratet) und nach der Berufstätigkeit («Sekretärinnen, Debütantinnen und Studentinnen»). Er wollte wissen, welche «Liebesszenen» den Frauen besser gefielen: ­Jekylls zärtliche Umarmungen seiner Verlobten oder Hydes brutale Vergewaltigung einer Prostituierten. Außerdem wollte er wissen, wie groß nach Ansicht seiner Probandinnen der Bestien-Anteil war, der in jedem Mann steckte, als ob dies eine rein mathematische Frage wäre. Marstons Ergebnis lautete: «Durchschnittlicher Hyde-Prozentsatz in jedem Mann: 34 Prozent.»1 Wie hoch war der genaue Hyde-Prozentsatz bei Dr. Marston? Bei der Niederschrift dieses Buches rang ich mit dieser Frage. Es war, ehrlich gesagt, schwer zu sagen, was man von ihm halten sollte. Manchmal wirkte er so töricht, seine Experimente waren so verrückt, sein Showman-Gehabe so herrlich lächerlich. Aber manchmal mutete er auch so gruselig an, seine Begierden waren so grausam, seine Rück-

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sichtslosigkeit so gefährlich. Ich wünschte mir, einen Hyde-Detektor zur Hand zu haben. Nach dem Erscheinen des Buches hörte ich von sehr vielen Leserinnen und Lesern, die dieselbe Frage stellten: Wie viel J­ ekyll, wie viel Hyde?2 Doch so sehr mich Marston auch faszinierte, die Fragen, die mir nach der Fertigstellung des Manuskripts zu schaffen machten, hatten nichts mit ihm zu tun; sie drehten sich um die Frauen in seinem Leben, deren eigenes Leben in den Dokumenten, die die Familie hinterließ, sehr viel spärlicher beschrieben wurde. In den meisten Fällen war ihr Schweigen ihre eigene Entscheidung gewesen: Was sie hinterließen, ist das, was sie bewusst für den Nachlass bestimmt hatten. Ich hatte versucht, diese Einschränkung zu umgehen: Den größten Teil der Recherchen für dieses Buch unternahm ich außerhalb der Familien-Dokumente, vor allem in Universitäts-Archiven, und ein Grund dafür war, dass die Familiendokumente, so außergewöhnlich sie auch waren, von den Frauen, die familienintern immer als «die Ladys» bezeichnet wurden, sehr sorgfältig ausgewählt worden waren. Als Eliza­ beth Holloway und Olive Byrne 1952 aus Cherry Orchard auszogen, hinterließen sie eine riesige Sammlung von Comic-Heften auf dem Dachboden: Sie hielten sie für Altpapier. (Ich sprach mit den Kindern der Familie, die damals einzog; sie hatten die Comics damals behalten wollen, aber ihre Mutter warf sie weg; auch sie hielt diese Hinterlassen­ schaft für Altpapier.) Olive Byrne sichtete in den 1950 ern die Papiere ihrer Mutter und auch Margaret Sangers Papiere, sie sortierte und wählte aus, was aufzubewahren und was wegzuwerfen war. Sie wird wohl auch ihre eigenen Unterlagen durchgegangen sein: Ihr Plan war, so scheint es, sich selbst nahezu ganz aus den historischen Dokumenten zu löschen. In den 1960 er Jahren sichtete Holloway die Unterlagen der Familie Marston. Sie muss wohl sehr viel weggeworfen haben, und anschließend übergab sie einen sorgfältig ausgewählten Bestand von Wonder-Woman-Materialien dem Smithsonian Museum, bevor sie den Rest, den sie noch besaß, in vier Stapel aufteilte und jeweils einen davon e­ inem der vier Kinder übergab: Fotoalben und Ordner mit Papier. Als ich dieses Buch schrieb, hatte ich zuvor zwei der vier Sammlungen gesehen und darüber gestaunt, wie sehr sie sich voneinander unterschieden. Holloway gab Byrne Marston ein Fotoalbum und Pete Mars-

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ton ein weiteres. Einige Fotos sind in beiden Alben enthalten; auf die meisten trifft das nicht zu. Genauso ging sie bei den Tagebüchern, Briefen und anderen Papieren vor. Ein Bestand von Fotos und Dokumenten erzählt eine Geschichte, und ein weiterer erzählt eine andere. Das gleiche Familienfoto, an ein und demselben Tag aufgenommen, zeigt eine Gruppe von Personen in einem Album (Marston, Holloway und die vier Kinder, während Olive Byrne fotografiert) und eine andere Gruppe in einem anderen Album (Marston, Olive Byrne und die vier Kinder, von Holloway fotografiert). Aus Marstons Tagebuch fertigte sie Auszüge für jedes der vier Kinder an: Sie schrieb nur die Einträge ab, die das jeweilige Kind betrafen. Bei Byrne waren das seine Geburtstagsgeschenke. Bei Donn seine Masern. Holloway hatte ihren Kindern verschiedene Historien hinterlassen. Sie und Olive Byrne erzählten ­ihren Kindern und Enkelkindern auch völlig verschiedene  – und nicht miteinander vereinbare – Familiengeschichten. Nach dem Erscheinen des Buches erhielt ich die Gelegenheit, mir ­einen dritten Bestand von Familienunterlagen anzusehen: die Fotos und Dokumente, die Holloway Donn Marston übergeben hatte. Als Donn Marston 1988 starb, warf seine Frau Margaret Sanger Marston einen Karton mit Familiendokumenten nach dem anderen in den Müll. Ich hatte gehört, alles sei vernichtet worden. Aber in Wirklichkeit zogen ihre Töchter Nan und Peg diese Kartons wieder aus dem Müll. Einige Tage nach der Veröffentlichung meines Buches traf ich Nan und Peg in Washington, DC, und sie erzählten mir, diese Kartons seien immer noch in ihrem Besitz. Und es stellt sich heraus, dass die Fotos und Dokumente, die Holloway Donn Marston übergab, wieder eine andere Geschichte erzählen. «Lieber Donn, ich gehe gerade einen Packen von ADMs Briefen an WMM durch», schrieb sie ihm; für ihn hatte sie ein Bündel Briefe von Marstons Mutter aufbewahrt – und noch viel mehr dazu.3 Ich war unterdessen selbstständig auf weiteres neues aufschlussreiches Material gestoßen, und Kuratoren und Archivarinnen schickten mir Dinge, die sie in ihren Archiven gefunden hatten. Das Material häufte sich. Alles in allem ist es dennoch nicht viel – es gibt hier keinen Hyde-Detektor –, aber es ist genug, um mich auf den Gedanken zu bringen, darüber schreiben zu müssen. Daher dieses Nachwort.

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Er war immer Mutters Junge geblieben. Der erste Umschlag, den ich in der ruhigen Küche des warmen Hauses einer von Marstons Enkeltöchtern öffnete, hatte eine verblasste, türkisblaue Farbe, war etwa postkartengroß, aber dick, sogar wattiert. Darin steckte ein kleinerer Umschlag, der weiß, aber altersbedingt gebräunt war und auf dessen Rückseite Marstons Mutter Annie Dalton Marston mit Bleistift «My Baby’s Hair» geschrieben hatte. In diesem Umschlag steckte eine Visitenkarte. Auf einer Seite stand: «Mrs. Frederick W. Marston». Auf der Rückseite hatte Marstons Mutter notiert: «William Moulton Marston, geboren am 9. Mai 1893. Erster Haarschnitt – 25. Juni 1894.» An der Visitenkarte war mit einer inzwischen angerosteten Büroklammer ein Streifen zusammengefalteten Seidenpapiers befestigt. Ich faltete es auseinander. Zum Vorschein kam eine blonde Haarlocke, die so hellgelb wie Maisgrannen war. Ich musste an Marstons lebenslange Besessenheit vom Thema Haarfarbe denken. Aus seinen Experimenten mit dem MGM-Film im Astor Theatre hatte er beispielsweise geschlossen: «Blondinen zeigen weniger Widerstand (mehr Willfährigkeit) im Umgang mit einem aggressiven Liebhaber als jeder andere Typ.»4 Aber noch mehr dachte ich an seine Mutter, weil sie in den weißen Umschlag in der türkisblauen Hülle noch zwei weitere Haarlocken ihres Sohnes gestopft hatte, in Papier eingewickelt und sorgfältig beschriftet: «Zweiter Haarschnitt» und «Dritter Haarschnitt». Und in den ­größeren, türkisblauen Umschlag hatte sie noch ein gebundenes Notizbuch gesteckt, in dem sie sich Notizen über ihr Baby gemacht hatte, vom Augenblick seiner Geburt an, «um 15.50 Uhr», an einem Dienstag. «Baby gedieh weiterhin bis Donners. Nacht, als irgendeine Verfärbung an Wange und Ohr sich auf beunruhigende Weise entwickelte.»5 «Mein lieber Billie-Boy», redete sie ihn in einem Bündel von Briefen an, die ich in jener Küche fand.6 Sie schrieb ihm, so hat es den Anschein, jede Woche lange, ausführliche Briefe und schickte in ­jedem Mai Glückwünsche zum Geburtstag: «So leb denn wohl, lieber Junge, mein kleiner Sohn, so ersehnt und so willkommen am 9. Mai 1893», schrieb sie ihm 1941 zu seinem 48. Geburtstag. «So lieb und geliebt. Sei anständig und bewahre einen ehrbaren Namen für die Kinder.»7 Er war ein Einzelkind, das spät in das Leben seiner Eltern trat, und

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ich hatte vermutet, dass er von seinen kinderlosen Tanten verhätschelt und verwöhnt worden sein musste. Aber das hier war noch ein bisschen mehr. Unter den Fotografien in diesen neuen Alben befanden sich Bilder, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, in keinem der anderen Alben: Marston und seine Mutter. Holloway hatte die Briefe durchsortiert und chronologisch angeordnet. Sie hatte auch ein Register angelegt, eine nach Datum geordnete Liste ihrer Lieblingsbilder und ihrer Themen: «8/13/42 Kommentar zu W. W.s Kostüm.»8 Marston hatte ihr in jener Woche ein Exemplar der Nr. 1 von Wonder Woman geschickt, zusammen mit einer Reihe von Zeitungsausschnitten. «Der lange Artikel über Wonder Woman im New York World Telegram und Deine Nachricht erreichten mich in N. Scituate», schrieb sie ihm. Beides wurde mit großem Interesse gelesen. Ich hatte gerade einen Artikel im Boston Herald, Dienstag, 4. Aug., gelesen, in dem berichtet wurde, dass Du das Pseudonym aufgegeben und Dich als Autor von Wonder Woman zu erkennen gegeben hast. Großartige Werbung – ich stelle mir vor, dass Psychologen-Kollegen über Deine Theorien ein bisschen ins Staunen geraten, aber es kann sein, dass Du ein Herold bist, der seiner Zeit voraus ist. Hoffe, dass dieser große Erfolg sich fortsetzt und vielleicht die Wirkung auf das Denken der Kinder haben wird, die Du prophezeist. Ich las die ganze Geschichte von Wonder Woman in der Zeitschrift durch, die Du schicktest, und muss zugeben, dass sie ziemlich faszinierend war. Ich wünsche mir jedoch, dass Dein Zeichner ihre Hosen ein bisschen verlängert, und sei es nur ein kleines bisschen. Und wie wäre es mit einem bestickten Schal in Rot, Weiß und Blau? Er könnte ihr eine Lungenentzündung ersparen.9

Sie schrieb ihm jede Woche, und er schrieb zurück und berichtete, in einem Brief nach dem anderen, wie ein Schuljunge von seinen Leistungen. Tat Marston all das, was er tat, um die Zustimmung seiner Mutter zu finden? War mir das vollkommen entgangen? Die Faszination, die Frauen auf Marston ausübten, begann mit seiner Mutter. «Hier ist eines von Dr. Marstons Lieblingsthemen, Mütter», schrieb Olive Byrne in einem Artikel für Family Circle, der nie erschien; er trägt die Überschrift «Mothers on Trial» (etwa: «Mütter auf dem Prüfstand»).10

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Ich arbeitete mich durch diese Kartons hindurch und fand noch viel mehr. Ich entrollte eine Football-Fahne aus Harvard, ein aus ausgebleichtem karmesinrotem Filz bestehendes Exemplar, das er auf der Tribüne geschwenkt und damit ein Team angefeuert haben muss, für das er nie spielte.11 In einem Fotoalbum sah ich, dass auch in seinem Undergraduate-Zimmer in Hollis Hall in Harvard überall Harvard-Banner hingen. Ich hatte mit großem Aufwand versucht, eine Kopie von Jack Kennard, Coward zu finden, dem Stummfilm über einen Footballspieler in Harvard, dessen Drehbuch Marston 1915 geschrieben hatte. Ich fand keine. Und ich hatte an seiner Behauptung gezweifelt, dass er sein Studium in Harvard durch das Verfassen von Drehbüchern finanziert habe; ich lag falsch. Nach dem Erscheinen des Buches schickte mir der Kurator der Filmabteilung im Museum of Modern Art in New York eine E-Mail, in der er mir mitteilte, dass er eine Kopie eines OneReel-Films gefunden habe, den Marston 1913 an die Produktionsfirma Biograph verkauft hatte. Der Regisseur von Love in an Apartment ­Hotel war D. W. Griffith, ein Jahr bevor Griffith Birth of a Nation (Die Geburt einer Nation) drehte.12 Biographs Story Editor hatte Marston (der sich anhand der Rücksendeadresse als Angehöriger der Harvard University zu erkennen gab) den Film offensichtlich abgekauft, weil dieser bereits auf eine weitere Autorschaft verweisen konnte: Er hatte 1912 oder 1913 ein Drehbuch mit dem Titel «The Thief» an Solax verkauft, das dort von der Regisseurin Alice Guy Blaché verfilmt wurde.13 Love in an Apartment Hotel sah ich mir im MoMa an und The Thief in der Library of Congress. Beide Filme haben mit Jack Kennard, Coward viel gemeinsam. Alle drei Stummfilme, bei denen Marstons Autorschaft bekannt ist, erzählten die Geschichte eines Mannes, der zu Unrecht eines Fehlverhaltens verdächtigt wird. In Kennard hält die Freundin eines forschen Harvard-Studenten den jungen Mann für einen Feigling, weil er mutmaßlich seine Mannschaft im Stich gelassen hat, aber in Wirklichkeit ist er sehr tapfer und hat ein großes Opfer gebracht.14 In The Thief wird Colonel Spottiswood, ein Veteran des Bürgerkrieges  – Marstons Großvater mütterlicherseits, Henry  W. Moulton, lässt hier grüßen –, zu einem Wiedersehens-Dinner in Delmonico’s Restaurant in New York eingeladen, das von seinen schwerreichen Vete­ ranen-Kameraden ausgerichtet wird. Aber Spottiswood macht eine

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sehr schwere Zeit durch; er lebt mit seiner Frau in einer Mietskaserne, die Familie geht in Lumpen, und eine Tochter liegt im Sterben. Er leiht sich einen Anzug, geht zu dem Dinner und gerät in den falschen Verdacht, ein Schmuckstück gestohlen zu haben; in Wirklichkeit hat er sich nur einen oder zwei Äpfel genommen, beim Versuch, das Leben seiner sterbenden Tochter zu retten. Der interessanteste unter diesen Filmen ist Love in an Apartment Hotel: Die hübsche Verlobte eines wohlhabenden Gentlemans stattet ihm in seinem Hotelzimmer einen Überraschungsbesuch ab und entdeckt dabei ein Zimmermädchen, das sich im Wandschrank versteckt. Sie verdächtigt ihn der Untreue – eine Andeutung der späteren Situation mit Elizabeth Holloway und Olive Byrne –, aber ein Einbrecher (und nicht der Gentleman) hat das Zimmermädchen im Schrank versteckt. Jede dieser Geschichten dreht sich um einen Mann, der ein dunkles Geheimnis zu verbergen scheint, einen Jekyll, der seinen Hyde versteckt. Aber in allen Geschichten gibt es gar keinen Hyde: Jekyll ist nur Jekyll, missverstanden und zu Unrecht beschuldigt. Was widerfuhr Marston, als er in Harvard war, so dass er so davon besessen war, die immer gleiche Geschichte zu erzählen, wieder und wieder? Marston war im Sommer 1916 enorm übergewichtig: Er war ungeheuer korpulent, sehr viel früher, als ich gedacht hatte. Es ist kaum zu glauben, dass dies nichts mit irgendeiner Medikamentierung zu tun hatte. Ich hatte spekuliert, dass Marston für Münsterberg vielleicht sogar an dessen Todestag gearbeitet hatte, im November 1916. Das war ein Irrtum. Holloway hatte einen Brief, den Münsterberg am 9. September 1916, unmittelbar vor Semesterbeginn, an Marston schickte, sehr sorgfältig aufbewahrt. Es ist ein freundliches Schreiben des Professors an seinen Studenten, in dem Marston für seine Arbeit gelobt und eindringlich motiviert wird: «Was nun Ihr neues Paper betrifft, so verstehe ich noch nicht genau, was Sie damit zeigen wollen, aber wenn Sie nach Ihrem Gefühl das Material für ein druckreifes Paper beisammen haben, sollten Sie das unbedingt aufschreiben.»15 Holloway hat auf dem Umschlag notiert: «Münsterberg war Prof der Psych in Harv, als Bill dort war. WWI bereitete ihm so viel Stress (er war Deutscher), dass er während einer Vorlesung in Radcliffe tot zusam-

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menbrach. Harold Burt war damals dabei, auch einer von Bills Schülern.»16 Aber nicht, wie ich gedacht hatte, Marston selbst. Marjorie Wilkes Huntley bleibt so rätselhaft wie eh und je, obwohl ich ein früheres Foto von ihr fand, das sie 1927 zusammen mit Marston zeigt. In dem Jahr, in dem dieses Foto entstand, schrieb Marston einen anonymen Brief an die Redaktion der World in New York, in dem er sich über die Pressekampagne gegen pornografische Zeitschriften beschwerte. In dieser Zeit lebten Marston, Holloway, Byrne und Huntley in New York zusammen. Holloway arbeitete bei der Metropolitan Life Insurance, Byrne arbeitete an der Columbia University an ihrer Dissertation, und Marston war Universitätsdozent. Nach ihrer gemeinsamen Zeit in Boston, wo sie in der Wohnung von Marstons Tante Carolyn an regelmäßigen Treffen eines Kultes um weibliche sexuelle Macht teilgenommen hatten, waren sie nach New York gezogen. Als die World eine Kampagne gegen pornografische Zeitschriften startete, schrieben Marston, Holloway, Byrne und Huntley gemeinsam einen Leserbrief, in dem sie mitteilten, dass die Familie aus Protest dagegen ihr Abonnement der World gekündigt habe: Ihre Kampagne gegen das, was sie als «obszöne» Zeitschriften bezeichnen, weil sie Nacktfotos von Frauen enthalten, kostet Sie heute ein Abonnement Ihres Blattes. Diese Familie, zu der auch mehrere Frauen gehören, kann Ihre von politischen Überlegungen inspirierte Prüderie nicht ertragen. (…) Alle Familienmitglieder, bis auf eines [Huntley], haben einen College-Abschluss, zwei von ihnen [Marston und Holloway] haben an großen amerikanischen Universitäten die biologischen Wissenschaften unterrichtet. Alle sind sie der Ansicht, dass man kein schlimmeres Verbrechen gegen die Kultur verüben kann, als die natürlichen und normalen sexuellen Instinkte zu unterdrücken und für abnormal zu erklären. Menschen, die das Thema studiert und ausgiebig erforscht haben, scheint ganz klar zu sein, dass die zerstörerischen Ausdrucksformen von Sexualität auf Vorstellungen von der Art zurück­ gehen, die Sie heute befürworten. Warum kann eine große und einfluss­ reiche Zeitung wie die Ihre nicht wie eine geistig erwachsene Person auftreten und eine Kampagne zur Unterweisung von Kindern, großen wie kleinen, betreiben, die Verehrung für und Respekt vor dem nackten weiblichen Körper vermittelt? Stattdessen schließen Sie sich den Oppor­ tunisten an und bezeichnen den Körper der Frau als «obszön», wenn er fotografiert und gezeigt wird! Die Zeitschriften, die Sie angreifen, enthalten

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nicht eine einzige anzügliche Bildunterschrift oder Geschichte, sondern einfach nur Nackt­fotografien. Diese Familie ist der Ansicht, dass sie ausgezeichnetes Material liefern, mit dem man Kinder lehren kann, dass der weibliche Körper die schönste und heiligste Sache der Welt ist.

Die World brachte den Brief unter der Überschrift «Defender of Sex Magazines Stops Reading the World» («Verteidiger von Sex-Zeitschriften liest die World nicht mehr»). Holloway schnitt den Text aus und klebte ihn in ein Sammelalbum. An den Seitenrand schrieb sie trocken: «Das ist ein Beitrag, den wir nicht unter den Teppich kehrten.»17 Foto und Zeitungsausschnitte aus Marstons Zeit in Hollywood von 1928 bis 1931 legen nahe, dass zu seinen Aufgaben als Director of Public Relations für die Universal Studios auch die psychologische Betreuung von Schauspielerinnen gehörte. Marston führte auch sorgfältige Aufzeichnungen zu den Experimenten, die er in Hollywood vornahm. Sie sind in Aktenordnern erhalten, die gefüllt sind mit LügendetektorKurven, den aufgezeichneten Werten von Blondinen, Brünetten und Rothaarigen, die sich Filme ansehen. Offensichtlich hatte er gehofft, seine Arbeit in Hollywood veröffentlichen zu können, in einem Buch, zu dessen Abbildungen auch Szenenfotos gehört hätten, die an den Sets von vier verschiedenen Filmen aufgenommen wurden, um zu zeigen, was seiner Ansicht nach die vier grundlegenden Emotionen waren: compliance (Übereinstimmung), submission (Unterwerfung), dominance (Dominanz) und inducement (Antrieb).18 Ein Problem für Historiker, die sich für bestimmte Ehen interessieren, besteht darin, dass die Menschen ihren Partnern, mit denen sie zusammenleben, nicht viele Briefe schreiben. Aus den Jahren von 1931 bis 1934, in denen Marston, Olive Byrne und die Kinder in Cliftondale mit Marstons Mutter zusammenlebten, gibt es keine Briefe von ihr an ihn, obwohl viele Fotos von der Familie existieren, die im und vor dem Haus in der Avon Street aufgenommen wurden.19 Die Korrespondenz beginnt erst im Frühling 1935, als die Marstons nach Cherry Orchard zogen, ziemlich genau in der Zeit, in der Marston die Presse mit seinen Versuchen umwarb, Bruno Hauptmann einem Lügen­ detektor-Test zu unterziehen.20 Und es gibt so viele Bilder aus jenen

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Jahren: Marston beim Footballspiel mit den Jungen im Hof vor dem Haus; die Kinder in Halloween-Kostümen, auf einer Schaukel, beim Schneeschippen. Seine Mutter stand Olive Byrne ebenso nahe wie Elizabeth Holloway. Sie nannte Holloway ihre «liebste kleine Tochter», und Olive Byrne war «meine liebe Bobby», es war ein Spitzname, den sie im College erhalten hatte.21 (Marston war für Annie Dalton Marston «der beste und größte unter den Männern», und Holloway war «die klügste unter den Frauen.»)22 Und sie verstand sich auch mit Marjorie Wilkes Huntley sehr gut.23 Marstons Mutter scheint über die Familienverhältnisse vollständig informiert gewesen zu sein, auch über die Lügen, mit denen sie verborgen wurden: Sie las Olive Byrnes Artikel in Family Circle. Und die Familie hatte schließlich in Cliftondale bei ihr gewohnt, sie selbst blieb bei Besuchen in Cherry Orchard wochenlang und schlief in O. A.s Zimmer. Alle Frauen im Haus und auch die Kinder schrieben Marstons Mutter regelmäßig ausführliche Briefe mit ­detaillierten Berichten  – «Bobby schrieb, dass Betty einen Husten habe», zum Beispiel –, und sie wusste auch, wie Marston, Holloway und Byrne gerne logen, wenn es darum ging, wer was geschrieben und wer was getan hatte. «Ich war außerordentlich amüsiert über Dein Kuchenbacken, das den Preis unter Bobbys Namen gewann», schrieb Marstons Mutter 1939 an ihn. «Glückwunsch.»24 Sie folgte dem Familiengeschehen auf nahezu täglicher Basis, und 1940, Byrne, Donn und O. A. waren neun, acht und sieben Jahre alt, schrieb sie beispielsweise an Marston: «Byrnes Brief war entzückend. Ich danke dem lieben Jungen und auch Donn für die hübsch geschriebene Nachricht, die Du geschickt hast. Und Olive Ann für ihren besonderen Brief. Auch Bobbys Nachricht – immer so willkommen. Heute kam ein guter Brief von Marjorie, außerdem Bobbys Zeitschriftenartikel.»25 Und wenn sie nach Cherry Orchard zu Besuch kam, himmelten sie sie an: «Ich denke an die langen, erholsamen Stunden, die ich in dem schönen Zimmer in Rye verbracht habe«, schrieb sie nach einem Besuch an Holloway. «William schaute ab und zu vorbei, Bobby brachte das Frühstückstablett, Marjorie die Zeitung, Deine Besuche am Abend, die Kinder mit ihren lebhaften Kaspereien.»26 Sie war eine fromme Christin, wurde aber 1939 dennoch zum «Ehrenmitglied» des Sunday Five

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Club ernannt: Mit ihrem Sohn und ihren vier Enkelkindern diskutierte sie über die Ordnung des Universums.27 «Mrs. Margaret Sangers Liebe zu ihrer Arbeit hat dem Birth Control Movement Erfolg eingebracht», war 1937 in der Zeitschrift Look in einer Anzeige zu lesen, mit der für Marstons Buch Try Living geworben wurde. «Ihre Liebe zu ihrer Familie sorgt für Erfolg zu Hause. Sie befürwortet: ‹Versuche zu leben.›»28 Marston lebte unterdessen verschwenderisch. Er trank und er flirtete. Ein Freund schrieb eine «Ode an William Moulton Marston». Sie beginnt so: In the city of Rye lives a wonderful guy, Bill Marston, the savant and wit: The women all vie for a glance from his eye, Whether he’s sober or lit.29 (In einem Städtchen namens Rye lebt ein wunderbarer Typ, Bill Marston, der Weise und Geistreiche: Alle Frauen wetteifern um einen kurzen Blick von ihm, Ob er nun nüchtern ist oder beschwipst.)

Und er bastelte weiter an seinen Theorien über Sex und Emotionen. Marston schrieb irgendwann in der Zeit nach 1931 ein Buch, das nie erschien. Ich begann mit der Lektüre des Typoskripts in der Küche seiner Enkelin.30 Die Titelseite fehlt, aber das Buch ist ein Kondensat seiner Gedanken zum Thema Persönlichkeit, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Beziehung zwischen Persönlichkeit und Haarund Augenfarbe: «Kapitel VII: Der ganz blonde Typ»; «Kapitel IX: Die braunäugige brünette Persönlichkeit»; «Kapitel XI: Diese aktiven Rotschöpfe.» («Mein eigenes Haar war in der frühen Kindheit flachsblond», schrieb er und fügte hinzu: «Es sind noch Proben erhalten.»)31 Marstons Theorien beschäftigen sich mit Vererbung und sind weitgehend aus der Eugenik abgeleitet (den Eugeniker Charles Davenport ­zitiert er zum Beispiel oft), im Manuskript ist allerdings auch sehr viel von Physiologie die Rede. Äußerst interessant sind seine Ausführungen zum Thema Geschlecht im Kapitel VI, «Menschen und Übermenschen» («Men and Supermen»), in dem Marston das erklärt, was, wäre es ein paar Jahrzehnte später geschrieben worden, als Theorie des Verhältnisses zwischen Geschlecht («sex») und Geschlechtsidentität/so­

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zialem Geschlecht («gender») bezeichnet worden wäre. «Im Gegensatz zu landläufigen Vorstellungen ist jede normale Person bis zu einem gewissen Grad männlich und weiblich», beginnt er. Was er als «erotische Gefühle» bezeichnet, wird von allen Menschen empfunden, im Umgang mit nahezu allen anderen Menschen. Das Problem besteht darin, dass «Menschen, die nicht für eine analytische Betrachtungsweise ausgebildet sind, die komplexeren Ausdrucksformen erotischer Gefühle nicht berücksichtigen» und dazu neigen, sie als abnormal zu ­betrachten. «Sie nehmen nur die offensichtlichen körperlichen Kontakte zwischen Männern und Frauen wahr und gehen dementsprechend davon aus, dass erotische Gefühle nur als Ergebnis der Aufteilung der Menschheit in zwei Geschlechter existieren.» Sie verwechseln und verschmelzen deshalb unzutreffenderweise Geschlechtsidentität und Sexualität miteinander und kommen deshalb beispielsweise zu dem Schluss, dass «alle Liebesaffären zwischen Frauen ‹lesbisch› sind, trotz der Tatsache, dass es solche Affären bereits seit Tausenden von Jahren gab, bevor die Insel Lesbos überhaupt bewohnt war». Geschlechtsidentität und Sexualität, betont Marston, sind nicht so exklusiv miteinander verbunden: «Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass erotische Beziehungen unvermindert fortgesetzt würden, auch wenn alle Menschen auf dieser Welt demselben Geschlecht angehören würden.» Kurz gesagt: «Erotisches Empfinden ist ein Teil der Grundstruktur der menschlichen Natur. Es ist in keinerlei Sinn ein Ergebnis von oder abhängig von Geschlechtszugehörigkeit.»32 Die Persönlichkeitsmerkmale, die für «männlich» oder «weiblich» gehalten werden, sind weder physiologisch noch psychologisch, sondern allein kulturell bedingt, sagt Marston. «Eigenschaften wie Mut und Selbstvertrauen, die in moralischen Ermahnungen, sich ‹wie ein Mann› zu verhalten, bemüht werden, sind beiden Geschlechtern vertraut. Viktorianische Ängstlichkeit und Zaghaftigkeit war größtenteils eine Pose, die Frauen einsetzten, um bestimmte erwünschte Wirkungen bei Männern zu erzielen. In Wirklichkeit sind Frauen in bestimmten Situationen, die sie ansprechen, sehr viel ‹männlicher› als Männer und waren es schon immer.»33 Nach seiner Überzeugung gibt es nur sehr wenige Unterschiede zwischen Männern und Frauen: «Die natürlichen Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Geschlechtern sind gering, ihre auf

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unnatürliche Art aufgesetzten Unterschiede sind dagegen groß.»34 Die Aufteilung in männliche und weibliche Persönlichkeiten und ihre Bezeichnung als natürlich ist ein willkürlicher Kunstgriff, sagt er, und der führe groteskerweise «zur Schaffung eines Geschlechterunterschieds, der nichts weniger als ein sich entsprechendes Paar psychologischer Deformationen ist.»35 Als nächstes wendet er sich den Aussichten für einen Wandel zu. Marston sieht eine Chance, diese historisch gewachsenen Deformationen zu beseitigen, weil seit dem Ersten Weltkrieg «die gesellschaft­ lichen Tabus, die sich gegen Liebe und erotische Beziehungen richten, viel von ihrer Stärke und Strenge verloren haben» und andererseits «die Toleranz gegenüber freien Liebesbeziehungen» gewachsen sei.36 Schon in naher Zukunft, lautet seine Voraussage, könnten die natür­ lichen Ähnlichkeiten von Männern und Frauen frei ausgelebt und die Konstruktionen künstlicher Eigenschaften überwunden werden. «Dieser prophetische kurze Blick auf die psychologische Zukunft der Geschlechter mag fantastisch anmuten», schrieb Marston. «Aber das galt auch für das Unterseeboot, das sich Jules Verne vorstellte, für die ­legale Geburtenkontrolle, die Annie Besant inmitten der viktorianischen Epoche unterstützte und vorhersagte, (…) und für die politische Gleichberechtigung der Frauen.» Man stelle sich eine Welt vor, dachte er, in der «es üblich und nicht die Ausnahme sein wird, Senatorinnen, weibliche Parlamentsabgeordnete, Gouverneurinnen und eine Präsidentin zu haben».37 Ende der 1930 er Jahre hatte Marston einen weiteren Schreibauftrag übernommen: den Text für die herausnehmbaren Mittelseiten einer neuen Monatszeitschrift namens True: A Man’s Magazine zu liefern; das Blatt kam 1937 auf den Markt. Die Mittelseiten, Pin-ups, lieferte ein Künstler namens George Petty, der, wie Marston, zunächst für ­Esquire gearbeitet hatte, die Zeitschrift, auf deren Mittelseiten nicht nur Varga Girls, sondern auch Petty Girls abgebildet waren.38 Die Petty Girls in True sahen mehr oder weniger gleich aus wie die Petty Girls in Esquire: große Brüste, schmale Taillen, blond und tele­ fonierend. Marston gab jeder dieser Frauengestalten einen Namen und schrieb einen Begleittext dazu, der jeweils mit folgendem Untertitel

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versehen war: «Eine Analyse von Dr. William Moulton Marston, dem bekannten Autor und Dozenten zur weiblichen Psychologie.» Miss Elusive (die «Ausweichende», «schwer zu Fassende») trägt ein pinkfarbenes Negligé, dessen purpurroter Träger über den Oberarm gerutscht ist. «Miss Elusive fürchtet sich vor der Liebe», schreibt Marston in seiner Diagnose. «Eine heimliche Furcht vor Männern und amourösen Augenblicken wurde während der Kindheit oder frühen Adoleszenz in ihrem gehorsamen Unterbewusstsein verankert, entweder durch hemmende Unterweisung oder durch ein schockierendes Erlebnis.»39 Miss Heartsnatcher (für eine Ausgabe zum Valentinstag reserviert) trägt nur ein durchsichtiges Babydoll und drückt eine Schachtel mit Schokolade gegen ihren Brustkorb. Marston: «Du bist eine faszinierende, clevere, aber ganz rücksichtslose Männerjägerin, meine Herzen versklavende junge Freundin.»40 Miss Bewitching trägt einen schwarzen Hexenhut für Halloween. «Du betreibst ein Privatgefängnis – je mehr verhexte Gefangene, desto fröhlicher das Vergnügen für ihre bezaubernde Fängerin.»41 Miss Career Girl trägt einen roten Badeanzug: «Du wirst nach Deiner Hochzeit weiter einer Arbeit nachgehen? Dann bist Du eine Karrierefrau! Du hast das, was man dafür braucht – Energie, Initiative, Beharrlichkeit, ein sicheres Auftreten und, das Allerwichtigste, Selbstvertrauen.»42 Miss  Girl of Tomorrow ist nur mit ­einem Cellophan-Mantel angetan, trägt aber ein Osterkörbchen und verkörpert für Marston die Zukunft der Menschheit. «Solltet Ihr, meine Mit-Hosen-Träger, Miss Girl of Tomorrow heiraten, dann nehmt Eure Hosen nicht allzu symbolisch. (…) Akzeptiert die Frivolität Eures Girls of Tomorrow, ihre Inkonsequenz und ihre Weigerung, überschwängliche Weiblichkeit zu viktorianischer Unterdrückung erstarren zu lassen, mit einem Grinsen und einer Umarmung.»43 Jedes der Petty Girls hat einen Namen und ein Kostüm. Es gab Miss She-Wolf, Miss Paddy-Whack (die gerne geschlagen wurde), Miss Bashful (die «Schüchterne»), Miss  Clinging Vine (die «Anhängliche») und Miss Chummy Bunny, eine eindeutige Vorläuferin von Hugh Hefners Playboy Bunny. (Hefners zweiter Vorname war zufälligerweise Marston.) Miss Pixie, Miss Wrong Number. Marston beschrieb mindestens 16  Petty Girls  – in genau den Jahren, in denen er Wonder Woman schrieb. Sie gleichen einer Liga der Softporno-Superheldinnen.

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Im Kontext seiner Arbeit für True bietet Marstons Verteidigung von Comic-Heften ein etwas anderes Bild. Im Herbst 1939 schrieb er einen Artikel für die Zeitschrift Your Life unter dem Titel «What Comics Do to Your Children». Seine Verteidigung von Comics war seiner Vertei­digung der Pornografie in jenem 1927 – im Namen seiner Familie – verfassten anonymen Leserbrief an die New York World nicht unähnlich. In Your Life schrieb Marston: «Ich mag Comics. Ich mag sie auf dieselbe Art und aus denselben Gründen, aus denen meine Kinder sie mögen, und ich weiß, dass sie in mir dieselben allgemeinen Wirkungen hervorbringen, die sie auch in Kindern auslösen.» Sie ermöglichten es ihm, sich seine Wünsche zu erfüllen.44 Marston liebte nichts so sehr wie die Fantasie. Seit der Zeit, als er noch ein ganz kleiner Junge war, ein Kleinkind mit goldenem Haar, hatte Marston seine Arbeiten der Mutter präsentiert, immer um ihre Zustimmung bemüht. Sie war eine viktorianische Schulmeisterin, die in einem Schloss aufgewachsen und lange ledig geblieben war, schließlich nicht standesgemäß heiratete – einen Verkäufer – und dann ein Kind nach dem anderen verlor (Fehl- und Totgeburten), bis sie schließlich und endlich und so spät diesen einen wunderschönen Sohn geboren hatte. Sie gab ihm ihre Zustimmung mit strenger und knapper Präzision. Sie liebte alle drei Frauen, mit denen er zusammenlebte, und sie liebte auch alle seine vier Kinder. Sie bewunderte seine Bücher; sie las seine Artikel. Er und Olive Byrne schickten ihr auch Olives Family Circle-Artikel («Bobby hat einen ­angenehmen Stil und liefert eine interessante Geschichte», mit einem zustimmenden Nicken).45 Marstons Mutter war sich des Lügengespins­ tes, auf dem die Familienbeziehungen ihres Sohnes beruhten, durchaus bewusst. Ihre eigenen Neuigkeiten handelten von Bridgepartien und Nähgesellschaften und Bibelstunden und Literaturkursen und Frauenklubs. Sie war eine Frau, die über eine außergewöhnliche Energie verfügte. («Ich fürchte, die Zeit, in der ich zum einen und Du zum andern das Leben ernsthaft und gelassen [‹seriously and placidly›] angehen können, wird niemals kommen», schrieb sie ihm.)46 Marston schickte seiner Mutter niemals Miss  Paddy-Whack oder Miss  SheWolf. Aber im Jahr 1942, als er 49 und sie 83 Jahre alt war, schrieb er ihr, um von Wonder Woman zu berichten.

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«Wie erstaunlich, dass Wonder Woman einen solchen Erfolg hat», schrieb sie zurück. «Man muss Dir ganz gewiss gratulieren zu Deinem Erfolg mit der Erfindung einer derart beliebten Heldin. Superman zu übertreffen ist eine Leistung.» Großes Lob, ausgezeichnet, Note Eins. Und dennoch war sie nicht ganz einverstanden. «Mein Wissen über Comics ist zweifellos begrenzt, aber ich weiß, dass Superman unter dieser Art von Literatur (?) den ersten Platz einnimmt.» Sie unterstrich «Literatur» und fügte ein Fragezeichen hinzu. Und sie war nicht erpicht auf Literatur dieser Art: «Manchmal würde ich mir diese derart berühmten Geschichten schon gerne ansehen, aber ich bezweifle, dass ich die Gelegenheit haben sollte, sie zu lesen.»47 Er schickte ihr Wonder Woman Nr. 1, und sie las das Heft. Das Kostüm gefalle ihr nicht, schrieb sie ihm, aber ihrer Meinung nach war die Frau in der Funktion einer Associate Editor ein guter Fang: «Miss Marble in der Redaktion zu haben ist ein großartiger Trumpf.»48 Er war inzwischen krank geworden. «Natürlich arbeitest Du zu viel», tadelte sie ihn. «Ein Psychologe weiß um die Notwendigkeit regelmäßiger Ruhepausen. Sei bitte vorsichtig und gib ein paar dieser Zusatzverpflichtungen auf.» Damit meinte sie die Comic-Hefte. Er schickte ihr den Artikel über Wonder Woman, der im Key Recorder von Phi Beta Kappa erschienen war. «Falls Wonder Woman die Ursache für Deinen gesundheitlichen Rückschlag ist, werde ich ihr diesen PhiBeta-Kappa-Schlüssel nicht gönnen.»49 Und 1943, als er immer häufiger im Radio zu hören war, schrieb sie: «Ich hoffe eher, dass Du keine feste wöchentliche Sendung übernehmen wirst, und bedauere, dass Du das Management der Produktion von W. W. übernommen hast: zu viel.»50 Er berichtete ihr selektiv über Wonder Womans Erfolge. Den Skandal wegen der Bondage-Kritik ließ er ebenso aus wie das Verdikt durch die National League for Decent Literature, erzählte dafür aber ausführlich von der Niederschrift eines Artikels über Comics für den gelehrten American Scholar. «Würde das sehr gerne lesen», schrieb sie zurück. «Natürlich konntest Du nicht ablehnen, das für die Phi-BetaKappa-Zeitschrift zu schreiben, als die Anfrage kam.»51 Er schickte ihr Blumen, Briefe, Geschenke.52 Er dachte immer daran, sie anzurufen, den Gebühren für Ferngespräche zum Trotz. Sie kam im Frühling 1944 zu einem letzten Besuch nach Cherry Orchard.53

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«Wie schön es in Cherry Orchard aussehen muss, wenn die Kirschbäume alle blühen», schrieb sie, als sie wieder zu Hause ankam. «Dachte oft an die Sonntagsschule», fügte sie über den Sunday Five Club noch hinzu. «Werde versuchen, für die nächste Sitzung noch eine Nachricht zu schicken.»54 In ihrem letzten Brief an ihren Sohn wies sie ihn im Mai 1944 an, sie nicht zu besuchen. «Du kannst nichts tun», schrieb sie. «Ich habe ein schönes, bequemes Bett und schlafe viel. Niemand muss sich Sorgen machen. (…) Viel Liebe für alle. In tiefer Zuneigung, Mutter.»55 Sie starb kurz danach im Alter von 85 Jahren.56 Sie war ein Jahr vor dem Beginn des Bürgerkriegs geboren worden und starb ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wenige Wochen nach dem Tod seiner Mutter erkrankte Marston an Polio, und der fürchterliche Verfall seiner eigenen Gesundheit begann.57 Sie war ihm eine ihn abgöttisch liebende Mutter gewesen, und er war ein pflichtbewusster Sohn. Und auch ein Mr. Hyde? «Als Großmutter starb, erwarteten wir immer, dass sie einen Brief hinterlassen hatte», sagten mir Nan und Peg, Donn Marstons Töchter. «Einen Brief in einem Umschlag mit der Aufschrift: ‹Nach meinem Tod zu öffnen.›» Olive Byrne hinterließ keinen Brief dieser Art, oder – falls sie es doch getan hatte – niemand fand ihn, oder jemand anders fand und vernichtete ihn. Aber der Grund dafür, dass ihre Enkelinnen dachten, sie könnte vielleicht einen Brief hinterlassen, ist offensichtlich, dass ihr Vater seine Mutter darum gebeten hatte. Donn Marston heiratete Margaret Sangers Enkelin Margaret Sanger im Jahr 1961. Peg wurde 1962 geboren. Peg und Nan erzählten mir, dass ihr Vater, der Rechtsanwalt war, etwa zu jener Zeit seiner Mutter gedroht hatte, er werde sie vor Gericht bringen, um sie zu zwingen, ihm die Wahrheit zu sagen. Er hatte die Absicht, sie zu verklagen. Das hatte ich nicht gewusst. Aber es diente zumindest als Erklärungshilfe für die Tatsache, dass Holloway 1963 endlich die Wahrheit sagte – oder zumindest das, was ich für die Wahrheit gehalten hatte. «Haben Sie jemals den Brief gelesen, den Ihre Mutter an Ihren ­Onkel Byrne und Ihre Tante Audrey schrieb?», fragte ich Nan und Peg. Das hatten sie nicht. Sie hatten noch nie von diesem Brief gehört. Ich klappte meinen Computer auf, und sie lasen ihn gemeinsam, laut,

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und lächelten über die Handschrift ihrer Mutter und bestimmte Redewendungen. 27. Feb. 1963 Lieber Byrne und liebe Audrey, wir haben gute Neuigkeiten zur Vater-Diskussion. Als Dots und Betty hier waren, brachte ich Betty dazu, mir die ganze Geschichte zu erzählen. Sie sagte, sie würde das tun, wenn Donn & Byrne Dots in Ruhe lassen & ihr keine Fragen zu ihrem Vater mehr stellen würden. Sie meinte, dass Dots nie, nie die Wahrheit sagen würde, und sagte, falls sie versuchen würden, sie zum Reden zu bringen, würde sie das Morphium nehmen, das sie versteckt habe. Und das wäre dann das Ende der Geschichte. Donn sagte, er werde nichts zu Dots sagen [Ergänzung von Donn: «sie wollte auch nicht, dass Byrne irgend­etwas sagte»], falls sie das Thema nicht von sich aus anspreche. Für den Fall, dass sie es doch tat, werde er Betty nichts versprechen. Und er fragte Betty, ob sie versuchen werde, Dots dazu zu bringen, die Wahrheit in einem Brief aufzuschreiben, der erst nach ihrem Tod geöffnet werden solle. Betty sagte, sie werde es versuchen. Hier ist ­jedenfalls die Geschichte. Donn & Byrne sind beide Söhne von Bill Marston. Olive lernte ihn am College kennen und lebte mit ihnen zusammen, seit sie 21 Jahre alt war. YaYa hatte bereits seit zwei oder drei Jahren mit W. M. M. zusammengelebt. Betty wusste, was vor sich ging. Bill kam tatsächlich zu ihr und sagte ihr, so wolle er leben. Er brauche mehr als eine Frau in seinem Leben. Es gab keine Affäre mit YaYa. Es war «geistige» Liebe, um E. H. M. zu zitieren. Betty gab ihre Zustimmung, und so – wurde O. B. W. M. M.s Geliebte. Fünf Jahre später wurde Byrne geboren, nachdem sie es sehr lange versucht hatten. Es war schwierig für sie, ein Kind zu empfangen, und 18 Monate später wurde Donn geboren. Keets sagte, sie seien beide für O. B. & W. M. M. unbedingte Wunschkinder gewesen, und niemals habe es deswegen das geringste Bedauern gegeben. Der Name William Richard ist Bills Name. William war sein Vorname & Richard war ein Spitzname, den sie Bill gaben – abgeleitet von irgendeinem griechischen Namen, der schwer auszusprechen war und

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zu Richard verkürzt wurde. Der Name Kendall ist für Betty neu. Das erste Mal hörte sie bei Audreys und Byrnes Hochzeit davon. Das Foto von ‹Bill Richard› war ein altes von YaYa, das Dots gefunden hatte. Bill & Betty wollten es Euch Jungs immer sagen – aber O. B. weigerte sich –, und Keets sagt, dass das ganz, ganz falsch ist, & das ist der Grund dafür, warum sie die Geschichte erzählte. Aber sie ließ auch wissen, dass sie O. B. bis zum Ende schützen werde & nicht wolle, dass ihr irgendein Schaden zugefügt werde. Betty will immer mitkommen und Euch besuchen, wenn O. B. einen Besuch macht, aber Dots sagt nein, weil sie dann übernehmen würde und eine zweite Großmutter wäre & sie würde in den Hintergrund gedrängt. Betty sagte, sie wäre liebend gern bei Byrnes Abschlussfeier an der Medizinischen Fakultät dabei gewesen, aber sie habe O. B. alleine hinfahren lassen. Und dann habe sie geweint & geweint – was für eine Frau!!! Sie liebt Euch beide so sehr und hat das Gefühl, dass sie ihre eigenen Kinder aufgegeben habe, um D. & B. das Gefühl zu geben, dass sie geliebt werden und Wunschkinder sind. Aber sie sagte, dass W. M. M. Dots wirklich liebte, & sie liebte ihn. Und Betty liebte ihn auch, und sie erklärt, dass W. M. M. sich selbst 100  Jahre voraus gewesen sei, um die ganze Angelegenheit für sich selbst begreifbar zu machen. Und sagte, dass eines Tages alle Menschen so leben würden. Die menschliche Energie müsse für schöpferische Dinge freigesetzt werden, anstatt zu zerstören. Die Affäre dauerte bis zu seinem Tod, mit körperlicher Liebe für alle. Pete überraschte O. B. & Bill einmal dabei – und wurde schnell ­hinauskomplimentiert, mit der Erklärung, sein Vater sei krank & Dots würde sich um ihn kümmern. Ich glaube nicht, dass ich etwas ausgelassen habe. Endlich ist die Wahrheit ausgesprochen!! Dots bestreitet natürlich alles. Ich habe sie nichts gefragt, aber sie versuchte ihre erfundene Geschichte zu erklären & sagte, manche Leute würden denken, W. M. M. sei B.s & D.s ­Vater – das sei nicht wahr. Sie würde ihren Kindern so etwas nicht antun. Sie habe so eine elende Kindheit gehabt, & sie würde nichts tun, was ihre Söhne verletzen könnte. So, das wär’s. Versteckt diesen Brief gut oder vernichtet ihn. … Liebe Grüße, Margaret58

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Versteckt diesen Brief gut oder vernichtet ihn. Es war das Familienmotto. Die Familiengeschichte der Marstons blieb während der 1960 er und 1970 er Jahre im Verborgenen. Wonder Woman war unterdessen als ­feministische Ikone wiederauferstanden. 1967 erschien sie in einer Zeichnung von Edward Sorel mit dem Titel «The Liberated Lady» auf den Seiten der Zeitschrift New York (Gloria Steinem gehörte der Redaktion an): Sie kämpft gegen Vergewaltiger. Im Namen des National Women’s Political Caucus verschaffte sie sich 1974 Zugang zu Nixons Kabinett. Holloway arbeitete sich weiter durch die Familiengeschichte, sortierte Dokumente, Fotos und zuletzt auch Möbelstücke. Nachdem sie die Familienbriefe, Foto- und Sammelalben aufgeteilt und jedem der vier Kinder seinen Anteil übergeben hatte, schrieb sie 1975 auch noch ein Bestandsverzeichnis der «Familien-Andenken». Einen Abschnitt macht die «Möbel-Geschichte» aus. Mit jedem Stück verband sie eine Geschichte. Über einen kleinen Schaukelstuhl heißt es: «Stand in der Küche in Avon Nr. 36. F. W. M. saß darin, und A. D. M. spülte gerade das Geschirr, als er eine tödliche Hirnblutung erlitt und vornüber kippte.» (Marstons Vater starb am 17. Januar 1923.) Das Haus, in dem die Marstons gelebt hatten, war ein Raritätenladen voller Familienerbstücke. In Holloways Verzeichnis finden sich, von Raum zu Raum fortschreitend, ein Küchentisch Huntleys, «den sie von einer Freundin bekam»; eine Keksdose, in der Marstons Mutter «Himbeermarmelade untergebracht» hatte; ein Esstisch von Ethel Byrne; eine Kommode, die «in W. M. M.s Zimmer in der Avon Street Nr. 36 stand»; ein Satztisch-Set, «das E. H. M. Carolyn Keatley einst zu Weihnachten schenkte»; und der Schreibtisch von Marstons Mutter («Tisch hat eine verborgene Platte»). Und dann war da noch die Kunst: ein Bild, das die Eisenbahnbrücke über den Pamet River in Truro zeigt, gemalt von Olive Byrne; eine Stickerei, «gestickt von irgendjemand in M. W. H.s Familie»; ein Seestück, «das uns Harry Peter gab».59 Nan und Peg sagten mir, dass Holloway bei Familienessen lange Geschichten über ihr Leben mit Marston zu erzählen pflegte. Und dann, nach dem Dinner, habe Olive Byrne beim Aufräumen in der ­Küche ihren Enkelinnen zugeflüstert: «Diese Geschichten handelten von mir.»60

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Holloway fertigte 1975 auch noch eine Inventarliste zum Porzellangeschirr der Familie an: «Dolls Teegeschirr gehörte A. D. M., als sie noch ein Kind war»; ein Satz Sandwich-Glasteller, am Strand gefunden von O. B. R.; ein «Hob Nail Mug», dessen «Geschichte sich im Nebel der Zeiten verliert». Und ein Geschenk: ein «Vergiss-mein-nicht-Mug, Geschenk für E. H. M. von O. B. R.», die letztlich doch nicht ganz und gar vergessen werden wollte.61

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ANHANG

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Aus: «The Invisible Invader», in: Comic Cavalcade Nr. 3, Sommer 1943

MANUSKRIPTE IN PRIVATBESITZ

Byrne, Olive Korrespondenz. Im Besitz von Byrne Marston. Tagebücher, 1931–1948. Im Besitz von Byrne Marston. «Ethel Higgins Byrne, 1883–1955», Porträt. Im Besitz von Byrne Marston. «John Frederick Byrne, 1880–1913», Porträt. Im Besitz von Byrne Marston. «Mary Olive Byrne», Erinnerungen. Im Besitz von Byrne Marston. «Mary Olive Byrne», Porträt. Im Besitz von Byrne Marston.

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Kelly, Joye Hummel Murchison Korrespondenz. Im Besitz von Joye Hummel Murchison Kelly. Tagebuch und Notizbuch, 1946–1947. Im Besitz von Joye Hummel ­Murchison Kelly. Wonder Woman-Manuskripte, maschinenschriftlich. Im Besitz von Joye Hummel Murchison Kelly. Marston, Byrne Korrespondenz. Im Besitz von Byrne Marston. «Memories of an Unusual Father», unveröffentlichte Erinnerungen. Im Besitz von Byrne Marston. «Summary of Marston Genealogy». Im Besitz von Byrne Marston. Marston, Elizabeth Holloway «Tiddly Bits: Tales of a Manx Cat», unveröffentlichte Erinnerungen. Im Besitz von Pete Marston. Korrespondenz. Im Besitz von Byrne Marston. Korrespondenz. Im Besitz von Joanne Edgar. Marston, William Moulton Tagebücher, 1931–1948. Im Besitz von Byrne Marston. Zeitungsausschnitte. Im Besitz von Byrne Marston. Korrespondenz. Im Besitz von Byrne Marston. Gedichte. Im Besitz von Pete Marston. Sammelalbum. Im Besitz von Pete Marston. Pitkin, Walter B. Korrespondenz. Im Besitz von John Pitkin.

MANUSKRIPTE IN ARCHIVEN UND BIBLIOTHEKEN

American University Archives Vorlesungsverzeichnisse und Bekanntmachungen, 1921–1923 Richard V. Mattingly, Student Record Lester Wood, Student Record William Moulton Marston, Faculty/Staff Personnel Records Billy Ireland Cartoon Library, Ohio State University Wonder Woman Files

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Boston Public Library Hugo Münsterberg Papers Brooklyn College Library Lauretta Bender Papers Cambridge Historical Commission Boston Elevated Railway Company Scrapbook Cambridge Property Records Columbia University Archives Central Files, 1895–1971, Office of the President Department of Psychology, Historical Subject Files Olive Byrne Richard, Graduate School Transcript (Studienbuch), Registrar’s Office William Moulton Marston, Appointment Record DC Comics Zeitungsausschnitte (Clippings File) Interviews, von Steve Korte geführt Gardner Fox, Wonder-Woman-Manuskripte Elizabeth Holloway Marston, Korrespondenz William Moulton Marston, Korrespondenz William Moulton Marston, Wonder-Woman-Manuskripte Wonder Woman Files Harvard Law School Library Historical Collections Student Permanent Record Cards, 1893–1972 Harvard University Archives Arthur McGiffert, Student Notes, 1911–1913 Zeitungsausschnitte (Clippings File), William Moulton Marston, ­Quinquennial File Department of Psychology, Records Edward Garrigues Boring Papers Faculty of Arts and Sciences, Final Return Records, 1848–1997 General Information about Harvard Commencement and Class Day, 1911–1920 Harvard Men’s League for Woman Suffrage Records Harvard Psychological Laboratory Records Leonard T. Troland, Application for Admission to the Graduate School

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★ William Moulton Marston, Undergraduate File William Moulton Marston, Graduate Record Card William Moulton Marston, Harvard Appointments Bureau Records Houghton Library, Harvard University John Reed Papers Library of Congress Rare Book and Special Collection Division Margaret Sanger Papers Fredric Wertham Papers Malden Public Library, Malden, Massachusetts The Oracle Zeitungsausschnitte (Clippings Files) Massachusetts Archives Metropolitan State Hospital Records, 1931–1969 Metropolitan Life Insurance Michigan State Library Comic Art Collection Mount Holyoke Archives Jeanette Bickford Bridges Papers, 1914–1986 MHC Records, Student Life, Political Activities Through 1930s National College Equal Suffrage League Papers, 1912–1919 One Hundred Year Directory Sadie Elizabeth Holloway Marston, Transcript (Studienbuch), Office of the Registrar Sadie Elizabeth Holloway Marston, Alumna File National Academy of Sciences Archives National Research Council Papers National Archives, Boston United States v. William M. Marston National Archives, Washington Curtis v. Francis, RG 21 Frye v. United States, RG 276

QUELLEN James A. Frye, Gnadengesuche (Applications for Clemency), RG 204 United States v. Bowie, Frye et al., RG 21 United States v. Frye, RG 21 New York Public Library 1939 World’s Fair Collection Northwestern University Archives John Henry Wigmore Papers Saint Louis University Walter J. Ong Manuscript Collection Schlesinger Library, Radcliffe Clara Savage Littledale Papers College Equal Suffrage League Records, 1904–1920 Elizabeth Holloway Marston, Graduate Record File Letters to Ms., 1970–1987 Letters to Ms., 1970–1998 Smith College Archives, Sophia Smith Collection Ms. Magazine Papers, 1972Margaret Sanger Papers Gloria Steinem Papers, 1940–2000 Planned Parenthood Federation of America Papers Smithsonian Institution, Dibner Library Wonder Woman Letters, 1941–1945 Wonder Woman, Selected Continuities Tufts University Digital Collections and Archives Alpha Omicron Pi, Fotos Class Material, 1922–1927, UA039/Classes, 1858–1997 The 1925 Jumbo Book The Tufts College Graduate The Tufts Weekly University of Minnesota, Social Welfare History Archives Child Study Association of America Collection



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QUELLEN

University of Virginia, Albert and Shirley Small Special Collections Library Papers of Rita Mae Brown, 1929–2001 U. S. Department of Justice, William Moulton Marston FBI File Yale University Manuscripts and Archives Robert M. Yerkes Papers

ANMERKUNGEN

IN DEN ANMERKUNGEN VERWENDETE ABKÜRZUNGEN

ADM BHRM EHM JE JHMK JHW LB MCG MM MS MSML MWH OBR WMM WW

Annie Dalton (Moulton) Marston Byrne Holloway Richard Marston (Sadie) Elizabeth Holloway Marston Joanne Edgar Joye Hummel Murchison Kelly John Henry Wigmore Lauretta Bender Maxwell Charles Gaines Moulton («Pete») Marston Margaret Sanger Margaret Sanger Marston Lampe Marjorie Wilkes Huntley Olive Byrne «Richard» William Moulton Marston Wonder Woman ZU DEN ABKÜRZUNGEN VON FRAUENNAMEN

In den Anmerkungen habe ich Abkürzungen vorzugsweise für den letzten Ehe­ namen verheirateter Frauen benutzt und nicht für alle vorherigen Namen, unabhängig davon, wie ich sie im Text nenne. Im Text beziehe ich mich auf Joye Hummel Murchison Kelly beispielsweise mit ihrem Mädchennamen «Joye Hummel», den sie bis 1947 führte, als sie Dave Murchison heiratete. Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes heiratete sie Jack Kelly. In den Anmerkungen kürze ich ihren Namen durchweg mit «JHMK» ab. Auf ähnliche Art nenne ich Donn Marstons Frau während ihrer Ehe «Margaret Sanger Marston», aber da sie nach seinem Tod einen Mann namens Lampe heiratete, führe ich sie in den Anmerkungen durchweg unter der Abkürzung «MSML». Olive Byrne blieb unverheiratet, benutzte jedoch in beruflichen Zusammenhängen den Namen «Olive Richard», und in ihren eigenen Dokumenten verwendete sie die Initialen «OBR». Sadie Elizabeth Holloway ließ

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ANMERKUNGEN



den Vornamen «Sadie» nach ihrer Hochzeit weg und bediente sich bei ihren eigenen Dokumenten der Initialen «EHM». Ihre Kinder benutzen, wenn sie von diesen beiden Frauen sprechen, entweder deren bevorzugte Initialen OBR und EHM oder Marstons Kosenamen für sie, Dotsie (oder Dots) und Keetsie (oder Keets). Ich verwende deshalb in den Anmerkungen die Initialen, und im Text bezeichne ich OBR als «Olive» und EHM als «Holloway»  – eine unvollkommene Lösung, aber dies schien die einzige Möglichkeit zu sein, Verwechslungen mit anderen Marstons und Byrnes zu vermeiden.

ZUR VERWENDUNG VON DC COMICS ALS ABKÜRZUNG

Die Erfindung von «DC Comics» als Marke ist untrennbar mit der Schöpfung von Wonder Woman verbunden. Die DC Comics, Inc., führt die Anfänge des eigenen Unternehmens auf die 1934 erfolgte Gründung von National Allied Publications zurück. National wurde schon bald von der 1937 gegründeten Detective Comics, Inc., übernommen; das Unternehmen hatte enge Verbindungen zu den 1938 von Maxwell Charles Gaines und Jack Liebowitz gegründeten All-American Publications. Superman gab sein Debüt 1938 in Action Comics; Batman hatte seinen ersten Auftritt 1939 in Detective Comics. Gaines engagierte 1940 im Bestreben, Kritiker abzuwehren, die beklagten, seine Bestseller-Comics übten einen schlechten Einfluss auf Kinder aus, William Moulton Marston als beratenden Psychologen und nahm ihn außerdem in ein neu ins Leben gerufenes Experten-Beratergremium auf. «‹Doc› Marston ist schon seit langem ein Befürworter der richtigen Art von Comic-Heften gewesen und gehört jetzt dem Beratergremium aller ‹D. C. Superman›-Comics an», schrieb Gaines in einem internen Memo. Ebenfalls 1940 entschied DC, alle Comic-Hefte, in denen Superman und Batman auftraten, mit dem Logo «A DC Publication» und später dann mit «A Superman-DC Publication» zu versehen. («DC» war eine Abkürzung für «Detective Comics».) Das Logo sollte als Gütesiegel dienen. Unterdessen überzeugte Marston Gaines davon, dass die Schaffung einer Superheldin eine weitere Methode zur Abwehr von Kritikern wäre. Gaines war nach einigem Zögern zu einem Versuch bereit. Marston legte sein erstes Wonder-Woman-Manuskript im Februar 1941 vor. Der Verlag kündigte der Leserschaft im Oktober 1941 an: «Das ‹DC› auf dem Seitenkopf unserer Titelbilder ist Ihr Wegweiser zu besseren Zeitschriften.» Wonder Woman debütierte noch im gleichen Monat in einer Ausgabe von All-Star Comics mit dem Titel­ datum Dezember 1941/Januar 1942. Die Verpflichtung Marstons, die Einführung des Logos als Gütesiegel, die Einrichtung eines aus Experten bestehenden Beratergremiums und die Erschaffung von Wonder Woman waren Bestandteile eines einzigen, gleichzeitig vorangetriebenen Bestrebens: Comics gegen Kritiker zu vertei-

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digen. Detective Comics und All-American Publications fusionierten 1944, gemein­ sam mit anderen Unternehmen, und wurden zu National Periodical Publications. Die National Periodical Publications änderten 1977 den Namen des Unternehmens offiziell in DC Comics, Inc., ab, den Namen, unter dem sie informell jahrzehntelang bekannt waren. Ich habe mich, zur Vereinfachung und der Leserinnen und Leser wegen, dafür entschieden, den Verlag von Superman-, Batman- und Wonder-Woman-Comics von Anfang an als «DC Comics» zu bezeichnen, denn unter diesem Namen war der Verlag dieser Comic-Hefte bereits seit 1940 in breiten Bevölkerungskreisen bekannt. Alle Zitate aus Wonder Woman-Comicstrips und -Comic-Heften entstammen – sofern nichts anderes vermerkt ist – Geschichten, die von WMM geschrieben wurden.

1  HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?

1 Henry W. Moulton, Moulton Annals, hg. von Claribel Moulton, Chicago: Edward A. Claypool 1906, S. 13 f., S. 310, S. 324–327, S. 405 f.; Sir Walter Scott, Tales of the Crusaders [1825] Bd. 3, The Talisman, 6. Kapitel, hier zitiert nach folgender Ausgabe: ders., Erzählungen von den Kreuzfahrern, Zweite Erzählung: Der Talisman, Stuttgart: Gebr. Frankh 1826, S. 125 (Übersetzung: August Schäfer); Annie Moulton unterrichtete 1876 in Amesbury an einer Grundschule; eine Ernennungsurkunde befindet sich im Besitz von MM. Henry William Moulton, WMMs Großvater, starb 1896. Die neuen Besitzer ließen Moulton Castle um das Jahr 1900 abreißen. Frederick W. Marston, WMMs Vater, war der älteste Sohn von Frederick A. Marston und Theresa Maria Cotton. Er wurde am 10. Dezember 1860 in Stratham, New Hampshire, geboren. Er starb am 23. Januar 1923. «Summary of Marston Genealogy», unveröffentlichter Nachlass von BHRM. 2 Marstons erster Preis war ein Buch, das er im Alter von sieben Jahren gewann: Jacob Abbott, Rollo in Switzerland, New York: Mershon 1898, versehen mit der Widmung «William Moulton Marston, June 30, 1899, Prize book», im Besitz von MM. WMMs Bibliothek ist voller Bücher, die er von seinen Tanten erhielt, darunter auch Jacob Abbott, Rollo’s Tour in Europe, New York: Burst, o. J., mit der Widmung «William Moulton Marston. From Aunt Claribel, May 9, 1896», im Besitz von MM. 3 BHRM, «Memories of an Unusual Father», unveröffentlichtes Typoskript, 2002, im Besitz von BHRM, S. 2. 4 WMM, Try Living, New York: Thomas Y. Crowell 1937, S. 2 f.

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5 EHM, «Tiddly Bits: The Tale of a Manx Cat», unveröffentlichtes Typoskript, 2002, im Besitz von MM. 6 WMMs Laufbahn an der High School lässt sich anhand der von der Malden High School Literary Society veröffentlichten Oracle-Jahrgänge 1910 und 1911 nachverfolgen, die in der Malden Public Library in Malden, Massachusetts, aufbewahrt werden. Die Versammlung der Literary Society, in der ein Diskussionspapier mit dem Titel «Woman Suffrage» verlesen wurde, fand am 23. September 1910 statt. 7 WWM, Undergraduate Record File, Harvard University Archives, USIII 15.88.10. 8 WMM, Try Living, S. 2 f. 9 Ebenda, S. 2. WMM erzählt dieselbe – mit Ausschmückungen versehene – Geschichte in OBR, «To Be or Not», in: Family Circle, 21. Januar 1938. 10 Harvard University, Harvard University Catalogue, 1911–1912, Cambridge: Published by the University 1911, S. 328, S. 401. In seinem ersten Studienjahr wohnte Marston in der Hancock Street 185 (S. 94). 11 Charles Homer Haskins, «History: One of a Series of Lectures Given to the Freshmen Class in Harvard College», in: Historical Outlook 16 (1925), S. 195– 197. Eine ähnlich argumentierende zeitgenössische Darstellung bietet Allen Johnson, The Historian and Historical Evidence, New York: Charles Scribner’s Sons 1926, 1930. 12 WMM, Try Living, S. 3. 13 Die Chemikalie selbst wird nicht erwähnt, aber die Männer, die den Leichnam finden, riechen «kernels» – also Nüsse oder Mandeln: «In der Mitte des Raums lag der unnatürlich verkrümmte Leib eines Mannes in den letzten Zuckungen. Sie näherten sich auf Zehenspitzen, drehten ihn auf den Rücken und sahen ins Gesicht von Edward Hyde. Die Kleidung, die er trug, war viel zu groß für ihn, es war Kleidung für einen Mann von der Größe des Doktors; in den Furchen seines Gesichts zeigte sich noch ein Anschein von Leben, doch war alles ­Leben aus ihm gewichen; und von der zerbrochenen Phiole in seiner Hand und dem durchdringenden Geruch nach Mandeln, der in der Luft lag, wusste Utterson, dass er auf den Körper eines Mannes herabsah, der sich selbst zerstört hatte.» Robert Louis Stevenson, The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1886), hier zitiert nach folgender Ausgabe: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Frankfurt/M.: S. Fischer 2010, S. 57 (Übersetzung: ­Michael Adrian). 14 Eine detaillierte physische Beschreibung Palmers in einer späteren Lebensphase bietet W. A. Macdonald, «George Herbert Palmer at 90», in: Boston Evening Transcript, 19. März 1932. Vgl. außerdem George Herbert Palmer, The Life of Alice Freeman Palmer, Boston: Houghton Mifflin 1908, und Ruth Bordin,

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Alice Freeman Palmer: The Evolution of a New Woman, Ann Arbor: University of Michigan Press 1993. Bordin verwirft Alice Freeman Palmers Engagement für das Frauenwahlrecht als oberflächlich (S. 6), aber die National Woman Suffrage Association zählte auf ihre Unterstützung und druckte eines ihrer ­Essays, «The Progress of Equal Suffrage», als Broschüre nach. NWSA, Handbook of the National Woman Suffrage Association, Washington, DC: Stormont and Jackson 1893, S. 60, S. 84. 15 George Herbert Palmer, Vorwort zu The Odyssee of Homer (1884; überarbeitete Ausgabe, Boston: Houghton Mifflin 1921), S. V. Dieses Vorwort wurde für die Ausgabe von 1891 verfasst. Palmer stellte James ein, aber James hielt Palmer für einen selbstgefälligen Pedanten, und Jane Addams empfand den reformerischen Stil von Alice Freeman Palmer als aristokratisch. Vgl. Louis Menand, The Metaphysical Club: A Story of Ideas in America, New York: Farrar, Straus and Giroux 2001, S. 358, S. 312–315. 16 «Die Leidenschaft, Gelehrte hervorzubringen, ist das, was den Lehrer ausmacht», meinte Palmer, «und immer und immer wieder kommt es vor, dass der große Gelehrte über keinerlei Leidenschaft dieser Art verfügt.» George Herbert Palmer, The Ideal Teacher, Boston: Houghton Mifflin 1910, S. 9. George Herbert Palmer, The Autobiography of a Philosopher, Boston: Houghton Mifflin 1930, S. 131–136; das Zitat findet sich auf S. 133. Und zu Dewey und diesem Prinzip vgl. Steven Fesmire, John Dewey and Moral Imagination: Pragmatism in Ethics, Bloomington: Indiana University Press 2003. Zu weiteren Informa­ tionen über Palmer vgl. die Erinnerungen seiner jüngeren Kollegen in George Herbert Palmer, 1842–1933: Memorial Addresses, Cambridge: Harvard University Press 1935. WMM, Try Living, S. 3. 17 Eine vollständige Mitschrift von Palmers Philosophie-A-Kurs im Herbst 1911 fertigte ein Kommilitone von WMM an, ein Bachelor-Student namens Arthur McGiffert. Arthur McGiffert, AB 1913, student notes, 1911–1913, Harvard University Archives, HUC 8911.400. Im Text zitierte Passagen sind mit folgenden Vorlesungstagen verbunden (Seitenangaben beziehen sich auf die Seiten in McGifferts Notizbuch): 10. Oktober 1911, S. 7; 14. Oktober 1911, S. 10; 9. November 1911, S. 33; 19. Dezember 1911, S. 67, S. 71. 18 «The Declaration of Sentiments» (1848), in: Elizabeth Cady Stanton, A History of Woman Suffrage, Rochester, NY: Fowler and Wells 1889, Bd. I, S. 70 f. Dt. Fassung in: Herbert Schambeck/Helmut Widder/Marcus Bergmann (Hg.), Doku­ mente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin: Duncker & Humblot 22007, S. 334–338 (Zitat: S. 336). 19 Paula Bartley, Emmeline Pankhurst, London: Routledge 2002, S. 98. 20 G. K. Chesterton, «The Modern Martyr», in: Illustrated London News, 8. Fe­ bruar 1908.

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21 John Reed, «The Harvard Renaissance», unveröffentlichtes Manuskript, John Reed Papers, Houghton Library, Harvard University, MS Am 1091: 1139, S. 57, S. 62–65; «Woman Suffrage Movement», in: Harvard Crimson, 2. November 1911; «Harvard Men’s League for Woman Suffrage», in: Harvard Crimson, 2. Dezember 1911; Harvard Men’s League for Woman Suffrage, Records, Harvard University Archives, HUD 3514.5000. Eine Mitgliederliste ist nicht erhalten. Vgl. außerdem Christine Stansell, American Moderns: Bohemian New York and the Creation of a New Century, New York: Metropolitan 2000, S. 229. Zur herausragenden Bedeutung der Wahlrechts-Debatte an den Universitäten während jener Jahre vgl. Barbara Miller Solomon, In the Company of Educated Women: A History of Women and Higher Education in America, New Haven, CT: Yale University Press 1985, S. 111 f. 22 «Mrs. Kelley on ‹Suffrage›», in: Harvard Crimson, 1. November 1911. Zu Kelley vgl. Kathryn Kish Sklar, Florence Kelley and the Nation’s Work: The Rise of Women’s Political Culture, 1830–1900, New Haven, CT: Yale University Press 1995. 23 «Woman Suffrage Movement», in: Harvard Crimson, 2. November 1911. 24 Reed, «Harvard Renaissance», S. 66. 25 «Is Harvard Afraid of Mrs. Pankhurst?», in: Detroit Free Press, 1. Dezember 1911; «Harvard and the Suffragettes«, in: Atlanta Constitution, 11. Dezember 1911; und das Editorial «Disorder at Harvard», in: New York Times, 5. Dezember 1911. Vgl. außerdem «Harvard Boys Will Hear Mrs. Pankhurst», in: San Francisco Chronicle, 1. Dezember 1911; «Harvard Is Split Over Mrs. Pankhurst», in: Atlanta Constitution, 1. Dezember 1911; und «Harvard Bars Suffragette», in: New York Times, 29. November 1911. «Muss unsere Universität zu dieser neueren Phase des Kampfes um politische Freiheit dieselbe blinde, reak­ tionäre Haltung einnehmen, an der sie bereits – zu ihrer Schande – während des Ringens um die Abschaffung der Sklaverei in Amerika durchgehend festhielt?», fragte der Harvard-Absolvent Oswald Garrison Villard in einem Brief, den er der Harvard Corporation schrieb. Villard war der Sohn von Fanny Garrison Villard, einer Mitgründerin der Woman’s Peace Party, und der Enkel des Sklaverei-Gegners William Lloyd Garrison. Er war außerdem der Verleger und Herausgeber der New York Evening Post. «A Graduate’s View of the Discussion over Mrs. Pankhurst», in: Harvard Crimson, 4. Dezember 1911, und «Villard Criticises Harvard», in: New York Times, 4. Dezember 1911. 26 «Harvard Split on Suffrage», in: New York Times, 30. November 1911. Vgl. außerdem «Harvard and Mrs. Pankhurst», in: Boston Daily Globe, 5. Dezember 1911. 27 «A Graduate’s View», in: Harvard Crimson, 4. Dezember 1911; «Villard Criticises Harvard», in: New York Times, 4. Dezember 1911; «Mrs. Pankhurst’s Lec-

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ture», in: Harvard Crimson, 6. Dezember 1911; «Students Fight to Hear Mrs. Pankhurst», in: New York Tribune, 7. Dezember 1911; und «Jeers for Mrs. Pankhurst», in: New York Times, 7. Dezember 1911. 28 «Crowd to Hear Her», in: Boston Daily Globe, 7. Dezember 1911. Vgl. außerdem «Growth of Woman Suffrage», in: Harvard Crimson, 7. Dezember 1911. 29 WMM, Try Living, S. 3. 30 Arthur McGiffert, AB 1913, student notes, 1911–1913, Philosophy A, undatiert, Prüfung zur Jahresmitte, S. 98. 31 WMM, Try Living, S. 3. Marston, der diesen Text 1937 schrieb, war bei der ­Rekapitulation seiner Noten, die er 1911 in Harvard erhielt, bemerkenswert genau. Im Philosophie-A-Kurs im Herbst 1911, «The History of Ancient Philosophy», den George Palmer leitete, erhielt er tatsächlich die Bestnote («A»). Er war einer von sehr wenigen Studenten, die in diesem schwierigen Kurs hervorragend abschnitten. Der Kursdurchschnitt scheint bei einer Drei minus («C-») gelegen zu haben. Final Return of Grades in 1911–1912, Philosophy A (Professor George Herbert Palmer), Faculty of Arts and Sciences, Final Return Records, 1848–1997, Harvard University Archives, UAIII 15.28, Box 85. Nach der Notenliste erhielt er im Kurs History I eine Zwei plus (B+; im Studienbuch ist eine Zwei [B] vermerkt). 32 «Introducing Wonder Woman», in: All-Star Comics, Dezember 1941/Januar 1942. «Dr. Poison», in: Sensation Comics Nr. 2, Februar 1942. Das Zitat in Klammern ist Wonder Woman entnommen, einem Zeitungsstrip vom August 1944.

2  DIE AMAZONISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG

1 EHM an das Mount Holyoke College Alumni Office, 26. Februar 1987. Mount Holyoke College Archives. EHM, «Tiddly Bits». 2 «Introducing Wonder Woman», in: All-Star Comics Nr. 8, Dezember 1941/ Januar 1942. Und «Wonder Woman Comes to America», in: Sensation Comics Nr. 1, Januar 1942. 3 «A Spy in the Office», in: Sensation Comics Nr. 3, März 1942. 4 Ein Exemplar von John Ruskin, Sesame and Lilies [1865], New York: A. L. Burt, o. J., versehen mit dem Eintrag «Sadie E. Holloway from her Mother, May 8, 1909», befindet sich im Besitz von MM. Das Zitat ist dem Kapitel «Of Queen’s Gardens» entnommen; hier wird nach folgender Ausgabe zitiert: John Ruskin, Sesam und Lilien, Leipzig: Eugen Diederichs 1900, S. 157 f. (Übersetzung: Hedwig Jahn). Viele Belege sprechen dafür, dass EHM am 8. Mai 1893 geboren wurde, obwohl sie selbst manchmal davon sprach, dass sie im Februar jenes Jahres geboren worden sei.

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5 «Amazonian Declaration of Independence», 4. Juli 1851, in einem Folder unter der Bezeichnung MHC Student Life, General, Political Activities Through 1930s, Mount Holyoke College Archives. Die «Declaration» erschien anschließend im Springfield Republican und im Boston Evening Transcript, 11. Juli 1851. Der Text beklagte unter anderem: «Sie werden uns nicht gestatten, für irgendeinen unserer bürgerlichen Herrscher zu stimmen, selbst wenn wir uns der Demütigung eines Versprechens unterwerfen sollten, für Männer zu stimmen, was unsere Selbstachtung und unsere unveräußerlichen ‹Frauenrechte› ganz gewiss nicht zulassen würden, bis wir mit unserer Regierungszeit über sie an der Reihe waren, und das ebenso lange, wie sie uns zuvor tyrannisiert haben.» Vgl. außerdem Arthur  C. Cole, A Hundred Years of Mount Holyoke College, New Haven, CT: Yale University Press 1940, S. 49–52. 6 Cynthia Eller, Gentlemen and Amazons: The Myth of Matriarchal Prehistory, 1861–1900, Berkeley: University of California Press 2011. 7 Elizabeth Cady Stanton, «The Matriarchate, or Mother-Age» (1891), nachgedruckt in: Ellen DuBois/Richard Candida Smith (Hg.), Elizabeth Cady Stanton, Feminist as Thinker: A Reader in Documents and Essays, New York: New York University Press 2007, S. 268. 8 Nancy F. Cott, The Grounding of Modern Feminism, New Haven, CT: Yale University Press 1987, S. 40 f., und Sara M. Evans, Born for Liberty: A History of Women in America, New York: Free Press 1989, S. 147. Die umfassendsten Darstellungen zur Ausbildung von Frauen in diesem Zeitraum bieten Helen Lefkowitz Horowitz, Alma Mater: Design and Experience in the Women’s Colleges from Their Nineteenth-Century Beginnings to the 1930s, 1984; Nachdruck: Amherst: University of Massachusetts Press 1993, sowie Solomon, In the Company of Educated Women. 9 Eintrag zu EHM in: The Llamarada 1916, South Hadley, MA: Mount Holyoke College, Published Yearly by the Junior Class, 1916, S. 51. Zum Thema Hockey: «Ich war kein Glanzlicht», bekannte sie. EHM, «Tiddly Bits». 10 Mary Woolleys 1906 vor der NWSA gehaltene Rede wurde unter der Überschrift «Miss Woolley on Woman’s Ballot» nachgedruckt in: Political Equality Series  2 (1909). Ein Exemplar der Abhandlung befindet sich in den Mount ­Holyoke College Archives. Vgl. außerdem Anne Carey Edmonds, A Memory Book: Mount Holyoke College, 1837–1987, South Hadley, MA: Mount Holyoke College 1988, S. 97. 11 Kathryn  M. Conway, «Woman Suffrage and the History of Rhetoric at the ­Seven Sisters Colleges, 1865–1919», in: Andrea A. Lunsford (Hg.), Reclaiming Rhetorica: Women in the Rhetorical Tradition, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press 1995, S. 219. 12 Der Vortrag im April 1913 wird erwähnt in den Lebourveau Papers, Mount

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Holyoke College Archives, Jeannette Bickford Bridges Papers, 1914–1986, Mount Holyoke College Archives, Box  1, Folder  2. «Equal Suffrage League ­Notes», in: Mount Holyoke 23 (Mai 1914), S. 606–608. Vgl. hierzu die Dokumente, einschließlich der Satzung der League, in den Mount Holyoke College Records, National College Equal Suffrage League, 1912–1919, Box 26, Folder 3. Das College-Vorlesungsverzeichnis für die Jahre 1914/15 enthält eine Liste von insgesamt 768  Studentinnen. Die Unterstützung für das Frauenwahlrecht nahm während Holloways Studienzeit in South Hadley zu. Davor hatte sie sich eher in Grenzen gehalten. Die Debating Society veranstaltete 1909 eine Diskussion zur Frage des Frauenwahlrechts; als abschließend über das Für und Wider abgestimmt wurde, kam es zu einem Patt, das durch die neu gewählte Präsidentin, die für das Wahlrecht votierte, aufgehoben werden musste. ­­Helen  W. King schrieb am 18. April 1909 an ihre Mutter: «In der Debating ­Society hatten wir gestern Abend eine inoffizielle Diskussion über das Frauen­ wahlrecht, dann stimmten wir darüber ab, wer dafür war und wer nicht, und heraus kam ein Gleichstand, bis die Präsidentin abstimmte, die der Befürwortung den Vorzug gab.» Helen W. King Papers, Mount Holyoke College Archives, Box 1, Folder 2. 13 Jeannette Marks, Life and Letters of Mary Emma Woolley, Washington, DC: Public Affairs Press 1955, S. 79. 14 Inez Haynes Gillmore, «Confessions of an Alien», in: Harper’s Bazaar, April 1912, S. 170. 15 Zitiert nach Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 14, S. 48. Cott stellt fest: «Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es ein Gemeinplatz, dass die Neue Frau für die Selbstentfaltung eintrat, im Gegensatz zur Selbstaufopferung oder zum Untertauchen in der Familie» (S. 39). Vgl. außerdem Evans, Born for L ­ iberty, S. 161 f. 16 EHM an JE, 16. November 1983, im Besitz von JE. 17 EHM an JE, 11. Januar 1972, im Besitz von JE. 18 EHM, «Tiddly Bits». 19 «The College Girl and Politics», in: New York Evening Post, 16. November 1912. 20 In ihrem Bericht zum 35. Mount-Holyoke-Jahrgangstreffen steht zwar, dass Griechisch und Psychologie ihre Abschlussfächer gewesen seien, aber ihrem Studienbuch kann ich nicht entnehmen, ob Griechisch für sie nun ein Hauptoder ein Nebenfach war; sie belegte allerdings mit Sicherheit eine Reihe von Griechischkursen. Sadie Elizabeth Holloway, Transcript, Office of the Regis­ trar, Mount Holyoke College, gemeinsam archiviert mit EHMs Akten aus der Zeit des Graduiertenstudiums in Radcliffe. «Der Lehrplan von Mount Holyoke verlangte einen Kurs in Chemie oder Physik», erinnerte sie sich. «Ich wusste,

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dass ich bei einer Entscheidung zugunsten der Chemie den ganzen Ort in die Luft jagen würde, also zog ich die Physik vor – wo ich nach der Aussage meiner Zimmergenossin den Gesetzen des Lernens zum Trotz, und weil ich den Hund des Professors mochte, die Prüfung bestand.» EHM, «Tiddly Bits». 21 Sappho, Memoir, Text, Selected Readings and a Literal Translation by H. T. Wharton, London 1885. Yopie Prins, Victorian Sappho, Princeton, NJ: Princeton Univer­sity Press 1999; zu Wharton vgl. S. 52–73. Vgl. außerdem Terry Castle, «Always the Bridesmaid», in: London Review of Books, 30. September 1999. Eine biografische Studie zu einer Romanze, die in dieser Ära auf einem CollegeCampus begann, bietet Lois  W. Banner, Intertwined Lives: Margaret Mead, Ruth Benedict, and Their Circle, New York: Knopf 2003. Mead und Benedict lernten sich 1922 in einem Anthropologie-Kurs am Barnard College kennen. 22 Lillian Faderman, Odd Girls and Twilight Lovers: A History of Lesbian Life in Twentieth-Century America, New York: Columbia University Press 1991, S. 13– 18, S. 32 f., S. 52–54, und Anna Mary Wells, Miss Marks and Miss Woolley, Boston: Houghton Mifflin 1978, S. 41, S. 56, S. 65 f., S. 134, S. 154. Vgl. außerdem Marks, Life and Letters of Mary Emma Woolley. 23 Wells, Miss Marks and Miss Woolley, S. 145. 24 Mount Holyoke College: The Seventy-fifth Anniversary, South Hadley, MA: Mount Holyoke College 1913, S. 176, S. 195 f. «Mount Holyoke College: The Festival Procession, October 8, 1912: A Record». Sammelalbum mit Fotografien. Die Feierlichkeiten fanden am 8. und 9. Oktober 1912 statt. 25 EHM, «Tiddly Bits». 26 EHM an Robert Kanigher, 4. Februar 1948, DC Comics Archives, New York. 27 EHM, «Tiddly Bits». 28 EHM an Gloria Steinem, Buchwidmung, Steinem Papers, Smith College. Holloway unterschrieb manchmal auch Briefe mit «Aphrodite with you». Ein Beispiel dafür ist: EHM an Jerry und Jean Bails, 28. April 1969, im Besitz von Jean Bails.

3  DR. PSYCHO

1 WMM, «The Search for the Holy Ghost», ca. 1914/15, im Besitz von BHRM. BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 3, S. 11 f. Die Parodie auf «The Raven» war, wie der Beitritt zur Harvard Men’s League for Woman Suffrage, ein weiteres Element, mit dem Marston während seiner Studienzeit in Harvard John Reeds Beispiel nachfolgte. «The Chicken», Reeds Parodie auf «The Raven», die während seiner Zeit in Harvard entstand, findet sich in den John Reed Papers, Houghton Library, Harvard University, MS Am 1091: 1280.

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2 William James, «The Hidden Self», in: Scribner’s Magazine, März 1890, S. 361– 373. 3 William James, The Principles of Psychology, 2  Bde., New York: Holt 1890, Bd. 2, S. 452. 4 Dr. Psycho hat seinen ersten Auftritt in «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943. 5 Zu James und Münsterberg vgl. Bruce Kuklick, The Rise of American Philosophy, Cambridge, Massachusetts, 1860–1930, New Haven, CT: Yale University Press 1977, S. 186–189, und zu Münsterberg vgl. S. 196–214. Vgl. außerdem Matthew Hale jr., Human Science and Social Order: Hugo Münsterberg and the Origins of Applied Psychology, Philadelphia: Temple University Press 1980. 6 William James an Hugo Münsterberg, 21. Februar 1892, in: Margaret Münsterberg, Hugo Münsterberg: His Life and Work, New York: D. Appleton 1922, S. 33. 7 Jutta Spillmann/Lothar Spillmann, «The Rise and Fall of Hugo Münsterberg», in: Journal of the History of the Behavioral Sciences 29 (1993), S. 325 f. 8 Münsterberg bestand darauf, dass das Gebäude mit der philosophischen ­Fakultät geteilt wurde (und nicht, wie andere vorschlugen, mit der Biologie oder Physik). Spillmann/Spillmann, «The Rise and Fall of Hugo Münsterberg», S. 327. 9 Hugo Münsterberg, «The Psychological Laboratory in Emerson Hall», in: Harvard Psychological Studies 2 (1906), S. 34–39. 10 Solomon, In the Company of Educated Women, S. 54 f. 11 Bordin, Alice Freeman Palmer, S. 160, S. 212–214. Helen Horowitz führte zu diesem Thema aus: «Die Schöpfer von Radcliffe College waren Meister der ­Unehrlichkeit. Sie entwickelten ein Mittel, Frauen eine Harvard-Ausbildung anzubieten, ohne dass es die Universität etwas kostete und ohne die unerwünschten Frauen ins männliche College-Leben einzubeziehen» (Alma Mater, S. 97 f.). 12 Gertrude Stein, «In a Psychological Laboratory», 19. Dezember 1894, Gertrude Stein Papers, Beinecke Library, Yale, Box 10, Folder 238, und zitiert in: Coventry Edwards-Pitt, «Sonnets of the Psyche: Gertrude Stein, the Harvard Psychological Lab, and Literary Modernism», Senior Thesis, History of Science Department, Harvard University 1998, S. 98. 13 Hugo Münsterberg, Die Amerikaner, 2 Bde., Berlin: Mittler 1904, Bd. 2, Das geistige und soziale Leben, S. 297, S. 283 f.; Münsterberg, zitiert bei Hale, Human Science and Social Order, S. 63. 14 Editorial, San Francisco Chronicle, 13. September 1913. 15 Hugo Münsterberg, Die Amerikaner, Bd. 2, Das geistige und soziale Leben, S. 280, S. 281; vgl. dort allgemein das 25. Kapitel, «Die Selbstbehauptung der Frau», S. 259–299.

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16 «Es ist das Ziel der experimentellen Psychologie, wie das jeder anderen Wissenschaft, exakt zu sein», sagte Langfeld seinen Studenten. Langfeld war der Koautor eines Lehrbuchs, das auf diesen Kurs zurückging: Herbert Sidney Langfeld/Floyd Henry Allport, An Elementary Laboratory Course in Psychology, Boston: Houghton Mifflin 1916, S. VII. 17 Marston hatte im zweiten Semester seines zweiten Studienjahrs bei Royce den Philosophy-B-Kurs belegt und war mit einer 2- (B-) bewertet worden (nach den Abschlussnoten, aber im Studienbuch ist eine 2 [B] verzeichnet). Der Kursdurchschnitt scheint jedoch bei einer 4 [D] gelegen zu haben. Final ­Return of Grades in 1911–1912, Philosophy B (Professor Josiah Royce). Faculty of Arts and Sciences, Final Return Records, 1848–1997, Harvard University Archives, UAIII 15.28, Box 85. Aber Joyce konnte im Frühjahr 1912 den Philosophie-BKurs in Wirklichkeit gar nicht unterrichtet haben, weil er am 1. Februar 1912 einen Schlaganfall erlitt. (Vgl. hierzu Josiah Royce an Frederick James Eugene Woodbridge, 15. März 1912, in: Josiah Royce, The Letters of Josiah Royce, he­ rausgegeben und mit einer Einleitung versehen von John Clendenning, ­Chicago: University of Chicago Press 1970, S. 563.) Obwohl er als Lehrender verzeichnet ist, übernahm jemand anderes den Kurs. Marston studierte allerdings im 3. Studienjahr bei Royce: 1913/14 belegte er zwei Semester lang den Kurs Philosophy 9: Metaphysics bei Royce und schloss jeweils mit einer Eins (A) ab. 18 Kuklick, Rise of American Philosophy, S. 242. 19 Was Royce im Seminarraum sagte, ist tatsächlich dem Wortlaut nach bekannt: Ein Student des Kurses Philosophy 9, Royce’ einjähriger Metaphysik-Veranstaltung, machte sich 1915/16 stenografische Notizen, die in jüngerer Zeit veröffentlicht wurden. Josiah Royce, Metaphysics: His Philosophy  9 Course of 1915–1916, as Stenographically Recorded by Ralph W. Brown and Complemented by Notes from Bryon F. Underwood, hg. von William Ernest Hocking, Buffalo: State University of New York 1998, S. 59. Royce’ Vorlesungen zur gesellschaftlichen Theorie der Wahrheit nehmen die S. 59 bis 90 ein. 20 Zum Veranstaltungsangebot des Department of Philosophy and Psychology vgl. das Vorlesungsverzeichnis der Universität. Zur Ausgangslage am Beginn seiner Forschungsarbeit hielt Marston in seiner Doktorarbeit fest: «Diese ­Arbeit berichtet über Forschungen des Autors zum Problem psycho-physiologischer Symptome von Täuschung, mit denen wir 1913 im Harvard Psychological Laboratory unter der Anleitung der Professoren Munsterberg und Langfeld begannen und die wir bis zum heutigen Tag praktisch ohne Unterbrechung fortgesetzt haben.» WMM, «Systolic Blood Pressure and Reaction Time Symptoms of Deception and Constituent Mental States», Dissertation, Harvard University, 1921, Harvard University Archives. Die Forschungsarbeit, die Mars-

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ton in seinem dritten Studienjahr unternahm, brachte ihm eine ehrenvolle ­Erwähnung durch das Bowdoin Prize Committee ein: «5  Bowdoin Prizes Awarded», in: Harvard Crimson, 20. Mai 1914. Marston veröffentlichte diese Forschungsergebnisse später auch: WWM, «Reaction-Time Symptoms of Deception», in: Journal of Experimental Psychology (1920), S. 72–87; er beschrieb diese Untersuchung als Bericht über Experimente, «die im Harvard Psychological Laboratory während des akademischen Jahres 1913–1914 vorgenommen wurden. Der Autor des vorliegenden Artikels begann zu jener Zeit auf Vorschlag und unter der Leitung von Professor Hugo Munsterberg mit Experimenten über das, was damals als eine Reihe von psycho-physiologischen Problemen auf dem Gebiet der Zeugenaussage in Rechtsangelegenheiten geplant war» (S. 72). 21 Zur Popularisierung von Wissenschaft in diesem Zeitraum vgl. Marcel C. LaFollette, Making Science Our Own: Public Images of Science, 1910–1955, Chicago: University of Chicago Press 1990. 22 Münsterberg bemerkte hierzu: «Es wurde gesagt, und möglicherweise trifft es zu, dass über den Haywood-Orchard-Prozess mehr Zeitungskommentare gedruckt worden sind als über jeden anderen Schwurgerichtsprozess in der ­Geschichte der Vereinigten Staaten.» Aus: Hugo Münsterberg, «Experiments with Harry Orchard», 1907, S. 2, Hugo Münsterberg Papers, Boston Public ­Library, Folder 2450. «Machines That Tell When Witnesses Lie», in: San Francisco Sunday Call, 1907. 23 Die beste Darstellung von Münsterbergs Rolle im Fall Orchard bietet Tal ­Golan, Laws of Men and Laws of Nature: The History of Scientific Expert Testimony in England and America, Cambridge, MA: Harvard University Press 2004, S. 232–235; dieses Zitat findet sich auf S. 232. Vgl. außerdem Michael Pettit, «The Testifying Subject: Reliability in Marketing, Science, and the Law at the End of the Age of Barnum», in: Marlis Schweitzer/Marina Moskowitz (Hg.), Testimonial Advertising in the American Marketplace: Emulation, Identity, Community, New York: Palgrave, Macmillan 2009, S. 51–78. 24 Clarence Darrow, «Darrow’s Speech in the Haywood Case», in: Wayland’s Monthly, Oktober 1907, S. 6, S. 31, S. 24; Arthur Weinberg (Hg.), Anwalt der Verdammten: Die bekannten Plädoyers von Clarence Darrow, Stuttgart: Goverts 1963, S. 47. 25 Ich vermute, dass es Wigmore war, der Münsterberg davon überzeugte, den Original-Essay, «Experiments with Harry Orchard», in der Schublade zu behalten. Münsterberg schrieb am 20. August 1907 aus Clifton an Wigmore: «Aufgrund des Freispruchs von Haywood habe ich meinen ganzen OrchardArtikel zurückgezogen, der bereits in mehreren Tausend Exemplaren gedruckt vorlag. (Dies im Vertrauen.) Ich habe ihn durch einen harmlosen Artikel in der

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September-Ausgabe von McClure ersetzt und habe in der Oktobernummer von McClure ein Papier unter dem Titel ‹The First Degree›, in dem einige ­Experimente an Orchard vorgestellt werden.» Hugo Münsterberg an JHW, 20. August 1907, Wigmore Papers, Northwestern University Archives, Box 92, Folder 16. 26 «Der Fortschritt der experimentellen Psychologie macht es zu einer absurden Widersinnigkeit, dass der Staat mit äußerster Energie das Ziel verfolgt, alle physischen Ereignisse aufzuklären, aber niemals den Psychologen auffordert, die Bedeutung des Faktors zu bestimmen, der äußerst einflussreich wird – des Verstandes des Zeugen.» Zitiert bei Golan, Laws of Men and Laws of Nature, S. 234. Zu Münsterbergs Befürchtungen, verklagt zu werden, vgl. S. 233. 27 JHW, A Treatise on the System of Evidence in Trials at Common Law, Boston: Little, Brown 1904/05. Der Treatise gilt in weiten Kreisen als «vollständigste und erschöpfendste Abhandlung über einen einzelnen Bereich unseres Rechtswesens, die jemals geschrieben wurde», hieß es in einer Rezension, die zitiert wird in: William L. Twining, Theories of Evidence: Bentham and Wigmore, Stanford, CA: Stanford University Press 1985, S. 111. Wigmore, in seiner Studienzeit einer der Mitgründer des Harvard Law Review, war ein Mann von derart erschöpfender Energie und Gelehrsamkeit, dass Louis Brandeis, selbst kein Mann, der vor Bücherstapeln zurückschreckte, ihn um Unterstützung bei der wissenschaftlichen Arbeit bat (vgl. Wigmores Erinnerungen, zitiert bei William R. Roalfe, John Henry Wigmore: Scholar and Reformer, Evanston, IL: Northwestern University Press 1977, S. 15). Wigmore war außerdem ein Feuerkopf. Nachdem Felix Frankfurter 1927 den Prozess gegen Sacco und Vanzetti kritisiert hatte, wütete Wigmore in einem Artikel gegen ihn, den Brandeis als «traurig & unangenehm» bezeichnete, was er in der Tat auch war. (Frankfurter erzählte gerne, Abbott Lawrence Lowell, damals Präsident von Harvard, habe bei der Lektüre von Wigmores Kritik an Frankfurter laut ausgerufen: «Wigmore ist ein Narr! Wigmore ist ein Narr!») Louis D. Brandeis an Felix Frankfurter, Washington, DC, 27. April 1927, in: Melvin I. Urofsky/David W. Levy (Hg.), Letters of Louis D. Brandeis, 5 Bde., Albany: State University of New York Press 1978, Bd. 5, S. 283, und Felix Frankfurter, Felix Frankfurter Reminisces, New York: Reynal 1960, S. 215, S. 217. 28 Diese Experimente wurden auch in den Vereinigten Staaten vorgenommen, und zwar nicht nur in Harvard. An der University of Kansas inszenierte ein Professor inmitten einer Psychologie-Veranstaltung einen Raubüberfall. Über dieses Experiment berichtete erstmals William A. M’Keever, «Psychology in Relation to Testimony», in: Kansas Bar Association Proceedings (1911), ein Auszug daraus findet sich in: JHW, The Principles of Judicial Proof, as Given by Logic, Psychology, and General Experience, Boston: Little, Brown 1913, S. 581–

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583. Münsterberg veranstaltete während seiner Vorlesungen routinemäßig Aussage-Experimente. «Im letzten Winter veranstaltete ich ganz nebenbei ein kleines Experiment mit den Studenten meines regulären Psychologie-Kurses in Harvard», erklärte er. «Mehrere Hundert junge Männer, die meisten davon 20 bis 23 Jahre alt, nahmen teil. Es war ein Test der ganz trivialen Art. Zu Beginn einer regulären Vorlesung bat ich sie ohne jede theoretische Einführung einfach darum, sorgfältig überlegte Antworten auf Fragen niederzuschreiben, die sie jetzt zu sehen oder zu hören bekommen würden.» Die deutschen Experimente waren von der eher seltsamen Art. Ein Professor arrangierte in ­einem Vorlesungssaal in Berlin eine hitzige Diskussion zwischen zwei seiner Studenten über ein Buch. Einer der beiden zog einen Revolver; der andere versuchte ihm die Waffe zu entreißen. Der Professor trat zwischen die Streitenden; der Revolver ging los. Eine andere Auseinandersetzung  – diesmal ­unter Beteiligung «eines Clowns in einem kunterbunten Kostüm» und «eines Negers mit einem Revolver» – wurde bei einer Tagung von Psychologen und Juristen in Göttingen gestellt. Nach einer jeden Szene dieser Art gingen die Experimentatoren dazwischen, offenbarten, dass der Auftritt inszeniert ge­ wesen sei, und baten die Augenzeugen, alles niederzuschreiben, was sie dabei wahrgenommen hätten. Hugo Münsterberg, On the Witness Stand: Essays on Psychology and Crime, New York: Doubleday, Page 1909, S. 20 f., S. 49–52. 29 JHW, «Professor Muensterberg and the Psychology of Testimony», in: Illinois Law Review 3 (1909), S. 399–445; das Zitat stammt von S. 401. Wigmores Rezension ist bizarr und bitter. Twining bezeichnet Wigmores Text über Münsterberg als «untypisch scharf» und als «wirkungsvolle Satire» (Theories of Evidence, S. 136). Ich bin mit beiden Einschätzungen nicht einverstanden. Twining zitiert die Meinung, dass «diese vernichtende Attacke ein aufkommendes Interesse an Zeugenaussagen unter amerikanischen Psychologen dämpfte, mit dem Ergebnis, dass jeder Fortschritt auf diesem Gebiet für die Dauer einer ganzen Generation verzögert wurde», und obwohl er selbst in ­Erwägung zieht, dass dies «möglicherweise eine Übertreibung» sei (Theories of Evidence, S. 136), glaube ich das nicht. 30 Münsterberg, zitiert bei Hale, Human Science and Social Order, S. 59, S. 61–63. 31 Spillmann/Spillmann, «The Rise and Fall of Hugo Münsterberg», S. 328, S. 332–334, vgl. außerdem Hale, Human Science and Social Order, S. 172–183; Hugo Münsterberg, American Traits from the Point of View of a German, Boston: Houghton Mifflin 1901; Hugo Münsterberg, Die Amerikaner, Berlin 1904.

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4  JACK KENNARD, FEIGLING

1 Großanzeige, Olympia Theatre, in: Cambridge Chronicle, 29. März 1913; Großanzeige, Scenic Temple, in: Cambridge Sentinel, 24. Februar 1912; Russell Merritt, «Nickelodeon Theaters, 1905–1914», in: Tino Balio (Hg.), The American Film Industry, Madison: University of Wisconsin Press 1976, S. 59–79. Merritt zeigt die dramatische Zunahme der Zahl von Kinotheatern in Boston in dieser Ära auf, von 31 Betrieben 1907 auf 41 im Jahr 1914. Dieser Wandel betraf auch die Außenbezirke der Stadt: «Der Bostoner Kinotheater-Bezirk, der 1910 noch auf zwei Hauptverkehrsstraßen in der Innenstadt beschränkt war, gewann bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erheblich an Boden dazu. Neue Kino­ theater nahmen praktisch in allen großen Wohnbezirken, die den Stadtkern umgeben, den Betrieb auf. Bis zum Jahresende 1913 waren Dorchester, Roxbury, Cambridge, Somerville, Newton, Belmont und Watertown allesamt dem steigenden Kinofieber erlegen und hatten den Bau von Kinotheatern an ihren Hauptstraßen gestattet» (Balio [Hg.], American Film Industry, S. 98 f.). Diese Ära brachte auch einen Statuszuwachs für Filme mit sich, von der billigen Unterhaltung für die Arbeiterklasse zum legitimen Ausflugsziel für die Mittelschicht: «Der Höhepunkt war am 23. November 1914 erreicht, als B. F. Keith bekanntgab, dass das Boston, das älteste, größte und renommierteste Schauspielhaus der Stadt, künftig zu einem Vollzeit-Kinotheater umgestaltet werde» (S. 100). 2 Den größten Teil der Erdarbeiten übernahmen irische Arbeiter mit Hilfe von Maultieren, die dabei so geschunden wurden, dass ihre Behandlung zum Anlass einer Untertage-Inspektion durch die Society for the Prevention of Cruelty to Animals wurde. «Mules in Cambridge Subway Never See Light of Day», undatierter Zeitungsausschnitt, evtl. aus dem Jahr 1911, in: Boston Elevated Railway Company Scrapbook, Cambridge Historical Commission. 3 «Third Rail Kills Terminal Employee», in: Boston Post, 11. März 1912. 4 «Open Subway to Cambridge», in: Boston Post, 23. März 1912; «Harvard and the Hub», in: Duluth Herald, 4. März 1911. 5 «Tremont Temple», in: Cambridge Sentinel, 27. April 1912. 6 «From One Prize Winner», in: Moving Picture World, 17. April 1915, S. 387. 7 Herbert Case Hoagland, How to Write a Photoplay, New York: Magazine Maker 1912. WMM erwähnte das Buch nicht, aber zwei andere 1912 erhältliche Bücher passen ebenfalls zu seiner Beschreibung: Epes W. Sargent, Technique of the Photoplay, New York: Motion Picture World 1913, und M. M. Katterjohn, How to Write and Market Moving Picture Plays: Being a Complete Mail Course in Picture Play Writing Prepared in the Form of a Book and Containing Twenty

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Complete Articles, Boonville, IN: Photoplay Enterprise Association 1912. Bei diesen beiden Titeln ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Cambridge verfügbar waren, geringer als bei Hoaglands Buch. 8 Hoagland, How to Write a Photoplay, S. 6, S. 10 f., S. 13 f., S. 44, S. 61, S. 63, S. 67, S. 75. WMM könnte sich über diesen Markt auch informiert haben, indem er Anfragen von Filmproduktionsgesellschaften im Photoplay Author las, der auch eine regelmäßige Kolumne unter der Überschrift «The Photoplay Market» enthielt. Vgl. hierzu beispielsweise die Kolumne vom Februar 1914, S. 61, in der die New York Motion Picture Company mitteilt: «Wir sind auf dem Markt für Two-Reeler- und One-Reeler-Geschichten tätig. Wir bevor­ zugen plausible, knappe, sehr dramatische Szenarien mit großen, sorgfältig ausgearbeiteten Themen mit Originalhandlung und sorgfältiger Charakterisierung. Alle Geschichten sollten einen gut entwickelten Liebes- oder Herzensangelegenheiten-Anteil haben. Den größten Bedarf haben wir bei den In­ dianer-Militär-Geschichten. Wir sind auch auf dem Markt für konventionell dramatische, Puritaner- und spanische Geschichten aktiv.» 9 «From One Prize Winner», in: Moving Picture World, 17. April 1915, S. 387. 10 WMM bewarb sich erstmals am 26. Mai 1913 um ein Stipendium. Die Akte enthält zwei Empfehlungsschreiben, eines, mit Datum vom 3. Juni 1913, stammt von Thomas Jenkins, dem Schulleiter der Malden High School, der feststellt, dass Marston robust und standhaft sei, und das andere, am 2. Juni 1913 verfasst, kam von Harry C. Adams, dem Pastor der First Congregational Church in Cliftondale: «Er ist der einzige Sohn der Familie, und dennoch ist mein Eindruck, dass er seinen Weg durchs College weitgehend selbstständig geht. Er ist ein Mitglied meiner Kirchengemeinde und ist, dessen bin ich mir gewiss, jeder Unterstützung wert, die ihm das College geben kann.» Marston nahm Professoren und Dekane ebenso mühelos für sich ein, wie ihm das bei seinem Schulleiter und seinem Pastor gelungen war. Vgl. hierzu zum Beispiel Marstons Korrespondenz mit B. S. Hurlbut, dem Dekan des Colleges. Vgl. WMM, Application for a Scholarship, 13. Mai 1913; WMM an B. S. Hurlbut, 12. Januar 1915, und B. S. Hurlbut an WMM («Dear Marston»), 18. Januar 1915; und WMM, Application for a Scholarship, Harvard College, 27. April 1914, alle enthalten in: WMM, Undergraduate File, Harvard University Archives, UAIII 15.88.10. In der Akte sind auch WMMs Adressen dokumentiert: Im zweiten Studienjahr lebte er in Weld Nr. 5, im dritten Jahr dann in der Dunster Street Nr. 64. 11 WMM, The Lie Detector Test, New York: Richard D. Smith 1938, Acknowledgments. 12 «Ich  (…) schrieb die in den Experimenten verwendeten Geschichten und schickte sie ihm per Post», schrieb EHM am 11. Januar 1973 an JE. Und ein

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weiteres Mal: «Ich war in Mount Holyoke und lieferte die beim Experiment verwendeten ‹wahren› Geschichten». EHM an JE, 16. November 1983, beide Briefe sind im Besitz von JE. Und vgl. EHM, autobiografische Erklärung, Mount Holyoke Alumni Office, eingesandt am 18. August 1986. 13 Marston ließ sich sein ganzes Leben lang von Frauen bei Arbeiten unterstützen, die er anschließend nur unter seinem Namen veröffentlichte. Das war nicht unüblich; die Freundinnen und Ehefrauen von Gelehrten, Wissenschaftlern und Schriftstellern halfen ihren Partnern ständig bei der Arbeit, in allen Belangen, vom Maschineschreiben über Recherchen bis zur redaktionellen Bearbeitung und Vorbereitung der Veröffentlichung. Lillian Moller Gilbreth, die 1915 an der Brown University im Fach Psychologie promovierte, übernahm nicht nur die redaktionelle Bearbeitung der meisten Bücher, die unter dem Namen ihres Ehemannes Frank Gilbreth veröffentlicht wurden, sondern, so scheint es, schrieb auch die meisten davon. Sie war außerdem die Mutter von zwölf Kindern. (Ihr Leben war später das Thema des Films Cheaper by the Dozen, der auf einem Erinnerungswerk beruhte, das zwei ihrer Kinder verfasst hatten.) Sie nutzte die Wochen nach einer Kindsgeburt, um an den Büchern ihres Mannes zu arbeiten. Nachdem sie 1911 den Sohn Frank jr. zur Welt gebracht hatte, lektorierte sie Motion Study und schrieb The Primer of Scientific Management. Beide Bücher werden ausschließlich mit dem Namen ihres Ehemannes verbunden. Lancaster, Making Time, S. 117, S. 164 f. Vgl. außerdem Lepore, The Mansion of Happiness: A History of Life and Death, New York: Knopf 2013, Kap. 6. 14 WMM, «Systolic Blood Pressure Symptoms of Deception», in: Journal of Experimental Psychology 2 (1917), S. 117–176. WMMs ehemaliger Professor Herbert Sidney Langfeld zitiert diese Arbeit in seinem Aufsatz «Psychophysical Symptoms of Deception», in: Journal of Abnormal Psychology 15 (1921), S. 319– 328. 15 «The Rubber Barons», in: Wonder Woman Nr. 4, April/Mai 1943. Eine andere Szene, in der Diana Prince einen Lügendetektor-Test vornimmt, ist «The Girl with the Gun», in: Sensation Comics Nr. 20, August 1943. 16 Hugo Münsterberg, «Why We Go to the Movies», in: Cosmopolitan, 15. Dezember 1915, S. 22–32, hier zitiert nach der ersten deutschsprachigen Ausgabe: Hugo Münsterberg, «Warum wir ins Kino gehen», in: ders., Das Lichtspiel: Eine psychologische Studie und andere Schriften zum Kino, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Jörg Schweinitz, Wien: Synema 1996, S. 107–114 (Zitat: S. 107). 17 Hugo Münsterberg, The Photoplay: A Psychological Study, New York: D. Appleton 1916, hier zitiert nach: ders., Das Lichtspiel, S. 40. 18 Münsterberg, Das Lichtspiel, S. 60, S. 65.

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19 «$ 100 Offered for ‹Movies› Scenario», in: Harvard Crimson, 21. Mai 1914. 20 «From One Prize Winner», in: Moving Picture World, 17. April 1915, S. 387. 21 «Colleges Fail in the Test», in: New York Dramatic Mirror, 24. Februar 1915, S. 25; Großanzeige, «The Prize Play of the Edison College Contest«, in: Moving Picture World, 1. Mai 1915, S. 693; «Scenario Prize Won by Senior», in: Harvard Crimson, 25. Februar 1915; und «Harvard Senior Wins Movie Prize», in: Boston Daily Globe, 25. Februar 1915. Vgl. außerdem Edwin  H. McCloskey, «Harvard Man Wins Edison Scenario Prize», in: Moving Picture World, 13. März 1915, S. 1641: «Es wird behauptet, dass dieses Lichtspiel, wenn es in die Kinos kommt, der berühmten Bildungseinrichtung in Cambridge einen so umfangreichen Tratsch und Klatsch einbringen wird, wie es ihn seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hat. Der Autor hat sein Collegestudium durch den Verkauf von Filmszenarien finanziert. Er behauptet, das preisgekrönte Stück befasse sich unmittelbar mit den Erlebnissen von Football-Stars, die derzeit noch am College sind. Er behauptet außerdem, das Stück sei so geschrieben worden, dass die aktuellen Studenten die Männer erkennen werden, gegen die sich die Spitzen richten.» McCloskey war der Korrespondent der Moving Picture World in Boston, aber es sieht so aus, als habe er seine Informationen nicht aus einem Interview mit Marston selbst, sondern aus der Geschichte über Marston bezogen, die im Boston Evening Record erschien; zumindest geht sein Text inhaltlich nicht über jenen hinaus. 22 «Exposes Harvard Gambling: Movie Scenario a Sizzler», in: Boston Evening Record, 26. Februar 1915. 23 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 3. Die Zeichnung erscheint als ­Illustration zu «A PBK Writes Comics», in: Key Reporter, Herbst 1942, S. 5. Dass WMM der Präsident seines Phi-Beta-Kappa-Ablegers war, wird erwähnt in: Herbert Langfeld an Robert Yerkes, 8. Oktober 1917, Folder mit der Bezeich­ nung «Ex Com: Committee on Psychology. Projects: Deception Test, 1917», National Research Council Papers, National Academy of Sciences. 24 «Exposes Harvard Gambling», in: Boston Evening Record, 26. Februar 1915. 25 «From One Prize Winner», in: Moving Picture World, 17. April 1915, S. 387. 26 Joe Bertagna, Crimson in Triumph: A Pictorial History of Harvard Athletics, 1852–1985, Lexington, MA: Stephen Greene Press 1986, S. 16 f. Percy Houghton war der Trainer des Football-Teams in den Jahren von 1908 bis 1916. Während Marstons Abschlussjahr gab es im Team niemanden mit einem Namen, der «Jack Kennard» besonders ähnlich war, allerdings kommen ihm Stan ­Pennock und Tack Hardwick nahe genug. Bei Hardwick scheint es jedoch unwahrscheinlich zu sein, dass er als Inspirationsquelle für WMMs Drehbuch diente. Zur Erinnerung an den dreifachen All-American-Auswahlspieler wurde später am Dillon Field House eine Gedenkplakette mit folgender Inschrift an-

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 69–71 gebracht: «Inspiring Leader, eager competitor, loyal sportsman». «Sock ‹Em› is Latest Football Cry», in: Harvard Crimson, 25. September 1950. John J. Reidy jr., «Twenty Years of Harvard-Yale … a Day for Harvard Greats», in: Harvard Crimson, 20. November 1937. WMM gefiel es, als High-School-Footballstar bekannt zu sein. In der Ankündigung seiner Hochzeit im September 1915 war über ihn zu lesen, er sei «ein Absolvent der Cliftondale High School, an der er sich auch sportlich betätigte, besonders im Football, bei dem er herausragte». Aus: Whitman (MA) Times, 15. September 1915, in: Clippings File, WMM, Quinquennial File, Harvard University Archives. Ich finde keinen Beleg dafür, dass WMM jemals für das Football-Team auflief oder mit der Mannschaft trainierte. Er taucht auf keiner Spielerliste auf; noch ist er unter den Namen aufgeführt, die für die Teilnahme an Spielen ein H erhalten werden, entsprechend dem auf den 4. Dezember 1912 datierten Protokoll des Committee on the Regulation of Athletic Sports, Athletic Committee Minutes, 1882–1951, Bd. 2, S. 785 f. Die einzige Kontroverse, auf die ich in diesen Protokollen stoße, betrifft Sorgen unter Lehrenden und Alumni wegen der Härte des Spiels auf dem Platz. Im Jahr 1913 gibt es eine Bemerkung über «Den Fall von A. Fleisher, ’15, einem Mitglied der zweiten Mannschaft [das heißt: der Junior Varsity], deren Eintrittskarten mit einem Aufschlag verkauft wurden», Protokoll vom 16. Dezember 1913, S. 815. Das Committee on the Regulation of Athletic Sports beschloss im Herbst von Mars­tons Abschlussjahr, den Mitgliedern aller Sportmannschaften das Schreiben namentlich gekennzeichneter Artikel «über ein Team, eine Bootscrew oder einen Mannschaftskader, denen sie angehören», zu untersagen; außerdem wurde festgehalten: «Die Frage der Ratsamkeit einer Bestimmung, die einem Mann die Teilnahme am Rudern und Footballspiel im gleichen Studienjahr ­untersagt, wurde erörtert, aber es wurden keine weiteren Maßnahmen ergriffen.» Protokoll vom 6. Oktober 1914, S. 843. Und: «Protestschreiben zur mutmaßlich unfairen Spielweise des Yale-Teams beim Footballspiel am 21. November wurden vom Vorsitzenden eingereicht, und das Thema wurde erörtert. Es wurden keine weiteren Maßnahmen ergriffen.» Protokoll vom 1. Dezember 1914, S. 847. WMM, March On! Facing Life with Courage, New York: Doubleday, Doran 1941, S. 36 f. Und: «Er spielte ein bisschen College-Football, aber interessierte sich mehr für Psychologie», schrieb Marstons Sohn Byrne später. BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 3. Großanzeige, «The Prize Play of the Edison College Contest«, in: Moving Picture World, 1. Mai 1915, S. 693; «Releases of the Week After», in: Motion Picture News, 1. Mai 1915; «CHARLES  M. SEAY. Current Edison Releases. JACK KENNARD, COWARD – May 5. AN INNOCENT THIEF – May 11. Address care

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SCREEN CLUB». Diese Kleinanzeige erschien am 12. Mai 1915 im New York Dramatic Mirror. Eine Beschreibung des Films war Ende April an die Verleihfirmen verschickt worden. «Eine Single-Reel-Geschichte aus dem Collegeleben, geschrieben von William Marston, dem Gewinner des Edison-College-Wett­ bewerbs, mit Julia Calhoun, Harry Beaumont, Olive Templeton und Marie La Manna in den Hauptrollen. Ein College-Student, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt, leiht sich Geld von einem mutmaßlichen Freund, der diese Schulden des Entleihers als Waffe benutzt, um dessen Verlobter weiszumachen, ihr Zukünftiger sei ein Feigling. Der beweist jedoch seine persönliche Tapferkeit auf dramatische Art und Weise, indem er eine junge Frau davor ­bewahrt, von einem U-Bahn-Zug überfahren zu werden, und die kurz unterbrochene wahre Liebe entwickelt sich ruhig weiter. Regie: Charles Seay.» ­«Licensed Films», in: New York Dramatic Mirror, 28. April 1915. Es gelang mir nicht, eine Kopie des Films ausfindig zu machen. 31 Ich fand Belege für Vorführungen des Films in Ohio, Missouri, Pennsylvania, Illinois und Massachusetts: Großanzeige, Royal Theatre, Mansfield (OH) News, 9. Juni 1915; Großanzeige Jefferson Theatre, Daily Democrat-Tribune, Jefferson City, MO, 19. Juni 1915; Großanzeige Walters Theatre, Star and Sentinel, Gettysburg, PA, 1. September 1915; «Movie Directory» (genannt wird hier das Harvard Photo Play House), Chicago Daily Tribune, 13. Mai 1915; und «Agreed», in: Moving Picture World, 11. September 1915, S. 1824. Bei Vorführungen in Cambridge selbst gehe ich davon aus, dass der Film dort zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung gezeigt wurde, im Mai; der Artikel «Agreed», erschienen am 11. September 1915, enthält als Illustration zwei Kinoprogramme von Durrell Hall, von denen eines «Jack Kennard, Coward» aufführt. Die Programme sind undatiert; der Text befasst sich mit der Typografie und dem Schriftbild von Kinoprogrammen. Die von E. B. Thomas, dem Besitzer von Durrell Hall, eingesandten Programme wurden der Redaktion von Moving Picture World mehrere Wochen vor Veröffentlichung des Textes zugesandt. 32 Rezension von «Jack Kennerd [sic], Coward», in: Moving Picture World, 22. Mai 1915, S. 1259. 33 «Drape Kaiser’s Gift: Harvard Students Commemorate the ‹Lusitania Massacre›», in: New York Times, 10. Mai 1915. 34 Josiah Royce an Lawrence Pearsall Jacks [Juni 1915?], in: Letters of Josiah Royce, S. 627 f. Zu den toten Harvard-Absolventen vgl. «War Exacts Death Toll», in: Harvard Crimson, 13. Dezember 1917, und Mark Antony DeWolfe Howe, Memoirs of the Harvard Dead in the War Against Germany, 5 Bde., Cambridge, MA: Harvard University Press 1920, Bd. 1, S. 33. 35 Edward Estlin Cummings, «The New Art. Commencement Part, 1915«, in: General Information About Harvard Commencement and Class Day, 1911–1920,

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 75–76 Harvard University Archives, Box  1, HUC  6911. «The Commencement Cele­ bration», in: Harvard Alumni Bulletin, 30. Juni 1915, S. 710–720, archiviert unter: General Information about Harvard Commencement and Class Day, 1911–1920, Harvard University Archives, Box 2, HUC 6911. Das Commencement-Programm Alvmos Conlegi Harvardiani Ornatissvmos, Concelebranda, Ad Sollemnia Academica, Cambridge, MA: Harvard University 1915, ist archiviert unter: General Information about Harvard Commencement and Class Day, 1911–1920, Harvard University Archives, Box 2, HUC 6911. Zur Verwendung des Lateinischen für die Zeugnisurkunden sowie zur Verwendung von Pergament aus Schafleder vgl. Mason Hammond, «Official Terms in Latin and English for Harvard College or University», in: Harvard Library Bulletin 35 (1988), S. 294. Zu diesem Zeitpunkt ordneten Marstons Studienberater ihn bereits der Gruppe ihrer Graduate Students zu. «All unsere Männer sind untergebracht, mit Ausnahme von Feingold und Kellogg», schrieb Langfeld an Yerkes. «Marston machte seinen Abschluss mit Magna cum laude», Herbert Langfeld an Robert Yerkes, 17. Juni 1915, Robert M. Yerkes Papers, Yale University Manuscripts and Archives, Box 30, Folder 565.

5  MR. UND MRS. MARSTON

1 William Ernst Hocking, ein Mitglied der Philosophischen Fakultät von Harvard, hielt bei der Abschlussfeier in Mount Holyoke die Festrede. Er sprach über die Philosophie und Psychologie der Macht. Wahre Macht ist ruhig, sagte er. Hockings Festrede ist abgedruckt in «Diplomas for 147  Seniors», ­einem Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1915 ohne Quellenangabe im Archiv des Mount Holyoke College. 2 «Vogue of Bobbed Hair», in: New York Times, 27. Juni 1920. 3 Ein Exemplar von Vachel Lindsay, The Congo and Other Poems, New York: Macmillan 1915, mit der Widmung: «May 8th, She’s Twenty-Two! Bill», befindet sich im Besitz von MM. «The Mysterious Cat» steht auf S. 38. 4 «The Sphinx Speaks of the Class of 1915, Mount Holyoke College: A Biographical History … for our Thirty-second Reunion, June 1947», South Hadley, MA: Mount Holyoke College 1947, nicht paginiert, und «The Riddle of the Sphinx in Your Living Room, 1915–1970», South Hadley: Mount Holyoke College 1970, S. 13. 5 The Llamarada 1915, South Hadley: Mount Holyoke College 1915, S. 174. 6 EHM an JE, 16. November 1983, im Besitz von JE. 7 Solomon, In the Company of Educated Women, S. 120. 8 Vgl. hierzu die Heiratsanzeige in der Whitman (MA) Times, 15. September

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1915, in: Clippings File, WMM, Quinquennial File, Harvard University Archives. 9 EHM an JE, 20. Januar 1974, im Besitz von JE. 10 EHM, «Tiddly Bits». EHM an Caroline Becker (Alumnae Office), 26. Februar 1987, EHM Alumnae File, Mount Holyoke College Archives. 11 «Mr. and Mrs. Marston are living at 12 Remington Street, Cambridge, Mass.», Harvard Bulletin, in: Clippings File, WMM, Quinquennial File, Harvard University Archives. Remington Street Nr. 12 war ein Gebäude, das den Namen Remington Gables trug; vgl. hierzu den Remington Street Folder, Cambridge Historical Commission: «In Remington Gables haben wir eine Suite, die aus Wohnzimmer, Esszimmer, Empfangsraum, zwei Schlafzimmern, Kochnische und Bad besteht, die Monatsmiete beträgt 37,50 Dollar.» Newhall und Blevins an Robert J. Melledge, 26. November 1911. Und: «Suite 102 – zur Weitervermietung frei ab dem 1. April für die restliche Vertragslaufzeit – 1. Okt. 1914 –, Monatsmiete 42,50  Dollar. Die Suite besteht aus Wohnzimmer, Esszimmer, zwei Schlafzimmern, Kochnische, Bad und Veranda.» Newhall und Blevins, Revised Renting List, Remington Gables, Cambridge, 13. April 1914. 12 Holloway, zitiert nach: Andrew  H. Malcolm, «Our Towns: She’s Behind the Match for That Man of Steel», in: New York Times, 18. Februar 1992. 13 First Report of the Class of Nineteen Hundred and Fifteen of Mount Holyoke College, South Hadley, MA: Mount Holyoke College 1916, nicht paginiert. Ein ­Exemplar von Fannie Merritt Farmer, Boston Cooking-School Cook Book, überarbeitete Neuausgabe, Boston: Little, Brown 1918, mit einer Widmung von WMMs Mutter, befindet sich im Besitz von MM. 14 Solomon, In the Company of Educated Women, S. 51. EHM an JE, 19. April 1974, im Besitz von JE. 15 WMM, Try Living, S. 8. 16 WMM, Studienbuch, Harvard Law School, Jahrgang 1918, Harvard Law School Registrar: Student Permanent Record Cards, 1893–1972, Harvard University Archives, Registriernummer 14258. Mitglieder des Lehrkörpers sind im Studienbuch nicht verzeichnet, aber ich habe das Vorlesungsverzeichnis der Law School zu Rate gezogen. Zu Thayer und Wigmore vgl. Twining, Theo­ ries of Evidence, S. 7–9. James Bradley Thayer, Select Cases on Evidence at Common Law, Cambridge, MA: C. W. Sever 1892. 17 Theodore Roosevelt sagte, Wilsons Wahlkampfslogan «Er hielt uns aus dem Krieg heraus» («He kept us out of war») sei ein «unehrenhaftes Sich-Drücken vor der Verantwortung» («ignoble shirking of responsibility»). Wilson hielt dagegen. «Ich bin Amerikaner, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns eine Nation liebt, die Drohungen ausstößt», sagte er in einer Wahlkampfrede. «Wir lieben diesen ruhigen, ehrenhaften, unüberwindlichen Geist, der

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erst zuschlägt, wenn es notwendig ist, zuzuschlagen, und dann zuschlägt, um zu siegen.» Zitiert nach A. Scott Berg, Wilson, New York: Putnam’s 2013, S. 412, S. 404 f. 18 Ebenda, S. 417. John Milton Cooper (Hg.), Reconsidering Woodrow Wilson: Progressivism, Internationalism, War, and Peace, Baltimore: Johns Hopkins University Press 2008, S. 126. 19 A. Lawrence Lowell an Alfred C. Lane, 2. November 1916, Harvard University Archives, HUA 734.26. 20 Münsterbergs Adresse wird im Beitrag «Cosmopolitan Clubs to Convene During Recess», in: Harvard Crimson, 22. Dezember 1915, mit Ware Street Nr. 7 angegeben. Dass es sich um den Kurs Elementary Psychology handelte, wird berichtet in: «H. Munsterberg, Psychologist, Is Fatally Stricken», in: San Francisco Chronicle, 17. Dezember 1916. Vgl. außerdem «Munsterberg Dead», in: Washington Post, 17. Dezember 1916. Dass Münsterberg in den letzten Jahren seiner Laufbahn vor allem als Popularisierer wahrgenommen worden war, lässt sich gut an den zahlreichen hin- und hergerissenen Würdigungen der folgenden Art ablesen: «In der heutigen Zeit, in der unsere Zeitschriften voller ignoranter Darstellungen von Freud und Jung sind und jeder Schwätzer über den ‹Sex-Komplex› und die Traumdeutung plappert, tut man gut daran, sich zu erinnern, dass Professor Münsterberg niemals zu den Personen gehörte, die nur die lüsterne Neugier oder die vulgäre Liebe zu Wundern bedienten» («Hugo Munsterberg», in: New York Tribune, 17. Dezember 1916). 21 Splash Page (Eröffnungsbild), in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943, vierte und letzte Geschichte («The Return of Dr. Psycho»).

6  DAS EXPERIMENTELLE LEBEN

1 Zur Suffragetten-Bewegung während Wilsons Präsidentschaft vgl. Christine A. Lunardini, From Equal Suffrage to Equal Rights: Alice Paul and the National Woman’s Party, 1910–1928, New York: New York University Press 1986. 2 Berg, Wilson, S. 438. Vgl. außerdem Jill Lepore, «The Tug of War: Woodrow Wilson and the Power of the Presidency», in: New Yorker, 9. September 2013. 3 Die beste Darstellung bietet Lunardini, From Equal Suffrage to Equal Rights, Kap. 7. Aber vgl. außerdem Catherine J. Lanctot, «‹We Are at War and You Should Not Bother the President›: The Suffrage Pickets and Freedom of Speech During World War I», Villanova University School of Law Working Paper ­Series, 2008, Paper 116. 4 Eine Mitgliederliste dieser Gruppe findet sich in einem Besucher-Tagebuch,

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das im Psychological Laboratory geführt wurde: Experimental Group, 5.– 7. April 1917, «Visitors to the Psychological Laboratory» (S. 11–12), Department of Psychology, Harvard University Archives, UA V 714.392. 5 Robert  M. Yerkes, «Psychology in Relation to the War», in: Psychological ­Review 25 (1918), S. 85–115; Zitat auf S. 94. Vgl. außerdem Robert M. Yerkes (Hg.), The New World of Science: Its Development During the War, New York: Century 1920, S. 354. 6 WWM, Class Note, Harvard College Class of 1915: Decennial Report, Cambridge: Printed for the Class of 1915, 1926, S. 178 f. 7 WMM, Draft Card, Cambridge, Massachusetts, 5. Juni 1917, World War I Draft Registration Cards, 1917–1918, Provo, UT: Ancestry.com 2005. Nach WMMs Studienbuch an der Harvard Law School war sein letzter Anwesenheitstag dort während des akademischen Jahrs 1916/17 der 21. Juni. 8 «Besteht eine Chance, als Chief Examiner in den regulären Armeedienst aufgenommen zu werden, wie die Mediziner, oder ist die einzige Gelegenheit, die offensteht, falls die Arbeit erweitert wird, ein ziviler Posten als Assistant Examiner?«, und: «Gibt es eine Gelegenheit oder einen Bedarf für Forschungs­ arbeit – wie die von Mr. Troland usw. –, die im Harvard Lab. erledigt werden kann?» WMM an Robert Yerkes, 11. September 1917, National Research Council Papers, National Academy of Medicine. 9 WMM an Yerkes, 20. September 1917, NRC Papers. 10 E. L. Thorndike an Yerkes, Oktober 1917 (mit dem Briefkopf des National Research Council), NRC Papers. 11 Herbert Langfeld an Robert Yerkes, 8. Oktober 1917 (mit dem Briefkopf des Harvard Psychological Laboratory), NRC Papers. 12 WMM an Yerkes, aus Cambridge, 9. Oktober 1917, mit einer 12-seitigen ­maschinenschriftlichen Anlage, einem «Report on Deception Tests», NRC Papers. 13 Minutes of the Meeting of the Psychology Committee, National Research Council, 13. Oktober 1917, NRC Papers. WMM berichtete: «Im Oktober 1917 wurden auf Wunsch des Psychologie-Ausschusses des Nationalen Forschungsrats im Harvard Laboratory Tests dieser Art [des systolischen Blutdrucks] in der Absicht vorgenommen, ihren Wert für die Arbeit der Regierung während des Krieges zu ermitteln.» WMM, «Psychological Possibilities in the Deception Tests», in: Journal of Criminal Law and Criminology 11 (1921), S. 552 f. Er zitiert den Bericht in den Dokumenten des Psychologie-Ausschusses unter dem Datum des 13. November 1917. «Diese Gelegenheit für eine praktische Erprobung dieser Tests wurde ermöglicht durch die liberale und praktische Haltung des Gerichts und die tatkräftigen Bemühungen von Major Robert M. Yerkes und Dr. [James R.] Angell vom Nationalen Forschungsrat», bedankte sich

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 85–88 WMM später (WMM, «Psychological Possibilities in the Deception Tests»,

S. 554). Robert  M. Yerkes, «Report of the Psychological Committee of the Natio­nal Research Council», in: Psychological Review 26 (1919), S. 85, S. 134. 14 Telegramm von WMM, Harold  E. Burtt und Leonard  T. Troland an Yerkes, 13. November 1917; und WMM an Yerkes, 13. November 1917, ein acht Seiten umfassender Brief, unterzeichnet von Harold E. Burtt und Leonard T. Troland nach einem PS mit dem folgenden Wortlaut: «Das Obengenannte ist eine korrekte Darstellung von Marstons Täuschungstests, an denen wir beteiligt waren», NRC Papers. 15 Yerkes, «Report of the Psychology Committee», S. 134. 16 Herbert Langfeld an Robert Yerkes, 16. Oktober 1917, Robert M. Yerkes Papers, Yale University Manuscripts and Archives, Box 30, Folder 565, und WMM, «Psychological Possibilities in the Deception Tests», S. 556, S. 566. Wie die Studie zu ihrer Autorisierung kam, lässt sich feststellen anhand von: Yerkes an WMM, 1. Dezember 1917, und WMM an Yerkes, 4. Dezember 1917, NRC Papers. 17 «Demand Release of Pickets», in: New York Times, 9. November 1917, und «Suffragists Will Use Ballots to Resent Jailing of Pickets», in: New York Tribune, 12. November 1917. 18 WMM an Yerkes, 12. Dezember 1917, NRC Papers; Yerkes an Mr. A. Bruce Bielaski, Chief of Bureau of Investigation, Dept. of Justice, 15. Januar 1918, und Bielaski an Yerkes, 23. Februar 1918, NRC Papers. Dass Hoover bei dieser Besprechung anwesend war, entspricht auch der Erinnerung von WMM in: WMM an Albert L. Barrows, Executive Secretary des NRC , 29. Juli 1935, NRC Papers. Yerkes an Major Nicholas Biddle, 18. Dezember 1917; WMM an Yerkes, 19. Dezember 1917, NRC Papers. 19 WMM, «Systolic Blood Pressure and Reaction Time Symptoms of Deception and Constituent Mental States», S. 134–139; WMM an Yerkes, 21. Januar 1918, und WMM an Yerkes, 23. Februar 1918, NRC Papers. Die Untersuchung ließ seine Begeisterung für das Rechtswesen wieder aufleben. «Während der Arbeit an Täuschungs-Testverfahren in Strafrechts- und Spionagefällen entwickelte ich ein ernsthaftes Interesse am Recht», schrieb er später. WMM, Try Living, S. 8 f. 20 Yerkes, «Report of the Psychology Committee», S. 135; Yerkes an WMM, 5. März 1918, NRC Papers; Yerkes an Dekan Roscoe Pond, 2. April 1918, und Pond an Yerkes, 5. April 1918, NRC Papers. Marstons Leistung war «mangelhaft in einem Kurs des zweiten Studienjahres». 21 «Passed Bar Examinations», in: Cambridge Chronicle, 3. August 1918. EHM, «Tiddly Bits». 22 «October  22, 1918. Commissioned as a second lieutenant in the U. S. Army,

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S­ anitary Corps; assigned to Psychological Division and stationed at Fort Oglethorpe, GA; transferred to Camp Upton, NY; to Camp Lee, VA; discharged May 9, 1919», U. S. Adjutant General Military Records, 1631–1976, Provo, UT: Ancestry.com, 2011. Das weicht von Marstons eigener Darstellung ab: Er sagt, er habe sich im dritten Studienjahr von der Juristischen Fakultät beurlauben lassen. 23 EHM, «Tiddly Bits». 24 «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943. 25 WMM, «Psychological Possibilities in the Deception Tests», S. 567. 26 «Möglicherweise ist ein ausreichender psychologischer Hintergrund vorhanden, um einen Experten für Täuschung vor Gericht zu qualifizieren», lautete seine Schlussfolgerung. Ebenda, S. 567–570. 27 Yerkes, «Report of the Psychology Committee», S. 135 f. 28 Es gelang mir nicht, Briefe aus der Korrespondenz zwischen WMM und JHW in den Jahren 1919 und 1920 ausfindig zu machen, aber die späteren Briefe machen deutlich, dass ihr Beginn ungefähr in jenen Zeitraum fiel. Marston schickte JHW am 15. März 1921 einen Nachdruck des Artikels, «der auf Ihren Vorschlag hin für das Journal of Criminal Law and Criminology geschrieben wurde». WMM an JHW, 15. März 1921, Wigmore Papers, Northwestern University Archives, Box 90, Folder 12. 29 Wonder Woman-Zeitungsstrip, 11. Juni 1945.

7  MASCHINE ENTDECKT LÜGNER, SCHNAPPT GAUNER

1 United States of America, Bureau of the Census, Twelfth Census of the United States, 1900, Washington, DC: National Archives and Records Administration 1900, Atlanta Ward 7, Fulton, Georgia; Roll: 200; Page: 11A; Enumeration District: 0083; FHL Microfilm: 1240200, abrufbar unter Ancestry.com, 1900 United States Federal Census, Provo, UT: Ancestry.com, 2004. 2 «A Glimpse in Advance of a Section of the Suffrage Parade», in: Chicago ­Herald, 18. Mai 1916. Ein herzlicher Dank geht an Allison Lange für diesen Ausschnitt und andere Hinweise. Vgl. außerdem Allison Lange, «Images of Change: Picturing Women’s Rights from American Independence through the Nineteenth Amendment», Diss., Brandeis University, 2014. 3 EHM an JE, 11. Januar 1973, im Besitz von JE. 4 «Mole Men of the Underworld», in: Wonder Woman Nr. 4, April/Mai 1943. 5 Kurzdarstellungen von Wilkes’ Lebenslauf finden sich in: Donald W. Swinton, «Clinton Woman, 92, Believes It’s Never Too Late to Vote», in: Clinton Daily Item, undatierter Zeitungsausschnitt, 1981 (im Besitz von BHRM), und in:

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Mary Frain, «93 Years Old; She’s Lived Every Day of Life», in: Clinton Daily Item, 15. Oktober 1982, S. 183. Meine Beschreibung von MWH stützt sich außerdem stark auf BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 6 Sue Grupposo, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 7 EHM, «Tiddly Bits». 8 MWH an JE, 14. Juni 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. 9 WMM, Graduate Record Card, Harvard University, Graduate School of Arts and Sciences, Harvard University Archives, HAIH63 UA1161.272.5. EHM, Graduate Record Card, Harvard University Graduate School of Arts and ­Sciences, Schlesinger Library, Radcliffe. 10 Als Geburts- und Todesdatum Fredericka Marstons wird in EHMs Eintrag für das One Hundred Year Directory des Mount Holyoke College (1936, Mount ­Holyoke College Archives) der 7. Januar 1920 angegeben. 11 Sie sind auf einer Schiffspassagierliste als Reisende ab Hamilton, Bermuda, mit dem Ankunftsdatum 9. August 1920 in New York verzeichnet, Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1820–1897 (National Archives ­Microfilm Publication M237, 675 Rolls); Records of the U. S. Customs Service, Record Group 36; National Archives, Washington, DC, abrufbar über Ancestry.­ com, Passenger Lists, 1820–1957, Provo, UT: Ancestry.com, 2010. 12 Evans, Born for Liberty, S. 187. 13 Zitiert bei Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 194. 14 EHM, Graduate Record Card, Harvard University Graduate School of Arts and Sciences, Schlesinger Library, Radcliffe. EHM belegte 1920/21 zwei Semester mit Psychologie 20a und ein Semester mit 20b. WMM belegte die gleichen drei Kurse (zwei Semester mit Psych 20a und eines mit 20b) und außerdem ­einen weiteren Psychologie-Laborkurs. 15 EHM an Jack Liebowitz, 5. Januar 1948, DC Comics Archives. 16 EHM, «Tiddly Bits». 17 Es trifft zu, dass Holloway im Deutschen nicht sehr bewandert war; in Mount Holyoke lernte sie die Sprache zwei Semester lang und wurde dabei mit D und D+ benotet. EHM, Studienbuch, Office of the Registrar, Mount Holyoke College. 18 Solomon, In the Company of Educated Women, S. 127, S. 131. 19 EHM, Autobiografische Erklärung, eingereicht beim Mount Holyoke College Alumni Office, 18. August 1986; EHM, «Tiddly Bits». 20 EHM, «Tiddly Bits». 21 «New Mass. Corporations», in: Cambridge Chronicle, 27. März 1920. WMM wird aufgeführt als Gründer der Tait-Marston Engineering Company in Boston, Gießerei und Maschinenfabrik. Als Büroanschrift wird 60 State Street, Boston, in einer Großanzeige angegeben, in: American Machinist 52 (24. Juni

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1920), S. 328. Das Unternehmen wurde 1924 liquidiert, nach: Acts and Resolves of the General Court [Massachusetts], 1924. 22 «New Incorporations», in: New York Times, 17. März 1920. 23 Forte ist auf einer Fotografie in einem der Familien-Fotoalben der Familie Mars­ton zu sehen. Auf diesem Bild hilft er Marston bei Tests, die auf der ­Veranda eines Hauses in der Lowell Street vorgenommen werden. Zu Fischer vgl. das Harvard Alumni Bulletin, Bd. 22 (29. April 1929), S. 719; Boston Legal Aid Society, The Work of the Boston Legal Aid Society: A Study of the Period Jan. 1, 1921 to June 30, 1922, Boston 1922, S. 28: Die Kanzlei Marston, Forte & Fischer spendete der Organisation 50 Dollar. 24 WMM, Class Note, Harvard College Class of 1915: Decennial Report, S. 178 f. 25 «Machine Detects Liars, Traps Crooks», in: Philadelphia Inquirer, 14. Mai 1921. Das PR-Material wurde auch von Fachzeitschriften aufgegriffen, vgl. hierzu zum Beispiel: «This Machine Detects Liars», in: Science and Invention 9 (1921), S. 618. 26 WMM, Class Note, Harvard College Class of 1915: Decennial Report, S. 178 f.

8  STUDIEN ZU ZEUGENAUSSAGEN

1 Das Experiment wird beschrieben in: WMM, «Studies in Testimony», in: Journal of Criminal Law and Criminology 15 (Mai 1924), S. 5–31. 2 American University: Announcement for 1922–1923, Graduate School of Arts and Sciences, Washington, DC: American University 1922, S. 12 f. Dieses Veranstaltungsverzeichnis beschreibt Kurse, die im akademischen Jahr 1922/23 angeboten wurden. WMM hatte seine Unterrichtstätigkeit an der American University jedoch bereits während des vorhergehenden akademischen Jahres aufgenommen, auch wenn seine Kurse damals noch nicht im Veranstaltungsverzeichnis aufgeführt wurden; er war offensichtlich ein später Neuzugang im Lehrkörper. In einem auf den 30. März 1922 datierten Brief bezeichnet er die Experimente als «soeben abgeschlossen» (WMM an JHW, Wigmore Papers, Northwestern University Archives, Box 90, Folder 12). Das Wintertrimester begann im akademischen Jahr 1921/22 am 2. Januar 1922 und endete am 18. März 1922. Das Frühjahrstrimester begann am 20. März und endete am 3. Juni. Zu den Kalenderdaten vgl. American University: Announcement for 1921–1922, Graduate School of Arts and Sciences, Washington, DC: American University 1921, S. 2. 3 WMM, «Studies in Testimony», S. 9. 4 WMM schrieb an Wigmore, dass der Kurs «in einem erheblichen Umfang auf Ihren ‹Principles of Judicial Proof› beruht» (WMM an JHW, 30. März 1922).

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 101–102 Wigmore hatte, seinem Angriff auf Münsterberg zum Trotz, ein ausgeprägtes Interesse an der Anwendung psychologischer Forschung auf die Frage der Beweisführung: Er hoffte, eine Wissenschaft der Beweisführung begründen zu können. The Principles of Judicial Proof ist ein Kompendium, das aus Fallstudien besteht, die nicht nur den Gerichtsakten, sondern auch den Annalen der Literatur entnommen sind. JHW, Principles of Judicial Proof, S. 168 f., S. 502 f. Wigmore bezog sich vor allem auf die Psychologie. Bei seiner Erklärung, was den Nachweis der Identität ausmacht, zitierte er beispielsweise William James’ Principles of Psychology; bei der Frage der Wahrnehmung stützte er sich auf Josiah Royce’ Outlines of Psychology. Es spricht einiges dafür, dass es zwischen Wigmore und Münsterberg in der Zeit vor dem Tod des Letzteren zu einer gewissen Wiederannäherung kam. Wigmore bat Münsterberg 1913 um die Erlaubnis zur Benutzung eines gewissen Teils seiner Arbeit für The Principles of Judicial Proof. Als Münsterberg ihm diese Erlaubnis gab, schrieb Wigmore zurück: «Herzlichen Dank für Ihre freundliche Einwilligung zu meiner Benutzung der Passage aus Ihrem Buch. Sie müssen nicht befürchten, dass ich versuchen könnte, die Gelegenheit zur Fortsetzung der sarkastischen Kontroverse zu nutzen, die jetzt drei Jahre zurückliegt. Mir ist sehr daran gelegen, Ihre Auffassung in diesem Buch den Studenten der Rechtswissenschaft umfassend darzulegen, daher rührt der Wunsch nach einem Zitat aus Ihrem Buch. Ich werde lediglich ein paar ernsthafte ­Bemerkungen über die andere Seite der Frage hinzufügen.» JHW an Hugo Münsterberg, 3. Januar 1913, Wigmore Papers, Box 92, Folder 16. JHW, Principles of Judicial Proof, S. 583–591. WMM war der Ansicht, durch die bei früheren Experimenten gespielten Szenen, bei denen mit Täuschungen und «mit Blut (oder Farbe) beschmierten Schauspielern, Schreien und Gestikulieren» gearbeitet wurde, seien die Ergebnisse verzerrt worden. Deshalb konzipierte er stattdessen eine Szene von äußerster Alltäglichkeit, einen Vorfall «von solcher Art, dass keiner der 18 Zeugen vermutete, etwas Ungewöhnliches habe sich ereignet, bis der Experimentator sie entsprechend unterrichtete.» WMM, «Studies in Testimony», S. 7 f. Wigmore hatte eine Modifikation des Konzepts für das Standardexperiment vorgeschlagen: «(…) eine Jury (oder einen Faktenprüfer) in das Experiment aufnehmen und beobachten, ob die Tatsachenfeststellungen den Aussage-Irrtümern folgen oder ob es ihnen gelingt, diese zu vermeiden und die tatsäch­ lichen Fakten zu erfassen.» Wigmore berichtet über die Expe­rimente an der Northwestern University Law School in seinen Principles of J­ udicial Proof, S. 585–591. WMM an JWH, 30. März 1922. Mississippi sollte der letzte Bundesstaat sein, der das Verbot der Verpflich-

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tung weiblicher Geschworener aufhob; zu dieser Gesetzesänderung kam es erst 1968. Holly J. McCammon, The U. S. Women’s Jury Movements and Strategic Adaptations, Cambridge: Cambridge University Press 2012; meine Zählung bezieht sich auf die Tabelle 3.1 auf S. 38. Zur Zeitspanne vom Beginn des Aktivismus von Frauen zu diesem Thema bis zum Erfolg vgl. Tabelle 3.2 auf S. 51. 10 EHM, «Tiddly Bits». 11 WMM an JHW, 30. März 1922, und JHW an WMM, 11. Mai 1922. WMM, «Studies in Testimony», S. 16 f. 12 WMM, March On!, S. 235. 13 «President of the National Benefit Life Insurance Company Cowardly Murdered», in: Philadelphia Tribune, 4. Dezember 1920; «Offer $ 1,000 Reward for Doctor’s Slayer», in: Chicago Defender, 18. Dezember 1920. 14 Eine nützliche Darstellung der Verhaftung und der Verhöre und eine verlässliche Zusammenfassung des Geständnisses bietet: «Mystery Finally Solved as How Prominent Physician Was Murdered Last Year», in: Washington Tribune, 27. August 1921. 15 James A. Frye, Statement Made to Inspector Clifford I. Grant, 22. August 1921. Eine Kopie ist archiviert mit den Dokumenten zu Curtis v. Francis, National Archives, RG 21, Equity 40432, Box 3060, 16W3/06/27/03. 16 Lokale Berichterstattung: «Negro Held in Charge of Slaying Physician», in: Washington Bee, 27. August 1921. Nationale Berichterstattung: «Dr. Brown’s Slayer in Law’s Grip», in: Chicago Defender, 3. September 1921. 17 United States v. Bowie, Frye et al., National Archives, RG 21, Criminal #38380, Box 316, 16W3/08/21/06. Bowie wurde außerdem in einem weiteren Verfahren wegen Einbruchs und Diebstahls angeklagt und schuldig gesprochen. United States v. William N. Bowie, 1921, National Archives, RG 21, Criminal #38310, Box 316, 16W3/08/21/06. 18 Lester Wood, Student Record, 8. Oktober 1921, Registrar’s Office, American University. 19 «William N. Bowie and James Frye Convicted», in: Washington Tribune, 12. November 1921. Wood beantragte auch ein davon abgetrenntes Verfahren für ­Bowie, der außerdem, gemeinsam mit Benjamin Grice, wegen Einbruchs und Diebstahls angeklagt wurde. United States v. William N. Bowie, 1921, Antrag auf ein neues Verfahren, eingereicht von Lester Wood, dem Anwalt des Angeklagten, 6. Januar 1922, National Archives, RG 21, Criminal #38310, Box 316 16W3/08/21/06. United States v. William N. Bowie, 1921, Antrag eingereicht von Lester Wood, dem Anwalt des Angeklagten, 21. Dezember 1921, National Archives, RG 21, Criminal #38310, Box 316, 16W3/08/21/06. Dies g ­ eschah vor der Einführung von durch das Gericht bestellten Pflichtverteidigern für mittellose Angeklagte. Woods Tätigkeit als Rechtsbeistand in einem Fall dieser

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Art war die Arbeit eines Freiwilligen und zugleich eine gängige Art, praktische Erfahrungen in der Rechtspflege zu sammeln. 20 «New Trial Is Granted Bowie», in: Washington Tribune, 10. Dezember 1921, und «Bowie and Frye Get Four Years in Penitentiary», in: Washington Tribune, 31. Dezember 1921. 21 United States v. Frye, Docket Entries, National Archives, RG  21, Criminal #38325, Box 316, 16W3/08/21/06. O’Shea wird während der Anklage in den gesamten Akten zum Berufungsverfahren als sein Anwalt aufgeführt, Frye v. United States, National Archives, RG 276. Frye erklärte sich des Mordes für nicht schuldig, und das erfolgte unmittelbar bevor Marston sein Aussage-Experiment an der American University unternahm. Das Frühjahrs-Trimester an der American University begann 1922 am 20. März. Der RechtspsychologieKurs kam zweimal pro Woche zusammen. Der Kurier mit dem texanischen ­Akzent muss während eines der allerersten Kurstermine an die Hörsaaltür geklopft haben, weil Marston am 30. März an Wigmore schrieb, um ihm mit­ zuteilen, dass er «ein sehr interessantes Experiment zur Zeugenaussage als Beweismittel soeben abgeschlossen» habe. WMM an JHW, 30. März 1922. 22 Richard  V. Mattingly, Student Record, 4. Oktober 1921, Registrar’s Office, American University. 23 Nur vier Wissenschaftler haben bisher den Fall Frye eingehender untersucht. Alle vier sind Wissenschaftshistoriker. James E. Starrs war 1982 der Erste, der sich die Mühe machte, die Prozessunterlagen auszugraben – zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Polizeiberichte bereits vernichtet worden  –, und spekulierte, dass Frye möglicherweise schuldig war, seinen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. J. E. Starrs, «A Still-Life Watercolor: Frye v. United States», in: Journal of Forensic Studies 27 (Juli 1982), S. 684–694. Tal Golan verortete 2004 in Laws of Men and Laws of Nature die Entscheidung des Gerichts im Rahmen der Geschichte von Gutachter-Aussagen und vertrat die Ansicht, dass die Psychologie das Fachgebiet war, auf dem die Progressive Era einen Trennstrich zog zwischen dem, was an wissenschaftlicher Erkenntnis im Gerichtssaal herangezogen werden kann, und dem, was nicht infrage kommt. Ken Alder beschrieb 2007 diesen Fall in seiner faszinierenden Geschichte der ­Lügen-Ermittlung: Ken Alder, The Lie Detectors: The History of an American Obsession, New York: Free Press 2007, 4. Kapitel, «Monsterwork and Son». Im gleichen Jahr kam Seán Tath O’Donnell in einer Harvard-Dissertation zu dem Schluss, der Fall sei nur im Kontext der «Rassenbeziehungen» in Washington, DC, zu verstehen. O’Donnell, «Courting Science, Binding Truth: A Social History of Frye v. United States», Diss., Harvard University, 2007. Keiner dieser Wissenschaftler hatte ein besonderes Interesse an Marston, und keiner von ihnen entdeckte, dass Fryes Rechtsanwälte Studenten Marstons waren. Starrs

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wie auch O’Donnell sprechen von Mattingly als «vom Gericht bestellt»; O’Donnell fügt hinzu, er sei «in letzter Minute für diesen Fall eingesetzt» worden (S. 196). Starrs und O’Donnell gingen vielmehr, in Unkenntnis der Tat­ sache, dass Mattingly und Woods Marstons Studenten waren, davon aus, dass die Anwälte den Gutachter ausgewählt hätten. «Mattingly stellte fest, dass Marston als Dozent an der American University arbeitete», schreibt O’Donnell (S. 12). Vgl. außerdem O’Donnells Erörterung auf S. 140, wo er behauptet, dass Mattingly, verzweifelt auf eine Bestätigung von Fryes Geständnis-Widerruf hoffend, einen Professor an der American University entdeckte, der ihm dabei helfen könnte. 24 WMM an JHW, 3. Juni 1922, Wigmore Papers. 25 Frye unterzog sich zu einem bestimmten Zeitpunkt auch einem Intelligenztest, den Major Harold C. Bingham vom National Research Council vornahm. Bingham stellte fest, dass Fryes Intelligenz «der des durchschnittlichen wehrpflichtigen Negers überlegen» sei. Memorandum of Scientific History and ­Authority of Systolic Blood Pressure Test for Deception, Frye v. United States, Briefs, #3968, National Archives, RG 276, Box 380, 14E2A/02/05/04, S. 4. 26 Zu Fryes Erinnerung an Marstons Besuch im Gefängnis am 10. Juni 1922 vgl. Fryes Gnadengesuch an den Präsidenten von 1945, National Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box 1583, File 56–386, S. 12 f. 27 WMM an JHW, 4. Juli 1922, Wigmore Papers. WMM schickte Wigmore am 30. Juli 1922 weitere Zeitungsausschnitte, darunter auch einen Ausschnitt aus den Washington Daily News vom 20. Juli 1922. 28 McCoy wurde am 8. Dezember 1859 in Troy im Bundesstaat New York geboren. Sein Studium in Harvard schloss er 1882 ab. «1904 und 1908 saß er als Delegierter aus New Jersey im Nationalkonvent der Demokraten und außerdem in vielen Konventen auf Bundesstaatsebene, bis er 1911 als Abgeordneter des 8. Bezirks von New Jersey in den 62. Kongress gewählt wurde. Durch seine Arbeit für die erste Wilson-Regierung machte er auf sich aufmerksam, und am 5. Oktober 1914 wurde er als Associate Justice an den Supreme Court des District of Columbia berufen. Als der Oberste Richter Covington am 30. Mai 1918 von seinem Amt zurücktrat, wurde Associate Justice McCoy befördert», hält John Clagett Proctor in Washington: Past and Present, New York: Lewis Historical 1930, Bd. 1, S. 234, fest. 29 Die Akten des Strafverfahrens, zumindest der erhaltene Teil, sind archiviert unter United States v. Frye, National Archives, RG  21, Criminal #38325, Box 316, 16W3/08/21/06. Soweit ich das feststellen kann, ist die Niederschrift des Strafprozesses nicht erhalten, mit Ausnahme derjenigen Teile, die für das Berufungsverfahren exzerpiert wurden. Für das übrige Verfahren habe ich mich auf Zeitungsberichte gestützt.

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30 Frye selbst beharrte im Zeugenstand darauf, dass «kein einziges Wort des Geständnisses  (…) der Wahrheit entsprach». «Frye Convicted of Dr. Brown’s Murder», in: Washington Tribune, 22. Juli 1922. Er sagte aus, dass «er und Dr. John R. Francis jr. an dem Mittwoch, der auf die Ermordung von Dr. Brown folgte, in ein Auto stiegen und nach Southwest Washington fuhren, wo Francis Kokain und Gin kaufte», und dass Francis, noch im Kokainrausch, «ihm gestand, dass er (Francis) Dr. Brown getötet habe, und die Details gab er so wieder, dass es zur Zuspitzung und zum Mord kam, nachdem der Versuch gescheitert war, vom späteren Mordopfer durch Drohung mit einer Erpressung Geld zu erlangen». Aus: «Convict Slayer of Dr. Brown», in: Chicago Defender, 29. Juli 1922. 31 Richard  V. Mattingly und Lester Wood, Request for Continuance, 14. Juli 1922, United States v. Frye, National Archives, RG  21, Criminal #38325, Box 316, 16W3/08/21/06. 32 Zu Fryes Erinnerung an Watsons Krankheit und Tod vgl. Fryes Gnadengesuch an den Präsidenten von 1945, National Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box  1583, File  56–386, S. 2 f. Zu Cox vgl. S. 12 f., wo Frye schreibt: «Meine Rechtsanwälte, die Herren R. V. Mattingly und Lester Wood, versuchten mehrmals, diese Frau zu einer Aussage ihnen gegenüber zu bewegen, doch solche Bemühungen blieben ohne Ergebnis. Sie wurde vom Gericht als Zeugin vorgeladen, der Staatsanwalt erklärte, sie sei eine Entlastungszeugin der Verteidigung, und meine Anwälte sagten, sie sei eine Zeugin des Staates. Den Grund für ihr Verhalten habe ich nie herausgefunden.» 33 Sie erzählten die Geschichte wie folgt: Der wegen Raubes verhaftete Frye war durch eine List dazu gebracht worden, einen Mord zu gestehen. Ein Polizeikommissar wie auch John R. Francis hätten ihm jeweils versichert, dass die Anklage wegen Raubes fallengelassen würde, sobald er aussage, dass er Brown getötet habe; die Anklage wegen Mordes würde nicht verfangen (weil Frye ein Alibi habe); und Frye würde einen Teil der ausgelobten Belohnung in Höhe von 1000 Dollar erhalten. Der wahre Mörder sei Francis, sagte Frye. Im Juli 1922, unmittelbar nach Fryes Verurteilung, verlangte Francis die Auszahlung der Belohnung, gemeinsam mit William H. Robinson klagte er gegen die Natio­ nal Benefit Life Insurance Company und N. Pearl Curtis und Robbie Lofton, Browns Töchter, auf Eintreibung der Belohnung, die auch von Julian Jackson beansprucht wurde. Vgl. Curtis v. Francis, National Archives, RG 21, Equity  40432, und Curtis, Lofton et al. v. Francis et al., Box 3060, 16W3/06/27/03. Robinson wurde im Herbst 1922 wegen Handels mit Rauschmitteln verurteilt. Vgl. United States v. Robinson, National Archives, RG  21, Criminal #39682, Box 329, 16W3/08/22/02. 34 «Dr. Marston nahm gestern einen Test von Fryes Blutdruck vor. Frye erklärt

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beharrlich, er sei dieses Verbrechens nicht schuldig. Dr. Marston, der das Ergebnis des Tests einstweilen nicht mitteilt, wird einen ergänzenden Test vornehmen, falls der Vorsitzende Richter und die Jury dies wünschen.» Aus: «Lie-Detector Verdict Today», in: Washington Post, 20. Juli 1922. Unterdessen hielten WMM und mehrere seiner Studenten und Kollegen in der American University eine Versammlung ab, bei der sie die American Psycho-Legal So­ ciety gründeten; Marston und Wigmore sollten ehrenhalber zu Ko-Präsidenten ernannt werden. WMM an JHW, 30. Juli 1922, und JHW an George Curtis Peck, 16. November 1922, Wigmore Papers. 35 Dass WMM in den Zeugenstand trat und dass es im Gerichtssaal nur Stehplätze gab, wird berichtet in: «Holds Frye Guilty of Killing Doctor», in: Washington Post, 21. Juli 1922. 36 Frye v. United States, Transcript of Record, der Bill of Exceptions entnommen, die Mattingly und Wood am 26. September 1922 dem Gericht übergaben, mit der Aufzeichnung des Verhandlungsverlaufs während des Strafprozesses vom 17.–20. Juli 1922, S. 11–18, National Archives, RG 276, Briefs #3968, Box 380, 14E2A/02/05/04. 37 Selbst McCoy, der kein Naturwissenschaftler war, erkannte die Unzulänglichkeiten in Marstons Methodik bei der Studie, die er 1917 bei verurteilten Straftätern in Massachusetts durchführte. WMM berichtete in dieser in Wigmores Journal of Criminal Law and Criminology veröffentlichten Untersuchung über den Verlauf von Täuschungstests bei 20 Angeklagten in Strafprozessen, die von Gerichten für die medizinische und psychologische Evaluation empfohlen worden waren; er hielt fest, in jedem einzelnen Fall sei die anhand seines Blutdrucktests erfolgte Beurteilung hinsichtlich der Schuld oder Unschuld des Angeklagten durch die anschließenden Ereignisse bestätigt worden. McCoy erkannte auf den ersten Blick, dass die Untersuchung völlig unwissenschaftlich war: Die Fälle waren handverlesen; es gab keine Kontrollgruppe; und der Blutdrucktest selbst könnte die anschließenden Ereignisse beeinflusst haben. McCoy belehrte Mattingly deshalb über die wissenschaftliche Methodik: «Ich las einen Test, der vorgenommen wurde, und ich glaube, es wurde erklärt – ich konnte nicht feststellen, ob das geschah, als ein Mann nach der Verurteilung auf Bewährung war oder noch im Zeugenstand vor der Verurteilung. Ich konnte das nicht sagen. Er war auf Bewährung, und es wurde behauptet, dass dieser Test eingerichtet worden sei entweder, weil der Mann – es muss so sein, dass der Mann in seinem Fall gelogen hatte. Der Richter tat das eine oder andere – ich weiß nicht, was das war –, aber nach dem Zeitpunkt, zu dem der Test erfolgte, wurde festgestellt, dass der Mann eines ähnlichen Verbrechens schuldig war. Handelte der Richter nun aufgrund des Tests oder handelte er

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aufgrund seiner zusätzlichen Informationen über die Begehung irgendeines anderen ähnlichen Verbrechens? Was nun diesen Test anbelangt, wird Dr. Mars­ ton einräumen, dass er hinsichtlich seines Instruments nicht wissenschaftlich war, weil er, wie er als Wissenschaftler verstehen wird, alles andere mit Ausnahme der Konstanten ausschließen muss, bevor er eine Schlussfolgerung ziehen kann. Wenn es einen Haufen Variablen gibt, kann er nur sagen, dass sich dies im Großen und Ganzen vielleicht so verhält.» 38 «Rely on ‹Lie Test› in Appeal», in: Washington Post, 22. Juli 1922. 39 Staatsanwalt Bilbrey sagte in seinem Schlussplädoyer, Frye sei «der kolossalste Lügner, der jemals vor Gericht auftrat»; Mattingly sagte, der Kronzeuge der Anklage, John  R. Francis, sei «nur ein gerissener Betrüger». Aus: «Convict Slayer of Dr. Brown», in: Chicago Defender, 29. Juli 1922. Zur Länge der Beratungszeit der Jury vgl. «Holds Frye Guilty of Killing Doctor», in: Washington Post, 21. Juli 1922. Zur Verurteilung: «Life-Sentence Penalty in Murder of Doctor», in: Washington Post, 29. Juli 1922. 40 WMM an JHW, 30. Juli 1922, Wigmore Papers. 41 «Offers New Law Course», in: Washington Post, 30. Juli 1922. Zum Studium der Rechtsphilosophie gehörte jedoch offensichtlich auch die Ausführung von Lügendetektor-Tests bei Strafgefangenen: «Ein letzter Versuch, Entlastung von einem Verbrechen zu erlangen, dessen er beschuldigt wird und das er vor zwölf Jahren begangen haben soll, veranlasste Dr. E. E. Dudding dazu, sich gestern Abend in den Räumlichkeiten der American University dem nervenaufreibenden Test mit dem Sphygmomanometer – besser bekannt als ‹Lügendetektor› – zu unterziehen. Der Test wurde geleitet von Dr. William Marston, Professor für Rechtspsychologie an der Universität, und Paul  E. Haddick, Sekretär der American Psycho-Legal Society. Dudding wurde im Februar 1910 wegen der Tötung seines Onkels in Huntington, West Virginia, angeklagt und verurteilt, die auf einen durch eine Familienfehde ausgelösten Streit folgte. Eine Geschworenenjury befand ihn trotz seiner wiederholten Beteuerung, er habe in Notwehr getötet, des vorsätzlichen Totschlags für schuldig. Nach der Verurteilung zu fünf Jahren Haft im Staatsgefängnis von West Virginia für dieses Verbrechen erklärte er vor dem Gang ins Gefängnis unerschütterlich, eines Tages werde er Entlastung erlangen, die dem Recht Geltung verschaffen werde. Sein Auftreten vor Dr. Marston und einer Gruppe von Universitätsstudenten der Psychologie ist, zwölf Jahre nach der Begehung des mutmaßlichen Verbrechens, der Höhepunkt dieses Kampfes um Entlastung. Dr. Marston sagte im Anschluss an die Tests, er sei überzeugt davon, dass der Mann die Tat mit gutem Recht begangen – er hat nie bestritten, geschossen zu haben – und dass er einen guten Grund gehabt habe, am Tag, an dem es zu der Tötung kam, es war der 6. September 1909, die Waffe bei sich zu tragen.»

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Diese Geschichte beschreibt den Test recht detailliert, enthält auch die zugrundeliegenden Fragen und kommt zu dem Schluss: «Der Test gestern Abend und die anschließenden Tests, die noch folgen werden, sind das nahezu unmittelbare Ergebnis einer durch Richter McCoy im Strafgericht Nr. 2 vor etwa zehn Tagen geäußerten Urteilsbegründung, mit der er sich weigerte, das Sphygmomanometer zuzulassen.» Aus: «Lie Detector Said to Clear Dudding in Killing of Uncle 12 Years Ago«, in: Washington Post, 2. August 1922. 42 Richard V. Mattingly, Transcript, Registrar’s Office, American University. Lester Wood, Transcript, Registrar’s Office, American University. 43 «Professor Marston ist in erster Linie experimenteller Psychologe, und an der American University wurden für diesen Herbst Vorbereitungen zur Eröffnung einer Einrichtung getroffen, die möglicherweise das einzige rechtspsychologische Forschungslabor in den Vereinigten Staaten sein wird.» Aus: «William Moulton Marston», in: American University Courier, Oktober 1922.

9  FRYE UND DIE FOLGEN

1 Frye v. United States, Brief for the Appellant, Briefs, #3968, National Archives, RG 276, Box 380, 14E2A/02/05/04. Mattingly und Wood listeten acht Verfahrensfehler im Strafprozess als Grundlage für den Revisionsantrag auf. Die Fehler 4–8 standen in einem Zusammenhang mit Marston. Frye v. United States, Transcript of Record, Assignment of Errors (eingereicht am 8. Februar 1923), S. 3 f., National Archives, RG 276, Briefs #3968, Box 380, 14E2A/02/05/04. 2 Frye v. United States, Brief for Appellee, verfasst von Peyton Gordon, U. S. ­Attorney, und J. H. Bilbrey, Assistant U. S. Attorney, eingereicht am 2. November 1923, National Archives, RG 276, Briefs #3968, Box 380, 14E2A/02/05/04, S. 1 f., S. 8. Zechariah Chafee, «The Progress of the Law, 1919–1921: Evidence», in: Harvard Law Review 35 (1922), S. 302–317; die Zitate finden sich auf S. 309. Marston belegte in seinem zweiten Jahr an der Law School Chafees Kurs über Wechsel und Schuldscheine. Chafee lehrte seit 1916 an der Harvard Law School. Im akademischen Jahr 1916/17 unterrichtete er «Bills of Exchange and Promissory Notes», auch als «Bills & Notes» bekannt. Harvard Law School, Law School of Harvard University, Announcements 1916–1917, Cambridge, MA, 1916, S. 6. Marston kam in Bills & Notes auf 72 Punkte. WMM, Transcript, Harvard Law School, Jahrgang 1918, Harvard Law School Registrar: Student Permanent Record Cards, 1893–1972, Harvard University Archives, Call Number 14258. Wie McCormick später ausführte («Deception-Tests and the Law of Evidence», S. 500, Anm. 51), sorgten wahrscheinlich Chafees gedruckte Anmerkungen dafür, dass Fryes Berufungsantrag scheiterte.

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3 Frye v. United States, Brief for Appellee, verfasst von Peyton Gordon und J. H. Bilbrey, S. 4 f. 4 Frye v. United States, 54 App. D. C. 46, 293 F. 1013, 34 A. L. R. 145. 5 «Der Frye-Test ist von praktisch allen Gerichten dieses Landes, die über die Frage der Zulässigkeit neuer wissenschaftlicher Beweismittel nachgedacht haben, als Standard akzeptiert worden», stellte der Oberste Gerichtshof von Kansas 1979 fest. Zitiert bei Starrs, «Still-Life», S. 685. 6 Zur Kürze des Urteils vgl. O’Donnell, «Courting Science», S. 247–252. 7 «Arrest Inventor of Lie Detector», in: Boston Daily Globe, 7. März 1923. 8 «Es wird behauptet, dass der Beklagte 2125 Dollar schuldet. William M. Mars­ ton ist auf die Zahlung von 5000 Dollar verklagt worden, in einer Vertragsklage von Edward Fischer aus Brookline. Die Klage wurde eingereicht durch Rechtsanwalt Edward G. Fischer, Oliver Street Nr. 60, Boston. Es wird behauptet, dass der Beklagte 3401,31  Dollar schuldet.» In: Cambridge Chronicle, 14. Januar 1922. «Gegen William M. Marston ist aufgrund einer Vertragsklage von Edward  G. Fischer aus Brookline ein Pfändungsbeschluss in Höhe von 500  Dollar ergangen. Die Klage wurde eingereicht durch Rechtsanwalt Edward G. Fischer, Oliver Street Nr. 60, Boston.» In: Cambridge Chronicle, 6. Mai 1922. 9 United States v. William  M. Marston, Dezember 1922, eine Anklageschrift. United States v. William M. Marston, Bericht von W. J. Kelville, U. S. Marshal, von James M. Cunningham, Deputy; und Haftbefehl für die Festnahme von William M. Marston, beide datiert auf den 17. Februar 1923, National Archives, Boston. 10 «Marston, Lie Meter Inventor, Arrested», in: Washington Post, 6. März 1923, und «Arrest Inventor of Lie Detector», in: Boston Daily Globe, 7. März 1923. 11 United States v. William M. Marston, Anklage wegen Benutzung der Post bei einem Betrugsplan, 1. Dezember 1922, National Archives, Boston. 12 United States v. William  M. Marston, Anklage wegen Beihilfe zur Verheim­ lichung von Vermögenswerten vor dem Konkursverwalter bei einem Bankrott, 1. Dezember 1922, National Archives, Boston. Zu den Anspruchsberechtigten zählte bei diesem Fall ein Hochofentechniker, der für die Tait-Marston Engineering Company gearbeitet hatte und angab, Marston schulde ihm 100 Dollar. Marston, so scheint es, hinterließ Schulden, wo immer er auch hinkam. Datumszeile Washington, DC, 6. März: «Dr. William Moulton Marston jr., Professor für Rechtspsychologie an der American University und Erfinder des Sphygmomanometers oder «Lügen­ detektors», stellte eine Kaution in Höhe von 3000 Dollar und wird am 16. März zum Vorwurf der «Lüge per Post» gehört werden. Dr. Marston wurde aufgrund eines Haftbefehls festgenommen, der auf Benutzung der Post in betrü-

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gerischer Absicht lautete, und wurde dem United States Commissioner McDonald vorgeführt, der den Termin für die Anhörung festlegte. Er wurde im vergangenen November in Boston aufgrund von Anzeigen einer Reihe von Gläubigern angeklagt, die geltend machten, dass er in seiner Eigenschaft als ­Finanzchef der United Dress Goods, Inc., die finanzielle Lage seiner Firma falsch dargestellt und deshalb erhebliche Warenbestände von ihnen erhalten habe. Die wichtigsten Kläger sind A. D. Juliard & Co. und C. Babsen & Co. aus New York. Hinzu kommt noch sein ehemaliger Hochofentechniker aus Boston, dem er angeblich mehr als 100 Dollar schuldet.» Aus: «Will Give Hearing to Alleged Mail Defrauder», in: Bridgeport Telegram, 7. März 1923. 13 «William M. Marston, Erfinder des ‹Lügendetektors›, Professor für Psychologie an der American University in Washington, kam gestern Nachmittag ins Büro des United States Marshal im Federal Building und wurde in Richter Mortons Amtsräume gebracht, wo die Anklageerhebung stattfand.» Aus: «Marston Held in 2600 $ for Trial», in: Boston Daily Globe, 17. März 1923. 14 United States v. William  M. Marston, Recognizance of Defendant, 16. März 1923, National Archives, Boston. 15 «Hold ‹Lie-Finder› Inventor», in: Washington Post, 17. März 1923; «‹Lie Detector› Inventor Arraigned», in: New York Times, 17. März 1923; und «Marston Held in $ 2600 for Trial», in: Boston Globe, 17. März 1923. 16 Die Firma Hale and Dorr, heute: WilmerHale, hat ihren Sitz immer noch in der State Street Nr. 60 in Boston. 17 American University: Announcement for 1922–1923, Graduate School of Arts and Sciences, Washington, DC: American University 1922, S. 11–15. 18 JHW an WMM, 20. November 1923, Wigmore Papers, Northwestern University Archives. 19 Memorandum of Scientific History and Authority of Systolic Blood Pressure Test for Deception, Frye v. United States, Briefs, #3968, National Archives, RG  276, Box  380, 14E2A/02/05/04. O’Donnell entdeckte den wissenschaft­ lichen Schriftsatz, der falsch abgelegt worden war. Er fand ihn bei der Durchsicht anderer unsortierter Frye-Akten im Nationalarchiv (vgl. «Courting ­Science» [Kap. 8, Anm. 23], S. 264, Anm. 731). O’Donnells Entdeckung des wissenschaftlichen Schriftsatzes ist von unschätzbarem Wert. O’Donnell vertritt die Ansicht, dass dieser Text, der Marstons Arbeit nur als Teil eines umfangreicheren Unternehmens einstuft – «der Schriftsatz verschob die Debatte von den Referenzen eines Wissenschaftlers, Dr. Marston, zur Arbeit vieler Wissenschaftler» (S. 274) –, «aufschlussreich [ist] hinsichtlich des Umfangs, in dem die neue Wissenschaft der experimentellen Psychologie imstande war, sich selbst als gemeinschaftliche Tätigkeit vorzustellen» (S. 265). Aber nach-

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dem ich entdeckt habe, dass Marston wegen Betrugs verhaftet wurde, glaube ich, dass die Motivation für den Schriftsatz darin bestand, den Fall von Mars­ ton zu trennen, dessen von großer öffentlicher Aufmerksamkeit begleitete Verhaftung und Anklage die Aussichten auf ein erfolgreiches Revisionsverfahren zunichte gemacht hatten. 20 WMM an JHW, 31. Dezember 1923, Wigmore Papers. 21 Richard  W. Hale an den Präsidenten der American University, 1. November 1924, WMM, Faculty/Staff Personnel Records, American University Archives, American University Library, Washington, DC. Als Hale diesen Brief schrieb, war Marston schon längst entlassen worden. Hale wusste, dass keine Aussicht auf eine Wiedereinsetzung Marstons in seine Ämter bestand; er sagte, er habe diesen Brief geschrieben, um die Dinge richtigzustellen, und bat darum, ihn in Marstons Personalakte aufzunehmen, was auch geschah. 22 Die Einstellung des Verfahrens (nolle prosequi) zu den beiden Anklageschriften ist auf den 4. Januar 1924 datiert. 23 JHW an WMM, 9. Januar und 18. Januar 1924, Wigmore Papers. Marston blickte in einem 1937 in der Zeitschrift Esquire veröffentlichten Artikel noch einmal auf die Experimente zurück, die er 1922 an der American University vornahm; Auszüge aus diesem Text erschienen in Legal Chatter. «Die verblüffende Tatsache, dass eine Jury niemals richtig liegt, ist durch meine Arbeit im Psychologischen Labor zweifelsfrei bewiesen worden. Keine Jury kann bei ­ihrer vollständigen Rekonstruktion der Tatsachen Recht – oder auch nur annähernd Recht – haben.» WMM, «Is the Jury Ever Right?», in: Legal Chatter 1 (1937/38), S. 30–35; das Zitat stammt von S. 30. Wigmores Werk Principles of Judicial Proof war bis dahin weitgehend vergessen. Abgesehen von Wigmores eigenen Kursen an der Northwestern University und von Marstons Kurs über Rechtspsychologie an der American University 1922 scheint nur ein weiterer Kurs im ganzen Land, der an einer juristischen Fakultät in Idaho angeboten wurde, Wigmores Principles of Judicial Proof jemals als Lehrbuch benutzt zu haben. Twining fand außerhalb der Northwestern University Law School, an der Wigmore selbst es auf die Lektüreliste setzte, nur eine juristische Fakultät in Idaho, die das Werk jemals in ihren Lehrplan übernahm (Twining, Theories of Evidence, S. 165). EHM, «Tiddly Bits». 24 Zur Zulassung von Lester Wood und Richard  V. Mattingly beim Supreme Court vgl. Journal of the Supreme Court of the United States 1923 (Juni 1924), S. 283. Lester Wood promovierte 1923 an der Graduate School of Law and ­Diplomacy der American University in Zivilrecht, nachdem er eine Arbeit aus dem Bereich des Arbeitsrechts vorgelegt hatte. The American University Ninth Convocation, Washington, DC: American University 1923, S. 4. Richard Mattingly verließ die Universität ohne Abschluss. Drei Jahre nach dem Urteil im

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Frye-Revisionsverfahren gab Mattingly die Juristerei ganz auf. Er studierte Medizin und arbeitete für den Rest seines Lebens als Arzt. Nach Auskunft seines Sohnes, den O’Donnell 2003 interviewte, sagte Mattingly immer, er habe den Rechtsanwaltsberuf auch deshalb aufgegeben, weil er Reue wegen des Schicksals von James A. Frye empfinde. O’Donnell, «Courting Science», S. 18, Anm. 53. 25 In einem unveröffentlichten Erinnerungswerk ließ EHM alles aus, was zwischen 1922 und 1927 geschah, und erwähnte Frye, Marstons Verhaftung oder den Skandal, der seine akademische Laufbahn beendete, kein einziges Mal. EHM, «Tiddly Bits»; es gibt eine Lücke von 1922, als WMM seine Lehrtätigkeit an der American University aufnahm und EHM mit ihrer Arbeit beim ­Haskins Information Service begann, bis 1927, als sie, damals in New York ­lebend, schwanger wurde. 26 WW-Comicstrip, 27.–31. März 1945.

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1 Meine Darstellung von Olive Byrnes jungen Jahren ist hauptsächlich einem unveröffentlichten Erinnerungswerk und einer Reihe unveröffentlichter Fami­ liengeschichten entnommen, die sie in den 1970 er und 1980 er Jahren schrieb: OBR, «Mary Olive Byrne», «Ethel Higgins Byrne, 1883–1955», «310 East Tioga Avenue, Corning, New York», «John Frederick Byrne, 1880–1913», «Michael Hennessey Higgins, 1844–1929», «John Florence Byrne, 1851–1914 (approximately)», «Margaret Donovan Byrne (Gram), 1853–1914» und «John Lucas», alle im Besitz von BHRM. 2 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 1 f. Ethel Byrne sagte OBR, es sei Jack Byrne gewesen, der sie in den Schnee hinausgeworfen habe. Aber nach der Version von MSML war es Ethel Byrne, nicht Jack Byrne, die das Baby Olive in die Schneewehe warf (eine Geschichte, die von MS gekommen sein muss, deren Beziehung zu ihrer Schwester mittlerweile von Spannungen belastet war). MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013. 3 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 2. 4 MSML, Interview mit Jacqueline Van Voris, MS Papers, Smith College, 1977, Box 19, Folder 7, S. 53 f. 5 «Ich mag keine heimlichen Hochzeiten», schrieb MS. «Sie sind so anfällig für Kommentare.» MS an Mary B. Higgins, 12. [Mai?] 1902, in: MS, The Selected Papers of Margaret Sanger, hg. von Esther Katz, Urbana: University of Illinois Press 2003–2010, Bd. 1, S. 31. Die veröffentlichten Dokumente umfassen drei Bände, die im Folgenden als Selected Papers of MS geführt werden. Der größte

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Teil von Sangers Dokumenten ist in Form von drei verschiedenen Mikrofilmsammlungen verfügbar. 6 MS sagte: «Wir haben uns immer sehr nahegestanden. Sie kümmerte sich um mich, als meine Kinder geboren wurden, und ich kümmerte mich um sie. Sie ist jünger als ich. Wir waren nie voneinander getrennt, mit Ausnahme der Zeit ihrer ersten Ehe. Nach dem Tod ihres Ehemanns zog sie bei mir ein, und seitdem waren wir immer zusammen.» Ein Teil von Sangers Schilderung ist an dieser Stelle unwahr. Ethel Byrne verließ ihren Ehemann 1906, und zu diesem Zeitpunkt wohnte sie, immer wieder mit Unterbrechungen, bei ihrer Schwester; ihr Ehemann starb erst 1913. «Mrs. Byrne Gets 30-Day Jail Term», in: New York Tribune, 23. Januar 1917; «Mrs. Byrne Too Weak to Move», in: New York Tribune, 27. Januar 1917. Die maßgebliche Biografie von MS bleibt Ellen Chesler, Woman of Valor: Margaret Sanger and the Birth Control Movement in America [1992], New York: Simon and Schuster 2007 (Reprint). Aber vgl. außerdem David Kennedy, Birth Control in America: The Career of Margaret Sanger, New Haven, CT: Yale University Press 1970, sowie Jean H. Baker, Margaret Sanger: A Life of Passion, New York: Hill and Wang 2011. 7 OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 3–5, und OBR, «Mary Olive Byrne», S. 1. 8 Chesler, Woman of Valor, S. 62, und MS an Lawrence Lader, 10. Oktober 1953, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 334 f. und S. 335, Anm. 11. Es gibt keinen Beleg, der Ethel Byrnes zu einem späteren Zeitpunkt geäußerte Behauptung belegen würde, sie habe 1913 versucht, das Sorgerecht für die Kinder wiederzuerlangen. 9 OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 5 f. 10 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 2 f., S. 6, und OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 4. 11 Zu Parker vgl. Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 104, Anm. 18. Die Wohnung in der West Fourteenth Street gehörte Sanger. OBR nennt sie als Adresse ihrer Mutter und Parkers in «Ethel Higgins Byrne», S. 8. Sie sagt, MS habe dort gelebt, bis sie J. Noah Slee heiratete, was im September 1922 geschah. Und als Sanger und Byrne 1917 ein Prozess bevorstand, soll Byrne, so wurde berichtet, mit Sanger unter dieser Adresse gewohnt haben. Katz sagt, Byrne habe mit Parker «von den 1910 er bis zu den frühen 1920 er Jahren» zusammengelebt (Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 104, Anm. 18). Zur Auflösung von Sangers erster Ehe vgl. Chesler, Woman of Valor, S. 90–97. 12 Zur «sexuellen Moderne» vgl. Stansell, American Moderns, 7. Kapitel. Zum sexuellen Radikalismus und dessen Beziehung zu freier Liebe und Feminismus vgl. Joanne E. Passet, Sex Radicals and the Quest for Women’s Equality, Urbana: University of Illinois Press 2003. 13 Sanger hielt einige Prioritäten von Heterodoxy, etwa das Recht einer Frau, nach der Heirat ihren Namen zu behalten, für frivol. Judith Schwarz, Radical

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Feminists of Heterodoxy: Greenwich Village 1912–1940, Lebanon, NH: New Victoria 1982, S. 14, S. 65. Stansell, American Moderns, S. 80–92. 14 Crystal Eastman (1920), zitiert bei Evans, Born for Liberty, S. 168. 15 Lou Rogers, «Lightning Speed Through Life», ursprünglich veröffentlicht in der Zeitschrift Nation 1926 und nachgedruckt in: Elaine Showalter (Hg.), These Modern Women: Autobiographical Essays from the Twenties, New York: Feminist Press 1978; das Zitat stammt von S. 103. Zu Rogers’ Karikaturen gegen den Krieg vgl. Rachel Lynn Schreiber, «Constructive Images: Gender in the Political Cartoons of the Masses (1911–1917)», Diss., Johns Hopkins University, 2008, S. 221–256. Und zu Frauen als Comicstrip-Künstlerinnen in diesem Zeitraum vgl. Trina Robbins/Catherine Yronwode, Women and the Comics, New York [S. I.]: Eclipse 1985, S. 7–18. 16 «Lou Rogers, Cartoonist», in: Woman’s Journal and Suffrage News 44 (August 1913), S. 2. Sie sorgte auch für Menschenansammlungen an Straßenecken, wo sie Karikaturen zeichnete und Vorträge hielt. Vgl. «Suffrage Cartoons for Street Crowds», in: New York Times, 19. Juli 1915. «A Woman Destined to Do Big Things in an Entirely New Field», in: Cartoons Magazine 3 (1913), S. 76 f.; Zitat auf S. 77. Großanzeige in: New York Evening Post, 22. Februar 1914; «Prize for Suffrage Films», in: New York Times, 2. Juli 1914; sowie «Cartoon Service by Lou Rogers», in: Woman’s Journal and Suffrage News, 14. November 1914, S. 302: «Die Karikaturen, die Miss  Rogers liefert, können für Zeitungsartikel, Flugblätter und Wahlkampfbroschüren verwendet werden. Sie bieten ausgezeichnete Argumente für das Frauenwahlrecht und sind sehr begehrt bei denjenigen, die den Vorteil illustrierter Propaganda erkennen.» Alice Sheppard, Cartooning for Suffrage, Albuquerque: University of New Mexico Press 1994, S. 52, S. 212; zu weiteren Hinweisen zu Rogers’ Karikaturen, bei denen Ketten eine wichtige Rolle spielen, vgl. S. 32, S. 34 und S. 192. 17 Max Eastman, Child of the Amazons and Other Poems, New York: Mitchell Kennerley 1913, S. 23. Eastman, ein prominenter Befürworter des Frauenwahlrechts, wurde 1911 zu einem Vortrag in Harvard eingeladen: «Woman Suffrage Movement», in: Harvard Crimson, 2. November 1911. 18 Inez Haynes Gillmore, Angel Island (1914), Reprint: New York: New American Library 1988, mit einer Einleitung von Ursula K. Le Guin; Zitate: S. 61, S. 308. 19 Charlotte Perkins Gilman, Herland (1915), Nachdruck in: Charlotte Perkins Gilman’s Utopian Novels, herausgegeben und mit einer Einleitung von Minna Doskow, Madison, NJ: Fairleigh Dickinson University Press 1999, S. 205; hier zitiert nach folgender deutscher Ausgabe: Ihrland: Ein utopischer Roman, Augsburg: Edition AM 2016, S. 94 (Übersetzung: Albert Mößmer). 20 MS ging im Winter 1914 in New York zu einer Vortragsveranstaltung, bei der Charlotte Perkins Gilman als Rednerin auftrat. Sanger war beeindruckt. Vgl.

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 131–134 hierzu Sangers Tagebucheintrag vom 17. Dezember 1914, in: Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 106; und zu ihrem Eindruck von einem früheren Auftritt Gilmans als Rednerin in New York in jenem Jahr vgl. S. 107.

11  DIE REBELLIN

1 Die vollständige Serie von Sangers Essays im New York Call findet sich in: MS Papers, Collected Document Series, Microfilm Edition, C16: S. 24–62; der verbotene Artikel ist dort zu finden unter C16: S. 59–62. Einen Auszug daraus bietet MS, «What Every Girl Should Know: Sexual Impulses – Part II», in: Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 41–46. 2 Chesler, Woman of Valor, S. 97 f. 3 MS, «Why the Woman Rebel?», in: Woman Rebel, März 1914, in: Selected ­Papers of MS, Bd. 1, S. 71. 4 Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 69–74, S. 41; Linda Gordon, The Moral Property of Women: A History of Birth Control Politics in America, Urbana: University of Illinois Press 2002, S. 143; James Reed, From Private Vice to Public Virtue: The Birth Control Movement and American Society Since 1830, New York: Basic Books 1978, S. 70, S. 73; und MS, An Autobiography, New York: Norton 1938, S. 89. 5 Zu Reeds Engagement vgl. Daniel W. Lehman, John Reed and the Writing of ­Revolution, Athens: Ohio University Press 2002, S. 19, S. 61; vgl. außerdem die John Reed Papers, Houghton Library, Harvard University, MS Am 1091, S. 1156. Zu Ethel Byrnes Rolle bei der Versorgung von Sangers Kindern: Familiengeschichten legen den Schluss nahe, dass Ethel Byrne – und nicht William Sanger  – sich um Sangers drei Kinder kümmerte, als MS das Land verließ. Über Olive Byrne und Stuart und Grant Sanger (die Söhne von MS) sagte ­Stuarts Tochter Nancy: «Sie waren alle gleich alt, und es war hauptsächlich Ethel, die sie aufzog, als Mimi wegging.» Nancy Sanger, Interview mit Jacqueline Van Voris, MS Papers, Smith College, 1977, S. 20. 6 Havelock Ellis, «The Erotic Rights of Women» und «The Objects of Marriage»: Two Essays, London: Battley Brothers 1918, hier zitiert nach folgender Ausgabe: Havelock Ellis, Moderne Gedanken über Liebe und Ehe, Leipzig: Verlag von Curt Kabitzsch 1924, S. 30, S. 68 (Übersetzung: Julia Kötscher). Vgl. außer­ dem Baker, Margaret Sanger, S. 92–97. 7 Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 109. Zu Margaret Sangers Beziehung mit Ellis vgl. Chesler, Woman of Valor, S. 111–121. 8 MS, Family Limitation, New York: Review 1914, S. 1. 9 Zitiert bei Chesler, Women of Valor, S. 127. 10 OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 26 f.

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11 Zitiert bei Chesler, Woman of Valor, S. 139. 12 «Noted Men to Aid Her», in: Washington Post, 19. Januar 1916; Chesler, Woman of Valor, S. 140. 13 MS, Autobiography, S. 216 f., S. 219; vgl. außerdem Birth Control Review, Oktober 1918. 14 «Birth Controllers Up Early for Trial», in: New York Times, 5. Januar 1917, und «Mrs. Sanger’s Aid Is Found Guilty», in: New York Times, 9. Januar 1917; Chesler, Woman of Valor, S. 152. 15 Die beste Darstellung bietet Lunardini, From Equal Suffrage to Equal Rights. 16 «Mrs. Byrne Gets 30-Day Jail Term», in: New York Tribune, 23. Januar 1917. 17 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 25–27. 18 Zum Umfang und zur Intensität der Berichterstattung vgl. Chesler, Woman of Valor, S. 153 f. 19 Ethel Byrne, zitiert in: MS, Autobiography, S. 227–229. 20 «Will ‹Die for the Cause›», in: Boston Daily Globe, 24. Januar 1917; «Mrs. Byrne, Sent Back to Prison, Starves On», in: New York Tribune, 24. Januar 1917; «Mrs. Byrne Fasts in Workhouse Cell», in: New York Times, 25. Januar 1917; und «Mrs. Byrne Weaker, Still Fasts in Cell», in: New York Times, 26. Januar 1917. 21 Chesler, Woman of Valor, S. 155; «Mrs. Byrne, Too Weak to Move, Fasts», in: New York Tribune, 27. Januar 1917; Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 194 f.; Reed, Private Vice, Public Virtue, S. 106 f.; Gordon, Moral Property, S. 156 f.; MS, Auto­biography, S. 215–221; und Kennedy, Birth Control in America, S. 82–88. 22 «Mrs. Byrne Sinking Fast, Sister Warns», in: New York Tribune, 29. Januar 1917. Die Tribune verstand den Namen von Olives Bruder nicht richtig und berichtete dann, er sei ein Mädchen. «Zwei kleine Mädchen werden heute erfahren, dass sich ihre Mutter in einem Gefängniskrankenhaus befindet. Olive und Jessie [sic] Byrne warten auf einen Brief von Mrs. Ethel Byrne. Anstatt von ihrer Mutter zu hören, dass sie, wie von ihr geplant, eine fertig eingerichtete Wohnung für sie habe, wird man ihnen von der Gefängnisstrafe berichten und von der Weigerung ihrer Mutter, Nahrung zu sich zu nehmen.» 23 Baker, Margaret Sanger, S. 137 f. 24 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 14 f., sowie OBR, «My Aunt Margaret», in: «Our Margaret Sanger», Bd. 2, S. 236 f., MS Papers, Smith College, Box 87. 25 «Mrs. Byrne to Have a Feeding Schedule», in: New York Times, 29. Januar 1917; «Hunger Strike Woman Passive: Mrs. Ethel Byrne Receives Food», in: Boston Daily Globe, 29. Januar 1917; «Mrs. Byrne Fed by Tube: Has 2 Meals», in: New York Tribune, 28. Januar 1917; und MS, Autobiography, S. 228. 26 «For State Inquiry into Birth Control», in: New York Times, 1. Februar 1917. 27 «Mrs. Byrne Pardoned; Pledged to Obey Law», in: New York Times, 2. Februar

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1917, und «Mrs. Byrne, Set Free by Pardon, Defiant to End», in: New York Tribune, 2. Februar 1917. 28 Der Name Lou Rogers steht ab dem Juli 1918 im Impressum der Birth Control Review, beginnend mit der Nr. 6 im 2. Jahrgang. 29 MS, Autobiography, S. 231. 30 «Guilty Verdict for Mrs. Sanger», in: New York Tribune, 3. Februar 1917. 31 MS an Ethel Byrne, 14. Februar und 21. Februar 1917, in: Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 207, S. 209. 32 MS an Ethel Byrne, 14. Februar 1917, in: Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 207. 33 «Mrs. Sanger Is Freed», in: Washington Post, 7. März 1917. 34 Editorische Notiz, Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 194 f. Und vgl. vor allem OBR, Interview mit Jacqueline Van Voris, MS Papers, Smith College, 25. November 1977, Box 20, Folder 4: «Oh, meine Mutter war immer eifersüchtig auf sie. Es gefiel ihr nicht, aus dem Birth Control Movement hinausbefördert zu werden, weil sie der Ansicht war, dass sie zunächst einmal genauso sehr ein Teil von ihr war wie Margaret» (S. 21). Und vgl. OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 26: «In den Anfangstagen des Birth Control Movement standen sie sich nahe und arbeiteten Hand in Hand bei ihren Anstrengungen, die erste öffentliche Be­ ratungsstelle einzurichten. Als Ethel in den berühmten Hungerstreik trat, durch den die Bewegung nationale Aufmerksamkeit erlangte, versprach Margaret dem Richter, der in dem Fall den Vorsitz führte, dass ihre Schwester nicht weiter mit der Geburtenkontrolle verbunden sein würde, wenn er Ethel aus dem Gefängnis freilassen würde. Ethel war wütend wegen dieser Absprache und wollte weitermachen wie bisher. Margaret weigerte sich. Ethel nahm an, dass Margaret diesen Vorwand benutzte, um sie loszuwerden, hauptsächlich, so behauptete sie oft, weil Margaret sich mit der Bewegung in Richtung ‹Uptown› orientiert und deshalb keine Verwendung mehr für die Leute aus dem Village habe, die das alles in Gang gebracht hatten. Das mag durchaus zugetroffen haben. Die Leute im Village redeten viel und hatten wenig Geld, und Margaret wusste, woher der Erfolg kam – vom Geld und von den Leuten, die es haben.»

12  DIE FRAU UND DER NEUE MENSCH

1 Vgl. zum Beispiel den in Greenville, Pennsylvania, erscheinenden Record-­ Argus vom 13. Juli 1917; den Greenville Evening Record vom 13. Juli 1917; den Daily Courier in Connesville, Pennsylvania, vom 26. Juni 1917; den Newark (OH) Advocate vom 16. Oktober 1917 und das Iola (KS) Register vom 25. Juni 1918. In OBR, «Mary Olive Byrne», S. 24, schreibt OBR, dass sie im Chor sin-

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gen wollte, dies aber nicht getan habe; Zeitungsberichte zu den Vorstellungen legen jedoch nahe, dass sie doch mitsang. 2 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 22–26, S. 35. 3 MS, Tagebuch, in: Selected Papers of MS, Bd. 1, S. 249 f. Chesler, Woman of ­Valor, S. 197, vertritt die Ansicht, dass sich Parker erst ab dem 1922 erschienenen Buch The Pivot of Civilization als Ghostwriter für Sanger betätigte, aber Bemerkungen, die OBR bei Interviews machte, wiesen ebenso wie ihre Memoiren in eine andere Richtung. Interviewerin: «Arbeitete sie [Ethel] nach der Schließung der ersten Beratungsstelle überhaupt noch für die Bewegung?» OBR: «Nein, sie arbeitete als Krankenschwester und lebte mit Robert Allen [sic] Parker zusammen, der Margarets Bücher schrieb: Er war der Ghostwriter für alle ihre Bücher.» Aus: OBR, Interview mit Van Voris, S. 23. Vgl. außerdem OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 7. 4 OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 6–8. 5 OBR, Interview mit Van Voris, S. 7, S. 21. 6 Havelock Ellis, «The Love Rights of Women», in: Birth Control Review 2 (Juni 1918), S. 3–5, mit Zeichnungen von Lou Rogers. 7 H. G. Wells, The Secret Places of the Heart, New York: Macmillan 1922 (dt. 1923 u. d. T. Geheimkammern des Herzens). Zum Beginn ihrer Affäre vgl. Chesler, Woman of Valor, S. 186–192. 8 Gordon, Moral Property, S. 206–208; Chesler, Woman of Valor, S. 238. 9 Margaret Sanger, Woman and the New Race, New York: Brentano’s Publishers 1920 (dt. 1927 u. d. T.: Die Neue Mutterschaft: Geburtenregelung als Kulturproblem, Dresden: Sibyllen-Verlag 1927); Chesler, Woman of Valor, S. 192, S. 198. 10 MS, Woman and the New Race, S. 1 f., S. 217 f. 11 Gilman, zitiert bei Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 37. 12 MS, Motherhood in Bondage, New York: Brentano’s 1928, S. xi. 13 Titelseite, Birth Control Review, November 1923. 14 MS, Woman and the New Race, S. 5, S. 18, S. 10 f., S. 117, S. 162, S. 182. 15 Großanzeige, Brentano Books for Autumn, in: New York Tribune, 17. Oktober 1920. Ellis schrieb auch das Vorwort für das Buch. 16 «A Spy in the Office», in: Sensation Comics Nr. 3, März 1942. 17 JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014.

13  DIE BOYETTE

1 Zum Verhältnis zwischen freier Liebe und dem Feminismus vgl. Passet, Sex Radicals. 2 OBR, «Ethel Higgins Byrne», S. 23.

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3 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 48. Nach dem Veranstaltungsverzeichnis 1921– 1922 Tufts College Catalogue fiel der erste reguläre Unterrichtstag im Herbst 1922 auf Freitag, den 22. September. Zu Slee als Geldgeber für OBRs Ausbildung: «Onkel Noah (wie ich ihn nannte) finanzierte das Collegestudium mehrerer junger Frauen auf der Grundlage, dass seine Investition zurückgezahlt werden würde. Nach meinem Abschluss in Jackson schickte ich ihm einen monatlichen Scheck. Nach vier Rückzahlungen dieser Art erklärte er all meine Verpflichtungen für nichtig.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 13. 4 «OLIVE ABBOTT BYRNE, A O II. ‹Bobby›. New York, NY. B. S. in English. Mount St. Joseph Academy. Weekly Staff (1); Class Basketball (1); Chairman ­Social Committee (1), (2), (3); Assistant Manager Basketball (2); Glee Club (1); Class Play (2); Liberal Club; Junior Prom; Asst. Mgr. Basketball (3)», in: The 1925 Jumbo Book, Medford, MA: Published by the Senior Class of Tufts College 1925, S. 177, Tufts University Archives. Harry Adams Hersey, A History of Music in Tufts College, Medford, MA: Tufts College 1947, S. 151. «Liberal Club Forms and States Its Aims», in: Tufts Weekly, 22. Oktober 1924, S. 3, Tufts University Archives; und OBR, Interview mit Van Voris, S. 14 f. «Bobbie Strong» tritt auf in der Episode «The Vanishing Mummy», in: Wonder Woman Nr. 23, Mai 1947. 5 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 49 f. Olive Mary Byrne, Studienbuch, Tufts University Archives. Byrne erhielt am 15. November 1922 eine akademische Ermahnung. Ihre Probezeit begann am 14. Dezember 1922, wurde im Frühjahrssemester 1923 verlängert und lief am 10. Mai 1923 aus. 6 «Siege of the Rykornians», in: Wonder Woman Nr. 25, September/Oktober 1947, und «The Vanishing Mummy», in: Wonder Woman Nr. 23, Mai 1947. Das Starvard College wird eingeführt in «The Million Dollar Tennis Game», in: Sensation Comics Nr. 61, Januar 1947. 7 «The Greatest Feat of Daring in Human History», in: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942. 8 Fotos von Alpha Omicron Pi im Archiv der Tufts University. Alle drei dort aufbewahrten Fotografien wurden im Juni 1923 aufgenommen. 9 OBR, «Mary Olive Byrne», S. 52, S. 55. 10 The 1925 Jumbo Book, S. 177, und Olive Mary Byrne, Studienbuch, Tufts University Archives. 11 Zitiert bei Chesler, Woman of Valor, S. 220. 12 «Liberal Club Officers for Next Year Chosen», in: Tufts Weekly, 27. Mai 1925, S. 1. In einem Rückblick auf die Aktivitäten im ersten Jahr nach der Gründung des Klubs heißt es: «Es war außerdem inoffiziell förderlich, dass die Gelegenheit bestand, einen Vortrag von Miss Margaret Sanger in Reichweite der Hill-Studentinnen zu hören.» (Der Medford-Campus von Tufts ist als «The

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Hill» bekannt.) «Einige von uns gründeten einen Klub, den wir Liberal Club nannten. Wir hielten uns für sehr wagemutig, und alle Studentinnen mit liberalen Vorstellungen traten bei. Margaret kam nach Boston, um vor irgendeiner Frauengruppe einen Vortrag zu halten, und ich ging hin, um sie zu sehen (sie stieg im Copley ab), und sagte zu ihr: ‹Ich hätte gerne, dass du ans College kommst und dort sprichst.› Sie sagte: ‹Das mache ich.› Sie sagte, sie werde noch woanders hingehen und würde zu einem bestimmten Zeitpunkt zurück sein, wenn ich das organisierte. Dann wollte das College nicht zulassen, dass sie dort auftrat. Wir suchten unbeirrt weiter und fanden einen unitarischen Geistlichen in Somerville, der uns seine Kirche zur Verfügung stellte.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 14 f. 13 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 149–151. 14 OBR, Interview mit Van Voris, S. 9, S. 30, S. 47. 15 «Jumbo Looks Back Again at the Great Class of ’26, 25th Reunion», Class Material, 1922–1927, UA039/Classes, 1858–1997, Box 7, Folder 6, Tufts University Archives. 16 Vgl. Laura Doan, «Passing Fashions: Reading Female Masculinities in the 1920s», in: Feminist Studies 24 (1998), S. 663–770; das Zitat aus der Daily Mail ist der S. 673 entnommen. 17 Olive Mary Byrne, Studienbuch, Tufts University Archives.

14  DIE BABY-PARTY

1 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 153–155. 2 WMM, «Sex Characteristics of Systolic Blood Pressure Behavior», in: Journal of Experimental Psychology 6 (1923), S. 387–419. 3 «On the Hill», in: Tufts College Graduate, September–November 1925, S. 44, Tufts University Archives. Der weitere Text der Meldung: «Einen großen Teil seiner Zeit in Harvard studierte er bei Münsterberg und Langfeld, seine akademischen Grade sind A. B. (’15), LL. B. (’18) und Ph. D. (’21). Er hat in Rad­ cliffe gelehrt und kommt nach Tufts, nachdem er beim National Committee on Mental Hygiene an zwei Untersuchungen gearbeitet hat, eine widmete sich den Schulen von Staten Island, die andere den Gefängnissen von Texas.» Seine Professur an der American University wurde nicht erwähnt. 4 WMM wird als Assistant Professor of Philosophy and Psychology aufgeführt, mit der Privatadresse Newbury Street Nr. 440, Boston, in: Catalogue of Tufts College, 1925–1926, Medford, MA: Tufts University 1925, S. 22. Marston wird in diesem Vorlesungsverzeichnis als Lehrkraft für eine große Zahl von Kursen angegeben: 16-3, Angewandte Psychologie; 16-4, Angewandte Psychologie;

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16-5, Experimentelle Psychologie; 16-6, Psychopathologie; 16-7, Vergleichende Psychologie; 16-8, Geschichte der Psychologie sowie 16-9, Seminar in Psychologie. Als Ko-Lehrkraft soll er tätig gewesen sein für 16-1, Psychologie des menschlichen Verhaltens (S. 102 f.). Marston wird nicht aufgeführt im ­Catalogue of Tufts College, 1925–1926, Medford, MA: Tufts University 1925. 5 Zum Arbeitsbeginn von EHM bei Child Study vgl. einen auf April 1926 datierten Zeitungsausschnitt in ihrer Absolventinnen-Akte im Archiv des Mount ­Holyoke College. Das erste Heft des ersten Jahrgangs des Federation for Child Study Bulletin erschien im Januar 1924 (der Name der Zeitschrift wurde im Februar 1925, mit dem dritten Heft des zweiten Jahrgangs, auf Child Study verkürzt). «Elizabeth H. Marston» wird im Impressum von Child Study im dritten Jahrgang als Chefin vom Dienst (Managing Editor) genannt. Josette Frank wird ab März 1924 (1. Jg., 4. Heft) als Redakteurin genannt. «Elizabeth H. Mars­ ton» wird erstmals im Januar 1926 (3. Jg., 1. Heft) als Redakteurin des Blattes geführt (als Redakteurin, nicht als Chefin vom Dienst); dies blieb auch im ­Februar 1926 (3. Jg., 2. Heft) und März 1926 (3. Jg., 3. Heft) unverändert. Als Chefin vom Dienst wird sie im April und Mai 1926 genannt (3. Jg., 4. und 5. Heft). Und dann verschwindet sie. Josette Frank kehrte im Oktober 1926 als Redakteurin ins Impressum zurück, zu einem Zeitpunkt, als EHM nicht mehr für die Zeitschrift arbeitete. Es ist möglich, dass sich Marston und Frank nicht vertrugen. Zu Josette Frank vgl. außerdem: «Josette Frank, 96, Dies; Children’s Book Expert», in: New York Times, 14. September 1989. Der 1943 ins Leben gerufene Children’s Book Award wurde 1997 ihr zu Ehren in Josette Frank Award umbenannt. 6 Zur Bewegung für die Elternausbildung vgl. Jill Lepore, «Confessions of an Amateur Mother», in: The Mansion of Happiness, 7. Kapitel. Vgl. außerdem Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 167–171. 7 Faderman, Odd Girls and Twilight Lovers, S. 63–67. 8 «The Fun Foundation», in: Sensation Comics Nr. 27, März 1944. 9 «The Malice of the Green Imps», in: Sensation Comics Nr. 28, April 1944. 10 OBR, Studienbuch, Tufts University Archives. Olive Byrne belegte in ihrem Abschlussjahr bei Marston die folgenden Kurse: Angewandte Psychologie: «Eine Fortsetzung von 16-3, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Berufsberatung und Problemen der psychischen Gesundheit. Voraussetzung, 16-3»; Experimentelle Psychologie: «Ein Einführungskurs in Methoden des Experimentierens mit menschlichen Probanden. Jede Studentin wird abwechselnd als Experimentatorin und Probandin agieren, untersucht werden Sehver­mögen, Gehör, Temperatur, Blutdruck und andere Wahrnehmungen und Empfindungen des menschlichen Körpers. Außerdem werden kurze experimentelle Untersuchungen zu höheren Denkprozessen wie Gedächtnis, Assoziations-

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und Vorstellungsvermögen vorgenommen»: Psychopathologie: «Eine Untersuchung zu den Haupttypen geistiger Behinderung unter besonderer Berücksichtigung sozialer Verhaltensauffälligkeit»; Seminar in Psychologie: «Ein Kurs für Fortgeschrittene, theoretisch oder experimentell, in erster Linie für Graduate Students. Individuelle experimentelle Problemstellungen werden an Studentinnen vergeben, die in 16-5 zufriedenstellend abgeschnitten haben. Voraussetzung, abgesehen von Sondergenehmigungen, 12  Creditpunkte in Psychologie.» (Olive Byrne hatte keine 12 Creditpunkte im Fach Psychologie vorzuweisen.) 11 WMM, Emotions of Normal People, London: K. Paul, Trench, Trubner; New York: Harcourt, Brace 1928, S. 113–115, S. 249. 12 Ebenda, S. 107–109, S. 299–301. 13 Ebenda, S. 300. 14 Ebenda, S. 299. 15 Seventieth Annual Commencement of Tufts College, 14. Juni 1926, Medford, MA: Tufts University 1926. 16 MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013.

15 Eheglück

1 OBR wurde Jahre später in einem Interview gefragt: «Was wurde aus Ihrem Medizinstudium? Sie gingen ans College mit dem Gedanken, später Medizin zu studieren.» «Ich wurde umgelenkt», antwortete sie. «Ich entschied mich stattdessen für die Psychologie.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 29. 2 OBR an J. Noah Slee, 5. September 1926, MS Papers, Smith College, Box  33, Folder 4. 3 «The Brand of Madness», in: Sensation Comics Nr. 52, April 1946. 4 OBR an J. Noah Slee, 18. und 5. September 1926, MS Papers, Smith College, Box 33, Folder 4. 5 Sheldon Mayer, 1975 DC Convention: Wonder Woman Panel, Abschrift im ­Archiv von DC Comics. 6 MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013. 7 EHM an BHRM und Donn Marston, 14. März 1963, im Besitz von BHRM. 8 BHRM, E-Mail an die Autorin, 18. Juni 2013. BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. Carolyn Marston war mit Robert J. Keatley verheiratet; bei den US-Volkszählungen von 1930 und 1940 wurde Boston als ihr Wohnsitz ­registriert. Robert Keatley war 1930 noch am Leben, und das Ehepaar wird als in einem gemeinsamen Haushalt lebend registriert, ohne Mitbewohner. United States of America, Bureau of the Census, Fifteenth Census of the United Sta-

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tes, 1930, Washington, DC: National Archives and Records Administration 1930, abrufbar unter Ancestry.com, 1930 United States Federal Census, Provo, UT: Ancestry.com 2002. Im Jahr 1940 war Carolyn Marston Keatley 68 Jahre alt und wurde als Haushaltsvorstand in der Pilgrim Road 166 in Boston geführt, einem von ihr angemieteten Haus; vermutlich war ihr Ehemann inzwischen gestorben. Sie ging immer noch einer Vollzeit-Beschäftigung im Krankenhaus nach. Sie lebte mit einer 65-jährigen Frau namens Anne Shea zusammen. United States of America, Bureau of the Census, Sixteenth Census of the United ­States, 1940, Washington, DC: National Archives and Records Administration 1940, abrufbar unter: Ancestry.com, 1940 United States Federal Census, Provo, UT: Ancestry.com 2012. 9 Keatleys Exemplar von Levi Dowling, The Aquarian Gospel of Jesus the Christ (1908; Nachdruck: Los Angeles 1928), mit dem Vermerk «Return to Mrs. Carolyn Marston Keatley», ist im Besitz von MM. 10 «Wonder Woman: The Message of Love Binding», auf den 5. April 1943 datiertes Typoskript, das aber (handschriftlich) datierte Anmerkungen aus den Jahren 1925 und 1926 enthält. Dieses 95 Seiten umfassende, einzeilig geschriebene Dokument scheint um 1970 von MWH mit der Schreibmaschine und anhand von Notizen erstellt worden zu sein, die bei Treffen in den Jahren 1925 und 1926 gemacht wurden. Die Termine dieser Treffen sind mit Bleistift hinzugefügt worden; die Gruppe traf sich offensichtlich am 26. Oktober, am 15., 18. und 20. November und am 13. und 17. Dezember 1925, außerdem am 7., 17., 24. und 28. Januar, am 14., 18. und 21. Februar, am 1., 14., 16. und 21. März, am 4. April sowie am 9. und 26. Mai 1926. Das Typoskript ist nicht paginiert, aber in Abschnitte untergliedert, die Überschriften tragen wie: «What Is Wisdom?», «Messengership», «Love and Love Organs», «Dominance and Submission», «Adaptation», «The Difference Between Love Submission and Force Submission», «The Way in Which Love Binds Force or Power Under the Operation of the Divine or Eternal Love Law» und «Creation». Ich glaube, dass dieses Manuskript das Dokument ist, das EHM 1963 in einem Brief an Donn Marston und BHRM erwähnt, in dem sie schreibt, alle Erklärungen seien in einem mit Dokumenten gefüllten Karton zu finden, der in einem Wandschrank in Huntleys Haus in Charlestown, Rhode Island, eingelagert sei. O. A.s Tochter Sue Grupposo glaubt, dass Huntley diesen Karton vernichtete. Grupposo sagte mir: «Yaya bewahrte in Charlestown, in einem Wandschrank in einem Korridor im ersten Stock, einen wahren Schatz auf. Wir besuchten sie an einem Regentag und sahen uns dabei alles an. (…) Es gab da eine Menge Sachen spiritueller Natur, die spirituellen Themen, die sie diskutierten. Ein großer Teil davon beruhte auf Emotions of Normal People. Sie wollte diese Sachen verbrennen. ‹Die Welt ist noch nicht bereit für so etwas,

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und ich muss es vernichten›, sagte sie zu mir.» Sue Grupposo, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. Aber ich glaube, dass das 95-seitige Typoskript auf Notizen aus diesem Karton, die bei den Treffen 1925 und 1926 gemacht wurden, beruhen könnte. Eine Fotokopie des Typoskripts wird im Archiv von DC Comics aufbewahrt. 11 MWH an JE, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. 12 «Mystery of the Crimson Flame», in: Comic Cavalcade Nr. 5, Winter 1943. In einer anderen Geschichte zerstört Wonder Woman einen von einer «purpurroten Priesterin» geführten «teuflischen Kult», der Frauen übertölpelt. Die Priesterin klagt: «Sie hat meine Sache heute vernichtet, aber eines Tages werde ich Rache nehmen!» Aus: «The Judgment of Goddess Vultura», in: Wonder Woman Nr. 25, September/Oktober 1947. 13 EHM an BHRM und Donn Marston, 21. März 1963, im Besitz von BHRM. Ich habe mich gefragt, ob EHM, als sie 1963 schrieb, die Treffen von 1925 und 1926 hätten in der Wohnung von Tante Carolyn stattgefunden – der Schwester von Marstons Vater –, sich in ihrer Erinnerung täuschte und in Wirklichkeit Tante Claribel meinte, die Schwester von Marstons Mutter und eine der fünf Frauen, denen Marston Emotions of Normal People widmete. Das scheint sich nicht mehr zweifelsfrei klären zu lassen. Und was ihre Familien-Arrangements betraf: «Die Antworten auf alle diese Beziehungen lassen sich mathematisch ausdrücken», schrieb sie. «Keine Rätsel, keine Märchen, nur exakte Wissenschaft.» EHM an BHRM und Donn Marston, 15. März 1963, im Besitz von BHRM. 14 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 15 MS, Happiness in Marriage (1926; Nachdruck: New York: Brentano’s 1928), 7. Kapitel, S. 123, S. 112. 16 EHM an BHRM und Donn Marston, 14. März 1963, im Besitz von BHRM. 17 EHM an BHRM und Donn Marston, 15. März 1963, im Besitz von BHRM. Die Tradition in der Familie Sanger, MS «Mimi» zu nennen, geht auf die Enkelkinder zurück, zu denen Sanger immer sagte: «Come to me, come to me» (Chesler, Woman of Valor, S. 403). 18 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 181. 19 Eastman wird zitiert in einer Sammlung von Nation-Autobiografien unter dem Titel These Modern Women: Autobiographical Essays from the Twenties, herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Elaine Showalter, Westbury, NY: Feminist Press 1978, S. 5. 20 Helen Glynn Tyson, «The Professional Woman’s Baby», in: New Republic, 7. April 1926, S. 190–192. 21 Alice Beal Parsons, Woman’s Dilemma, New York: Thomas  Y. Crowell 1926, S. IV, S. 247.

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22 Suzanne La Follette, Concerning Women, New York: Albert and Charles Boni 1926, Zitat auf S. 305. Vgl. außerdem Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 191 f. 23 Virginia MacMakin Collier, Marriage and Careers: A Study of One Hundred Women Who Are Wives, Mothers, Homemakers and Professional Workers, New York: Channel Bookshop 1926, S. 9 f., S. 113. Eine Analyse von Colliers Ergebnissen mit Anmerkungen zur seltsamen Zusammensetzung ihrer Stichprobe findet sich bei Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 196 f. 24 Zu dieser Arbeitsteilung vgl. MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013.

16  Die Gefühle normaler Menschen

1 «Ich hatte die ganze Arbeit für die Promotion geschafft, schrieb aber nie die Doktorarbeit.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 29. 2 OBR an J. Noah Slee, 18. September 1926, MS Papers, Smith College, Box 33, Folder 4. 3 OBR, «The Evolution of the Theory and Research on Emotions», Master-Abschlussarbeit, Columbia University, 1927, Columbia University Archives. 4 WMMs Einstellung als Dozent für Psychologie ist auf den 1. Juli 1927 datiert; er war als Dozent bei den Abendkursen der University Extension am 7. November 1927 vorgesehen. Sein Vertrag lief am 30. Juni 1928 aus. Vertragsdaten nach WMM, Appointment Record, Box  38. Ein anderes Dokument, WMM, Nomination for Appointment, trägt das Datum des 26. Juli 1927. Marston wird als Nachfolger von Harold  E. Jones aufgeführt, mit einem Jahresgehalt von 2000 Dollar. Als seine Adresse ist der Morningside Drive Nr. 88 angegeben. A. T. Poffenberger wird in seiner Eigenschaft als «Executive Officer of Department» als der Mann genannt, der Marston einstellte. 5 Robert  S. Woodworth, The Columbia University Psychological Laboratory: A Fifty-Year Retrospective, New York: Columbia University 1942, in: Historical Subject Files, Box 46, Folder 7, Department of Psychology, Columbia University Archives. 6 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 219. 7 Emilie Hutchinson, Women and the Ph. D., Greensboro, NC: Institute of Professional Relations 1929, S. 101, zitiert nach Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 227. Zu einer Einschätzung der heutigen Situation vgl. Mary Ann ­Mason et al., Do Babies Matter? Gender and Family in the Ivory Tower, New Brunswick, NJ: Rutgers University Press 2013. 8 Olive Byrne erwarb 1926/27 31 Creditpunkte, 20 weitere dann im akademischen Jahr 1927/28, insgesamt also 51  Credits. Für die Promotion wurden

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60 Creditpunkte verlangt. Olive Byrne, Studienbuch, 1926–1928, Registrar’s Office, Columbia University. Ich danke Byrne Marston für die Erlaubnis, das Studienbuch seiner Mutter einzusehen. 9 EHM, «Tiddly Bits». 10 Die beste Kurzdarstellung der 14. Auflage bietet Harvey Einbinder, The Myth of the Britannica, New York: Grove 1964, S. 52 f.: «Die Encyclopaedia büßte ­einen Großteil ihres britischen Charakters ein, weil die 14. Auflage vom hemmenden Einfluss der Times befreit wurde. Dieser Wandel wurde durch die Gründung getrennter Redaktionen in London und New York unterstrichen. Der neue amerikanische Einfluss war offensichtlich: Fast die Hälfte der 3500 Autorinnen und Autoren waren Amerikaner  – im Gegensatz zur elften Auflage, von deren 1500 Autoren nur 123 Amerikaner waren.» Vgl. außerdem Herman Kogan, The Great EB: The Story of the Encyclopaedia Britannica, Chicago: University of Chicago Press 1958, 18. Kapitel. 11 P. W. Wilson, «This Era of Change», in: The New Britannica, 14th Edition, New York: Encyclopaedia Britannica 1929, S. 5 f., Buchrückseite. Wilson arbeitete als Rezensent für die New York Times Book Review. 12 EHM, «Tiddly Bits». 13 Molly Rhodes, «Wonder Woman and Her Disciplinary Powers: The Queer ­Intersection of Scientific Authority and Mass Culture», in: Roddey Reid/Sharon Traweek (Hg.), Doing Science + Culture, New York: Routledge 2000, S. 102. 14 WMM, Emotions of Normal People, S. 389–391; Hervorhebung durch die Auto­ rin. 15 OBR, Rezension zu Emotions of Normal People von WMM, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 24 (April 1929), S. 135–138. 16 WMM, C. Daly King und EHM, Integrative Psychology: A Study of Unit Response, London: K. Paul, Trench, Trubner; New York: Harcourt, Brace 1931. 17 Zum Beispiel in WMM an Boring, 2. April 1928. EHM hatte ihre eigene Sekretärin, abzulesen an «EHM/DIG», zum Beispiel in EHM an Boring, 3. April 1928, Edward Garrigues Boring Papers, Harvard University Archives, Correspondence, 1919–1969, Box 39, Folder 845, HUG 4229.5. 18 WMM an Edwin G. Boring, 18. März 1928, Boring Papers. 19 EHMs Korrespondenz mit Boring, die am 30. Oktober 1927 beginnt und am 22. September 1928 endet, ist von beträchtlichem Umfang. Sie wechselten Dutzende von Briefen, die vollständig in den Boring Papers zu finden sind. Holloway erwähnt in der Korrespondenz oft Walter Pitkin. Boring selbst steuerte Dutzende von Artikeln bei, aber er half EHM auch, potenzielle Autoren ausfindig zu machen, zum Beispiel in diesen Fällen: «Ich bin bei zwei Punkten in Verlegenheit. Wo bekomme ich einen Autor für den Artikel zur PSYCHOLOGIE DES VERKAUFSTALENTS her, und wer sollte über GESCHLECHTSUN-

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 182–184 TERSCHIEDE schreiben?» EHM an Edwin  G. Boring, 19. Januar 1928. WMM

findet nur in einem sehr kleinen Teil der Korrespondenz Erwähnung, und auch dann nur scherzhaft, zum Beispiel: «P. S. Wird Ihr Ehemann die blonden und brünetten Torheiten in die Britannica hineinschreiben?» Edwin G. Boring an EHM, 2. Februar 1928, Boring Papers. Marstons Experimente mit Blondinen und Brünetten wurden im Januar 1928 im Embassy Theatre in New York vorgenommen, wie im nächsten Kapitel geschildert. 20 EHM an Boring, 20. Juni 1928, dieser Brief wurde aus Darien, CT, verschickt, Boring Papers. 21 WMM, «Emotions, Analysis of», in: Encyclopaedia Britannica, New York 1929, Bd. 8, S. 399 f. Dieser Artikel zur Analyse von Gefühlen verblieb bis in die 1950 er Jahre hinein in der Encyclopaedia Britannica. Marstons Name wird außer­dem angegeben als Autor der Einträge zu den Stichworten «Zorn» («Anger»), «Antipathie» («Antipathy»), «Blutdruck» («Blood Pressure»), «Abwehrmechanismen» («Defence Mechanisms») und «Synapse» («Synapse»). EHM steuerte den Beitrag zum «Bedingten Reflex» («Conditioned Reflex») bei (Bd. 6, S. 221 f.). Britannica.com Customer Service, E-Mail an die Autorin, 18. Juni 2013. 22 Boring empfahl Marston außerdem für eine Dozentenstelle an der New Jersey School of Law (heute: Rutgers School of Law) in Newark, aber daraus wurde nichts. Edwin G. Boring an WMM, 22. März 1928; WMM an Boring, 2. April 1928; und Boring an WMM, 3. April 1928, Boring Papers. 23 WMM, New York (Columbia) an das Harvard Appointments Bureau, 2. April 1928. WMM, Registration Form, 14. April 1928, Harvard Appointments Bureau, WMM Undergraduate File, Harvard University Archives, UAIII 15.88.10. Auf seinem Bewerbungsformular bezeichnet er sich als «Universitäts- und beratender Psychologe» und gibt an, dass er raucht, aber nicht oft Alkohol trinkt, dass er 1,82 Meter groß ist und 90 Kilo wiegt und dass er Tennis und American Football spielt und schwimmt. Bei den Tätigkeiten am College gibt er auch «Persönlichkeits-Beratungsstellen zur emotionalen Neuorientierung von Studenten» an. Als Referenzen nennt er E. G. Boring, R. B. Perry und L. T. Troland. Als berufliche Tätigkeiten listet er auf: «Psychology Assistant, Radcliffe, 1915; Professor der Rechtspsychologie, American University, 1922–23; Assistant Professor der Philosophie und Psychologie (zuständig für Psychologie), Tufts College, 1925–26; Dozent für Psychologie an der Columbia University und N. Y. University, 1927 bis heute.» Als nicht in Harvard tätige Referenzen nennt er: Prof. A.  T. Poffenberger, Columbia; Professor Sidney Langfeld, Princeton; sowie Professor E. S. Thorndike, Columbia. 24 A. T. Poffenberger (Columbia) an das Harvard Appointments Bureau, 23. April 1928.

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25 Troland schloss die Malden High School bereits 1907 ab, vier Jahre vor Marston. Leonard T. Troland, Application for Admission to the Graduate School of Arts and Sciences, Harvard University, 14. Januar 1913, Harvard University Archives, UAV 161.201.10, Box 107, HAoWko. «Troland ist bereit, die kurzen Sachen zu übernehmen, unter der Bedingung, dass er den langen Artikel über psychophysiologische Optik schreibt.» Boring an EHM, 16. Februar 1928; zum Eintrag über die Farbe Schwarz vgl. Boring an EHM, 16. April 1928, Boring Papers. 26 L. T. Troland (Harvard, Emerson Hall) an das Harvard Appointments Bureau, 23. April 1928. 27 E. G. Boring (Harvard, Emerson Hall) an das Harvard Appointments Bureau, 23. April 1928. 28 E. S. Thorndike (Columbia) an das Harvard Appointments Bureau, 23. April 1928. 29 Herbert S. Langfeld (Princeton) an das Harvard Appointments Bureau, 23. April 1928. 30 Dass EHM von MWH zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht wurde, ist in der Bildunterschrift zu einem Foto in einem Album festgehalten, das sich im Besitz von MM befindet. EHM schrieb: «Das von Rosen umrankte Cottage in Darien, Conn, wo Pete beinahe geboren wurde, aber Zaz brachte mich rechtzeitig nach New York.» 31 «Ich hörte am Dienstag auf», schrieb Holloway später. «Das Baby wurde am Freitag im Lenox Hill Hospital in Manhattan geboren. Ich war 35 Jahre alt.» EHM, «Tiddly Bits». Vgl. außerdem Edwin G. Boring an EHM, 22. September 1928: «Ich schreibe, um Ihnen zur Geburt des jungen Moulton zu gratulieren und Ihnen zu sagen, dass Sie außerordentlich zielbewusst sind, wenn Sie Ihre Arbeit so lange machen, wie Sie das taten, und dann nach New York eilen, um ihn zur Welt zu bringen.» Boring Papers. 32 «Ich pendle nach New York und rechne damit, dass ich die Arbeit bis zum 1. August weiterführen kann, und dann nehme ich einen Monat frei», schrieb sie am 20. Juni 1928 aus Darien an Boring. EHMs letzter Brief an Boring aus der Redaktion in New York ist auf den 21. August 1928 datiert. In diesem ­Schreiben teilt sie ihm mit, er solle seine noch ausstehenden Artikel direkt an ihren Chef Walter Pitkin schicken. 33 EHM, Alumnae Association of Mount Holyoke College, Biographical Ques­ tionnaire, 13. Juni 1960, Mount Holyoke College Archives. 34 OBR an J. Noah Slee, 27. November 1928, MS Papers, Smith College, Box 33, Folder 4.

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17  Der Scharlatan

1 [Carl Laemmle], «Watch This Column», in: Saturday Evening Post, 21. Juli 1928. 2 Zu Laemmle vgl. John Drinkwater, The Life and Adventures of Carl Laemmle, London: Windmill 1931, und «Carl Laemmle Sr., Film Pioneer, Dies», in: New York Times, 25. September 1939. 3 «Carl Laemmle Digs the ‹Doc›», in: Variety, 26. Dezember 1928. 4 «Brunettes More Emotional Than Blondes, Movie Experiments Prove», in: Daily Boston Globe, 31. Januar 1928. 5 «Proves Brunettes More Emotional Than Blondes», in: Wisconsin Rapids Daily Tribune, 31. Januar 1928. 6 Eine Auswahl der Zeitungen, in denen die Geschichte erschien: Kingsport (TN) Times, 27. Januar 1928; Danville, Virginia, Bee, 28. Januar 1928; Helena, Montana, Independent, 28. Januar 1928; Newark (OH) Advocate, 31. Januar 1928; Oelwein (IA) Daily Register, 31. Januar 1928; Iowa (KS) Daily Register, 31. Januar 1928; Olean (NY) Times, 31. Januar 1928; Lowell (MA) Sun, 31. Januar 1928; Lancaster (OH) Daily Eagle, 31. Januar 1928; Ironwood, Michigan, Daily Globe, 31. Januar 1928; Tipton (IN) Tribune, 31. Januar 1928; Lebanon (PA) Daily News, 1. Februar 1928; Edwardsville (IL) Intelligencer, 2. Februar 1928; Port Arthur (TX) News, 4. Februar 1928; Oakland (CA) Tribune, 6. Februar 1928; Billings (MT) Gazette, 9. Februar 1928; und der Hamburg (IA) Reporter, 9. Februar 1928. «Measure for Love», Wochenschaubericht, 1928. Über ein ähnliches Experiment berichtete 1931 ein Wochenschaubeitrag unter dem ­Titel «Preferred by Gentlemen». Beide Filme sind erhältlich bei F. I. L. M. ­Archives, Inc., New York. 7 Eine nützliche biografische Abhandlung ist «Man Who Wrote ‹Life Begins at 40› Dies at 74», in: New York Herald Tribune, 26. Januar 1953. Ebenfalls nützlich ist ein von Marston verfasstes Porträt Pitkins: WMM, «Energizer of the Aged», in: Esquire, August 1936, S. 66, S. 158, S. 161. 8 Byrne Marston glaubt, dass Pitkin an den Treffen in Carolyn Marston Keatleys Wohnung in Boston teilgenommen haben könnte. BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 9 Walter B. Pitkin, On My Own, New York: Charles Scribner’s Sons 1944, S. 505. 10 Dorothy E. Deitsch, «Age and Sex Differences in Immediate and Delayed Recall for Motion Pictures», MA Thesis, Columbia University, 1927. 11 Nicholas Murray Butler an Robert  S. Woodworth, 25. September 1929: «Ich leite einen für sich selbst sprechenden Brief von Mr. Will  H. Hays weiter.» Central Files, 1895–1971, Office of the President, Columbia University, Box 341, Folder 17, Robert Sessions Woodworth.

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12 John N. Howard, «Profile in Optics: Leonard Thompson Troland», in: Optics Info Base, Juni 2008, S. 20 f. 13 Carl Laemmle, «Watch This Column», in: Saturday Evening Post, 9. Februar 1929. «Sie werden sich möglicherweise erinnern, dass ich vor einigen Monaten mit Hilfe dieser Kolumne einen Appell an Amerikas am stärksten an der Praxis orientierten Psychologen richtete, UNIVERSAL bei der Auswahl von Geschichten zu unterstützen, die sich am besten dafür eignen, eine breite ­Öffentlichkeit anzusprechen. Endlich habe ich den richtigen Mann gefunden, nach Monaten geduldigen Suchens und der Lektüre Hunderter Briefe. Er ist kein Geringerer als Dr. W. M. Marston, der berühmte Doktor der Psychologie von der Columbia und der New York University, der jetzt mit dem Titel eines Director of Public Service bei Universal unbefristet unter Vertrag ist. Seine Ankunft in unseren California Studios wird für den Beginn einer neuen und größeren Ära bei Universal Pictures stehen, und ich hoffe, Sie werden sie sich ab jetzt anschauen.» Vgl. außerdem «Carl Laemmle Digs the ‹Doc›», in: Variety, 26. Dezember 1928. 14 «Movie Psychology Dooms Cave Man: It’s Jung Woman’s Fancy That Turns to Love, Dr. Marston Avers», in: New York Evening Post, 28. Dezember 1928. 15 WMM führte die NYU zwar immer als einen Ort an, an dem er unterrichtet hatte, aber seine Lehrtätigkeit dort war sehr begrenzt: Er scheint als Lehr­ beauftragter («adjunct») gearbeitet zu haben, im Vorlesungsverzeichnis für das Studienjahr 1927–28 wird er als «instructor» geführt. Erin Shaw, NYU Archi­ves, E-Mail an die Autorin, 20. März 2013. 16 Henry W. Levy, «Professor to Cure Scenarios with Wrong Emotional Content: Dabbled in Movies While at Harvard: Now Sought by Hollywood with Offer of Favorable Contract», in: New York University Daily News, 8. Januar 1929. 17 EHM, «Tiddly Bits». 18 Ebenda. 19 «Noted Psychologist Employed to Improve Moving Pictures», in: Universal Weekly, 5. Januar 1929. «Carl Laemmle Digs the ‹Doc›», in: Variety, 26. Dezember 1928. 20 Großanzeige für The Man Who Laughs, Universal Pictures, in: Variety, 16. Januar 1929; Großanzeige für The Man Who Laughs, in: Variety, 2. Januar 1929; «Film Psychology», in: Times of India, 22. Februar 1929. 21 WMM berichtet über dieses Experiment in: Walter B. Pitkin/WMM, The Art of Sound Pictures, mit einer Einleitung von Jesse L. Lasky, New York: D. Appleton 1930, S. 154 f. 22 Esther L. Cottingham, «Dr. Marston Applies Psychology of Human Emotion to Films», in: Hollywood Daily Screen World, 2. März 1929. 23 Pitkin, On My Own, S. 504.

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24 WMM, «Energizer of the Aged», in: Esquire, August 1936, S. 161. 25 Pitkin/WMM, Art of Sound Pictures. Als Erscheinungsjahr wird zwar 1930 [s. Anm. 21] angegeben, aber das Buch kam im November 1929 heraus. 26 Pitkin/WMM, Art of Sound Pictures, S. VI. 27 Ebenda, S. 127, S. 160 f. 28 Pitkin verfasste ein langes Kapitel mit der Überschrift «Your Story» – eine Reprise seines früheren Buches How to Write Stories, überarbeitet mit Blick auf den Tonfilm; Marston schrieb ein langes Kapitel über «Feelings and Emotions», eine Reprise seiner Theorie von «dominance», «submission», «inducement» und «captivation», die weitgehend aus Emotions of Normal People entnommen wurde. Pitkin/WMM, Art of Sound Pictures, S. 53, S. 72 f., S. 79. 29 «New Books», in: New York Times, 26. Januar 1930; «Books and Authors», in: New York Times, 3. November 1929. «Hollywood war konfus», erklärte Pitkin. «Wir veröffentlichten das erste Buch über Tonfilm-Technik. Aber wir hätten viel gewonnen, wenn wir es um ein ganzes Jahr verschoben hätten.» Pitkin, On My Own, S. 509. 30 Fotos von WMM, der Zuschauerinnen und Zuschauer testet, während sie sich Probekopien von Dr. Jekyll and Mr. Hyde ansehen, sind im Besitz von MM. 31 Pitkin, On My Own, S. 506. 32 The Charlatan ist der Film, an dessen Set Marston auf den Publicity-Fotos zu sehen ist, die ich in den Fotoalben der Familie Marston gefunden habe. Ein herzlicher Dank geht an Josh Siegel, der diesen Film anhand des Standfotos identifizierte. Zu Show Boat: WMM selbst sagte: «Ich ging nach Hollywood als persönlicher Berater des inzwischen verstorbenen Carl Laemmle für die Produktion von Filmen und wurde aufgefordert, alle möglichen Dinge zu tun, mit denen ich mich nicht auskannte, von der Beschaffung von drei Millionen Dollar bis zum Einfügen neuer Musik in ‹Show Boat›. Aber ich hatte auch einige angenehme Aufgaben, Ankauf von und Aufsicht über die Bearbeitung von Geschichten für die Filmproduktion, der Versuch, den staatlichen Zensoren als Repräsentant der Hays-Organisation beim Filmschnitt auf dem UniversalGelände gedanklich voraus zu sein, und einige Arbeiten mit Farbfotografie.» Harvard College, Class of 1915 25th Anniversary Report, S. 481. 33 Die Arbeit von Larson und Keeler wird ausgezeichnet dokumentiert und analysiert in: Alder, Lie Detectors. 34 WMM, «Energizer of the Aged», in: Esquire, August 1936, S. 158. 35 Walter B. Pitkin, undatiertes Memo, ca. 1929, im Besitz von John Pitkin, Walter B. Pitkins Enkel. Ein herzlicher Dank geht an John Pitkin, der mir dieses und weiteres Material zur Verfügung stellte. 36 George  W. Stuart an Walter  B. Pitkin, 10. Oktober 1929, im Besitz von John Pitkin. Den genauen Zeitpunkt des Scheiterns der Firma konnte ich nicht er-

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mitteln. Noch im Dezember 1929 scheint sie wirtschaftlich tätig gewesen zu sein, jedenfalls nach einer von Marston selbst verfassten Pressemitteilung, «Dr. William Marston Becomes Vice President of Equitable», in: Exhibitors Daily Review and Motion Pictures Today, 18. Dezember 1929: «George W. Stuart, Präsident der Equitable Pictures Corporation, einer neu gegründeten Produktionsgesellschaft, die Filme für den Verleih durch den Motion Picture Congress of America, Inc., herstellen wird, gibt die Berufung von Dr. William M. Marston, einem herausragenden Experten für Emotionen, der zugleich die führende Autorität des Landes ist, wenn es darum geht, ‹was das Publikum will›, zum Vizepräsidenten von Equitable bekannt. (…) Dr. Marston ist der bekannteste Psychologe des Landes. In den letzten Jahren hat er sein analytisches Können auf Spielfilme und die Reaktionen, Vorlieben und Abneigungen von Spielfilm-Zuschauern angewendet. Zu seinen Erfahrungen mit Produktions- und Studioarbeit gehört auch eine lange Zusammenarbeit mit MGM und Universal. Während seiner Tätigkeit bei Universal war er allgemeiner Berater für Storys, Besetzungen und Bildbedeutungen. Zu seinen he­ rausragenden Leistungen bei MGM zählte der im Embassy Theatre in New York veranstaltete und gefeierte ‹Blondine-Brünette›-Liebesgefühle-Test, der für die Zeitungen eine Sensation war. Dr. Marston gab seine Stellung als Dozent für Psychologie an der Columbia und an der New York University auf, um sich dem Thema Spielfilme zu widmen. Vor seiner Lehrtätigkeit an diesen beiden Universitäten arbeitete er einige Jahre lang in Diensten der Regierung und an Universitäten im Bereich der Psychoanalyse. Für landesweite Aufmerksamkeit sorgte er als Erfinder und Entwickler des mittlerweile berühmten ‹Lügendetektors›, eines Tests zur Feststellung von Täuschungen mit Hilfe von Blutdruckmessungen, den er im Verlauf seiner Zusammenarbeit mit Dr. Hugo Munsterberg im Harvard Psychological Laboratory entwickelte.»

18  VENUS MIT UNS

1 OBR hielt ihr Hochzeitsdatum in einer Publikation zur Tenth Class Reunion ihres Abschlussjahrgangs in Tufts fest, in der sie eine wichtige Zusammen­ fassung ihrer beruflichen Laufbahn lieferte: «OLIVE BYRNE (Mrs. William ­Richard), Rye, New York (P. O. Box 32, Harrison, N. Y.). Die Columbia University verlieh ihr 1927 den Grad einer M. A., und im darauffolgenden Jahr arbeitete sie an einer Dissertation. Im Jahr 1929 bei den Universal Studios in Hollywood und anschließend bis 1931 wieder an der Columbia. Ab dann bis 1935 in New York und später in Boston, aber 1935 wieder in New York, begann jetzt zu schreiben. Redaktionsmitglied des Family Circle Magazine. Heiratete Wil-

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liam Richard am 21. November 1928 und hat zwei Kinder, Byrne, geboren am 12. Januar 1931, und Donn, geboren am 20. September 1932.» In: «Facts and Fancies of the Class of 1926, Compiled for the Tenth Reunion, June 11, 12, 13, 14, 1936», nicht paginiert, Class Material, 1922–27, UA039/Classes, 1858–1997, Box  7, Folder  6, Tufts University Archives. OBR ergänzte William Richards Namen zuweilen durch eine Initiale in der Mitte: K. Vgl. «OLIVE BYRNE (Mrs. William Richard), 81  Oakland Beach Avenue, Rye, N. Y. Jackson [das Frauen vorbehaltene College von Tufts], B. S. in Englisch. Columbia University M. A. 1927. Heiratete 1928 William  K. Richard, inzwischen verstorben. Hat zwei Söhne, Byrne Holloway, 20, Harvard ’51, und Donn William, 18, Harvard ’54. Assistentin von Dr. W. M. Marston bis zu seinem Tod 1947, schreibt Artikel für Fachblätter usw. Mitglied des Woman’s Club of Rye und des Coveleigh Club of Rye. Hobby: Kunst.» In: «Jumbo Looks Back Again at the Great Class of 26, 25th Reunion», Class Material, 1922–27, UA039/Classes, 1858–1997, Box 7, Folder 6, Tufts University Archives. 2 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 7. 3 Tagebuch von OBR, Einträge vom 21. November 1936 und 21. November 1937, im Besitz von BHRM. 4 WMM an Helen M. Voorhees, 6. Dezember 1928 (mit Briefkopf des Columbia University Department of Psychology), Mount Holyoke College Archives. 5 WMM, Class Note, Harvard College Class of 1915: Fifteenth Anniversary Report, Cambridge, MA: Printed for the Class 1930, S. 143 f. 6 United States of America, Bureau of the Census, Fifteenth Census of the United States, 1930, Washington, DC: National Archives and Records Administration 1930, abrufbar unter: Ancestry.com, 1930 United States Federal Census, Provo, UT: Ancestry.com 2002. 7 Huntley wohnte 1939 in Waltham, Massachusetts, in der Trapelo Road  475 und arbeitete als Senior Library Assistant im Metropolitan State Hospital in Waltham. U. S. City Directories, 1821–1989, Provo, UT: Ancestry.com 2011. 1941 war sie Bibliothekarin im Metropolitan Hospital in New York; diese Verbindung ergibt sich aus einem Zeitungsbericht über eine Versammlung der American Librarian Association: «Says U. S. History Backs F. D. R.», in: New York Times, 24. Juni 1941. 8 OBR, Record of Byrne Holloway Richard, Notizbuch, im Besitz von BHRM. Er wurde im Polyclinic Hospital in Manhattan geboren. 9 Tagebuch von OBR, im Besitz von BHRM. OBR bezeichnete EHM in den Tagebüchern als «SM», vermutlich für «Sadie Marston». 10 Mary Ross, zitiert bei Chesler, Woman of Valor, S. 314; New York Herald Tribune, 13. November 1931, zitiert ebenda, S. 7. MS, My Fight for Birth Control, New York: Farrar and Rinehart 1931; Chesler, Woman of Valor, S. 329.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 209–215



11 «Hot Babies, Those Co-Eds», in: New York Graphic, 17. November 1931. In diesem Artikel wird WMM als Gastprofessor der Long Island University bezeichnet. 12 WMM, Harvard College Class of 1915, Twenty-fifth Reunion Report, Cambridge: Cosmos 1940, S. 480–482. 13 WMM, Venus with Us: A Tale of the Caesar, New York: Sears 1932, S. 4, S. 20– 22, S. 35, S. 56, S. 58, S. 69, S. 111–114, S. 124, S. 175. Zum Publikationsdatum vgl. «Books Schedule to Appear During the Summer Months», in: New York Times, 19. Juni 1932, und Großanzeige, in: New York Times, 24. Juli 1932. 14 Der Boston Globe bezeichnete das Buch als eine seltsame Darstellung von Julius Caesars Behauptung, dass Frauen die Welt beherrschten, während Männer Kriege führten. Ein Kritiker der Chicago Tribune lobte das Buch, tadelte es ­jedoch auch scharf wegen seines Anachronismus: «William M. Marston verleiht seinen Figuren eine nahezu moderne Form. Sie sprechen im heutigen Slang, sie verfügen über eine Kultiviertheit, die modernen Augen und Ohren wirklich vertraut vorkommt, und weisen in ihrem Handeln und in ihrer Psychologie größtenteils eine definitiv zeitgenössische Prägung auf.» «Critics ­Acclaim First Novel by Author of 25», in: Chicago Daily Tribune, 5. August 1932. Elisabeth Poe, «The New Books and Their Authors», in: Washington Post, 31. Juli 1932. «Tense and Thrilling Is This Detective Story», in: Daily Boston Globe, 30. Juli 1932.

19  FICTION HOUSE

1 James R. McCarthy, «First Full Facts About the Astounding Plague of Organized Kidnappings», in: Atlanta Constitution, 5. Juni 1932; WMM, Lie Detector Test, S. 81. 2 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 7, S. 15; MM, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2012. EHM erklärte ihren eigenen Namen so: «Eines der Kinder konnte mit zwei Jahren einen Kosenamen, den Bill für mich hatte, nicht aussprechen. Der kleine Junge sagte: ‹Keetsie›, was von Alt und Jung aufgegriffen, aber zu ‹Keets› verkürzt wurde. Ein paar von den jungen Leuten wissen gar nicht, dass ich noch andere Namen habe», EHM an Caroline Becker (Alumnae Office), 26. Februar 1987, EHM Alumnae File, Mount Auburn College Archives. 3 «The Sphinx Speaks of the Class of 1915, Mount Holyoke College: A Biographical History … for our Thirty-second Reunion, June 1947», South Hadley, MA: Mount Holyoke College 1947, nicht paginiert. 4 WMM, Harvard College Class of 1915, Twenty-fifth Reunion Report, S. 480–482.

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 215–223

5 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 8. 6 Ebenda, S. 23, S. 14 f., S. 13 f. 7 Jack Byrne wird bereits 1927 als Lektor von Action Stories, Madison Avenue 271, New York, geführt. Vgl. hierzu den Eintrag zu Action Stories in: William B. McCourties, Where and How to Sell Manuscripts: A Director for Writers, Springfield, MA: Home Correspondence School 51927, S. 8. 8 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013; Adoptionsdokument von Byrne Holloway Richard Marston, 2. Februar 1935, Essex County Probate Court, Commonwealth of Massachusetts, eine Kopie im Besitz von BHRM. 9 OBR an MS, August 1935, MS Papers, Library of Congress, Microfilm Edition, L006:0946. Sanger wusste über Olives Affäre mit Marston Bescheid. «Es machte ihr nichts aus», sagte ihre Enkelin später. «Mein Gott, sie hatte in ihrem Leben so viele Affären; Olives Affären beunruhigten sie nicht.» MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013. Und Olive und die Kinder kamen oft zu Besuch; vgl. hierzu zum Beispiel MS an OBR, 11. Mai 1936, Library of Congress, Microfilm Edition, L006: 0952: «Ich würde Dich liebend gern sehen. Warum bringst Du nicht bald beide Kinder für ein Wochenende mit?» Aus ihrer Korrespondenz erschließen sich viele solcher Wochenendbesuche. 10 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 8. Das Haus befand sich in der Oakland Beach Avenue 81. 11 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 12 «Jedes Mal, wenn sie nach New York kam, rief sie in Rye an, wo ich wohnte.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 16. 13 WMM an BHRM, undatiert, aber im Sommer 1942 geschrieben, im Besitz von BHRM; OBR an MS, August 1935, MS Papers, Library of Congress, Microfilm Edition, L006: 0946. 14 Der Ausdruck «family circle» hat eine interessante Geschichte. Inez Haynes Gillmore, die Autorin von Angel Island, hatte 1931 einen Roman mit diesem Titel veröffentlicht. Inez Haynes Gillmore, Family Circle, Indianapolis: BobbsMerrill 1931. 15 Edwin J. Perkins, Wall Street to Main Street: Charles Merrill and Middle-Class Investors, New York: Cambridge University Press 1999, S. 117 f.; Kathleen ­Endres/Therese L.  Lueck (Hg.), Women’s Periodicals in the United States: Consumer Magazines, Westport, CT: Greenwood 1995, S. 87, S. XIV. 16 OBR, «Lie Detector», in: Family Circle, 1. November 1935. 17 OBR, «Their Shyness Made Them Famous», in: Family Circle, 19. November 1937. 18 OBR, «How Far Should She Go?», in: Family Circle, 1. November 1935. 19 OBR, «Know Your Man», in: Family Circle, 23. Oktober 1936. 20 Jack Byrne an OBR, 17. Februar 1958, im Besitz von BHRM; OBR.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 223–229



21 «Live, Love, Laugh, and Be Happy», in: Family Circle, 27. November 1936. 22 OBR, «Ferocious Fiction», in: Family Circle, 20. Dezember 1935. 23 Tagebuch von OBR, Einträge vom 15. Januar 1936; 1. März 1936; 28. Mai 1936; 8. November 1936; 22. Januar 1938; 31. Januar 1938; 27. Mai 1937, im Besitz von BHRM.

20  Der Duke of Deception

1 «May Use Lie Detector», in: Washington Post, 22. November 1935. 2 Alder, Lie Detectors, S. 148 und Kapitel 13. 3 «Lindbergh Baby’s Murderer to Be Placed Under ‹Lie Detector›», in: Times of India, 29. November 1935. Marstons spätere Darstellung der Ereignisse weicht in gewissem Umfang davon ab. Er behauptete, er habe sich nicht an Fisher gewandt, sondern sei seinerseits im Herbst 1935 von einem Detektiv kontaktiert worden, der für die Verteidigung arbeitete. WMM, Lie Detector Test, S. 82–88. Marston behauptete außerdem, Hauptmann habe in einem Brief an Hoffman um einen Lügendetektor-Test gebeten. 4 «Gov. Hoffman Urges Lie-Detector Test», in: New York Times, 24. Januar 1936; «Defense Staff of Hauptmann Adds Attorney», in: Washington Post, 24. Januar 1936; «Lie Detector Test Backed by Hoffman», in: Boston Globe, 24. Januar 1936; sowie «Tells Lie Test He Would Use on Hauptmann», in: Chicago Tribune, 25. Januar 1936. Nach einer Pressemitteilung WMMs vom 12. Januar 1936 – dem Tag, an dem Gouverneur Hoffman dem verurteilten Hauptmann einen Aufschub der Hinrichtung um 30 Tage gewährte – hatte Dr. John F. Condon, der Unterhändler für die Lösegeldzahlung an den Entführer, im Dezember angeblich sein Einverständnis erklärt, sich einem Lügendetektor-Test zu unterziehen, allerdings erst nach Hauptmanns Tod. «Hauptmann Plans to Make New Plea to Highest Court», in: New York Times, 13. Januar 1936. 5 WMM, Lie Detector Test, S. 87 f. 6 Exemplar von The Lie Detector Test mit Widmung, im Besitz von BHRM. 7 Helen  W. Gandy [Hoovers Sekretärin] an Richard  R. Smith, 8. März 1938; ­Richard R. Smith an Helen W. Gandy, 10. März 1938; und Helen W. Gandy an Richard  R. Smith, 16. März 1938, William Moulton Marston’s FBI File, U. S. ­Justice Government. 8 Ich danke Hoovers Biografin Beverly Gage für diese Information. 9 WMM, Lie Detector Test. Vgl. außerdem Verne W. Lyon, «Practical Application of Deception Tests», in: Federal Probation 4 (Februar 1940), S. 41 f. 10 E. P. Coffey an Mr. Nathan, Memo, 11. Mai 1938, WMM, FBI File, Department of Justice.

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 229–232

11 WMM, Lie Detector Test, S. 72. 12 Der Direktor der damaligen P. C. Penal Institution in Lorton, Virginia, schrieb einen Brief, mit dem er Fryes Gnadengesuch unterstützte und auf dessen ­Arbeit als Telefonist und sein vorbildliches Verhalten verwies: W. L. Peak, ­Superintendent, an J. A. Finch, Attorney in Charge of Pardons, 12. Juli 1934, National Archives, RG  204, Stack  230, 40:14:2, Box  1583, File  56–386. James A. Frye, Application for Executive Clemency, 12. Juli 1934, National ­Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box 1583, File 56–386; James A. Frye an Daniel  M. Lyons, Department of Justice, 2. August 1943, National Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box 1583, File 56–386; Fryes Antrag von 1945 auf Begnadigung durch den Präsidenten, National Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box 1583, File 56–386, S. 13 f.; James A. Frye an D. M. Lyons, Pardon Attorney, 7. September 1945, und James A. Frye an Harry S. Truman, Präsident der Vereinigten Staaten, 28. September 1945, National Archives, RG 204, Stack 230, 40:14:2, Box 1583, File 56–386. 13 WMM, Lie Detector Test, S. 115. 14 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 26. 15 WMM, Lie Detector Test, S. 119. 16 «‹Are You in Love?› Check Your Reply with Lie Detector«, in: Washington Post, 9. März 1938; Sally McDougall, «Tells Why Women Lie: Dr. W. M. Marston, ‹Detector› Inventor, Makes Experiment», in: New York World Telegram, 9. März 1938; und «Scientist Finds Men Prefer Brunettes», in: Washington Post, 23. September 1939. 17 Interview mit MM, 25. Juli 2012. 18 WMM hatte offenbar gesagt, er sei dabei, ein «Wahrheitsbüro» einzurichten. Vgl. hierzu [Name gestrichen] an J. Edgar Hoover, Jacksonville, 26. Oktober 1940: «Nachdem ich in einer Zeitung in Jacksonville gelesen habe, dass Dr. William Moulton Marston Lügendetektor-Tester ausbilden soll, um sie für den Dienst in einem künftigen ‹Truth Bureau› vorzubereiten, möchte ich gerne mit Dr. Marston in Kontakt treten, um mich für diese Ausbildung zu bewerben, da ich 1923 an der American University Dr. Marstons Kurse über Rechtsphysiologie und den Einsatz des Lügendetektors absolviert habe.» Hoover antwortet (Hoover an [Name gestrichen], Washington, 8. November 1940): «Ich muss darauf hinweisen, dass die Person, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, auf keinerlei Art mit dem Federal Bureau of Investigation in Verbindung steht.» WMM, FBI File. 19 OBR, «No Thing Matters», in: Family Circle, 16. April 1937. 20 «The Duke of Deception», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942. Zu Upton Sinclairs gescheiterter Kandidatur vgl. Jill Lepore, «The Lie Factory: How Poli­ tics Became a Business», in: New Yorker, 24. September 2012.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 233–239



21 Anzeige mit der Überschrift «Lie Detector ‹Tells All›», in: Life, 21. November 1938, S. 65. 22 John S. Bugas an J. Edgar Hoover, 13. Juli 1939, WMM, FBI File. Vgl. außerdem Alder, Lie Detectors, S. 189 f.

21  HERRSCHAFT DER FRAU ZUR TATSACHE ERKLÄRT

1 «Women Will Rule 1,000  Years Hence!», in: Chicago Tribune, 11. November 1937, und «Feminine Rule Declared Fact», in: Los Angeles Times, 13. November 1937. Als WMM 1937 ein Matriarchat vorhersagte, ritt er auf einer Welle, die teilweise mit der Prominenz von Eleanor Roosevelt zu tun hatte und außerdem mit einem Skandal um Mary Woolley, die in jenem Jahr zum Rücktritt vom Amt der Präsidentin von Mount Holyoke gezwungen und durch einen Mann ersetzt worden war. «Ich bin eine der vielen, die sehr irritiert waren, als ein Mann der Nachfolger von Miss Woolley im Präsidentenamt wurde», schrieb Holloway aus bitterer Erinnerung. «Frauen werden sich niemals zu Führungspersönlichkeiten entwickeln, wenn sie nicht die Chance dazu bekom­ men oder selbst danach greifen.» EHM ans Mount Holyoke Alumni Office, 13. Juni 1960, in einer handschriftlichen Ergänzung zu einem Fragebogen für Absolventinnen. Mount Holyoke College Archives. 2 Betty Boop for President, Regie: Dave Fleischer, Paramount Pictures 1932; «Woman for President Boom Launched», in: Milwaukee Journal, 26. Februar 1935; «Woman-for-President League ‹Nominees›», in: Harvard Crimson, 3. Juni 1935; «New League’s Aim Is Woman Vice President», in: Washington Post, 20. Februar 1935; und Mary June Burton, «‹We Shall Have a Woman President!›», in: Los Angeles Times, 11. August 1935. 3 Howes Artikel wird zitiert in «Among the Magazines», in: Washington Post, 19. Mai 1935. 4 «Marston Advises 3 L’s For Success … Predicts U. S. Matriarchy», in: New York Times, 11. November 1937. 5 «Neglected Amazons to Rule Men in 1,000 Years, Says Psychologist», in: Washington Post, 11. November 1937. 6 Catt, zitiert bei Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 30; vgl. auch Cotts ­Erörterung des Janusgesichts des Feminismus im 1. Kapitel. 7 Batya Weinbaum, Islands of Women and Amazons: Representations and Realities, Austin: University of Texas Press 1999, S. 16–27; Laurel Thatcher Ulrich, Well-Behaved Women Seldom Make History, New York: Knopf 2007, Kap. 2; und Inez Haynes Irwin, Angels and Amazons: A Hundred Years of American Women, Garden City, NY: Doubleday, Doran 1933.

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 239–245

8 «Dr. Poison», in: Sensation Comics Nr. 2, Februar 1942. 9 MSML, Interview mit Jacqueline Van Voris, MS Papers, Smith College 1977, S. 25. 10 WMM, Try Living. 11 Tagebuch von OBR, Eintrag vom 10. Juli 1937, im Besitz von BHRM. 12 «Bookends», in: Washington Post, 22. Oktober 1937. 13 «Marston Advises 3 L’s For Success», in: New York Times, 11. November 1937. 14 H. G. Wells bei einer Rede 1935 in London, in: Round the World for Birth Control, Birth Control International Information Centre, 1937, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S62: 598; Chesler, Woman of Valor, S. 361–364, S. 373–376; und Reed, From Private Vice to Public Virtue, S. 121. 15 EHM Alumni-Zeitungsausschnitt, datiert auf November 1937, Mount Holyoke College Archives. 16 EHM, Mount Holyoke College One Hundred Year Directory, 1936, Mount ­Holyoke College Archives. 17 Tagebuch von OBR, Einträge vom 8. Juli 1936, 15. Juli 1936 und 1. Juli 1937, im Besitz von BHRM. 18 MSML an BHRM und Audrey Marston, 27. Februar 1963, im Besitz von BHRM. 19 1940 United States Federal Census; Ort: Rye, Westchester, New York; Roll: T627_2813; Seite: 13A; Zählbezirk: 60–334. 20 MM, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2012. 21 Christie Marston, Pete Marstons Tochter, sagte: «Gran [gemeint ist EHM] sagte, dass sie jahrelang gegenüber Freunden erklärten, Dotsie sei die Mama von Byrne und Donn, aber für alle anderen Leute war Gran die Mama.» Christie Marston, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2012. 22 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 23 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit Steve Korte, 25. August 1999, DC Comics Archives. 24 Tagebuch von OBR, Eintrag vom 4. November 1937. 25 Tagebuch von OBR, Eintrag vom 15. Februar 1938. Als OBR diese Geschichte in ihrem Tagebuch festhielt, fügte sie drei eigene Ausrufezeichen hinzu. 26 Tagebuch von OBR, Eintrag vom 3. August 1936. 27 Marstons Exemplar von Victor H. Lindlahrs Eat and Reduce (1939; Neuauflage 1948 bei Permabooks, New York) ist im Besitz von MM. 28 BHRM, «Memories of an Unusual Father», und Olive Ann Marston Lamott, ­Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 29 WMM, «What Are Your Prejudices?», in: Your Life, März 1939. 30 WMM an BHRM, Memo, mit der Antwort auf der Rückseite, undatiert, aber ca. 1940, im Besitz von BHRM. 31 WMM, «Dad to Doodle», undatiertes Fragment, im Besitz von BHRM.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 245–248



32 «Er herrschte mit eiserner Hand», MSML, Interview mit der Autorin, 9. Juli 2013. 33 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 34 WMM an BHRM, undatiert, im Besitz von BHRM. 35 Tagebuch von WMM, Einträge vom 24. und 25. Dezember 1938, im Besitz von BHRM. 36 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 9–12. 37 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013, und OBR an BHRM, undatiert, aber ca. 1944, im Besitz von BHRM. 38 MM erzählte mir davon, als ich ihn interviewte; BHRM schreibt in seinen Erinnerungen über dieses Thema, und OBR geht in ihrem Tagebuch darauf ein – zum Beispiel am 1. März 1936: «Hatten abends ein ‹Marston Forum›, bei dem sich alle freimütig äußerten. M. rezitierte. B. erzählte eine Geschichte, ebenso Dunn. O. A. über [?] O. A. sehr tragisch.» 39 Tagebuch von WMM, Eintrag vom 23. Juni 1935, im Besitz von BHRM. 40 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 6–9. 41 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit Steve Korte, 25. August 1999, DC Comics Archives. 42 Tagebuch von WMM, Eintrag vom 29. September 1940. MM hat seinen IQTest aufbewahrt: MM, IQ-Testfragebogen, 17. November 1940, vorgenommen von WMM, im Besitz von MM. Byrne Marston ging mit sechs Jahren in die 3. Klasse, als sein Bruder Donn und seine Schwester O. A. in den Kindergarten kamen. BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 9 f. Und ein Zeitungsausschnitt vom November 1937 in EHMs Mount-Holyoke-Alumni-Akte, Mount Holyoke College Archives. 43 Pete, Byrne, Donn und O. A. Marston, «The Marston Chronicle», Nr. 1, 18. Juli 1939, im Besitz von BHRM. Vgl. außerdem das Tagebuch von OBR, Eintrag vom 6. Juli 1939: «Kinder bringen eine Wochenzeitung heraus. Sehr süß – sie heißt The Chronicle.» 44 MCG, «Narrative Illustration: The Story of the Comics», in: Print: A Quarterly Journal of the Graphic Arts 3 (Sommer 1942), S. 12. Gaines zitiert LB in diesem Aufsatz, der als Illustration auch das Titelbild von Wonder Woman Nr. 1 enthält. 45 Die Geschichte der Entstehung von Comic-Heften und von Superman wird an vielen Orten erzählt, vgl. hierzu jedoch vor allem: Gerard Jones, Men of ­Tomorrow: Geeks, Gangsters, and the Birth of the Comic Book, New York: Basic Books 2004; Bradford W. Wright, Comic Book Nation: The Transformation of Youth Culture in America, Baltimore: Johns Hopkins University Press 2001, Kap. 1 und 2; Les Daniels, DC Comics: Sixty Years of the World’s Favorite ­Comic Book Heroes, Boston: Bulfinch 1995; und Jean-Paul Gabilliet, Of Comics

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 249–258

and Men: A Cultural History of American Comic Books, Jackson: University of Mississippi Press 2005, Kap. 2 (frz. Originaltitel: Des comics et des hommes: Histoire culturelle des comic books aux Etats-Unis, Nantes: Ed. du Temps 2005). 46 Robbins/Yronwode, Women and the Comics, S. 50–59. 47 Wright, Comic Book Nation, S. 9, S. 13. 48 Wilson Locke, «Amazona, the Mighty Woman», in: Planet Comics Nr. 3, März 1940. 49 OBR, «Don’t Laugh at the Comics», in: Family Circle, 25. Oktober 1940, und BHRM, Interview mit Steve Korte, Sommer 1999, DC Comics Archives. 50 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 27 f. 51 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013.

22 SUPREMA

1 Gardner Fox mit Bill Finger, «Batman Versus the Vampire, Part Two», in: Detec­ tive Comics Nr. 32, Oktober 1939. Ellsworth wird hier zitiert nach Daniels, DC Comics, S. 34. 2 Batmans Debüt: Bill Finger, «The Case of the Chemical Syndicate», in: Detective Comics Nr. 27, Mai 1939; United States v. Miller, 307 U. S. 174 (1939). Vgl. außerdem Adam Winkler, Gunfight: The Battle over the Right to Bear Arms in America, New York: Norton 2011, S. 63–65, und Jill Lepore, «Battleground America», in: New Yorker, 23. April 2012. 3 Bill Finger, «Legend: The Batman and How He Came to Be», in: Detective ­Comics Nr. 33, November 1939, und Bill Finger, «The Legend of the Batman – Who He Is and How He Came to Be», in: Batman Nr. 1, Frühling 1940. 4 Sterling North, «A National Disgrace», in: Chicago Daily News, 8. Mai 1940, und Bart Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, Jackson: University Press of Mississippi 2005, S. 113. 5 Stanley J. Kunitz, «Libraries, to Arms!», in: Wilson Library Bulletin 15 (1941), S. 671; Slater Brown, «The Coming of Superman», in: New Republic, 2. September 1940; und «Are Comics Fascist?», in: Time, 22. Oktober 1945. Zur ­Reaktion von Bibliothekaren auf Comic-Hefte vgl. Carol L. Tilley, «Of Night­ ingales and Supermen: How Youth Service Librarians Responded to Comics Between the Years 1938 and 1955», Diss., School of Library and Information ­Science, Indiana University, 2007. 6 OBR, «Don’t Laugh at the Comics», in: Family Circle, 25. Oktober 1940. 7 Marston beschreibt die Lektüre von Comic-Heft-Texten in seiner Eigenschaft als beratender Psychologe in: WMM, «Why 100,000,000  Americans Read ­Comics», in: American Scholar 13 (1943/44), S. 35–44, hier: S. 41 f. (gekürzte dt.

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Fassung u. d. T. «Warum 100 000 000  Amerikaner Comics lesen», in: Lukas ­ tter/Thomas Nehrlich/Joanna Nowotny [Hg.], Reader Superhelden: Theorie – E Geschichte  – Medien, Bielefeld: transcript 2018, S. 259–263, hier: S. 261). Er nennt dabei kein Datum. Marston taucht üblicherweise nicht auf der Liste von Gaines’ Beratern auf. Eine merkwürdige Ausnahme ist Wonder Woman Nr. 14 vom Herbst 1945, wo er als Mitglied des Beratergremiums aufgeführt wird: «Dr. Wm. Moulton Marston, Mitglied der American Psychological Association; Fellow, American Association for Advancement of Science». Bemerkenswert an dieser Ausgabe ist, dass alle Wonder-Woman-Geschichten von Joye Hummel verfasst worden waren und das «Wonder Women of History»-Feature, ein Porträt von Abigail Adams, nur zwei – statt wie sonst üblich vier – Seiten umfasst. Informationen zur Zusammenstellung des Gremiums wie auch zu seiner Rolle sind in Nachlassdokumenten mehrerer seiner Mitglieder zu finden. Vgl. hierzu zum Beispiel Josette Frank zur Frage, wie sie Mitglied des Gremiums wurde, in einem Brief an Mary Alice Jones, 15. April 1954, als Kopie erhalten in den Lauretta Bender Papers, Brooklyn College, Box 16, Folder 6. 8 Clara Savage Littledale, «What to Do About the ‹Comics›», in: Parents’ Magazine 1941, S. 26 f., S. 93. Hechts Beratergremium wurde von einem Ausschuss von «Junior Advisory Editors» unterstützt, dem unter anderem die Kinderstars Shirley Temple und Mickey Rooney angehörten. Zu Littledale und der Geschichte des Parents’ Magazine vgl. Lepore, Mansion of Happiness, 7. Kapitel. Ein weiterer Förderer von True Comics war das Parents’ Institute. Vgl. Harold  C. Fields Erwiderung auf Marstons 1944 in der Zeitschrift American ­Scholar erschienenen Essay, Leserbrief, American Scholar 13 (Frühling 1944), S. 247 f. True Comics ist ein schreckliches Comic-Heft. Sogar Stanley Kunitz räumte ein: «Ich muss gestehen, dass ich trotz meines wohlwollenden Interesses an diesem Experiment hinsichtlich des letztlichen erzieherischen Werts ­einer Bekämpfung von Comics mit Comics etwas skeptisch bin» (in: «Libraries, to Arms!», S. 670). 9 MCG an ungenannte Empfänger, Memo, undatiert, aber ca. Oktober 1940, DC Comics Archives. 10 «A Message to our Readers», in: More Fun Comics Nr. 72, Oktober 1941. Vgl. außerdem Amy Kiste Nyberg, Seal of Approval: The History of the Comics Code, Jackson: University Press of Mississippi 1998, S. 9 f. David Hajdu vertritt die Ansicht, dass das Beratergremium eine reine Schauveranstaltung gewesen sei; vgl. Hajdu, The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How It Changed America, New York: Farrar, Straus and Giroux 2008, S. 45. Aber das ist schlicht falsch. Gaines wandte sich immer wieder an sein Beratergremium; Josette Frank, Lauretta Bender und andere Mitglieder, die dem Gremium in den 1940 er Jahren angehörten, lasen Texte und gaben Kommentare

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dazu ab. Frank erklärte dazu 1943: «So weit ich mich erinnere, hat jedes Mitglied, das die Berufung in dieses Gremium akzeptierte, vereinbart, dass er oder sie nur mitmachen werde, wenn dies eine reale Tätigkeit sein würde, und dabei eine Abneigung gegen eine Mitarbeit in einem Gremium deutlich gemacht, das als bloße ‹Schaufensterdekoration› dienen würde.» Vgl. hierzu auch Frank an Mary Bruhnke (Mrs. Charles S. Liebman), 28. Januar 1947, Child Study Association of America Papers, Social Welfare History Archives, University of Minnesota (künftig: CSAA Papers), Box 15, Folder 138, dort umreißt Frank die Pflichten des Beratergremiums sehr detailliert. 11 «Ich hatte gestern ein Gespräch mit Mr. Childs, und wie er Ihnen gegenüber ausführte, wird Dr. Marstons Name in allen Ausgaben, die im Lauf des Monats Januar erscheinen, aus der Liste der Mitglieder des Beratergremiums gestrichen werden.» MCG an Josette Frank, 15. Oktober 1941, CSAA Papers, Box 24, Folder 239. 12 MM zitiert diese Bemerkung von EHM in «Elizabeth H. Marston, Inspiration for Wonder Woman, 100», in: New York Times, 3. April 1993. Vgl. außerdem: «Meine Mutter war eine treibende Kraft bei der Entstehung von Wonder Woman. Sie setzte ihm jahrelang zu: ‹Wir brauchen eine Frau als Superheldin, vergiss all die Kerle, von der Sorte haben wir genug.›» MM, Interview mit Steve Korte, 29. Juli 1999, DC Comics Archive. 13 EHM an JE, 11. Januar 1973, im Besitz von JE; «Marston Advises 3 L’s for Success», in: New York Times, 11. November 1937. 14 WMM, «Warum 100 000 000 Amerikaner Comics lesen», S. 262 f. 15 WMM, «Why 100,000,000 Americans Read Comics», S. 42 f. Marston liefert dieselbe Erklärung in: WMM an Coulton Waugh, 5. März 1945, WW Letters, Smithsonian. Waugh arbeitete zu dieser Zeit an einer Geschichte des Comicstrips: Coulton Waughs Buch The Comics (New York: Macmillan 1947) ist eine der umfassendsten frühen Darstellungen des Mediums, obwohl Wonder Woman nur recht kurz abgehandelt wird. 16 Anthony Tollin, «Sheldon Mayer: The Origins of the Golden Age», in: Amazing World of DC Comics Nr. 5, März/April 1975, S. 2–12. 17 Sheldon Mayer, 1975 DC Convention: Wonder Woman Panel, Abschrift in den DC Comics Archives. Les Daniels, der Mayer interviewte, berichtet, dass es zu Mayers erster Begegnung mit Marston kam, als Gaines diesen in das Beratergremium des Verlags aufnahm: «Mayer lernte Marston 1941 bei einem Abendessen im Harvard Club in New York kennen, und es wurde eine Vereinbarung getroffen, nach der Marston zunächst als Berater tätig werden sollte, wenn es darum ging, Comic-Hefte für junge Leser unter psychologischen Gesichtspunkten nutzbringender zu gestalten.» Daniels, DC Comics, S. 58 f. 18 WMM an Sheldon Mayer, 23. Februar 1941, WW Letters, Smithsonian.

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23  SO SCHÖN WIE APHRODITE

1 WMM an Sheldon Mayer, 23. Februar 1941, WW Letters, Smithsonian. 2 «Harry  G. Peter war der Künstler. Doktor Marston zog seinen Entwurf von WONDER WOMAN den anderen Zeichnungen vor, die ihm vorgelegt wurden.» MWH an JE, 21. Mai 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. 3 Mayer, zitiert bei Daniels, Wonder Woman, S. 24. 4 Sheldon Mayer, 1975 DC Convention: Wonder Woman Panel, Abschrift in den DC Comics Archives. 5 «Man o’ Metal», in: Reg’lar Fellers Heroic Comics Nr. 7, Juli 1941. Peters frühere Comic-Werke: «Let’s Get into a Huddle», in: Famous Funnies Nr. 85, August 1941. Und vgl. Dan Nadel, Art in Time: Unknown Comic Book Adventures, 1940–1980, New York: Abrams Comic Arts 2010, S. 28, mit einer Abbildung von Man o’ Metal aus Nr. 13, 14 und 15 von Reg’lar Fellers Heroic Comics 1942, S. 29–58. 6 MCG an George J. Hecht, 10. November 1941; Hecht an MCG, 10. November 1941; MCG an Hecht, 14. November 1941, in: CSAA Papers, Box 24, Folder 239. 7 Robbins/Yronwode, Women and the Comics, S. 60. 8 Zur großen Zahl von Künstlerinnen, die in den 1920 er und 1930 er Jahren als Karikaturistinnen und als Zeichnerinnen von Comicstrips arbeiteten, vgl. ebenda, Kap. 2 und 3; und zum relativen Fehlen von Frauen in der ComicHeft-Industrie in den 1930 er und 1940 er Jahren vgl. Kap. 4. Die meisten ­Comic-Heft-Verleger waren gegen die Verpflichtung von Künstlerinnen. Die Ausnahme bildete Fiction House, der Verlag, der nach der Darstellung von Robbins und Yronwode mehr als 20  Frauen beschäftigte (ebenda, S. 51 f.). ­Judith Schwarz behauptet, Rogers sei lesbisch gewesen (in: Radical Feminists of Heterodoxy, S. 69–72). Aber Rogers heiratete in den 1920 er Jahren den Künstler Howard Smith, und 1933 zogen sie in ein Farmhaus in Connecticut. In den 1930 ern moderierte Rogers eine populäre Radiosendung über Tiere. Alice Sheppard, «Howard Smith», in: Archives of AskArt, abgerufen am 3. Januar 2014 unter: www.askart.com/artist/artist/11211519/artist.aspx. Vgl. Trina Robbins (Hg.), Miss Fury by Tarpé Mills: Sensational Sundays, 1944–1949, San Diego: Library of American Comics 2011. Zu weiteren Informationen über ­Comic-Hauptfiguren in den 1940 er Jahren vgl. Mike Madrid, The Super­girls: Fashion, Feminism, Fantastic, and the History of Comic Books Heroines, o. O., Exterminating Angel Press 2009, S. 1–29. 9 Daniels, DC Comics, S. 61. 10 Henry George, An Anthology of Henry George’s Thought, hg. von Kenneth

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Wenzer, 3  Bde., Rochester, NY: University of Rochester Press 1997, Bd. 1, S. 201. 11 Als HGPs Beruf wird bei der Volkszählung von 1900, als er in einer Pension in San Francisco wohnte, «Artist, newspaper» angegeben. Als Geburtsdatum nannte er den 8. März 1880 und vermerkte, dass seine beiden Eltern in Frankreich geboren worden seien. 1900 United States Federal Census; Ort: San Francisco, CA; Roll: 106; Seite: 7A; Zählbezirk: 0262; FHL Microfilm 1240106. Weitere Einzelheiten zu Peters Lebenslauf sind schwer zu beschaffen, was vor ­allem daran liegt, dass nach seinem Tod 1958 sein Nachlass in die Verfügung von Händlern geriet, die seine Dokumente und Zeichnungen Stück für Stück und über Jahre hinweg an private Sammler verkauften. Heritage Auctions verkaufte 2003 zum Beispiel eine Reihe von Peters Zeichnungen, eine Seite ­eines Wonder-Woman-Manuskripts, einen von Peters Arbeitsplänen sowie ­Peters Adressbuch (Heritage Comics 2003 March Comics Signature Sale #806, Lots 5634, 5635 und 5636). 2002 verkaufte Heritage Auctions eine von Peters Original-Entwurfszeichnungen von Wonder Woman (Heritage Auctions October 2002 Comic Auction #804, Lot 7434). Es ist mir nicht gelungen, die Besitzer dieser und ähnlicher Materialien ausfindig zu machen, weshalb auch keine Konsultation möglich war. 12 Vgl. hierzu zum Beispiel: «Hear Remarks on Equal Suffrage», in: San Francisco Chronicle, 7. Oktober 1906. 13 Edan Milton Hughes, Artists in California, 1786–1940, Sacramento: Crocker Art Museum 32002, Bd. 1, S. 406. Der Eintrag zu HGP findet sich in Bd. 2, S. 872. Mein Stichtag für die Zeit der Eheanbahnung ergibt sich aus einer Karte zum Valentinstag, die HGP anfertigte und, unter dem Datum 14. Februar 1907, an Fulton schickte. Heritage Comics 2003 March Comics Signature Sale, Lot 5636. 14 «Newspaper Artists Will Make Exhibit», in: San Francisco Call, 1. Juni 1904, und «Newspaper Artists to Exhibit Their Work», in: San Francisco Bulletin, 29. Mai 1904. Vgl. außerdem die besondere Erwähnung von Fultons Arbeiten bei dieser Ausstellung in: «Newspaper Artists’ Exhibition», in: Camera Craft, [Juli?] 1904): «Adonica Fulton vom Bulletin stellte 20 Zeichnungen mit einem breiten Spektrum hinsichtlich Themen und Bearbeitung aus. Ihr ‹French Poster› war aussagekräftig und passte gut zur künstlerischen Absicht.» 15 Eine illustrierte Nachricht von Roth an Fulton ist in einem Blog-Post von Ken Quattro abgebildet, in dem dieser seine fantastische Recherche zu Peters Beziehung zu Ed Wheelan dokumentiert: Ken Quattro, «The 1905 Comic Fan», in: The Comics Detective, 13. Februar 2011, http://thecomicsdetective.blogspot. com/2011/02/1905-comic-fan.html. HGP hatte auch eine Vorliebe für Westernund Tier-Szenen. Ein Beispiel aus dieser Schaffensphase ist HGP, «Animals of

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Prey», Tuschezeichnungen, in: Outing Magazine 56 (1910), S. 673. Eine Kopie der Heiratsurkunde von HGP und Adonica Fulton wurde 2003 versteigert: Heritage Comics 2003 March Comics Signature Sale, Lot 5636. 16 Großanzeige für Judge in: Printers’ Ink 90 (1915), S. 57. 17 «H. G. Peter», in: Printers’ Ink, 26. Februar 1920, S. 161. 18 HGP wurde bei der landesweiten Volkszählung von 1920 als in Staten Island lebender Untermieter registriert, der als Zeitungskünstler arbeitete. Bei der Volkszählung des Staates New York von 1925 und bei den landesweiten Volkszählungen von 1930 und 1940 wurden er und seine Frau mit dem Wohnsitz Portland Place 63, Richmond, New York, registriert. Als Beruf gab HGP 1925 «Künstler» an; 1940 bezeichnete er sich als Zeitungskünstler («newspaper ­artist»). 1920 United States Federal Census; Ort: Richmond Assembly District 1, Richmond, New York; Roll: T625_1238; Seite: 8A; Zählbezirk: 1586; Bild: 1257. New York State Archives, Albany, New York; State Population Census Schedules, 1925; Wahlbezirk: 12; Sammelbezirk: 01; Stadt: New York; County: Richmond; Seite: 12. 1930 United States Federal Census; Ort: Richmond, Richmond, New York; Roll: 1613; Seite: 3A; Zählbezirk: 0122; Bild: 431.0; FHL Mikrofilm: 2341347. 1930 United States Federal Census, Washington, DC: National Archives and Records Administration 1930, Rolls T626, 2,667. 1940 United States Federal Census; Ort: Richmond, New York; Roll: T627_2760; Seite: 8B; Zähl­ bezirk: 43–54. Adonica Fultons Mutter Mary J. Fulton wurde nach den bei der Volkszählung von 1880 gesammelten Informationen in Irland geboren und war 1880 eine Witwe mit fünf Kindern. Jahr: 1880; Ort: San Francisco, Kalifornien; Roll: 78; Film zur Familiengeschichte: 1254078; Seite: 581B; Zählbezirk: 191; Bild: 0440. 19 Captain America Comics Nr. 1, März 1941, lag ab dem 20. Dezember 1940 an den Zeitungskiosken aus. 20 HGPs 33 x 47,6 Zentimeter große Originalzeichnung der Figur (mit den Anmerkungen von HGP und WMM) wurde 2002 von Peters Nachlassverwaltern mit Hilfe von Heritage Auctions versteigert. Sie ging für 33 350  Dollar weg und befindet sich bis heute in Privatbesitz. Die Zeichnung ist abgebildet in: Roy Thomas, «Queen Hepzibah, Genghis Khan, & the ‹Nuclear› Wars!», in: Alter Ego Nr. 23, April 2003. Eine Zeichnung einer nackten Wonder Woman, signiert mit «H. G. Peter», ist abgebildet in: Craig Yoe, Clean Cartoonists’ Dirty Drawings, San Francisco: Last Gasp 2007, S. 58 f. Die Zuschreibung ist mit größter Sicherheit gefälscht. 21 Zur Episode, die Vargas und die US-Postbehörde betrifft, und zur Geschichte der Pin-ups in einem allgemeineren Sinn vgl. Joanne Meyerowitz, «Women, Cheesecake, and Borderline Material: Responses to Girlie Pictures in the MidTwentieth-Century U. S.», in: Journal of Women’s History 8 (1996), S. 9–35.

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22 HGP, Entwurfzeichnung von 1941, im Besitz von Stephen Fishler, Metropolis Comics, New York. Fishler kaufte diese Zeichnung einem Sammler ab, der sie «vor etwa 30 oder 40  Jahren» erwarb. Stephen Fishler, Interview mit der Auto­rin, 6. Januar 2014. 23 Alberto Vargas, mittlere Doppelseite, in: Esquire, Juli 1942, S. 33 f. 24 WMM, «Wonder Woman Quarterly #1, Episode A», Typoskript, 15. April 1942, S. 2; vgl. hierzu WMM, «The Origin of Wonder Woman», in: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942, S. 1A (links unten); und: «Die Geburt von Wonder Woman», in: Wonder Woman Anthologie: Die vielen Gesichter der Amazonenprinzessin, Stuttgart: Panini o. J. [2017], S. 9. 25 WMM, «Wonder Woman #2, Episode A», undatiertes Typoskript, DC Comics Archives, S. 5. Vgl. mit «The God of War», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942, Bild auf S. 3A. 26 «Introducing Wonder Woman», in: All-Star Comics Nr. 8, Dezember 1941/Januar 1942. Zur Bildung von «Charles Moulton» aus den Mittelnamen von MCG und WMM vgl. Steve Ringgenberg, Interview mit William M. Gaines, 12. Mai 1998, DC Comics Archives. 27 «The Adventure of the Beauty Club», in: Wonder Woman Nr. 6, Herbst 1943; WMM an Coulton Waugh, 5. März 1945, WW Letters, Smithsonian; «Dr. Poi­ son», in: Sensation Comics Nr. 2, Februar 1942; «A Spy in the Office», in: Sensation Comics Nr. 3, März 1942; und «Introducing Wonder Woman», in: AllStar Comics Nr. 8, Dezember 1941/Januar 1942. 28 WMM an FDR, 12. Dezember 1941, WMM, FBI-Akte. 29 Alder, Lie Detectors, Vorwort, S. 200–210, S. 250. 30 WW-Comicstrip, 16. Juni 1944. 31 «Who Is Wonder Woman?», in: Sensation Comics Nr. 1, Januar 1942, und Sensation Comics Nr. 3, März 1942. 32 Tagebuch von OBR, Eintrag vom 28. August 1941, im Besitz von BHRM. OBR hatte außerdem im Sommer 1927 in der Miller School of Business Stenografie gelernt. Vgl. OBR, Lebenslauf, 1951, im Besitz von BHRM.

24  DIE JUSTICE SOCIETY OF AMERICA

1 Nyberg, Seal of Approval, S. IX, S. 25. 2 Anthony Comstock, Traps for the Young, New York: Funk and Wagnalls 1883, Einleitung. 3 Nyberg, Seal of Approval, S. 2 f., S. 22–27. 4 MCG an Bischof John F. Noll, D. D., 10. März 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 280–285



5 Noll an MCG, 13. März 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1. Gaines gelang es schließlich, Noll zur Streichung von Sensation Comics von seiner Liste der «ungeeigneten Lektüre» zu bewegen. Noll an MCG, 30. April 1942, CSAA ­Papers, Box 24, Folder 239. 6 Gardner Fox, «The Justice Society of America», in: All-Star Comics Nr. 3, Winter 1940, nachgedruckt in: All-Star Comics Archives, New York: DC Archive Editions 1991, Bd. 1. Die beste Darstellung der Justice Society bietet: Roy Thomas (Hg.), The All-Star Companion: Celebrating the 60th Anniversary of the ­Justice Society, Raleigh, NC: Two-Morrows 2000. Das Zitat stammt aus: Gardner Fox, «The Roll Call of the Justice Society», in: All-Star Comics Nr. 5, Juni/ Juli 1941. 7 «The Justice Society of America Initiates Johnny Thunder!», in: All-Star ­Comics Nr. 6, August/September 1941. 8 All-Star Comics Nr. 8, Dezember 1941/Januar 1942. 9 Gardner Fox, «The Justice Society Joins the War on Japan», in: All-Star ­Comics Nr. 11, Juni/Juli 1942. 10 Anzeige in Sensation Comics Nr. 5, Mai 1942. Zum Aufstieg von Meinungsumfragen, Marktforschung und populärer quantitativer Sozialwissenschaft vgl. Sarah Igo, The Averaged American: Surveys, Citizens, and the Making of a Mass Public, Cambridge, MA: Harvard University Press 2007. 11 Und es gab noch ein weiteres interessantes Ergebnis. «Zum ersten Mal in den letzten vier oder fünf Jahren, seit ich diese Umfrageergebnisse von Lesern erhalte, bemerkten wir, dass mehr als die durchschnittliche Zahl von Erwachsenen diese Stimmzettel einsandte. Zum Beispiel stammen von den rund 1000 ersten Einsendungen mehr als 25 von Männern und Frauen – die meisten davon sind über 20 –, während wir bei früheren Umfragen unter 1000 Einsendern nur einen oder zwei oder überhaupt keine Erwachsenen dabeihatten.» MCG an LB, 20. März 1942. Über die Rückläufe wird in diesem und in einem weiteren Brief berichtet: Dagmar Norgood (von All-American Comics) an LB, 16. März 1942. Beide Briefe befinden sich in den Bender Papers, Box 16, Folder 1. Gaines verschickte die Ergebnisse der Befragung auch an Josette Frank: MCG an Frank, 23. März 1943, CSAA Papers, Box 24, Folder 239. 12 Dagmar Norgood (Leiterin des DC Comics Education Department) an LB, 12. Februar 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1. 13 Die beste Quelle für biografische und autobiografische Informationen über Bender ist das biografische Material in den Bender Papers, Box 18, Folder 4. Zitate aus Benders High-School-Abschiedsrede von 1916 sind ihren unveröffentlichten Memoiren entnommen, «LB, M. D.», Bender Papers, Box 18, Folder 4. Bender begann ihre Tätigkeit in der Psychiatrischen Abteilung des Bellevue Hospitals im Oktober 1934. LB an J. Franklin Robinson, 13. Juni 1956, Bender

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Papers, Box  1, Folder  9. Sie bevorzugte die Gruppentherapie. In den 1930 er Jahren war sie besonders bekannt für ihre Arbeit mit Kindern unter Verwendung von Puppen, Kunst, Tanz und Musik. Vgl. hierzu zum Beispiel LB an Karl M. Bowman (Bowman war der Direktor des Krankenhauses), 28. November 1939, Bender Papers, Box 1, Folder 9. Von ihrer Funktion als leitende Psychiaterin der Kinderstation trat sie im Februar 1956 zurück, arbeitete jedoch weiterhin als behandelnde Psychiaterin im ärztlichen Dienst. Sol Nichtern und Charlotte Weiss, Annual Report, Ward PQ6, Children’s Ward, Bellevue Psychia­ tric Hospital, 1. November 1956, Bender Papers, Box 1, Folder 9. 14 Lauretta Bender/Sylvan Keiser/Paul Schilder, Studies in Aggressiveness, from Bellevue Hospital, Psychiatric Division, and the Medical College of New York University, Department of Psychiatry, Worcester, MA: Clark University 1936. Ein Teil von Benders Arbeit über kindliche Schizophrenie war später umstritten; 1944 nahm sie ein Experiment vor, bei dem sie 300 Kindern mit der Dia­ gnose Schizophrenie Elektroschocks verabreichte. 15 «Dr. Paul Schilder, Psychiatrist, Dies», in: Boston Globe, 9. Dezember 1940. Bender veröffentlichte später eine Sammlung von Schilders Schriften, die sie ihren drei Kindern widmete; sie erwähnt ihr Alter zum Zeitpunkt seines Todes in: Paul Schilder, Contributions to Developmental Neuropsychiatry, hg. von Lauretta Bender, New York: International Universities Press 1964, S. X. Bender erwähnt ihre eigenen Kinder 1954 in ihrer Aussage vor dem Justizausschuss des US-Senats. U. S. Senate Committee on the Judiciary, Hearings Before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency of the Committee on the Judiciary, U. S. Senate, April 21, 22, and June 4, 1954, Washington, DC: United States Government Printing Office 1954. Vgl. außerdem die biografische Notiz in den Bender Papers. 16 Benders Aussage: Hearings Before the Subcommittee to Investigate Juvenile ­Delinquency, S. 154 f. 17 Lauretta Bender/Reginald S. Lourie, «The Effect of Comic Books on the Ideology of Children», in: Journal of Orthopsychiatry  11 (1941), S. 540–550. Ein ­Typoskript dieses Artikels befindet sich in den Bender Papers, Box 16, Folder  1. Lourie arbeitete ein Jahr lang als Assistenzarzt; vgl. LB an Marian ­McBee, 16. September 1942, Bender Papers, Box 6, Folder 1. 18 H. Carter Dyson, «Are the Comics Bad for Children?», in: Family Circle, 17. April 1942. Das begleitende Editorial «Sticking by Superman» war ursprünglich in den Burlington (VT) Daily News erschienen. 19 WMM an Sheldon Mayer, 3. Juni 1942, WW Letters, Smithsonian, und «The God of War», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942. 20 Gaines berichtete über frühe Auswertungen in MCG an LB, 30. April 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1.

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25  DER MILCH-SCHWINDEL

1 Gardner Fox, «The Black Dragon Menace», in: All-Star Comics Nr. 12, August/ September 1942. 2 Gardner Fox, «Food for Starving Patriots!», in: All-Star Comics Nr. 14, Dezember 1942/Januar 1943, und Gardner Fox, «The Man Who Created Images», in: All-Star Comics Nr. 15, Februar/März 1943. 3 Gardner Fox, «The Brain Wave Goes Berserk», in: All-Star Comics Nr. 17, Juni/ Juli 1943. 4 WMM an Sheldon Mayer, 12. April 1942, WW Letters, Smithsonian. Vgl. außerdem Roy Thomas, «Two Touches of Venus», in: Alter Ego 3 (Sommer 1999) 1, S. 14–18; Thomas, All-Star Companion, S. 67 f.; und Karen  M. Walowit, «Wonder Woman: Enigmatic Heroine of American Popular Culture», Diss., University of California, Berkeley 1974, S. 112–118. 5 Ben Procter, William Randolph Hearst: Final Edition, 1911–1951, New York: Oxford University Press 2007, S. 135. Procter zitiert den New York American vom 8./9. Oktober 1926, S. 1 f.; 10. Oktober 1926, S. 1L; 11. Oktober 1926, S. 1; 12. Oktober 1926, S. 6; 13. Oktober 1926, S. 1, S. 30; und dann täglich bis zum 1. November 1926, S. 1. 6 «The Milk Swindle», in: Sensation Comics Nr. 7, Juli 1942. 7 Chesler, Woman of Valor, S. 75–78. 8 «Department Store Perfidy», in: Sensation Comics Nr. 8, August 1942. 9 «The Return of Diana Prince», in: Sensation Comics Nr. 9, September 1942. 10 WMM, «Women: Servants for Civilization», in: Tomorrow, Februar 1942, S. 42– 45. 11 «The Sky Road», in: Wonder Woman Nr. 10, Herbst 1944. 12 «School for Spies», in: Sensation Comics Nr. 4, April 1942. 13 «The Unbound Amazon», in: Sensation Comics Nr. 19, Juli 1943. 14 Ebenda, und «The Greatest Feat of Daring in Human History», in: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942. Wonder Womans Begegnungen mit dem König der Mole Men werden im Tageszeitungs-Comicstrip in der Zeit vom 28. Oktober bis 18. November 1944 erzählt; nachgedruckt in: Wonder Woman: The Complete Dailies 1944–1945, San Diego: IDW Publishing 2014, S. 61–68. 15 «The Secret City of the Incas», in: Sensation Comics Nr. 18, Juni 1943. 16 MS, «The Women’s Army Auxiliary Corps», 17. Juni 1942, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 132 f. 17 MS an Robert L. Dickinson, 20. Februar 1942, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 115; Gordon, Moral Property, S. 247; und MS, «Is This the Time to Have a Child?», 1942, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 127.

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18 [WMM], «Noted Psychologist Revealed as Author of Best-Selling ‹Wonder Woman›, Children’s Comic», Pressemitteilung, Typoskript [Juni 1942], WW Letters, Smithsonian.

26  DIE WONDER WOMEN DER GESCHICHTE

1 MCG an LB, 23. Juni 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1. 2 Die Familie war in jenem Sommer in alle Winde zerstreut. Byrne verbrachte ein paar Wochen bei Freunden der Familie in Michigan. «Zaz, M. und ich werden vielleicht nach Boston fahren und zu einigen der Strände da oben», schrieb Marston an Byrne (das heißt, er und Huntley und Pete fuhren nach Cape Cod, um dort Ethel Byrne zu treffen). «Mom nimmt Donn und OA zu Tante Margaret mit» (das heißt, Olive Byrne brachte die beiden Kinder zu Margaret Sanger). WMM an BHRM, undatiert, aber im Sommer 1942, im Besitz von BHRM. Richard Rogers und Lorenz Hart, «For Jupiter and Greece», By Jupiter: A Musical Comedy, New York: DRG Records 2007. 3 [WMM], «Noted Psychologist Revealed as Author». 4 WMM an Sheldon Mayer, 16. April 1942, WW Letters, Smithsonian. 5 Keine der beiden modernen Nachdruck-Ausgaben von Wonder-Woman-­ Comics, The Wonder Woman Chronicles und The Wonder Woman Archives, enthält die vierseitigen Beilagen «Wonder Women of History». Ich las die ­Serie in den Originalausgaben nach, die bei DC Comics archiviert wurden. (Die Bedeutung von «Wonder Women of History» ist in den seitdem vergangenen Jahrzehnten vollkommen übersehen worden, was auch damit zu erklären ist, dass die Texte kaum mehr aufzuspüren sind. Sie wurden in keine der Nachdruck-Ausgaben aufgenommen und sind nur in den Originalheften von Wonder Woman erhalten, die inzwischen selten sind. Der Zeichner ist unbekannt.) 6 Marston und Marble gaben im Sommer 1942 ein gemeinsames Radiointerview. Alice Marble mit Dale Leatherman, Courting Danger, New York: St. Martin’s 1991, S. 177; WMM an BHRM, undatiert, aber im Sommer 1942. 7 Alice Marble, Associate Editor of Wonder Woman, an LB, 23. Juli 1942, Bender Papers, Box 16, Folder 1. Der fertig adressierte und frankierte Antwortumschlag, der der Postsendung beilag, ist immer noch dem Brief beigeheftet; Bender reichte keine Vorschläge für Porträts ein. 8 Bert Dale, «Funny Business», in: Forbes, 1. September 1943, S. 22, S. 27. WMM schätzte 1945 die Leserschaft von Wonder Woman auf zweieinhalb Millionen: WMM an Coulton Waugh, 5. März 1945. 9 Vgl. zu dieser Vertriebsart MCG an LB, 14. März 1944, Bender Papers, Box 16,

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Folder 2. «Wonder Women of History» hat als Werbekampagne, die gleichermaßen der Verteidigung von Comics wie auch der Werbung für sie dienen sollte, viel mit einer anderen Initiative von Gaines gemeinsam. Er begann 1942 mit der Herstellung eines Comic-Hefts unter dem Titel Picture Stories from the Bible. Wie schon zuvor bei Wonder Woman, ließ er auch hier das erste Heft an Bender schicken. Gaines spendete alle Gewinne aus dem Verkauf von Picture Stories from the Bible an religiöse Organisationen. Vgl. Edward L. Wertheim, Sekretär des Beirats von Picture Stories from the Bible, Pressemitteilung, 1. November 1945, Bender Papers, Box 16, Folder 3. 10 Die Anzeige ist abgedruckt in Daniels, Wonder Woman, S. 92. 11 Marble war eine beliebte Gastrednerin in Frauen-Colleges, wo sie den Studentinnen von ihrer Tenniskarriere erzählte und auch ihre Arbeit für Gaines erwähnte: «Ich habe zu ihrem Vergnügen enthüllt, dass ich einen Comicstrip schreibe», hielt sie später fest. Alice Marble, The Road to Wimbledon, New York: Scribner’s 1946, S. 161. 12 Marble erwähnte zwar in ihrer ersten, 1946 erschienenen Autobiografie, dass sie Comics schrieb, ging aber in einer späteren Autobiografie mit keinem Wort mehr auf dieses Thema ein: Marble mit Leatherman, Courting Danger. Ihre geschäftliche Verbindung mit DC Comics findet auch keine Erwähnung in: Sue Davidson, Changing the Game: The Stories of Tennis Champions Alice Marble and Althea Gibson, Seattle: Seal 1997. 13 WMM an MCG, 20. Februar 1943, WW Letters, Smithsonian. 14 «The Ordeal of Queen Boadicea», in: Sensation Comics Nr. 60, Dezember 1946. 15 Nach der Auskunft von Jeff Rovin, der 1971 und 1972 bei DC Comics Roubiceks Assistent war, interessierte sich seine Chefin sehr für historische Themen. Er erinnert sich, dass sie ihm davon erzählte, wie historische Geschichten früher in der Heftmitte platziert wurden, und dabei sagte, das sei eine gute Idee gewesen. Rovin, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2013. 16 Einzelheiten zum Leben von Dorothy Roubicek, der späteren Dorothy Woolfolk, sind schwer zu finden. Ihr Nachlass ist nur in Bruchstücken erhalten, in den Privatsammlungen anderer Personen. Informationen zu ihren Eltern und ihrer Geburt lassen sich den Datenbeständen der US-Volkszählungen entnehmen, vor allem aus den Jahren 1915, 1935 und 1940. Weitere Details, nicht alle davon verlässlich, entstammen einem Text von Jocelyn R. Coleman, «The Woman Who Tried to Kill Superman», in: Florida Today, 20. August 1993. Das einzige Foto, das ich zu sehen bekam, stammt aus dem Jahr 1955 und ist abgedruckt in: Thomas, All-Star Companion, S. 22. Ein großer Teil meiner Informationen kommt von Roubiceks Tochter Donna Woolfolk Cross. Cross ist die Tochter von Dorothy Roubicek und William Woolfolk; sie wurde 1947 geboren. Donna Woolfolk Cross, Interview mit der Autorin, 30. Oktober 2013, und

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E-Mails an die Autorin, 7. und 12. November 2013. Ein herzlicher Dank geht an Donna Woolfolk Cross für ihre Offenheit. 17 [WMM], «Noted Psychologist Revealed as Author». 18 «Wonder Women of History: Susan B. Anthony», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943. 19 Die Wellen-Metapher ist zwar ungebrochen populär, sah sich aber ernsthafter wissenschaftlicher Kritik ausgesetzt. Eine repräsentative Auswahl des Spek­ trums der Kritik in jüngerer Zeit bieten die Essays in: Nancy A. Hewitt (Hg.), No Permanent Wave: Recasting Histories of U. S. Feminism, New Brunswick, NJ: Rutgers University Press 2010, und in: «Is it Time to Jump Ship? Histo­rians Rethink the Waves Metaphor», in: Feminist Formations 22 (2010), S. 76–135. Die Einleitungen von Hewitt (No Permanent Wave, S. 1–12) und Kathleen A. Laughlin («Is it Time to Jump Ship?», S. 76–81) sind wertvolle Zusammenfassungen der Debatte. 20 «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5, Juni/Juli 1943. 21 «The Purloined Pressure Coordinator», in: Comic Cavalcade Nr. 4, Herbst 1943. 22 «The Adventure of the Life Vitamin», in: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943. 23 «America’s Wonder Women of Tomorrow», in: Wonder Woman Nr. 7, Winter 1943; eine deutsche Fassung dieser Geschichte, «Frauen der Zukunft», ist abgedruckt in: Wonder Woman Anthologie: Die vielen Gesichter der Amazonenprinzessin, S. 23–35 (Zitat: S. 24). 24 Gallups Umfragen zu diesem Thema im Lauf der Jahre werden dargestellt und kritisch erörtert in: Matthew  J. Streb et al., «Social Desirability Effects and Support for a Female American President», in: Public Opinion Quarterly  72 (2008), S. 76–89. 25 «A Wife for Superman», in: Hartford Courant, 28. September 1942. 26 «The Amazon Bride», in: Comic Cavalcade Nr. 8, Herbst 1944.

27  LEIDENDE SAPPHO!

1 OBR, «Our Women Are Our Future», in: Family Circle, 14. August 1942. Mars­ ton schickte eine Kopie dieses Artikels an Gaines und bat ihn, den Text an Bender weiterzugeben. Der Zeitungsausschnitt befindet sich, samt einer Begleitnotiz («Dr. Marston meinte, dieser Artikel könnte Sie interessieren»), in Benders Nachlass, Box 16, Folder 7. 2 OBR, «Fit to Be Tied?», in: Family Circle, 21. März 1937. 3 «Department Store Perfidy», in: Sensation Comics Nr. 8, August 1942. 4 WMM, Typoskript für Wonder Woman Nr. 1, Episode A, datiert auf den 15. April 1942, DC Comics Archives.

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5 WMM, Typoskript für Wonder Woman Nr. 2, Episode A, undatiert, DC Comics Archives, S. 7 f., S. 14, S. 15. Vgl. hierzu «The God of War», in: Wonder Woman Nr. 2, Herbst 1942, S. 4C, S. 8A, S. 19–21, S. 25. 6 Mayer, zitiert bei Daniels, DC Comics, S. 61. 7 Frank fasst den Bericht zusammen in: Josette Frank, «What’s in the Comics?», in: Journal of Educational Sociology 18 (Dezember 1944), S. 214–222. Zum Hintergrund bei diesem Thema vgl. Harvey Zorbaugh (Associate Editor der Zeitschrift) an LB, 31. Juli 1944, Bender Papers, Box 12, Folder 17. Zorbaugh hatte noch auf einen weiteren Artikel gehofft, entweder von Sterling North oder von Clifton Fadiman («Es wird auf jeden Fall ein Artikel mit heftiger Kritik an den Comics sein», schrieb Zorbaugh an Bender), aber letztlich lieferte keiner der beiden Kritiker einen Text ab. 8 Sidonie Matsner Gruenberg, «The Comics as a Social Force», in: Journal of Educational Sociology 18 (Dezember 1944), S. 204–213. 9 Josette Frank an MCG, 17. Februar 1943, WW Letters, Smithsonian. Gaines leitete außerdem eine Kopie dieses Briefes an Bender weiter; er befindet sich in ihrem Nachlass, Box 16, Folder 1. Frank hatte Wonder Woman von Anfang an mitverfolgt. Gaines schickte ihr im Oktober 1941 «ein Vorausexemplar von ‹All-Star Comics› Nr. 8, das die Einführungs-Episode von ‹Wonder Woman› enthält». MCG an Josette Frank, 16. Oktober 1941, CSAA Papers, Box 24, Folder 239. Sie hatte sich auch lange darüber beschwert, wie die Zeitschrift «eine nur teilweise bekleidete Frau auf dem Titelbild zur Schau stellt», und dass «die ‹Damen› in diesem Strip anscheinend immer in Ketten oder Eisen gelegt auftauchen», so etwa in einem auf den 8. Februar 1943 datierten Brief an Harry Childs, CSAA Papers, Box 24, Folder 240. 10 WMM an MCG, 20. Februar 1943, WW Letters, Smithsonian. 11 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 12 WMM an MCG, 20. Februar 1943, WW Letters, Smithsonian. 13 Dorothy Roubicek an MCG, 19. Februar 1943, und Roubicek, Bleistiftskizze von Wonder Womans Kostüm mit einem ebenfalls mit Bleistift geschriebenen, für WMM bestimmten Kommentar von MCG, 19. Februar 1943, WW Letters, Smithsonian. 14 Francis J. Burke an Alice Marble, 20. Februar 1943, Bender Papers, Box 16, Folder 6. 15 MCG an LB, 26. Februar 1943, Bender Papers, Box 16, Folder 1. 16 Dorothy Roubicek an MCG, 12. März 1943, Memo, WW Letters, Smithsonian. Bender empfand die gesamte Kontroverse als faszinierend und schrieb an ­Gaines: «Ich muss Ihnen sagen, dass ich ein sehr großes Interesse am Gehalt der psychologischen Probleme von Wonder Woman habe und es sehr begrüßen würde,

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wenn Sie mich über weiteres bei Ihnen eingehendes Material mit Bezug zu Wonder Woman informieren würden. (…) Ich habe einige dieser Probleme in verschiedenen Vorlesungen erörtert, die ich halte, und bin wirklich interessiert an einer vertieften Beschäftigung mit den psychologischen Zusammenhängen, weil diese den eigentlichen Kern von Männlichkeit und Weiblichkeit und von Aggression und Unterwerfung zu betreffen scheinen, der in unserer modernen Kultur von großer Bedeutung ist.» LB an MCG, 6. April 1943. Gaines versicherte Bender in seiner Antwort, dass er sie auf dem Laufenden halten werde. MCG an LB, 13. April 1943. Beide Briefe befinden sich in den Bender Papers, Box 16, Folder 1. 17 LB, «The Psychology of Children’s Reading and the Comics», in: Journal of Educational Sociology 18 (Dezember 1944), S. 223–231; die Zitate sind S. 225, S. 226 und S. 231 entnommen. Ein korrigierter Entwurf dieses Essays befindet sich in den Bender Papers, Box 13, Folder 20. 18 Nyberg, Seal of Approval, S. 14. W. W. D. Sones an MCG, 15. März 1943, WW Letters, Smithsonian. Sones’ Brief inspirierte WMM zu einer ausführlichen, quasi-gelehrten Antwort: WMM an W. W. D. Sones, 20. März 1943, WW Letters, Smithsonian. Er rekapituliert darin die grundlegenden Argumente von The Emotions of Normal People. Gaines schickte Kopien beider Briefe an Bender; sie befinden sich in ihrem Nachlass, Box 16, Folder 1. 19 John D. Jacobs an «Charles Moulton», 9. September 1943, WW Letters, Smithsonian. 20 MCG an WMM, 14. September 1943, WW Letters, Smithsonian. 21 WMM an MCG, 15. September 1943, WW Letters, Smithsonian. 22 Josette Frank an MCG, 29. Januar 1944, WW Letters, Smithsonian, und Bender Papers, Box 16, Folder 2. Gaines leitete eine Kopie dieses Briefes an Bender weiter. 23 WMM an MCG, 1. Februar 1944, WW Letters, Smithsonian. 24 MCG an Helen Frostenson, Children’s Ward, Bellevue Hospital, c/o LB, Psy­ chiatric Division, 21. Januar 1944, Bender Papers, Box 16, Folder 2. 25 Benders Aussage vor dem Senat von 1954, S. 156. 26 Dorothy Roubicek an MCG, 8. Februar 1944, Memo, WW Letters, Smithsonian. Vgl. außerdem Gaines an LB, 8. Februar 1944, Bender Papers, Box 16, Folder 2. 27 Vgl. außerdem «Wonder Woman Syndication», in: Independent News, April 1944. Zu diesem Artikel gehört auch ein Foto von John Connolly, dem Präsidenten von King Features, bei einer Vertragsunterzeichnung mit Gaines, Mars­ton und zwei weiteren Personen, die zuschauen. Eine vollständige Sammlung des Wonder-Woman-Zeitungsstrips, herausgegeben von Dean Mullaney, erschien 2014 in der Library of American Comics: Wonder Woman: The Complete Dailies 1944–1945, San Diego: IDW Publishing 2014.

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28 Zu Benders Eintritt in das Beratergremium vgl. MCG an LB, 8. Februar 1944; Harry E. Childs (von Detective Comics) an LB, 25. Februar 1944 (dieser Brief ist zugleich der Vertrag für ihre Dienste); und LB an Harry E. Childs, März 1944, mit beigelegter Korrespondenz, die sie mit der American Academy of Medicine geführt hat und die belegt, dass ihre Mitarbeit in diesem Gremium nicht gegen die berufsethischen Normen der Akademie verstößt. Benders Interesse galt immer hauptsächlich Wonder Woman. Vgl. hierzu zum Beispiel: LB an M. C. Gaines, 16. November 1944: «Wonder Woman ist immer noch mein Hauptinteresse, und zwar wegen der Probleme des Feminismus und der Maskulinität und Passivität und Aggression, mit denen sich diese Geschichten beschäftigen.» All diese Dokumente befinden sich in den Bender Papers, Box 16, Folder 2. Die Pflichten der Mitglieder des «Editorial Advisory Board of the Superman D-C Publications» bestanden, wie von Childs in seinem Brief vom 25. Februar 1944 beschrieben, aus der Lektüre der Comics (die ihnen allesamt zugeschickt wurden) und der Mitteilung «aller Gedanken  – zustimmender oder ablehnender –, die Sie zu deren Inhalten haben mögen, oder aller Vorschläge, die Sie für zukünftige Ausgaben machen möchten»; aus der Zustimmung zur Nennung des eigenen Namens in den Heften; aus der «Beratung mit uns zum Thema der Unterhaltung von Kindern in Zeitschriften oder im Radio und der Mitteilung von Einschätzungen zu abstrakten Fragen zum Thema an uns»; und aus der «Erlaubnis, zu Werbezwecken in unserer eigenen Werbepost und in der Werbe-Fachzeitschrift auf Ihre Mitwirkung im Editorial Advisory Board hinzuweisen». Für diese Tätigkeit erhielt sie monatlich 100 Dollar. 29 WMMs Typoskripte für die Strips in der 1. und 37. Woche befinden sich in WW, Selected Continuities, Smithsonian.

28 SUPERPROF

1 Zur genauen Lage des Marston Art Studios vgl. EHM an Jerry Bails, irgendwann in den 1970 er Jahren, zitiert bei Roy Thomas, «Two Touches of Venus», in: Alter Ego 3 (Sommer 1999) 1, S. 16. Die Adresse wird genannt in: WMM an JHMK, 3. März 1944, im Besitz von JHMK. Das Büro befand sich im Zimmer 1403. Das Unternehmen wird als Marston Art Studio bezeichnet in: EHM an JHMK, Zahlungsquittung für erbrachte Dienstleistungen, 3. Februar 1948, im Besitz von JHMK. 2 WMM, Psychology Exam, 25. Januar 1944, maschinenschriftlicher Prüfungstext, im Besitz von JHMK; WMM an JHMK, 3. März 1944. Marston hatte beschlossen, dass er für die Mitarbeit bei Wonder Woman jemanden von außerhalb des Familienkreises einstellen musste. Hummel sagte mir, dass Olive

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ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 338–339 Byrne zwar eine wunderbare Autorin, «aber nicht in der Lage war, den Comicstrip zu schreiben», während Holloway «eine Juristin und überhaupt nicht dieser Typ von Autorin war». JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014. JHMK, E-Mail an die Autorin, 29. Januar 2014. HGP, Musterungskarte, April 1942, U. S. World War  II Draft Registration Cards, 1942, Provo, UT: Ancestry.com, 2010; EHM, zitiert bei Daniels, Wonder Woman, S. 47; und EHM an JE, 11. Januar 1973, im Besitz von JE. MM, Interview mit Steve Korte, 29. Juli 1999, DC Comics Archives. «Ich erhielt einen Anruf vom Bellevue Hospital, dass sie dort einen Harry G. Peter auf ihrer Armenstation hätten. Er war ein reinlicher Mensch. Aber er kümmerte sich niemals groß um seine Kleidung. Also musste ich ihn, nachdem er sich an einem Hühnerknochen verschluckt hatte, aus dem Armen­ krankenhaus retten.» JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014. Olive Ann Marston Lamott, Interview mit Steve Korte, 25. August 1999, DC Comics Archives; Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013; BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 28; und BHRM, Interview mit Steve Korte, Sommer 1999, DC Comics Archives. «Mr. Peter war ein ruhiger, nachdenklicher, sensibler Mann, und er mochte Wonder Woman und fand sie gut», sagte Huntley. MWH an JE, 14. Juni 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. JHMK, Interview mit der Autorin, 26. Januar 2014; JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014. JHMK sagte mir außerdem: «Dotsie, obwohl sie mit Margaret Sanger verwandt war und eine wunderbare Dissertation über Margaret Sanger verfasste, schrieb nicht, sie war nicht imstande, den Comicstrip zu schreiben.» OBR gab Oral-History-Interviews zu MS, schrieb aber – nach meiner bisherigen Kenntnis – niemals viel über sie, was über da und dort verstreute Einzelzeugnisse hinausging. Walowit korrespondierte 1974 mit Hummel; MS kam dabei nicht zur Sprache. «Marston und ich setzten uns regelmäßig in seinem Haus in Rye zusammen und redeten. (…) Wir verstanden uns definitiv auf eine hellseherische Art und dachten auf der gleichen Wellenlänge. Die Ideen sind dann in spätere Manuskripte eingeflossen, die seine psychologischen Überzeugungen verkörperten», schrieb Hummel am 8. März 1974 in einem Brief an Walowit, zitiert in Walowit, «Wonder Woman», S. 39 f. Walowit war nicht überzeugt davon, dass Hummel die Manuskripte verfasste, deren Autorschaft sie für sich in Anspruch nimmt (vgl. Walowits Erörterung von «Wonder Woman and the Winds of Time», in: Wonder Woman Nr. 17, auf S. 118 ihrer Dissertation). BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 12; Sue Grupposo, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013; und WMM, March On!, S. 214 f.

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10 Sheldon Mayer, 1975 DC Convention: Wonder Woman Panel, Abschrift in den DC Comics Archives. 11 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013; und BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 21. 12 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 13 WMM an BHRM, 16. und 24. August 1944, im Besitz von BHRM. 14 OBR an MS, 7. Mai 1936, MS Papers, Library of Congress, Microfilm Edition, L006:0948. 15 WMM an BHRM, 17. Juli 1944, im Besitz von BHRM; und WMM, «Queen Hepzibah’s Revenge», Typoskript für eine (nie veröffentlichte) Extra-Episode für Wonder Woman Nr. 2, DC Comics Archives. In der Geschichte kommt auch ein geflügeltes Riesenkaninchen namens Butch vor. 16 WMM an BHRM, 4. August, 11. und 21. Juli 1944, im Besitz von BHRM. 17 MSML an BHRM und Audrey Marston, 27. Februar 1963, im Besitz von BHRM. 18 WMM, «Sew and Sow», in: Family Circle, 19. März 1943. 19 WMM, «Why 100,000,000 Americans Read Comics», S. 35–44 (hier: S. 35 f.). [Kap. 22, Anm. 7.] 20 Cleanth Brooks und Robert  B. Heilman, Leserbrief, in: American Scholar  13 (Frühjahr 1944), S. 248–252. Brooks verteidigte in jener Zeit den New Cri­ ticism. Vgl. Cleanth Brooks, «The New Criticism: A Brief for the Defense», in: American Scholar 13 (Sommer 1944), S. 285–295. 21 Holloway erinnert sich an das Datum und den Titel des Stücks in einem Brief an BHRM, der auf den 5. April datiert [die Jahreszahl wird im Briefkopf nicht angegeben, aber er muss um 1963 geschrieben worden sein] und im Besitz von BHRM ist. Sie verfügte über ein bemerkenswert gutes Gedächtnis. School for Brides wurde im Royale Theatre vom 1. August bis zum 30. September 1944 gespielt. 22 Tagebuch von WMM, Eintrag vom 25. August 1944, im Besitz von BHRM; JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014. Zu MWH und Ethel Byrne: «Sie war von Ethels Haus in Cape Cod gekommen, um mich abzuholen», schrieb Marston in sein Tagebuch. Tagebuch von WMM, Einträge vom 26.– 29. August 1944, im Besitz von BHRM. 23 Tagebuch von WMM, Eintrag vom 25. September 1944, im Besitz von BHRM. 24 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 17, S. 21 f. Zu den Beinschienen in WW vgl. «The Case of the Girl in Braces», in: Sensation Comics Nr. 50, Fe­ bruar 1946. 25 Nahezu alle 1945 verfassten und in den Wonder Woman-Heften erschienenen Geschichten, die allesamt unter dem Namen «Charles Moulton» veröffentlicht wurden, hat man mittlerweile entweder JHMK oder Kanigher zugeschrieben. Eine entsprechende Liste bietet die Inhaltsangabe in: Wonder Woman Archi-

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ves, Bd. 7. Von Kanigher heißt es oft, er habe die Autorschaft für Geschichten beansprucht, die er gar nicht geschrieben hat. Die Quelle der allgemein akzeptierten Zuschreibungen ist ein von Jerry Bails in den 1960 er Jahren verteilter Satz von Fragebögen, wie aus einer am 16. Juli 2013 verschickten E-Mail von Roy Thomas an die Autorin hervorgeht. 26 JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014. 27 Ebenda. 28 Charles W. Morton (Atlantic) an Walter J. Ong, 19. Januar 1945; Chefredaktion von Harper’s Magazine an Walter  J. Ong, undatiert; H. L. Binsse (Commonweal) an Walter J. Ong, 29. März 1945; Chefredakteur des Yale Review an Walter J. Ong, eingegangen am 15. April 1945; Chefredaktion des Kenyon Review an Walter J. Ong, eingegangen am 18. Mai 1945; Walter J. Ong Papers, St. Louis University, und der genaue Archivnachweis ist mir verlorengegangen. 29 Walter J. Ong, «Comics and the Super State», in: Arizona Quarterly 1 (1945), S. 34–48. 30 Harry Behn an Walter J. Ong, 20. August 1945, Walter J. Ong Manuscript Col­ lection, Box  7, St. Louis University, und Aldo Notarianni an Walter  J. Ong, 30. Oktober 1945, Walter J. Ong Manuscript Collection, Box 7. 31 Ein von Hummel 1946 und 1947 geführtes Arbeitsjournal hält ihre Tätigkeiten fest, Tag für Tag. Zu den Arbeiten, die sie in jener Zeit erledigte, gehörte das Tippen von Manuskripten für Marston, das Begutachten von Zeichnungen, das Korrekturlesen fertiger Seiten, das Verfassen von Synopsen für neue Geschichten, das Schreiben und Tippen neuer Geschichten. Eine Akte zu Reisespesen – Belege für Zugfahrten von New York nach Rye und Taxifahrten von dort nach Cherry Orchard – zeigt, dass Hummel alle zwei oder drei Tage nach Rye fuhr, zuweilen gab es auch Intervalle von einer Woche oder mehr zwischen den Besuchen. JHMK, «Record: Time taken to write Scripts, General work schedule, & Diary», handschriftliches gebundenes Tagebuch, 24. April 1946 – 6. Januar 1947, im Besitz von JHMK. 32 BHRM, E-Mail an die Autorin, 25. Juli 2013. 33 «The Battle of Desires», in: Comic Cavalcade Nr. 16, August/September 1946. 34 «The Bog Trap», in: Sensation Comics Nr. 58, Oktober 1946. 35 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 17, S. 29; JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014; und JHMK, Interview mit der Autorin, 26. April 2014. 36 «Noch eineinhalb Tage vor seinem Tod korrigierte er die Grafik des WonderWoman-Strips.» C. Daly King, «William Moulton Marston», in: Harvard College Class of 1915: Thirty-fifth Anniversary Report, Cambridge, MA: Printed for the Class, 1950, S. 212. 37 BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 17, S. 29.

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38 Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013, und BHRM, «Memories of an Unusual Father», S. 29 f. 39 «Dr. W. M. Marston, Psychologist, 53», in: New York Times, 3. Mai 1947. Ähnliche Nachrufe erschienen in Boston, zum Beispiel: «Dr. Wm. M. Marston ­Developed ‹Lie Detector›, Taught, Lectured Widely», in: Boston Globe, 3. Mai 1947. Eine Todesnachricht in einem Satz erschien in Los Angeles: «Death Takes Inventor», in: Los Angeles Times, 3. Mai 1947.

29  DIE COMIC-GEFAHR

1 EHM an Jack Liebowitz, 5. Januar 1948, DC Comics Archive. 2 JHMK, Interview mit der Autorin, 12. Januar 2014, und JHMK, E-Mail an die Autorin, 29. Januar 2014. Es sieht jedoch so aus, dass der 31. Mai 1947 Hummels letzter Arbeitstag gewesen sein könnte. EHM an JHMK, Quittung über eine Zahlung für Dienstleistungen, 3. Februar 1948, im Besitz von JHMK, ist eine Bezahlung für Dienstleistungen, die in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1947 erfolgten, in Höhe von 1366 Dollar. Das sieht nach einer Endabrechnung aus. Die Summe entspricht der Bezahlung für 22 Arbeitswochen, bei einem Wochensalär von rund 62 Dollar. Auf der Quittung ist noch eine Bleistiftnotiz festgehalten: «Hi Joye! Zazzie»: Grüße von Huntley. 3 Sheldon Mayer, 1975 DC Convention: Wonder Woman Panel, Abschrift in den DC Comics Archives. 4 EHM war der Ansicht, der von WMM 1941 aufgesetzte Vertrag gebe seinen Erben ein gewisses Mitspracherecht bei der Verpflichtung von Autoren, und sie war entschlossen, es auch auszuüben. «Die Familie Marston schien bei der Übernahme von Wonder Woman einen gewissen Rechtsanspruch auf Zustimmung oder Ablehnung zu haben», sagte sie zu Robert Kanigher. Undatiertes Interview, DC Comics Archives. 5 EHM an Jack Liebowitz, 5. Januar 1948. 6 Donna Woolfolk Cross, Interview mit der Autorin, 30. Oktober 2013, und ­E-Mail an die Autorin, 13. November 2013. 7 EHM an Jack Liebowitz, 5. Januar 1948. Donna Woolfolk Cross bestätigte nicht, dass ihre Eltern die Schöpfer von Moon Girl waren; davon hatte sie noch nie gehört. Sie bestätigte jedoch, dass ihre Mutter DC Comics 1947 verließ. Meine Identifikation der Schöpfer von Moon Girl beruht auf EHMs Beschreibung eines «sehr intelligenten, an einem jungen Publikum orientierten, professionellen Autors», der die Geschichten «anteilig» verfasst und «dessen Frau zumindest für kurze Zeit Redakteurin von Wonder Woman war». Damit kann niemand anders gemeint gewesen sein als Woolfolk und Roubicek.

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8 Moon Girl, ursprünglich Moon Girl and the Prince betitelt, erschien von 1947 bis 1949. Die Nummern 1–5 und 7–8 sind in der Library of Congress archiviert (einige als gedrucktes Heft, einige auf Mikrofiche). «Future Man» tritt in Moon Girl Nr. 2 auf, Winter 1947. 9 EHM an Jack Liebowitz, 5. Januar 1948. «In diesem Sommer und Herbst hatte ich bei der Met. wenig zu tun, so dass ich ganze Tage auf WW verwenden konnte», schrieb Holloway, aber «ich werde sehr bald entscheiden müssen, ob ich für die Metropolitan-Life-Versicherungsgesellschaft oder für National ­Comics arbeiten will.» 10 Robert Kanigher, von Les Daniels 2004 geführtes Interview, DC Comics Archives. 11 EHM, «Information for Wonder Woman Scripts», an Robert Kanigher adressiert und auf den 4. Februar 1948 datiert, DC Comics Archives. 12 Robert Kanigher, «Deception’s Daughter», in: Comic Cavalcade Nr. 26, April/ Mai 1948. 13 Allan Asherman, Interview mit der Autorin, 12. August 2013, und Christie Marston, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2012. 14 Das Symposium «The Psychopathology of Comic Books» fand am 19. März 1948 in der Academy of Medicine in New York statt. LB scheint daran teil­ genommen zu haben, trat aber nicht als Referentin auf. Ein Typoskript des Protokolls befindet sich in Benders Nachlassdokumenten, Box  16, Folder  4. Die Zitate von Gershon Legman entstammen S. 20 und S. 36, Bender Papers, Box 16, Folder 4. Vgl. außerdem Legman, zitiert bei Nyberg, Seal of Approval, S. 39. 15 Fredric Wertham, «The Comics … Very Funny!», in: Saturday Review of Literature, 29. Mai 1948, S. 6 f., S. 27. Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, S. 118 f. Vgl. außerdem John A. Lent (Hg.), Pulp Dreams: International Dimensions of the Postwar Anti-Comics Campaign, Madison, NJ: Fairleigh Dickinson University Press 1999; William W. Savage jr., Comic Books and America, 1945–1954, Norman: University of Oklahoma Press 1990, Kap. 7; und David Hajdu, The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How It Changed America, New York: Farrar, Straus and Giroux 2008. 16 Baker, Margaret Sanger, S. 199–201. 17 Nyberg, Seal of Approval, S. 88 f.; Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, S. 16 f.; Wertham, «Psychiatry and Sex Crimes», in: Journal of Criminal Law and Criminology  28 (1938), S. 847–853; und Fredric Wertham, Seduction of the Innocent, New York: Rinehart 1972, S. 68 f. (Erstausgabe: 1954]. 18 Wertham, Seduction of the Innocent, S. 76; und Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, S. 118. 19 «Psychiatrist Asks Crime Comics Ban», in: New York Times, 14. Dezember

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1950; und Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, S. 120– 125, S. 156 f. 20 LB an Estes Kefauver, 17. August 1950, Bender Papers, Box 16, Folder 4, und Kefauver an Bender, 7. August 1950, im gleichen Folder. 21 «Psychiatrist Asks Crime Comics Ban». 22 Beaty, Fredric Wertham and the Critique of Mass Culture, S. 156 f. 23 LB an Whitney Ellsworth, 22. August 1951; Ellsworth stimmte in einem Brief an Bender vom 27. August 1951 zu. Beide Briefe befinden sich in den Bender Papers, Box 16, Folder 5. 24 Wertham, «Paid Experts of the Comic Book Industry Posing as Independent Scholars», undatierte Notiz. Wertham Papers, Box 122, Folder 2. Werthams Beschreibung Benders als landesweit führende Handlangerin der Comic-­ Industrie folgt hier im vollständigen Wortlaut: «1. Am wichtigsten: Dr. Lauretta Bender, deren Name im Editorial Board der National Comics Group genannt wird (National Comics Publications, Inc., 480 Lexington Ave. NYC). Als Titel gibt sie an: Assoc. Prof. of Psychiatry, School of Medicine, NYU; Psy­ chiaterin, NY University; Bellevue Medical Center. Sie hat eine Vollzeitstelle als Leiterin der Kinderstation im Bellevue Hospital NYC. Seit 1941 auf der Gehaltsliste von Crime Comics. Prahlte im privaten Rahmen damit, ihre drei Kinder mit Geld aufzuziehen, das mit Crime-Comic-Heften verdient wurde.» Ich danke Carol L. Tilley für ihren Hinweis, mit dem sie mich auf diese Notiz aufmerksam machte. 25 Vernon Pope an LB, 23. Oktober 1953, Bender Papers, Box 16, Folder 6. Pope war Redaktionsmitglied der Zeitschrift Look gewesen. 26 Nyberg, Seal of Approval, S. 93. 27 Wertham, Seduction of the Innocent, S. 103, S. 33, S. 188–191. 28 Ebenda, S. 192 f. 29 Ebenda, S. 166 f., S. 192 f., S. 233–235. 30 Die Anhörungen wurden in New York abgehalten, um Zeugen aus der ComicHeft-Industrie entgegenzukommen. Nyberg, Seal of Approval, S. 52 f. Hearings Before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency. 31 Hearings Before the Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency, S. 154. Die spätere Forschung zu Werthams Nachlass könnte Bender Recht geben. Die «Fallstudien», über die Wertham in Seduction of the Innocent berichtete, scheinen aus selektiv bearbeiteten Einzelstücken zu bestehen. Carol L. Tilley, «Seducing the Innocent: Fredric Wertham and the Falsification That Helped Condemn Comics», in: Information & Culture: A Journal of History 47 (2012), S. 383–413. 32 LB an Estes Kefauver, 17. August 1950, Bender Papers, Box 16, Folder 4, und Kefauver an Bender, 7. August 1950, im gleichen Folder. 33 Nyberg, Seal of Approval, S. 76.

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34 Ebenda, S. X; Comics Magazine Association of America Comics Code (1954), abgedruckt in: Nyberg, Seal of Approval, S. 166–169; und LB an Jack Liebowitz, 5. November 1954, und Liebowitz an LB, 10. November 1954, Bender ­Papers, Box  16, Folder  6. Lauretta Benders Name stand ab November 1954 nicht mehr im Impressum der Hefte von DC Comics. 35 Robert Kanigher, Interview mit Les Daniels, 2004, DC Comics Archives. 36 Titelbild, Sensation Comics Nr. 94, November/Dezember 1949. 37 Elaine Tyler May, Homeward Bound: American Families in the Cold War Era, New York: Perseus 2000, Kap. 3 [Erstausgabe: 1988]. Fortune, zitiert nach Evans, Born for Liberty, S. 221. 38 Daniels, Wonder Woman, S. 93–102. Nach der Einstellung der Serie «Wonder Women of History» im Wonder Woman-Heft lief sie unregelmäßig in Sensation Comics weiter. Walowit schrieb über Kanigher: «Kurz nach dem Tod des Original-Autors werden die Leitgedanken, die die frühen Storys bestimmten, ignoriert, und die Serie konzentriert sich fast ausschließlich auf die körper­ liche Stärke von Wonder Woman. Der spätere Comic hat nicht mehr die fantasievolle Qualität für das affirmative Bild vom Wesen des Menschen und von Frauen, das für die frühen Storys charakteristisch ist.» Walowit, «Wonder Woman», Abstract. Auch Marjorie Wilkes Huntley bedrückte diese Entwicklung. Zu ihrer Überraschung stellte sie 1955 fest, dass Wonder Woman immer noch auf der Parents’ Magazine-Liste der zu beanstandenden Comics geführt wurde. Sie schickte dem Parents’ Magazine einen Beschwerdebrief, in dem sie festhielt, dass Kanigher alles, was in den 1940 er Jahren noch umstritten gewesen war, inzwischen aus Wonder Woman-Geschichten entfernt hatte: «Ich weiß, dass der gegenwärtige Redakteur aus eigenem Entschluss, unabhängig vom Druck der Kritik, all die Elemente getilgt hat, die an dem Heft beanstandet wurden. Also ist sie, Wonder Woman, jetzt eine Figur, die im Stil von Superman agiert – den Sie gutheißen.» MWH an das Cincinnati Committee on Evaluation of Comic Books, c/o Parents’ Magazine, 24. August 1955, CSAA ­Papers, Box 14, Folder 140. Huntley schickte Durchschläge ihres Briefwechsels zu diesem Thema an Josette Frank. 39 Alder, Lie Detectors, S. 223–228.

30  LIEBE FÜR ALLE

1 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 2 OBR an BHRM, 16. März 1948, im Besitz von BHRM. 3 OBR an MS, 11. Januar 1949, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S29: 0495.

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4 MS an OBR, 24. Januar 1952, MS Papers, Collected Document Series, Microfilm Edition, C09: 314. 5 Audrey Marston, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 6 MS übergab eine Auswahl ihrer Nachlassdokumente durch eine Vielzahl in der Zeit von 1942 bis zu ihrem Tod im Jahr 1966 erfolgter Schenkungen der Li­brary of Congress. (Jeffrey M. Flannery, Library of Congress, E-Mail an die Autorin, 7. März 2014.) MS begann 1946 auch mit der Übergabe ihrer Dokumente an das Smith College und ergänzte diese Sammlung kontinuierlich bis zu ihrem Tod (vgl. hierzu die Akquisitionsgeschichte im Findebuch der Sammlung). Olive Byrne hielt zahlreiche Dokumente von MS unter Verschluss. (Maida Goodwin, Smith College, E-Mail an die Autorin, 7. März 2014.) 7 MS an Ethel Byrne, 22. Januar 1952, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 386. 8 Vgl. MS an Juliet Barrett Rublee, 13. Februar 1955, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 386. 9 OBR an MS, 4. Mai 1955, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S47: 0273; OBR an MS, 28. Januar 1955, S45: 1067; MS an OBR, 1. Februar 1955, S46: 033; und OBR an MS, 5. Februar 1955, S46: 073. 10 «Ich übergab Margaret alle meine Sachen, sie konnte es dann an Smith geben oder wo auch immer sie es hingeben wollte.» OBR, Interview mit Van Voris, S. 27. 11 OBR an MS, 14. Juli 1953, MS Papers, Library of Congress, Microfilm Edition, L007: 0598. MS an OBR [Januar? 1954?], in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 353. 12 MS an OBR, 1. November 1954, MS Papers, Microfilm Edition, Collected Documents Series, CO10: 605. Sanger rät OBR, Dr. Abraham Stone oder einen seiner Kollegen anzurufen: «Ich bezweifle, dass sich das Bureau Deine hochklassige Arbeit leisten kann, aber oft ist ein Teilzeitjob verfügbar.» Das Margaret Sanger Research Bureau steckte zu diesem Zeitpunkt in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Vgl. hierzu zum Beispiel MS an Abraham Stone, 2. April 1953, und MS an Katharine Dexter McCormick, 26. März 1954, in: Selected ­Papers of MS, Bd. 3, S. 330, S. 369. 13 Diese Geschichte wird an verschiedenen Stellen erzählt, aber vgl. MS, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 272. Zu den Progesteron-Tests vgl. MS an Katharine Dexter McCormick, 4. Februar 1955, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 381. 14 Die früheste Sekretariats-Korrespondenz von OBR für MS, die ich fand, ist: OBR an B. D. Danchik, 26. August 1955, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S48: 0539, und dann finden sich in 0547-0810 verschiedene von OBR getippte und auf diese Art unterzeichnete Briefe – bis zum 17. Oktober 1955. Zu diesem Zeitpunkt wohnte OBR in Sangers Haus in Houston. Vgl. OBR an MS, 20. September 1955, S48: 0710, wo sie unter der Adresse Sierra Vista Drive 65, Tucson, über solche Angelegenheiten wie dort eingehende Post berichtete, sowie OBR an MS, 30. September 1955, S48: 0742.

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15 MS an D. Kenneth Rose, 20. August 1956, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 402. 16 MS an OBR, 17. Oktober 1955, MS Papers, Collected Documents Series, Microfilm Edition, C10: 965, und MS an OBR, 2. Februar 1959, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S55: 0180. 17 MS an OBR, 30. April 1956, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S49: 0945. 18 OBR an MS, 2. Mai 1956, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S49: 0974. 19 OBR an MS, 19. Juli 1956, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S50: 303. 20 OBR an MS, 30. September 1955, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S48: 0742, und MS an OBR, 8. April 1957, MS Papers, Smith College, Microfilm Edition, S51: 0897. 21 MS, Mike Wallace Interview, 21. September 1957, Abschrift, in: Selected Papers of MS, Bd. 3, S. 423–437. Vgl. außerdem Chesler, Woman of Valor, S. 440–442. 22 Zu EHMs Ruhestand: Olive Ann Marston Lamott, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. Zum Umzug nach Tucson: OBR an MS, 11. Februar 1959, MS ­Papers, Collected Document Series, Microfilm Edition, C11: 539. Vgl. außerdem: «Barbara [Stuart Sangers Frau] sagt mir, dass Du und Betty ein Haus mieten wollt», von MS an OBR, 10. August 1959, MS Papers, Collected Document Series, Microfilm Edition, C11: 607. In einem auf den 15. Juni 1960 ­datierten Alumnae-Fragebogen gab EHM als Adresse an: 928 North Campbell Avenue, Tucson, Arizona. EHM, Alumnae Association of Mount Holyoke College, Biographical Questionnaire, 13. Juni 1960, Mount Holyoke College Archives. EHM und OBR kehrten ca. 1963 nach New York zurück. BHRM, E-Mail an die Autorin, 25. Juli 2013. 23 OBR an Richter William O. Douglas, 9. Juni 1965, im Besitz von BHRM. 24 Editorial, in: New York Times, 11. September 1966. 25 «Marston-Sanger Vows Solemnized», in: Tucson Daily Citizen, 25. März 1961. 26 MSML an Byrne und Audrey Marston, 27. Februar 1963, im Besitz von BHRM. 27 Ebenda.

EPILOG  GROSSE HERA! ICH BIN WIEDER DA!

1 JE, Interview mit der Autorin, 5. August 2013; JE an EHM, 8. Mai 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5; EHM an MWH, 12. Juni 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5; und MWH an JE, 21. Mai 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. Huntley erzählte Edgar

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die Geschichte von einem Brief, den Marston einst von einem acht Jahre alten Mädchen erhielt. «WONDER WOMAN, bist Du echt?», fragte das Mädchen. «Ja, sie war Echt!», antwortete Huntley. Mary Thom, Inside «Ms.»: Twenty-five Years of the Magazine and the Feminist Movement, New York: Holt 1997, S. 1; Amy Erdman Farrell, Yours in Sisterhood: «Ms.» Magazine and the Promise of Popular Feminism, Chapel Hill: University of North Carolina Press 1998, S. 21 f.; Evans, Born for Liberty, S. 288; Susan ­Faludi, «Death of a Revolutionary», in: New Yorker, 15. April 2013; und Flora Davis, Moving the Mountain: The Women’s Movement in America Since 1960, Urbana: University of Illinois Press 1999, S. 110–114. Trina Robbins et al., It Aint Me Babe, Berkeley, CA: Last Gasp Ecofunnies ­Publication, Conceived by the Women’s Liberation Basement Press, Juli 1970. Das Titelbild stammt von Trina Robbins. Die Urheberschaft für «Breaking Out» wird dem It Ain’t Me Babe Basement Collective zugeschrieben, mit Zeichnungen von Carole, deren Nachname offensichtlich von allen anderen Beteiligten vergessen wurde. Vgl. Trina Robbins, A Century of Women Cartoonists, Northampton, MA: Kitchen Sink Press 1993, S. 134. Robbins wurde 1986 die erste Zeichnerin von Wonder Woman (vgl. A Century of Women Cartoonists, S. 165). Kelly Anderson, Interview mit JE, 26. Juli 2005, Voices of Feminism Oral History Project, Sophia Smith Collection, Smith College, abrufbar unter www. smith.edu/libraries/libs/ssc/vof/transcripts/Edgar.pdf; und Patricia Carbine, Interview mit der Autorin, 9. August 2013. «Warner Communications Acquires Interest in News Ms. Magazine», Pressemitteilung, Warner Communications, undatiert, aber: Frühjahr 1972, Ms. Magazine Papers, nicht katalogisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer 90A und in einem Folder mit der Bezeichnung «Warner Communications, 1972–1977»; und Patricia Carbine, Interview mit der Autorin, 9. August 2013. Patricia Carbine, Interview mit der Autorin, 9. August 2013; Farrell, Yours in Sisterhood, S. 17 f.; und Evans, Born for Liberty, S. 291. EHM an MWH, 12. Juni 1972, Steinem Papers, Smith College, Box 213, Folder 5. Dieser Brief befindet sich in Steinems Nachlass, weil Huntley ihn nach Erhalt an das Büro von Ms. weitergab, und dort scheint er aufbewahrt worden zu sein, weil man ihm eine gewisse juristische Bedeutung beimaß. Auf dem Umschlag, in dem der Brief mit dem Poststempel vom 14. Juni 1972 eintraf, hat jemand mit Bleistift notiert: «Good faith – indemnifying us vs. damages» («in gutem Glauben – stellt uns von Schadensersatz frei»). Nachdem JE ein Exemplar des fertigen Heftes an EHM geschickt hatte, schrieb EHM mit «nichts als Lob» dafür zurück. EHM an JE, 11. Januar 1973, im Besitz von JE.

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8 Thom, Inside «Ms.», S. 31–33; Daniels, Wonder Woman, S. 131 f.; und Farrell, Yours in Sisterhood, S. 28 f., S. 54 f. Steinems Verbindungen zu Comics haben zu der Beschuldigung geführt, dass die Vereinbarung, Wonder Woman auf das Titelbild von Ms. zu setzen, nicht von der Redaktion der Zeitschrift getroffen, sondern von Warner diktiert worden sei. Warner wurde 1971 von Steve Ross gegründet, einem ehemaligen Direktor des größten Bestattungs­ unternehmens der USA. Daniels behauptet, Steinem sei mit Ross befreundet gewesen, und zieht in Erwägung, dass Steinem mit ihm einen Handel schloss: Warner werde Ms. finanziell unterstützen, falls Ms. mithalf, ein Wonder-­ Woman-Revival zu bewerben. Falls das so ablief, war die Vereinbarung inoffiziell und wurde nicht dokumentiert. Eine Abrede dieser Art gehörte nicht zum ­offiziellen rechtsgültigen Abkommen: Kopien von Abkommen zum Aktienkauf zwischen der Ms. Magazine Corp. und Warner Communications, Inc., datiert auf April 1972 und den 2. Mai 1972, befinden sich in den Ms. Magazine Papers im Smith College, nicht katalogisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer 90A und in einem Folder mit der Bezeichnung «Warner Communications, 1972–1977». Derselbe Folder enthält Jahresberichte zur Ertragslage der Zeitschrift Ms., übersandt an Warner, zusammen mit einer Aufstellung von Warners Zahlungen an Ms. In diesen Dokumenten wird Wonder Woman nicht erwähnt. (Steinem war zu einem Interview mit mir nicht bereit.) 9 Wonder Woman: A «Ms.» Book, New York: Holt, Rinehart and Winston 1972, Gloria Steinem, Einleitung. Zu Roubicek Woolfolk vgl. Julius Schwartz, Vorwort zu Roy Thomas, All-Star Companion, S. 4, und Robbins und Yronwode, Women and the Comics, S. 104. Roubicek Woolfolk ist in der Geschichte der Comics im günstigsten Fall vernachlässigt und im schlimmsten Fall aus der Erinnerung gelöscht worden. Als Joe Brancatelli Mitte der 1970 er Jahre Artikel für The World Encyclopedia of Comics schrieb, warfen seine Redakteure den von ihm verfassten Eintrag zu Roubicek Woolfolk weg: «Ich schrieb 190 der 200 Comic-Heft-Artikel, und die handelten von Figuren und deren Schöpfern. Meine Aufgabe war, Maurice Horn eine Liste von Figuren und Schöpfern zu übergeben, die berücksichtigt werden sollten. Ich würde sagen, dass 95 Prozent von dem, was ich einreichte, akzeptiert wurden. Wissen Sie, wer raus­ geworfen wurde? Dorothy.» Brancatelli, Interview mit der Autorin, 1. November 2013. 10 Patricia Carbine, Interview mit der Autorin, 9. August 2013; JE, Interview mit der Autorin, 5. August 2013; Anderson, Interview mit JE, 26. Juli 2005; Thom, Inside «Ms.», S. 41 f.; und Anderson, Interview mit JE, 26. Juli 2005, S. 23. 11 JE, «‹Wonder Woman› Revisited», in: Ms., Juli 1972, S. 52–55. Ein korrigiertes Typoskript befindet sich in den Steinem Papers, Box 213, Folder 5. Edgar erhielt recht viel Post zu diesem Text, ein Teil davon kam von Fans der Origi-

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nal-Wonder-Woman, ein anderer Teil von Leserinnen und Lesern, die sich ganz begeistert darüber zeigten, von der «neuen» Wonder Woman zu hören. Vgl. hierzu zum Beispiel Norma Harrison an JE, 12. Juli 1972, und Richard J. Kalina an JE, 4. Juli 1972; Heidi Michalski (Vorsitzende von NOW) an JE, 31. Juli 1972, Steinem Papers, Box 151, Folder 14. 12 «Dorothy hatte mich an Gloria Steinem weitergereicht, die ein Wonder-Woman-Buch zusammenstellte. Deshalb weiß ich, dass Dorothy ganz genaue Vorstellungen von dem hatte, was sie aus Wonder Woman machen wollte. (…) Das Ganze lief tatsächlich so, dass Gloria bestimmte Geschichten, die ich ihr vorlegte, sehr, sehr schnell befürwortete oder verwarf. Und offensichtlich gefielen ihr die Geschichten nicht, in denen Wonder Woman eigentlich ein Mann mit Armbändern und langen Haaren war. Sie wollte, dass ich die Geschichten aufspürte, die einen eher zeitgenössischen Standpunkt widerspiegelten. Sie war nicht sehr oft da. Im Wesentlichen zeigte ich ihr die gebundenen Auswahlbände mit meinen Fundstücken, und sie sagte dann ‹Ja›, ‹Nein›. Sie war eine sehr gewissenhafte Leserin, Wort für Wort. Sie äußerte sich nicht herablassend über Comic-Hefte; sie sah sie als eine Möglichkeit der Kommunikation mit einer stärker visuell orientierten Generation. Sie war bemerkenswert aufgeschlossen», sagte Jeff Rovin in einem Interview mit der Autorin, 25. Juli 2013. Steinems Auswahl lief dennoch auf eine Art Zensur hinaus: Sie achtete sorgfältig darauf, dass Rovin Fesselungs-Szenen ausließ. Walowit schrieb über die Ms.-Anthologie: «Dass es den Herausgeberinnen gelang, zwölf Geschichten zu finden, in denen die Themen Dominanz und Unterwerfung nicht vorkommen (die in den Comics oft als Sklaverei und Fesselung dargestellt werden), ist schon für sich genommen eine Tour de Force, aber es gibt die Allgegenwart dieser Vorstellungen in den originalen Wonder-Woman-­ Geschichten nicht angemessen wieder.» Walowit, «Wonder Woman», S. 8. Walowit ergänzt: «Obwohl Steinem schreibt, alle zwölf Geschichten stammten vom Originalautor, sind zwei der Nachdrucke definitiv nicht von Marston. ‹The Girl from Yesterday› wurde von Lee Goldsmith geschrieben und ‹The Five Tasks of Thomas Tythe› von Robert Kaniger [sic]. ‹When Treachery Wore a Green Shirt› wurde möglicherweise ebenfalls von Kaniger geschrieben» (S. 18). 13 «The Return of Wonder Woman», in: Ms., Januar 1973, Großanzeige. Vgl. außerdem die Verlagswerbung von Holt, Rinehart and Winston, undatiert, aber Mitte 1972, Ms. Magazine Papers, Smith College, nicht katalogisiert, aber in einem Folder mit der Bezeichnung «Wonder Woman: A Ms. Book». Holloway begutachtete bei ihrem Besuch in der Ms.-Redaktion im Frühjahr 1972 sowohl die erste Nummer der Zeitschrift als auch die Fahnenabzüge der Ms.-WonderWoman-Anthologie. Holloway missfiel zwar das Titelbild der Zeitschrift

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(«stammt von einem Mann»), aber das Buchcover gefiel ihr («von einer Frau gemacht»). EHM an MWH, 12. Juni 1972, Steinem Papers, Box 213, Folder 5. Holloway widmete Steinem ein Exemplar des Buches und zitierte dabei aus Fragment 57A eine ihrer Lieblingszeilen aus Whartons Ausgabe von Sapphos Gedichten: «Für Gloria, ‹Dienerin der Aphrodite›, Sappho». EHM, handschriftliche Widmung für Wonder Woman: A «Ms.» Book, Steinem Papers, Box 30, Folder 1. 14 Eric Pace, «Lovely and Wise Heroine Summoned to Help the Feminist Cause», in: New York Times, 19. Oktober 1972, und Michael Seiler, «Wonder Woman: The Movement’s Fantasy Figure», in: Los Angeles Times, 17. Januar 1973. Die Geschichte wurde im ganzen Land aufgegriffen, vermittelt durch die Texte von Nachrichtenagenturen. Vgl. zum Beispiel: «Searching for Wonder Woman», in: San Francisco Chronicle, 27. Oktober 1972; «Wonder Woman Lives Again!», in: Press-Telegram (Long Beach, CA), 20. Oktober 1972; Eric Pace, «Now It’s Zap! A She-Wonder for Feminists», in: Toledo Times, 20. Oktober 1972; «Ms. Features the Return of Wonder Woman», in: St. Louis Post-Dispatch, 5. November 1972; «Wonder Woman Will Aid Cause», in: Foster S. Democrat (Dover, NH), 6. November 1972; «Wonder Woman Makes Comeback», in: Courier Express (Buffalo), 8. November 1972; und «Comic-Book Heroine ­Revived as Symbol of Feminist Revolt», in: Dallas Morning News, 5. November 1972. Zeitungsausschnitte sind zu finden in den Ms. Magazine Papers, nicht katalogisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer 52a, Clippings, 1968–1972, und in Foldern für Juli–Dezember 1972. 15 «Wenn Ms. die Rechte an Wonder Woman besäße, würden wir sofort eine Wonder-Woman-Puppe herstellen», schrieb Patricia Carbine, Verlegerin und Chefredakteurin von Ms., an Bill Sarnoff, den Vorstandsvorsitzenden von Warner. Patricia Carbine an William Sarnoff, 17. Mai 1973, nicht katalogisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer 90A und in einem Folder mit der Bezeichnung «Warner Communications, 1972–1977». 16 Titelseite, Sister: A Monthly Publication of the Los Angeles Women’s Center, Juli 1973. 17 Dorothy Woolfolk wird bei zwei Ausgaben von Wonder Woman, die in Gloria Steinems Dokumenten archiviert sind, als Redakteurin genannt, und Ethan  C. Mordden wird als Assistant Editor geführt: Wonder Woman Nr. 197 (November/Dezember 1971) und Wonder Woman Nr. 198 (Januar/Februar 1972). Sie ist nicht als Redakteurin verzeichnet in Wonder Woman Nr. 195 (Juli/­August 1971), einem Heft, das ebenfalls in den Steinem Papers archiviert ist, Box 213. Folder 5. 18 Steinem, zitiert bei Matsuuchi, «Wonder Woman Wears Pants»: Wonder Woman, Feminism and the 1972 ‹Women’s Lib› Issue», in: Colloquy 24 (2012), S. 128.

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19 Flora Davis an Dorothy Roubicek Woolfolk, 23. Juni 1972, Steinem Papers, Box 33, Folder 14. Offensichtlich war Carmine Infantinos Idee zu Wonder Woman: «OK, wir können mit ihr als feministischer Heldin zu Publicity kommen, aber wir wollen nicht, dass sie das lauthals verkündet.» Roubicek Woolfolk wollte das lauthals verkünden. Jeff Rovin, Interview mit der Autorin, 25. Juli 2013. 20 Dorothy Roubicek Woolfolk an Gloria Steinem, 8. Juli 1972, Steinem Papers, Box 33, Folder 14. 21 Samuel R. Delany, Wonder Woman Nr. 203, Dezember 1972. 22 Samuel R. Delany, zitiert bei Matsuuchi, «Wonder Woman Wears Pants», S. 118– 142 (Zitat auf S. 119). Eine Kritikerin bezeichnete das Sonderheft als «die vielleicht schlechteste Travestie zum Feminismus, die je geschrieben wurde». Walowit, «Wonder Woman», S. 35, S. 217–221. 23 Robbins/Yronwode, Women and the Critics, S. 106. 24 Allan Asherman (Kanighers Assistant im Jahr 1972), Interview mit der Autorin, 12. August 2013; und Paul Levitz (ehemaliger Chef von DC Comics), E-Mail an die Autorin, 11. August 2013. Nach Auskunft von Asherman war Kanigher sehr aus der Fassung geraten, als eine Ms.-Reporterin in den Verlag kam, um ihn zu interviewen – eine Geschichte, die auch Levitz zu Ohren gekommen war. 25 «New Adventures of the Original Wonder Woman», in: Wonder Woman Nr. 204, Januar/Februar 1973. (Eine deutsche Fassung dieser Geschichte ist enthalten in: Wonder Woman Anthologie: Die vielen Gesichter der Amazonenprinzessin, «Das zweite Leben der ursprünglichen Wonder Woman», S. 127–150, hier: S. 128.) Vgl. außerdem Daniels, Wonder Woman, S. 131–133. Doch auch Kanigher hielt sich nicht lange. Im Oktober 1973 wurde er durch Julius Schwartz ersetzt (Walowit, «Wonder Woman», S. 36). 26 Susan Faludi, Backlash: The Undeclared War Against American Women, New York: Crown 1991. 27 Zur Kultur des Trashing und zum Schicksal von Shulamith Firestone vgl. ­Susan Faludi, «Death of a Revolutionary», in: New Yorker, 15. April 2013. 28 Anselma Dell’Olio, «Divisiveness and Self-Destruction in the Women’s Movement: A Letter of Resignation», 1970, zitiert bei Faludi, «Death of a Revolu­ tionary». Vgl. außerdem Vivian Gornick, «The Woman’s Movement in Crisis: Let’s Stop the Infighting!», in: Village Voice, 3. November 1975. 29 Doziers 1967 entstandene Wonder Woman-Probeaufnahmen für Ellie Wood Walker sind zu sehen unter www.youtube.com/watch?v=VWiiXs2uUlk. 30 «Ich sah mir den ersten Teil der TV-Pilotsendung an», schrieb EHM an JE, 19. April 1974, im Besitz von JE. «Die Erwachsenen hier zeigten sich nicht sehr aufgeschlossen. Die Kinder – 8 bis 12 Jahre – meinten, es sei wunderbar

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und sollte ewig weiterlaufen.» Vgl. außerdem Walowitz, «Wonder Woman: Enigmatic Heroine of American Popular Culture», S. V–VI . 31 Wonder Woman, ABC Television, 1975, auf der Grundlage von Figuren von WMM, fürs Fernsehen entwickelt von Stanley Ralph Ross; die vollständige erste Staffel ist als DVD erhältlich, vertrieben von Warner Communications, 2004. 32 «Lib Leader Warns Others Not to Be ‹Superwomen›», in: Cleveland Press, 19. Juli 1972. Diese Geschichte wurde von UPI und AP aufgegriffen, Berichte erschienen im ganzen Land; dazu gehört auch ein Interview mit Friedan nach der Veröffentlichung ihres Essays «Beyond Women’s Liberation», der im August 1972 in McCall’s erschien. 33 Carole Ann Douglas, «Redstockings Assert Steinem CIA Tie», in: Off Our Backs 5 (Mai/Juni 1975), S. 7. Gabrielle Schang, «Gloria Steinem’s CIA Connection: Radical Feminists Won’t Be Ms.-led», in: Berkeley Barb, 30. Mai 1975, ist ein Nachdruck der Redstockings-Erklärung, illustriert mit einem Bild von Gloria Steinem als Wonder Woman; es befindet sich in den Steinem Papers, Box 203, Folder 16. 34 Schang, «Gloria Steinem’s CIA Connection», in: Berkeley Barb, 30. Mai 1975, und «Gloria Steinem’s CIA Connection», in: Women’s Week, undatierte feministische Newsletter-Ausschnitte, Ms. Magazine Papers, nicht katalogisiert. In der Vorgeschichte gab es viel böses Blut. Kathie Sarachild, eine der Redstockings-Gründerinnen, hatte 1973 einen Lebenslauf an Ms. geschickt und sich als Redakteurin beworben; sie wurde nicht eingestellt. Kathie Sarachild an Ms., 23. März 1973, Steinem Papers, Box 55, Folder 10. 35 «Redstockings’ Statement», in: Off Our Backs 5 (Juli 1975), S. 8 f., S. 28–33; die Zitate finden sich auf S. 29. Eine Fotokopie der Original-Pressemitteilung befindet sich in den Ms. Magazine Papers, nicht katalogisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer 21b und in einem Folder mit der Bezeichnung «Redstockings allegations, May–August 1975». 36 Gloria Steinem, «Statement from Steinem», in: Off Our Backs 5 (September/ Oktober 1975), S. 6, S. 22 f. Ms. verschickte die Erklärung auch per Post an ­bekannte Feministinnen und feministische Publikationen, unter anderem an Lavender Woman, Majority Report und Big Mama Rag. Vgl. hierzu zum Beispiel Mary Daly an JE, 17. September 1975, die Edgar in diesem Brief für die Zusendung von Steinems Erklärung dankt, Ms. Magazine Papers, nicht kata­ logisiert, aber in einem Karton mit der provisorischen Nummer  21b und in ­einem Folder mit der Bezeichnung «Redstockings allegations, Sept–December 1975»; und Gloria Steinem an Sisters of Hera, 14. August 1975, gleicher Karton und Folder «Redstockings Allegations, May–August 1975». 37 JE an William Sarnoff, 9. Mai 1975, nicht katalogisiert, aber in einem Karton

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mit der provisorischen Nummer 90A und in einem Folder mit der Bezeichnung «Warner Communications, 1972–1977». 38 Die Anschuldigungen kamen immer wieder von Neuem auf, und Steinem war darüber mehr als aufgebracht; sie schrieb 1979 über «das Gefühl von Überdruss und Frustration, das ich empfinde, wenn ich mich immer wieder mit ­abgedroschenen und nicht berichtenswerten Anschuldigungen beschäftigen muss» (Steinem an Victor Kovner, 9. April 1979). Als Random House eine Anthologie von Schriften der Redstockings herausbrachte, ließ der Verlag aus Furcht vor Unterlassungsklagen die Behauptungen über Ms. weg. Die Village Voice plante 1979 einen Artikel über die Behauptungen, aber nachdem Rechtsanwälte die Voice im Auftrag von Steinem und Ms. angeschrieben hatten, wurde die Story fallengelassen. 39 Faludi, «Death of a Revolutionary». 40 Cott, Grounding of Modern Feminism, S. 181. 41 EHM an JE, 16. November 1983, im Besitz von JE. «1915 Reviews», unver­ öffentlicher Mount Holyoke Alumni Newsletter, 30. Mai 1975, nicht paginierter Eintrag zu EHM. 42 EHM an Karen  M. Walowit, 4. Mai 1974, zitiert bei Walowit, «Wonder Woman», S. 84 f. 43 Als Ellen Chesler Olive Byrne 1985 interviewte, machte Byrne Diskretion hinsichtlich der Familie Marston zu einer Vorbedingung für das Interview. «Ich versprach, nicht über Olives eigene heikle persönliche Geschichte zu schreiben, als Bedingung für ihr Einverständnis, mit mir offen über Margaret und ihre Mutter zu sprechen», sagte mir Chesler. «Ich bin mir angesichts ihrer Besorgnisse nicht sicher, wie viele Einzelheiten ich mitgeschrieben habe.» Ellen Chesler, E-Mail an die Autorin, 4. Februar 2014. Byrne könnte eine ähnliche Übereinkunft auch für andere Interviews zu einer Vorbedingung gemacht ­haben, einschließlich eines längeren Gesprächs, das 1977 mit Jacqueline Van Voris geführt wurde. 44 EHM an JE, 11. Januar 1973, im Besitz von JE. 45 Mary Frain, «93  Years Old», in: Clinton Item, 15. Oktober 1982; MWH an BHRM, undatiert, aber Oktober 1982. MWH, Funeral and Internment Instructions, 6. November 1974, im Besitz von BHRM. Das Gedicht, dessen Verlesung sich Huntley wünschte, trägt den Titel «Only Time Can Die». All U. S., Social Security Death Index, 1935 – Current, Provo, UT: Ancestry.com, 2011; Originaldaten: Social Security Administration, Social Security Death Index, Master File, Social Security Administration. Huntley wurde am 29. Dezember 1889 geboren und starb am 30. Dezember 1986. Massachusetts Death Index, 1970– 2003, Provo, UT: Ancestry.com, 2005; Originaldaten: State of Massachusetts, Massachusetts Death Index, 1970–2003, Boston: Commonwealth of Massachu-

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setts Department of Health Services, 2005. Diese beiden Darstellungen widersprechen sich: Nach den Angaben des SSDI starb sie in Clinton (wo sich ihr Pflegeheim befand); der MDI hält fest, dass sie in Marlborough starb (womit möglicherweise O. A.s Haus gemeint ist). Donn Marston starb 1988. Sein Nachruf enthielt den Hinweis, dass er Frau und Kinder hinterließ und auch seine Mutter «Olive Richard» noch lebte, ebenso wie «eine Tante, Eliza­beth  H. Marston». Donn Richard Marston, Nachruf, Washington Post, 2. April 1988. 46 Alder, Lie Detectors, Kap. 19. 47 BHRM, Interview mit der Autorin, 14. Juli 2013. 48 Ebenda. OBR starb am 19. Mai 1990 in Tampa, Florida, im Alter von 86 Jahren. Florida Death Index, 1877–1998, Provo, UT: Ancestry.com, 2004; Original­ daten: State of Florida, Florida Death Index, 1877–1998, Jacksonville: Florida Department of Health, Office of Vital Records, 1998. 49 Sue Grupposo, Interview mit der Autorin, 15. Juli 2013. 50 EHM starb am 2. April 1993 in Bethel, Connecticut. «Elizabeth  H. Marston, 100, Inspiration for Wonder Woman», in: New York Times, 3. April 1993. Der Hartford Courier brachte ein Editorial: «Wonder Woman’s Mom», 5. April 1993.

NACHWORT  DER HYDE-DETEKTOR

1 «Ah! Sweet Mystery of Life; MGM Tries Out ‹Hyde Detector›», in: The Hollywood Reporter, 19. August 1941. MGM brachte den Film (Regie: Victor Fleming) am 12. August in die Kinos. 2 Nachdem ich das Manuskript dieses Buches fertiggestellt hatte, erschienen mehrere Bücher über Wonder Woman: Tim Hanley, Wonder Woman Unbound: The Curious History of the World’s Most Famous Heroine, Chicago: Chicago ­Review Press 2014; Joseph H. Darowski (Hg.), The Ages of Wonder Woman: Essays on the Amazon Princess in Changing Times, Jefferson, NC: McFarland and Company 2014; und Noah Berlatsky, Bondage and Feminism in the Marston/Peter Comics, 1941–1948, New Brunswick, NJ: Rutgers University Press 2015. 3 EHM an Donn Marston, Sonntag, 22. September. Die Jahreszahl ist nicht mehr erkennbar, aber der 22. September fiel 1974 auf einen Sonntag, und ich glaube, dass der Brief aus jenem Jahr stammt. Als dieses Nachwort in Druck ging, hatten Nancy Wycoff und Margaret Van Cleave, Donn Marstons Töchter, bereits mit den Vorbereitungen für eine Schenkung seines schriftlichen Nachlasses an die Houghton Library in Harvard begonnen. Dieser Brief und andere in diesem Nachwort zitierte Materialien werden schon bald ein Teil der William

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Moulton Marston Papers in der Houghton Library der Harvard University sein. Sie werden hier als WMM Papers zitiert. 4 «Ah! Sweet Mystery of Life; MGM Tries Out ‹Hyde Detector›». 5 Haarlocken, die von WMM stammen, 1894 abgeschnitten und aufbewahrt von ADM in einem Umschlag in den WMM Papers; und ADM, Notizbuch, 1893 bis ca. 1900, WMM Papers. 6 ADM an WMM, 19. Februar 1938, WMM Papers. 7 ADM an WMM, 7. Mai 1941, WMM Papers. 8 EHM, handschriftliche Notiz, gebündelt mit einem Stapel von Briefen von ADM an WMM, WMM Papers. 9 ADM an WMM, 13. August 1942, WMM Papers. 10 OBR, «Mothers on Trial», unveröffentlichtes Typoskript, undatiert, ca. 1937, und offensichtlich ein für Family Circle vorgesehener Artikel, WMM Papers. 11 Harvard-Football-Fahne, bedruckter Filz, ca. 1911, WMM Papers. 12 WMM, Love in an Apartment Hotel (Biograph, 1913), Regie: D. W. Griffith. Mein Dank gilt Joshua Siegel für das Auffinden dieses Films, eines Director’s Cuts, und das Arrangieren einer Vorführgelegenheit für mich. Mehr Informationen zu diesem Film bietet Robert M. Henderson, D. W. Griffith: The Years at Biograph, New York: Farrar, Straus and Giroux 1970: «Griffith führte im Januar 1913 Regie bei fünf Filmen, allesamt One-Reel-Kurzfilme, beginnend mit Love in an Apartment Hotel, der auf einer bei William Marston eingekauften Synopse beruhte, der Autor gab als Adresse Harvard College, Cambridge, Massachusetts an» (S. 148). Diese Zuschreibung ist den Unterlagen der Biograph Company entnommen, die in der Filmabteilung des MoMa aufbewahrt werden. Die Biograph-Studios befanden sich zum damaligen Zeitpunkt in der East Fourteenth Street  11, NY (S. 8), zogen aber im Dezember 1912 in die 175th Street in der Bronx um (S. 148), obwohl die Firma selbst nach Kalifornien umsiedelte. Griffith verließ Biograph Ende 1913. Birth of a Nation wurde 1914 gedreht und kam 1915 in die Kinos (S. 159). Robert  M. Henderson, D. W. Griffith: His Life and Work, New York: Oxford University Press 1972, S. 123 f. Die Story wurde möglicherweise von Lee Doughtery eingekauft, dem Story Editor von Biograph (S. 124). Vgl. außerdem Library of Congress, Catalog of Copyright Entries: Works of Part, Part 4, Washington, DC: Library of Congress 1913, S. 142. Eine Besprechung des Films findet sich bei Roberta  E. Pearson, Eloquent Gestures: The Transformation of Performance Style in the Griffith Biograph Films, Berkeley, CA: California University Press 1992, S. 106– 108. 13 WMM, The Thief (Solax, 1913), Regie: Alice Guy Blaché. Eine Kopie befindet sich in der Library of Congress, Moving Image Department. Cooper C. Graham et al., D. W. Griffith and the Biograph Company (Metuchen, NJ: Scarecrow Press

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1985), führt Love in an Apartment Hotel unter «William  M. Marston (‹The Thief›) (au) … begun December 1912, finished January 1913 (f); New York/California (l); 27  February 1913 (r)» und «reissued by Biograph 18  June 1915» (S. 171), damit ist Marston als Autor eines 1913 fertiggestellten Films mit dem Titel «The Thief» ausgewiesen. Der einzige 1913 produzierte Film mit diesem Titel ist derjenige, bei dem Alice Guy Blaché Regie führte, für die Produk­ tionsfirma Solax. 14 Marston schickte offensichtlich einen Beschwerdebrief an den Boston Evening Record, nachdem das Blatt einen Artikel über seinen Film brachte, in dem das Glücksspiel-Element hervorgehoben wurde («Exposes Harvard Gambling: Movie Scenario a Sizzler», 26. Februar 1915). Die Zeitung druckte später eine Meldung, mit der seine Beschwerde gewürdigt wurde: «Flickerings», in: Boston Evening Record, 1. März 1915. Beide Zeitungsausschnitte sind zu finden in: WMM, Sammelalbum, geführt von EHM, WMM Papers. 15 Hugo Münsterberg an WMM, 9. September 1916, Donn Marston Papers. 16 EHM, handschriftliche Notiz auf dem Umschlag von Hugo Münsterbergs Brief an WMM vom 9. September 1916, WMM Papers. 17 «Defender of Sex Magazines Stops Reading The World», in: The [New York] World, 13. Januar 1927, mit einer Randnotiz von EHM, in: WMM, Sammel­ album, geführt von EHM, WMM Papers. 18 Marston hatte für jeden Begriff ein Szenenfoto ausgewählt. «Compliance»: The Student Prince in Old Heidelberg (1927), Hauptdarsteller: Ramon Navarro; «submission»: The Devil Dancer (1927), Hauptdarstellerin: Gilda Gray; «dominance»: Blarney (1926); und «inducement»: Flesh and the Devil (1926), Hauptdarsteller: Greta Garbo und John Gilbert. Faszinierend ist auch ein Ausschnitt eines Zeitungsfotos von Marston, der zwei Frauen, eine Blondine und eine Brünette, einem Lügendetektor-Test unterzieht und sich dabei mit beiden zusammen und einem Löwen in einem Käfig befindet. Zeitungsausschnitt ohne Quellenangabe, datiert auf den 11. August 1929, in: WMM, Sammelalbum, geführt von EHM, WMM Papers. 19 «Es macht mich sehr glücklich, dass Byrne so an dem alten Zuhause hängt. Dieses Jahr, in dem die meisten von Euch ‹bei Grandma wohnten›, ist für mich eine sehr kostbare Erinnerung.» ADM an WMM, 24. April 1941, WMM Papers. 20 WMM, «Why Bruno Hauptmann Dodges the Lie Detector – As Revealed by Its Discoverer!», in: [New York] Sunday Mirror, 5. Mai 1935. 21 ADM an WMM, 7. Januar 1939, ADM an WMM, 19. Februar 1938, und ADM an WMM, 15. Februar 1939, WMM Papers. 22 ADM an WMM, 14. September 1942, WMM Papers. Den Kontext bildeten hier die Glückwünsche, die sie den beiden zum Hochzeitstag sandte. 23 Huntley mag ADM nicht so viel geschrieben haben wie die anderen beiden

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Frauen, scheint sie aber sehr oft in Cliftondale besucht zu haben. «Froh über einen Brief von Marjorie  – das erste Mal seit Feb., dass ich von ihr gehört habe», schrieb sie am 18. Juni 1940 an Marston, WMM Papers. 24 ADM an WMM, 2. März 1939, WMM Papers. 25 ADM an WMM, 21. Oktober 1940, WMM Papers. 26 ADM an WMM, 13. März 1943, WMM Papers. 27 WMM, Tagebucheintrag vom 24. Dezember 1939, WMM Papers. 28 «A Psychologist Names The Ten Happiest People in America», Anzeige, in: Look, 29. März 1938. 29 «Ode to William Moulton Marston, Or, Lines Written While Under the Influence», Typoskript, undatiert, aber ca. 1935–1943, WMM Papers. 30 WMM, unveröffentlichtes und undatiertes Manuskript ohne Titel, WMM ­Papers. Zur Kennzeichnung werde ich dieses Manuskript «A Theory of Personality» nennen. Es muss nach 1931 geschrieben worden sein, weil Marston Experimente erwähnt, die er 1931 an der Long Island University vornahm (vgl. Marguerite Mooers Marshall, «As the Other Sex Sexes Us», in: New York Evening Journal, 23. November 1931), ebenso wie sein Buch Integrative Psychology, das auch 1931 erschien. 31 WMM, «A Theory of Personality», S. 21. 32 Ebenda, S. 104 f. 33 Ebenda, S. 112 f. 34 Ebenda, S. 156. 35 Ebenda, S. 145. 36 Ebenda, S. 157. 37 Ebenda, S. 161 f. 38 Reid Stewart Austin, Petty: The Classic Pin-up Art of George Petty, New York: Gramercy 1997. 39 WMM, «Miss Elusive», und George Petty, Miss Elusive Centerfold, in: True, undatiert, aber ca. 1938, WMM Papers. Es ist mir nicht gelungen, das genaue Erscheinungsdatum der Mittelseiten zu bestimmen. Die Zeitungsausschnitte sind nicht datiert, mit einer Ausnahme, auf der das Jahr 1945 vermerkt ist. Die Zeitschrift erschien seit 1937. Ich finde keine erhalten gebliebenen Exemplare aus jenen Jahren. 40 WMM, «Miss Heartsnatcher», und George Petty, Miss Heartsnatcher Centerfold, in: True, undatiert, aber Teil einer Februar-Ausgabe in den Jahren 1937 bis 1945, WMM Papers. 41 WMM, «Miss  Bewitching», und George Petty, Miss  Bewitching Centerfold, in: True, undatiert, aber Teil einer Oktober-Ausgabe in den Jahren 1937 bis 1945, WMM Papers. 42 WMM, «Miss Career Girl», und George Petty, Miss Career Girl Centerfold, in:

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True, undatiert, aber Teil einer Ausgabe in den Jahren 1937 bis 1945, WMM Papers. 43 WMM, «Miss Girl of Tomorrow», und George Petty, Miss Girl of Tomorrow Centerfold, in: True, undatiert, aber Teil einer April-Ausgabe in den Jahren 1937 bis 1945, WMM Papers. 44 WMM, «What Comics Do to Your Children», in: Your Life, Oktober 1939, Zeitungsausschnitt in den WMM Papers. Bevor ich diesen Artikel entdeckte, war mir nicht klar gewesen, dass Marston bereits 1939 damit begonnen hatte, über Comics zu schreiben. Der Artikel, der viele verschiedene Comicstrips und -hefte nach einem von Marston selbst entwickelten Kriterienkatalog bewertete, verschaffte ihm vermutlich sehr viel Aufmerksamkeit vonseiten der Comic­zeichner und -autoren und ganz gewiss auch bei den Verlegern. Ein erhaltenes Beispiel dafür ist eine Korrespondenz, die Marston anschließend mit Al Capp führte, dem Schöpfer von Li’l Abner (seit 1934). Vgl. Al Capp an WMM, undatiert, aber September 1939 (auf Briefpaper des United Feature Syndicate); WMM an Al Capp, 22. September 1939; und Al Capp an WMM, undatiert, aber Ende September oder Anfang Oktober 1939, WMM Papers. 45 ADM an WMM, 13. August 1942, WMM Papers. 46 ADM an WMM, 6. Mai 1942, WMM Papers. Und dann fügte sie hinzu: «Ich wollte gemächlich und gelassen [‹leisurely and placidly›] schreiben», strich aber die erste Formulierung nicht durch. 47 ADM an WMM, 6. Mai 1942. 48 ADM an WMM, 13. August 1942. 49 ADM an WMM, 21. Oktober 1942, WMM Papers. 50 ADM an WMM, 11. August 1943, WMM Papers. 51 ADM an WMM, 11. August 1943. 52 Zum Beispiel: «Tausend Dank für die wunderbaren Blumen», ADM an WMM, 27. November 1942, WMM Papers. Diese Blumen waren für Thanksgiving gedacht. Sie verbrachten Thanksgiving meistens gemeinsam, ADM in Cherry Orchard oder die Marstons in Cliftondale, aber sie scheint zu dieser Zeit zu krank gewesen zu sein, um reisen zu können. 53 Zu ihrem letzten Besuch vgl. ADM an WMM und EHM, 2. Mai 1944, WMM Papers. 54 ADM an WMM, 8. Mai 1944, WMM Papers. 55 ADM an WMM, 22. Mai 1944, WMM Papers. 56 Ihr genaues Sterbedatum kenne ich nicht, aber es fiel ins Jahr 1944, das ergibt sich aus: Department of Public Health, Registry of Vital Records and Statistics, Massachusetts Vital Records Index to Deaths [1916–1970]. Vol. 55, S. 553. Faksi­ mile-Ausgabe. Boston, MA: New England Historic Genealogical Society, Boston, Massachusetts.

ANMERKUNGEN ZU DEN SEITEN 419– 423



57 Er schrieb Knittelverse über die mit seiner Krankheit verbundenen Demütigungen: «The nurse brought me my bedpan Slipped it under my backside While chills ran up and down my spine As the cold thing touched my hide.» («Die Schwester brachte mir meine Bettschüssel / Schob sie mir unter den Hintern / Schauer liefen mir den Rücken rauf und runter / Als das kalte Ding meine Haut berührte.») WMM, «Not a Midsummer’s Night Dream», undatiertes Gedicht, aber ca. 1944, WMM Papers. 58 MSML an Byrne und Audrey Marston, 27. Februar 1963, BHRM Papers. 59 EHM, «Family Mementos», Typoskript, datiert auf den 16. Februar 1975, WMM Papers. 60 Nancy Marston Wycoff und Margaret Marston Van Cleave, Interview mit der Autorin, 7. Februar 2015. 61 EHM, «Family Mementos».

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ABBILDUNGSNACHWEIS

Boston Public Library: S. 334 Brooklyn College Library Archives: S. 284 California Digital Newspaper Collection, Center for Bibliographical Studies and Research, University of California, Riverside: S. 268 Comic Art Collection, Michigan State University Libraires: S. 16 Corbis Images: S. 135, 156 links David Levine Ink: S. 394 Esquire Magazine: S. 272, Tafel 2 Mitte Getty Images: S. 105 Harvard College Library: S. 29, 68, 71, 126 rechts, 230, 234, 267 Harvard University Archives: S. 53 Heritage Auctions: S. 248, 250, Tafel 1 The Library of American Comics: S. 14, 37, 50, 51, 100, 107, 116/117, 119, 264 The Library of Congress, Manuscripts Division: S. 363 The Library of Congress, Prints and Photographs Division: S. 30, 54, 79, 82, 156 rechts, 271, 290, 292, 294, 358, 370, 388, 389, Tafel  3 unten, Tafel  5 Mitte, ­Tafel 7 unten, Tafel 13 oben und Mitte, Tafel 14 (komplett), Tafel 15 oben und unten Byrne Marston: S. 65, 88, 124, 136, 157, 166, 186, 203, 205, 209, 215, 218, 241, 256, 341, 398 Moulton (Pete) Marston: S. 23, 24, 25, 45, 72, 76, 77, 97, 168, 190, 195, 196, 206, 214, 217, 338, 347 Metropolis Comics: S. 273, Tafel 2 unten Mount Holyoke College Archives and Special Collections: S. 41, 43 Northwestern University Archives: S. 106 Rare Book and Manuscript Library, Columbia University: S. 319 The Rogers Family Collection: S. 125 Schlesinger Library, Radcliffe Institute, Harvard University: S. 128, 146, 382, 386, 427, Tafel 15 Mitte The Smithsonian Institution Libraries, Washington, DC: S. 11, 19, 28, 32, 36, 40,

ABBILDUNGSNACHWEIS



49, 52, 66, 83, 90, 92 unten, 147, 155, 161, 164, 165, 171, 233, 238, 253, 265, 274, 283, 293, 295, 298, 299, 303, 307, 310, 311, 312, 313, 314, 318, 320, 321, 322, 323, 326, 333, 351, 352, Tafel  2 oben, Tafel  3 oben, Tafel  4 (komplett), ­Tafel 5 oben und unten, Tafel 6 (komplett), Tafel 7 oben, Tafel 8, Tafel 9 (komplett), Tafel  10 (komplett), Tafel  11 (komplett), Tafel  12 (komplett), Tafel  13 ­unten Sophia Smith Collection, Smith College: S. 44, 92 oben, 122, 379, 393, Tafel 16 Tufts University Digital Collections and Archives: S. 154 University of Michigan Library: S. 126 links, 269, 270 Yale University Library: 22

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PERSONENREGISTER

Kursive Namen beziehen sich auf fiktive Personen, kursive Seitenzahlen auf Abbildungen. Abzug, Bella  383, 389 Adams, Harry C.   449 Addams, Jane  165, 305, 437 Adler, Alfred  180 Amazona  249 f., 250 Anthony, Susan B.  28, 305, 308, 310 Aphrodite  37 f., 275, 314 Asherman, Allan  531 Athene  38, 275 Bails, Jerry  520 Barton, 
Clara  304 Batman  13, 16, 50, 249, 255 f., 256, 259, 280, 288 f., 301, 335, 365 f., 390, 434 Behn, Harry  350 Bender, Jane  285 f. Bender, Lauretta  283–288, 284, 301, 307, 328–330, 332 f., 335, 349, 360, 362–368, 503, 509 f., 512–517, 523 f. Bentley, Elizabeth Burnley  264 Betty Boop  237 Bilbrey, 
Joseph H.  107 f., 111, 468 Bingham, Harold C.  465 Blaché, Alice Guy  408, 535 f. Bobby Doone  247, 249

Boissevain, Inez Milholland  292, 292 Bolger, Ray  301 Boring, Edwin G.  182–184, 186, 191, 487 f. Bowie, William N.  104 f., 463 Brancatelli, Joe  528 Brandeis, Louis  446 Brooks, Cleanth  344, 519 Brown, Robert Wade  104, 107, 466 Brown, Slater  257 Budge, Donald  303 Burke, Francis J.  327 f. Burns, Lucy  81, 86, 136 Burtt, Harold  84, 458 Byrne, Billie & Charlie (Giddy Girls)  143, 151 Byrne, Ethel, geb. Higgins  121–124, 122, 127, 131–136, 135 f., 139, 142–146, 151 f., 165–167, 172, 216, 221, 293, 346, 372–374, 376, 395, 422, 473 f., 476–479, 512, 519 Byrne, Helen  216 Byrne, Jack jun.  122 f., 216, 223 f., 248, 249, 373, 395, 496 Byrne, Jack sen.  121–123, 473 Byrne, Olive «Dots», «Bobby» alias Olive Richard,  121–123, 124, 129,

PERSONENREGISTER 131, 134, 138 f., 143–145, 149, 151–158, 154, 157, 162–172, 166, 175, 177, 179–183, 186, 186 f., 190, 191 f., 195 f., 201, 203–211, 203, 205, 209, 214–219, 214 f., 217, 221–225, 227, 230, 232, 240–251, 241, 257–260, 269, 277, 296, 317, 319, 337–343, 341, 345 f., 353, 371–377, 381, 395–398, 398, 404 f., 407–412, 417, 419 f., 422, 427, 433 f., 473, 476, 480, 482 f., 486, 493, 496, 508, 512, 517 f., 525, 533 f. Captain America  270 f., 271 Carbine, Patricia  382, 385, 530 Carter, Lynda  391 Catt, Carrie Chapman  239, 305 Chafee, Zechariah  111, 469 Chaplin, Charlie  66, 71, 192 Cheetah  117 f. Chesler, Ellen  479, 533 Chesterton, G. K. (Gilbert Keith)  29 Childs, Harry E.  517 Chisholm, Shirley  383 Collier, Virginia MacMakin  174 f., 486 Comstock, Anthony  279 Condon, 
John F.  497 Connolly, John  516, Cooke, Sarah Palfrey  303 Cott, Nancy  394 Crosby, Cathy Lee  390 Cross, Donna Woolfolk  513, 521 Cummings, E. E.  72 Darrow, Clarence  57 f., 361 Davenport, Charles  413 Davis, Emily  103 Davis, Flora  387 Debs, Eugene  45, 144

★ Delany, Samuel R.  387–389, 388 Dewey, Thomas E.  240 Diana Prince / Prinzessin Diana  13, 38, 49, 50, 65 f., 90, 153, 170, 277, 281, 291, 295, 295 f., 306, 312, 312, 320, 385, 387–389, 392, 454; s. a. Wonder Woman Disney, Walt  367 Doctor Fate  280 Douglas, William O.  376 Dowling, Levi H.  169 Dozier, William  390, 531 Dr. Jekyll  26, 403 f., 409 Dr. Mid-Nite  281 Dr. Poison  32 f., 32 Dr. Psycho  52, 52, 60, 80, 88 f., 309 Dreear, Horace  87 DuBois, William Edward Burghardt «W. E. B.»  361 Dudding, E. E.  468 f. Duke of Deception  232, 233, 309, 359 f. Eastman, Chrystal  124 f., 172 f. Eastman, Max  29, 124, 127, 129, 144, 475 Edgar, Joanne  382, 384 f., 392, 395, 397, 528, 532 Eisner, Will  249 Eliot, 
Charles W.  25, 54 Ellis, Havelock  132 f., 145, 148, 171 Ellsworth, Whitney  255, 359, 364, Etta Candy  153, 155, 162, 310 f., 369 Firestone, Shulamith  381 f., 392 Fischer, Edward G.  96, 113 f., 461, 470 Fisher, Lloyd  217 f., 497 Fleming, Victor  534 Ford, Henry  240, 260 Forte, Felix  96, 113 f., 461 Fox, Gardner  289–291, 290

543

544

★ Francis, John R.  104, 466, 468 Frank, Josette  161, 259, 324 f., 327 f., 330–333, 335, 348 f., 482, 503 f., 509, 515, 524 Frankfurter, Felix  446 Freeman-Palmer, Alice  27, 54, 437, 444, 462 Freud, Sigmund  156, 285, 456 Friedan, Betty  381, 383, 391, 532 Frye, James Alphonso  104–107, 105 f., 109–117, 200, 229–231, 353, 464–466, 468–471, 473, 498 Fulton, Adonica  266–268, 268, 506 f. Gaines, Maxwell Charles «Charlie»  248 f., 258–261, 263- f., 265, 268 f., 271, 273 f., 279–282, 286–289, 301–306, 324–333, 335, 340, 348, 355, 357, 434, 501, 503 f., 509 f., 513–516 Gaines, William  357, 367, 384 Gallup, George  259 Gandhi, Mohandas Karamchand «Mahatma» 240 Garbo, Greta  191, 536 Garrison, William Lloyd  438 Gay 162 George, Henry  266 Gibson, Charles  266 Gilbert, John  536 Gilbreth, Frank  450 Gilbreth, Lillian Moller  450 Gillmore, Inez Haynes  41 f., 128, 129, 239, 351, 496 Gilman, Charlotte Perkins  126, 129, 147, 475 f. Gloria Bullfinch  293–295 Goldberg, Rube  267 Goldman, Emma  124, 144 Goldsmith, 
Lee  529

PERSONENREGISTER Gordon, Linda  394 Gordon, Peyton  111, 469 Goss, Joseph (Don José de Gaunza)  35 Gray, Gilda  536 Green Lantern  13, 280 f. Griffith, D. W.  408, 535 Gruenberg, Sidonie  324 Grupposo, Sue  484 Gunther, Arno  101 f. Haddick, Paul E.  468 Hale, Richard  114, 116, 471 f. Hardwick, H. R. «Tack»  69, 451 Hart, Lorenz  301 Haskin, Frederic  103, 473 Haskins, Charles Homer  26, 32, 56 Hauptmann, Bruno Richard  227 f., 411, 497 Hawkman  280 f., 289 f. Hayes, Helen  240 Hays, Will  192, 490 Haywood, «Big» Bill  57 f., 445 Hearst, William Randolph  125, 291 Hecht, George  258, 263 f., 305, 503 Hefner, Hugh  416 Heilman, Robert  344 Herkules  37, 275 Higgins, Anna  122 Higgins, Anne  121 Higgins, Mary  122 Higgins, Michael Hennessey  117 Hill, Arthur Dehon  78 Hippolyte  37 f., 129, 274 f., 301, 311 Hoagland, Herbert Case  62 f. Hocking, William Ernst  454 Hoffman, Harold G.  227 f., 497 Holloway Marston, Sadie Elizabeth «Betty», «Keets»  24, 35 f., 38–43, 41, 44–47, 61 f., 64, 70, 72, 75–78,

PERSONENREGISTER 87–89, 91, 93–95, 103, 133, 148 f., 156, 160 f., 165 f., 166, 168–173, 175, 179–186, 191 f., 195, 195 f., 201, 204, 206, 206–209, 209, 214 f., 214–218, 217, 242 f., 245 f., 251, 259 f., 296, 302, 324, 338–341, 341, 345 f., 353, 355–360, 370, 372, 374–378, 381, 383 f., 394–399, 398, 399, 404 f., 407, 409–413, 420–423, 441 f., 449 f., 460, 473, 482, 485, 487, 489, 495, 527, 534 Holloway, William George ­Washington  35 Hoover, J. Edgar  86, 228 f., 235, 458, 498 Houghton, 
Percy  451 Hourman  280 f. Howe, Louis  238 f. Hughes, Charles Evans  78 Hummel, Joye E.  149, 338 f., 338, 346–348, 350, 352–353, 355 f., 433, 503, 518, 520 Huntley, Marjorie Wilkes «Yaya», «Zaz»  91, 93 f., 168–171, 180, 186, 195, 206, 207, 214, 214, 217, 242, 245, 338–340, 341, 346, 372, 381, 384, 396 f., 410, 412, 422, 484 f., 494, 512, 518, 524, 526 f., 533, 536 f. Hutchinson, Emilie  179 Iger, Samuel Maxwell «Jerry»  249 Infantino, Carmine  531 Jack Kennard  68–70, 71, 451 Jackson, Robert H.  256 Jacobs, John D.  330 f. James, William  27, 50–53, 56, 60, 64, 192, 437, 462 Jenkins, Thomas  449

★ Johnny Thunder  281 Jones, Harold E.  486 Kanigher, Robert  356, 358–360, 368 f., 370, 389, 389, 519–521, 524, 529, 531 Karloff, Boris  200 Keatley, Carolyn Marston  168, 169–171, 346, 410, 422, 483–485, 490 Keatley, Robert  483 f. Keeler, Leonarde  200 f., 213, 227, 229, 234, 277, 492 Kefauver, Estes  363 f., 367 f. Kelley, Florence  30 f. King, Helen W.  441 Kinsey, Alfred  156 Kirchwey, Freda  172 Kunitz, Stanley  257, 503 Kurtzman, Harvey  384 La Follete, Suzanne  174 La Guardia, Fiorello  240 Laemmle, Carl jun.  195, 199 f. Laemmle, Carl sen.  189 f., 193, 195, 197–199, 491 f. Langfeld, Herbert S.  56, 82, 84, 93, 185, 444, 450 f., 454, 481 Larson, John  200 f., 234 f., 492 Legman, Gershon  360 Lerner, Gerda  394 Levine, David  394, 395 Levitz, 
Paul  531 Liebowitz, Jack  355–359, 368, 434 Lincoln, Abraham  91, 308 Lindbergh, Charles August jr. «Little Lindy»  213, 227 f. Lindbergh, Charles August sen.  213 Lindsay, Nicholas Vachel  75 Littledale, Clara Savage  258 f. Lourie, Reginald  286 f., 510

545

546

★ Lowell, Abbott Lawrence  30, 73, 79, 446 Lowell, Amy  73 Madison, 
Dolley  304 f. Man o’ Metal  263, 505 Marble, Alice  303, 303–305, 327, 418, 512 f. Marks, Jeannette  46 Marston Van Cleave, Margret «Peg»  405, 419 f., 422, 534 Marston Wycoff, Nancy «Nan»  405, 419 f., 422, 534 Marston, Annie Moulton (Dalton)  22, 23, 215, 406–408, 412 f., 417–419, 422 f., 435, 536, 538 f. Marston, Audrey  377, 419 f. Marston, Byrne Holloway  203, 203, 206, 209, 207 f., 215, 216 f., 217, 241, 228, 231, 242–247, 249, 325, 339 f., 341, 341 f., 351, 353, 370–372, 375, 377, 398, 404 f., 412, 419 f., 427, 452, 490, 494, 500 f., 512, 529 f., 536 Marston, Christie  500 Marston, Donn  203, 209, 214 f., 214, 216 f., 217, 241, 228, 242 f., 245, 247, 341, 342, 350, 353, 371 f., 375, 377, 405 f., 412, 419 f., 433, 484, 494, 500 f., 512, 534 Marston, Frederick William  22, 93, 422, 435 Marston, Fredericka  93, 460 Marston, Margret Sanger  375, 377, 419 f. Marston, Moulton «Pete»  195, 195 f., 201, 203, 206, 204, 207, 209, 215, 217, 217, 232, 241, 242 f., 245–247, 260, 341, 342, 371 f., 399, 404, 421 f., 489, 512

PERSONENREGISTER Marston, Olive Ann, «O. A.»  214 f., 214 f., 217, 222, 241, 242–247, 339 f., 341, 342, 351–353, 371 f., 412, 484, 501 Marston, Sadie Elizabeth s. Holloway Marston, William Moulton  15–360 passim, 24 f., 45, 65, 72, 75, 77, 88, 97, 105 f., 166, 190, 195 f., 205 f., 215, 217, 230, 234, 241, 265, 341, 347, 370 passim Mary, Woolley  41 f., 46, 237, 440, 449 Mattingly, Richard V.  105–109, 113, 115, 117, 230, 465–469, 473 Mayer, Sheldon  168, 261–263, 265, 268, 273 f., 288–291, 303, 306, 324, 339 f., 347 f., 355, 358, 360, 397, 504 McCoy, Walter  104 f., 107–109, 117, 465, 467, 469 McGovern, George  383 McLuhan, Marshall  348 Mencken, H. L.  213 Messick, Dalia «Dale»  264 Millett, Kate  381 Millican, C. Bowie  259 Mills, June Tarpé  264 f., 264 Miss Fury  264, 265, 271 Mole Men  298 Moon Girl  356 f., 358, 521 f. Mordden, Ethan C.  530 Morgan, Robin  381 Moulton, Alice  22, 23 Moulton, Claribel  22, 23, 180, 196, 485 Moulton, Henry William  408, 435 Moulton, Molly  22, 23 Moulton, Susan  22, 23 Moulton, William  21 f., 247 Mr. Hyde  50 f., 67, 403 f., 436

PERSONENREGISTER Münsterberg, Hugo  52–60, 54, 64–67, 72, 78–80, 82, 101, 106, 192, 409 f., 443, 445, 447, 456, 462, 481 Navarro, Ramon  536 Nehru, Jawaharlal  240 Nietzsche, Friedrich  349 f. Nightingale, Florence  304, 372 Nixon, Richard M.  383, 422 Noll, John F.  280, 283, 509 North, Sterling  256 f., 286, 324, 515 Notarianni, Aldo  350 O’Neil, Dennis  387 O’Shea, James  105, 464 Ogden, Charles Kay  180 Ong, Walter J.  348–350 Orchard, Harry  57 f., 106 Palmer, George Herbert  27 f., 32, 54, 56, 124, 437, 439 Pankhurst, 
Emmeline
  29–33, 30, 51, 81, 136 f., 155 Parker, Robert Allerton «Bob»  124, 143–146, 474, 479 Parsons, Alice Beal  174 Paul, Alice  81, 86, 94, 136, 392, 394 Pedlar, Louis C.  268 Pennock, Stan  69, 451 Perl, Ruth Eastwood  259 Peter, Harry (Henry) G.  68, 126, 127, 172, 263, 265, 266–268, 269 f., 271–274, 291 f., 321, 323, 335, 338 f., 345 f., 368, 422, 505–507, 518 Petty, George  415 Piaget, Jean  180 Pickford, Mary  66, 189 f.

★ Pitkin, Walter  191 f., 198–201, 223, 325, 487, 489 f., 492 Pleck, Elizabeth  394 Poffenberger Albert T.  183, 486 Reagan, Ronald  396 Reed, John  29, 124, 132, 144, 151, 442 Robbins, Trina  527 Rock, Lillian D.  237 f. Rogers, Annie Lucasta
 «Lou»  86, 125 f., 125–127, 131, 141, 145, 147, 264, 267, 273, 319, 475, 478 f., 505 Rogers, Richard  301 Rooney, Mickey  503 Roosevelt, Eleanor  237, 304, 499 Roosevelt, Franklin D.  256, 276, 298 Roosevelt, Theodore  45, 240, 455 Ross, Stanley Ralph  532 Ross, Steve  528 Roth, Herbert  267 Roubicek Woolfolk, Dorothy  306 f., 325–329, 326, 331–333, 356–358, 358, 384–387, 389, 513, 521, 528–531 Rovin, Jeff  513, 529 Royce, Josiah  27, 49, 56, 72, 444, 362 Ruskin, John  38 Sanger, Grant  476 Sanger, Margret «Mimi», geb. Higgins  17, 43 f., 121 f., 122, 124, 127, 129, 131–135, 135 f., 138–149, 151 f., 154–157, 156, 162, 167, 171–173, 208, 216, 218, 239–241, 260, 293, 298–300, 339, 342, 361, 372–378, 394, 395–397, 404 f., 413, 419, 473–476, 478–481, 485, 496, 525 Sanger, Nancy  375, 476

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★ Sanger, Peggy  133 f. Sanger, Stuart  375, 476 Sanger, William  122, 133 Santayana, George  27, 56 Sarachild, Kathie  532 Sarnoff, William  530 Schepens, Helen  339 Schilder, Paul 284, 285, 361 f., 510 Schlesinger, Arthur jr.  155 Schwartz, 
Julius  531 Scott, Anne Firor  394 Sears, Mary  153 f., 154 Shaw, George Bernard  348 Sheena 248, 249, 271 Shiera  286 f. Shuster, Joe  248 Siegel, Jerry  248 Siegel, Joshua  492, 535 Sinclair, Upton  124, 232, 498 Slee, J. Noah  152, 157, 167 f., 177, 187, 474, 480 Smith, Al  291 Smith, Margaret Chase  369 Sones, W. W. D.  330, 516 Sorel, Edward  422 Stanton, Elizabeth Cady  28, 39 Stein, Gertrude  55, 73, 162 Steinem, Gloria  383–385, 387, 391 f., 393, 422, 527–530, 532 f. Steve Trevor  16, 37 f., 65, 83, 90, 128, 239, 273, 275, 277, 297, 312, 314 f., 368 f. Stone, Abraham  374 f., 525 Superman  13, 16, 50, 237, 248 f., 257–261, 271, 280, 288, 301–303, 306 f., 313, 326 f., 335, 348–350, 382, 418, 434, 501 Taft, William Howard  45 Tansill, Charles C.  103

PERSONENREGISTER Temple, Shirley  503 Terman, Lewis  159 Thayer, James Bradley  78 The Atom  280 The Flash  13, 280 f., 286, 289 The Sandman  280, 289 The Spectre  280 The Starman  281 Thomas, Marthy Carey  41 Thompson, Julian F.  301 Thorndike, Edward L.  84, 185 Thorndike, Robert  259 Trainor, Annette  346 Troland, Leonard  64, 65, 84, 184, 193, 457 f., 488 f. Tunney, Gene  259 Tyson, Helen Glynn  173 Vargas, Alberto  272 Villard, Fanny Garrison  438 Villard, Oswald Garrison  438 Wagner, Richard  350 Wallace, Mike  375 f. Walowit, Karen  397, 518, 524, 529 Washington, George  88, 308 f. Watson, John B.  159 Wells, Herbert George  145, 240 Wertham, Fredric  360–368, 363, 523 Wharton, Henry Thornton  46 f., 530 Wigmore, John Henry  59, 78, 86, 90, 101–103, 106, 109, 113, 115 f., 201, 362, 445–447, 462, 467, 472 Willis, Ellen  381 Wilson, Woodrow  45, 78 f., 81–83, 86, 93, 134, 455, 465 Wittgenstein, Ludwig  180

PERSONENREGISTER Wood, Lester  104–107, 109, 113, 115, 117, 463–467, 469, 472 Woodworth, Robert S.  178 Woolfolk, William  356 f., 358, 521

★ Yerkes, Robert  82, 84–87, 98 f., 182, 185, 457 Zara  170, 171, 214 Zorbaugh, Harvey  515

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«Eine große Bewegung [hat] sich jetzt auf den Weg gemacht – die zunehmende Macht der Frauen», schrieb William Moulton Marston im ­F ebruar 1941, als er sein erstes Manuskript einreichte, an seinen Redakteur Sheldon Mayer. «Lassen Sie das Thema so stehen – oder das Projekt fallen.» Als Zeichner wählte Marston Harry G. Peter, der, wie Marston selbst, Verbindungen zu den Frauenwahlrechts- und feministischen Bewegungen der Progressive Era hatte. Marston war 1911 ein Studienanfänger in Harvard, als die Universität einen Vortrag der militanten britischen Suffragette Emmeline Pankhurst auf dem Campus verbot. Elizabeth Holloway, die Marston 1915 heiratete, hatte sich am Mount Holyoke College als Suffragette engagiert, und Marjorie Wilkes Huntley, die etwa ab 1918 immer wieder für eine gewisse Zeit bei den Marstons wohnte, hatte Frauen zu den Wahllokalen begleitet. Olive Byrne, die Marston 1925 kennenlernte, war die Tochter von Ethel Byrne, die 1917 als erste Frau in den Vereinigten Staaten in den Hungerstreik trat, nachdem sie und ihre Schwester Margaret Sanger verhaftet worden waren, weil sie die landesweit erste Beratungsstelle für Empfängnisverhütung eröffnet hatten. Harry G. Peter hatte in den 1910 e r Jahren Zeichnungen für «The Modern Woman» angefertigt, die für das Frauenwahlrecht eintretende Kommentarseite der Zeitschrift Judge, bei der er als Zeichner Redaktions­ mitglied war, ebenso wie die feministische Karikaturistin Lou Rogers, deren Arbeiten großen Einfluss darauf haben sollten, wie Peter später dann Wonder Woman zeichnete. Peter fertigte 1941 einige Skizzen an und schickte sie an Marston; Marston gefiel alles daran, mit Ausnahme der Schuhe.

Wonder Woman gelang ein spektakuläres Debüt an amerikanischen Zeitungskiosken, und das genau zum Zeitpunkt des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg, sie hatte einen Auftritt in All-Star Comics Nr. 8 (Dezember 1941/Januar 1942) und dann auf dem Titelbild von Sensation Comics Nr. 1 (Januar 1942). Beide Comic-Hefte erschienen im Verlag von Maxwell Charles Gaines. Als Autor der Geschichten wurde «Charles Moulton» angegeben, ein Pseudonym, das aus Gaines’ und Marstons mittleren Namensteilen zusammen­ gesetzt war. Wonder Woman erschien in jedem Heft von Sensation Comics als Aufmacher­ geschichte, ebenso auf jedem Titelbild. Die National Organization for Decent Literature setzte die Sensation Comics im März 1942 auf ihre Liste der «Publikationen, die für Jugendliche nicht geeignet sind». Gaines schrieb an den Bischof, der für die Liste verantwortlich war, und fragte nach dem Grund. Der Bischof schrieb zurück: «Wonder Woman ist unzureichend bekleidet.»

Peter fertigte diese Zeichnung eines alternativen Kostüms für Wonder Woman an, die stark von den Zeichnungen Alberto Vargas’ beeinflusst waren, dessen «Varga girls» jeden Monat in der Zeitschrift Esquire erschienen und von Lesern als Pin-ups ausgeschnitten wurden. Diese Zeichnung von Peter scheint von einem patriotisch gekleideten Varga-Girl inspiriert worden zu sein, das zum 4. Juli 1942 in Esquire erschien. Eine offensichtlich von Marston stammende Notiz weist darauf hin, dass der Kragen am rückenfreien Oberteil schon bald aus der Mode kommen könnte. Wonder Woman übernahm die roten Stiefel mit den hohen Absätzen und die engen Shorts und legte den Rock aus früheren Geschichten ab. Aber dieser Entwurf wurde größtenteils nicht umgesetzt.

«Bekannter Psychologe als Autor des Bestsellers ‹Wonder Woman› enttarnt», schrieb Marston im Sommer 1942 in einer Pressemitteilung zur Ankündigung des Debüts von Wonder Woman. «Die einzige Hoffnung für die Zivilisation ist die größere Freiheit, Entwicklung und Gleichberechtigung der Frauen auf allen Gebieten mensch­ licher Aktivitäten», schrieb Marston zur Erklärung seiner Absicht, «bei Kindern und jungen Menschen einen Maßstab für starke, freie, mutige Weiblichkeit zu setzen und die Vorstellung zu bekämpfen, dass Frauen den Männern unterlegen seien, und Mädchen und junge Frauen zu Selbstbewusstsein und Leistungen im Sport, in der Arbeitswelt und in den freien Berufen anzuregen, die sämtlich von Männern monopolisiert sind.» Wonder Woman war die erste Superheldin, die ihre eigene Zeitschrift hatte.

Gaines veranstaltete im April 1942 eine Leserumfrage, bei der er wissen wollte: «Sollte es WONDER WOMAN gestattet werden, Mitglied der Justice Society zu werden, obwohl sie eine Frau ist?» Auf den ersten 1801 eingesandten Fragebögen sagten 1265 Jungen und 333 Mädchen «Ja»; 197 Jungen und nur 6 Mädchen sagten «Nein». Wonder Woman trat der Justice Society in der All-Star Comics-Ausgabe vom August/September 1942 bei. Die Geschichten wurden allerdings nicht von Marston, sondern von Gardner Fox geschrieben, der Wonder Woman auf die Rolle der Sekretärin reduzierte, wie in dieser Story aus All-Star Comics Nr. 14 (Dezember 1942/Januar 1943).

Selbst als Gardner Fox Wonder Womans Rolle auf die Beantwortung der Post und das Führen des Sitzungsprotokolls beschränkte, wütete Marston in den Geschichten, die er selbst schrieb, gegen das, was er als «häusliche Sklaverei» bezeichnete, wie in dieser Story, «The Return of Diana Prince», in: Sensation Comics Nr. 9 (September 1942). Das Thema geht, ebenso wie die Ikonografie, unmittelbar auf die mit dem Frauenwahlrecht und dem Feminismus befassten Autorinnen und Zeichnerinnen der 1910 er Jahre zurück, die Marston wie auch Peter so stark beeinflusst hatten.

Elizabeth Holloway spielte im College Hockey; Olive Byrne spielte Basketball. Alice Marble, eine Weltklasse-Tennisspielerin, war nach ihrem Rücktritt vom Turniersport von 1942 bis 1944 Associate Editor von Wonder Woman. Marston stellte Wonder Womans sportliche Fähigkeiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Schau. Hier, in «The Earl of Greed», in: Wonder Woman Nr. 2 (Herbst 1942), spielt sie Baseball. In anderen Marston-Geschichten spielt sie Eishockey und Tennis; sie schwimmt und taucht. Und sie gründet sogar eine Kette von Fitnessklubs.

Marston benutzte Wonder Woman auch dazu, seine langjährige, bis in sein drittes Studienjahr zurückreichende Arbeit zur Feststellung von Täuschungen, das Thema seiner Doktorarbeit von 1921 an Harvards Psychology Department, in den Mittelpunkt zu stellen. Zeitungen bezeichneten Marston bereits 1923 als «Erfinder des Lügenmessgeräts». Marston veröffentlichte 1938 ein Buch mit dem Titel The Lie Detector Test, in dem er seinen Anspruch auf die Erfindung anmeldete, die dann als Polygraph bekannt wurde. In «The Duke of Deception», Wonder Woman Nr. 2 (Herbst 1942), setzt Wonder Woman das magische Lasso ein, um einen Schurken dazu zu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Das magische Lasso erhielt Wonder Woman, ebenso wie ihre Armbänder, auf der Paradiesinsel, bevor sie das Land der Amazonen verließ, um nach «Amerika» zu reisen, in die «letzte Zitadelle der Demokratie und der Gleichberechtigung für Frauen».

Mit Ausnahme von Superman und Batman war keiner der Superhelden von DC Comics auch nur annähernd so beliebt wie Wonder Woman. Sie war die Führungsfigur in Sensation Comics; sie erschien regelmäßig in den All-Star Comics; und in der vierteljährlich erscheinenden Comic Cavalcade war sie mit weitem Abstand der Star: Sie war auf jedem Titelbild zu sehen, und ihr war auch die Aufmachergeschichte in jeder Ausgabe gewidmet, einschließlich dieses Beispiels, des ersten, in: Comic Cavalcade Nr. 1 (Dezember 1942/Januar 1943).

Die Justice Society of America hielt ihr erstes Treffen im Winter 1940 ab. «Jeder von ihnen ist in seinem eigenen Wirken ein Held, aber wenn die Justice Society ruft, sind sie alle nur Mitglieder, die auf die Wahrung von Ehre und Gerechtigkeit eingeschworen sind!» Fans, die einer eigens gegründeten Junior Justice Society beitraten, erhielten Mitgliedsurkunden zugeschickt, die von Wonder Woman unterschrieben wurden. Aus: All-Star Comics Nr. 14 (Dezember 1942/ Januar 1943).

«Wonder Woman ist (…) psychologische Propaganda für den neuen Frauentyp, der meiner Ansicht nach die Welt beherrschen sollte», schrieb Marston. Er brachte diese Botschaft auch unter die Leser, etwa in einer Geschichte aus Wonder Woman Nr. 7 (Winter 1943), in der Diana Prince Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Eine League for a Woman President war 1935 in der Hoffnung gegründet worden, bereits 1940 die erste Frau ins Weiße Haus zu bringen. «Frauen durchlaufen im Vergleich zu Männern eine doppelt so umfangreiche emotionale Entwicklung zur Liebesfähigkeit», erklärte Marston. «Und da sie eine ebenso große Fähigkeit zum Erfolg in weltlichen Dingen entwickeln, wie sie in der Liebe bei ihnen bereits vorhanden ist, werden sie in Zukunft eindeutig das Wirtschaftsleben, die Nation und die Welt beherrschen.» Marston vertrat wie schon die Suffragetten die Ansicht, die Herrschaft der Frauen würde ein Zeitalter des Friedens einläuten.

Wonder Womans sportliche Fähigkeiten und ihre Kraft zeigten sich am häufigsten in den vielerlei Arten, auf die sie sich aus Fesselungen mit Ketten oder Seilen befreite, wie in «A Spy on Paradise Island», in: Wonder Woman Nr. 3 (Februar/März 1943). Die Abbildung von Frauen in Ketten war in Karikaturen zur Ausein­ andersetzung um das Wahlrecht in den 1910 er Jahren allgegenwärtig, in denen die Frauen die Emanzipation durch das Erreichen des Wahlrechts anstrebten.

Geheime Identitäten gehören zum Kernbestand aller Superhelden-Comics, aber für Marston, der während des Ersten Weltkriegs für den US -Militärgeheimdienst gearbeitet hatte, nahm Wonder Womans geheime Identität als Diana Prince, Sekretärin in Diensten des US -Militär­ geheimdienstes, eine besondere Form an. Marston hatte in seinem Haus einen Lügen­detektor zur Verfügung, und er unterzog seine Gäste gerne einem Test. Hier, in «Victory at Sea», in: Sensation Comics Nr. 15 (März 1943), schlägt Steve Trevor Diana Prince einen Lügendetektor-Test in eigener Sache vor.

Wonder Woman wird in nahezu jedem ihrer Abenteuer gefesselt, meistens mit Ketten. Die Fesse­ lungen in Wonder-Woman-Comics sorgten in Gaines’ Beratergremium für großen Unmut, aber Marston bestand darauf, dass Wonder Woman in Ketten gelegt oder gefesselt werden müsse, damit sie sich befreien und – symbolisch – emanzipieren könne. «Meine weibliche Kraft ist wieder da!», ruft sie hier in «The Rubber Barons», in: Wonder Woman Nr. 4 (April/Mai 1943).

Gaines bat 1943 seine Redakteurin Dorothy Roubicek um einen Lösungsvorschlag, der die Mitglieder des Expertengremiums zufriedenstellen könnte, die Bedenken wegen der Fesselungsszenen in Wonder-Woman-Comics äußerten. Zugleich wirkte er beschwichtigend auf Marston ein, der auf der Bedeutung dieses Themas für sein feministisches Anliegen bestand. Nach einer Besprechung mit Roubicek schickte Gaines Roubiceks Vorschlags-«Liste von Methoden, die eingesetzt werden können, um Frauen ohne Verwendung von Ketten einzuschließen oder einzusperren» an Marston. Der gab sich ungerührt. «Bitte danken Sie Miss Roubicek für die Liste der Bedrohungen», lautete seine kühle Antwort an Gaines. Dennoch wird Wonder Woman in «Victory at Sea», in: Sensation Comics Nr. 15 (März 1943), in eine Zwangsjacke gesteckt und in eine Gefängniszelle gesperrt – die Art von Bedrohung, die Roubicek bevorzugte.

Im Frühjahr 1943 erreichte Wonder Woman eine Millionen zählende Leserschaft und tauchte in jedem Comic-Heft, in dem sie einen Auftritt hatte, an prominenter Stelle im Titelbild auf, obwohl sie nur die Sekretärin der Justice Society war, wie hier in diesem Beispiel aus All-Star Comics Nr. 16 (April/Mai 1943), mit einer Zeichnung von Frank Harry. Sie blieb die einzige Frau in der Justice Society.

In «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5 (Juni/Juli 1943), bekommt es Wonder Woman mit ihrem Erzfeind Dr. Psycho zu tun, der sowohl ein Faschist (hier mit einem dreiköpfigen Monster mit den Gesichtszügen von Mussolini, Hitler und Hirohito zu sehen) als auch ein Gegner von Frauenrechten ist. Als Inspiration für Dr. Psycho fungierte Marstons Mentor in Harvard, der Psychologe Hugo Münsterberg, bei dem Marston von 1912 bis 1916 studierte. Münsterberg, der Harvards Psychologisches Labor leitete, war gegen das Frauenwahlrecht und vertrat die Ansicht, anständige, gesittete Frauen hätten im Haus zu viel zu tun, um ihre Stimme abzugeben, und jede Frau, die sich tatsächlich im Wahllokal blicken ließe, wäre leicht zu korrumpieren, mit dem Ergebnis, dass «die politische Maschinenwirtschaft bei der geringen politischen Widerstandskraft der Frauen neue, hässliche Triumphe davontragen würde». Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass «die Politik die Eheleute in getrennte Lager treiben möge». Wonder Womans «Battle for Womanhood» gegen Dr. Psycho ist zugleich Marstons Kampf gegen Münsterberg.

oben: Franklin Delano Roosevelt rief im Mai 1942 das Women’s Army Auxiliary Corps ins Leben. 150 000 Frauen traten in die Armee ein und übten Tätigkeiten aus, die mehr Männer für den Kampfeinsatz freistellten. «Das Women’s Army Auxiliary Corps scheint die endgültige Verwirklichung des Traums der Frau von der völligen Gleichberechtigung mit den Männern zu sein», schrieb Margaret Sanger in der New York Herald Tribune. In der 1943 erschienenen Geschichte «Battle for Womanhood», genau zu dem Zeitpunkt, als die Beteiligung der amerikanischen Frauen an den Kriegsanstrengungen in der Heimat wie in Übersee am wichtigsten war, versucht Dr. Psycho in der Gestalt des Geistes von George Washington die amerikanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass «Frauen ihr Land durch Schwäche verraten werden». mitte: Unterdessen bindet Dr. Psycho seine Frau Marva in seinem psychologischen Labor auf eine sehr ähnliche Art, wie Hugo Münsterberg einst Radcliffe-Studentinnen mit den Maschinen in Harvards Psycholo­ gischem Labor verbunden hatte. Dr. Psycho verkündet: «Keiner Frau kann die Freiheit gewährt werden!» unten: Die Beteiligung der Frauen am Krieg nahm zu, und für Wonder Woman galt das auch. In «The Invisible Invader», in: Comic Cavalcade Nr. 3 (Sommer 1943), besiegt sie die deutschen Soldaten, mit denen sie es zu tun bekommt. Später wird sie zu «General Wonder Woman» befördert. «Frauen gewinnen an Macht in der Männerwelt!», berichtete Wonder Woman zum Jahresende 1943 ihrer Mutter Hippolyte.

Jede Ausgabe von Wonder Woman enthielt einen vier Seiten umfassenden Mittelteil unter dem Serientitel «Wonder Women of History»: eine Kurzbiografie einer außergewöhnlichen Frau. Der springende Punkt der Serie bestand darin, die Lebensleistung heldenhafter Frauen zu würdigen und die Bedeutung der Geschichte der Frauen zu erklären. «Frauen haben selbst in dieser emanzipierten Welt immer noch viele Probleme, sie haben deshalb ihre vollständige Entwicklung noch nicht erreicht», schrieb ­Wonder Womans Associate Editor, die Tennislegende Alice Marble, in einem Brief, der an Frauen im ganzen Land verschickt wurde. «‹WONDER WOMAN › steht für das erste Beispiel, bei dem Wagemut, Stärke und Einfallsreichtum als weibliche Eigenschaften hervorgehoben worden sind. Dieses Beispiel muss zwangsläufig eine dauerhafte Wirkung auf das Denken und Bewusstsein der heutigen Jungen und Mädchen ausüben.» Ein Porträt von Susan B. Anthony erschien in Wonder Woman Nr. 5 (Juni/Juli 1943), in derselben Nummer wie «Battle for Womanhood».

In Sensation Comics Nr. 20 (August 1943) haben sich Wonder Womans beste Freundin Etta Candy und ihre Sorority-Schwestern dem Women’s Army Auxiliary Corps angeschlossen, sie folgten dem Rat, den Wonder Woman Dr. Psychos eingesperrter Frau gegeben hatte: «Was kann eine schwache Frau schon tun?», hatte Marva Wonder Woman gefragt. «Werde stark!», lautete Wonder Womans Vorschlag. «Verdiene dein eigenes Geld – melde dich zum Dienst beim WAAC oder bei den WAVES und kämpfe für dein Land!»

Frauen wie Dr. Psychos Ehefrau Marva, die den fatalen Fehler beging, sich einem sehr bösartigen Mann zu unterwerfen, waren ein Typ der mit Fehlern behafteten Frau. Cheetah, die es genoss, anderen Menschen Leid zuzufügen, war ein anderer Typ. In «The Secret Submarine», in: Sensation Comics Nr. 22 (Oktober 1943), erfindet Cheetah eine neue Art, Wonder Woman in Ketten zu legen.

Marston lernte Olive Byrne 1925 in Tufts kennen, als er ihr PsychologieProfessor und außerdem Leiter einer psychologischen Beratungsstelle für Studentinnen war. Byrnes Studentinnenverbindung in Tufts, Alpha Omicron Pi, taucht in Wonder Woman als Etta Candys Verbindung Beeta Lambda auf, und die psychologische Beratungsstelle erscheint als «Fun Clinic». Gay, die von Wonder Woman gerettet wurde, als sie versuchte, sich die Niagarafälle hinunterzustürzen, gewinnt neue Lebensfreude, als sie sich Ettas Verbindung anschließt, wie das auch Olive Byrne getan hatte. Das Bild links stammt aus «The Fun Foundation», in: Sensation Comics Nr. 27 (März 1944). Olive Byrne zog im Sommer 1926 bei Marston und seiner Frau ein. (Marston ließ seiner Frau die Wahl: Er würde sie entweder verlassen, oder Byrne konnte bei ihnen wohnen.) Beide Frauen bekamen schließlich jeweils zwei Kinder von Marston. Byrne und Marston legten den 21. November 1928 als ihren Hochzeitstag fest, es war der Tag, an dem Byrne erstmals dicke Armbänder an den Handgelenken trug – Armbänder von der Art, wie sie auch Wonder Woman trägt.

links:

Wonder Woman wurde 1944 auch zum Zeitungsstrip, der von King Features an Zeitungen im ganzen Land vertrieben wurde. Es hatte neben Superman und Batman – keine andere Superheldengestalt den gigantischen Sprung aus den Heften in die Verbreitung durch ein Zeitungssyndikat mit einer enormen täglichen Auflage geschafft. Eine der Anzeigen, die den Tageszeitungsstrip bewarb, erschien in Sensation Comics Nr. 32 (August 1944). oben rechts: In «The Amazon Bride», in: Comic Cavalcade Nr. 8 (Herbst 1944), stimmt Wonder Woman einer Heirat mit Steve zu – bis sie aufwacht und zu ihrer Erleichterung erkennt, dass es nur ein Alptraum war. Der Psychiater Fredric Wertham empfand den Feminismus in Wonder Woman als abstoßend: «Was nun die ‹fortschrittliche Weiblichkeit› anbelangt, wie sehen denn die Aktivitäten in den Comic-­H eften aus, mit denen Frauen, ‹den Männern gleichgestellt, befasst sind›? Sie arbeiten nicht. Sie sind keine Hausfrauen. Sie ziehen keine Kinder groß. Mutterliebe ist völlig abwesend. Selbst wenn Wonder Woman ein Mädchen adoptiert, sind lesbische Untertöne im Spiel.» Werthams Rivalin, die Psychiaterin Lauretta Bender, widersprach. Die Wonder Woman-Hefte zeigten ihrer Ansicht nach «eine verblüffend fortschrittliche Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit». unten links: Marston hielt trotz des zunehmenden Drucks von Kritikerseite daran fest, Wonder Woman in Ketten zu legen, wie in diesem Beispiel in «Girls Under the Sea», in: Sensation Comics Nr. 35 (November 1944). Gaines bat Lauretta Bender, seinem Beratergremium beizutreten. Roubicek interviewte sie und berichtete an Gaines: «Sie ist nicht der Ansicht, dass Wonder Woman zu Masochismus oder Sadismus neigt. Außerdem glaubt sie, selbst wenn dem so wäre, dass man Kindern keine der beiden Perversionen beibringen kann (…)»

Wonder Womans Prominenz in Gaines’ ComicSortiment wird gut veranschaulicht durch ihre zentrale Platzierung auf dem Titelbild eines Sonderhefts, das 1944 unter dem Titel The Big All-American Comic Book erschien.

«Wonder Woman war von Anfang an eine Figur, die auf Gelehrsamkeit beruhte», sagte Marston gerne, und hier, in «The Conquest of Venus», in: Wonder Woman Nr. 12 (Frühling 1945), offenbart Wonder Woman inmitten eines Kostümwechsels die Gelehrte, die in ihr steckt. Marston erhob zu diesem Zeitpunkt einen akademischen Anspruch für seine Comic-Figur. In seinem Essay «Why 100 000 000 Americans Read Comics», der 1944 in The American Scholar erschien, der Zeitschrift der Phi Beta Kappa Society, betonte Marston, der sich dabei seiner pompösesten akademischen Prosa bediente, dass Comic-Hefte eine besonders gehobene Form von Literatur seien: «Die Fantasie der Bildergeschichte legt die hemmenden Überreste von Kunst und Kunst­ fertigkeit ab und rührt an die empfindlichen Stellen universeller menschlicher Sehnsüchte und Ambitionen, die üblicherweise unter langfristig angehäuften Schutzschichten der Unehrlichkeit und Verstellung verborgen sind.»

Marston brach im August 1944 zusammen und verbrachte einen ganzen Monat im Krankenhaus; er hatte sich eine Polio-Infektion zugezogen und sollte nie wieder gehen können. Wonder Woman erreichte 1945 eine monatliche Leserschaft von zweieinhalb Millionen, aber für Marston war es jetzt schwierig, weiterhin die benötigte Textmenge zu liefern. Gegen Kriegsende wurden die Storys des ans Bett gefesselten Marston häuslicher und sehr viel weniger kontrovers. Wonder Woman ist hier auf dem Titelbild von Sensation Comics Nr. 38 (Februar 1945) als Miss Santa Claus zu sehen.

Die meisten Superhelden überstanden den Friedensschluss nicht. Wonder Woman gehörte zu den wenigen Ausnahmen. Sie blieb bis lange nach Kriegsende eine Führungsfigur der Justice Society, wie hier, in «The Day That Dropped Out of Time» (All-Star Comics Nr. 35, Juni/Juli 1947), in einer Zeichnung von Irwin Hasen, zu sehen. Wonder Woman, die seit mehr als sieben Jahrzehnten erscheint, ist eine der beständigsten Superheldenfiguren aller Zeiten. Nur Superman und Batman hielten genauso lange durch.

Marston starb im Mai 1947. Gaines kam drei Monate später bei einem Bootsunfall ums Leben. Joye Hummel heiratete noch im Jahr 1947 und gab ihre Arbeit auf, und Sheldon Mayer, der Redakteur von Wonder Woman, verließ DC Comics. Auch Dorothy Roubicek und Alice Marble waren gegangen. Aber Wonder Woman machte weiter. Zwei Jahre nach Kriegsende hatte sich geklärt, dass Wonder Woman, Batman und Superman tatsächlich die Einzigen waren, die noch ihren Superhelden standen oder, wie hier, auf dem Titelbild von All-Star Comics Nr. 36 (August/September 1947), einer Zeichnung von Win Mortimer, marschierten.

Marstons Witwe Elizabeth Holloway Marston warb 1948 bei DC Comics für ihre Einstellung als neue Wonder-Woman-­ Redakteurin. Doch DC Comics machte Robert Kanigher zum Redakteur. Kanigher hasste Marstons Schöpfung und machte durch seinen Umgang mit der Marston-Figur Duke of Deception seine eigene Überzeugung deutlich, dass die politische Gleichberechtigung der Frauen ein Fehler sei – ein Fehler, der leicht zu korrigieren wäre. In Kanighers Story «Deception’s Daughter», in: Comic Cavalcade Nr. 26 (April/ Mai 1948), verschwören sich der Duke und seine Tochter Lya zu einer Revision der politischen Errungenschaften von Frauen.

Die Wonder-Woman-Redakteurin Dorothy Roubicek heiratete 1947 den Comic-Heft-Autor William Woolfolk, und gemeinsam hoben sie das Wonder-Woman-Imitat Moon Girl aus der Taufe, das hier, auf dem Titelbild von Moon Girl Nr. 3 (Frühling 1948), bei der Abwehr von Raketen zu sehen ist. «Als Team sind sie gerüstet für die Veröffentlichung eines Qualitätsprodukts und einer starken Konkurrentin für Wonder Woman», lautete Holloways Warnung an die Adresse von DC . «Die eine Sache, die sie nicht haben, ist die Marston-Psychologie des Lebens, die auf jeder Seite von WW zu finden war.» Moon Girl hatte keinen Bestand.

Ein ungewöhnlich beziehungsreiches Titelbild aus der Kanigher-Ära zeigt Wonder Woman, die eine in viktoria­ nischer Mode und den dazugehörigen Sitten gefangene Frau in die Moderne führt, Titelbild von Wonder Woman Nr. 38 (November/Dezember 1949).

Nach dem Krieg folgte Wonder Woman den Hunderttausenden von amerikanischen Frauen, die während des Krieges einer Erwerbsarbeit nachgegangen waren, um sich schließlich, als der Frieden kam, anhören zu müssen, dass ihre Arbeitskraft jetzt nicht nur nicht mehr gebraucht werde, sondern auch den Zusammenhalt der Nation bedrohe, weil sie die Autorität der Männer untergrabe. Sie wurde auch nicht mehr von Harry G. Peter gezeichnet, der 1958 starb. Dieses Titelbild von Sensation Comics Nr. 94 (November/Dezember 1949) ist typisch für die Ära Kanigher. Wonder Woman wurde von Jahr zu Jahr schwächer. In den 1950 e r Jahren hatte sie Auftritte als Babysitterin, als Mannequin und als Filmstar. Und sie wollte Steve unbedingt heiraten. Kanigher schaffte auch den herausnehmbaren «Wonder Women of History»-Mittelteil ab und ersetzte ihn durch eine Serie über Hochzeiten unter dem Titel «Marriage a la Mode».

Wonder Woman Nr. 178 (September/Oktober 1968) steht für den Beginn eines Zeitabschnitts, der als «DianaPrince-Ära» bezeichnet wird, in der die Heldin, wie Joanne Edgar 1972 in der Zeitschrift Ms. erklärte, «ihre übermenschlichen Amazonen-Kräfte ebenso aufgab wie ihre Armbänder, ihr goldenes magisches Lasso und ihr unsichtbares Flugzeug. Sie wurde ein menschliches Wesen. Diana Prince, die jetzt Hosenanzüge aus der Boutique und Tuniken trug, legte sich dafür konventionelle Gefühle zu, die Verletzbarkeit durch Männer, die Weisheit eines Beraters (natürlich die eines Mannes namens I Ching) und Fertigkeiten in Karate, Kung-Fu und Jiu-Jitsu. Mit anderen Worten: Sie wurde ein weiblicher James Bond, aber ohne dessen sexuelle Heldentaten.»

Wonder Woman erlebte im Verlauf des Women’s Liberation Movement einen vielfältigen Gestaltwandel. Die Women’s Liberation Basement Press im kalifornischen Berkeley brachte im Juli 1971 unter dem Titel It Aint Me Babe ein Underground-Comic-Heft heraus. Das Titelbild der ersten Ausgabe zeigte Wonder Woman in einer Parade mit weiblichen Comic-Figuren, die gegen die handelsüblichen Klischee-Comicerzählungen protestieren. In einer Geschichte des Heftes verlässt Veronica Archie wegen Betty, Petunia Pig sagt Porky, er solle sich sein Abendessen selbst zubereiten, und Supergirl sagt Superman, er solle verschwinden.

DC Comics brachte im Dezember 1972 eine «Special!

Women’s Lib Issue», Wonder Woman Nr. 203, heraus, geschrieben von einem Science-Fiction-Autor namens Samuel R. Delany, die als erste Folge einer sechsteiligen Erzählung gedacht war. In der ersten Story besiegt Diana Prince einen Kaufhaus-Eigentümer, der seine weiblichen Beschäftigten unterbezahlt. In jeder der verbleibenden fünf Geschichten sollte sie es mit einem anderen Anti-Feministen aufnehmen. «Ein anderer Schurke war ein College-­ Studienberater, der tatsächlich die Ansicht vertrat, der richtige Platz für eine Frau sei im Haus», sagte Delaney später. «Das setzte sich fort bis zu einer männlichen Gangsterbande, die versucht, eine von Ärztinnen betriebene Abtreibungsklinik zu zerstören. Und Wonder Woman sollte mit all diesen Leuten kämpfen und triumphieren.» Nur die erste Geschichte wurde veröffentlicht.

Die Gründungsredaktion von Ms. setzte Wonder Woman 1972 auf das Titelbild der ersten regulären Ausgabe der Zeitschrift. Die Redakteurinnen hofften, die Distanz zwischen dem Feminismus der 1910 e r und dem Feminismus der 1970 e r Jahre mit der Wonder Woman der 1940 er zu überbrücken, dem Feminismus ihrer Kindheit. «Wenn ich mir heute diese Wonder-Woman-Storys aus den 40 ern anschaue, staune ich über die Aussagekraft ihrer feministischen Botschaft», sagte Gloria Steinem. Allen Kontroversen und allen Mehrdeutigkeiten zum Trotz, die diese Figur umgeben, ist Wonder Woman am besten als Missing Link in der Geschichte des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frau zu verstehen, einer Abfolge von Ereignissen, die mit den Kampagnen für das Frauenwahlrecht in den 1910 e r Jahren beginnt und mit dem unruhigen Standort des Feminismus ein volles Jahrhundert später endet.

Zum Buch Jill Lepores berühmtes, nun endlich auch auf Deutsch vorliegendes Buch ist ein Kabinettstück. Es erzählt die Geschichte von Wonder Woman und dechiffriert zugleich in einer brillanten Spurensuche die darin versteckte Geschichte des Feminismus. So witzig und geistreich hat noch selten jemand Popkultur und Frauenbewegung miteinander verknüpft.

Über die Autorin Jill Lepore ist Professorin für amerikanische Geschichte an der Harvard Universität und staff writer des New Yorker. Sie hat mehr als ein halbes Dutzend Preise für ihre Bücher erhalten. Ihr Buch «Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika» war auf Platz 1 der Sachbuchbestenliste und auch in Deutschland ein Bestseller. 2021 wurde sie mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet.