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German Pages 314 Year 2015
Silke Borgstedt Der Musik-Star
Studien zur Popularmusik hrsg. v. Thomas Phleps und Helmut Rösing
Silke Borgstedt (Dr. phil.), Musikwissenschaftlerin, ist Research Manager bei der Gesellschaft für Innovative Marktforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Musik- und Mediensoziologie sowie internationale Konsumforschung.
Silke Borgstedt Der Musik-Star. Vergleichende Imageanalysen von Alfred Brendel, Stefanie Hertel und Robbie Williams
Diese Arbeit wurde als Dissertation an der Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht. Gutachter: Prof. Dr. Peter Wicke, Prof. Dr. Helga de la Motte-Haber
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Silke Borgstedt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-772-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT Einleitung
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THEORETISCHER TEIL 1. 1.1 1.2 1.3
Musikstars – Eine historische Skizze Einleitung Vorgeschichte Strukturelle Voraussetzungen: Aufklärung, Kapitalismus und das Bürgertum 1.4 Ausdifferenzierung der Inszenierungsmodi I: Industrialisierung und Medialisierung im 19. Jahrhundert 1.5 Weiterentwicklung der Inszenierungsmodi II: Audiovisuelle Massenmedien und strategische Public Relations im 20. Jahrhundert
15 15 18
2. Musikstars – Konzeptionelle Annäherung 2.1 Theoretische Ansätze zum Verhältnis von Star und Image 2.2 Das Verhältnis zum Publikum: Funktionsweisen und Funktionen und von Starmusikern
53 53
3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Image – Ein interdisziplinärer Begriff Einleitung »Leadership« und »Impression-Management« Produktmarketing/Markenmanagement Personenwahrnehmung und Einstellungsforschung Medienwissenschaft und Public Relations
4. Grundlagen musikalischen Startums und analytische Implikationen 4.1 Komponenten musikalischen Startums 4.2 Musiker-Images: Modellbildung 4.3 Zusammenfassende Thesen
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36
64 73 73 77 86 101 117
127 127 135 139
EMPIRISCHER TEIL 5. 5.1 5.2 5.3 5.4
Aufbau der empirischen Untersuchung Einleitung Kommunikatorstudie Rezeptionsstudie Kontextualisierung: Medien- und genreübergreifendes Value-Mapping
147 147 149 152
6. Ergebnisse I: Die Musiker-Images 6.1 Alfred Brendel 6.1.1 Einleitung 6.1.2 Printmedien 6.1.3 Visuelles und audiovisuelles Material 6.1.4 Rezeption von Alfred Brendel 6.1.5 Zusammenfassung: Kern-Komponenten des Images von Alfred Brendel 6.2 Stefanie Hertel 6.2.1 Einleitung 6.2.2 Printmedien 6.2.3 Visuelles und audiovisuelles Material 6.2.4 Rezeption von Stefanie Hertel 6.2.5 Zusammenfassung: Kern-Komponenten des Images von Stefanie Hertel 6.3 Robbie Williams 6.3.1 Einleitung 6.3.2 Printmedien 6.3.3 Visuelles und audiovisuelles Material 6.3.4 Rezeption von Robbie Williams 6.3.5 Zusammenfassung: Kern-Komponenten des Images von Robbie Williams
157 157 157 158 181 184
7. Zusammenfassung: Kontextualisierungen und Ausblick
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8. Literaturverzeichnis
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*Anm. d. Verf.: Materialien für die empirische Untersuchung (Leitfaden, Codelisten, ATLAS.ti-Rohdaten etc.) auf Anfrage einsehbar
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196 201 201 203 218 223 232 237 237 238 258 265 275
Danke! Mein herzlichster Dank gilt Frau Prof. Dr. Helga de la Motte und Herrn Prof. Dr. Peter Wicke, die mir in zahlreichen Gesprächen und Korrespondenzen wertvolle Anregungen gaben, mich stets engagiert unterstützten und damit wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Für die investierte Zeit und das Engagement danke ich meinen Gesprächspartnern, die ich im Rahmen der Rezeptionsstudie interviewt habe. Allen Teilnehmern des Kolloquiums von Frau Prof. Dr. de la Motte verdanke ich zahlreiche Hinweise und Verbesserungsvorschläge, die mich über viele Dinge immer wieder neu nachdenken ließen. Ein besonders großes Dankeschön gilt dabei Sabrina Paternoga, Elke Lange, und Lutz Fahrenkrog-Petersen. Finanziell ermöglicht wurde die vorliegende Untersuchung durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, der ich mich ebenso zu großem Dank verpflichtet fühle. Die umfangreichen Online-Recherchen für die Inhaltsanalysen wurden durch ein Stipendium der efellows.net GmbH wesentlich erleichtert. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung danke ich den Geschäftsführern der Gesellschaft für Innovative Marktforschung (GIM), Herrn Wilhelm Kampik und Herrn Stephan Teuber. Schließlich danke ich meiner Familie und meinen Freunden für ihre Geduld in der Endphase der Fertigstellung, insbesondere Dennis Ferreira, der mich in meinen Zielen stets bestärkt hat.
EINLEITUNG
»Nur eine kann das große Los ziehen, nur einer ist prominent, und haben selbst mathematisch alle gleiche Aussicht, so ist sie doch für jeden Einzelnen so minimal, dass er sie am besten gleich abschreibt und sich am Glück des anderen freut, der er ebenso gut selber sein könnte und dennoch niemals ist«.1
Prominenz ist mehr als ein modisches Zeitgeistphänomen. Das Herausragen einzelner Persönlichkeiten ist zum einen nicht neu und zum anderen vor allem ein strukturelles Prinzip moderner Mediengesellschaften, wie Adornos dialektische Funktionsbeschreibung bereits andeutet: Um die Welt zu »verstehen« bzw. sich in ihr einigermaßen zurechtzufinden, können wir nicht alle Erfahrungen selbst machen, sondern sind auf vermittelte und selektiv aufbereitete Informationen angewiesen. Damit konzentrieren wir uns gleichzeitig auf ausgewählte Akteure, die als Protagonisten stellvertretend Realität definieren, Ideale und allgemein Wünschenswertes verkörpern, verwerfen oder neu inszenieren. Sie sind damit Spiegel, aber auch Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen in unterschiedlichsten Betätigungsfeldern und auf verschiedensten Präsentationsplattformen. Insbesondere die Musik ist eine Quelle herausragender Protagonisten. Dennoch ist das Starphänomen bislang kein etablierter Forschungsgegenstand der Musikwissenschaft. Insbesondere fehlt es an einer umfassenden theoretischen und methodischen Fundierung, die als Basis für konkrete Analysen nutzbar gemacht werden könnte. Die zentrale Problematik mag darin liegen, dass bei der Analyse von Stars bzw. ihrer Images die Musik selbst immer nur eine Komponente im Rahmen eines komplexen Funktionszusammenhangs darstellt und kaum isoliert betrachtet werden kann. Dennoch erscheint eine Auseinandersetzung mit der Thematik umso dringender, betrachtet man den zugehörigen Hintergrund, dass Startum eine zentrale narrative Basis der Musikwissenschaft darstellt: Musikgeschichte wird nahezu ausschließlich als Geschichte erfolgreicher Persönlichkeiten gezeichnet, die Stile prägen und sogar ganze Epochen repräsentieren. Warum werden Komponisten oder Musiker aber überhaupt zu einem Aushängeschild? Wie können sie übergeordnete Werte nicht nur inkorporieren, 1
Horkheimer/Adorno 1987, S. 154.
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sondern auch massenwirksam nach außen tragen? Und warum empfinden wir Vergnügen, uns wie Adorno beschreibt »am Glück anderer zu erfreuen« und ihnen umso mehr Aufmerksamkeit zu schenken je bekannter sie sind? Um sich diesen Fragen adäquat zu nähern, muss zunächst eine konzeptionelle Grundlage erstellt werden, deren inhaltliche Basis notwendigerweise aus unterschiedlichen Disziplinen stammt. Bei Betrachtung der Literatur zum Thema Startum zeigen sich zwar zahlreiche, disziplinspezifische Ansatzpunkte, aber kaum Versuche einer umfassenden transdisziplinären Theoriebildung, geschweige denn einer Entwicklung von direkt daraus abgeleiteten methodischen Implikationen und konkreten Ideen zur Operationalisierung. Gerade diese Verlinkung von Theorie und Empirie ist aber erforderlich, um das Phänomen selbst überhaupt tiefergehend untersuchen und verstehen zu können. In Anbetracht dieser Ausgangslage bestand das erste Ziel dieser Arbeit in einer Integration bisheriger Ansätze mit Hinblick auf eine theoretische Basis, die anschlussfähige Analysen erlaubt. Aus bisherigen Publikationen werden somit Schlüsselkomponenten identifiziert, auf den musikalischen Kontext projiziert und ihre Ursprünge und Entwicklungsverläufe entsprechend musikspezifisch kontextualisiert. Auf Basis dieser systematischen Vorgehensweise, die die jeweiligen Erkenntnisse auch an musikhistorische Entwicklungen rückbindet, können wesentliche Komponenten des Starphänomens (Leistung/Erfolg, Bekanntheit, Anhängerschaft, öffentliche Repräsentation/Image) identifiziert, differenziert und in ihrer strukturellen Bedeutung und in ihren jeweiligen diskursiven Vermittlungsformen beschrieben werden. Die Komponente »Image« ist dabei die übergeordnete Repräsentation aller Starkomponenten, in der diese Gestalt und Bedeutung annehmen und somit überhaupt erlebbar werden. »Image« ist somit die zentrale analytische Kategorie und Imageanalyse folglich die wesentliche Technik für die Untersuchung von Stars als gesellschaftlichem Phänomen. Das zweite Ziel der Untersuchung bestand in einer praktikablen Konzeption des Image-Begriffs, so dass dieser für konkrete Analysen in kulturellen Kontexten Verwendung finden kann. Zu diesem Zweck wurde der im Starkontext häufig undifferenziert verwendete Image-Begriff aus der Perspektive verschiedener Disziplinen beleuchtet, um so zu einem transdisziplinären Verständnis seiner Aussagekraft und entsprechenden Anwendungsimplikationen zu gelangen. Schließlich wurde hieraus ein methodisches Design abgeleitet, das Images in ihrer Funktionsweise als kommunikative Konstrukte sichtbar und nachvollziehbar macht. Exemplarisch wird in der anschließenden empirischen Untersuchung anschaulich gezeigt, nach welchen Prinzipien Medien
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EINLEITUNG
und Rezipienten Images konstruieren und kommunizieren. Hierzu wurden umfangreiche Analysen von Printmedien und eine qualitative Rezeptionsstudie durchgeführt. Gerade der vergleichende Blick auf sehr unterschiedliche musikalische Genres erlaubt dabei Inferenzen bezüglich grundlegender struktureller Patterns, die kulturelle Produktionsprozesse steuern und sie in emotionale Erfahrungen umwandeln und damit erlebbar machen. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung ist dabei, dass Images immer Momentaufnahmen sind, die sich vor dem Hintergrund einer konkreten Zeit, aus den Perspektiven bestimmter Interessensgruppen und dabei auch auf Basis wirtschaftlich-gesellschaftlicher Gegebenheiten konstituieren und weiterentwickeln. Diese Arbeit ist damit gleichzeitig auch eine Momentaufnahme einer spezifischen Star-Ära: So geht es hier um drei Stars der massenmedialen Kulturindustrie des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Mag dies auf den ersten Blick noch gar nicht weit weg erscheinen, so beeinflussen jedoch neue Kontexte digital-mobiler Verfügbarkeit und die Etablierung vielfältiger Internet-Nischenkulturen nicht nur das kulturelle Angebot, sondern auch das aktuelle Erscheinungsbild prominenter Star-Images. In welcher Art und Weise sich dieses verändern wird, steht jedoch noch in den Sternen ...
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T HEORETISCHER T EIL
1. M U S I K S T A R S E I N E
HISTORISCHE
SKIZZE
1.1 Einleitung Bei der Analyse von Musikern hinsichtlich ihres öffentlich-medialen Gesamteindrucks und ihrer Relevanz als Teilgruppe gesellschaftlicher Prominenz handelt es sich um ein nahezu unerforschtes Feld innerhalb der Musikwissenschaft. Dies liegt nicht an fehlendem Interesse an dieser Thematik, vielmehr begegnet man einer großen Fülle musikerbezogener Darstellungen in den schillerndsten Beschreibungen, vor allem in Bezug auf das Virtuosentum. Allerdings weist bereits Blaukopf darauf hin, dass sich dieses Interesse nahezu ausschließlich auf »Geschichten der Virtuosen« anstatt auf die »Geschichte der Virtuosen« richtet.1 Zwar liefern musikwissenschaftliche Publikationen wichtige Strukturdaten bezüglich der Entwicklung des Musikerberufs und seiner Einbindung in das gesellschaftliche Leben und zugehörige Institutionen; diese Aspekte werden allerdings kaum unter dem Gesichtspunkt des Starphänomens betrachtet. Eine musikwissenschaftliche Betrachtung dieses Phänomens erfordert daher vor allem die Herausarbeitung struktureller Determinanten von Prominenz, die sich dementsprechend an allgemeiner Starforschung ausrichten muss. Üblicherweise wird der Beginn des Startums mit der Entstehung der amerikanischen Filmindustrie verknüpft.2 Hier wurden Personen erstmalig bewusst und in Serie als ökonomische Strategie zur Produktdifferenzierung eingesetzt, ein hinsichtlich Filmrollen und Privatleben kohärentes Bild erzeugt und durch handlungsleitende Exklusivverträge mit dem jeweiligen Studio kontrolliert. Dieses für die Öffentlichkeit aufgebaute Bild zirkuliert zudem durch ein komplexes mediales System, das sich aus den Filmen selbst, Zeitungen und Fanzeitschriften, Werbung (z.B. für Kleidung oder Seife) Starpostkarten und -postern zusammensetzte. Dyer versteht dies als erstmalige Verschränkung von Öffentlichkeitsinteresse und Produzenteninteresse, indem Stars sowohl Produktionsphänomene sind (Personen, die etwas darstellen) als auch Konsumphänomene (Personen, die »als Produkt« erhältlich sind).3 In der Tat stellt die Heraus1 2 3
Vgl. Blaukopf 1955, S. 7. Vgl. z.B. Patalas 1963, Gledhill 1991, Gaines 1991, Peters 1996, Staiger 1997 Hayward 2000. Vgl. Dyer 1979, S. 14.
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DER MUSIKSTAR
bildung eines hochorganisierten »Star-Systems« in Verbindung mit der rasanten Entwicklung diverser neuer Inszenierungsmöglichkeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Erweiterung des Phänomens dar. Systematische Konzeptionen zum Starphänomen entspringen daher fast ausschließlich der Filmtheorie und -analyse, insbesondere der britischen Filmwissenschaft der späten 70er und frühen 80er Jahre. Der Image-Begriff hat hierbei die Rolle eines Schlüsselkonzepts inne, indem der Star selbst als medial vermitteltes Image definiert wird, das zwar auf der Existenz einer realen Person basiert, aber den für seinen Star-Status notwendigen Akteuren also den ihn verehrenden Fans nur in Form medialer Texte begegnet.4 Theoretische Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum5 beschäftigen sich äquivalent ebenfalls vor allem mit Film- und Fernsehstars, verweisen aber ebenso darauf, dass die Betrachtung von Stars noch »in den Kinderschuhen steckt«.6 Diese Arbeiten bauen auf die einschlägigen Publikationen der britischen Filmtheorie auf, erweitern den Wissensbestand aber um zahlreiche Einzelstudien, zum Teil mit empirischen Analysen. Daneben existieren auch vereinzelt Arbeiten, die das Prominenz-Phänomen im Kontext der Elitenforschung untersuchen.7 Für die Bestimmung der konstitutiven Merkmale und Bedingungen von Prominenz im Hinblick auf Stars in der Musik reicht die Betrachtung der Filmgeschichte jedoch nicht aus. Zudem bestehen wichtige Unterschiede zwischen Akteuren in Film und Musik,8 weshalb es umso essenzieller ist, die Erklärung des Starphänomens auf einem allgemeineren Fundament aufzubauen. Wie bereits Hickethier feststellt, existiert das Prinzip »Star« lange vor dem Begriff »Star«.9 In seiner Einordnung findet das Phänomen seine historische Basis im Theaterstar des 19. Jahrhunderts. Aus der musikologischen Perspektive ist nicht nur das Star-Prinzip, sondern interessanterweise auch der Begriff deutlich vor der Entstehung der Filmindustrie aufzufinden. So charakterisiert beispielsweise Hanslick die Zeit von 1830 bis 1845 als Virtuosentum und die entsprechenden Protagonisten als »Sterne ersten Ranges«, die eine »ungemein und anhaltend enthusiastische Stimmung« beim Publikum erzeugten.10 Zur Untermauerung der These, dass Stars nicht als originär amerikanisch-cinematisches Prinzip einzustufen sind, wurde hier der systematische 4 5
Vgl. zum Verhältnis von Star und Image das Kapitel 2.1. Dominierend sind hierbei die Publikationen von Werner Faulstich und Helmut Korte. Vgl. z.B. Faulstich 1989, Faulstich 1991, Faulstich 2000, Faulstich/Korte 1997, Faulstich/Strobel 1994, Lowry/Korte 2000. 6 Strobel/Faulstich 1998, S. 12 7 Mills 1962, Klapp 1964, Neidhardt 1994, Peters 1996. 8 Vgl. Kapitel 2.1. 9 Vgl. Hickethier 1997, S. 29. 10 Vgl. Hanslick 1869, S. 325.
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HISTORISCHE SKIZZE
Ansatz gewählt, die definitorischen Komponenten des Startums aus der einschlägigen Literatur herauszufiltern und ihr erstmaliges Auftauchen in der Musik nachzuzeichnen. In ähnlicher Weise extrahiert auch Ludes11 zur Erklärung der Genese moderner Stars funktionale Äquivalente zwischen Stars und traditionellen Helden bzw. Göttern unter Rückgriff auf Webers Herrschaftstheorie und zivilisationstheoretische Ansätze von Elias und Goudsblom. Demnach gehört es zu den Grundmerkmalen menschlicher Gruppierungen, dass sich in ihnen Menschen mit besonders hohem Ansehen hervortun. Gemeinsam ist diesem Phänomen zu allen Zeiten das Durchbrechen des Durchschnittlichen und das Herausragen auf Gebieten, die nicht der primären Lebenssicherung dienen, sondern sich im außeralltäglichen transzendentalen Bereich bewegen und durch informelle, emotionale und expressive Kommunikationskompetenzen erfahrbar werden. Als zentrale allgemeine Konstante, die bereits vor dem »offiziellen« Startum auftritt, identifiziert er daher die »personifizierte Außeralltäglichkeit«.12 Stars sind somit Identifikationsangebote, die immer an Personen gebunden sind. »Die Sachdominanz moderner sozialer Systeme wird hier überspielt durch die weiterhin in der menschlichen Sozialisation angelegte potentielle Glaubwürdigkeit personaler Beziehungen, das Vertrauen in Personen, die man doch schon länger kennt, immer wieder sieht und mit denen Mann und Frau fast ausschließlich schöne und außergewöhnliche Erlebnisse (wenn auch fiktionaler Art) verbindet«.13 Gerade mit der ökonomischen Absicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen öffnen sich immer mehr »Spielräume« für die Suche nach besonderen Erlebnissen. Für den Kontext dieser Arbeit geht es bei der Bestimmung von Komponenten musikalischen Startums entsprechend um Bedingungen für die Institutionalisierung einer personalisierten Außeralltäglichkeit sowie ihrer massenwirksamen Symbolisierung. Entsprechend veranschaulicht das folgende Kapitel die strukturellen Determinanten von musikalischer Prominenz und die zunehmende Bedeutung der Inszenierung von Persönlichkeit. Hierdurch werden die Grundlagen für die nachfolgenden empirischen Zugangsweisen zum Starphänomen bereitgestellt und das Image-Theorem als zentrales analytisches Konzept extrahiert. Diese Darstellung konzentriert sich auf zentrale Einflussgrößen14 und zugehörige Beispiele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit im Sinne einer »Geschichte der Musik-
11 12 13 14
Vgl. Ludes 1997. Ebd. S. 88. Ebd. S. 90. Zu diesem Zweck wurde auch ein Exkurs zur Genese des Star-Systems im Film eingefügt, um filmtheoretische Star-Dimensionen zu ermitteln, die für diese Untersuchung nutzbar gemacht werden können.
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DER MUSIKSTAR
Stars«, sondern dient der Erklärung struktureller Prozesse, die der Fragestellung dieser Arbeit zugrunde liegen. Eine Basis hierfür liefert das berufliche Musizieren und die Entstehung des bürgerlichen Konzerts also die Emanzipation aus rein funktionalen, kirchlichen und höfischen Diensten und die Fokussierung vom Werk über die Interpretation hin zur Person des Interpreten. Da ein Star nur leuchten kann, wenn alles um ihn herum dunkel ist, geht dies auch mit einer Isolierung des Musikers einher, der sich immer in Relation zu anderen Menschen (vor allem anderen Musikern und dem Publikum) bewegt und sich entsprechend abgrenzen muss. Von Bedeutung sind daher auch die soziale Rangordnung von Musikern sowie die Entwicklung einer positionalen Struktur, in der ein einzelner, strahlender Musiker einem großen Publikum gegenüber steht. Es zeigt sich, dass zentrale Prozesse der Ausdifferenzierung und Verselbständigung im 20. Jahrhundert noch einmal im Zeitraffer in neuem massenmedialen Gewand durchlaufen werden. Heute ist somit nicht alles anders, vielmehr bedarf die Verkörperung, Sichtbarmachung und das Hervorleuchten außergewöhnlicher Fähigkeiten sowie ihre Dramatisierung und Ästhetisierung immer wieder angepasster, zeitgemäßer Produktions- und Vermittlungsformen. So ändert sich zwar auch die Bedeutung von Stars, interessant ist dabei aber insbesondere wie sie zunehmend als Komponente moderner Sozialstrukturen im Bewusstsein und im Alltag von Menschen verankert wird und sich damit vom traditionellen Heldentum abgrenzt.
1.2 Vorgeschichte Im Unterschied zur heutigen, absatzorientierten Produktion von Bekanntheit erscheint Prominenz im traditionellen Sinn zunächst eher als »BeiProdukt« von Ruhm, der durch herausragende, allgemein anerkannte bzw. messbare Leistungen über einen längeren Zeitraum erworben wird.15 Prominent waren daher nahezu ausschließlich Angehörige politischer und religiöser Eliten, also die oberen Schichten einer quasi natürlichen Hierarchie.16 Die bereits in antiken Kulturen verbreitete Verehrung von Musikern ließe sich demnach als eine ursprünglich religiös motivierte begreifen.17 15 Vgl. Schickel 1985, S. 24. 16 Vgl. Gamson 1994, S. 17. 17 Insbesondere der Gesang stand in enger Verbindung zur Zauberei und galt bei vielen Völkern als eine göttlich-übernatürliche Eingebung, die durch Schamanen, Medizinmänner und Priester kultiviert wurde. So genossen Musiker in Tempeln, Palästen oder auch im Harem ein hohes Ansehen, wobei sich die erfolgreichsten unter ihnen durch namentliche Bekanntheit abhoben. Auch wenn insbesondere die Sänger noch lange Zeit als göttlich inspiriert gelten, zeichnet sich eine deutliche Entwicklung vom »singing professional« zum »professional
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HISTORISCHE SKIZZE
Durch die zunehmende Integration in den Alltag und den Rhythmus der Feste entwickeln sich Musiker dabei kontinuierlich auch bedingt durch die zunehmende instrumentale Spezialisierung zu Berufsmusikern. Die bereits früh vorherrschende Betonung des Herausgehoben-Seins an sich und die öffentliche Präsentation prunkvoller Ausstattung und blendender Schönheit kann dabei durchaus als Säkularisierungskompensation interpretiert werden, die den Status der Göttlichkeit zumindest in der äußeren Erscheinung wahrt. Die pompöse Visualisierung von Ruhm, verknüpft mit der Präsentation überdurchschnittlicher Leistungen, ließ die Musiker dabei zu gefeierten Persönlichkeiten aufsteigen, die sich um die Gunst einer möglichst wohlhabenden Hörerschaft bemühten. Mit der zunehmenden Professionalisierung und der Spezialisierung auf ursprünglich in Personalunion geforderte Tätigkeiten wie Tanz, Gesang und Instrumentalspiel etabliert sich auch die soziale Rangordnung der Musiker, die als grundlegende Voraussetzung einer Herausbildung musikalischer Prominenz anzusehen ist, da ein Star immer nur im Verhältnis zu den »durchschnittlichen Berufskollegen« als solcher bezeichnet werden kann. So reichten die Musikerlöhne im Mittelalter vom Almosen für den umherziehenden Bettelsänger bis zur repräsentativen Komplettausstattung eines herausragenden Spielmanns oder Minnesängers. Wichtig für Ruhm und Reichtum war also vor allem, wem man aufspielen durfte ob dem Bauern oder dem König. Ohne den Schutz eines mächtigen Patrons, war es daher schlechterdings unmöglich, sich als Musiker durchzuschlagen.18 Musiker wurden also nicht per se verehrt, sondern im Hinblick auf den Dienst, den sie verrichteten, den Beitrag, den sie zur Erhöhung des jeweiligen Dienstherrn bzw. des Herrschers leisteten. Sie waren daher Verkörperung und Schmuck einer höher stehenden Macht, nicht von vornherein eine Repräsentation ihrer selbst. Diese hierarchische Verortung ist dabei durchaus differenziert zu sehen, was sich schon an namentlicher Bekanntheit bzw. Namenlosigkeit des Interpreten verdeutlicht.19 Die Extreme bewegen sich bei den frühen professionellen Musikern also zwischen Leibeigenen in Abhängigkeit von despotischen »Gönnern« und extravaganten Begünstigten frei-
singer« ab, dessen musikalische Tätigkeit als »klanglicher Schmuck« in den Alltag eingebunden wurde und der Untermalung von Opferriten, Siegesfeiern oder Trinkgelagen diente. Vgl. Salmen 1997, S. 15ff. 18 Vgl. Salmen 1997, S. 38f. 19 Auch der für das heutige Startum äußerst relevante visuelle Aspekt ist hier bereits beachtenswert, indem es teilweise verbreitet war, berühmte Musiker direkt vor dem Herrscher zu platzieren, während unbekannte hinter einem Vorhang zu sitzen hatten. Vgl. ebd., S. 41. Faulstich berichtet auch von Masken, mit denen Schauspieler auf der Theaterbühne ihr Gesicht verbargen (vgl. Faulstich 2000, S. 206).
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giebiger Herren, die sich sogar in ihrer eigenen Haushaltung Diener leisten konnten.20 Diese sich bereits vor der Neuzeit etablierende Rangordnung ist für die vorliegende Arbeit auch insofern von Bedeutung, als sich hierin die zentrale Ambivalenz von Vergötterung und Verachtung bei der Bewertung des Musikerberufes manifestiert. So ist die zumeist originär den Filmstars zugeschriebene und für das Starsystem konstitutive Polarität von Außergewöhnlichkeit und Alltäglichkeit21 bereits in der frühen Musikkultur ausgeprägt und bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt für weitere Differenzierungen von Nähe vs. Distanz, Exzentrik vs. Integrität sowie Fiktion vs. Realität, die sich im historischen Verlauf auf verschiedenen Inszenierungsebenen weiterentwickeln. Trotz dieser modern anmutenden Aspekte lässt sich hier noch nicht von Stars im eigentlichen Sinne sprechen. Dies liegt zunächst in dem eingeschränkten Verständnis von Öffentlichkeit begründet, da das Eingebundensein in den Zyklus höfischer Präsentationsriten die Zugangsmöglichkeiten für die Allgemeinheit unterbindet. Zugleich stellt die Musik und damit auch der Musiker nicht die Hauptattraktion des Anlasses dar. Erst durch die Emanzipation der Musik aus höfischen und kirchlichen Diensten wird der Musikerberuf zu einer freien Tätigkeit in einem ästhetischen Sonderbereich, die sich auf einem Markt als Dienstleistung gegen Konkurrenzangebote durchzusetzen hat. Der folgende Abschnitt fokussiert daher die Entwicklung der kulturellen Kommerzialisierung und die institutionellen Voraussetzungen für die Herausbildung eines musikbasierten Starsystems.
1.3 Strukturelle Voraussetzungen: Aufklärung, Kapitalismus und das Bürgertum Dieser Abschnitt veranschaulicht die notwendigerweise linear gezeichnete Entwicklung der Emanzipation des Musikers aus seiner rein situationsbegleitenden Tätigkeit. Die Präsentation eigener Kompositionen weicht dabei dem zunehmenden Reproduzieren eines sich etablierenden Werkkanons, wodurch sich die Fokussierung auf die interpretatorische Leistung und damit eine Konzentration auf die Person verstärkt, so dass die Darstellung eines kulturellen Beitrags immer mehr die Komponente der SelbstDarstellung als sinnlich-unmittelbare Erlebnisdimension integriert bzw. durch diese dominiert wird. Persönlichkeit wird damit zu einer strukturellen Konstante des Konzerts. 20 Vgl. Salmen 1997, S. 45. 21 Bei Dyer entspricht dies dem Gegensatz von »extraordinariness« und »ordinariness« (vgl. Dyer 1979, S. 49f.).
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HISTORISCHE SKIZZE
Entscheidend für das Verständnis von Prominenz als einem Element gesellschaftlicher Strukturen ist im Unterschied zum elitären Heldentum ihre Demokratisierung, die sich im 17. und 18. Jahrhundert abzuzeichnen beginnt. Notwendige Basis für die Entstehung von Prominenz ist demnach eine moderne Vorstellung von Individualität, die sich durch umfassende soziale Veränderungen und damit einhergehenden neuen Erfahrungen des Selbst herausbildet. Eine steigende soziale Mobilität durch die Aufhebung fester, vererbter Rollen und neue Interaktionsmöglichkeiten und –notwendigkeiten durch das Leben in Städten trugen zu dieser Entwicklung maßgeblich bei, indem die Bedeutung der positiven Wahrnehmung durch andere sich als Bedingung für erfolgreiches Handeln in der Marktwirtschaft herauskristallisiert. Prominenz galt nicht mehr als Bestätigung eines Klassenunterschieds, sondern als persönliche Errungenschaft eines ehrenhaften Individuums. Obwohl dieser Status außergewöhnliche Fähigkeiten oder besondere Charaktereigenschaften symbolisiert, sind dies Qualitäten, die letztlich jedem Menschen innewohnen können.22 Prominenz erscheint somit als eine Form demokratischer Elite, die im Prinzip für alle durch individuelle Leistung und Wettbewerbsfähigkeit erreichbar ist und sich in sozialem Aufstieg und finanziellem Erfolg niederschlägt,23 auch wenn de facto nur eine winzige Minderheit diesen Status erlangt. Diese dialektische Realität von Startum hat sich also bereits zu Beginn etabliert. Prominenz fungiert daher seit der Aufklärung als eine Metapher für die zentralen Werte westlicher Gesellschaften, als Versinnbildlichung von Demokratie und Kapitalismus, die den Mythos des im Prinzip möglichen Wohlstands aller unablässig perpetuiert.24 Demokratisierung von Prominenz bezieht sich nicht nur auf die Erweiterung des Personenkreises, der potentiell Berühmtheit erlangen kann, sondern auch auf die Profilierungsbereiche, in denen sich öffentlichkeitswirksamer Ruhm erwerben lässt. Einen besonderen Stellenwert hatten dabei von Anfang an die Unterhaltungskünstler, insbesondere die Protagonisten der Darstellenden Künste. Diese Tatsache liegt zum einen in ihrer dispositiven Struktur begründet, die durch das Agieren auf einer herausgehobenen Bühne vor den Augen eines Publikums bestimmt ist. Gleichzeitig sind die exponierten Persönlichkeiten keine mächtigen Akteure im Hinblick auf die tatsächliche Umsetzung gesellschaftlich-politischer Ideen und stellen daher keine akute revolutionäre Gefahr dar.25 Betrachten wir diesen Emanzipationsprozess und die damit einhergehende Konzentration auf die Person am Beispiel des Musikers genauer: Die
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Vgl. Gamson 1994, S. 18. Vgl. McDonald 1998, S. 196f. Vgl. Marshall 1997, S. 9. Vgl. Alberoni 1972, S. 75.
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wichtigste institutionelle Komponente stellt dabei die Entstehung des bürgerlichen Konzerts dar, wodurch sich das Musizieren von seiner begleitenden Kulissenfunktion im Dienste gesellschaftlicher Zusammenkunft befreit und die Musik als solche und damit ihre Realisierung in einem konkreten Setting in den Mittelpunkt rückt. Auf diese »Vergegenständlichung« von Musik ist in Bezug auf Stars insofern hinzuweisen, als sie ihre Warenform und damit einhergehende Kommerzialisierung bedingt und damit die für Startum bedeutsame Institutionalisierung der Trennung von Musiker und Publikum sowie die Heraushebung des Solisten vorantreibt. Dieser Übergang vom bürgerlichen zum professionellen Konzert bezieht sich also auf die Nutzung des Marktes, der sich durch die musikalische Darbietung und dem daran wachsenden Interesse eröffnet.26 Das Publikum bildet somit nicht mehr a priori eine Gemeinschaft, sondern besteht aus einzelnen »Vertragspartnern«, die die Teilnahme an einer, zu einem festgelegten Datum an einem bestimmten Ort, stattfindenden Musikdarbietung gegen Geld erwerben.27 Diese Konzentration bezüglich der zeitlichen, lokalen und funktionalen Dimension verstärkt dabei die Fokussierung auf das Bühnengeschehen und damit auch auf den Interpreten. Bleibt das Laienmusizieren mit öffentlichem Anspruch dabei als Teilbereich bürgerlicher Musikkultur im 18. Jahrhundert noch existent, so verstärkt sich insbesondere um 1800 die Entwicklung vom Liebhaber- zum Berufsmusikerkonzert und damit auch die Rollenteilung zwischen Interpret und Publikum.28 Die Entwicklung von der singenden Gemeinde zum dialektischen Gegensatzpaar Musiker-Publikum29 ist auch durch die steigende Spezialisierung und technische Perfektion der Musiker bedingt, die es den Zuhörenden im kommerziellen Konzert immer unmöglicher macht, selbst mitzuspielen. Somit praktizieren die Konzertbesucher die ursprünglich angestrebte kulturelle Selbstverwirklichung nicht mehr direkt, sondern indirekt-imaginär bzw. durch Verlegung praktischer Musikausübung in den häuslichen Bereich. Im Konzert bleibt als Rest produktiver Anteilnahme lediglich das Gefühl scheinbarer Mittätigkeit, das durchaus eine Parallele zum mitvollziehenden Anschauen eines Fußballspiels aufweist, bei dem 26 Im Gegensatz zur bürgerlichen Vereinigung, die noch eine willkürliche Gemeinschaftsform darstellt und sich zum Großteil aus den Mitgliedern der Konzertgesellschaften und ihren Angehörigen zusammensetzt, ist Öffentlichkeit hier von vornherein gegeben, indem sie durch die Zugänglichkeit gegen Eintrittgeld formalisiert wird. Hierbei handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, dessen Beginn sich im 18. Jahrhundert mit der zunehmenden Öffnung von Hofkonzerten für das bürgerliche Publikum abzeichnet (vgl. Schleuning 1984, S. 47). 27 Vgl. Heister 1983, S. 192. 28 Diese war zwar zu den Zeiten des frühen Virtuosentums (16. und 17. Jahrhundert) (Vgl. Salmen/Bröcker 1997, Sp. 1238) bereits ausgeprägt, wird aber hier institutionalisiert und erscheint somit nicht mehr als aktuell-funktionale, sondern prinzipielle personale Differenz (vgl. Heister 1983, S. 196). 29 Vgl. Blaukopf 1955, S. 28.
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man sich ebenfalls nicht selbst anstrengen muss, aber später stellvertretend für den Sieger feiern kann. Diese »Delegation von öffentlicher Aktivität«30 an den herausragenden Interpreten verstärkt gleichzeitig quasi kompensatorisch die affektive Erhöhung von Kunst, Künstler und Gesamterlebnis. Das Publikum erscheint allerdings lediglich bezüglich seiner musikalischen Aktivität als passiv. Hinsichtlich des Einflusses auf das musikalische Geschehen insgesamt wird es dafür umso wichtiger, und zwar als Instanz, die über Erfolg oder Misserfolg der Veranstaltung und damit auch über den wirtschaftlichen Gewinn für Veranstalter und Interpret entscheidet. Das Konzert hat sich also zu einem Dienstleistungsangebot entwickelt, das sich den Ansprüchen seiner Kunden anpassen muss. Veranschlagte das Publikum dabei zunächst eher quantitativ ausgerichtete Proportionen also möglichst viel Musik für wenig Geld , so drängen qualitative Dimensionen mehr und mehr in den Vordergrund, indem wichtig wurde was gespielt wurde und von wem. Im Zusammenhang dieser Arbeit geht es dabei vorrangig um den zweiten Aspekt, also die Fokussierung auf den Interpreten. Notwendige Bedingung hierfür ist die zunehmend wichtiger werdende Rolle des außergewöhnliche Fertigkeiten darstellenden Künstlers, der nicht nur Hör- sondern auch Schaugelüste befriedigt31 und sich mit Entstehung des Virtuosentums als Solokünstler etabliert. Meint der Begriff des »Virtuosen« im 16. und 17. Jahrhundert eine überdurchschnittliche Begabung in allen (intellektuellen) Sparten,32 so bezieht er sich seit ca. 1740 nur noch auf den außerordentlich qualifizierten praktischen Musiker.33 Im Allgemeinen wird seine Hochzeit jedoch hauptsächlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verortet. Dieses sogenannte »extrovertierte« Virtuosentum, das ausschließlich am Erfolg gemessen wird und sich im Zuge von Industrialisierung, Urbanisierung und Medialisierung zu einer frühen Form von Massenkultur ausbildet, ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels, da sich hier eine Konzentration auf die Persönlichkeitsinszenierung unter bereits hochentwickelten Marktbedingungen abzeichnet. An dieser Stelle soll es einführend um die Entwicklung von der reinen Werkbetrachtung über die Interpretationskritik hin zum emphatisch gefeierten Solisten und die daraus erwachsende Tendenz eines Personalismus gehen. Wird der Virtuose des 19. Jahrhunderts zumeist als »Nachfahre« der früheren umherziehenden Virtuosen gesehen, dem sich im entstehenden Konzertbetrieb Möglichkeiten zur Integration und Etablierung bieten, müssen zur Erklärung auch musikalische Weiterentwicklungen herangezogen werden. So bestimmt Blaukopf die Herausbildung der Einzelstimme, also
30 31 32 33
Heister 1983, S. 205. Vgl. Salmen 1997, S. 72. Vgl. Salmen/Bröcker 1997, Sp. 1238. Vgl. Reimer, zit. nach Heister 1983, S. 220.
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der das Gesamtgeschehen tragenden Melodie, als materielle Grundlage des Solistentums. Erst wenn die polyphone Gleichberechtigung der Stimmen um den Sinn für harmonische Fortschreitungen als Begleitung einer Melodie erweitert wird, bietet sich Raum für individuellen Ausdruck.34 Auch die Wahl des Instruments spielt dabei eine wichtige Rolle. Nicht ohne Grund stellen Violine und Klavier die ersten und prominentesten Soloinstrumente dar: Sie besitzen sowohl die Fähigkeit zu universellem, flexiblem Ausdruck als auch klangliche Eigenpersönlichkeit, eine Vielfalt von Ausdrucks- und Gefühlswerten und Möglichkeiten der persönlichen Profilierung.35 Das Klavier ist insbesondere wegen seiner Doppelfunktion als das bürgerliche Hausinstrument schlechthin und in Form des konzertsaalfüllenden Flügels als Soloinstrument geeignet, da es für die Zuhörer sowohl Identifikationsfläche (»das Instrument spiele ich auch«) und Projektionsfläche (»das würde ich auch gern können« bzw. »wer so spielt, ist ein besonderer Mensch«) bietet. Das Instrument fungiert daher in doppeltem Sinne als »Instrument«, nämlich als Mittel zur Aufführung von Musik, aber auch als Mittel zur Präsentation von Persönlichkeit. Durch die eben beschriebene musikalische Heraushebung des Solisten erhält dieser zudem eine eigene Stimme und wird zum redenden Subjekt oder zumindest zur »Fiktion eines Subjekts«,36 dessen Aussagen während der Aufführung ihm selbst und nicht dem aufgestellten Notenblatt zugeschrieben werden. Diese Tendenz wird auch dadurch nicht zurückgefahren, dass die meisten Virtuosen nach Ende des absolutistischen Zeitalters überwiegend rein reproduzierend und nicht mehr als Repräsentanten ihrer eigenen Kompositionen oder Improvisationen auftreten.37 Der Ausdruck musikalischer Individualität verlagert sich somit zunehmend in die Bereiche Repertoiregestaltung und Interpretation. Die Zusammenstellung von Werken als eigene kreative Leistung treibt die Entstehung des Recitals, das sich vor allem bei den »Modellvirtuosen« Paganini und Liszt zu voller Blüte entfaltet, voran. Dabei bilden sich aber auch spezifische »Menükonventionen«38 aus, die kontinuierlich zur Etablierung eines festen Werkkanons führen. Die permanente Reproduktion anerkannter 34 35 36 37
Vgl. Blaukopf 1955, S. 26ff. Vgl. ebd., S. 22. Dahlhaus 1976, S. 371. Vgl. Betz 2001, S. 12. Ein Grund hierfür dürfte in der Wahrung eines produktiven Scheins liegen, die das Individuum nicht als rein reproduzierendes exponiert. Als Mittel zur Erzeugung dieses Scheins dienen Reste improvisatorischer Anteile (z.B. die Zugaben bei Liszt) oder die quasi frei fantasierten Schlusskadenzen, die allerdings immer häufiger ausgeschrieben wurden. Bis heute hält das Auswendigspielen im Bereich der klassischen Musik den Eindruck künstlerischer Spontaneität und Originalität als notwendige Konstanten für eine hohe Wertschätzung von Musikern am Leben (vgl. Blaukopf 1955, S. 47 und Heister 1983, S. 493). 38 Blaukopf 1955, S. 38.
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Meisterwerke sichert die Wiedererkennung derselben und lässt das Werk als Identisches, selbstverständlich Gegebenes erscheinen, wohingegen die Aufführung des Werks den entsprechenden Mehrwert erzeugt. Für die Rezeption bietet diese Konstellation einen optimalen, mittleren Vertrautheitsgrad: Das Werk ist das Bekannte und Beliebte und die Aufführung bzw. der Interpret das jeweils Neue, das die Spannung aufrechterhält. Das Publikum »stellt sich in erster Linie immer die Frage, ob die Aufführung eine gute, eine mustergültige oder mäßige ist [...]. An das Werk selbst denkt es kaum mehr. [...] Das Werk bezwingt dieses Publikum nicht mehr, der Virtuose muß es thun«.39 Die Emanzipation der Interpretation also des Spiels an sich ermöglicht somit erst eine isolierte Wahrnehmung von Fähigkeiten und Eigenheiten des Musikers. »Spiel ist also eine von Zwecken freie Tätigkeit des Menschen, die es wegen dieser Isolation erlaubt, diese Tätigkeit rein nach der Seite des Könnens zu beurteilen, und in der infolgedessen der Wettkampf, das Rekordstreben und das Bedürfnis zu gelten und aufzufallen, von Bedeutung ist«.40 Neben der Betonung der Leistungsdemonstration als Aufmerksamkeitsgenerator, die häufig als exhibitionistische Artistik kritisiert41 oder verdächtigt wurde, die Musik lediglich als Substrat »gestisch-mimetischer Entfaltung« zu benutzen,42 verweist dieses Moment des Auffallens auch auf die Person selbst. Dies leitet sich insbesondere aus der Affinität von Musik und Schauspielkunst in Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs »spielen« her,43 da beide das Moment des Mimetischen und damit auch des Visuellen beinhalten. Entsprechend etablierte sich das Interpretationsideal des individuellen, inspirierten Ausdrucks (statt reiner Ausführung), das der Musiker verkörperte oder wenigstens zu suggerieren hatte.44 Die Fokussierung auf Interpretationsaspekte in Ergänzung und/oder Ablösung der Konzentration auf das Werk eröffnet somit einen Raum zur verstärkten Beachtung des Interpreten selbst. So rücken zwar die Kritiker immer mehr die Interpretation ins Zentrum des Interesses, für den Großteil des Publikums erfolgt jedoch gleich der Sprung von der Sache zum »Handgreiflich-Sinnlichen der Person des Interpreten«,45 da der Musiker selbst 39 40 41 42 43 44
Riemann 1895, S. 6ff. Hamann 1980, S. 11. Vgl. z.B. Reimer, zit. nach Riethmüller 2001, S. 107f. Vgl. Dahlhaus 1967, S. 17. Vgl. Betz 2001, S. 15. Der dabei angestrebte Eindruck von Freiheit und Leichtigkeit sollte die hart erworbene Technik und die alltägliche Arbeit entsprechend in den Hintergrund drängen. Interessanterweise findet sich dieses Prinzip der »unsichtbaren Arbeit« auch bei den Filmstars, die vor allem durch ihre Kleidung (hell, enggeschnitten, betont nicht-funktional) signalisieren, dass sie keine schwere körperliche Arbeit zu verrichten haben und ein angenehmes Leben führen (vgl. Dyer 1979, S. 42f.). 45 Heister 1983, S. 477.
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das eigentlich Differente, Neuartige repräsentiert. So konstatiert auch Riemann, »dass das Auftreten eines Virtuosen beinahe ebenso aussieht wie das des andern [...]. Der Hauptunterschied ist der Name des Spielers«.46 Diese umfassende Attribution auf die Persönlichkeit des Interpreten wird insbesondere im Solokonzert verstärkt, weshalb es für die Herausbildung des Starphänomens eine entscheidende Rolle spielt. Dem Publikum wird hier eine einzelne Privatexistenz in überhöhter und idealisierter Weise präsentiert, wodurch das Konzert als »öffentlicher vergrößerter Reflex des individuellen Spiels«47 erlebbar wird. Der Durchschnittsmensch sieht also seine eigene Leistung durch den Virtuosen weit überboten, der dadurch und aufgrund der per se polarisierenden Gegenüberstellung von großem Publikum und großer Persönlichkeit als das intensiviert zurückgespiegelte Außergewöhnliche erscheint und damit als Projektionsfläche und irrationales Gegengewicht zum Alltag wirken kann.48 Gleichzeitig wird die Bewunderung der Außergewöhnlichkeit durch die Anerkennung einer »messbaren« Leistung wie sie jeder im industriellen Zeitalter zu erbringen hat wiederum in den Alltag integriert und als käufliche zugänglich gemacht. Der Musiker bewegt sich also zwischen Irrationalität und Rationalität und führt eine Doppelexistenz außerhalb und innerhalb gesellschaftlicher Normen.49 Daneben steht der Begriff des Virtuosen auch für einen kommerziell orientierten Exhibitionismus, der herausragende Fähigkeiten und persönliche Eigentümlichkeiten als strategische Mittel zur Erlangung von Ruhm und Geld einsetzt.50 All diese Aspekte sind für die vorliegende Arbeit insofern von Interesse, als sie auch für heutige Stars konstitutiv sind. Ein Star ist jemand, der sowohl ein Mensch »wie du und ich« ist und für eine Dienstleistung bezahlt wird, zugleich aber jemand Unerreichbares, der ein Vielfaches an Aufmerksamkeit genießt. Auch der kommerzielle Erfolg und das notwendige Zurschaustellen besonderer Individualität ist eng mit dem aktuellen Erscheinungsbild von Prominenz verknüpft und erfährt auch in der heutigen Gesellschaft sowohl Bewunderung als auch Verachtung. Diese Ambivalenzen wurden aber bereits in der Entwicklung des Solokonzertes in Form eines in der Schwebe gehaltenen Verhältnisses von Nähe und Distanz z.B. mit Hilfe des Podiums reguliert. Der Interpret ist somit sinnlich-geistig zugänglich, indem »seine« Musik und Person audiovisuell erfahrbar, aber physisch-praktisch unzugänglich sind, da er an einem herausgehobenen Ort in gewisser Distanz zum Publikum agiert und sich nicht unter die Hörer mischt. Diese Positionierung entspricht dabei der Gesamttendenz, den Künstler nicht als Ausführenden allgemeiner Ideen und Rep46 47 48 49 50
Riemann 1895, S. 7. Heister 1983, S. 312. Vgl. Blaukopf, S. 12f. Vgl. Betz 2001, S. 12. Vgl. Reimer, zit. nach Riethmüller 2001, S. 107f.
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räsentanten des jeweiligen Zeitgeistes sehen zu wollen, sondern als aktives Genie, das einem Publikum individuelle Inspirationen als Ausdruck seiner Persönlichkeit darbietet. »Das Prinzip, das die Welt erobern will, muß personifiziert und mit napoleonischer Geste auftreten«.51 Entsprechend erfolgreich etablieren sich die Solokonzerte und werden somit schon aus rein ökonomischen Gründen unverzichtbar, da Konzerte ohne Solistenbeiträge wesentlich schlechter besucht waren.52 Riemann folgert daraus, dass es »nicht mehr die Freude am musikalisch Schönen [ist], was die Mehrzahl der Hörer in den Konzertsaal lockt, sondern die Neugierde, den auftretenden Virtuosen kennen zu lernen«.53 Als Reaktion auf den Wunsch nach einer imaginären Beziehung des Zuhörers zum Interpreten ist es daher für diesen naheliegend, nicht nur die Musik, sondern auch sich selbst in Szene zu setzen. Den Bedingungen des Starphänomens sind wir somit bereits ein ganzes Stück nähergekommen. Wie aber fasziniert und mobilisiert eine Musikerpersönlichkeit ein Massenpublikum und wird zum Star? Zur Annäherung an diese Frage stehen im Zentrum des nächsten Abschnittes die technischinstitutionellen Voraussetzungen kohärenter und kontinuierlicher Persönlichkeitsinszenierung im 19. Jahrhundert sowie ihre konkrete Ausgestaltung als notwendige Maßnahme zur Erlangung von Aufmerksamkeit in massenmedialen Kontexten.
1.4 Ausdifferenzierung der Inszenierungsmodi I: Industrialisierung und Medialisierung im 19. Jahrhundert Dieses Kapitel thematisiert die Institutionalisierung eben jener Interpretenaspekte, die über die im Konzert erfahrbaren Sphären hinausreichen und zeigt, wie im 19. Jahrhundert erstmalig ein kontinuierlich aktualisiertes »Wissen« über einen Musiker für ein Massenpublikum zugänglich gemacht wird. Damit lassen sich massenhafte Reproduktion (hier allerdings noch begrenzt auf Noten, Zeitungen, Zeitschriften und Fotos) und Kontinuität (in der Berichterstattung) als Bedingungen für eine feste Anhängerschaft und demzufolge für das Starphänomen insgesamt identifizieren. Diese Aspekte erfahren im anschließenden 20. Jahrhundert eine erhebliche Erweiterung, 51 Blaukopf 1955, S. 43. 52 Entsprechend stößt auch die Eliminierung von Solistenvorträgen (betrieben z.B. bei der Etablierung des reinen Orchesterkonzerts am Ende des 19. Jahrhunderts) auf starke Publikumswiderstände (vgl. Heister, S. 315f.), da das Publikum die »Vorführung von Persönlichkeit, nicht nur die Aufführung von Werken« (Heister, ebd.). 53 Riemann 1895, S. 11.
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sowohl bezüglich technischer als auch strategischer Weiterentwicklung zu intermedialen Angebotsstrukturen. Die thematisierte Entwicklung des öffentlichen Musizierens zum professionellen Konzert, das einen Markt als Realisierungsort künstlerischer Tätigkeit bietet, kann um 1825 als etabliert betrachtet werden.54 Tendenziell geht dies mit einer Vergrößerung des Publikums einher, die sich vor allem aus steigender Bevölkerungsgröße, Herausbildung moderner Städte mit kontinuierlichen Ansammlungen größerer Menschenmassen, relativem Wohlstand und daran anschließenden Bedürfnissen herleitet. »Mit der Veränderung der kulturellen Produktion aufgrund des komplexen Prozesses von Industrialisierung, Urbanisierung und Mobilisierung wuchs bei den Menschen [...] ein Bedürfnis nach subjektiver und kollektiver Orientierung, nach sinnbildlicher Verkörperung von lebenswertem und erfülltem Leben, das sich in der Nachfrage nach Unterhaltungsprodukten niederschlägt und durch diese beantwortet wird«.55 Gerade dem Aspekt der Verkörperung konnte dabei durch herausragende Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Rechnung getragen werden. Während allerdings die Zahl der Konzertbesucher steigt, kann nur eine geringe Anzahl von Virtuosen Solokonzerte als Haupteinkunftsquelle nutzen. Der Aspekt des »Herausragens« bezieht sich demnach nicht nur auf die erbrachte Leistung, sondern auch auf die Tatsache, dass relativ wenige Musiker nun immer mehr Kaufkraft bzw. Publikum auf sich vereinigen. Dadurch schrumpft nicht nur die Breite des Repertoires, sondern steigt auch die Bedeutung des Musikers. Verstärkt wird diese Tendenz vor allem durch die rasante Weiterentwicklung der Verkehrsnetze und -mittel, die eine notwendige Beschränkung auf Lokalkultur aufhebt und einen Vergleich von Auswärtigem mit Einheimischem ermöglicht. Als logische Folgerung ergibt sich hieraus eine Unterscheidung von »local heroes« und überregional prominenten Interpreten, deren Erfolg sich bereits an anderen Orten bewährt hat, was wiederum als Qualitätsgarantie für das jeweils aktuelle Konzertpublikum fungiert. Durch das vorrangig ökonomische Interesse des Konzertwesens wird diese Entwicklung zur Massenkultur als einer positionalen Struktur, in der einzelne Personen einem großen Publikum gegenüberstehen, noch verstärkt. Herausragende, schon bekannte Interpreten mindern das Risiko einer Konzertveranstaltung, da die Nachfrage nicht gänzlich neu erzeugt werden muss, sondern man sich an Erfolgserfahrung anschließen, diese im Vorfeld instrumentalisieren und die Anhängerschaft des Musikers damit stetig erweitern kann. Richtungsgebend war dabei auch eine konsequente Preispolitik im Stil der »Grenznutzentheorie«: Hohe Eintrittspreise sollten hohe Wertigkeit bzw. 54 Vgl. Blaukopf 1955, S. 30. 55 Hickethier 1997, S. 33.
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Rarität des Ereignisses signalisieren. Ein prominentes Beispiel bieten die Kartenversteigerungen des Phineas Taylor Barnum für die Jenny LindKonzerte in Amerika, bei denen eine künstliche Knappheit systematisch aufgebaut wurde.56 Zum Aufbau von Star-Interpreten dienten häufig Hauskonzerte oder Salons einflussreicher Personen, die als relativ kostengünstige Pilotmärkte bereits früh über Erfolg oder Misserfolg entschieden. Erfolg war somit Garant und Multiplikator für weiteren Erfolg und eine Erhöhung der Bekanntheit. Kam es jedoch trotz vielversprechender Anfangserfolge zu Einbrüchen, gab es auch hier Abhilfe. So berichtet Blaukopf von der »Assurance des Succès Dramatique«, einem Versicherungsunternehmen, das sich darauf spezialisiert hatte, einem Künstler gegen Zahlung eines Beitrags ein Existenzminimum an Beifall zu garantieren, falls der Applaus des Publikums ausblieb.57 Somit ist der Virtuose zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit seit Entstehung des Solokonzerts zwar nicht mehr auf Begleitmusiker angewiesen, dafür aber auf einen berühmten Namen. Hier kommt bereits das Moment der Produktdifferenzierung ins Spiel, das zumeist dem FilmstarSystem originär zugeschrieben wird. Da der selbstlose Dienst am Werk nicht hinreichend honoriert wird, ist der Interpret somit gezwungen, eine individuelle Auffassung und Persönlichkeit zu präsentieren, durch die er sich von der Konkurrenz abheben kann.58 Für den Kontext dieser Arbeit entscheidend sind dabei auf die Gesamtperson ausgerichtete Darstellungsaktivitäten, die zunehmend die physische und psychische Präsenz des Musikers in Form sinnlich-körperlicher Gegenwärtigkeit und Berichterstattung über das persönliche Leben betonen.59 Ähnlich wie bei den erfolgreichen 56 Vgl. Ware/Lockhard 1980, S. 50ff. 57 Vgl. Blaukopf 1955, S. 12. 58 Dies bezieht sich zum einen auf die Auswahl des Repertoires, bei dem häufig die »effectlosen« Stücke ausgeschlossen wurden, da man den Musikern nicht zumuten konnte »das zu wählen, was nicht wirkt« (Brendel, zit. nach Heister 1983, S. 477). Wirkungsvolle Effekte erzielen dabei auch die Titel einzelner Kompositionen, da eine »Teufelstriller-Sonate« a priori Neugier erzeugt und zur Festigung der gesellschaftlichen Ideologie des genial-außergewöhnlichen Interpreten beiträgt (vgl. Blaukopf 1955, S. 14). Des weiteren wurden publikumswirksame Bearbeitungen dargeboten, die Technik und ins Extrem gesteigerte Emotionalität in den Vordergrund stellten oder künstliche statt künstlerische Schwierigkeiten anhäuften. 59 Entsprechend werden in der Literatur zur Starforschung daher zumeist die Theater- bzw. Vaudeville-Stars des 19. Jahrhunderts als Vorläufer der »eigentlichen«, durch technologische Massenproduktion distribuierten Stars genannt (McDonald 1998, S. 177; Gaines 1991, S. 36; Hickethier 1997, S. 31; Marshall 1997, S. 80, Staiger 1997, S. 50). Diese tourten seit den 1820er Jahren in gleichen Rollen durch verschiedene Städte und konnten so einen spezifischen Markencharakter ausbilden, indem sie in konsistenter Weise denselben Typus für eine Vielzahl von Publika repetierten und damit manifestierten. Der gastspielreisende Theaterstar wurde häufig in zeitlicher Parallelität zum musikali-
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»Lecture Tours« von Charles Dickens und Mark Twain oder den Konzertreisen von Franz Liszt und Jenny Lind wurde somit die Person selbst zum Teil mehr als das dargebotene Werk zum Fokus des öffentlichen Interesses. In diesem Zusammenhang ist auch die Herausbildung der sogenannten »Pultvirtuosen« erwähnenswert. Entstand das reine, d.h. solistenlose Orchesterkonzert ursprünglich als Gegenmaßnahme zur Betonung der Persönlichkeit, so rückt in der aktiven Praxis hier der Dirigent als personale Repräsentanz des Orchesters in den Vordergrund. Der seit dem Ende des 19. Jahrhundert zunehmend institutionalisierte Dirigent evoziert ebenso wie der Instrumental- oder Vokalvirtuose zugleich Bewunderung und Verachtung. Insbesondere Adorno betont den Aspekt der Symbolisierung von Macht und Herrschaftsattitüden, durch die der Dirigent für ihn als Erfindung einer modernen Interessenkörperschaft erscheint, welche der Komprimierung der musikalischen Aufführung dient.60 Trotz des polemischen Untertons ist die Komprimierungsfunktion ein wichtiger Baustein in Bezug auf das Starphänomen: Mit der Ausdehnung und Entregionalisierung von Publikumsstrukturen wird die Transformation von notwendigerweise mittelbarer Erfahrung in »gefühlte« unmittelbare Erfahrung des Interpreten bedeutsamer. Grundlegend hierfür ist eine Konzentration auf leicht wahrnehmbare Erlebniseinheiten, also Komponenten, die für eine Vielzahl von Menschen sicht- und verstehbar sind und so den aktuellen Mitvollzug ermöglichen. Die Inszenierung als kohärentes Gesamtkunstwerk kann daher sowohl eine auf die Musik abgestimmte Betonung visueller Aspekte auf der Bühne wie die Unterstützung des musikalischen Vortrags durch extrovertierte Gestik und Mimik beinhalten, als auch »musikferne« Elemente wie festliche bis auffällige Kleidung sowie spektakuläre Ankunfts- bzw. Abfahrtszeremonien wie Fackelzüge, Serenaden mit Gefolgschaft etc.61 Zur Abrundung des Bildes wird auch eine Kenntnis der zentralen persönlichen Eigenschaften durch Informationen aus dem Privatleben bereits früh als karriereförderlich betrachtet.62 Dabei sind diese Aspekte nicht notwendigerweise fremde Reize, die rein aufmerksamkeitsgenerierende Funktion erfüllen, vielmehr können sie in Bezug auf das Gesamterlebnis ebenso integrativ wirksam werden, indem sie Struktur- und Ausdrucksmomente der Musik nach außen kehren oder einen spezifischen Interpretationsstil als unmittelbaren Ausdruck eines individuellen Lebensgefühls erfahrbar machen. Die Institutionalisierung von Persönlichkeitsinszenierung kann dabei auch als Reaktion auf die nur einschen Virtuosentum eher abwertend als »Virtuose« bezeichnet, da er dem Ideal des Ensemblespiels durch seine exponierte Stellung zuwider lief. 60 Vgl. Said 2001, S. 67. 61 Vgl. Salmen 1997, S. 75 62 Blaukopf 1955, S. 44.
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geschränkt realisierbare Forderung nach reiner Werkrezeption betrachtet werden, da die Komposition lediglich in abstrakter Weise vom Interpreten selbst abgelöst werden kann. »Das ›Mitgehen‹ mit der Person und Praktiken des Spielers ist von der Aufmerksamkeit für die Musik als Gegenstand nicht zu trennen.«63 Betrachten wir Liszt exemplarisch ein wenig genauer, da er als »Pionier einer Vorstellung vom Interpreten als Objekt des Bestaunens durch ein zahlendes Publikum aus der bürgerlichen Mittelklasse«64 gelten kann. Nicht ohne Grund war Liszt aufgrund seines Äußeren ein »Opfer« zahlreicher Karikaturen. Auffällig in Szene gesetzt sind dabei vor allem Gesicht und Hände. Der Einsatz von Schulterpartien zur Ermöglichung eines weit ausholenden Armschwungs, das Schleudern, Über- und Ineinandergreifen der Hände (der sogenannte »Drei-Hand-Effekt«) erzielten in der Tat während des Konzerts wirkungsvolle Effekte; gleichwohl erfuhr die Klaviertechnik hierdurch eine Revolutionierung und stellte die Gestik damit unmittelbar in den Dienst der Musik selbst.65 Quellen aus der Zeit Liszts ist zu entnehmen, dass sehr konkrete Vorstellungen über seine Persönlichkeit vorherrschten. Das bis heute häufig durch eine Klischeehaftigkeit und Verklärung gekennzeichnete Bild Liszts ist dabei aus äußerst heterogenen Elementen zusammengesetzt. So werden in der konkreten Darstellung seien es Biographien oder historische Dokumente wie Briefe und Artikel die zentralen Dualitäten Intraversion/Extraversion, Frömmigkeit/Ausschweifung, Egozentrik/soziale Empfindsamkeit, Heimatverbundenheit/Internationalität oder Triumph/Resignation ausgelotet.66 Wie bei heutigen Stars ermöglichen diese Polarisierungen die Aufrechterhaltung von Interesse an der Person, indem sie immer wieder weitere Bestätigung oder Verwerfung provozieren und beständig in narrative Muster transformiert werden können. Die öffentlich perpetuierte, heterogene Identität Liszts entspricht dabei auch dem vorherrschenden Zeitgeist. Als sinnbildliche Verkörperung des Bohémian, Dandy, Snob, Libertin, Büßer und Abbé repräsentiert Liszt den Idealtypus französischer Hochromantik.67 Dieses wichtige Moment der Korrespondenz persönlicher Eigenheiten des Stars mit den zentralen Belangen und Empfindungen einer Gesellschaft bezieht sich nicht nur auf die Zeit sondern auch den Ort. Die Beziehung zu 63 Dahlhaus 1967, S. 17. 64 Said 2001, S. 63. 65 Ebenso erzeugte die neuartige Verwendung des Pedals sowohl eine innovative Ästhetik verschwimmender Harmonien wie auch einen unmittelbar sinnlichen Klangrausch (vgl. Stockhammer, S. 149ff.). 66 Die Polaritäten lassen sich z.B. aus den Darstellungen von Raabe 1931, Newman 1934, Hamburger 1973, Metzger/Riehn 1980, Schibli, 1986 und Stockhammer 1986 extrahieren. 67 Vgl. Nagler 1980, S. 118.
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Zeit und Ort verweist auch auf unterschiedliche Akzentuierungen des öffentlichen Bildes ein und derselben Person, indem verschiedene Akteure (Nationen, Städte, Personen) jeweils unterschiedliche Persönlichkeitsaspekte selektieren und zu einem stimmigen Gesamteindruck zusammenfügen. Ein solch vielschichtig-komplexes Bild eines Interpreten und dessen Erfahrbarkeit durch ein Massenpublikum ist allerdings ein Novum, weshalb die sogenannte »Lisztomanie« (Heine) auch in einschlägiger Literatur zum Startum als eines der ersten Massenphänomene bezeichnet wird.68 Als zentrale Grundlage hierfür wurde die Heraushebung des Solisten bereits identifiziert. Bezüglich des Klavier-Recitals kann Liszt dabei als Pionier des Solokonzerts gelten, der durch diese häufig als eitel und egozentrisch empfundene neue Kulturform sowohl Empörung als auch größtes Aufsehen und Bewunderung erntete.69 Die Entstehung einer Masseneuphorie basiert aber neben der institutionalisierten Gegenüberstellung von Publikum und herausgehobenem Solisten insbesondere auf infrastrukturellen Bedingungen, von denen das moderne Verkehrswesen bereits Erwähnung fand. Liefern die neuen Reisemöglichkeiten eine Grundlage für die (internationale) Bekanntheit der Musiker, konnte das Interesse an der Persönlichkeit vor allem im Zuge der Entwicklung des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens verstärkt bedient werden. Im Anschluss an die dampfbetriebene Zylinderpresse seit Beginn des 19. Jahrhunderts ermöglichte die Erfindung der Rotationspresse in den 1840/50er70 Jahren eine tägliche Lieferung von preisgünstigen, aktuellen Informationen in nahezu alle Teile des Landes. Entsprechend kann der Zeitung als »neuer Großmacht« ein erheblicher Anteil an der Genese früher Stars zugeschrieben werden, da sie wesentlich zum »massenpsychologisch aufgeheizten Klima«71 beiträgt. Mit der Intensivierung des Konkurrenzkampfes zwischen verschiedenen Zeitungen erhielt die Bedeutung brisanter Storys bzw. schillernder Personen ein zusätzliches Gewicht,72 wobei auch ein verzerrt dargestelltes Bild der Person in Kauf genommen wurde. Gerade der bereits vor Entwicklung des Zeitungswesens wichtige Aspekt des Sensationellen (z.B. bedient durch Wunderkinder oder musikalisch-artistische Kunststücke)73 kann hier eine Multiplikation und Verstärkung erfahren. Das Interesse an Personen wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend funktionalisiert. Mit der Herausbildung der Yellow Press durch Randolph William Hearst und Joseph Pulitzer, wurden personifizierte Informationen als strategisches Mittel zur Absatzerhöhung eingesetzt. Allgemeine Ereignisse des alltäglichen Lebens 68 69 70 71 72 73
Vgl. Schickel 1985, S. 25. Vgl. Hamburger 1973, S. 55f. Vgl. Gamson 1994, S. 20. Nagler 1980, S. 119. Vgl. Ludes 1997, S. 85. Vgl. Blaukopf 1955, S. 30f., Heister 1983, S. 265, Salmen 1997, S. 75.
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wurden am Beispiel persönlicher Schicksale präsentiert, um Emotionen zu erzeugen oder wie es Hearst auf die knappe Formel brachte: »People make news«.74 In Bezug auf prominente Musiker sind dabei Informationen über Fähigkeiten, Eigenschaften und Erlebnisse der Person selbst ebenso Gegenstand der Berichterstattung wie die detailgetreue Schilderung der Verehrungsriten und Massenhysterien. Bewunderung für einen Star ergibt sich somit nicht durch das Medium per se, sondern auch durch die gezielte Thematisierung eben dieser Bewunderung, die die unwiderstehliche Wirkung des Interpreten dabei sowohl dokumentiert als auch anpreist und damit in der Wahrnehmung der Allgemeinheit verstärkt. Neben der Beschreibung einer Ansammlung von Menschenmassen im fünfstelligen Bereich (z.B. Ankunft und Abfahrt von Jenny Lind in Amerika oder Liszt in Berlin) gehören hierzu aber auch die bereits zahlreichen »Fan-Artikel« von LisztKipferln bis zur gehäkelten Jenny-Lind-Haube.75 Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr der öffentliche Ruhm dabei ebenso eine kritische Reflexion bezüglich seines ambiguitiven Charakters. In Bezug auf Liszt sind dabei vor allem die Äußerungen Heinrich Heines bekannt: »Man hat ihn fetiert, man hat ihm Serenaden gebracht, eine Dame ist vor ihm niedergekniet und hat ihn gebeten, seine Fingerspitzen küssen zu dürfen, einen andere hat ihn im Konzertsaal umarmt, eine dritte den Überrest seiner Teetasse in ihr Flacon gegossen, Hunderte haben Handschuhe mit seinem Bild getragen, viele haben den Verstand verloren. [...] Die Narrheit hat nie größere Triumphe gefeiert«.76 Heine interpretiert das Phänomen dabei als ein medizinisch-neuropathologisches und kritisiert des Weiteren die Kommerzialisierung, der sich die Interpreten in ihrer Ruhmsucht vollends hingeben.77 Ebenso abfällig äußert sich Friedrich Nietzsche über die »Fanatiker des Ausdrucks«, »die Künstler der Verführung im Jahrhundert der Masse«.78 Es ist also zum einen die Rätselhaftigkeit des Starkults, die den Interpreten als »Beherrscher dämonischer Gewalten«79 erscheinen lässt, und gleichzeitig die Ablehnung einer Vermarktung von Bekanntheit an sich, durch die das Musikleben als ganzes seine Umwandlung zur Konzertindustrie vollzieht. So ahnt auch der Zeitgenosse William Hazlitt einer der ersten »Starforscher« eine Verselbständigung der Prominenz. Sein Interesse richtet sich auf die Intentionen des exponierten Individuums, von denen er annimmt, dass sie zunehmend nicht auf das Streben nach dem vollkommenen 74 75 76 77 78 79
Vgl. Gamson 1994, S. 20. Vgl. Stockhammer 1986, S. 48. Heine, zit. nach Stockhammer 1986, S. 68. Vgl. Betz 2001, S. 21ff. Nietzsche, zit. nach Betz 2001, S. 10. Vgl. Salmen 1997, S. 74.
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Produkt bzw. kulturellem Werk, sondern auf den persönlichen Ruhm gerichtet sind. »›The Spirit of the Age‹, as Hazlitt defines it, is an individual ostentation that has created good when it has awakened people to the spirit of liberty, but has too often displayed only the gestures of mere ambition.«80 Mit der Ausdifferenzierung der Inszenierungsinstrumente können diese Gesten allerdings auch als notwendige Konsequenz öffentlicher Kommunikation interpretiert werden. Dies bezieht sich nicht nur auf die Persönlichkeit, sondern auch auf quasi objektive Faktoren wie die musikalische Leistung, die im Umfeld zahlreicher Konkurrenzprodukte ebenso sicht- und erfahrbar gemacht werden muss. Orden, Medaillen, Titel, Lorbeerkränze und Statuen sind daher nicht nur vorkapitalistische Reste einer Geschenk- statt Lohnkultur, vielmehr dienen sie der Symbolisierung von Leistung, die das Publikum im Glauben bestärkt, sich in der Nähe einer herausragenden Persönlichkeit zu befinden. Die »virtuose Legitimation« wird auch durch Autoritätspersonen verliehen, die dem Interpreten eine künstlerische Leistungsfähigkeit bescheinigen: Paganini legt Chopin seine Zauberhand auf das Haar, Liszt gibt d’Albert seinen Segen etc.81 Die Zuordnung von Labels wie »König der Pianisten« oder »Paderewskis letzter Schüler« verstärken dabei den Markencharakter und spielen auch für die Darstellung heutiger Musiker eine wichtige Rolle.82 Die verstärkte Konzentration auf die Veröffentlichung von Oberflächen dient dabei ebenso als effektive Strategie zur Reduktion von Ereigniskomplexität und lässt auch die Bedeutung der Visualisierung weiter zunehmen, da die Abbildung eines Gesichts mehr Aufmerksamkeit erzeugt als die Präsentation abstrakter Vorstellungen dieser Person. Die Fotografie hatte allerdings erst etwas später als die Zeitungen einen Effekt auf die Entstehung von Prominenz, da die massenhafte Vervielfältigung erst mit Entwicklung des Halbtonverfahrens (1880) möglich wurde und ein Zeitungsartikel daher erst ab den 1890er Jahren von einem Foto begleitet wurde. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden aber bereits Porträts berühmter Persönlichkeiten verbreitet, seit den 1870er Jahren auch als Bildpostkarte oder Plakat (z.B. von beliebten Theaterschauspielern).83 Die Fotografie bewirkte nicht nur den dokumentarischen Charakter einer Abbildung (im Gegensatz zum gemalten Bild) und ein Gefühl der Nähe zur aufgenommenen Person, sondern ermöglichte auch die Multiplikation des fotografierten Gesichts, das bei den Rezipienten somit als Stellvertreter für die nicht anwesende Person fungieren konnte. Auf diesen Photos wurden die entsprechenden Personen 80 Braudy, zit. nach Marshall 1997, S. 7. 81 Vgl. Blaukopf 1955, S. 44ff. 82 Vgl. hierzu die Abbildungen zum Labeling am Ende der Kapitel 6.1.5, 6.2.5 und 6.3.5. 83 Vgl. Ludes 1997, S. 85.
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allerdings häufig sehr stark ästhetisiert bzw. ikonisiert, so dass sie teilweise nur geringe Ähnlichkeiten mit dem »Original« aufwiesen. Die außen- bzw. kundenorientierte Präsentation von Fähigkeit und Persönlichkeit ist für das Prominenz-Phänomen insofern von Bedeutung, als es die konstitutive Trennung von öffentlichem und privatem Leben festschreibt. Eine glanzvolle Inszenierung in der Öffentlichkeit erzeugt daher Neugier und Skepsis bezüglich der »wahren Persönlichkeit«, die sich nur im privaten und damit für das Volk unzugänglichen Bereich zeigt. Durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist es daher sowohl möglich, tatsächliche Persönlichkeitszüge nach außen zu transportieren, als auch allgemeine, sozial erwünschte Eigenschaften mit dieser Person gezielt zu verknüpfen, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprechen. Wichtig war bereits hier: Entscheidend ist, was das Publikum glaubt bzw. glauben will. Das Spiel mit der Ambivalenz von Realität und Fiktion wird mit zunehmender Weiterentwicklung und Verbreitung der Massenmedien vor allem im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Gestaltungsdimension. Dabei wird die Frage »wie es denn nun wirklich ist« beharrlich perpetuiert und stets zumindest scheinbar beantwortet, nur um dabei wieder neue Rätsel und Widersprüchlichkeiten anzuhäufen. Auch für den wissenschaftlichen Zugang ist die Wahrheitsfrage in diesem Kontext daher inadäquat. Egal ob lediglich selektiv akzentuiert oder bewusst gefälscht: In der öffentlichen Kommunikation sind wir immer mit einer Konstruktion von Persönlichkeit konfrontiert. Persönlichkeitsinszenierung hat es somit schon immer gegeben, sie erhält allerdings im massenmedialen Kontext eine wichtigere Bedeutung, indem sie notwendige Bedingung für die Erlangung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit in einer kurzlebig und stark visuell geprägten Umwelt ist und damit für Musiker die Grundlage der erfolgreichen Berufsausübung darstellt. Wurde dem bereits erwähnten Problem der zeitlichen Vergänglichkeit von Musik also zunächst mit der Etablierung eines Werkrepertoires begegnet,84 wobei der Interpret als das variable Moment agierte, so wird nun dieser selbst zu einer Konstanten als Aushängeschild für einen spezifischen Musik- und Lebensstil. Im 20. Jahrhundert bezieht sich Vergegenständlichung insbesondere auf den Tonträger,85 der aber gleichzeitig wieder auf den Interpreten verweist, indem der Besitz des Tonträgers immer auch den »Besitz« des verehrten Stars symbolisiert86 und seine Bindung an ihn durch den Kauf privatisiert.
84 Vgl. Kapitel 1.3. 85 Vgl. Wicke 1993, S. 4f. 86 Vgl. Marshall 1997, S. 158f.
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1 . 5 W e i t e r e n tw i c k l u n g d er I n sz en i er u n g sm o d i I I : Audiovisuelle Massenmedien und s t r at e g i sc he P u b l i c R e l a ti o n s Den gestiegenen Bedarf an öffentlich präsenten, markanten Persönlichkeiten nutzten im 19. Jahrhundert zunächst einzelne Unternehmer wie der bereits erwähnte Phineas Taylor Barnum, indem sie Superlative jeglicher Couleur (Beste, Seltsamste, Größte, Kleinste etc.) durch gezieltes ImageManagement vermarkteten oder auch als Impresarios ihren Künstler für die Öffentlichkeit ins rechte Licht zu rücken wussten. Dieser Übergang von Selbst- zu Fremdinszenierung und die damit fortschreitende Arbeitsteilung im Bereich der Personenvermarktung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem durch den Ausbau strategischer Public Relations für verschiedene Gesellschaftsbereiche und durch die Entstehung der Filmindustrie vorangetrieben. Eines der ersten Publicity-Unternehmen wurde 1900 von Ivy Lee in Boston gegründet, der vor allem durch die Konstruktion des Imagewandels von John D. Rockefeller selbst Prominenz erlangte. Den PRAgenten des 20. Jahrhunderts ging es dabei nicht mehr um reine Aufmerksamkeit (»any publicity is good publicity«), sondern um die glaubhafte Vermittlung eines angestrebten Images (»the art of getting believed in«). Bereits bei den exemplarisch dargestellten Musikerpersönlichkeiten im vorangegangenen Kapitel wurde auf die Notwendigkeit der Kohärenz verschiedener expressiv-persönlicher Ebenen zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit hingewiesen. Als Pionierbereich gilt allerdings in einschlägiger Literatur nach wie vor das klassische Starsystem des Hollywood-Kinos, insbesondere seine Blütezeit in den 20er und 30er Jahren. Der folgende Exkurs in die Geburtsstunde der Filmstars dient daher als Grundlage für die daran anschließende Herausarbeitung von parallelen und unterschiedlichen Entwicklungen im Bereich der Musik.
Exkurs zur Entstehung der Filmstars Die Entwicklung der Filmindustrie stellte eine wichtige Komponente bei der Herausbildung der modernen amerikanischen Konsumkultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. Indem sich die Arbeitszeit zunehmend verkürzte, konnten Freizeitaktivitäten verstärkt in den Alltag integriert werden. Entsprechend gewannen Mode, Autos, Möbel und weitere Aspekte eines zeitgemäßen Lebensstils an Bedeutung. Das Kino lieferte die zugehörigen Bilderwelten. Beginnend mit dem ersten Kinomatographen 1895 in New York wurden zunächst Kurzfilme in die Vaudeville-Veranstaltungen integriert, die wiederum von den in Restaurants und Geschäften aufgestellten, zwischen 1905 und 1912 dominierenden Nickelodeons abgelöst wurden. In
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diesen Jahren galt die Aufmerksamkeit dabei allerdings vor allem der Filmtechnik an sich und ihren Möglichkeiten der Erzeugung von Illusion,87 nicht aber der narrativen Handlung oder gar den Schauspielern. War es zu Vaudeville-Zeiten bereits Usus, Veranstaltungen gezielt mit den Namen der Darsteller anzuwerben, wurde dies von den Filmproduzenten zunächst nicht übernommen, um sich bewusst von dieser Praxis abzusetzen. Die Produktionsfirmen verfolgten vielmehr das Interesse ihren eigenen Namen zu promoten, auch weil sie ansonsten eine nicht unerhebliche Gagenerhöhung für ihre Darsteller befürchteten. Gleichzeitig wollten die Schauspieler nicht, dass ihre Namen genannt werden, aus Angst, keine weiteren TheaterEngagements zu erhalten und ihren guten Ruf zu riskieren, da Film noch nicht als seriöses Medium anerkannt war.88 Nichtsdestotrotz wuchs aber das Interesse an den Filmpersönlichkeiten in hohem Maße. So nannten die Kinogänger auf die Frage nach ihrem Lieblingsfilm in einem der ersten Filmmagazine (»Motion Picture Story«) keine Filme und schon gar nicht die Namen von Produktionsfirmen deren Filme sie schätzten, sondern beschrieben einzelne Schauspieler.89 Schnell erkannten die Produktionsfirmen daher die Chance, ihre Filme mit Hilfe der Darsteller in umfassender Weise anzuwerben und durch herausragende Schauspieler Wettbewerbsvorteile zu erzielen.90 Frühe Formen der Promotion bestanden nach der reinen Namensnennung der Schauspieler (zum ersten Mal 1908 von Kalem und Edison) zunächst im Abdruck von Fotos der Darsteller und Informationen zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten in den ab 1909 entstehenden Filmzeitschriften wie »Moving Picture World«, »Photoplay« u.a., die ansonsten zumeist aus Zusammenfassungen aktueller Filme bestanden. DeCordova91 unterscheidet diese »Picture Personalities« von den eigentlichen Stars, da lediglich Aspekte des professionellen Alltags über sie verbreitet wurden. Stars hingegen treten sowohl in Bezug auf ihre schauspielerische Tätigkeit als auch durch Informationen über ihr Privatleben in Erscheinung. Als Initialzünding des Startums fungiert dabei in den meisten filmhistorischen Darstellungen der legendäre »Carl-Laemmle-Stunt« von 1910.92 87 88 89 90
Vgl. McDonald 1998, S. 177 und McDonald 1953, S. 450. McDonald 1953, S. 449. McDonald, ebd. Dieser Prozeß wurde vor allem durch die starken Konkurrenzkämpfe auf dem Filmmarkt vorangetrieben. 1908 fusionierten Edison und Biograph zur Motion Picture Patents Company (MPPC) und kontrollierten damit die gesamte Branche, so dass insbesondere die unabhängigen Studios ein Mittel brauchten, sich gegenüber den anderen abzusetzen. Zudem wurden die Filme ab 1915 deutlich länger und damit teurer und erforderten daher eine effektivere und individuellere Promotion (vgl. Gamson 1994, S. 24f.). 91 Vgl. DeCordova 1990. 92 Gemeint ist hiermit eine geschickt lancierte Pressemitteilung über einen Unfall, bei dem die beliebte Schauspielerin Florence Lawrence ums Leben ge-
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Ein regelmäßiger Diskurs über das Privatleben begann ab 1914 in den o.g. Zeitschriften vor allem in Form kleiner Kurzgeschichten teilweise rein fiktional, teilweise mit Wahrheitsanspruch. Durch diese Geschichten sollte zunächst vor allem das Negativ-Image des Kinos insgesamt bekämpft werden, indem betont wurde, dass die Schauspieler ein normales (Familien)Leben führten und keine unmoralischen Persönlichkeiten seien.93 Gleichzeitig wurden die Zeitschriften mit Leseranfragen bzgl. Alter, Familienstand, Haar- und Augenfarbe der Darsteller überflutet.94 Wurden Auskünfte über das Liebesleben dabei zunächst noch von den Redaktionen unterbunden (z.B. bei »Photoplay«), so schalteten dieselben Zeitschriften bereits kurze Zeit später selbst Serien unter der Rubrik »Who’s Whose«.95 Seit Entstehung der National Screen Services 1919 konnten die Filmvorführer zahlreiches Star-Material (Lobby-Karten, Banner, Fotos etc.) für Werbezwecke nutzen. Zu dieser Zeit gab es bereits Poster, die nicht mehr unbedingt eine Filmhandlung abbildeten und starbezogene Events wie z.B. Charlie Chaplin-Look-Alike-Contests.96 Mit der Vermehrung des Kapitals in der Unterhaltungsindustrie in den 20er und 30er Jahren wuchs auch die Kontrolle über die Stars. Mitte der 30er Jahre existierte ein äußerst rigides System zur Produktion artifizieller Images idealer Persönlichkeiten, in das einzelne Akteure zu integrieren waren. Gleichzeitig wurden aber auch kritische Stimmen laut, die die Stars zunehmend als Produkt kommerzieller Kreation bewerteten, die mit einem bewusst falschen Image vermarktet wurden.97 Als Reaktion hierauf erfuhr die stark ausgeprägte Glamour-Note bei der öffentlichen Präsentation eine Reduktion, wobei die artifizielle Produktion nicht verleugnet wurde, aber dem Fan suggeriert wurde, auch die »echte« Person »kennen zu lernen«. Diesen Zweck erfüllten vor allem die sog. »Inside-Stories«, die zeigten, dass die Stars den Lesern ähnlich sind, dass auch sie Liebesglück und Liebesleid erfahren, hart an sich arbeiten und für die Berühmtheit einen hohen Preis zahlen. Die Faszination des profanen Alltags, die in der medialen Berichterstattung zunahm (»how they look morning, noon and night«) diagnostiziert Gamson als Auflösung der Korrespondenz von »Größe« und
93 94 95 96 97
kommen sei. Kurze Zeit später wurde diese Mitteilung widerrufen, um lediglich ihren Wechsel von einer Filmproduktionsfirma zur anderen bekannt zu geben. Beim ersten öffentlichen Auftritt der Schauspielerin nach dem »Unfall« empfingen sie mehr Menschen als beim Besuch des Präsidenten. Sie umringten Lawrence, versuchten, sie aus der Nähe zu sehen und mit ihr zu sprechen, rissen Knöpfe von ihrem Mantel und nahmen ihr den Hut weg. Vgl. McDonald 1953, S. 449. Vgl. DeCordova 1990, S. 102f. Vgl. McDonald 1953, S. 458. Vgl. DeCordova 1990, S. 105f. Vgl. Gaines 1991, S. 38. Vgl. Gamson 1994, S. 35.
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Prominenz.98 Dies wird auch an der Entwicklung der Stars von Göttlichen zu Sterblichen (»from gods to mortals«) ersichtlich. Wirkten die Schauspieler zu Beginn des Mediums Film noch als unwirkliche, überirdische Wesen, näherten sie sich im Zuge der neuen Möglichkeiten realistischer Darstellung dem Modell des idealisierten Normal-Menschen (»blown-up version of the typical«) an.99 So waren auch ihre Werte und Wünsche nicht grundlegend von denen der Rezipienten verschieden mit dem kleinen Unterschied, dass die Stars diese auch ausleben konnten. Dabei verkörperten die Stars zunehmend nicht mehr die mit sozialer Bedeutsamkeit und moralischem Anspruch verknüpften Werte im Sinne eines Leitbilds, sondern präsentierten eine spezifische Persönlichkeit als Qualität an sich (»personality as the quality of being somebody«).100 Diese Erkenntnis deckt sich auch mit den Ergebnissen von Lowenthal, der feststellt, dass bereits in den 40er Jahren fast alle Biographien über Personen veröffentlicht wurden, die der Freizeitkultur angehörten. Daher wurden notwendigerweise eher Alltagsgeschichten und persönliche Details als herausragende Heldentaten präsentiert.101 Diese Aspekte machen deutlich, dass Stars immer die jeweils relevanten Werte und Normen verkörpern und dadurch Teil der kulturellen Auseinandersetzung mit den zentralen Belangen einer Gesellschaft sind. So bieten die moralischen und leistungsorientierten Werte Modelle der Selbstbeherrschung wie sie im frühen Kapitalismus nötig waren, die glamouröskreative Inszenierung reiner Persönlichkeit hingegen kann als Zeichen einer Überflussgesellschaft gewertet werden.102 Das Ende des klassischen Star-Systems wird zumeist mit der Krise der Filmindustrie in den 50er Jahren in Verbindung gesetzt, für die insbesondere das Fernsehen als neu hinzu getretene Konkurrenz verantwortlich gemacht wurde.103 Durch seine große Reichweite und seine Serialität, die kontinuierliche, audiovisuelle Kontaktpunkte mit einer verehrten Person ermöglicht, wurde das Fernsehen zu einem zentralen Vermittler starbezogener Erlebniseinheiten. Reality-Programme und Talk-Shows verstärkten dabei die Illusion von Intimität und natürlicher Normalität. Das Fernsehen fördert somit die Entstehung neuer Star-Typen (z.B. »Junge von nebenan«, »das Opfer« etc.), die allerdings auch in Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung der Jugendkulturen gesehen werden können.104 In Folge dieser Weiterentwicklungen nahm die Kontrolle der Filmstudios an der aktiven Image-Konstruktion deutlich ab. Eine vollständige 98 Vgl. ebd., S. 28. 99 Vgl. ebd., S. 29. 100 Vgl. ebd., S. 223. 101 Löwenthal 1964, S. 115. 102 Vgl. Gamson 1994, S. 31. 103 Vgl. z.B. Gamson 1994, S. 41, Faulstich/Korte 1997, S. 15. 104 Hayward 2000, S. 350.
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Überlappung zwischen Starimage und Filmrolle ließ sich nicht mehr herbeizwingen, vielmehr agierten die Darsteller nunmehr als unabhängige Freiberufler, die sich durch Agenturen und Imageberater unterstützen ließen.
Zentrale Ambivalenzen des Filmstars In der einschlägigen Star-Literatur lassen sich drei übergeordnete Dimensionen identifizieren, die für die Darstellung von Filmstars herangezogen werden, demnach für das Verständnis des Gesamtphänomens als bedeutsam einzuordnen sind und eine Basis für die empirische Analyse bilden. DeCordova zeigt, wie sich die für Stars konstitutive Ambivalenz »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit« hier besonders auszuprägen beginnt. So war beispielsweise die Berichterstattung über die Wohnhäuser der Stars zunächst mit Konventionalität, Normalität und Stabilität konnotiert; immer mehr wurde jedoch die Größe und Luxusausstattung derselben und damit der Aspekt des Geltungskonsums betont. Gleichzeitig wurde ausführlich über die exklusiven Freizeitaktivitäten und den modischen Geschmack berichtet, wodurch Stars personifizierte Ideale des beginnenden Konsumzeitalters repräsentierten. Auch Lowenthal zeigt in seiner Studie, wie Prominente von »idols of production« zu »idols of consumption« werden.105 So war die Präsentation der Stars zwar einerseits an die traditionellen moralischen Codes eines geordneten Lebens gebunden, andererseits erschien der Star aber auch als jemand, der sich völlig frei ausdrücken und die entstehende Konsumkultur in vollen Zügen genießen konnte.106 Auch die Ambivalenz »Nähe/Distanz« erhält durch das Medium Film neue Variationsmöglichkeiten. Konnte bei den früheren Prominenzphänomenen Nähe zur verehrten Figur nur als seltenes wenn überhaupt real erfahrbares Ereignis oder als gefühlte Nähe durch Berichterstattung über die Person erlebt werden, so erzeugt der Film zumindest eine imaginärvisuelle Nähe. Der Darsteller kann trotz physischer Abwesenheit als lebensecht agierender Mensch in massenhafter Vervielfältigung von einem Publikum wahrgenommen werden. Mit der Entstehung des Tonfilms wurde der Realitätseindruck dabei noch intensiviert. Insbesondere der Technik des Close-Up 1908 von D.W. Griffith eingeführt wird in diesem Zusammenhang ein erheblicher Einfluss auf die Verstärkung der Star-Verehrung zugeschrieben.107 Der quasi intime Blick in das Gesicht ermöglicht eine Konzentration auf Ausdruck und Gefühl durch Ausblendung von Handlung und Setting. Auch wenn die Variation des Gesichtsausdrucks auf gelernten Konventionen beruht und für die Schauspieler zum Handwerk gehört, hat 105 106 107
Vgl. Lowenthal 1964, S. 82. Vgl. deCordova, S. 109. Vgl. Dyer 1979, S. 16f., vgl. Gamson 1994, S. 221.
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der Zuschauer den Eindruck, einen unvermittelten Blick auf die Person zu erhaschen, sie sozusagen zu »erobern« (»capturing«) und hinter ihre Fassade zu blicken.108 Außerdem lässt der isolierte und konzentrierte Blick in das Gesicht den Schauspieler in besonderem Maße als einzigartige Persönlichkeit erscheinen. Eine dritte Ambivalenz betrifft die Koexistenz von »Realität und Fiktion«. Da der Star sowohl als fiktionaler Charakter (durch seine Rolle im Film), als Schauspieler und durch die oben erwähnten erweiterten StarDiskurse in Zeitschriften auch als biographische Person wahrgenommen wird, muss das Verhältnis zwischen diesen verschiedenen Identitätsebenen immer eine gewisse Gestaltung erfahren. Auch den Filmproduzenten blieb die gegenseitige Verstärkung von professioneller und privater Identität nicht verborgen, und sie erkannten die Notwendigkeit, diese Wechselwirkungen zu kontrollieren und profitorientiert einzusetzen.109 Ihr Interesse galt dabei einem kohärenten und widerspruchsfreien Bild der Darsteller auf allen Ebenen. Spezifische Schauspieler-Identitäten wurden damit ein zentrales Mittel zur Produktdifferenzierung, indem sie ein einzigartiges, intertextuell vermitteltes Persönlichkeitsmonopol ausbildeten und kultivierten. Die Präsentation war dabei durch ein komplexes Verhältnis von Informationen und Verheimlichungen oder angedeuteten Geheimnissen bestimmt, das Neugier und Interesse des Publikums wach hielt.110 Durch Optionsverträge mit den Stars erwarben die Studios das exklusive Recht an der Person; der Darsteller erklärte sich somit bereit, »to act, sing, pose, speak or perform in such roles as the producer may designate«.111 Wie der kurze Abriss des Filmstars verdeutlichte, ist das Ideal einer totalen Kohärenz der verschiedenen Identitätsebenen vor allem in der frühen Boom-Phase des Kinos handlungsleitend. Da aber gerade diese Zeit die Vorstellungen von Stars und Starvermarktung bis heute prägt, sind die hier zum Tragen kommenden Strategien ein wichtiger Ausgangspunkt sowohl für den Vergleich von Stars unterschiedlicher Jahrzehnte als auch unterschiedlicher Berufsfelder, womit wir wieder auf das musikalische Terrain zurückkehren.
Starmusiker bis 1950 Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, ist die Entwicklung des musikalischen Startums insbesondere in Bezug auf Stars der populären Musik eng mit der massenhaften Reproduktion von Liedern verknüpft. 108 109 110 111
Vgl. Dyer 1979, S. 17. Gezielte »specification« vor allem zwischen 1919 und 1935 zu Zeiten der starken Konzentration der Majors (vgl. Gaines 1991, S. 36f.). Vgl. Marshall 1997, S. 81. Klaprat, S. 375. Hierzu gehörten auch die öffentlichen Auftritte, Interviews etc.
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Der Notendruck und -handel im 19. Jahrhundert, der vor allem auch in Zusammenhang mit der Verbreitung des Klaviers als wichtigstem Hausinstrument zu betrachten ist, kann hierfür als wesentlicher Vorlauf angesehen werden.112 Durch die amerikanischen Music-Halls und Vaudeville-Theater expandierte dieser Markt zusätzlich, wobei die Musiker als Instrumente zur Promotion von Songs fungierten. Der Abdruck des Interpretennamens auf dem Noten-Deckblatt verstärkte die Verknüpfung zwischen Interpret und Song und damit auch die Bekanntheit des Musikers, da die Songs bereits Ende des 19. Jahrhunderts zum Teil millionenfach verkauft wurden.113 Dieser Aspekt ist insofern von Interesse, als die Plattenindustrie auf dieses hier etablierte Starsystem aufbaute, indem der in den Noten erwähnte Interpret als Repräsentant der »offiziellen« Version galt.114 Zunächst standen allerdings auch in der Musik parallel zum Film weniger die auf dem Medium gebannten Inhalte, sondern die technische Faszination im Vordergrund bzw. waren lediglich diejenigen Musikinhalte von Interesse, die die Vorzüge der Geräte unterstrichen.115 Die mit der Erfindung des Edison-Phonographen 1877 eingeleitete rasante Entwicklung der Musikindustrie116 erforderte jedoch in Anbetracht der wachsenden Konkurrenz eine schnelle Orientierung bezüglich inhaltlicher Ausrichtungen. Diese ergab sich vor allem durch die Zusammenschlüsse von Musikverlagen und Plattenfirmen, nachdem die mechanische Reproduktion ebenso wie der Notendruck unter das Vervielfältigungsrecht gestellt wurde. Somit erhielten die Verlage eine Verwertungsquelle und die Plattenfirmen eine Repertoirequelle.117 War technische Musikreproduktion für die Allgemeinheit vorerst nur im öffentlichen Raum erfahrbar z.B. durch Phonographen, die wie Nickelodeons in Restaurants und Bars aufgestellt wurden so etablierten sich bald darauf Geräte für den häuslichen Gebrauch. Im Unterschied zum Film wurde hier also wesentlich früher der Grundstein für eine Privatisierung der Rezeption gelegt, die eine persönliche Bindung an den Musiker wesentlich begünstigte. Interessant im Hinblick auf das Starphänomen ist die Tatsache, dass die entscheidenden Entwicklungsschritte, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurden, hier noch einmal im Zeitraffer durchlaufen werden. So ist auch hier die musikalische Leistung des Interpreten nicht per se Selbstzweck, sondern dient zunächst dem Absatz von entsprechenden Geräten und der Fixierung und damit Zugänglichkeit eines bestimmten 112 113 114 115 116
117
Vgl. Wicke 1997, S. 5f. und Marshall 1997, S. 150f. Vgl. Marshall 1997, S. 151. Vgl. ebd. Wicke 1997, S. 8. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Tonträgerfirmen in Europa. In Deutschland stieg die Zahl der hier tätigen Unternehmen schnell auf über einhundert an (vgl. Wicke 1997, S. 7f.). Vgl. Wicke 1997, S. 9.
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Stücks. Dies betrifft aber auch die Trennung zwischen Musiker und Publikum und die Fokussierung auf den Solo-Star bzw. die Band als identifizierbare Einzelpersönlichkeiten. Reproduzierten die Hörer während des Notenbooms noch selbst, sind sie nun nicht mehr auf entsprechende Notenkenntnisse angewiesen und können als reine Hörer agieren und dabei trotzdem adäquat an der Musik partizipieren. Dies liegt weniger in der Komplexität der Musik begründet als in der technischen Perfektion der »offiziellen« Version, die für sich selbst stehen kann und keiner weiteren Reproduktion bedarf, um die Gültigkeit des Stücks zu legitimieren. Die Konzentration auf den Musiker lässt sich durch verschiedene Aspekte erklären: Zum einen ermöglichen die Vervielfältigung von Einspielungen und klangliche Verbesserungen, die mit Hilfe des elektrischen Aufzeichnungsverfahrens (seit 1925) und mit dem neuen Medium Radio (Einführung USA 1920, Deutschland 1923) erzielt wurden, eine Fokussierung auf Unterschiede in den Aufnahmen gleicher Stücke und lenken die Aufmerksamkeit somit bereits in Richtung Interpret. Zum anderen spielt die Marktsegmentierung durch Erschließung neuer Repertoirebereiche (also die Integration von Blues, Country etc.), wie sie von Plattenfirmen und Radio als notwendige Maßnahme zur Produktdifferenzierung betrieben wurde, eine wichtige Rolle.118 Diese Differenzierung geht gleichzeitig mit einer Generalisierung regionaler Unterschiede einher. Die Vaudeville- und MusicHall-Sänger waren ursprünglich lokale Berühmtheiten, die ihre regionale Musik bei Erfolg auch an anderen Orten präsentierten. Entsprechend waren die ersten Interpreten, die in den 20er Jahren ihre Stücke einspielten, meist schon ältere Teilzeitmusiker, die mit ihrem Stil bereits eine gewisse Bekanntheit erlangt hatten (z.B. Fiddlin’ John Carson, Charlie Oaks etc.). Schnell wurde deutlich, dass das Publikum den präsentierten Stil weniger der Region als der Person selbst zuschrieb,119 und ähnlich wie beim Film nutzten die Produzenten bzw. Interpreten dieses Potential: Sie lösten die Musik zunehmend von ihrer regionalen Quelle ab bzw. präsentierten sie in stilisierter Form und stellten den Musiker ins Zentrum für die Produktion neuer Songs im gleichen Stil. Bereits in den 40er Jahren wurde der persönliche Stil so zu einer Ressource, aus der neue Melodien gezogen und anschließend »personalisiert« wurden.120 Somit wird der Wegfall der Differenz auf Basis von regionaler Zugehörigkeit durch neu entstehende urbane Geschmackskulturen ersetzt, die allerdings neue Konzepte von Authentizi118
119 120
Erste Bluesaufnahmen gab es bereits 1920. Die Integration sogenannter »schwarzer« Musik in den Rundfunk erfolgte ab den frühen 40er Jahren ausgelöst durch einen Copyright-Streits, der die Erschließung preisgünstiger, nichtlizensierter Musiksparten erforderte (vgl. Wicke 1997, S. 10f. und Marshall 1997, S. 157). Vgl. Marshall 1997, S. 153. Vgl. ebd.
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tät benötigen, wie vor allem das folgende Kapitel zeigen wird. Wird Authentizität zu Beginn mit technischer Perfektion gleichgesetzt (Stimme klingt »wie in echt«), so bilden sich auch in diesem Bereich in direktem Anschluss Personalisierungstendenzen aus. So stehen seit Erfindung des Mikrophons nicht mehr Volumen und Stimmumfang im Zentrum wie z.B. bei Enrico Caruso, dem ersten Star des Phonographen vielmehr rückt der Aspekt der Intimität ins Zentrum. Vergleichbar mit dem Close-Up des Kinos ermöglicht diese Technik eine besondere Form illusionärer Nähe. »Bing Crosby, along with a host of other singers known as crooners, managed to use the microphone as if he were singing quietly to one other person«.121 Der entspannte Crooning-Style der 30er Jahre bildet somit die Ausgangsbasis für die Entwicklung eines persönlichen Stils mit dem Ziel, ein spezifisches Set von Emotionen in möglichst direkter Weise auszudrücken. Schon bald konzentriert sich dieser Stil nicht mehr nur auf die Stimme, sondern integriert zusätzliche Performance-Codes. Johnnie Ray wird dabei häufig als direkter Vorläufer des Rock’n’Roll-Stars bezeichnet, da mit ihm der Beginn einer Tradition expressiver Individualität verknüpft wird, die die Inszenierung von Körper und Sexualität bewusst mit einbezieht. So war er im Gegensatz zum lediglich schnippenden Sinatra für seine wilde Gestik bekannt und fiel am Ende eines Stücks häufig dramatisch auf die Knie, wobei er das Mikro innig umarmte.122 Crosby, Sinatra und Ray können zwar auch im Hinblick auf die Faszination eines großen Publikums als frühe Typen von Popstars eingeordnet werden. Insbesondere das Radio wird mit Einführung des »HitKonzepts« (Top-40-Radio) zu einem zentralen Marketinginstrument, da nun eine permanente Präsenz einer geringen Auswahl von Stücken gewährleistet war, die die Fokussierung auf den Interpreten verstärken. Die Herausbildung und Vermarktung eines persönlichen Stils bzw. des Persönlichkeitskonstrukts eines Interpreten wird jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem etablierten strategischen Prinzip in der Produktion populärer Musik. Dies lässt sich auch dadurch erklären, dass der kommerzielle Prozess bis zum Ende der 40er Jahre vor allem angebotsabhängig verlief.123 Wie im Film wird der Star daher erst bei sinkender Nachfrage bzw. hohem Konkurrenzdruck als Mittel zur Produktdifferenzierung instrumentalisiert.
Starmusiker ab 1950 Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ist sowohl auf der Produktions- wie Rezeptionsseite durch wesentliche Veränderungen gekennzeichnet, die neue Bedingungen für den musikindustriellen Gesamtzusammenhang be121 122 123
Ebd., S. 156. Vgl. ebd., S. 157f. Vgl. Wicke 1993, S. 9.
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reitstellen und die Herausbildung des internationalen, medialen Stars vorantreiben. Strukturell bedeutsam sind aber vor allem die technologischen Neuerungen: Durch die Nutzung von Vinyl statt Schellack ließen sich Schallplatten erheblich günstiger herstellen und damit massenhaft verkaufen. Als preiswerter »Appetizer« konnte dabei vor allem die Single (seit 1948) große Käuferkreise generieren124 und schaffte hierdurch die Grundlage für die Akzeptanz der Langspielplatte in den 60er Jahren,125 die seit ihrer Einführung 1948 bisher vorwiegend im klassischen Bereich Verbreitung fand. Mit Hilfe des elektromagnetischen Aufzeichnungsverfahrens wurde im folgenden die Kassette als neues Tonträgerformat entdeckt, bei der insbesondere die Möglichkeit zur eigenen Zusammenstellung von Stücken einen Vorteil darstellte. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung konnte schließlich die CD (Einführung 1983) ein Maximum an Klangqualität für die häusliche Umgebung gewährleisten. Spielte für die Promotion der Tonträger neben den Plattenfirmen vor allem der Rundfunk zunächst die entscheidende Rolle, wurde diese Funktion seit Einführung des Musikfernsehens zunehmend durch den Videoclip erfüllt.126 Mit der Erschließung eines Massenmarktes wurden Tonträger somit zu authentischen Repräsentanten ihrer Inhalte. Dies gilt nicht nur für die Stücke, deren gedruckte Version nun vollends obsolet wurde,127 sondern auch für den Musiker. Der Tonträger bzw. die auf ihm enthaltenen Songs werden damit zum Symbol für den jeweiligen Musiker, Song und Star werden zu einer Einheit musikbezogener Wissens- und Erfahrungsbestände. Die Konsumentenseite ist seit den 50er Jahren vor allem durch die neuen Einflusskompetenzen kaufbereiter Jugendlicher geprägt, indem die Bereitstellung von frei verfügbarem Geld und die Zunahme von Freizeitangeboten unterschiedlichster Couleur die Gestaltung eines umfassenden Lebensstils ermöglichen.128 Die Ausdifferenzierung spezifischer Jugendkulturen und -szenen in den folgenden Jahrzehnten erzeugt aber nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit zur bewussten Identitätskonstruktion, da die Auflösung etablierter Werte- und Hierarchiestrukturen eine eigenständige Verortung im sozio-kulturellen Raum erfordert, die dem Umfeld signalisiert, zu wem man gehört oder gerade nicht, wofür man einsteht bzw. was man als irrelevant erachtet. Diese Kommunikationsfunktion lässt sich u.a. durch Auswahl, Erwerb und Verwendung kultureller Güter realisieren. So bilden vor allem Film und Musik komplexe, aber auch ste124 125 126 127
128
Vgl. Wicke 1997, S. 14. Vgl. Wicke 1993, S. 12. Vgl. Wicke 1997, S. 4 und S. 15. Die Ablösung vom Notentext ist auch durch die Einführung des Mehrspurverfahrens bedingt, da nun klangliche Veränderungen vorgenommen werden konnten, die sich nicht in Noten darstellen ließen (Vgl. Wicke 1997, S. 14). Vgl. Marshall 1997, S. 159 und Faulstich 1997, S. 157.
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reotype und daher leicht dekodierbare Symbolsysteme aus, deren mehr oder weniger gezielte Nutzung und Vernetzung nun zu einem essentiellen Bestandteil des Alltags wird. Der musikindustrielle Apparat konzentriert sich daher auf die Schnittstelle zwischen Musik und Publikum und strukturiert nachfrage- und vertriebsorientierte Angebote in Form unterschiedlicher Repertoiresegmente.129 Mit Hilfe von Marketing, Promotion und Werbung wird dabei nicht nur Musik selbst, sondern ein umfassendes Lebensgefühl verkauft, indem das auditive Material in vielschichtige Bilderwelten integriert und durch den exponierten Star verkörpert wird. Dieser Aspekt verweist auch auf die zunehmende Bedeutung von Public Relations allgemein und ihren Einfluss auf Prozesse der Stargenese und -vermittlung. Indem die Marktsegmentierung vor allem seit den 60er Jahren für diverse Unterhaltungs- und Freizeitbereiche rapide voranschreitet, wird die Erschließung neuer Marktnischen und Zielgruppen zur Voraussetzung erfolgreichen wirtschaftlichen Handelns. Die ehemals klassenorientierte Werbewirtschaft richtet ihr Augenmerk auf Lebensstile und Einstellungen und die Massenmedien differenzieren ihre Themenspektren durch entsprechende Spartenprogramme (Fernsehen) und Ausweitung des Zeitschriftenangebots. Der Star fungiert in diesem Zusammenhang einerseits als Synthese vielfältiger und teilweise widersprüchlicher Bedeutungen, indem er abstrakte Wertewelten erlebbar macht, diese durch seine Gegenwart emotionalisiert und damit zum prototypischen Repräsentanten eines Stils avanciert. Neben dieser integrativen Komponente ist er aber auch ein differenzierendes Element, da er sich durch seine individuelle Persönlichkeitsstruktur von Vertretern anderer, aber auch seines eigenen Genres abhebt und stilistische Aspekte dabei als Ausdruck eigener Erfahrungen und Befindlichkeiten kommuniziert. Durch die eingangs erwähnten technologischen Voraussetzungen kann er somit durch häusliche und transportable Abspielgeräte, die sich in der Entwicklung vom Transistorradio über den Kassettenrekorder bis hin zu Walkman und iPod immer mehr personalisieren, aber auch Zeitschriften und Internet für die Rezipienten zu einem ständigen, imaginären Begleiter werden. Seit den 50er Jahren nehmen dabei äußerst verschiedene Typen von Musikstars in der jeweiligen Zeit eine Vorreiterposition ein. Parallel zum Film läßt sich auch hier zunächst ein klassisches Starsystem identifizieren, das sich dann immer mehr ausdifferenziert und göttliche Stars auf den Idealtypus der Normalität herunterschraubt, um das Starprinzip schließlich im Zuge verstärkter Fragmentarisierung der Medienwelten auszuhöhlen bzw. zu synthetisieren.
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Vgl. Wicke 1997, S. 20.
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In den 50er Jahren manifestiert sich zunächst im Rock’n’Roll die bereits thematisierte Tendenz, bestimmte Stücke mit einem konkreten Interpreten zu verknüpfen. Vor allem Elvis Presley gilt in diesem Zusammenhang als Prototyp des internationalen Rockstars, dessen Musik von den Fans als Ausdruck seiner Persönlichkeit und seiner Epoche erlebt wurde. Als Leitfigur einer neuen Generation von Jugendlichen fungiert er als zentrale Symbolfigur für den Protest gegen die konservative Kultur der Eltern.130 Dies vermittelt sich sowohl durch Songtexte als auch Musik, welche insbesondere in Verbindung mit dem »hip-shaking« als wichtigem Element der Bühnenperformance einen absatzfördernden Aufruhr und damit einhergehende Polarisierung erzeugt. »Elvis the Pelvis« so das zugehörige Labeling war dabei trotz wahrgenommener Authentizität ebenso Ergebnis eines ausgeklügelten Marketingkonzepts,131 das sich in fotografischen Inszenierungen, narrativen Erzählmustern (insbesondere bezüglich seines kometenhaften Aufstiegs) und biographischen Informationen niederschlug und für Produktwerbung und Promotion von Filmen weiter verwertet wurde. Während der Rock’n’Roll der 50er Jahre somit einen wichtigen Austragungsort eines übergeordneten Generationenkonflikts darstellt,132 stehen Freizeit und Konsum in der folgenden Generation nicht mehr in direktem Widerspruch zu Arbeit und Produktion. Der Rockstar bildet zwar weiterhin ein Gegengewicht zum Establishment, aber weniger als Rebell, sondern als positive Alternative.133 Parallel zum Film nimmt die Bedeutung der Identifikationsmöglichkeit im Verhältnis zur rein projektiven Funktionalisierung, durch die der Star als Konzeption von Wünschenswertem und gleichzeitig Unerreichbarem in Erscheinung tritt, auch hier deutlich zu. So stehen jetzt Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit im Zentrum musikalischer Bedeutungssysteme. Authentifizierung wird dabei sowohl durch die Vermeidung jeglichen Glamours (teure Kleidung, Make-Up etc.) als auch durch Betonung der eigenen Kreativität erreicht. So wird der Singer-Songwriter insbesondere die Leitfigur Bob Dylan zum neuen Idealtypus des moralisch integren, selbst komponierenden Starmusikers, dessen Leistung vor allem in der Fähigkeit besteht, den Hörern glaubhaft zu vermitteln, dass die Musik direkter Spiegel seiner Persönlichkeit ist. Indem der Star als »Alter Ego« der Fans agiert, wird er gleichzeitig ein virtuelles Mitglied seiner Fangemeinde, obwohl er realiter gerade nicht »einer von ihnen« ist. Gerade diese in der Schwebe gehaltene und trotzdem enge Affinität zu einer loyalen Community erklärt einen wesentlichen Teil der kulturellen Definitionsmacht des Popstars und verweist erneut auf die
130 131 132 133
Vgl. Faulstich 1997, S. 159ff. Vgl. Wicke 1993, S. 10f. Vgl. Marshall 1997, S. 160f. Vgl. Faulstich 1997, S. 161f.
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Nähe/Distanz-Relation. In diesem Zusammenhang nimmt auch die Bedeutung einer Rückkopplung zwischen Band und Publikum zu.134 Als Ausgleich und Ergänzung der zwar durch mediale Produkte möglichen kontinuierlichen Beschäftigung mit dem Star bedarf es eines sinnlichen Komplements, das die medialen Erfahrungen zu eigenen werden lässt. Überschwängliche Starverehrung, wie sie vor allem mit der so bezeichneten »Beatlemania« assoziiert und bei tatsächlicher Gegenwärtigkeit des Stars ritualisiert wird, fungiert dabei als angestrebte Integration aller Sinne. Kreischen, Weinen, Berühren-Wollen oder der Besitz eines mit dem Star in Kontakt geratenen Gegenstands auch wenn es das durchgeschwitzte Handtuch ist werden als Form der Nähe erlebt, gleichzeitig aber auch als ungenügend empfunden, was wiederum den Anreiz weiterer Annäherung nur erhöht. Diese Suche einer wenigstens vermittelten Form der Nähe lässt sich also seit den Musikern des 19. Jahrhunderts beobachten. Wichtig scheint dabei das Agieren aus einer Masse heraus zu sein: Man ist mit seinem Gefühl nicht allein, sondern in einer solidarischen Gemeinde, kann aber für kleine Momente aus dieser Gemeinschaft herausgehoben werden, z.B. durch das obligatorische Auf-die-Bühne-holen während eines Konzerts, was die Illusion tatsächlicher Kommunikation mit dem Star weiter aufrecht erhält. Verkauften sich die Platten solch etablierter Stars zunächst quasi von allein, stößt dieses kurzzeitige Selbstläuferprinzip schnell an seine Grenzen. Auch »Natürlichkeit« erfordert bewusste Steuerung, um in einer zunehmend verdichteten und ausdifferenzierten Musikkultur Aufmerksamkeit zu erlangen. Ab Mitte der 60er Jahre wird Stabilisierung vor allem durch langfristig angelegte Vermarktungskonzepte angestrebt.135 Narrative Muster können hierbei von Album zu Album in Verbindung mit kontrollierten Einblicken in die Persönlichkeit zu einem dichten diskursiven Netz geknüpft werden. Diese aufwändige Strategie hat notwendigerweise eine Konzentration auf einzelne Musiker zur Folge, für die ein solcher Marketingaufwand betrieben werden kann. Die Polarisierung von äußerst erfolgreichen Top-Stars und Lokalmatadoren begegnete uns bereits zu Beginn dieser historischen Skizze und im 19. Jahrhundert hinsichtlich der zunehmenden Differenzierung von lokalem und überregionalem bzw. (inter)nationalem Kulturleben und verweist daher erneut auf die soziale Rangordnung als Ausgangspunkt und Resultat musikindustrieller Starsysteme. Das weitere Voranschreiten technologischer Entwicklungen, die ab Mitte der 70er Jahre auch die Integration von Synthesizern und Computern ermöglichen, stellt das Authentizitätsideal vor neue Herausforderungen. Die Frage, was synthetisch oder echt sei, lässt sich immer weniger beant134 135
Vgl. ebd., S. 165. Vgl. Wicke 1993, S. 13.
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worten. Auch der Videoclip als neues Popularisierungsinstrument nimmt diesbezüglich eine ambivalente Position ein. Einerseits konstituiert es eine neue Form der Nähe, indem der Star nun auch zu einer visuell erlebbaren Einheit wird und die musikalischen und biographischen Informationen um ständig aktualisierte, bewegte Erlebnishäppchen ergänzt werden. Andererseits konzentriert sich im Clip das fragmentarische Prinzip, das dem Fernsehen als Ganzem inhärent ist: So entsteht zwar ein kontinuierlicher Informationsfluss, dieser muss sich aber aus vielfältigen, bunt durcheinander gemischten Einheiten zusammensetzen, um immer wieder den Eindruck von Aktualität und »Action« zu erzeugen, mit dem Ziel, unterschiedlich interessierte Zuschauer dauerhaft zu binden. Eine erste wichtige Folge der Integration des Fernsehens in die Zirkulation starbezogener Informationen ist daher die Übersättigung, die eine Verkürzung der Lebenszyklen von Stars mit sich bringt.136 Das allgemeine Bewusstsein von Stars als kommerziellem, austauschbarem Produkt bewirkt dabei neuerdings eine Hinwendung zu Präsentationsmodi, die einen Schwerpunkt auf die Art der Herstellung legen (»how to manufacture a celebrity«).137 Prominentestes Beispiel hierfür sind die aktuellen Casting-Formate, in denen der Weg vom »Nobody« zum »Somebody« als modernes Drama verpackt wird und der Gewinner das Label »Star« als Siegprämie tragen darf. Hieraus leitet sich auch eine veränderte Bedeutung von Leistung ab. In Bezug auf den Beginn dieser Darstellung war Leistung zunächst Eintrittsbedingung in das System der Prominenten, daran anschließend ein notwendiges Komplement. Im 20. Jahrhundert ist sie durch ausdifferenzierte Wettbewerbs- und Auszeichnungsstrukturen zunehmend symbolisch repräsentiert und erscheint vor allen Dingen als Fähigkeit, die unterschiedlichen Darstellungsebenen von musikalischer Präsentation, persönlicher Integrität bis hin zu massenwirksamer Attraktivität miteinander zu einem erfolgreichen Produkt zu verknüpfen. Nunmehr ist es wie Hazlitt im 19. Jahrhundert bereits andeutete die Bekanntheit an sich, die zur Verehrung führt, indem die Einschleusung in die medialen Kanäle bereits als Leistung definiert wird. Somit können Stars durch ihre Bekanntheit weitere Bekanntheit und Erfolg erzeugen und aufrechterhalten, entsprechend der Definition von Boorstin: »The celebrity is a person who is known for his well-known ness«.138 Die zweite Folge der Erweiterung des medialen Angebots um Musiksender und Fernsehen im Allgemeinen bezieht sich daher auf die Verselbständigung von Image und Design. So rückt das Spiel mit immer neuen Erscheinungsbildern und wechselnden Identitäten wie es sich an Stars wie 136 137 138
Vgl. Saxer 1997, S. 209. Gamson 1994, S. 45. Boorstin 1992, S. 57.
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Michael Jackson und Madonna versinnbildlicht zunehmend ins Zentrum. Wird die intermediale Präsenz eines Stars zur umfassenden Repräsentation seiner Persönlichkeit, geht es prinzipiell immer weniger darum, mediale Informationen zu glauben, sondern an den Informationen und damit verbundenen Vorstellungen Spaß zu empfinden. Dies wird auch durch die Ironie in den medialen Texten unterstützt. Indem der Zuschauer in zynischer Distanz gegenüber dem Star erhöht wird, kann Bewunderung legitim aufrechterhalten werden. »Cynicism, irony and invitations behind the scenes engage where tuning out would be quite logical«.139 Somit ist es weniger die Person selbst bzw. sein Privatleben »wie es wirklich ist«, sondern vielmehr das öffentlich präsentierte Bild, die jeweiligen Präsentationsmodi und -plattformen, die bei seinem Publikum Aufmerksamkeit erzeugen. »The private self is no longer the ultimate truth. Instead, what is most true, most real, most trustworthy, is precisely the relentlessly performing public self«.140 Geht man noch einen Schritt weiter, erscheinen konkrete, von Stars repräsentierte Bedeutungssysteme, dadurch lediglich als austauschbare Oberflächen, die immer wieder neu an einzelne Personen geknüpft bzw. von ihnen gelöst werden können. » [...] the surface meaning system means that the system of veneration, the process of succesion of valued human identities, is more important than what any one of the individual celebrities may represent«.141 Somit bewegen sich Starmusiker «in einem abstrakten, ästhetisch inszenierten Universum, das keineswegs leer, aber außerordentlich offen ist«.142 In Verknüpfung mit der zunehmenden Bedeutung von PR-Techniken für sämtliche Bereiche öffentlichen Lebens bedingt diese Entwicklung auch eine starke Diffusion von Prominenz (Star-Manager, Star-Friseure, StarTrainer etc.), da die Möglichkeiten zur Verbreitung komplexer Images gleichzeitig auch die Notwendigkeit erzeugen, diese zu nutzen. Im Prinzip wurde die Wichtigkeit des persönlichen Impression-Managements bereits im Abschnitt zu den strukturellen Voraussetzungen von Prominenz festgestellt. Hier wird allerdings deutlich, wie sehr Erfolg durch die Kompetenz im Umgang mit den jeweiligen Inszenierungstechniken bestimmt ist. Wer die relevanten Kanäle und Stilmittel nicht nutzt (z.B. aus Prinzip) oder nicht nutzen kann (z.B. aufgrund fehlender Zugangsmöglichkeiten zu medialen Systemen) fällt in die öffentliche Bedeutungslosigkeit oder wie es der Medienmanager Hans R. Beierlein für die 90er Jahre formuliert: »Wer nicht im Fernsehen ist, ist tot.«143 Der Prominenz-Status fungiert somit als 139 140 141 142 143
Gamson 1994, S. 54. Gamson 1994, S. 50. Marshall 1997, S. 11. Wicke 1993, S. 16. Interview mit Hans R. Beierlein am 28.12.99 in München. Vgl. Neuhoff/ Borgstedt 2000.
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Modus, in dem eine Person Aufmerksamkeit zwar schnell erreichen kann,144 sie aber gleichzeitig aufgrund der zahlreichen Konkurrenzangebote auch schnell wieder zu verlieren droht. Auch wenn die These des zeitgenössischen Stars als reiner Oberflächenstruktur zutreffen sollte, wird seine Bedeutung hierdurch nicht geringer. Gerade in einer fragmentarisierten Öffentlichkeit stellen Name und visuelle Gesamterscheinung letzte Konstanten dar, die eine Zuordnung von diffus verbreiteten Produkten, Attributen und Werthaltungen ermöglichen und eine Orientierungsfunktion leisten. Die empirische Untersuchung im zweiten Teil dieser Arbeit zeigt des Weiteren deutliche genrespezifische Unterschiede, die eine Differenzierung dieser These erforderlich machen. So wirkt im Bereich klassischer Musik die Bedeutung professionsinterner Leistungen als wichtigstem Bewertungsfaktor weiter fort und kann die volkstümliche Musik ohne persönliche Integrität ihrer Interpreten nicht bestehen. Aber auch ein wandlungsfähiger Popstar wird hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit beurteilt, auch wenn sich dies zumeist auf die »gefühlte Echtheit« zur Schau gestellter Emotionen beschränkt. Authentizität erscheint somit als ein dauerhaftes Beurteilungskriterium, mit dem allerdings zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Stilrichtungen sehr variantenreich gespielt wird.
145
Monaco 1978, S. 7f.
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2. M U S I K S T A R S K O N Z E P T I O N E L L E A N N Ä H E R U N G 2.1 Theoretische Ansätze zum Verhältnis von Star und Image Wie der historische Teil zeigt, ist die Genese und Ausdifferenzierung vielfältiger Starsysteme nicht von den Massenmedien selbst zu trennen, da erst durch ihre Institutionalisierung Möglichkeiten bereitgestellt werden, herausragende Personen in mehreren Darstellungsmodalitäten für die Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Darüber hinaus verstärken die massenmedialen Präsentationsplattformen aber auch die Dialektik von »öffentlicher« und »privater« Person und manifestieren auf diese Weise eine zentrale Ambivalenz des Starphänomens. Da die massenhafte Bekanntheit persönliche Beziehungen zu den Anhängern per se ausschließt, existiert ein permanentes Informations-Defizit und ein entsprechendes Kontaktbedürfnis zur »wahren« Persönlichkeit. Die Medien liefern hierfür ersatzweise ein öffentliches Bild des Stars in Form einer attraktiven Persönlichkeitskonstruktion, die den tatsächlichen Eigenschaften des Stars nicht widersprechen muss, die geglaubt wird oder nicht, über deren Wahrheitsgehalt jedoch immer nur spekuliert werden kann. Die Dichotomie von »öffentlicher« und »privater« Identität lässt sich daher nicht auflösen, sondern ist im Gegenteil konstitutiver Bestandteil des Starphänomens. Entsprechend etabliert sich der Begriff des »Images«, der das Spannungsfeld von Realität und Fiktion optimal abbildet und mit dessen Hilfe sich sowohl strukturelle wie auch funktionale Aspekte beleuchten lassen, als zentrales Konzept für das Verständnis von Startum im (film)wissenschaftlichen Diskurs.
Erste Ansätze zur Systematisierung des Verhältnisses von Star und Image Bereits 1961 beschreibt Morin in seiner Pionierstudie »Les Stars« den Star als eine synkretische Persönlichkeit, bei der die reale Person nicht von der in den Traumfabriken konstruierten Person und der vom Betrachter rezipierten Person unterschieden werden kann.1 Differenzierungen der Persönlichkeitsebenen wurden im folgenden dennoch auf vielfältige Weise konzipiert. So entwickelte Heath eine Spezifizierung der jeweiligen Subjektposi1
Vgl. Gaines 1991, S. 34.
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tionierung entlang der Begriffe »agent«, »character«, »person«, »image« und »figure«, die die jeweilige Interaktion des Schauspielers mit dem Medium beschreiben.2 Konkretisieren die ersten beiden Kategorien die grundlegenden Funktionen des Schauspielers (Vorantreiben der narrativen Handlung und Herstellung einer psychologisch-thematischen Kohärenz durch Identifikation mit der Filmrolle), so bezieht sich die Person (»person«) auf den individuellen Körper des Schauspielers und stellt damit eine Vergegenständlichung von »agent« und »character« dar, indem der Körper im Film als visuelle Einheit und damit als real erlebt wird, auch wenn es sich bei der filmischen Darstellung notwendigerweise um eine Transformation des Körpers in eine Repräsentation desselben handelt. Darauf aufbauend bezeichnet Image die Umwandlung dieser Repräsentation in reine Vorstellung bzw. Gefühl durch die Integration von Person, Filmrolle und narrativer Handlungsentwicklung. Diese (imaginäre) Totalisierung der Persönlichkeit dient im Sinne einer narrativen Ökonomie (»narrative economy«) der Erzeugung von Homogenität, so dass das Image als Moment fiktionaler Kohärenz erscheint. Im Gegensatz dazu betont die letzte Kategorie die Dispersion des Subjekts, indem die Figur (»figure«) die permanente Zirkulation zwischen den ersten vier Kategorien beschreibt, die von keiner der Subjektpositionen unterbrochen werden kann. Die Figur dis-artikuliert damit das Image bzw. die Fiktion und verweist auf die Mobilität des Subjekts in der filmischen Produktion. Heath hebt also vor allem den symbiotischen Charakter des Images hervor, der den ganzheitlichen Eindruck des Stars bedingt und auf der glaubhaften Vernetzung sowohl realer als auch fiktionaler Komponenten basiert. Leitet Heath seine Begrifflichkeiten ausschließlich aus dem filmischen Kontext ab, bezieht Ellis auch andere Medien in die Konstruktion der Starpersönlichkeit ein. »The basic definition of a star is that of a performer in a particular medium whose figure enters into subsidiary forms of circulation, and then feeds back into future performances«.3 Vergleichbar mit Heath stellt der Film für ihn eine Instanz zur Herstellung eines vollkommenen Eindrucks dar, indem er eine Synthese aus den Einzelfragmenten bzw. den in einzelnen Medien aufgebauten Images einer Person bildet. Diese Images sind insofern paradox und inkohärent, als widersprüchliche Informationen aufeinandertreffen, die eine weitere Berichterstattung erforderlich werden lassen. Unvollständig sind sie, da immer nur Einzeleindrücke (Foto des Gesichts, Stimme etc.) angeboten werden, die zudem eher als Hinweisreize denn als konkrete Bedeutungen in Erscheinung treten. »The star image is paradoxical and incomplete so that it functions as an invitation to cinema,
2 3
Vgl. Heath 1975, S. 356. Ellis 1982, S. 91.
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like the narrative image. It proposes cinema as the completion of its lacks, the synthesis of its separate fragments«.4 Im Film verkörpert der Star also abgerundete, vollkommene Charaktere, da filmische Figuren durch die Einbindung in konkrete narrative Zusammenhänge relativ kohärente Identitäten ausbilden bzw. als solche erscheinen. Somit geht der Auftritt des Stars im Film über sein durch andere Medien verbreitetes Image hinaus. Die Filmrolle kann dabei in unterschiedlichem Verhältnis zum Image stehen: Sie kann ihm hinsichtlich der Hauptaspekte ähnlich sein, sie kann ihm widersprechen oder sie kann lediglich eine Seite des Images präsentieren.5 Die zentrale Funktion des Images, das außerhalb des Films zirkuliert, liegt für Ellis somit in der Erzeugung von Neugier auf den Star und seine Persönlichkeit, verbunden mit der Motivation zum Kinobesuch. Diese Neugier wird durch das Paradox von Gewöhnlichkeit und Außergewöhnlichkeit der einzigen Konstante jedes beliebigen Starimages6 am Leben gehalten. Für die vorliegende Untersuchung sind diese Erkenntnisse nur bedingt übertragbar, was sich vor allem aus den Unterschieden zwischen Film- und Musikstars herleitet. Die existierenden Korrespondenzen bieten für einen analytischen Zugang jedoch entscheidende Hinweise. So liefern auch im Bereich der Musik diverse Medien Einzelinformationen über einen Interpreten, die sich erst durch Einbeziehung einer Vielzahl verschiedener Reizeinheiten (Fotos, Interviews, Kritiken etc.) zu einem mehr oder weniger kohärenten Bild verknüpfen lassen. Dieses (mediale) Image ist dabei durchaus mit einem Puzzle zu vergleichen, bei dem das letzte Teilchen allerdings fehlt. Ein Puzzle setzt sich wie ein Image aus vielen Einzelteilen zusammen, die isoliert keinen Sinn ergeben oder zumindest äußerst interpretationsoffen sind, und deren Bedeutung erst durch die (mentale) Kombination der Elemente erschlossen werden kann. Auch ohne das fehlende Teilchen können wir die konstruierte Figur wiedererkennen und ihr bestimmte Eigenschaften zuordnen. Gleichzeitig bleibt aber immer das Gefühl des Unvollständigen, das uns weiterhin nach fehlenden Teilchen Ausschau halten lässt. Diese Analogie versinnbildlicht sich auch im fantypischen Sammelverhalten, das bei den Analysen sowohl für klassische als auch volkstümliche und Pop-Interpreten ein genreübergreifendes Charakteristikum darstellt. Wie beim Film werden so Erwartungshaltungen aufgebaut, die zum Kauf der primären Produkte animieren, um das erstellte Bild zu überprüfen. Ein funktionales Äquivalent in Bezug auf den weiter oben erwähnten symbiotischen Charakter der Filmvorführung ist dabei in der Musik das Kon4 5 6
Ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 108.
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zert. Hier lassen sich sowohl die digital gebannten musikalischen Leistungen, das medial präsentierte Bild als auch die eigenen Projektionen bezüglich der »tatsächlichen« Persönlichkeit in wenn auch vermittelter aktiver Interaktion prüfen. Auch die Interviewauswertung zeigt, dass das LiveKonzert ein herausragendes Ereignis ist, das häufig einen Wendepunkt in der Imagekonstruktion markiert, indem die Beschreibung des Konzerterlebnisses mit wesentlichen Umdeutungen und Ergänzungen zu den Vorstellungen über den Star einher geht, die zur Glorifizierung oder Korrektur des aufgebauten Images beitragen. Die Performance im Konzert ist zwar nicht fiktional im klassischen Filmverständnis, jedoch spielt der Star hier ebenso eine definierte Rolle, teilweise auch entlang eines minutiös arrangierten Drehbuchs.7 Diese Rolle ist allerdings kein für einen konkreten narrativen Kontext gezielt entworfener Charakter, sondern idealer Weise eine Verkörperung des medialabstrakten Images, das den Anhängern durch einschlägige Informationsquellen zumeist hinreichend bekannt ist.
Richard Dyer: Funktionale Gleichsetzung von Star und Image Die eingangs skizzierten Definitionsansätze bieten somit erste Zugänge zum Verhältnis von Star und Image. Den wohl umfassendsten Ansatz mit konkreteren analytischen Implikationen liefert jedoch Richard Dyer mit seinem Standardwerk »Stars« (1979), wobei es hier jedoch ausschließlich um Filmstars geht. Die Verknüpfung von soziologischer und semiotischer Herangehensweise ermöglicht ihm dabei eine wechselseitige Betrachtung. So sind Stars zum einen soziale Tatsachen, indem beispielsweise ein bestimmter musikalischer Stil durch Stars repräsentiert wird. Zum anderen realisiert sich ihre spezifische Signifikation erst in den medialen Texten selbst: Stars werden somit zu Stars, wenn sie diese Musik auf eine öffentlichkeitswirksame Art und Weise spielen und damit ein bestimmtes Lebensgefühl transportieren bzw. symbolisch abbilden. Mehr als bei den eingangs skizzierten Ansätzen geht es Dyer um das Verhältnis des Stars zur Gesellschaft insgesamt und seiner Funktion als integralem Bestandteil westlicher Ideologie. Ideologie bezeichnet Dyer dabei als »set of ideas and representations in which people collectively make sense of the world and the society in which they live«.8 Ideologie existiert daher in jeder Gesellschaft, sie prägt aber spezifische Formen aus, die sich jeweils in Relation zu den konkreten materiellen Umständen entwickeln und so die grundlegenden Kategorien (z.B. Klasse, Geschlecht, Ethnizität, sexuelle Orientierung etc.) und ihre Umsetzung in alltägliche Handlungs7 8
Vgl. Borgstedt 2001, S. 58f. Dyer 1979, S. 2.
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muster manifestieren. Ideologie ist dabei immer mit Widersprüchen konfrontiert, und zwar sowohl zu verschiedenen anderen Arten von Ideologie, als auch innerhalb einer konkreten Ideologie. Die jeweils dominierende Ideologie in einer Gesellschaft wird dabei auf nahezu allen Ebenen als allein vorherrschende Lebens- und Denkweise präsentiert, indem sie als konzises Muster repetiert wird und alternative und oppositionelle Ideologien eine Unterdrückung erfahren. Mit genau diesen Widersprüchlichkeiten setzt sich nach Dyer auch das klassische Hollywoodkino und damit das Starsystem auseinander. Stars werden somit als ideale Repräsentationen von Menschen verstanden, da sie sich auf Vorstellungen beziehen wie Menschen sind bzw. sein sollten.9 Sie sind Verkörperungen der o.g. Kategorien und bilden typische Verhaltensweisen, Gefühle und Gedanken einer Gesellschaft ab, die sozial, kulturell und historisch konstruiert sind.10 In der Darstellung dieser Repräsentationen wird vor allem ihre strukturierte Polysemie betont, d.h. es gibt eine endliche Vielzahl von Star-Bedeutungen, wobei einzelne Aspekte betont oder maskiert bzw. unterschlagen werden.11 Ziel der Staranalyse ist dabei die Herausarbeitung der gesamten Bandbreite möglicher Bedeutungen und das jeweilige Verhältnis der Elemente zueinander (gegenseitige Verstärkung, Widerspruch etc.).12 Aus analytischer Perspektive versteht Dyer Stars nicht als reale Personen im eigentlichen Sinne, da sie zwar in der Realität existieren, uns aber nahezu ausschließlich in Form medialer Texte und damit als Images begegnen.13 Auch wenn also über den Star als »private Person« berichtet wird, erleben wir immer nur eine Konstruktion von Persönlichkeit. »Personality is itself a construction known and expressed only through films, stories, publicity etc«.14 Die reale Person bezieht Dyer als Star-Komponente zwar mit ein, sie ist aber eher funktional als real,15 indem sie lediglich den Konstruktionsprozess authentifiziert: »the star’s existence guarantees the existence of the value he or she embodies«.16 Persönlichkeitskonstruktion realisiert sich bei Stars in der Ausprägung intertextueller Muster, die als Images wirksam werden. Ein Image ist also »a complex configuration of visual, verbal and aural signs«,17 wobei diese Konfiguration sowohl das Image von Startum im allgemeinen als auch das von einzelnen Stars im besonderen bestimmt. Das allgemeine Image meint die umfassenden Vorstellungen davon, wie Stars leben bzw. zu leben ha9 10 11 12 13 14 15 16 17
Vgl. ebd., S. 22 und Dyer 1982. Vgl. Dyer 1987, S. 18. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. Dyer 1979. S. 72. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. auch Dyer 1982 und Lowry/Korte 2000, S. 9. Dyer 1979, S. 23. Vgl. Gaines 1991, S. 33. Dyer 1979, S. 22. Ebd., S. 38.
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ben. Ideologische Basis hierfür ist zumeist der klassische amerikanische Traum, also Themen wie Geltungskonsum, Erfolg, Beziehungsleben und das Verhältnis von Gewöhnlichkeit und Außergewöhnlichkeit.18 Da die Verkörperung des amerikanischen Traums nur für einen Teilbereich der Musiker zutrifft (insbesondere Musiker der Kategorie »Pop International«), sind für die vorliegende Arbeit im Hinblick auf den empirischanalytischen Teil insbesondere die konkreten Images von Bedeutung. Wie bei Ellis manifestieren sich nach Dyer spezifische Starimages nicht nur in den relevanten Texten selbst (bei Dyer: Film), vielmehr sind alle öffentlich zugänglichen Zeichen und Aussagen über den Star als Person und als Filmfigur Bestandteile seines Images. Der Star-Komplex setzt sich zusammen aus den konkreten Produkten und ihrer Promotion, der medialen Berichterstattung (Interviews, Biographien) und den Bewertungen des Publikums. Des Weiteren gehört zum Starimage auch der Transfer in einen anderen Kontext (z.B. Werbung) und die Integration in die Alltagssprache (z.B. Rauchen wie Humphrey Bogart). Images sind daher extensiv (d.h. sie erweitern ihr Bedeutungsspektrum und dehnen sich über diverse öffentliche und private Sphären aus), multimedial und intertextuell.19 Als komplexe Totalität haben sie zudem eine chronologische Dimension, indem sie sich über die Zeit entwickeln. Einzelne Bestandteile des Images können also auch zu unterschiedlichen Zeiten präsent sein.20 Die Entstehung eines Images versteht Dyer ähnlich wie Heath als Umwandlungsprozess, indem der Star durch seine Person (Physiognomie, Charakteraffinität etc.) ein Rohmaterial liefert, das dann zunächst durch das Produkt »Film« in ein Image transformiert wird.21 Der Star wird dabei zunehmend mit einer bestimmten Art von Rollen verknüpft und fungiert schließlich als Symbol und Aushängeschild für ein Filmgenre bzw. einen Charaktertypus. Ein Musiker wechselt seine öffentliche Identität nicht wie ein Schauspieler, der in immer neue Rollen schlüpft und dabei wechselnde Namen trägt. Ein Musiker verkörpert kontinuierlich die mit dem eigenen oder dem Künstlernamen verbundenen Verhaltens- und Wertemuster. Gleichzeitig erzeugen die zahlreichen Einzelauftritte hier aber ebenso einen Symbolcharakter, indem ein erfolgreicher Interpret zu einem Exponenten eines bestimmten ästhetischen Stils avanciert, durch den er zugeordnet und identifiziert werden kann.
18 Vgl. ebd., S. 39. 19 Vgl. Hayward 2000, S. 352. 20 Faulstich unterscheidet ferner zwischen diachroner und synchroner Kontinuität. Vgl. Faulstich/Korte/Lowry/Strobel 1997, S. 12. 21 Vgl. Cook/Bernink 1999, S. 34.
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Die für Stars notwendige Bedingung des »Erkannt-Werdens« in der Öffentlichkeit also der resultierenden Bekanntheit22 – wird auch durch die Einbettung einzelner Image-Komponenten in narrative Strukturen (a) und den Bezug des Starimages zu gesellschaftlichen Normen (b) erfüllt. a) Narrativität bezieht sich zum einen auf die Verbindung zwischen musikalisch-performativen Aspekten und der Persönlichkeit. So können Musiker beispielsweise den Anspruch erheben, dass Dinge, die sie in ihren Liedern besingen, tatsächlich passiert sind. Auch wenn biographische Details zumeist nicht in direkter Weise an die musikalischen Produkte gekoppelt werden, muss jedoch zumindest auf emotionaler Ebene eine Kontinuität gewahrt bleiben. Gemütszustände oder wichtige Lebensphasen korrespondieren idealer Weise mit dem Charakter der jeweiligen Musik oder werden durch die Rezipienten zugeschrieben (z.B. Balladen = der Star ist unglücklich verliebt). Wie der Film kann somit auch der musikalische Stil zum »star vehicle«23 werden, indem sich narrative Strukturen entlang etablierter Persönlichkeitspatterns und musikalischer Stile der Interpreten bewegen. Schon allein durch die permanente Wiederholung und Dichte dieser Präsentationsmodi wird dabei der Eindruck erzeugt, den Star zu erleben wie er »wirklich ist«.24 Zum anderen ist die Biographie in sich narrativ und besteht in der öffentlichen Konstruktion glaubwürdiger Privatheit. Sie bezieht sich auf die Präsenz im Rampenlicht und will uns zugleich »hinter die Kulissen«, »unter die Oberfläche« und »jenseits des Images« führen.25 Die angestrebte Glaubwürdigkeit leitet sich dabei nicht nur aus der praktizierten »onevoice-policy«26 her, sondern liegt auch in der Existenz sozialer Typen (»social type«) und ihren zugehörigen narrativen Archetypen (»story archetypes«) begründet. Nach Orrin E. Klapp repräsentiert ein sozialer Typ die kollektive Norm eines bestimmten Rollenverhaltens und damit ein idealisiertes Konstrukt, wie Menschen sich zu verhalten haben.27 Zentrale Typen sind z.B. »Good Joe«, »Tough Guy«, »Object of Desire« oder »Girl Nextdoor«, die durch Charaktereigenschaften, persönliche Vorlieben, Mögen und Nicht-Mögen verschiedener Personengruppen voneinander unterschieden werden. Wir erwarten dabei, dass bestimmte Eigenschaften wie z.B. die Bodenständigkeit des »Girl Nextdoor« einer spezifischen Sozialisati22 Vgl. Kapitel 4. 23 Vgl. Tudor 1974, S. 78. 24 Dieser Aspekt ließe sich auch mit dem in der Medienpsychologie relevanten »mere exposure«-Effekt erklären, nach dem allein die dauerhafte Präsentation eines Reizes zu seiner positiven Bewertung führen kann. 25 Vgl. Dyer 1987, S. 11. 26 Der Begriff »one-voice-policy« kommt aus dem PR-Bereich und meint die Wiederholung zentraler Botschaften auf allen zur Verfügung stehenden Präsentationsebenen. 27 Vgl. Klapp 1962, S. 11.
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on geschuldet sind und haben daher konkrete, aber stereotype Vorstellungen über den wahrscheinlichen Verlauf einzelner Lebensabschnitte. Entsprechend liefern Zeitungen und Zeitschriften hierauf bezogene Episoden, indem sie berichten, dass das Idol bereits als Kind die Menschen im Heimatort mit seinem Gesang betörte und in der Schule so lebhaft herumtobte wie nun auf der Bühne. Soziale Typen dienen also der narrativen Parallelisierung verschiedener Präsentationsebenen bzw. Image-Komponenten. Sie sind daher nicht nur filmtheoretisch relevant, sondern auch in der Musik existent. Im musikalischen Bereich sind aber auch die genrespezifischen Typen von Bedeutung. So gibt es ein klares, schematisiertes Vorstellungsbild des »klassischen Pianisten« oder des »Popstars« .28 Auch hierauf soll in der Analyse der drei Beispielmusiker Bezug genommen werden. Solche sozialen Typen sind die notwendige Bedingung für Wiedererkennung und glaubwürdige Persönlichkeitskonstruktion. Die Faszination eines Stars erfordert aber eine Individualisierung eines Typs als hinreichende Bedingung,29 wodurch nach Dyer verschiedene Relationen entstehen:30 Im Falle einer Transzendenz geht der Star weit über den Typ hinaus und wirkt nahezu völlig individuell. Eine Maximierung stellt die positiven oder extremen Eigenschaften heraus, wie z.B. Schönheit, Strenge oder Extravaganz. Die komplexeste Form der Individualisierung ist die Modulation, die einen Typ durch das Hinzufügen neuer Elemente, den Einbezug widersprüchlicher Aspekte, das Aufdecken von Widersprüchlichkeit innerhalb des Typs oder durch die Betonung eines normalerweise unterdrückten Elements individualisiert. Die jeweilige Individualisierung erfolgt in Kongruenz zum etablierten Image des Darstellers, d.h. es werden Aspekte herausgegriffen, die das Image verfestigen oder aber bewusst aufbrechen. Nach Dyer sollten bei der Analyse auch die (film-)technischen Mittel identifiziert werden, die diese Prozesse unterstützen (z.B. Beleuchtung, Setting etc.). Entsprechend wird sich die Analyse des Bild- sowie des audiovisuellen Materials der hier ausgewählten Starmusiker vor allem auf die mediale Selektion einzelner Image-Komponenten und ihre jeweiligen Inszenierungstechniken konzentrieren. b) Individualisierung baut aber nicht nur ein Verhältnis zu einem sozialen Typ oder einem Starimage auf. Durch die Inkorporation einer Filmrolle und die Darstellung in subsidiären Medien positioniert sich ein Star mit seinem spezifischen Image auch zu den vorherrschenden Normen (z.B. Fortschrittsglaube, Jugendlichkeit, Demokratie als Freiheitsgarant, Leis-
28 Zur Abgrenzung des Image-Begriffs von »Stereotyp« und »Schema« vgl. Kapitel 3.4. 29 Vgl. Faulstich/Korte/Lowry/Strobel 1997, S. 17f. 30 Vgl. Dyer 1979, S. 109f.
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tungsprinzip, Attraktivität etc.) in der Gesellschaft. Er kann sie durch seinen Persönlichkeitstypus verstärken oder ihre internen Widersprüche verkörpern. Durch eine Personalisierung abstrakter Werte erscheint die Aussage eines Films als Aussage eines Individuums und unterstützt nach Dyer die ideologische Wirkung des Mediums. »The specific emphasis of bourgeois characterisation on the individual serves to mask the ideological role of character. By feeling that we are identifying with a unique person, we ignore the fact that we are identifying with a normative figure«.31 Die Einspannung des Stars zwischen sozialer Normativität und Einzigartigkeit als Person ermöglicht somit den Identifikationsprozess. Dabei sollte der Star idealiter so individuell sein, dass seine Vollkommenheit und Attraktivität ein kontinuierliches Interesse wecken, gleichzeitig aber einen theoretisch möglichen, bekannten Typus repräsentieren, der versteh- und erfahrbar ist.
Weiterentwicklung und eigene Schlußfolgerungen Der Ansatz Richard Dyers liefert ein Grundgerüst für alle weiteren Ausführungen zu diesem Themenkomplex, bietet aber auch Anlass für kritische Reflexionen. So betrachtet Cook in ihrer Rezension von Dyers Standardwerk in der Zeitschrift Screen die Konzeption des Stars als rein medial existierendem Phänomen als problematisch.32 Stars können den Produktionsprozess hingegen erheblich beeinflussen, da ihre Entwicklung als Mensch nicht vorhersehbar ist; gleichzeitig leistet auch das Publikum durch seine projektiven Fantasien einen entscheidenden Beitrag zur Bedeutungsgenese. Somit erscheint es für sie erforderlich, den Verlauf der Signifikation, also die Verknüpfung von Zeichen und Bedeutung, näher zu untersuchen. Vergleichbar mit klassischen Stereotypen, ist auch der Star das Ergebnis eines ideologischen Naturalisierungsprozesses, indem die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung als selbstevident wahrgenommen und die Bedeutungen somit auf ein begrenztes Set von Assoziationen reduziert werden. Das Verhältnis des Star-Stereotyps zur Persönlichkeit des Stars stellt dabei ein permanent zu bewältigendes Problem für die kulturelle Produktion dar, da es immer ein aktives Abschneiden von Bedeutungen impliziert. Für Cook ist dabei von Interesse, wie diese starren Relationen entstehen und wie sie durch Veränderung der spezifischen Repräsentationen gegebenenfalls transformiert werden könnten.33 Interessant an dieser Kritik ist insbesondere der Hinweis, den Prozess der Stereotypisierung genauer zu untersuchen, da er für die Betrachtung des Images von großer Be-
31 Dyer 1979, S. 109. 32 Vgl. Cook 1979, S. 82. 33 Vgl. ebd., S. 87.
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deutung ist.34 Bei der Rezeption von Musikstars wie von Stars im Allgemeinen wird von Hinweisreizen (z.B. äußere Erscheinung, Äußerung bestimmter Lebensziele etc.) bzw. ihrer spezifischen Kombination auf zugrundeliegende Bedeutungsstrukturen geschlossen. Durch die Analyse medialer Berichterstattung über einen längeren Zeitraum können Mechanismen der Verselbständigung solcher Schlussfolgerungen im Rahmen dieser Untersuchung aufgedeckt werden. Auch mit Hilfe der Fan-Interviews lassen sich wesentliche Einblicke in die Funktionsweise eines Stereotyps gewinnen. Die Möglichkeit eines Vergleichs von Stereotyp und »wahrer« Star-Persönlichkeit betrachte ich jedoch aufgrund des konstruktiven Charakters jeglicher Form der Persönlichkeitsinszenierung, die nicht nur im TV-Gespräch, sondern auch im wissenschaftlichen Interview notwendigerweise betrieben wird, als problematisch.35 Wie Cook hält auch King die Berücksichtigung des »Menschen hinter dem Star« für unerlässlich, wobei er zusätzlich zu Person und Image deren Verknüpfung zur vermarktungsfähigen »Persona« konzipiert.36 Der Persona-Begriff taucht bereits bei Tudor zur Beschreibung einer durch Filme und Publikumsrezeptionen und -erwartungen aufgebauten Vorstellung vom jeweiligen Star auf.37 Die Persona regelt somit die Beziehungen eines Menschen zu seiner Außenwelt, stellt dabei aber immer auch einen Teil seiner tatsächlichen Identität dar. Ermöglicht diese begriffliche Erweiterung im filmtheoretischen Diskurs eine genauere Beschreibung der Wechselwirkungen inner- und außerfilmischer Aspekte bei der Star-Konstruktion, so liefert sie für eine musikbezogene Betrachtung keine sinnvolle Differenzierung, die analytisch praktikabel wäre. Zudem wird der Persona-Begriff in der deutschen Diskussion (z.B. im Bereich der Medienwissenschaft oder Prominenzforschung) nicht rezipiert; im englischsprachigen Raum findet er hingegen umfassende Verwendung in Wissenschaft, Journalismus und Alltag, als Bezeichnung für die Verbindung aus Person und öffentlicher Darstellung. Für den Kontext dieser Arbeit lässt sich »Image« jedoch als zentrale analytische Kategorie ableiten. In Anlehnung an Dyer ist daher jede Staranalyse notwendigerweise Imageanalyse, da man immer mit einer Konstruktion von Persönlichkeit konfrontiert ist. Gleichzeitig ist Imageanalyse immer Textanalyse,38 da sich ein Image aus unterschiedlich strukturierten 34 Vgl. Kapitel 3.4. 35 Vgl. auch Izod 2001. 36 Vgl. King 1992, S. 142. Anmerkung: Dieser Aufsatz ist in drei Fassungen erschienen: 1985 in Screen, 1991 in Gledhill, 1992 in Butler; vgl. King 1992, S. 142. 37 Vgl. Tudor 1974, S. 77. 38 Der Text-Begriff wird hier im Sinne der Cultural Studies verwendet (vgl. Fiske 1992, S. 110ff.). Vgl. als Einführung in die Grundlagen der Cultural Studies z.B. Hall/Hobson/Lowe/Willis 1980, O’Sullivan/Hartley/Saunders/Montgomery/Fiske 1994, Kellner 1995 und Turner 1996.
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Medientypen zusammensetzt (Print-, Bild-, audiovisuelles Material und die Rezipiententexte), die jeweils unterschiedliche Aspekte des Starimages akzentuieren. Auf Basis der Gleichsetzung von Staranalyse und Imageanalyse definiere ich Musikstars somit als individualisierte bzw. idealisierte soziale Typen, die durch musikbezogene Repräsentationssysteme39 intertextuell erzeugt und in Form medialer Images distribuiert und rezipiert werden. Dem Aspekt der strukturierten Polysemie, der die Totalität des Images nicht als rein kumulativen Effekt zahlreicher Einzelbotschaften begreift, sondern eher als ein mehrdimensionales, semantisches Netzwerk operationalisiert, wird in der vorliegenden Untersuchung auf mehreren Ebenen Rechnung getragen: So fokussiert die Auswertung verschiedener StarTexte vor allem cross-mediale Gemeinsamkeiten und Kontraste als Indikatoren für Elemente des jeweiligen Image-Kerns40 berücksichtigt aber auch medienspezifische, cross-personale Merkmale, die sich als musikbezogene Nachrichtenfaktoren einzelner Medien manifestieren. Die Ergebnisse der einzelnen Image-Analysen werden nicht nur in Form eindimensionaler Häufigkeitslisten von Persönlichkeitseigenschaften dargestellt, sondern ebenso als zweidimensionale Wertesysteme, die auch widersprüchliche Aspekte visualisieren. Zudem dient die Rezeptionsstudie vorrangig der Bestimmung des Möglichkeitsraums starbezogener Bedeutungszuschreibung und seiner spezifisch-individuellen Konstruktionsprinzipien und nicht der Herausarbeitung des »durchschnittlichen« Images.41 Die hier ausgeführten filmtheoretischen Ansätze zur Erklärung und Analyse des Starimages liefern wichtige Grundlagen, stellen jedoch kein direkt anwendbares Instrumentarium bereit und beleuchten nur einzelne Facetten dieses schillernden Begriffs. Im Anschluss an die folgende Beleuchtung funktionaler Aspekte wird der Image-Begriff im dritten und letzten Abschnitt des theoretischen Teils daher aus dem Starkontext herausgelöst, seine Verwendung im interdisziplinären Zusammenhang spezifiziert und für die Analysen im empirischen Teil operationalisiert.
39 Vgl. zur Verwendung des Begriffs Hall 1997, S. 17ff. 40 Vgl. Kapitel 6.1.5, 6.2.5, 6.3.5. 41 Dyer verweist darauf, dass es nicht darum geht, was die »durchschnittliche Person« aus dem Star »herausliest«, sondern »what the range of things was that she [gemeint ist Jane Fonda als Beispiel, S.B.] could be read as meaning by different audience members«, Dyer 1979, S. 72 (Hervorhebung S.B.).
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2.2 Das Verhältnis zum Publikum: Funktionsweisen und Funktionen von Starmusikern Die Erklärung des Starphänomens erfordert nicht nur den Einbezug historischer und struktureller Aspekte, sondern auch die Untersuchung funktionaler Zusammenhänge. »Ein Starimage besteht eben nicht nur aus den Informationen, Bildern und Texten der Medien, sondern ist vielmehr Produkt der Verarbeitung dieser Zeichen und Aussagen«.42 Im komplexen Prozess der Rezeption erfüllen Stars bzw. ihr Image dabei sowohl Funktionen für die Gesellschaft als Ganzes, für das System der Medien und als auch für ihre Fans,43 die als sozial organisierte Individuen verstanden werden können und hier als Ausgangspunkt dienen. In der Alltagssprache wird der Begriff »Fan« nach wie vor zumeist mit einer bestimmten Kulturform (Popkultur) und einer konkreten Altersstufe (Adoleszenz) assoziiert. Diese feste Verknüpfung löst sich zunehmend auf, wobei jedoch z.B. Anhänger klassischer Musik üblicherweise nicht als »Fans« bezeichnet. Dies ist allerdings lediglich eine Frage des Labeling. Grossberg weist darauf hin, dass es Fantum als strukturellen Mechanismus bezüglich aller möglichen Kulturformen gibt. Dies zeigt sich bereits an den äußerst unterschiedlichen Werken und Personen, die in einer bestimmten Zeit populär sind und an den Publika aus diversen gesellschaftlichen Schichten, die im Verlauf der Geschichte als »Fans« bestimmter Stile oder konkreter Persönlichkeiten aktiv wurden.44 Auch in der vorliegenden Untersuchung weisen die jeweiligen Nutzungsformen der auf den ersten Blick äußerst konträren Starmusiker deutliche Parallelen auf.45 Fantum ist also die Artikulation einer notwendigen Beziehung, die eine erfolgreiche Kulturform erst als solche konstituiert und etabliert. Fantum existiert daher zu allen Zeiten als eine spezifische Art und Weise, sich einer Kultur gegenüber zu verhalten. »Everyone is constantly a fan of various sorts of things, for one cannot exist in a world where nothing matters«.46 Die Übernahme des amerikanischen Terminus mag man also ablehnen, eine begriffliche Alternative gibt es jedoch derzeit nicht. Auch Fiske identifiziert Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Funktionsweisen des Fantums in spezifischen Arten von Kultur. Dabei lehnt er sich an Bourdieus Begriff des »kulturellen Kapitals«47 an und erweitert diesen allein auf Hochkultur bezogenen Terminus um die Form 42 43 44 45 46 47
Lowry/Korte 2000, S. 16. Vgl. hierzu Holly/Püschel 1993 und Charlton/Schneider 1997. Vgl. Grossberg 1992, S. 50ff. Vgl. Kapitel 7. Grossberg 1992, S. 63. Vgl. Bourdieu 1998.
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des »populärkulturellen Kapitals« (popular cultural capital).48 Somit liegt auch dem Fantum eine kulturelle Ökonomie zugrunde, indem aus den angebotenen Produkten Bedeutung und Wissen abgeleitet wird, das dann weiter akkumuliert und investiert wird. Wie in der Hochkultur setzt sich das Kapital also aus kontinuierlich erworbenen Wissensbeständen, Erfahrungseinheiten und entsprechenden Bewertungsmustern zusammen, wobei diese ebenso der sozialen Distinktion dienen. Distinktion bezieht sich im Bereich der Popularkultur jedoch nicht auf den beruflich-sozialen Aufstieg, als Dividende wird hier hingegen das erzeugte Vergnügen (»pleasure«) und die Erhöhung des Selbstwerts (»esteem«) innerhalb der Peergroup einer Geschmacksgemeinde ausgeschüttet.49 Interessant und überprüfenswert erscheinen die im Einzelnen differenzierten Vergleiche zwischen Nutzungsformen von Hoch- und Popkultur. So lässt sich im empirischen Teil dieser Arbeit untersuchen, ob tatsächlich gleiche oder zumindest ähnliche Beurteilungskriterien von Stars und ihren zugehörigen Produkten verwendet werden.50 Auch die Annahme Fiskes, dass das textuelle Wissen hier also über den Musiker in der Hochkultur vor allem der Diskriminierung (z.B. verschiedener Aufführungen) und dem Zelebrieren des Werks dient, wohingegen dieses in der Popkultur die Funktion der Partizipation und des »Empowering« erfüllt (Fantalk, Produktion eigener Bedeutungen etc.), kann anhand der durchgeführten Interviews geprüft werden. Insgesamt vermutet Fiske, das das hochkulturelle System auf eine größere Distanz zum Rezipienten angelegt ist. So produzieren Fans im Bereich der Popkultur nicht nur Bedeutungen, sondern sind an der Konstruktion des originalen Texts mitbeteiligt. Sie agieren beispielsweise als Konzertbesucher in bestimmter Kleidung und mit spezifischem Verhaltensrepertoire als Bestandteil der Bühnenshow, da ein Pop- oder Rockkonzert gerade von der performativen Interaktion zwischen Star und Fan lebt. »This melding of the team or performer and the fan into a productive community minimizes differences between artist and audience and turns the text into an event, not an art object«.51 Populäre Texte sind demnach sogar besonders prädestiniert für die kreative Nutzung durch Rezipienten, da sie offene, lückenhafte und widersprüchliche Hinweisreize liefern, die von den Fans durch aktive Bedeutungskonstruktion in »(populär)kulturelles Kapital« transformiert werden müssen. Hochkulturelle Text sind aufgrund des etablierten Werkcharakters hingegen relativ geschlossene, zufriedenstellende Produkte, die als perfekte Kreationen einzigartiger Individuen bewertet werden.
48 49 50 51
Vgl. Fiske 1992, S. 30f. Vgl. ebd., S. 34. Fiske verweist z.B. auf Komplexität und Subtilität, vgl. Fiske 1992, S. 36. Ebd. S. 40
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Diese Feststellungen beinhalten ebenso interessante wie äußerst spekulative Komponenten. Geprüft und differenziert werden sollte insbesondere die »Abgeschlossenheit« der hochkulturellen Texte, die eine totale Fokussierung auf das Werk und ein geringeres Interesse am Star-Interpreten selbst im Sinne eines angestrebten Kontakts zur Folge haben müsste. Auf einer höheren Ebene lässt sich somit hypothetisch ableiten, dass sich verschiedene Musikstars durch ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Genres, die jeweils distinkte Verhaltensweisen bedingen, vor allem hinsichtlich der Modulation von Nähe und Distanz zu ihren Fans unterscheiden. Auf der anderen Seite müsste untersucht werden, ob die Fans populärer Musikstile tatsächlich »aktivere« Bedeutungskonstrukteure sind, wie dies laut Fiske in den Texten angelegt ist. Entsprechend dem »active audience«Konzept wird Kultur durch Menschen erzeugt, indem sie Produkte der Kulturindustrie nutzen; dabei produzieren sie nach Fiske eigene Bedeutungen, die der dominanten Ideologie häufig widersprechen.52 Insgesamt ist der Begriff der Aktivität jedoch nicht klar umrissen.: »The term ›activity‹ is the source of many confusions, for an active viewer need not be alert, attentive and original. Activity may refer to creative reading […] but it may also refer to the more mindless process of fitting the text into familiar frameworks or habits«.53 Was aber sagt der Begriff dann überhaupt noch aus? Entsprechend wird von verschiedenen Seiten kritisiert, dass die Aktivitätstheorien die Beziehung zwischen Medium und Rezipient verklären und die realen Determinationen (kulturell, politisch etc.), die die Texte und andere institutionelle Realitäten festschreiben, vernachlässigen. Fiske verwechsele Ambiguität mit Polysemie, Offenheit des Textes mit Fehlen von Determinationen und herausfordernde Freiheit mit einer alltäglich auffindbaren Zuschaueraktivität; es gebe immer kulturelle Freiräume, diese gelte es aber zu spezifizieren: »The issue is to specify under what circumstances and how, and as a result of what kinds of mechanisms and through what kinds of processes«.54 Grundlegende Erkenntnisse durch Untersuchungen, die Spezifizierungen von Star-Fan-Relationen vornehmen, heben zumeist hervor, dass Fans insbesondere bestrebt sind, Bedeutungskonstruktion auf eine optimale Übereinstimmung mit den eigenen Anschauungen auszurichten.55 In diesem Sinne sollen im empirischen Teil mit Hilfe von Fan-Interviews Schlussfolgerungen bezüglich der real aktivierten Beziehung zwischen starbezogenen Texten und eigenen Anschauungen gezogen werden. 52 Vgl. z.B. Fiske 1987, 1989, 1990, 1992. 53 Livingstone 1990, S. 193. 54 Silverstone 1994, S. 156. Vgl. hierzu auch Lull 1992, Longhurst 1995 und Hepp 1999. 55 Vgl. z.B. Radway 1984, Stacey 1994, Schiedke-Rindt 1998.
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Im Rahmen einer genrevergleichenden Untersuchung muss die Frage nach Funktionen von Musikstars auch die Differenzierung beinhalten, ob überhaupt alle Arten von herausragenden Interpreten tatsächliche Funktionen für ihr Publikum erfüllen. Nach Bourdieu bzw. Fiske dürften Stars aus dem Bereich klassischer Musik daher gar keine auf das Selbst bezogenen Bedürfnisse befriedigen, da die Werke autonom für sich stehen, der Interpret lediglich Ausführender ist und nicht als Repräsentant eines konkreten Wertesystems für den eigenen Lebensentwurf herangezogen würde. Der historische Teil enthält bereits zahlreiche Hinweise darauf, dass diese Ideologie in der praktischen Ausführung zu verschiedenen Zeiten immer wieder schnell an ihre Grenzen stößt. Trotzdem lassen sich in Bezug auf den hier ausgewählten klassischen Interpreten sowohl in den medialen Texten als auch in den Interviews viele Komponenten dieser Anschauung identifizieren, die teilweise in der reinen Symbolisierung von Autonomie also einer Autonomieästhetisierung statt Autonomieästhetik aufgehen, aber dabei dennoch nicht ohne Alltagsrelevanz bleiben.56 Welche Funktionen aber können Musikstars überhaupt erfüllen? Der erwähnte Aspekt der sozialen Distinktion verweist bereits auf den Bereich sozialer Positionierung als entscheidendem Funktionenkomplex. Die Notwendigkeit der Selbstinszenierung in postmodernen, massenmedial informierten Gesellschaften ist mittlerweile zu einem Allgemeinplatz geworden.57 Menschen brauchen zum Aufbau des eigenen Selbst Informationen aus der Umwelt, wobei die Selbstinszenierung im Alltag durchaus mit der auf der Bühne vergleichbar ist.58 Stars bieten entsprechende soziale Vergleichsinformationen,59 die zur symbolischen Ausgestaltung der eigenen Identität herangezogen werden können, aus mehreren Gründen in äußerst attraktiver Form dar. Erstens agieren sie als konkrete Identifikationsfiguren, die abstrakte Werte und Ideen in verdichteter Form verkörpern und durch Vermittlung erfahrbar machen. Für eine bestimmte soziale Gruppe spiegelt diese Figur die gerade relevanten oder angestrebten Gruppennormen auf diversen Ebenen perfekt wider und fungiert somit als Prototyp.60 In diesem Prototyp können sich die Mitglieder einer Gruppe nicht nur wiedererkennen, sondern sich auch ausschließlich über das Idol konstituieren, wie dies beim Startum der Fall ist, da der Prototyp also der Star hier nicht ausgetauscht werden kann, sondern Grundlage der Vereinigung in diesem Fall des Fanclubs ist.61 Ein Star ist dabei wie aus der klassischen Führungsfor56 57 58 59 60 61
Vgl. Kapitel 6.1. Schulze 1997, Spellerberg 1996, Ritterfeld 1996, Sennett 1998. Vgl. Klippel/Winkler 1999, S. 338. Vgl. Festinger 1954. Vgl. Sommer 1997, S. 117f. Vgl. ebd.
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schung bekannt ist nicht der Durchschnitt der Gruppe, sondern das Ideal.62 Zusätzlich zur Vertrautheit, die eine Identifizierung überhaupt erst ermöglicht, existiert daher immer auch das Moment der Andersartigkeit, die wiederum die geheimnisvolle Attraktivität des Stars ausmacht. Denn im Unterschied zu ihren Fans können sie die idealisierten Werte und Eigenschaften tatsächlich leben und besitzen zumindest in der öffentlichen Darstellung, wodurch sie als optimale Projektionsflächen für eigene unerreichbare Träume genutzt werden können. Diese Sehnsüchte erfüllen sich dabei nicht real, sondern liefern immer nur eine illusionäre Erfüllung,63 um das Interesse weiterhin wach zu halten. Der Star ist seinen Fans somit ähnlich, aber doch keiner von ihnen, was die Rezipienten »in selbstwertdienlicher Weise entlastet«64 und den Star in eine mächtige Position versetzt. Einmal etabliert kann er nun von den Normen, durch die er überhaupt an die Macht gelangte, im Rahmen der genrespezifischen Grenzen wieder abweichen, ohne Zuneigung einzubüßen. Der zweite Aspekt, der Stars aus identifikationsbezogener Sicht so attraktiv macht, ist neben der Erscheinung als konkrete Personen die Tatsache, dass sie immer auch mediale Personen bzw. mediale Texte sind.65 Medienpsychologische Erkenntnisse verweisen darauf, dass Menschen insbesondere anhand medialer Informationen in Erfahrung bringen, welche Normen kulturell als wichtig eingestuft werden bzw. welches Verhalten, Aussehen etc. als normal gilt.66 Vor allem medialen Personen kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu. Wie weiter oben bereits dargelegt wurde, liegt dies zum einen an der Vermittlung eben solcher Erfahrungen, die für den »normalen« Rezipienten entweder tabu oder unerreichbar sind. Leffelsend zeigt in ihrer Studie, dass gerade für diejenigen Bereiche mediale Vergleichspersonen herangezogen werden, in denen der Rezipient nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann.67 Des Weiteren veranschaulichen Medienfiguren Eigenschaften immer »in Reinform« und ermöglichen eine Vielfalt von Informationen, die wir bei »realen« Personen in direktem Kontakt nur über einen deutlich längeren Zeitraum erheben könnten.68 Das heißt, dass mediale Personen vor allem in Situationen gezeigt werden, die relevante Informationen liefern, ein Musiker also zumeist bei der Ausübung von Musik oder der Stellungsnahme zu kulturbezogenen Themenbereichen. In Bezug auf den Image-Kontext ist hiermit erneut der Komprimierungsaspekt angesprochen. 62 63 64 65 66 67 68
Vgl. Kapitel 3.2. Vgl. Faulstich 2000, S. 208. Sommer 1997, S. 117. Vgl. Kapitel 2.1. Vgl. Leffelsend/Mauch/Hannover 2004, S. 64. Leffelsend 2002. Vgl. Leffelsend/Mauch/Hannover 2004, S. 63.
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Stars als mediale Modelle bieten also diverse »possible selves« an, die entweder symbolisieren, wie wir gerne sein wollen (hoped-for possible self) oder gerade nicht sein wollen (feared possible self).69 Repräsentanten der ersten Form sind die klassischen Stars, die zweite Form wird zur Zeit durch die Spezies der »Anti-Stars« vertreten (z.B. Big Brother ).70 Trotz ihres modellhaften, vermittelten Charakters werden Stars für ihre Fans nicht selten zu imaginären Begleitern im Alltag. Horton/Wohl71 haben dieses Phänomen als »parasoziale Interaktion« bezeichnet, die sich vor allem durch den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Illusion von Interaktion und einer imaginären Verringerung von sozialer Distanz auszeichnet.72 Als Grundlage müssen Stars zunächst als kohärente, kontinuierliche Charaktere wahrgenommen werden können, wie dies beispielsweise bei Soap-Stars der Fall ist.73 Nur so ist es für die Rezipienten attraktiv, weitere Zeit »mit« ihren Idolen zu verbringen und möglichst alles über ihren Tagesablauf zu wissen, um ihn dann mit dem eigenen zu vergleichen. So konstatiert Monaco bereits 1970, dass Menschen ihr Fernsehgerät nicht primär einschalten, um Nachrichten oder Geschichten zu hören, sondern um Zeit mit den jeweiligen Persönlichkeiten zu verbringen.74 Parasoziale Beziehungen sind dabei nicht nur ein Phänomen im Bereich des Starkontextes, vielmehr sind sie in Zeiten eines alltäglich notwendigen Kontakts mit virtuellen oder zunächst virtuellen Personen zu einem Teil menschlichen Soziallebens geworden, von der medialen Informationsvermittlung durch den bekannten Nachrichtenmoderator über die Videokonferenz bis hin zur Partnersuche im Internet. Parasoziale Beziehungen verweisen auf die spezifische, individuelle Integration medial verbreiteter Wissensbestände über den Star in den eigenen Alltag. Dabei wird deutlich, dass Identifikation nicht nur in der einfachen Übernahme dieser Informationen besteht, sondern einen komplexen Aneignungsprozess und Verwendungszusammenhang darstellt. Im empirischen Teil dieser Arbeit sollen daher auch Prinzipien der Selektion wie beispielsweise der partiellen Identifikation mit einzelnen Elementen der Person bzw. ihres Images vor dem Hintergrund einer »emotionalen Ökonomie« erklärt werden.75 Dieser Aneignungsprozess entwickelt sich außerdem im zeitlichen Verlauf, so dass ein Star auch zu einer autobiographischen Größe
69 70 71 72 73 74 75
Vgl. Marius/Nurius 1986. Vgl. Jacke 2004, S. 281ff. Horton/Wohl 1956. Vgl. Leffelsend/Mauch/Hannover 2004, S. 55f. Vgl. Silverstone 1994, S. 147. Vgl. Monaco 1978, S. 7. Lowry/Korte 2000, S. 16.
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wird, indem er für einzelne Abschnitte der eigenen Lebensgeschichte wichtige Funktionen erfüllt.76 Systematische Differenzierungen des äußerst offenen Identifikationsbegriffs im Starkontext gibt es jedoch kaum. Als klassisch kann das rein theoretisch hergeleitete Modell von Tudor gelten, das die Stärke des Involvements der Rezipienten und die Differenzierung in konkrete (rein auf die musikalischen Texte bezogene Aktivitäten) und diffuse Kontexte (umfassende Integration des Stars in den Alltag) als zentrale Dimensionen identifiziert.77 Interessant für die vorliegende Untersuchung ist außerdem die ethnographisch ausgerichtete empirische Studie von Jackie Stacey zur Rezeption von Hollywood-Stars der 40er Jahre. Sie betrachtet Identifikation als spezifische Interaktion mit Starimages, die auf unterschiedliche Art in der Definition der eigenen Identität relevant sind. Als konkrete Identifikationsformen extrahiert sie »devotion«, »adoration«, »whorship« und »transcendence«. Starimages sind dabei nicht nur kulturelle Wissensbestände, sondern werden auch in Praktiken transformiert (z.B. »pretending«, »resembling«, »imitating«, »copying«).78 Identifikation und Projektion als zugehöriges Komplement repräsentieren die zentralen Schlüsselbegriffe, die dem Startum in funktionaler Hinsicht im allgemeinen zugeordnet werden. Neben diesen rein auf die eigene Person bezogenen Aspekten ist allerdings zudem die Kommunikationsfunktion von Bedeutung. Denn eine gelungene Selbststilisierung durch die Verehrung eines erfolgreichen musikalischen Interpreten dient der eigenen Stabilität, insbesondere durch die Inszenierung nach außen. Indem Menschen konkrete Personen der Öffentlichkeit als Idole bewundern, ihre Produkte und Äußerungen goutieren sowie anderen auf verschiedene Art und Weise mitteilen, dass diese Prominenten inklusive ihrer Botschaften für sie eine besondere Bedeutung haben, erfüllen Stars eine wichtige Funktion hinsichtlich kultureller Verständigungsprozesse. Starimages, denen man sich zuordnet, sagen etwas darüber aus, welches Bild jemand von sich vermitteln möchte und welchen sozialen Gruppen er sich zugehörig fühlt. Diese Aspekte lassen sich gut mit dem Begriff der »sozialen Identität« (Tajfel) fassen.79 Das eigene Selbstverständnis beruht demnach zu einem großen Teil auf der Vorstellung bestimmter Gruppenzugehörigkeiten, wobei man Gruppen, denen man angehört (ingroups), positiver bewertet als Gruppen, denen man nicht angehört (outgroups). Die gruppenspezifischen Normen werden von den Mitgliedern geteilt und bedürfen der Symbolisie76 Vgl. Faulstich 2000, S. 203. 77 Vgl. Tudor 1974, S. 72. 78 Vgl. auch die Untersuchungen im Kontext »Fandom« von Winter 1995, Schmiedke-Rindt 1998, Grabowski 1999 und Vatterodt 2000. 79 Vgl. Herkner 1996, S. 49ff.
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rung, um nach außen kommunizierbar zu sein. Personen können hierbei relevante Meta-Symbole liefern, die schnell erkannt und zugeordnet werden, da sie medial und in stereotyper Form repräsentiert sind. Im Kontext starbezogener Funktionen zeigt sich schließlich eine weiteres Argument für die Gleichsetzung von Star und Image aus analytischer Perspektive: Die Funktionen eines Images gehen in denen des Stars wie sie hier aus film- und medienwissenschaftlicher Sicht dargelegt wurden vollends auf. Nach Hillmann80 erfüllt ein Image neben der zuletzt dargestellten Kommunikationsfunktion vor allem Orientierungs- und Entlastungsfunktionen. Orientierung meint, dass ein Image durch seine komprimierte Darstellung und seine Anlehnung an etablierte kulturelle Muster attraktive Lebensmodelle anbietet, die in Zeiten der Unübersichtlichkeit Vertrautheit suggerieren und Identifikation anregen. Das Moment der Entlastung hängt eng mit der erwähnten Projektionsfunktion zusammen. Durch die Übertragung von unmoralischen und unerreichbaren Wünschen auf Stars bleiben die Rezipienten selbst im legalen Bereich, nehmen am Glanz zumindest imaginär teil und müssen doch nicht selbst außergewöhnlich sein.
80 Hillmann 1994, S. 355.
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3. I M A G E − E I N
INTERDISZIPLINÄRER
BEGRIFF
3.1 Einleitung Wie sowohl der historische Abriss zur Entwicklung musikalischen Startums als auch die begrifflich-systematische Betrachtung dieses Phänomens zeigte, ist die Existenz eines übergeordneten, öffentlich verbreiteten Bildes einer Person konstitutiv für die Zuschreibung des Star-Status. Gleichzeitig kristallisierte sich damit das Starimage als zentrales Konzept für einen analytischen Zugriff heraus. Zwar lässt sich der Begriff in Anlehnung an die Arbeiten Dyers für den Starkontext präzisieren und auf Musiker prinzipiell übertragen, jedoch werden hier weder definitorische Differenzierungen hinsichtlich der akteursspezifischen Prinzipien von Imagekonstruktionen vorgenommen, noch methodische Herangehensweisen thematisiert. Im folgenden soll der Image-Begriff daher aus dem Starkontext herausgelöst und in seinen interdisziplinären Verwendungszusammenhängen betrachtet werden. Hieraus lässt sich zum Abschluss des theoretischen Teils (Kapitel 4) eine detaillierte Definition von Musiker-Images ableiten und für empirische Analysen operationalisieren. Die zunehmende Bedeutung des Image-Begriffs in wirtschaftlichen, sozialen wie auch alltagspraktischen Zusammenhängen hängt insbesondere mit makrosozialen Veränderungen zusammen, die sich im Zuge der Entwicklung zu einer Informationsgesellschaft ergeben: So sind Weltanschauungen immer weniger durch Traditionen und vorgegebene Strukturen bestimmt. Das Verhalten ist vielmehr auf subjektive Erlebniswelten ausgerichtet, die aktiv gestaltet werden müssen. Unsicherheit erzeugt zudem der Ausbau des Dienstleistungssektors, der immaterielle, nicht objektiv testbare Produkte erzeugt, für die Sinnhaftigkeit und Attraktivität erst mit Hilfe von prägnanten Bedeutungszuschreibungen aufgebaut werden müssen. Die Expansion der Massenmedien und die damit einhergehende Informationsüberlastung tragen zusätzlich zur allgemeinen Unübersichtlichkeit bei.1 In den anschließenden Unterkapiteln zeigt sich, dass Images auf unterschiedlichen Ebenen komplexitätsreduzierend wirken. Durch verschiedene Mechanismen der Informationsselektion und -gestaltung werden Sachzusammenhänge oder Personen emotionalisiert und »vereinfacht«. Als grund1
Vgl. Avenarius 2000, S. 158f. und Hesse/Gelzlichter 1993, S. 416.
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legend erscheint hierbei das Prinzip der Invariantenbildung, das durch wiederholtes Aufgreifen zentraler Features eines Objekts sowohl Akzentuierung und damit Prägnanz als auch Entschleunigung im permanenten Informations(über)fluss erzeugt. Meinungsbildende Prozesse verlaufen daher in Zeiten massenmedialer Wissensvermittlung aufgrund von Images, die als mentale Repräsentationen der Wirklichkeit für die Individuen handlungsleitend sind. Es ist somit nicht verwunderlich, dass z.B. auch die Süddeutsche Zeitung »Image« in ihre Liste der wichtigsten Wörter des 20. Jahrhunderts aufnimmt. Gleichzeitig fristet der Image-Begriff im wissenschaftlichen Bereich nach wie vor ein Schattendasein. Diese »Berührungsängste«2 leiten sich vor allem daraus her, dass »Image« zumeist direkt mit werbeindustriellen Zusammenhängen verknüpft und daher nicht als neutrales analytisches Konzept herangezogen wird. Dabei ist das negative Image des »Images« ebenso Ergebnis öffentlicher Bedeutungszuschreibung. Wie die folgenden Unterkapitel zeigen, ist es für den Kontext dieser Arbeit sinnvoll, den Image-Begriff zu ent-dramatisieren, um ihn analytisch verwendbar zu machen. Image ist entsprechend als Funktionsprinzip bzw. als struktureller Mechanismus zu begreifen, mit dessen Hilfe kommunikative Prozesse aus der Perspektive unterschiedlicher Akteure moderiert werden. Den Funktionsprinzipien eines Images werden in den vielfältigen Darstellungen bisweilen sogar »musikalische Züge« zugeschrieben. So zieht Berth in einer frühen Publikation zur Wähler- und Verbraucherbeeinflussung die Harfe als »poetisches Beispiel« heran: »Die Harfe sei vergleichsweise das Image im Befragten. Nun bedarf es geschickter Finger, die entsprechenden Saiten zum Erklingen zu bringen. Man kann nicht alle Saiten auf einmal anschlagen, sondern durch entsprechende Testfragen oder Experimente kann man gezielt eine ganz bestimmte Reihe von Saiten anzupfen und bekommt entsprechende Klanggebilde (sprich Testreaktionen oder Antworten). Wir haben nie das Image als Ganzes vor uns, immer nur ein paar Töne, ein paar Fragmente, die uns Rückschlüsse erlauben«.3 In einer aktuelleren Publikation verweisen Brandmeyer/Rauhe auf Homologien zwischen Imagegestaltung und den Kompositionsgrundlagen musikalischer Fugen. Auch bei einer Fuge finden zunächst Festlegungen − z.B. bezüglich Ton- und Taktart statt −, auf deren Basis Themen entwickelt werden, die einen Rahmen für den »inhaltlichen« musikalischen Verlauf abstecken und im zeitlichen Verlauf variiert und verzahnt werden.4
2 3 4
Avenarius 2000, S. 160. Berth 1963, S. 119. Vgl. Brandmeyer/Rauhe 2001, S. 359f.
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Systematische Überblicke zum Verständnis und zur Funktionsweise von Images liegen bislang nur von Kleining (1957) und Lilli (1983) vor, wobei sich die Ausführungen schwerpunktmäßig auf den marktpsychologischen Kontext beziehen. Aus den Veröffentlichungszeitpunkten ist schnell ersichtlich, dass medienwissenschaftliche oder markentechnische Aspekte logischerweise noch keine Rolle spielen können. Bedeutsam ist hier allerdings die Identifikation wichtiger Pionierarbeiten, in denen der Imagebegriff erstmalig verwendet wird und auf die bis heute immer wieder verwiesen wird. Vor der Inanspruchnahme des Image-Konzepts durch das Marketing tauchte der Begriff demnach bei Lippmann auf, der die »pictures in our head« als subjektive Deutung der Realität verstand, mit deren Hilfe eine zwar nicht detailgetreue, jedoch effektive im entlastenden und komplexitätsreduzierenden Sinne Umweltrepräsentation erzeugt wird. Obwohl diese Images mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen müssen, steuern sie unser Handeln stärker als die objektiven Tatsachen.5 Auch Boulding der zweite, immer wieder ins Feld geführte »ImagePionier« betrachtet Images als kontinuierlich aufgebautes, subjektives Erfahrungswissen, das insofern überlebensnotwendig ist, da es keine Tatsachen an sich gibt, sondern lediglich Botschaften, die durch ein veränderliches Wertsystem gefiltert werden.6 Entscheidend ist dabei, dass Images häufig der Annahme unterliegen, dass sie von anderen geteilt werden. Images stehen damit für ein öffentliches, implizites Wissen, das in einer Massenkultur eine Eigendynamik entwickeln kann. Um die Übersichtlichkeit zu bewahren, ist es wichtig, die folgenden Ausführungen auf diejenigen Disziplinen zu beschränken, die verwertbares Wissen für die Untersuchung von Musiker-Images bereitstellen. In Kapitel 3.2 werden daher zunächst Ansätze vorgestellt, die sich direkt mit dem Image von Personen auseinandersetzen. Als zentral kann diesbezüglich die betriebswirtschaftliche und politische Führungsforschung angesehen werden. Unter Rückgriff auf den Charisma-Begriff wird hier das öffentliche Auftreten von Managern und Politikern sowie seine potentielle Optimierung thematisiert. Da auch Stars häufig mit Charisma in Verbindung gebracht werden, ist der strukturelle Vergleich von Stars und »führenden Persönlichkeiten« naheliegend. Abschließend werden aktuelle Publikationen angeführt, die sich mit der Personenführung im Kontext von Werbung (Testimonial-Forschung) sowie im Rahmen des Musikmarketings beschäftigen. Insgesamt dominieren hier eher anwendungsorientierte Ansätze, die definitorische und methodische Aspekte von Personenimages bzw. ihrer Analyse nur eingeschränkt berücksichtigen.
5 6
Vgl. Lippmann 1922, S. 59ff. Vgl. Boulding 1956.
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Bezüglich der konkreten Anwendung des Image-Begriffs und damit auch seiner strategischen Funktionalisierung kann der Bereich der Absatzwirtschaft bzw. des Marketings als Mutterdisziplin gelten (Kapitel 3.3). Entsprechend sind aus den einschlägigen Publikationen Differenzierungen des Image-Begriffs zu übernehmen bzw. abzuleiten. Dies beinhaltet sowohl strukturelle Aspekte, die sich aus dem Rückgriff auf Schema- und Netzwerktheorien ergeben und Anregungen zur Modellbildung bieten als auch methodische Implikationen. Da im Marketing das zweckgerichtete Vorstellungsbild im Vordergrund steht, lassen sich hier potentielle Gütekriterien für Images extrahieren sowie Dimensionen für ihre inhaltliche also wertebasierte Gestaltung. Die Erkenntnisse aus dem Produktmarketing leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung des Image-Konzepts, sind dabei aber eher auf materielle Konsumgüter ausgerichtet und ebenfalls produktionsorientiert. Zur Beschreibung der Funktionsweise von Imagekonstruktionen ist daher eine Erweiterung um sozialpsychologische Aspekte aus dem Bereich der Personenwahrnehmung nötig (Kapitel 3.4), um auch die Mechanismen auf der Rezipientenseite zu erfassen und tatsächliche Wahrnehmungen nicht nur als Effekt von Imagegestaltung zu begreifen. Hieraus erschließt sich ein komplexes Bedingungssystem, das der Starwahrnehmung zugrunde gelegt werden kann. Dabei werden die jeweiligen Kriterien herausgearbeitet, die die zentralen Prozesse der Wahrnehmung Selektion und Inferenz steuern, woraus sich ableitet, welche Personenmerkmale im allgemeinen bevorzugt als Hinweisreize zur Imagekonstruktion herangezogen werden. Auf Seiten der top-down-orientierten Verarbeitungsprozesse erklären Stereotype, implizite Persönlichkeitstheorien und sozialisationsbedingte Schemata die Entstehung komplexer Personeneindrücke und diesbezügliche interindividuelle Variation. Damit werden erstmalig Ansätze aus der Personenwahrnehmung in die Imagetheorie integriert. Imagekonstruktion bezieht sich nicht nur auf die Gestaltung und Wahrnehmung von Reizen bzw. Reizmustern, sie findet ebenso auf der Vermittlungsebene statt. Kapitel 3.5 thematisiert daher die Entstehungsbedingungen von Medienaussagen sowie zugehörige Präsentationsmodi, da gerade die Rezeption von Stars überwiegend als Rezeption medialer Berichterstattung betrachtet werden muss. Durch dieses Unterkapitel wird insbesondere deutlich, dass Image sich weder auf Produktions- noch Rezeptionsseite definitiv verorten lässt, sondern als kommunikatives Konstrukt zu operationalisieren ist. Images erscheinen daher weniger als Ziel oder Ergebnis von Kommunikation; vielmehr sind sie variative Bedeutungs-Agglomerate, die von verschiedenen Bezugsgruppen nach jeweils eigenen Interessenslagen genutzt werden.
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Erst durch diese interdisziplinäre Betrachtungsweise erschließt sich somit ein umfassendes Verständnis für den abstrakten und häufig unsystematisch verwendeten Image-Begriff. Die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Ansätzen (wie z.B. das Prinzip der Ganzheitlichkeit) und der Bezug zu Starmusikern werden dabei kontinuierlich hergestellt. Im abschließenden Kapitel des theoretischen Teils (Kapitel 4) werden die zentralen Komponenten musikalischen Startums, wie sie sich aus allen vorausgehenden Kapiteln herleiten lassen, noch einmal zusammenfassend dargestellt. Als wesentliche Elemente erweisen sich dabei Leistung/Erfolg, Bekanntheit, Anhängerschaft und Persönlichkeit/kohärenter Gesamteindruck. Die letztgenannte Kategorie integriert alle Komponenten und repräsentiert damit das Konstrukt »Image«, dessen Prinzipien komprimiert dargelegt und in einem Funktionsmodell veranschaulicht werden.
3.2 »Leadership« und »Impression-Management« Wie bereits erwähnt, findet der Imagebegriff zwar interdisziplinäre Verwendung, in Bezug auf Personen jedoch kaum in systematischer Weise. Sogenannte »Personal Public Relations« sind nach wie vor ein Randthema, wie auch die von Nessmann durchgeführte Situationsanalyse und Bestandsaufnahme zu dieser Thematik belegt.7 Paradoxerweise erfüllen aber gerade Personenimages wichtige Funktionen auf verschiedenen Ebenen öffentlicher Kommunikation. Vor allem in Zeiten massenmedialer Informationsvermittlung und maximaler Rationalisierung liefern sie attraktive Identifikationsangebote, deren Wirkung gerade in der sinnlichen Verkörperung abstrakter Werte liegt. Im Abschnitt zur historischen Entwicklung von Stars wurde deutlich, dass Strategien des Aufbaus solcher Personenimages zur Erzeugung von Aufmerksamkeit im 19. Jahrhundert vor allem mit Hilfe der Massenmedien zunehmend systematisiert werden konnten und zu Beginn des Hollywood-Kinos bereits perfektioniert waren. Der Image-Begriff fand in Bezug auf Personenimages im Sinne des strukturierten Gesamteindrucks einer Person aber erst durch seine Inanspruchnahme durch das Produktmarketing ab der Mitte des 20. Jahrhunderts breite Verwendung8 sowie verstärkte 7 8
Vgl. Nessmann 2003. Eine exakte Zeitbestimmung der ersten Verwendung des Imagebegriffs im Rahmen absatzorientierter Strategien zur Popularisierung von Personen ist nicht möglich. Zum einen bleibt häufig unklar, ob in der Verwendung des Begriffs das technische Bild gemeint ist also das (screen)image bzw. (photographic)image oder die Abstraktion der Persönlichkeit. Zum anderen handelt es sich bei der Bedeutungserweiterung dieses Begriffs um einen kontinuierlichen Prozess, der
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Nutzung in betriebswirtschaftlicher und politischer Führungsforschung ab den 1970er und 80er Jahren. Interessanterweise wird im Kontext von Personenimages sowohl in einschlägiger Star-Literatur als auch in der »Leadership«-Forschung auf den Charisma-Begriff Webers zurückgegriffen,9 um die Faszination herausragender oder als herausragend inszenierter Persönlichkeiten zu erklären und zu systematisieren. Die Gemeinsamkeit zwischen Stars und »Führern« im Allgemeinen besteht dabei in einer spezifischen Form der Erzeugung mehr oder weniger fester Anhängerschaften auf der Basis eines kulturellen Konsens.10 Dabei kennen alle die führende Person, diese wiederum kennt aber nur einen Bruchteil ihrer Anhänger. Stars verfügen jedoch im Unterschied etwa zu politischen Führern nicht über Macht im herrschaftlichen Sinne, indem sie z.B. Gesetzesänderungen veranlassen oder direkten Einfluss auf die Lebensverhältnisse einzelner Individuen nehmen könnten. Alberoni bezeichnet Stars daher als machtlose Elite (»powerless elite«), »whose institutional power is very limited or non-existent, but whose doings and way of life arouse a considerable and sometimes even a maximum degree of interest«.11 Ihr Wirkungsradius ist also aufgrund der Beschränkung ihrer Aktivitäten auf den Bereich kultureller Produktion begrenzt, auch wenn einzelne Stars diese Sphäre bisweilen durchbrechen (wie z.B. Schauspieler, die zu Politikern werden). Bereits 1964 beschreibt Klapp Stars als »symbolic leaders«, wobei er sich allerdings nicht explizit auf den Charisma-Begriff bezieht: »A symbolic leader moves people through his image, the kind of man he seems to be, the style of life or attitude he symbolizes. People respond to him in the mass and in audiences, so he does not need bureaucratic or other status to be effective«.12 Angesichts dieser Einordnung stellt sich die Frage, ob in Zeiten schnellen Wertewandels und der zunehmenden Auflösung traditioneller moralischer Instanzen eine solche Führung nicht auch eine wichtige Form der Machtausübung darstellt bzw. mit anderen Herrschaftsformen verschmilzt. Betrachtet man kulturelle Widersprüchlichkeiten, Instabilitäten und allgemeine gesellschaftliche Krisen als Bedingungen für charismatische Beziehungen, können auch Stars aus dem kulturellen Bereich als
zudem erst im 20. Jahrhundert in wissenschaftlicher und strategischer Form in der Literatur Verwendung findet und vorher höchstens in der Praxis und damit in der Alltagssprache gebraucht wurde. 9 Vgl. z.B. bezüglich Stars: Alberoni 1972, Dyer 1979, Marshall 1997 sowie bezüglich Leadership: Lipp 1985, Gebhardt 1993, Steyrer 1995. 10 Vgl. Alberoni 1972, S. 96. 11 Ebd., S. 75. 12 Klapp 1964, S. 23.
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wichtige Leitbilder fungieren, die erstrebenswerte Problemlösungen auf ideale und vor allem erfolgreiche Weise vorleben.13 Im Rahmen einer möglichen Nutzbarmachung des Charisma-Begriffs bzw. der Führungsforschung für den musikalischen Starkontext lohnt sich ein Blick ins Webersche Original. »Charisma soll eine als außeralltäglich [...] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als »Führer« gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus »objektiv« richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den »Anhängern« bewertet wird, kommt es an«.14 Als wichtig festzuhalten ist hier nochmals, dass die Zuordnung dieses Status analog zum Starphänomen immer die Instanz des Publikums erfordert. Neben dieser Ausgangsbestimmung ist aber vor allem von Interesse, auf welche Weise Charisma in den Alltag integriert wird und dabei strukturelle Veränderungen durchläuft. Da es sich bei Charisma um eine äußerst erstrebenswerte Eigenschaft handelt, die nach Weber neben Tradition und Bürokratie die dritte Form der Herrschaftslegitimation darstellt, besteht ein permanentes Bestreben, Außeralltäglichkeit entweder selbst zu besitzen oder dauerhaft verfügbar zu halten. Darin besteht jedoch ein zentraler Widerspruch: Wird Außeralltäglichkeit zu einem Bestandteil des Alltags, ist sie nicht mehr außeralltäglich; ist sie ein Dauerbesitztum, entfällt das irrationale Moment der Unplanbarkeit und der spontanen Leidenschaft. Dieses Paradoxon wird im Startum exakt widergespiegelt, indem auch hier die Inflationierung der Stargenese (z.B. durch Casting-Shows) zur Irrelevanz des Phänomens durch Auflösung der konstitutiven positionalen Struktur führt: Wenn alle berühmt sind, ist es letztlich keiner. Charismatische Herrschaft durchläuft daher nach Weber den Prozess einer notwendigen Veralltäglichung aufgrund des allgemeinen Wunsches nach Stabilität dieses Zustands. Die Integration von Charisma in soziale Strukturen bewirkt institutionalisierte Formen ursprünglicher Außergewöhnlichkeit, indem beispielsweise aus einem Propheten eine Religion erwächst und aus einem Künstler ein epochemachender Stil. Wichtig für den Kontext dieser Untersuchung ist vor allem das hieraus erwachsende Amtscharisma, bei dem Charisma von der Person auf ihre Funktion übertragen 13 So führt Dyer Marilyn Monroe als Beispiel für die Verkörperung zentraler Widersprüchlichkeiten z.B. Moral und Sexualität an, die im Amerika der 50er Jahre auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen verhandelt werden. Vgl. Dyer 1979, S. 36. 14 Weber 1956, S. 179.
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und damit de-personalisiert wird. Liegt Charisma aber nicht genuin in der Person selbst, muss es anderweitig sicht- und erfahrbar gemacht werden, um als solches wirken zu können. Dies geschieht insbesondere durch rituelle Übertragungen (z.B. Krönung des Königs oder Vereidigung des Präsidenten) und durch symbolische Ausstattung des Amtes mit sogenannten Amtsinsignien (Krone, Zepter, Reichsapfel oder repräsentative Bauten und nationale Symbolik). Hierzu gehören aber auch spezifische Verhaltensformen und zumindest für die Öffentlichkeit demonstrierte Lebensstile, die mit dem Amtsschema kompatibel sind. In diesem Sinne ließe sich durchaus auch Starmusikern ein Amtscharisma zuschreiben. Sie gelten per definitionem als herausragend, implizieren automatisch eine zugehörige Anhängerschaft, die begeistert und kontinuierlich ihre »Sendungen« aufnimmt, ihre allgemeine öffentliche Bedeutung wird durch Medien multipliziert, zu ihrem Auftreten gehören spezifische Rituale (Konzert vor großem Publikum, Autogrammstunde, Preisverleihungen) und unter Umständen ein nach außen sichtbarer Reichtum und öffentlichkeitswirksame Verhaltensweisen. So betrachtet auch Klapp Stars als Institution, die sich entsprechend den öffentlichen Erwartungshorizonten auszustatten und zu verhalten haben: »He [the celebrity, S.B.] is no longer just a person but has become an institution«.15 Mit Verweis auf die in Kapitel 3.4 und 3.5 dargelegten Wahrnehmungsstrategien der Rezipienten würden diese Erwartungshorizonte den Schemata entsprechen, die wir bezüglich eines Starmusikers aufgebaut haben, inklusive ihrer Differenzierung nach musikalischen Genres. Wichtig ist hier aber zusätzlich, dass der mit dem Amtscharisma einhergehende Prozess der Depersonalisierung durch die öffentliche Darstellung individueller Eigenheiten und Lebensgeschichten der Stars emotional wieder aufgefangen wird, da nur so Identifikation entstehen und die Zuschreibung von Charisma erfolgen kann. So könnte man Imageanalyse in diesem Zusammenhang als Herausarbeitung der jeweiligen »Amtsinsignien« verstehen. Diese Analyse der symbolischen Ausgestaltung eines Starmusikers würde den im journalistischen Diskurs und in der Alltagssprache häufig inflationär gebrauchten Charisma-Begriff konkretisieren helfen, indem sie Komponenten seiner intentionalen Konstruktion an einzelnen Personen exemplarisch nachzeichnet. Die Beliebtheit des Charisma-Begriffs zur Erklärung von außeralltäglicher Persönlichkeit leitet sich vor allem aus der Emotionalität und Bildhaftigkeit dieses Konzepts her. Für die betriebswirtschaftliche Führungsforschung stellt er damit einen Gegenpol zum Prinzip der Rationalität und der technologischen Glattheit dar, obwohl die Funktionsweise von Charisma hier als pragmatische Strategie zur Optimierung des öffentlichen Eindrucks 15 Klapp 1964, S. 17.
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Verwendung findet. Entsprechend meint »Führung« im Kontext des »New Leadership Approach« die »Vermittlung von Werten und Sinn durch exemplarisches, symbolhaftes Handeln sowie der Artikulation einer inspirierenden Vision«. Der Firmenchef bzw. CEO fungiert dabei als Repräsentant der Unternehmenskultur und damit in Anlehnung an Klapp als »symbolic leader«.16 Der Erfolg der »Corporate Identity« eines Unternehmens, die durch den CEO personalisiert wird, zeigt sich daran, dass sie sowohl den Unternehmensangehörigen (interne Anspruchsgruppen) als auch den Außenstehenden (externe Anspruchsgruppen) in symbolischer Form einen glaubwürdigen Sinnzusammenhang des unternehmerischen Handelns vermittelt. Die damit angestrebte Gleichzeitigkeit einer Motivation von innen und einer Legitimation nach außen ist dabei eine Reaktion auf die zunehmende Komplexität betrieblicher Umwelten. Die Erzeugung eines Images und die damit einhergehende Informationskomprimierung dient demnach der Wiedererkennung und Komplexitätsreduktion.17 Entsprechend findet man seit einiger Zeit auf nahezu jeder Website eines Unternehmens das sogenannte »Leitbild« als Informationsanker. Durch die Fokussierung auf eine zugehörige personale Instanz wird dabei eine Projektionsfläche für die Zuschreibung von Erfolgen und Misserfolgen bereitgestellt. Nicht nur bei Star-Managern, sondern auch bei Star-Politikern ist Personalisierung ein zentrales Instrument politischer Persuasion, indem das abstrakte politische Geschehen hierdurch an nachvollziehbare menschliche Ursachen gebunden wird und Raum für mediengerechte Selbststilisierung bleibt, die wiederum gewünschte Attribuierungsvorgänge auslöst.18 In Bezug auf die Stilisierung herausragender Persönlichkeiten geht es hier demnach um die Betonung massen- und medienwirksamer Merkmale, die auf verschiedenen Ebenen geleistet wird. Im Zentrum steht dabei die Einübung rhetorischer Fähigkeiten wie Redewendungen, Verhaltensweisen, Körpersprache, die z.B. Tatkraft, Ehrlichkeit etc. suggerieren sollen, um dem jeweiligen Protagonisten ein prestigesteigerndes und legitimierendes Seltenheitsmonopol zu sichern. Angestrebt werden somit kohärente Medienauftritte, die mit sonstigen Aktivitäten und Profilen koordiniert werden.19 Dieses Prinzip der integrierten Kommunikation findet im Kontext des Produktmarketings genauere Berücksichtigung.20 Dies impliziert die Vorstellung einer Konstruierbarkeit bzw. »Machbarkeit« eines Images 16 17 18 19
Vgl. auch Grunig, L.A. 1993, S. 133ff. Vgl. Grunig, J. 1993, S. 282f. und Rühl 1993, S. 70. Vgl. Saxer 1993, 169 und Schütz 1992, S. 12ff. Vgl. Avenarius 2000, S. 171. Zu diesem Zweck werden auch spezifische »PRAudits« entworfen wie z.B. der »4-step-image-construction process« (vgl. Dozier 1993, S. 229). 20 Vgl. Kapitel 3.3.
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durch Kommunikation (»production concept of image«) bei gleichzeitigem Bewusstsein, dass sich der Eindruck selbst immer erst als Reaktion eines Publikums realisiert.21 Auch wenn gestalterische Maßnahmen zur Befestigung eines angestrebten Personenimages im Kontext dieser analytisch ausgerichteten Arbeit weniger von Bedeutung sind, werden hierdurch diejenigen Aspekte angesprochen, die diesbezüglich als wichtig angesehen werden (wie z.B. äußere Erscheinung, mediales Auftreten etc.). Sie liefern damit Hinweise auf eine potentielle Kategorisierung von Merkmalen, die auch für Musiker relevant sind. Wissenschaftliche Imageanalysen von Politikern sind in diesem Zusammenhang insbesondere durch ein Interesse an der Wirkung medialer Berichterstattung motiviert, weil davon ausgegangen wird, dass die Images der Spitzenkandidaten im Zeitalter nachlassender Parteiloyalitäten eine zunehmend wichtigere Rolle für die Wahlentscheidung spielen.22 So vergleicht Schönbach die Images von Kohl und Lafontaine anhand repräsentativer Befragungen zur Bestimmung der Bevölkerungsmeinung zu unterschiedlichen Zeiten im Wahlkampf, wobei auch die Intensität, Bedeutung und Art der Mediennutzung berücksichtigt wurde.23 Demnach hatten Wahlkampfinformationen (z.B. durch Werbung, Berichterstattung oder politische Gespräche) bei Kohl insgesamt einen geringeren Einfluss auf dessen Image als bei Lafontaine, was durch das bereits etabliertere und damit gefestigtere Image Kohls als amtierendem Kanzler erklärt wird. Auch wenn die Einflüsse (vor allem durch politische Werbung) zusammenfassend als »bescheiden« eingeordnet werden, lassen sich bei beiden Kandidaten Unterschiede hinsichtlich der Veränderungsresistenz einzelner Attribute feststellen. Problematisch ist allerdings die direkte Abfrage relativ komplexer Eigenschaften (wie z.B. Glaubwürdigkeit), die quasi additiv aufgelistet werden. Entsprechend wird in Kapitel 3.3 deutlich, dass Image vor allem ein ganzheitliches Konzept ist, dessen Komponenten sich nur begrenzt a priori festlegen lassen und eine induktive Herleitung erfordern. Von größerem Interesse für den empirischen Teil dieser Arbeit ist die Analyse von Kepplinger/Donsbach/Brosius/Staab, in der mit Hilfe einer umfassenden Presseanalyse am Beispiel von Helmut Kohl signifikante Beziehungen zwischen Medientenor und Bevölkerungsmeinung über einen längeren Zeitraum ermittelt wurden.24 Die hier angewandte Methode der inhaltsanalytischen Imageanalyse erscheint als brauchbarer Baustein für die 21 Vgl. Avenarius 2000, S. 161f. 22 Vgl. Schütz 1992, Schönbach 1993. 23 Vgl. Schönbach 1993. Abgefragt wurden u.a. Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Tatkraft, Verantwortungsbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit, Ehrlichkeit, Führungsqualität etc. 24 Vgl. Kepplinger/Donsbach/Brosius/Staab 1986. Vgl. auch die bereits 1959 durchgeführte Imageanalyse von Adenauer und Ollenhauer durch Kleining (Kleining 1959b).
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Analyse von Musiker-Images.25 Separat wurden hier berichtete Themenfelder (z.B. Parteipolitik, Privatleben Kohls, Verhältnis zu anderen Politikern) und Eigenschaften (z.B. Integrität, Entscheidungskraft, Konfliktfähigkeit) hinsichtlich ihrer Auftrittsfrequenz und Bewertung durch einzelne Medien ausgewertet. Im Methodenkapitel wird auf diese Untersuchung daher noch einmal gesondert eingegangen. Beliebt ist im Bereich der strategischen Personenführung der Rückgriff auf die Impression-Management-Theorie. Zumeist beschränkt sich dieser aber lediglich auf die Verwendung des Begriffs, da er pragmatische Strategien zur Optimierung des öffentlichen Eindrucks suggeriert. In der Sozialpsychologie beschreibt die Impression-Management-Theorie26 das Bemühen von Menschen, einen bestimmten Eindruck27 auf Interaktionspartner zu erwirken, um ihre Ziele besser durchsetzen zu können bzw. Vorteilsmaximierung zu erzielen. Sie achten dabei auf alle Hinweisreize, die für andere bewertungsrelevant sein könnten und führen nur solche Handlungen aus, die sie in einer Situation für günstig halten. Dabei kontrollieren sie auch ihr nicht-verbales Ausdrucksverhalten (wie z.B. Blickkontakt, Mimik, Körperhaltung) im Sinn einer vorteilhaften Selbstdarstellung.28 Für verschiedene Personen- bzw. Berufsgruppen sind diese Maßnahmen im Alltag unterschiedlich bedeutsam. Selbstdarstellung wird demnach betrieben von »some of the people most of the time and most of the people some of the time«.29 Insbesondere prominente Persönlichkeiten sind dabei der ersten Gruppe zuzuordnen, da sie permanent auf die Akzeptanz durch ein Publikum angewiesen sind. Tedeschi/Lindskold/Rosenfeld30 differenzieren verschiedene Selbstdarstellungsarten nach kurzfristigen, situationsspezifischen Taktiken und langfristig ausgerichteten Strategien. Dabei lassen sich sowohl assertive Taktiken (z.B. Schmeicheln, Einstellungsähnlichkeit zeigen) und defensive Taktiken (z.B. Rechtfertigungen, Entschuldigungen) als auch assertive Strategien (z.B. kontinuierliche Betonung positiver Dispositionen) und defensive Strategien (Betonung negativer Dispositionen wie Hilflosigkeit, Krankheit) unterscheiden. Eine systematische Untersuchung im Kontext der Selbstdarstellung von Politikern liefert Schütz.31 Sie identifiziert und konkretisiert o.g. Techniken anhand von TV-Wahlkampfauftritten zweier Spitzenpolitiker und überprüft ihre Wirkung durch eine Befragung von Jungwählern. In Erweiterung bis25 26 27 28 29 30 31
Vgl. Entwicklung der 2-stufigen Inhaltsanalyse in Kapitel 5. Vgl. Schlenker 1980, Tedeschi 1981, Mummendey/Bolten 1985. Zur Nähe der Begrifflichkeiten von Eindruck und Image vgl. Kapitel 3.4. Vgl. Herkner 1996, S. 389f. Schlenker 1980, S. 84. Vgl. Tedeschi/Lindskold/Rosenfeld 1985. Vgl. Schütz 1992, S. 12ff.
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heriger Konzeptionen differenziert sie Selbstdarstellungsstrategien nach Formen, Zielen und Funktionen, für die sie spezifische Kategoriensysteme zur Analyse entwickelt. Diese Hierarchisierung von Selbstdarstellungsmaßnahmen ermöglicht darüber hinaus die Konstruktion eines Prozessmodells von der Planung bis zur Umsetzung eines attraktiven Selbstbildes. Die Herausarbeitung von Selbstdarstellungsmechanismen ist zwar zur Beschreibung des öffentlichen Auftretens hilfreich, im Hinblick auf die Analyse von Musikerimages jedoch weniger relevant, da hierdurch eher die Verhaltensvariationen ermittelt werden, die ein angestrebtes Images erzeugen sollen, nicht aber das Image selbst. Die genannten Taktiken und Strategien können jedoch wichtige Hinweise für die Kategorisierung der musikerbezogenen Verhaltensweisen bieten. Personenimages spielen des Weiteren im Marketing- und Werbebereich eine immer wichtigere Rolle. Mit der Publikation »Der Mensch als Marke« gibt Herbst 2003 erstmalig eine umfassende Bestandsaufnahme zu dieser Thematik heraus.32 Ergänzend zur Aufarbeitung von Ansätzen zur Markenführung und ihrer Verknüpfung mit der Vermarktung von Personen enthält das Buch zahlreiche Fallbeispiele sowie Hinweise auf Institute, die sich auf die Analyse und Positionierung von Testimonials spezialisiert haben (z.B. Promikativ, TNS Emnid). Insgesamt dominiert bei den meisten Beiträgen jedoch der Aspekt der Zusammenstellung bereits bekannter markentechnischer Wissensbestände; auf zentrale Unterschiede zwischen klassischen Produktmarken und Persönlichkeiten wird hingegen nicht eingegangen. Zudem sind die Ausführungen eher praxisorientiert und bieten kaum Ansatzpunkte zur imageanalytischen Methodenentwicklung. Einen Schritt weiter geht Engh in seiner Dissertation »Musik als Marke«, in der er ein an Meffert/Burmann angelehntes Markenführungsmodell für Musiker konzipiert. Am Beispiel von Britney Spears erläutert er relevante Komponenten einer integrierten Künstlerentwicklung, bei der vor allem die Übereinstimmung von Selbstbild (angestrebte Identität) und Fremdbild (Image) angestrebt wird. Die drei zentralen Dimensionen für die Gestaltung der angestrebten Künstleridentität lassen sich in einem sogenannten Tool-Wheel verorten und entsprechend operationalisieren. So beschreibt die A&R33-Politik (Content-Dimension) den Produktionsprozess von Musikinhalten, was sowohl die auditiven Produkte in Form von Songs, die Künstleridentität als auch das Verhältnis zwischen beiden Komponenten beinhaltet.34 Im Bereich der Verwertungspolitik (Channel-Dimension) werden die im einzelnen zu belegenden Kanäle (z.B. elektronisch-digitale Medien, Printmedien, aber auch Merchandising oder Sponsoring) ausge32 Vgl. Herbst 2003. 33 Abkürzung für Artist & Repertoire. 34 Vgl. Engh, S. 207ff.
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wählt, durch die die Musikinhalte fließen.35 Die Auswahl und Kombination spezifischer Kanäle spielt für die Wirkung der Inhalte und im Hinblick auf potentielle Synergieeffekte eine große Rolle, weshalb bereits differenzierte Ansätze zur Durchführung einer cross-medialen Channel-Strategie existieren.36 Die Bereiche der Markenarchitektur- und Organisationspolitik (Corporate-Dimension) umfassen vor allem Aspekte, die den einzelnen Künstler im Kontext anderer Marken betrachten sowie die strategischen Entscheidungsprozesse des Unternehmens insgesamt37 und sind daher an dieser Stelle von geringerem Interesse. Auch die Erkenntnisse von Engh sind demnach auf die praktische Umsetzung im Prozess des Musikmarketings und weniger auf die Herausbildung eines Methodeninventars zur Analyse von Musikerimages ausgerichtet. Dennoch liefert seine Arbeit wertvolle Informationen über die dem Vermarktungsprozess von Musikern zugrundeliegenden Prinzipien und wird daher noch an anderen Stellen als Bezugspunkt dienen. Insbesondere der Aspekt der integrierten Kommunikation in Zusammenhang mit Konzepten des Channel-Managements erscheint auch für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung, da das Kapitel 3.5 zeigt, dass gerade die Art der Vermittlung wesentlichen Einfluss auf den Gesamteindruck eines Musikers hat. Um der wichtigen Rolle des Mediums (oder des konkreten Mediumformats) bzw. des »Fits« zwischen Medium und starbezogenem Inhalt Rechnung zu tragen, werden die Ergebniskapitel bezüglich der einzelnen Musiker daher zunächst medienspezifisch unterteilt.38 Insgesamt überwiegt in den bisherigen Veröffentlichungen zum Bereich der Personenimages die Darstellung absatzorientierter Optimierungsstrategien, die vor allem den Produktionsaspekt eines Image also seine prinzipielle »Herstellbarkeit« herausstellen. Da diese Arbeiten keinen theoretischen Hintergrund für ein umfassendes Verständnis der Funktionsweise eines Images und auch nur punktuell Hinweise auf analytische Zugangsweisen bieten, sind sie für die vorliegende Untersuchung nur eingeschränkt von Nutzen. Zur Durchführung einer interdisziplinären Modellbildung und Operationalisierung bedarf es daher eines tieferen Blicks in relevante Einzeldisziplinen.
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Vgl. ebd., S. 239ff. Vgl. ebd. S. 289f. Vgl. ebd., S. 312ff. Da die Imageanalysen in dieser Arbeit lediglich exemplarischen Charakter haben, kann dabei nur eine Auswahl an Kanälen bzw. Kanalsystemen berücksichtigt werden.
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3.3 Produktmarketing/Markenmanagement »Ein Produkt ist alles, was auf einem Markt zwecks Erlangung von Aufmerksamkeit, zum Erwerb, zum Gebrauch oder Verkauf angeboten werden kann und geeignet ist, Wünsche oder Bedürfnisse zu befriedigen. Es umfasst konkrete Objekte, Dienstleistungen, Personen, Orte, Organisationen und Ideen«.39 Somit lässt sich auch ein Musiker als Produkt bzw. als Produktkonglomerat verstehen, dessen Image einen wesentlichen Beitrag zum Gesamterfolg leistet. Die Bedeutung des Images ist vor allem für Produkte relevant, denen ein spezifischer »Markencharakter« zugeschrieben wird, wie dies bei prominenten Musikern der Fall ist. Demnach wird ein Produkt erst als Markenprodukt bezeichnet, wenn es ein positives, relevantes und unverwechselbares Image bei den Konsumenten aufgebaut hat.40 Repräsentiert eine Marke zunächst nur ein physisches Kennzeichen für die Herkunft eines Artikels,41 bewirkt ihre spezifische Ausgestaltung, Positionierung und kontinuierliche Präsenz gleichzeitig Identifikation und Differenzierung. Wie bei Musikern fungiert auch bei Marken allgemein insbesondere der Name als Symbol, mit dem eine Vielzahl von Assoziationen und Ansprüchen aufgerufen werden. Schließlich erwarten wir, dass Alfred Brendel drin ist, wo Alfred Brendel drauf steht.42 Warum aber erhält das Image als Schlüsselkonzept zur Produkt- und Markengestaltung überhaupt eine solche Aufmerksamkeit? Ein wesentlicher Bedeutungswandel des Marketings vollzog sich Mitte der 50er Jahre: Im Zuge wirtschaftlichen Aufschwungs, erweiterter ökonomischer Vernetzungen und ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche Strukturen ging es nicht mehr schwerpunktmäßig um die Optimierung des Produktionsbereiches. Vielmehr rückte der Absatzbereich und damit die Endphase des gesamten betrieblichen Leistungsprozesses ins Zentrum,43 da die Lebensumstände der Konsumenten nun durch eine anhaltende Möglichkeitssteigerung gekennzeichnet waren.44 Nicht die Organisation der Beschaffung und Herstellung spielte also die dominierende Rolle, sondern die Entwicklung von Strategien, Produkte effektiv an etablierte oder neu zu erschließende Märkte heranzubringen.
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Kotler 1988, S. 336. Vgl. Esch & Wicke, S. 11. Vgl. Mellerowicz 1963, S. 39. Zur Markengestaltung gehört ebenso ein entsprechendes Logo. In der Musik ist ein mit dem Namen verbundenes Logo bei Interpreten im populären Bereich (vor allem HipHop) zunehmend zu registrieren. Auch bei Robbie Williams ziert ein aus seinen Initialen gefertigtes Logo alle Tonträger, Merchandisingartikel und Konzerttickets. 43 Vgl. Moser 2002, S. 13. 44 Vgl. Esch/Wicke 1999, S. 21.
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Bereits 1955 forderten Gardner/Levy in ihrem Aufsatz »The Product and the Brand« ein größeres Bewusstsein der sozialen und psychologischen Natur von Produkten sowie damit einhergehende Neu-Konzeptionen. Mit Hilfe des Image-Konzepts sollte dabei der Charakter eines Produktes berücksichtigt werden. Es sollten die Bewertungsdimensionen extrahiert werden, die bei der Beurteilung einer Marke Verwendung finden und die jeweilige Verortung des Produkts auf eben diesen Dimensionen bestimmt werden. Als Public Image ist demzufolge der Komplex von Ideen, Gefühlen und Haltungen, die Konsumenten gegenüber Marken haben,45 entscheidend für die Auswahl eines Produktes. Auch die Publikationen von Spiegel und Bergler können bzgl. der Integration des Image-Begriffs in die Absatzwirtschaft als Pionierliteratur angesehen werden, da auch sie darauf hinweisen, dass nicht die objektive Beschaffenheit einer Ware, sondern einzig die Verbrauchervorstellung die Realität darstellt.46 Im Rahmen des instrumentellen Marketings fand zunächst lediglich die Perspektive des Herstellers Berücksichtigung, da eine Marke hier als Merkmalskatalog operationalisiert wurde, dessen konsequente Umsetzung allein unabhängig von Markt- und Unternehmenssituation den Erfolg versprach. Der funktionsorientierte Ansatz ab Mitte der 60er Jahre rückte im Zuge der erheblichen Zunahme des Warenangebots und einer damit einhergehenden Sättigung der Grundbedürfnisse den Absatzbereich in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang entstand auch die bis heute aktuell gebliebene Anordnung des sogenannten Marketing-Mix, bestehend aus Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik. Mit dem imageorientierten Ansatz entwickelte sich Mitte der 70er Jahre die Orientierung am Konsumenten und damit ein Markenverständnis, das hauptsächlich auf der Verbrauchervorstellung bzw. der Wirkung der Marke beim Verbraucher basiert. Diese Entwicklung lässt sich dadurch erklären, dass Innovation als traditioneller Markenkern aufgrund der hohen Imitationsgeschwindigkeit zunehmend an Bedeutung verlor. Zudem wird hohe konstante Qualität als Leistungsanspruch vom Konsumenten vorausgesetzt und stellt keine zentrale Profilierungsstrategie mehr dar. Imagerelevanz wird nun allen Marketingparametern zugeschrieben, wodurch Marketing und Markenführung praktisch gleichgesetzt sind.47 Die Erforschung von Bedeutung, Entstehung und Komponenten eines Markenimages erfolgte allerdings in einer häufig partialanalytischen Methodik, die die Verknüpfung der verschiedenen Parameter ebenso vernachlässigte wie die Integration des Wirkungsaspektes in den marketingspezifischen Gesamtkontext. Diese In-
45 Vgl. Gardner/Levy 1955, S. 34. 46 Vgl. Spiegel 1961 und Bergler 1966. 47 Vgl. Goodyear 1994, S. 60.
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tegrationsfunktion leistet aktuell insbesondere der identitätsorientierte Ansatz von Meffert/Burmann, auf den weiter unten näher eingegangen wird.
Begriffliche Klärung Zunächst soll das Image-Konzept im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext jedoch eine begriffliche Konkretisierung erfahren. Durch die vielfältigen Definitionsvorschläge bzw. das Umgehen einer genaueren Bestimmung oder auch der Ablehnung des Terminus aufgrund eben dieser Undefiniertheit wird dieses Vorhaben jedoch erheblich erschwert. So wird Image u.a. als »allgemeine Zauberformel«,48 als »umbrella term«49 oder »Mädchen für alles«50 klassifiziert, da es sowohl zur Bestimmung der Aufnahmefähigkeit eines Marktes, der Festlegung und Kontrolle absatzpolitischer Ziele und der Vorhersage des Kaufverhaltens instrumentalisiert wird. Es kommt vor, dass der Image-Begriff in Hand- und Lehrbüchern zum Produktmarketing in nahezu jedem Kapitel genannt, aber nie definiert wird.51 Zumeist entstehen hierdurch Ungenauigkeiten in Form von widersprüchlichen Hierarchisierungen.52 Als kleinster gemeinsamer Nenner bleibt also vorläufig festzuhalten, dass ein Image »die subjektiven Ansichten und Vorstellungen von einem Gegenstand« wiedergibt; »hierzu gehören sowohl das subjektive Wissen über den Gegenstand als auch gefühlsmäßige Wertungen«.53 Produktionsorientiert betrachtet umfasst das Image daher die als Vorstellungsbild verzeichneten Leistungsschwerpunkte.54 Gewinnbringender in Bezug auf den Gesamtkontext der vorliegenden Arbeit ist die Einordnung des Image-Begriffs in den Kontext des Markenwerts, der als zentrale Steuerungsgröße des Markenmanagements seit den 80er Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Der Markenwert ist sowohl Indikator als auch Prädiktor der Konsumentenloyalität zu einer ausgewählten Marke, also de facto ihres wirtschaftlichen Erfolgs. Dieser Erfolg ermöglicht wie bei Musikern entsprechende Kalkulationen hinsichtlich des Absatzes zukünftiger Produkte, so wie auch in der Musik davon ausgegangen wird, dass eine zugehörige
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Lilli 1983, S. 402. Grunig 1993, S. 268. Krober-Riehl 1996, S. 167. Vgl. z.B. Koppelmann 2001. So wird die Markenpersönlichkeit innerhalb eines einzigen Artikels einerseits als konstitutiver Teil des Images und andererseits als zusätzlich zum Image existierende Komponente der Markenidentität klassifiziert. Vgl. Biel 1999, S. 71f. 53 Kroeber-Riehl 2003, S. 197, vgl. auch Trommsdorf 2004, S. 168. 54 Vgl. Koppelmann, S. 116.
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Anhängerschaft des Interpreten ein neues Album schon aufgrund einer spezifischen Star-Loyalität erwirbt.55 Indem der Markenwert ein ökonomisches Maß repräsentiert, das sich in den Köpfen der Konsumenten widerspiegelt, muss es verhaltenswissenschaftlich operationalisiert sein. Hier wird eine Konzeptionalisierung des Markenwertes vorgeschlagen, die eine Kombination der Ansätze von Aaker und Esch darstellt.56 Demnach manifestiert sich der Markenwert im Markenwissen, das sich wiederum aus Markenbekanntheit und Markenimage zusammensetzt.57 Liefert Bekanntheit die Basis für die Herausbildung eines klaren Images, so wird dieses selbst als Assoziationsbündel verstanden. Esch differenziert hierbei verschiedene Dimensionen, wie z.B. die Art, Stärke, Einzigartigkeit, Relevanz oder Zugriffsfähigkeit der einzelnen Assoziationen. Nach Aaker bestehen diese Assoziationen sowohl aus konkreten Produktattributen bzw. -fähigkeiten und ihrem jeweiligen Nutzen als auch übergeordneten, nicht direkt im Produkt angelegten Aspekten der Markenpersönlichkeit. Die Markenpersönlichkeit bezeichnet er als die differenzierende und daher wichtigste Komponente des Images und damit der Marke selbst. Sie repräsentiert vor allem den ganzheitlichen, integrativen Aspekt des Vorstellungsbildes einer Marke und lässt sich als mehrdimensionale Netzstruktur verstehen. Zur Markenpersönlichkeit können neben symbolisch-intangiblen Attributen auch die konkreten Produkteigenschaften gehören, entscheidend sind allerdings nicht die einzelnen Elemente, sondern »die Idee des Produkts im menschlichen Bewusstsein«.58 Gerade das Zusammenspiel in Form einer Vernetzung aller Aspekte ist somit für eine Vorstellung verantwortlich, die wie eine menschliche Persönlichkeit durch ein vielschichtiges Wertemuster geprägt ist.59 Da die Wahrnehmung dieser Persönlichkeit immer auch eine Wertung impliziert, schlägt sich das so konstruierte Markenwissen im positiven Fall in einer Markenloyalität nieder, die wiederum den Markenwert erhöht. Im Rahmen der Marktforschung widmet man sich dabei insbesondere der Art und Gestaltung von »Markenbeziehungen«, um zu einem Verständnis der subjektiven Bedeutung von Erfahrungen zu gelangen, die die Verbraucher mit bestimmten Marken gemacht haben. Von Interesse ist hierbei die Entstehung von Bindung, Intimität und Sinnstiftung, also der Bezug der Marke zur eigenen Persönlich-
55 Nur aufgrund dieser Annahmen ist es beispielsweise möglich, dass ein Album bereits durch die Einkäufer Platin-Status erzielt hat, also bevor es überhaupt im Einzelhandel erschienen ist. 56 Vgl. Aaker 1992 und Esch 1999. 57 Vgl. Esch/Wicke 1999, S. 51. 58 Herrmann/Huber/Braunstein 1999, S. 111. 59 Aspekt der Vernetzung verweist wiederum auf strukturierte Polysemie; vgl. Kapitel 2.1.
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keit.60 Prinzipiell ist Markenloyalität bzw. Markenbeziehung daher mit dem im Starkontext dargestellten Phänomen der para-sozialen Beziehung vergleichbar. Diese etwas ausführlichere Darstellung zur Verortung des Images im Kontext des Markenwertes ist vor allem durch die strukturellen Parallelen zum Untersuchungsgegenstand motiviert. Interessanterweise zeigen die hier angeführten zentralen Begrifflichkeiten deutliche Ähnlichkeiten zu den Bedingungskomponenten von musikalischem Startum, die sich aus den vorherigen Kapiteln herleiten und Gegenstand des abschließenden Synthese-Kapitels sind. So korrespondiert der übergeordnete Markenwert mit dem Erfolg eines Musikers, der in Form von Verkaufszahlen und Auszeichnungen operationalisiert und medial attribuiert wird und als Gütesiegel für potentielle Kunden fungiert. Bekanntheit als zweite Star-Bedingung korrespondiert direkt mit dem Konzept der Markenbekanntheit. Wie auch bei Musikern stellen »Leistung/Erfolg« und Bekanntheit zwar notwendige, jedoch keine hinreichenden Bedingungen für die öffentliche Attribution des Star- bzw. Marken-Status dar. Dieser Status impliziert bei Musikern eine feste Anhängerschaft, die eine Parallele zur Markenloyalität aufweist. Schließlich stellt die Persönlichkeit sowohl für die Marke im Allgemeinen wie auch Musiker im speziellen die wesentliche Komponente dar, indem sie alle anderen Aspekte zu einem kohärenten, prägnanten wertebasierten Vorstellungsbild integriert. Um nun die mit einer Marke verbundenen Vorstellungsbilder zu konkretisieren, bedarf es einer Konzeptionalisierung der Funktionsweise des Images. Die eben aufgezeigte Tendenz einer mehrdimensionalen Betrachtung legt einen Rückgriff auf Netzwerk- und Schema-Theorien nahe. Demnach bestimmen Markenschemata, wie Informationen zur Marke aufgenommen, verarbeitet und gespeichert werden, wodurch sie auch das Kaufverhalten maßgeblich beeinflussen.61 Sie lassen sich in Form semantischer Netzwerke darstellen und bestehen aus Knoten und Kanten, wobei die Knoten auf spezifische Eigenschaften der Marke verweisen und die Kanten auf die Beziehungen zwischen Eigenschaft und Marke.62 Von Interesse ist im Kontext dieser Arbeit neben der hierarchischen Struktur eines Images das sog. Vererbungsprinzip. Gemeint ist, dass alle Marken einer Produktkategorie automatisch die mit der Produktkategorie gespeicherten Vorstellungen »erben«. Insbesondere starke Marken bzw. herausragende Musiker implementieren über die Produktkategorie hinaus einzigartige und relevante Vorstellungen.63 Sowie »Tempo« für Taschentücher an sich steht und der
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Vgl. Fournier 1999, S. 158ff. Vgl. Esch/Wicke 1999, S. 11. Vgl. ebd., S. 47f. Vgl. ebd., S. 48.
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»Fön« Haartrockner im Allgemeinen repräsentiert, kann auch ein Musiker als Aushängeschild für einen spezifischen Stil fungieren und entsprechende Erwartungshaltungen erzeugen. Dies verweist wiederum auf die kontinuierliche Ausbildung eines Symbolcharakters, die sich durch dauerhaften Erfolg entwickelt, wie es Dyer in Bezug auf die Genese stilprägender Schauspieler-Images darstellte.64 Neben dem Bezug auf Schema- und Netzwerk-Theorien wird insbesondere auf den Einstellungsbegriff rekurriert. Somit werden Images als »mehrdimensionale Grundlagen von Einstellungen verstanden, als differenzierteres (aber ganzheitliches) Bild des Einstellungsobjekts«.65 Nach dieser Definition liefert das Image also die strukturelle Basis einer Einstellung. Diese Bestimmung liegt nicht weit entfernt von einer heute zumeist praktizierten Gleichsetzung von Image und Einstellung im Kontext des Marketings. So plausibel dies auch erscheint, sollte die absatzorientierte Rezeption psychologischer Begrifflichkeiten66 in der vorliegenden Untersuchung nicht einfach übernommen werden, sondern »Einstellung« und »Schema« im anschließenden Kapitel noch einmal musikbezogen differenziert werden. Insbesondere ist dabei von Bedeutung, dass die Verwendung dieser Terminologie im Produktmarketing eher auf Gegenstände ausgerichtet ist und daher eine personenbezogene Konkretisierung erfahren muss.
Methodische Aspekte Traditionell meint »Imageanalyse« im Kontext des Produktmarketings vor allem »Wirkungskontrolle«, also Überprüfung des Vorstellungsbilds beim Konsumenten.67 Am häufigsten kommt dabei das semantische Differential zum Einsatz, da es eine mehrdimensionale Einstellungsmessung ermöglicht. Problematisch bleibt jedoch die starke Vereinfachung durch die zweipolige Anlage und das hohe Ausmaß an Standardisierung (sowohl in Bezug 64 Vgl. Kapitel 2.1. 65 Trommsdorf 2004, S. 168. 66 Die Übernahme psychologischer Konstrukte dient vor allem der Erklärung des Konsumentenverhaltens. Die Darstellung basiert zumeist auf der Skizzierung wesentlicher psychologischer Erkenntnisse mit der entsprechenden Verweisen auf ihre Bedeutung für marketingspezifische Zusammenhänge. Die Zusammenstellung abstrakter Begrifflichkeiten geht mit der Rezeption und Weiterentwicklung zugehöriger Messinstrumente einher. Als problematisch erscheint die jeweils eigene Strukturierung dieses Kontextes in verschiedenen Lehrbüchern. So werden Begriffe wie Aktivierung, Emotion, Motivation etc. häufig unterschiedlich klassifiziert und daher nur ungenau umrissen; bei Trommsdorf sind sie beispielsweise Zustände und explizit keine Prozesse, bei Kroeber-Riehl hingegen aktivierende Prozesse, die wiederum von kognitiven Prozessen unterschieden werden. 67 Imageanalyse kann aber Teil einer Marktanalyse sein, die der Phase der Produktgestaltung vorgeschaltet ist und aus Konkurrenz- und Anspruchsanalyse besteht und deren Ergebnisse direkt in Gestaltungsprozesse umgesetzt werden. Vgl. hierzu den abschließenden Abschnitt zur Imagegestaltung in diesem Unterkapitel.
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auf die Itemselektion als auch auf die Auswertung).68 Zudem werden mit diesen klassischen Image-Profilen häufig nicht die differenzierenden und damit relevanten Eigenschaften gemessen.69 Das Dilemma besteht also darin, dass Images strenggenommen bzw. per definitionem nur ganzheitlich erfasst werden können, im Markenmanagement jedoch eine Isolierung und sprachliche Erfassung von Komponenten erforderlich ist, um Images im Hinblick auf Gestaltungsaspekte kommunizierbar zu machen. Einen Ausweg bietet seit den 80er Jahren die Imagery-Forschung,70 die davon ausgeht, dass Images als »innere Bilder« zu verstehen sind, die mit Hilfe von vorgelegten Bilderskalen aktiviert werden sollen und zum Vergleich anregen. In dieser Zeit entstanden in Deutschland auch die ersten überwiegend qualitativ arbeitenden Markt- und Markenforschungsinstitute, die zunehmend an Einfluss gewinnen und sich durch jeweils eigene Ansätze zur Markenanalyse voneinander abgrenzen. Eine interessante Verknüpfung methodischer Verfahren bietet die Means-End-Analyse. Ziel dieses Ansatzes ist es, die einstellungsrelevanten Aspekte einer Marke oder einer Person herauszufiltern, indem davon ausgegangen wird, dass Rezipienten und Konsumenten bestimmte Leistungsbündel als Mittel (»means«) betrachten, um wünschenswerte Ziele (»ends«) zu realisieren.71 Hypothetisch wird daher angenommen, dass die innere Repräsentation konsumrelevanten Wissens im Gehirn in Form von hierarchisch angeordneten Strukturen, den sogenannten »Means-End-Ketten«, organisiert ist. Die Glieder dieser Ketten sind dabei durch ein aufsteigendes Abstraktionsniveau charakterisiert. Auf konkreter Ebene sind dies die einzelnen Produkteigenschaften, die auf abstrakterer Ebene für einen spezifischen Nutzen und auf übergeordneter Ebene für einen allgemeinen Wert stehen. Die Analyse verläuft in vier Schritten: Nach der »repetory-grid«Methode werden zunächst die relevanten Produkteigenschaften und ihre Pole bestimmt.72 Im anschließenden »bottum-up-laddering«-Interview wird kontinuierlich gefragt, warum die im Einzelnen genannten Eigenschaften als relevant eingestuft werden, wodurch eine schrittweise Erhöhung des Abstraktionsniveaus erreicht wird. »The purpose of laddering is to force the consumer up the ladder of abstraction that is to uncover the structural
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Kroeber-Riehl 2003, S. 197f. Vgl. Esch 1999, S. 253. Vgl. Esch, S. 264 Vgl. Kroeber-Riehl, zit. nach Herrmann/Huber/Braunstein 1999, S. 117. Hierfür werden dem Befragten Dreierkombinationen von Produkten oder Bildern vorgelegt, für die jeweils unterschiedliche Vergleiche angestellt werden, z.B. sollen die Aspekte genannt werden sollen, aufgrund derer sich zwei Produkte ähneln, das dritte aber nicht. Dies erfolgt so lange bis keine neuen Unterscheidungsattribute mehr auftauchen.
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aspects of consumer knowledge as modeled by the means-end chain«.73 Komplementär kommt häufig auch ein «top-down-laddering« zur Anwendung, in dem entsprechend von der abstrakten Ebene ausgehend gefragt wird, wie ein bestimmtes Ziel erreicht bzw. ein Wert ausgedrückt wird. In der anschließenden Inhaltsanalyse wird der transkribierte Text nach Eigenschaften, Nutzen und Werten kategorisiert und die einzelnen Means-EndKetten so identifiziert. Die Assoziationsketten, deren Stärke nach der Verbindungshäufigkeit durch die Befragten variiert, werden zu einer »Hierarchical Value Map« zusammengefügt, die die aggregierte kognitive Gesamtstruktur repräsentiert.74 Diese Methodik enthält wichtige Anregungen für die Analyse von Musiker-Images. Wie die bisherigen Ausführungen zum Image-Begriff im Starkontext verdeutlichten, erfüllen Stars als komplexe Zeichenkombination für ihre Fans diverse soziale Funktionen, indem sie spezifische Lebensstile und zugehörige Wertemuster auf verschiedenen Ebenen symbolisch repräsentieren. Die positive Beurteilung einzelner Merkmale durch die Rezipienten wie z.B. Musik, Kleidung oder Persönlichkeit kann dabei Aufschluss über zugrundeliegende Bedeutungsstrukturen liefern. Auch hier müssen dafür zunächst die tatsächlich bedeutsamen Kategorien ermittelt werden. Eine Abfrage durch semantische Differentiale läuft daher Gefahr, wichtige imagerelevante Informationen zu übersehen. Werden in der vorliegenden Untersuchung durch die Inhaltsanalysen der medialen Angebotsstrukturen die öffentlich thematisierten Staraspekte identifiziert, ermöglichen Interviews mit den Fans ihre Verortung im persönlichen Wertesystem. Das »laddering«-Prinzip erscheint dabei als sinnvolle Technik, da so auch bei Musikern bestimmte Merkmale von den Befragten selbst thematisiert und hinsichtlich ihrer Funktion im Gesamtkontext der Starwahrnehmung eingeordnet werden können.75
Modellbildung Obwohl »Image« im Marketingkontext durchgehend der Konsumentenseite zugeordnet wird, steht bei seiner Verwendung in der Alltagssprache zumeist der Produktionscharakter im Vordergrund also »Image« als etwas künstlich und absatzorientiert Erzeugtes, nicht als Resultat der Wahrnehmung. Dies liegt logischerweise darin begründet, dass entscheidend für das Imagekonzept im Marketing nicht seine Operationalisierung als Verbrauchervorstellung ist, sondern die entsprechenden Implikationen, die sich daraus für die Produktgestaltung ergeben. 73 Olson/Reynolds 1983, S. 82. 74 Vgl. Herrmann/Huber/Braunstein 1999, S. 121 ff. 75 Ebenso wird hier der »top-down«-Weg gegangen. Bsp.: Wofür steht xy im Allgemeinen? Wodurch drückt sich dies im Einzelnen aus? Vgl. zur Anlage der Untersuchung Kapitel 5.
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Im Gegensatz zu den eingangs angeführten früheren Modellen der Markenführung betont der aktuellere identitätsorientierte Ansatz dabei den Aspekt der Integration. Dies bezieht sich insbesondere auf das Wechselverhältnis zwischen Produktions- und Rezeptionsseite. Mefferts Ansatz fokussiert den Prozess der Markenführung auf das Konzept der Markenidentität, die sich »über einen längeren Zeitraum als Folge der Wechselwirkungen von marktorientierten Handlungen eines Markenartikelherstellers entsprechend seiner Ressourcenkompetenz und der Wahrnehmung dieser Handlungen durch den Konsumenten« konstituiert.76 Für die Untersuchung von Musiker-Images sind hierbei vor allem die dynamischen Rückkopplungsaspekte von Interesse, da sich die Erscheinungsweise eines Musikers als langfristiger Interaktionsprozess beschreiben lässt, in dem das Management nicht autark »gestaltet«, sondern seine Vorhaben idealer Weise mit dem Interpreten, insbesondere aber mit den Vorstellungen des potentiellen Publikums in Übereinstimmung bringt. Etwas problematisch für den musikalischen Kontext sind die im identitätsorientierten Ansatz gewählten Begrifflichkeiten. Meffert unterscheidet das Selbstbild einer Markenidentität also die Sicht der internen Anspruchsgruppen vom Fremdbild der Markenidentität, das aus den Bedeutungszuschreibungen der externen Bezugsgruppen entsteht. Bei der Analyse von Personen meint »Selbstbild« in der Psychologie hingegen die Wahrnehmung der eigenen Person, die hier nicht von Interesse ist.77 Das Selbstbild setzt sich bei Meffert allerdings aus zwei Komponenten zusammen, nämlich dem anstrebten »Soll-Selbstbild« und dem realisierten »IstSelbstbild«. Da das angestrebte Bild in diesem Zusammenhang lediglich eine mentale Repräsentation in den Köpfen der Manager bzw. ein mehr oder weniger handlungsleitendes Aussagenkonzept darstellt, ist hier vor allem seine mediale Realisierung also das »Ist-Selbstbild« von Bedeutung, welches »die tatsächliche Umsetzung der vorgegebenen Inhalte einer Marke in eine marktfähige Leistung«78 repräsentiert und für die Analyse von Musikern als öffentlich-mediales Bild spezifiziert wird. Auch auf der Rezeptionsseite unterscheidet Meffert ein »Soll-Fremdbild« und ein »IstFremdbild«. Entsprechend interessiert in dieser Arbeit weniger das Ideal-, sondern das Real-Image, nämlich die »externe Wahrnehmung der tatsächlichen Marktleistung bei den relevanten Zielgruppen«.79
76 Vgl. Meffert/Burmann/Koers 2002, S. 40. 77 Kleining verwendet eine dritte Variante: Selbstbild ist hier die Vorstellung der tatsächlichen Nutzer eines Produkts, Fremdbild die Vorstellung derjenigen Personen, denen die Marke zwar bekannt ist, sie aber nicht verwenden. Vgl. Kleining 1959a, S. 202 und Moore/Kleining 1959, S. 358. 78 Vgl. Meffert/Burmann/Koers 2002, S. 90. 79 Vgl. ebd., S. 90
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Die Wechselseitigkeit von Produktions- und Konsumentenseite bei der Konstruktion einer Marke fasst Meffert nicht als reine Zweiseitigkeit auf. Vielmehr agieren in seiner Konzeption auf jeder Seite verschiedene Bezugsgruppen, die jeweils eigene Images kreieren, woraus interne (auf Seiten des Selbstbildes) und externe Identitäts-Gaps (auf Seiten des Fremdbildes) entstehen können. Folglich ist zwar ein Identitäts-Fit80 auf allen Ebenen idealtypisch angestrebt und erscheint als beste Voraussetzung für Prägnanz und Glaubwürdigkeit einer Marke, gleichzeitig impliziert dieses Modell aber, dass es kein definitives Image gibt, sondern immer eine Vielzahl von Vorstellungsbildern, die sich in einem komplexen Geflecht diverser Bezugsgruppen bilden. Diese perspektivenreiche Sicht auf Images soll für die Musikeranalysen nutzbar gemacht werden. Hier gibt es noch weniger eine deutliche Trennung zwischen Produktions- und Konsumentenseite, vielmehr lässt sich die Unterteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Texte81 als ein Kontinuum verstehen, da beispielsweise Zeitungsartikel bereits eine Rezeption bestimmter Pressetexte und primärer Produkte implizieren, für Fans jedoch eine Ressource der Produktionssphäre darstellen. Parallel zu Meffert existieren somit auch im Bereich der Musik mehrere Akteure und Bezugsgruppen auf unterschiedlichen Ebenen, die auf jeweils eigene Art und Weise an der umfassenden Imagekonstruktion eines Stars teilhaben. Neben dem dynamisch-variablen Aspekt sollte jedoch der stereotype Charakter eines Images nicht vernachlässigt werden. Denn auch wenn jeder Fan seinen Star ein wenig anders wahrnimmt und auch die medialen Auftritte jeweils unterschiedliche Aspekte hervorheben, gibt es doch zahlreiche Image-Komponenten, die von allen geteilt werden. Daher sollen zwar unterschiedliche Images der Starmusiker herausgearbeitet und hinsichtlich ihrer Konstruktionsprinzipien analysiert werden, aber im Anschluss auch diejenigen Elemente eine Fokussierung erfahren, die in allen Bezugsgruppen relevant sind. Die Unterteilung der Markenidentität in eine Kernidentität und eine erweiterte Identität nach Aaker/Joachimsthaler liefert hierfür eine hilfreiche Strukturierung. Die Kernidentität einer Marke stellt dabei ein Konzentrat der wichtigsten Elemente der Markenidentität dar. Sie bleibt auch konstant, wenn die Marke auf neue Märkte und Produkte (oder hier: mediale Präsen80 Im Rahmen des Identitätsmanagements geht es bei Meffert vor allem um die Her- und Sicherstellung eines Fits zwischen Selbstbild und Fremdbild. Dabei sind verschiedene Gaps zu überwinden, die sich aus der Gegenüberstellung der vier Identitätskomponenten ergeben: Wahrnehmungsgap (Abweichung zwischen Soll-Selbstbild und Soll-Fremdbild), Umsetzungsgap (Abweichung zwischen SollSelbstbild und Ist-Selbstbild), Kommunikationsgap (Abweichung zwischen IstSelbstbild und Ist-Fremdbild) und Identifikationsgap (Abweichung zwischen SollFremdbild und Ist-Fremdbild); vgl. Meffert/Burmann/Koers 2002, S. 93. 81 Vgl. Kapitel 2.1.
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tationsplattformen) ausgeweitet wird.82 Die Markenessenz schließlich stellt einen noch stärkeren Zoom auf das Wesentliche der Marke dar; »man kann die Markenessenz als den Kitt betrachten, der die einzelnen Elemente der Kernidentität zusammenhält«.83 Im Bereich der Musik manifestiert sich diese Essenz häufig in Labeling-Prozessen, also den Namen, die einem Musiker über lange Zeit zugeschrieben werden, um ihn allein durch wenige Worte umfassend charakterisieren zu können.84 Trotz der erwähnten begrifflichen Problematik, ist dieses Modell am ehesten geeignet, die Funktionsweise von Musikern zu erklären, wenn es unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus den anderen Kapiteln des theoretischen Teils entsprechend transformiert und in den musikalischen Kontext integriert wird.
Imagegestaltung Zum Schluss dieses Abschnitts sollen noch einige Aspekte zur konkreten Gestaltung eines Images beleuchtet werden, da diese Hinweise auf zugrundeliegende Güte- bzw. Erfolgskriterien liefern, die auch für Musikerimages relevant sind. Wie bereits deutlich wurde, gilt das Interesse im Bereich des Marketings immer der relativen Position eines Images im Verhältnis zu anderen Produkten, also um die gezielte Positionierung einer Marke im »Raum« der Images von Wettbewerbsmarken.85 Wichtig ist hierfür die Identifikation derjenigen Merkmale, die das Produkt in den Status der »unique selling proposition« bringen, um für die Konsumenten unterscheidbar und attraktiv zu sein. Branding bezeichnet daher alle Maßnahmen, »die geeignet sind, ein Produkt aus der Masse gleichartiger Produkte herauszuheben und die eine eindeutige Zuordnung von Produkten zu einer bestimmten Marke ermöglichen«.86 Auch für die Untersuchung von Musikern stellt sich aber damit die Frage, was ein Produkt bzw. einen Musiker attraktiv und einzigartig macht. Im Marketing wird zur Beantwortung dieser Frage der Begriff der »Leistungsansprüche« herangezogen. Diese Ansprüche sind »nahe an der Verhaltensoberfläche liegende, gegenstandsgerichtete Wünsche« der potentiellen Konsumenten, und die Produktleistung ist das entsprechende Vermögen, diese Ansprüche zu befriedigen.87 Unterschieden wird dabei zwischen
82 Vgl. Aaker/Joachimsthaler 2000, S. 53. 83 Vgl. ebd, S. 55. 84 Vgl. die separate Labeling-Auswertung der drei Musiker am Schluss der jeweiligen Ergebniskapitel. 85 Vgl. Trommsdorf 2004, S. 169ff. 86 Esch/Langner 1999, S. 411. 87 Koppelmann 2001, S. 136f.
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Sach- und Anmutungsansprüchen, wobei letztere im Rahmen dieser Arbeit von größerer Bedeutung sind, wie die folgende Argumentation zeigt. Nach Koppelmann leisten Anmutungen also die emotionalen Botschaften eines Produkts den wesentlichen Beitrag zur Konstitution einer »Produktpersönlichkeit«,88 wodurch wiederum der ganzheitliche Aspekt betont89 und die strukturelle Nähe zur Musikerpersönlichkeit offensichtlich wird. Zudem werden gerade die für die Musik wesentlichen Aspekte der Suggestion von Prestige und Glaubwürdigkeit durch Anmutungen bestimmt.90 Anmutungssprüche werden nach Koppelmann im Allgemeinen bedeutsamer, wenn Produkte komplexer werden. Auch für einen Musiker, der sozusagen ein hierarchisches Produkt also ein aus mehreren Produktebenen bestehendes darstellt, ist dieser Aspekt bedeutsam, da trotz Komplexität und vielfältiger Informationsangebote die Erzeugung eines emotionalen Gesamteindrucks gewährleistet sein muss. Des Weiteren erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für die Herausstellung emotionaler Aspekte, wenn das Produkt für den Verwender schwerer zu »durchschauen« ist. Damit kann auch gemeint sein, dass die Kriterien für die Erfüllung der instrumentellen Funktionen weniger klar sind wie dies bei Musikern (vor allem im populären Bereich) der Fall sein kann. Außerdem werden emotionale Botschaften wichtiger, wenn sich Produkte in der Befriedigung von Sachansprüchen ähnlicher werden. So konstatiert auch Kroeber-Riehl: »Die emotionale Erlebnisvermittlung durch Produkte und Leistungen spielt auf gesättigten Märkten eine entscheidende Rolle«.91 Dass dies auch in hohem Maße für den stark umkämpften Musikmarkt gilt, ist leicht ersichtlich. Neues materiell gesehen kann immer nur in Anlehnung an Altbekanntes entstehen, gleichzeitig muss es sich von diesem aber wiederum absetzen, um Interesse zu wecken. Besteht dabei im Bereich der populären Musik noch teilweise die Möglichkeit, die Musik selbst weiterzuentwickeln auch wenn dies zumeist die Ebene des Sounds, nicht aber der traditionellen kompositorischen Mittel betrifft und häufig sogar nur das Etikett, mit dem die Musik charakterisiert wird , können im Bereich der klassischen Musik nur die Repertoirezusammenstellung und die Interpretationsstile und diese auch nur geringfügig eine Erweiterung erfahren. Deswegen nimmt gerade auch hier auch wenn das Sachurteil im öffentlichen Diskurs die Oberhand haben mag die Bedeutung der Gestaltung außermusikalischer Dimensionen zu.
88 89 90 91
Vgl. ebd., S. 158. Vgl. Ausführungen zur Markenpersönlichkeit weiter oben in diesem Kapitel. Vgl. Kroeber-Riehl 2003, S. 609. Kroeber-Riehl 2003, S. 125.
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Die Bedeutung emotionaler Botschaften reicht aber bei Musikern noch weiter: Strenggenommen sind sachliche Funktionen hier nicht von emotionalen zu trennen, da ja die Leistung des Musikers genuin in der sinnlichen Vermittlung abstrakter, ästhetischer Inhalte besteht. Die Beurteilung der »Performance« wie die faktische Produktleistung in der betriebswirtschaftlichen Fachsprache bezeichnet wird spiegelt also beim Musiker immer die Gesamtbreite aller möglichen Evaluationsdimensionen wider, von Interpretation über äußere Erscheinung bis hin zur übergeordneten Lebensanschauung des Interpreten. Der Rückgriff auf gestaltpsychologische Regeln bei der Markenkonstruktion stellt daher für den musikalischen Kontext umso mehr eine handlungsrelevante Komponente zur Erzeugung eines ganzheitlichen Eindrucks dar. Als Gütekriterien eines Images gelten somit zum einen seine Prägnanz,92 die durch die Wiederholung ein und derselben Botschaft auf verschiedenen Präsentationsebenen idealiter gewährleistet wird.93 Gleichzeitig muss dabei auch auf eine zeitliche Kontinuität94 der thematisierten Bedeutungsmuster geachtet werden, um dauerhafte Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Sichern Prägnanz und Kontinuität den Wiedererkennungswert, bildet die Individualität eines Images das distinguierende Element, zur Etablierung einer »unique selling proposition«. Das in Kapitel 2 bereits erwähnte Verhältnis von Typikalität und Individualität erhält durch den wirtschaftswissenschaftlichen Kontext somit eine theoretische Untermauerung. So ermöglicht der Bezug auf einen sozialen Typ durch dessen prägnantes, kulturelles Rollenmuster die Wiedererkennung, während die Individualisierung durch die Ergänzung um neuartige und ungewöhnliche Komponenten erfolgt und die Einzigartigkeit eines Stars unterstreicht. »Prägnanz« eines Image meint dabei keineswegs, dass spezifische inhaltliche Elemente eindimensional belegt werden, vielmehr lebt die Marke ebenso durch interne Kontraste,95 die Interesse aufrechterhalten, da sie einer Auflösung bedürfen bzw. ein vielschichtig-komplexes Bild bedingen, dass weitergehende mediale Präsenz wahrscheinlich macht.96 Auch das Figur-Grund-Prinzip impliziert konkrete Vorgehensweisen bei der Gestaltung eines Images, die allerdings im Kontext der Personenwahrnehmung näher betrachtet werden.97 Dabei werden Kriterien konkreti92 Meffert bezeichnet diesen Aspekt als Konsistenz, vgl. Meffert/Burmann/Koers, S. 45, vgl. ebenso Herbst 2003, S. 77f., entspricht bei Karmasin dem Begriff der Kohärenz (vgl. Karmasin 1993, S. 214). 93 Vgl. Esch 1999, S. 257ff. 94 Faulstich fasst Prägnanz als synchrone und Kontinuität als diachrone Kontinuität, vgl. Faulstich/Korte/Lowry/Strobel 1997, S. 12. 95 Vgl. Esch/Langner 1999, S. 416. 96 Das Kapitel zu Images in der Medien- und PR-Wissenschaft vertieft diese Bedingungen kontinuierlicher Medienberichterstattung. 97 Vgl. Kapitel 3.4.
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siert, die die Heraushebung einer Person aus einem Wahrnehmungsfeld wahrscheinlich machen und den Prozess der Imagekonstruktion wesentlich beeinflussen. Im Anschluss an diese Ausführungen zu strukturellen Komponenten der Imagegestaltung sollen zum Abschluss der wirtschaftswissenschaftlichen Betrachtungsweise inhaltliche und vermittlungspraktische Aspekte beleuchtet werden. Bestimmen also die zentralen Werte und Anmutungen eines Produkts die Ausformung all seiner Gestaltungsebenen, bleibt die Frage, wie dieses Wertezentrum konkret definiert wird. Wie bereits erwähnt, müssen die Produkteigenschaften dazu beitragen, die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen und damit ihrem Wertesystem weitgehend entsprechen. Im Rahmen eines Anspruchsscreenings98 werden dementsprechend bestimmte Einstellungstypen spezifischen Anspruchsschwerpunkten zugeordnet. Hierbei dienen häufig Sozialstruktur- bzw. Milieu-Studien zur Entwicklung zentraler Dimension, die zu Stilen oder Looks kombiniert werden und als integrierte Gestaltungs-Sets zur Anwendung kommen. Diesbezüglich existieren daher zahlreiche Kategorisierungen, die für den Kontext dieser Arbeit nur von begrenztem Nutzen sind. Exemplarisch sollen an dieser Stelle jedoch drei Dimensionen eine kurze Ausführung erfahren, da sie im Hinblick auf kulturelle Zusammenhänge von Bedeutung sind. Dies betrifft zunächst die Dimension der kulturellen Wertsphäre, wobei sich nach Karmasin drei Sphären unterscheiden lassen.99 Die »Kultur der Disziplin« verdichtet hierbei die Werte der bürgerlichen Kultur, wie z.B. Pflichtethik, Internalisierung von Normen, Distanz, Rücksicht auf die Beuteilungen anderer etc.. Die »Kultur des Hedonismus« zeichnet sich insbesondere durch das Streben nach sofortiger Lustmaximierung aus. Die Vorstellung vom »Paradise Now« wird dabei insbesondere Ich-bezogen und narzisstisch zelebriert. Die »Kultur der Solidarität« stellt hingegen das Wir-Gefühl und die Gesinnungsethik in den Vordergrund. Individuelles Verhalten folgt dabei bestimmten Prinzipien, weil sie als moralisch richtig anerkannt werden. Sicherlich lassen sich die hier ausgewählten Musiker schnell den jeweiligen Sphären zuordnen, jedoch erscheint eine Differenzierung ihrer Verortung gerade auch im Vergleich dieser Wertsphären mit den alltagsästhetischen Schemata nach Schulze sinnvoll und wird jeweils in die Synthese der einzelnen Ergebniskapitel zu den Musikern integriert. Interessant ist auch die Differenzierung von fünf verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen, auf denen Verbraucher Marken nach einer Studie von Jennifer L. Aaker wahrnehmen: Aufrichtigkeit bezieht sich dabei auf 98 Vgl. Koppelmann 2001, S. 185ff. 99 Vgl. Karmasin 1993, S. 337ff.
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Attribute wie bodenständig, ehrlich, gesund und heiter. Erregung bzw. Spannung umfasst Merkmale wie gewagt, temperamentvoll, phantasievoll und modern. Kompetenz verweist auf Zuverlässigkeit, Intelligenz und Erfolg. Kultiviertheit beinhaltet die Merkmale vornehm und charmant und Robustheit die Eigenschaften naturverbunden, abenteuerlich, männlich und zäh. Nach Aaker erklären diese Faktoren 92% der durch die Markenpersönlichkeit verursachten Varianz.100 Auch hier ergeben sich spontane Assoziationen, die Kultiviertheit in die Nähe der klassischen Musik, Erregung/ Spannung in die Nähe der Popmusik und Aufrichtigkeit in die Nähe der volkstümlichen Musik rücken. Kompetenz im Sinne eines professionellen Auftretens könnte dabei Interpreten aller Genres zugeschrieben werden. Robustheit stellt eher eine Spezialkategorie mit einer auffälligen »Marlboro-Affinität« dar, die hier keine weitere Zuordnung zum musikalischen Kontext erfährt. Zur Gestaltung gehört aber nicht nur die Ausstattung mit attraktiven Attributen, sondern auch die Vermittlung dieser Merkmale in unterschiedlichen (medialen) Kanälen. »Es genügt nicht, objektive Leistungen anzubieten. Es muss auch dafür gesorgt werden, dass diese Leistungen von der Umwelt wahrgenommen werden«.101 Gerade im Zuge wachsender Markenvielfalt durch Segmentierung, Internationalisierung und der damit einhergehenden Marktsättigung herrscht ein »Trend vom Produktwettbewerb zum Kommunikationswettbewerb«.102 Als Problem erweist sich dabei, dass der Aufbau einer Marke einerseits Zeit benötigt, um intersubjektiv geteilte Wissensstrukturen bezüglich eines Produkts oder einer Person überhaupt zu etablieren, andererseits aber schnell ablaufen muss, da Gesellschaften zunehmend kurzfristiger agieren und immer neue Trends erwartet werden.103 Diese Verkürzung von Produktlebenszyklen führt somit zu einer Inflation der kommunikativen Maßnahmen zum Markenaufbau, die die Informationsüberlastung noch weiter forcieren. Notwendig erscheint daher eine integrierte Kommunikation, mit der die verschiedenen Erscheinungsformen der Marke gegenseitig abgestützt, ergänzt oder ausgeglichen werden können. Nur bei Abstimmung von Werbeauftritten in verschiedenen Medien erzielen Marken somit Aufmerksam-
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Aaker 1999, S. 97f. Aaker vergleicht diese Dimensionen auch mit den sog. »big five« der Persönlichkeitspsychologie: Ähnlichkeiten gibt es zwischen Liebenswürdigkeit und Aufrichtigkeit hinsichtlich der Vorstellung von Wärme und Akzeptanz; zwischen Extrovertiertheit und Erregung/Spannung bzgl. Geselligkeit, Energie und Aktivität und zwischen Gewissenhaftigkeit und Kompetenz in Bezug auf Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Sicherheit; Kultiviertheit und Robustheit haben hingegen wenig mit emotionaler Stabilität und Kultur zu tun. Kroeber-Riehl 2003, S. 267. Esch/Wicke 1999, S. 19. Vgl. Schulze 1998, S. 303f.
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keit, Sympathie und Synergieeffekte.104 Die Bedeutung einer effektiven Channeling-Strategie, die die Verbreitung markenbezogener Inhalte koordiniert, wurde bereits im Kontext der Arbeit von Engh erwähnt. Gerade in aktuellen Publikationen zum Brand Management wird dem Distributionsaspekt besondere Aufmerksamkeit geschenkt.105 Auch im Kontext der Untersuchung von Musikerimages geht es nicht nur um die Frage, was die einzelnen Interpreten verkörpern, sondern auch wie verschiedene Bedeutungskomponenten vermittelt werden, welche Wahrnehmungsstrategien seitens des Rezipienten diesbezüglich nahe gelegt werden und welche Synergie- und Konflikteffekte dabei auftreten können. In den anschließenden Kapiteln werden daher die Mechanismen herausgearbeitet, die zum einen die Wahrnehmung von Personen steuern (Kapitel 3.4) und die zum anderen der medialen Vermittlung zugrunde liegen (Kapitel 3.5).
3.4 Personenwahrnehmung und Einstellungsforschung Sowohl im Starkontext106 als auch in der Diskussion wirtschaftswissenschaftlicher Ansätze wurde die Konstruktion eines Images als aktiver Prozess verstanden, in dem von einzelnen, konkret wahrnehmbaren Merkmalen auf übergeordnete Bedeutungsstrukturen (Starkontext) bzw. Anmutungen/Werte (Marketing) geschlossen wird, die dann in ein umfassendes Bild der Persönlichkeit integriert werden. So naheliegend diese Vorstellung einer Funktionsweise der Imagebildung scheint, ist es für den Kontext dieser Arbeit dennoch erforderlich, entsprechende Mechanismen vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Erkenntnisse aus dem Bereich der Personenwahrnehmung zu spezifizieren. Obwohl Untersuchungen und Theorien zur Personenwahrnehmung wesentliche Grundlagen der Starkonstruktion erklären, wurde dieser Forschungszweig im Imagekontext bislang nicht zur Anwendung gebracht. Bezeichnenderweise findet sich der Imagebegriff denn auch in keinem zugehörigen Lehrbuch. Der Begriff des Eindrucks verstanden als strukturiertes Gesamtbild einer Person107 entspricht jedoch in seinen zentralen Charakterzügen dem des Images. Insbesondere das Phänomen des »ersten Eindrucks«, dass weiter unten im Rahmen der Ankerheuristik thematisiert wird, ist für die Starwahrnehmung von entscheidender Bedeutung. Hier 104 105 106 107
Vgl. Reischauer/Peters 1997, S. 164ff., Weinberg/Diehl 1999, S. 195. Vgl. z.B. Keller 2003, S. 259ff. und S. 358ff. Vgl. Kapitel 2.1. Vgl. Bierhoff 1986, S. 3.
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handelt es sich ebenso um einen zumeist flüchtigen, kurzen Moment, in dem zentrale Merkmale eines Stars bei seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und Interesse erzeugen oder eben nicht und bei dem die Einordnung späterer Begegnungen mit dem Star bereits in vorstrukturierte Bahnen gelenkt wird. Auch wenn es bereits in den 20er Jahren Untersuchungen zur Personenwahrnehmung gab, wie z.B. die ersten Studien zum Halo-Effekt von Thorndike etablierte sich dieser Bereich erst in den späten 40er und frühen 50er Jahren, vor allem durch die Arbeiten von Bruner et al. In einer Revision seines Aufsatzes mit Bruner108 definiert Tagiuri Personenwahrnehmung wie folgt: »Person perception refers to the processes by which man comes to know and to think about other persons, their characteristics, qualities, and inner states […]. The observations or inferences we make are principally about intentions, attitudes, emotions, ideas, abilities, purposes, traits, thoughts, perceptions, memories events that are inside the person and strictly psychological«.109
Nach Herkner lässt sich Personenwahrnehmung als Teilbereich der Einstellungsforschung verstehen, bei dem die Einstellungsobjekte keine konkreten Gegenstände oder abstrakten Vorstellungen sondern Menschen sind.110 Wie im vorherigen Kapitel bereits erwähnt, lassen sich entsprechende Einstellungen wie alle anderen Kognitionen als Knoten in semantischen Netzwerken auffassen, die durch Kanten also Relationen mit anderen Knoten verbunden sind. Jede Kognition kann dabei wiederum selbst zu einem Einstellungsobjekt werden.111 In Bezug auf das Drei-Komponenten-Modell der Einstellung112 wird in diesem Kapitel insbesondere die kognitive Dimension beleuchtet, die zudem den größten Raum in der Einstellungsforschung einnimmt. Die handlungsorientierte sog. konative Dimension bezieht sich im Starkontext auf funktionale Aspekte des konkreten Konsum- und Nutzungsverhaltens, die bereits im Kapitel zu Funktionen eines Stars hinreichend ausgeführt wurden. Auch die affektive Dimension ist durchaus funktional zu betrachten, wie beispielsweise die Untersuchungen zum MoodManagement zeigen.113 Zudem ist sie weniger elementaristisch zu fassen, indem sie sich durch einzelne Wirkungseinheiten und zugehörige Funktionsmodelle sinnvoll strukturieren ließe, sondern stellt eine ganzheitliche Komponente dar, die sowohl auf konkreten Objektmerkmalen als auch auf 108 109 110 111 112 113
Vgl. Bruner/Tagiuri 1954 und Bruner Tagiuri 1958. Zit. nach Stewart/Powell/Chetwynd 1979, S. 10. Vgl. Herkner 1996, S. 277. Vgl. ebd., S. 181. Rosenberg /Hovland 1960. Vgl. Kapitel 2.2.
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dem umfassenden Wertesystem und Lebenskontext der wahrnehmenden Person basiert.114 »Was Menschen als einfach oder kompliziert empfinden, was ihnen gefällt oder nicht, ist nicht nur abhängig von der Gestaltung des Gesehenen oder Gehörten, sondern auch vom sozialen Kontext, der Vorbildung und dem Insgesamt der Persönlichkeitsstruktur«.115
Zentrale Prozesse der Personenwahrnehmung Wie erzeugt der Mensch also ein kohärentes Personenimage aus zahlreichen physischen Einzelreizen? Bei der Personenwahrnehmung treten Prozesse auf, die für jegliche Form der Wahrnehmung charakteristisch sind. Entsprechend sind auch hier Selektion und Inferenz die grundlegenden konstruktiven Mechanismen.116 Selektion meint, dass von den tatsächlich vorhandenen Informationen nur ein kleiner Teil aktiv wahrgenommen, also beachtet und verarbeitet wird. Von diesen wird wiederum nur eine bestimmte Auswahl als brauchbar und relevant für weitergehende Schlussfolgerungen in Bezug auf die Gesamtpersönlichkeit angesehen. Inferenz meint, dass anhand dieser ausgewählten Merkmale Schlüsse auf weitere, nicht beobachtbare Eigenschaften gezogen werden. Dabei wird nicht nur von konkreten auf übergeordnete abstrakte Attribute geschlossen, sondern ebenso Ergänzungen um eigens eingebrachte Aspekte vorgenommen, die aufgrund der bisherigen Erfahrungen als »dazu gehörend« empfunden werden. Die jeweilige Selektion von Informationen ist von Bedingungen abhängig, die auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln sind, von konkreten Personenattributen bzw. Art der Reizdarbietung bis hin zu Heuristiken und kognitiven Schemata, die den Wahrnehmungsprozess a priori kanalisieren. Die folgende Darstellung wird sich dabei von der Reizebene kontinuierlich zu den übergeordneten Ebenen bewegen d.h. sowohl Prinzipien der BottumUp- wie der Top-Down-Verarbeitung beleuchten, wodurch auch deutlich wird, dass Selektion und Inferenz nicht unabhängig sind oder lediglich nacheinander erfolgen, sondern im Beurteilungsprozess unmittelbar interagieren. So bewirkt eine spezifische Auswahl von Personenmerkmalen zwar bestimmte Arten von Schlussfolgerungen. Andererseits haben einmal getroffene Inferenzen aus vergangenen Wahrnehmungsprozessen ebenso einen Einfluss auf die zukünftige Auswahl von Attributen und führen zu einer zunehmenden Verfestigung von Schemata bzw. Perzeptionsstrategien. Bezüglich der bottum-up-Perspektive werden zunächst diejenigen Personenattribute in der Wahrnehmung begünstigt, die als erste zur Verfügung 114
115 116
So lassen sich auch für die Musik einzelne Strukturmerkmale hinsichtlich ihrer emotionalen Wirkungen spezifizieren. Die Kontextabhängigkeit bleibt aber dennoch bestehen. de la Motte 1996, S. 167. Vgl. Herkner 1996, S. 277.
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stehen. Die wichtige Bedeutung des »ersten Eindrucks« ist uns bereits aus der Alltagssprache geläufig und wird in seiner Funktion für die weitere Beurteilung in der Psychologie auch als Priming-Effekt117 bezeichnet. Diese Erst-Information bietet somit einen Anker, an dem sich alle weiteren Bewertungen orientieren. Daher ist auch für den Starkontext von Bedeutung, wie imagerelevante Informationen präsentiert werden, damit sie möglichst als erste zur Kenntnis genommen werden. So zeigt auch Kepplinger, dass die kurzzeitige Wahrnehmung der ersten Fernsehpräsenz einen Einfluß auf die dauerhaften Vorstellungen vom Charakter eines Politikers hat.118 Besonders früh werden für die Bildung des ersten Eindrucks Informationen verarbeitet, die entsprechend dem gestaltpsychologischen FigurGrund-Prinzip hervorstechend sind.119 Diese Merkmale werden nicht nur leichter wahrgenommen, sondern bei der Bewertung auch stärker gewichtet. Hierzu gehören vor allem visuelle Reize wie die äußere Erscheinung oder die Kleidung. Insbesondere bei medialen Personen beeinflussen visuelle Merkmale mehr als vokale und verbale Informationen die Entscheidung, welches Personenschema für die Einordnung und Bewertung herangezogen wird.120 Hervorstechend sind aber auch solche Merkmale, die auf andere Art und Weise auffällig sind. Nach McArthur wenden sich Beobachter insbesondere »intensiven, sich verändernden, komplexen und eine Einheit bildenden Stimuli zu«.121 Der Aspekt der Einheitlichkeit verweist auch auf die Person als Ganzes: Gerade Stars und Starmusiker im Besonderen müssen sich permanent von anderen Personen bzw. von der Allgemeinheit abheben, um selbst massenhafte Aufmerksamkeit zu erzielen und die angestrebte »unique selling proposition«122 zu besetzen. Eine akzentuierende Gestaltung von Person und sozialem Setting bietet dem Rezipienten damit eine wahrnehmungsökonomisch naheliegende Fokussierungsoption. Entsprechend nennt auch Thiele die Heraushebung eines Stars aus einem Umfeld als erste Komponente künstlerisch-medialer Starinszenierung, auch wenn seine Beobachtungen nicht in einen sozialwissenschaftlichen Kontext gerückt werden.123
117
118 119 120 121 122 123
Priming meint die Voraktivierung eines Gedächtnisinhalts durch einen Hinweisreiz. Dies bedeutet, dass gerade unmittelbare und leicht zugängliche Informationen für den Gesamteindruck entscheidend sind, indem sie die Wahrnehmung bereits in konkrete Bahnen lenken und Personenschemata kontinuierlich verfestigen. Vgl. hierzu Fiedler 1997. Kepplinger 1997, S. 182. Vgl. Kanning 1999, S. 120 und S. 202ff. Vgl. Wallbott, zit. nach Hannover/Mauch/Leffelsend 2004, S. 178. McArthur, zit. nach Bierhoff 1986, S. 200. Vgl. 3.3. Vgl. Thiele 1997, S. 136f.
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Durch das Agieren auf einer Bühne, die Fähigkeiten, die Starmusiker von anderen Menschen unterscheiden und das öffentlich zugängliche Wissen über ihre Lebensweise insgesamt, können sie als »figurale Personen« wirken. »Figurale Personen«, d.h. solche, die sich deutlich von ihrer Umgebung abheben, sind nach Erkenntnissen aus der Personenwahrnehmung im allgemeinen beeindruckender, werden besser erinnert, lösen stärkere Gefühle aus und werden eher als Verursacher von Ereignissen angesehen.124 Als zentrale Hinweisreize fungieren darüber hinaus solche Attribute, die viel Information über die Gesamtpersönlichkeit enthalten, und aus denen interindividuell ähnliche Inferenzen gezogen werden, wie z.B. das Alter und der Beruf.125 Wie allgemein bekannt, ziehen Menschen häufig allein aufgrund der äußeren Erscheinung entscheidende Schlussfolgerungen. Dies ist nicht nur durch statische Merkmale bedingt, die in einer spezifischen Kombination einem gängigen Attraktivitätsstereotyp ent- oder widersprechen. Von Bedeutung sind ebenso die nicht instrumentellen handlungsbegleitenden Bewegungen von Gesicht und Körper, die individuelle, aber sozial dekodierbare Ausdrucksformen als Mimik und Gestik wirksam werden lassen. Diese Beurteilungsmerkmale zumeist als nonverbale oder implizite Hinweisreize bezeichnet126 lassen sich also zwischen visuell direkt wahrnehmbaren Attributen einer Person und komplexen Handlungen einordnen. Interessant in Bezug auf die Wahrnehmung von Stars ist hierbei, dass diese Aspekte beim Rezipienten als unmittelbare, »echte« Elemente verstanden werden, in denen sich die wahre Persönlichkeit zeigt. Bereits 1967 betonte Wiener die primäre Bedeutung des Gesichtsausdrucks aber auch der Charakteristika der Stimme für die Kommunikation. Den tatsächlichen Äußerungen wird also nur Glauben geschenkt, wenn Gesicht und Stimme hiermit inhaltlich korrespondieren, da nonverbalem Verhalten mehr vertraut wird. »Since people believe that the nonverbal channels are more revealing of the true inner state and less likely to be consciously manipulated in the service of ulterior motives, they may often use these channels as especially turstworthy sources of information about dispositional qualities of the sender«.127 Hierdurch wird nochmals die auch für Musiker besondere Bedeutung des Close-Ups als technische Ermöglichung des »unmittelbaren Blicks« auf die Star-Persönlichkeit ersichtlich.128 Nonverbale oder implizite Verhaltensweisen haben in der Regel keine definitive Bedeutung, sondern erschließen sich erst im Kontext eines komplexen Verhaltens. Pionierarbeiten zur Meinungsbildung aufgrund von 124 125 126 127 128
Bierhoff 1986, S. 201. Vgl. Stewart/Powell/Chetwynd 1979, S. 17ff. Vgl. Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 118ff. und Herkner, S. 278. Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 126. Dyer bezeichnet diesen Effekt als »capturing«, vgl. Dyer 1979, S. 17.
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Handlungen, die auch heute noch als grundlegende Aussagen herangezogen werden, leisteten Jones und Davis (1965).129 Für die Frage, welche Verhaltensaspekte für die Personenbeurteilung ausgewählt werden, ist demnach die wahrgenommene Wahlfreiheit ein wesentliches Kriterium. Eine Handlung ist umso aufschlussreicher, aus je mehr Alternativen sie gewählt wurde; sie enthält daher umso mehr Information über den Beobachteten, je geringer die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ist. Eine Handlung ohne Wahlfreiheit (z.B. durch einen Vorgesetzten vorgegeben) lässt entsprechend keine Schlüsse auf zugrundeliegende Dispositionen zu. Ebenso zeigte Trope 1986, dass ein Verhalten weniger Rückschlüsse zulässt, wenn es durch Situationsaspekte verursacht zu sein scheint. Auch ein Starmusiker muss vermitteln, dass seine Handlungen und Einstellungen zumindest weitestgehend auf eigenen Entscheidungen und Ideen basieren, damit sie von den Rezipienten entsprechend in sein Image integriert werden. Daher müssen Routineabläufe (wie z.B. eine Konzerttournee) im musikalischen Produktionsprozess starbezogen individualisiert werden, indem der Eigenbeitrag des Interpreten und die Einzigartigkeit der Produktion herausgestellt wird. Wird ein Musiker in der Öffentlichkeit lediglich als Marionette komplexer wirtschaftlicher Prozesse und damit als rein Ausführender wahrgenommen, geht dies häufig mit der Zuschreibung von Unglaubwürdigkeit oder Irrelevanz einher, was den für das Starphänomen notwendigen Identifikationsprozess erschwert bzw. verhindert. Symptomatisch für diese Konstellation ist denn auch das »One-Hit-Wonder«, das nur kurzfristig eine Fangemeinde generieren kann, als dauerhaftes Idol jedoch nicht geeignet scheint und schnell wieder in die Bedeutungslosigkeit fällt. Des Weiteren sind auch die wahrgenommenen Konsequenzen des beobachteten Verhaltens von Bedeutung für Rückschlüsse auf die Persönlichkeit. Zum einen geht es dabei um Konsequenzen für die Stimulusperson, die besonders vielsagend im Hinblick auf eine Bewertung sind, wenn sie als negativ für diese Person eingeschätzt werden. Führt z.B. ein Star eine Handlung aus, die sich offensichtlich negativ auf seine Karriere oder sein Ansehen auswirken wird, erscheint das Verhalten gerade deshalb als Hinweisreiz für einen »echten« Persönlichkeitszug, da es trotz potentieller Nachteile nicht unterbleibt. Wichtig sind zudem die Konsequenzen einer Handlung für den Beobachter bzw. Rezipienten. Diese sogenannte »hedonistische Relevanz«130 meint, dass Handlungen, die (auch) den Beobachter betreffen, eher zur Meinungsbildung beitragen. Auf den Starkontext übertragen lässt sich dieser Aspekt anhand des Verhältnisses von Star und Publikum veranschaulichen: Das professionelle Wechselspiel des Erzeugens oder Verweigerns von Nähe stellt für Stars einen grundlegenden Hand129 130
Vgl. Jones/Davis 1965. Vgl. Herkner 1996, S. 282.
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lungstyp dar, der unmittelbare Konsequenzen für ihre Fans mit sich bringt. Entsprechend ist gerade diese imagerelevante Gestaltungskomponente, die über die Zuschreibung von Unnahbarkeit oder Zugänglichkeit entscheidet, eine äußerst bedeutsame evaluative Dimension. Diese Erklärung entspricht auch einer These Kannings, nach der Rezipienten bei der Wahrnehmung von Personen nach Informationen suchen, die mit den eigenen Bedürfnissen übereinstimmen. Wenn wir also eine Person lieben so wie der Fan seinen Star wollen wir auch von ihr »zurückgeliebt« werden und suchen entsprechende Hinweisreize, die Zuwendung signalisieren.131 Im musikalischen Kontext könnten dies verschiedene Situationen (wie z.B. die Interaktion von Musiker und Publikum während des Konzerts), Gesten (z.B. eine Lobeshymne auf die treuen Fans bei einer Preisverleihung) oder institutionalisierte Näheoptionen wie die klassische Autogrammstunde oder das neudeutsche »Meet&Greet« mit Fototermin leisten. Eine Handlung ist schließlich bedeutsam, wenn sie rollendiskrepant ist. Das heißt, ein bestimmtes Verhalten kann bei einer Person als ungewöhnlich und daher bemerkenswert empfunden werden, wenn es mit dem bisher verkörperten Typ inkongruent ist. In Bezug auf Stars spielt dies auf den dynamischen Aspekt eines Images an. Zwar sollten starbezogene Informationen zum Großteil auf das bisher aufgebaute Bild oder einen bekannten sozialen Typ132 bezogen sein. Es bedarf jedoch bisweilen neben kontinuierlichen Erneuerungen ungewöhnlicher oder überraschender Momente in der Berichterstattung, da insbesondere die Brechung von Normen einen hohen Aufmerksamkeitswert besitzt: »Departures from norms are meaningful«.133 Bereits 1965 konstatierten Jones/Davis den Informationswert von sozial unerwünschtem Verhalten,134 auch wenn bei ihrem gezielten Einsatz Vorsicht geboten ist. Zu unterscheiden ist dabei, wie dieses Verhalten tatsächlich bewertet wird, da eine Normabweichung für eine bestimmte Gruppe positiv, für die allgemeine Öffentlichkeit aber negativ konnotiert sein kann oder umgekehrt. Gerade für Stars als Prototypen legitimierter Abweichung vom Durchschnitt135 ist die Einhaltung dieser Balance zwischen Innovation bzw. Subversion und Integrität von Bedeutung. Die Tatsache, dass abweichendes Verhalten jedoch bei einer etablierten Star-FanBeziehung auch im Falle negativer Bewertung nicht unbedingt zu einem Abbruch der Starverehrung führen muss, lässt sich mit den Erkenntnissen aus der Personenwahrnehmung ebenso begründen: Bei einer grundsätzlich positiven Bewertung einer Person hier also des Stars wird nur ein als positiv eingeordnetes unerwartetes Verhalten der Person zugeschrieben; 131 132 133 134 135
Vgl. Kanning 1999, S. 202f. Zum Begriff des »sozialen Typs« nach Klapp vgl. Kapitel 2.1. Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 136f. Vgl. Jones/Davis, zit. nach Schneider/Hastorf/Ellsworth, S. 139f. Vgl. Kapitel 2.2.
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Handlungen, die missfallen, werden hingegen auf die Situation attribuiert.136 Der hohe Informationswert von Neuartigkeit oder Ungewöhnlichkeit widerspricht dabei nicht dem eingangs angeführten Vorrang- oder Ankereffekt, der die Bedeutung der ersten Informationen in den Vordergrund stellt. Die vordergründige Ambivalenz lässt sich im zeitlichen Verlauf relativieren, da beide Effekte sukzessive eine Rolle spielen können.137 So ist das Image einer Person zunächst nur durch singuläre Informationen bestimmt. Auch bezüglich der medialen Präsenz eines Musikers erhalten wir anfangs lediglich einzelne Eindrücke eine erste Single, eine Kurzmeldung im Stadtmagazin, der erste Videoclip, das Debüt-Album, das erste Fernsehinterview, ein längerer Bericht in einem relevanten Printmedium usw. Die Bedeutung des einzelnen Produkts bzw. kleinen Einblicks in die Persönlichkeit des Interpreten ist für die Gesamtbeurteilung entsprechend größer als bei einer Vielzahl von gegebenen Informationen über einen langen Zeitraum, was auch impliziert, das jedes erneute Auftreten des Musikers noch eine starke Veränderung des Images zur Folge haben kann. Bereits erste Eindrücke setzen jedoch beim wahrnehmenden Individuum Organisationsprozesse in Bewegung, die die einzelnen Informationen aufgrund bereits etablierter kognitiver Schemata kontinuierlich verdichten und zu einem kohärenten Muster verfestigen. Die Veränderung dieses einmal aufgebauten Bildes braucht dann entsprechend auffälligere Reize, da das ökonomisch handelnde Individuum zumeist versucht, neue Eindrücke in das bestehende Image zu integrieren, bevor es beginnt, die Strukturen selbst zu transformieren. Wie auch immer einzelne personenbezogene Informationen wahrgenommen und weiterverarbeitet werden, hängt, wie bereits angeführt, nicht nur von den Reizen selbst ab. Wichtig ist festzuhalten, dass ein spezifisches Verhalten, Aussehen etc. sich immer innerhalb eines physischen, kulturellen und sozialen Settings abspielt138 und dass auch die Darbietungsart also der Präsentationsmodus einen Einfluss hat.139
Interindividuelle Variation durch sozialisationsbedingte Schemata Neben der objektiven Beschaffenheit eines Personenmerkmals, dem Kontext und den Präsentationsmodi sollte die wichtigste Einflussgrößte jedoch nicht vergessen werden – die wahrnehmende Person selbst. Die großen in-
136 137 138 139
Vgl. Bierhoff 1986, S. 138. Vgl. Bierhoff 1986, S. 166f. Vgl. Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 33f. Die Bedeutung der Präsentationsmodi für die Imagekonstruktion ist Gegenstand von Kapitel 3.5.
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terindividuellen Unterschiede bei der Bewertung von Personen140 verdeutlichen, dass wir aktive Informationsprozessoren sind, die aus den unüberschaubaren Datenmengen nicht nur verschieden selektieren, sondern Ereignisse oder Eigenschaften auch unterschiedlich kategorisieren. So ist bekannt, dass Gesichtsausdrücke im Allgemeinen als erste Hinweisreize herangezogen werden. Dittman/Parloff/Boomer zeigten jedoch, dass Tänzer die Beurteilung einer Person deutlich stärker auf der Basis von Körperbewegungen vornehmen.141 Interindividuelle Variation bei der Imagekonstruktion lässt sich dabei insbesondere durch die spezifischen Schemata bzw. Erwartungen, die Menschen sozialisationsbedingt aufgebaut haben, erklären. Die Hypothesentheorie der Wahrnehmung von Bruner/Postman (1951)142 geht entsprechend davon aus, dass der Mensch nicht als unbeschriebenes Blatt in eine Situation hineingeht, sondern auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen, sog. Hypothesen,143 ausgebildet hat, die den Wahrnehmungsprozess beeinflussen. Indem diese Theorie unter dem Schlagwort »new look« den Einfluss von Bedürfnissen, Werten und Erwartungen im Rahmen der Wahrnehmungsforschung stärker in den Fokus rückten,144 erhielt auch der Einstellungsbegriff in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit ist dabei die angestrebte Einstellungsähnlichkeit zwischen beobachtender und beobachteter Person also von Fan und Star von Interesse. Menschen, die ähnliche Meinungen haben wie wir, sind uns nicht nur sympathischer, sondern wir nehmen umgekehrt von Menschen, die uns sympathisch sind, auch an, dass sie ähnliche Meinungen vertreten.145 Gerade wenn ein Einstellungsobjekt für eine Person sehr wichtig ist, wie dies z.B. beim Star der Fall sein kann, ist die Einstellungsähnlichkeit umso bedeutsamer.146 Auch nach Festingers Theorie der sozialen Vergleichsprozesse werden wenn verschiedene Personen zur Verfügung stehen diejenigen für einen Vergleich ausgewählt, deren Meinung etc. der eigenen ähnlich ist. In Bezug auf Stars werden hierdurch die für die Identifikation wichtigen Imitationsprozesse ermöglicht wie sie in diversen Untersuchungen exemplarisch dargestellt wurden.147 140 141
142 143 144 145 146 147
Vgl. hierzu z.B. Kanning 1999, S. 87f. Vgl. Dittman/Parloff/Boomer, zit. nach Schneider/Hastorf/Ellsworth, S. 5. Auf ähnliche Beurteilungsstrategien innerhalb bestimmter Gruppen (Peergroup, Fangemeinde etc.) weisen auch Hannover et al. hin. Vgl. Hannover/Mauch/ Leffelsend 2004, S. 176. Vgl. Bruner/Postman 1951. Nach Upmeyer können diese Hypothesen mit dem Schema-Begriff gleichgesetzt werden. Vgl. Upmeyer 1985, S. 50. Vgl. Kanning 1999, S. 121 und Upmeyer 1985, S. 49. Vgl. Aronson 1994, S. 369. Byrne/London/Griffit 1968. Vgl. Stacey 1994 und Schiedke-Rindt 1998.
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Das Vorhandensein eines etablierten Schemas bzw. Images impliziert nach der Hypothesentheorie spezifische Verarbeitungsformen eintreffender Informationen. Demnach steuern diese Vorstellungen zunächst die Selektion und Einordnung in das jeweilige Bedeutungssystem. Dabei werden solche Aspekte, die einem der Hypothese zugrundeliegenden Bedürfnis entsprechen, verstärkt und das Schema insgesamt im Hinblick auf eine zukünftige Informationsaufnahme fixiert.148 Dabei kann es den Charakter eines Stereotyps erhalten, dessen Funktionsweise weiter unten genauer erläutert wird. Der Grad der Fixierung wird durch mehrere Faktoren bestimmt, die auch für die Verfestigung eines Starimages relevant sind.149 Wichtig ist zum einen die Häufigkeit, mit der eine Hypothese in der Vergangenheit bestätigt wurde und die Anzahl der verfügbaren Alternativhypothesen. Gerade medial vermittelte Phänomene, wie z.B. Stars, sind aufgrund zumeist eindimensionaler Berichterstattung daher für die Fixierung von Vorstellungen prädestiniert. Zum anderen spielt auch die emotionale und kognitive Verankerung der Hypothese im Einstellungs- und Wertesystem des Menschen eine wichtige Rolle. Je mehr also eine Vorstellung durch Emotionen unterstützt wird wie dies bei der Starverehrung der Fall ist und je besser sie mit anderen bereits aufgebauten Schemata verknüpft werden kann, desto dominanter und handlungsrelevanter wird sie. Schließlich verstärkt sich eine Hypothese durch soziale Unterstützung. Im Starkontext ist dies vor allem mit Hinblick auf die Bedeutung der Peergroup oder der jeweiligen Fangemeinde als meinungsbildende Community ersichtlich.150 Die Top-down-geleitete Fokussierung bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Personenmerkmalen verweist auf das zugrundeliegende heuristische Prinzip: Neben der eingangs erwähnten Ankerheuristik, die insbesondere die zuerst eintreffenden Informationen als eindrucks- bzw. imagebildend erklärt, ist hier vor allem die Verfügbarkeitsheuristik von Bedeutung.151 Das Vorhandensein eines etablierten Schemas bzw. einer starken Hypothese impliziert nämlich gleichzeitig einen hohen Grad der Zugänglichkeit, indem diesbezügliche Informationen eher als Bewertungsgrundlage dienen. Dies erklärt auch, dass die positive Einschätzung eines Stars persistieren kann, auch wenn dieser durch spätere Informationen in seinem Wert herabgesetzt wird. Die Tatsache, dass durch Negativpresse eine gefestigte Fan-Star-Beziehung nicht unbedingt zerbricht bzw. das Eintreffen neuartiger Informationen sein Image nicht notwendigerweise verändert, lässt sich auch in dem Begriff der Perseveranz fassen. Dies meint die Bei148 149 150
151
Vgl. Upmeyer 1985, S. 50 Vgl. Kanning 1999, S. 126f. Zum Einfluss von Schemata auf zukünftige Wahrnehmungen und den Aufbau komplexer Wissensstrukturen vgl. auch Lindzay/Norman und Wyler/Srull, zit. nach Bierhoff, S. 121. Vgl. Tversky/Kahneman 1974, Kahneman/Slovic/Tversky 1982.
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behaltung einer Meinung, selbst nach Aufklärung über die Fiktivität der gegebenen Informationen.152
Aufbau und Funktionsweise von Personenschemata Im Hinblick auf den empirischen Teil dieser Arbeit ist neben einer Klärung der Funktionsweise personenbezogener Imagekonstruktion auch der konkrete Aufbau solcher Schemata von Interesse, da sich hieraus Kriterien für die Ergebnisdarstellung ableiten lassen. Personenschemata verstanden als organisiertes Wissen über Personen153 gehorchen den Regeln impliziter Persönlichkeitstheorien. So werden nach Cronbach154 Meinungssysteme genannt, die Vorstellungen darüber beinhalten, welche Eigenschaften im Allgemeinen gemeinsam auftreten und auf spezifische Art und Weise interagieren. Gelernt werden diese Strukturen sowohl durch direkte und indirekte Erfahrungen, Sozialisation aber auch mediale Vermittlungssysteme.155 Annahmen über Korrelationen zwischen einzelnen Merkmalen legen eine Unterscheidung von zentralen und peripheren Aspekten nahe. Dies entspricht interessanterweise der im vorherigen Kapitel erwähnten Differenzierung der Marke hinsichtlich Kernidentität und erweiterter Identität durch Aaker/Joachimsthaler. Im Kontext der Personenwahrnehmung erfährt diese Unterscheidung allerdings eine Konkretisierung, die im Hinblick auf den empirischen Teil von Bedeutung ist. Als zentral werden demnach solche Merkmale betrachtet, die mit den meisten anderen korrelieren und/oder eine hohe Distinktheit aufweisen.156 In diesem Zusammenhang liefern insbesondere die Untersuchungen von Asch grundlegende Erkenntnisse. Hierbei zeigt sich deutlich, dass Personenwahrnehmung ein ganzheitliches Wahrnehmungsphänomen ist und dass der Gesamteindruck daher nicht aus der Summe der Einzelelemente erklärbar ist, sondern durch die Wechselwirkungen zwischen den Adjektiven ein qualitativ neues Gebilde entsteht.157 Bedeutung konstituiert sich also erst im Gesamtkontext aller relevanten Informationen, bzw. liefert der spezifische Kontext eine Eingrenzung des allgemeinen Bedeutungsspektrums eines Merkmals.158
152
153 154 155 156 157 158
Vgl. Bierhoff 1986, S. 115f. Ein solcher Trägheitseffekt wurde in weiteren Untersuchungen nachgewiesen und lässt sich auch dissonanztheoretisch erklären (vgl. Upmeyer 1985, S. 88). Vgl. Hannover/Mauch/Leffelsend 2004, S. 177. Vgl. Herkner 1996, S. 298. Vgl. Upmeyer 1985, S. 93 und Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 18. Vgl. Bierhoff 1986, S. 17ff. Vgl. Upmeyer 1985, S. 85ff. und Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 156. Bereits 1946 führte Asch hierzu Experimente mit fiktiven Personenbeschreibungen durch, deren Eigenschaften von den Vpn durch weitere potentielle Attribute ergänzt werden sollten. Hierbei zeigte sich eine besondere Bedeutung der »warm-kalt«-Dimension. Vgl. S. Asch 1946.
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Auf Musiker-Images übertragen impliziert dies, dass die zugeschriebenen Werte und Persönlichkeitseigenschaften ihre konkrete Bedeutung erst durch die Relationen dieser Aspekte untereinander erhalten. Das bedeutet auch, dass eine spezifische Eigenschaft bei verschiedenen Musikern sehr unterschiedliche Konnotationen beinhalten kann. Von Interesse ist daher für den Vergleich der drei ausgewählten Musiker, gerade diejenigen Elemente genauer zu betrachten, die bei allen vorkommen (z.B. Erfolg, Professionalität, Charme), da sich hierdurch Kontextualisierungsmuster beschreiben lassen, die als wesentliche Mechanismen bei der Konstruktion eines kohärenten Images angesehen werden können. Neben dem Aufbau und der kontinuierlichen Verstärkung der einzelnen Relationen innerhalb eines solchen semantischen Netzwerkes ist auch die Integration widersprüchlicher Komponenten genauer zu betrachten. Lassen sich diese nicht in den bisherigen Strukturen verorten, können übergeordnete Schemata herangezogen werden, die den kohärenten Eindruck weiter aufrechterhalten. Als klassische Schemata, die auch Bestandteil der Alltagssprache sind, lassen sich z.B. der »kleine Mann ganz groß« oder auch »das Kind im Manne« nennen. Wie im historischen Abriss an verschiedenen Stellen aufleuchtete und im Synthesekapitel noch einmal pointiert dargestellt wird, ist die Kultivierung spezifischer Polaritäten gerade für Starmusiker ein zentrales konstitutives Motiv in ihrem öffentlichen Auftreten und in der Wahrnehmung durch Medien und Publikum. Somit könnte das »Star-Schema« als übergeordnetes Meinungssystem herangezogen werden, mit dem sich Widersprüche wie z.B. die gleichzeitige Verkörperung von Normalität und Außergewöhnlichkeit erklären ließen. Entsprechend definiert auch Dyer Startum als differenzierte Vorstellungen bezüglich der Lebensweise von Stars, im Sinne generalisierter Wertesysteme, die als implizites Hintergrundwissen für die Beurteilung konkreter Personen herangezogen werden.159 Das »Star-Schema« soll hier als ein hierarchisches System verstanden werden, da es nicht nur die klassische Hollywood-Schablone, sondern diverse Sub-Typen inkludiert. So können Musikstars als ein wichtiges Teilsystem betrachtet werden, das sich wiederum aus den Schemata für Musiker bestimmter Genres zusammensetzt. So sind einerseits einzelne Bruchstücke des Schauspieler-Schemas mit dem des Starmusikers kompatibel, andererseits existieren diverse Unterschiede und Widersprüche, die sich durch die Ausdifferenzierung innerhalb einzelner Musikarten ergeben. Demnach verfügen wir beispielsweise über detaillierte Vorstellungen bezüglich Lebensweise, Anschauungen und Eigenschaften eines klassischen Pianisten im Gegensatz zu einem Popstar. Diese Meinungen werden mit konkreten Personen verglichen und potentielle Abweichungen je nach 159
Vgl. Dyer 1979, S. 39 und Kapitel 2.1.
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Ausmaß als interessant oder abstoßend integriert bzw. zur Erweiterung des bestehenden Schemas verwendet. Als relativ fixierte und generalisierte Meinungen über die Mitglieder bestimmter sozialer Gruppen bzw. kultureller Genres lassen sich implizite Persönlichkeitstheorien ebenso als eine Spielart von Stereotypen begreifen. »Stereotyp« meint in diesem Zusammenhang eine vorgefasste oft vereinfachte und rigide Idee über die Merkmale einer Personengruppe, die in konkreten Beurteilungsprozessen eine Übergeneralisierung unter Vernachlässigung individueller Unterschiede begünstigt.160 Insbesondere Nationalität, Geschlecht und Attraktivität sind Variablen, die als persönliche Attribute mit spezifischen Kategorien (z.B. schwarz/weiß, männlich/weiblich, schön/hässlich) assoziiert werden und damit weitere Schlussfolgerungen implizieren. Diese pauschalierende »soziale Kategorisierung«161 kann für die zur Bewertung stehende Person jedoch nicht nur negativ sein. So setzen Stars bzw. ihr Management gerade auf den Konzentrationseffekt stereotyper Wahrnehmung, indem die Zielidentität an klassische Typisierungen angelehnt wird, um einen gewissen Grad an Vertrautheit a priori zu gewährleisten,162 auch wenn zugehörige Kovariationen rein illusorischer Natur sein können. In Bezug auf Startum ist dabei vor allem das AttraktivitätsStereotyp von Bedeutung. So gelten Menschen, die dem kulturellen Konsens von Attraktivität entsprechen, als intelligenter, sozial kompetenter, dominanter und gesünder als andere, allerdings auch als weniger treu.163 Die Zuschreibung komplexer Persönlichkeitseigenschaften aufgrund eines einzigen Merkmals wird in der Sozialpsychologie als Halo-Effekt (nach dem englischen Begriff »halo« = Heiligenschein) bezeichnet und gilt als Extremform reduktionistischer Persönlichkeitsbeurteilung.164 Dieser Effekt beschreibt dabei sowohl die Beeinflussung des Gesamteindrucks durch hervorstechende Merkmale als auch den umgekehrten Prozess, d.h. die Bewertung einzelner Parameter aufgrund eines bereits etablierten Personenschemas.165
160 161 162
163
164
165
Vgl. Bierhoff 1986, S. 276f. und Stewart/Powell/Chetwynd 1979, S. 2. Kanning 1999, S. 219. Vgl. hierzu die sozialen Typen nach Klapp in Kapitel 2.1. Im musikalischen Kontext zeigt Behne beispielsweise in einem Experiment, dass eine identische Einspielung eines Werks sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, je nachdem welches Dirigenten-Stereotyp vor dem Anhören mitgeliefert wird (vgl. Behne 1987). Vgl. Kanning 1999, S. 208. Auch im Bereich der Musik gibt es bereits vereinzelt Untersuchungen zum Einfluss der äußeren Erscheinung auf die Bewertung von Musik (vgl. North/Hargreaves 1997, Wapnick 1998). Erste Untersuchungen hierzu wurden von Thorndike bereits 1920 durchgeführt. Insbesondere durch die Studie von Dion, Berscheid und Walster (1972) erfuhr das Prinzip des »what is beautiful is good« als Beispiel für stereotype Wahrnehmung im Alltag weitere Bestätigung. Vgl. Bierhoff 1986, S. 85.
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Im Bereich der Musik spielt das Merkmal »Attraktivität« als klassische Variable für Halo-Effekte dabei zwar eine wichtige Rolle, vor allem im Bereich populärer Musik. Als zentraler Bewertungsanker fungiert jedoch auch, wie z.B. in der klassischen Musik, das zugeschriebene Prestige,166 auch wenn es sich hierbei um eine eher indirekte Kategorie handelt, die nicht den unvermittelten Charakter eines visuell wahrnehmbaren Reizes besitzt. Zumeist werden diese Mechanismen bereits durch reine Begrifflichkeiten ausgelöst, wie die Kategorisierung einzelner Musiker als Rockstars, Heldentenöre oder Volksmusikspatzen nahe legt. So wie es uns nicht schwer fällt, einem Menschen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften allein aufgrund seines Musikgeschmacks zuzuordnen,167 löst sogar der Begriff »Musik« selbst stereotype Assoziationen wie beispielsweise »dynamisch«, »lebendig«, »geordnet« aus.168 Die Tatsache, dass durch einen Begriff allein ein ganzes Bedeutungsspektrum eröffnet wird, lässt sich in der Sozialpsychologie auch in Zusammenhang mit dem Etikettierungsprinzip erklären. Labeling meint die in einem Namen verdichtete Bedeutungszuschreibung, die in der sozialen Umgebung Erwartungshaltungen erzeugt, die wiederum den Verhaltensspielraum der etikettierten Person z.T. stark einschränken kann.169 In der Kriminologie und in der Pädagogik, wo dieser Ansatz nähere Betrachtungen erfuhr, bezeichnet dieser Effekt also die Konsequenzen hypothesenkonformer Urteilsbildung und stellt damit die Frage, ob ein Mensch so ist wie er ist, weil er so ist oder er so geworden ist, weil wir ihn so sehen wollten. Eine Etikettierung kann damit zu einer Selffulfilling-prophecy werden, indem Zuschreibungen zu Realitäten werden. So wie der Markenname ein Markenschema aktiviert und damit wie im Kapitel zum Produktmarketing gezeigt wurde die gesamte Produktwahrnehmung beeinflusst,170 wirkt der Musikername oder die Nennung des Genres im Sinne eines Halo-Effekts auf die Imagekonstruktion als Ganzes. Interessant ist diesbezüglich auch die Teilauswertung im empirischen Teil, in der die Namen und Titel, die den einzelnen Interpreten zugeordnet werden (z.B. »Großmeister des Piano«) mit dem Gesamtimage in Beziehung gesetzt werden.
Zusammenfassung und Implikationen Somit wird ersichtlich, dass Bewertungen und damit auch Imagekonstruktionen unterschiedlich stark an direkt wahrnehmbare Parameter angebunden sind. Sie besitzen somit neben der Stimuluskomponente (also den tat166 167 168 169 170
Vgl. de la Motte 1996, S. 158. Vgl. die Untersuchung von Knobloch/Vorderer/Zillmann 2000. Vgl. de la Motte-Haber 1996, S. 160. Vgl. Kanning 1999, S. 134 und Upmeyer 1985, S. 62f. Vgl. Kroeber-Riehl 2003, S. 291.
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sächlichen Merkmalen) immer auch eine Projektionskomponente, die den Einfluss kultureller Gewissheiten, Wunschdenken und Motivationen in das Gesamtbild integriert. Auch Musiker-Stereotype sind somit nicht einfach »aus der Luft gegriffen«, sondern stellen eine Kombination realer und fiktiver bzw. mutmaßlicher Aspekte dar und sind somit Ergebnis systematischer wie auch heuristischer Verarbeitungsprozesse, die als »Bottom-Up« oder »Top-Down« klassifiziert werden können. Die Mechanismen der Personenwahrnehmung und -bewertung lassen sich zwar neutral nachzeichnen, implizieren aber ebenso das Risiko fehlerhafter Urteile, das durch Vereinfachung und Fixierung notwendigerweise begünstigt wird. So dient denn auch die schnelle Abrufbarkeit von Informationen als Grundlage für Häufigkeits- und Wahrscheinlichkeitsschätzungen: Je leichter wir uns an ein Merkmal erinnern, desto häufiger und wichtiger erscheint es uns. Dies kann zum einen durch die Präsenz bestimmter Themen in den Medien bewirkt werden. Wird ein Thema immer wieder aufgegriffen, ist es verfügbarer und erscheint damit als bedeutsam. Zum anderen erklärt dies die Spirale zunehmender Bekanntheit von Stars: Sobald einzelne Protagonisten mediale Präsentationsplattformen erreicht haben, gelten sie je nach Reichweite des Mediums als mehr oder weniger »bekannt« und erhalten aufgrund dieses Status die Option auf einen noch größeren Distributionsradius.171 Indem sie zunehmend mit einem bestimmten Professionssegment bzw. einem Genre verknüpft werden, kann sich die reine Bekanntheit dann um die Attribution von Bedeutsamkeit erweitern. Die Zuschreibung von Bedeutsamkeit kann auch wenn sie eventuell ein Resultat verzerrter Berichterstattung ist wiederum Auslöser für neue reizgeleitete Informationssuche sein, denn »je bedeutsamer eine Person [...] für unser Leben wird, desto nützlicher wäre es, weitere Informationen gezielt aufzusuchen, um eine komplexere und damit auch genauere Beurteilung vornehmen zu können«.172 Einmalige Stereotypisierung schließt also eine zukünftige tiefergehende Verarbeitungsweise nicht aus. Im Gegenteil: Gerade bezüglich Stars ist die Motivation, den aufwändigeren Verarbeitungsweg einzuschlagen, umso größer, da die persönliche Relevanz durch das emotionale Involvement hoch ist. Wie ausführlich dargelegt, werden spezifische Arten von Reizen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu handlungsleitenden Hinweisreizen als andere. Als relevant für Prozesse der Imagekonstruktion können zusammenfas171
172
Dieser Effekt wird auch als Häufigkeits-Validitäts-Effekt oder »mere exposure«-Effekt bezeichnet, d.h. Personen erleben Informationen um so stärker als wahr und bedeutsam, je häufiger sie ihnen ausgesetzt sind (Hertwig, zit. nach Kanning 1999, S. 70). Besonders gut werden Informationen abgespeichert, die mehrmals kurz hintereinander präsentiert werden; dies stärkt das Reizmuster im Sinne der Verfügbarkeitsheuristik (vgl. Herkner 1996, S.202). Kanning 1999, S. 197.
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send solche Merkmale eingeordnet werden, die sich durch Visibilität, Lebendigkeit (vividness) und Salienz auszeichnen. Die ersten zwei Aspekte wirken insbesondere aufgrund ihrer Unmittelbarkeit, die den ersten Eindruck wesentlich mitbestimmt. Visuelle Eindrücke (z.B. die äußere Erscheinung einer Person) und emotional aufgeladene Reize (z.B. spezifische Handlungen eines Stars) sind somit nah am Rezipienten.173 Das Merkmal »Salienz« meint den übergeordneten Aspekt der »Durchsetzbarkeit« gegenüber anderen Merkmalen. Salienz kann dabei sowohl perzeptuell als auch sozial gemeint sein: »Perzeptuell salient« ist ein Reiz, der sich gegenüber anderen in der Wahrnehmung durchsetzt, als »sozial salient« werden Merkmale bezeichnet, die neuartig, selten und erwartungswidrig sind.174 Bezüglich der Integration einzelner Merkmale zu einem Gesamteindruck zeichnet sich die Imagekonstruktion vor allem durch den Prozess der Invariantenbildung aus. So wurde gezeigt, dass Personen aufgrund einer spezifischen äußeren Erscheinung oder Verhaltensweise Intentionen zugeschrieben werden, die Rückschlüsse auf zugrunde liegende dauerhafte Persönlichkeitseigenschaften erlauben. Wir betrachten Personen demnach als organisierte Entitäten, deren Handlungen nahezu ausschließlich sinnvoll sind und mit Hilfe gesellschaftlich etablierter Kategoriensysteme integriert werden können.175 Diese Informationsreduktion unterstützt die Ökonomie der Wahrnehmung und bewahrt uns auch in einer komplexen Welt weitest gehende Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit.176 Wie auch immer konkrete Images also entstehen, manifestieren sie sich als Realität in der sozialen Interaktion, da sie auch wenn es sich lediglich um imaginäre Bilder handeln mag als Basis für ein Verhalten (z.B. Verehrung, Imitation etc.) fungieren. Somit können sie als »nützliche Fehlerquellen« betrachtet und als Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Denkens akzeptiert werden.177 Die »Bilder in unserem Kopf« wirken somit auf verschiedenen Ebenen, wie sie bereits in der Pionierarbeit von Lippmann (1922) herausgearbeitet wurden: Neben der kognitiven Entlastungsebene und der motivationalen Perspektive, die Stereotype bzw. Images aus der Persönlichkeitsstruktur der wahrnehmenden Person erklären, besitzen sie also auch eine soziokulturelle Dimension, indem Stereotype Teil unseres kulturellen Systems sind und daraus resultierende Vereinfachungen die jeweilige Sozialstruktur widerspiegeln und weiter entwickeln.178 173 174 175 176 177 178
Vgl. Hannover/Mauch/Leffelsend 2004, S. 179. Vgl. ebd. Vgl. zum Aspekt der Invariantenbildung Schneider/Hastorf/Ellsworth 1979, S. 12f., Stewart/Powell/Chetwynd 1979, S. 6 und Upmeyer 1985, S. 62. Vgl. Kanning 1999, S. 88. Vgl. Kuglanski/Ajzen, zit. nach Herkner 1996, S. 202. Vgl. hierzu auch Bierhoff 1986, S. 312ff.
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3.5 Medienwissenschaft und Public Relations Bedeutung der Medien für das Image und Bedeutung des Images für die Medien Fokussierte das vorausgehende Kapitel das komplexe Bedingungssystem, welches der Wahrnehmung eines Stars zugrunde liegt, rückt dieser Abschnitt die zugehörigen Vermittlungsinstanzen ins Zentrum der Betrachtung. Im Hinblick auf die Funktionsweise eines Images bieten die Medien dabei nicht nur einen Kanal, durch den die starrelevanten Wissensbestände fließen, sondern agieren wie im Folgenden gezeigt wird ebenso als konstruktives Moment, indem sie Inhalte nach eigenen Gesetzmäßigkeiten betonen, gestalten oder unterschlagen. Medien bilden Images somit nicht einfach ab, vielmehr nutzen sie ihre Funktionsmechanismen als Mittel zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit. Die Bedeutung von Öffentlichkeit, die bereits im historischen Teil bezüglich des Zurschaustellens von Individualität als Basis für die Entwicklung von Starsystemen identifiziert wurde, erhält mit dem Blick auf die technisch-infrastrukturellen Aspekte noch ein zusätzliches Gewicht. Mit der Durchsetzung von Demokratie als verbindlichem Muster politischgesellschaftlicher Herrschaft, wird die Organisation öffentlicher Kommunikation entsprechend notwendiger,179 wie auch der Bedarf nach einer Technologie, die das Erreichen großer Publika ermöglicht. Je mehr die Medien also eine relative Autonomie durch die Befreiung von kirchlichen und politischen Instanzen gewinnen, desto eher handeln sie nach eigenen Gesetzmäßigkeiten, die für sie selbst gewinnbringend sind. Mediale Massenkommunikation wird so zu einer institutionalisierten Form der marktgesteuerten Beziehung zwischen größeren Kollektiven und zu einem elementaren Funktionsprinzip moderner Gesellschaften.180 Ist der öffentliche Diskurs zunehmend durch Massenmedien vermittelt, verliert sich folglich der direkte interaktive Zusammenhang zwischen dem Wahrnehmungsobjekt und dem Wahrnehmenden. Die Zwischenstufe der sog. »öffentlichen Meinung« bezeichnet dann ein »kollektives Produkt von Kommunikationen, das sich zwischen den Sprechern als ›herrschende Meinung‹ darstellt«,181 also nicht die individuellen Ansichten des Publikums, sondern medial vermittelte Meinungsäußerungen. Wie einflussreich diese wiederum für die tatsächliche Urteilsbildung sind, wird in der Kommunikations- und Medienwissenschaft immer wieder auf vielfältige Art und Weise
179 180 181
Vgl. Neidhardt 1994, S. 8. Vgl. Hunziker 1996 , S. 9 Neidhardt 1994, S. 26.
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bestätigt.182 Auch im Bereich der Cultural Studies verweist Fiske auf die Bedeutung dieser Vermittlungsinstanz, indem er den so bezeichneten sekundären Texten (Presse etc.) starke meinungsbildende Wirkungen zuschreibt.183 Da die bei Imagekonstruktionen ablaufenden Mechanismen auch als Komponenten umfassender Meinungsbildungsprozesse verstanden werden können, liegt es nahe, die mediale Instanz und ihre spezifischen Vermittlungsformen näher zu betrachten. Hiermit wird auch eine theoretische Grundlage für die Analyse der medialen Angebotsstrukturen im empirischen Teil dieser Arbeit geliefert, die folglich einen wichtigen Ausgangspunkt für ein Verständnis spezifischer Starwahrnehmungen seitens der Rezipienten darstellt. Ähnlich wie in den vorhergehenden Kapiteln sind wir auch hier zunächst mit der Situation konfrontiert, dass dem Image-Begriff im Rahmen wissenschaftlicher Reflexion eher mit Skepsis begegnet wird. Gerade im Bereich der Public Relations enthält er die Konnotation werbewirksamen Scheins, geschönter Information und inhaltsloser Maskerade. So fragen denn Armbrecht et al. im Untertitel eines Tagungsbandes zum Thema »Image und PR«: Kann Image Gegenstand einer Public RelationsWissenschaft sein?184 Die zwiespältige Bewertung des Image-Konzepts lässt sich ansatzweise unter Bezugnahme auf die Realismus-Kons truktivismus-Kontroverse erklären. Während also auf der einen Seite eine von der Berichterstattung unabhängige, natürliche oder soziale Realität angenommen wird (Realismus), ist Realität auf der anderen Seite notwendigerweise immer konstruiert, sowohl von Individuen als auch Medien (Konstruktivismus).185 So können Images entweder als Verzerrungen objektiver Tatbestände oder als notwendige Konsequenzen von Erfahrung und Kommunikation bewertet werden. Hilfreich im Kontext dieser Arbeit erscheint der rekonstruktive Ansatz Benteles, der beide Interpretationshintergründe miteinander verschränkt.186 In Anlehnung an die biologisch fundierte evolutionäre Erkenntnistheorie geht er von der Existenz objektiv-realer Strukturen aus, wobei das Wissen darüber immer hypothetisch ist. So könnten wir auch in Bezug auf Musiker konstatieren, dass sie real sind, indem zugehörige öffentliche Ereignisse wie z.B. ein Konzert, ein Interview oder Ausschnitte dieser Ereignisse tatsächlich stattfinden. Gleichzeitig ist man dabei aber zumeist mit einem medialen Abbild konfrontiert und bringt zudem eigene Projektionen mit ein, wie bereits im Kapitel zur Personenwahrnehmung ausführlich dargelegt wurde. Entsprechend decken sich die 182 183 184 185 186
Vgl. z.B. »Schweigespirale« (Noelle-Neumann 1992) oder »Kultivierungshypothese« (Gerbner 2000). Fiske 1992, S. 110ff. Armbrecht/Avenarius/Zabel 1993. Vgl. auch Weber 2003 und Kloock/Spahr 2000. Vgl. Bentele 1993, S. 166ff. Vgl. auch Bentele 1992 und Bentele 2003.
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Prinzipien der Personenwahrnehmung mit den hier genannten Techniken »Perspektivität«, »Selektivität« und »Konstruktion« durch die sich nach Bentele subjektive Erkenntnisleistungen vollziehen. Repräsentation im Sinne eines kohärenten Eindrucks entsteht schließlich durch den Passungscharakter zwischen objektiven und subjektiven Erkenntnisstrukturen. Dieser Passungscharakter ließe sich in Anlehnung an die Ansätze aus dem Produktmarketing als Markenwert bzw. -stärke deuten, da er die Übereinstimmung von intendiertem und wahrgenommenen Bild impliziert, wie dies im Modell von Meffert dargelegt wurde.187 Aus der Perspektive der Rezipienten könnte man den Passungscharakter auch als Attribution von Glaubwürdigkeit und damit als resultierende Komponente verstehen, denn diese subjektiven Rekonstruktionen dienen letztlich der Fähigkeit, sich auf reale Dinge in der Umgebung mit ausreichender Präzision beziehen zu können. Wie uns der Wahrnehmungsapparat ermöglicht, uns in der Umwelt zurecht zu finden, erlauben uns Mediensysteme die Orientierung in Räumen und Bereichen, die uns in der Regel nicht mehr unmittelbar und kommunikativ zugänglich sind.188 Wie eingangs betont, sind Images keine Ergebnisse oder Resultate medialer Berichterstattung, sondern Instrumente. So definiert Merten Public Relations als einen »Prozess intentionaler und kontingenter Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten durch Erzeugung und Befestigung von Images in der Öffentlichkeit«.189 Vergleichbar mit dem Bereich der Personenwahrnehmung, dienen Images auch hier insbesondere der notwendigen Komplexitätsreduktion, da die Zunahme der Informationsangebote auf der Kommunikatorseite einer gleichbleibenden Aufmerksamkeitskapazität auf der Rezipientenseite gegenüber steht. Je mehr das Angebot an medialen Wirklichkeitsentwürfen steigt, desto mehr steigt auch der Bedarf bzw. der Druck, aus diesen Entwürfen die für die eigene Persönlichkeit geeigneten auszuwählen. Die Imagekonstruktion der Medien kann daher nicht nur in einer Reduktion von Information bestehen, sondern erfordert ebenso ihre zielorientierte Gestaltung. Diese erfolgt in Form einer Abstraktion von der Vielzahl von Merkmalen spezifischer Informationseinheiten, deren Kriterien sich aus entsprechenden Nachrichtenfaktoren und Mediaframes herleiten (vgl. weiter unten). Dabei dient die spezifische Art der Gestaltung nicht nur der Vereinfachung, sondern ebenso der Emotionalisierung neutraler Inhalte (z.B. durch Personalisierung, Polarisierung, Dramatisierung etc.). Dadurch werden bestimmte Informationen für die Öffentlichkeit scheinbar »erfahrbarer« oder »erfahrenswerter«. Als zweite wichtige Funktion von Images in 187 188 189
Vgl. Kapitel 3.3. Vgl. Bentele 1993, S. 169. Merten/Westerbarkey 1994, S. 210.
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der Medien- und Kommunikationstheorie ließe sich demnach die Suggestion erweiterter Erfahrbarkeit von Informationen konstatieren. Hierzu passt auch die Feststellung Mertens, nach der Images für all solche Objekte erzeugt werden, »über die kein direkt zugängliches Wissen, keine unmittelbare bzw. eine zu geringe Erfahrung verfügt, um sich ein ›konkretes Bild‹ zu machen«.190 Images bieten also schnell zugängliche »Erfahrungs-Stan zen«,191 die das Fehlen unmittelbarer Erfahrungen durch die Konstruktion von Vorwissen und Vorbewertung auffangen. Images als Prinzip einer Invariantenbildung zu begreifen, klang zwar schon im Kapitel zur Personenwahrnehmung an, erfährt hier aber eine Erweiterung hinsichtlich der zeitlichen Dimension. Die Akzeleration von Zeit, die sich vor allem in der Betonung alles »Neuen« niederschlägt und sich in den immer kürzer werdenden Halbwertszeiten gelernten Wissens manifestiert, reduziert die Konstanz und den Wert eigener Erfahrung. Damit einhergehende Entwicklungsprozesse wie die ständig steigende Spezialisierung und Arbeitsteilung verstärken das Bedürfnis nach Orientierung und Stabilität.192 Durch die permanente, variative Wiederholung spezifischer Merkmale oder Merkmalskombinationen eines Gegenstands oder einer Person über einen längeren Zeitraum dem Schlüsselprinzip eines Images wird Wiedererkennung gewährleistet. In diesem Sinne sorgen Images für »Stillstand im Strom der Informationsflut«.193
Definition und Funktionsweise eines Images Images werden auch in der Medienwissenschaft zumeist unter Rückgriff auf den Schema-Begriff umschrieben, nämlich als »unter dem Einfluss von Öffentlichkeit konsentierte Schemata von Meinungen und Informationen über ein Objekt«.194 Wie im Produktmarketing sind Images dabei zweckgerichtete Vorstellungsbilder, wobei hier allerdings nicht der possessive Aspekt Gegenstände »haben« ein Image betont wird, sondern das relationale Prinzip im Vordergrund steht. D.h., Images sind immer Ergebnisse von Beobachtungen anderer Beobachter195 und entstehen und verändern sich somit in kommunikativen Prozessen als Effekte kumulativer Botschaften.196 Im Rahmen einer eher unpersönlichen, räumlich und zeitlich distanzierten massenmedialen Kommunikation197 kompensieren Images diese Defizite durch ihre Funktionsweise als symbolischer Mechanismus, der die 190 191 192 193 194 195 196 197
Merten/Westerbarkey 1994, S. 206. Ebd. Ebd., S. 206f. und Hesse/Gelzlichter 1993, S. 416. Buß, zit. nach Hesse/Gelzlichter 1993, S. 417. Merten/Westerbarkey 1994, S. 210. Rühl 1993, S. 59. Baskin/Aronoff 1988, S.62. Rühl 1993, S. 68.
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Betonung von Themen, Personen etc. ermöglicht und kontinuierliche Anschlusskommunikation wahrscheinlich werden lässt. Die Symbole, aus denen sich Images jeweils zusammensetzen, sind im Gegensatz zu den Images selbst beobachtbar. Sie werden im medialen Vermittlungsprozess als Botschaft enkodiert und von den Rezipienten dekodiert.198 Dabei sind Symbole nicht nur rein stellvertretende Zeichen für fest umrissene Bedeutungen und Werte, sondern auch ein Vehikel, das übergeordnete auch eigene projektive Vorstellungen überhaupt erst möglich macht. Symbole wirken zwar als generalisierte soziale Anweisungssysteme, wie Phänomene dieser Welt wahrzunehmen und zu bewerten sind,199 gleichzeitig sind sie aber auch interpretationsoffen und erhalten in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Sinnzuschreibungen, da sie sich zu komplexen Aussagesystemen verknüpfen lassen.200 Daher ist es nicht verwunderlich, dass Symbolisierung als zentrales Mittel zur Herstellung von Public Relations fungiert.201 Der Prozess der Symbolisierung lässt sich als Transformation von Kommunikationsangeboten in Medienrealität beschreiben202 und gehorcht spezifischen Gesetzmäßigkeiten, die im Folgenden näher zu betrachten sind. Diese Gesetzmäßigkeiten lassen sich als Optimierungsstrategien verstehen, mit deren Hilfe sich Publikumsaufmerksamkeit und -nachfrage als Wettbewerbsvorteil sichern lassen. Denkt man dabei zunächst an private Fernsehsender und den Bereich der Printmedien, ist jedoch auch der öffentlich-rechtliche Sektor zunehmend durch das Prinzip der potentiellen Kommerzialisierung von Nachfrage bestimmt und sei es nur in der Form, dass die Einschaltquoten die Rundfunkgebühren legitimieren. Über welche Ereignisse ein Medium berichtet, welche Musiker es porträtiert, ignoriert oder parodiert, hängt somit von den angestrebten Zielgruppen ab, die für Werbekunden und/oder das Gesamtprofil des Mediums interessant erscheinen und entsprechend definiert werden. Zu diesem Zweck handeln Medien auf der Basis sogenannter Mediaframes. Frames sind vergleichbar den Schemata »hypothetischtheoretische Konstrukte, die in verschiedenen Disziplinen wie z.B. Psychologie, Soziologie, Linguistik, Kognitionswissenschaft, Publizistik- und Medienwissenschaft Verwendung finden«.203 Nach Goffman lässt sich jedes Alltagsereignis aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen, wobei die Gesellschaft oder hier die Medien soziale Rahmen (engl.: frames)
198 199 200 201 202 203
Vgl. Hazleton 1993, S. 88. Vgl. Saxer 1993, S. 166. Vgl. Hunziker 1996, S. 50. Vgl. Hazleton 1993, S. 97. Vgl. Saxer 1993, S. 167. Bonfadelli 2004, S. 143f.
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als Verständigungshintergrund zur Verfügung stellen.204 Somit umfassen Mediaframes alle Programme der Invariantenbildung, von denen bei der Produktion, Distribution oder Rezeption von Medienangeboten Gebrauch gemacht wird (z.B. Gattungsbezeichnungen, Themen, Handlungsmuster etc.) und regeln Erwartungen und Ansprüche an den Wirklichkeitsbezug der jeweiligen Medienangebote.205 Frames können sowohl a) in der Kommunikator- wie auch b) in der Wirkungsforschung untersucht werden206 und liefern wichtige Informationen in Bezug auf spezifische Konstruktionsmechanismen, die sowohl den Medieninhalten als auch deren Integration in die individuellen Wissensbestände zugrunde liegen. a) Auf der Kommunikatorseite erklären Frames die Entstehungsbedingungen von Medienaussagen. Herangezogen werden dabei zumeist das sogenannte Gatekeeper-Modell und die Nachrichtenwerttheorie.207 Medien als »Gatekeeper« zu betrachten impliziert die Vorstellung von einer Redaktion als Kanalsystem, durch das die Kommunikationsinhalte fließen, wobei sie kontinuierlich gefiltert und transformiert werden. Hierfür sitzen an den Schaltstellen entsprechende Gatekeeper (z.B. Redaktionsleiter, Journalisten), die entscheiden, welche Inhalte in welcher Form weiter fließen dürfen.208 Die hierfür relevanten Selektionskriterien lassen sich als Nachrichtenfaktoren fassen und ermöglichen, »diejenigen Eigenschaften zu spezifizieren, die ein Ereignis besitzen muss, um als Nachricht in die Medien zu ›gelangen‹«.209 Die Wichtigkeit eines identifizierten Nachrichtenfaktors schlägt sich vor allem im Umfang und in der Art seiner Präsentation (Platzierung, Aufmachung) im Medium nieder.210 Wichtige Nachrichtenfaktoren,211 die für verschiedene Medien gleichsam relevant sind, betreffen die Art der Ereignisentwicklung. So werden aktuelle und kurzfristige Ereignisse eher zur Nachricht als langfristige Entwicklungen. Diese erfahren nur Berücksichtigung, wenn entscheidende Wendungen stattfinden. Dies spielt bereits auf die Bedeutung von Überraschungseffekt, Neuartigkeit und Außergewöhnlichkeit an. Gleichzeitig wird aber auch auf den Karriereverlauf eines Themas und damit auf Konstanz geachtet. D.h., hat ein Thema es erst einmal in die Nachrichten geschafft, wird auch kontinuierlich darüber berichtet. Dieser Widerspruch stellt eine interessante Parallele zur Bedeutung des Verhältnisses von Kontinuität und 204 205 206 207
208 209 210 211
Goffman, zit. nach Bonfadelli 2004, S. 144. Vgl. Schmidt/Weischenberg 1994, S. 216ff. Vgl. Bonfadelli 2004, S. 146. Nach Bonfadelli sind diese Theorien den konstruktivistischen Ansätzen zuzuordnen. Weber versteht sie jedoch vor dem Hintergrund des Realismus (vgl. Bonfadelli 2004, S. 49 und Weber 2003, S. 189f.). Vgl. Hunziker 1996, S. 39. Vgl. Ruhrmann 1994, S. 238. Vgl. Hunziker 1996, S. 59. Vgl. z.B. Ruhrmann 1994, S. 238ff. oder Bonfadelli 2004, S. 59f.
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Neuartigkeit bei der Personenwahrnehmung wie auch im Starkontext dar.212 Demnach ist zu vermuten, dass eine solche Ambivalenz, die sowohl Wiedererkennung als auch Informationswert sichert, einen Grundmechanismus kommunikativer Zusammenhänge darstellt, der mit zentralen Wahrnehmungsstrategien direkt korrespondiert und im Synthesekapitel noch einmal aufgegriffen wird. Auch der Nachrichtenfaktor »Eindeutigkeit« tauchte als Prinzip bereits im Kapitel zum Produktmarketing und der Personenwahrnehmung auf, dort allerdings unter dem Begriff »Prägnanz«. Eindeutigkeit meint hier die Klarheit und Konsistenz eines Ereignisses. Geht es letztlich um das Erreichen zahlreicher Rezipienten, spielt natürlich die Bedeutsamkeit des Ereignisses für die Gesamtbevölkerung eine Rolle. Dies meint sowohl mögliche Konsequenzen (z.B. finanzielle Einbußen) als auch Identifikationsoptionen durch das Ansprechen wichtiger Werte, die in einer bestimmten Zeit hervorstechend (z.B. Selbstoptimierung, Kommerzialisierung) oder bedroht (z.B. Stabilität, Heimat) sind und damit für viele Menschen eine Relevanz haben. Bezüglich des Starkontextes ist die Tatsache interessant, dass Personalisierung (oder besser: Personalisierbarkeit) und insbesondere Prominenz wichtige Nachrichtenfaktoren repräsentieren. Personalisierung meint zunächst nur die Möglichkeit, ein Ereignis als persönliches Schicksal oder als herausragende Handlung eines Individuums darzustellen, wie im historischen Teil anhand der Yellow Press ausführlich erklärt wurde.213 Noch bedeutsamer wird aber ein Ereignis, wenn es zudem einer prominenten Persönlichkeit zugeschrieben werden kann. Mit Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Nachrichtenfaktoren ist dabei festzuhalten, dass ein Ereignis umso banaler sein kann, je berühmter die Person ist. So sind relativ alltägliche Dinge wie ein runder Geburtstag, ein neu gekauftes Haus oder ein neuer Lebenspartner an sich nicht berichtenswert, sie werden jedoch zu Informationseinheiten, wenn sie von einem Star(musiker) erlebt werden.214 Wichtig ist hierbei auch, die Unterschiede zwischen den einzelnen Medien zu betrachten, die sich nicht nur durch die Besonderheiten der redaktionellen Konzepte ergeben, sondern auch durch die medienspezifischen Produktionsmethoden und Darstellungsmittel.215 So hat z.B. die schriftliche Mitteilung ein anderes Repertoire von Darstellungsformen als die audiovi212 213 214
215
Vgl. Kapitel 3.4 und Kapitel 2. Vgl. Kapitel 1. Ein Ereignis wird im allgemeinen berichtenswerter, wenn mehrere Nachrichtenfaktoren in Kombination auftreten (Additivitätsprinzip). Das Fehlen eines wichtigen Faktors kann allerdings auch durch einen oder mehrere andere Faktoren ersetzt werden (Komplementaritätsprinzip), was das obige Beispiel erklären würde (vgl. Bonfadelli 2004, S. 49). Vgl. Hunziker 1996, S. 61.
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suelle Übertragung. Hier sind sichtbare Handlungsabläufe, Spannung und Dynamik gefordert, wobei zusätzlich die Unterschiede zwischen einzelnen Präsentationsformaten (z.B. Videoclip vs. Dokumentation) berücksichtigt werden müssen. In den Ergebniskapiteln zu den einzelnen Musikern ist die Analyse des audiovisuellen Materials deshalb vor allem darauf ausgelegt, zu zeigen, auf welche Art und Weise der Interpret das jeweilige Format bedient und repräsentiert. »Image« ist damit nicht nur öffentliches Abbild einer biographischen Person, sondern bietet den jeweiligen Formaten auch eine Kompatibilitätsoption, da Starimages Senderimages erheblich beeinflussen. So benötigen Stars Auftritte in den für ihre Zielgruppe relevanten Medien, und diese wiederum brauchen Stars als Content Provider, die mit ihren Wertesystemen und Anschauungen zu den Leitbildern des Senders bzw. einzelner seiner Formate passen.216 b) Auf der Rezipientenseite existieren ebenso Frames, die unter dem Schema-Begriff bereits im Kapitel zur Personenwahrnehmung thematisiert wurden. An dieser Stelle liegt der Schwerpunkt jedoch auf den Mechanismen bei der Wiedergabe medialer Angebote. Da Starimages als kumulativer Effekt medialer Informationen betrachtet werden können, muss die Starwahrnehmung auf der Rezipientenseite folglich zusätzlich zur Bestimmung individueller Projektionen als Wahrnehmung medialer Berichterstattung analysiert werden. Strategien der Nachrichtenwiedergabe sind vor allem durch Auslassungen und Hinzufügungen gekennzeichnet.217 Es werden also Einzelheiten und Folgen unterschlagen, dafür aber nicht gemeldete jedoch plausible Ereignisse ergänzt, z.B. um Widersprüche aufzuheben oder gefühlte Unvollständigkeiten zu beseitigen, um letztlich ein geschlossenes Wissensmuster darzubieten. Des Weiteren neigen Rezipienten zur Hervorhebung dominanter Einzelheiten (z.B. Nennung von Personen, wenn es eigentlich um einen sachlichen Aspekt geht) und zu ihrer Transformation. Hierbei werden unvertraute Themen und Zusammenhänge so verändert, dass sie vertraut erscheinen, was häufig durch eine Veränderung von Dauer und Abfolge der Ereignisse geschieht.218 Diese Strategien sind vergleichbar mit den auf allgemeiner Ebene angesprochenen Prinzipien der Hypothesentheorie der Wahrnehmung.219 Rezipienten konstruieren bei der Wiedergabe medialer Informationen also einen eigenen Bezugsrahmen, wobei dieser Rahmen immer einen direkten Bezug zur persönlich relevanten, sozialen Wirklichkeit herstellt. Wird in medialen 216 217 218 219
Vgl. zur Bedeutung von Stars für Fernsehsender Faulstich 1998, S. 16ff. und die Analyse von Berghaus (Berghaus 1995). Vgl. Ruhrmann 1994, S. 246ff. Vgl. zu weiteren Prinzipien der Medienrezeption z.B. auch Donsbach 1989, Bommert/Weich/Dirksmeier 1995 und Meyen 2001. Vgl. Kapitel 3.4.
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Berichten häufig sogar Bestätigung für die eigene Biographie gesucht, ist es nicht verwunderlich, dass entweder Nachrichten bevorzugt werden, die Schicksale einzelner Menschen zum Thema haben oder aber Nachrichten stark personalisiert wiedergegeben werden.220 Die Bedeutung von Personen drückt sich auch in Bezug auf die Wahrnehmung durch die Rezipienten insbesondere in der Bedeutung von Prominenz aus. Meinungsbildend ist daher häufig gar nicht unbedingt die weiter oben definierte »öffentliche Meinung«, sondern Prominenz und Prestige eines Akteurs.221 Somit wirkt die »öffentliche Meinung« erst, wenn sie von einem Star »verkündet« und damit individualisiert wird. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Prominenz und Prestige, die Neidhardt in Anlehnung an Parsons und Habermas vornimmt, wobei Prominenz zunächst lediglich die generalisierte Fähigkeit bezeichnet, Aufmerksamkeit zu erregen und Prestige darüber hinaus die Erzeugung von Zustimmung impliziert.222 Prestige bewirkt, dass »Alter Ego für eine vertrauenswürdige Informationsquelle hält und ihm ›glaubt‹, auch wenn er nicht in der Lage ist, die Information selbständig zu verifizieren oder sich nicht diese Mühe machen will«.223 Nur durch die Kombination von Bekanntheit plus Zustimmung durch ein Publikum kann ein Star somit als funktionales Element medialer Informationsvermittlung wirken, da es sich bei den distribuierten Behauptungen und Erklärungen notwendigerweise um »credence goods«224 handelt, die der Annahme durch einen Rezipientenkreis bedürfen. Betrachtet man also diese zwei Komponenten als wichtige Personenvariablen für das Funktionieren medialer Kommunikation, und versteht man Stars als mediale Phänomene, dann zeigt sich erneut, dass Bekanntheit und Zustimmung auch Bedingungen des Startums selbst sind, die sich insbesondere in einer festen Anhängerschaft manifestieren.225 Zusammenfassend lässt sich bezüglich der Rezipientenperspektive die Suche nach sozialen Vergleichsinformationen als zentrales Mediennutzungsmotiv ableiten.226 Dabei dienen die erwähnten Strategien und Schemata sowohl dem Selbstschutz durch Abwärtsvergleich (»gut, dass es mir nicht so schlecht geht«) als auch der Selbsterhöhung durch die Übernahme erstrebenswerter Gütestandards (»auch ich könnte reich und berühmt sein«). Die Medien stellen entsprechende soziale Vergleichsinformationen bereit, die sie in Form von Images als komprimierte, symbolisch repräsen220 221 222 223 224 225
226
Vgl. Ruhrmann 1994, S. 248 und Hannover/Mauch/Leffelsend 2004, S. 184. Vgl. Neidhardt 1994, S. 28. Ebd. S. 16. Parsons 1980, S. 151. McManus 1992, S. 794. Auch in Kapitel 3.3 fand sich hierauf ein Verweis durch die Heranziehung von Markenbekanntheit und Markenloyalität als zwei eigenständigen Variablen zur Bestimmung des Markenwerts. Vgl. Hannover/Mauch/Leffelsend 2004, S. 176 und S. 184.
125
DER MUSIKSTAR
tierte Agglomerate wünschenswerter Lebensstile distribuieren. Besonders attraktiv ist ein solches Image, wenn es durch eine konkrete Person verkörpert und damit versinnbildlicht wird, da sich der kohärente Eindruck eines übergeordneten Lebensgefühls hierdurch noch verstärkt und emotionalisiert. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus diesem Kapitel ist das Verständnis von Image als einem kommunikativen Konstrukt, das sich nicht als »das Intendierte« oder »das Wahrgenommene« fixieren lässt, sondern gerade durch seine ständige Wanderschaft durch individuelle (oder institutionelle) Köpfe und Gemüter gekennzeichnet ist. Auch Grunig spricht daher von einem »production concept« und einem »consumption concept of image«,227 wobei die eine Art der Begriffsbestimmung sich auf die absatzorientierte Auswahl und Kombination von attraktiven Symbolsystemen bezieht und die andere mit Image eine mentale Repräsentation assoziiert (z.B. in Soziologie und Sozialpsychologie). Sinnvoll ist daher, von einem Werte-Pool auszugehen, den ein Starmusiker auf der Basis seiner Persönlichkeit, der ihm zugehörigen Produkte sowie den auf ihn bezogenen Texten und Publikumswahrnehmungen bzw. -wünschen verkörpern kann. Aus diesem Pool extrahieren die einzelnen Bezugsgruppen (verschiedene Kommunikatoren und Rezipienten) ein jeweils spezifisches Werte-Set und kontextualisieren es entsprechend ihren eigenen Organisations-, Wissens- und Bedürfnisstrukturen.228 Demnach sollte eine Analyse von Musiker-Images weniger den Vergleich von Wunschbild und Wirklichkeit fokussieren, sondern Wunschbild als Wirklichkeit und Wirklichkeit als Wunschbild begreifen, was für die Forschung bedeutet, die jeweiligen Vorstellungs-Variationen sowie die ihnen zugrundeliegenden Konstruktionsprinzipien zu explizieren.229
227 228 229
Vgl. Grunig J. 1993, S. 266. Vgl. Borgstedt 2004, S. 10. Vgl. zum Verhältnis von Medien und Realität auch Bonfadelli 2004, S. 52.
126
4. G R U N D L A G E N
MUSIKALISCHEN
STARTUMS
UND
ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN Aus der Zusammenstellung vielfältiger starbezogener und imagetheoretischer Einzelerkenntnisse in den vorherigen Kapiteln werden im Folgenden systematisierende Schlussfolgerungen mit Hinblick auf den weiteren Verlauf der Untersuchung gezogen. Dabei geht es zunächst um die Spezifizierung von vier als zentral angesehenen Komponenten, die eine konkrete Attribution des Star-Status wahrscheinlich machen. Als Basis dienen die im historischen und systematischen Teil herausgearbeiteten sozialen, institutionellen und technischen Bedingungssysteme. Die einzelnen Komponenten werden zusammenfassend und ergänzend ausgeführt, wobei auch Implikationen für den empirischen Teil aufgezeigt werden. Im Anschluss daran wird ein schematisches Modell vorgestellt, das die Funktionsweise eines Images noch einmal in verallgemeinerter Form veranschaulicht und für die nachfolgenden Analysen anwendbar macht. Die abschließenden drei Thesen stellen die vorherigen Aussagen in einen größeren Kontext und verweisen damit auf Möglichkeiten und Grenzen von Imageanalysen.
4.1 Komponenten musikalischen Startums A) Leistung/Erfolg B) Bekanntheit C) Feste Anhängerschaft D) Persönlichkeit als öffentlicher Gesamteindruck (Æ Image) Die Komponenten »Leistung/Erfolg« (A) und »Bekanntheit« (B) werden als notwendige Bedingungen von Startum betrachtet. Eine Person, der beide Aspekte zugeordnet werden können, kann somit als »prominent« bezeichnet werden. Prominenz ist also eine Voraussetzung für Startum, da die Gruppe der Prominenten die der Stars inkludiert.1 Hinreichende Bedingun1
Dies entspricht gängigen Klassifizierungen von Stars als Teilgruppe von Prominenz. Vgl. z.B. Staiger 1997, S. 49. Auch Kepplinger verweist darauf, dass Pro-
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DER MUSIKSTAR
gen für die Etikettierung einer Person des öffentlichen Lebens als »Star« liefern eine feste Anhängerschaft (C) und eine faszinierende oder als faszinierend inszenierte und wahrgenommene Persönlichkeit (D). Diese vier Bedingungen stellen keine objektiven Zuschreibungskategorien dar, sondern sind Ergebnis bzw. erneuter Ausgangspunkt diskursiver Prozesse in verschiedenen Kommunikationssystemen und daher immer in Bewegung. Ähnlich wie bei der Funktionsweise von Images generell, unterliegen sie jedoch einer Tendenz zur Verfestigung und einer damit einhergehenden Verselbständigung. Unterstützung für diese eigenständig hergeleitete Unterteilung lässt sich bei Avenarius finden, der neben »Substance«, als notwendiger Leistungskomponente, die Bedeutung von Bekanntheit und Ruf/Reputation für ein erfolgreiches Image nennt. Für die übergeordnete und anhaltende Popularität bedarf es überdies eines inhaltlichen Profils bzw. einer Persönlichkeit.2 Auch auf die von Neidhardt betonte Unterscheidung von Bekanntheit und Prestige, die impliziert, dass es nicht nur um die Erzeugung von Aufmerksamkeit, sondern auch Zustimmung geht, wurde bereits hingewiesen.3 Schließlich zeigten ebenso die Ausführungen zum Markenmanagement, dass eine Trennung von Markenwert (Performance), Markenbekanntheit, Markenloyalität und Markenpersönlichkeit zu analytischen Zwecken sinnvoll ist.
A ) Leistung/Erfolg Herausragende Fähigkeiten und/oder Pionierleistungen, die in einer bestimmten Zeit Aufsehen erregen, bilden den Ausgangspunkt für die Zuordnung einer Person zum Kreis der Stars. Leistungen sind damit das Kapital, mit dem eine Person auf sich aufmerksam macht, was wiederum impliziert, dass diese Leistung wahrgenommen werden muss, um als solche anerkannt zu werden. Gibt es in verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen diesbezüglich klare Selektionskriterien wie z.B. »Macht« für die Politik oder »Profit« für die Wirtschaft4 existieren im Kunst- und Kulturbereich keine eindeutigen Schlüsselindikatoren für die legitime und konsensuelle Bewertung einer Darbietung als besondere Leistung. Auch technische Faszination ausgelöst durch Aspekte wie Schnelligkeit und unnachahmliche Brillanz , hat im Zuge der rasanten medialen Entwicklung an Bedeutung für die Genese von musikalischem Startum verloren. Zudem wird die überein-
2 3 4
minenz und Starruhm in der Wahrnehmung der Bevölkerung unterschiedliche Dinge sind (vgl. Kepplinger 1997, S. 180). Wichtig ist jedoch zu ergänzen, dass sich bei Prominenten der Aspekt der Bekanntheit häufig verselbständigt und nicht mehr an eine kontinuierlich erbrachte Leistung gekoppelt ist. Vgl. Avenarius 2000, S. 166ff. Vgl. Kapitel 3.5. Vgl. Peters 1996, S. 82ff.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
stimmende Wahrnehmung von Leistung im Bereich der Musik durch verschiedene Qualitätskriterien für unterschiedliche Genres und durch die Heterogenität und Anonymität der zugehörigen Rezipientengruppen ein konstitutives Merkmal großer bzw. medialer Publika erschwert.5 Dennoch ist der Aspekt des »Herausragens« für einen Musiker unabdingbar. Um die Zuschreibung von Leistung personenorientiert zu kanalisieren, wird daher vor allem die öffentlichkeitswirksame Prämierung von Leistung in den Vordergrund gestellt. Zum Zweck der notwendigen Monopolisierung eines Akteurs als Grundlage von Startum haben daher nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche komplexe Systeme der Leistungsprämierung ausgebildet. Wie der historische Teil zeigte, erfahren auch Auszeichnungen für Musiker insbesondere im 19. Jahrhundert eine erhebliche Ausdifferenzierung. Anerkennungspreise und Wettbewerbe bieten dabei nicht nur eine Orientierung für das jeweilige Interpretenranking, sondern können auch den »Urknall« einer Karriere repräsentieren bzw. zu einem solchen stilisiert werden. Der sogenannte »Durchbruch« dient im weiteren Verlauf der Karriere als biographischer Anker, der in medialen Texten immer wieder ausgeworfen wird, um den Wert des Interpreten zu unterstreichen. Entsprechend rekurrieren auch die Informationseinheiten über die hier ausgewählten Musiker regelmäßig auf den Gewinn diverser Preise, beispielsweise beim Busoni-Wettbewerb (Brendel) oder beim Grand Prix der Volksmusik (Hertel).6 Es ist somit nicht verwunderlich, dass Preise und Wettbewerbssiege sich dabei häufig als reine Gütesiegel verselbständigt haben und allein durch die Symbolisierung von Leistung hohe Aufmerksamkeitswerte und Anerkennung erzielen. Bereits 1957 konstatiert C. Wright Mills, dass für die Erlangung nicht einmal entscheidend ist, in welcher Disziplin bzw. womit jemand eine Leistung vollbringt: »It does not seem to matter what the man is the very best at; so long as he has won out in competition over all others, he is celebrated«.7 Die Beurteilung von Leistung orientiert sich demnach weniger an gegenstandsimmanenten Kriterien, sondern am tatsächlichen oder potentiellen Beifall für einen kulturellen Beitrag8 bzw. am Prestige der jeweiligen Vermittlungsinstanz. Für die Musik repräsentieren daher die Verkaufszahlen in Form von Chartplatzierung und der Verleihung Goldener Schallplatten auf der einen Seite und das Ranking der Plattenfirmen und Labels auf der ande5
6 7 8
Innerhalb einer homogenen Gruppe wie z.B. einer spezifischen Forschergruppe ist Leistung nach Dreitzel einfacher beurteilbar als in heterogenen, anonymen Gruppen. Vgl. ebd., S. 22. Ebenso ordnet Dyer den Mythos des Durchbruchs (»break-through«) als wichtige Komponente starbezogenen Wissens ein. Vgl. Dyer 1979, S. 48. Mills 1956, S. 74. Vgl. Peters 1994, S. 206.
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DER MUSIKSTAR
ren Seite die Ausrichtung auf quantitative Indikatoren und Prestigesuggestion. Leistung wird damit zumeist erst wahrgenommen, wenn sie sich als öffentlich anerkannter Erfolg verbuchen lässt. Der Erfolg selbst ist somit häufig das Eigentliche, »wir leben nämlich nicht so sehr in der öffentlich deklarierten ›Leistungsgesellschaft‹ als vielmehr in einer Erfolgsgesellschaft: Die persönlich wirklich vollbrachte Leistung ist weniger der Maßstab für die Einordnung in soziale Ränge als eher die soziale Wirkung von Leistungen, der Erfolg, das Image oder gar der Schein der Leistung, die Publizität vermeintlicher Leistungen«.9 Für den empirischen Teil dieser Arbeit ist somit von Interesse, ob und wie Leistung als Bestandteil von Musiker-Images in verschiedenen Genres vermittelt bzw. verankert wird. Dies bezieht sich auch auf die unterschiedlichen Beurteilungskriterien, die bereits im Funktionen-Kapitel Erwähnung fanden. Dabei werden sowohl konkrete Formen der Symbolisierung als auch die Gewichtung von professioneller Leistung bei der Präsentation der Musikerpersönlichkeit beleuchtet: Stellt die Qualität musikalischer Darbietung die Kernkompetenz dar, auf die sich die Imagekonstruktion vornehmlich bezieht, ist sie ein Anker, an dem sich die weitere Künstlerentwicklung orientiert oder lediglich ein »Hintergrundkapital«?
B) Bekanntheit Wie auch immer entstanden, ob durch »objektive« Leistung, prestigeträchtige Auszeichnung oder massenwirksame Aufmerksamkeitsfokussierung; Bekanntheit ist an sich eine zentrale Bedingung für Startum. Durch Bekanntheit wird die asymmetrische Beziehung zwischen Star und Fan zementiert, denn Bekanntheit bedeutet: Die Zahl derer, die den Bekannten kennen, ist ungleich viel größer als die Zahl derer, die der Bekannte selbst persönlich kennt. Bekanntheit ist zudem eine dauerhaft vorherrschende Komponente, wohingegen eine Leistung theoretisch einmalig sein kann. Musik ist jedoch im Unterschied zu Literatur und Bildender Kunst durch die Notwendigkeit immer wieder aktualisierter Musikdarbietung an wiederholte Leistung und damit an die wenn auch zumeist imaginäre Präsenz eines Interpreten gebunden. Auch beim Anhören eines Tonträgers wird der Musiker in der Vorstellung aktiviert und in den wahrgenommenen Gesamtkontext integriert. Das Wechselverhältnis von öffentlich anerkannter Leistung und resultierender bzw. aufrechterhaltener Bekanntheit ist für Musiker daher wichtiger als für Protagonisten anderer Bereiche. Für eine Prominenzierung sind Musiker überdies prädestiniert, da sie im Unterschied zur Bildenden
9
Lenk, zit. nach Peters 1996, S. 100.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
Kunst keine Unikate (außer legendäre Einspielungen) herstellen.10 Anerkennung durch ein Fachpublikum allein reicht hier also nicht aus, in der Regel ist die kontinuierlich erworbene Wahrnehmung durch eine breite Öffentlichkeit vonnöten.11 Prominenz ist somit kein »Miniaturabbild der Gesellschaft«,12 sondern in unterschiedlichen Bereichen von verschieden großer Bedeutung. Diese Differenzen sind in den Disziplinen selbst angelegt (s.o.). Unter den Kulturprotagonisten sind dementsprechend insbesondere Musiker und Schauspieler von großer Publizität abhängig, da sie in das öffentlich präsentierte Produkt direkt eingeschrieben sind bzw. selbst das Produkt darstellen und ihre Visibilität und medial repräsentierte oder aktuell präsente Persönlichkeit Grundlage der entsprechenden Berufsausübung ist. Wie bereits angedeutet, ist Bekanntheit nicht nur eine Folge tatsächlicher Leistung oder erreichten Erfolges, sondern abhängig von der öffentlichen Wirksamkeit dieser Leistung bzw. der durch die Medien in Form einer Zuordnung von Nachrichtenwerten unterstellten Wirksamkeit. Resultierende Prominenz verstanden als dauerhafter Bekanntheits-Status durch kontinuierliche und massenhafte mediale Reproduktion ist daher »letztlich nichts anderes als eine Funktionsgröße der Publizität«.13 Bereits Mills verweist auf die »Hierarchie der Publizität«, die die »Hierarchie der Herkunft« in der gesellschaftlichen Attribution von Ansehen zunehmend ersetzt hat: »Printer’s ink has replaced blue-blood«.14 Hierdurch wird noch einmal verdeutlicht, was im historischen Teil schon erwähnt wurde: »Starruhm gibt es nur in der Öffentlichkeit, durch die Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit«.15 Zusätzlich hat sich Bekanntheit als Wert an sich ähnlich wie im vorherigen Abschnitt der Erfolg verselbständigt und erfüllt eine prestigeerhöhende Funktion in der Gesellschaft. So konstatiert auch Thomas Macho (allerdings für den politischen Sektor): »Wichtiger als selbst die denkbar höchste Kompetenz ist der Bekanntheitsgrad; und schlimmer als jede Kritik wäre der Umfragevermerk: nicht bekannt«.16
10 Vgl. Peters 1996, S. 104f. 11 Natürlich existiert auch in der Musik vielfältige Nischen-Prominenz, die lediglich in Fachkreisen entsprechende Würdigung findet und trotzdem erfolgreich ist oder auch Musik, die gänzlich ohne Interpreten auskommt. Hierbei handelt es sich dann aber nicht um Prominente bzw. Stars im engeren Sinne. 12 Peters 1994, S. 212. 13 Determeyer, zit. nach Peters 1996, S. 30. 14 Mills 1956, S. 73. 15 Kepplinger 1997, S. 176, vgl. auch Peters 1996, S. 34. 16 Macho 1993, S. 766. Ähnliche Bemerkungen gibt es auch von Boorstin (»A celebrity is well-known for his well-knownness”, vgl. Boorstin, S. 57) und Mills (»They are celebrated because they are displayed as celebrities”, vgl. Mills 1956, S. 74).
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DER MUSIKSTAR
Wichtig im Hinblick auf den empirischen Teil ist somit die Exploration der jeweiligen Bedeutung von Bekanntheit für spezifische Star-Systeme sowie die Art ihrer Vermittlung, d.h. die Form, in welcher die Bekanntheit des Interpreten in den Medien selbst thematisiert wird und somit für das Image konstitutiv ist.
C) Feste Anhängerschaft Im Kontext des Charisma-Begriffs wurde deutlich, dass Stars insbesondere durch spezifische, ausdifferenzierte Formen der Erzeugung verbindlicher Anhängerschaften charakterisiert werden können. D.h., die Zuordnung dieses Status bedarf letztlich der Instanz eines Publikums. Einmal erreichte Bekanntheit stellt somit ein »Beziehungskapital« dar, indem es weiteren Zugang zu Massenmedien und damit zur Aufmerksamkeit des Publikums ermöglicht.17 Hat ein Staranwärter den Status erreicht, Bestandteil medialer Berichterstattung zu sein, kann allein das kontinuierliche Auftauchen aufgrund der Omnipräsenz der Medien in Beliebtheit resultieren. Dies lässt sich durch den »Mere Exposure-Effekt« (Yinin/Goldenberg/Neeman) erklären, nach dem die positive Bewertung einer Person durch bloße Vertrautheit des Anblicks steigt.18 Dementsprechend sind Interpreten in relevanten Medien präsent, wenn vermutet wird, dass sie großen Publikumssegmenten Identifikationsmöglichkeiten und Chancen zu para-sozialer Interaktion eröffnen.19 Wie aber entsteht der Konsens vieler für die Wertschätzung einzelner?20 Auf der ersten Stufe werden potentielle Fangemeinden durch die Struktur der Massenmedien kanalisiert. Um ein spezifisches Publikumssegment zu erreichen, muß das relevante Medium bzw. relevante Medienkombinationen bekannt sein. Rezipienten, die an ein konkretes Medium oder bestimmte inhaltliche Einheiten darin gebunden sind, betrachten dieses als verlässliche Quelle, entsprechend den eigenen Erwartungen und Ansprüchen (z.B. Information, Unterhaltung, Anregung, Entspannung etc.). Fernsehen und Internet erfüllen hierbei eine genreübergreifende Funktion, da Sichtbarkeit eine grundlegende Voraussetzung für die Besetzung der Starrolle ist.21 Daher sind gerade Musiker und Schauspieler prädestiniert, diesen Status zu erhalten, denn ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie während ihrer Tätigkeit idealer Weise sichtbar sind.22 Dabei geht es nicht vorrangig um die Visualisierung attraktiver Menschen. Vielmehr liefert die 17 18 19 20
Vgl. Peters 1996, S. 42. Leffelsend/Mauch/Hannover 2004, S. 65. Vgl. Saxer 1997, S. 209 und Kapitel 2.2. Vgl. Peters 1996, S. 24; Peters bezieht diese Frage allerdings lediglich auf Prominenz, nicht auf Stars im hier ausgeführten Sinn. 21 Vgl. Kepplinger 1997, S. 183. 22 Vgl. Peters 1996, S. 92f.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
visuelle Darstellung zentrale Hinweisreize für die Zuschreibung von Charakterzügen23 und ermöglicht so ein plastisches Bild des Interpreten beim Publikum. Entsprechend ist beispielsweise das Fernsehen für alle drei ausgewählten Musiker ein wichtiges Medium, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Von Interesse für den empirischen Teil sind daher insbesondere diesbezügliche formatspezifische Differenzen (z.B. Darstellungsmodalitäten einer Dokumentation vs. eines Videoclips oder einer Unterhaltungsshow). Professionsinterne Leistung (bzw. Erfolg) und Bekanntheit sind damit hinreichende Bedingungen für Prominenz. Startum impliziert jedoch immer eine zugehörige Anhängerschaft und ist daher auf dauerhafte wenn auch vermittelte Beziehungen zu seinen Rezipienten angewiesen, sowohl aus ökonomischer als auch wirkungsästhetischer Sicht, denn der Star ist ohne ein begeistertes Publikum, das sich kontinuierlich für ihn interessiert, nicht denkbar. Als wichtiger komplementärer Bestandteil einer Untersuchung im Bereich des Starkontextes sollten daher immer auch die zugehörigen Fans mit einbezogen werden. Neben den medial verbreiteten Informationen über die hier ausgewählten Starmusiker wird daher auch deren Annahme und diskursiv-kommunikative Weiterverarbeitung in »Fan-Kreisen« mit Hilfe einer qualitativen Untersuchung spezifiziert.
D) Persönlichkeit als öffentlicher Gesamteindruck (Image) Abschließend leistet diese Komponente die Integration, Symbolisierung und Emotionalisierung der vorherigen Aspekte durch Repräsentation derselben. Im Verlauf dieser Arbeit wurde kontinuierlich darauf verwiesen, dass Personalisierung ein grundlegendes Prinzip der medialen Nachrichtenproduktion wie der Kommunikation im Allgemeinen darstellt. Stars können daher auch als personalisierte Erfolgsmeldungen gelesen werden, indem sie durch direkte oder indirekte Bezugnahme auf gesellschaftliche Normen strukturelle Determinanten in idealer Weise verkörpern und in Form narrativer Muster erlebbar machen. So erzeugen Stars umfassende Vorstellungswelten, die sich als Schemata manifestieren. Wie gezeigt wurde, sind diese Schemata hierarchisch organisiert, so dass sowohl übergeordnete Erwartungshaltungen aufgebaut werden (z.B. bezüglich Starmusikern oder Starmanagern allgemein), als auch subkategoriale Bedeutungsmuster, wie sie z.B. Klassikstars, Popstars oder Rockstars und ihren jeweiligen Untergruppierungen zugeordnet werden können. Diese Konzeption von Startum als einem Mehr-Ebenen23 Vgl. Kapitel 3.4.
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DER MUSIKSTAR
Modell macht damit plausibel, dass prominente Musiker zum einen als Repräsentanten für eine bestimmte Ästhetik und als Projektionsflächen für professionsinternen Erfolg agieren, den sie an ihren Namen koppeln. Zum anderen aber führen sie wieder neue Differenzierungen ein, indem sie sich innerhalb des Genres von anderen Interpreten absetzen, was wiederum die Entstehung weiterer Subkategorien bzw. neuer Stile begründen kann. Ein Star ist somit gleichzeitig ein integrierendes und differenzierendes Moment kultureller Produktionsprozesse. Differenzierung fungiert dabei vor allem als öffentlichkeitswirksame Suggestion von Individualität, für die zwei Dimensionen zentral sind: Exponierung und Intimisierung. Ersteres soll die Kultivierung des Herausgehobenen umschreiben, die sich sowohl auf die Betonung außergewöhnlicher Leistungen als auch auf die Beschreibung charismatischer oder provokativer Eigenschaften und Erscheinungsweisen zur Fokussierung des Anders-Seins beziehen kann. Dieser in den vorherigen Kapiteln in unterschiedlichsten Zusammenhängen thematisierte Aspekt der Außeralltäglichkeit wird ergänzt durch den Zoom auf die Privatsphäre der Stars. Die öffentliche Verbreitung biographischer Details und persönlicher Befindlichkeiten bietet damit einen Rahmen für die in Kapitel 2.2 u.a. beschriebenen Funktionsprinzipien der Identifikation und Projektion. An dieser Stelle wird nochmals deutlich, dass die umfassende Vermittlung eines prägnanten Persönlichkeitsbildes direkt an die medialen Systeme gekoppelt ist. Hier werden expressive, kommunikative oder andere Kompetenzen einer Person durch die Distribution auf mehreren semiotischen Ebenen (verbal, visuell, auditiv) integriert. Gerade die audiovisuellen Medien erfüllen dabei die »für das Startum essentielle personale Vergegenwärtigung«24 in idealer Weise. Persönlichkeit ist also nicht direkt erfahrbar, sondern wie anhand der Ansätze aus Marketing, Personenwahrnehmung und Medienwissenschaft gezeigt , stets vermittelt und daher immer Konstruktion. Das ImageKonzept, das die konstruktiv-diskursive Funktionsweise öffentlicher Repräsentation versinnbildlicht, wurde entsprechend als wesentliche analytische Kategorie identifiziert, mit dem die zugrundeliegenden Darbietungsund Wahrnehmungsmechanismen dargelegt und differenziert werden können. Mit Bezug auf den Beginn dieser Arbeit lassen sich durch Operationalisierung des Image-Konzepts damit die drei für die Analyse von Startum zentralen Fragen personen- und genrespezifisch beantworten: So können sowohl konkrete Bedeutungsmuster (was verkörpern Star-Musiker?), Konstruktionsmechanismen (wie verkörpern sie Bedeutungen?) als auch rezep-
24 Saxer 1997, S. 207f.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
tionsbezogene Funktionen (warum verkörpern Star-Musiker Bedeutungen?) beschrieben und erklärt werden. Zur Veranschaulichung wird im Folgenden ein schematisches Modell entworfen, das die wesentlichen Aspekte und Komponenten eines Images noch einmal vereinfachend zusammenfasst und für die empirische Untersuchung anwendbar macht.
4.2 Musiker-Images: Modellbildung Das Image eines Musikers repräsentiert die Gesamtheit der Vorstellungsund Bewertungsinhalte, die als spezifisches Arrangement von Wertemustern, Persönlichkeitseigenschaften und emotionalen Anmutungen mit einem bestimmten Musiker verknüpft sind. Ein Image besitzt hinsichtlich seiner Grundstruktur stereotypen Charakter im Sinne einer schematisierten Vorstellung bzw. eines vereinfachten, unveränderlichen Bildes einer Person. Gleichzeitig ist es aber ein dynamisch organisiertes, hierarchisches System, das als Effekt kumulativer Botschaften entsteht und sich durch neue Informationen verändern kann.
distribuiertes Bild
Imagekern
Werte Bedeutungen
rezipiertes Bild
Werte Bedeutungen
z.B. Wissensbestände
z.B.: Musik Professioneller Stil
Musikalischer Geschmack
Interpretation Bühnenverhalten
Lebensstil
Verhältnis zum Publikum
Wertesystem
Typ Mensch
Sozialisation
Privatleben Mediale Texte Primäre Texte
Rezipienten Sekundäre Texte
Tertiäre Texte
Abb. 1: Schematische Darstellung eines Images Wo aber konstituiert sich ein Image? In den Köpfen der Manager? In den Medien? In den Herzen der Fans? Die Aufarbeitung des Image-Begriffs in den einzelnen Disziplinen zeigte, dass die Verortung auf verschiedenen
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DER MUSIKSTAR
Ebenen stattfindet (z.B. Produktions- vs. Rezeptionsseite), wobei die medienwissenschaftlichen Ansätze insbesondere die Wechselbeziehungen zwischen diesen Ebenen ins Zentrum rückten. Musiker-Images werden daher als kommunikative Konstrukte betrachtet, die sich aus den überwiegend medial distribuierten, intertextuellen Darstellungsmustern eines Interpreten und den darauf aufbauenden Vorstellungen der Rezipienten zusammensetzen. Die Kommunikatorperspektive wird hier entsprechend als öffentlichmedial realisiertes Bild konzipiert. Bezug nehmend auf den Textbegriff der Cultural Studies,25 setzen sich die musikerbezogenen Angebotsstrukturen aus primären und sekundären Texten zusammen. Primäre Texte sind demnach CDs, Bilder, audiovisuelle Darstellungen (Clips, Unterhaltungsshows, offizielle Dokumentationen etc.) sowie performativ-interaktive Angebote (Live-Konzerte, Autogrammstunde, »Meet&Greet«) der einzelnen Interpreten. Handelt es sich hierbei um multisensorische Textstrukturen (auditiv, verbal, visuell, audiovisuell, haptisch), bewegen sich die sekundären Texte (Zeitungskritiken, Publicity, Zeitschriftenartikel etc.) vor allem im Bereich der Printmedien. Tertiäre Texte repräsentieren die Wissensbestände, Meinungen und Bedeutungszuschreibungen der Rezipienten und konstituieren damit das Fremdbild eines Musikers. In einigen musikalischen Genres lassen sich Rückschlüsse auf das Meinungsbild der Hörer/Fans aus einschlägigen Fanzeitungen bzw. Fan-Websites ziehen; im Zentrum stehen allerdings die aus Befragungen bzw. Interviews gewonnenen direkten Angaben der Rezipienten. Die Strukturierung in primäre, sekundäre und tertiäre Texte legt nahe, dass der Übergang von der Kommunikator- zur Rezeptionsseite ein Kontinuum darstellt, indem die sekundären Texte zwar teilweise von der Produktionsseite gesteuert werden können, die tatsächliche Implementierung der Informationen aber in die Hände der Medien selbst gegeben und damit bereits eine rezeptive Ebene beschritten wird. Wirkt also bei der Distribution eines materiellen Produkts vor allem der Handel als teilweise unberechenbarer Multiplikator von Assoziationen (z.B. durch Platzierung und spezifische Vertriebswege), kommen bei Musikern die Medien als Vervielfältigungsinstanz hinzu, die entscheidenden Einfluss auf die Imagekonstruktionen der Rezipienten besitzt.26 Umgekehrt nehmen die Rezipienten das öffentlich-mediale Bild nicht nur »wahr«, sondern produzieren teilweise selbst starbezogene mediale Texte (z.B. Fan-Websites). Der Aufbau eines Musikerbildes erfolgt durch die gezielte Auswahl und Kombination von Symbolen, die sich in unterschiedlichen Gestaltungskategorien innerhalb verschiedener medialer Texte konkretisiert. Musikerrele25 Vgl. z.B. Fiske, S. 110 ff. 26 Fiske 1987, S. 108ff.
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vante Gestaltungskategorien sind z.B. die Musik selbst bzw. die Beschreibung von Musik, professioneller Stil, Interpretation, Bühnenverhalten, das Verhältnis zum Publikum, die Charakterisierung eines Typs, das Privatleben und weitere Themen. Die konkret verbreiteten Informationen innerhalb dieser Kategorien verweisen auf Werte und Bedeutungen (z.B. Persönlichkeitseigenschaften, zugeschriebene Fähigkeiten), die das medial verbreitete Bild bzw. unterschiedliche formatspezifische Medien-Bilder durch variierende Wertekombinationen und Bedeutungsmuster konstituieren. Diese Symbolisierungsmechanismen auf verschiedenen Repräsentationsebenen ermöglichen die Wahrnehmung des Stars als Verkörperung eines spezifischen Lebensstils. Die medialen Texte dienen den Rezipienten als Grundlage für die Zuordnung von Werten und Bedeutungen, die das wahrgenommene Bild strukturieren. Während des Rezeptionsprozesses werden die Informationen selektiert, gewichtet oder umgedeutet. Beeinflusst wird dies durch verschiedene Determinanten, wie z.B. den bereits erworbenen starbezogenen Wissensbeständen, dem musikalischen Geschmack, dem Lebensstil insgesamt und dem Wertesystem eines Menschen, das wiederum durch die Art der Sozialisation bestimmt ist. In Bezug auf das »active audiences«Konzept der Cultural Studies, muss theoretisch davon ausgegangen werden, dass die Rezipienten zusätzlich Bedeutungen in das Image integrieren, die unabhängig von den medialen Texten sind und als eigene Projektionen wirksam werden. Des Weiteren sollte nicht vernachlässigt werden, dass die Meinungen und Bewertungen der Rezipienten wiederum auf die Darstellung in den medialen Texten zurückwirken. Auch auf der Rezeptionsseite also der Ebene der tertiären Texte existiert somit nicht nur ein Image des Stars. Vorstellungsbilder der Rezipienten sind hingegen vor allem abhängig von den jeweils genutzten Medieninhalten und ihrer spezifischen Integration in die bereits bestehenden Wissensbestände.27 Insofern lassen Befragungen der Rezipienten sowohl Rückschlüsse auf mediale Nutzungsstrukturen als auch auf die Dynamik eigener Bedeutungszuschreibungen zu. Dabei ist insbesondere das Ausmaß zu konkretisieren, in dem projektive Anteile für die Rezeption von Musikern in verschiedenen Genres relevant und bedeutsam sind. Den Ausführungen ist zu entnehmen, dass es keine zwei strikt voneinander getrennten Seiten im Sinne einer Produktions- und einer Rezeptionsseite gibt, sondern aus beiden Perspektiven verschieden fokussierte Images des Musikers kursieren. Hieraus wird auch ersichtlich, dass die Bestimmung 27 Geraghty bezeichnet dies als »Reworking«, bei dem die zur Verfügung stehenden Materialien hinsichtlich bedeutsamer Inhalte, Widersprüche etc. gefiltert und neu angeordnet werden, um als persönlich logische und angenehme Sinnheiten empfunden werden zu können, was letztlich den Prozess der Identifikation widerspiegelt (vgl. Geraghty 2000, S. 185).
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DER MUSIKSTAR
eines repräsentativen Images der Kommunikatorseite, das dann anhand der Fans »überprüft« wird, strenggenommen nicht möglich ist bzw. verkürzt und wirklichkeitsfern wäre. Vielmehr gibt es theoretisch Aspekte, die nur in den medialen Texten auftauchen, aber nicht rezipiert werden und gleichzeitig auch Aspekte, die in den Star projiziert werden, aber nicht medial verbreitet sind. Trotzdem ist ein besonderes Augenmerk auf die Schnittmenge aus denjenigen Elementen zu richten, die auf beiden Seiten präsent sind, da sie das Zentrum eines Images bilden. Dieser sogenannte Imagekern verweist auf die Bedeutung permanenter Repetition der wesentlichen inhaltlichen Aspekte eines Images, die die Basis für Wiedererkennung und narrative Weiterentwicklung liefert und Kommunikation damit überhaupt erst ermöglicht. Mit dem Imagekern lässt sich auch die für ein Image konstitutive Schlüsselreizstruktur veranschaulichen: Die hier verbreiteten Informationen sind für die Beurteilung eines Produkts bzw. eines Musikers besonders wichtig und können mehrere andere Bedeutungseinheiten bündeln, substituieren oder verändern.28 Der Name eines Stars bzw. die ihm zugeordneten Labels (z.B. »Goldkehlchen aus dem Vogtland« oder »König Midas unserer Zeit«) wirken als besonders konzentrierte Schlüsselreize, die mit einem bestimmten Emotionsschwerpunkt verbunden sind und die Wahrnehmung anderer Komponenten beeinflussen.29 Somit zeigt sich deutlich, dass die Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Fähigkeiten, die einem Star-Musiker zugeschrieben werden, ihre Bedeutung immer erst in Relation zueinander erhalten und daher als semantische Netzwerke verstanden werden müssen. Für empirische Untersuchungen sind daher auch die jeweiligen Kontextualisierungsmuster (z.B. narrative Schemata, biographische Anker, emotionale und wertebasierte Ähnlichkeit etc.) von Interesse, mit deren Hilfe einzelne Bedeutungen verknüpft werden und wodurch der Star als logisch-organisierte Entität erscheint. So repräsentiert das Image eines Musikers einen komplexen WertePool, aus dem die einzelnen Bezugsgruppen (verschiedene Kommunikatoren und Rezipienten) ein jeweils spezifisches Werte-Set extrahieren und es entsprechend ihrer eigenen Organisations-, Wissens- und Bedürfnisstrukturen kontextualisieren.
28 Vgl. Kroeber-Riehl 2003, S. 280. 29 Dieses Prinzip entspricht auch dem in Kapitel 3.4 thematisierten Halo-Effekt.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
4.3 Zusammenfassende Thesen Images von Starmusikern sind relational und hierarchisch Stars repräsentieren nicht nur individuelle Persönlichkeiten, sondern stellen immer auch eine Beziehung zu verschiedenen sozialen Gruppen, Kategorien und Dimensionen her.30 So werden sie in der Regel im Verhältnis zu anderen Vertretern der gleichen Berufgruppe (z.B. »besser/schlechter«) wahrgenommen, stehen in einer bestimmten Relation zu verschiedenen Rezipientenkreisen (z.B. »beliebt/unbeliebt«) und zu unterschiedlichen Medien (z.B. »format-adäquat/format-inadäquat). Gleichzeitig bilden sie einen Bezugspunkt für die Kategorien Ort und Zeit. Ein Ort ist dabei sowohl in seiner geographischen Dimension bedeutsam (»ein amerikanischer Rockstar«) als auch in seiner sozialen Dimension (»ein Held der Unterschicht«). Erscheinungsweisen von Startum variieren im zeitlichen Verlauf, d.h. Stars sind eng an eine Epoche, ein Jahr oder eine Saison gebunden und wandeln sich, entstehen oder verschwinden, wenn sich die in der jeweiligen Zeit zentralen Bedürfnisse verändern. Nicht nur für individuelle Stars, sondern für ganze Star-Systeme spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. So lässt sich in der historischen Entwicklung häufig eine Dominanz eines bestimmten Star-Typs konstatieren (z.B. Filmstars in den 20er Jahren, Musikstars in den 50ern oder Subkategorien wie Grunge-Stars in der populären Musik der 90er Jahre).31 Neben solchen nach außen gerichteten Relationen, ist auch das jeweilige Image selbst aus inhaltlichen und strukturellen Relationen aufgebaut. Erstere beziehen sich auf das Verständnis eines Images als semantischem Netzwerk, in dem die einzelnen Komponenten in einem spezifischen Verhältnis zu anderen Komponenten stehen, das durch bereits erwähnte Mechanismen (z.B. implizite Persönlichkeitstheorien, Stereotype) geprägt und modelliert wird. Strukturelle Relationen thematisieren den Aspekt der Intertextualität, also die funktionalen Verknüpfungen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen (medialen) Texten, aus denen sich letztlich ein kohärenter Gesamteindruck formt bzw. konstruiert wird. Inhaltliche und strukturelle Relationen spielen sich dabei auf verschiedenen Ebenen ab, so dass ein Image eine hierarchische Wissens- und Bewertungsstruktur repräsentiert. So verkörpert ein Musiker einerseits ein Meta-Produkt d.h. einen Produktverbund, der sich aus einzelnen CDs, Konzerten etc. zusammensetzt , ist aber gleichzeitig auch wieder Versatz-
30 Lowry 1997, S. 316 und Faulstich 2000, S. 201. 31 Für Strobel und Faulstich steht diese jeweilige Dominanz in Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Dominanz des Leitmediums (vgl. Strobel/Faulstich 1998, S. 15).
139
DER MUSIKSTAR
stück eines übergeordneten Images, z.B. eines musikalischen Genres, einer Berufsgruppe oder einer Nation.32
Images von Starmusikern sind ambipolar Mittels dieser auf unterschiedlichen Darstellungsebenen wirksamen Relationen werden Starmusiker auf verschiedenen Bedeutungsdimensionen verortet, die sich zumeist in Form von Dichotomien ausprägen. Die Kultivierung von Polaritäten bei der medialen Präsentation wird ansatzweise sowohl in Publikationen zum Starphänomen, in Medien- und Kommunikationswissenschaft als auch in strategischen Public Relations als bedeutsam für die Erzeugung und den Erhalt von Popularität angesehen.33 Dichotomien erleichtern den Aufbau narrativer Muster, indem sie Widersprüche bereitstellen, die permanenter Unterfütterung mit aktuellen, anschaulichen Informationen bedürfen und damit Identifikations- und Projektionsprozesse anregen. Unter Rückgriff auf einschlägige Literatur ließen sich drei Dichotomien ableiten, die zum einen für Stars im Allgemeinen als zentral erscheinen und zum anderen auch für Musiker relevant sind: a) Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit, b) Nähe/Distanz, c) Realität/Fiktion. a) Die erste Dichotomie fokussiert das komplexe Verhältnis von sozialer Integrität und auffälliger Individualität. Wie gezeigt wurde, ist diese Wechselbeziehung grundlegend für die Erscheinungsweise von Stars und kann nach Ellis als einzige Konstante eines jeden Starimages betrachtet werden.34 Demnach führen Stars einerseits ein normales Leben und haben gleiche Hoffnungen, Ängste und Träume wie die nicht-prominente Bevölkerungsmehrheit, heben sich aber andererseits vom Leben der »NormalSterblichen« ab. Somit ist der Star ein zumindest imaginär erreichbares Objekt der Begierde, indem es fühlt und denkt wie man selbst und den Menschen medial nahe gebracht wird, als auch ein unerreichbares Objekt der Begierde, indem es die normale Welt durch seine Existenz im virtuellen Raum übersteigt. Die umfassende Inszenierung von Außeralltäglichkeit ist zumeist eng mit dem System der Filmstars verknüpft. Der historische Abriss zur Entwicklung von Startum in der Musik zeigte jedoch, dass diese Dichotomie in der öffentlichen Präsentation von Musikern a priori angelegt ist, da sie von Beginn an gleichzeitig mit überirdischem Luxus und profanem Alltag assoziiert wurden.
32 Avenarius weist im Kontext von Public Relations darauf hin, dass beispielsweise Mozart oft als zentrale Komponente des Images von Österreich instrumentalisiert wird (vgl. Avenarius 2000, S. 163). 33 Vgl. z.B. Dyer 1979, Lowry/Korte, S. 14, Hunziker 1996, S. 67, Avenarius 2000, S. 168. 34 Vgl. Ellis 1982, S. 101.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
b) Das Verhältnis von Nähe und Distanz verweist auf konkrete Formen der medialen Vermittlung eines Stars und ihrer Wahrnehmung durch die Rezipienten. Wie eben bereits angedeutet, ist die Produktion und Wahrnehmung »personalisierter Außeralltäglichkeit« an spezifische Formen der technischen Informationsvermittlung gekoppelt. Zwar kann das Nähe/Distanz-Verhältnis auch real räumlich gestaltet sein (wie z.B. im Konzert oder Theater), durch die Massenmedien werden jedoch ausdifferenzierte Mischformen und Oszillationen ermöglicht. So lässt sich beispielsweise durch filmtechnische Mittel wie Schnitt, Kamerafahrt, Zoom und Nahaufnahme eine Dynamik zwischen Nähe und Distanz vielfältig gestalten. Indem in der Musik intermediale Präsentationsformen zunehmend bedeutsam sind, entstehen auch hier diverse Wechselwirkungen, z.B. wenn bei einem Live-Konzert gleichzeitig Videoprojektionen laufen. Vermittelt wird also eine sinnliche Präsenz, die den Zuschauer zu weiterer Kontaktsuche motiviert: »Nähe und Distanz, Verheißung und Zurückweisung sind grundlegende Pole im Spannungsfeld zwischen Star und Publikum«.35 Bewunderung entsteht demnach nicht allein durch umfassende Verfügbarkeit eines Stars, sondern aus Versprechungen und distanzierendem Rückzug, wie dies bereits Mills konstatierte: »For the crowd to admire, it [the celebrity, S.B.] must be kept at a distance«.36 c) Mit der dritten Dimension »Realität/Fiktion« wird die Rätselhaftigkeit hinsichtlich öffentlichem Image und »tatsächlicher« bzw. vermuteter Persönlichkeit aufrechterhalten. Mit Blick auf das Kapitel zur Personenwahrnehmung, bildet sich die Unsicherheit bzgl. Vorstellung und Wahrheit in der Kombination systematischer und heuristischer Verarbeitungsprozesse ab, indem auf der einen Seite Belege für eine Vorstellung gesucht werden, die sie als real qualifizieren würde (Bottum-Up), und auf der anderen Seite ein verallgemeinernder, idealisierender oder entstellender Gesamteindruck die Wahrnehmung einzelner Informationen einfärbt (Top-Down). Auch diesen Effekt unterstützen die medialen Inszenierungstechniken, indem sie z.B. durch naturalistisch-dokumentarische Darstellungen reale Tatsachen suggerieren und durch Close-Ups das Gefühl vermitteln, eine Person wirklich »entlarven« und verstehen zu können oder aber durch bestimmte Lichtverhältnisse und Einstellungen ästhetische Überhöhungen und Idealisierungen visualisieren, die die Person als unwirklich und »wie aus einer anderen Welt« erscheinen lassen. Bezüglich Musiker können diese visuellen Vermittlungsformen um auditive ergänzt werden, z.B. durch die Erzeugung natürlicher vs. technisiert-irrealer Klangwelten, die den Gesamteindruck entsprechend prägen. So orientiert sich die symbolische Ausgestaltung zwar an der »ursprünglichen« Person, ist aber aufgrund der zei35 Thiele 1997, S. 137f. 36 Mills 1956, S. 89.
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DER MUSIKSTAR
chenbasierten, vermittelnden Struktur eines Images von ihr abgelöst, so dass zwangsläufig eine Differenz zwischen Persönlichkeit und Image entsteht, die in diskursiven Prozessen durch die Naturalisierung der Verknüpfung zugeordneter Zeichen und Zeichenträger (Star) nivelliert wird.
Images von Starmusikern sind diskursiv Der konstruktive Charakter eines Images wurde bereits aus verschiedenen disziplinären Perspektiven beleuchtet, weshalb systematisierende Aspekte hier nur noch einmal kurz aufgegriffen werden sollen. Die durch diskursive Praktiken permanent in Bewegung gehaltenen Vorstellungswelten bezüglich eines Musikers bewirken zum einen, dass Starimages nie komplett und geschlossen sind, da sie immer Ergebnis einer Rezeption vorheriger Rezeptionen sind und weitere Distributions- und Verarbeitungsvorgänge stimulieren. Zum anderen sind sie dadurch nicht konkret greifbar, sondern eher als Überschneidungspunkte verschiedener intertextueller, kultureller und semiotischer Prozesse zu fassen. Des Weiteren beziehen sich Starimages hauptsächlich auf Konnotationen, d.h. es gibt keine eindeutige Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem. Dass verschiedene Personen, Medien oder sonstige Nutzergruppen trotzdem ähnliche Zuordnungen treffen, wird zumeist unter Rückgriff auf das Konzept des Codes erklärt, das die Konventionalisierung von Bedeutungszuweisungen zu Zeichen fokussiert. Codes als »shared frames of reference« lenken die Aufmerksamkeit damit vom individuellen Zeichen auf die Strukturen und Prozesse kulturspezifischer Bedeutungen.37 Wenn Fans ihren Stars also bestimmte Persönlichkeitszüge zuschreiben, ist dies ein Akt der Interpretation, der durch Codes gesteuert wird. So signalisiert ein bestimmter Gesangsstil nicht per se Unschuld oder Aggressivität, kann aber auf der Basis eines Codes von einem Publikum so gedeutet werden. »Codes then are a result of collective patterns of meaning production; they offer ways of linking signifieds to signifiers, but they do not determine meaning, since culture presents a multitude of codes, some existing parallel to one another and some competing with others. Interpretation, as the act of assigning meaning to signs, is in part determined by the choice of which codes one applies«.38 Wie Hall bereits in seinem Aufsatz »Encoding, Decoding«39 herausstellt, müssen auf verschiedenen Ebenen verwendete Codes nicht symmetrisch sein; die sogenannten »meaning structures 1« (Enkodierungsebene) und »meaning structures 2« (Dekodierungsebene) sind also nicht unbedingt identisch. Prozesse der Selektion und Kombination von Zeichen sowie 37 Vgl. Lowry 1997, S. 313ff. 38 Lowry 1997, S. 314. 39 Vgl. Hall 1993, S. 90ff.
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GRUNDLAGEN MUSIKALISCHEN STARTUMS UND ANALYTISCHE IMPLIKATIONEN
Verknüpfungen mit entsprechenden Codes produzieren daher vielfältige Bedeutungen. Wie in Kapitel 2 bereits ausgeführt, lässt sich die Gesamtheit der Bedeutungen als strukturierte Polysemie begreifen, d.h. Bedeutungen sind nicht willkürlich, aber offen für verschiedene Interpretationen. Die Strukturierung erfolgt dabei nach Hall durch die während der Enkodierung vorgenommene Konstruktion von Begrenzungen und Parametern, innerhalb derer Dekodierung stattfinden kann.40 Dies verdeutlicht auch, dass Diskursivität nur funktioniert, wenn gleichzeitig Invariantenbildung stattfindet. Es bedarf also eines gewissen Maßes an Reziprozität von Enkodierung und Dekodierung, damit ein Prozess überhaupt das Label »kommunikativer Akt« erhält. Gerade die Herausarbeitung starbezogener Invarianten ist daher für eine Analyse von Interesse, da hierdurch die Zirkulation zentraler Bedeutungen mitsamt ihrer Verfestigungen, Variationen, Wandlungen und Anreicherungen verfolgt werden kann und Images somit als kommunikative Konstrukte versteh- und nachvollziehbar werden.41 Diskursive Prozesse erzeugen Begrifflichkeiten, die im Nachhinein zumeist als objektive Zuschreibungen empfunden werden. Entsprechend ist ein Star auch nur der, der als solcher bezeichnet wird. Ein verkaufsförderndes Image besitzt der, dessen attribuierte Eigenschaften und Fähigkeiten als verkaufsfördernd herausgestellt und medial verbreitet werden. Den Medien kann also bezüglich Stars und ihrer Images die entscheidende Definitionsmacht zugeschrieben werden, indem die mediale Etikettierung »Star« eine Vereinbarung darüber produziert, wer populär ist und die Konstruktion eines spezifischen Images entsprechend als Beschreibung realer Personen empfunden werden kann. Starimages sind also wichtiger Bestandteil des Mediendiskurses und daher selbst diskursiv, d.h. sie suggerieren ein Abbild von Realität, das aber durch die notwendige Ausrichtung auf Medienformate, gesellschaftlich relevante Normen oder wünschenswerte Lebensweisen immer als konstruiert betrachtet werden muss, auch wenn dies durch diskursive Techniken (z.B. bestimmte Metaphern oder Argumentationsmuster) verschleiert wird. Am Ende entscheidet jedoch die pragmatische Ebene und damit die Nutzerperspektive über die Frage nach der Realität: Im Alltag fungieren diese Bilder als bedeutsame Kultur-Folien, die eine spezifische Sicht auf die Welt oder einen Musiker im besonderen nicht nur nahe legen, sondern als quasi-reale Handlungsgrundlage etablieren.
40 Solche Begrenzungen können beispielsweise durch Medienformate gegeben sein; als Parameter können z.B. spezifische Nachrichtenwerte wirksam werden. 41 Invarianten eines Images sind hier die Bestandteile des Imagekerns, die von allen Bezugsgruppen geteilt werden (wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen und Wertungen). Vgl. Image-Modell in Kapitel 4.2.
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E MPIRISCHER T EIL
5. A U F B A U
DER EMPIRISCHEN
UNTERSUCHUNG
5.1 Einleitung Zur Veranschaulichung und Differenzierung der Erkenntnisse des theoretischen Teils wurden umfassende Imageanalysen am Beispiel dreier Starmusiker durchgeführt. Ziel der Untersuchung ist die Herausarbeitung spezifischer Wertesysteme, ihres strukturellen Aufbaus sowie ihrer Funktionen und Funktionsprinzipien. Wie der erste Teil dieser Arbeit zeigte, können solche Analysen zwangsläufig immer nur eine punktuelle Repräsentanz beanspruchen, da sich Images über die Zeit verändern und aufgrund ihres kommunikativen Charakters je nach verwendetem Material (Art und Auswahl von Medieneinheiten, Personen, Institutionen) differieren. Gleichzeitig verfestigen sich zentrale Komponenten eines Images als Invarianten, die Wiedererkennung und Weiterentwicklung als Bedingungen für massenmediale Vermittlung gewährleisten. Die Ergebnisse der Untersuchung veranschaulichen daher sowohl die Zirkulationen und Verknüpfungen von Starbedeutungen, als auch die Fokussierung von Kern-Komponenten, die sich als Ausgangspunkte und Anker für diskursive Prozesse herausbilden. Zu diesem Zweck wurde ein mehrstufiges Auswertungsverfahren entwickelt, das den spezifischen Eigenschaften von Images í wie sie im theoretischen Teil dieser Arbeit dargelegt wurden í Rechnung trägt. Somit können potentielle Komponenten eines Images í also strukturelle und inhaltliche Kategorien í nicht a priori konstruiert werden, sondern müssen ausgehend von konkretem Material und induktiver Kategorienbildung differenziert und aufgrund der Ganzheitlichkeit eines Images kontextualisiert werden.1 Als Basis der Untersuchung wurde die Kombination einer Kommunikator- mit einer Rezeptionsstudie gewählt, deren Aufbau im Folgenden genauer ausgeführt wird. Zusätzlich werden Aspekte der visuellen und audiovisuellen Darstellung in den Kontext der Imagekonstruktion einbezogen. Aufgrund des beträchtlichen Gesamtumfangs der Arbeit konnten hier jedoch keine ausführlichen Analysen durchgeführt werden, sondern lediglich prinzipielle Mechanismen Erwähnung finden, die die zentralen Stardi1
Vgl. zu Prinzipien von Ganzheitlichkeit, Kontextualität und Induktion grundlegende Publikationen zur Methodik qualitativer Forschung, z.B. Flick/ v.Kardoff/Keupp/Rosenstiel/Wolff 1991, Lamnek 1993a und 1993b, Flick 1995, Flick/v.Kardoff/Steinke 2003.
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DER MUSIKSTAR
chotomien (»Nähe/Distanz«, »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit«, »Realität/Fiktion«) moderieren. Um die diskursiven Konstruktionsprinzipien von Images grundlegend zu beschreiben, schien es außerdem gewinnbringender, sich zunächst auf zwei ausgewählte Akteurssysteme (Printmedien, Rezipienten) als Teilbereiche der Signifikation zu konzentrieren. Einleitend werden zu jedem Musiker biographische Daten angeführt; den Abschluss eines jeden Ergebniskapitels bildet die Zusammenstellung der Kern-Komponenten des jeweiligen Starimages sowie die Einordnung hinsichtlich der in Kapitel 4 dargelegten Stardimensionen. Zur Bestimmung des übergeordneten Sinnzusammenhangs wurde abschließend ein Vergleich der Musiker durchgeführt und die Bedeutung der Medien für die Imagekonstruktion noch einmal spezifiziert. Die Auswahl der Musiker orientiert sich an verschiedenen Kriterien. Als Grundlage dienen dabei die im theoretischen Teil herausgearbeiteten Starbedingungen (Erfolg, Bekanntheit, Anhängerschaft und prägnantes Persönlichkeitsbild). Somit sollten die ausgewählten Persönlichkeiten bereits mindestens 10 Jahre erfolgreich in der Musikbranche tätig sein, regelmäßige Berichterstattung in den Massenmedien erfahren, ein großes, verbindliches Publikum haben und typische Repräsentanten für das jeweilige musikalische Genre sein. Da es in der Untersuchung um grundlegende Mechanismen von Starimages geht, schien es zudem plausibel, Musiker aus diametral entgegengesetzten kulturellen Wertsphären auszuwählen, um auch Prinzipien zu identifizieren, die Starmusikern jeglicher stilistischer Provenienz zugrunde liegen. Zur Orientierung wurden standardisierte Differenzierungen herangezogen, die im theoretischen Teil bereits angeführt wurden. Stellt man die verschiedenen Ansätze einander gegenüber, zeigen sich deutliche Ähnlichkeiten, die auf drei zentrale Wertsphären verweisen und auf musikalische Genres übertragen werden können:
Wertsphäre A Wertsphäre B Wertsphäre C
Systematisierung Systematisierung nach Karmsin2 nach Aaker3 Disziplin Kompetenz
Systematisierung zugeordnete Musikgenres nach Schulze4 Hochkulturschema Klassik
Solidarität
Aufrichtigkeit
Trivialschema
Hedonismus
Erregung/Spannung Spannungsschema Popmusik
Tabelle 1: Vergleich unterschiedlicher Systematisierungen von Wertsphären
2 3 4
Karmasin 1993, S. 337ff. Aaker, J. 1999, S. 97f. Schulze 1997, S. 125ff.
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Volksmusik
AUFBAU DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
Bei den ausgewählten Musikarten handelt es sich zudem um drei Genres, die von großer wirtschaftlicher Relevanz sind, auch wenn sich dies auf jeweils verschiedene Absatzbereiche bezieht (Konzerte, Tonträger etc.). All die hier angeführten Kriterien grenzten die Auswahl der Interpreten erheblich ein und legten eine í im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen getroffene í Entscheidung für Alfred Brendel (Klassische Musik), Stefanie Hertel (Volkstümliche Musik) und Robbie Williams (Pop International) nahe.
5.2 Kommunikatorstudie Mit Blick auf das im theoretischen Teil erarbeitete Image-Modell kommen für eine Kommunikatorstudie die primären und sekundären Texte als Materialgrundlage in Betracht. Aus mehreren Gründen erschien die Konzentration auf die sekundären Texte í und hier auf den Bereich der Printmedien í sinnvoll. Zum einen werden damit Texte herangezogen, die unter Einbezug mehrerer primärer Texte (Beschreibung und Bewertung von Tonträgern, Fotos, Konzerten etc.) entstehen; d.h. das Themenspektrum der Artikel reflektiert die Gesamtproduktion eines Musikers, beinhaltet daher viele Beurteilungsdimensionen und stellt somit bereits eine Meta-Ebene der Imagekonstruktion dar. Zum anderen sind Zeitungen und Zeitschriften ein Medienverbund, der für alle hier ausgewählten Interpreten von großer Bedeutung ist. Der Vorteil einer Untersuchung der Presse besteht zudem darin, dass das Image einer prominenten Person hier in sehr allgemeiner Form konstruiert ist, da die Tagespresse sich an eine breite Leserschaft wendet und dabei deren Interessen í und nicht vorrangig die der Fan-Community í bedient. Zudem ist die Präsenz in der Tagespresse auch ein Indikator für die gesellschaftliche Bedeutung einer Person oder eines Phänomens insgesamt. Ziel der Inhaltsanalyse der Tagespresse ist a) die empirische Herausarbeitung derjenigen (Themen-)Kategorien, die imagerelevante Informationen beinhalten sowie b) die Darstellung der in den Kategorien repräsentierten Werte und Bedeutungen. Zur Auswahl der Texte wurde eine Vollerhebung der Artikel folgender großer Tageszeitungen in den Jahren 1995 – 2003 durchgeführt: »Süddeutsche Zeitung« (SZ), »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ), »Die Welt« (Welt), »BILD-Zeitung« (BILD) und »Der Tagesspiegel« (TSP).5 Zusätzlich wurde die Zeitschrift »BUNTE« als so-
5
»Der Tagesspiegel« ist keine überregionale Tageszeitung im eigentlichen Sinne, wurde aber miteinbezogen, da hierdurch auch der lokale Bezug zum Star erhoben wird, d.h. Dokumentationen von Pressekonferenzen, Premierenfeiern und sonstigen Anlässen in Berlin.
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DER MUSIKSTAR
genanntes »People-Magazin« miteinbezogen, da sie den Anspruch erhebt, ein umfassendes Abbild der nationalen und internationalen Prominenz zu liefern.6 In die Auswertung aufgenommen wurden alle Artikel mit mindestens einer bedeutungstragenden Einheit, d.h. einer Information über den Interpreten, die über eine reine Namensnennung hinausgeht. Die kleinste Einheit bilden dabei die Labels, die einem Interpreten zugeordnet werden, wie z.B. »das Goldkehlchen aus dem Vogtland« oder »der letzte Pianist der bürgerlichen Utopie«. Die Auswertung dieser Labels erfolgte separat und wird in den abschließenden Unterkapiteln zu den einzelnen Interpreten dokumentiert. Unterschieden wurden bei der Datenaufbereitung drei Artikelarten:
• •
•
Hauptartikel beziehen sich ausschließlich auf den Star selbst bzw. seine Musik, wie z.B. in Konzertkritiken, CD-Rezensionen oder ausführlichen Porträts.7 Teilartikel thematisieren den Star als Nebenaspekt eines Berichterstattungsanlasses (z.B. Konzertkritiken mit mehreren »Acts«, Preisverleihung an mehrere Personen) oder der Gesamtartikel ist relativ kurz (z.B. die Kategorie »Leute/Aus aller Welt«). Bezugsartikel sind Artikel, in denen primär ein gänzlich anderes Thema behandelt wird und lediglich Bezug auf den Star genommen wird (z.B. Sätze wie »Menschenmassen wie beim Robbie Williams-Konzert standen vor der Tür« bei einem Artikel über die Berliner Staatsbibliothek oder »ein Konzertflügel, den Alfred Brendel keines Blickes gewürdigt hätte«).
Insgesamt konnten 837 Artikel in die Analysen einbezogen werden. Dass sich die Artikel dabei ungleich über die Interpreten verteilen, stellt aus methodischer Sicht kein Problem dar, weil die Untersuchungen für die einzelnen Musiker separat erfolgen und im anschließenden Vergleich nicht mit absoluten Zahlen, sondern nur mit dem Vergleich von Themen- bzw. Werte-Rangfolgen gearbeitet wird. Zur Auswertung wurde ein 2-stufiges Analyseverfahren entwickelt, dass sich aus einer Themen- und einer darauf aufbauenden Werteanalyse zusammen setzt. Das konkrete Vorgehen entspricht den Standards der In6
7
Da Stefanie Hertel in diesen Printmedien deutlich weniger stark repräsentiert ist, Zeitschriften aber dennoch für ihr Image sehr bedeutsam sind, wurde hier auch einzelne Jahrgänge der Zielgruppen-Zeitschrift »Stars und Melodien« analysiert. Die konkrete Auswahl ist im zugehörigen Ergebniskapitel dokumentiert. Während der Aufbereitung fielen hier zusätzlich noch kurze Artikel mit weniger als 15 Codes sowie solche heraus, bei denen weniger als 50% der Einzelcodes dem Interpreten zugeordnet werden konnten.
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AUFBAU DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
haltsanalyse.8 Die Themenanalyse (Teil a) der Inhaltsanalyse) dient zum einen der Aussonderung von nicht-relevanten Textteilen, d.h. solchen, die lediglich strukturellen Charakter haben, aber für die nachfolgende Werteanalyse unbrauchbar sind wie z.B. allgemeine Themeneinführungen, die Auflistung des Konzertprogramms oder übergeordnete Aussagen zum Konzertwesen, Musikleben und der gesellschaftlichen Lage insgesamt.9 Zum anderen entsteht durch die nähere Betrachtung der Themenhierarchien bereits ein Gesamteindruck der inhaltlichen Verortung eines Interpreten, d.h. es wird der Rahmen abgesteckt, in dem Bedeutungszuschreibungen überhaupt stattfinden. Daher werden in den einzelnen Ergebniskapiteln nach einem kurzen Überblick (Präsenz in den einzelnen Medien, Berichterstattung im zeitlichen Verlauf etc.) die Inhalte der zentralen Themenkategorien, die wesentlich zur Imagekonstruktion beitragen, näher spezifiziert. Als Auswahleinheit wurde der einzelne Artikel und als Auswertungseinheit jeder einzeln verstehbare Satz definiert. Jede Auswertungseinheit wurde einer Kategorie des induktiv erstellten Kategoriensystems zugeordnet. Für die anschließende Werteanalyse (Teil b) der Inhaltsanalyse) wurden nun die Codes der Themenkategorien ohne direkte Informationen über den Interpreten sowie die nicht verwendbaren Codes aus den einbezogenen Themenkategorien aussortiert, wodurch sich die Anzahl der Gesamtcodes entsprechend verringerte. Für die erneute Vercodung wurde ein zweites Kategoriensystem entwickelt, das die Werte und Bedeutungen enthält, die dem Musiker in den Artikeln zugeschrieben werden. Werte werden hier als Charakterisierungsmerkmale verstanden, die ein Interpret repräsentiert und prägnant verkörpert und damit in der Öffentlichkeit Orientierungsreaktionen auslöst, indem zu diesen Bedeutungskomponenten Stellung bezogen wird (z.B. den Interpreten als Role-Model bewundern oder sich von bestimmten Aspekten abgrenzen etc.). Diese »Image-Codes« verweisen also auf Persönlichkeitseigenschaften, Emotionen, Anschauungen und Fähigkeiten der Musiker. Bei diesem Auswertungsschritt wurden Mehrfachcodierungen erlaubt. Dies erschien insofern notwendig, als Darstellungen in der Presse die Informationen bezüglich eines Musikers häufig in Form von Aufzählungen, wie z.B. »XY ist ein ehrgeiziger, erfolgreicher, aber auch sensibler Künstler«, verdichten und hier eine einzige Vercodung wichtige Aspekte unterschlagen hätte. In den Ergebniskapiteln wird zunächst die Gesamtübersicht der Werteverteilung dargestellt. Anschließend werden diese entlang der Dimensionen »Individualität/Sozialität« (entspricht der Star-Dimension »Außergewöhn8 9
Vgl. hierzu Früh 1991 und Merten 1995. Ferner blieben auch die Kategorien mit weniger als zehn Codes unberücksichtigt.
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DER MUSIKSTAR
lichkeit/Gewöhnlichkeit«) und »Nähe/Distanz« im dadurch aufgespannten semantischen Raum interpretativ verortet. Die Dimension »Individualität/Sozialität« differenziert Starbedeutungen nach ihrer Tendenz, eine Abhebung oder Unterscheidung von anderen zu symbolisieren oder í am anderen Pol í integrativ bzw. sozial bedeutsam zu sein. Die Dimension »Nähe/Distanz« kann zum einen Nähe bzw. Distanz zum Publikum ausdrücken, beschreibt aber auch das Wechselverhältnis von Emotionalität und Rationalität, indem Nähe eine imaginierte Nähe sein kann, deren Wahrnehmung durch Inszenierung von Zugänglichkeit, Erotik o.ä. evoziert wird. Diese Anordnung der Werte im Raum liefert eine übersichtliche Darstellung, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Komponenten und Schwerpunktsetzungen (z.B. Fokussierung auf hedonistisch-intime vs. integrativ-höfliche Wertefelder) veranschaulicht. Auch hier werden die zentralen Wertekategorien im Einzelnen vorgestellt und mit Beispielen belegt. Dabei wird auch auf die thematische Provenienz dieser Werte verwiesen, d.h. es wird dargelegt, auf welchen expressiven Ebenen sich ein Wert wie »Emotionalität« ausdrückt (z.B. Musik, Mimik/Gestik, Bühnenverhalten o.ä.).
5.3 Rezeptionsstudie Nachdem mit Hilfe der Analysen der medialen Angebotsstrukturen die öffentlich thematisierten Staraspekte identifiziert worden sind, sollen diesbezügliche Konstruktionsmechanismen einer weiteren Bezugsgruppe untersucht werden: Die Perspektive der verbindlichen Anhänger bzw. Fans wurde dabei in Form einer qualitativen Rezeptionsstudie beleuchtet. Da auf Basis der Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil davon auszugehen ist, dass einzelne Werte und Bedeutungen als Komponenten eines Starimages nicht per se, sondern als Knotenpunkte innerhalb eines semantischen Netzwerks wirksam werden, erschien eine quantitative Analyse, in der die einzelnen Werte nach ihrer Bedeutsamkeit abgefragt werden, als wenig gewinnbringend. Stattdessen bieten qualitative Zugangsweisen in Bezug auf Images den Vorteil, die spezifischen Verknüpfungen zwischen Einzelaspekten aufzudecken und in einen funktionalen und emotionalen Sinnzusammenhang zu stellen. Im Bereich qualitativer Zugangsweisen lässt sich das konkrete Vorgehen in Anlehnung an die Fragestellung weiter differenzieren. So sollen hier weniger individuelle Nutzungsstrukturen und die jeweilige Integration in die persönlich relevante Wirklichkeit detailliert nachgezeichnet werden. Vielmehr werden die fallübergreifenden Aspekte aufgegriffen í also die Werte, die für alle interviewten Personen eine Rolle spielen í, um Gemein-
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AUFBAU DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
samkeiten der Sinnkonstruktionen und damit zugrundeliegende Muster zu verdeutlichen. Innerhalb dieser so extrahierten Wertekategorien werden dann in der Darstellung wiederum individuelle Variationen beleuchtet. So bleibt der Fokus auch im Rahmen der Rezeptionsstudie auf dem Interpreten bzw. erfolgt die Analyse hinsichtlich der Konsequenzen für das zu untersuchende Starimage und weniger, um Rückschlüsse auf die Lebenswelten der Rezipienten zu ziehen. Die Datenerhebung erfolgte in Form von leitfadengestützten Einzelinterviews. Hinsichtlich der Auswahl von Interviewpartnern geht es entsprechend der Fragestellung weniger um statistische als um inhaltliche Repräsentanz, weshalb das Sampling in Form einer bewussten Auswahl und nicht nach einem Zufallsverfahren durchgeführt wurde. Im Rahmen der Verfahren zur bewussten Auswahl fiel die Entscheidung zugunsten eines Konzentrationsverfahrens. Von den verschiedenen Formen der Konzentration wurde der Lead-User-Ansatz10 ausgewählt, der die potentiellen Fälle auf die »trendanführenden Verwender« beschränkt. Im Kontext der Starforschung können Fans dabei durchaus als Lead-User bezeichnet werden, da sie die zugehörigen Produkte intensiv konsumieren,11 über umfangreiche Bestände starbezogenen Wissens verfügen und im Freundes-, Familien- und Kollegenkreis häufig als Meinungsführer agieren. Pro Interpret wurden sechs Interviews durchgeführt,12 wobei auf eine Variation hinsichtlich demographischer Merkmale (insbesondere des Alters) geachtet wurde,13 Kontakte zu diesen Personen wurden jeweils an den Orten hergestellt, wo zugehörige Fans vermutet wurden. So wurden sowohl bei Konzerten von Alfred Brendel als auch Stefanie Hertel diejenigen Personen angesprochen, die nach der Veranstaltung direkt auf die Interpreten zugingen, um sich ein Autogramm zu holen oder ein Foto mit dem Star aufzunehmen.14 Da es bei Konzerten von Robbie Williams keine Möglich10 Vgl. Kepper 1994, S. 221. 11 Auch Fiske bezeichnet den Fan als einen »excessive reader« der sich vom »ordinary reader« eher im Ausmaß als in der Art der Angebotsnutzung unterscheidet (vgl. Fiske 1992, S. 46). 12 Bezüglich Stefanie Hertel konnte hierbei teilweise auf bereits 1999 und 2000 durchgeführte Interviews zurückgegriffen werden. Vgl. Neuhoff/Borgstedt 2000. 13 Für die Analysen des Images von Robbie Williams konnten jedoch nur weibliche Personen befragt werden, da diese sowohl in Konzerten als auch in den Internetforen die Mehrheit bilden und somit wesentlich leichter zu erreichen sind. Männliche Fans waren also sowohl unterrepräsentiert als auch weniger motiviert, an der Untersuchung teilzunehmen. Da hier jedoch gerade die Ansichten derjenigen Personen dargestellt werden sollen, die ihre Begeisterung für einen Interpreten auch gerne nach außen tragen, bildet das Material somit relevante Ausschnitte einer Fankultur ab, auch wenn es auf den ersten Blick einseitig scheinen mag. 14 Bei Alfred Brendel versammeln sich interessierte Berliner Konzertbesucher, die mit dem Interpreten im Anschluss noch ein kleines Gespräch führen möchten, beispielsweise vor den Künstlergarderoben in der Philharmonie. Bei Stefanie
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keit gibt, den Star direkt zu kontaktieren, wurden hier zunächst zufällig Leute ausgewählt und das Ausmaß ihrer Fanaktivitäten bestimmt, da keine Personen interviewt werden sollten, die lediglich »zufällig« beim Konzert waren oder von Freunden und Verwandten mitgenommen wurden. Da dieses Verfahren sehr mühsam und fehleranfällig war, wurde zusätzlich ein Aufruf im Gästeforum der deutschen Robbie Williams-Website gestartet, auf den mehrere Interessierte reagierten. Die Interviews waren durchschnittlich 45 Minuten lang und wurden mit Hilfe eines Leitfadens durchgeführt. In der Grundanlage handelt es sich um ein problemzentriertes Interview nach Witzel,15 wobei das spezifische Frageverfahren aber durch die bereits erläuterte Laddering-Technik16 verfeinert wurde. Somit wurde nach einem allgemeinen Erzähleinstieg nicht nur der Wechsel von übergeordneten Sondierungs- und spezifizieren-den Nachfragen konzipiert, sondern auch die Bildung von »Means-End-Ketten« angestrebt. Dabei wurden die Interviewpartner bei Erwähnung zentraler Bedeutungen, die der Star für sie repräsentiert (z.B. »Ironie«), gebeten zu beschreiben, wie sich dieser Wert ausdrückt (z.B. durch sicht- oder hörbare Merkmale), um die konkreten Komponenten zu erfahren, die zu einem übergeordneten Eindruck führen. Neben diesem »top-down-laddering« wurde andererseits í entsprechend dem »bottum-up-laddering« í bei der Nennung konkreter Aspekte (z.B. eines Musik- oder Kleidungsstücks) gefragt, warum diese von Bedeutung seien und was sie repräsentierten, um so zu abstrakten Werten zu gelangen. Inhaltlich spannt der Leitfaden einen Bogen ausgehend vom »Erstkontakt« mit dem Interpreten über Mediennutzung und Bewertung einzelner Produkte oder Persönlichkeitsaspekte bis hin zu projektiv-imaginären Fragestellungen, in denen sich die Interviewpartner beispielsweise den Verlauf eines persönlichen Gesprächs mit dem Star vorstellen sollten. Der Leitfaden diente somit als strukturelle Grundlage der Gespräche, die darauf ausgerichtet ist, einen möglichst genauen Eindruck von den Funktionsweisen der jeweiligen Imagekonstruktion zu erhalten. Entwickelten die Interviewpartner auf Eigeninitiative interessante Erzählstränge oder regten beispielsweise die gemeinsame Betrachtung eines Videos an, wurde diesen Anregungen nachgegangen und damit auch vom Fragebogen abgewichen, da das Hauptziel der Erhebung ein facettenreicher Einblick in die Nutzungs- und Wahrnehmungsformen war. Die Entwicklung des Kategoriensystems orientiert sich zum einen an dem von Mayring aufgestellten Prozessmodell zur induktiven Kategorienbildung.17 Zusätzlich wurden aber auch die in den Analysen des Hertel gibt es eine »offizielle« Autogrammstunde, in der auch die Möglichkeit besteht, zusammen mit der Interpretin fotografiert zu werden. 15 Vgl. Witzel 1985. 16 Vgl. Kapitel 3.3. 17 Vgl. Mayring 2000 S. 75.
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AUFBAU DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
Printmaterials herausgearbeiteten Wertekategorien mit aufgenommen, um eine Vergleichsmöglichkeit herzustellen. Die einzelnen Interviews wurden entsprechend codiert und mit Hinblick auf die gewählte Form der Ergebnisdarstellung inhaltlich interpretiert. Trotz durchgeführter satzweiser Vercodung wurden hier keine quantitativen Häufigkeitslisten der einzelnen Kategorienbesetzungen als Ergebnis angeführt, sondern erschien eine tendenzielle Gewichtung der Werte í in Form einer Aufteilung in vier Gruppen von »sehr bedeutsam« bis »kaum bedeutsam« í sinnvoll. Diese Vorgehensweise trägt der Tatsache Rechnung, dass die Interviews im Gegensatz zu den Zeitungsartikeln keine vorab verfassten, gedanklichen Konstrukte darstellen, sondern sich im Rahmen von Interaktion entwickeln. Durch diese kommunikative Struktur kann bedingt sein, dass a) Themen zwar eine längere Zeit behandelt werden, aber trotzdem weniger relevant sind (wie sich im Vergleich mit anderen Aspekten im Gesprächsverlauf feststellen lässt) und b) einzelne Themen sehr stark mit anderen verbunden und somit kontextuell vernetzt und entsprechend schwerer isolierbar sind als klar abgehandelte Thesen im Rahmen eines Zeitungsartikels. Die Ergebniskapitel der Rezeptionsstudie konzentrieren sich nach einer kurzen Einleitung zu den Aktivitäten der Anhänger auf die Darstellung der Wertekategorien. Dabei wird aufgezeigt, wie diese im Unterschied zur Darstellung in der Presse im semantischen Raum verteilt sind und auf welche Weise sie miteinander vernetzt werden. Es geht also vor allem um das Aufzeigen narrativer Muster, Assoziations- und Kausalketten. Abschließend werden Strategien spezifiziert, die die Funktionalisierung und/oder interessant erscheinende Aspekte des Aneignungsprozesses in knapper Form beschreiben. Dabei zeigt sich, wie die wahrgenommenen Werte für das eigene Leben nutzbar gemacht werden.
5.4 Kontextualisierung: Medien- und genreübergreifendes Value-Mapping Die Kontextualisierungen am Ende eines jeden Starkapitels (6.1.5, 6.2.5, 6.3.5) stellen neben der Verortung auf den starrelevanten Dimensionen18 die jeweiligen Kern-Komponenten des Images ins Zentrum. Als KernKomponenten bzw. »core values« werden diejenigen Werte extrahiert, die sowohl in den Printmedien als auch bei den Rezipienten von großer Bedeutung sind und jeweils zu den wichtigsten zehn Werten gehören. Im Rahmen dieser Darstellung werden auch die Labels integriert, die den Interpreten in den Printmedien als übergeordnete, bedeutungstragende Etiketten zugeordnet werden. 18 Vgl. Kap. 4.3.
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DER MUSIKSTAR
Im Anschluss an die interpretenspezifischen Kapitel werden die Wertesysteme der einzelnen Musiker noch einmal abschließend miteinander verglichen. Dabei soll es weniger um die logischerweise vorhandenen Unterschiede als vielmehr um die genreübergreifenden Ähnlichkeiten gehen. Die bei allen Interpreten auftauchenden Werte zeigen zwar identische Ausprägungen, aber unterschiedliche Semantisierungsformen und Vermittlungsprozesse, deren diskursiver Charakter vor dem Hintergrund verschiedener kultureller Wertsphären diskutiert wird. Schließlich wird die Funktion der Medien für die spezifischen Präsentationsformen im Kontext der analysierten Starimages kurz beleuchtet. Dabei werden exemplarisch die jeweiligen Nachrichtenfaktoren der einzelnen Printmedien dargestellt, die für die Berichterstattung über Musiker handlungsleitend ist. Diese Faktoren ergeben sich, indem die Themen- und Wertekategorien aller Musiker zusammengefasst werden. Daraus wird ersichtlich, welche allgemeinen Eigenschaften, Werte und Informationen eines Musikers eine Berichterstattung im jeweiligen Medium bedingen und befördern. Dies geschieht jedoch in exemplarischer Form und ist als Ausblick zu verstehen, der weiterführende Forschungfelder im Kontext »Image« anregt und konkretisieren hilft.
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6. E R G E B N I S S E : D I E M U S I K E R -I M A G E S 6.1 Alfred Brendel 6.1.1 Einleitung Alfred Brendel (geb. 1931 im nordmährischen Wiesenberg) gilt als einer der renommiertesten Pianisten weltweit. Er wuchs in einer Familie mit österreichischen, deutschen, italienischen und slawischen Wurzeln auf und studierte Komposition und Dirigieren in Zagreb und Graz. Seine Karriere ist í beispielsweise im Vergleich zu Robbie Williams í weniger durch Höhen und Tiefen gekennzeichnet, sondern erscheint als kontinuierlicher Aufstieg, der durch Ehrgeiz und Fleiß erarbeitet wurde und ihm nicht zufällig zuteil wurde. Auch ist sein musikalischer Erfolg nicht an familiäre Traditionen gekoppelt (wie beispielsweise bei Stefanie Hertel), vielmehr entsteht er allein aus eigenem Antrieb. 1948 debütiert Brendel mit seinem ersten öffentlichen Konzert in Graz. Seine internationale Karriere beginnt ein Jahr später, nachdem er als Preisträger des Busoni-Klavierwettbewerbs Aufmerksamkeit erregt hatte. Nach seiner ersten Schallplattenveröffentlichung 1952 nimmt er 1960 für Vox nahezu alle Klavierwerke Beethovens auf, was als besondere Pionierleistung Anerkennung findet und seinen internationalen Aufstieg wesentlich mitbestimmt. So führt er ab diesem Zeitpunkt regelmäßig weltweite Konzerttourneen durch. 1970 unterzeichnet er einen Exklusiv-Vertrag bei Phonogram (später Philips Classics), bevor er 1971 seinen Wohnort von Wien nach London verlegt. Neben seinen besonderen Verdiensten um das Klavierwerk Beethovens, das er nicht nur umfassend repräsentiert, sondern auch immer wieder neu eingespielt und in aufwändigen Beethoven-Zyklen aufgeführt hat, zeigt er ebenso Interesse an der Erweiterung des bestehenden Konzertrepertoires durch die Aufführung weniger bekannter bzw. nicht etablierter Werke. Diesbezüglich finden insbesondere die Klaviersonaten von Franz Schubert und das Klavierkonzert von Arnold Schönberg regelmäßige Erwähnung. Im Unterschied zu den anderen beiden Interpreten, die Gegenstand dieser Untersuchung sind, lässt sich bei Alfred Brendel keine vollständige
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DER MUSIKSTAR
Diskographie auflisten, da sich die Anzahl der veröffentlichten Tonträger im dreistelligen Bereich bewegt. Neben der Fokussierung auf Beethoven und Schubert spielt dabei das Gesamtspektrum der Wiener Klassik eine gewichtige Rolle (vor allem Mozart und Haydn). Die hohe Anzahl der verfügbaren Tonträger ist nicht nur durch die Breite seines Repertoires und die Vorliebe für Mehrfacheinspielungen bedingt, sondern auch durch mehrere Sonder-Editionen (z.B. Live-Aufnahmen von Schubert-Sonaten zum 70. Geburtstag oder die Beteiligung an der Philips-Serie »Große Pianisten des 20. Jahrhunderts«). Von Alfred Brendel sind überdies mehrere Buchpublikationen erschienen, in denen er sich sowohl mit der Musik selbst auseinandersetzt (z.B. »Nachdenken über Musik« oder »Musik beim Wort genommen«) aber auch Einblicke in seine persönliche berufliche Laufbahn gewährt (z.B. in den Interviews mit Michael Meyer im Band »Ausgerechnet ich«). In den letzten Jahren ist Brendel auch als Lyriker in der Öffentlichkeit präsent. Neben den publizierten Gedichtsammlungen (z.B. »Ein Finger zuviel« oder »Spiegelbild und schwarzer Spuk«) führt er auch regelmäßig Lesungen durch, bei denen er seine Gedichte selbst vorträgt und dabei teilweise von einem Pianisten begleitet wird. Alfred Brendel ist nicht zuletzt aufgrund seiner zahlreichen Preise und Auszeichungen bekannt. Neben Musikpreisen (z.B. Preis der Deutschen Schallplattenkritik 1997 für die Gesamtausgabe seine Aufnahmen bei Philips »Die Kunst von Alfred Brendel« oder Ernst-vonSiemens-Preis 2004) erhielt er 1989 den Ritterschlag (»Honorary Knight Commander of the British Empire«) und mehrere Ehrendoktorwürden (Oxford, Exeter und Yale).
6.1.2 Printmaterial Für die Analyse des Printmaterials gingen insgesamt 161 Artikel der ausgewählten Zeitungen im Zeitraum 1995 bis 2003 in die Auswertung ein. Die folgende Übersicht zeigt die Verteilung der verschiedenen ArtikelTypen auf die einzelnen Medien:
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Süddeutsche Zeitung Frankf. Allgemeine Zeitung Die Welt Der Tagesspiegel BILD BUNTE insgesamt
Hauptartikel Teilartikel 28 19
Bezugsartikel 0
insgesamt 47
22
1
4
27
8 19 0 0 77
14 10 5 31 80
0 0 0 0 4
22 29 5 31 161
Tabelle 2: Verteilung der Artikelkategorien über die ausgewählten Printmedien. Bei Betrachtung der Übersicht fällt zunächst auf, dass sich die Berichterstattung über Alfred Brendel stark auf die Medien »Süddeutsche Zeitung«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und »Der Tagesspiegel« konzentriert, wohingegen der Interpret in der Boulevardpresse mit keinem einzigen ausführlichen Artikel vertreten ist. Dies liegt in den genrespezifischen Anlässen für Hauptartikel begründet, die im Bereich klassischer Musik vorwiegend produktionsbezogen sind, d.h. es sich bei diesen Berichten um Konzertkritiken, CD-Rezensionen und die Besprechung von aktuellen Buchpublikationen handelt. Da diese Bericht-Typen für die Medien BILD und BUNTE als Informationsformate kaum von Bedeutung sind, stellt konsequenterweise auch Brendel selbst hier kaum einen Nachrichtenwert als Person dar. Auffallend sind lediglich die 31 Teilartikel in BUNTE, die jedoch allesamt der Serie »Kaisers Klassik« entstammen, in der Joachim Kaiser bis zum Jahr 2000 bekannte klassische Werke und Beispiele für deren Interpretation erläutert. Brendel wird hier somit aufgrund einer spezifischen, zeitlich begrenzten Rubrik in den Kontext »Boulevardpresse« integriert, die eher nicht repräsentativ für den ansonsten dominierenden Fokus í sensationsorientierte Informationen über Persönlichkeiten í ist. Die folgende Übersicht veranschaulicht die Berichterstattung im zeitlichen Verlauf:
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20 18 16 14
FAZ TSP Welt SZ BILD BUNTE
12 10 8 6 4 2 0 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Abbildung 2: Artikelanzahl in den einzelnen Medien im zeitlichen Verlauf Im Unterschied zu den anderen beiden Interpreten ist die Berichterstattung über Brendel sehr kontinuierlich. Schwanken die pro Jahr erscheinenden Artikel beispielsweise bei Williams bezüglich einzelner Medien zwischen 0 und > 50, so gibt es hier kaum nennenswerte Ausschläge, sondern nur »saisonale« Abweichungen von wenigen Artikeln. Auffällig ist lediglich das Jahr 2001, in dem der 70. Geburtstag des Interpreten bei SZ, FAZ und Welt eine zeitgleiche Zunahme der Artikel bewirkt. Diese Kontinuität in der Berichterstattung verweist erneut auf die sachund produktionsorientierte Ausrichtung. So sind die regelmäßig stattfindenden Konzerte, veröffentlichten Tonträger oder verliehenen Preise die zentralen Motivationen, über den Interpreten zu schreiben, wohingegen biographisch-persönliche Themen nicht aufgegriffen werden. Auch der 70. Geburtstag ist hier weniger ein »privater« Berichterstattungsanlass, da in den diesbezüglichen Artikeln zwar auch die Gelegenheit genutzt wird, biographische Informationen zu vermitteln, aber vor allem die berufliche Laufbahn im Zentrum steht, die die Medien aus diesem Anlass in den Berichten Revue passieren lassen.
6.1.2.1 Themenanalyse Die Themenanalyse der Presseberichterstattung über Alfred Brendel führte zu insgesamt 1337 verwertbaren Codes, von denen 1061 als inhaltlich rele-
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
vant in Bezug auf das Image des Interpreten bewertet wurden. Sehr auffallend ist bei der Themenverteilung die Tatsache, dass bereits 1181 Codes den ersten zehn Kategorien zugeordnet wurden. Insbesondere die ersten drei Kategorien sind auffällig stark besetzt, wobei allein die wichtigste Themenkategorie knapp ein Drittel der Codes enthält. Gesamtzahl Codes 1.) Interpretation 2.) Professioneller Stil 3.) Beschreibung Musik 4.) Gesamtbewertung Ereignis 5.) Zusammenarbeit mit anderen Musikern 6.) Publikationen 7.) Komponisten 8.) Typ Mensch 9.) Repertoire 10.) Bedeutung Interpret 11.) Bezug zu anderen Musikern 11.) Reaktionen des Publikums 13.) Aktivitäten (sonstige) 14.) Erfolg 15.) Herkunft/Entwicklung 16.) Berufliche Laufbahn 16.) Mimik und Gestik 16.) Beitrag zum Musikleben 19.) Bezug zum Publikum 20.) Auszeichnungen Insgesamt
Anzahl ImageCodes in %1
437 218 110 90 67
Anzahl relevanter Codes 226 270 0 72 32
61,1% 111,3%* 0% 75,8% * 71,5% *
65 56 55 42 41 35 35 29 18 16 14 14 14 11 10 1377
29 89 86 23 65 21 22 35 27 6 10 14 14 10 10 1061
42,1% * 74,2% * 108,5% * 41,5% * 158,5% * 60,0% 62,9% 120,7% * 150% * 37,5% 71,4% 100% * 100% * 90,9% * 100% * 77,1%
Tabelle 3: Themenkategorien Alfred Brendel Auch hier sollen die zehn am häufigsten vertretenen Kategorien genauer erläutert werden. Den größten Raum wird hierbei die exorbitant dominante Kategorie »Interpretation« einnehmen, die insbesondere in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung die zentrale Dimension der Berichterstattung darstellt. Im Unterschied zur Kategorie »Stil«, in der es um die Arbeitsweise eines Musikers im allgemeinen geht, thematisiert »Interpretation« den konkreten Umgang des Interpreten mit einer Komposition. Neben der Beschreibung spezifischer Gestaltungsformen und zugehöriger Intentionen wird Interpretation bei Brendel vor allem als Ausführung übergeordneter Gedanken und Ideen beschrieben, d.h. ein Bezug zum umfassenden Stil 1
Die Sternchen markieren diejenigen Kategorien, die überdurchschnittlich viele ImageCodes enthalten. Anteile über 100% erklären sich dadurch, dass im Rahmen der Werteanalysen Mehrfachkodierungen vorgenommen wurden (vgl. Kap. 5).
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hergestellt. (»Schon 1969 hat Alfred Brendel [...] geistvoll Kluges über diese Sonate gesagt. Aber er hat es eben nicht nur gesagt, sondern auch plastisch beeindruckend gespielt«2). Entsprechend erscheint der resultierende Klangeindruck als kontrolliert und gezielt und Brendel als jemand, der erklingen lässt, was er gedanklich vorstrukturiert hat (»Jeder Ton klingt so laut und so leise, wie er soll, wie er darf, wie er kann«3). In diesem Zusammenhang werden auch Vorstellungen bezüglich musikalischer Ansichten und Strategien Brendels formuliert, die als Begründungen für bestimmte Ausdeutungen des Werks herangezogen werden. Umgekehrt erscheinen Klangeindrücke somit als Nachweise bzw. Realisationen vorhandener Konstruktionspläne (»Keine noch so kleine Verzierung, der er nicht mit Ernsthaftigkeit nachspürte, kein Lauf, der nicht durch die Prägnanz seiner Anschlagstechnik zur schlüssigen Argumentationskette würde«4). Diese Darstellungsform einer logisch durchdachten Stringenz zeigt sich auch daran, dass detaillierte Beschreibungen der Ausführung einzelner Passagen einer Komposition häufig mit Kausalkonjunktionen eingeleitet werden (z.B. »deshalb überspielt Brendel auch die entscheidende letzte Wiederholung des Anfangsthemas«5). Handlungsleitend ist in Bezug auf die jeweils gewählte Form der Interpretation neben musikstrukturellen Aspekten zunächst der Bezug zum Komponisten des Werkes. Eine spezifische Interpretation wird daher häufig als Verhältnis zwischen Komponist und Interpret beschrieben (»Mozart riß den Vorhang auf. Brendel zieht ihn wieder zu, tönt aber hinterm geschlossenen Vorhang immer noch gedämpft, aber elegant wahrnehmbar hervor«6). Dieses Verhältnis drückt sich auf vielfältige Weise aus. So befolgt Brendel einerseits Vorschriften des Komponisten, macht dessen Gedanken hörbar oder gibt einen Einblick in dessen Persönlichkeit als Ganzes (»Brendel und das SWR-Orchester stellten klar, dass der Komponist auch in diesem »Spät«-Werk keine Porzellanpuppe von apollinischer Weltferne war«7). Andererseits wird Interpretation als Dialog von Pianist und Komponist verstanden, bei dem Brendel auch neue Facetten des Komponisten beleuchtet und so dessen Image beeinflusst (»Wo Brendel früher vehement gegen dümmliche Klischees vom verzopften ›Papa Haydn‹ anspielte [...]«8). Den größten Raum bei der Darstellung des Themenfelds »Interpretation« nimmt bei der Berichterstattung die Beziehung zwischen musikalischer 2 3 4 5 6 7 8
BUNTE, 26.10.2000. SZ, 3.06.2002. TSP, 11.09.1995. SZ, 14.06.1997. FAZ, 28.06.2002. FAZ, 8.11.2000. SZ, 16.03.1999.
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Struktur und Interpret ein. Wie bereits zu Beginn angedeutet, wird bezüglich Brendel in allen untersuchten Medien der Aspekt der Werktreue betont (»Er entfaltet nur, was strukturell angelegt ist«9). Als narratives Muster ergibt sich in den Zeitungsartikeln entsprechend ein Abwechseln von deskriptiver Protokollierung spezifischer Aktivitäten í was macht Brendel mit dem Notentext? í und der Beschreibung resultierender Klangeindrücke. Diese Aktivitäten beziehen sich schwerpunktmäßig auf die Dimensionen Artikulation, Dynamik, Agogik und Art des Pedaleinsatzes. So erreicht Brendel, dass sich »Melodiebruchstücke aus dem Bass herausschälen« oder »Motive ins Nichts stürzen«. Der Pianist bringt durch gezielte Variation eben dieser Parameter Tonarten zum Irrisieren, lässt Motive transzendieren oder legt sanfte Schleier über einen Satz. Auf höherer Sinnebene bewirken diese Techniken logisch gestaltete Verläufe (»Brendel bedankte sich dafür mit fein ziselierten, im Presto leicht pauschalierenden Linien«10) und Spannungsbögen (»Das Fiebernde, Ungeschützte, Fragende, Drängende dieser Musik hielt er wie mit einem unsichtbaren inneren Band zusammen«11). In Bezug auf die Gestaltung übergeordneter Zusammenhänge werden Brendel verschiedene Rollen zugeschrieben, die seine Beziehung zum Werk versinnbildlichen. Neben der Rolle des Erzählers oder Dozenten ist Brendel auch Schatzgräber oder Detektiv auf Entdeckungsreise im Dickicht einer Fuge, Schmied bei der Perfektionierung eines Motivs, Museumswärter, der ein Werk abstaubt oder ein Spaziergänger, der ein Werk durchschreitet. Beliebt sind aber auch Metaphern aus dem Theater, die Brendel wahlweise als Schauspieler oder Regisseur zeichnen. In diesem Zusammenhang werden Töne und Tonkonstellationen zu Akteuren, die sinnvoll charakterisiert und geführt werden (»Im massiven Moll-Teil des Andantes etwa, wo jeder kleine Vorhalt, jedes Echo die aufbegehrenden, den hoffnungsfrohen Beginn zerschlagenden Oktaven tiefer in die Resignation zurückstößt«12). Neben der Personalisierung von Strukturmomenten einer Komposition dient in der Kategorie »Interpretation» auch Visualisierung als Darstellungsform. So erzeugt Brendel durch die Aufführung eines Werks umfassende emotionale Bilder, in denen die Interaktion zwischen Pianist und Musik teilweise sogar lebensbedrohlichen Charakter erhalten kann (»Harte Rinden weicht Brendel auf, er durchdringt Schichten aus Eis und Schnee und bohrt sich vor in die lebenswichtigen Herzkammern«13). Als übergeordnete Technik Brendels lässt sich aus den Codes der Kategorie »Interpretation« das Prinzip der Balance extrahieren. Wie im vorherigen Absatz deutlich wurde, stellt Brendel nach Ansicht der Presse sinnvolle 9 10 11 12 13
FAZ, 10.02.1995. FAZ, 26.09.2001. Welt, 24.05.2003. TSP, 29.09.1998. SZ, 3.06.2002.
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Zusammenhänge zwischen einzelnen Abschnitten einer Komposition her, indem er sie in ähnlicher Weise oder kontrastiv behandelt. Gegenübergestellt werden hier z.B. flüssiges Fortspinnen vs. Konfliktbearbeitung, kühle Perfektion vs. beseelte Freiheit oder Direktheit vs. persönliche Zurücknahme. »Interpretation« wird in der Presse somit als diskursives Kräftespiel vermittelt, das durch den Pianisten gesteuert und ausgelotet wird. Das Werk wird diesbezüglich als eine Herausforderung verstanden, die Brendel entweder besteht oder nicht. Dies zeigt sich auch an Formulierungen wie »ein Stück souverän meistern« oder »einen Fugen-Final-Satz triumphal bestehen«. Auch hier zeigen sich bisweilen Tendenzen, emotionale Bilder zu erzeugen und ins Extrem zu treiben: »Wie Brendel das fatalistisch seinem Ende zutreibende Finale zusammenhielt, die Coda frenetisch hochtrieb, um das Ganze in den Abgrund [...] stürzen zu lassen, hatte die Gewalt des Unbedingten«.14 Brendel geht aber nicht immer als Sieger aus solchen »InterpretationsKämpfen« hervor: »Das Endspiel eines, der schon längst aufgegeben hat und der sich den großen Linien, die etwa der langsame Mozart-Satz bitter notwendig gehabt hätte, verweigert«.15 In diesem Sinne besteht ein wichtiger Bestandteil der Berichterstattung über ein Konzert in der akribischen Fehlersuche und argumentativen Bewertung der Interpretation. Zur Fehlersuche gehört zunächst die genaue Identifikation falscher Töne und ungenau-«geschummelter« Passagen. Dies betrifft aber auch den Gesamteindruck, der sich durch intellektuelle Vielfalt, Beweglichkeit und Hingabe auszeichnen sollte; entsprechend wird die Interpretation hinsichtlich ihres Grades an Intensität und konsistenter Logik beurteilt. Hier wird also ersichtlich, dass offenbar eine konkrete Vorstellung der optimalen Interpretation existiert (»Er fing die riesige Adagio-Einleitung, ein Geniestück geformter Vorläufigkeit, viel zu elegisch, zu spätstilhaft an«16). So lassen sich viele Codes dieser Kategorie als Entsprechung von Klangvorstellungen í d.h. die Komposition wurde richtig »gelöst« í oder zu starke Abweichung í d.h. das Werk wurde zerstört, der Komponist missverstanden o.ä. í lesen. Das Balance-Prinzip findet sich somit auch auf dieser Ebene: Als Verhältnis von Respekt vor dem Werk und Individualisierung bzw. als Verhältnis von erwarteter und tatsächlicher Interpretation. Als Anhaltspunkte für den jeweiligen Toleranzspielraum der Interpretation werden Vergleiche mit anderen Aufführungen oder die Werkstruktur herangezogen, die zu einem Urteil über die Schlüssigkeit der konkreten Darbietung führen: »War schon im Mozart-Finale die leichte Verzögerung der beiden Schlussakkorde nicht 14 FAZ, 17.02.2000. 15 TSP, 11.10.2001. 16 SZ, 23.01.2003.
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unbedingt einleuchtend, so schien das wenn auch geringe Ritardando im Scherzo-Schluss keineswegs plausibel«.17 Dabei werden nicht nur »Need Gaps« aktueller Ausführungen aufgezeigt, sondern auch Optimierungsempfehlungen gegeben: »In solchen Momenten braucht Brendel nichts an Leidenschaft zuzugeben. Müsste es aber im Scherzo, dem Formlosigkeit droht, müsste auch Mozarts B-Dur-Sonate KV 333 aus dem Windschatten allzu routiniert gedrechselter Läufe erlösen«.18 Schließlich spiegelt die Kategorie »Interpretation« den Aspekt der Wirkung auf Mikro- und Makro-Ebene. So entstehen im Mikro-Bereich »anrührende Diminuendi«,19 »geisterhaft fahle Momente«20 oder »ein Pizzikato, das schmerzt wie ein Confutatis maledictis«.21 In Bezug auf das Publikum lassen einzelne Konzertmomente den Atem stocken, die Zeitwahrnehmung verändern und bringen zum Staunen oder Schmunzeln. Auf übergeordneter Ebene werden Aspekte der Entgrenzung und Transformation genannt. So können spezifische Ausdeutungen des Werks in eine andere Welt führen und Traumbereiche erschließen (Transzendenz). Im Werk angelegte Emotionen werden somit durch Interpretation erleb- und fühlbar. Trotz dieses letztgenannten Aspekts erscheint Emotionalität im Rahmen von Interpretation insgesamt als integrative Komponente und gerade nicht als Ausbruch aus Strukturen. So entstehen Emotionen in der Darstellung der Presse innerhalb der Werkinterpretation als Freilegung inhärenter Werkbedeutungen, sie werden also im Wesentlichen durch das jeweils spezifische Verhältnis von Fingern und Tasten bestimmt. Emotionalität und Individualität finden daher in klar abgestecktem Aktionsradius und auf (werk)materieller Basis statt und sind nicht losgelöster Ursprung musikalischer Kreativität; dies unterscheidet sich wesentlich von der diskursiven Konstruktion von »Emotionalität« beispielsweise im Pop. Zeigt sich bereits auf der konkreten Interpretationsebene ein differenziertes Bezugssystem, indem Brendel bei der Aufführung immer in Relation zu Werk, Gattung, Komponist, früheren Werkaufführungen u.a. gesetzt wird, so dominiert dieses auch in der Kategorie »professioneller Stil«. Die wesentlichen Bestandteile dieses holistischen Stilverständnisses wurden bereits auf den vorangehenden Seiten genauer exploriert und werden hier daher verkürzt dargestellt. So wird beispielsweise sein Umgang mit Musik in der Kategorie »professioneller Stil« auf eine höhere Ebene projiziert und entsprechend in Form allgemeiner Prinzipien formuliert (»Brendel hat es auf die schöne Formel Albert Einsteins gebracht: ›Alles soll so einfach wie
17 18 19 20 21
FAZ, 17.02.2000. SZ, 15.02.2000. FAZ, 10.02.1995. FAZ, 23.11.1995. FAZ, 11.10.2001.
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möglich gemacht werden, aber nicht einfacher‹«22 oder »›Ich will, dass die Stücke mir erzählen, was ich tun soll‹. Und Brendel hört ständig zu«23). In der Berichterstattung geht es dabei auch um die Suche nach Begründungen für spezifische Ansichten, die sich nicht nur in der Ausführung von Notentexten, sondern auch in der Bewertung von Musik und in der Repertoireauswahl niederschlagen (»Brendel liebt ›komponierte‹ Programme, denkt auch gründlich über etwaige Zugaben nach í Stücke, die entspannen, einen Abend aber nicht gefällig verflachen lassen«24). Insgesamt wird sein Vorgehen dabei als durchdacht und auf grundlegenden persönlichen und professionellen Einstellungen (z.B. Ablehnung romantisierender oder modernistischer Interpretationskultur, Repertoirebeschränkung) basierend gezeichnet. Insbesondere wird sein professioneller Stil mit allgemeinen Anspruchskriterien (Perfektion, Authentizität, Genauigkeit) sowie seinem persönlichen Verständnis für Musik begründet, das sich durch Entdeckung von Zukunftsfähigem im Vergangenen und ein tiefgehendes Begreifen musikalischer Strukturen auszeichnet (»Für ihn zählt tatsächlich jeder Ton, von dem er wissen möchte, warum dieser und kein anderer an jener Stelle der Partitur zu finden ist«25). In der Darstellung von Brendels Arbeitsstil werden spezifische Umgangsformen mit Musik auch aus seiner Persönlichkeit abgeleitet. Dies bezieht sich beispielsweise auf allgemeine Aspekte wie sein analytischreflexives Denken, das sich in der Interpretation widerspiegelt (»Alfred Brendel wählt seine Worte mit Bedacht í wie seine Töne«26). Auch Humor und Ironie werden als persönlichkeitsbezogene Treiber für sein Verständnis von Musik herangezogen, indem er in den Werken humorvolle Momente aufspürt und sie während der Aufführung als solche herausstellt. Die Charakterisierung von Brendels Stil umfasst auch den Bezug zu anderen Personen, wenn auch nicht sehr stark ausgeprägt. Repräsentiert in populären Musikarten häufig das Verhältnis zum Publikum einen wesentlichen Anteil bei der Beschreibung des professionellen Stils, so wird dieses hier kaum thematisiert. Als wesentlich bedeutsamer wird hingegen der Bezug zu den Komponisten der aufgeführten Werke dargestellt, indem beschrieben wird, wie er diese versteht, wie er auf sie in spezifischer Weise reagiert und ihre gedanklichen und emotionalen Welten zum Ausdruck bringt (»Tiefgründig, mit zarter, immer neue Nuancen findender Ausdruckskraft, versteht der große Musiker, Interpret und Pianist Alfred Brendel Beethovens geistige Welt«27). 22 23 24 25 26 27
FAZ, 30.01.2001. Welt, 5.01.2001. FAZ, 23.11.1995. FAZ, 5.01.2001. TSP, 5.01.2001. BUNTE, 16.02.1995.
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Neben diesen zwei zentralen Themenkategorien »Interpretation« und »professioneller Stil» nimmt auch die Kategorie »Beschreibung Musik« einen großen Raum ein. Diese Kategorie enthält jedoch keinerlei Image-Codes, die für die Werteanalyse weiterverwendet werden können. Dies liegt daran, dass es hier um ein bereits bestehendes Repertoire geht, das nicht exklusiv an den Alfred Brendel gebunden ist. Daher dominiert in der Darstellung vor allem die umfassende Verortung der aufgeführten Werke in dem jeweiligen kompositions- und aufführungstechnischen Gesamtzusammenhang. Dies geschieht zum einen anhand struktureller Beschreibungen, wie z.B. der Entwicklung einzelner Motive und Themen, Bewegungsverläufe oder übergeordneten Stimmungs- und Ausdrucksmuster. Dabei werden die detailliert dargelegten Charakteristika als Argumente für den Wert und die Bekanntheit einer Komposition í quasi als Aufführungslegitimation í verwendet. Zum anderen wird der Entstehungskontext der Werke beleuchtet. So repräsentiert das Werk eine bestimmte Phase eines Komponisten und nimmt einen bedeutsamen Platz in seinem Gesamtwerk ein. Gleichzeitig besitzt das Werk auch eine Aufführungsgeschichte, die teilweise ausführlich dargelegt wird. Dieser werkspezifische Bedeutungsrahmen dient in der musikalischen Kritik als Grundlage für die Beurteilung der jeweiligen Aufführung, was zunächst die Gestaltung des Konzertprogramms betrifft. So können spezifische Abfolgen von Kompositionen hinsichtlich ihrer Logik, Besonderheit oder emotionalen Wirkung beurteilt und begründet werden (»Da wird dann auch klar, warum auf soviel hochprozentige Emotion am Schluss eine Haydn-Sonate, ein Prototyp geistreich behandelten Formalismus, folgen musste: Kein verantwortungsbewusster Pianist hätte seine Zuhörer nach diesem Schumann einfach so in den Großstadtverkehr entlassen«28). Die Wissensbestände bezüglich einer Komposition stellen aber auch einen Bezug zum Interpreten her. So können beispielsweise kompositionsinhärente Vortragsangaben als Richtlinie dienen, an der sich die Beurteilung der Aufführung orientiert: Werden Mozarts Dynamikangaben von Brendel befolgt oder weicht er von ihnen ab und warum? In diesem Zusammenhang wird dann häufig das spezifische Werkverständnis des Interpreten angeführt (z.B. »Brendel: ‚Bei Mozart ist es ja ganz offensichtlich, dass da in den späteren Werken manchmal etwas fehlt«29). Insbesondere zeigt sich in der Kategorie »Beschreibung Musik«, dass Musik für den Interpreten vor allem eine Herausforderung darstellt, die erfolgreich bewältigt werden muss. Da gibt es neben technischen Finessen beispielsweise vielfältige Bewegungsmuster, die unter einen Hut gebracht werden müssen, ein emotionales Spektrum, das abgebildet werden soll oder 28 TSP, 23.09.1997. 29 FAZ, 5.01.2001.
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eine formale Strenge, von der sich der Pianist nicht abschrecken lassen darf. Diese durch die Werkstruktur bedingten Anforderungen müssen schließlich mit den Fähigkeiten des Pianisten kompatibel sein bzw. zeigt sich bei erfolgreicher Aufführung der Passungscharakter zwischen Werk und Interpret (»Beethovens Waldstein-Sonate. Als hätte er sie für Alfred Brendels Meisterhände komponiert«30). Die Kategorie »Gesamtbewertung« beinhaltet umfassende Bewertungen sowohl des Interpreten als auch konkreter Konzerte bzw. Tonträgerproduktionen. Zumeist lassen sich die zugehörigen Textstellen als Bilanzierungen lesen. So wird hier beispielsweise abschließend beurteilt, ob die Herausforderung des Konzertprogramms bestanden wurde (»Brendel zeigte im Soloabend, dass er einen Kraftakt wie Beethovens Diabelli-Variationen, die eine einstündige pausenlose Konzentration fordern, verantwortlich bewältigen kann«31). Auch findet ein Abgleich mit den meist zu Beginn einer Kritik geäußerten Erwartungen hinsichtlich einer Einspielung oder eines Konzerts statt. Die überwiegende Anzahl dieser Bilanzierungen fällt dabei sehr positiv aus. So wird z.B. eine Einspielung von Schönbergs Klavierkonzert als »mustergültig digitalisiert« bewertet oder Konzerte als Krönung von Brendels Karriere eingestuft (»So eindringlich, so meisterhaft gegliedert und gestaltet, wie er es nun [...] darbot, glaubt man die 33 Veränderungen doch noch nie von ihm erlebt zu haben«32). Eine zusammenfassende Bewertung eines Ereignisses oder Produkts stellt aber gleichzeitig auch eine Verbindung zu Brendels Status als Interpret insgesamt her (»An diesem Abend ist der Sir Alfred, der Große, in übermenschlich großer Form«). Die Kategorie »Gesamtbewertung« umfasst schließlich auch eine wirkungsbezogene Dimension, in der der übergeordnete Eindruck einer Aufnahme oder eines Konzerts festgehalten wird (»Es gibt Konzerte, da möchte man heulen vor Ergriffenheit«33). Die »Zusammenarbeit mit anderen Musikern« ist ein weiteres Themenfeld, das in den Zeitungen häufig aufgegriffen wird. Zentral ist bei der Darstellung das konkrete Verhältnis während der musikalischen Aufführung bzw. Tonträgereinspielung. Beschrieben werden hier Wechselspiele von Führen und Folgen, Anpassung und Individualität oder Miteinander und Gegeneinander, die die variablen Ensemblehierarchien und -strukturen als Kommunikationsmuster veranschaulichen. »Ein partnerschaftliches Dialogisieren, neugieriges Aufeinanderhören, ohne jemalruppig zu werden«34 oder »Die vom Cello hingebungsvoll nachempfundene Ausgelas-
30 31 32 33 34
BUNTE, 9.05.1996. FAZ, 21.09.2001. SZ, 23.05.2001. TSP, 11.09.1995. TSP, 16.11.1996.
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES senheit des Papageno-Themas über »Ein Mädchen oder Weibchen« fing das Klavier durch Beherrschung auf, würzte das zuweilen rustikale Auftreten des Streichinstruments durch überlegenes Raffinement«.35
Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit mit anderen Musikern in Form einer »Kooperationsstatistik« dokumentiert und bewertet. So erfährt man Details über vorherige gemeinsame Aufführungen (was wurde bereits wann gemeinsam aufgeführt) sowie über Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüglich musikbezogener Ansichten oder Karrierephasen (»Der renommierte Pianist und Beethoven-Interpret, der alles erreicht hat, und der ShootingStar am Firmament der Lieder-Baritone, obendrein noch Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf«36). Die Kategorie »Publikationen« enthält überwiegend inhaltliche Beschreibungen von Brendels Schriften, insbesondere längere Zitate oder komplette Abdrucke seiner Gedichte. Themen in Brendels Texten sind demnach analytische, aber auch persönlich-skurrile Gedanken über Musik (-leben), Kunst, Komponisten und den Beruf des Pianisten. Neben allgemeinen Beschreibungen seines Schreibstils werden Vergleiche mit vorherigen Publikationen vorgenommen und die Wirkung seiner Texte thematisiert (z.B. »Seine klugen Musikbetrachtungen fesseln, seine dadaistischen Gedichte amüsieren«37). In der Themenkategorie »Komponisten« wird keinerlei Direktbezug auf Brendel genommen. Vielmehr dienen Informationen über Komponisten als Hintergrundwissen zu Werken, um eine Verhältnisgröße zur Beurteilung von Komposition und Interpretation bereitzustellen. Die Kategorie »Typ Mensch» beinhaltet wie die Kategorie »Bedeutung Interpret« die Darstellung der zentralen Komponenten in Brendels Image und wird daher im Rahmen der Werteanalyse näher beleuchtet. Die Kategorie »Repertoire» erhält als Themenkategorie Gewicht, da sie sich nicht auf die Auflistung von Konzertprogrammen als additive Nennung der gespielten Werke beschränkt. Denn indem hier í im Unterschied zu anderen Genres í die Eigenkomposition entfällt, rücken die Prinzipien der Werkauswahl in den Mittelpunkt.38 Brendel werden diesbezüglich vor allem Qualitätsorientierung und Fokussierung als handlungsleitende Kriterien bei der Auswahl zugeschrieben. Die bereits erwähnte Meisterschaft durch Beschränkung í bei Brendel verstanden als Konzentration auf das deutsch-österreichische Repertoire bürgerlicher Musik í wird dabei in den Medien häufig durch Zitate des Interpreten angereichert (z.B. »Gerade weil die Klavierliteratur so ungeheuer groß ist, sollte jeder Pianist möglichst 35 36 37 38
FAZ, 21.10.2003. SZ, 27.08.1999. SZ, 5.1.2001. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.3.
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früh seine Wahl treffen und sich fragen: Welches sind die Werke, mit denen ich mein Leben verbringen kann? Darauf kommt es bei uns an«39). Neben diesen zehn Hauptkategorien gibt es weitere Themenbereiche, die etwas weniger relevant sind, dafür aber überdurchschnittlich viele Image-Codes enthalten. Die Kategorie »Aktivitäten« dokumentiert die Bandbreite des Brendelschen Interessenspektrums und konzentriert sich auf seine kulturellen Freizeitaktivitäten, die sich von der Beschäftigung mit Malerei, über Architektur hin zu osteuropäischer Literatur bewegen. »Erfolg» und »Auszeichnungen» thematisieren und beschreiben den Status des Interpreten in Form einer Auflistung der erworbenen Preise und Ehrungen. »Mimik und Gestik« dienen in der Presseberichterstattung der Verknüpfung von dargebotener Musik und dem korrespondierenden visuellen Ausdrucksverhalten Brendels. Dabei werden teilweise auch Schlussfolgerungen auf die Persönlichkeit des Interpreten gezogen (»ein Schmerzensmann mit zerfurchtem Gesicht, der, neben dem Klavier in sich gesunken, die Last nicht nur der Musikwelt auf seinen hängenden Schultern zu tragen scheint«40). In der Kategorie »Beitrag Musikleben« geht es bei Brendel vor allem um seine Leistungen im Bereich der Repertoireerweiterung von Klaviermusik und damit um Verdienste für das Werk verschiedener Komponisten (Liszt, Schubert). Hier finden aber auch Pionierleistungen Erwähnung, wie z.B. die erste Gesamteinspielung der Beethovenschen Klavierwerke. Der »Bezug zum Publikum« bewegt sich in der medialen Darstellung zumeist auf subtiler bis imaginärer Ebene, d.h. dass die Beschreibung der Interpretation in den Artikeln um entsprechende Empfindungen und Empfindungsverläufe auf Seiten des Publikums ergänzt werden (z.B. Zunahme von Konzentration). In direkter Form ereignet sich ein Bezug zum Publikum aus Perspektive der Presse lediglich in Form von Ermahnungen, wenn die Zuhörer während eines Konzertes zu unruhig sind bzw. zuviel husten: »›Darf ich Sie bitten, nicht so laut zu husten?‹, fragte er rhetorisch in den Saal, nachdem er seine Darbietung der Beethoven-Bagatelle op. 33 Nr. 1 kurzerhand unterbrach«.41
39 FAZ, 9.4.1999. 40 FAZ, 9.10.2003. 41 Welt, 24.05.2003.
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6.1.2.2 Werteanalyse Aus der Perspektive der ausgewählten Printmedien repräsentiert Alfred Brendel folgende Werte: Wertekategorie 1.) Intellektualität 2.) Reflektiertheit/ Rationalität 3.) Größe 4.) Analytik
Gesamtzahl Codes 79 77 73 53
Wertekategorie 19.) Bescheidenheit 20.) Disziplin
Gesamtzahl Codes 25 23 23 23
53
20.) Seriosität 20.) Spontaneität/ Leichtigkeit 23.) Faszination
21 21 19 18 17 17 16 14 13
4.) Perfektion/ Professionalität 6.) Humor 7.) Werktreue 8.) Vermittlung/Rhetorik 8.) Eleganz 10.) Sensibilität 11.) Integrität 12.) Vielfältigkeit 13.) Genauigkeit 13.) Enthusiasmus/ Engagement 15.) Souveränität 16.) Anspruch
21
46 42 36 36 35 34 32 30 30
23.) Neugier 23.) Realismus 26.) Fehlbarkeit 27.) Kontrolliertheit 28.) Reife 28.) Tradition 30.) Ehrgeiz 31.) Prinzipientreue 32.) Ironie
28 27
17.) Originalität 17.) Phantasie
26 26
33.) Sterilität 10 34.) Distanz/ 9 Introvertiertheit 35.) Charme 8 Gesamtsumme Image-Codes: 1061
Tabelle 4: Wertekategorien Alfred Brendel Im Folgenden wird diese Werteverteilung im semantischen Raum entlang der Dimensionen »Nähe/Distanz« und »Individualität/Sozialität«42 aufgespannt43:
42 Zur Erläuterung der Bedeutungsdimensionen vgl. Kapitel 5. 43 Gewichtung in der Abbildung: Hauptwerte/Platz 1-5 (Schriftgröße 14, fett, unterstrichen,); Hauptwerte/Platz 6-10 (Schriftgröße 14, fett); bedeutsame Werte/Platz 11-20 (Schriftgröße 12); weniger bedeutsame Werte/Platz 21-30 (Schriftgröße 10); kaum bedeutsame Werte/Platz 31-35 (Schriftgröße 8)
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DER MUSIKSTAR
INDIVIDUALITÄT
Erfolg Selbstbewusstsein Professionalität Autonomie
Attraktivität Emotionalität
Beliebtheit
Fröhlichkeit/Charme Reife NÄHE
DISTANZ
Ehrlichkeit Zugänglichkeit
Fürsorglichkeit
Normalität/Natürlichkeit Heimat Solidarität Tradition
Glaube
Anstand
Bescheidenheit
Pflichtbewusstsein
Gerechtigkeitssinn
SOZIALITÄT
Abbildung 3:Brendels semantischer Raum aus Perspektive der Printmedien Das Wertesystem von Alfred Brendel konzentriert sich aus der Perspektive der Presse vorwiegend in der Nähe des Distanz-Pols; dabei spielen sowohl die Aspekte des Herausragens (z.B. Professionalität und Erfolg) als auch die im unteren Quadranten verorteten integrativen Komponenten eine Rolle. Die dominanteste Wertegruppe befindet sich im rechten unteren Quadranten des Bedeutungssystems (Sozialität/Distanz) und umfasst »Intellektualität«, »Reflektiertheit/Rationalität« und »Analytik« als Hauptwerte, die wiederum von »Anspruch«, »Kontrolliertheit«, »Genauigkeit« und »Sterilität« umgeben sind. Zentral ist im Image Alfred Brendels der Wert »Intellektualität«. Dieser meint bei Brendel zunächst die Fähigkeit, vielfältige Aspekte und Produkte des kulturellen Lebens schnell und genau verstehen und sie differenzieren und vermitteln zu können. In der medialen Darstellung wird diese Fähigkeit zumeist auf Brendels geistige Durchdringung der gespielten Werke bezogen, strahlt aber gleichzeitig darüber hinaus. Auf die Bedeutung von Intellektualität im Kontext der Interpretation wurde bereits im zugehörigen Abschnitt der Themenanalyse ausführlich eingegangen (vgl. Themenkategorie »Interpretation«). Ferner gehören zu Brendels Intellektualität aber auch seine generelle Kritikfähigkeit sowie seine Bildung im umfassenden Sinn (Malerei, Architektur, Literatur, Theater, Film, Bildende Kunst), wobei in
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der Darstellung insbesondere der bürgerliche Werk- und Wertekanon Berücksichtigung erfährt. Bezüglich dieser Auseinandersetzungen mit »fachfremden« Diskursen wird ihm seitens der Presse eine besondere Eloquenz zugeschrieben, mit deren Hilfe er komplexe Dinge in einer strukturierten Sprache darstellen kann. Aber auch im Bereich Musik gehen seine medial aufgegriffenen Aussagen bzw. Texte über das eigene Repertoire hinaus und thematisieren z.B. übergeordnete ästhetische Theorien. Eingebettet werden diese Aspekte í gestützt durch biographische Informationen über die verschiedenen kulturellen Kontexte, in denen Brendel aufgewachsen ist í in den Rahmen von Weltgewandtheit und Internationalität. Brendel wird somit auf allen öffentlich zugänglichen Präsentationsebenen als geistiger Kosmopolit gezeichnet, was auch seine äußere Erscheinung mit einbezieht. Die vor allem in der visuellen Darstellung, aber auch in der Kommentierung ausgeprägte Betonung seiner nachdenklichen Gesichtszüge führen zu Vergleichen, die ihn wahlweise als zu groß gewachsenen Lateinlehrer oder zu ernst geratenen Woody Allen beschreiben. Auch wenn die umfassende Beschreibung von Brendels Intellektualität überwiegend positiv konnotiert ist und seinen Status als Autorität manifestiert, gibt es auch kritische Momente. Dabei geht es zumeist um Emotionalität, die vom Verstand überlagert zu werden droht. Dies betrifft die Beurteilung seiner Interpretationen (z.B. »Brendels Beethoven ist mit den Jahren noch intellektueller, fast knorrig in der Tongebung geworden«44), weniger aber die Person als Ganzes. Vielmehr wird der intellektuelle Stil gleichzeitig wieder legitimiert, wenn er als bewusste Intention des Interpreten verstanden werden kann (z.B. Zitat Brendel: »Der Verstand muss mitentscheiden, ob die Gefühle des Anlasses wert sind oder nicht«45). Dieses Zitat stellt eine Überleitung zur Kategorie »Reflektiertheit« her, die eng mit Intellektualität verknüpft, aber dennoch als eigenständiger Wert zu betrachten ist. Im Unterschied zu Intellektualität bezieht sich »Reflektiertheit« weniger auf den Wissens- und Kompetenzhintergrund des Interpreten als auf den Prozess und die Bedeutung des Nachdenkens an sich. Wie bereits die Darstellung der Themenkategorien »Interpretation« und »professioneller Stil« veranschaulichte, wird Brendel als jemand gezeichnet, der sich der Musik zunächst mit Rationalität annähert, ihr Erklingen keinen Zufällen überlässt, sondern sorgfältig plant, nach welcher Logik die Interpretation abzulaufen hat. Kreative Abweichungen sind demnach erst erlaubt, wenn die werkinhärenten Normen abgesteckt und im wesentlichen berücksichtigt sind. Erst durch Nachdenken kann damit eine musikalische Äußerung zu einem Ereignis werden. Das Prinzip des Tüftelns wird dabei auch auf den übergeordneten Stil Brendels übertragen, z.B. in Bezug auf 44 TSP, 16.02.1997. 45 SZ, 22.10.1998.
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das »Immer-wieder-neu-spielen« seines Kernrepertoires. Indem das jeweils Neue aber nicht durch virtuose Expressivität, sondern gerade durch geistigsubtile Variationen und Bezugnahmen vermittelt wird, kann auch das Publikum í bzw. hier der Kritiker í erst durch Reflexion zu Verständnis gelangen und wird somit in die Gedanken- und Bedeutungswelt des Interpreten im Aufführungsprozess mit einbezogen. Eine starke gedankliche Durchdringung läuft aber kontinuierliche Gefahr, Musik vorhersehbar oder gefühllos werden zu lassen, wie dies bereits bezüglich Intellektualität festgestellt wurde(z.B. »Seine Musik ist, zumindest teilweise, durchaus kalkulierbar. Hängt er ihr doch stets ein Stückchen Gedankenschwere mehr an als die meisten seiner Kollegen«46). Die diskursive Balance von Verstand und Gefühl ist damit eine zentrale Dimension bei der Berichterstattung über Brendel. Schließlich findet »Reflektiertheit« auch als zentrale Persönlichkeitseigenschaft des Interpreten in den Medien Erwähnung. Dies betrifft dessen Haltung, nichts Unüberlegtes zu sagen und sich generell viele Gedanken zu machen, was insgesamt zur Charakterisierung einer eher introvertierten Persönlichkeit führt. Eine Basis für reflektiertes Klavierspiel liefert die Wertekategorie »Analytik«, die eine komplementäre Komponente zu Intellektualität und Reflektiertheit darstellt. Hierbei geht es um die konkreten Verstehensprozesse im musikalischen Kontext. Demnach hat Brendel ein genuines Interesse, zu begreifen, wie ein Stück aufgebaut ist und was an ihm speziell ist bzw. welches Geheimnis es birgt. Der Notentext ist somit materielle Autorität, die es zu respektieren, aber auch zu differenzieren gilt. So wird in vielen Zeitungskritiken Brendels Auseinandersetzung mit dem Notentext (insbesondere hinsichtlich Aufführungsanweisungen) thematisiert. Analytik stellt dabei in der Berichterstattung auch einen Gegenpol zu romantisierender Interpretation dar, so wie Intellektualität mit Emotionalität und Reflektiertheit mit Spontaneität kontrastiert wird. Bei Brendel ist somit nicht die verklärend-diffuse Werkinszenierung, sondern eher die »Röntgenaufnahme des Werks«47 das Ideal, weshalb auch das Label »der Analytiker« in der Presse häufig anzutreffen ist. »Anspruch« zeigt Brendel nicht nur bei der Auswahl seiner Werke (z.B. Ablehnung rein gefälliger Werke), sondern bei seiner Arbeit und Lebensweise insgesamt. Dem Werk wie auch den Komponisten gegenüber wird ihm eine moralische Verantwortung zugeschrieben, der er pflichtbewusst nachkommt: Das Werk soll und wird so gespielt, wie es vom Komponisten intendiert wurde. Gleichzeitig verfolgt Brendel den Anspruch, seine Interpretationen kontinuierlich zu verbessern, indem er in den Werken immer wieder Neues zu entdecken ersucht. Anspruchsvoll ist Brendel in 46 SZ, 3.06.2002. 47 TSP, 18.10.1998.
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der Darstellung der Medien beispielsweise auch bezüglich seiner hohen Anforderungen an einen tadellosen Flügel oder durch seine Einstellung, sich nur über Dinge zu äußern, mit denen er sich auskennt. Damit einher geht ein gewisses Maß an »Kontrolliertheit«. Diese bezieht sich vor allem auf Brendels starke Konzentration während seiner Auftritte, wobei sich Kontrolle hier in zwei Richtungen bewegt. Zum einen geht es um Kontrolle über das Werk durch den Interpreten, der das Stück »seinem gestaltenden Willen unterwirft«48 und es somit idealer Weise im Griff hat. Zum anderen meint Kontrolliertheit im Image Alfred Brendels aber auch Selbstkontrolle. Dazu gehört die stets maßvolle Expressivität, bei der »Pathos auf Sparflamme gehalten wird«49 und Emotionalität sich im Rahmen normativer Werkgrenzen bewegt (z.B. »Wenn Brendel zum Tanz aufspielt, ist jeder Schritt abgezirkelt, nie würde er jemandem auf die Zehen treten«50). Nahe bei »Kontrolliertheit« liegt »Genauigkeit«, die ebenso Brendels konkrete musikalische Arbeit charakterisiert. Insbesondere bezüglich seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Repertoire wird ihm seitens der Presse akribische Gründlichkeit zugeschrieben (»Seine Genauigkeit beteiligt jedes Sechzehntel an der geistreichen Struktur; es gibt nichts Nebensächliches«51). Vereinzelt werden »Genauigkeit« und »Kontrolliertheit« dabei aber auch in die Nähe von »Sterilität« gerückt, im Sinne einer Unbeweglichkeit oder mangelnden Lebendigkeit. Die zweite dominante Wertegruppe liegt im oberen rechten Quadranten der Übersicht und enthält die zentralen Kategorien »Größe« und »Perfektion/Professionalität« sowie die thematisch anschließenden í schwächer vertretenen í Kategorien »Faszination«, »Souveränität« und »Ehrgeiz«. In dieser Wertegruppe befinden sich somit diejenigen Aspekte, die den Interpreten aus der Menge herausstechen lassen bzw. mit Hilfe derer er sich diskursiv von anderen abheben lässt. »Größe« beschreibt den Erfolg und das Ansehen des Interpreten und findet sich als Image-Komponente vor allem in den Labels, mit denen Brendel etikettiert wird, wie z.B. »Meister«, »Kenner« oder »Matador«. Größe umfasst im Unterschied zum Wert »Erfolg« (vgl. z.B. Wertesystem Robbie Williams) nicht nur das Erreichte selbst í also Erfolg als Wert an sich í, sondern den zugehörigen, daraus resultierenden Status als Autorität des jeweiligen Fachs. Erfolg ist somit nur ein Bestandteil von Größe, wenn auch ein wesentlicher. So werden auch bei Brendel zunächst sämtliche Auszeichnungen, seine kontinuierliche Karriere und sein Status als welt-
48 49 50 51
FAZ, 10.02.1995. TSP, 11.10.2001. SZ, 3.06.2002. TSP, 29.09.1998.
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weit führender Pianist in den Medien erwähnt. Zur Größe gehört aber auch der Aspekt der gesellschaftlichen Bedeutung außerhalb der eigenen Disziplin, indem Brendel nicht nur als herausragender Interpret, sondern als vielfältig interessierte intellektuelle Persönlichkeit beschrieben wird. Ein weiteres zentrales Merkmal von Größe ist die Betonung des Seltenheitscharakters, was sich zum einen auf die gegenwärtige Einzigartigkeit des Interpreten bezieht (»das kann nur Brendel«52), zum anderen aber auch projektiv mit dem Gestus des Nie-mehr-Wiederkehrenden verknüpft wird (»der letzte bürgerliche Universalgelehrte am Flügel«53). Die benachbarte Wertekategorie »Faszination« ist eine im allgemeinen sehr wichtige Star-Bedeutung, im Image von Alfred Brendel jedoch nur schwach ausgeprägt. Lediglich punktuell wird die Bewunderung des Publikums thematisiert, z.B. durch die Erwähnung stehender Ovationen nach einem Konzert. Zentral ist hingegen der Wert »Perfektion/Professionalität«, der nahezu ausschließlich auf die konkrete Aufführung und Einspielung von Musik bezogen wird, nicht aber auf übergeordnete Aspekte des professionellen Stils (z.B. Bühnenverhalten, Kleidung) oder die Persönlichkeit Brendels. »Perfektion» ist damit gegeben, sobald die entsprechenden Erwartungen an die Interpretation eines Werkes durch den Pianisten aus Sicht der Medien erfüllt werden. Dies betrifft zunächst technische Versiertheit, aber auch die bereits thematisierte Differenziertheit in der Ausdrucksweise und die Herstellung einer strukturierten Balance zwischen einzelnen Komponenten einer Komposition. Eine so verstandene »Perfektion« spiegelt sich auch in den zugehörigen Adjektiven wider, mit denen die jeweiligen Aufführungen oder Einspielungen bewertet werden, wie z.B. »mustergültig«, »treffsicher«, »untadelig« oder »alabasterreif poliert«. Wie die Themenanalyse zeigte, existiert aber hier auch eine í allerdings eher selten anzutreffende í Gegenkategorie: »Fehlbarkeit« ist dabei nicht nur mit negativ konnotierten falschen Tönen oder unausgewogenen Interpretationen assoziiert. Vielmehr ist dies durchaus auch eine positiv bewertete Persönlichkeitseigenschaft, die Brendel als einen Menschen beschreibt, der zu den eigenen Fehlern steht bzw. diese charmant zu kaschieren weiß. Gerade die Nicht-Vollkommenheit einer Aufführung wird in diesem Zusammenhang zur sympathischen Spontaneität/Leichtigkeit umgedeutet. In der Nähe von »Perfektion« befinden sich die schwächer ausgeprägten Wertekategorien »Souveränität« und »Ehrgeiz«. »Souveränität« meint hier die Ausstrahlung von Überlegenheit, die in der Darstellung der Presse im Wesentlichen durch technische Perfektion belegt wird, dabei aber eine eigenständige, übergeordnete Wirkungskategorie darstellt. Dieser Wert re52 TSP, 29.09.1998. 53 Welt, 17.11.2001.
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präsentiert damit ein aus fachlicher Qualität resultierendes Selbstbewusstsein des Interpreten, bei dem Sicherheit mit Erfahrung kombiniert wird und zu einer deutlichen Überzeugungskraft führt (»Brendel ist als Beethoveninterpret immer noch unwiderlegbar«54). »Ehrgeiz« ist im Image Brendels gleichzeitig Begründung für seinen gegenwärtigen Status und zukunftsorientierte Einstellung, indem er den Ansporn verkörpert, in der Interpretation von Klavierwerken immer besser zu werden, beharrlich seinen Weg zu gehen und das Unmögliche (hier: die perfekte Werkrealisierung) zu versuchen. In der Mitte der Übersicht wurden die nah beieinander liegenden Werte »Humor« und »Ironie« verortet. Während »Ironie» dem Pianisten fast ausschließlich im Kontext seines Umgangs mit Musik zugeschrieben wird (z.B. Ironie als interpretatorische Umdeutung etablierter Werkvorstellungen), zeigt sich der im Image Alfred Brendels recht bedeutsame Wert »Humor« auf verschiedenen Darstellungsebenen. So wird Humor vorwiegend als zentrale Persönlichkeitskomponente Brendels thematisiert. Sie dient aber auch zur Beschreibung seiner literarischen Texte und nicht zuletzt seines pianistischen Stils (»Hier setzte Brendel erstmals an diesem Abend seinen Humor ein, spielte mit spürbar knisternder Konzentration«55). In der Rangfolge der Werte schließt sich an die Kategorie »Humor« der Aspekt »Werktreue« an, in dessen Bedeutungsfeld sich außerdem »Bescheidenheit«, »Disziplin«, »Prinizipientreue«, »Seriosität«, »Realismus« und »Reife« befinden. »Werktreue« vermittelt sich logischerweise ausschließlich über die Themenkategorie »Interpretation« und wurde an entsprechender Stelle bereits näher erläutert. Werktreue ist aber nicht nur als Einstellung zum Werk zu verstehen, sondern auch als resultierende Wirkung in Form einer positiv bewerteten Unsichtbarkeit des Interpreten (»Denn meist verschmelzen beide [Interpret und Werk, S.B.] so unauflösbar, dass man statt ›ich war bei Brendel‹ lieber sagen würde, ›gestern hat Mozart gespielt‹«56). Der Respekt vor der Partitur, mit dem Brendel vorrangig das entfaltet, was strukturell angelegt ist, ist auch ein zentraler Aspekt seiner »Prinzipientreue». Dieser Wert bezieht sich insbesondere auf ästhetische Normen, die einerseits der Werkrealisierung zugrunde liegen, aber auch immer wieder neu hinterfragt werden. So hat Brendel nach Ansicht der Presse eine spezifische Auffassung bezüglich verschiedener Kompositionen, Komponisten, Stile etc., nach denen er seine Handlungen entsprechend ausrichtet und gegenüber anderen Meinungen verteidigt (»Wenn jemand im c-Moll54 TSP, 21.11.1995. 55 Welt, 23.05.2001. 56 SZ, 8.06.2002.
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Konzert KV 491 im langsamen Satz etwas dazumacht, dann weise ich ihm persönlich die Tür«57). Dieser kontinuierliche Prozess künstlerischer Selbstvergewisserung strahlt auf die Darstellung seiner Gesamtpersönlichkeit aus, indem die Ablehnung des Exzentrischen als grundlegendes Charakterisierungsmerkmal dient. Auch »Disziplin« ist eine Kategorie, die nicht nur auf Musik, sondern auf die Person als Ganzes bezogen wird, z.B. als Begründung für die Kontinuität in seiner beruflichen Laufbahn. Auch die wiederholte, intensive Beschäftigung mit einzelnen Kompositionen, die dadurch gleichsam zu Lebensaufgaben werden, impliziert Disziplin. Dieser Wert bezieht sich aber überdies auf die konkrete Konzertsituation, zum einen als von Brendel gefordertes Publikumsverhalten (konzentriertes Zuhören, Vermeiden lauten Hustens) und zum anderen in Form mimisch-gestischer Untermalung des künstlerischen Produktionsprozesses (»Wenn er mit selbstquälerischem Gesicht am Klavier sitzt, dem Instrument die Töne mehr abzuringen scheint, als sie in heiterer Erregung hervorzuzaubern vermag«58). »Seriosität« thematisiert die zugehörige Ernsthaftigkeit, mit der Brendel seinen Beruf insgesamt versteht und stellt damit einen Gegenpol zum weiter oben erwähnten »Humor« dar. Im Kontext von Werktreue lässt sich auch »Bescheidenheit« verorten, da beide Werte den Aspekt der Zurücknahme der eigenen Person beinhalten. So umfasst Bescheidenheit hier weniger den einfach-beschaulichen Lebensstil (vgl. z.B. Wertesystem Stefanie Hertel), sondern insbesondere das unprätentiöse Auftreten des Pianisten, der sich häufig dezidiert vom Fachjargon absetzt und seine Fähigkeiten herunterspielt (»›Ich habe kein fotografisches Gedächtnis‹ sagt Alfred Brendel, ›ich kann auch nicht gut vom Blatt lesen, spiele nicht schneller als andere, und ich brauche acht Stunden Schlaf‹«59). Diese Art von Bescheidenheit impliziert damit gleichzeitig die Imagekomponente »Realismus«. Diese findet sich in der medialen Darstellung zwar auch mit Bezug auf die Person Brendel, stärker jedoch im Kontext Interpretation. Hier vermeidet der Pianist vordergründige Effekte und extreme Deutungen zugunsten einer klaren, entsentimentalisierten Werkrealisierung, die eher die Konflikte selbst fokussiert als sie emotional zu verklären. Die inhaltlich anschließende Kategorie »Reife« wird hier als positive Form von Abgeklärtheit verstanden, die Brendel mit zunehmenden Alter erlaubt, Erfahrung und Weisheit in seine Ansichten über Musik und seine Umgehensweisen mit konkreten Kompositionen einfließen zu lassen.
57 FAZ, 9.04.1999. 58 FAZ, 5.01.2001. 59 Welt, 5.01.2001.
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Verbleiben wir im unteren Bereich des Wertesystems, so finden sich im linken Quadranten die Werte »Integrität« und »Tradition«. »Integrität« wird Brendel zumeist auf der Ebene der Interpretation zugeschrieben. Dies betrifft seine Prinzipien, nicht aus ästhetischen Normen auszubrechen und künstlerische Freiheit nur in klar definierten Grenzen auszugestalten. Damit einher geht aus der Perspektive der Presse seine Intention, die ideale Interpretation nicht in der extremen individuellen Überformung oder revolutionären Umdeutung eines Werks zu sehen, sondern in der klaren, verständnisorientierten Vermittlung (»streng am klassischen Maß orientiert, ohne subjektivistische Aktualisierungen«60). Auch über die konkrete Werkaufführung hinaus lehnt Brendel das Grelle und Auffallende ab, distanziert sich vom Klischee des Pianisten als virtuosem Exzentriker und agiert vielmehr zurückgenommen und erwartungsgemäß. »Tradition« bezieht sich bei Brendel auf die Distanzierung zum Modischen, die sich in der Betonung von Beständigkeit und der Konzentration auf die abendländische Musiktradition ausdrückt. Vergangenheit wird damit zum Maßstab für die Beurteilung heutiger Musik und entsprechenden Anpassungen und wohldosierten Weiterentwicklungen im Kontext Interpretation. Eine weitere Wertegruppe mit den Hauptwerten »Eleganz« und »Vermittlung» erstreckt sich vom rechten zum linken oberen Quadranten des Wertesystems. Als semantisch naheliegende Werte wurden diesen »Phantasie«, »Originalität«, »Vielfältigkeit« und »Neugier« zugeordnet. »Eleganz« bezieht sich vornehmlich auf Aspekte der Interpretation, indem Brendels Umgang mit Musik als nobel und wohltemperiert beschrieben wird (»Sein Klavierton ist von einer bestechenden Eleganz und glockigen Schönheit«61). Hierbei steht zumeist die Subtilität im Vordergrund, mit der er bestimmte Komponenten einer Komposition betont und differenziert. So werden gerade minimale Andeutungen in der Presse positiv hervorgehoben, die damit auch wieder Tendenz zur Anti-Exzentrik ausdrücken. Kaum merkliche í quasi nur für den Kenner wahrnehmbare í Effekte werden somit als Zeichen für Distinguiertheit und exquisiter Feinfühligkeit interpretiert, die einen Gegenpol zu demonstrativ zur Schau gestellter Expressivität darstellen. »Phantasie« zeigt er ebenso im Klavierspiel selbst, wobei diese Kategorie eng an die eben beschriebene Feinfühligkeit gekoppelt wird. So ist er in der Lage, auch hinlänglich bekannten Werken immer wieder Neues hinzuzufügen und so für Überraschungen zu sorgen, auch wenn sich diese auf ein verändertes Verhältnis zwischen zwei konkreten Motiven oder auf eine abgeänderte Intensität der Agogik zwischen Exposition und Durchführung 60 TSP, 7.06.1999. 61 SZ, 10.05.2000.
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konzentrieren kann und damit wiederum auf Experten-Ebene bewegt. »Phantasie« taucht aber in der Darstellung der Arbeitsweise des Interpreten auch als übergeordnete Beschreibungskategorie auf (»Alfred Brendel hat sich sein Leben lang mit Einfühlung und Phantasie um Mozarts reine Meisterschaft bemüht«62). Auch »Originalität« ist eine Bedeutung im Kontext Interpretation und bezeichnet seine Abgrenzung von anderen Interpreten, indem er eine andere Sicht auf ein Werk verkörpert, diese zur Aufführung bringt und auch gegenüber anderen Meinungen analytisch-rhetorisch zu verteidigen weiß. Zur »Originalität« Brendels gehört aber auch sein Pioniergeist (erster Pianist, der alle Klavierwerke Beethovens eingespielt hat) und sein Verdienst um die Integration bestimmter Werke in das aktuelle Konzertrepertoire (z.B. die Klaviersonaten von Franz Schubert). »Vielfältigkeit« stellt einen diskursiven Gegenpol zur wiederholt thematisierten Beschränkung in der Auswahl seines Repertoires dar. Entsprechend findet hier eher eine Ablenkung von der Musik selbst statt, indem diese Kategorie vor allem bei der Darstellung seiner sonstigen Interessen zur Charakterisierung herangezogen wird und damit wieder eine Nähe zu seiner allgemeinen Intellektualität und damit einhergehenden Lebensweise (z.B. Erwähnung kultureller Interessen wie Bildende Kunst, Lyrik oder Wissenschaft) herstellt. Wichtig bleibt dabei stets, Vielfältigkeit nicht als Beliebigkeit erscheinen zu lassen, sondern als in sich stimmig und zielgerichtet zu integrieren. Dies schlägt dann auch wieder eine Brücke zur Interpretation, indem Vielfalt auch innerhalb eines Werkes erkannt und gewürdigt wird (»Nun ist es aber gerade eine solche Vielfalt, die nicht nur Brendels Einzelinterpretation prägt, sondern sein Gesamtverständnis von Beethovens konzertantem Oeuvre«63). »Neugier« meint die persönliche Eigenschaft Brendels, sich vielseitig und genau für etwas zu interessieren. Dies betrifft sowohl Kultur im allgemeinen als auch die Musik im besonderen, indem er mit einer »alterslosen Neugier und Entdeckerfreude Partituren durchstreift«.64 »Vermittlung/Rhetorik« ist im Wertesystem relativ weit links in Richtung des Nähe-Pols verortet, da hier eine Brücke zum Publikum geschlagen wird. Beschrieben wird, dass Brendel Musik zum Sprechen bringt und sie für die Hörer lebendig werden lässt und ihnen damit eine ästhetische Orientierung bietet. Indem er musikalische Zusammenhänge interpretatorisch aufdeckt, gewährt er gleichsam einen Blick hinter die Klassik-Fassade und macht sie sinnlich erfahrbar. Zugehörige Labels sind beispielsweise »Kün-
62 BUNTE, 14.08.1997. 63 SZ, 31.10.1998. 64 Ebd.
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der der Wiener Klassik« oder »musikalischer Übersetzer für die Gegenwart«. Schließlich existiert eine kleinere Wertegruppe (»Enthusiasmus/Engagement», »Spontaneität/Leichtigkeit» und »Sensibilität«), die am ehesten direkte Nähe zum Publikum herstellt, auch wenn hier ebenso schwerpunktmäßig die konkreten Umgangsweisen mit Musik dokumentiert werden. So meint »Enthusiasmus/Engagement« zunächst den übergeordneten Aspekt der Hingabe und Leidenschaft, mit der sich Brendel dem musikalischen Werk widmet. Auf konkreter Interpretationsebene zeigt sich dieses in Form einer entschlossenen und entschiedenen Herangehensweise (»im Presto legte Brendel eine packende, betont Beethovensche Ausdrucksbessenheit an den Tag, wie sie Haydn wohl nur sehr selten widerfährt«65). »Spontaneität/Leichtigkeit« integriert eine dynamische Dimension in das öffentliche Bild Alfred Brendels, die allerdings ebenso auf das Terrain der Interpretation beschränkt bleibt. Entsprechend werden hier mitreißende Bewegungs- und Spannungsverläufe beschrieben, die einen »Flow« erzeugen und damit die rationale Durchdringung der Werkstruktur vergessen lassen. Schließlich bildet auch »Sensibilität« ein diskursives Komplement zur reflektieren Arbeitsweise des Interpreten. Hier werden sowohl Aspekte der musikalischen Vermittlung (z.B. in Form von Innigkeit) als auch die Person als Ganzes thematisiert (»auch wenn er nicht der schönste Mann der Welt ist, erkennt man ihn als einen überaus intelligenten und empfindsamen Analytiker musikalischer Gedanken«66).
6.1.3 Visuelles und audiovisuelles Material Wie die Analyse des Printmaterials zeigte, spielt die äußere Erscheinung des Interpreten in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Entsprechend selten sind die Artikel daher durch aktuelle Fotos des Interpreten begleitet. Dennoch ist der Aspekt des Visuellen für die Rezipienten durchaus von Bedeutung (vgl. anschließende Rezeptionsstudie) und sollte daher an dieser Stelle dennoch Berücksichtigung erfahren. Auffallend ist auch hier die starke Fokussierung auf die professionelle Welt des Interpreten. So zeigen die CD-Booklets Brendel fast ausschließlich »bei der Arbeit« und/oder in der Nähe eines mit Noten bestückten Flügels, der sogleich den Kontext Interpretation aufruft. Ist lediglich der Pianist selbst abgebildet, so handelt es sich hierbei fast immer um Portraits, 65 66
TSP, 25.06.1998. TSP, 21.11.1996.
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was eine alleinige Konzentration auf den Kopf ermöglicht. Insbesondere Brendels Stirn erscheint dabei als hervorgehoben, da ihn viele Fotos als nachdenklichen, empfindsamen Menschen abbilden, was durch seine ausgeprägten Stirnfalten zum Ausdruck kommt. Auch in der Pressedarstellung wurde seine Mimik als wichtiges Moment während der Aufführung charakterisiert, indem der im Inneren stattfindende Auseinandersetzungsprozess mit der Musik hier eine visuelle Widerspiegelung nach außen erfährt, was gleichsam eine Nähe zum Publikum erzeugt. Diese Nähe vollzieht sich aber in Bezug auf den Kontext Musik und nicht auf die Person Brendel selbst. Entsprechend sind die Fotos des Interpreten in einem neutralen Setting lokalisiert bzw. ist der Aufnahme kein realer oder imaginärer Raum direkt zuzuordnen. Die Inszenierung eines Bedeutungsraumes um den Interpreten, vgl. z.B. die Kapitel 6.2.3. und 6.3.3, entfällt hier. Die visuelle Darstellung evoziert somit keine narrativen Muster, die in Zusammenhang mit der Gesamtkonzeption eines Albums stehen, wie dies im Bereich populärer Musik häufig üblich ist. Vielmehr gilt gerade die Neutralität der Darstellung í z.B. auch durch den Verzicht auf die Abbildung des Interpreten auf dem CD-Cover í als Qualitätshinweis, da hierdurch die Konzentration auf das musikalische Werk als das Wesentliche betont wird. Auch in der Presseanalyse zeigte sich, dass professionsinterne Leistung hier auch in der »Unsichtbarkeit« des Interpreten bestehen kann, indem er durch die Zurücknahme der eigenen Person das Werk und den Komponisten in den Vordergrund stellt. Entsprechend besteht das audiovisuelle Material zu Alfred Brendel vorwiegend aus Konzertmitschnitten, die konsequenterweise auf die Bühnensituation konzentriert bleiben. Ein weiteres wichtiges Format ist jedoch die Dokumentation, die es ermöglicht, die Arbeit des Interpreten zu kontextualisieren, ohne auf das reine Abfilmen der Aufführung beschränkt zu bleiben. Die Dokumentation »Mensch und Masken«, die anlässlich seines 70. Geburtstags von BBC und Arte produziert wurde, zeigt dabei überdies auch einen Blick in die privaten Räumlichkeiten des Pianisten, wobei auf den Seltenheitscharakter dieser Möglichkeit im Film selbst hingewiesen wird. Und auch hier bleibt der Fokus auf die Arbeitswelt zumeist bestehen, wenn auch häufig indirekt. So kommentiert Brendel den Rundgang durch seine Wohnung, indem er die an den Wänden hängenden Bilder bzw. die ausgestellten Skulpturen beschreibt und einen Bezug zu seiner eigenen Arbeit herstellt (z.B. ähnliche Ideenwelten in Bildern und den eigenen Gedichten). Während der Dokumentation werden verschiedene Situationen und Orte gezeigt, die vornehmlich am Karriereverlauf orientiert sind, aber auch biographische Stationen dokumentieren. Bezüglich des ersten Aspekts steht vor allem das Thema Professionalität im Vordergrund, indem zahlreiche Probenausschnitte zusammengestellt wurden. Dabei wird ein besonde-
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res Augenmerk auf die künstlerische Zusammenarbeit mit Kollegen (insbesondere dem Dirigenten Simon Rattle) gelegt. Hierbei wird erneut die Genauigkeit und der bewusste Umgang mit dem Werk betont, die Arbeit an der Partitur wird dem Zuschauer dabei als vergnügliche, aber auch herausfordernde Tätigkeit vermittelt. Insbesondere die Szene, die Brendel gemeinsam mit einem Klavierstimmer vor einem Konzert zeigt, fokussiert den Qualitätsanspruch und die Perfektion des Interpreten. Brendels humoristische Seite wird anhand von Ausschnitten seiner Gedichtlesungen beleuchtet und mit zwischengeschnittenen Fotos illustriert, die ihn mit amüsiert-ironischen Gesichtsausdrücken in humorvollen Posen zeigen. Skurrilität wird mit seiner Vorliebe für bizarre Masken und Charakterskulpturen und seinen diesbezüglichen Kommentaren als Thema aufgerufen. Hinsichtlich seiner persönlichen Biographie wird Brendel von einem Filmteam an verschiedene Orte begleitet, an denen er gelebt hat, die ihn verschiedene Anekdoten aufrufen lassen (z.B. in einem Kino in Zagreb, wo sein Vater damals als Direktor arbeitete) und zu deren Untermalung entsprechende Familienbilder eingeblendet werden. Während der Dokumentation äußern sich verschiedene Menschen zu seiner Persönlichkeit, wobei hier auch Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Pianist thematisiert werden. Die Symbiose aus Beruflichem und Privatem wird vor allem durch die Konzert- und Probenaufnahmen aus verschiedenen Jahrzehnten hergestellt, indem hier sowohl der Pianist als Experte in seiner Entwicklung als auch der Mensch Brendel gezeigt wird, dessen visuelle Veränderung über die Jahrzehnte nun auch mit seinen privaten Stationen verbunden werden kann. So verknüpft der Film zunehmend professionelle und private Ebenen und schließt mit der Botschaft, dass sich diese Ebenen in der Person Brendel immer mehr ineinander verzahnt hätten. Die zentrale visuelle bzw. audiovisuelle Erlebnisform ist somit das Konzert, da das Gehörte hier im Kontext der Person wahrgenommen werden kann. Der Kontakt zum Publikum wird dabei allerdings í im Unterschied zur populären Musik í nur vor und nach dem musikalischen Vortrag in direkter Form hergestellt. Die klassische Verbeugung bleibt als Kontaktform bei Brendel dennoch gleichzeitig indirekt, da sie zum einen ohne einen verbalen Kommentar und zum anderen relativ standardisiert abläuft (mehrere Verbeugungen mit wechselnden Positionen im Raum ohne direkten Blickkontakt zum Publikum). Im Zentrum steht hier somit die Mimik und Gestik während der Darbietung, da hieraus die Gefühlswelten des abseits der Bühne eher verschlossenen Interpreten gezogen werden. Das Bühnenverhalten Brendels ist daher Gegenstand des nächsten Kapitels, da es vor allem aus Sicht der Rezipienten für die Imagebildung bedeutsam ist.
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6.1.4 Interviewauswertung Allgemeines Alfred Brendel hat nicht nur zahlreiche, sondern auch besonders treue Anhänger, auch wenn diese sich selbst zumeist nicht als »Fans« bezeichnen würden. In der Tat unterscheidet sich das »Fan-Verhalten« deutlich von anderen Musikkulturen, in dem es beispielsweise in wesentlich geringerem Ausmaß durch ein Interesse an der Privatperson Brendel bestimmt ist. Zudem ist die Beschäftigung mit dem Interpreten weniger zeitintensiv und nicht alltagsdominierend (z.B. durch die Organisation in einem Fan-Club), sondern vor allem ereignisorientiert (Konzertbesuch). Dennoch zeigen sich auch hier Universalprinzipien wie sie aus anderen Starsystemen bekannt sind. So ist es durchaus üblich, nach dem Konzert Autogramme zu holen und den direkten Kontakt zum Interpreten zu suchen. Man informiert sich über neue Produktionen, erwirbt diese (z.B. CDs oder DVDs) bzw. nimmt an ihnen teil (Konzerte, Lesungen, Vorträge). Auch macht man sich ein Bild von der öffentlichen Wahrnehmung des Pianisten im allgemeinen (z.B. durch die Zeitung) und weiß, ihn von anderen Vertretern seines Fachs abzuheben. Im Zentrum des Star-Kontexts Brendel steht í wie in der Presse í auch aus der Perspektive der Hörer der Umgang mit Musik, insbesondere der Bezug zum klassischen Kunstwerk. Entsprechend entsteht der Erstkontakt zu Brendel über ein Interesse an klassischer Musik im allgemeinen, das bei den hier Befragten bereits durch das Elternhaus mitgeprägt wurde, sei es in Form der im Wohnzimmer präsenten Schallplattensammlung oder den eigenen Klavierunterricht. Die bewusste Wahrnehmung Brendels als Star klassischer Klaviermusik ist somit mehr durch die Repräsentation eines spezifischen Repertoires bzw. seinen Status als pianistische Autorität bedingt als durch in anderen Systemen anzutreffende Aufmerksamkeitsgeneratoren wie Fernsehen oder Peergroup. Die Beziehung des Hörers zu Brendel ermöglicht somit erst einen Kontakt zur a priori gewählten Musik und damit zum eigentlichen Star: den Komponisten (»bei Brendel gab es eigentlich nicht so ein Aha-Erlebnis, aber ich hab irgendwann eine ganz große Vorliebe für Beethoven entwickelt, und da waren die Hörerlebnisse doch von ganz früh an mit Brendel verknüpft, weil ich dann irgendwann sehr viele Aufnahmen hatte«). Das Hören von Musik bedeutet für Brendels Anhänger primär Genuss, wird aber auch im Sinne eines kulturellen Kapitals gesehen. So können die von Brendel interpretierten Werke hinsichtlich der ästhetisch-emotionalen Dimension Gefühle bzw. eine gewünschte Atmosphäre erzeugen (z.B. als CD bei einem Abendessen) sowie im Sinne eines Mood-Managements Stärkung geben. Gleichzeitig wird auf der leistungsorientiert-rationalen
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Dimension durch die Auseinandersetzung mit Brendel eine Schulung der eigenen Urteilskompetenz angestrebt und die Hochwertigkeit und Gültigkeit seiner Interpretation in den Vordergrund gestellt. Dass diese zwei gegensätzlich erscheinenden Nutzungsdimensionen durchaus komplementär sind, zeigt sich in der überragenden Bedeutung des Live-Ereignisses Brendel. Hier verschmelzen für die Hörer rationale und emotionale Aspekte zu einer Einheit, die sowohl beglückende Erfahrung ermöglicht als auch eine Option zum Austausch von Ereignisbewertung und -kritik bereitstellt. Auch die visuelle Vermittlung spielt hier eine tragende Rolle, wenn auch nicht im Sinne von Attraktivität, sondern in Form einer Wahrnehmung von Mimik und Gestik als Hinweisreizen für korrespondierende Ausdrucksintensität und als indirekte Verweise auf die resultierenden Gefühlswelten des Interpreten (»man sieht, was die Musik mit ihm macht«). Im Gegensatz zum Tonträger bietet das Brendel-Konzert damit í wie auch bei Hertel und Williams í die Möglichkeit eines ganzheitlichen Erlebens, das zentrale Botschaften auf vielfältigen Darstellungsebenen vermittelt und damit effektiv transportiert. Wird im Alltag notwendigerweise auf den Tonträger zurückgegriffen, geschieht dies meist in Form bewusster Hinwendung. Aber auch in Situationen, wo eine CD im Hintergrund läuft (z.B. während des Frühstücks), bleibt die Gesamtstruktur des Werks erhalten, indem nicht zwischen Sätzen hin- und hergesprungen wird, sondern eine Komposition in seiner Ganzheit erklingt. Bezüglich weiterer Informationsmedien werden vor allem die Zeitungskritiken gelesen. Insbesondere nach einem Konzertbesuch werden entsprechende Kritiken recherchiert und mit dem eigenen Erleben verglichen. Das Fernsehen spielt hingegen eine marginale Rolle. Zwar wissen die Befragten von einzelnen Dokumentationen oder Konzertmitschnitten, nach diesen wird aber nicht vorab im Fernsehprogramm gesucht. Insgesamt zeigten die Befragten kaum Interesse am archivarischen Sammeln möglichst vieler Produkte oder Informationen über den Interpreten. Gekauft werden hingegen Einspielungen von Kompositionen, zu denen ein persönlicher Bezug hergestellt werden kann, sei es, dass man sie im Konzert gehört oder selbst auf dem Klavier gespielt hat. Erworbene Produkte sind also mit eigenen Erlebnissen aufgeladen, als Erinnerung an einen schönen Abend oder als reflektierte, wiederholbare Wahrnehmung des Werkes selbst, als deren Vermittler Brendel agiert.
Werteanalyse Im Vergleich mit der Analyse der Presseberichterstattung fällt auf, dass einzelne Image-Komponenten Brendels aus Rezipientenperspektive gleichsam bedeutend sind (insbesondere »Größe« und »Perfektion«, aber auch »Humor«, »Vermittlung« und »Integrität«). Aspekte wie »Intellektualität»,
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»Reflektiertheit/Rationalität« und »Analytik« í zentrale Werte bei der Presseanalyse í spielen jedoch für die Bedeutung Brendels in den Vorstellungen der Hörer eine weitaus geringere bis gar keine Rolle. Demgegenüber nehmen hier vor allem »Bescheidenheit«, »Distanz/Introvertiertheit«, aber auch »Charme«, »Skurrilität« und »Tiefgründigkeit« dominantere Positionen im Image Alfred Brendels ein. Die folgende Abbildung zeigt die Verortung der Werte aus Sicht der Befragten auf den Dimensionen »Nähe/Distanz« und »Individualität/Sozialität«:67
INDIVIDUALITÄT
Faszination
Größe/Erfolg Souveränität
Tiefgründigkeit Sensibilität Enthusiasmus/Engagement Vermittlung
Spontaneität/Leichtigkeit
Charme
Individualität Originalität
Perfektion Fehlbarkeit
Skurrilität
Humor
Emotionalität NÄHE
DISTANZ
Glaubwürdigkeit
Distanz Reflektiertheit
Tradition
Integrität Bescheidenheit Werktreue Seriosität Reife Prinzipientreue
SOZIALITÄT
Abbildung 4: Brendels semantischer Raum aus Hörerperspektive Die Hauptkategorie »Größe« als zugeschriebener Status des Interpreten entspricht in Grundzügen dem auch bei den anderen beiden Interpreten stark ausgeprägten Wert »Erfolg«. Zentral ist hier aber der daraus resultierende gesellschaftliche Stellenwert des Stars und weniger das Erfolgsprinzip an sich, wie dies auch bereits in der Presseanalyse bezüglich Brendel festgestellt wurde. So gilt Brendel als wichtige Bezugsgröße im Bereich klassischer Musik, indem seine Interpretationen als Maßstab bzw. als Aus-
67 Die einzelnen Wertekategorien wurden nach ihrer Bedeutsamkeit gewichtet und diesbezüglich in vier Gruppen eingeteilt: Sehr bedeutsam (fett und unterstrichen), bedeutsam (fett), weniger bedeutsam (Schriftgröße 12) und kaum bedeutsam (Schriftgröße 9). Die farbigen Verbindungslinien zeigen die Kontextualisierungsmuster der Befragten.
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gangspunkt der Beschäftigung mit einem spezifischen Repertoire dienen (»Wenn man in den Laden geht und eine CD von Beethoven oder Schubert kaufen will, dann gilt Brendel als Referenz in unserer heutigen Zeit«). Dieser Status wird als Ergebnis langjähriger professionsinterner Leistungen gesehen í also mit der Kategorie »Perfektion/Professionalität« verknüpft í und entsprechend wertgeschätzt. Der Begriff der Wertschätzung drückt dabei gleichzeitig Distanz und Nähe zum Interpreten aus: Zum einen werden Brendels Produktionen zu den eigenen pianistischen Fähigkeiten in Bezug gesetzt, die bei diesem Vergleich zumeist eher schlecht abschneiden (»Und dann wollte ich mir die Sonate, die er gespielt hat mal vornehmen, aber natürlich kann ich sie nicht spielen, das wär ja auch vermessen«). Zum anderen erfordert Wertschätzung aber zunächst das Erkennen einer herausragenden Leistung und damit eine gewisse Kompetenz im zugehörigen Repertoirebereich, mit der sich der Hörer dem Interpreten wiederum annähern kann (»von den Kennern wird Brendel gefeiert«). Entsprechend erscheint auch »Faszination» í eine Kategorie, die in der medialen Berichterstattung über Brendel nicht auftaucht í als begründete und damit legitimierte »Faszination«, die sich aus den Fähigkeiten des Pianisten herleitet. In Bezug auf die Begrifflichkeiten sind Brendels Anhänger denn auch weniger »begeistert« (vgl. die Kategorie »Faszination« bei Robbie Williams), sondern vor allem »beeindruckt«. Die eng an »Größe« gekoppelte Kategorie »Perfektion/Professionalität« vermittelt sich den Hörern wesentlich durch das Klavierspiel selbst (»Man definiert die Person über die Art und Weise wie er spielt und nicht über andere Informationen«). So wird das Klangergebnis zur zentralen Beurteilungsdimension und interessiert an der Person Brendel vornehmlich der Werdegang und die Einstellung als Musiker. Zusätzlich zu den technischen Fähigkeiten wird ihm eine innere Spannkraft und Konzentration zugeschrieben, die den Auftritt als Ganzes zu einem perfekten Erlebnis werden lässt (»der setzt sich hin und spielt, der muss sich gar nicht erst konzentrieren, der ist schon konzentriert«). Diese Konzentration wird dabei nicht unbedingt als etwas Rationales erlebt, sondern zeigt auch Brendels »Enthusiasmus« und »Spontaneität«, indem er sehr zielgerichtet auf die Bühne tritt und direkt mit dem ersten Stück beginnt, ohne langwierige Vorbereitungen wie z.B. Klavierhocker zurechtrücken oder Hände durchdrücken. Entsprechend ermöglicht Konzentration eine intensivere Form der »Vermittlung« und damit auch eine »Emotionalität« (»das ergibt diese Fülle, die da rüberkommt«). Hierbei geht es aber nicht unbedingt um »Emotionalität« im Sinne von Rührung, sondern einer als positiv erlebten Überzeugung bezüglich des musikalischen Werks und ästhetischer Wahrhaftigkeit, die letztlich auf die »Souveränität« des Interpreten verweist (»wenn man das bei ihm hört, dann
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ist man davon überzeugt, so ist es! Das ist mein Feeling bei ihm«). »Souveränität« ist dabei ein ganzheitlicher Eindruck, den der Interpret beim Hörer hinterlässt und zeigt sich somit nicht nur im Spiel (»manchmal habe ich den Eindruck, er schwebt«), sondern im Auftreten insgesamt. So wird das eher neutral bis bescheiden empfundene Verhalten dem Publikum gegenüber auch als selbstbewusst gewertet: »Er ist jemand, der schon ein bisschen drübersteht [...] und wenn’s den Leuten nicht gefiele, würde er denken, dann sind sie selbst schuld, könnte ich mir vorstellen«. Wie in der Presse taucht im Zusammenhang mit Perfektion immer auch der Aspekt »Fehlbarkeit« auf, aus Sicht der Hörer jedoch in anderer Weise. Fehler im Sinne des »Verspielens« während eines Konzerts werden als menschlich und sein Umgang hiermit als charmant bewertet. »Fehlbarkeit« erhöht damit nicht nur die »Glaubwürdigkeit« des Künstlers, sondern erzeugt auch emotionales Involvement (»einmal hat er sich verspielt beim 2. Satz einer Mozartsonate, und da hatte ich sein Gesicht gesehen, und da hat er so einen schmerzerfüllten Ausdruck im Gesicht gehabt, dass ich wirklich da fast mitgelitten hab und das hat mir leid getan, dass ihm das offenbar so nahe geht, wenn er sich da verspielt«). Auch Brendels visuelle Erscheinung (z.B. auf Fotos) kann hier auf eine sympathische Form von Unsicherheit verweisen: »Und auf dem Foto guckt er so, da könnte man denken, er fragt: Mache ich das richtig?« Auf die »Individualität« Brendels kommen die Befragten zu sprechen, wenn es um seinen öffentlichen Eindruck insgesamt geht. So wird häufig sein Gesicht erwähnt, dass als sehr markant und besonders wahrgenommen wird und einen hohen Wiedererkennungswert besitzt: »Sein Gesicht war mir als Kind relativ früh bekannt, mit dieser großen Brille und diesem etwas verschrobenen Gesicht«. »Individualität« drückt sich aber insbesondere in der Eigenwilligkeit Brendels aus. Hierzu gehört z.B. die Unterbrechung eines Konzerts, weil das Publikum zu stark gehustet hat oder die als untypisch wahrgenommene Verhaltensweise, sich nicht in der Begeisterung des Publikums zu sonnen, sondern nach einer Zugabe die Konzertbühne zu verlassen (»Er macht so seinen Stiefel, nur eine Zugabe und das war’s, das hat was ganz Individuelles«). Auch bei »Originalität« geht es letztlich um Eigenwilligkeit, hier aber in Bezug auf den professionellen Bereich. Als originell wird beispielsweise seine Repertoire-Auswahl beurteilt, die sich auf wenige Komponisten konzentriert und nicht versucht, mit einer besonders breiten Palette Aufmerksamkeit zu erregen. Ausgewählt werden dabei auch nicht unbedingt die gängigen Werke dieser Komponisten, sondern eher selten zu hörende bzw. bietet Brendel eine ungewöhnliche Kombination von Werken an (»Ich glaube nicht, dass man dieses Programm noch mal von einem anderen Pianisten angeboten bekommt«). Auch das bereits bei der Presseanalyse er-
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wähnte Prinzip der Mehrfacheinspielungen wird als Beispiel für »Originalität« genannt. »Skurrilität« tauchte als Image-Komponente Brendels in den Zeitungen nicht auf, spielt aus Hörerperspektive aber durchaus eine Rolle. Wie »Individualität« wird dieser Wert vornehmlich durch die Person als Ganzes í vor allem durch sein Aussehen í vermittelt. Er kommt aber auch in seinen Texten sowie in seinem Verhalten zum Ausdruck, z.B. im Gespräch mit Hörern nach dem Konzert: »Er hat ja auch dieses Skurrile, dann saßen wir da und da arbeitete er auch die ganze Zeit mit seinen Händen, und die legt er dann auch nicht zur Ruhe und hat da während des Gesprächs also permanent mit seinen Händen gearbeitet, und man hatte den Eindruck, er spielt da auf dem Sessel gerade Klavier«. »Skurrilität« hängt eng mit »Humor« zusammen. Fragt man die Hörer nach vermuteten Persönlichkeitseigenschaften Brendels, so wird diese meist als eine der ersten genannt. »Humor« zeigt sich wie »Skurrilität« nicht nur in seinem Auftreten, sondern auch in seinen Schriften und der Repertoire-Auswahl (»Humor findet man in der Musik von Haydn und Mozart ganz stark und der schriftliche Humor von Brendel kommt durch die Beschäftigung mit dieser Musik«). Der obere linke Quadrant (Individualität/Nähe) ist bei den Anhängern Brendels wesentlich stärker besetzt als in der Presseberichterstattung. Insbesondere »Tiefgründigkeit«, »Charme« und »Emotionalität« sind Aspekte, die sich offenbar eher im persönlichen Erleben des Interpreten ausdrücken, aber für die Printmedien im Kontext Brendel weniger relevant sind. Die stark vertretene Kategorie »Vermittlung/Rhetorik« tauchte jedoch bereits in der Presseanalyse auf und erhält hier ein noch deutlicheres Gewicht. Das Prinzip bzw. die Fähigkeit des »Rüberbringens« wird zum einen als ganzheitlich emotionales Erlebnis wahrgenommen (»das bringt er mir rüber, so dass ich aus dem Konzert gehe und sage: Das war’s! Dann bin ich erfüllt von Schönheit, Dankbarkeit, Fröhlichkeit, Innerlichkeit«). Zum anderen meint »Vermittlung« aber auch die Fähigkeit zur verständlichen Darbietung musikalischer Strukturen, die sich im Erleben von Transparanz ausdrückt (»das war nicht einfach Klavier gespielt, sondern die Inhalte waren für mich sehr transparent, und das war für mich große Kunst«). Auch der in der Presse erwähnte rhetorische Impetus, das Sprechende in der Musik darzustellen bzw. durch die Interpretation zu vermitteln, findet sich vereinzelt in den Äußerungen der Hörer. Dies kann jedoch punktuell ebenso übertrieben wirken (»die Beethoven-Sonaten finde ich manchmal etwas überinterpretiert, so mit dem Zeigefinger: Jetzt achten sie mal darauf! Das finde ich einen Schritt zuviel«). »Tiefgründigkeit/Verinnerlichung« bezieht sich zunächst auf die erlebte Verschmelzung von Musik und Interpret während der Aufführung (»das spielte so durch ihn durch, die Person trat in den Hintergrund«). Diese
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»Tiefgründigkeit« ist an den Wert »Perfektion/Professionalität« insofern angebunden, als erst die technische Perfektion die Freiheit bietet, sich ganz auf die Gestaltung der Inhalte zu konzentrieren und damit Tiefe erst zu ermöglichen. Als ausgleichenden Gegenpol zu Tiefgründigkeit bemerken die Befragten interessanterweise aber auch eine »Einfachheit« in der Darstellung (»dass er auf eine Art so eine ganz schlichte und auf eine andere Art aber so wahnsinnig tiefe Spielart hat, das hat mich immer beeindruckt«). »Tiefgründigkeit/Verinnerlichung« ist zudem stark mit der Kategorie »Vermittlung/Rhetorik« verknüpft. So bewertet ein Konzertbesucher Brendels Interpretationen als gültig, wobei er Gültigkeit folgendermaßen erklärt: »Gültigkeit bedeutet für mich, dass man den Eindruck hat, dass das Gesamtwerk von dem Interpreten innerlich voll aufgenommen ist und er in der Lage ist, das in den Facetten, wie sie ihm wesentlich sind, wirklich in der Form dem Hörer nahe zu bringen, also dass es durch den Menschen gegangen ist und das für ihn ein Guss ist«.
»Charme« zeigt sich bei Brendel zunächst als übergeordnete Ausstrahlung, die wiederum als attraktive Kombination aus »Perfektion«, Erfahrung, Verkörperung des Werks und »Vermittlung« entsteht und Brendel als »Gesamtkunstwerk« bewundernswert macht (Bezug zur Kategorie »Faszination«). Zumeist wird die Person Brendel in Bezug auf »Charme« als sympathisch beschrieben; »Charme« wird hier somit weniger im Sinne einer unwiderstehlichen Anziehungskraft, sondern eher als unprätentiöses (Bezug zu »Integrität«), bescheidenes (Bezug zu »Bescheidenheit«) Verhalten in der Öffentlichkeit verstanden. Es besteht aber auch ein Link zu »Skurrilität« und »Individualität«, indem ebenso die bereits erwähnte Eigenwilligund Ungewöhnlichkeit Brendels als sympathisch und charmant beurteilt wird. »Emotionalität« verkörpert Brendel zunächst durch sein eigenes Involvement und seine Begeisterung für die Musik (Bezug zu »Enthusiasmus/Engagement«). Diese wird als sehr lebendig empfunden (Bezug zu »Spontaneität/Leichtigkeit«), womit er durchaus auch die Veränderung der Beurteilung von Musik beim Hörer bewirken kann (»Mozart war für mich immer ... na ja, nicht die interessanteste Musik, aber der hat das gespielt, und da fand ich das plötzlich irgendwie ganz emotional und ganz lebendig«). »Emotionalität« vermittelt sich denn auch vornehmlich durch das Live-Erlebnis »Brendel« (»manchmal hörte man, dass er mitsummt oder mitbrummt, das fand ich total spannend und menschlich irgendwo«). Bezüglich dieser Kategorie findet entsprechend eine Distanzierung zur Berichterstattung in der Presse statt, die diesen Bedeutungsaspekt aus Sicht der Anhänger häufig ignoriert (»die Musik war wie von einem anderen Stern, es kam so geballt, deshalb war ich mit dieser Kritik nicht einverstan-
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den. Wenn Herz und Seele mitspielt, dann sieht und hört man die Musik anders wie ein Kritiker, der das professionell macht«). »Enthusiasmus/Engagement« zeigt sich insbesondere beim Bühnenauftritt des Interpreten (»dieser Mensch kommt raus und ist schon Musik«). Die Wahrnehmung von Leidenschaftlichkeit im Spiel wird dabei durchaus als etwas Integriertes (Bezug zu »Integrität«) empfunden und damit als Form der Expressivität, die sich in einem akzeptablen Rahmen bewegt (»Brendels Verhalten fand ich sehr angenehm, engagiert zu spielen, ohne Theater zu machen«). Zudem bewegt sich dieser Enthusiasmus bzw. diese Leidenschaftlichkeit interessanterweise ausschließlich innerhalb der musikalischen Berufsausübung und steht dem sonst eher introvertierten Privatmenschen Brendel gegenüber (Bezug zu »Distanz/Introvertiertheit«). Diese Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Brendel zeigt sich auch bei »Spontaneität/Leichtigkeit« (»auf der Bühne wirkt er sehr viel unverkrampfter, freier«). Bezüglich dieser Kategorie wird ebenso wie beispielsweise bei der Kategorie »Humor« eine direkte Verbindung zum ausgewählten Repertoire hergestellt, indem z.B. der beschwingte oder unkonventionelle Charakter eines Stücks als passend zu Brendels Naturell empfunden wird. Zudem erhöht »Spontaneität/Leichtigkeit« den Unterhaltungswert der Veranstaltung (»es klang unglaublich leicht und locker, witzig und spielerisch, das fand ich schon sehr ansteckend«). »Sensibilität/Empfindsamkeit« komplettiert das Spektrum der emotionalen, auf Nähe ausgerichteten Werte im Image Brendels. Ist dieser Wert in der Presse vor allem auf die Ausübung von Musik bezogen, wird er hier auch auf die Person als Ganzes projiziert. Der Anker, der den Transfer auf die Person ermöglicht, versinnbildlicht sich im Begriff des »Fingerspitzengefühls«. Dieses ist einerseits ein technischer Terminus, indem ein Feingefühl für Töne zum Werkzeugkasten des Klavierhandwerks gehört. Diese Einfühlungsgabe kann aber auch eine Übertragung auf die menschliche Eigenschaft implizieren (»ich denke, er ist jemand, der wunderbar zuhören und sich hineindenken kann, er ist sehr sensibel für andere Menschen«). Diese Kombination aus Feinheit und Empathie verkörpert Brendel für seine Hörer auch durch die äußere Erscheinung (»er ist verletzbar und – trotz seiner Statur – filigran« oder »er hat immer so’nen Hundeblick«). Im linken unteren Quadranten (Nähe/Sozialität) befinden sich »Glaubwürdigkeit«, »Integrität» und »Tradition« in zentraler Position. »Glaubwürdigkeit« ist ebenfalls eine Kategorie, die in der Presse nicht auftaucht. Wie bei Interpreten anderer musikalischer Genres ist sie auch hier resultierende Konsequenz aus wahrgenommener Stimmigkeit zwischen verschiedenen persönlich-professionellen Komponenten. Bei Brendel gehört hierzu vor allem die Korrespondenz zwischen Musik und Interpret (Bezug zu »Integrität«), verbunden mit einer als authentisch erlebten Werkwiedergabe.
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Des weiteren zeigt sich »Glaubwürdigkeit« in der Art des Auftretens: Eine glaubhafte, ehrliche »Distanz« zum Publikum vermittelt Konzentration auf das Wesentliche und »Bescheidenheit« (»das hab ich viel lieber, als wenn jemand rauskommt und sagt: Ich liebe euch alle«). Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die Tatsache, dass Brendels Mehrfacheinspielungen von Werken (z.B. Klavierkonzerte von Beethoven) »Glaubwürdigkeit« verstärken, indem der Pianist damit zum Ausdruck bringt, nicht vollkommen zu sein und vorherige Interpretationen in Frage zu stellen: »Wenn man interpretiert, muss man als Interpret den Eindruck haben: So und nicht anders! Und sich durchzuringen und zu sagen: Nee, jetzt sehe ich das so! Das ist ein gewisses Bekenntnis«. Das bisweilen dogmatische Konzept der Interpretationskunst wird somit menschlicher und erhält durch Brendel eine individuelle Note (Bezug zu »Individualität«). »Integrität« meint zunächst die eben bereits erwähnte Verschmelzung des Interpreten mit der Musik (»der wohnt in der Musik«) und dem Komponisten (Bezug zu »Werktreue«). »Integrität« bezieht sich aber insbesondere auf die in der Presse ebenfalls thematisierte Anti-Exzentrik im Gesamtauftreten. So wirkt seine Spielweise schlicht und unaufdringlich, was ihn von anderen Pianisten deutlich unterscheidet: »Neulich war ein chinesischer Pianist im Fernsehen, und der lächelte dauernd in die Kamera, also das hat uns eher abgestoßen«. Dieses angenehm-zurückhaltende Auftreten erklärt aber auch das geringer ausgeprägte Interesse an biographischpersönlichen Informationen über Brendel (»das Biographische hat mich bei ihm nie so interessiert, er ist nicht so eine schillernde Persönlichkeit, dass man da Anteil nimmt an allen privaten Dingen«). Die nah bei »Integrität« liegende Kategorie »Tradition« thematisiert vor allem die Repertoireauswahl Brendels (»die richtige, reine Klassik«), aber ebenso seine Weltanschauung im übergeordneten Sinn (z.B. Bedeutung des reinen Ausdrucks, des Humanitären, aber auch Leidenschaftlichen). In diesem Zusammenhang wird Brendel auch als konservativ eingeordnet, was aber weniger negativ, sondern eher als Qualitätsmerkmal im Sinne von Wertebewusstsein verstanden wird (»Brendel ist wie ein Mercedes: Ein bisschen konservativ, aber gute Arbeit und alles stimmt«). Im unteren rechten Quadranten (Sozialität/Distanz) befindet sich die Wertegruppe »Seriosität«, »Prinzipientreue«, »Werktreue« und »Reife/Abgeklärtheit«, wobei diese Gruppe insgesamt jedoch deutlich schwächer ausgeprägt ist als in der Presseberichterstattung über Brendel. Der ebenfalls dort angesiedelte Wert »Bescheidenheit/Einfachheit« hingegen repräsentiert aus der Perspektive der Anhänger í im Unterschied zur medialen Darstellung í eine zentrale Bedeutung und bildet im Image Alfred Brendels einen Gegenpol zu verschiedenen, bereits erläuterten Wertekategorien aus. So steht dem souveränen Bühnenauftreten Brendels (Bezug zu »Souveräni-
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tät«) ein bodenständiges und zurückgenommenes Verhalten jenseits der Bühne gegenüber. Diese »Bescheidenheit« steht auch der während des Konzerts vermittelten »Emotionalität« entgegen: »Wenn er spielt, möchte man das nicht nur hören und sehen, sondern auch noch einatmen, das strahlt er aber als Mensch nicht aus, da ist er dann doch eher bescheiden«. Aber auch innerhalb des Kontextes »Konzert« wird hier noch weiter differenziert: Während er bei der Aufführung eines Werkes vor allem »Professionalität« verkörpert, so zeigt die Art, wie er auf die Bühne kommt und í noch deutlicher í wie er sich nach dem Konzert verabschiedet, dass er im Grunde ein einfacher, zurückhaltender Mensch ist (»das Verbeugen scheint er mehr als Pflicht zu begreifen, das ist so eine Bescheidenheit als Mensch, im Gegensatz zu dieser enormen Professionalität, die er vermittelt durch sein Spiel«). Bescheiden wirkt überdies seine Repertoire-Beschränkung und sein Verhältnis zum Werk, demgegenüber er als Diener an der Sache fungiert (Bezug zu »Werktreue«). »Seriosität/Ernsthaftigkeit« wird Brendel vorwiegend in Bezug auf seine Arbeit zugeschrieben (»ich habe den Eindruck, dass er da doch sehr ernst bei der Sache ist und sich da doch auch einige Gedanken macht über das, was er spielt«). Obwohl diese Ernsthaftigkeit als vorteilhaft und angemessen empfunden wird, stellt sie aus Sicht der Hörer jedoch immer nur eine Seite der Medaille dar, die ein notwendiges Pendant zu »Verinnerlichung« und »Humor« bilden sollte (»ich fänd es gut, wenn er diesen Stil, den er hat, so beibehält, aber halt so ein bisschen Lebensfreude mit rüberbringt an den Stellen, wo es passt«). Auch »Prinzipientreue« ist ein lediglich schwach ausgeprägter Wert, der hier vor allem meint, dass Brendels Verhaltensweisen gegenüber Musik und dem Beruf des Pianisten aus einer übergeordneten Haltung resultieren, die er konsequent und konsistent lebt (»das entspricht natürlich dem, was er auch schreibt und sicher seinem Selbstverständnis«). So gibt es auch Dinge, zu denen die Anhänger teilweise eine andere Auffassung besitzen, es aber vor diesem Wissenshintergrund akzeptieren (»das fand ich schade, dass er den Abend so abrupt hat enden lassen mit einer Zugabe und Schluß, aber gut, das macht den Künstler aus, das muss man so hinnehmen«). Ebenso sind »Werktreue« und »Abgeklärtheit/Reife« zwei Werte, die in den Äußerungen der Fans nur selten auftauchen und sich im Wesentlichen mit den in der Presseanalyse beschriebenen Ausprägungen bzw. Erklärungen decken. Schließlich seien die Werte »Reflektiertheit/Rationalität« und »Distanz/Introvertiertheit« erläutert. Stellt Reflektiertheit in der Presse einen Kernwert Brendels dar, so spielt er hier nur eine marginale Rolle und wird zudem anders verstanden. So meint Reflektiertheit weniger das »Grüblerische« oder »Verkopfte«, sondern wird als effektives Mittel betrachtet, eine ästhetische Idee bzw. eine persönliche Werkvorstellung in ansprechender
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Weise zu vermitteln und damit zu verwirklichen (Bezug zu »Vermittlung/Rhetorik«). Ein Befragter erwähnt in diesem Zusammenhang auch Brendels »Spielökonomie«: »Ganz fantastisch ist diese Spielökonomie. Man hat nie den Eindruck, dass es etwas Schweres ist, was er spielt. Diese Selbstverständlichkeit erzeugt den Eindruck, keine Bewegung ist überflüssig«. Der Wert »Intellektualität« í eng an »Reflektiertheit« gekoppelt und in den Printmedien ebenfalls stark vertreten í taucht bei den Anhängern interessanterweise überhaupt nicht auf. »Distanz/Introvertiertheit« ist hingegen auffallend stark besetzt und gehört aus der Perspektive der Hörer zu den Kernwerten. »Distanz« wurde bereits im Kontext von »Glaubwürdigkeit« thematisiert, indem es als ehrlich und angemessen erscheint, wenn sich der Pianist in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend anstatt aufmerksamkeitsorientiert bewegt. Solche Distanz wirkt bescheiden und damit sympathisch (Bezug zu »Bescheidenheit« und »Charme«). Des Weiteren gefällt, dass Brendel vorwiegend professionsbezogene Informationen von sich preisgibt und private Dinge eher vom Publikum fernhält. Wird eine gewisse »Distanz« im allgemeinen öffentlichen Auftreten somit durchgehend positiv bewertet, so ist die »Distanz« zum Publikum während eines Konzerts durchaus ambivalent. Einerseits ermöglicht sie die í bereits erwähnte í notwendige Konzentration auf das Werk und dient quasi als Beleg für die »Verinnerlichung« der Musik (»er hinterlässt einen abgeschirmten Eindruck nach außen, die Musik schirmt ihn ab. Er sucht Kontakt zum Publikum, aber er schützt sich mit einem Rahmen um ihn herum«). Diese »ästhetische Blase« um den Pianisten erzeugt dabei eine gewisse Neugier, da sie den Interpreten einerseits distanziert, aber durch die Symbiose von Musik und Person gleichsam das musikalische Erlebnis intensiviert. Auf der anderen Seite evoziert diese Distanziertheit aber auch Irritation beim Publikum: »Er kam rein, machte artig seine drei oder vier Diener und ging dann wieder schnurstracks raus, das wirkte irgendwie ein bisschen kommerziell«. Offenbar wird insbesondere nach dem Konzert eine Abkehr vom eher distanzierten Verhalten gewünscht bzw. »Emotionalität« vermisst: »Ich denk, es hätte ihm noch mehr Sympathie im Publikum eingebracht, wenn er auch mal gelächelt hätte. Er hatte zwar so ein bisschen die Mundwinkel nach oben gezogen, aber nicht so, als wenn dieser starke Applaus ihn im Inneren berührt hätte«). Letztlich wird dieses Verhalten aber als Persönlichkeitszug betrachtet, der Brendels »Individualität« unterstreicht und ihn dadurch charakteristisch erscheinen lässt (»vielleicht ist das mehr In-sich-gekehrte bei ihm ja auch wirklich ein Bekenntnis zur eigenen Mentalität«).
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Persönlicher Bezug Wie die vorherigen Ausführungen verdeutlichen, stellt im Starsystem »Alfred Brendel« nicht nur bezüglich der medialen Darstellung, sondern auch aus der Perspektive der Hörer die Musik selbst den Ausgangpunkt für die Bedeutungskonstruktion dar und weniger die Persönlichkeit des Interpreten bzw. der reine Prominentenstatus. So wird beispielsweise auch bei der Frage »Was würden Sie Alfred Brendel gerne einmal fragen, wenn Sie die Gelegenheit hätten?« nahezu kein Bedarf an persönlich-privaten Details offenkundig; vielmehr interessieren der innere Arbeitsprozess, seine Gedankenwelt im allgemeinen oder Gründe für spezifische musikalische Vorlieben. Dies geht einher mit einer generellen Abgrenzung von Starkult und deren Kommunikationsweisen. Typische Fragen in Interviews mit Prominenten (Welches Buch lesen Sie gerade? Was ist Ihr Lieblingsessen?) werden als oberflächlich und irrelevant empfunden. Zudem gilt die Veröffentlichung zu privater Informationen als unangemessene Intimität, die eher abstoßend wirkt. Daher ist auch Distanz í wie die Analyse zeigte í einer der bedeutsamsten Werte überhaupt, da er nicht nur Respekt gegenüber dem Interpreten beinhaltet, sondern auch die Möglichkeit zur kulturellen Distinktion bietet. Gleichzeitig vollziehen die Hörer aber auch einen Transfer auf die Persönlichkeit und damit eine Emotionalisierung. »Rationale« ImageKomponenten sind also mitnichten »rationale Erlebnisse«. Im Gegenteil: Bis zu einem gewissen Ausmaß ist Rationalität sogar Bedingung für ein emotionales und authentisches Erlebnis. So ist ein Wert wie Charme beispielsweise eng an Perfektion gekoppelt, wobei erst die perfekte Performance eine charmante Ausstrahlung bewirkt, aber gleichwohl Charme eine Basis professionellen Auftretens als Pianist ist. In ähnlicher Weise wirkt auch Distanz zum Publikum während eines Konzerts auf den ersten Blick kühl und rational, ist aber ebenso eine Voraussetzung für die Symbiose von Interpret und Werk und damit Basis für ein intensives Musikerlebnis. Wichtiger Aspekt bei der Emotionalisierung sind in Bezug auf das Konzerterlebnis außerdem die visuellen Hinweisreize, da sie einen ganzheitlichen Kontext erzeugen und Rückschlüsse auf die Empfindungswelt des Pianisten zulassen bzw. Raum für deren Imagination eröffnen. Trotzdem bleibt í wie die Analyse zeigte í bisweilen ein diffuser »Wunsch nach mehr«, der sich manchmal auch nur hinter einer Frage versteckt: »Manchmal würde mich ja schon interessieren, was er eigentlich über sein Publikum denkt«. Letztlich wird aber gerade dies als geheimnisvoll empfunden und macht für Brendels Publikum in Zusammenhang mit der ihm zugeschriebenen Skurrilität wiederum seinen liebenswürdigen Charakter aus.
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DER MUSIKSTAR
Erwähnenswert ist hinsichtlich genereller Aspekte der Imagekonstruktion in diesem Zusammenhang das Verhältnis zur Presse. So werden Konzertrezensionen gelesen und mit der eigenen Wahrnehmung verglichen. Einerseits können diese Kritiken Zustimmung erzeugen oder sogar einen Erkenntnisgewinn bieten (z.B. ein Verständnis für relevante Gütekriterien zur Beurteilung eines Konzerts). Andererseits erfolgt häufig eine bewusste Distanzierung, entweder aufgrund andersartiger persönlicher Erfahrung oder als Kritik am Rezensionsstil im allgemeinen: »Hier erhält der Kritiker die Möglichkeit, sein Detailwissen anzubringen, meist geht es weniger um das Konzert als darum zu sagen, ja, der Brendel ist ganz toll und ich, der Kritiker, kenn mich sehr gut aus«. Insbesondere missfällt die akribische Fehlersuche der Rezensenten, die das ganzheitliche Konzerterlebnis a posteriori elementarisieren und damit seiner Emotionalität berauben.
6.1.5 Zusammenfassung: Kern-Komponenten des Images von Alfred Brendel Interessanterweise zeigen sich im Vergleich der Inhaltsanalysen des Printmaterials und der Rezeptionsstudie enorme Unterschiede. Dominieren seitens der Zeitungen vor allem die zwei auf Distanz basierenden, in der Abbildung rechts liegenden Werte-Quadranten, so verlegen die Hörer das Wertespektrum Brendels deutlich in den oberen linken Quadranten und gewichten damit Image-Komponenten, die emotional-individuell ausgerichtet sind (statt distanziert bzw. rational-individuell). Dieser Effekt zeigte sich nicht nur in der Fokussierung bzw. Thematisierung unterschiedlicher Werte, sondern auch in der unterschiedlichen Semantisierung von – zum einen in der Presse, zum anderen beim Publikum – präsenten Komponenten. Betrachten wir in diesem Zusammenhang die drei im theoretischen Teil herausgearbeiteten Star-Dimensionen genauer: Die Dimension »Nähe/Distanz« erscheint í anders als bei den anderen beiden Interpreten í als multi-perspektivisches Konstrukt. Sie inkorporiert hier sowohl das Verhältnis von Werk und Interpret, von Verstand und Gefühl als auch von Interpret und Publikum. Wie die Analyse der Printmedien zeigte, repräsentiert das Werk gegenüber dem Pianisten eine Autorität bzw. eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Insgesamt erscheint Musik somit als autonome Größe, die unabhängig von der Person des Interpreten beschrieben wird (in der Presse wie auch bei den Hörern). Sie ist nicht unmittelbarer Ausdruck der Gefühlswelt des Pianisten, auch wenn sie mit ihr übereinstimmen oder sie unterstützen kann. Musik ist vielmehr eine Größe, an der sich der Interpret misst. Brendel vollzieht also während der Aufführung eine Annäherung an das Werk, bei der eine Balance zwischen völliger
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Verschmelzung mit der Musik und kontrolliertem Respekt vor der Werkstruktur angestrebt wird. Dieses reizvolle Wechselverhältnis drückt sich z.B. in der Gleichzeitigkeit von Empathie (= einem Sich-Einfühlen in die Musik) und Feinheit (= distinguierte Zurückhaltung durch Vermeidung übertriebener Effekt-Suche) aus. Als Form von Nähe kommuniziert sich dem Publikum dabei insbesondere eine überzeugende Nachvollziehbarkeit und Logik der Interpretation (Wertekategorie »Vermittlung«) wie auch eine erlebte Spontaneität/Leichtigkeit, die das Erklingen eines Werks als etwas Selbstverständliches erscheinen lassen. Auch Fehlbarkeit und die Vorliebe immer wieder neuer Einspielungen der gleichen Werke erzeugen bei den Rezipienten ein Gefühl der Nähe, da sie als sympathische Form von Unvollkommenheit wahrgenommen werden und damit die Glaubwürdigkeit erhöhen. Gleichzeitig wird eine gewisse Distanz zum Werk eingefordert, da dieses nur so seinen Charakter und seine Gültigkeit behält und nicht durch zu individuelle Interpretationen »verkünstelt« und damit un-authentisch wird. Dies thematisiert wiederum das Verhältnis von Verstand und Gefühl als zweite Basis der »Nähe/Distanz«-Dimension. So stehen die von Brendel repräsentierte Reflektiertheit und Kontrolliertheit für eine gewisse Distanz, was zum einen das Werk betrifft, aber auch das Konzerterlebnis. Gleichzeitig ist Konzentration die Grundlage für Emotionalität, da sie die komplette Fokussierung auf die Musik impliziert. Souveränität und Größe í als korrespondierende Attributionen auf die Gesamtpersönlichkeit lassen Distanz damit zu einem Mittel zur Qualitätssicherung des musikalischen Erlebnisses werden. Schließlich ermöglicht auch die von den Hörern erlebte Distanz des Interpreten zum Publikum (dritte Basis der »Nähe/Distanz«-Dimension) überhaupt erst die Nähe zu Werk und Komponist. Eine gewisse Reflektiertheit und Introvertiertheit sichert überdies die Ernsthaftigkeit des Interesses an der Musik, indem als positiv erscheint, dass der Interpret sich viele Gedanken über seine Arbeit und die repräsentierten Werke macht. Die emotionale Brücke zum Publikum erschließt sich dabei über Brendels Fähigkeit zur Vermittlung, indem er sein Konzertrepertoire für die Hörer lebendig werden lässt und damit überhaupt erst erfahrbar macht, was wiederum ein Gefühl der Nähe erzeugt. Zudem können die Hörer durch den Prozess der Wertschätzung des Pianisten sowohl distanzierte Anerkennung als auch ein Verständnis für ihn und seine Arbeit zum Ausdruck bringen. Ferner wird Brendels Abgrenzung von stereotypen Star-Allüren und damit eine Distanz zur allgemeinen Praxis der privaten Enthüllungen als positiv und angemessen erlebt, was emotionales Involvement durch Glaubwürdigkeit und Bescheidenheit evoziert.
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DER MUSIKSTAR
Auf der Dimension »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit« würde man Brendel ad hoc eher nahe dem »Gewöhnlichkeits-Pol« verorten, da in der Analyse insbesondere der Wert Integrität für sein Image als bedeutsam zu betrachten ist. Dennoch sind auch hier Differenzierungen zu treffen. Versteht man Gewöhnlichkeit zunächst im Sinne eines Nicht-Ausbrechens aus geltenden Normen, so betrifft dies in Bezug auf Brendel vor allem seine Arbeit als Pianist. Das Bewusstsein für klassische Traditionen wie auch die Planung interpretatorischer Umsetzungsstrategien und die Kontrolle unangemessener oder übertriebener Effekte unterstützen das Bild des maßvoll und besonnen agierenden Stars, der die Aufmerksamkeit nicht auf sich selbst, sondern auf die Musik legen möchte. Entsprechend zeigte die Analyse, dass eine Interpretation in der Presse als besonders gelungen bezeichnet werden kann, wenn der Pianist während der Symbiose mit dem Werk geradezu »unsichtbar« wird, auch wenn diese Zurücknahme aus Sicht der Hörer durchaus Grenzen hat und diese ebenso ein Bedürfnis nach emotionalen Hinweisreizen zeigen, die wiederum den Bezug zur Person Brendel herstellen. Außergewöhnlichkeit auf der anderen Seite ist bei Brendel nicht í wie z.B. bei Robbie Williams í als Ausbruch aus Normen zu verstehen, sondern nahezu ausschließlich im Sinne des Herausragens durch besondere pianistische Leistungen, einem perfektem Auftreten und einem hohen Ausmaß an Intellektualität. Erweitert wird diese Außergewöhnlichkeit noch um die Ebene des Seltenheitscharakters, der sich in zahlreichen Labels widerspiegelt, mit denen Brendel in der Presse etikettiert wird.68 Auf Interpretationsebene erscheint Außergewöhnlichkeit vor allem in subtiler Form als Spiel mit Erwartung und Überraschung. Neben dieser rein musikimmanenten, sehr fokussiert-spezialisierten Außergewöhnlichkeit wird Brendel interessanterweise gerade aufgrund seiner Integrität und Zurücknahme in der Welt der aktuellen Klassik-Stars bereits wieder als außergewöhnlich und individuell beschrieben, da in Zeiten aufmerksamkeitsorientierter Kulturpraxis gerade das Anti-Exzentrische und Introvertierte bereits wieder ein Zeichen von Originalität ist. Trotz der vor allem in der Presse betonten integrierten Emotionalität und Individualität í also dem kontinuierlichen Agieren auf werkmaterieller Basis í zeigten sich aus der Perspektive der Anhänger vor allem durch Rückgriff auf visuelle Hinweisreize auch musikunabhängige Attributionen von Außergewöhnlichkeit. So wurde sein öffentliches Auftreten als sympathisch-skurril beschrieben und insbesondere sein Gesicht als markant und außergewöhnlich. Bezüglich der Dimension »Realität/Fiktion« bewegt sich die öffentliche Präsentation und Wahrnehmung Brendels deutlich im Bereich Realität. So ist der Respekt vor dem Werk auch als Anerkennung seiner materiellen 68 Vgl. Abb. am Ende von Kapitel 6.1.5.
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Realität zu verstehen, die nicht nur Ausgangslage für eigene künstlerische Aktivität ist, sondern dabei auch in ihren wesentlichen Bedeutungsstrukturen erhalten bleibt und nicht entstellt oder verfremdet wird. Auch der übergeordnete Arbeitsstil Brendels, in dessen Zentrum das Analytische und Nicht-Verklärende steht, verbunden mit Disziplin und Pflichtbewusstsein, zeigt ein realitätsorientiertes Mind-Set. Fiktion wird jedoch zur legitimen Fiktion, wenn sie sich im Rahmen interpretatorischer Vorstellungswelten abspielt. So ist bei der Beschreibung musikalischer Aufführungen sowohl in der Presse als auch bei den Hörern durchaus von Transzendenz und dem »Entführen in eine andere Welt« die Rede. Diese Welten bleiben in der Darstellung jedoch eher allgemein bzw. erscheinen als individuelle persönliche Erlebnisse, die in der Kommunikation lediglich abstrakt vermittelt werden. Fiktionalität ist hier also insgesamt eine an die Werkrealität gebundene, auf ihrer Basis aufbauende Fiktion. Bezüglich der Verortung auf den zentralen Stardimensionen sei hier noch ein Blick auf eine Nebenauswertung angefügt. So ist die in der Presse dominante Themenkategorie »Interpretation« zwar immer auf die Verbindung von Werk und Interpret ausgerichtet, beleuchtet in der sprachlichen Vermittlung aber die ganze Bandbreite seines Images. Die Folgenden seien zur Veranschaulichung alle Adverbien aufgelistet, mit denen die Spielweise Brendels, bezogen auf konkrete musikalische Strukturmomente, charakterisiert wird. Hierdurch wird ersichtlich, dass auch eine zunächst rational anmutende Kategorie durchaus vielfältige emotionale Bedeutungsräume öffnen kann: Abschattierend, akzentuiert, akribisch, alabasterreif poliert, analytisch, aufgeräumt, aufmerksam, ausdrucksbesessen, ausgelotet, ausgewogen, balsamisch, beherzt, berückend, beseelt, bestechend, beredt, betörend, beweglich, brillant, brüsk-motorisch, delikat, deutlich, detailliert, differenziert, diskret, distanziert, distinguiert, donnernd, dramatisch, dreidimensional, duftig, dynamisch gestuft, eindringlich, ekstatisch, elegant, elegisch, energielos, energisch, entschieden, entschlossen, entsentimentalisiert, entrückt, erzählend, expressiv, exquisit, entschieden, erfüllt, farbenreich, federleicht, feingliedrig, fein ziseliert, feurig, flanierend, flegelhaft, fließend, frei, fremdartig, gedankenschwer, gefasst, gefühlvoll, geheimnisnah, geistreich, geistvoll, gelassen, genau, genüsslich, gerundet, geschliffen, gewissenhaft, glasklar, glockig, glühend, gradlinig, grandios, graziös, grimmig, großartig, heiter, heroisch-ehern, humorvoll, innig-verhalten, intellektuell, irdisch, kalkuliert, kantig, keck, klar gegliedert, klanggestisch reich, klassisch, klassizistisch, knorrig, körperlich, körperlos, kokettierend, kompromisslos, kraftvoll, kristallklar, kühl, kunstvoll, langweilig, leidenschaftlich, lieblich, lyrisch, makellos, manieristisch, meditativ, meisterhaft, mit Bedacht, mitreißend, melodiös, modelliert, monumental,
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DER MUSIKSTAR nachdenklich, naiv, natürlich, nicht säuselnd, nobel, nuanciert, österreichischbärbeißig, originell, pedantisch, perlend, perspektivisch, philosophisch, plastisch, poetisch, pointiert, poliert, prägnant, rätselhaft, reich, robust, romantisch, routiniert, sachlich, sanftmütig, schattierend, schlitzohrig, schmal, schmerzverzagt, schmunzelnd, schnörkellos, schroff, schwebend, schwungvoll, sehnsuchtsvoll, sensibel, singend, spritzig, stimmig, sorgfältig, souverän, spätstilhaft, spirituell, stilsicher, straff, streng, strukturiert, subtil, subtilisierend, taufrisch, terrassiert, tiefgängig, tiefgründig, tiefmelancholisch, tiftelig, tragisch-energisch, transparent, träumerisch, treffsicher, trennscharf, trotzig, überdistinguiert, übermütig, überzeugend, unangestrengt, uneitel, unerbittlich, ungewöhnlich, unmittelbar, unpersönlich, untadelig, variabel, vergnügt, verhalten-expressiv, verliebt, verschmitzt, verschroben, verwegen, virtuos, vollendet, vornehm, witzig, zärtlich, zart, zertanzt, zugespitzt, zurückhaltend
Abschließend seien die Kernwerte Alfred Brendels sowie die ihm medial zugeschriebenen Labels veranschaulicht. Im Gegensatz zu den anderen beiden Interpreten gibt es hier auch einen Bereich von Etikettierungen, der außerhalb der eigentlichen Kernwerte liegt. D.h. die innerhalb der Ellipse liegenden Begriffe beziehen sich auf Bedeutungsbereiche, die vornehmlich in der Presse anzutreffen sind (z.B. die Betonung von Intellektualität und Analytik und die Beziehung zwischen Klassik und Bürgertum), nicht aber bei den Hörern.
INDIVIDUALITÄT
Der große alte Brendel
Legende Grandseigneur des Piano
Sensibilität
Pianistische Autorität
Vermittlung
Sanftmütiger Zyniker
Ausgefuchster Konzeptmusiker
Philosoph am Klavier
Frischhalte-Experte Künder der Wiener Charakterspieler Klassik
Augenzwinkernder Allrounder
Charismatiker ohne GlamourAllüren Abgeklärter Ironiker
NÄHE
Größe/Erfolg Letzter Klavier-Titan der musikalischen Welt
Perfektion
Piano-Star
Klaviererzähler
Skeptischer Feingeist
Ausnahme-Pianist
Artiste étoile
Klavier-Matador Großmeister des Piano Kenner Noten-Pedant Der Tüftler unter den
Tastentigern Anschlagsphänomen Diener am Instrument DISTANZ
Humor Der seriöseste aller Humuristen
Analytiker Forscher
Letzter Pianist der bürgerlichen Utopie Der letzte bürgerliche Universalgelehrte am Flügel
Lordsiegelbewahrer der Wiener Klassik
SOZIALITÄT
Abbildung 5: Mediale Labels für Alfred Brendel
200
Der Ausdeuter Der GefühlsDer Für-Sich- Terminator Spieler
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
6.2 Stefanie Hertel 6.2.1 Einleitung Stefanie Hertel (geb. 1979 in Oelsnitz/Vogtland) gilt als erfolgreichste Interpretin volkstümlicher Musik im deutschsprachigen Raum. Im Unterschied zur Volksmusik í im allgemeinen verstanden als amateuristische, regional gebundene und mündlich überlieferte Musikart í stellt die volkstümliche Musik eine Spielart dieses Genres dar, die vor allem massenmedial verbreitet und professionell in hoch-arbeitsteiligen Produktionsprozessen hergestellt wird. Die zunehmende Ausdifferenzierung in diverse Sub-Stile stellt zumeist eine Anlehnung an andere Musikarten dar (z.B. Alpenrock oder volkstümlicher Schlager), die eine einheitliche musikbezogene Definition volkstümlicher Musik erschwert bzw. als nicht sinnvoll erscheinen lässt. Vielmehr ist der Mitte der 80er entstehende Boom volkstümlicher Musik weniger durch die Musik selbst als durch die Inszenierung eines umfassenden Lebensgefühls zu erklären, das Werte wie Ehrlichkeit, Heimat etc. ins Zentrum stellt und über verschiedene Kanäle transportiert. Wichtig hierfür sind neben der Musik insbesondere die Liedtexte, das visuelle Erscheinungsbild der Interpreten und zugehörige Informationen über ihr Privatleben, die zu einem geschlossenen, glaubwürdigen Bild beitragen. Das Verständnis von volkstümlicher Musik als »medienbasiert« meint zweierlei: Zum einen stellt die massenmediale Verbreitung die Grundlage der Vermarktung des Künstlers dar, indem sie ihm ermöglicht, mit dem Erreichen eines zunehmenden Bekanntheitsgrades lukrative Einkommensquellen zu erschließen. Zum anderen ist insbesondere das Fernsehen die Basis des gesamten Volksmusiksystems, indem es den Ausgangspunkt des volkstümlichen Erfolgszuges durch die Mediengesellschaft darstellt. Als mit der Entstehung des Privatfernsehens der Kampf um die Gunst des Zuschauers offensiv betrieben wurde, erkannten zunächst die kommerziellen Sender den quotenverdächtigen Trend volkstümlicher Unterhaltung. Doch da es sich bei den Zuschauern um eine für die Werbewirtschaft uninteressante Zielgruppe handelte, überließen RTL und SAT1 schon bald den öffentlich-rechtlichen Sendern das Feld, da diese zwar nicht zielgruppenabhängig, aber nichtsdestotrotz auf hohe Einschaltquoten angewiesen sind, um letztlich die Rundfunkgebühren zu legitimieren.69 Erfolgreiche Fernsehformate wie »Musikantenstadl« oder die »Feste der Volksmusik« belegen attraktive Sendeplätze zur »Prime Time« und gehören mit 6 bis 8 Millionen Zuschauern zu den meistgesehenen Sendungen im deutschen Fernsehen. Für die Konsumenten stellt das Medium Fernsehen eine Niedrigkostensituation dar und erfüllt damit optimale Promotion69 Vgl. Borgstedt 2001, S. 4.
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DER MUSIKSTAR
bedingungen. Entsprechend dient es aus der Sicht des Managements als wichtigstes Instrument zur Ankurbelung des Verkaufs von Konzertkarten, aus dem Interpreten wie Stefanie Hertel 75% ihres Einkommens erzielen, wohingegen der Tonträgerverkauf in der volkstümlichen Musik í abgesehen von wenigen Ausnahmen í mittlerweile als marginal einzustufen ist. Stefanie Hertel begann ihre Karriere bereits im Alter von vier Jahren, zunächst in Begleitung ihres Vaters, der in der DDR ein bekannter Stimmungssänger und Jodler war. Nach einem Auftritt bei der »Volkstümlichen Hitparade« im ZDF (1990) nahm sie der Münchener Medienmanager Hans R. Beierlein als Künstlerin unter Vertrag und beauftragte ein zugehöriges Team für die Herstellung des Repertoires. Der Durchbruch gelang mit dem Sieg beim »Grand Prix der Volksmusik« 1992 in Zürich, dem sich 1993 die erste Tournee anschloss. Die zahlreichen Preise und Auszeichnungen, die ihr in den darauffolgenden Jahren verliehen wurden, verweisen auf eine kontinuierliche Präsenz in den Medien und einen dauerhaften Erfolg bzw. lösen entsprechende Inferenzen bei Presse und Anhängern aus. Seit 1995 beginnt sich auch die Boulevardpresse für die Sängerin zu interessieren í vor allem wegen ihrer Beziehung zum Trompeter Stefan Mross, mit dem sie mittlerweile eine Tochter hat. Von Stefanie Hertel existieren zahlreiche CDs, zumeist als Solo-Alben mit Neu-Kompositionen, aber auch gemeinsame CDs mit ihrem Vater und ihrem Freund.70 Vor allem ist Hertel aber auf zahlreichen VolksmusikCompilations präsent. Diese Sampler entstehen zumeist auf Basis von entsprechenden Fernsehsendungen oder Wettbewerben. Für drei ihrer CDs wurden zugehörige Filme entwickelt, die im Fernsehen gesendet wurden. In diesen Sendungen wird die Sängerin in einem ausgewählten Setting (z.B. Ibiza für das Album »Es ist gut, dass es Freunde gibt«) in verschiedenen Situationen gezeigt (z.B. am Strand spazierend, vor schöner Naturkulisse stehend), in denen sie entweder die zugehörigen Lieder singt oder ein Kommentar aus dem Off läuft (z.B. Informationen über ihre Person oder ihre berufliche Tätigkeit). 2005 erschien eine DVD mit einem Live-Konzert aus Brandenburg (gemeinsam mit Vater und Freund) inklusive einer Dokumentation der Arbeit auf Tournee und weiterem Bonusmaterial. Zentrale Fanartikel sind Kalender mit Hertelfotos für jeden Monat sowie Tassen und T-Shirts. Die Web-Site (www.hitfamily.de) enthält u.a. aktuelle Fernsehund Live-Termine, Bildergalerien, ein Forum sowie zahlreiche Links zu den einzelnen Fanclubs und Institutionen, Sendungen und Personen aus der volkstümlichen Szene.
70 Im Bereich der volkstümlichen Musik sind die Alben überdies auch noch als Kassette erhältlich, da dieses Format hier nach wie vor breite Verwendung findet.
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6.2.2 Printmedien Als Grundlage für die Presseanalyse von Stefanie Hertel dienen alle Artikel aus folgenden Zeitungen und Zeitschriften im Zeitraum 1995 bis 2003: BILD, BUNTE, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ), »Süddeutsche Zeitung« (SZ), »Der Tagesspiegel« (TSP) und »Die Welt« (Welt). Aufgrund der eingeschränkten Zugänglichkeit konnten von der Publikumszeitschrift »Stars & Melodien« nur die Jahrgänge 1998, 1999 und 2003 berücksichtigt werden. Von der Gesamtmenge an Treffern, die die Datenbanken bei Eingabe des Namens »Stefanie Hertel« auflisteten, konnten insgesamt 113 in die Auswertung einbezogen werden. Die Artikel verteilen sich wie folgt:
BILD BUNTE Frankf. Allg. Zeitung Süddeutsche Zeitung Der Tagesspiegel Die Welt Stars & Melodien insgesamt
Hauptartikel 14 5 0
Teilartikel 19 11 6
Bezugsartikel 0 4 2
insgesamt 33 20 8
0
9
2
11
0 0 15 34
9 5 4 63
0 3 5 16
9 8 24 113
Tabelle 5: Verteilung der Artikelkategorien über die ausgewählten Printmedien Bereits hier zeigt sich, welche Medien für Stefanie Hertel die relevanten Distributionsorgane sind. So sind Hauptartikel nur in den personenbezogenen Zeitungen bzw. Zeitschriften zu finden, wobei in keinem Fall die Musik selbst bzw. die Veröffentlichung eines neuen Tonträgers oder ein Konzert einen Anlass für einen Bericht darstellt, weder in der Tagespresse noch in der Publikumszeitschrift. Im Vordergrund stehen hier allgemeine Reportagen ohne spezifischen Anlass. Einzig die Geburt des Babys lässt sich als konkreter Berichterstattungsanlass identifizieren. Im Gegensatz zu diesen Kontinuität stiftenden, umfangreichen Berichten sind Teilartikel vor allem Meldungen aus aktuellem Anlass: Preisverleihungen (z.B. Medienpreis »Goldene Henne«), Geburt der ersten Tochter und spezielle bis ungewöhnliche Aktivitäten der Interpretin (z.B. Jonglier-Auftritt bei einer Gala des Circus Krone, Präsentation der eigenen Schmuck-Kollektion oder GesangsPerformance auf einer Bergtour mit Reinhold Messner). Stefanie Hertel wird zudem häufig als Beispiel herangezogen, wenn es um Volksmusik im allgemeinen geht, wobei die Berichte hierüber in FAZ, SZ, TSP und Welt fast ausschließlich einen karikierenden Unterton besitzen (z.B. »Sie ist 21,
203
DER MUSIKSTAR
stammt aus dem Vogtland, ist ihrem Stefan versprochen, singt Lieder zum Jammern des Akkordeons, in denen sich Wald auf Schmerz reimt und Liebe auf Holdriodidüdeldu«71). In den Bezugsartikeln aus diesen Medien fungiert Stefanie Hertel entsprechend als Symbol für biedere Kindlichoder Dümmlichkeit. So heißt es in einem Bericht über die Band »Die Ärzte«, dass diese sich offenbar »daheim im Kämmerlein wie Stefanie Hertel jeden Schnipsel über sich mit der Bastelschere ausschneiden und mit »Uhu Flinke Flasche« in ein Album pappen«.72 Ganz anders die Bezugsartikel aus den eher wohlwollenden Medien BUNTE und »Stars & Melodien«. Hier kann Stefanie Hertel u.a. als Vorbild dienen, z.B. indem sie als Prominente angeführt wird, die es für selbstverständlich hält, mit ihrem Partner das Sorgerecht für das gemeinsame Kind zu teilen, auch ohne verheiratet zu sein.73 In Bezugsartikeln der Zeitschrift »Stars & Melodien«, die sich nahezu ausnahmslos einer kritiklosen Anpreisung volkstümlicher Interpreten verpflichtet fühlt, ist Stefanie Hertel Aushängeschild (»Top-Gast«) exklusiver Events wie der Mittelmeer-Kreuzfahrt »Musi auf See 2004 í Mit Ihren Lieblingsstars auf großer Fahrt«. Die BILD-Zeitung nimmt insgesamt eine ambivalente Position ein, auf die in der Darstellung der einzelnen Themenkategorien näher eingegangen wird. Zunächst soll ein Blick auf die Entwicklung der Berichterstattung im ausgewählten Zeitraum geworfen werden:74
71 72 73 74
TSP, 7.7.2001. SZ, 30.10.2001. Vgl. BUNTE, 8.5.2002. Da von der Zeitschrift Stars & Melodien nur einzelne Jahrgänge ausgewertet wurden, lässt sich hier keine Chronologie der Berichterstattung erstellen.
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16 14 12 BILD
10
FAZ SZ
8
BUNTE TSP
6
Welt
4 2 0 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Abbildung 6: Anzahl der Hauptartikel in den Jahren 1995 bis 2003 in den Printmedien Auffallend ist insbesondere der plötzliche Anstieg der Medienaufmerksamkeit im Jahr 2001 und í nach einem kleinen Einbruch í im Jahr 2003. Diese vor allem durch die BILD-Zeitung bewirkten Höhepunkte lassen sich auf wichtige Ereignisse im Privatleben Stefanie Hertels zurückführen. 2001 kommt nach einer vorherigen Fehlgeburt (2000) die erste Tochter der Sängerin zur Welt (zugehöriges Label laut BILD-Titelseite: »Das Superbaby der Volksmusik«75). Dieses Ereignis ist Anlass einer großen Serie über die neue Mutterrolle Hertels mit äußerst detailreichen Schilderungen des Alltags inklusive Baby-Pflege und aktuellem Wohlbefinden plus zugehöriger Emotionen. Ähnelt dieser Ausschnitt der Berichterstattung auffallend stark dem wohlwollenden Grundtenor von »Stars & Melodien« zum gleichen Thema, wird die Sängerin 2003 vor allem mit einem Negativ-Ereignis verknüpft. Nach fehlenden Berichterstattungsanlässen aufgrund der Babypause (2002) sorgt im Sommer 2003 insbesondere das sogenannte »AlkoholDrama« für Schlagzeilen.76 2001 und 2003 sind auch die einzigen Jahre, in denen das Image Stefanie Hertels in allen untersuchten Medien als zentraler
75 BILD, 28.11.2001. 76 Gemeint ist hiermit eine Veranstaltung, in deren Anschluss Stefan Mross angeblich mit einer Alkoholvergiftung bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert wurde und Stefanie Hertel währenddessen mit einem anderen Mann in dessen Auto übernachtete.
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Inhalt oder lediglich als Bezugsanker zumindest eines Artikels auftaucht. Während die Geburt des Babys jedoch überall Erwähnung findet, gibt es bezüglich des »Alkohol-Dramas« keine Meldungen in FAZ, SZ und Welt.
6.2.2.1 Themenanalyse Insgesamt resultierten die 113 bearbeiteten Artikel in 1178 Codes, von denen 542 als inhaltlich bedeutungsrelevante Codes eingeordnet werden können. Die folgende Übersicht veranschaulicht die Themenverteilung und zeigt die Anteile derjenigen Codes, die für die anschließende Werteanalyse verwendbar sind. Themenkategorie
Gesamtzahl Codes
1.) Alltag/Privatleben 2.) Beziehungsleben 3.) Typ Mensch 4.) Befindlichkeiten 5.) Heimat/Familie 6.) Professioneller Stil 7.) Äußere Erscheinung 7.) Herkunft/Entwicklung 9.) Aktivitäten/Hobbys 10.) „Trompeterkrieg“ 11.) Berufliche Laufbahn 12.) Reaktionen Publikum 13.) Bezug zum Publikum 14.) Merchandising 15.) Erfolg 15.) Äußerung zu allgemeinen Themen 15.) Management 15.) Zukunftspläne 19.) Meinungen anderer zu SH 20.) Auszeichnungen 21.) Finanzielles/Besitz 22.) Beschreibung Musik 23.) Presseberichterstattung allgemein Insgesamt
213 210 84 82 66 58 50 50 43 39 31 30 26 23 22 22
Anzahl relevan- Anzahl ter Codes Image-Codes in %77 79 37,1% 82 39,0% 75 89,3% * 50 61,0% * 54 81,8% * 42 72,4% * 33 66,0% * 39 78,0% * 31 72,1% * 4 10,3% 11 35,5% 13 43,3% 18 69,2% * 2 8,7% 19 86,4% * 11 50,0% *
22 22 21 18 17 17 12
3 7 1 18 5 4 0
13,6% 31,8% 4,8% 100% * 29,4% 23,5% 0%
1178
601
46%
Tabelle 6: Themenkategorien Stefanie Hertel Die Kategorie »Alltag/Privatleben« ist bei Stefanie Hertel besonders ausgeprägt. So lassen sich vielfältige, scheinbar belanglose Einzelheiten aus 77 Die Sternchen markieren die Kategorien mit überdurchschnittlich vielen ImageCodes.
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dem Leben Hertels vor allem in »Stars & Melodien« finden í von der bevorzugten Farbe der Zahnbürste bis zur Erledigung der Gartenarbeit. Bereits auf dieser Ebene werden jedoch spezifische Vorstellungswelten mitgeliefert, wie z.B. die Bedeutung von Häuslichkeit (»Haushalt ist mein Hobby«78) oder des früh erlernten Pflichtbewusstseins (»Jeder musste fleißig mit anpacken, damit der Laden lief«79). Stehen bei der Berichterstattung über Schicksalsschläge (wie Unfall, Stimmbanderkrankung oder Fehlgeburt) der reife und besonnene Umgang Hertels mit diesen im Vordergrund, bildet in der BILD-Zeitung der dramatisch-bedrohliche Charakter das Zentrum. Das kontinuierliche Aufzeigen der Diskrepanz von Schönheit/Erfolg und Schicksal (»Unser schönster Volksmusikstar hat einen schlimmen Schicksalsschlag erlitten«80) erfüllt die Funktion, die Vergänglichkeit von Glück sichtbar zu machen, was bei den Lesern sowohl Entlastung (»gut, dass mir das nicht passiert ist«) als auch Anteilnahme (»die arme Stefanie«) bewirken kann, aufgrund des Bekanntheitsstatus der Interpretin aber in jedem Fall allgemeine Aufmerksamkeit erzielt, die nicht auf die Fangemeinde beschränkt bleibt. Die Tatsache, dass sich in der Kategorie »Alltag/Privatleben« relativ wenig Image-Codes befinden, obwohl es quantitativ die häufigste Kategorie ist, liegt nicht an der Thematik, sondern an der Art der Darstellung. So werden alltägliche Routineabläufe (z.B. der Verlauf einer Shopping-Tour in Begleitung der BUNTE-Redaktion) zumeist äußerst detailgetreu umschrieben. Solche Alltagsgeschichten im Tagebuch-Stil, die hinsichtlich des Images aufgrund reiner Tätigkeitsbeschreibungen wenig informativ sind, bieten den Fans einen kontinuierlichen Informationsfluss und suggerieren einen tatsächlichen í nicht rein sensationsbezogenen í Einblick in ihr Privatleben und damit potentielle Glaubwürdigkeit. In ähnlicher Weise enthält auch die Kategorie »Beziehungsleben« zahlreiche Detailbeschreibungen erster Begegnungen zwischen Hertel und Mross, Pläne einer gemeinsamen Wohnung oder die permanent repetierten Hochzeitsgerüchte, weshalb die Anzahl an Image-Codes hier ebenso unterdurchschnittlich ist, wenngleich deutlich höher als in der ersten Kategorie. Auffallend ist also auch bei dieser Kategorie die Erzeugung narrativer Erzählstränge, wobei zwei Muster zentral sind: Zum einen wird die Beziehung als Erfolgsstory dargestellt (»Aus rosaroter Schwärmerei wurde eine ernstzunehmende Partnerschaft«81), in der alle Höhen und Tiefen gemeinsam bewältigt werden und deren Qualität ständig zunimmt.82 Zum anderen wird eine narrative Dynamik aus dem Wechselspiel von Heirats- und Tren78 79 80 81 82
Stars & Melodien, Mai 1999. Stars & Melodien, Mai 2003. Gemeint ist hier der elterliche Bauernhof. BILD, 23.02. 2000. Stars & Melodien, März 1998. Diese Darstellung trifft vor allem auf die Zeitschrift »Stars & Melodien« zu.
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nungsgerüchten erzeugt, wodurch das äußerst imagerelevante Label »Traumpaar der Volksmusik« mit Hilfe der diskursiven Praktik »Demontage mit anschließender Rekonstruktion« í und vice versa í einen Kontinuität gewährleistenden Spannungsbogen erhält. Dieses zweite Muster ist insbesondere für die sensationsorientierte Berichterstattung in BUNTE und BILD kennzeichnend. Da in der Kategorie »Typ Mensch« die wichtigsten Persönlichkeitseigenschaften í und damit die zentralen Image-Komponenten í der Sängerin aus Sicht der Presse gebündelt sind, werden ihre Inhalte Gegenstand der Werteanalyse sein und daher hier nicht separat ausgeführt. In der Kategorie »Befindlichkeiten« wurden alle dokumentierten Gemütsschwankungen von Stefanie Hertel gesammelt, die in der Berichterstattung einen großen Raum einnehmen. So wird ein Ereignis fast nie erwähnt, ohne ihre zugehörigen Emotionen zu beschreiben bzw. sie von ihr beschreiben zu lassen. Dies betrifft nicht nur private Erlebnisse, wo dies recht naheliegend ist (»Als sich 2001 unser Töchterchen Johanna ankündigte, haben wir vor Freude geweint«83), sondern auch professionelle Aktivitäten wie die Teilnahme an einem Wettbewerb (»Als ich mein Siegerlied nochmals vortrug, konnte ich meine Tränen nur bis zum letzten Satz zurückhalten, dann flossen sie in Strömen«84). Wie bereits aufgrund der Art der Berichterstattung über Hertels Privatleben in der BILD-Zeitung zu vermuten, setzt dieses Medium auch hier auf Kontraste und Extreme: »Sie ist sooo glücklich«85 oder »Stefanie (23) ist todunglücklich«.86 Die Überbetonung von Emotionen veranlasst Medien wie die SZ u.a. zu ironischer Unterwanderung dieser Thematik (»Richtig total glücklich waren aber Stefanie Hertel und Stefan Mross«87). Die Verknüpfung zweier eigentlich separater Kategorien (Heimat und Familie) zu einer (»Heimat/Familie«) ist in diesem Fall naheliegend, da die Beschreibungen von Wohnort und Familie hier untrennbar miteinander verknüpft werden und sich im Begriff des »Zuhause« versinnbildlichen.88 So wird berichtet, wie oft Hertel und ihr Partner ihre Familien besuchen, warum diese Orte für sie etwas besonderes sind und wie dieses enge familiäre Netzwerk den Alltag erleichtert und ein Gefühl des Zusammenhalts erzeugt. Gerade die Betonung der Heimat- und Familienverbundenheit ist ein bedeutender Baustein für die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit, wie sich in der Zusammenfassung am Ende dieses Kapitels zeigen wird. 83 84 85 86 87 88
Stars & Melodien, Juli 2003. Stars & Melodien, Mai 2003. BILD, 31.01.2002. BILD, 2.6.2003. SZ, 22.11.1997. Für die Werteanalyse wurde diese Themenkategorie allerdings aufgebrochen, da Heimat und Familie von der Bedeutung zwar nah beieinander liegen, aber auch unterschiedliche Wertsetzungen aufweisen.
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Mit nur 58 Codes erfahren wir schließlich auch etwas über Stefanie Hertels berufliche Tätigkeit (»professioneller Stil«). Und auch hier bleibt die Anbindung an private Aspekte dominant, indem häufig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf thematisiert wird (»Karriere und Kind í das klappt bei mir super«89). In »Stars & Melodien« tauchen auch Aussagen zur Wichtigkeit und Bedeutung ihres Berufs auf (»Ich versuche, den Menschen Freude zu machen«90). Erwähnt wird hier ebenfalls ihre technische Perfektionierung durch Gesangs- und Schauspielunterricht sowie ihre Professionalität, die sich aus langjähriger Bühnenerfahrung herleitet. Die Thematisierung von Hertels »äußerer Erscheinung« konzentriert sich vornehmlich auf die Zuschreibung von Schönheit und der Entwicklung vom niedlich-süßen Mädchen zur attraktiv-selbstbewussten Frau. In den Darstellungen sind auch Ansätze erkennbar, ihr Äußeres mit mutmaßlichen Eigenschaften (»Sie sagt dies mit einem Glanz in den Augen, der alles Glück einer Mutter widerspiegelt«91) oder potentiellen Publikumswirkungen (»Der offene Blick aus ihren blauen Augen, das strahlende Lächeln í wem da nicht das Herz aufgeht, hat eins aus Stein«92) zu verbinden. Auch die Kleidung ist ein wichtiges Thema, sei es in Form einer Präsentation und Beschreibung ihrer schönsten Bühnenkleider in »Stars & Melodien« oder in BILD bezüglich der Frage, was eine volkstümliche Interpretin überhaupt tragen darf, um das Image des Genres nicht zu demontieren (»Stefanie Hertel so sexy wie nie! So haben wir das Vogtland-Goldkehlchen noch nie gesehen«93). Bei der Beschreibung von »Herkunft/Entwicklung« der Interpretin wird insbesondere betont, dass sie sich trotz der dramatischen Veränderungen in ihrem Leben í durch den Eintritt in den Kreis der Prominenten í menschlich kaum verändert habe. Dieser Aspekt ist im Image Hertels eine wichtige Komponente für die Erzeugung von Kontinuität und Vertrauen, ist aber vornehmlich in der Zeitschrift »Stars & Melodien« thematisiert. Herausgehoben wird des Weiteren ihre Kindheit auf einem traditionellen Bauernhof im Vogtland, auf dem es einfach, aber fröhlich zuging und Hertel bereits früh zu Pflichtbewusstsein erzogen wurde. Zu den »Aktivitäten« von Stefanie Hertel zählen zunächst diverse Sportarten (z.B. Skifahren, Radfahren, Fallschirmspringen) und ihr Spaß an Mode und an der Arbeit im Haushalt, insbesondere am Kochen. Bezüglich sozialen Engagements sammelte sie Spenden für ein leukämiekrankes Kind und sang bei Benefiz-Konzerten (z.B. zu Gunsten der sächsischen Hoch-
89 90 91 92 93
BUNTE, 2.3.2002. Stars & Melodien, Februar 1998. BILD, 3.12.2001. Stars & Melodien, Dezember 2003. BILD, 8.10.2003.
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wasser-Opfer oder der Welt-Hungerhilfe). Des Weiteren setzt sie sich gegen Tierquälerei ein und ist in der Kirchengemeinde aktiv. Bezüglich Stefanie Hertel wurden auch Artikel kodiert, die sich teilweise mit ihrem Partner Stefan Mross beschäftigen, da das »Traumpaar der Volksmusik« als Label eine wichtige Komponente in Hertels Image darstellt. In den gerichtlichen und außergerichtlichen Diskussionen um den sogenannten »Trompeter-Krieg« nimmt Hertel die unterstützende und stärkende Rolle der Verteidigerin ihres Partners an, der beschuldigt wird, nicht selbst Trompete zu spielen. Betont wird, dass Mross diese Krise vor allem wegen ihres Zusammenhalts als Paar heil überstanden hat. Neben diesen zehn am häufigsten vertretenen Themen, sind für das Image Hertels noch weitere Kategorien relevant. Der »Bezug zum Publikum« ist für den volkstümlichen Bereich von Bedeutung, da er die wesentlichen Nähe-Optionen bereit stellt. Entsprechend werden unter diesem Thema die zahlreichen Autogrammstunden erwähnt, die Hertel seit Beginn ihrer Karriere als Kinderstar kontinuierlich durchzuführen hat. Darüber hinaus werden in »Stars & Melodien« Fan-Treffen kommentiert, für die z.B. einzelne Personen ein persönliches Gespräch mit der Sängerin gewinnen können. In der Kategorie »Erfolg«, die häufig zu Beginn eines Artikels auftaucht, wird der Status der Interpretin in allgemeiner Weise untermauert (»Ihre Lieder sind Hits, ihre Konzerte ausverkauft«94), wobei zumeist die Bewunderung und Liebe ihres Millionen-Publikums im Zentrum steht (z.B. mehr als konkrete musikalische Leistungen oder finanzieller Erfolg). Bezüglich »Äußerungen zu allgemeinen Themen« gibt Hertel Stellungnahmen zu Massentierhaltung, Arbeitslosigkeit und Kriminalität ab. Zu den »Auszeichnungen«, die Stefanie Hertel während ihrer bisherigen Karriere verliehen bekam, gehören neben Preisen in volkstümlichen Wettbewerben (z.B. »Grand Prix der Volksmusik« oder »ZDF-Superhitparade«) der Medienpreis »Goldene Henne« und der »Osgar« für ihre Bemühungen um die innere deutsche Einheit.95 Schließlich sollte auch noch die »Beschreibung der Musik« Stefanie Hertels berücksichtigt werden, auch wenn sie in der Presse kaum eine Rolle spielt und in der Publikumszeitschrift »Stars & Melodien« überhaupt nicht thematisiert wird. Neben der punktuellen Nennung ihrer Erfolgstitel (z.B. »Über jedes Bacherl geht a Brückerl«) werden in BILD und BUNTE interessanterweise vor allem Parallelen und Widersprüche zwischen ihren Liedtexten und dem aktuellen Privatleben aufgesucht und kommentiert. So
94 BUNTE, 21.11.2002. 95 Stefanie Hertel wurde hier geehrt als erste Musikerin, der es gelang, ihre Karriere als Kinderstar in der ehemaligen DDR nach der Wende fortzusetzen und nun ein gesamtdeutsches Millionenpublikum zu faszinieren.
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werden Gerüchten über Beziehungsprobleme entsprechende Textzeilen gegenüber gestellt, in denen von ewiger Treue gesungen wird. Oder es werden Lied-Titel ironisch umgedeutet (z.B. bezüglich des »Alkohol-Dramas«: »Wenn’s Bier rauscht wie a Bacherl, brauchst an Freund wie a Brückerl«96 oder »Einer ihrer letzten Hits heisst ›Streich den Himmel einfach blau‹. Irgendwie scheint das Paar diese Zeile etwas zu ernst genommen zu haben«97).
6.2.2.2 Werteanalyse Die folgende Abbildung zeigt die Rangfolge der einzelnen Wertekategorien, die der Presseberichterstattung über Stefanie Hertel zugrunde liegen: Wertekategorie 1.) Solidarität 2.) Emotionalität 3.) Professionalität 4.) Erfolg 5.) Tradition/Treue 6.) Normalität/ Natürlichkeit 7.) Attraktivität/ Ausstrahlung 7.) Beliebtheit 9.) Heimat 10.) Selbstbewusstsein 11.) Fürsorglichkeit
Gesamtzahl Codes 77 58 50
Wertekategorie
Gesamtzahl Codes 26 19 16
48 38 36
12.) Bescheidenheit 13.) Fröhlichkeit/Charme 14.) Pflichtbewusstsein/ Disziplin 15.) Glaube/Religiosität 16.) Anstand/Unschuld 17.) Reife
34
18.) Autonomie
33 31 29 28
19.) Zugänglichkeit 10 20.) Gerechtigkeitssinn 8 21.) Ehrlichkeit 6 Gesamtsumme Image-Codes: 601
15 14 13 12
Tabelle 7: Wertekategorien Stefanie Hertel Die folgende Abbildung zeigt die Verortung dieser Kategorien im semantischen Raum auf Basis der Dimensionen »Nähe/Distanz« und »Individualität/Sozialität«, entlang derer die einzelnen Bedeutungskomponenten nun vorgestellt werden.98
96 BILD, 17.6.2003. 97 BUNTE, 26.6.2003. 98 Gewichtung in der Abbildung:: Hauptwerte/Platz 1-5 (Schriftgröße 14, fett, unterstrichen,); Hauptwerte/Platz 6-10 (Schriftgröße 14, fett); bedeutsame Werte/Platz 11-15 (Schriftgröße 12); weniger bedeutsame Werte/Platz 16-21 (Schriftgröße 9).
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INDIVIDUALITÄT
Erfolg Selbstbewusstsein Professionalität Autonomie
Attraktivität Emotionalität
Beliebtheit
Fröhlichkeit/Charme Reife NÄHE
DISTANZ
Ehrlichkeit Zugänglichkeit
Fürsorglichkeit
Normalität/Natürlichkeit Heimat Solidarität Tradition
Glaube
Anstand
Bescheidenheit
Pflichtbewusstsein
Gerechtigkeitssinn
SOZIALITÄT
Abbildung 7: Hertels semantischer Raum aus Perspektive der Printmedien Im Wertesystem von Stefanie Hertel spielt vor allem der linke untere Quadrant und damit der auf Sozialität und Nähe ausgerichtete Bedeutungsbereich eine große Rolle, aber daneben auch der auf Individualität und Distanz konzentrierte Wertebereich, der insbesondere den Erfolg und die Attraktivität der Interpretin akzentuiert. Die Hauptkategorie »Solidarität« ist in insgesamt 11 der 23 Themenkategorien verankert und somit breit repräsentiert. Zusammenhalt wird vor allem innerhalb der Themen »Heimat/Familie«, »Beziehungsleben« und »Alltag/Privatleben« artikuliert und zeigt sich in unterschiedlicher Weise. So besteht »Solidarität« zunächst in der Aufrechterhaltung von Kontakt (die Familie besuchen, miteinander telefonieren, Angehörige zu Auftritten mitnehmen etc.). Auf der evaluativen Ebene wird betont, dass sich die einzelnen Mitglieder dieses Netzwerks gut miteinander verstehen und daher immer füreinander da sind. Hierzu gehört Unterstützung und Schutz in beruflichen Dingen, aber auch das Zusammenhalten bei familiären bzw. kollegialen Schicksalsschlägen. Gleichzeitig beinhaltet »Solidarität« damit auch Abgrenzung nach außen zugunsten der eigenen Bezugsgruppe, also hier der Familie und dem Privatleben insgesamt. Daraus resultiert die Schwierigkeit, der potentiellen Zielgruppe den Wert »Solidarität« glaubwürdig zu vermitteln, ohne dabei tatsächliche Einblicke in private Belange
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zu gewähren, da die Abgrenzung nach außen99 í als zentrale Dimension von »Solidarität« í nicht mehr existiert, wenn alles Private zum öffentlichen Wissensbestand wird. Durch die sich 1994 anbahnende Beziehung zu Stefan Mross, erhält der Wert »Solidarität« í und damit »Zusammenhalt« í in den Printmedien eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten. Nun ist es nicht mehr allein die Nähe zur Familie, sondern auch die kontinuierliche Abnabelung von derselben, wodurch der Wortbestandteil »zusammen« neu eingebunden wird: Gemeinsame Wohnung mit Mross (»zusammenziehen«), Vorstellungen bezüglich einer gemeinsamen Zukunft als Paar (»zusammengehören«) und das Gefühl, durch Herausforderungen noch stärker aneinander gebunden zu sein (»zusammengeschweißt«). Auf der musikalischen Ebene realisiert sich die Repräsentation von »Zusammenhalt« im klassischen Liebes-Duett, in dem die einzelnen Strophenzeilen abwechselnd gesungen werden und in den gemeinsamen, zweistimmigen Refrain münden.100 Indem auch der Vater von Stefanie Hertel in ihre Auftritte integriert ist (z.B. beim Singen von Volksweisen im Trio), ist »Solidarität« auch als familienbezogener Wert weiterhin auf der Bühne präsent und wird durch das Label »Hit-Family« in der Öffentlichkeit unterstrichen.101 Hinsichtlich des Wertes »Heimat« wird vor allem die Bedeutung von emotionaler Zugehörigkeit zu einer Region in den Vordergrund gerückt. Zum einen ist dies bei Stefanie Hertel die Herkunftsregion (Vogtland), zum anderen eine allgemeine Vorstellung des Ländlichen (Berge, Wald, Dorfgemeinschaft) und Nahegelegenen (Leben in der Nähe der Eltern). »Heimat« ist hier nicht eindimensional besetzt, sondern verknüpft traditionelle mit professionellen Aspekten. So ist »Heimat« zwar emotional an die Familie gekoppelt, gleichzeitig wird aber ebenso der praktische Wert einer Wohnung in der Heimat betont, indem die Eltern zur Kinderbetreuung eingesetzt werden können, die Umgebung mehr Freizeitwert besitzt und sich Fahrtwege verkürzen, wenn man die Wohnung strategisch zwischen den Familienmitgliedern positioniert. Die Bedeutung einer idyllischen Heimat, in der die Welt »noch in Ordnung« ist, erzeugt für das Image Hertels überdies einen notwendigen Kitt zwischen professioneller und privater Welt, der von den Medien einer permanenten Realitätsüberprüfung unterzogen wird, d.h. es wird der Frage nachgegangen, ob die Interpretin das lebt, was sie in ihren Liedern besingt. 99 In den Medien wird diese Abgrenzung zumeist durch die Umschreibung »im Kreise der Familie« oder »im engsten Freundeskreis« betont (z.B. bzgl. privater Feste und Ereignisse), die signalisiert, dass Fans hier nicht zugelassen sind. 100 Vgl. z.B. »Und dann brauch’ ich dir nur in deine Augen zu schau’n« (gesungen von Stefanie Hertel und Stefan Mross). 101 So hat Stefanie Hertel auch keine eigene Homepage, sondern ist im Internet gemeinsam mit ihrem Vater Eberhard und ihrem Partner Stefan Mross unter www.hitfamily.de zu finden.
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DER MUSIKSTAR
»Heimat« ist auch eine zeitbezogene Kategorie, denn sie ist stark an die jeweilige Herkunft gebunden und betont die Notwendigkeit, sich daran zu erinnern, »wo man herkommt«. Dies betrifft sowohl den Ort als auch das Milieu und sichert im Falle Hertels die Kontinuität von Werten wie »Normalität« und »Bodenständigkeit«. Das erklärt auch die zahlreichen Schilderungen von Erinnerungen an die Kindheit und an den Ort der Kindheit in den Printmedien. Erinnerungen erzeugen eine Verbindung zwischen Herkunft und aktueller Lebenssituation, die sich bei Hertel und Mross als Weiterführung von »Traditionen« beschreiben lässt. So werden im Rahmen der Berichterstattung über ihre Beziehung Aspekte thematisiert, die auch die Werte ihrer Elternhäuser widerspiegeln (z.B. Wichtigkeit eines Heimatgefühls oder der Gründung einer Familie). Gleichzeitig wird damit auch eine Anbindung an allgemeine traditionelle Werte in der Öffentlichkeit herausgestellt (z.B. Partner fürs Leben, Zwischenmenschlichkeit, ewige Treue etc.). Hinsichtlich Musik zeigt sich der Bezug zu »Traditionen« natürlich im Genre selbst sowie im Rückgriff auf damit verknüpfte Techniken (z.B. Jodeln) oder zugehörige Kleidung (Dirndl). Die Anbindung an traditionelle Werte sehen die Medien teilweise auch als Anpassung an die Altersstruktur der Fans: »So sind halt die beiden Süßen [gemeint sind Hertel und Mross, S.B.]: Klingen immer ein bisschen wie 90-jährige«.102 Zur Anbindung an traditionelle Werte gehört ebenso der Aspekt »Religiosität«.103 In verschiedenen Zusammenhängen wird erwähnt, dass Hertel an Gott glaubt. Dabei geht es weniger um ausdrückliche Bekenntnisse zum Christentum, vielmehr dient zumeist der Rückgriff auf das »Schicksal« als Erklärung für unbegreifliche positive oder negative Ereignisse (z.B. Begegnung Hertel-Mross oder Fehlgeburt Hertel). Die Wertegruppe »Bescheidenheit«, »Gerechtigkeitssinn«, »Pflichtbewusstsein« und »Anstand« fokussiert ebenfalls Anschauungen und Lebensweisen, die alltägliche Abläufe in sozialen Gruppen erleichtern, sie ist allerdings weniger auf die Erzeugung von Nähe und Wärme ausgerichtet und daher etwas weiter rechts im Werteschema abgebildet. Das bereits in der Kindheit erworbene »Pflichtbewusstsein« ist í in der Darstellung der Presse í Basis ihrer »Bodenständigkeit« und hat einen bedeutsamen Anteil an ihrem »Erfolg« im Erwachsenenalter, indem Disziplin und die Fähigkeit zum Verzicht (z.B. auf Freizeit) als Grundlage für Professionalität angesehen werden.
102 103
BILD, 25.10.2001. Der Wert »Religiosität« ist etwas weiter rechts abgebildet, da er nicht mehr unmittelbar an das soziale Umfeld der Familie gekoppelt ist und bereits in Richtung der allgemeinen Tugenden (Bescheidenheit, Pflichtbewusstsein etc.) weist.
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So ist denn auch die Betonung von »Bescheidenheit« in der Darstellung der Presse auf diversen Präsentationsebenen zu beobachten. Hinsichtlich des Wohnens wird ein Landhäuschen der schicken Villa vorgezogen und die Einrichtung mit Attributen wie »praktisch und gemütlich« oder »schlicht und bodenständig« beschrieben. Bezüglich der Kleidung bevorzugt Hertel keine teuren Markenartikel und kleidet sich privat eher unauffällig. »Bescheidenheit« zeigt sich auch im allgemeinen Verhalten. So äußert Hertel Zweifel und Unsicherheit, ob ihr edle Kleidung überhaupt stehe. In beruflicher Hinsicht lässt sich »Bescheidenheit« an der häufig zitierten Dankbarkeit Hertels ablesen, mit Hilfe derer die Sängerin Erfolg nicht auf ihre Leistung allein zurückführt, sondern immer Familie, Management und Fans als wesentliche Instanzen einbringt.104 Berufliche Angebote (z.B. für Fernsehmoderationen) werden entsprechend nicht einfach abgelehnt oder angenommen, sondern zunächst als Ehre betrachtet. »Gerechtigkeitssinn«, der sich in Äußerungen zu sozialer Ungleichheit, Kriminalität und dem Wunsch nach Frieden zeigt, ist eng mit der Kategorie »Anstand« verbunden. »Anstand« wird hier als »in gesellschaftlichen Gruppierungen gefordertes, als gutes Benehmen bewertetes Verhalten« verstanden, dass »einerseits als Kriterium der Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaftsschicht bzw. Gruppierung gilt, andererseits häufig über seine gesellschafts- bzw. gruppenspezifische Geltung hinaus als positives ethisches Ideal verstanden wird« und sich im allgemeinen durch Triebverzicht und die Überwindung von Egoismus auszeichnet.105 Entsprechend werden Hertel Engelhaftigkeit und Unschuld zugeschrieben, die in der Musik und den Liedtexten angelegt sind und durch sie als Person verkörpert werden. Insbesondere »Bescheidenheit« und »Anstand« sind í da originär weniger startypisch í permanenter Kontrolle durch die Medien ausgesetzt, d.h. es werden, zumeist in BILD und BUNTE, Hinweisreize gesucht oder konstruiert, die diese Werte in Frage stellen (z.B. mögliche Affären, Geldausgaben für Luxusgüter etc.). »Normalität« liegt noch in relativer Nähe zu den sozial orientierten Werten und zeigt sich in der Ausrichtung der eigenen Persönlichkeit auf die in der Gruppe definierten Verhaltensstandards. Entsprechendes Verhalten wird zumeist als »natürlich« empfunden bzw. in der Presse so bezeichnet, weshalb die Kategorie beide Aspekte vereint (»Normalität/Natürlichkeit«). Diese Kategorie speist sich vor allem aus den Themen »Alltag/Privatleben« und »Typ Mensch«. Normal zu bleiben trotz eines Millionenpublikums gilt nicht nur in der Volksmusik als Maxime, sondern wurde im theoretischen
104
105
Mehr noch als in der Presse zeigt sich dieses Verhalten bei Konzerten oder auch in den CD-Booklets bzw. -Titeln (z.B. Titel des Best-Of-Albums: »Danke, Freunde«). Meyers Großes Taschenlexikon, Bd.2, S. 25.
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Teil als allgemeines Darstellungsprinzip (Ambivalenz »Gewöhnlichkeit/ Außergewöhnlichkeit«) herausgehoben. So liegt es nahe, dass die Presse ihr Augenmerk auf den Spagat zwischen Bühne und Privatleben richtet und dabei zu folgenden Feststellungen gelangt: Hertel und Mross seien »so natürlich als wären sie gar keine Stars«106 oder »Stefanie ist privat genauso natürlich und herzlich wie im Fernsehen«.107 Diese Feststellungen beruhen auf zahlreichen Einzelbeschreibungen, in denen auf verschiedenen Ebenen (Persönlichkeitseigenschaften, Lebensstil, Arbeitsweise) gezeigt wird, dass Hertel sich hinsichtlich der Grundwerte nicht von ihren Fans unterscheidet. Die große Bedeutung der medialen Darlegung von Details aus dem Privatleben dient dabei der Aufwertung des alltäglichen Lebens insgesamt und sendet eine klare Botschaft an die potentielle Anhängerschaft: Bleib wie du bist! Stefanie Hertel liefert damit ein Vorbild, dem man nacheifern kann, ohne sich verbiegen zu müssen. Das Wissen um »Normalität« und »Fürsorglichkeit«, die sich sowohl im Privaten (Sorge um Familie und Baby) als auch im Beruflichen (Unterstützung öffentlicher Hilfsaktionen) zeigt, hängt eng mit der Attribution von »Zugänglichkeit« zusammen. Hertel wird als Star gezeichnet, der sich viel Zeit für die Fans nimmt, wobei dies nahezu ausschließlich für die Zeitschrift »Star & Melodien« zutrifft und diese Kategorie insgesamt nur schwach ausgeprägt ist. So äußert Hertel in Interviews, dass sie »für ihr Publikum da sein will«, was nicht nur impliziert, ein Konzert gegen Geld zu geben, sondern auch die Vermittlung des Gefühls thematisiert, für andere da zu sein. Die Kategorie »Emotionalität« suggeriert einen Einblick in sehr intime Aspekte eines Stars und ist deshalb in der Darstellung relativ weit links eingeordnet. Hertels Emotionen konzentrieren sich in der medialen Berichterstattung auf Glücksgefühle in der Beziehung zu Stefan Mross (Kategorie »Beziehungsleben«) und bilden Reaktionen auf Schicksalsschläge ab (Kategorie »Befindlichkeiten«). Interessanterweise ließ sich kein Bezug zur Musik finden, z.B. in Form von Beschreibungen, wie sich Emotionen in den Liedern niederschlagen oder von der Interpretin in die Musik hineingelegt werden. Demgegenüber zeigt sich »Ehrlichkeit« nicht nur als Wert an sich, sondern wird auch der Musik zugeschrieben. Allerdings ist diese Kategorie mit nur vier Codes in den Printmedien kaum vorhanden und kann daher nicht als besonders bedeutungstragend eingeordnet werden. Der Wert »Reife« kann als Übergang zu den individuell orientierten Aspekten betrachtet werden, da hiermit die Herauslösung aus dem familiären Umwelt nochmals unterstrichen wird. Entsprechend wird auf die bewährte, gewachsene Partnerschaft verwiesen und auf ihre Entwicklung hin 106 107
BILD, 23.07.2002. Stars & Melodien, Juni 2003.
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zur selbstbewussten í bisweilen auch nachdenklichen í Frau. Hier findet sich auch ein Bezug zu ihren professionellen Fähigkeiten, indem dargelegt wird, dass sie zunehmend reifer und erwachsener klinge. »Fröhlichkeit/Charme«, »Beliebtheit« und »Attraktivität« sind konkret auf die Person bezogene Attribute, die sowohl Annäherungsversuche als auch distanzierte Bewunderung auslösen können und damit zwischen integrierenden (z.B. »Solidarität«, »Normalität«) und differenzierenden (z.B. »Erfolg«, »Selbstbewusstsein«) Werten liegen. Wie bei »Ehrlichkeit« lässt sich »Fröhlichkeit/Charme« meist als konkrete Zuschreibung kodieren (»das fröhlichste Gesicht der Volksmusik«108). Im Allgemeinen wird überdies ihr Spaß bei der Arbeit und die Freude im Alltag mit der Familie dokumentiert; Aspekte, die in zielgruppen-affinen Medien direkt mit charismatischer Wirkung auf die Fangemeinde verknüpft werden. Der Wert »Attraktivität« kann zwar im allgemeinen als eher abgehobener, distanzierender Faktor eines Images fungieren, Hertels Äußeres wird jedoch nicht als unerreichbares Ideal glorifiziert, sondern als sympathische Erscheinung beschrieben (z.B. mit Begriffen wie »hübsch« oder »süß«). In ähnlicher Weise wird auch in der Kategorie »Beliebtheit« nicht die distanzierte Bewunderung, sondern eine dauerhafte emotionale Bindung zwischen Star und Fan betont oder ironisch überspitzt: »Wenn Stefanie Hertel singt, geht uns das Herz auf«.109 Als Gegenpol zu »Tradition« als zentralem Wert im Image Hertels existieren auch Aspekte, die sich als Abkehr von herkömmlichen Ansichten verstehen lassen bzw. von der Presse so gedeutet werden (Kategorie »Autonomie«). Als bedeutsamer Traditionsbruch wird die Tatsache gewertet, dass Hertel und Mross ein gemeinsames Kind haben und nicht verheiratet sind. Bisweilen wird dies sogar í wenn auch mit ironischem Unterton í direkt auf die Volksmusik im Allgemeinen projiziert (»Die blütenreine Volksmusik hat ein uneheliches Kind bekommen«110). Dass sich Hertel und Mross gleichberechtigt um ihre Tochter kümmern und dass die Sängerin bereits wenige Monate nach der Schwangerschaft wieder auf der Bühne steht, ergänzt ihr Image in gleicher Richtung. Auch Hobbys wie Fallschirmspringen oder die Entscheidung, kein Fleisch zu essen, stehen traditionellen Anschauungen ihres Bezugssystems eher entgegen. Diese Aspekte unterstützen die ich-bezogenen, erfolgsorientierten Komponenten in Hertels Image. So fokussieren die Codes der Kategorie »Selbstbewusstsein« zum einen den Aspekt der optimistischen Abgrenzung, und zwar von allgemeiner, negativer Stimmung, von Schicksalsschlägen (z.B. durch Optimismus und Zuversicht nach der Fehlgeburt), von 108 109 110
Stars & Melodien, Juni 2003. BILD, 11.12.2003. BUNTE, 12.07.2001.
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öffentlichen Diffamierungen (z.B. für den Partner in der Öffentlichkeit Partei ergreifen) und von Mediengerüchten (z.B. geplante Hochzeit). Zum anderen zeigt sich »Selbstbewusstsein« als Vertrauen in die eigenen Ressourcen (Wissen um gutes Aussehen, Nachdenken über Schauspielangebote oder Einbringen von eigenen Ideen in den Produktionsprozess). »Professionalität« drückt sich im Wertesystem Hertel weniger in Form professionsinterner Fähigkeiten (z.B. technische Perfektion) aus, sondern als Organisationstalent, das die Interpretin Bühne und Familie auf erfolgreiche Weise verbinden lässt. »Erfolg« bezieht sich als Wert auf Hertels Bekanntheit insgesamt sowie auf die Darstellung ihrer glanzvollen Karriere und der Kontinuität ihres Erfolgs anhand der Auflistung zahlreicher Auszeichnungen. Häufig wird »Erfolg» dabei an die Kategorie »Normalität« rückgekoppelt und damit »geerdet«, indem sie als Sängerin beschrieben wird, die trotz ihres Erfolgs normal geblieben sei.
6.2.3 Visuelles und audiovisuelles Material Visuelle Darstellung Für die Wirkung Stefanie Hertels als Star ist insbesondere ihre fotografische Abbildung von Bedeutung. So stellen das Sammeln, Archivieren, Aufhängen und wiederholte Betrachten von Fotos wichtige Aktivitäten ihrer Fans dar. Entsprechend groß ist der Bedarf nach immer neuen Bildern, der von verschiedenen Medien gedeckt wird. Fotos von Hertel finden sich zumeist als Titelbilder von diversen í nicht nur musikbezogenen í Zeitschriften wie z.B. »Super-Illu«, »Das goldene Blatt«, »Neue Post« o.ä. Im Jahr 2001 war Hertel nach Aussage der Medien die meistfotografierte Frau Deutschlands mit mehr Titelbildern als Claudia Schiffer und Verona Feldbusch zusammen.111 In den zugehörigen Berichten dienen Fotos der Interpretin zur Illustration von Alltagsgeschichten oder Erfolgserlebnissen. Daher lassen sich vor allem zwei Arten von Bildern unterscheiden: Zum einen alltäglich anmutende Fotos, die insbesondere Hertels Normalität und Natürlichkeit ins Zentrum stellen, und zum anderen eher glamouröse Bilder, die wie bei klassischen Star-Fotos von Filmschauspielern insbesondere ihre Attraktivität und ihren Erfolg í häufig mit den zugehörigen Siegertrophäen í abbilden. Auffällig sind die vor allem in den volkstümlichen Zeitschriften (z.B. »Stars & Melodien«) abgebildeten Kinderfotos, die den Wertekomplex »Familie« aufrufen und mit entsprechenden Geschichten aus der Vergangenheit und bezüglich der engen Familienbindungen gekoppelt werden. 111
Auch wenn dies zunächst überraschend erscheint, schlägt hier doch die immense Anzahl von Zeitschriften zu Buche, die häufig deutlich höhere Auflagen haben als beispielsweise Der Spiegel.
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Betrachtet man die Cover-Fotos der verschiedenen CDs, ist über die Jahre eine deutliche stilistische Veränderung zu konstatieren. Die Entwicklung lässt sich in drei Phasen einteilen. In der ersten Phase (1990-94: »Kindheit«) ist Stefanie Hertel im Dirndl oder in bunten Kinderkleidern vor einer Naturkulisse zu sehen, die z.T. auch unspezifisch gehalten ist und durch diffuse Grüntöne Wälder und Wiesen andeutet. Hertel trägt einen Pferdeschwanz und wirkt kaum geschminkt. Sie steht frontal und mit immer freundlichem Gesichtsausdruck vor der Kamera. Die Lieder orientieren sich in dieser Zeit stark an den Themen »Heimat« und »Kindheit«. Zentrale Begriffe sind hier die Komponenten eines natürlichen, überschaubaren Weltbildes (z.B. Himmel, Baum, Erde, Sterne, Blume, Vogel), wobei diese Begriffe nicht an konkrete Orte gebunden sind und nicht für sich stehen, sondern häufig als Metaphern gebraucht werden (z.B. der Vogel für Freiheit oder Umschreibungen wie »in den Himmel sehen« für Hoffnung und Träume). Bezüglich »Kindheit« beinhalten die Texte typische Themen wie Haus- und Kuscheltiere und insbesondere die Bindungen und Aktivitäten innerhalb der Familie. Einen Übergang in die anschließende Phase (1994-99: »Jugend«) markiert das Album »Freche blaue Augen«. Hier wird Hertel zwar weiterhin vor einer Naturkulisse positioniert und zeigt noch kindliche Züge (Zopf, Lächeln), ihre Augen sind aber auffallend stark betont. Passend dazu geht es in den Liedern um das Erwachsenwerden und Vorstellungen von Träumen und Aktivitäten junger Mädchen (für jemanden schwärmen, Briefchen schreiben etc.). Sieht man Hertel zunächst noch im Dirndl vor der eben erwähnten Heimatkulisse, fällt letztere erstmalig beim Album »Die Kraft der Träume« zugunsten eines neutralen Hintergrunds weg. Sie trägt mittlerweile einen Pagenschnitt oder kinnlanges gewelltes Haar und der Fokus liegt zunehmend auf ihrem Gesicht und weniger auf der gesamten Erscheinung, weshalb auch nicht mehr die Kleidung den Eindruck dominiert und somit ein Hinweisreiz für die Zuordnung zum Genre volkstümlicher Musik wegfällt. Statt der Frontalaufnahmen in der ersten Phase wird Hertel häufiger im Profil gezeigt. Der Gesichtsausdruck ist nach wie vor freundlich und nun weniger kindlich-offenherzig als frech-charmant. Die Herauslösung aus der Naturkulisse kann auch als zunehmende Herauslösung aus ihrem traditionellen Umfeld interpretiert werden, und zwar hinsichtlich einer Professionalisierung und einer Individualisierung. Indem der Hintergrund neutralisiert wird, rückt die Sängerin bzw. das musikalische Produkt selbst in den Vordergrund. Dieser Eindruck wird insbesondere durch diejenigen CoverFotos unterstützt, auf denen mehr als ein Drittel der Bildfläche von einem Textfeld belegt ist, in dem Interpretenname und Albumtitel í wie in der klassischen Musik í auf neutralem, beigefarbenen Hintergrund ins Zentrum
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gerückt sind. Der Aspekt »Individualisierung« zeigt sich insbesondere bei dem Album »Es ist gut, dass es Freunde gibt«. Hier wurde ein auffälliger orange-roter Hintergrund gewählt, vor dem Hertel im Hosenanzug legère auf einem silbernen Barhocker sitzt, der í in bezug auf das zugehörige Setting »Bar« í Assoziationen von Genuss, Selbstbestimmtheit und finanziellem Erfolg weckt. Entsprechend nehmen Naturbeschreibungen auch in den Liedern einen weniger großen Raum ein, vielmehr geht es um erstes (unschuldiges) Verliebtsein, und statt des Eingebundenseins in die Familie und das Zuhause werden die Texte zunehmend vom »Ich und Du« dominiert. Diese Entwicklung hin zur Präsentation einer selbstbewussten jungen Frau vollendet sich in der dritten Phase (ab 2000: »Neue Weiblichkeit«). Hier liegt der Schwerpunkt vor allem in der Abbildung des Gesichts, das nun durchgehend vor neutralem Hintergrund abgebildet ist. Der Hintergrund ist in Pastellfarben gehalten (insbesondere hellblau) und bildet oft einen Lichtkranz um das Gesicht, das dadurch stark betont wird. Trotzdem wirken die Fotos nicht kühl, sondern eher frisch und natürlich, was wiederum durch den Gesichtausdruck von Stefanie Hertel bedingt ist, die nach wie vor freundlich in die Kamera blickt. Die Haare sind nun nicht mehr ordentlich gefönt, sondern fallen offen auf die Schultern, wobei z.T. der Eindruck erzeugt wird, es würde ein leichter Wind hindurch wehen. Die Abkoppelung von einer stereotypen Konnotation »volkstümliche Musik« wird also auf mehreren Darstellungsebenen vollzogen, vor allem zeigt sie sich bei ihrem 2004 erschienenen Album »Totale Gefühle«. Auf dem zugehörigen Cover-Foto ist Hertel in Nahaufnahme abgebildet, wobei ihr Gesicht und ein Teil ihres Oberkörpers zu sehen sind. Dies ist das einzige Bild, auf dem sie weder steht noch sitzt, sondern offenbar liegt. Die Darstellung suggeriert vor allem Intimität, was auch durch den verführerischen Gesichtsausdruck bedingt ist, der das freundlich-harmlose Lächeln der vorherigen Cover-Fotos ablöst. Diese Betonung weiblicher Attraktivität zeigt sich auch an dem teilweise zu erkennenden weißen Top, das weit genug ausgeschnitten ist, um den üppigen, funkelnden Halsschmuck deutlich ins Zentrum zu rücken. In dieser Phase beinhalten die Liedtexte vor allem detaillierte Beschreibungen der individuellen Gefühlswelten. Liebe ist dabei nicht mehr nur auf den Partner bezogen, sondern wird in imaginären Traum-Szenarien auch auf allgemeine bis klischeehafte Situationen und Typen bezogen. Wichtige Figur ist hier í wie im Schlager í der »schöne Unbekannte«, mit dem man einen aufregenden Abend bzw. eine aufregende Nacht verbringt und sich dann leider trennen muss. Klassische Utensilien, die in solchen Texten nicht fehlen dürfen, sind der Wein, das lodernde Feuer (oder brennende Kerzen) und die Überbleibsel am nächsten Morgen í Foto in der Hand, leere Gläser am Strand, Fußspuren im Sand. Auf dem letzten Album (»Totale Gefühle«) thematisieren die einzelnen Lieder unter-
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schiedliche Stationen von Beziehungen. Mal wird das überschwängliche Gefühl des Verliebtseins beschrieben, mal die Freiheit nach der Trennung, mal die Überlegung, den Ex-Freund wieder anzurufen. Es zeigt sich also, dass die Lieder weniger an reale bzw. als real behauptete Erlebnisse der Sängerin gekoppelt sind, sondern z.T. imaginäre Vorstellungswelten aufbauen, die das darstellbare Gefühlsspektrum deutlich erweitern (z.B. um Schmerz, Aufregung und Lust). Trotz dieser deutlichen Veränderungen im Verlauf der Jahre, gibt es auch Dinge, die gleichgeblieben sind. Dazu gehört bezüglich der visuellen Darstellung, dass immer die Interpretin selbst im Zentrum steht. Weder gibt es CDs ohne ein Foto von ihr, noch die Abbildung konkreter Örtlichkeiten (z.B. bestimmte Städte oder Plätze) oder die Einbindung weiterer Personen oder Geschichten. Auch auf der Ebene der Liedtexte gibt es enorme Entwicklungen, aber auch gleichbleibende Themen. So existiert kein Album, auf dem nicht die Bedeutung von ausgelassener Fröhlichkeit und der Aspekt der Hoffnung in schweren Situationen Ausdruck findet, wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen. Insgesamt lässt sich die visuelle Darstellung im Kontext des musikalischen Repertoires auf den starrelevanten Dimensionen folgendermaßen verorten: Hinsichtlich »Nähe/Distanz« wird vor allem die potentielle Nähe zur Interpretin fokussiert, indem sie auf den Fotos zumeist Zugänglichkeit und Offenheit signalisiert und die Erzeugung von Nähe auch in den Texten bedeutsam ist. Dabei wandelt sich »Nähe« allerdings von einer Vorstellung des Zuhause, der Heimat und der Natürlichkeit í also Nähe im Sinne von Ähnlichkeit zum allgemeinen Publikum í zu »Nähe« als Annäherung an die attraktive Frau Stefanie Hertel, wie auch die Intimität erzeugenden Fotos des aktuellen Albums verdeutlichen. Glitzernder Schmuck und elegante Kleidung verweisen dabei aber ebenso auf materiellen Erfolg und können daher auch distanzierte Bewunderung auslösen. Bezüglich »Realität/Fiktion« erscheinen die Darstellungen auf den ersten CDs eher als Abbildungen aus dem Familienalbum, wohingegen der Hintergrund im Folgenden zunehmend neutralisiert und damit bedeutungsoffen wird. Auf dem aktuellen Album zeigen sich erste Elemente einer Fiktionalisierung, indem die auf glitzerndem Stoff liegende Sängerin mit den in den Liedern thematisierten Situationen (Romantik, Luxus, Aufregung) assoziiert werden kann. Hinsichtlich »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit« zeigt sich eine deutliche Entwicklung hin zu individuellen Werten, wobei aber stets eine Anbindung an soziale Werte í insbesondere Solidarität í erhalten bleibt.
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Audiovisuelle Darstellung Die zentralen audiovisuellen Formate, die das Image von Stefanie Hertel mit konstituieren, sind Konzerte und Fernsehshows. Bei den Live-Konzerten handelt es sich um dramaturgisch durchgestaltete Shows, die vor allem in Veranstaltungshäusern mittelgroßer Städte (zumeist Stadt- und Sporthallen) stattfinden. Während des Konzerts werden sowohl aktuelle als auch bereits bewährte Titel präsentiert, wobei sie gekürzt (Reduktion auf ein oder zwei Strophen, Verzicht auf Zwischenspiele und Überleitungen) und häufig als Potpourris arrangiert werden. Des Weiteren werden í zumeist als Zäsur í traditionelle Volkslieder oder spezielle Medleys (z.B. EurovisionsMedley) eingebaut. Abwechslung wird in der Show vor allem durch wechselnde Interpretenkonstellationen (Duett mit Partner, Terzett mit Partner und Vater oder andere Kombinationen mit zusätzlich teilnehmenden Interpreten) und variierende Bühnenkleider erreicht, die auf die jeweilige Stilistik der Lieder abgestimmt sind (z.B. stilisiertes Dirndl zu volkstümlichen Melodien und stark ausgeschnittene oder bauchfreie Garderobe zu Schlager und internationaler Unterhaltungsmusik). Jeder präsentierte Titel wird anmoderiert und ein Bezug zu aktuellen Ereignissen (z.B. Gewalt und Krieg) oder zum Publikum í z.B. mit Einleitungen wie »Sie kennen das ja alle ...« í hergestellt. Weitere Einlagen zwischen den Titeln sind Sketche (vor allem von Stefan Mross und Eberhard Hertel) oder Videoeinspielungen, die häufig als Einstimmung oder Unterbrechung verwendet werden (z.B. Zeigen der bisherigen Erfolge der Interpretin, Zusammenschnitt eines normalen Arbeitsalltags von Stefanie Hertel). Zentral ist bei den Konzerten der immer wieder aufgerufene Kontakt zwischen Interpretin und Publikum, der durch Fragen (»Geht’s euch allen gut?«) und Aufforderungen zum Mitsingen und Schunkeln aufrechterhalten wird. Somit erfährt das musikalische Repertoire im Konzert eine mehrfache Integration: Es wird von der Interpretin während des Vortrags verkörpert und emotionalisiert, es wird mit kurzem Kommentar an die Lebenswelt und die Erfahrungen des Publikums gekoppelt, und es wird als positive »Stimmung« erfahrbar, da es als Aufforderung zum Mitmachen (Nachempfinden, Mitsingen, Schunkeln) kommuniziert wird. Aufgrund der wichtigen Bedeutung dieses kommunikativen Gesamtzusammenhangs darf das Publikum auch im Rahmen der Fernsehsendungen nicht fehlen, auch wenn es hier eher eine Statistenrolle übernimmt, indem es lediglich als Repräsentant einer potentiellen Anhängerschaft fungiert. Bei den eingangs erwähnten Fernsehshows (z.B. Feste der Volksmusik, Krone der Volksmusik) ist die Interpretin in ein Programm mit zahlreichen Akteuren eingebunden und steht somit nur 5-0 Minuten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vorteile gegenüber dem Konzert ist aber das Prestige des Mediums, der sichtbare Status der Interpretin (durch die Präsentation im
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Umfeld anderer Prominenter) und die glanzvolle Inszenierung. Ein Kontinuum wird in der Show durch die Moderatorin oder den Moderator erzeugt, der die einzelnen Interpreten angekündigt, indem er nicht zuerst den Namen nennt, sondern beschreibend auf Erfolge und Aspekte ihrer Person verweist und das Publikum vermuten lässt, wer denn nun von der Showtreppe hinabsteigen könnte. Auch im Anschluss der Darbietung wird häufig ein kleines Gespräch zwischen Moderator und Interpret geführt. Das Setting der Show ist mit unterschiedlichen und wechselnden Bühnenbildern ausgestattet. Zumeist wird aber nicht mehr der klassische Alpenhintergrund oder die Dorfkulisse mit Kirche, Brunnen und Bäumen verwendet, sondern Komponenten, wie man sie auch in anderen Spiel- und Unterhaltungsshows sieht (Podeste in verschiedenen geometrischen Formen, Showtreppen und Drehbühnen in glänzenden Farben). Im Unterschied zu anderen audiovisuellen Formaten (z.B. Videoclip oder Dokumentation) wird der Interpret hier ausschließlich während der Ausübung seiner Tätigkeit dargestellt. Die Fokussierung liegt also auf der varianten- und perspektivreichen Darstellung der Person selbst (durch Kamerafahrten, Nahaufnahmen etc.) und nicht auf der Darstellung eines narrativen Kontextes. Insbesondere das singende Gesicht in Nahaufnahme erfüllt dabei eine wichtige Funktion, indem es durch die Verknüpfung von Musik und Mimik eine glaubhafte Kohärenz und damit emotionales Involvement erzeugt. Angereichert wird der Auftritt häufig durch einen Chor oder eine Band, die í trotz Playback-Darbietung í die Echtheit der Darbietung suggerieren sollen. Gesamtintention einer volkstümlichen Unterhaltungsshow ist damit die Erzeugung einer positiven und festlichen Grundstimmung, wodurch hinsichtlich der vom Star repräsentierten Bedeutungen vor allem Erfolg, Professionalität und Beliebtheit (durch die Suggestion von Status und Prestige) sowie Fröhlichkeit und Emotionalität (durch die Art der Inszenierung und die Einbindung des Studiopublikums) in den Vordergrund gerückt werden.
6.2.4 Interviewauswertung Allgemeines Eine Fangemeinde und die zugehörige Organisation und ausreichende »Pflege« derselben ist für jeden Interpreten volkstümlicher Musik ein essentieller Bestandteil seiner Tätigkeit. Die Gründung und Leitung eines Clubs erfolgt zwar durch einzelne Fans und nicht etwa durch das Management oder die Interpretin, jedoch steht letztere in direktem í wenn auch nicht unbedingt häufigem í Kontakt zu den jeweiligen Leitern. Diese Clubs í für Stefanie Hertel sind es in Deutschland derzeit elf í erfüllen vor allem die Funktion, Fans kontinuierlich mit Informationen und aktuellem Material zu versorgen, welches die Leiter von der Familie Hertel direkt bekom-
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men (z.B. Autogrammkarten oder vorgefertigte Glückwunschkarten für die Geburtstage der Clubmitglieder). Zusätzlich erstellen Fanclubleiter ein Rundschreiben an ihre Mitglieder und/oder eine Fan-Website, auf der aktuelle Fotos und Informationen zu Stefanie Hertel verbreitet werden. Ferner sammeln manche Fanclubleiter die Fragen der Fans, die regelmäßig anrufen oder Briefe schreiben, und leiten sie an Stefanie Hertel weiter. Da es sich meist um Details aus ihrem Privatleben handelt, wird nur auf einen Teil der Fragen reagiert bzw. werden diese í aufgrund der Redundanz der Fragen í von den Leitern nach mutmaßlichem Wissen selbst beantwortet. Diese ehrenamtliche Tätigkeit nehmen die Leiter entweder auf, um dem Star näher zu sein und mit ihm in direktem Kontakt zu stehen oder aus sozialen Gründen, da sie das Gefühl haben, gerade älteren Menschen hiermit eine Freude zu bereiten. Durch den Informations- und Materialaustausch im Fanclub wird also eine regelmäßige Beschäftigung mit Hertel gewährleistet, die durch das persönliche Erleben der Sängerin eine Erhöhung erfährt. Wichtigstes Ereignis ist daher das Live-Konzert, bei dem man sie aus der Ferne bewundern, sich im Anschluss aber auch in ihre Nähe begeben kann. Die Autogrammstunde bietet dabei vor allem die Möglichkeit für ein gemeinsames Foto mit dem Star, das zu Hause aufgehängt und/oder an Zeitschriften wie »Stars & Melodien« gesandt wird, zum Abdruck auf der Fan-Seite. Ein besonderes Ereignis stellt das jährlich stattfindende Fanclubtreffen dar, bei dem alle deutschen Fanclubs zusammenfinden, um gemeinsam Kaffee zu trinken und untereinander sowie mit Stefanie Hertel in persönlichen Kontakt zu treten (durch ein kurzes Gespräch oder den obligatorischen Fototermin). Manche Fans haben sogar »Pilgerfahrten« nach Oelsnitz unternommen, um das Elternhaus zu sehen und dort ein Geschenk zu hinterlassen. Bereits hier wird deutlich, dass Stefanie Hertel-Fans diverse Formen der Kontaktaufnahme nutzen bzw. erfinden, wobei auch die Sammelleidenschaft oder das Anlegen von Fotoalben (mit Zeitungsausschnitten und Originalfotos) oder das wiederholte Betrachten von mitgeschnittenen Fernsehauftritten letztlich eine Art von Kontakt darstellt. In den Interviews erscheint die Sängerin dabei z.T. sogar als imaginäre Begleiterin im Alltag, wie die folgenden zwei Beispiele veranschaulichen: »Ich denke jeden Tag an die beiden, ich träume sogar nachts von denen [...] Des kommt dann so, wenn man sich so intensiv mit den beiden beschäftigt, dann träumst halt auch davon. Es ist zwar sehr selten, dass du davon träumst, aber ich denk jeden Tag an die und dann sag ich immer, Mensch, jetzt sind sie da, jetzt sind sie da und jeder Gedanke ist immer ... und wenn es nur ein Gedanke am Tag ist: Mei Gedanke is immer bei denen.«
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES »Gut, wenn man arbeitet, dann denkt man zwar erst a mal nicht dran, aber so, wenn man nach Hause kommt oder so. Ich mein’, wenn ich von der Arbeit nach Hause fahr oder früh zur Arbeit hin, da ist a CD schon da, und da gibt’s Stefanie schon auf’m Weg dahin und auf dem Weg zurück und sie ist halt immer dabei. [...] Es ist egal, ob ich irgendwie in Urlaub fahr’, egal ob ich da irgendwie nach Ibiza fahr’ oder nach Mallorca, die Stefanie ist dabei, entweder mit dem CDSpieler oder mit dem Kassettenrekorder. Sie ist dabei!«
Werteanalyse Die Auswertung der Interviews zeigt zunächst, dass die in den Presseanalysen separat angeführten Wertekategorien in den Vorstellungen der Fans eng ineinander verzahnt sind (vgl. Abb. folgende Seite). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier jedoch lediglich auf die wichtigsten Verknüpfungen Bezug genommen. In diesem Netzwerk tauchen des Weiteren neue Kategorien auf, die in den Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften nicht thematisiert werden (»Glaubwürdigkeit«, »Stärke/Vorbildcharakter«, »Selbsttreue«) bzw. kaum Gewicht besitzen (»Ehrlichkeit«, »Zugänglichkeit«). Gleichzeitig sind einzelne Werte aus der Presseberichterstattung in den Äußerungen der Fans stark unterrepräsentiert bzw. nicht vorhanden (»Heimat«, »Tradition«, »Reife«, »Autonomie« und »Religiosität«).112 Die folgende Abbildung zeigt die Verortung der Werte im semantischen Raum sowie ihre kontextuelle Vernetzung durch die Rezipienten.
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Die einzelnen Wertekategorien wurden nach ihrer Bedeutsamkeit gewichtet und diesbezüglich in vier Gruppen eingeteilt: Sehr bedeutsam (fett und unterstrichen), bedeutsam (fett), weniger bedeutsam (Schriftgröße 12) und kaum bedeutsam (Schriftgröße 9). Die farbigen Verbindungslinien zeigen die Kontextualisierungsmuster der Befragten.
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INDIVIDUALITÄT
Stärke/Vorbild
Erfolg
Selbstbewusstsein Professionalität Attraktivität Emotionalität
Beliebtheit
Fröhlichkeit/Charme
NÄHE
DISTANZ
Glaubwürdigkeit Ehrlichkeit Zugänglichkeit Fürsorglichkeit
Normalität/Natürlichkeit
Selbsttreue Anstand
Bescheidenheit
Solidarität
Pflichtbewusstsein
Tradition
SOZIALITÄT
Abbildung 8: Hertels semantischer Raum aus Perspektive der Fans Die auch bei den Fans dominante Kategorie »Solidarität« weist eine Fülle von Beziehungen zu anderen Komponenten des Hertel-Images auf. So wird Zusammenhalt in der Familie und in der Beziehung zu Stefan Mross als wichtige Basis für »Erfolg« í der in der Abbildung diametral entgegengesetzten Wertekategorie í angesehen (»von der Unterstützung her denke ich schon, dass die Familie der ausschlaggebende Grund für ihren Erfolg war«). Zum Bild der professionellen Künstlerin gehört daher auch die Einbindung der Eltern in ihre Arbeit (»weil die Mutter ist ja immer dabei und bügelt die Kleider immer auf«). Auch die í trotz der Diskrepanz zwischen ihrer einfachen Herkunft und ihrem jetzigen Star-Status í gleichbleibende Persönlichkeit von Stefanie Hertel (Bezug zu den Kategorien »Selbsttreue«, »Normalität« und »Anstand«) wird auf den Einfluss der Familie zurückgeführt (»da war der Vater bestimmt dahinter gestanden, dass Stefanie da nicht so abheben tut«). Neben der Familie im allgemeinen wird ebenso die Beziehung von Hertel und Mross besonders gewürdigt (Verknüpfung mit »Emotionalität«) und stellt deren Aufrechterhaltung einen zentralen Zukunftswunsch dar (»ich hoffe schon, dass sie zusammenbleiben«), idealerweise von einer klassischen Hochzeitszeremonie gekrönt, was einen Bezug zu »Tradition« herstellt (»mein größter Wunsch ist, dass sie irgendwann mal vor’m Traualtar stehen«).
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Diese Anbindung an die Kategorie »Emotionalität« ist nicht auf die Liebesbeziehung Hertels beschränkt, vielmehr wird sie auch der Musik selbst zugeschrieben (»gefühlvolle Musik«) und zeigt sich am Involvement der Fans (»ich kann nicht sagen, dass ich die bloss leiden kann, ich hab die eigentlich lieb, also alle, die zur Familie gehören, die wir so kennen«). »Solidarität« ist damit ein Wert, der Stefanie Hertel und ihren Bezugspersonen nicht nur zugeschrieben wird, sondern auch die Star-Fan-Beziehung umschreibt und sich vor allem an der umfassenden Verteidigung der Interpretin zeigt (z.B. wenn Negatives in der Presse geschrieben wird). Wie sich bereits in der Darstellung der Fanaktivitäten andeutete, wird seitens der Fans sogar eine Einbindung in den Familienkreis angestrebt bzw. imitiert, indem sie beispielsweise Bilder der Familienmitglieder Hertels in der Wohnung aufhängen, der Sängerin und ihrer Familie Weihnachts- und Ostergrüße senden oder sich von anderen Fans oder Fanclubleitern durch einen persönlicheren Kontakt zur Familie Hertel abheben möchten (»Ich möchte mich irgendwie mal mit denen [mit den Hertels, S.B.] unterhalten, wo die anderen Fans jetzt ausgeschlossen sind«). Einen weiteren Knotenpunkt im Wertesystem von Stefanie Hertel stellt aus Sicht der Fans der Aspekt »Normalität/Natürlichkeit« dar. Starke Verbindungen existieren zum einen zur Kategorie »Bescheidenheit«, indem immer wieder erwähnt wird, dass Hertel ein Mensch wie jeder andere ist, der sich nicht durch besonderen Luxus abzuheben versucht (»sie braucht also keine teuren Sachen, sie isch ganz normal, sie läuft rum wie jeder andere auch«) und auch einfache Tätigkeiten übernimmt (»die Stefanie [...], die macht Kaffee, hilft da mit, putzt und macht. Wer macht das heut’ noch?«). In professioneller Hinsicht bezieht sich »Normalität/Natürlichkeit« auf die Art des Bühnenverhaltens, die vor allem in Abgrenzung zu anderen Stars als »nicht affektiert«, »dezent« oder »nicht arrogant« beschrieben wird. Im Gegensatz zu anderen musikalischen Genres gilt die Feststellung, dass Hertels Auftreten als »nicht einstudiert wirkt« hier als Qualitätsmerkmal. Diese Verknüpfung von »Natürlichkeit« und professioneller Bühnenpräsenz liefert einen wichtigen Baustein für die Zuschreibung von »Glaubwürdigkeit«, indem hierdurch ein Kontinuum von Arbeit und Freizeit vermutet wird (»Stefanie is’ genauso, wie ma’s auf der Bühne sieht, so ist sie Zuhause auch«). Aufgrund dieser Annahme wird sie als sehr zugänglich erlebt (»mit Stefanie kann man sich ganz normal unterhalten«). Neben dem Wunsch nach einer glücklichen Beziehung zwischen Hertel und Mross bzw. Hertel und ihrer Familie ist daher für die Fans auch besonders bedeutsam, »dass sie so bleibt wie sie ist« (Bezug zur Kategorie »Selbsttreue«). Wie zu Beginn erwähnt, repräsentiert »Zugänglichkeit« des Stars für die Fans von Stefanie Hertel eine äußerst wichtige Komponente ihres
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Images. Im Unterschied zur Kategorie »Fürsorglichkeit« meint »Zugänglichkeit« nicht die Aktivitäten der Sängerin (z.B. Spendenaktivitäten oder Sorgen um Familienmitglieder, wie in der medialen Berichterstattung in der Kategorie »Fürsorglichkeit« zusammengefasst), sondern die Wahrnehmung ihrer Verhaltensweisen aus der Sicht von Personen, deren permanentes Bestreben es ist, in ihre Nähe zu gelangen bzw. mit ihr in Kontakt zu treten. Wichtige Kontaktformen sind Briefe und Geschenke an Stefanie Hertel, die durch die Sängerin persönlich, zumeist aber durch die Fanclubleiter beantwortet werden (»ich kriege auch immer Antwort, und das find’ ich dann schön, dass sie sich Gedanken macht über ihre Fans«). Ein besonderes Ereignis stellt die Geschenkübergabe während des Konzerts da, die häufig auf einem Foto festgehalten und als besondere Erinnerung aufbewahrt wird (»wenn jemand ihr’nen Blumenstrauß hochreicht, dass sie dann auch vorgeht und das auch nimmt, egal ob sie jetzt singt oder nicht, des macht was aus«). Etwas Besonderes ist das persönliche Foto und/oder das Gespräch mit dem Star, zu dem nach dem Konzert im Rahmen der Autogrammstunde Gelegenheit besteht, wobei die Fans häufig positiv anmerken, dass hier jeder Aufmerksamkeit erhält (»man kann zu ihr hingehen und kann mit ihr ein Photo machen, die sagt da net: Nee, nee, machen wir nicht oder sonstwas, die geht halt auf die Leute zu, egal ob sie behindert oder nicht behindert sind, sie geht auf die Leute zu [...], sie blockt des net ab«). Hier liegen also »Zugänglichkeit« und »Fürsorglichkeit« nahe beieinander, was für das Image Hertels bedeutet, dass die häufig bei Stars zu beobachtenden öffentlichen Hilfeaktivitäten in der Wahrnehmung der Anhänger von Stefanie Hertel nicht auf allgemeine Spendenaktionen beschränkt bleiben, sondern sich auch auf die Fans beziehen í zumindest, was das empfundene Maß an Aufmerksamkeit und das Gefühl von »Solidarität« betrifft (»wir haben schon viele Stars der Volksmusik erlebt, aber so, sag’ ich mal, wirklich intensiv mit den Fans beschäftigen sich die anderen weniger«). Neben »Zugänglichkeit« ist auch »Ehrlichkeit« ein Wert, der bei den Fans eine große Rolle spielt, aber in der Presse unterrepräsentiert ist. Dies begründet sich nicht nur durch die häufige Nennung dieses Attributs, wenn nach den zentralen Bedeutungen Hertels gefragt wird, sondern auch durch die Verknüpfungsoptionen mit anderen Wertekategorien. So erklärt sich die Wahrnehmung ihrer Lieder als »ehrliche Musik« aus einem Bedeutungskomplex, der ihren Umgang mit anderen Menschen, ihr Verhalten im Beruf und die allgemeine Beständigkeit ihrer Werte umfasst. Entsprechend wird vermutet, dass sie immer gerade heraus sagt, was sie bewegt und »wahre Freundschaften« pflegt, in denen man füreinander da ist (Bezug zu »Solidarität«), sich aber auch kritisieren kann (»Sie sagt alles gerade heraus, wenn ihr was stinkt, wenn sie sich freut«). Zum Teil entstehen diese Aussagen
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aufgrund von Presseberichten, die die Fans gelesen haben, zum Teil aber auch durch die Musik selbst bzw. die zugehörigen Liedtexte (z.B. »Es ist gut, dass es Freunde gibt«). Die erwähnte Kombination aus »Natürlichkeit« und »Professionalität« in ihrer Gesamterscheinung verstärkt zudem den Eindruck, dass sie in ihren Liedern besingt, was sie wirklich bewegt (»Des kommt daher, weil sie von Anfang an sagt, die Lieder, die sie singt, hinter denen steht sie« oder »Sie macht’s schon aus’m Herzen raus«). »Ehrlichkeit« liegt daher nahe bei »Glaubwürdigkeit«, einer Kategorie, die in der Presse überhaupt nicht auftaucht, hier aber von Bedeutung ist bzw. der Sängerin in selbstverständlicher Weise zugeschrieben wird. In den Äußerungen der Fans zeigt sich »Glaubwürdigkeit« zum einen in der Kohärenz verschiedener Gestaltungsebenen (»das ist sehr ausgewogen bei ihr, und vom Auftreten her passt dann alles zusammen«) und zum anderen in der Wirklichkeitsnähe ihrer Liedtexte (»die Texte, sag ich mal, sind richtig aus dem Leben gegriffen« oder »das sind auch die Texte, die du halt begreifen kannst, vom Leben, vom wirklichen Leben singt sie«). Auf die Kategorie »Selbsttreue« als Kontinuität stiftendem Wert wurde bereits an mehreren Stellen Bezug genommen. Dass sie »sich selbst treu bleibt«, wird dabei sowohl hinsichtlich der persönlichen als auch der professionellen Ebene gewürdigt und mit Verweisen wie »von klein auf...« oder »das hat sie schon damals ...« in die Erzählungen eingebunden. Im Gegensatz zu den bislang erwähnten Kategorien ist »Fröhlichkeit/Charme« weniger stark mit anderen Werten verbunden, sondern repräsentiert eher eine übergeordnete Befindlichkeit (»sie ist ein Mensch, wo eigentlich selten schlecht drauf isch«), die sich auch in ihrer Musik í umschrieben mit Begriffen wie »lebhaft« oder »schwungvoll« í widerspiegelt und wesentlich zu ihrer sympathischen Gesamterscheinung beiträgt (»sie ist für mich ein Sonnenschein«). »Attraktivität/Ausstrahlung« und »Beliebtheit« wiederum verbinden diverse Wertekategorien und werden auch direkt als Eigenschaften von Stefanie Hertel genannt. Bereits in den Presseanalysen zeigte sich, dass »Attraktivität« bei Stefanie Hertel nicht losgelöst als auffallende Schönheit erlebt wird, vielmehr geht es um den ursprünglichen Wortsinn des Angezogen-Werdens, wobei dies gerade durch den kohärenten Gesamteindruck bewirkt wird (»diese ganze Art, ihr fröhliches Auftreten [...], das hat uns gleich die beiden sympathisch gemacht«). Kohärenz kann sich aber auch nur auf das Äußere beziehen, indem z.B. die Kleidung zur Person passt (»des Kleid steht ihr auch sehr gut [...], die schaut auch immer schick aus«). Dass sie eine besondere »Ausstrahlung« hat (Bezug zur Kategorie »Beliebtheit«), wird zumeist direkt erwähnt und kaum weiter spezifiziert (»sie kommt halt gut rüber«).
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Bezüglich »Beliebtheit« steht die Bindung zwischen Star und Fan im Vordergrund, ähnlich wie bei Besetzung dieser Kategorie in den Presseberichten. So besteht die Beziehung zum Star einerseits aus eher distanzierter Bewunderung der erfolgreichen Sängerin (»dann haben wir erst mal angefangen, von der Stefanie zu schwärmen«) und dem Bewusstsein ihres Bekanntheitsstatus (»wenn man so berühmt und populär ist ...«), wodurch ein Bezug zur Kategorie »Erfolg« hergestellt wird. In den persönlichen »Starhierarchien« steht Hertel folglich an erster Stelle und lässt sich von anderen Vertretern ihres Genres aus der Perspektive ihrer Fans deutlich unterscheiden, was zumeist mit einer Fokussierung auf diese Interpretin (z.B. bezüglich Konzertbesuch, CD-Kauf) einhergeht (»Wir haben uns nun mal für die Hertels entschieden«). Auf der anderen Seite existiert neben eher distanzierter Schwärmerei auch die Vorstellung emotionaler Nähe (Bezug zur Kategorie »Emotionalität«), die durch Umschreibungen wie z.B. »an ihr hängen« oder »die Person an sich mögen« unterstrichen wird. In diesem Kontext kommt erneut der zentrale Wert »Solidarität« ins Spiel, denn Hertels Bekanntheits- bzw. Beliebtheits-Status wird im Wesentlichen durch die Treue der Fans begründet (»Wie gesagt, ohne Fans geht’s natürlich gar nicht und die hat sie, und sie hat [...] wirklich treue Fans, wahnsinnig treue Fans«). Bedeutsam ist hier zudem die bereits erwähnte Verteidigung der Interpretin, insbesondere wenn mutmaßlich falsche Meldungen in den Medien verbreitet werden. (»Das find ich eine ganz große Gemeinheit, denn da steh` ich zur Stefanie. Wenn das so ist, daß sie ein Kind kriegen sollte, abtreiben tut Stefanie nicht«). War »Selbstbewusstsein/Selbständigkeit« in den Zeitungsbereichten eher auf konkrete Ereignisse bezogen (z.B. Zuversicht nach Schicksalsschlag, beruflicher Optimismus als Reaktion auf den »Trompeterkrieg«) und nicht der Person als zentrale Eigenschaft zugeschrieben, sehen die Fans diesen Aspekt als wichtiges Element in Hertels Persönlichkeit (»des was sie möchte, des macht sie«) und ergänzen es um die Komponente »Durchsetzungsfähigkeit«, was impliziert, dass Hertel aus der Sicht ihrer Anhänger auch Widerstände überwinden kann bzw. es ihr zugetraut wird (»sie guckt, dass sie das durchgesetzt kriegt«). Entsprechend wird ihr auch in beruflicher Hinsicht ein hohes Maß an Eigeninitiative zugeschrieben (»sie hat ihren eigenen Geschmack« oder »ich glaub nicht, das die Stefanie da mitmachen würde, wenn sie einfach was hingeknallt kriegt«). So erklärt sich auch die Kategorie »Stärke/Vorbild«, die in der Presse nicht auftaucht, in den Interviews aber konsequent angesprochen wird. Gerade für ältere Menschen bietet Stefanie Hertel bzw. ihre Musik eine wichtige Stütze im allgemeinen (»ich kann da auch für mich was draus lernen«), aber auch nach persönlichen Schicksalsschlägen (»da hab i feste Halt g’sucht bei der Stefanie«).
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Gerade aus Sicht der Fanclubleiter, die in kontinuierlichem Kontakt mit ihren Mitgliedern stehen, besteht daher eine zentrale Leistung Hertels darin, »den Menschen irgendwie ein Gefühl zu geben, es denkt noch jemand an mich«. Auf den Aspekt »Professionalität« wurde bereits im Rahmen anderer Wertekategorien Bezug genommen (z.B. »Ehrlichkeit« oder »Normalität«). Zu ergänzen ist hier die Verbindung zum »Pflichtbewusstsein«, die vor allem durch die Betonung von Perfektionismus (»wenn sie was nicht ganz hundertprozentig hinkriegt [...], dann ackert sie solange bis es klappt«) und Verzicht (»deswegen sagt sie, sie braucht nicht jeden Samstag in die Disco gehen«) hergestellt wird. Professionelles »Pflichtbewusstsein« umfasst auch ihr Engagement hinsichtlich des Fan-Kontaktes, was sich vor allem darin äußert, dass sie bei ihren Veranstaltungen so lange bleibt, »bis der letzte Fan geht«. Auch »Erfolg« wurde im Verlauf dieser Darstellung als zentraler Baustein im Hertel-Image aus der Perspektive der Fans schon angesprochen. »Erfolg« ist zunächst der wichtigste Anlass für den Erstkontakt zu Stefanie Hertel. So nannten alle Interviewpartner ihren Sieg beim Grand Prix der Volksmusik (1992) bzw. die zugehörige Fernsehsendung als Beginn ihrer Begeisterung für die Sängerin (»Seit den größeren Erfolgen haben wir uns eigentlich sehr intensiv damit beschäftigt« oder »Da war’n Konzert und da haben wir dort gesagt, na ja, jetzt kennen wir die aus dem Fernsehen. Die gucken wir uns schon mal an«). »Erfolg« wird aber auch als Anlass für Neid seitens der Kollegen und der Presse gesehen und löst dann wiederum Solidaritätsgefühle und -bekundungen aus (»Man sieht es halt in der Zeitung [...], die schmieren da irgendwas rein, das ist einfach pure Eifersucht, weil sie auf diese Person neidisch sind, dass die Kohle hat und gut aussieht«).
Persönlicher Bezug Die einzelnen Werte, die Stefanie Hertel repräsentiert, sind nicht nur untereinander verknüpft, sondern weisen für ihre Anhänger auch eine starke Anbindung an das jeweils eigene Wertesystem auf. Insbesondere »Solidarität« erscheint als zentraler Wert, der í wie im Wertesystem von Hertel verankert í sowohl den Bereich Familie (»selbstverständlich hat die Familie einen hohen Stellenwert, auch Kinder oder die Entwicklung der Kinder«) als auch den Freundeskreis umfasst (»wenn jetzt’n Freund kommt mit einem Problem [...], dem dann einfach zu sagen, ja komm, erzähl, vielleicht kann man’s gemeinsam besser lösen als allein«). Bezüglich mehrerer Werte í insbesondere diesem í wird darauf verwiesen, dass sich eigene Erfahrungen in der Musik Hertels widerspiegeln (»Man entdeckt auch in den Texten
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immer wieder Dinge, die einen an die eigene Familie, an die eigene Kindheit erinnern«). Einen ebenso wichtigen Bereich stellt die eingangs thematisierte »heile Welt« dar. So wird teilweise explizit betont, dass dies keine Heile-WeltMusik sei (»Auf jeden Fall ist das keine Heile-Welt-Musik. Sie singt auch über Themen, über die andere vielleicht nicht singen würden«) oder aber das Recht auf eine »heile Welt« geltend gemacht und mit einem »Recht auf Träume« begründet (»ich versuche mich dann vielleicht in die heile Welt í in Anführungsstrichen í hinein zu träumen« oder »es muss ja nicht immer die Realität sein, die man besingt, sondern es ist vielmehr die Vorstellung des Einzelnen, die angeregt werden soll«). Dies zeigt, dass der »HeileWelt«-Vorwurf, mit dem volkstümliche Musik in den Medien und der Gesellschaft insgesamt konfrontiert ist, den Anhängern wohl bewusst ist und sie verschiedene Strategien entwickeln, diesem zu begegnen. Interessant sind ferner spezifische Ähnlichkeiten zwischen Star und Fan, die als Bezugsanker eine nicht unerhebliche Rolle für langfristige Identifikationsprozesse spielen. Gerade die Kindheit Hertels, auf die sowohl in der Presse als auch in den Interviews immer wieder Bezug genommen wird, weist in ihrer Idylle und gleichzeitigen Bodenständigkeit viele Parallelen zu den Schilderungen der Fans auf, wenn sie über ihr eigenes Leben berichten (»Ich bin als Kind viel gewandert, ich komme aus Thüringen und dort wurde auch sehr viel gesungen« oder »wir haben damals zu Haus alle mithelfen müssen«). Häufig wurden aber auch konkretere Ähnlichkeiten von den Fans selbst benannt, wobei dies nicht durch Aufforderung geschah, sondern automatisch im Erzählfluss verankert wurde, was das kontinuierliche Aufsuchen von Nähe zum Idol noch einmal unterstreicht (»dadurch, dass sie in meinem Alter ist, habe ich gedacht, der muss ich jetzt die Daumen drücken« oder »die [Hertel und Mross, S.B.] haben sich gesucht und gefunden, es ist so, wie beim meinem Mann, wir haben uns auch gesucht und gefunden«).
6.2.5 Zusammenfassung: Kern-Komponenten des Images von Stefanie Hertel Betrachtet man noch einmal alle in den Printmedien fokussierten und von den Fans thematisierten Aspekte gemeinsam, ergibt sich insgesamt ein Wertefeld, das sich vornehmlich auf den linken unteren Quadranten konzentriert, aber auch eine Kette von Werten aufweist, die in den rechten, oberen Quadranten hineinreichen. Gar nicht belegt ist hingegen der rechte untere Quadrant. Somit dominieren auf Gemeinschaft und Nähe ausgerichtete Werte, die aber in einem dynamischen Verhältnis zu den erfolgszent-
232
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
rierten Werten stehen, welche eine Abhebung der Interpretin von ihrem Publikum repräsentiert und so den Star-Status fixiert. Hinsichtlich der Dynamik von Nähe und Distanz lässt sich eine diskursive Fokussierung auf den Nähe-Pol feststellen. So befindet sich hier nicht nur eine Wertekonzentration, sondern tendieren auch die distanzierenden Bedeutungen durch diverse Umdeutungen und Relativierungen in diese Richtung: Bekanntheit í als eine zentrale Komponente musikalischen Startums (vgl. Kapitel 4) í ist zwar Bedingung der Berichterstattung in der Presse, prägt sich aber vornehmlich als »Beliebtheit« aus, wodurch die Annäherung an das Publikum betont wird, denn Stefanie Hertel wird weniger als bekannteste, sondern als beliebteste Volksmusikantin gezeichnet und wahrgenommen. Auch die von Medien und Anhängern betriebene Verknüpfung mit »Attraktivität« als sympathischer Ausstrahlung anstatt zu bewundernder Schönheit rückt diesen Aspekt in den Bereich kohäsionsorientierter Werte. Ebenso wird »Erfolg« zwar mit Verweis auf die Verleihung von Preisen untermauert, ist aber nicht an professionsspezifische Leistung gekoppelt (z.B. durch die Hervorhebung ihrer musikalischen Fähigkeiten). Entsprechend ist auch die Kategorie »Professionalität« durch eine starke Privatisierung gekennzeichnet, indem vor allem »Pflichtbewusstsein« und Organisationstalent (Vereinbarkeit von Familie und Beruf) als zentrale Bausteine angefügt werden, nicht aber ein differenzierter Stil, der sie als ausführende Musikerin charakterisiert. Aus der Perspektive ihrer Fans beinhaltet der »Erfolg« von Stefanie Hertel í wie gezeigt wurde í sogar Aspekte der Gefahr, indem er neidvolle Reaktionen provoziert (z.B. negative Presseberichterstattung), vor denen die Interpretin nach Ansicht der Fans durch Verteidigung geschützt werden muss. In ähnlicher Weise wird »Selbstbewusstsein» von den Anhängern zwar stärker als in den Medien an die Interpretin selbst gebunden, aber nicht in Form einer Abgehobenheit oder eines Größenwahns semantisiert, sondern in »Stärke« und Durchsetzungsfähigkeit umgedeutet, was wiederum Hertels Vorbildcharakter stärkt und eine emotionale Annäherung an ihre Person bewirkt. In diesem Sinne sind auch visuelle und audiovisuelle Medienformate auf die Suggestion von Nähe ausgerichtet. So bieten beispielsweise die dargestellten Fernsehshows eine Kombination aus »Erfolg« suggerierendem Glamour (durch Ausstattung, Lichteffekte etc.) und »Bodenständigkeit«, da in den Gesprächen, die mit den Interpreten nach ihrem Auftritt geführt werden, zumeist private Anekdoten ausgetauscht werden, die den Star von der Glitzerbühne wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. In ähnlicher Weise wird die Dimension »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit« kommunikativ ausgestaltet. So fokussieren die Anhänger nicht nur Werte, die Nähe suggerieren bzw. deuten Distanz erzeugende
233
DER MUSIKSTAR
Komponenten entsprechend um, sondern nehmen die Interpretin auch als eine Person wahr, die den in dieser Gruppe geltenden Standards entspricht und somit »gewöhnlich« bzw. »normal« ist. Wie gezeigt wurde, stellt »Normalität«, die als Natürlichkeit empfunden wird, insbesondere für das Publikum von Stefanie Hertel insgesamt eine wichtige Größe und einen Knotenpunkt in ihrem Image dar. Ähnlich wie bei dem oben angeführten Wert »Selbstbewusstsein« zeigen sich auch bei »Normalität« Irradiationsprozesse, die in den Medien punktuell dargestellte Aspekte (z.B. ein Verhalten in einer bestimmten Situation) auf die Person selbst übertragen und so zu einer umfassenden Eigenschaft aufwerten. Bei »Normalität« geschieht dies vor allem durch die Konstruktion eines Kontinuums von Arbeit und Freizeit, d.h. es wird vermutet, dass sich Stefanie Hertel auch auf der Bühne und im nicht einsehbaren Produktionsprozess genauso verhält wie es ihre Fans tun würden, wenn sie in der gleichen Situation wären. Die Globalisierung von Eigenschaften bezieht hinsichtlich des Wertes »Solidarität« sogar den Fan selbst mit ein. So ist »Solidarität« in der Presse als Wert beschrieben, der das Verhältnis von Hertel zu ihrem Partner und ihrer Familie kennzeichnet. Die Fans erweitern diese Darstellung, indem sie ihr eigenes Verhältnis zu Hertel als solidarisch bezeichnen und sie somit als »eine von ihnen« und damit »gewöhnlich« empfinden. Wirft man einen Blick auf die Komponenten, die im Image Hertels überhaupt Außergewöhnlichkeit im Sinne einer Abgrenzung signalisieren, fällt zudem auf, dass es sich hierbei ausschließlich um Statusattribute handelt, mit Hilfe derer sie von den Medien zur Gruppe der Stars gezählt werden kann und nicht um auffällige Verhaltensweisen oder außergewöhnliche Fähigkeiten, z.B. ein ausschweifender Lebensstil, Exzentrik oder auffallende Intellektualität. In diesem Starsystem sind öffentlich wahrnehmbare Hinweise auf die Gewöhnlichkeit der Interpretin denn auch grundlegend für die Zuschreibung von »Glaubwürdigkeit«, die hier an ein umfassendes Bedingungsnetzwerk gekoppelt ist. So wird Kohärenz sowohl zwischen Darstellungsformen (natürliches Äußeres, natürliches Bühnenverhalten, »wirklichkeitsnahe« bzw. publikumsnahe Liedtexte etc.), zwischen öffentlichem und privatem Leben (Anbindung an ihre Herkunft und ihren Bezug zur Familie) als auch zwischen Werten der Interpretin und den Werten des Publikums in einem gewissen Ausmaß erwartet. Zudem wird eine zeitliche Kontinuität hinsichtlich zentraler Persönlichkeitseigenschaften und Ansichten gewünscht. Stefanie Hertel bzw. ihr Starimage erfüllt somit für ihr Publikum nicht nur die Funktion unterhaltsamer Ablenkung vom Alltag, sondern wird in den Alltag integriert und ist gleichzeitig ein erfolgreiches Vorbild für eine zielorientierte Sinnsuche, die letztlich der Bestätigung des eigenen Wertesystems dient.
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Hinsichtlich der Verortung auf der Dimension »Realität/Fiktion« lässt sich für das Image Stefanie Hertels sowohl in der Presse als auch aus der Perspektive der Fans ein kontinuierlicher Realitätsanspruch feststellen. D.h. der Interpretin wird nicht unterstellt, bewusst falsche Informationen zu streuen, um Aufmerksamkeit zu erzielen und sich durch Mysteriosität interessant zu machen. Bemerkenswert ist, dass sich dennoch eine diskursive Dialektik entwickelt. Da Printmedien auf Widersprüchlichkeiten angewiesen sind, um Berichterstattungsanlässe zu generieren, wird der Realitätsanspruch der Interpretin und der wohlwollenden Volksmusik-Zeitschriften als Heile-Welt-Fiktion präsentiert. Die Verdichtung disparater Informationseinheiten zum übergeordneten wiedererkennbaren Stereotyp wird durch diskursive Praktiken (Ironisierung, Verniedlichung, Herabwürdigung) erzielt. Eine weitere Technik ist das Aufzeigen von Brüchen in der heilen Welt durch die plakative Präsentation von Skandalgeschichten (vorwiegend in der BILD-Zeitung). Diese Verfahren der Nachrichtenproduktion erzeugen jedoch erst die Dynamik im Verhältnis von Realität und Fiktion und wirken weniger destabilisierend als anregend, da Negativmeldungen Gegendarstellungen in den Volksmusik-Zeitschriften provozieren und von den Fans als »geschäftsschädigende« Unwahrheiten eingeordnet werden. Abschließend seien die Ankerwerte des Hertel-Images erwähnt, die sowohl in den Medien als auch auf Seiten der Fans besonders stark ausgeprägt sind:113 »Solidarität«, »Normalität«, »Beliebtheit/Attraktivität«, »Professionalität« und »Erfolg«. Deutlich zeigt sich dabei in der Abbildung, dass diese Werte quer über das Wertesystem verteilt sind und den Netzwerkcharakter und damit die Prägnanz des Images stärken. Der Bezug zur Auswertung der Kategorie »Labeling«, in der alle Namen, die dem Interpreten in der Presse zugewiesen werden, gesammelt wurden, zeigt, dass nahezu alle Etikette diesen vier Ankerwerten zugeordnet werden können, was ihre kommunikative Effektivität noch einmal unterstreicht.
113
Die Vorgehensweise bei der Bestimmung dieser Werte wird im Methodenkapitel erläutert.
235
DER MUSIKSTAR
INDIVIDUALITÄT
Nr. 1 des Bayern-Pop Doppelreiner Superstar
Erfolg Vorzeigestar
Deutschlands Volksmusik-Star Nr. 1
Professionalität Prinzessin Herzilein Das fröhlichste Gesicht der Volksmusik Volksmusikprinzessin
Deutschlands Unsere bildhübsche meistfotografierte Frau Volksmusikkönigin Unser schönster Volksmusik-Star
Attraktivität
Beliebtheit
Die Britney Spears des Musikanten-Stadls
NÄHE
DISTANZ
Goldkehlchen aus dem Vogtland Engel aus dem Vogtland
Die Verkünderin des Einfachen
Normalität/Natürlichkeit Traumpaar der Volksmusik
Volkskehlchen
Volksmusik-Spatz Heilige der Musikszene
Solidarität Das bravste und sauberste Volksmusik-Pärchen SOZIALITÄT
Abb. 9: Mediale Labels für Stefanie Hertel
236
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
6.3 Robbie Williams 6.3.1 Einleitung Robbie Williams (geb. 1974) wuchs in Stoke-on-Trent (UK) auf und begann nach ersten kleinen Show- und Theater-Auftritten in lokalem Umfeld seine professionelle musikalische Laufbahn im Alter von 16 Jahren als Mitglied der Boygroup »Take That«. Sind öffentlich gecastete Bands ob ihrer Vielzahl mittlerweile kaum mehr erwähnenswert, so war es Anfang der 90er Jahre noch neuartig, per Zeitung, Radio oder Fernsehen Sänger anzuwerben, um sie ziel- und erfolgsorientiert nach markentechnischen Gesichtspunkten zusammenzustellen.114 Als Vorbild für dieses Vorgehen diente dem damaligen Manager Nigel Martin-Smith die amerikanische Boygroup »New Kids on the Block«, die mit eben dieser Verfahrensweise Ende der 80er Jahre einen herausragenden Erfolg erzielt hatte. Neu war an den sog. Boygroups der Einsatz aller Bandmitglieder als Frontsänger und die jeweils auf die Songs ausgerichteten, streng durchkomponierten TanzChoreographien. Stilistisch im Dance-Pop angesiedelt, war »Take That« insbesondere auf die Bedürfnisse der Zielgruppe »weibliche junge Teenager« ausgerichtet, was zudem durch klar festgelegte Verhaltensregelen unterstützt wurde, die seitens des Managements von den Sängern eingefordert wurden (z.B. Verzicht auf feste bzw. öffentlich wahrnehmbare Liebesbeziehungen), um ein maximales Attraktivitäts- und Verkaufspotential zu erzielen und weiter auszubauen. In der medialen Öffentlichkeit polarisierte »Take That«: Von den Anhängern und den zugehörigen Publikationsorganen in den Himmel gelobt, wurden sie von Musikern und Fans anderer Stilrichtungen populärer Musik eher belächelt, was zwar einerseits mit ihrer Ausrichtung auf reine, oberflächliche Kommerzialität begründet wurde, andererseits aber insbesondere das hysterische Verhalten der weiblichen Fans betraf. »Take That« wurde so auch zum Thema in Medien bzw. Medienformaten, die sich im allgemeinen eher nicht mit Popmusik auseinandersetzen, wobei allerdings weniger die Musik selbst als vielmehr die allgemeine Aufmerksamkeitskonzentration auf den Erfolg der Band und das entsprechend hohe emotionale und ausschweifende Involvement der Fangemeinde zum zentralen Fokus der Berichterstattung wurde. »Take That« avancierten damit eher zum gesellschaftlichen als musikalischen Phänomen. Wie die folgende Analyse zeigt, stellt die Betonung von Erfolg und Publikumsfaszination interessanterweise
114
Im Unterschied zu den aktuell prominenten Casting-Formaten im Fernsehen, war hier allerdings lediglich die Ausschreibung öffentlich, der Auswahlprozess selbst jedoch nicht.
237
DER MUSIKSTAR
auch beim Solo-Künstler Robbie Williams weiterhin die zentrale Beurteilungsdimension und damit Kern-Komponenten seines Images dar. Nach zunehmenden Unstimmigkeiten mit dem Management und wiederholten Alkohol- und Drogenexzessen verlässt Williams 1995 schließlich die Band, die sich ein Jahr später auflöst. Nach Entziehungskur und Klinikaufenthalt beginnt Williams 1996 seine solistische Laufbahn, auf die sich die folgende Analyse konzentrieren wird. In Zusammenarbeit mit Guy Chambers entstehen zwischen 1997 und 2003 insgesamt 5 sehr erfolgreiche Alben.115 Stilistisch stellt traditioneller Britpop die grundlegende Basis seines Repertoire dar, ergänzt jedoch um verschiedenartige Genre-Adaptionen, die sich teilweise auf einzelne musikalische Parameter innerhalb eines Songs beschränken (z.B. Glamrock-Harmonik oder unterlegter Funk-Rhythmus), aber auch ganze Alben durchziehen (z.B. wie beim 2000 veröffentlichten Album »Swing when you’re winning«). Hierdurch wird Williams zumeist als prototypischer Repräsentant eines postmodernen Pop-Stils beschrieben, der sich in spielerischer Manier an diversen kulturellen Erfolgsfolien bedient und sie dabei patchworkartig kombiniert, im Sinne des eigenen Images umdeutet und neu kontextualisiert. Somit steht weniger der aktuell präsentierte Song im Vordergrund, sondern die Lust an der Adaption, die dem gegenwärtigen Trend des Coverns und dem Zeitgeist der RetroModen entspricht und dem Bedürfnis nach Bekanntem im neuen Gewand entgegenkommt. Hiermit gelingt auch der Spagat vom eindimensional besetzten Boygroup-Image hin zum ernstgenommenen Solisten, der nicht nur primär weibliche Teenager anspricht, sondern ein breiteres Publikum, das sich auf unterschiedliche Facetten seiner musikalischen Produktion bezieht. So kann er sowohl das umschwärmte Idol verkörpern wie auch einen Vergleich mit klassischen Swing-Interpretationen herausfordern oder als Musterexemplar ironischer Stilbrechung intellektuell reflektiert werden.
6.3.2 Printmedien Die Presseberichterstattung nimmt bei Robbie Williams einen sehr großen Raum ein. So gingen für die ausgewählten Zeitungen (Süddeutsche Zeitung (SZ), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Die Welt (Welt), Der Tagesspiegel (TSP), BILD-Zeitung und die Zeitschrift BUNTE) im Zeitraum 1995 bis 2003 insgesamt 563 Artikel in die Auswertung ein.
115
Die Veröffentlichungen von 2004 (»Greatest Hits«) und 2005 (»Intensive Care«) wurden in diese Untersuchung nicht mehr mit einbezogen.
238
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Süddeutsche Zeitung Frankf. Allgemeine Zeitung Die Welt Der Tagesspiegel BILD BUNTE insgesamt
Hauptartikel 18 10
Teilartikel 77 17
Bezugsartikel 54 26
insgesamt 149 53
21 20 10 6 85
55 59 33 38 279
41 37 5 36 199
117 116 48 80 563
Tabelle 8: Verteilung der Artikelkategorien in ausgewählten Printmedien. Es gibt kein Medium, in dem der Interpret nur eine marginale Rolle spielt. Auffällig ist jedoch die unterschiedliche Aufmerksamkeit für Williams in der SZ und FAZ. Zwar gibt es in der FAZ zehn ausführliche Berichte, jedoch deutlich weniger Kurzmeldungen und Bezugnahmen.116 Dass die Zahl der Bezugsartikel in der BILD-Zeitung besonders gering ist, liegt vermutlich an der Tatsache, dass hier aus technischen Gründen nur Nennungen des Interpretennamens in den Überschriften für die Artikelauswahl berücksichtigt werden konnten und Referenzen in Artikeln außerhalb des Feuilletons nur bei einer Volltextsuche auffindbar gewesen wären. Anlass für einen Hauptartikel bieten insbesondere das Erscheinen eines neuen Tonträgers und Konzerttourneen, die den Sänger in deutsche Städte führen. Ferner dienen Buchpublikationen (z.B. der Tourbericht »Nobody Someday«) als Motivation für ein ausführliches Portrait des Interpreten. Die Bedeutung der CDs bzw. der Musik im Allgemeinen ist für BILD und BUNTE hingegen gering. Themen der Hauptartikel sind hier z.B. die Besichtigung seiner Villa in Los Angeles (»Robbie Williams: Der Popstar lud BUNTE in sein streng bewachtes Zuhause - eine 5,5 Mio. Euro teure Villa in den Bergen von Hollywood«117) oder persönliche Krisen des Sängers und Kommentare zu seinen Verlautbarungen (»Pop-Star Robbie Williams schockt weibliche Fans mit Geständnis: Ich liebe einen Mann«118). Konzertberichte spielen zwar in der BILD-Zeitung í im Unterschied zur Zeitschrift BUNTE í eine Rolle, hier geht es aber weniger um die Bewertung des Konzerts selbst, sondern um die detaillierte Schilderung seiner Ankunft, seines Hotelaufenthalts und seiner Freizeitaktivitäten vor Ort (»Alles exklusiv! 16.14 Uhr - Robbie Williams schwebt in Tempelhof ein«119). In Teilartikeln ist Robbie Williams zumeist als Teilnehmer einer Veranstaltung aktiv (z.B. Preisverleihungen oder wichtige Fernsehübertragun116 117 118 119
Dies ist u.a. auf die Darstellungsweise dieses Mediums insgesamt zurückzuführen. Vgl. hierzu das Kap. 3.5. BUNTE, 6.2.2003. BILD, 21.12.2000. BILD, 8.7.2003
239
DER MUSIKSTAR
gen) oder erscheint in der Rubrik »Leute aus aller Welt«, »Vermischtes« o.ä. Hier stehen auch in SZ, FAZ oder TSP weniger seine Musik als vielmehr persönliche Aktivitäten und Anekdoten im Vordergrund (z.B. Beginn und Ende von Liebesbeziehungen, provokative Aussagen des Interpreten, Kauf von Luxusgütern oder einmalige Aktionen wie die Versteigerung von persönlichen Gegenständen für einen guten Zweck). Interessant und informativ sind ferner die zahlreichen Bezugsartikel, die zentrale Aspekte aus dem Bedeutungsspektrum des Stars in andere Kontexte transferieren, weshalb diese in der Zusammenfassung dieses Kapitels genauer kommentiert werden. Bei der Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der Berichterstattung ist zunächst eine starke Aufmerksamkeitszunahme seit 1997 zu konstatieren.
70
60
50
T SP
F AZ
40
SZ
W elt
BILD
30
BUNT E 20
10
0 199 5
1996
19 97
199 8
1 999
20 00
2001
2 002
20 03
Abbildung 10: Anzahl der Hauptartikel in den Jahren 1995 bis 2003 in den einzelnen Medien. Als Vorlauf zum Beginn seiner Solo-Karriere ist das Jahr 1995 insofern von Bedeutung, als die Trennung des Sängers von der Boygroup »Take That« insbesondere im TSP und in der SZ mehrfache Erwähnung findet, wobei es hier vorrangig um die Verzweiflung der Fans geht. Nach einer anschließenden Abnahme der Presseaufmerksamkeit steigt die Anzahl der Berichte seit Veröffentlichung der Single »Angels« (1998) wieder kontinuierlich an. Eine deutliche Zunahme lässt sich im Jahr 2001 in allen Medien beobachten. Dies liegt zum einen daran, dass hier sowohl Konzerte in deut-
240
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
schen Städten stattfinden als auch das Album »Swing when you’re winning« im November im Handel erscheint. Auch bezüglich der grundlegenden Einschätzung des Interpreten etabliert sich im Jahr 2001 in allen Medien Williams Darstellung als ernstzunehmender Interpret, im Gegensatz zu anfangs unterschiedlich ausfallenden Bewertungen, die den Sänger wahlweise als neuen Popstar feierten oder seine Drogenkarriere bilanzierten. In den Jahren 2002 und 2003 zeigen sich unterschiedliche Tendenzen. So nimmt die Aufmerksamkeit bis 2003 zwar insgesamt zu, jedoch ist sie bei BUNTE, Welt und BILD Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses, der die Person »Robbie Williams« zur immer wichtiger werdenden Figur des öffentlichen Lebens erhebt und bei TSP und FAZ eher produktionsorientiert, indem die Konzerttourneen 2001 und 2003 offenbar bedeutsamere Ereignisse repräsentieren als die Veröffentlichung des Albums »Escapology« im November 2002.
6.3.2.1 Themenanalyse Aus den 563 analysierten Artikeln ergaben sich 3165 Codes, von denen 2192 als inhaltlich relevant mit Hinblick auf die Werteanalyse eingeordnet wurden. Die folgende Übersicht zeigt die Belegung der einzelnen Themenkategorien über alle Medien sowie die Anteile der zugehörigen ImageCodes, die in der Werteanalyse weiter untersucht wurden.
1.) Reaktionen des Publikums 2.) Professioneller Stil 3.) Beziehungsleben 4.) Beschreibung Musik 5.) Äußere Erscheinung 6.) Finanzielles/Besitz 7.) Bezug zum Publikum 8.) Erfolg allgemein 8.) Aktivitäten/Hobbys 10.) Berufliche Laufbahn 10.) Bedeutung Interpret 12.) Typ Mensch 13.) Ablauf Aufenthalt 14.) Bühnenverhalten 15.) Befindlichkeiten 16.) Gesamtbewertung Ereignis 17.) Dramaturgie der Show 18.) Audiovisuelles Material 120
Gesamtzahl Codes 275 240 194 153 144 121 120 118 118 104 104 101 88 86 85 82 81 70
Anzahl relevanter Codes 168 267 144 116 103 51 89 128 49 93 124 100 8 99 79 48 55 57
Anzahl ImageCodes in %120 61,1% 111,3%* 74,2% * 75,8% * 71,5% * 42,1% * 74,2% * 108,5% * 41,5% * 89,4% * 119,2% * 99,0% * 9,1% 115,1% * 92,9% * 58.5% 67,9% 81,4% *
Die Sternchen markieren die Kategorien mit überdurchschnittlich vielen Image-Codes.
241
DER MUSIKSTAR 19.) Bezug zu anderen Musikern 20.) Drogen 21.) Beschreibung des Publikums 22.) Auszeichnungen 23.) Mimik und Gestik 24.) Meinungen anderer zu Williams 25.) Management/Marketing 26.) Konzerte/Tourneen allgemein 27.) Besucherandrang 28.) Interpretation 28.) Reaktionen auf Publikumsreaktionen 28.) Zusammenarbeit mit and. 31.) Herkunft/Entwicklung 32.) Streitereien/Prügeleien 33.) Visuelle Darstellung 33.) Zukunftspläne 35.) Privatleben allgemein 36.) Äußerung zu allgemeinen Themen 37.) Beurteilung anderer Musiker 38.) Beurteilung der eigenen Musik Insgesamt
69
20
29,0%
66 60
53 6
80,3% * 10,0%
57 56 53
59 48 49
103,5% * 85,7% * 92,5% *
51 49
7 5
13,7% 10,2%
48 46 46
37 28 2
77,1% * 60,9% 4,3%
46 45 43 36 36 33 15
7 12 6 32 19 17 2
15,2% 26,7% 14,0% 88,9% * 52,8% 51,5% 13,3%
15
2
13,3%
11
4
36,4%
3165
2193
69,3%
Tabelle 9: Themenkategorien Robbie Williams Die Themenverteilung weist in den einzelnen Publikationen deutliche Unterschiede auf. So stellt beispielsweise die Kategorie »Beziehungsleben« in BILD und BUNTE das wichtigste Thema dar, spielt aber für SZ, TSP und FAZ kaum eine bis gar keine Rolle. Hier stehen hingegen die Arbeitsweise und die Musik des Sängers im Vordergrund. Im Folgenden sollen die zehn Themen etwas genauer beleuchtet werden, die am häufigsten in den ausgewählten Printmedien insgesamt vorkommen. Zusätzlich finden diejenigen Themen erklärende Erwähnung, die überdurchschnittlich viele bedeutungstragende Informationen (Image-Codes) enthalten.121 Auffällig ist, dass die Hauptkategorie (»Reaktionen des Publikums«) gar nicht den Star selbst, sondern sein Publikum ins Zentrum rückt. Die Darstellungen fokussieren dabei sowohl die auf Williams gerichteten Aktionen als auch die Gemütszustände der Fans, die zwischen Ent- und Anspannung zu verorten sind. So wird neben Aktivitäten wie Beifall spenden, 121
Dass hier teilweise über 100% erreicht wurden, liegt an der durchgeführten Mehrfachkodierung einzelner Auswertungseinheiten.
242
ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
Mitsingen, Jubeln, Lachen und Tanzen vor allem das (ohrenbetäubende) Geschrei des Publikums betont, das jeweils bei Erscheinen des Stars (auf der Bühne, vor dem Hotel etc.) entsteht (»Das Publikumsdröhnen schwillt zum Orkan«122). Die in den Artikeln beschriebenen emotionalen Befindlichkeiten der Fans sind nicht ausschließlich positiver Art, da hier auch die Reaktionen auf den Austritt Williams’ aus seiner Band (1995) einbezogen wurden, auf den auch in aktuellen Artikeln immer wieder rekurriert wird. So reihen sich hier Nervenzusammenbrüche, Ohnmachtsanfälle, restlose Begeisterung, Weinkrämpfe, völlige Verzweiflung und Freudentaumel als Superlative intensiver Zustände nahtlos aneinander und überbieten sich gegenseitig. Zentral erscheint in den Darstellungen insgesamt der Aspekt des »Ausbrechens« aus dem Spektrum von Gefühlsäußerungen im grauen Alltag, was sich in Umschreibungen zeigt, in denen das Publikum als »außer Rand und Band«, »verzaubert« oder »entfesselt« bezeichnet wird. Als Pendant zur »Beatle-Mania« diagnostizieren die Zeitungen denn auch das sogenannte »Robbie-Fieber«,123 was die Fans veranlasst, durch diverse Aktivitäten (z.B. vor dem Hotel warten) die größtmögliche Nähe zum Star zu suchen. Die einzelnen Reaktionen werden dabei z.T. direkt mit dem Interpreten verknüpft (z.B. durch Beschreibungen, in denen Williams als jemand gezeichnet wird, der »die Welt in Aufruhr versetzt«124 und »die Herzen der Fans höher schlagen lässt«125). Häufiger anzutreffen ist allerdings í insbesondere bei Einbezug weiterer Themenkategorien í die Bewertung des Interpreten als Selbstläufer, der mittlerweile mühelos Erfolge und Publikumsbegeisterung erzielt (»Robbie Williams leistet sich eine Big Band, und plötzlich finden alle den Jazz toll«126) und ohne aufwändige Showkonzepte und trotz Distanz zum Publikum große Emotionen erzeugt (»Robbie ist Orgasmus ohne Berührung«127). Die besondere Bedeutung des Publikums für das Image von Robbie Williams zeigt sich auch in der Kategorie »professioneller Stil«, in der Fähigkeiten und Charakterisierungen der allgemeinen Arbeitsweise gebündelt sind. Die Attribution von Professionalität basiert hier weniger auf musikalisch-technischem Können, sondern auf der Fähigkeit, ein Publikum zu unterhalten und der Präsentation einer perfekten Show als Gesamtkunstwerk. Diesbezüglich wird zumeist der Begriff des »Entertainers« herangezogen, mit dem zentrale Aspekte des öffentlichen Auftretens von Williams assoziiert werden. Die Kunst des Entertainers besteht demnach in der zweifachen Ausübung von Kontrolle: Zum einen hat er das Publikum im Griff, da er 122 123 124 125 126 127
FAZ, 19.2.2001. Welt, 21.7.2003. BUNTE, 17.07.2003. TSP, 16.02.2003 . Welt, 15.11.2003. BILD, 8.7.2003.
243
DER MUSIKSTAR
bereits bei Erscheinen bejubelt wird, auf Zuruf bestimmte Reaktionen erzeugen kann (z.B. das Nachsingen von Phrasen, die Ausführung bestimmter Armbewegungen zu einzelnen Songs oder das Schwenken von Feuerzeugen), aber auch in direkter Interaktion mit dem Publikum steht (vgl. Kategorie »Bezug zum Publikum«). Zum anderen wird Williams die Beherrschung eines vielfältigen Rollenrepertoires zugeschrieben, das einen großen Vorrat an sozialen Typen beinhaltet (genannt werden häufig: Gentleman, Schwerenöter, Angeber, Diva, Lad, Zotenreißer oder Clown). Selbstinszenierung als zentrale Arbeitstechnik bietet sowohl auf der Bühne als auch in der medialen Darstellung allgemein den Vorteil, ein breites Set ambivalenter Eigenschaften zur Aufführung zu bringen und damit unterschiedliche Publikumswünsche zu befriedigen. Der Unterhaltungswert resultiert dann aus dem Wechsel von möglichst glaubhaft verkörperter Rolle und deren ironischer Brechung als Übergang zur nächsten Rolle. Der in dieser Themenkategorie allgemein beschriebene Stil des Musikers Williams wird im Rahmen anderer Kategorien (z.B. »Äußere Erscheinung, Bühnenverhalten, Beschreibung der Musik) konkret veranschaulicht und liefert eine Basis für zentrale Komponenten im Image des Sängers, die in der nachfolgenden Werteanalyse herausgearbeitet werden. Die Kategorie »Beziehungsleben« ist zwar sehr stark, aber auch sehr redundant belegt. Daher soll lediglich kurz die Struktur des narrativen Musters umrissen werden. Einzelne Meldungen oder größere Artikel widmen sich zunächst der Bestimmung der Ernsthaftigkeit einer Beziehung, die Williams eingeht, da bei ihm aufgrund der oben beschriebenen Neigung zum Rollenspiel häufig vermutet wird, dass er lediglich einen Aufmerksamkeitseffekt erzielen möchte. Zentral ist daher in der Darstellung die Suche nach Indizien, die als Hinweisreize für den Grad der Verliebtheit betrachtet werden (z.B. gemeinsames Erscheinen bei öffentlichen Veranstaltungen, Aussagen von Kollegen und Freunden oder Ankündigungen des Interpreten). Des Weiteren werden die potentiellen Partnerinnen bewertet und Zukunftsprognosen für die Beziehung abgegeben. Wichtigster Moment im Erzählstrang ist das jeweilige Ende der Beziehung mit der an den Leser gerichteten Botschaft: »Robbie ist wieder Single!«128. In diesem Zusammenhang erscheinen dann häufig Zitate des Sängers, in denen er betont, unter dem »falschen« Image des Womanizers zu leiden und auf der Suche nach der großen Liebe zu sein. Die »Musik« von Robbie Williams wird als perfekt arrangierter BritPop mit Bezugnahmen auf diverse andere Stile beschrieben. Gerade das Auffinden von Ähnlichkeiten mit dem Repertoire anderer Interpreten und das Spiel mit verschiedenen Genres ist daher wichtigster Baustein in der 128
Z.B. BILD, 30.9.2002 oder SZ, 21.2. 2003.
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Beschreibung seiner Musik, für die Formulierungen wie »nimmt Anleihen bei...« oder »ist eine Referenz an ...« als Mittel dienen, wie auch diesbezügliche Wort-Anhänge (Soul-Hommage, HipHop-Untertöne, Swing-Einlagen). Neben detaillierten Darlegungen dieser Patchwork-Struktur in den Songs von Robbie Williams fokussieren die Zeitungsartikel vor allem den atmosphärischen Gesamtcharakter der Stücke, der als hysterisch fröhlich, mitreißend, berauschend, überschwänglich, aber auch verträumt und »schnulzig« (bezüglich Balladen) beschrieben wird. Diese Betonung der »großen einfachen Gefühle« zeigt sich auch darin, dass einzelne Stücke häufig als Hymnen bezeichnet werden. Versteht man eine Hymne als Ausdruck eines übergeordneten, identitätsstiftenden Gefühls und als Komponente eines feierlichen Anlasses in großem Rahmen, wird hierdurch auch noch einmal die Bedeutung des Publikums als integraler Bestandteil der Musik selbst unterstrichen. Auch wenn die Liedtexte überwiegend als selbstreflexive Sammlung seiner bisherigen Lebenserfahrungen í und damit als glaubwürdig í beschrieben werden, dominiert die Gesamtbewertung als glatte, erfolgsorientierte Musik, die sich stark an bereits Bekanntem anlehnt (»›Angels‹ galt als der beste Elton-John-Song, den Elton John nie geschrieben hatte«29). Bezüglich der »äußeren Erscheinung« des Sängers wird vor allem sein Gesicht, sein Körper insgesamt sowie seine Kleidung thematisiert. Bei nahezu jedem Auftritt, ob auf der Bühne oder in der Öffentlichkeit allgemein, wird zunächst beschrieben, aus welchen Elementen sich diese zusammensetzt. Neben einer Auflistung der einzelnen Bestandteile (Art der Schuhe, des T-Shirts etc.) werden die Eindrücke in umfassenden Begriffen gebündelt, die zumeist mit der Silbe »Look« (Macho-Look, sportlicher Look, Military-Look) oder »Style« (Gothic-Style, sexy Rebellen-Style) enden. Auch hier steht demnach das Spielen mit verschiedenen Stilen und Rollen im Zentrum, was auch die Bezeichnung »Kluft« (z.B. Matrix-Kluft) oder »Kostüm« untermalt. Besonderes Augenmerk wird auch auf seine Tätowierungen und seine diversen Frisuren gelegt, da diesbezügliche Variationen í wie bei der Kleidung í als wichtige Hinweisreize zur Bestimmung des Gesamteindrucks herangezogen werden. Bezüglich seiner Gesamterscheinung wird Williams nicht durchgehend als attraktiv bewertet. Aufgrund seiner in den Medien thematisierten Drogenexzesse existieren zahlreiche Erwähnungen seines schlechten Zustandes. Auch wenn dieser überwunden zu sein scheint, wird auch in aktuelleren Artikeln immer wieder darauf verwiesen, um die Wandlung zum attraktiven Popstar umso stärker hervorzuheben. Die Codes der Kategorie »Finanzielles/Besitz« sind durch eine Verknüpfung von Interpret und großen Zahlen gekennzeichnet. Wichtig ist dabei das Brechen von Rekorden (teuerster Plattenvertrag der britischen Mu129
SZ, 22.8.2000.
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sikgeschichte, Einordnung in die Liste der reichsten Briten) und der Kuriositätsfaktor von Investitionen (z.B. Mieten einer Fußball-Loge für 14 Millionen Euro). Dass es in dieser Kategorie nicht nur um Gewinne und Besitz, sondern auch um Verluste geht (z.B. 3 Millionen Euro beim Kartenspielen an einem Abend) verweist darauf, dass es vor allem um die Nennung von Zahlen geht, die allein aufgrund ihrer Größe Aufmerksamkeit erzielen.130 In der Kategorie »Bezug zum Publikum« wurden diejenigen Aktivitäten des Interpreten gesammelt, die in der medialen Darstellung z.T. als Auslöser für die bereits ausgeführten »Reaktionen des Publikums« herangezogen werden. Diese Aktionen sind entweder an das Publikum insgesamt gerichtet (z.B. das Publikum auffordern, nachahmen und ihm schmeicheln) oder an einzelne Personen (z.B. kleine Dialoge starten, in fremde Handys singen, Mädchen auf die Bühne holen etc.).131 »Bezug zum Publikum« beinhaltet aber auch Entzug vom Publikum; hierzu gehören Beschreibungen, in denen Fans vergeblich auf den Star vor dem Hotel warten, während dieser mit verdunkelter Limousine vorfährt, keine Autogramme gibt und in der Regel den Hintereingang nimmt. Die Kategorie »Erfolg« beinhaltet diejenigen Sätze, die in wenigen Worten zusammenfassend beschreiben, was der Interpret alles erreicht hat. In den Formulierungen spiegelt sich eine zugeschriebene Leichtigkeit des Aufstiegs wider (»er kam, sang und siegte«132), wie auch der relationale Charakter des Erfolgs, da dieser im Verhältnis zu anderen gesetzt ist (»ihm kann niemand das Wasser reichen«133, »er spielt alle an die Wand«134). Interessanterweise wird auch hier der negative Pol í also der Misserfolg í ausgeleuchtet. Diesbezüglich werden die Abstürze nach Verlassen der Boygroup, die ungewollten Trennungen von Frauen und der bisher ausbleibende Erfolg in den USA in den Zeitungen wiederholt thematisiert. Zu den »Aktivitäten« von Robbie Williams wird neben Hobbys (Fußball, Partys, Mode, Autos) auch sein Engagement gegen Kinderarmut und Krieg angeführt. Die Versteigerung persönlicher Gegenstände diente den Medien nicht nur als Anlass über die Höhe der Summen und den Verwendungszweck zu berichten, sondern auch zur Auflistung dieser Gegenstände als wichtige Bedeutungskomponenten des Stars (Tigerunterhose, Bett, handgeschriebener Liedtext etc.).
130
131 132 133 134
Auch Luhmann weist in seiner Darstellung der Nachrichtenfaktoren auf die Bedeutung von »Quantitäten« hin, die zwar für manche eine tatsächliche Information darstellen können, bei den meisten jedoch allein aufgrund der Größe wirksame, aber »substanzlose Aha-Effekte« erzeugen. Vgl. hierzu Luhmann 1996, S. 59f. Vgl. Kriese 1994, S. 97. TSP, 18.11.2003. Welt, 21.02.2001. Ebd.
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Ähnlich wie in der Kategorie »Beziehungsleben« existiert für die »berufliche Laufbahn« ein einfaches narratives Muster, nach dem die Geschichte der fulminanten Aufstiege und Abstiege mit den einzelnen Stationen immer wieder repetiert wird. Zugehöriges »rise-to-fame«-Muster ist hier demnach das klassische »Phoenix-Pattern«: Erfolg (Boygroup) í tiefer Fall (Drogen und Misserfolg) í erneuter/reifer Erfolg (Solokarriere). Die Kategorien »Bedeutung Interpret« und »Typ Mensch« bündeln zentrale Werte des Interpreten, weshalb die Darstellung ihrer Inhalte Bestandteil des Abschnitts zur Werteanalyse ist. Abschließend seien im Rahmen der Themenanalyse noch diejenigen Kategorien kurz kommentiert, denen zwar nicht die meisten Aussagen zugeordnet werden konnten, die aber eine relativ hohe Anzahl von Image-Codes enthalten. Relativ viele Aussagen über das Auftreten des Sängers in der Öffentlichkeit konnten der Kategorie »Bühnenverhalten« zugeordnet werden. Hier geht es um die Nutzung der Bühne im übergeordneten Sinn, wohingegen in der bereits erwähnten Kategorie »Bezug zum Publikum« auf Personen gerichtete Aktivitäten und in »Mimik und Gestik« (s.u.) vor allem spezielle und detaillierte Körperregungen differenziert werden. Wichtigstes Moment in der medialen Darstellung des Bühnenverhaltens ist das mit Spannung erwartete erste Auftreten des Stars, der wahlweise kopfüber von der Decke einschwebt, sich in einem Käfig auf die Bühne abseilen lässt oder lediglich mit auffallend dramatischer Begleitmusik (z.B. »Carmina Burana«) auf die Bühne schreitet. Ausgeführt werden in den Zeitungen häufig die Begrüßung sowie Anekdoten aus den zahlreichen Kommentaren, die Williams zwischen seinen Liedern positioniert. Des Weiteren dominieren in dieser Kategorie die spezifischen Bewegungsarten, mit denen der Sänger charakterisiert wird (z.B. hüpfen, tänzeln, wackeln, räkeln, schlurfen, schlendern etc.). Die Kategorie »Befindlichkeiten« beinhaltet auffallend viele Aspekte, die den Star weniger als strahlende, sondern vor allem als depressive, ängstliche und einsame Persönlichkeit zeichnen. Dies betrifft insbesondere die Darstellung seines Privatlebens, wohingegen seine gute Laune oder das Empfinden von Spaß insbesondere im Kontext von Konzerten Erwähnung finden. Die Polarität der zugeschriebenen Gefühlswelten versinnbildlicht und verstärkt damit die Unterscheidung von öffentlicher und privater Person. Die Beschreibung des »audiovisuellen Materials« ist insofern imagerelevant, als hier die zahlreichen Rollen aufgelistet und kommentiert werden, die Williams in seinen Videoclips und Werbespots übernimmt bzw. persifliert. In gleicher Weise dienen auch die Beschreibungen der »visuellen Darstellung« í in der Kategorienliste weiter unten angeführt í dem Aufzeigen einer ständig wechselnden Präsentation des Musikers. Die Kategorie
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»Drogen« hingegen ist relevant, weil neben der Art des Drogenkonsums immer auch sein Zustand und resultierende Handlungen (z.B. Pöbeleien, Fressattacken, Raufereien, aber auch Entzug und Warnung vor Drogen) erwähnt werden. Recht umfangreich ist auch die Kategorie »Auszeichnungen«, in der die Preise des Sängers genannt werden. Dies liegt nicht nur an der Anzahl der Preise (z.B. Brit Awards, MTV Europe Awards, Echo), sondern auch an der ständigen Wiederholung der zugehörigen Meldung und der Integration von Preisen in die Kurzvorstellung des Interpreten (»der Echo-Preisträger Robbie Williams«). Auch die vielfältigen Beschreibungen der »Mimik und Gestik« von Robbie Williams verweisen auf zugrundeliegende Bedeutungen, die dem Interpreten von der Presse zugeschrieben werden. Zu dieser Kategorie gehören zahlreiche Posen und Bewegungen, die Williams ausführt und bezüglich derer immer nach einem Original í oder zumindest nach einer Vergleichsperson gesucht wird (»wie Frank Sinatra schnippen«, »wie Freddie Mercury schwelgen«, »sich wie Dean Martin eine Zigarette anzünden«). Ferner werden verschiedene anzüglich-erotische Gesten beschrieben (z.B. den Mikrophonständer zwischen die Beine klemmen oder sich in den Schritt fassen). Bezüglich der Gesichtsregungen ist ein breites Spektrum zwischen als charmant konnotierten Ausdrücken (lausbübisch grinsend, verwegen-verführerisch), und ironisch-provokativen Grimassen (diabolischer Blick, arrogantes Lachen) in den Artikeln aufzufinden. Zur Beurteilung von Robbie Williams ziehen die Zeitungen und Zeitschriften häufig andere Prominente heran (Kategorie »Meinungen anderer zum Interpreten«), bzw. wird auf den Interpreten in diversen Interviews Bezug genommen, wenn es um aktuelle Popstars im Allgemeinen geht. Dabei werden zusammenfassende Bewertungen des Sängers abgegeben, die aufgrund des komprimierten Charakters wichtige Hinweise auf die Kernwerte seines Images liefern. Die Kategorie »Besucherandrang« liegt thematisch eng bei den »Reaktionen des Publikums« und beinhaltet Aussagen zu diversen Formen der Star-Belagerung. Die Beschreibungen der Ansammlung von Menschen (mehrere Stunden vor Konzertbeginn erscheinende Besucher, Andrang der Journalisten bei der Pressekonferenz, große Mädchengruppen vor dem Hotel etc.) bedienen dabei die klassische Vorstellung des Stars als einem Publikumsmagnet, der die Stadt, in die er reist, für kurze Zeit auf den Kopf stellt.
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6.3.3.2 Werteanalyse Im Rahmen der aufbauenden Analyse der konkreten Bedeutungen, die Williams repräsentiert, ergab sich folgende Werteverteilung: Wertekategorie 1.) Erfolg 2.) Faszination 3.) Erotik 4.) Entertainment 5.) Inszenierung 6.) Exzess 7.) Professionalität 8.) Emotionalität 9.) Verwandlung 10.) Imitation 11.) Frust/Misserfolg 12.) Provokation 13.) Charisma 14.) Attraktivität 15.) Arroganz 16.) Depressivität 17.) Größenwahn/ Ehrgeiz
Gesamtzahl Codes 219 194 163 129 120 115 109 84 76 71 70 68 67 65 64 62 60
Wertekategorie
Gesamtzahl Codes 50 49 48 45
18.) Dekadenz 19.) Wildheit 20.) Ironie 21.) Unerreichbarkeit/ Distanz 22.) Humor 43 23.) Coolness/Hipness 34 24.) Engagement 32 25.) Höflichkeit 30 26.) Clownerie 26 27.) Glaubwürdigkeit 20 28.) Hedonismus 18 29.) Hässlichkeit 18 30.) Einsamkeit 15 31.) Bodenständigkeit 14 32.) Schüchternheit 11 33.) Emotionslosigkeit 4 Gesamtsumme Image-Codes: 2193
Tabelle 10: Wertekategorien Robbie Williams Spannt man diese Werte im semantischen Raum mit den zwei Dimensionen »Nähe/Distanz« und »Individualität/Sozialiät« auf, ergibt sich folgendes Bild:135
135
Gewichtung in der Abbildung: Hauptwerte/Platz 1-5 (Schriftgröße 14, fett, unterstrichen,); Hauptwerte/Platz 6-10 (Schriftgröße 14, fett); bedeutsame Werte/Platz 11-20 (Schriftgröße 12); weniger bedeutsame Werte/Platz 21-30 (Schriftgröße 10); kaum bedeutsame Werte/Platz 31-33 (Schriftgr. 8).
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INDIVIDUALITÄT
Exzess Provokation
Wildheit Arroganz
Erotik Emotionalität
Entertainment Glaubwürdigkeit
Größenwahn Dekadenz Attraktivität Coolness Hässlichkeit
Charme
NÄHE
Erfolg Faszination Misserfolg Hedonismus Professionalität
Verwandlung Inszenierung Clownerie Ironie
Emotionslosigkeit
Unerreichbarkeit
Imitation
Humor
DISTANZ
Depressivität Engagement
Einsamkeit Höflichkeit Bodenständigkeit Schüchternheit
SOZIALITÄT
Abbildung 11: Williams’ semantischer Raum aus Perspektive der Printmedien Es zeigt sich deutlich, dass Williams ein sehr breites Werte-Repertoire abdeckt, wobei der individuelle Bereich í also die obere Hälfte des Raums í stark überrepräsentiert ist, da Werte wie »Bodenständigkeit« oder »Schüchternheit« nur marginal vertreten sind. Auffallend ist das nahezu gleiche Gewicht von Nähe, wie auch Distanz erzeugenden Bedeutungen. So konzentrieren sich die Hauptkategorien im oberen, rechten Feld (»Erfolg« und »Faszination«) und im oberen linken Feld (»Erotik« und »Emotionalität«). Des Weiteren ist interessant, dass es mehrere í vordergründige í Werteambivalenzen gibt, die aus dem Auftreten von allgemein als widersprüchlich aufgefassten Bedeutungen resultieren (z.B. »Erfolg« und »Misserfolg« oder »Entertainment/Spaß« und »Depressivität«). Im Folgenden werden die einzelnen Wertegruppen in der Reihenfolge ihrer häufigkeitsbasierten Bedeutsamkeit näher vorgestellt. Die zentralen Kategorien »Erfolg« und »Faszination« setzen sich vorwiegend aus den Codes zweier großer Themenkategorien (»Erfolg« bzw. »Reaktionen des Publikums«) zusammen, wohingegen »Professionalität« sich in diversen Gestaltungs- bzw. Themenbereichen ausbildet. Wie bereits in der Themenanalyse angedeutet, stellt »Erfolg« insbesondere eine übergeordnete Kategorie zur Einführung des Interpreten dar; es lassen sich aber dennoch die einzelnen Komponenten identifizieren, aus denen sich zuge-
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schriebener Erfolg zusammensetzt: 1. Status (als allgemeine Zuschreibung), 2. hohe Zuschauer- oder Verkaufszahlen (als numerischer Beleg), 3. Auszeichnungen und Preise (als materieller Beleg), 4. Karriereverlauf (als zugehöriges narratives Muster) und 5. eigenes Empfinden des Interpreten (als Authentifizierung). Der Wert »Erfolg« impliziert in Williams Image allerdings immer auch die Gefahr des Misserfolgs, der durch den Verweis auf seinen Karriereverlauf wiederholt aufgerufen wird. Auch die häufige Anmerkung, dass Williams keinen Erfolg in den USA habe, unterstreicht den dynamischen Charakter von »Erfolg« als Wert und motiviert ebenso zu ironischer Karikierung: So schreibt die Süddeutsche Zeitung, Robbie Williams sei »der zur Zeit höchst gepriesene, gelockertste, begehrteste, bewundertste, bestverkaufte, ausgezeichnetste, originellste, tollste Super-DuperSpitzen-Robbie«.136 »Faszination« versinnbildlicht die Ambivalenz von Nähe und Distanz, ist aber deutlich auf der rechten Seite des Bedeutungsspektrums verortet, da diese Kategorie die positionelle Struktur von herausgehobenem Star und jubelnder Masse sprachlich widerspiegelt. Dies geschieht nicht nur durch die veranschaulichenden Codes, vielmehr umschreibt bereits der Begriff »Faszination« (von lat. »Beschreiung, Behexung«) in seinem ursprünglichen Wortsinn die fesselnde Wirkung, die von einer Person oder Sache ausgeht, was den Aspekt der Fokussierung logischerweise impliziert. Neben diesen »Effekt-Werten«, die als Ergebnis von Aktivitäten des Musikers entstehen, stellt »Professionalität/Perfektion« einen operationalen Wert dar, der im weitesten Sinn eine zentrale Fähigkeit des Interpreten beleuchtet und auf verschiedenen Ebenen Gestaltung erfährt. So wird insbesondere hinsichtlich seines Arbeitsstils die virtuose Rollen- und Selbstbeherrschung hervorgehoben und betont, dass Williams seinen Beruf ernst nähme und sich mit aller Energie auf die Musik konzentriere, was durch die Erwähnung seiner perfekten Stimme und der perfekten Begleitband unterstützt wird. Auf der Ebene der Musik werden die Songs entsprechend als »sorgfältig arrangiert«137, »mit den Stilen flirtend«138 oder als »lang geschliffene Juwelen«139 umschrieben. Entsprechend werden Konzerte oder CDs als gelungen bewertet und Williams als ernstzunehmender, souveräner Musiker gezeichnet (Themenkategorie »Bedeutung Interpret«). Auch auf konkreten Darstellungsebenen lässt sich die Zuschreibung von »Professionalität« feststellen. So werden bezüglich des Bühnenverhaltens seine Plau-
136 137 138 139
SZ, 16.3.2001. FAZ, 19.11.2002. FAZ, 19.02.2001. FAZ, 13.09.2000.
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dereinlagen als »pointensicher«140 bezeichnet und die Dramaturgie seiner Show als »gut durchkomponiert«.141 Auch bezüglich »Mimik und Gestik« wird ihm eine professionelle Herangehensweise zugeschrieben, wenn von gekonntem Einsatz des Gesichtsausdrucks oder perfektem Posing die Rede ist. Als Indiz für Williams’ Wissen um die Bedeutung des Äußeren im Showbusiness wird von der Presse beispielsweise mehrfach angeführt, dass der Sänger einen Angestellten beschäftige, dessen einzige Aufgabe es sei, die Frisuren anderer männlicher Prominenter zu beobachten, um hinsichtlich des Stylings auf dem neuesten Stand zu sein. Die zweite bedeutsame Wertegruppe besteht aus zentralen, Nähe erzeugenden Kategorien, von denen »Erotik« die dominanteste ist. Wichtigste Quelle für diesen Wert ist die Themenkategorie »Beziehungsleben«, in der der öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten mit dem entsprechenden Vokabular (turteln, flirten, knutschen) dargelegt wird. Bezüglich des Bühnenverhaltens werden Williams’ Stripeinlagen, seine Hüftbewegungen und das Auf- und Abrutschen am Mikrophonständer wiederholt genannt. Größeren Raum nehmen auch die aus der Kategorie »Bezug zum Publikum« stammenden Aktionen gegenüber den Konzertbesuchern (mit Fans auf Tuchfühlung gehen, Mädchen auf die Bühne holen und küssen) sowie die Beschreibung erotischer Szenen in Videoclips ein (Themenkategorie »audiovisuelles Material«). Schließlich wird auch seine äußere Erscheinung als »sexy« beschrieben, die sich zusammen mit »Schmachtblicken« (Kategorie »Mimik und Gestik«) und »Schmusesongs« (Kategorie »Musik«) zum geschlossenen Rollenbild des »Womanizers« (Kategorie »professioneller Stil«) fügt. Auch »Emotionalität« ist stark in der Themenkategorie »Beziehungsleben« verankert,142 und zwar hinsichtlich des vom Sänger geäußerten Wunsches nach einer langen, ehrlichen Partnerschaft, den öffentlichen Schwärmereien für bestimmte Frauen oder der Darlegung von Glücksgefühlen in einer Beziehung. Wichtig ist auch die Musik selbst, da insbesondere die Balladen als rührend, verträumt und »Gänsehaut erzeugend«143 charakterisiert werden oder bereits durch die Titel (vgl. z.B. die Single »Feel«) »präemotionalisiert« sind. Ihre volle Wirkung entfalten die »Hymnen gebrochener Herzen«144 durch die í insgesamt eher schwach vertretene – Themenkategorie »Interpretation«, durch die Williams den Liedern »eine auf140 141 142
143 144
SZ, 13.08.2001. FAZ, 19.02.2001. Die Themenkategorie Befindlichkeiten spielt bezüglich des Wertes Emotionalität eine relativ geringe Rolle, da sie eher konkrete Gefühle beschreibt (wie z.B. gute Laune oder Niedergeschlagenheit) und es hier um das Herausstellen von Gefühlen insgesamt geht. TSP, 21.02.2001. FAZ, 8.07.2003.
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regende Schwingung«145 zufügt, sie »mit drei Lagen Samt singt«146 oder »singt, als ginge es um sein Leben«147. Auf übergeordneter Ebene (Kategorie »professioneller Stil«) zeigt sich »Emotionalität« weniger als Persönlichkeitszug, sondern als Mittel, das von Williams gezielt eingesetzt wird (»ausgestellte Selbstergriffenheit«,148 »Verbindung von Übermut und Demut in der Darstellung«149). Ergänzt wird diese Wertegruppe um die Kategorie »Charme/Charisma«, die sich weniger vermittelt äußert, sondern direkt als Eigenschaft genannt wird. So kennzeichnet Williams nach Ansicht der Presse ein charmantes Bühnenverhalten, indem er das Publikum umwirbt und mit ihm scherzt. Des Weiteren wird sein jungenhafter Charme (Kategorie »Mimik und Gestik«), sein Charisma (Kategorie »Typ Mensch«) und seine warmherzige Ausstrahlung (Kategorie »äußere Erscheinung«) auf mehreren expressiven Ebenen herausgestellt. Auch dieser Wert wird nicht immer seiner Person selbst zugeordnet, sondern erscheint auch als Arbeitstechnik in der Kategorie »professioneller Stil« (z.B. »gewiefter Charmeur«). Eher in der Mitte des semantischen Raumes wurde der Wertekomplex »Entertainment/Spaß«, »Humor« und »Ironie« angesiedelt, da diese Komponenten zwar Nähe erzeugen (insbesondere »Entertainment« als ErlebnisKategorie), aber die Stilmittel »Humor« und »Ironie« trotz ihres unterhaltsamen Charakters Distanz herstellen, da sie die Echtheit spezifischer Präsentationen in Frage stellen. »Entertainment« ist vor allem ein Wert, der Williams auf übergeordneter Ebene in den Themenkategorien »professioneller Stil« und »Bedeutung Interpret« direkt zugeschrieben wird (z.B. Spaß haben beim Kontakt mit dem Publikum, ein perfekter Entertainer sein etc.). »Entertainment« dient aber auch zur Charakterisierung der Musik (»Song für Song eine Party«150), die í wie bei der Kategorie »Emotionalität« í bereits in den Titeln der Songs angelegt ist (vgl. z.B. die Single »Let me entertain you«). Vergleichbar mit dem Wert »Erfolg« existiert auch bezüglich »Entertainment« eine »Gegenkategorie«. So ist »Einsamkeit« in Williams Image zwar schwach ausgeprägt, aber durchaus angelegt, wobei dies zumeist sein Privatleben betrifft. »Humor« und »Ironie« stellen wichtige Arbeitstechniken des Sängers dar und setzen sich entsprechend vor allem aus der Themenkategorie »professioneller Stil« zusammen. »Humor« wird dem Interpreten zumeist direkt zugeschrieben und anhand konkreter Witze, Anekdoten und öffentlicher Verhaltensweisen in den Zeitungsartikeln dokumentiert. Als »ironisch« 145 146 147 148 149 150
Ebd. FAZ, 17.02.2003. SZ, 8.07.2003. SZ, 19.11.2003. Welt, 10.07.2003. SZ, 16.03.2001.
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wird das Auftreten des Interpreten insgesamt beurteilt, indem detailliert beschrieben wird, wie er zwischen Ironie und Ernst wechselt. Auch bezüglich der Musik (ironische Texte) und der Interpretation (»tut so, als würde er rappen«,151 »singt mit ironischem Unterton«152) findet diese Attribution statt, wobei die Balladen häufig als weniger ironisch wahrgenommen werden. Eng mit dieser Wertegruppe verbunden ist die Verbindung aus »Inszenierung«, »Imitation« und »Verwandlung«. An den Codes der umfangreichen Kategorie »Inszenierung« haben diejenigen aus der Themenkategorie »Dramaturgie der Show« einen großen Anteil, denn hier wird das In-SzeneSetzen des Interpreten zur umfassend erlebbaren Sinneinheit (z.B. das dramatische erste Erscheinen des Interpreten mit technischen Hilfsmitteln wie Schleudersitz, oder Bungee-Seil, Stimme aus dem Off, Trommelwirbel, Lichteffekten etc.). Auch die Kategorie »Beziehungsleben« ist hier stark vertreten, da Williams’ öffentliche Aussagen zu seinem Liebesleben häufig als medienwirksame Gags und nicht als tatsächliche Bekundungen interpretiert werden. Entsprechend wird hinsichtlich des »professionellen Stils« die umfassende Selbstinszenierung als gezieltes Programm des Interpreten betrachtet, mit dem er seine bewusste Nicht-Authentizität unterstreicht. Diese Art der Berichterstattung setzt sich auch auf der Ebene der konkreten Produkte fort, und zwar auf höherer Ebene (»ein Album voller Selbstbespiegelungen«153), wie auch bezüglich der Beurteilung konkreter Produkte, wobei dies ausschließlich die visuelle Darstellung (z.B. Booklet-Gestaltung) und das audiovisuelle Material betrifft (z.B. »aufwändig inszenierter Look«154). »Imitation« zeigt sich hingegen hauptsächlich auf der musikalischen Ebene. So begeben sich die Rezensenten auf die Suche nach möglichst gut belegbaren Zitaten, beschreiben diverse popmusikalische Referenzen und verdichten sie zu einem Gesamteindruck, z.B.: »Das ewig wahre Gute also í oder auch: die Konzentration der Kopie der Imitation«.155 Auch in Bezug auf Bühnenverhalten (»Entengang von Chuck Berry«, »Moonwalk von Michael Jackson«, »Hüftschwung von Elvis«) und Interpretation (»auf lächerliche Weise werkgetreu«,156 »gleiche Phrasierung wie Sinatra«157) spielt das Aufzeigen von Imitationen in der Berichterstattung eine wichtige Rolle. In Ergänzung zur Kategorie »Inszenierung« stellt die Kategorie »Verwandlung« eine separate Bedeutung dar, die insbesondere die Wandlungsfähigkeit des Interpreten und seine permanenten Metamorphosen betont. 151 152 153 154 155 156 157
TSP, 27.08.2000. SZ, 22.02.2001. TSP, 19.11.2002. TSP, 19.02.2001. FAZ, 19.2.2001. FAZ, 23.11.2001. TSP, 22.11.2001.
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Dies geschieht sowohl auf übergeordneter Ebene im Sinne einer Arbeitstechnik (Beherrschung des Rollenrepertoires), als auch in konkreter Form, indem seine verschiedenen Rollen z.B. innerhalb des audiovisuellen Materials (Rodeo-Cowboy, Rennfahrer etc.) oder bezüglich des Bühnenverhaltens (Macho, Clown) herausgestellt werden. Gerade die Figur des Clowns bzw. die zugehörigen Begrifflichkeiten finden hierbei auf mehreren Ebenen Verwendung (den Narren geben, eine Maske tragen, das Publikum »nachäffen«, Grimassen schneiden). Die Wertegruppe um die bedeutsame Kategorie »Exzess/Rebellion« wurde im linken oberen Feld verortet, da die Kategorien (»Exzess«, »Provokation«, »Arroganz« und »Wildheit«) zwar nicht Nähe erzeugen im eigentlichen Sinne, aber dennoch auf der Basis eines Kontakts bzw. einer Konfrontation operieren, da zugehörige Aktionen (wie z.B. in der Öffentlichkeit randalieren oder Beleidigungen aussprechen) direkt auf andere Personen gerichtet sind und emotionale Reaktionen auslösen. Die Codes der Kategorie »Exzess« stammen vor allem aus den Themenkategorien »Drogen« und »berufliche Laufbahn«. Das Prinzip der Ausschweifung zeigt sich dabei insbesondere im Bereich des körperlichen Konsums (Alkohol, Kokain, Völlerei, Sexsucht). Die Printmedien attribuieren Grenzüberschreitungen aber auch hinsichtlich Streitereien mit anderen Musikern und der inszenierten Überhöhung in Videoclips (z.B. Partyszenen mit Kokain und Gruppensex). Hieraus wird ein Gesamteindruck des Musikers konstruiert, der ihn í ähnlich wie in der Kategorie »Emotionalität« í als Mann der Extreme kennzeichnet: »Wenn einer gelebt hat, dann er: Mit allen Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Höhenflügen und Abstürzen«.158 »Provokation/Exzentrik« umfasst vor allen Dingen Aspekte des Arbeitsstils von Robbie Williams. Werden Exzesse also eher ihm selbst als Person zugeschrieben, geht es hier um die Erregung von Aufmerksamkeit, beispielsweise durch eine offensiv-provokative Show, in der der Interpret durch Überinszenierung (z.B. unübliche Kostüme der Tänzerinnen) und anzügliche Gesten (z.B. den nackten Hintern zeigen) zahlreiche Berichterstattungsanreize liefert. Auch bezüglich des audiovisuellen Materials spielt der Skandalfaktor eine wichtige Rolle und ist die öffentliche Empörung zentrale Komponente der medialen Darstellung. Auch »Arroganz« erscheint als stilisierte Art des Auftretens, wenn auch weniger in Bezug auf das Bühnenverhalten (z.B. Publikumsbeleidigungen), sondern eher in Form von Aussagen in der Öffentlichkeit. Diese werden als Arroganz und Angeberei interpretiert, aber dabei nicht unbedingt negativ bewertet, was wiederum durch die Tatsache begründet werden kann, dass sie als Stil und nicht als Persönlichkeitseigenschaft gesehen werden. So kann seine Musik als großmäulig und gleichzeitig unwiderstehlich empfun158
SZ, 13.9.1999.
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den werden, sein Verhalten gegenüber Frauen als unverschämt und gleichzeitig atemberaubend (vgl. Kategorie »Erotik«). Das Prinzip der sympathischen Arroganz wird auch konsequent in seine Shows eingebaut (Themenkategorie »Dramaturgie der Show«), indem Williams als Figur integriert wird, die durch ein Schnippen oder ein Zeichen hervorrufen kann, was sie möchte (ein Klavier aus dem Bühnenboden auftauchen lassen, bestimmte Bewegungen der Tänzerinnen ausführen lassen etc.). »Wildheit/Ausgelassenheit« liegt als Wert bereits recht nah an der im Folgenden auszuführenden Wertegruppe, da Ausgelassenheit hier auch häufig als selbstbezogene Bedeutung erscheint, die nicht in Verbindung zum Publikum oder zu anderen Personen steht. Hier versammeln sich Beschreibungen der diversen Bewegungsformen, die Williams auf der Bühne (»wie ein Flummi herumspringen«,159 »entfesselt über die Bühne steppen«160) und im öffentlichen Auftreten insgesamt kennzeichnen. Dazu gehört auch die äußere Erscheinung (wilde Augen, wilde Haartolle), die Musik (»hysterisch fröhliches Toben«161) und die Charakterisierung seiner Arbeit als Bedürfnis sich auszutoben (Themenkategorie »professioneller Stil«). Hier schließt sich ein Wertekomplex an, der í mit »Attraktivität« und »Dekadenz/Glamour« im Zentrum í Distanz herstellende Image-Komponenten thematisiert, die den Star von seinem Publikum abheben. »Attraktivität« besteht dabei logischerweise aus Codes der Kategorie »äußere Erscheinung«, in der sein gutes Aussehen und seine edle bzw. modische Kleidung umfassend thematisiert werden. Aber auch in der Beschreibung des audiovisuellen Materials wird seine Attraktivität herausgestellt (z.B. durch seine Inszenierung als »Objekt der Begierde«). Auch hier wird nicht nur die positive Seite dieses Wertes, sondern auch die negative gezeigt. So ist ebenso die »Hässlichkeit« eine í allerdings schwach ausgeprägte í Bedeutung, die im Wertesystem des Interpreten auftaucht und sich vor allen Dingen auf die Zeit seiner Abstürze und Niederlagen bezieht und sich ebenfalls in der äußeren Erscheinung abbildet (»fett«, »Schlabberlook«, »untersetzt«, »bleich«, »schwammig«, »picklig«). Die Kategorie »Coolness/Hipness« besteht vor allem aus Beschreibungen seiner Kleidung, enthält aber auch Aussagen zu lässiger Gestik und Mimik und zum Verhalten auf der Bühne (»spontan«, »locker«). Auf mehreren Ausdrucksebenen bewegt sich die Wertekategorie »Größenwahn/Ehrgeiz«. So erscheint sie zumeist als zukunftsorientierte ImageKomponente, die ehrgeizige Wünsche des Interpreten offenbart (Erfolg in Amerika, Schauspielkarriere). Hinsichtlich persönlicher Eigenschaften wird 159 160 161
TSP, 11.11.1997. BUNTE, 21.11.2002. FAZ, 13.09.2000.
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ihm Geltungssucht zugeschrieben, die sich auf professioneller Ebene in Form von Allmachtsphantasien ausdrückt (»›You’ve come to witness the best show in the world‹, brüllt er«162). Auch die Musik bzw. die zugehörigen Texte werden in dieser Weise charakterisiert (»Musik, die klingt, als wäre sie für Baseballstadien konzipiert«163) sowie in Mimik und Gestik (z.B. »größenwahnsinniger Gesichtsaudruck«164). Somit wird der Sänger bisweilen auch als Ersatz-Erlöser karikiert: »Ihr sollt keine anderen Götter neben mir haben í das ist die Botschaft von Robbie Williams«.165 Die Kategorie »Dekadenz« setzt sich schwerpunktmäßig aus Codes der Themenkategorie »Finanzielles« zusammen. Die Auflistung von Bungalows, teuren Autos und luxuriösen Freizeitanlagen erzeugt ein stereotypes Sammelsurium klassischer Status-Symbole eines Stars, das sich mit einem zugehörigen Lebensstil (mit Privatjet einfliegen, mit einem Konvoi vor dem Hotel vorfahren, Hotelsuiten mit zahlreichen Zimmern mieten etc.) zum geschlossenen Bild des glamourösen Pop-Königs verdichtet. Der Aspekt der Verschwendung zeigt sich dabei auch in der Bewertung seiner Produkte (technischer Aufwand für Bühnenshow, maßlose Bedienung an diversen musikalischen Stilen und Interpreten). Die Kategorie »Hedonismus« liegt »Dekadenz« sehr nahe, beinhaltet aber weniger Aspekte der Ausstattung als ego- und genusszentrierte Persönlichkeitszüge. Entsprechend wird hier seine Selbstverliebtheit, seine Sucht nach Beifall und sein unersättlicher Egoismus thematisiert. Ergänzt wird das Bedeutungsuniversum von Robbie Williams um zwei weitere í wenn auch weniger stark vertretene í Wertegruppen. »Depressivität« stellt dabei einen relativ dominanten Wert dar, der ihm direkt zugeschrieben wird (»Williams leidet an Depressionen«166) und bei der Beschreibung seiner allgemeinen Befindlichkeiten auftaucht (»ist am Boden zerstört«,167 »steckt in einer tiefen Krise«168 etc.). »Depressivität« ist in der medialen Darstellung ebenso wie »Einsamkeit« eine Bedeutung, die vor allem zur Charakterzeichnung des »privaten Robbie« herangezogen, als Bestandteil der Musik angeführt (z.B. depressive Texte), aber nie auf das Bühnenverhalten oder den Kontakt zum Publikum bezogen wird. »Unerreichbarkeit/Distanz« bildet einen Gegenpol zu den Intimität erzeugenden Werten wie »Erotik« oder »Emotionalität« und umfasst sowohl die diesbezüglichen Aktionen des Interpreten (z.B. sich den Fans nur kurz zeigen, mit verdunkelter Limousine vorfahren etc.) als auch die Konsequenzen für das 162 163 164 165 166 167 168
SZ, 8.07.2003. Welt, 19.11.2002. Welt, 17.09.1999. TSP, 8.07.2003. BUNTE, 21.11.2002. Welt, 1.10.2002. BUNTE, 15.04.1999.
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Publikum (»draußen bleiben müssen«, »vergeblich warten«, »ihn nicht sehen können«). »Emotionslosigkeit« hingegen stellt einen í wenn auch schwachen í Gegenpol zu »Emotionalität« dar. Hier wird eine gewisse Unberührtheit und Routine des Interpreten diagnostiziert; auch die Musik wird in einzelnen Aussagen als austauschbar und daher emotionslos beschrieben (z.B. »antihaftbeschichtete Teflon-Musik«169). Auch die in der unteren Hälfte des Wertesystems angesiedelten Bedeutungen bilden Gegenpole zu den bisher angeführten Kategorien. So wird bezüglich »Glaubwürdigkeit« gerade die Bedeutung von Echtheit und Glaubwürdigkeit betont, wobei sich dies interessanterweise nicht auf die Person selbst, sondern lediglich auf die Musik (»er besingt das Drama seines Lebens«170) bezieht. »Engagement« meint insbesondere Großzügigkeit gegenüber anderen und steht den egozentrischen Werten gegenüber. Diese Kategorie beinhaltet die in der Themenkategorie »Aktivitäten« angeführten, wohltätigen Aktionen des Interpreten. »Bodenständigkeit« (z.B. Wunsch nach einer Familie) und »Schüchternheit« stehen schließlich dem provokativ-exzessiven Wertekomplex diametral gegenüber.
6.3.3 Visuelles und audiovisuelles Material Visuelle Darstellung Wie sich bereits in der Bedeutung der Themenkategorie »Äußere Erscheinung« und in der Wertekategorie »Inszenierung« andeutet, spielen die visuellen und audiovisuellen Präsentationsformen für das Image Robbie Williams’ eine zentrale Rolle. Als ganzheitlich-emotionale Darstellungsmodi ermöglichen sie sowohl die produktive als auch die rezeptive Integration separater Themen- und Wertekategorien. Eben noch unvereinbar erscheinende Image-Komponenten (z.B. Erfolg und Misserfolg), werden hier zu narrativen Collagen-Bausteinen, die Kontraste als Momentaufnahme abbilden und so die zeitgleiche Realisierung von an sich Widersprüchlichem inszenieren bzw. für die Rezipienten erlebbar machen. Für verschiedene Medienformate ist dabei durchaus ein unterschiedliches Ausmaß an WerteKollisionen charakteristisch. So liefern die in den Tageszeitungen erscheinenden Pressefotos eher realistisch bzw. stereotyp anmutende Starrepräsentationen, z.B. in Form eines Portraits, das den Interpreten vor allem als sympathisch und attraktiv zeigt oder als »Schnappschuss«, der ihn auf der Konzertbühne oder als Privatmenschen in Straßenkleidung zeigt. Auch wenn hier teilweise auch Fotos aus CD-Booklets Verwendung finden, die zumeist umfassendere Bedeutungskontexte aufrufen, dominiert in der Ta169 170
Welt, 19.02.2001. SZ, 8.07.2003.
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geszeitung doch die Funktion, dem Artikel einen reinen Aufmerksamkeitsund Wiedererkennungswert hinzuzufügen, der den eher rationalen Bericht (CD-Rezension, Konzertkritik) mittels eines zugehörigen Gesichts hinreichend emotionalisiert und damit Involvement erzeugt. Eine Ausnahme stellt hier die BILD-Zeitung dar, die eher wie die zahlreichen Zeitschriften jeweils ein umfangreiches Set von Bildern des Stars abdruckt, für die der Begleittext lediglich Illustrierungs- und Kommentierungsfunktion hat. Diese Fotoreportagen zeigen Williams í ähnlich wie die volkstümlichen Zeitschriften Stefanie Hertel í in privaten Alltagssituationen, wobei diese entweder positiv stilisiert sind (z.B. Besuch in seiner Villa mit Williams als nettem Gastgeber) oder vornehmlich einen Enthüllungscharakter besitzen (z.B. fotografischer Nachweis von Liebesaffären, Drogensucht oder einer Gewichtszunahme). Wie eingangs erwähnt, thematisieren die CD-Cover und -Booklets vielschichtigere Bedeutungsmuster und integrieren den Sänger in sehr unterschiedliche Alltagskontexte oder Fantasie-Szenarien. Bereits auf der Ebene des Gesichtsausdrucks offenbart sich beim Durchblättern eine gänzlich andere Präsentationsweise als im Vergleich zu Hertel und Brendel, die sich kontinuierlich in gleichen Stimmungswelten (natürlich-fröhlich bzw. nachdenklich-professionell) bewegen. Bei Williams zeigt sich hingegen die gesamte Palette der in der vorhergehenden Analyse beschriebenen Stimmungsschwankungen, von triumphierend bis zweifelnd, von euphorisch bis depressiv, von distinguiert bis exzentrisch. Thematisch greifen die Booklets jeweils unterschiedliche, aber immer konkrete narrative Erzählstrukturen auf, die das Spektrum der Presseberichterstattung einerseits aufgreifen (z.B. durch Bezugnahme auf und Abbildung von Star-Klischees), andererseits aber auch neu stimulieren (z.B. das mehrdeutige Cover der CD »Escapology« mit dem kopfüber baumelnden Williams). Die Booklets haben eine in sich geschlossene Dramaturgie, die den Star in einer bestimmten Rolle mitsamt den zugehörigen Handlungsmustern zeigen. Das erste Album »Life Thru a Lens« erscheint auf den ersten Blick als ins Extrem getriebene Inszenierung des von der Presse umzingelten Stars. Auf dem Cover ist Williams hell erleuchtet in der Mitte des Bildes zentriert, bedrängt von zahlreichen Fotografen, die möglichst nah an ihn heranzutreten versuchen. Keiner von ihnen wird jedoch das perfekte Foto erhalten, da Williams an allen vorbei direkt in die Augen des Betrachters blickt, der aber ebenso gut selbst einer der Fotografen sein könnte. Dieses Bild spielt mit dem klassischen Bedürfnis von Fans, den Star als von der medialen Öffentlichkeit verfolgte Persönlichkeit schützen zu wollen, gleichzeitig aber nach eben diesem Pressematerial zu verlangen. Auf den folgenden Bildern erhält die Szenerie jedoch vordergründig eine andere Bedeutungsdimension. Zunehmend wird deutlich, dass Williams ein Angeklagter ist,
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der in Handschellen zum Gerichtsprozess geführt wird, was er jedoch mit schelmisch bis siegessicheren Gesten kommentiert. Er verlässt ein ehrwürdig anmutendes Gebäude í in Wirklichkeit handelt es sich um den Eingangsbereich des British Museum in London í als offenbar Freigesprochener, weiterhin von der Presse umstellt. In der Pose des Gewinners braust er mit einer gutaussehenden Frau im Cabrio davon. Da er sich am Ende des Booklets wieder in Handschellen befindet, dabei aber amüsiert in die Kamera blickt, wirkt die vorherige Sequenz als Traum, in dem er sich kurzfristig aus den Fesseln des Starruhms und seines Managements befreit zu haben schien, nun aber mit einem gewissen Galgenhumor seinen Zustand erträgt. Das Booklet des Albums »I’ve been expecting you« umgibt Williams mit einer luxuriösen Umgebung. Im stilvollen Ambiente von Pierre Koenigs »Case Study House Nr. 22«, einem bekannten Glasbungalow mit Blick über Los Angeles, zeigt sich der Sänger mit einer schönen, asiatisch anmutenden Frau. Im Fokus des Settings steht der Filmstar-kompatible Swimming Pool als klassisches Statussymbol für Erfolg, Glamour aber auch Dekadenz. So sehen wir Williams ins Wasser springen, auftauchen und sonnenbaden, während seine Begleitung wahlweise in Abendgarderobe um den Pool stolziert oder sich zu ihm ins Wasser gesellt. Zugehörige Accessoires wie Cocktail und Perserkatze ergänzen das Bild, wobei jedoch die Atmosphäre weniger entspannt und liebevoll, als kühl bis unheimlich erscheint. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau bleibt unklar und wechselt im Ausdruckscharakter zwischen routinierter Langeweile, Sinnlichkeit und bedrohlichem Spiel. Letzteres zeigt sich bei den Unterwasserszenen, die sich im Anschluss an die vorherigen Bildsequenzen zunächst als Zärtlichkeiten lesen lassen. Auf einem der folgenden Bilder allerdings schwebt Williams über dem Abgrund und hält sich nur noch mit den Händen am Dachvorsprung fest, während die Frau stehend über ihm thront, wobei hier jedoch nur der mit schwarzen Pumps bekleidete Fuß sichtbar ist, der sich drohend auf seinen Fingerspitzen niederlässt. Betrachtet man daraufhin wieder die Unterwasserszenen, könnten diese ebenso einen ernsten Kampf wie auch ein Liebesspiel darstellen, da die Darstellung zudem kaum Hinweisreize in Form konkret entschlüsselbarer Gesichtsausdrücke liefert. Hier wird somit keine kohärente Geschichte erzählt, auch wenn auf den ersten Blick dieser Eindruck vermittelt wird, was insbesondere durch die filmische Inszenierung der Fotos bedingt ist. So erinnern die Licht- und Umgebungsverhältnisse an eine David Lynch-Szenerie, Fluchtsequenzen und der am Abgrund hängende Held wirken wie Stills eines klassischen Film-Showdowns. Die Möglichkeit unterschiedlicher Botschaftsdekodierung der einzelnen Bilder sowie alternativer Optionen ihrer Reihenfolge, die jeweils verschiedene Handlungsstränge konstruieren lassen, verweisen
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jedoch erneut auf eine übergeordnete Imagekomponente Williams’: Gesagtes im nächsten Moment wieder in Frage zu stellen, umzudeuten und plötzlich das Gegenteil zu behaupten. Im Unterschied zu diesen erzählerisch anmutenden Darstellungen fokussiert das Booklet zum Album »Sing when you’re winning« verschiedene Situationen im Fußballkontext. Weniger als das Thema Fußball steht dabei jedoch Williams als Figur im Vordergrund, indem er das komplette Rollen-Set selbst verkörpert: So ist er sein eigener Teamkollege und Gegner, Schiedsrichter und Manager, Trainer und Fan. Dieses selbstironische Spiel mit zahlreichen Egos dient einerseits als Input für weitere mediale Berichterstattung, ist aber auch als Reaktion darauf zu verstehen. Dabei geht es auch hier weniger um die konkret präsentierten Rollenmuster und ihren Bezug zur Persönlichkeit des Stars, sondern um das Rollenspiel an sich, wie es sich in den Imagekategorien »Verwandlung« und »Imitation« bei der Analyse des Printmaterials bereits herauskristallisierte. Die Intention, Williams als imaginäre Kunstfigur darzustellen, die erst durch umfassende Ausstattung mit kulturellen Symbolen Gestalt annimmt und deren Persönlichkeit mittels Musik transportiert und damit öffentlich erfahrbar wird, erscheint im Booklet als pointierte Selbstreferenz. So ist die Widmung auf der letzten Seite an Williams’ Komponisten und Arrangeur gerichtet: »To Guy Chambers, who is as much Robbie as I am«. Das Booklet zum anschließenden Album »Swing when you’re winning« zeigt Williams erstmals als Musiker, jedoch nicht in seiner bisherigen Funktion als Vertreter aktuellen Brit Pops, sondern als stilisierten Swing-Interpreten im Look der 50er Jahre. Zentrale Botschaft ist hier der Bedeutungskontext »Professionalität«. Entsprechend vermitteln die Bilder inszenierte Einblicke in den Produktionsprozess der Songs, indem sie in den alt-ehrwürdigen Capitol Recording Studios in Los Angeles lokalisiert sind und den Sänger quasi »bei der Arbeit« zeigen. So sehen wir Williams in wechselnden seriös-klassischen Anzügen und pomadisiertem Seitenscheitel vor dem Mikro stehen bzw. in mutmaßlichen Pausen zwischen den Aufnahmephasen. Professionalität wird zudem durch die Inszenierung der Werkidee als zentralem Symbol für hochwertige Kunst kommuniziert. Diese zeigt sich zum einen in Form einer Visualisierung: Zur Vermittlung der Vorstellung eines ernstzunehmenden Künstlers steht Williams vor dem Notenpult oder arbeitet in den Pausen mit einem Stift im Notentext. Zum anderen dienen die zugehörigen Begleittexte als sprachliche Untermauerung von Hochwertigkeit und Tradition. Wie bei einem Album klassischer Musik wird auf die Komponisten der Stücke und ihr Erscheinungsdatum hingewiesen und vorangegangene Interpretationen dieser Songs angesprochen. Auch die instrumentale Besetzung des Begleitorchesters wird akribisch und
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prominent platziert. Zudem wird Williams persönlicher Bezug zu einzelnen Stücken herausgestellt. Der Produktionsprozess selbst steht auch im Zentrum des Albums »Escapology«, bezieht sich hier jedoch nicht auf den musikalischen Produktionsprozess, sondern dokumentiert die Herstellung konkreter StarInszenierungen und entzaubert sie damit gleichsam. Wird auf der Vorderseite des Booklets der Star noch in Form einer real anmutenden Szenerie gezeigt, so entpuppt sich diese auf den folgenden Seiten als Kulisse. Entsprechend wird demonstriert, wie das Seil, an dem Williams kopfüber hängt, an einem aufwändigen Gerüst befestigt ist und sich ein Einsatzteam um die Sicherheit des Sängers kümmert. Der rötlich schimmernde Nebel bei Sonnenaufgang wird im Booklet als orangefarbener Rauch entlarvt, der mittels Nebelmaschine in das Setting eingelassen wird. In einem weiteren Bild wird die technische Apparatur gezeigt, mit dem Williams ein Heiligenschein auf und um sein Haupt positioniert wird sowie das zugehörige Team, das dabei entsprechende Vorkehrungen trifft. Neben dieser Visualisierung von Inszenierung als integralem Bestandteil des künstlerischen Arbeitsprozesses bieten die Bilder inhaltlich auch einen Link zum Titel »Escapology«. So zeigen sie den Sänger in ausweglosen Situationen (kopfüber baumelnd oder in einem großen Reagenzglas sitzend), aus denen er sich nur mit Hilfe anderer befreien kann. Auch hier entsteht wieder ein Bezug zu den Zwängen des Star-Seins, die immer neue Lösungen erfordern, wie ihnen zu entkommen ist. Gleichzeitig haben diese Zwänge wiederum illusionären Charakter, indem gezeigt wird, wie Williams sich freiwillig und mit Spaß hineinbegibt. Auch in den Songtexten zeigen sich wiederholt Bezugnahmen auf seinen Status als Star, den er einerseits mit arrogantem Gestus verteidigt und andererseits nüchtern entdramatisiert: »It’s not very complicated, I’m just young and overrated«.171
Audiovisuelle Darstellung Neben den Tonträgern und entsprechenden Music-Downloads, die in ihrer Nutzungsweise für die Fans vor allen Dingen eine Begleitfunktion im Alltag übernehmen, stellen die Live-Konzerte von Robbie Williams durch ein quasi-direktes Verhältnis zum Star das zentrale Erlebnisformat dar. Die ca. alle 2-3 Jahre stattfindenden Bühnenshows sind bezüglich ihrer Grundausstattung relativ schlicht gehalten. So finden wir hier keine aufwändigen Bühnendekorationen, vielmehr konzentriert sich das Prinzip Variation einzig in den wechselnden Rollen des Stars, wobei dieser durch seine Tanzund Laufeinlagen kontinuierlich den kompletten Bühnenraum nutzt und sich gerade nicht in der Mitte aufhält. Dramaturgische Höchstspannung herrscht insbesondere zu Beginn und zum Ende eines Konzerts. So wird 171
In: Songtext zum Titel »Handsome Man« (aus dem Album »Escapology«).
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mit Hilfe diverser Inszenierungsmittel (z.B. Lautsprecherstimme aus dem Off, Nebel, Einspielung des Beginns von »Carmina Burana« o.ä.) das erste Auftreten des Sängers verzögert bzw. mystifiziert. Wenn der Star die Bühne schließlich betritt, geschieht dies zumeist nicht in Form des klassischen Eintretens hin zum Bühnenmittelpunkt, sondern mit unüblichüberraschendem Impetus (z.B. kopfüber einschwebend, über ein Gerüst in den Bühnenraum hineinkletternd, auf einem Stuhl hineinkatapultiert etc.). Begleitet wird Williams während seiner Konzerte durch eine 10-köpfige Live-Band, die auch eine Bläsersektion und zwei Backgroundsängerinnen umfasst. Wichtigstes Moment ist sowohl während als auch zwischen den aufgeführten Songs die Gestaltung des Verhältnisses zum Publikum. Hierzu gehört zum einen die Ansprache des gesamten Publikums (Frage nach der allgemeinen Stimmung, Aufforderung zum Mitsingen/Tanzen etc.), zum anderen das direkte Ansingen, Ansprechen und Aufdie-Bühne-Holen einzelner í meist weiblicher í Personen. Im Unterschied zu anderen Pop-Interpreten nehmen bei Williams aber auch die Zeiten zwischen den Performances einen größeren Raum ein. Hier werden nicht nur die Songs anekdotisch eingeleitet, sondern kleine, meist ironische Episoden aus dem Privatleben erzählt oder der direkte »Dialog« mit einzelnen Personen aus dem Publikum gesucht. Das Programm des Konzerts fokussiert zunehmend die großen Hits des Sängers, was eine verstärkte Integration des Publikums mit sich bringt. So lässt Williams die Konzertbesucher häufig allein singen und steigt erst wieder zu Beginn der anschließenden Strophe ein. Zum Abschluss eines Konzerts gehört in der Regel eine längere Kette von Zugaben, die von den Besuchern per Applaus eingefordert werden. Wie bei den beiden anderen hier untersuchten Interpreten bleibt dabei das Spannungsmoment, ob der Interpret sich noch ein weiteres Mal zeigt oder das Konzert bereits als beendet ansieht. Im Unterschied zu Brendel und Hertel ist die Zugabe hier jedoch eine unabdingbare Komponente des Konzerterlebnisses,172 die í sofern sie gelingt í von den Anhängern auch als Macht erlebt wird, indem man ein offiziell beendetes Konzert durch eigenes Engagement noch einmal aufleben lässt und im nachhinein berichtet, wie viele Zugaben man »herausgeholt« hat. Das wichtigste audiovisuelle Format für den Hausgebrauch stellt bei Robbie Williams der Videoclip dar. Die Clips sind verhältnismäßig aufwändig gestaltet und erregen auch über die Fangemeinde von Williams hinaus allgemeine Aufmerksamkeit, da sie häufig provokative Darstellungsformen beinhalten. Ähnlich wie bei den beschriebenen CD-Booklets 172
Insbesondere bei Brendel sind Zugaben eher ambivalent. Zwar herrscht dankbare Begeisterung, den Interpreten nochmals erleben zu dürfen, aus künstlerisch-ästhetischer Sicht werden jedoch teilweise Bedenken geäußert, dass dies den holistischen Gesamteindruck des sorgsam ausgewählten, in sich geschlossenen Programms aufbrechen und verflachen könnte.
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werden auch hier narrative Erzählstränge entwickelt. Die Performance als generell wichtiger Bestandteil zur Authentifizierung des Stars ist hier also untergeordnet. Auch thematisch und bezüglich der visuellen Gesamtanmutung ähneln die Videos den Booklets, weshalb hier lediglich kurz und exemplarisch auf zwei Videos eingegangen wird. Bei den befragten Fans wurden insbesondere die Clips »Rock DJ« und »Come undone« erwähnt, wobei es sich gleichzeitig um die zwei zensierten Clips handelt, die bei dem Musiksender MTV erst im Spätprogramm und in gekürzter Version zu sehen waren. »Rock DJ« bewegt sich zwar in einem Performance-Setting (Bühne, Publikum etc.), jedoch in stilisierter und verfremdeter Form: So fährt Williams zu Beginn des Clips aus dem Untergrund direkt auf die Bühne, die kreisrund und beleuchtet ist. In Erwartung begeisterter Zuhörer, wird er aber nur von attraktiven, exzentrisch gekleideten Frauen auf Rollschuhen umkreist, die keinerlei Notiz von ihm nehmen. Sichtlich irritiert setzt Williams seine Gesangsperformance fort und ergänzt sie um immer anzüglicher werdende Tanzbewegungen, ohne jedoch auch nur einen direkten Blick der Frauen zu erhalten. Zunehmend ratlos beginnt Williams, sich zu entkleiden bis er schließlich nackt auf der Bühne steht. Als auch das nichts nützen will, reißt er sich die Haut vom Leib und schleudert sie í wie sonst ein Handtuch oder T-Shirt í ins Publikum. Erst jetzt beginnen die Frauen í insbesondere der weibliche DJ í »Blut zu lecken« und greifen nach den triefenden Hautfetzen. Als Williams sich auch noch das Herz herausreißt und in die Menge schleudert, hat er endlich sein Ziel erreicht: Er wird wahrgenommen und kann í bereits nur noch als Skelett vorhanden í eine Frau zum gemeinsamen Tanz auf die Bühne holen. In diesem Clip wird somit wieder das Star-Sein an sich thematisiert und ins Extrem getrieben. So geht es zum einen um die Angst des Interpreten, vom Publikum nicht geliebt zu werden, mit der Williams auch in seinen Liedtexten und bei Aussagen gegenüber der Presse kokettiert. Zum anderen geht es aber auch um den großen Themenbereich Publikumsfaszination und deren Pervertierung. In Zeiten der Reizüberflutung kann demnach weder mit einem nackten und schon gar nicht mit einem lediglich gut singenden und tanzenden Star massenhafte und dauerhafte Aufmerksamkeit erzeugt werden. Es bleibt dem Sänger also nur, sich mit jeder Faser dem Publikum zu geben, um überhaupt überleben zu können. Eine weitere, in der Presseberichterstattung stark vertretene Wertekategorie, ist »Exzess«. Diese Image-Komponente bietet ebenso wie »Faszination« ein hohes Potenzial für die audiovisuelle Ausgestaltung und wird entsprechend genutzt. Der Video-Clip zur Single-Auskopplung »Come undone« (Album »Escapology«) zeigt Williams beispielsweise am Morgen nach einer durchfeierten Nacht, nur halb bekleidet, mit blauem Auge und in offensichtlich betrunkenem Zustand. Während er zwischen zwei Frauen im
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Bett langsam erwacht und auf dem Weg durch das Haus die überall herumliegenden schlafenden Partygäste und die Reste der vergangenen Nacht besichtigt, werden bei ihm in kurzen Sequenzen Momente der Party in Erinnerung gerufen, die den Weg ins Chaos für den Betrachter nachzeichnen. Dies allein vermittelt noch nicht Exzess im Sinne einer Überschreitung, vielmehr geschieht dies erst durch die starke Überzeichnung einzelner Aspekte. So handelt es sich bei dem Ort der Hausparty nicht um ein gewöhnliches Haus, sondern um eine amerikanische Luxusvilla mit DesignMöbeln, die – im »Flashback« – mit großem Vergnügen in den Swimming Pool geschleudert werden, was den Aspekt der Verschwendung und Dekadenz betont. Die Partygäste sind nicht einfach gestylt, sondern extrem geschminkt und gekleidet und frönen lustvoll dem Kokain-Konsum. Interessant ist die Stimmungsumkehr gegen Ende des Clips. Bewegt sich bis dorthin alles in extremem, aber dennoch real erscheinendem Rahmen, so wird zunehmend die Dimension des Ekels stärker betont. Lust versprechende Ausstattungskomponenten des Clips (Frauen, Alkohol, Essen etc.) entspringen nun í einem Albtraum gleich í Schlangen, Würmer, Käfer und Skorpione. So werden auch hier wieder zentrale Dichotomien in Williams’ Image ausgelotet und ihre Gleichzeitigkeit bzw. das ständig mögliche Umkippen von einem Zustand in den anderen visualisiert und dramatisiert: Lust und Ekel, Spaß und Angst, Attraktivität und Hässlichkeit, Sensibilität und Aggression.
6.3.4 Interviewauswertung Allgemeines Die Fangemeinde von Robbie Williams ist vor allem in Form von Fanclubs organisiert, in denen fast ausschließlich über das Internet kommuniziert wird. Der Austausch von Informationen (z.B. auf den deutschen Fanpages www.robbiewilliams.de, www.fans-supreme.de oder www.rw-fan.de) erfolgt über Foren, Chatrooms und Gästebücher. Da man nicht zahlendes Mitglied sein muss, um an Diskussionen teilzunehmen, sind die Grenzen zwischen aktivem und nicht-aktivem Fan fließend. So gaben zwar auch hier befragte Fans an, täglich auf eine Fanpage zuzugreifen und Beiträge zu versenden, aber selbst kein offizielles Mitglied zu sein. Entsprechend nutzen viele diese virtuellen Clubs nur zu bestimmten Anlässen (zumeist eine bevorstehende Konzerttournee oder die Veröffentlichung eines neuen Albums) oder auch zum Austausch allgemeiner Interessen (Mode, StarGossip etc.). Neben der Beurteilung der Musik besteht ein Interesse am Verständnis von Liedtexten und deren Realitätsgehalt. Fanclubtreffen sind eher unüblich und ein direkter Kontakt der Fanclubleiter zu Williams besteht nicht.
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Wichtigstes Ereignis für die interviewten Personen ist das Live-Erlebnis »Robbie Williams«. Die Attraktivität dieser Veranstaltung erhöht sich durch ihre Rarität (Williams unternimmt ca. alle zwei bis drei Jahre eine Tournee) und dem damit einhergehenden Ansturm auf die Konzerttickets. So ist das Ereignis »Konzert« bereits Monate vor dem Termin in Foren und als Gesprächsthema im Freundeskreis präsent. Ein großer Wunsch und eine beliebte Praxis bestehen darin, mehrere Konzertkarten für verschiedene Veranstaltungsorte zu erwerben, um dem Star »hinterher zu reisen«, was bei Tickets ab ca. 60 Euro eine kostenintensive Aktivität darstellt. Beim Konzertbesuch selbst wird versucht, mehrere Stunden vor Beginn da zu sein, um möglichst weit vorne zu stehen. Vorrangig geht es dabei um die Nähe zum Star, aber auch um den glaubhaften Nachweis, ihm nahe gewesen zu sein, da mit der Handy-Kamera aufgenommene Fotos häufig während des Konzerts an Freunde geschickt werden. Neben offiziellen Konzerten versuchen manche Fans auch weitere Anlässe ausfindig zu machen, zu denen der Star in der Stadt erscheint. Etwas Besonderes ist, ihn vor seinem Hotel, beim Einkaufen oder auf dem roten Teppich vor der Veranstaltung kurz zu sehen und ein Foto zu machen. Im Verhältnis zum recht hohen Aufwand, der betrieben wird, um Williams live zu erleben, ist akribisches Sammeln seiner Produkte weniger verbreitet. Es geht also nicht darum, alles zu besitzen, was über Williams verfügbar ist, sondern eine für gut befundene Auswahl zu treffen, die tatsächlich genutzt wird. Vieles wird nicht käuflich erworben, sondern im Freundeskreis ausgeliehen, gebrannt, kopiert oder verschenkt. Der Freundeskreis spielt auch bezüglich des allgemeinen Informationsaustausches (über Musik, Videos oder Konzerte) häufig eine wichtige Rolle. Zumeist waren auch Freunde der Anlass, zum ersten Mal Williams’ Musik zu hören oder auf ein Konzert zu gehen. Das Wissen über den Interpreten wird insgesamt interessanterweise oft eher zufällig erworben (z.B. durch Freunde, beim Durchblättern einer Zeitung oder beim Zappen im Fernsehen) und nicht gezielt recherchiert und archiviert. Das kontinuierlich genutzte Medium ist aber die Musik selbst, die in verschiedenen Situationen und Stimmungen gezielt eingesetzt wird (vgl. hierzu die abschließenden Bemerkungen zur Auswertung der Fan-Interviews am Ende dieses Kapitels).
Werteanalyse Die Auswertung der Interviews (vgl. Abb. folgende Seite) zeigt deutlich, dass zentrale, in den Printmedien thematisierte Werte auch hier als Ausgangspunkt der Imagekonstruktion herangezogen und in narrative Erzählstrukturen eingebettet werden. Dies betrifft jedoch nur eine spezifische Auswahl í insbesondere die Kategorien »Entertainment/Spaß«, »Professionalität«, »Exzess/Rebellion« und »Verwandlung«. Auf der anderen Seite
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werden bestimmte Aspekte der medialen Darstellung von den Fans weniger häufig angesprochen (z.B. »Erfolg«, »Erotik« oder »Inszenierung«), erfahren eine Transformation (»Faszination«) oder werden deutlich stärker hervorgehoben (»Glaubwürdigkeit«, »Bodenständigkeit«). Die Vorstellung der einzelnen Wertekategorien orientiert sich in Reihenfolge und Ausführlichkeit der Darstellung an ihrer jeweiligen Bedeutsamkeit (Häufigkeit ihrer Erwähnung und Vielfältigkeit der Verknüpfungen mit anderen Werten).173 Dabei wird auch auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit den Analysen der Printmedien Bezug genommen.
INDIVIDUALITÄT
Erfolg
Exzess
Faszination
Wildheit
Provokation
Misserfolg
Professionalität
Arroganz
Dekadenz
Coolness Attraktivität
Erotik
Hässlichkeit
Emotionalität Charme
Verwandlung Ironie
NÄHE
Glaubwürdigkeit
Unerreichbarkeit
Inszenierung
Entertainment
Schizophrenie
DISTANZ
Humor
Faulheit
Ehrlichkeit
Depressivität
Bodenständigkeit
SOZIALITÄT
Abbildung 12:Williams’ semantischer Raum aus Perspektive der Fans Einer der ersten und am häufigsten genannten Werte, die Robbie Williams für seine Fans repräsentiert, ist »Entertainment«. Besonders ausgeprägt ist hierbei die Verbindung zur Kategorie »Professionalität«, die durch die Verwendung des Begriffs »Entertainer« als Berufsbezeichnung und die Grundcharakterisierung des Interpreten hergestellt wird (»also er kann einfach die Leute unterhalten«, »ich find’ ihn einfach genial unterhaltend«). 173
Die einzelnen Wertekategorien wurden nach ihrer Bedeutsamkeit gewichtet und diesbezüglich in vier Gruppen eingeteilt: Sehr bedeutsam (fett und unterstrichen), bedeutsam (fett), weniger bedeutsam (Schriftgröße 12) und kaum bedeutsam (Schriftgröße 9). Die farbigen Verbindungslinien zeigen die Kontextualisierungsmuster der Befragten.
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Zugeschrieben wird ihm ein entsprechend breites Set von Fähigkeiten, dass häufig unspezifisch bleibt (»er ist ein Alleskönner«, »er ist jemand, der alles super kann«). Bei näherem Nachfragen werden dabei weniger musikalisch-technische Aspekte genannt als die Art des Fankontakts (»er kann toll mit den Leuten spielen«) und sein »Humor« (»also eigentlich begeistert mich ja immer nur, dass er halt so lustig ist und so ansteckend«). In der Musik zeigt sich »Entertainment« in der Bezeichnung mehrerer Stücke als »Party-Hits«; insbesondere der Song »Let me entertain you«, mit dem Williams jedes Konzert beginnt, wird hier als »Robbie-Hymne« angeführt (»aber ich denke »Let me entertain you«, das ist schon richtig sein Ding. Da weiß man, wer er ist und was er macht, und das kommt das absolut rüber«). Hier deutet sich auch an, dass »Entertainment« an die Frage nach der »Glaubwürdigkeit« gekoppelt wird. So wirkt die Betonung von guter Laune, Party und Trubel auf der Bühne und in den Videos zwar als in sich stimmig und authentisch (»bei ihm passt das alles zusammen, das ist’ne runde Sache, und das nimmt man ihm hundertprozentig ab«), gleichzeitig herrscht jedoch zum Teil Unsicherheit, inwiefern »Entertainment« seinem tatsächlichen Zustand entspricht (»Es hat ihm glaub ich auch Spaß gemacht, beziehungsweise er hat es auf jeden Fall so gezeigt, aber er sah schon ziemlich schlecht aus«). Generell wird ihm jedoch auch in Bezug auf seine Persönlichkeit ein hohes Maß an Unterhaltsamkeit attribuiert, das eng mit der Vorstellung von »Bodenständigkeit« verbunden ist (»also mit dem könnt man mal weggehen auf die Piste und durch die Bars ziehen und auf jeden Fall Spaß haben«, »mit dem könnte man ungezwungen saufen«). »Professionalität/Perfektion« zeigt sich zwar schwerpunktmäßig, aber nicht ausschließlich in der Fähigkeit, ein Publikum zu unterhalten. Williams wird ebenso eine Mischung aus Perfektionismus (Bühnenpräsenz, Stimme) und Improvisation zugeschrieben (»da ist ihm im Fernsehen kurz das Mikro runtergefallen, und da hat er’s einfach locker aufgehoben und gesagt: Oh, that’s music! Und sich nichts draus gemacht. Da wären andere sofort: Oh mein Gott! Mir ist das Mikro runtergefallen. Oh je!«). Zu seiner »Professionalität« gehört nach Ansicht der Fans auch sein gezielter Einsatz persönlicher Eigenschaften. Dies betrifft insbesondere »Charisma/Charme« (»er hat natürlich schon Charme, absolut. Und den weiß er auch gekonnt einzusetzen«), aber auch provokativ-exzessive Aspekte, deren Verbreitung er nicht zu unterbinden versucht, (»weil der denkt: ach, Mensch, jede Publicity ist gut«). Gerätselt wird hinsichtlich des Verhältnisses von Anpassung und der Durchsetzung eigener Vorstellungen. So wird vermutet, dass zwischen Williams und seinem Management Abmachungen bestehen, was dieser zu sagen und nicht zu sagen hat (»und ich denke mal schon, dass er sich daran hält, also dementsprechend, was für ihn am besten dann auch im Endeffekt ist«). Gleichzeitig wird er als durchsetzungsfähig beschrieben
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(»also, was ihm total gegen den Strich geht, das würde er nie machen«). Die Auflösung dieser kognitiven Dissonanz vollziehen die Fans durch die Verwendung eines übergeordneten Schemas: Es gehört einfach zur Marke »Robbie Williams«, ständig etwas anderes zu tun als man von ihm erwartet. Somit kann er durch Rollenwechsel und stilistische Variationen gleichzeitig Individualität und Eigensinn, aber auch Anpassung an etablierte Vorstellungen bedienen (»er spielt eigentlich auch mit dem Bild, das die Leute von ihm haben, also er bedient’s eigentlich auch wirklich«). Der bemerkenswerteste Unterschied zwischen der Darstellung in den Printmedien und den Vorstellungen der Fans zeigt sich bezüglich der Wertekategorie »Glaubwürdigkeit«. Bestehen die Zeitungsartikel vornehmlich in der Beschreibung von Williams’ Inszenierung in der Öffentlichkeit, die keinen Blick auf die »tatsächliche Persönlichkeit« gewährt, so beantwortete in den Interviews niemand die Frage, ob Williams ein glaubwürdiger Musiker sei, mit »Nein«. Bei genauerer Betrachtung der Aussagen erschließt sich »Glaubwürdigkeit« als komplexes Konstrukt, das auf mehreren Ebenen angesiedelt ist und dort durchaus unterschiedlich bewertet werden kann. So wurde bereits dargelegt, dass es zum einen um seine Echtheit bei der Bühnenperformance geht (»also glaubwürdig würde ich schon sagen. Ich glaub, wenn er auf der Bühne steht, dann lebt er sich aus. Ich glaub, das kann man nicht spielen«). Sind sich die befragten Personen bezüglich der Beurteilung des Bühnenverhaltens noch relativ einig, existieren hinsichtlich der Authentizität seiner Songs diverse Unterschiede. Dies zeigt sich als Reaktion auf die Frage nach den Lieblingsliedern, wobei häufig diejenigen ausgewählt werden, die das etablierte bzw. gewünschte Bild des Stars unterstützen (»Das sind so Textpassagen, die ich dann toll finde. Also diejenigen, wo ich sage, die kennzeichnen ihn«). Dies bezieht sich durchaus nicht nur auf den Text, sondern auch die Musik selbst (»Ich finde, die rockigen Sachen passen besser zu ihm«). Lieder, die nicht gefallen, sind denn auch gleichzeitig die unglaubwürdigen (»Also dieses ganze Ach-ich-will-endlich-Liebe-erfahren, das nimmt man ihm einfach nicht ab« oder »Der soll nicht immer so tun, als ob er keine Freundin hätte«). Als glaubwürdig wird hier somit die Übereinstimmung mit dem eigenen (Wunsch-)Bild des Interpreten empfunden. Als weitere Variante existiert aber auch die »klassische« Vorstellung von Authentizität als Kohärenz von »öffentlicher« und »privater« Person. Aufgrund der vielfältigen und widersprüchlichen Darstellungsformen des Interpreten wird wie bei der Kategorie »Professionalität« dafür ein übergeordnetes Erklärungsschema herangezogen. So integrieren mehrere Interviewpartner die teilweise unvereinbaren Informationen über Williams in der Vorstellung einer schizophrenen Persönlichkeit oder zumindest einer Launenhaftigkeit, die ihn immer wieder andere Dinge sagen und machen
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lässt (»Ja, also die Glaubwürdigkeit fehlt manchmal schon, wenn er sich so widerspricht, obwohl andererseits liegt das wohl auch an seiner Tageslaune. Also er ist, glaube ich, ein sehr launenhafter Mensch«). Auch Exzesse und Negativmeldungen werden nicht als falsch betrachtet oder der Star in Schutz genommen í wie dies in verschiedenen Starsystemen üblich ist í, sondern in das Bild seiner Person integriert (»Bei manchen Aktionen denke ich mir zwar manchmal: Warum? Warum machst du das? Aber das ist dann halt er, und dann hat er wieder mal so seinen Tick gehabt«). Trotz dieser Lösungsstrategien bleibt letztlich die Unsicherheit, was wahr oder falsch ist und die Konsequenz, weitere Informationen heranzuziehen. Entsprechend ist die Antwort auf die Frage, was man von Robbie Williams gerne erfahren würde, wenn man ihn persönlich sprechen könne: »Na, ob er wirklich er selbst ist«. Auch »Verwandlung« und »Exzess« werden als Bedeutungen von den Fans häufig thematisiert, jedoch sind diese Wertekategorien weniger stark mit anderen verknüpft. Bezüglich »Verwandlung« werden im Unterschied zur Darstellung in den Printmedien weniger konkrete Rollen thematisiert und beschrieben, sondern í wie bereits im Rahmen der Kategorie »Professionalität« erwähnt í eher der Aspekt des Wechselns an sich in den Vordergrund gestellt, der den Interpreten wie ein vielseitiges Warensortiment erscheinen lässt, aus dem man sich je nach Bedürfnis bedienen kann (»Bei ihm wechselt das immer so’n bisschen und das macht ihn so interessant, weil man eben manchmal den Freak, aber manchmal auch eben diesen charmanten jungen Mann hat«). So wird Veränderung zu einem Wert an sich und etabliert sich die Überraschung als »Erwartungserwartung« (»Und darauf freut man sich auch immer, wenn man wieder was über ihn hört, weil man sich denkt: Oh, was kommt jetzt?«). Die Kategorie »Exzess« wird von den Fans ambivalent bewertet. Zunächst gehört insbesondere das Wissen um seine Drogenprobleme zu den zentralen Komponenten, die sein Image aus der Sicht der Fans kennzeichnen. Als informativ bzw. unterhaltsam wird »Exzess« empfunden, so lange er innerhalb der »imaginativen« Produkte stattfindet í also der Musik und den Videos (»Also »Come Undone« fand ich halt gut, also er zeigt sich ja wirklich da, wie er ist. Also mit blauem Auge und er schlägt sich und säuft und hurt«). Bezüglich seines Privatlebens wird es jedoch positiv eingeschätzt, dass diese Phase offenbar der Vergangenheit angehört. Wird in den Zeitungen somit eher nüchtern oder hämisch über Williams’ Exzesse berichtet, so lösen diesbezügliche Neuigkeiten bei den Fans emotionales Involvement aus; von Hoffen und Bangen, dass er keinen Rückfall erleide (»Also da dachte ich schon: Holla! Er ist wieder auf Droge, jetzt findest du ihn auf einmal nicht mehr gut«) bis hin zu Mitleid und »Beschützer-
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Instinkt« (»Wovor ich Angst hab ist, dass er halt früh stirbt, da hätte ich irgendwie Angst. Er ist da, glaube ich, so’n Kandidat«). Eng miteinander verbunden sind in den Äußerungen der Fans die Kategorien »Attraktivität« und »Coolness«. So wird Williams’ Beschreibung als »attraktiv« nicht nur durch Erwähnung von Körpermerkmalen (insbesondere Augen und Figur), sondern vor allem durch die Auflistung seiner Kleidungsstücke untermauert, die zumeist mit den Attributen »cool« oder »lässig« versehen werden. Interessanterweise können einzelne Outfits konkreten Anlässen oder Videoclips zugeordnet werden und sind auch Thema im Freundeskreis (»Es ist eher so: Oah, haste gesehen, was er da im Video anhat?!«). Entsprechend wird Williams als Trendsetter gesehen, der zu Nachahmungen einlädt. Prominentestes Beispiel ist die von allen erwähnte »Berlin-Jacke«, deren Erfolgsgeschichte auch in den Zeitungen ausführliche Artikel gewidmet wurden. Auch hier stellt sich teilweise der Eindruck ein, der Sänger diene vor allem als Repräsentant eines bunten Warensortiments und damit als Anreiz für anschließende Einkäufe (»Also klamottenmäßig hat er immer schon gut was zu bieten«, »Ich fand die Berlin-Jacke cool. So eine möchte ich auch haben«). Wie bei der Kategorie »Exzess« kann auch »Attraktivität« einen Beschützer-Instinkt auslösen í in diesem Fall als Schutz vor den »falschen Frauen«, auf die Williams hereinfällt (»Da werden bestimmt reihenweise tolle Frauen rumrennen und so. Und er ist ja nun auch mal nur ein Mann.«). »Coolness« zeigt sich ferner nicht nur in der Kleidung, sondern auch in seinem professionellen Auftreten insgesamt (»sehr locker«) und dient damit auch zur Charakterisierung seiner Konzerte als Ereignis (»Knebworth war supercool«). »Emotionalität« drückt sich í ähnlich wie in den Darstellungen der Presse í vor allem in der Musik bzw. den Texten aus. So wird angenommen, dass er Dinge besinge, die ihn bewegen (»Ich find’s gut, wenn Musiker so ihre Gefühle und so in ihren Liedern verarbeiten«) und werden konkrete Wirkungen beschrieben (»herzzerreißend«, »ergreifend«, aber auch »fast zu schmalzig«). Es existiert somit durchaus ein Grenzwert für das Ausmaß an »Emotionalität«. Eine Person führt zusätzlich an, dass die arbeitsteilig hergestellten Songs per se nicht als Gefühle des Sängers betrachtet werden können (»Er lässt die Texte ja schreiben und deshalb würde ich schon mal sagen, dass er seine Gefühle dadurch nicht unbedingt zum Ausdruck bringt. Wenn ich schreiben lasse, dann sind das halt die Gefühle von dem, der geschrieben hat und der meint, dass das auf mich zutreffen könnte.«). Ähnlich wie in den Ausführungen zur Kategorie »Glaubwürdigkeit« scheint auch hier weniger die Kohärenz von Person und Gefühl, sondern die inszenierte Realisierung eines Gefühls durch den Interpreten von Bedeutung zu sein (»Aber das würde dich nicht stören, wenn die Emotionen,
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die er auf der Bühne zeigt, nicht echt wären?« »Nö. Hauptsache, die Stimmung ist gut.«) »Humor« kennzeichnet aus der Sicht der Fans sowohl Williams’ Musik, seine Videoclips als auch seine Konzerte und das öffentliche Auftreten insgesamt (»Auf jeden Fall sein Humor, der ist klasse.). Diese Aspekte verstärken die Vermutung, dass er auch in seinem Privatleben ein »witziger Typ« ist, was wiederum die Forderung nach kontinuierlicher Bestätigung dieser Eigenschaft zur Konsequenz hat (»Er soll nicht todernste Sachen singen, sondern irgendwelche heiteren, lustigen Songs, z.B. »Handsome Men«, wo er sich selbst auf die Schippe nimmt. Das passt mehr«). »Faszination« und »Erfolg« sind im Verhältnis zu ihrer Bedeutung in den Printmedien in den Aussagen der Fans eher unterrepräsentiert. »Faszination« wird diesbezüglich sowohl als eigenes Erlebnis, aber auch als externe Beobachtung dargestellt (»Es war so einer, den fanden alle toll« oder »Nach der Tour, da sind ihm die Fans ein bisschen zu aufdringlich geworden«). Ist diese Kategorie in der Darstellung der Presse als distanzierendes Moment gezeichnet, das sich vor allem in den Reaktionen des Publikums auf den unerreichbaren Star manifestiert, beschreiben die Fans hingegen die Situationen, in denen die Grenze zwischen Nähe und Distanz in der eigenen Wahrnehmung aufgebrochen wird (»Es war faszinierend, ihn so nah zu sehen, und ich dachte: Mein Gott, da steht Robbie Williams« oder »Diese Faszination, von wegen: Ach, er hat mich bestimmt jetzt gesehen«). »Publikumsfaszination« ist hier also immer mit dem Erleben von »Publikumskontakt« verbunden. »Erfolg« taucht in den Äußerungen der Fans nicht wie in den Zeitungen als direkte Zuschreibung auf, sondern ist eher notwendige Bedingung, um den Star überhaupt zu kennen (»Der war dann ja plötzlich in aller Munde«). So wird zwar sein Aufstieg bewundert (»Wir dachten, Mensch, dass der das geschafft hat«), gleichzeitig werden aber nicht die absoluten Verkaufszahlen beobachtet. So wird eine Echo-Preisverleihung vor allem unter dem Gesichtspunkt gesehen, ihn vielleicht in Berlin vor dem Hotel abfangen zu können. In diesem Zusammenhang kann ein zu großer »Erfolg« somit durchaus hinderlich für die eigenen Interessen sein (»Und manchmal wünscht man sich das eigentlich, dass er vielleicht doch nicht so berühmt wär, weil dann würde er vielleicht doch mehr hier auch mal ein Konzert bringen«). »Provokation« ist ebenso wie »Exzess« eine ambivalente Bedeutung, die Robbie Williams für seine Fans repräsentiert. Bewegt sich »Provokation« auf der Ebene, die den Interpreten als »ausgeflippt«, »verrückt« oder »freakig« beschreiben lässt, steigert dieser Wert den Popularitätsfaktor, da er den Interpreten als jemanden kennzeichnet, der sich von anderen bzw. von der Normalität und dem Alltag abhebt. Die Fans beschreiben aber auch
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Aspekte, die für sie eine zu starke Abweichung von eigenen Vorstellungen darstellen, z.B. bezüglich seiner Videoclips (»Also dass er da sich die Hautfetzen vom Leib reißt, fand ich jetzt übertrieben«). Insgesamt scheint »Provokation« als Bedeutung nur positiv und attraktiv zu sein, wenn sie an konventionelle Werte rückgekoppelt ist, also einen abwechslungsreichen Gegenpol zu Werten wie »Charme« oder »Bodenständigkeit« repräsentiert (»Es wäre gut, wenn er so seinen Weg findet und da so die Balance hält«). »Charme« ist í ähnlich wie «Humor« í eine direkt zugeschriebene Eigenschaft, die häufig in Bezug auf sein Verhalten gegenüber dem Publikum und seiner Ausstrahlung insgesamt genannt, aber nicht weiter ausgeführt oder auf verschiedenen expressiven Ebenen verortet wird. Schließlich ist noch »Bodenständigkeit« ein erwähnenswertes Charakteristikum, mit dem Williams von den Fans etikettiert wird, vor allem weil dieser Wert in den Printmedien praktisch keine Erwähnung findet. Interessanterweise handelt es hierbei um einen rein imaginativen Wert, d.h. als Hinweisreiz wird einzig die Vorstellung aktiviert, dass Williams privat eher normal sei, auch wenn dies dem Konstrukt der schizophrenen Persönlichkeit eigentlich widersprechen müsste: »Also ich stelle ihn mir als sehr sympathisch ... also in dem Sinne als so’ne Art Kumpel-Typ vor« oder »Ich denke, dass er wenn er Ruhe hat, auch ein sehr ausgeglichener Mensch ist« oder »Ich glaub im Privaten gar nicht so, dass er sich in den Vordergrund spielen würde«. Bisweilen wird dabei auch ein Bezug zu Werten wie Treue und Verbindlichkeit hergestellt: »Ich denke schon, dass er ein Familienmensch ist und kann mir auch vorstellen, dass er ein sehr guter Vater wäre« oder »Er ist so wie ein kleiner Bruder. Oder ein großer, je nachdem«. Neben diesen hier angeführten Bedeutungen, die Williams aus der Sicht seiner Fans repräsentiert, werden auch weitere in der Presse aufgegriffenen Werte thematisiert, allerdings nur punktuell. Im Kontext der hier ausgewählten Fragestellung sollten jedoch diejenigen Aspekte vorgestellt werden, die von allen Fans ausgeführt und in das persönliche semantische Netzwerk des Stars integriert werden. Genannt werden hier aber noch diejenigen Kategorien, die in den Printmedien zu den zehn am häufigsten genannten Werten gehören und hier kaum Erwähnung finden. Dass »Erotik« und damit das in der Öffentlichkeit detailliert dargelegte Liebesleben des Stars von den Fans als weniger bedeutsam eingestuft wird, kann zum einen als Effekt einer Übersättigung oder Beliebigkeit gesehen werden (»Wer nun grad seine aktuelle Geliebte ist, o.k., ist auch nicht so wichtig, denn er hat ja eh ziemlich viel Frauenverschleiß«). Zum anderen kann es aber auch sein, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, das im Rahmen eines persönlichen Interviews eher umgangen oder abgelenkt wird (»Ich kann ja mal eher eine Freundin zitieren, die hat gesagt: Oh, mit dem hätte ich ja auch
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mal gerne Sex! Und da hab ich dann so überlegt und gesagt: Nee, wenn ich ihn gegen meinen Freund eintauschen sollte, nee«). »Inszenierung« und »Imitation« erscheinen ebenfalls als Kategorien, die vor allem für die Medien als Mittel zur Veranschaulichung und Charakterisierung von Williams’ Arbeitsweise dienen. Zwar erwähnen auch die Fans vereinzelt Aspekte des In-Szene-Setzens (z.B. bezüglich Gestaltung der Bühnenshow) und der »Imitation«, deutlich relevanter sind jedoch die daraus resultierenden Effekte, wie z.B. die Frage nach der »Glaubwürdigkeit« und die Bewertung der »Stimmung« insgesamt.
Persönlicher Bezug Die Ausführungen zu den einzelnen Wertekategorien zeigen, dass das Bild des Interpreten auch aus der Sicht der Fans durchaus ambivalente Komponenten aufweist, deren Bewertung oft in der Schwebe gehalten oder differenziert wird. Das Image von Robbie Williams wirkt aus der Sicht der Fans weniger als klares und konsistentes Muster mit Vorbildcharakter, sondern eher als facettenreiche Wertesammlung, aus denen für verschiedene Situationen und Stimmungen, eine passende Repräsentationsform ausgewählt wird. Der selektive Charakter der Imagekonstruktion zeigt sich bereits auf der Ebene der Musik. So kann es den Fans aus mehreren Gründen schwer fallen, ein Lieblingslied zu nennen:
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Es sind nur bestimmte Ausschnitte oder Aspekte, die gefallen und kein ganzes Lied (»Also dieses »Sexed Up« fand ich gut, aber das sind mehr so Schnipsel, so einzelne Zeilen« oder »Na ja, dieses Feel fand ich jetzt nicht so berauschend. Ich fand das Lied schön, aber das Video jetzt nicht so«)
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Es gibt für verschiedene Stimmungen unterschiedliche Lieblingslieder (»Das kommt halt auf meine Stimmung drauf an, also ich kann nicht sagen, das ist mein Lieblingslied, weil es kommt drauf an, wie ich grad drauf bin. Mal finde ich dies gut, mal finde ich das gut. í Also eher Balladen bei Traurigkeit? í Nee, selbst wenn ich traurig bin, kann ich nicht nur traurige Lieder hören, denn das kommt doch auf die Art der Traurigkeit drauf an, ob die unterstützt oder bekämpft werden muss«).
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Es gibt für verschiedene Situationen unterschiedliche Lieblingslieder (»Vielleicht so ruhigere Sachen, wenn man sich vielleicht auch mal zu Hause trifft, dann so leise im Hintergrund oder auch rockigere Songs, wenn man so meint: Hach, lass uns tanzen« oder »Das Swing-Album, ja, ich find’s für Weihnachten ganz schön. Ist so nett, so mmhmmh«).
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Auch was das Gesamtimage von Robbie Williams aus der Sicht der Fans betrifft, zeigte bereits die Darstellung der einzelnen Wertekategorien, dass bestimmte Bedeutungen durch Hinweisreize angereichert oder durch das Ignorieren von Informationen aus dem Image gelöscht werden (»Da gab’s ja auch ein Buch, und da hab’ ich aber nach der Hälfte aufgehört, weil es hat mir nicht in mein Bild von Robbie reingepasst«). Zur Praxis des Mood-Managements passt auch, dem Interpreten selbst sein eigenes Mood-Management zuzugestehen. Ist ein zentraler, an Stars gerichteter Zukunftswunsch häufig der, dass er noch möglichst lange erfolgreich tätig sein möge, zeigt man sich hier tolerant: »Er soll noch ein bisschen weitermachen, aber er muss nicht, wenn er nicht mehr will. Er soll halt das machen, was ihm selber passt«. Robbie Williams hat sich dieses Motto bereits eingeprägt: Eines seiner zahlreichen Tätowierungen zeigt den Schriftzug »Chac’un à son goût«.
6.3.5 Zusammenfassung: Kernkomponenten des Images von Robbie Williams Zusammenfassend betrachtet zeigt sich im Wertesystem von Robbie Williams ein deutlicher Schwerpunkt in den oberen beiden, die individuellen Eigenschaften beinhaltenden Quadranten. Auffallend ist dabei das Gleichgewicht von Nähe und Distanz erzeugenden Werten, die einander diametral gegenüberstehen. Auch insgesamt lässt sich das Wertesystem als ambivalent ausgerichtet charakterisieren. Dies betrifft sowohl í wie im Folgenden gezeigt wird í die zentralen Dimensionen, als auch die einzelnen Werte selbst. So existiert zu fast jeder Bedeutung eine »Gegen-Bedeutung«, wobei manche Binaritäten positive und negative Pole besitzen (z.B. »Erfolg« vs. »Misserfolg«, »Attraktivität« vs. »Hässlichkeit« oder »Entertainment« vs. »Depressivität«) und andere lediglich den Semantisierungsraum öffnen, aber nicht unbedingt destabilisierend wirken (z.B. »Inszenierung« vs. »Authentizität«, »Provokation« vs. »Höflichkeit« oder »Exzess« vs. »Bodenständigkeit«). Interessanterweise zeigt sich der dynamische Charakter des Wertediskurses nicht nur in den Printmedien, die per se auf Polaritäten angewiesen sind: Auch bei den Fans findet weniger eine an Konsistenz bzw. Eindimensionalität orientierte Interpretation statt. Während in anderen Fankulturen eher eindeutige Wertestrukturen bevorzugt oder durch Umdeutungen konstruiert werden, werden hier widersprüchliche Parallelitäten akzeptiert, da sie eine situations- und stimmungsabhängige Montage einzelner Komponenten ermöglichen, die effektiv an die eigene (momentane) Bedürfnislage gekoppelt werden kann. Bezüglich der Dimension »Nähe/Distanz« dominiert entsprechend das Wechselspiel von suggerierter Nähe und realer Unerreichbarkeit. Vor allem
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»Emotionalität« und »Erotik« verweisen auf die Erzeugung von Intimität durch die detaillierten Beschreibungen innerer Zustände des Stars. Diese Gefühle sind aber entweder auf Personen gerichtet, die der Fangemeinde fern sind (z.B. schöne, prominente Frauen bzgl. Liebesbeziehungen) oder í z.B. bei einem Konzert í auf das Publikum insgesamt bezogen. Hinsichtlich des Konzertkontextes ist zudem die stilisierte Intimität von Bedeutung, bei der für einen kurzen Moment ein direkter Kontakt zu einem Publikumsmitglied hergestellt wird (z.B. ein Mädchen auf die Bühne holen, gezielt ansingen, berühren etc.). Zwar wird die physische Nähe zum Star als etwas Besonderes empfunden, aber nicht unbedingt von jedem Fan gewünscht. Man möchte in der Nähe sein, eventuell auch wahrgenommen, aber nicht exponiert werden. Wichtig für alle hier befragten Fans ist vielmehr die Realisierung des Gefühls von Nähe durch glaubhafte Verkörperung intensiver Emotionen seitens des Interpreten. Daher wird die Unerreichbarkeit des Stars, der nach oder vor dem Konzert keine Autogrammstunden anbietet und Aufenthaltsorte geheim hält, nicht als negativ wahrgenommen í auch wenn sie oft mit Frust verknüpft ist í, sondern als Spannungssteigerung, die die Exklusivität der Veranstaltung erhöht und alle Emotionen auf den Moment des Auftritts konzentriert. Das Spiel mit Nähe und Distanz drückt sich explizit in den Bedeutungen »Entertainment« und »Faszination« aus. Wie gezeigt wurde, ist »Professionalität« bei Williams weniger durch musikalische Fähigkeiten, sondern vor allem durch seinen Umgang mit dem Publikum gekennzeichnet. Dieses direkte Erlebnis von Unterhaltung findet zunächst nur in der Konzertsituation statt, wird aber von den Fans zu einer Persönlichkeitseigenschaft Williams’ aufgewertet. In deren Wahrnehmung ist der Star somit nicht einfach jemand, der seinen Beruf erfüllt, vielmehr bringe er das, was er ist, auf die Bühne. Das Spiel mit dem Publikum wird somit nicht als rein professionelle Annäherung erlebt, sondern auf mögliche persönliche Begegnungen imaginär übertragen, in denen der Star als »Kumpel-Typ« gezeichnet wird, der jeden Spaß ungezwungen mitmacht. Die Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz kulminiert schließlich im zentralen Begriff der »Faszination«. So beschreibt die Presse in diesem Zusammenhang die Unerreichbarkeit des Stars, die durch unterschiedliche Aktivitäten kompensiert oder zu durchbrechen versucht wird (z.B. zujubeln, kreischen, Gegenstände auf die Bühne werfen). Gerade angesichts dieses Wirkungskomplexes aus Distanz und gleichzeitiger Emotionalität erleben und beschreiben Fans tatsächliche í insbesondere unerwartete í Nähe (z.B. bei der zufälligen Entdeckung des Stars auf der Straße) als geradezu irreale Ereignisse. Im Moment physisch-alltäglicher Nähe ist der Star somit ferner denn je.
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Ist das Gefühl von Nähe ein Zustand, der zumeist imaginiert (seitens der Fans) bzw. inszeniert (seitens des Stars) wird, hat dies auch Konsequenzen für die Dimension »Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit«. Insgesamt zeigt das Wertesystem einen deutlichen Schwerpunkt hinsichtlich individuell-außergewöhnlicher Star-Bedeutungen. Auf Sozialität ausgerichtete Werte spielen nur eine marginale Rolle und erfüllen die Funktion, Williams punktuell als integrative Persönlichkeit darzustellen, was vor allem in den Medien durch die Kategorie »Engagement« geleistet wird, die allerdings für nahezu jeden Star eine obligatorische Basiskategorie in der medialen Berichterstattung darstellt. Seitens der Fans erhält der Wert »Bodenständigkeit« als eher gewöhnliche Eigenschaft ein nicht unerhebliches Gewicht. Interessanterweise basiert diese Zuschreibung aber nicht auf tatsächlichen Erfahrungen oder medialer Rezeption, sondern auf imaginärer Vorstellung. So werden auffallende und außergewöhnliche Persönlichkeitszüge in Bezug auf seine Bühnenpersönlichkeit zumeist positiv bewertet, aber davon ausgegangen, dass er privat ein gewöhnlicher Mensch ist mit Verhaltensweisen und Charakterzügen, die jeden jungen Mann in seinem Alter kennzeichnen könnten. Die Betonung außergewöhnlicher Persönlichkeitseigenschaften in den Medien umfasst verschiedene Akzentsetzungen. Zum einen betrifft dies den positiven Aspekt des »Herausragens«. So betonen »Erfolg« und »Professionalität« die Abhebung des Interpreten von der Allgemeinheit durch Auflistung seiner Auszeichnungen und Verkaufszahlen sowie seiner besonderen Fähigkeiten als Entertainer. Als zweite Form der Charakterisierung von Außergewöhnlichkeit lässt sich die Ausübung von »Einfluss« auf eine Vielzahl von Menschen identifizieren, die vor allem in den Werten »Entertainment«, »Faszination« und »Emotionalität ihren Ausdruck findet. Schließlich ist die Variante des ambivalent angelegten »Auffallens« von Bedeutung. Hier geht es insbesondere darum, Williams als unangepassten Menschen zu zeichnen, der immer wieder nach Ausbruchmöglichkeiten aus Erwartungszusammenhängen sucht. Dies bewegt sich von positiv besetzter »Ausgelassen- bzw. Wildheit« über »Dekadenz« und ausfallende Bemerkungen (»Provokation«) hin zu selbstzerstörerischen Exzessen. Entsprechend wurde hinsichtlich der Wahrnehmung durch die Rezipienten herausgearbeitet, dass diese »Provokation« und »Exzess« nur innerhalb der musikalischen Produkte (Songs, Videos, Shows) als attraktiv empfinden, aber einen soliden Gegenpart für die Privatperson Robbie Williams imaginieren, um einen emotional balancierten Zustand zu erreichen. In logischer Konsequenz ist auch die Dimension »Realität/Fiktion« durch eine permanente Bewegung zwischen den beiden Polen gekennzeichnet. Es findet keine einheitliche Orientierung in Richtung Realität statt, z.B. in Form einer die Wahrheit beanspruchenden Intimisierung des
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Interpreten. Vielmehr steht die Gestaltung des permanenten Changierens zwischen Realität und Fiktion im Mittelpunkt, die sich in mehreren Wertekategorien manifestiert. So sind Rollen, die Williams auf der Bühne und im Privatleben einnimmt (Kategorie »Verwandlung«) einerseits fremde Identitäten. Andererseits erzeugt die glaubhafte Verkörperung einer Rolle Rückschlüsse auf die tatsächliche Persönlichkeit, d.h. es wird angenommen oder vermutet, dass die ausgewählten Typen (z.B. Clown, Exzentriker, Gentleman oder Macho) auch persönliche Facetten des Interpreten oder Werte, für die er einsteht, widerspiegeln. In gleicher Weise steht »Imitation« nicht für sich selbst, sondern ruft immer das zugehörige Original auf, zu dem sich der Star in ein Verhältnis setzt (z.B. das Original als bewundertes Vorbild oder als Anti-Beispiel, von dem man sich abgrenzen möchte). So stellt »Imitation« zwar einen Bezug zur eigenen Persönlichkeit her, lenkt aber gleichzeitig von ihr ab. Imitation fiktionalisiert oder unterdrückt Hinweisreize auf das eigene Wertesystem, erzeugt aber dennoch emotionales Involvement und Vergnügen durch die Professionalität der Darbietung. Auch »Inszenierung« kann zum einen eine Verstärkung oder Optimierung tatsächlicher Persönlichkeitszüge darstellen, zum anderen aber auch eine Verschleierung und Verfälschung. Indem das Stilmittel »Inszenierung« Robbie Williams bezüglich verschiedener expressiver Ebenen, der Bühnenperformance als auch im medial dokumentierten Privatleben zugeschrieben wird, erscheint die bewusste Nicht-Authentizität damit als KernKompetenz. Auch wenn den Fans die Meta-Ebene des Identitäten-Spiels bewusst ist, verringert dies nicht die Suche nach authentischen Momenten. Wie gezeigt wurde, dient die Entwicklung eines mehrdimensionalen Glaubwürdigkeitsbegriffs hierbei als Lösungsstrategie, die den Star als real existierendes Wunschbild erlebbar macht und dabei genügend Raum zur Variation lässt.Das Spiel mit Realität und Fiktion stellt somit einen kontinuierlichen Prozess dar, der Aufmerksamkeit bündelt und aufrechterhält, sei es aufgrund des Bedürfnisses nach Wahrheitsfindung oder der Suche nach einer attraktiven Projektionsfläche. Abschließend seien auch hier die KernKomponenten des Images von Robbie Williams noch einmal dargestellt (»Faszination«, »Professionalität«, »Verwandlung«, »Entertainment«, »Emotionalität« und »Exzess«) und durch die zugehörigen Labels kontextualisiert.
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ERGEBNISSE: DIE MUSIKER-IMAGES
INDIVIDUALITÄT
Bad Boy Pop-Flegel
Tattoo-Freak
Exzess
Gutgelaunter Rabauke
Pop-Schwarm Pop-Idol Schwarm blutjunger Mädchen Teenager-Veteran Bräutigam de luxe
Britischer EdelKarrierist
Faszination
Pop-König
König Midas unserer Zeit
Gott der kleinen zotigen Dinge Super-Duper-Spitzen-Robbie Der rauhe Seine Poppigkeit Souveräner Abspielautomat von Hits Sympathischster Angeber im Engel Stehaufmännchen Popgeschäft Verursacher unzähliger Herz-Schmerz-Sänger der Mädchentränen gebildeten Stände Clown Robbie Die IchCharismatischer Maschine Meister der Identitäten-Inszenierung Schmusibär Robbie-Darling Knallfrosch Mister One-ManSympathischer Power- Einheizer Resteverwerter des Pop Party Der Jedermann des Pop Chansonnier Der Imitator DISTANZ NÄHE Dompteur der Masse Mister Entertainment Der Großunterhalter Größter Schelm der Popmusik
Professionalität
Emotionalität
Verwandlung
Entertainment
SOZIALITÄT
Abbildung 13: Mediale Labels für Robbie Williams
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7. Z U S A M M E N F A S S U N G : K O N T E X T U A L I S I E R U N G E N UND AUSBLICK Abschließend sollen die Ergebnisse des empirischen Teils vor dem Hintergrund der theoretischen, in Kapitel 4 zusammengefassten Aspekte beleuchtet werden. Diese Vorgehensweise unterstreicht die grundlegende Intention dieser Arbeit, die hier analysierten Images von Musikern nicht als unabhängige, feststehende Entitäten zu begreifen, sondern sie als Momentaufnahmen zu verstehen, die übergeordnete Funktionsmechanismen von Starimages konkretisieren und differenzieren. Blickt man auf den ersten Teil der Arbeit zurück, lassen sich Leistung/Erfolg, Bekanntheit, feste Anhängerschaft sowie ein als öffentlicher Gesamteindruck etabliertes Image als Basis-Komponenten von Stars identifizieren. Wie bedeutsam sind diese Komponenten aber mit Hinblick auf die durchgeführten Analysen? Welche unterschiedlichen Ausprägungen bzw. Ähnlichkeiten sind festzustellen und wie und auf welchen Ebenen drücken sie sich aus?
Einordnung der Ergebnisse in den Kontext Leistung/Erfolg Bei allen hier untersuchten Musikern stellt eine spezifische kulturelle Leistung die Ausgangsbasis für ihren jetzigen Status dar. So begannen sowohl Stefanie Hertels als auch Alfred Brendels Karriere mit einem Preis, der im jeweiligen Bezugssystem als Symbol für professionsinterne Fähigkeiten gilt und immer wieder als Bezugsanker in der medialen Darstellung dient. Leistung im Sinne von »Qualität der musikalischen Darbietung« bedeutet jedoch jeweils etwas Unterschiedliches. Die konkrete musikalische Leistung stellt bei Alfred Brendel die Kern-Kompetenz dar, die immer wieder der detaillierten Prüfung der Medien ausgesetzt ist. Für Brendels Anhänger ist sie ebenso der zentrale Ausgangspunkt, wird aber vor allem ganzheitlich-emotional beurteilt und weniger als Bezugnahme auf konkrete Passagen eines Werks oder der akribischen Fehler- und Optimierungssuche. Erfolg ist somit eng an eine regelmäßige, wiederholte Leistung gekoppelt, die sich in Form einer als ideal empfundenen Annäherung an das Kunstwerk vermittelt. Wie im zugehörigen Kapitel beschrieben, existiert eine ausdiffe-
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DER MUSIKSTAR
renzierte Erwartungshaltung seitens Kritik und Publikum (bezüglich Repertoire, Interpretationsstil etc.), die sich aus dem Wissen über die Fähigkeiten von Brendel und die Musik selbst sowie vorherigen Konzerten oder erworbenen Tonträgern nährt und durch das aktuelle Erlebnis »Brendel« bestätigt oder erweitert wird. Ausgeprägte Erwartungshaltungen in Bezug auf die Leistung des Stars gibt es auch bei Robbie Williams und Stefanie Hertel, auch wenn diese nicht singulär auf die Musik bezogen sind. Bei Stefanie Hertel wird Musik beispielsweise vor allem als Ausdruck ihrer Persönlichkeit kontextualisiert. Im Zentrum steht also der Mensch »Stefanie Hertel«, der Musik als Kanal nutzt, um kulturelle Werte, Emotionen und persönliche Erfahrungswelten zu transportieren. Entsprechend geht es bei ihrem Repertoire weniger um künstlerische Hochwertigkeit im Sinne eines innovativ-komplexen Kompositionsstils oder erforderlicher Technik bei der Aufführung. Vielmehr ist diejenige Musik ideal, die als optimal zu den von ihr repräsentierten Werten passend empfunden wird. Gleichzeitig sind die Hörer í zumindest beim Live-Konzert í direkt in die musikalische Leistung miteingebunden, indem die Lieder zum Mitsingen und Schunkeln einladen. So definiert sich Leistung und Erfolg im System Hertel eben nicht allein über die musikalische Darbietung, sondern auch über den stimmigen öffentlichen Gesamteindruck und die auf Nähe und Kontakt ausgerichteten Umgehensweisen der Sängerin mit ihrem Publikum. Auch bei Robbie Williams ist insbesondere der Kontakt zum Publikum die Kern-Kompetenz seines Leistungsspektrums. Musik ist hier ebenso keine autonome Größe, sondern wiederum eng mit seiner Person verknüpft, jedoch in anderer Form. Hier geht es weniger um eine kontinuierliche Stimmigkeit zwischen Person und Repertoire, sondern um situationsspezifisch attraktive Schnittstellen, die im Moment der Darbietung Aufmerksamkeit und Unterhaltungswert erhöhen. Wie im zugehörigen Kapitel dargelegt, ist auch für die Fans weniger von Bedeutung, ob die interpretierten Songs »ehrlich« gemeint sind oder lediglich ironisch, da der Wechsel von Stimmungen und Stilkontexten an sich und damit die Kompetenz »Verwandlungsfähigkeit« als zentrale Leistung definiert wird. Stehen bei Brendel und Hertel Erwartungen im Sinne einer (psycho)logischen Anschlussfähigkeit an vorherige Leistungen im Vordergrund, so etabliert sich hier die Erwartungshaltung aus, von Unberechenbarem überrascht zu werden, was aber gleichsam wieder zu einem Schema wird. Musik ist hier somit vor allem hinsichtlich ihres Potentials als vielschichtiges Format-Portfolio von Interesse, indem zum einen die verschiedenen Stilkontexte umfassende Lebenswelten aufrufen, auf die wahlweise und kursorisch Bezug genommen werden kann und zum anderen spezifische mediale Formate implizieren (z.B. unterschiedliche Ausstattungsformen, zugehörige narrative Muster
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ZUSAMMENFASSUNG: KONTEXTUALISIERUNGEN UND AUSBLICK
und Akteursrollen im Mainstream-Videoclip, bei einer Swing-Gala oder bei der Inszenierung als Rock’n’Roll-Star auf der Bühne). Der bei allen drei Stars stark ausgeprägte Wert »Erfolg« ist also auf unterschiedliche Weise an Leistung als Bedingung und Bekanntheit als Konsequenz gekoppelt. So besteht der Erfolg von Stefanie Hertel in ihrem hohen Identifikationspotential, indem sie für ihre Zielgruppe ein glaubhaftkohärentes Persönlichkeitsbild verkörpert, wobei Musik die zentrale Projektionsfläche für Wünsche und Vorstellungen bietet und damit als integratives Moment der öffentlichen Star-Präsenz fungiert, da die Hörer in die Musikdarbietung teilweise involviert werden. Bei Alfred Brendel ist Erfolg Resultat kontinuierlich erworbener Verdienste um ausgewählte Werke, denen er sich mit Kompetenz, Disziplin, aber auch Sensibilität widmet. Hierdurch wird Brendel zu einer Autorität seines Faches, d.h. er wird als wichtige Bezugsgröße wahrgenommen, die zu Themen im Kontext klassischer Musik oder Kultur im allgemeinen etwas Bedeutendes zu sagen hat. Musik als Ergebnis der Gedankenwelt eines Komponisten ist hier also eine materielle Basis im Sinne eines Gegenstands, der zur kommunikativen Auseinandersetzung einlädt. Erfolg weist bei Robbie Williams vor allem einen dynamischen Charakter auf. So ist es anders als bei Hertel und Brendel nicht die Kontinuität der Erfolgsgeschichte, sondern gerade die Anfälligkeit und Fragilität herausragenden Erfolges, der im nächsten Moment wieder der Vergangenheit angehören kann. Erfolg selbst ist bei Williams die Ausgangsbasis für das zentrale narrative Muster, indem das Auf und Ab und die Brisanz von Einbrüchen und Aufstiegen in Kombination mit der Erwähnung großer Zahlen (hohe Verkaufsrekorde, hohe persönliche Ausgaben) die Medienberichterstattung dominieren und dabei teilweise den Charakter eines Börsenberichts über die Aktie »Williams« besitzen. Ähnlich wie bei Hertel ist Musik eine Projektionsfläche, aber weniger im beständigen Sinn, sondern im punktuell-adaptiven, indem Musik als modularer Baukasten verstanden werden kann, aus dem nach verschiedenen Kriterien (persönliche Vorlieben, Verkauf- bzw. Trendorientierung) Komponenten ausgewählt und kombiniert werden.
Einordnung der Ergebnisse in den Kontext Bekanntheit und Anhängerschaft/Fangemeinde Wie auch immer Leistung bzw. Erfolg erreicht und kommuniziert werden, führen sie zu Bekanntheit (2. Star-Komponente), die auf Basis dieser unterschiedlichen Ausgangslagen jeweils verschiedene Repräsentationsformen annimmt. So zeigt sich Bekanntheit bei Brendel in Form seines Legenden-
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Status, dessen Bestandteile seine Kompetenz, kontinuierliche Laufbahn, aber auch sein Lebensalter und die entsprechende Reife darstellen. Im Unterschied zu den anderen beiden Interpreten wird bei Brendel weniger die Anziehung großer Publika herausgestellt oder der kommerzielle, in Zahlen messbare Erfolg wie etwa bei Robbie Williams. Vielmehr resultiert Bekanntheit hier aus der Größe und Perfektion als Musiker. Wie in Bezug auf Leistung bereits deutlich wurde, zählt bei Stefanie Hertel weniger die außergewöhnliche als vielmehr die integrative musikalische Leistung. Damit bleibt Bekanntheit gleichzeitig an Zugänglichkeit gekoppelt, indem die musikalische Leistung Hertel als Person inszeniert, die durch Musik Nähe schenkt, wohingegen bei Brendel gerade das technischästhetische Können und damit das herausragende Moment die zentrale Komponente seiner Bekanntheit ist. Bekanntheit kann sich dadurch bei Hertel als Beliebtheit realisieren, denn sie ist für ihr Publikum í theoretisch í »one of us«, erzeugt aber durch die Erlangung medialer Aufmerksamkeit einen attraktivitätssteigernden Mehrwert. Bekanntheit ist hier also ein wichtige Basis für eine weitere Kontaktsuche und meint damit insbesondere »öffentliche Sichtbarkeit« bzw. institutionalisierte Zugänglichkeitsformen, die das Nähegefühl kontinuierlich aufrechterhalten. Der Aspekt der öffentlichen Sichtbarkeit ist insofern bedeutsam, als hiermit auch eine Habilitierung und Aufwertung des Genres insgesamt verbunden ist. So dient Bekanntheit auch der Legitimierung des eigenen Geschmacks, indem auf das Erfolgsprinzip verwiesen werden kann (»die Stefanie singt immer zur besten Sendezeit«). Besonders bei im allgemeinen eher als unzeitgemäß propagierten oder belächelten Kulturformen und ihren zugehörigen Wertemustern spielt gerade das Zeigen idealisierter Normalität auf prominenten Präsentationsplattformen eine bedeutsame Rolle für die Bestätigung des eigenen Lebensstils und die emotionale Anbindung an den Star. Eine wiederum andere Form von Bekanntheit repräsentiert Robbie Williams in der Öffentlichkeit. So ist diese í ähnlich wie bei Hertel í stärker an die Person als an die rein musikalische Leistung gebunden, dominiert in der Erscheinungsweise aber vornehmlich í wie bei Brendel í durch sein Herausragen aus dem Durchschnitt. Entsprechend steht der Aspekt der Faszination und der Bewunderung durch ein Millionenpublikum im Vordergrund. Bekanntheit vermittelt sich aber nicht nur durch die Publikumsgröße, sondern auch durch das Prestige der öffentlichen Auftrittsorte. Ähnlich wie Konzerthäuser für klassische Interpreten einen Hinweis auf ihren (Bekanntheits-)Status darstellen, sind für Williams bestimmte Fernsehshows oder das regelmäßige Erscheinen auf Titelblättern von People-Magazinen Prominenz-Indikatoren. Dabei wird teilweise auch versucht, prestigeträchtiges Terrain außerhalb des eigenen Genres zu erobern, um damit einen kommunikativen Transfer zu erzielen (z.B. Konzert in der Royal Albert
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ZUSAMMENFASSUNG: KONTEXTUALISIERUNGEN UND AUSBLICK
Hall = Kompetenz und Seriosität). Das Zelebrieren des herausgehobenen Status an sich hat hier nicht nur für die Medien, sondern auch für das Publikum einen hohen Stellenwert. So ist Williams für seine Fans weniger »one of us«, sondern teilt nur ein begrenztes Wertefeld mit ihnen (z.B. Bereiche wie Unterhaltung, Attraktivität oder Genuss). Entsprechend stellt man sich ein Treffen mit ihm eher im Setting »Kneipe/Bar« als bei einer Familienfeier vor. Die stark extrovertiert bis exzentrischen Wertebereiche sind hingegen nur als informative Attraktoren im Alltag attraktiv und erzeugen weniger Verständnis und Involvement als Unterhaltung oder Irritation, sind dabei aber zentrale Treiber für Aufmerksamkeit und damit Bekanntheit. Für die Medien liefern gerade diese Image-Aspekte die wichtigen Attribute, die für die Konstruktion des klassischen Star-Stereotyps notwendig sind.1
Erwartungshorizonte der zentralen Bezugsgruppen: Medien und Publikum Wie im theoretischen Teil und den empirischen Analysen deutlich wurde, bilden die Medien die institutionelle Basis der starbezogenen Kommunikationsnetze. Dabei zeigte sich, dass Medien Informationen wiederum nach eigenen, bereichsimmanenten Kriterien auswählen und Stars somit als Content Provider verstehen, die das Bild des Mediums insgesamt entsprechend prägen helfen. Berücksichtigt werden müssen somit die organisatorische Struktur des Mediums, das spezifische Medienformat, allgemeine Nachrichtenwerte und der antizipierte Publikumsgeschmack.2 Entsprechend zeigte sich in den untersuchten Printmedien nicht nur eine unterschiedlich starke Präsenz der drei ausgewählten Interpreten, sondern auch eine jeweils spezifische Darstellungsweise, die an den Stil des Mediums gekoppelt ist. So ist Erfolg bzw. Professionalität zum einen ein medien- und genreübergreifender Wert: Erfolg erzeugt hohe Aufmerksamkeitswerte; insbesondere in allgemeinen ökonomischen und gesellschaftlichen Krisenzeiten sind Vorzeigesieger gefragter denn je. Zum anderen prägt sich Erfolg aber unterschiedlich aus. Werden in FAZ und SZ vor allen Dingen Begründungen für den Erfolg herangezogen, indem die musikalischen Leistungen detailliert dargelegt werden, so steht bei BILD und BUNTE weniger im Vordergrund, womit jemand eigentlich Erfolg hat, sondern der in Absatz und Zuschauerzahlen messbare Erfolg und zugehörige Lebensstil hat einen Nachrichtenwert an sich, da er in Bildern veran1 2
Hierzu zählen nach Dyer insbesondere Geltungskonsum (»conspicuous consumption«) und ein abwechslungsreiches Beziehungsleben (vgl. Dyer 1979, S. 39). Vgl. Peters 1994, S. 204.
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schaulicht und in Vermögensinformationen quantifiziert werden kann. Entsprechend taucht Hertel in der Berichterstattung von FAZ und SZ kaum auf, da ihr Status nicht vornehmlich auf singulär musikalischer Leistung basiert. Williams hingegen liefert ein adaptives Image: In der FAZ ist er vor allem Sänger, in der BILD-Zeitung vor allem prominent, wobei hier insbesondere der Skandalfaktor von Interesse ist. Dies bezieht sich entweder auf ein auffällig-exzentrisches Verhalten in der Öffentlichkeit (Williams) oder die Suche nach Wertebrüchen in konsistent anmutenden Images (Hertel). Da Brendel zum einen anti-exzentrisch gezeichnet wird und zum anderen kaum Informationen über sein Privatleben existieren, kann er den zentralen Nachrichtenwert der Boulevardpresse nicht erfüllen und erscheint dort entsprechend selten. So ist das Bild der Stars in den Printmedien vor allem davon abhängig, ob die zentralen Wertekomponenten ihrer bislang etablierten Images Berichterstattungsanlässe für die einzelnen Medien liefern können bzw. Aspekte beinhalten, die für die jeweilige Leserschaft von Bedeutung sein könnten. Die Leserschaft stellt damit die relevante Teilöffentlichkeit dar, für die Images konstruiert werden, weshalb sie deren Bedürfnissen angepasst sein müssen und nicht denen der tatsächlichen Zielgruppe.3 Dass die Übergänge diesbezüglich fließend sind, verdeutlicht sich beispielsweise durch die zunehmende Präsenz von Robbie Williams in FAZ und SZ. Ab dem Zeitpunkt, wo über die Musik selbst etwas ausgesagt werden kann und Williams als ernstzunehmender Interpret in der Öffentlichkeit erscheint, bietet er auch für diese Medien einen Berichterstattungsanlass, auch wenn hier andere Kernaspekte seines Images thematisiert werden als in der Boulevardpresse. Die unterschiedlichen Semantisierungs- und Vermittlungsformen von Leistung/Erfolg und Bekanntheit implizieren auch verschiedene Konzepte von Glaubwürdigkeit und damit verschiedene Erwartungen an den Interpreten seitens des Publikums. So besteht bezüglich Brendels Status als professionsspezifischer Autorität Glaubwürdigkeit insbesondere in einer authentischen Werkrealisierung. Eine Kohärenz von »öffentlicher« und »privater Person« wird nicht thematisiert, da sie entweder stillschweigend vorausgesetzt wird oder einfach von keinerlei Interesse ist. Im Unterschied hierzu ist bei Stefanie Hertel und Robbie Williams zwar auch die Authentizität der Realisierung und damit der Bühnenperformance von Bedeutung, der Bezug zwischen Musik und Interpret ist aber auf einer anderen Bedeutungsebene gelagert. Wird bei Brendel lediglich eine stiladäquate Repertoireauswahl gefordert, die sich durch die Grenzen des klassischen Werkkanons ergibt, geht es bei Hertel und Williams um den emotional bestimmten Passungscharakter, der letztlich darüber entscheidet, ob ein Stück als glaubwürdig 3
Vgl. Avenarius 2000, S. 168.
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empfunden und damit gemocht wird. »Passung« meint jedoch bei beiden etwas sehr unterschiedliches, wie es schon zu Beginn dieses Kapitels angesprochen wurde: Passung als Stimmigkeit von musikalisch repräsentierten Ideen und der vermuteten, real existierenden Wertewelt der Interpretin Hertel sowie Passung als im Moment der Aufführung erlebte Stimmigkeit von besungenen Emotionen und entsprechender Expressivität in der Darstellung bei Williams. Das Verhältnis von öffentlicher und privater Person ist insbesondere bei Hertel entscheidend für die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit. So wird kontinuierlich nach Hinweisreizen Ausschau gehalten, die ein kohärentes Verhalten der Person auf der Bühne und im Alltag bestätigen und auf vielfältige Weise nachvollziehbar und damit erlebbar machen. Kontinuität von öffentlichem und privatem Leben wird hier also erwartet, während sie bei Brendel und Williams für die Attribution von Glaubwürdigkeit weniger bedeutsam ist, da sie entweder als Form von Integrität vorausgesetzt wird und nicht überprüfenswert scheint (Brendel) oder nicht als Bedingung von Glaubwürdigkeit betrachtet wird (Williams). Bei Williams zeigte sich jedoch eine vierte Dimension von Glaubwürdigkeit:4 Das öffentlich-medial präsente Image muss dabei mit individuellen Wunschbildern der Fans kompatibel sein, indem es attraktive Anknüpfungspunkte für eigene Vorstellungswelten bietet. Entsprechend werden manche Informationen über den Star geglaubt, andere selbstbewusst als Medien-Gags gewertet und so ein persönliches und damit wieder ein als authentisch erlebtes Bild des Stars konstruiert. Bezüglich aller hier untersuchten Interpreten erwies sich in der Wahrnehmung durch die jeweilige Anhängerschaft überdies der Wert Bescheidenheit í wahlweise semantisiert als sympathisches Understatement, Zurückgezogenheit oder eine einfache Lebensweise í als genreübergreifender Link zu Glaubwürdigkeit. Das subjektiv erlebte Prinzip des Unprätentiösen ist somit – unabhängig von der Art der Musik, von tatsächlicher Echtheit oder professioneller Inszenierung – ein zentraler Indikator für Authentizität, da es das diskursive Komplement zum Herausragen durch Kompetenz, Attraktivität oder Exzentrik bildet.
4
Dimensionen von Glaubwürdigkeit: Beziehung zwischen Musik und der aktuellen Aufführung/Einspielung (erste Dimension), Beziehung zwischen Musik und Wertewelt des Interpreten (zweite Dimension) und Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Star (dritte Dimension).
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Einordnung der Ergebnisse in den Kontext Gesamteindruck/Image Wie die empirischen Analysen zeigen, sind die verschiedenen Starkomponenten diskursiver Bestandteil der öffentlichen Repräsentation eines Musikers, indem sie Bedeutungswelten auf Dimensionen wie Nähe/Distanz, Gewöhnlichkeit/Außergewöhnlichkeit oder Realität/Fiktion lokalisieren und moderieren. Im Rahmen der einzelnen Imageanalysen wurden die jeweils konkret verkörperten Bedeutungen zur Veranschaulichung daher im semantischen Raum entsprechend verortet und in ihrer jeweiligen Vernetzung untereinander erläutert. Als Synthese lohnt sich somit abschließend ein vergleichender Blick auf die räumliche Werteverteilung aller drei Interpreten, die in der folgenden Übersicht zusammengefasst ist:
INDIVIDUALITÄT
Exzess Provokation
Erfolg Faszination Selbstbewusstsein Souveränität Größenwahn Originalität Arroganz Professionalität Phantasie Eleganz Dekadenz
Wildheit
Sensibilität
Enthusiasmus/Engagement Erotik Emotionalität
Attraktivität Vielfältigkeit Verwandlung Inszenierung
Vermittlung Beliebtheit
Charme Entertainment NÄHE
Ironie
Imitation
Humor
Fürsorglichkeit Normalität/Natürlichkeit Integrität Heimat Solidarität Tradition
Glaube
DISTANZ
Intellektualität Depressivität Genauigkeit Reflektiertheit Analytik Anspruch
Bescheidenheit Pflichtbewusstsein Werktreue Disziplin
SOZIALITÄT
Abbildung 14: Zentrale Werte aller drei Interpreten im Vergleich (aus Printanalyse): kursiv=Alfred Brendel; fett=Stefanie Hertel; unterstrichen = Robbie Williams. Die umrandeten Begriffe sind für mindestens 2 der Interpreten dominant. Erfolg und Professionalität sind für alle Musiker besonders bedeutsam.
Die Übersicht konzentriert sich auf die jeweils dominantesten Werte der einzelnen Musiker, hier aus der Perspektive der Printmedien. Die jeweils interpretenspezifischen Werte sind farblich kodiert. Werte, die bei mehr als einem Interpreten auftauchen, wurden mit entsprechenden farblichen Rah-
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ZUSAMMENFASSUNG: KONTEXTUALISIERUNGEN UND AUSBLICK
mungen gekennzeichnet. Im Anschluss an die vorangegangenen differenzierten Vergleiche wird hier noch einmal umfassend und visuell deutlich, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede sich auf übergeordneter Ebene als Tendenz herausarbeiten lassen. So ist der Quadrant »Individualität/Distanz« als genreübergreifendes Wertezentrum zu verstehen, da sich hier Aspekte befinden, die von allen drei Interpreten geteilt werden (Erfolg, Professionalität) bzw. jeder Interpret hier spezifische Bedeutungen besetzt (Faszination als Begeisterung einer Vielzahl von Menschen bei Robbie Williams, Selbstbewusstsein als alltägliche Durchsetzungskraft mit Vorbildfunktion bei Stefanie Hertel oder Souveränität als überragende Kompetenz bei Alfred Brendel). Demgegenüber verweisen die anderen drei Quadranten auf genrespezifische Werteausprägungen. So dominieren im Bereich »Individualität/Nähe« diejenigen Bedeutungen, die vorrangig Robbie Williams zugeschrieben werden (z.B. Exzess, Erotik und Emotionalität). Im Quadranten »Sozialität/Nähe« finden sich vor allem Werte, die von Stefanie Hertel verkörpert werden (z.B. Solidarität und Normalität). Schließlich fokussiert das Wertezentrum Alfred Brendels aus Sicht der Presse den Bereich »Sozialität/Distanz« mit kompetenz- und pflichtbezogenen Aspekten wie Analytik und Disziplin. INDIVIDUALITÄT
Genreunabhängiges Wertezentrum aller ausgewählten Interpreten
Wertezentrum Robbie Williams
NÄHE
DISTANZ
Wertezentrum Stefanie Hertel
Wertezentrum Alfred Brendel
SOZIALITÄT
Abbildung 15: Wertezentren der analysierten Interpreten in vereinfachter Darstellung
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Somit wurde nicht nur theoretisch ausgeführt, dass Images in Relation zu umfassenden gesellschaftlichen Bedeutungsuniversen stehen. Es zeigt sich deutlich, dass Musikerimages immer auch auf übergeordnete Wertesysteme rekurrieren. So lässt sich die Darstellung der Musiker in den Zeitungen beispielsweise im Sinne der alltagsästhetischen Schemata nach Gerhard Schulze interpretieren: Das sogenannte »Hochkulturschema« (hier Alfred Brendel zugeordnet) zeichnet sich demnach vor allem durch die Zurücknahme des Körpers (Konzentration, psychische statt physische Erlebnisqualität etc.) und die Hervorhebung des Geistigen in der Kunst hervor. Es besteht ein »Vergnügen am Dekodieren«, das sowohl die Entdeckung struktureller Muster als auch die Herstellung einer komplexen kognitiven Verbindung von Subjekt und ästhetischem Gegenstand mit einbezieht.5 Distanz ist hier also notwendige Basis für das Verstehen und Erleben eines sozio-kulturell definierten Werte- und Wissenskanons. Im »Trivialschema« (hier vornehmlich Stefanie Hertel zugeordnet) wird hingegen die Gemütlichkeit in der Gemeinschaft zelebriert. Entsprechend sind Erzählschemata auf ein Happy End ausgerichtet und handeln inhaltlich von der Suche nach í oder dem Finden von í Heimat und Geborgenheit.6 Wie bei Brendel geht es hier um gruppenstabilisierende Aspekte, allerdings ohne eine Distanz zum Gegenstand. Vielmehr besteht die Nähe erzeugende Wirkung des Gegenstands í hier also der Musik í gerade im Verzicht auf distanziert-reflektierendes Hinterfragen seiner Funktionsweise. Entrationalisierung wird somit zur Grundlage einer umfassenden Komplexitätsreduktion und einer damit einhergehenden Unterhaltungsfunktion von Musik. Auch bei Robbie Williams steht die Emotionalisierung im Vordergrund, allerdings vornehmlich hinsichtlich einer individuell-variablen und auf den Körper gerichteten Genussfunktion. Entsprechend ist das »Spannungsschema« bei Schulze durch die rezeptive und expressive Funktion des Körpers und das dauerhafte Bedürfnis nach Abwechslung gekennzeichnet. Dies bezieht sich sowohl auf immer wieder neue Reize als auch deren Intensität. Entsprechend sind »power« und »action« Schlüsselbegriffe bezüglich einer kontinuierlich angestrebten Steigerung des Ausdrucks.7 Die Anlage des methodischen Designs (Kombination einer Kommunikator- und Rezeptionsstudie) ermöglichte des Weiteren die Veranschaulichung des im theoretischen Teil ausgeführten kommunikativen Charakters von Images. So wurden in den einzelnen Ergebniskapiteln die jeweils un-
5 6 7
Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft î Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M. 1992, S. 143ff. Ebd., S. 151ff. Ebd., S. 154ff.
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ZUSAMMENFASSUNG: KONTEXTUALISIERUNGEN UND AUSBLICK
terschiedlichen Gewichtungen verschiedener starrelevanter Bedeutungen in der Presse einerseits und in der Wahrnehmung des Publikums andererseits differenziert. Dabei wurden auch punktuell die zugrundeliegenden Motive der jeweiligen Akteure erörtert. Die folgende Abbildung veranschaulicht noch einmal í hier zusammengefasst über alle drei Interpreten í, wie Medien und Publikum einzelne Werte bzw. Wertebereiche unterschiedlich stark fokussieren. Neben Bedeutungen, die sowohl in Zeitungen als auch von den Anhängern thematisiert wurden (fett gedruckt), gibt es Aspekte, die vornehmlich oder ausschließlich von den Medien (unterstrichen gedruckt) bzw. den Befragten (kursiv gedruckt) attribuiert werden.
INDIVIDUALITÄT
Stärke/Vorbild Erfolg Faszination Souveränität Selbstbewusstsein Wildheit Skurrilität Größenwahn Arroganz Originalität Professionalität Phantasie Eleganz Dekadenz Enthusiasmus/Engagement Coolness Erotik Attraktivität Tiefgründigkeit Vielfältigkeit Beliebtheit Vermittlung Emotionalität Verwandlung Charme Inszenierung Entertainment Ironie Imitation Distanz DISTANZ NÄHE Intellektualität Humor Glaubwürdigkeit Depressivität Genauigkeit Ehrlichkeit Reflektiertheit Zugänglichkeit Analytik Fürsorglichkeit Anspruch Normalität/Natürlichkeit Exzess Provokation Sensibilität
Integrität Heimat Solidarität Tradition
Glaube Bescheidenheit Pflichtbewusstsein Bodenständigkeit Werktreue Disziplin SOZIALITÄT
Abbildung 16: Gesamtübersicht zentraler Star-Bedeutungen Zeigten die einzelnen Ergebniskapitel diesbezüglich spezifische, interpreten- oder genretypische Wechselverhältnisse zwischen Medien und Publikum, lassen sich anhand dieser Übersicht auch übergeordnete Tendenzen ablesen, auf die bereits an einzelnen Stellen indirekt hingewiesen wurde. So betonen die Rezipienten hinsichtlich der Eigenschaften »ihres« Interpreten insbesondere Werte mit Potential für »persönliche Betroffenheit«. Dies betrifft zum einen den Nähe-Pol, indem die in den Medien betonte Unerreichbarkeit des Stars oder auch die Fokussierung auf rein sachliche Bewertungen hier zugunsten emotional erlebter Momente von Zugänglichkeit und der z.B. bei Konzerten erfahrenen charismatischen Ausstrahlung des Inter-
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DER MUSIKSTAR
preten in den Hintergrund rücken. Dennoch zeigten die Analysen, dass Distanz ebenso als spannungserzeugendes Komplement unverzichtbar ist bzw. die Momente von Nähe oder imaginierter Nähe überhaupt erst wahrnehmbar macht. Ob also jeweils eher die Erfahrung von Nähe oder Distanz überwiegt, ist letztlich weniger bedeutend als die Tatsache, dass die Befragten eine Privatisierung des Stars im Sinne einer wie auch immer gestalteten persönlichen Beziehung anstreben. Daher stehen auch diejenigen Werte, die aus dem eigenen sozialen Umfeld bekannt oder für das eigene Leben charakteristisch sind (Bodenständigkeit, Bescheidenheit) im Vordergrund, ebenso wie aspirationale, aber dennoch potentiell erreichbare Ideale (Stärke/Vorbild, Coolness). Auch wenn das jeweilige Bild des Stars dabei lediglich eine durch eigene Erfahrungen und Erwartungsmuster geprägte Vorstellung ist, besteht die Imagekonstruktion í wie hier nochmals deutlich wird í immer auch darin, das Image selbst unsichtbar zu machen, um die Person bzw. seine Eigenschaften als gegeben und real zu erleben. Ob nur für den Moment der Unterhaltung oder als langfristiger Identifikationsprozess, der auch der symbolischen Selbstergänzung für das soziale Umfeld dient: Entscheidend ist die Teilnahme an der jeweiligen Wertewelt, die vom Star in idealer, erfolgreicher Weise stellvertretend verkörpert wird. So wird aktive Partizipation ermöglicht, ohne das Risiko einzugehen, selbst auf der Bühne stehen zu müssen und abhängig von kontinuierlicher und wohlwollender Aufmerksamkeit des Publikums zu sein; oder wie es zu Beginn dieser Arbeit von Adorno beschrieben wurde: »Sich am Glück des anderen zu freuen, der man ebenso gut selbst sein könnte und dennoch niemals ist«.
Ausblick Da es sich bei dieser Arbeit um eine erste systematische Herangehensweise an das Phänomen von Stars und Images im musikalischen Kontext handelt, bleiben notwendigerweise viele Bereiche unbeleuchtet bzw. werden verschiedene neue Fragen aufgeworfen. Auch wenn erste Schritte unternommen sind, einen direkten Link von Theorie und Empirie in diesem Themenfeld herzustellen, bleibt in methodischer Hinsicht Erweiterungsbedarf. Die hier gewählte Konzentration auf Printmedien und Rezipienten muss für die weitere Vorgehensweise um zusätzliche Tools ergänzt werden, die beispielsweise auch detailliertere Analysen der visuellen und audiovisuellen Präsentationsformen ermöglichen, die gleichzeitig direkt in das Netzwerk der Imagekonstruktionen und der Erklärung ihrer Funktionsweisen integriert werden können. Gerade das Verständnis der vielfältigen Wechselverhältnisse zwischen den einzelnen Präsentationsplattformen, auf denen Stars
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ZUSAMMENFASSUNG: KONTEXTUALISIERUNGEN UND AUSBLICK
agieren, stellt aufgrund des kommunikativen Charakters von Images eine große Herausforderung dar, deren Dimensionen durch die empirischen Analysen aufgezeigt wurden. Insbesondere der Bereich musikalischer Nachrichtenfaktoren erweist sich als interessantes Forschungsfeld, das gleichzeitig sehr anwendungsorientiert ist. Da die Auswahl der hier untersuchten Musiker lediglich exemplarischen Charakter hat, ist eine Erweiterung der Datenbasis notwendig. Zum einen sollten ebenso andere Genres untersucht werden oder auch ein Vergleich mit Stars aus anderen gesellschaftlichen Bereichen angestrebt werden, da so ein umfassenderer Blick auf die musikspezifischen Funktionsweisen von Images geworfen werden kann. Zum anderen wären auch Vergleichsanalysen von Interpreten der gleichen Genres angebracht, um Schnittstellen auf der Detailebene zu entdecken. Diese könnten wiederum eine Ausgangsbasis für eine quantitative Untersuchung einzelner Aspekte sein, die dann wiederum in qualitativen Anschlussstudien vertieft werden müssten. Schließlich bleibt die Frage zu stellen, wie sich Startum in Zukunft weiterentwickeln wird. In Anlehnung an die Erkenntnisse dieser Untersuchung sei die Hypothese formuliert, dass es sich um ein grundlegendes und damit strukturelles Phänomen moderner Gesellschaften handelt, das zu verschiedenen Zeiten zwar sehr unterschiedlich repräsentiert ist, aber in seinen funktionalen Grundzügen in ähnlicher Weise abläuft. Gerade diese wechselnden Repräsentationsformen gilt es aber immer wieder neu zu analysieren und zu verstehen, da sie wesentliche Hinweise auf übergeordnete, aktuell relevante Vorstellungen, Ängste und Wünsche liefern, die uns bewegen und unser jeweiliges Verhalten motivieren.
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Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen November 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-619-9
Karin Bock, Stefan Meier, Gunter Süß (Hg.) HipHop meets Academia Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens Oktober 2007, 332 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-761-5
Ralf von Appen Der Wert der Musik Zur Ästhetik des Populären Juli 2007, 344 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-734-9
Thomas Hecken Theorien der Populärkultur Dreißig Positionen von Schiller bis zu den Cultural Studies Juni 2007, 232 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-544-4
Thomas Krettenauer, Michael Ahlers (Hg.) Pop Insights Bestandsaufnahmen aktueller Pop- und Medienkultur April 2007, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-730-1
Michael Fuhr Populäre Musik und Ästhetik Die historisch-philosophische Rekonstruktion einer Geringschätzung März 2007, 154 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN: 978-3-89942-675-5
Florian Werner Rapocalypse Der Anfang des Rap und das Ende der Welt Februar 2007, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-608-3
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Sound and the City Populäre Musik im urbanen Kontext September 2007, 166 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-796-7
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Popularmusik Annemarie Firme, Ramona Hocker (Hg.) Von Schlachthymnen und Protestsongs Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg 2006, 302 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-561-1
Werner Heinrichs Der Kulturbetrieb Bildende Kunst – Musik – Literatur – Theater – Film 2006, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-532-1
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Cut and paste Schnittmuster populärer Musik der Gegenwart 2006, 156 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-569-7
Martin Pfleiderer Rhythmus Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik 2006, 390 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-515-4
Maria Wurm Musik in der Migration Beobachtungen zur kulturellen Artikulation türkischer Jugendlicher in Deutschland 2006, 248 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-511-6
Meike Becker-Adden Nahtstellen Strukturelle Analogien der »Kreisleriana« von E.T.A. Hoffmann und Robert Schumann 2006, 288 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-472-0
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Keiner wird gewinnen Populäre Musik im Wettbewerb 2005, 214 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-406-5
Alenka Barber-Kersovan, Kai Lothwesen, Thomas Phleps (Hg.) Helmut Rösing Das klingt so schön hässlich Gedanken zum Bezugssystem Musik 2005, 232 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-257-3
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) 9/11 – The world’s all out of tune Populäre Musik nach dem 11. September 2001 2004, 212 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-256-6
Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hg.) Clipped Differences Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo 2003, 130 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-146-0
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Popularmusik Thomas Phleps, Ralf von Appen (Hg.) Pop Sounds Klangtexturen in der Pop- und Rockmusik Basics – Stories – Tracks 2003, 234 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-150-7
Jannis Androutsopoulos (Hg.) HipHop Globale Kultur – lokale Praktiken 2003, 338 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-114-9
Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Handbuch für Musikschaffende 2003, 310 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-133-0
Christian Bielefeldt Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann: Die gemeinsamen Werke Beobachtungen zur Intermedialität von Musik und Dichtung 2003, 308 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-136-1
Lydia Grün, Frank Wiegand (Hg.) musik netz werke Konturen der neuen Musikkultur 2002, 218 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 24,80 €, ISBN: 978-3-933127-98-3
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