Der moralische Status menschlicher Embryonen: Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument [Reprint 2010 ed.] 9783110899795, 9783110173659

In the debate about the moral status of human embryos, it is not always clear which arguments are actually being dispute

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German Pages 339 [340] Year 2002

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Table of contents :
Vorwort
Gregor Damschen / Dieter Schönecker Argumente und Probleme in der Embryonendebatte – ein Überblick
Das Speziesargument
Pro Speziesargument: Zum moralischen und ontologischen Status des Embryos
Contra Speziesargument: Zum normativen Status des Embryos und zum Schutz der Ethik gegen ihre biologistische Degradierung
Das Kontinuumsargument
Pro Kontinuumsargument: Die Begründung des moralischen Status des menschlichen Embryos aus der Kontinuität der Entwicklung des ungeborenen zum geborenen Menschen
Contra Kontinuumsargument: Abgestufte moralische Berücksichtigung trotz stufenloser biologischer Entwicklung
Das Identitätsargument
Pro Identitätsargument: Auch menschliche Embryonen sind jederzeit Menschen
Contra Identitätsargument: Mein Embryo und ich
Das Potentialitätsargument
Pro Potentialitätsargument: Moralfähigkeit als Grundlage von Würde und Lebensschutz
Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz
In dubio pro embryone. Neue Argumente zum moralischen Status menschlicher Embryonen
Eine Skizze der embryonalen Frühentwicklung des Menschen
Anhang
Medizinisch-naturwissenschaftliches Glossar (Jan Idkowiak)
Auswahlbibliographie zum moralischen Status menschlicher Embryonen (Gregor Damschen / Dieter Schönecker, in Zusammenarbeit mit Enrico Sperfeld und Sebastian Wichner)
Hinweise zu den Autoren
Personenregister
Sachregister
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Der moralische Status menschlicher Embryonen: Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument [Reprint 2010 ed.]
 9783110899795, 9783110173659

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de Gruyter Studienbuch Gregor Damschen · Dieter Schönecker (Hrsg.) Der moralische Status menschlicher Embryonen

Gregor Damschen Dieter Schönecker (Hrsg.)

Der moralische Status menschlicher Embryonen Pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 3-11-017365-4 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. © Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Selignow, Berlin Druck: Gerike GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin

Vorwort Die Entscheidung des britischen Unterhauses, das Klonen menschlicher Embryonen für therapeutische Zwecke freizugeben, löste im Frühjahr 2001 in Deutschland eine neue und heftige Diskussion der alten Frage nach dem moralischen Status menschlicher Embryonen aus. Die Feuilletons waren voll, eine Podiumsdiskussion und Tagung folgte auf die andere, und sogar ein neues Expertengremium - der Nationale Ethikrat - wurde gegründet. Obwohl das Thema wahrlich nicht neu war und die Hauptargumente schon lange auf dem Tisch lagen, schien es uns, daß nicht immer klar war, worüber genau und mit welchen Argumenten genau eigentlich gestritten wurde. Und so reihten wir uns mit einem DFG-Rundgespräch in jene Reihe von Tagungen ein, in der guten Absicht und Hoffnung, konzentrierter und mit mehr Zeit und Geduld für Diskussionen, als es vielleicht üblich ist, eine Bestandsaufnahme und Bewertung der gegenwärtigen Argumentlage vorzunehmen. Die Tagung fand in Kooperation mit dem Institut für Philosophie der Universität Halle-Wittenberg vom 23.-24. Februar 2002 an der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle (Saale) statt. Im Mittelpunkt standen vier klassische Argumente der Embryonendebatte: 1) Das Speziesargument: Da Embryonen als Mitglieder der Spezies Homo sapiens sapiens Menschen sind, besitzen sie Würde. 2) Das Kontinuumsargument: Embryonen entwickeln sich kontinuierlich, d. h. ohne moralrelevante Einschnitte, zu erwachsenen Menschen, die Würde besitzen. 3) Das Identitätsargument: Embryonen sind in moralrelevanter Hinsicht identisch mit erwachsenen Menschen, die Würde besitzen. 4) Das Potentialitätsargument: Embryonen haben das Potential, Menschen zu werden, und dieses Potential ist uneingeschränkt schützenswert. Diese Argumente (kurz: SKIP-Argumente) wurden jeweils von einem Vertreter (Pro-Position) und einem Gegner (Centra-Position) analysiert, vorgestellt und dann von allen ausführlich diskutiert. Aus dieser Tagung ist der vorliegende Band hervorgegangen. Am Anfang unseres Buches steht eine kurze Einführung in die SKIP-Argumente und die Probleme, die sich üblicherweise an sie anschließen. Danach kommt der Hauptteil des Buches, aufgebaut entsprechend dem Konzept der Tagung: Die SKIP-Argumente werden jeweils durch eine Pro-Position und eine Contra-Position dargestellt und verteidigt oder kritisiert. In einem begleitenden Beitrag der beiden Herausgeber werden die vier Argumente im Zusammenhang rekonstruiert, bewertet und durch neue Argumente unterstützt. Ergänzt wird der Band durch eine knappe Darstellung der embryonalen Frühphase, ein medizinisch-naturwissenschaftliches Glossar, eine ausführliche Auswahlbibliographie zum moralischen Status menschlicher Embryonen sowie durch ein Personen- und Sachregister.

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Gregor Damschen / Dieter Schönecker

Das Ziel dieses Bandes ist eindeutig philosophisch-ethischer Natur: Es geht um den moralischen Status menschlicher Embryonen. Obwohl alle Autoren zumindest auch Ethiker sind, verdient es vielleicht eine besondere Erwähnung, daß zugleich andere Kompetenzen im Spiel sind, die für das Thema relevant sind. Denn einige sind zugleich ausgebildete Mediziner (Schöne-Seifen und Wieland), andere haben eine theologische Ausbildung oder sind in der Theologie aktiv (Honnefelder und Schockenhoff), in einem Fall ist der Autor Philosoph und Jurist (Merkel). Wir danken Rainer Enskat, Matthias Kaufmann, Ludger Honnefelder, Reinhard Merkel, Eberhard Schockenhoff, Bettina Schöne-Seifen, Ralf Stoecker und Wolfgang Wieland für ihre Bereitschaft, an der Tagung und dem Band teilzunehmen, für die gute und intensive Arbeitsatmosphäre während der Tagung und für ihr Engagement, das Projekt in relativ kurzer Zeit zu realisieren. Unser Dank gilt auch Christoph Viebahn für das Kapitel über die embryonale Frühentwicklung sowie Jan Idkowiak für das medizinisch-naturwissenschaftliche Glossar (diese Beiträge wurden nicht auf der Tagung vorgestellt). Die Tagung wurde großzügig unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Vereinigung der Freunde und Förderer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e. V, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und dem Verlag Walter de Gruyter. Dem Verlag und Gertrud Grünkorn danken wir für die Bereitschaft, den Band in seine Reihe Studienbücher aufzunehmen und Christoph Schirmer für die freundliche und stets kooperative Zusammenarbeit in redaktionellen Dingen. Ganz besonders verpflichtet fühlen wir uns auch Rainer Enskat, der die Tagung und den Band mit Rat und Tat unterstützt hat. Last but not least bedanken wir uns bei unseren Mitarbeitern, Enrico Sperfeld und Sebastian Wichner, die bei der Tagung, der Redaktion der Bandbeiträge und insbesondere bei der Mitarbeit an der Bibliographie unverzichtbare Hilfe geleistet haben. Wir widmen diesen Band Oliver Scapha. Halle an der Saale, im September 2002

Gregor Damschen Dieter Schönecker

Inhalt Vorwort Gregor Damschen / Dieter Schönecker Argumente und Probleme in der Embryonendebatte ein Überblick —

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Das Speziesargument Eberhard Schockenhoff Pro Speziesargument: Zum moralischen und ontologischen Status des Embryos

11

Reinhard Merkel Contra Speziesargument: Zum normativen Status des Embryos und zum Schutz der Ethik gegen ihre biologistische Degradierung

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Das Kontinuumsargument Ludger Honnefelder Pro Kontinuumsargument: Die Begründung des moralischen Status des menschlichen Embryos aus der Kontinuität der Entwicklung des ungeborenen zum geborenen Menschen

61

Matthias Kaufmann Contra Kontinuumsargument: Abgestufte moralische Berücksichtigung trotz stufenloser biologischer Entwicklung

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Das Identitätsargument Rainer Enskat Pro Identitätsargument: Auch menschliche Embryonen sind jederzeit Menschen 101 Ralf Stoecker Contra Identitätsargument: Mein Embryo und ich

129

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Inhalt

Das Potentialitätsargument Wolf gang Wieland Pro Potentialitätsargument: Moralfähigkeit als Grundlage von Würde und Lebensschutz 149 Bettina Schöne-Seifert Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz

169

Gregor Dänischen / Dieter Schönecker In dubio pro embryone. Neue Argumente zum moralischen Status menschlicher Embryonen

187

Christoph Viebahn Eine Skizze der embryonalen Frühentwicklung des Menschen

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Anhang Medizinisch-naturwissenschaftliches Glossar (Jan Idkowiak)

281

Auswahlbibliographie zum moralischen Status menschlicher Embryonen (Gregor Dänischen / Dieter Schönecker, in Zusammenarbeit mit Enrico Sperfeld und Sebastian Wichner) 295 Hinweise zu den Autoren

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Personenregister

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Sachregister

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Gregor Damschen / Dieter Schönecker Argumente und Probleme in der Embryonendebatte ein Überblick Die Debatte um den moralischen Status menschlicher Embryonen ist nicht neu. Im Laufe der Jahre haben sich einige zentrale Argumente herausgeschält, die auf der Seite derjenigen, die einen starken moralischen Status menschlicher Embryonen begründen wollen, immer wieder vorgetragen werden.1 Liest man etwa in den neuesten Berichten maßgeblicher Kommissionen - man denke nur an den deutschen Nationalen Ethikrat oder an den US-amerikanischen President's Council on Bioethics -, so wird man feststellen, daß es im Kern immer wieder um die gleichen Argumente, aber auch um die gleichen Probleme geht. Die Argumente, die im Vordergrund stehen, sind die folgenden: Das Speziesargument, das Kontinuumsargument, das Identitätsargument und das Potentialitätsargument (kurz: SKIP-Argumente). Es sind all dies Argumente, die jeweils für sich oder auch in Verknüpfung begründen sollen, daß Embryonen jedenfalls mehr sind als bloße Zellhaufen. Welcher moralische Status genau sich aus solchen Argumenten ergibt, steht damit noch nicht fest. So ist es denkbar, aufgrund solcher Argumente dem menschlichen Embryo einen moralischen Status nicht abzuerkennen, ohne daß aus dieser Anerkennung'ein generelles Verbot der humanembryonalen Stammzellforschung folgen würde. Für unsere augenblicklichen Zwecke - wir wollen nur kurz in die Thematik einführen - nehmen wir an, daß aufgrund der SKIP-Argumente die Würde menschlicher Embryonen begründet werden soll. Und mit „Würde" ist zunächst nur gemeint, daß menschliche Embryonen prima facie nicht getötet werden dürfen (jedenfalls nicht für die embryonale Stammzellforschung), also starke Schutzrechte genießen oder genießen sollten.2 Wir wollen diese vier Argumente kurz skizzieren und außerdem jeweils in einen echten syllogistischen Schluß bringen. Wir beanspruchen dabei nicht, jeDen Begriff des „Embryos" wollen wir für diese Einleitung nicht näher differenzieren; vgl. dazu den Beitrag von Viebahn (in diesem Band, 269-277) und Damschen/Schönecker (in diesem Band, 187-267). Die einzelnen Autoren in diesem Band machen unterschiedlichen Gebrauch von dem Würdebegriff, ja dieser Begriff ist selbst umstritten. Eine Möglichkeit, ihn gewissermaßen zu entschärfen, besteht darin, von Würdew zu sprechen statt bloß von Würde oder aber Menschenwürde (das haben Damschen/Schönecker vorgeschlagen, vgl. 190 f.). Unter Würde M wird dabei eine Würde verstanden, die starke Schutzrechte wie das Lebensrecht umfaßt, ohne zu implizieren, daß nur Menschen diese Würde besitzen.

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Gregor Dänischen / Dieter Schönecker

weils das Argument angemessen wiederzugeben; auch bei der Lektüre der späteren Pro- und Contra-Positionen wird man unschwer erkennen, daß die Kontrahenten sich nicht immer ganz darüber einig sind, was genau der Gegenstand ihrer Debatte ist. Tatsächlich sollte man statt von ,Argumenten' vielleicht besser von,Argumenttypen' sprechen. Denn auch wenn es jeweils einen Kern gibt, der sich identifizieren läßt, sind die einzelnen Gestalten und Ausformungen zum Teil doch erheblich. So lassen sich z.B. beim Speziesargument mindestens drei sehr verschiedene Varianten unterscheiden, und so gehören z. B. zum Umkreis des Identitätsargumentes auch Argumente, die den Personbegriff in den Mittelpunkt stellen und die darauf abzielen, Embryonen als Wesen zu verstehen, deren personale Identität von ihrem embryonalen Dasein bis hin zum Erwachsenenalter bewahrt bleibt (in diesem Sinne könnte man hier auch von einem ,Personargument' sprechen). Aber immerhin, es gibt wohl einen solchen Kern in den Argumenten oder eben Argumenttypen, und diesen argumentativen Kern wollen wir zunächst darstellen.3 Die logisch korrekte Form eines Argumentes ist natürlich nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für seine Wahrheit, und so sind mit der syllogistischen Wiedergabe der SKIP-Argumente keine Wahrheitsansprüche verbunden. Diese Argumente sind nicht unsere eigenen Argumente, und tatsächlich halten wir sie nicht nur nicht für wahr, sondern (weitgehend) für falsch. Dennoch meinen wir, daß es der Diskussion dient, wenn man weiß, welche logische Form ein Argument hat, und welches die Prämissen sind, um die gestritten wird. Die Debatte um die SKIP-Argumente hat nicht immer durch Klarheit und logische Sauberkeit geglänzt, und es wird jedenfalls nicht schaden, wenn man weiß, woran man sich argumentativ zu halten hat.4

Das Speziesargument Das Speziesargument (S-Argument) läßt sich folgendermaßen darstellen: Ein ebenfalls wichtiges Argument, das etwa von Richard M. Hare 1975/1993 oder auch von Harry J. Gensler 1998 vorgetragen wurde, schließt aus der Goldenen Regel bzw. aus dem Imperativischen Sinn der Universalisierung auf einen starken moralischen Status menschlicher Embryonen. Auch wenn man ein solches Argument als Identitätsargument interpretieren könnte, ist es im Unterschied zu den SKIP-Argumenten sehr stark von der zugrundeliegenden Ethik abhängig, in diesem Fall von einer (präskriptivistischen) Ethik Kantischen Typs. Vielleicht ist das der Grund, weshalb dieses Argument in der Debatte nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die SKIPArgumente haben dagegen den Vorteil, im Prinzip für verschiedene Ethiktypen offen zu sein. Eine genaue und weiter differenzierende Analyse und Bewertung der SKIP-Argumente liefern wir in unserem Beitrag zu diesem Band, 199-250. - Beiträge, die ebenfalls überblickend die SKIP-Argumente darstellen und kritisieren, findet man auch bei Leist 1990, Leist 1991, Kaminsky 1998 und Merkel 2001.

Argumente und Probleme in der Embryonendebatte

(1) Jedes Mitglied der Spezies Mensch (2) Jeder menschliche Embryo ist Mitglied der Spezies Mensch. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Man sieht sofort, daß der Obersatz dieses Schlusses im Zentrum der Debatte steht (denn es ist ja unumstritten, daß der Embryo, rein biologisch gesehen, zur Spezies Mensch gehört). Vertreter des S- Argumentes sind der Auffassung, daß menschliche Lebewesen in ihrer biologischen Eigenschaft als menschliche Lebewesen schutzwürdig sind. Ein Mensch zu sein, ist demnach die maßgebliche würdestiftende Eigenschaft, und zwar ganz unabhängig davon, welche tatsächlichen aktualen Eigenschaften ein Wesen hat. Neugeborene, geistig stark Behinderte oder auch Komatöse seien Menschen und nicht minder schützenswert als gesunde Erwachsene. Jene besitzen Würde genau wie diese, und genau diese Würde hätten auch Embryonen. Das größte Problem des S-Argumentes besteht in einem angeblichen SeinSollen-Fehlschluß. Denn warum folgt, so der Vorwurf, aus einer bloß biologischen Eigenschaft (der Mitgliedschaft zur Spezies Mensch) irgendetwas Normatives? Das sei unbegründet. Erst recht sei das S- Argument unplausibel, wenn es speziesistisch interpretiert werde, also all jene Wesen aus dem Schutzbereich der Moral ausschließe, die nicht zur Spezies Mensch gehören.

Das Kontinuumsargument (K) Das Kontinuumsargument (K-Argument) läßt sich folgendermaßen darstellen: (1) Jedes menschliche Wesen, das aktual ist, hat Würde M·5 (2) Jeder menschliche Embryo wird sich, unter normalen Bedingungen, kontinuierlich (ohne moralrelevante Einschnitte) zu einem menschlichen Wesen entwickeln, das aktual ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Der Grundgedanke des K- Argumentes besteht darin, daß jeder Versuch, in der Entwicklung eines Embryos hin bis zu einem geborenen und später erwachseMit „ " beziehen wir uns auf die Eigenschaften oder Fähigkeiten, von denen man in der Regel annimmt, daß sie die Würde eines Menschen oder überhaupt eines Lebewesens begründen: Autonomie (als Fähigkeit zur Zwecksetzung), moralische Autonomie (Freiheit), kognitive Fähigkeiten (z. B. Abstraktionsfähigkeit), Selbstbewußtsein, Präferenzen (als zukunftsorientierte Wünsche), Wünsche, Interessen und Leidensfähigkeit, aber auch Gottesebenbildlichkeit oder die Heiligkeit des Lebens. Für alle Wesen gibt es demnach mindestens eine Eigenschaft , so daß gilt: Wenn ein Wesen aktual ist, dann hat es

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Gregor Damschen / Dieter Schönecker

nen Menschen einen Einschnitt zu setzen, willkürlich wäre. So würde kaum jemand sagen, daß es einen moralrelevanten Unterschied macht, ob ein Neugeborenes sieben Tage alt ist oder nur wenige Sekunden, und nur die wenigsten Menschen würden wohl meinen, es gebe einen moralrelevanten Unterschied zwischen einem neun Monate alten Fetus, der sich noch im Mutterleib befindet, oder einem acht Monate alten Fetus, der durch eine Frühgeburt bereits zur Welt gekommen ist. Und wenn man die Entwicklung eines Embryos betrachte, so die Vertreter des K-Argumentes, müsse man beginnend mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle genau einen solchen kontinuierlichen Prozeß annehmen, der jeden Einschnitt verbiete, so daß Schutzwürdigkeit von Anfang an vorliege. Die Kritiker des K-Argumentes halten dagegen, daß das K-Argument voraussetze, was es zu beweisen gelte (nämlich dies, daß es keine moralrelevanten Einschnitte gebe). Vielmehr könne man solche (moralisch relevanten) Einschnitte mit guten Gründen machen. Folgende Kandidaten werden u. a. genannt: Die Vereinigung der Vorkerne, weil erst damit ein individuelles Genom feststehe; die genetische Selbststeuerung des Embryos, weil erst damit das neue Genom wirklich aktiv werde; die Herausbildung des Primitivstreifens nach etwa 14 Tagen, weil erst dann die Mehrlingsbildung ausgeschlossen und die Existenz eines sich kontinuierlich entwickelnden Individuums möglich sei; oder auch die Herausbildung eines Gehirns, weil erst damit Empfindungsfähigkeit und allmählich einsetzendes Bewußtsein gegeben sei, Fähigkeiten also, die das wirkliche Menschsein ausmachten. Die Entwicklung des Menschen sei in Wahrheit diskontinuierlich.

Das Identitätsargument (I) Das Identitätsargument (I-Argument) läßt sich folgendermaßen darstellen:6 (1) Jedes Wesen, das aktual ist, (2.1) Viele Erwachsene, die aktual sind, sind mit Embryonen in moralrelevanter Hinsicht identisch. Also: (2.2) Die Embryonen, mit denen sie identisch sind, haben (2.3) Wenn irgendein Embryo WürdeM hat, dann alle. Also: (3) Jeder Embryo hat WürdeM·

Diese Fassung hat Ralf Stoecker vorgeschlagen (in diesem Band, 131 f.). Leicht angreifbar wäre hingegen die folgende Fassung des I-Argumentes: (1) Jedes Wesen, das aktual ist, hat WürdeM. (2) Jeder menschliche Embryo ist (in moralrelevanter Hinsicht) identisch mit genau einem Wesen, das aktual ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat

Argumente und Probleme in der Embryonendebatte

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Das I-Argument hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem K-Argument. Die Grundidee kann man vielleicht in folgendes Bild bringen: Angenommen, jemand - nennen wir ihn Truman - findet eine sehr große Filmrolle. Er läßt sie ablaufen und stellt fest, daß sie aus Sequenzen zusammengeschnitten ist, in denen in der Zeit rückwärts sein Leben dargestellt wird: Heute Truman als erwachsener Mann mit drei Kindern, davor Truman mit zwei Kindern, davor Truman als Student, als Jugendlicher, als Kind, als Neugeborener, irgendwann Truman als acht Monate alter Fetus im Mutterleib, bis hin zu Truman als einzelliger Embryo. Immer wird Truman beim Ablaufen des Films mit gutem Recht sagen können: „Das da bin ich, Truman!" Und wenn der Truman von heute identisch ist mit dem Truman als Embryo, dann hat, so das I-Argument, der Truman als Embryo auch genau die Würde, die der Truman als Erwachsener hat. Zwei Hauptschwierigkeiten sind, so die Kritiker, mit diesem Gedanken verbunden. Erstens müsse man klar machen, was ,Identität' eigentlich bedeutet, und dann würde man sehen, daß aus der Identität allein nichts Normatives folgt. Und zweitens gebe es diverse Probleme eben mit dieser Identitätsbehauptung: Auf der einen Seite die Möglichkeit der Zwillings- oder genauer Mehrlingsbildung, die es ausschließe, in den ersten 14 Tagen von genau einem Individuum zu sprechen; auf der anderen Seite das analoge Fusionsproblem, demzufolge in der frühen Phase der embryonalen Entwicklung mehrere Embryonen zu einem verschmelzen können (zu denken sei hier auch an die sogenannten Siamesischen Zwillinge); und schließlich das Abgrenzungsproblem, daß nämlich der eigentliche Embryo erst relativ spät in der embryonalen Entwicklung sichtbar und abgrenzbar sei, wohingegen vorher der Embryo (der Zellhaufen) noch undifferenziert sei, und aus ihm zwar auch der spätere »eigentliche* Embryo, aber eben auch die Plazenta hervorgehe, so daß der frühe Embryo (der Zellhaufen) mit dem eigentlichen Embryo und mithin dem späteren geborenen Menschen nicht identisch sein könne (auch das Phänomen, daß sich aus der befruchteten Eizelle allein eine Plazenta bildet, wird hier genannt).

Das Potentialitätsargument (P) Das Potentialitätsargument (P-Argument) läßt sich folgendermaßen darstellen: (1) Jedes Wesen, das potentiell ist, hat WürdeM. (2) Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Das P-Argument ist vielleicht das einflußreichste und stärkste der SKIP-Argumente. Auch hier liegt der zentrale Punkt wie im S-Argument im Obersatz. Zwar sei es richtig, daß Embryonen zumindest viele der üblicherweise genannten -Eigenschaften (Bewußtsein, Leidensfähigkeit etc.) nicht besitzen. Aber dies treffe im wesentlichen auch für Neugeborene, reversibel Komatöse, ja

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Gregor Damschen / Dieter Schönecker

Schlafende zu, und da Embryonen zweifelsohne die besagten -Eigenschaften potentiell besäßen, müsse man sie so behandeln, als besäßen sie sie tatsächlich aktual (genau wie wir reversibel Komatöse so behandeln, als besäßen sie die -Eigenschaften aktual). Gegen das P-Argument werden folgende Einwände vorgebracht. Erstens müsse man dann diversen Entitäten Würde^ zusprechen, von denen wir dies aber eigentlich nicht tun wollen: so den Ei- und Samenzellen, weil diese Gameten auch potentiell sind; den Eizellen, die durch Parthenogenese - also von selbst und ohne Samenzellen - zu Embryonen heranreifen, also auch potentiell sind; und möglicherweise sogar allen menschlichen Körperzellen, die eines Tages nach entsprechender Behandlung ebenfalls potentiell sind bzw. sein könnten. Und zweitens sei grundsätzlich nicht einzusehen, warum Potentialität moralisch relevant sein soll; schließlich würde man der Kronprinzessin auch nicht die gleichen Rechte einräumen wie der Königin, obwohl die Kronprinzessin doch eines Tages selbst zur Königin werde.

Der Zusammenhang von SKIP Ohne dies hier näher begründen zu können, läßt sich der Zusammenhang der SKIP-Argumente folgendermaßen skizzieren: Das S-Argument hängt nicht mit den anderen Argumenten zusammen; Spezieszugehörigkeit ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die anderen Argumente. Versteht man das „K" im K-Argument im Sinne eines Kontinuums, so ist dieses Kontinuum im Sinne einer numerischen (körperlichen, raum-zeitlichen) Identität interpretierbar; auf diese Weise hingen das K- und das I-Argument zusammen, ja sie fallen sogar in eins. Versteht man das „K" im K-Argument eher im Sinne einer Kontinuität (einer kontinuierlichen Entwicklung), dann ist der Kontinuumsbegriff eine notwendige Bedingung für den Kontinuitätsbegriff, der wiederum unabhängig ist vom Begriff der Potentialität. Der Begriff der Potentialität seinerseits ist aber letztlich nur sinnvoll begreifbar, wenn dasjenige, das Potentialität hat, als dieses eine über die Zeit hin bis zur ausgebildeten Aktualität (mit sich) numerisch identisch ist; das P-Argument wird also mit dem I-Argument oder einem mit dem Begriff der numerischen Identität operierenden K-Argument verbunden sein müssen. Ohne Zweifel hängen also zumindest zum Teil die einzelnen Argumente von SKIP miteinander zusammen. Wie genau sie dies tun, wird sich zeigen müssen. Damit es sich zeigen kann, ist es aber sinnvoll, die SKIP-Argumente zunächst unabhängig voneinander zu betrachten.

Argumente und Probleme in der Embryonendebatte

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Literatur Gensler, Harry J. (1998): „The Golden Rule Argument Against Abortion", in: Pojman, L./Beckwith, F. J. (Hrsg.): The Abortion Controversy. 25 Years After Roe v. Wade, Belmont, 325-337. Hare, Richard M. (1975): „Abtreibung und die Goldene Regel", in: Leist, A. (1990) (Hrsg.): Um Leben und Tod, Frankfurt a. M., 132-156. Hare, Richard M. (1993): „A Kantian Approach to Abortion", in: Hare, R. M.: Essays on Bioetbics, Oxford, 168-184. Kaminsky, Carmen (1998): Embryonen, Ethik und Verantwortung. Eine kritische Analyse der Statusdiskussion ah Problemlösungsansatz angewandter Ethik, Tübingen. Leist, Anton (1990): Eine Frage des Lebens. Ethik der Abtreibung und künstlichen Befruchtung, Frankfurt a. M. Leist, Anton (1991): „Ethik der Abtreibung: Ein Überblick", in: Zeitschrift für philosophische Forschung, 45, 371-390. Merkel, Reinhard (2001): Früheuthanasie. Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin, Baden-Baden.

Das Speziesargument

Eberhard Schockenhoff Pro Speziesargument: Zum moralischen und ontologischen Status des Embryos Im ersten Teil kritisiert der Beitrag das empiristische Personkriterium gegenwärtiger bioethischer Positionen, in denen Menschsein und Personsein auseinander tritt: Der Vorwurf des Speziesismus rührt von einem Kategorienfehler her; das Konzept moralisch relevanter Eigenschaften beruht auf einem reduktiven Seinsverständnis; Widersprüche entstehen im empiristischen Personkriterium selbst; schließlich liegt ein reduzierter Interessenbegriff vor, der nur auf aktuell empfundene und selbst geltend gemachte Interessen abhebt. Im zweiten Teil wird der Zusammenhang von Menschenwürde, sittlichem Subjektsein und Spezieszugehörigkeit argumentativ entfaltet. Menschenwürde meint in ihrem normativen Kerngehalt die prinzipielle Fähigkeit zum sittlichen Subjektsein; keineswegs darf sie vom Nachweis der faktischen Realisierung dieser Fähigkeit oder weiteren Bedingungen abhängig gemacht werden. Würde kommt dem Menschen auch nicht aufgrund einer kulturellen Zuschreibung durch die Gesellschaft zu, sondern jedes menschliche Individuum erhebt von sich aus einen unbedingten Anspruch auf Anerkennung in seinem individuellen Sosein, der allein in seiner Zugehörigkeit zur biologischen Spezies gründet. Der Zeitpunkt der Vereinigung von Ei- und Samenzelle erweist sich als der geeignetste biologische Anknüpfungspunkt für den Beginn der vollen Schutzwürdigkeit des individuellen Menschenlebens. Da aufgrund der leib-seelischen Einheit des Menschen Ich und Leib, Subjekt und Natur immer nur als untrennbare Einheit gegeben sind, erfordert es die Zugehörigkeit eines Individuums zur menschlichen Art, seine unantastbare Würde und die aus ihr folgende Schutzwürdigkeit uneingeschränkt anzuerkennen. Dieses Ergebnis wird abschließend gegen die (in sich widersprüchlichen) Vorwürfe eines neuen Biologismus oder einer unstatthaften Überfrachtung mit metaphysischen Prämissen verteidigt.

Das Speziesargument läßt sich folgendermaßen wiedergeben: (1) Jedes Mitglied der Spezies Mensch hat Würde aufgrund seiner natürlichen Artzugehörigkeit. (2) Jeder menschliche Embryo ist von Anfang an Mitglied der Spezies Mensch. Also: (3) Jeder Embryo hat Würde. Dieses Argument hat drei argumentative Voraussetzungen: 1) Die Würde eines Wesens gründet in seinem Vermögen zum sittlichen SubjektSein. 2) Sittliches Subjekt-Sein ist unter den Bedingungen der realen Welt an die biologische Voraussetzung der Zugehörigkeit zur menschlichen Art gebunden.

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Eberhard Schockenhoff

3) Würde muß vorbehaltlos anerkannt werden; es widerspricht dem Gedanken der Würde, ihre Anerkennung an den Grad ihrer faktischen Realisierung zu binden oder einem Bestätigungsurteil durch die Gesellschaft zu unterwerfen. Die argumentative Darlegung des Argumentes erfolgt in drei Schritten. Im ersten wird das Personkriterium des Präferenzutilitarismus, das den Voraussetzungen und dem Obersatz widerspricht, einer kritischen Analyse unterzogen (L). Im zweiten Schritt wird das Argument in der oben wiedergegebenen Schlußform expliziert. Dabei behandelt der Abschnitt 2.l die drei Voraussetzungen, der Abschnitt 2.2 den Obersatz und Abschnitt 2.3 den Untersatz sowie die daraus gezogene Konklusion. In einem dritten Schritt wird nochmals auf die Ausgangsfrage Bezug genommen und das Ergebnis festgehalten (3.). Kommen die Rechte des Menschen jedem menschlichen Individuum zu? Sind alle Menschen Personen? Darf die Anerkennung der Menschenwürde von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die über die gemeinsame Zugehörigkeit zur Menschheit hinausgehen? Solche Fragen hätten vor wenigen Jahrzehnten auch bei versierten Kennern der philosophischen Szene Erstaunen hervorgerufen. Die Einsicht in die Gleichursprünglichkeit aller Menschen führte zu der selbstverständlichen Annahme, daß alle menschlichen Individuen als Angehörige der Spezies Homo sapiens sapiens zugleich Mitglieder der moralischen Gemeinschaft sind, denen ausnahmslos dieselben moralischen Rechte zustehen. Ebenso stand der Personbegriff auf eine als fraglos und unproblematisch empfundene Art im Mittelpunkt der praktischen Ethik, die zu ihrer philosophischen Grundlegung auf unterschiedliche theoretische Erklärungsmodelle des Personseins zurückgreifen konnte. Lange Zeit bildete die Persondefinition des Boethius, in der die Person als individuelle Substanz einer vernünftigen Natur verstanden wurde, den Bezugs- und Angelpunkt der Diskussion.1 Die drei Bestimmungsglieder dieser formgerechten Definition - Individualität, Selbststand und Vernunftnatur - konnten in ihrer Eigenbedeutung und Zuordnung unterschiedlich gewichtet werden, doch wurde die Anwendbarkeit dieser Formel auf jedes menschliche Individuum niemals ernsthaft in Frage gestellt. Diese Prämisse wurde vielmehr auch von solchen Positionen geteilt, die - wie John Locke und Immanuel Kant - den Personbegriff von dem mit besonderen theoretischen Schwierigkeiten verbundenen Substanzgedanken abkoppeln wollten. Da die in unseren moralischen Intuitionen verankerte Gleichsetzung von Personsein und Menschsein unter den gegenwärtigen moralphilosophischen Positionen strittig geworden ist, nehmen die folgenden Überlegungen einen doppelten Ausgangspunkt, indem sie zuerst nach den Implikationen des Personbegriffs für die praktische Ethik, sodann nach der Bedeutung der biologischen Spezieszugehörigkeit für die Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechten fragen, um dann in einem letzten Schritt die Einheit von Person und Natur aufzuzeigen. Das Ziel der getrennten Erörterung beider Begriffe ist also, ihre hypothetische Dissoziierbarkeit zurückzuweisen und ihre l

Vgl. Boethius 1988; dazu auch Thomas 1990,1, 29, 2.

Pro Speziesargument

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in der anthropologischen Verfassung des Menschen begründete Einheit aufzuzeigen.

1. Die ethischen Implikationen des Personseins 1.1 Der gemeinsame Konsens der europäischen Moralphilosophie An die Stelle einer metaphysischen Begründung des Persongedankens tritt bei John Locke erstmals ein empiristisches Fundament, das scheinbar metaphysikneutral ist: die Kontinuität des Bewußtseins und die Einheit des Gedächtnisses.2 Der Begriff einer vernünftigen Wesensnatur oder der Menschheit als Gattungsbezeichnung taucht in dieser empinstischen Persondefinition nicht mehr auf; dementsprechend wird das Personsein auf die aktuell erlebte und bewußt vollzogene Einheit des Selbstbewußtseins reduziert. Ganz kann Locke auf den Gedanken der Zugehörigkeit zur Menschheit als überindividueller Gesamtgröße freilich doch nicht verzichten. Geistig Schwerstbehinderte Menschen, die auf keine Weise zum Vernunftgebrauch fähig sind, gehören für ihn einer Zwischenart an, die als Eigentum ihres Schöpfers schutzwürdig ist.3 In der theoretischen Ablehnung des Substanzbegriffes ist auch Immanuel Kant mit Locke einig, doch zielt seine transzendentalphilosophische Neubegründung der Ethik in die genau entgegengesetzte Richtung. Er sieht das Personsein des Menschen in seiner prinzipiellen Handlungsfähigkeit als moralisches Subjekt begründet, die der Anlage nach (also unabhängig von der graduellen Differenzierung in den einzelnen Individuen) bei jedem Menschen unterstellt werden muß. Der Mensch ist daher nur als sittliches Wesen Person, doch müssen wir in die Achtung vor seiner moralischen Subjekthaftigkeit auch die Natur einbeziehen, welche die faktische Voraussetzung zu seinem moralischen Handeln darstellt. Der dritten Fassung des kategorischen Imperativs, der sogenannten Selbstzweckformel, liegt der Gedanke zugrunde, daß der Mensch insofern Person genannt wird, als er als Zweck an sich selbst existiert. Daraus ergibt sich dann das moralische Grundgebot der Achtung gegenüber jedem Menschen: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest" (Kant 1903, 429). Personsein und Menschsein erscheinen in ihrem Umfang als deckungsgleich - zwar nicht mehr aufgrund der Tatsache, daß jeder Mensch substantiell als Träger der einen menschlichen Vernunftnatur existiert, doch aus dem praktischen Vernunftinteresse, daß wir den Gedanken moIn seinem Essay concerning human understanding (1690) definiert Locke die Person als „ein denkendes intelligentes Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten als das gleiche denkende Wesen betrachten kann" (Locke 1987,1127,2). Vgl. Locke 1987, IV 4,12 ff.

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ralischer Anerkennung nicht denken können, ohne „die Würde der Menschheit in jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen" (Kant 1907, 462). Ungeachtet aller theoretischen Differenzen, die zwischen dem metaphysischen, dem empiristischen und dem transzendentalphilosophischen Personbegriff bestanden, wurde unsere Eingangsfrage von der moralphilosophischen Tradition in dem Sinn beantwortet, daß alle Menschen Personen sind (auch wenn Locke dieses Ergebnis auf der Grundlage seiner empiristischen Bewußtseinsphilosophie nur durch eine Hilfskonstruktion erreichen konnte). Dieser praktische Grundkonsens der europäischen Ethik schloß die Konsequenz ein, daß alle Menschen - also auch Kinder, geistig Behinderte und altersschwache Menschen- als Personen über jene unbedingte Schutzwürdigkeit verfügen, die im Gedanken der Menschenwürde ausgesprochen ist. 1.2 Das empirische Personkriterium des Präferenzutilitarismus Die Basis der alltagssprachlichen Annahme, daß Menschsein und Personsein austauschbare, weil deckungsgleiche Begriffe sind, wird von einem neuen Typus bioethischen Argumentierens radikal in Zweifel gezogen, als dessen Hauptvertreter im deutschen Sprachraum der australische Ethiker Peter Singer und die deutschen Rechtsphilosophen Norbert Hoerster und Reinhard Merkel bekannt wurden. Im Gegensatz zu dem klassischen Menschenrechtsethos, das jeden Menschen allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Spezies der Menschheit als Träger eines unbedingten Lebensrechtes und der sich daraus entfaltenden Freiheitsrechte ansieht, begründet das als rein biologische Größe verstandene Menschsein für sie weder einen besonderen Schutzanspruch noch die unbedingte Geltung des Tötungsverbotes. An die Stelle der Gleichheit aller Menschen und ihrer objektiven Rechte treten nunmehr die Begriffe des subjektiven Interesses und der bewußten Präferenzen, die ein Lebewesen besitzt. Verglichen mit dem klassischen Menschenrechtsgedanken wird die Anspruchsgrundlage, auf die sich ethische Grundbegriffe wie Anerkennung, Gleichheit, Würde usw. beziehen, dadurch zugleich eingeschränkt und ausgeweitet. Einer weitreichenden Einschränkung unterliegt das Zusammenleben der Menschen untereinander, insofern der Gedanke eines objektiven Lebensrechtes, über das jeder Mensch als Mitglied der moralischen Gemeinschaft von sich aus verfügt, auf die Berücksichtigung seiner Interessen zurückgenommen wird, die er aktuell vertreten kann. Eine Ausweitung erfolgt dagegen dadurch, daß dieser Grundsatz nun nicht mehr allein auf Menschen, sondern auf alle Lebewesen Anwendung finden soll, die Interessen haben können. Diese Spielart einer utilitaristischen Ethikbegründung wird deshalb auch als Präferenzutilitarismus oder als Ethik der Interessenerwägung bezeichnet. Da der klassische Utilitarismus kein individuelles Gerechtigkeitskriterium kannte, das bei der Berechnung des Gesamtnutzens einer Einzelhandlung oder einer generalisierten Handlungsweise als normatives Verteilungsprinzip fungiert, soll der Grundsatz der gleichen Interessenerwägung diese empfindliche

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Lücke schließen. Will man nämlich auf der Suche nach einem universalen Gerechtigkeitskritenum nicht in den Fehler eines willkürlichen Speziesismus verfallen, der die Mitglieder der Spezies Homo sapiens sapiens nur deshalb bevorzugt, weil sie diese biologische Eigenschaft mit uns teilen, muß die Anwendung des Prinzips der gleichen Interessenerwägung auch nicht-menschliche Lebewesen, also die Tiere berücksichtigen.4 Dieser Grundsatz impliziert nicht notwendig die Nivellierung sämtlicher Unterschiede zwischen Mensch und Tier oder die Leugnung einer Rangfolge im Tierreich. Da jedoch die bloße Zugehörigkeit zur biologischen Art für den Präferenzutilitarismus keinen ausreichenden Grund für die Zuerkennung eines Lebensrechtes bzw. die Begründung eines Tötungsverbotes darstellt, kann sich ein unter den Lebewesen abgestufter Anspruch auf den Schutz ihres Lebens nur durch die Berücksichtigung von Kriterien begründen lassen, in denen sie sich auf moralisch relevante Weise unterscheiden. Als gemeinsame Ausgangsbasis kommt dann nur die Empfindungsfähigkeit in Betracht, so daß wir unter dieser Voraussetzung das Freisein von Schmerzen als das erste Interesse jedes Lebewesens betrachten müssen. Darüber hinaus ergibt sich entsprechend der Differenzierung zwischen dem nichtbewußten, bewußten und selbstbewußten Leben ein abgestufter Anspruch auf die Berücksichtigung der eigenen Interessen. Ein generelles Tötungsverbot und damit der Anspruch auf höchsten Lebensschutz soll jedoch erst dort gegeben sein, wo ein aktuelles Überlebensinteresse vorhanden ist.5 Ein Interesse am eigenen Weiterleben muß im allgemeinen bei solchen Lebewesen unterstellt werden, die nicht nur ein Interesse an der Vermeidung von Leiden und der Linderung von physischen Schmerzen haben, sondern darüber hinaus über zusätzliche moralisch relevante Eigenschaften verfügen. Diese bestehen in erster Linie in der Fähigkeit, Präferenzen im Blick auf die eigene Zukunft zu entwickeln und ein Bewußtsein der eigenen Identität auszubilden. „Nur ein Wesen mit einem so verstandenen Ich-Bewußtsein kann zukunftsbezogene Wünsche und unter diesem Aspekt ein Überlebensinteresse haben" (Hoerster 1991, 75). Kraft dieser Eigenschaften erfüllt ein Lebewesen die notwendigen Bedingungen, um ihm den moralischen Status des Personseins zuzuerkennen. Die Definition des Personseins, die an die Stelle der herkömmlichen, wegen ihrer metaphysischen Implikationen für die Ethik angeblich unbrauchbaren Beschreibungen treten soll, lautet nun: Person ist, wer über die moralisch relevanten Eigenschaften verfügt, die für das Personsein als konstitutiv angesehen werden. Dazu gehören nach den Worten von Singer neben dem formalen Element des Überlebensinteresses vor allem: „Selbstbewußtsein, Selbstkontrolle, Sinn für die Zukunft, Sinn für Vergangenheit, die Fähigkeit, mit anderen Beziehungen zu knüpfen, sich um andere zu kümmern, Kommunikation [...] Neugier" und schließlich die Fähigkeit, „eine Wahl zu treffen, eine Handlung nach eigener Entscheidung zu vollziehen" (Singer 1984, 118 und 134). Die Liste sol4 5

Vgl. Singer 1984, 86. Vgl. Hoerster 1991, 70f.

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eher moralisch relevanten Eigenschaften läßt sich unschwer durch weitere Kandidaten erweitern; entscheidend ist jedoch, daß die Zuerkennung des Personstatus allein dann erfolgen darf, wenn ein bestimmtes Lebewesen über die genannten Eigenschaften aktuell verfügt und sich ihrer reflexiv bewußt ist. Es liegt auf der Hand, daß sich aus einer solchen Umdeutung des Personbegriffs auf dem Feld der praktischen Ethik weitreichende Konsequenzen ergeben. Sollte sich das empiristische Personkriterium als rational begründbar erweisen, müßten wir Menschsein und Personsein als zwei Eigenschaften betrachten, die bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen zwar faktisch gemeinsam anzutreffen sind, die aber nicht notwendig zusammengehören. Personsein im moralischen Sinn und Menschsein im biologischen Sinn verhalten sich dann wie zwei voneinander unabhängige Eigenschaftsfelder, die neben einer zufälligen gemeinsamen Schnittfläche nach beiden Seiten hin Randzonen aufweisen. Ihr Verhältnis zueinander ließe sich in der Tat auf die provokante Formel bringen: „Nicht alle Mitglieder der Spezies homo sapiens sind Personen, und nicht alle Personen sind Mitglieder der Spezies homo sapiens" (Singer 1998,207).

1.3 Zur Kritik des empiristischen Personbegriffs Die fachwissenschaftliche Debatte, an der sich zahlreiche wissenschaftliche Einzeldisziplinen von der Embryologie, der Verhaltensforschung und der mathematischen Systemtheorie über die philosophische und theologische Ethik bis zur Rechtswissenschaft beteiligten, machte inzwischen auf zahlreiche Widersprüche, Kategorienfehler und irrtümliche Schlußfolgerungen aufmerksam, die mit den genannten Thesen verbunden sind oder aus ihnen gezogen werden. Da die Vertreter des Präf erenzutilitarismus es bislang unterließen, auf die Einwände ihrer Kritiker zu antworten und sich statt dessen auf eine bloße Wiederholung ihrer ursprünglichen Thesen beschränkten, stoßen die theoretischen Annahmen des Präferenzutilitarismus innerhalb der wissenschaftlichen Ethikdiskussion heute auf wachsende Skepsis. Ohne den Diskussionsverlauf im einzelnen nachzuzeichnen, seien hier die wichtigsten Einwände zusammengestellt, die gegenüber einer präferenzutilitaristischen Ethikbegründung und ihrem von dem klassischen Menschenrechtsethos abweichenden Personkriterium erhoben werden.6 Ein erster Kritikpunkt betrifft das Schlagwort des Speziesismus, durch das die Sonderstellung des Menschen in der herkömmlichen Ethik als eine dem Rassismus vergleichbare Benachteiligung der nichtmenschlichen Lebewesen diskreditiert werden soll. Dieser geschliffenen Wortmünze, deren suggestiver WirDie kenntnisreichste und detaillierteste Auseinandersetzung, die derzeit verfügbar ist, findet sich in der von den Mitgliedern eines interdisziplinären Instituts der Görresgesellschaft herausgegebenen Studie von Rager 1997.

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kung man sich im ersten Moment kaum entziehen kann, liegt ein unkorrekter Gebrauch der logischen Klassifikationsregeln zugrunde. Die zunächst frappant erscheinende Parallelisierung von Speziesismus, Rassismus und Sexismus beruht auf einem Kategorienfehler, da menschliche Rassen- und Geschlechtsmerkmale keine spezifischen Unterschiede, sondern innerartliche Differenzierungen bezeichnen. Durchschaut man diese Verwechslung, verliert das Schlagwort viel von seiner Faszinationskraft: Da das Verbot jeder mfraspezifischen Diskriminierung mit der Annahme einer mierspezifischen Differenzierung logisch durchaus vereinbar ist, stellt der Hinweis auf die Verwerflichkeit rassistischer Denk- und Verhaltensweisen keinen rationalen Einwand gegen die Sonderstellung des Menschen innerhalb der Gattung aller Lebewesen dar. Einen weiteren Denkfehler offenbart das Konzept der moralisch relevanten Eigenschaften, sobald es mit dem reduktiven Seinsverständnis und der angeblich metaphysikfreien Grundlegung der Ethik verglichen wird, die der Präferenzutilitarismus für sich in Anspruch nimmt. Das biologische Phänomen des Menschseins kann nämlich nur dann als moralisch irrelevant verstanden werden, wenn Sein und Gutsein radikal voneinander getrennt werden. Im Gegensatz zur klassischen Ontologie, die bereits dem Sein als solchem Bedeutsamkeit, Werthaftigkeit und Bejahenswürdigkeit zusprach, wird das Sein auf eine reine (d. h. moralisch irrelevante) Faktizität reduziert, von der kein Weg zur moralischen Auszeichnung des Personseins führt. Unter der Voraussetzung eines solchen reduktiven Seinsverständnisses, das sich zu Unrecht auf das Verbot eines naturalistischen Fehlschlusses beruft, wird aber auch die Ableitung des Personseins aus dem Begriff moralisch relevanter Eigenschaften widersprüchlich.7 Wer die Zuerkennung eines unbedingten Lebensrechtes und den Geltungsumfang des Tötungsverbotes an das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten bindet, teilt mit dem Speziesismus dieselbe Voraussetzung. Er sondert nämlich aus der Gesamtheit der Lebewesen aufgrund des faktischen Vorkommens bestimmter Merkmale die Klasse der „Selbstbewußtseins-Besitzer" aus, um ihnen nach Art eines „Interessen-Speziesismus" willkürlich moralische Vorrechte einzuräumen.8 Insofern bei diesem zirkulären Verfahren aus empirischen Prämissen (dem Vorhandensein bestimmter Eigenschaften) normative Schlußfolgerungen (die Zuerkennung von Menschenwürde und Lebensrecht) abgeleitet werden, beruht der ganze Argumentationsgang selbst auf einer fortgesetzten Kette naturalistischer Fehlschlüsse. Schließlich ist auch das empiristische Personkriterium mit einer Reihe von Unklarheiten, Zweideutigkeiten und Widersprüchen behaftet, die es zur Die Rede vom naturalistischen Irrtum besagt, daß ein unmittelbarer Schluß vom Sein auf das Sollen, von deskriptiven Beschreibungssätzen auf präskriptive Sollenssätze unzulässig ist; dadurch ist jedoch keinesfalls in Abrede gestellt, daß auch ein aus normativen Prinzipien erschlossenes Sollen auf Voraussetzungen im Sein basiert. Vgl. dazu Schockenhoff 1996, 183 ff. Vgl. Pöltner 1993, bes. 192 ff.

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Grundlegung einer normativen Ethik unbrauchbar machen. Der entscheidende Einwand gegen den Versuch, das Personsein vom Vorhandensein eines aktuell empfundenen Überlebensinteresses oder der Fähigkeit zu zukunftsbezogenen Wünschen abzuleiten, kann auf die berühmte Gegenfrage zurückgreifen, die bereits der anglikanische Bischof Butler an die Locke'sehe Persondefinition richtete: Wie entschlüssele ich einzelne Wünsche, Interessen oder Gedächtnisinhalte als die Wünsche, Interessen oder Gedächtnisinhalte ihres Trägers, wenn dessen Identität nicht schon zuvor feststeht? Die Einheit der Person muß als mit sich identische, die Zeit überdauernde Bezugsgröße bereits vorausgesetzt werden, damit die einzelnen Bewußtseinserlebnisse als ein einheitlicher Bewußtseinsstrom interpretiert und ihr zugeschrieben werden können. Ohne diese Voraussetzung droht der Versuch, den Personstatus eines Lebewesens auf dessen Fähigkeit zu langfristigen Interessen und zukunftsbezogenen Wünschen zu gründen, daran zu scheitern, daß dann schlafende, emotional verwirrte oder zeitweilig bewußtlose Menschen vorübergehend ihren Personstatus verlieren und während dieser Unterbrechungen erlaubterweise getötet werden dürften. Diese kontraintuitive Konsequenz läßt sich nur vermeiden, wenn die Gleichsetzung von Personsein und aktuellem Besitz bestimmter Eigenschaften durch die Annahme einer diachronen Identität der Person überwunden wird. Diese muß als ein in der Zeit fortdauerndes Subjekt gedacht werden, dem die jeweils aktuellen Eigenschaften als ihrem Träger zukommen. Dieser Zusammenhang läßt sich auch folgendermaßen erklären: Soll das Überlebensinteresse ein Tötungsverbot auch für die Zwischenphasen begründen, in denen es nicht aktuell vorhanden ist, darf es nicht als eine rein bewußtseinsimmanente Größe gedacht werden, die außerhalb des Bewußtseins keinen realen Anhaltspunkt hat. Ein Überlebensinteresse schließt nämlich auch die Sorge um die eigene Identität mit ein, zu der notwendig auch das Interesse an der Aufrechterhaltung der Bedingungen gehört, unter denen diese Identität fortbestehen kann. Sofern zur Gesamtheit dieser Bedingungen auch die bewußtseinsexternen, also körperabhängigen Voraussetzungen gezählt werden müssen, die eine konkrete raum-zeitliche Identifizierung individueller Personen auch während ihrer Schlaf- und Traumzustände ermöglichen, ist damit der Begriff eines rein mentalen Überlebensinteresses bereits überschritten. Mit anderen Worten: Wenn die Einheit der menschlichen Person ein zeitübergreifendes Tötungsverbot begründen soll, darf diese nicht nur als ein Bündel bewußtseinsimmanenter Personphasen verstanden werden. Die Einheit der Person meint vielmehr jene mit sich identische, den zeitlichen Wechsel überdauernde Instanz, welche die einzelnen „Personphasen" als Momente ihrer zeitlichen Identität erfaßt und die jeweils aktuellen Bewußtseinsinhalte in die Einheit „ihres" Bewußtseins integriert.9

Zu den Schwierigkeiten einer rein ereignisontologischen Deutung des Personseins vgl. Honnefelder 1993, 246-265, bes. 256ff., und Rager 1997, 207-213.

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Schließlich zeigt der Gedanke advokatorischer Diskurse und einer stellvertretenden Interessenwahrnehmung, der uns aus anderen Zusammenhängen vertraut ist, daß der Präferenzutilitarismus selbst einen reduzierten Interessenbegriff vertritt. Als bei der Interessenerwägung zu berücksichtigende Gesichtspunkte kommen voraussetzungsgemäß nur aktuell empfundene und selbstgeäußerte Interessen in Frage; das mögliche Lebensinteresse eines Embryos, der dieses noch nicht selbst vertreten kann, bleibt von vornherein ausgeschlossen. Der Gedanke eines den Interessen der anderen unverfügbaren Lebensanspruchs, dessen Träger jeder Mensch unabhängig von seinem aktuellen Leistungsvermögen und dem Entwicklungsstand seiner empirischen Fähigkeiten ist, erscheint erst gar nicht auf der Liste abwägungsrelevanter Gegebenheiten. Der Begriff des Lebensrechtes wird definitorisch aufgelöst und kann in der Sphäre gegenseitiger Interessensabwägung, so wie deren präferenzutilitaristische Spielregeln sie vorsehen, überhaupt nicht berücksichtigt werden. Die beabsichtigte Interessenbilanzierung erreicht deshalb auch nur scheinbar den Standpunkt echter Gegenseitigkeit, den ein ethisches Urteil voraussetzt. Sie verbleibt unterhalb der Unparteilichkeitsschwelle, weil sie die möglichen Interessenkonflikte zwischen Geborenen und Ungeborenen, Gesunden und Behinderten einseitig aus der Perspektive der ersteren beschreibt und ihre Lösung somit unzulässig präjudiziert.

2. Der Zusammenhang von Menschenwürde, sittlichem Subjektsein und Spezieszugehörigkeit 2.1 Der doppelte Begriff der Menschenwürde Die gegenwärtige Debatte um das Verständnis der Menschenwürde bezeugt, daß ein öffentliches Bedürfnis nach philosophisch zu leistender Sinnorientierung erst dann aufbricht, wenn diese nicht mehr fraglos gelebt, sondern als Problem empfunden wird. Der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs, der die klaren Konturen des mit ihm Gemeinten verschwinden läßt, geht mit einer wachsenden Gefährdung der Menschenwürde in der modernen Lebenswelt einher, ohne daß er ihr wirksam Einhalt gebieten könnte. Von allen verwandt, drückt das Wort „Menschenwürde" doch längst keine gemeinsame Überzeugung über die verpflichtenden Inhalte oder auch nur die unerläßlichen Voraussetzungen eines gelungenen Menschseins aus. Ist es deshalb nur eine Leerformel, einzig dazu beschworen, den schwindenden Grundwertekonsens moderner Gesellschaften nicht offen zutage treten zu lassen? Oder umgekehrt das trojanische Pferd, in dessen Schutz die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen einschließlich der christlichen Kirchen unerkannt ihre weltanschaulichen Überzeugungen in die nationalen Gesetzgebungen einschmuggeln wollen? Die herausgehobene Stellung, die der Gedanke der Würde des Menschen in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen

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und in vielen modernen Verfassungen einnimmt, sichert noch kein einheitliches Verständnis, an dem sich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen orientieren könnten. Dazu ist vielmehr eine Unterscheidung im Begriff der Menschenwürde unerläßlich, deren strikte Beachtung erklärt, in welchem Sinn dieser als ein moralisches Argument gebraucht werden kann, das von jedem Standpunkt aus rational anerkennungsfähig ist. Der Gedanke der Menschenwürde kann, sofern er eine normative Funktion in dem Sinn haben soll, daß sie auch rechtlich einklagbar und durch Sanktionen geschützt ist, nur ein Minimalbegriff sein.10 Er enthält keinen erschöpfenden Hinweis auf alle Bedingungen, unter denen sich gelingendes Menschsein vollendet darstellt, sondern steckt nur den letzten, gegenseitig unverfügbaren Lebensraum ab, den Menschen einander zugestehen, die sich gegenseitig als freie Vernunftwesen achten. Dieser harte Kern der Menschenwürde-Vorstellung besteht in nichts anderem als in dem, was den Menschen allein zum Menschen macht: der Fähigkeit zum freien Handeln und zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung. Nur das letzte unhintergehbare „Residuum des Selbstseins" (Spaemann 2001 a, 117) begründet, warum der Mensch nicht nur ökonomischen Wert und gesellschaftlichen Nutzen, sondern auch „Würde" besitzt, die ihm als „Zweck an sich selbst" zukommt. „Also ist Sittlichkeit" - so heißt es bei Immanuel Kant- „und die Menschheit, sofern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat" (Kant 1903, 435).H Von der strikten Beschränkung auf die Fähigkeit zur Moralität bleibt eine zweite Bedeutung des Wortes „Menschenwürde" zu unterscheiden, wie sie sich seit der französischen Revolution im öffentlichen Sprachgebrauch herausgebildet hat. Wenn wir von „menschenwürdigen Zuständen" und der menschenwürdigen Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse oder auch individueller Lebensbereiche wie dem der Sexualität sprechen, gewinnt der Begriff „Menschenwürde" einen anderen Sinn. Er erweitert sich dann zu einer Maximaldefinition und wird zu einem sprachlichen Erinnerungszeichen, zu einer Abbreviatur unterschiedlichster anthropologischer Sinnoptionen, die sich in seinem Gewand verbergen. Beide Vorstellungen, die sich in unserer alltagssprachlichen Rede von der Würde des Menschen überlagern, können sich im Blick auf die moralische Aufgabe des einzelnen ergänzen, sie schließen sich in einem Punkt aber geradezu aus. In seinem strikten Sinn benennt der Gedanke der Menschenwürde eine kategorische Grenze, die jedem Versuch ihrer „Verwirklichung" in der zweiten, erweiterten Bedeutung gesetzt ist. Gerade weil wir uns in unseren offenen Gesellschaften über verpflichtende Inhalte eines „menschenwürdigen Lebens" nicht mehr verständigen können, müssen wir die Würde umso entschiedener respektieren, die nicht von unserer Übereinkunft abhängt, sondern die jedem gegenüber jedem unverfügbar gegeben ist. Keiner von uns verdankt seine menschliche Würde dem Einverständnis und der Zustimmung der anderen; sie wird in einer humanen Rechtsordnung nicht 10 Vgl. Spaemann 2001 a, bes. 115 ff. 11 Vgl. dazu bes. Wolbert 1987.

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gegenseitig zuerkannt und gewährt, sondern als das allen vorausliegende Fundament anerkannt. Um alle sprachliche Zweideutigkeit auszuschließen, müssen wir geradezu sagen: In ihrem eigentlichen Sinn kann Menschenwürde nicht „verwirklicht" oder „befördert", sondern nur geachtet und als bereits wirklich anerkannt werden. Nur in bezug auf das freie Selbstsein des einzelnen und seiner Lebensaufgabe gibt es überhaupt einen Sinn, von der Realisierung der Menschenwürde zu sprechen. Im Blick auf kollektive Programme und ihre Legitimation durch gesellschaftliche Mehrheiten umschreibt „Menschenwürde" nicht das Ziel, sondern die Grenzklausel, unter der aller politische und wissenschaftliche Einsatz für das Wohl der Menschen und eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse steht. An diese einschränkende Bedingung erinnert die Rede von der Selbstzwecklichkeit des Menschen: Er ist immer um seiner selbst willen zu achten und darf niemals um eines anderen willen - auch nicht um der Zukunft und Gesundheit künftiger Generationen willen - ausschließlich als Mittel zum Zweck geopfert werden. 2.2 Die naturale Basis der Menschenwürde Die strikte Beschränkung auf den normativen Kerngehalt der Menschenwürde schließt auch aus, sie an das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften oder das Erreichen einer erforderlichen Entwicklungsstufe zu binden. Wenn wir kraft eigenen Rechts als Menschen existieren und nicht durch den Willen der anderen zu Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft berufen werden, dann kann allein die naturale Zugehörigkeit zur biologischen Spezies, das Merkmal menschlicher Abstammung, den Ausschlag geben. Deshalb läßt sich auch die scharfe Trennungslinie nicht aufrechterhalten, die von den Vertretern des empiristischen Personbegriffs zwischen dem biologischen Faktum menschlichen Lebens und dem Personsein als „spezifischer Rollenkompetenz in moralischen Interaktionen" (Engelhardt 1987) gezogen wird.12 Wer die Zuerkennung unbedingter Achtung einem solchen Kompetenzurteil unterwirft, der bindet den Gedanken der Menschenwürde an das, was ein Mensch in den Augen der anderen, nicht allein von sich aus, aufgrund seines bloßen Daseins ist - und hat den Anspruch der Menschenwürde damit bereits im Ansatz eliminiert. Er verfehlt das merkwürdige anthropologische Urdatum, daß unser Menschsein in einer unhintergehbaren Weise an die Einheit unseres geistigen und leiblichen Lebens gebunden bleibt. Es ist dies, wie Augustinus und nach ihm Descartes gesehen haben, ein mit der menschlichen Natur selbst gegebenes und gleichwohl unerklärliches Faktum, das dem wissenschaftlichen Zugriff und allem erklärenden Eindringen in das Geheimnis des Menschseins eine Grenze setzt. „Die Weise, in der ein Geist mit einem Leib verknüpft ist, ist gänzlich wunderbar und kann vom Menschen nicht 12 Vgl. auch Engelhardts Hauptwerk, wo es heißt, Personsein und Menschenwürde seien an die Fähigkeit gebunden, Mitglied einer „moral community" oder der „community of all peaceable moral agents" zu sein (Engelhardt 1986, 44).

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begriffen werden - und doch ist gerade dies der Mensch" (Augustinus 1955, XXI, 10). Weil seine geistig-leibliche Einheit zu der anthropologischen Grundaussage gehört, die der Mensch selber ist, läßt sich die unbedingte Achtung, die wir dem Menschen als zu Freiheit und Verantwortung fähigem Vernunftwesen schulden, nicht von dem Respekt trennen, den wir seinem leiblichen Dasein entgegenzubringen haben. Für ein christliches Menschenbild, das sich aus seinen biblischen Wurzeln und auf dem Boden der aristotelisch-thomanischen Anthropologie als ganzheitliches Denken versteht, kann es keinen Zweifel daran geben, daß auch die leibliche Daseinsweise des Menschen an der Würde seiner Gottebenbildlichkeit teilhat. Aber auch im Gang der Philosophiegeschichte seit der europäischen Aufklärung ist der Gedanke immer schärfer hervorgetreten, daß freie Menschen, die sich in ihrem sittlichen Subjektsein achten, einander solche Achtung zuallererst in der Weise des Respekts vor der Unverletzlichkeit ihres körperlichen Daseins entgegenbringen müssen. In seinem „Opus postumum" stößt Kant, der den Menschen im Bannkreis der reinen Metaphysik zunächst nur als Bürger zweier Welten denken kann und seine Zugehörigkeit zur natürlichen Welt scharf von seiner moralischen Bestimmung als Vernunftwesen trennen muß, zur Einsicht vor, daß die Leiblichkeit des Subjekts im Begriff des Menschen immer schon mitgedacht ist. Der Organismus seines natürlichen Lebens erscheint dabei als der notwendige Außenraum des Denkens, der diesem den Zugang zur Welt eröffnet. Die philosophische Vernunft kann nun nicht mehr hinnehmen, woran sie sich seit Descartes gewöhnt hatte: daß der Leib des Menschen ganz mit den materiellen Dingen der natürlichen Welt auf eine Seite gestellt wird. Der Leib muß vielmehr auch nach der neuzeitlichen Wende zum Subjektstandpunkt des Denkens als eine Erscheinungsweise der Subjektivität gedacht werden, wie es Kant im Begriff der notwendigen „Vernunftorgane" des Erkennens und Handelns erstmals versucht.13 Später führt dieser aus den Ursprüngen der aufgeklärten Vernunft hervorgehende Denkweg bei Fichte zur Konzeption des Leibes als einer „Tatsache des Bewußtseins", durch die sich das Ich das Medium seiner Weltbegegnung und seiner Wirksamkeit auf die materielle Welt „bildet".14 Der Leib wird so als Ausdruck der Subjektivität des Menschen, als ihre Mitteilung und Sichtbarmachung in der körperlichen Welt verstanden. Am Ende kehrt dieser Gedanke bei Hegel aus seinen transzendentalphilosophischen Höhen wieder in die praktische Ethik und Rechtsphilosophie zurück: Weil das Ich in der realen Welt nicht anders denn als „Leib" existiert, erscheint in ihm das konkrete „Dasein der Freiheit", ihr notwendiger Schutzraum, in dem sie der Welt der anderen gegenübertritt. Ich selbst kann mich von meinem Körper distanzieren, kann versuchen, ihm die Richtung meines moralischen Wollens aufzuprägen und ihn in freier Selbstaneignung „in Besitz nehmen". Der andere aber kann nicht in dieser Wei13 Vgl. Kaulbach 1980, Sp. 180-182. 14 Vgl. Fichte 1971, 596-609.

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se zwischen mir und meinem Leib unterscheiden, für ihn bin ich nur in meinen Körper gegeben und nur durch ihn frei. „Ich kann mich aus meiner Existenz in mich zurückziehen und sie zur äußerlichen machen, die besondere Empfindung aus mir heraushalten und in den Fesseln frei sein. Aber dies ist mein Wille, für den anderen bin ich in meinem Körper." Deshalb gilt im Gegensatz zu der Einschränkung, die ich meinem Körper auferlege, für die anderen der strikte Grundsatz: „Meinem Körper von anderen angetane Gewalt ist Mir angetane Gewalt" (Hegel 1999, §48). Aus der Perspektive der anderen ist das Im-Leibsein die unhintergehbare Grundsituation meiner Freiheit, ihre konkrete Repräsentation in unserer gemeinsamen Welt, so daß wir untereinander den Respekt vor unserer Freiheit nicht anders denn als Achtung vor unserer körperlichen Existenz zum Ausdruck bringen können. Die Besinnung auf den anthropologischen Status des Menschen als geistigleibliche Einheit wirft aber auch Licht auf eine Differenz, die sich zwischen uns und unserem Leib auftut. Für den anderen bin ich nur in meiner leiblichen Existenz wirklich; er kann aus seiner Außenperspektive nicht zwischen meinem Personsein und meinem körperlichen Dasein trennen. Auch ich selbst erfahre mich in allen meinen Lebensäußerungen - vom Hungergefühl über meine seelischen Bedürfnisse bis zu den geistigen Tätigkeiten mit meinem Leib verbunden - in der Krankheit sogar schmerzlich an ihn gebunden. Aber zum Erleben meines Leibes gehört auch, daß ich nicht mit ihm identisch bin. Wir sind dem Rhythmus unseres Leibes und seiner natürlichen Ansprüche nicht einfach ausgeliefert, wir hören nicht nur auf die Signale unseres Leibes, sondern dieser vermag auch die Stimme unseres Inneren zu hören und in seinen Ausdrucksgebärden zur Darstellung zu bringen. Das Verhältnis zu unserem Leib ist kein Besitzverhältnis wie zu den materiellen Dingen unserer äußeren Welt, aber wir „sind" auch nicht unser Leib, sosehr dieser immer „unser" Leib ist. Die Beziehung zwischen dem Ich und seinem Leib steht - in den Worten von Gabriel Marcel gesagt - zwischen dem Haben und dem Sein, und aus eben dieser Zwischenstellung erwächst unsere Freiheit auch gegenüber dem Leib. Wir haben im Umgang mit unserer körperlichen Existenz einen eigenen Spielraum, den wir im Verlauf unserer Lebensgeschichte durch die Kultivierung unseres affektiven Lebens und im Erleiden äußerer Einflüsse mehr und mehr ausfüllen. Unsere persönliche Identität wird durch das biologische Erbe unserer Natur nicht restlos determiniert, sondern sie geht in einem dynamischen lebensgeschichtlichen Prozeß aus einem Wechselspiel von Anlage und Umgebung, biologischer Vorgabe und kultureller Prägung hervor. Diese doppelte Einsicht eröffnet den anthropologischen Horizont, in dem die Erkenntnisse der modernen Humanbiologie über den Beginn des menschlichen Lebens auf ihre normativen Konsequenzen für den Eintritt seiner Schutzwürdigkeit befragt werden müssen.

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2.3 Die Schutzwürdigkeit des Embryos a.

Die Suche nach einem Standpunkt unparteiischer Gerechtigkeit zwischen ungeborenen und geborenen Menschen

Wir wollen die Frage nach dem Beginn der Schutzwürdigkeit des individuellen Menschenlebens, die im Untersatz und in der Konklusion des Speziesargumentes behandelt wird, anders als die beiden vorangehenden Aspekte, nicht durch eine allgemeine Reflexion über die wesentliche Zusammengehörigkeit von Freiheit und Würde, Vernunft und Natur entfalten. Wir stellen uns ihr vielmehr im Blick auf die dem Menschen durch die modernen Biotechniken zugewachsenen Manipulationsmöglichkeiten. Sie haben die Grenzlinie, auf der die Entscheidung über Anerkennung oder Verweigerung der Menschenwürde fällt, weit nach vorn geschoben, in den Bereich des nur mikroskopisch Wahrnehmbaren, in dem die Verletzung fundamentaler Rechte des Menschen so frühzeitig und verborgen stattfindet, daß sie von vielen als solche nicht mehr erkannt wird. Um in diesen sublimen Grenzfällen nicht der Problemlosigkeit des Augenscheinlichen zu verfallen, müssen wir uns einer doppelten Einsicht vergewissern, die das philosophische Nachdenken über die Natur schon in seinen frühen Ursprüngen erreicht hat. Die erste besteht darin, daß die Natur das, was in ihr an normativen Ansprüchen bereitliegt, nicht von sich aus zu erkennen gibt. Nur durch die Vernunft des Menschen, der die Sinnpotentiale auslotet, die im natürlichen Strukturplan des Lebens vorgezeichnet sind, tritt zutage, was es mit unserer Natur „eigentlich" auf sich hat. Nicht schon aufgrund ihres natürlichen Ursprungs, sondern erst als durch die Vernunft erkannt, verweist die Natur auf die für das Menschsein des Menschen verbindlichen Ansprüche. Es macht geradezu die „Natur" des Menschen aus, daß nur seine Vernunft ihm sagt, was für ihn das „Natürliche" ist. Auf der Stufe des Menschen ist das Natürliche das Vernünftige und umgekehrt. Die zweite Einsicht besagt, daß der verbindliche Anspruch des „Guten" nur von einem gemeinsamen Standpunkt aus erkannt werden kann. Nur das koinon agathon, das gemeinsame Gute, kann das Vernünftige sein. „Das Gute, wenn es an den Tag kommt, ist allen gemeinsam" (Platon 1993, 506a). Das Vernünftige als das allen Natürliche kann nicht durch subjektive Einsicht des einzelnen in eine partikulare Konzeption des guten Lebens, sondern nur von einem gemeinsamen Gerechtigkeitsstandpunkt oberhalb der jeweiligen Interessen und partikularen Güter aus erkannt werden.15 Wo es nicht allein um die private Lebensführung autonomer Individuen, sondern um die Rechte der von einer moralischen Konfliktsituation Betroffenen geht, läßt sich diese nicht mehr durch die liberale Konfliktlösungsstrategie beantworten, nach der sich alle gegenseitig uneingeschränkte Handlungsfreiheit entsprechend dem jeweiligen Selbstkonzept 15 Vgl. Spaemann 2001b, bes. 139.

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einräumen. Die Anerkennung von Rechten, die einzig moralisch akzeptable Auflösung eines genuinen Gerechtigkeitskonflikts, kann nicht wiederum in das subjektive Belieben autonomer Individuen gestellt sein, wenn die Gefahr einer einseitigen Interessendurchsetzung unter dem Deckmantel selbstdefinierter moralischer Ideale ausgeschlossen werden soll. Ein solcher Unparteilichkeitsstandpunkt, von dem aus sich über den Beginn der Schutzwürdigkeit des embryonalen Lebens urteilen läßt, muß deshalb beide Perspektiven umschließen - die der bereits Geborenen und die derer, die noch Zygoten, noch Embryonen oder noch Föten sind. Die für den moralischen Status des Embryos entscheidende Frage, ob menschliche Zygoten, von denen etwa 30-40 Prozent die Chance besitzen, sich als menschliche Individuen weiterzuentwickeln, in den Schutzbereich der Menschenwürde fallen, läßt sich also von dem partikularen Interessenstandpunkt bereits lebender Personen aus gar nicht „vernünftig" entscheiden. Selbst die Gesamtheit aller schon Geborenen bliebe in ihrem einmütigen Urteil noch immer in einer subjektiven Interessenlage gegenüber den Nachkommenden gefangen, wenn sie diesen aufgrund dessen, daß sie nur „mögliche" Personen sind, die Achtung der Menschenwürde versagen wollte. Der bekannte Bioethiker Tristram Engelhardt versucht diesen Standpunkt rational zu rechtfertigen, indem er aus der nur 40 % Wahrscheinlichkeit des späteren Personseins menschlicher Embryonen den weitreichenden Schluß zieht, daß man „keine Person verletzt, wenn man das Seiende nicht bewahrt oder den Körper abtreibt, aus dem sie sich entwickeln würde" (Engelhardt 1987).16 Aber er verbleibt mit dieser Argumentation in einer partikularen Perspektive befangen und erreicht nicht die Ebene gemeinsamer Vernunft, von der aus sich ein Interessenkonflikt zwischen „möglichen" und „wirklichen" Personen gerecht entscheiden ließe. b. Die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle als biologischer Anknüpfungspunkt Gemäß den gesicherten Erkenntnissen der modernen Entwicklungsbiologie und Genetik können wir den Zeitpunkt, an dem das individuelle Menschenleben beginnt, innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden recht präzise benennen. Mit der Konstitution des neuen Genoms, die durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle erfolgt, ist die Individualität eines neuen Menschen auf der Ebene seines genetischen Entwicklungspotentials entstanden. Der Umstand, daß die Befruchtung sich als ein zeitlich gedehnter Prozeß darstellt, der mit dem Vorkernstadium beginnt und nach spätestens 24 Stunden seinen Abschluß erreicht, darf nicht dazu verleiten, die Bedeutung dieses Endpunktes der Befruchtungskaskade zu nivellieren: Mit der Konstitution des Genoms ist der 16 Vgl. Engelhardt 1987, 111: „It follows from these consideration that one harms no person by not conceiving the entity or by aborting the body from which it would develop."

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Schritt zu einem neuen Menschen vollzogen. Von diesem Zeitpunkt an ist der Embryo sowohl artspezifisch (als Mensch) wie auch individualspezifisch (als dieser Mensch) festgelegt, ohne daß seine weitere Entwicklung Zäsuren aufweist, die dieses grundlegende Charakteristikum des individuellen Menschseins in Frage stellen oder verändern könnten. Durch die Neukombination des individuellen Genoms, die aus den mütterlichen und väterlichen Anteilen nach dem Zufallsprinzip erfolgt, entsteht auf wunderbare Weise ein neues menschliches Wesen; der qualitative Sprung der Menschwerdung steht am Anfang des gesamten embryonalen Entwicklungsprozesses. In den späteren Gefahrenzonen, vor allem bei der Nidation, geht es dagegen nicht mehr um den erstmaligen Schritt der Menschwerdung, sondern darum, daß eine bereits gebildete menschliche Existenz sich durchträgt und ihr Entwicklungspotential weiter entfalten kann. Auch im weiteren Verlauf der Embryogenese kann die sprachliche Benennung unterschiedlicher Entwicklungsphasen nur den Sinn haben, fließende Übergänge oder neu einsetzende Entwicklungsschübe zu kennzeichnen; auf diese Weise werden „Parameter der Reifungsvorgänge" festgelegt, aber nicht ein reales Durchschreiten diskreter Entwicklungsstufen behauptet.17 Die Annahme einer nicht von Anfang an gegebenen, sondern erst graduell einsetzenden Schutzwürdigkeit des embryonalen Lebens kann sich daher nicht auf die biologische Entwicklung selbst, sondern nur auf externe Festlegungen berufen, die an dieser keinen Anhaltspunkt finden. Dagegen stellt der Zeitraum zwischen dem Beginn und dem Abschluß der Befruchtungskaskade den plausibelsten Anknüpfungspunkt für den Eintritt der Schutzwürdigkeit dar, die unter den normativen Voraussetzungen unserer Rechtsordnung jedem Menschen zukommt. Sofern zwischen Anfang und Ende des BefruchtungsVorganges 24 Stunden liegen, handelt es sich auch dabei unvermeidlich um eine Festlegung; da diese jedoch innerhalb des engen Zeitkorridors getroffen wird, der von den derzeitigen entwicklungsbiologischen Erkenntnissen her offenbleibt, stellt er von allen denkbaren „Zuschreibungen" die „willkürärmste" (Wolfgang Huber) dar. c.

Der Vorwurf eines neuen Biologismus

Wer auf die dargelegte Weise in der einheitlichen und vollständigen genetischen Information, über die der neue Mensch vom Anfang seiner Existenz an verfügt, die ausreichende Basis für den sofortigen Eintritt seiner Schutzwürdigkeit anerkennt, sieht sich dem Vorwurf eines angeblichen Biologismus ausgesetzt. Was ist damit gemeint? Die personale Identität des Menschen läßt sich, wie die Reflexion auf die Tragweite der biologischen Natur des Menschen zeigte, zwar nicht auf seine genetische Individualität reduzieren, doch bestimmt diese den biologischen Spielraum, den er in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt 17 Vgl. dazu Rager 1994, 82.

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und durch seine eigenverantwortliche Lebensführung ausfüllen kann. Die in der Diskussion um den ontologischen und moralischen Status des Embryos strittige Frage lautet nämlich nicht, ob das genetische Erbe den Menschen erschöpfend definiert, sondern welche Bedeutung ihm für dessen künftige Existenz zukommt. An diesem Punkt erweist sich die Antwort Kants nach wie vor als gültig: Gerade weil wir uns von dem Geschehen, wie aus den biologischen Vorgängen von Zeugung und Befruchtung ein mit Freiheit begabtes Wesen hervorgeht, keine Vorstellung machen können, müssen wir das biologische Substrat dieser Entwicklung durch die Gewährung aller notwendigen Förderung und Hilfe schützen.18 Der Vorwurf des Biologismus geht an dieser Überlegung vorbei, denn er verkennt ihre anthropologische Pointe. Diese zielt auf die unhintergehbare Leibgebundenheit menschlicher Freiheit und die naturalen Voraussetzungen, unter denen die eigenständige Wirklichkeit des Geistes hervortreten kann. Keineswegs darf eine solche transzendentale Reflexion über die Bedeutung der Leiblichkeit für das praktische Sein des Menschen mit dem in der Tat irreführenden Versuch verwechselt werden, die individuelle Verwirklichung von Freiheit und moralischer Selbstbestimmung aus ihren angeblichen biologischen Determinanten zu erklären oder sie vollständig aus dem genetischen Erbe abzuleiten. d. Die normative Konsequenz: voller Schutz auch der Anfangsphasen menschlicher Existenz Interpretiert man die aufgezeigte wissenschaftliche Erkenntnislage im Licht der Einsicht in die anthropologische Verfassung des Menschen, so ergibt sich aus der normativen Prämisse von der jedem Menschen eigenen Würde: Menschliches Leben steht von Anfang an, d. h. ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, unter dem Schutzbereich der Menschenwürde. Diese gebietet die Achtung des Daseins eines jeden Menschen um seiner selbst willen. Insofern das Leben die unhintergehbare Voraussetzung moralischer Selbstbestimmung ist und als die existentielle Grundlage für das Werden und die Entfaltung der Person angesehen werden muß, kommen Würde, Lebensrecht und Schutz jedem Menschen vom Ursprung seiner Existenz an zu. Für das Leben menschlicher Embryonen bedeutet dies, daß sie auch in der Frühphase ihrer Existenz einer Güterabwägung entzogen bleiben müssen. Da es auf Seiten des Embryos nicht um ein Mehr oder Weniger an zumutbaren Beschränkungen, sondern um das Ganze der Existenz geht, bietet die Konzeption einer graduellen Schutzwürdigkeit ihm im Zweifelsfall gerade keinen Schutz. Eine Güterabwägung mit den Interessen anderer Menschen, in die andere Gesichtspunkte als das Leben selbst einfließen sollen, liefe daher auf eine willkürliche Ungleichbehandlung hinaus, die durch den Gleichheitsgrundsatz ausgeschlossen bleibt.

18 Vgl. Kant 1907, §28 (AB 112 f.).

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Aber selbst wenn es überhaupt statthaft wäre - was einmal hypothetisch angenommen sei -, unter allem biologisch artgleichen, menschlichen Leben eine Auswahl hinsichtlich der Zuerkennung menschlicher Würde zu treffen, müßte ein solches Selektionskriterium von allen möglicherweise Betroffenen anerkannt werden können. Wem diese Forderung uneinsichtig erscheint, der versetze sich in einem kurzen Gedankenexperiment nur einmal um die Zahl der Jahre seiner eigenen Lebenszeit an den Punkt zurück, an dem er selbst noch vor der 40-Prozent-Schwelle stand und der Ausgang des embryonalen Entwicklungsprozesses/Ar ihn noch offen war. Aus dieser Perspektive kann die Antwort nur lauten: Das einzige Selektionskriterium, dem wir auch dann zustimmen können, wenn der „Schleier des Nichtwissens" (J. Rawls) noch über unserer eigenen Zukunft liegt, ist das durch die Natur selbst zur Anwendung gebrachte, mögen wir es nun „Zufall", „Wunder" oder „Schicksal" nennen. Von uns Menschen aus, aufgrund unserer gemeinsamen Vernunft aber läßt sich nicht rechtfertigen, warum wir einer befruchteten Zygote, die bereits die volle Potentialität ihrer menschlichen Existenz in sich trägt, im Anfangsstadium ihrer Entwicklung die Anerkennung verweigern dürften, die wir ihr an ihrem Ende selbstverständlich schulden. Wir müssen also retrospektiv, von unserer gegenwärtigen Inanspruchnahme der Menschenwürde aus, nach unseren eigenen naturalen Herkunftsbedingungen fragen, um die Schutzwürdigkeit bereits der Anfangsphasen menschlichen Lebens zu erkennen. Wir alle waren einmal Embryonen, und unsere heutige Existenz steht in einem unauflöslichen Zusammenhang mit der Tatsache, daß wir bereits zum damaligen Zeitpunkt, als unsere Weiterexistenz biologisch ungesichert war, in unserem selbstzwecklichen Dasein geachtet wurden. Wenn wir heute als moralische Subjekte und Träger unveräußerlicher Menschenrechte voreinander Anerkennung fordern, so müssen wir sie nach dem Gesetz der Gleichursprünglichkeit auch denjenigen einräumen, die sich zum jetzigen Zeitpunkt in unserer damaligen ungesicherten Lage befinden, in der Schutz, Hilfe und Förderung erfahren zu haben wir heute begrüßen. e.

Die ontologische Frage: In welchem Sinn kann der Embryo Person genannt werden?

Ob dem menschlichen Embryo Menschenwürde und somit der Anspruch auf Lebensschutz und Förderung zukommt, hängt also nicht von fragwürdigen ontologischen Prämissen oder davon ab, ob man den Acht- oder Sechszehnzeller schon als Person bezeichnen kann. Entscheidend ist vielmehr, daß die Menschenwürde und die aus ihr abgeleiteten Schutzansprüche jedem menschlichen Individuum von sich aus zukommen und daher, sollen sie nicht von uns aus willkürlich eingegrenzt werden, auch die noch ungesicherten Anfangsphasen seiner Existenz umgreifen müssen. Nochmals sei betont, daß diese praktische Schlußfolgerung allein auf die unter dem Postulat der Gerechtigkeit stehenden Anerkennungsverhältnisse zwischen uns und unseren Nachkommen Bezug nimmt

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und daher auch dann gültig bleibt, wenn wir die Frage nach dem ontologischen Status des Embryos unbeantwortet lassen müssen.19 Die möglichen Zweifel am Personsein des Embryos, so lautet diese gerechtigkeitstheoretische Rekonstruktion des tutioristischen Prinzips, dürfen nicht zur willkürlichen Einschränkung seiner Menschenwürde führen, weil kein Mensch einem positiven Rechtfertigungszwang für sein eigenes Dasein unterliegt. Im Kern läuft dies auf eine Fairneßregel zur Beweislastverteilung hinaus, die gemäß dem metaphysischen Sparsamkeitsprinzip weitergehende Fragen nach dem ontologischen Status des Embryos offenlassen kann. Dennoch sei wenigstens in Kürze angedeutet, in welcher Richtung diese ontologische Frage einer Lösung zugänglich sein kann. Sie hängt davon ab, wann ein Seiendes „der Möglichkeit nach" ist und wann nicht. Wie Aristoteles im neunten Buch seiner Metaphysik aufzeigt, hat diese Frage überhaupt nur Sinn, wenn es Mögliches gibt, das dem Seienden nicht konträr als reines Nicht-Sein gegenübersteht, sondern selbst eine Modalität des Seienden ist. Aristoteles zeigt auf, daß wir nicht alle noch nicht aktualisierten Möglichkeiten zur Seite des Nicht-Seienden rechnen dürfen, sondern im Begriff des „Möglichen" eine Unterscheidung vornehmen müssen. Es gibt das nur in Gedanken Mögliche - das Haus, das ein Baumeister vielleicht einmal errichten oder das Kind, das irgendwer einmal zeugen wird. Daneben gibt es aber auch das bereits angelegte, schon im Werden begriffene „Mögliche", für das Aristoteles auf ein Haus, zu dem der Grundstein schon gelegt ist oder auf das Kind verweist, das bereits gezeugt wurde. Nur das im zweiten Sinn Mögliche erfüllt den vollen Begriff der Potentialität, der nicht nur die passive Potenz, etwas anderes zu werden, sondern die aktive Entfaltungspotenz eines bereits angelegten Seins meint. Von einem solchen Seienden gilt, daß es das Prinzip seines Werdens, seine arche, in sich trägt und „wenn nichts von außen hindert, durch sich selbst sein wird" (Aristoteles 1991, Kap. 7, 1049alO). Sofern das Personsein, wie die Kritik an einem empiristischen Personverständnis im ersten Teil gezeigt hat, keine steigerungsfähige, an ein Mehr oder Weniger aktualer Eigenschaften gebundene Größe meint, sondern eine transempirische Wirklichkeit bezeichnet, die durch Selbststand und Selbstursprünglichkeit gekennzeichnet ist, erscheint der Begriff „Person" auf 19 Das Lehramt der katholischen Kirche betont daher zurecht, daß es sich „nicht ausdrücklich auf Aussagen philosophischer Natur festlegt", wenn es die unbedingte Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens von Anfang an bekräftigt: „Deshalb erfordert die Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an, also von der Bildung der Zygote an, jene unbedingte Achtung, die man dem menschlichen Wesen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit sittlich schuldet. Ein menschliches Wesen muß vom Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden und infolge dessen muß man es von diesem selben Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen menschlichen Wesens auf Leben." (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung I, l - zit. nach Wehowsky 1987, 11).

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menschliche Individuen unabhängig von ihrem Alter und Entwicklungsstand sinnvoll anwendbar. Der Embryo ist unter diesen ontologischen Voraussetzungen keine potentielle Person, sondern - da ein Mehr oder Weniger nicht das Personsein selbst, sondern nur die Entfaltung seiner aktualen Merkmale betrifft - eine Person, die ihre künftigen Fähigkeiten und Eigenschaften sowie ihre später wahrnehmbaren Gestalten der Anlage nach in sich trägt.

3. Rückblick und Ergebnis: Die Einheit von Person und Natur Die kritischen Einwände, die im ersten Teil gegen das präferenzutilitaristische Personkriterium erhoben wurden, lassen sich abschließend den Überlegungen gegenüberstellen, die uns im zweiten Teil zur Einsicht in die naturale Basis der Menschenwürde und den Zusammenhang zwischen Gattungszugehörigkeit und der Fähigkeit zum sittlichen Subjektsein führten. Die logischen Klassifikationsfehler, das reduktive Seinsverständnis, die Verwechslung der Person mit ihren Eigenschaften, die unzureichende Beachtung der Identitätsproblematik und der halbierte Interessenbegriff verraten einen latenten Dualismus, in dem das anthropologische Grunddefizit der präferenzutilitaristischen Ethik hervortritt. Dieser Dualismus zeigt sich bereits in der definitorischen Vorentscheidung, die allein kognitive und volitive Fähigkeiten als moralisch relevante Eigenschaften eines Lebewesens zuläßt, während dessen körperliche Entwicklungsphase als rein biologische Faktizität betrachtet wird. Eine solche Sichtweise wird der anthropologischen Bedeutung der leib-seelischen Einheit des Menschen in keiner Weise gerecht. Ein Personverständnis, das der konkreten Leiblichkeit des Menschen keine Beachtung schenkt, bleibt abstrakt; es verfehlt die unhintergehbaren Existenzbedingungen konkreter Personen, zu denen - jedenfalls soweit es sich um endliche Personen handelt - die konstitutiven Dimensionen der Zeitlichkeit und Leiblichkeit gehören. Der Hinweis auf die leib-seelische Einheit der Person beruht weder auf einer emphatischen Überschätzung der Heiligkeit des Lebens, noch entspringt er einem Sonderweg der jüdisch-christlichen Tradition; er bezeichnet vielmehr die anthropologische Grundverfassung der menschlichen Person, die auch von säkularen Ethikentwürfen angemessen reflektiert werden muß. Seit dem späten Deutschen Idealismus und der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts hat die philosophische Anthropologie immer schärfer herausgearbeitet, daß der Leib und das physische Leben keiner dem personalen Selbstvollzug des Menschen äußerlichen Sphäre zugehören, die in einer rein instrumentellen Beziehung zu seiner Bestimmung als moralischem Subjekt steht. Der Leib ist vielmehr das konkrete Ausdrucksmedium, in dem sich die menschliche Person in allen ihren Akten, also auch im Selbstvollzug des Geistes, notwendig darstellt. Der Mensch muß daher auch unter dem Aspekt seiner moralischen Handlungsfähigkeit als leib-seelische Einheit betrachtet werden, weil er sich in seinem Vermögen zur moralischen Selbstbestimmung gar nicht anders als in sei-

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nem Leib und durch seinen Leib gegeben ist. Der Speziesismus-Vorwurf verkennt daher die Bedeutung, die unsere Zugehörigkeit zur menschlichen Natur für unser konkretes Personsein besitzt. Zwar gilt der Respekt vor der Würde des Menschen und der Akt unserer gegenseitigen Anerkennung dem Vermögen zur moralischen Selbstbestimmung, dem auch das klassische Personverständnis zentrale Bedeutung einräumt. Doch folgt daraus gerade nicht, daß Leiblichkeit und Naturzugehörigkeit nichts anderes als bloße Faktizitäten sind, die in moralischer Hinsicht irrelevant bleiben. Da Leiblichkeit und Zeitlichkeit zu den notwendigen Bedingungen der Subjekthaftigkeit und moralischen Handlungsfähigkeit des Menschen gehören, darf der Respekt vor seiner Personwürde nicht erst der vollen Ausprägung von Selbstbewußtsein, Rationalität und aktueller Selbstverfügung entgegengebracht werden; er muß vielmehr auch das gesamte zeitliche Kontinuum und das leibliche Ausdrucksfeld umfassen, das die geistigen Selbstvollzüge der Person trägt und ermöglicht. Das aber heißt: Wir achten einen anderen Menschen nur dann, wenn wir ihn in der konkreten Gestalt anerkennen, in der er uns begegnet, sei dies als gesunder Mensch auf der Höhe seiner persönlichen Attraktivität und beruflichen Leistungsfähigkeit, sei es als kranker, behinderter, sterbender oder noch ungeborener Mensch in der äußersten Verletzlichkeit seines leiblichen Daseins. Deshalb beruht auch das Grundprinzip einer humanen Lebensethik, nach dem wir dem menschlichen Leben von seinem Anfang bis zum Ende in jeder Form, in der es uns entgegentritt, die gleiche Achtung schulden, nicht auf einer partikularen religiösen Einstellung, sondern auf dem Respekt, den wir in unserer demokratischen Rechtskultur der Freiheit und der Selbstbestimmung jedem einzelnen Menschen entgegenbringen. Die eingangs gestellte Frage, ob alle Menschen Personen sind, läßt sich im Lichte unserer Überlegungen zur Einheit von Person und menschlicher Natur nun eindeutig beantworten: Wenn Natur und Person, Leib und Ich, biologisches Individuum und moralisches Subjekt konkret immer nur als untrennbare Einheit gegeben sind, so erfordert bereits die Zugehörigkeit eines Individuums zur menschlichen Art, seine unantastbare Würde und die aus ihr folgende Schutzwürdigkeit uneingeschränkt und in jedem Fall anzuerkennen. Gleichgültig ob es sich um einen gesunden, sich aktuell als handlungsfähiges Subjekt darstellenden Menschen, oder um einen Embryo, einen komatösen Patienten oder einen an Altersdemenz Erkrankten handelt, wir achten ihn als Mensch nur dann, wenn wir ihn so annehmen, wie er uns von sich aus entgegentritt. Die in der philosophischen Tradition angelegte Verdoppelung der Begriffe „Mensch" und „Person", die in der gegenwärtigen Ethikdebatte oftmals unnötige Konfusionen erzeugt und dazu zwingt, die beiden im Ergebnis übereinstimmenden Argumentationsgänge getrennt zu verfolgen, bestätigt dies unter anderem Vorzeichen. Denn Personsein meint nicht eine zum Menschsein hinzutretende Eigenschaft, die wir denen zubilligen, die unseren Leistungserwartungen entsprechen. Das Wort „Person" bezeichnet vielmehr einen unserer Bewertung entzogenen und daher für uns unverfügbaren Anspruch, den wir in jedem Menschen

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anerkennen müssen, auch wenn er die augenscheinlich wahrnehmbare Gestalt des Menschen noch nicht erlangt hat oder diese nur noch in eingeschränkter Weise besitzt.

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Wehowsky, Stephan (1987) (Hrsg.): Lebensbeginn und menschliche Würde, Frankfurt a. M. Wolbert, Werner (1987): Der Mensch als Mittel und Zweck. Die Idee der Menschenwürde in normativer Ethik und Metaethik, Münster.

Reinhard Merkel Contra Speziesargument: Zum normativen Status des Embryos und zum Schutz der Ethik gegen ihre biologistische Degradierung Das Spezies-Argument in seiner „Grundform" leitet aus der biologischen Zugehörigkeit des Embryos zur menschlichen Spezies dessen Status als Inhaber der speziestypischen Grundrechte ab. Damit impliziert es einen Sein-Sollen-Fehlschluß und ist deshalb ungültig. Denn auch in den gänzlich zweifelsfreien Fällen des (geborenen) Menschseins fundiert nicht die biologische Beschaffenheit eine Grundrechtsträgerschaft des Menschen; allein bestimmte speziestypische Eigenschaften, die moralisch schutzbedürftig und -würdig sind, können dies. Frühe Embryonen weisen keine einzige dieser Eigenschaften auf. Ihr Einbezug in die Schutzsphären von Moral und Recht kann daher nur über eine zusätzlich herangezogene Norm erfolgen, die prinzipiell solidarischer Provenienz ist. Ein solcher Einbezug ist moralisch geboten. Doch läßt sich auf diesem Weg mit schlüssigen Argumenten kein genuin subjektives Recht (wie das auf Leben oder Schutz der Menschenwürde) beglaubigen. Nur die weitaus schwächere Form eines bloß objektiven Schutzes kann so begründet werden. Zwar wird letzterer über Erwägungen zum gesellschaftlichen Normenschutz verstärkt. Bringt man jedoch das so begründete Schutzgebot gedanklich (oder wirklich) in die Lage einer Kollision mit schutzbedürftigen Interessen geborener Menschen, so zeigt sich, daß es von erheblich geringerem Gewicht ist. Universal geteilte moralische Intuitionen demonstrieren nachdrücklich, daß die Auflösung solcher Kollisionsfälle allein zu Lasten des Embryos zulässig ist. Ein derart deutlich schwächeres Schutzgebot darf aber nicht hinter der irreführenden Maske zugeschriebener Grund- und Menschenrechte unkenntlich gemacht werden. Denn in keinem Konfliktfall vermöchten sie nur annähernd zu halten, was sie versprechen. Damit wären sie Grundrechte zweiter Klasse, und das bedeutet: eine Desavouierung der fundamentalen Normen unseres Gemeinwesens. Der Grundrechtsschutz des Embryos ist also nicht nur nicht geboten; er ist in Wahrheit moralisch nicht erlaubt.

1. Vorbemerkung: Terminologisches Ich werde im folgenden öfter von „subjektiv moralischen Rechten" oder kurz von „moralischen Rechten" sprechen. Gemeint sind damit genuin subjektive Rechte moralischer Natur. Der Begriff des Rechts ist dabei angelehnt an den des juridischen Rechts, deckt sich aber nicht mit diesem.1 „Subjektives (moralisches) l

Er ist vor allem, was den normativen Gehalt angeht, fundamentaler als der des juridischen Rechts. Zwar haben Normen des Rechts und der Ethik unterschiedliche Funktionen, haben (zwischen äußerer Handlung und innerer Gesinnung) gewissermaßen unterschiedliche Adressaten in der Person des Normunterworfenen, stehen unter un-

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Recht" besagt, daß die Respektierung des von ihm geschützten Wesens schon und allein um seiner selbst willen (und nicht nur wegen der Interessen Dritter) moralisch geboten ist; „genuin" heißt, daß dieses Gebot moralisch zwingend ist. Man kann aber, und dies soll damit angedeutet sein, auch dann, wenn es eine solche zwingende moralische Verpflichtung nicht gibt, subjektive Rechte gleichwohl zuschreiben. Die Reichweite des Schutzes solcher zugeschriebenen Rechte mag dann der von genuin subjektiven Rechten entsprechen und in demselben Umfang zu garantieren sein. Die Rechtsordnung kann dies übrigens auch mit juridischen Rechten tun, sie etwa Verbänden, juristischen Personen oder Tieren zuschreiben. Von den genuin subjektiven Rechten unterscheiden sich zugeschriebene Rechte hinsichtlich der Verpflichtungskraft ihrer normativen Grundlagen: Während die Gründe für genuin subjektive Rechte moralisch zwingend sind, läßt sich über die Zuschreibung von Rechten streiten. Da sie keine zwingenden Gebote der Respektierung eines Wesens um seiner selbst willen sind, bedürfen sie guter anderer Gründe, um als Verpflichtungen für Dritte legitimierbar zu sein.

2. Das Argument und seine möglichen Varianten Das Speziesargument ist, jedenfalls in seiner Grundform, sehr einfach: Der Schutz des Tötungsverbots in Gestalt eines genuinen moralischen Rechts müsse für den Embryo schon deshalb gelten, weil er biologisch der Spezies Homo sapiens sapiens angehöre. Da alle geborenen Angehörigen dieser Spezies zweifellos ein Grundrecht auf Leben haben, gebiete das Prinzip der Gleichbehandlung den gleichen Schutz des Embryos. In dieser Grundform läßt sich das Argument formal etwa folgendermaßen darstellen: (1) Jedes Mitglied der Spezies Mensch hat Würde und daher ein Recht auf Leben. (2) Jeder menschliche Embryo ist Mitglied der Spezies Mensch. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Würde und daher ein Recht auf Leben. 2.1 Das Argument stützt sich ersichtlich nicht nur auf eine faktische, sondern auch auf eine normative Prämisse: das Gebot der Gleichbehandlung. Aus diesem ist freilich die Norm ganz offenkundig nicht abzuleiten, die mit dem Argument begründet werden soll: das Recht des Embryos auf Leben. Gewiß ist das Gleichbehandlungsgebot ein rechtlich wie ethisch fundamentales, aber es ist zuterschiedlichen Garantien ihrer Durchsetzung und weisen nicht selten inhaltliche Differenzen auf. Doch dürfen die Ge- und Verbote des Rechts den grundlegenden Normen der (sozialen) Ethik jedenfalls nicht widersprechen. In diesem Sinn sind die Grundnormen der Ethik inhaltlich Fundamente für die des Rechts.

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gleich ein rein formales Prinzip. Was es fordert, ist einfach die Gleichbehandlung des in normativer Hinsicht Gleichen. Den Einbezug des Embryos in die Sphäre unserer moralischen Schutznormen kann es daher erst dann gebieten, wenn zuvor dessen Status als der eines normativ Gleichen feststeht. Dieser Status müßte also zunächst begründet werden. Und darum gerade wird gestritten.2 a) Für eine solche Begründung taugt der Hinweis auf die Spezieszugehörigkeit jedoch nicht. Wer allein den sachlichen Umstand einer bestimmten biologischen Beschaffenheit heranzieht, um eine Norm zu begründen - eben das Recht des Embryos auf Leben und damit zugleich die Pflicht aller anderen, seine Tötung zu unterlassen -, der demonstriert exemplarisch, was seit David Hume ein „Sein-Sollen" und seit George Edward Moore nicht selten auch ein „naturalistischer Fehlschluß" genannt wird: den ungültigen direkten Schluß von einem Faktum der Welt auf eine Norm.3 Das bedeutet nicht, daß die auf diesen Fehlschluß gestützte Behauptung falsch ist. Es bedeutet nur, daß der Schluß falsch ist, daß also die Behauptung jedenfalls nicht von ihm begründet wird. Dem Embryo mag sehr wohl ein genuines Recht auf Leben zuzuschreiben sein. Doch folgt dies nicht aus seiner biologischen Zugehörigkeit zur Spezies Homo sapiens sapiens. b) Denn (und das stellt der Hinweis auf den Sein-Sollen-Fehlschluß ebenfalls klar) auch bei allen geborenen Menschen folgt die unbezweifelte Norm, daß sie Grundrechte haben, nicht aus dem bloßen Faktum ihrer biologischen Beschaffenheit als Mitglieder einer bestimmten Spezies. Anders gewendet: Nicht weil unsere Biologie so ist, wie sie ist, sind wir Inhaber von Rechten. Sondern weil Menschen typischerweise bestimmte Eigenschaften haben, die besonders zu schützen ein moralisches Gebot ist und die wir so bei keiner anderen uns bekannten Spezies finden. Gewiß sind diese Eigenschaften die Folge unserer biologischen Beschaffenheit. Aber erst eine dann und dazu herangezogene Norm, daß solche Eigenschaften auf besondere Weise schutzwürdig sind, und nicht Es liegt also auf der Hand, daß nicht die (unbestreitbare) formale Gültigkeit des oben dargestellten Schlusses, sondern die Richtigkeit seiner ersten Prämisse der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung ist. Die klassische Stelle bei Hume 1740, Book III, Part I, Sect. 1; dt. 1978, Bd. 2, 195ff. (211). Knapp zum Sein-Sollen-Fehlschluß Mackie 1972,169ff., 178. Die in mancherlei Hinsicht umstrittenen logischen Beziehungen des sozusagen genuinen „Sein-Sollen-Schlusses" zu dem von Moore so bezeichneten „naturalistischen Fehlschluß" nach Moore die (unzulässige) Identifikation des normativen Prädikats „gut" mit irgendeiner natürlichen Eigenschaft - brauchen hier nicht geklärt zu werden; vgl. dazu Frankena 1939. Denn jedenfalls über die Ungültigkeit des unmittelbaren Schlusses von einer rein deskriptiven (also nicht eine verborgene normative Voraussetzung enthaltenden) Faktenaussage auf eine Norm besteht Einigkeit. Dem stimmen auch diejenigen zu, die aus gewissen „institutionellen" oder anderweitig normativ „angereicherten" Fakten (triviale) Schlüsse auf Normen ableiten und deshalb bestimmte „Sein-Sollen-Schlüsse" für möglich erklären; zum ganzen Hügli 1984; auch Pigden 1995, 421 und 426 ff.

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einfach die Tatsache ihres Vorhandenseins begründet das normative Fundament, aus dem weitere Normen schlüssig ableitbar sind, vor allem subjektive moralische Rechte auf Schutz. Man stelle sich, um das zu veranschaulichen, jemanden vor, der fragt: „Warum eigentlich haben Menschen so etwas wie fundamentale Rechte?" Es liegt auf der Hand, daß die Erwiderung „Weil sie Menschen sind" die Frage nicht beantwortet, sondern deren Inhalt einfach als Behauptung wiederholt. Das weiß der Fragende schon; es ist ja in seiner Frage vorausgesetzt. Warum es so ist, erfährt er aus dieser Antwort nicht. Und er kann es nur aus einer erfahren, die ihm den normativen Grund für den Schutz von Angehörigen dieser biologischen Spezies deutlich macht. c) In anderen bioethischen Problembereichen sind die skizzierten Zusammenhänge übrigens durchaus geläufig. Auch in ihren implizit destruktiven Folgen für das Speziesargument sind sie dort, wenn ich recht sehe, nahezu einmütig anerkannt. Beispielhaft: Wozu verpflichten uns Lebensrecht und Menschenwürde, wenn wir einen Hirntoten vor uns haben? Es mag naheliegen, nun einfach den gewohnten Reflex abzurufen, daß zwar jeder Mensch, aber eben nur jeder lebende, diese Grundrechte habe. Doch verschiebt das bloß die Frage und gibt keine Antwort. Was berechtigt uns denn, den Hirntoten nicht mehr als Lebenden zu beurteilen? Von dreieinhalb Pfund Materie im Kopf abgesehen lebt schließlich biologisch noch sein ganzer Körper - deutlich mehr an physischer Substanz als etwa bei einem Beinamputierten. Gleichwohl behandeln wir ihn als tot und nicht mehr als Inhaber subjektiver Grundrechte.4 Und nahezu der gesamte Rest der Welt tut das ebenfalls. Mehr als das: Wir akzeptieren sogar, daß die biologische Weiterexistenz vieler Hirntoter durch die Entnahme ihrer Organe aktiv beendet wird, sie also, wenn man so will, zugunsten anderer Menschen „getötet" werden. Was kann dies moralisch legitimieren?5 Ganz offenbar Das ist im Verfassungsrecht nicht unbestritten; z. T. wird eine fortbestehende Grundrechtssubjektivität nach dem Tod angenommen; vgl. etwa Höfling 1999, Rnr. 53 f.; zutr. dagegen Ipsen 2001, Rnr. 214 (m. w. N.). - Die Annahme einer postmortalen Grundrechtsträgerschaft produziert mit der Stilisierung Toter zu Inhabern subjektiver Rechte und damit zu aktuell subjektiv verletzbaren Wesen unlösbare metaphysische Paradoxien; vgl. dazu etwa Feinberg 1984, 79ff. und Callahan 1986/87, 431 ff. Zudem: Schützt man Leichen als subjektiv-rechtliche Inhaber einer („unantastbaren"!) Menschenwürde, dann werden zahlreiche unbestritten zulässige Formen des Umgangs mit ihnen schlechterdings unerklärlich: die Möglichkeit einer Autopsie bei Verbrechensverdacht (auch gegen den etwa zuvor erklärten Willen des Verstorbenen), die Organentnahme, die Zerstückelung zu rein didaktischen Zwecken im Anatomieunterricht und vieles andere. Wer würde denn, und diese Frage liegt ebenfalls nahe, im Ernst die Aufbewahrung des vor Jahren im Ötztal gefundenen, als „Ötzi" berühmt gewordenen Leichnams als Ausstellungs- und Forschungsobjekt unter Hinweis auf ein gegenwärtiges subjektives Grundrecht des vor Tausenden von Jahren Verstorbenen für verboten erklären wollen? Zu den damit zusammenhängenden Fragen Merkel 1999, 113 ff.

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reicht der Hinweis auf das biologische Am-Leben-Sein menschlicher Körpersubstanz nicht aus, solche weltweit anerkannten klinischen Praktiken als verwerflich zu desavouieren und zu unterbinden. Schon vor diesem Umstand, so scheint mir, müßte jedes „reine" Speziesargument kapitulieren. Andernfalls müßten seine Anhänger die weltweite Zulässigkeit der Explantation von Organen (nicht selten - wie etwa in Österreich - sogar ohne vorherige Zustimmung des Organspenders) als moralische Katastrophe unfaßbaren Ausmaßes beklagen und bekämpfen. Ein aussichtsreiches Unterfangen wäre das nicht. Aber es liegt auf der Hand, daß es nicht nur deswegen unterbleibt. d) Man braucht im übrigen, um diese Zusammenhänge plastisch zu machen, nur einmal aus der fachspezifischen Debatte herauszutreten und sich zu fragen, ob es auch nur verständlich wäre, wenn jemand sagte: „Allein deshalb, weil die molekulare MikroStruktur der Basenpaare unserer DNA so und so beschaffen ist, haben wir so etwas Anspruchsvolles wie fundamentale Rechte." So wenig, wie wir es innerhalb der Spezies Mensch für normativ akzeptabel halten, allein aus der besonderen biologischen Beschaffenheit bestimmter Teilgruppen auf deren besondere Rechte zu schließen - etwa aus der Zugehörigkeit zur Gruppe „Männer" auf Rechte, die Frauen nicht zukommen, oder der Zugehörigkeit zur Gruppe „Weiße" auf Vorrechte gegenüber Schwarzen -, genauso wenig können wir solche Vorrechte für die gesamte Spezies allein aus deren biologischer Beschaffenheit ableiten. Argumente, die dies dennoch tun, werden in der internationalen moralphilosophischen Diskussion daher gelegentlich „speziesistisch" genannt: ein Hinweis auf die Analogie ihrer Struktur zu sexistischen und rassistischen Fehlschlüssen.6 Nun gibt es zwischen Speziesismus dieser Art und Sexismus oder Rassismus ersichtlich einen bedeutsamen Unterschied. Er betrifft aber nicht die Struktur des jeweiligen Argumentes; sie ist vielmehr in allen drei Fällen die gleiche und gleichermaßen verfehlte. Doch könnte der Speziesist im Unterschied zum Sexisten und zum Rassisten sehr wohl gute Gründe dafür angeben, daß der von ihm bevorzugten biologischen Gruppe, den Menschen, tatsächlich eine moralische Sonderstellung zukommt. Denn es gibt natürlich überzeugende Gründe, Menschen gewichtigere Schutzrechte zuzuschreiben als etwa Tieren. Aber diese Gründe muß man benennen. Allein unsere biologische Beschaffenheit gehört nicht zu ihnen und ersetzt sie nicht.

2.2 Will man daher das Speziesargument plausibler machen und im skizzierten Sinne normativieren, so wird man zunächst bestimmte menschliche Eigenschaften benennen und dann eine Norm, die es moralisch gebietet, für Wesen mit genau solchen Eigenschaften ein Lebensrecht zu gewährleisten. Welche Eigenschaften sind es, die eine Lebensschutznorm zwar für Menschen, aber z.B. nicht Dazu und zu den Ursprüngen dieser Debatte LaFolette/Shanks 1996; vgl. auch Singer 1996, 27ff.; Leist 1990, 61 ff.

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für Schafe, Rinder und Schweine begründen?7 Da es der rein äußere, biologische Unterschied nicht sein kann, müssen es im weitesten Sinne innere, also mit einem subjektiven Erleben verbundene Eigenschaften sein. Und da genau sie es sind, die den spezifischen Unterschied zwischen dem Menschen und jeder anderen lebenden Spezies im Hinblick auf Lebens- und Würdeschutz begründen sollen, müssen es solche sein, die für den Menschen das eigene Erleben in einem höheren Grad, als das bei Tieren der Fall ist, wünschbar, schätzenswert, wertvoll machen; oder: zu einem für ihn selbst höheren Gut, zum Gegenstand eines gewichtigeren subjektiven „Wohls", eines erheblicheren subjektiven Interesses machen. Das ist ersichtlich bereits ein qualifiziertes Speziesargument. Nicht wegen ihrer tatsächlichen Beschaffenheit als Angehörige einer bestimmten Art, sondern weil diese aus ganz anderen Gründen als denen ihrer biologischen Besonderheit Schutzrechte für ihre Mitglieder garantiert, könnte auch für den Embryo ein solcher Schutzstatus in Frage kommen. a) All dies ist in der Moralphilosophie umstritten, in den Grundlagen wie in den Einzelheiten. Ich habe aber keinen Zweifel, daß jedenfalls der Ausgangspunkt dieser Überlegungen zur Begründung moralischer Normen richtig und ohne überzeugende Alternative ist: die Bindung dessen, was Moral überhaupt will und soll, an irgendeine Form der Subjektivität derer, die in den Schutzbereich unserer moralischen Normen einbezogen sind oder einzubeziehen wären.8 Das hat, grob skizziert, den folgenden Grund: Der Begriff eines subjektiv moralischen Rechts - das, was wir in den normativen Voraussetzungen seiner Ein populäres Mißverständnis findet schon diese Frage skandalös, weil das normative Prinzip, nach dessen Gründen sie fragt, außer Zweifel steht. Dabei wird freilich die Frage nach den Fundamenten mit einer Skepsis gegenüber dem Prinzip selbst verwechselt. Wer aber diese Frage nicht stellt und ernsthaft Antworten sucht, der wird die schwierigen ethischen Probleme in den Grenzbereichen menschlicher Existenz - Zeugung und Tod - schon nicht verstehen, geschweige denn lösen können. Das Hirntod-Beispiel demonstriert dies eindrucksvoll. Dies und das Folgende ist zu lesen in einer bestimmten prinzipiellen Perspektive der Normbegründung, mit dem vorrangigen Blick auf die Folgen einer Handlung für die von ihr Betroffenen, also vor dem Hintergrund der Primärfrage: Was tut man mit dieser Handlung denen (an), auf die sich die Handlung auswirkt? Ein rein objektivistischer Ideal- oder Werteschutz müßte die folgenden Argumente nicht unterschreiben. Er ist allerdings, wie ich hier ohne die Möglichkeit der Begründung behaupten will, als Strategie der Moralbegründung wenig überzeugend. Die hier vorgezogene Perspektive ist übrigens entgegen einem populären Mißverständnis keine utilitaristische. Der Utilitarismus beginnt nicht mit einer Folgenorientierung bei der Begründung von Handlungsnormen; er beginnt erst und allenfalls mit dem Gebot der Maximierung positiver Handlungsfolgen über Personengrenzen hinweg. Eine solche Maximierungsforderung halte ich für ungeeignet schon zur ethischen Normbegründung und für definitiv inakzeptabel zur Begründung von Rechtsprinzipien.

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Existenz und Zuschreibbarkeit verstehen wollen - ist analytisch mit dem des Schutzes verknüpft. Denn das genau ist es, wozu subjektive Rechte da sind: Schutz zu gewähren. „Schutz" wiederum ist, ebenfalls analytisch, mit dem Begriff der Verletzung (im weitesten Sinn) verknüpft. Denn das genau ist es, wogegen Schutz gewährt werden soll. Verletzung setzt aber, zum drittenmal analytisch, die Verletzbarkeit des Wesens, das gegen Verletzungen geschützt werden soll, voraus. Wer in bestimmter Hinsicht nicht verletzbar ist, der kann, trivialerweise, in eben dieser Hinsicht nicht verletzt werden. Es hätte daher schon begrifflich keinen Sinn, ihm insofern ein subjektives Schutzrecht zuzuschreiben, also Schutz gegen eine Verletzung, die ihm nicht angetan werden kann. b) Der hier vorausgesetzte Begriff der Verletzbarkeit meint: subjektiv verletzbar. Denn nur in dieser Bedeutung ist er moralisch relevant. Rein objektiv beschädigen kann man auch leblose Gegenstände; im moralisch bedeutsamen Sinn verletzen kann man sie nicht. Eine solche Beschädigung ist zwar grundsätzlich gegenüber deren Inhabern, möglicherweise auch gegenüber Dritten, aber nicht gegenüber den Gegenständen selbst eine verwerfliche Handlung. Beispielhaft: Ein Bild von Picasso zu zerstören, ist eine erhebliche Verletzung, also prima facie ein erhebliches Unrecht gegenüber dem Eigentümer, den Erben, der Allgemeinheit und vielleicht sogar auf irgendeine Weise dem toten Maler9 - also gegenüber Wesen, die Subjektivität haben oder immerhin hatten und daher subjektiv verletzbar sind oder wenigstens waren. Nicht dagegen kann es eine Verletzung gegenüber dem Bild selbst sein, obgleich nur dieses materiell beschädigt oder zerstört wird. Subjektiv verletzbar im moralisch bedeutsamen Sinne ist ein Wesen nur dann, wenn es für dieses Wesen selbst einen Unterschied ausmacht, wie mit ihm verfahren wird. Daraus erst kann für andere eine Pflicht entstehen, es um seiner selbst willen moralisch zu respektieren.10 Subjektive Verletzbarkeit setzt aber, und wiederum analytisch, die subjektive Erlebensfähigkeit des verletzbaren Wesens voraus. Denn diese konstituiert als notwendige Minimalbedingung den Begriff der Subjektivität. Ein Wesen, das schlechterdings nichts erleben kann, mag es auch biologisch am Leben sein, ist subjektiv nicht verletzbar. Denn ein solches Wesen hat keine Subjektivität; es gibt nichts Subjektives in seiner Existenz. Anders gewendet: ein solches Wesen kann man nicht um seiner selbst willen moralisch berücksichtigen, auch wenn man dies wollte. Denn das hieße: es um seines eigenen „Wohls und Wehes" willen berücksichtigen. Da es aber kein solches eigenes Wohl und Wehe hat, weil es überhaupt nichts, also auch nicht Wohl und Wehe erleben kann, kann es nicht Gegenstand einer moralischen Berücksichtigung um seiner selbst willen sein. 9

Freilich zu den Paradoxien einer Zuschreibung von Subjektivität zu Toten schon oben, Anm.4. 10 Ungefähr dasselbe meint Leist 1990, 133, wenn er schreibt, „daß nur solche Wesen moralisch berücksichtigungsfähig sind, die „über ein .subjektives Wohl' verfügen"; in der von mir vorgeschlagenen Terminologie müßte das „genuin berücksichtigungsfähig" heißen.

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Man mag sich den begrifflichen Zusammenhang an Musterbeispielen von biologisch lebenden Wesen dieser Art verdeutlichen, an einem Grashalm etwa oder einem Bakterium. Gewiß kann man sie zerstören; sie verletzen, also ihr Wohl und Wehe mißachten, kann man jedoch nicht.11 c) Kehren wir zurück zu den normativen Fundamenten des Lebensschutzes. Was immer genau die subjektiven Eigenschaften sein mögen, deren Vorhandensein erst die Verletzbarkeit eines biologisch-menschlichen Individuums durch seine Tötung zu begründen vermag- eines setzen sie zwingend voraus: daß dieses menschliche Wesen überhaupt etwas erleben kann. Der oben formulierte Satz, daß ein Wesen, welches schlechterdings erlebensunfähig ist, auch im Hinblick auf die Wegnahme seiner (eben gänzlich nicht-subjektiven) Existenz nicht verletzbar ist, gilt als begriffliche Wahrheit gegenüber menschlichen Wesen genauso wie gegenüber allen anderen.12 Wer dies irritierend findet, möge bedenken, daß wir es bei unserem Umgang mit Menschen in biologischen Grenzsituationen stillschweigend und selbstverständlich voraussetzen. Nehmen wir wieder das Beispiel eines Hirntoten. Was kann uns moralisch berechtigen, ihm ein Organ wie das Herz zu entnehmen? Die Auskunft „Der Umstand, daß er eben tot ist" (und etwa noch seine vorherige Einwilligung), beantwortet nicht, wonach wir hier fragen. Erneut: Was berechtigt uns denn, ihn trotz des Umstandes, daß er biologisch zu 98 % seiner physischen Substanz noch lebt, als tot und damit als möglichen Organspender zu behandeln? Man mag dafür eine Reihe von Voraussetzungen verlangen. Aber eine muß als die normativ entscheidende ganz gewiß dabei sein: daß er subjektiv schlechterdings nichts mehr erleben kann und es nie wieder wird können. Denn allein der irreversible Ausfall des vegetativen „Steuerungszentrums" im Kopf würde die Organentnahme, die ja am Ende auch den biologischen Gesamttod unmittelbar herbeiführt, gewiß nicht rechtfertigen, wenn wir dabei ernsthaft befürchten müßten, daß der Hirn tote subjektiv noch etwas erlebt. Nur weil wir sicher sind, daß dies nicht der Fall ist, halten wir ein solches Todeskriterium für moralisch akzeptabel.13 11 Auf diese begrifflichen Zusammenhänge zwischen moralischen Pflichten (bzw. Rechten) und der subjektiven Verletzbarkeit (bzw. dem „Habenkönnen" von Interessen, nicht verletzt zu werden) haben vor fast dreißig Jahren die Philosophen Joel Feinberg und Michael Tooley aufmerksam gemacht; vgl. Feinberg 1980; Tooley 1992; ausführlich Steinbock 1992, 9 ff. Ähnliche Überlegungen übrigens schon vor über 80 Jahren bei Nelson 1917, 144 ff. und 344 ff.; vgl. auch Leist 1990, 134 ff. und Merkel 1998, 116ff. 12 Vgl. Steinbock 2001; dies., 1992, 9ff. 13 Hirntodgegner argumentieren nicht selten damit, daß diese vollständige Erlebensunfähigkeit des Hirntoten nicht sicher belegbar und der Hirntodbegriff genau deshalb moralisch verwerflich sei. Das ist zwar nach Auskunft aller zuständigen Experten empirisch unrichtig, aber der normative Schluß ist zutreffend. Er setzt ersichtlich den hier im Text analysierten Zusammenhang stillschweigend voraus. - Zum ganzen vgl. Merkel 1999.

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d) Wechselt man von dem Grenzfall des Lebens an seinem Ende zu dem an seinem Beginn, so wird eine substantielle Gemeinsamkeit und ein ebenso substantieller Unterschied der beiden Situationen sichtbar. Der früheste Embryo ist, genauso wie der Hirntote, subjektiv vollständig erlebensunfähig. Was immer man als die fruhesten und rudimentärsten Formen eines subjektiven Erlebens ansehen mag und von welchem biologischen Substrat, etwa der Entwicklung eines zentralen Nervensystems, sie abhängen mögen: daß sie beim fruhesten Embryo noch nicht vorliegen können, steht außer Zweifel.14 Ob die subjektive Erlebensfähigkeit beim Menschen bereits ein hinreichender Grund für die Zuschreibung eines genuinen Lebensrechts wäre, kann daher hier offenbleiben.15 Eine notwendige Voraussetzung dafür ist sie jedenfalls. Und sie erfüllt der frühe Embryo nicht. Freilich ist, was die Möglichkeit des subjektiven Erlebens angeht, auch der Unterschied zwischen Hirntotem und Embryo evident: Dieser kann sich, wenn man ihn läßt, zu einem erlebensfähigen menschlichen Wesen entwickeln, jener hat ein solches Potential nicht mehr. Daß dies einen normativ bedeutsamen Unterschied ausmacht, liegt auf der Hand. Seine genauere Klärung gehört allerdings zum Problemkreis des sogenannten Potentialitätsarguments und daher nicht mehr unmittelbar zu unserem gegenwärtigen Thema. e) Robert Spaemann hat gegen das hier entwickelte Kriterium der aktuellen Erlebensfähigkeit als notwendiger Bedingung genuin subjektiver moralischer Rechte eingewandt, es verlange bei weitem zu viel. Wer es akzeptiere, könne keine ethischen Einwände gegen die unbemerkte schmerzlose Tötung tief Schlafender oder Bewußtloser geltend machen.16 Das ist ein Mißverständnis des Begriffs „Erlebensfähigkeit". Er verlangt selbstverständlich nicht ein aktuelles subjektives Erleben (wie es bei Schlafenden und Bewußtlosen fehlen mag). Er fordert, und sagt dies auch deutlich, eine vorhandene Fähigkeit dazu, nicht deren aktuelle Ausübung, nicht ihr, wenn man so will, gegenwärtiges In-BetriebSein. Solche dispositionellen Fähigkeiten sind auch dann gegenwärtig vorhanden, wenn sie nicht ausgeübt werden. Damit unterscheiden sie sich grundsätzlich von erst künftig möglichen, potentiellen Fähigkeiten. Der gerade spazierengehende Pianist hat aktuell die Fähigkeit, Klavier zu spielen, auch wenn im Augenblick weit und breit kein Klavier zu haben ist. Und sowenig wie beim Spazierengehen verliert er sie nachts beim Einschlafen, um sie jedesmal erst am 14 Es ist in der zuständigen Wissenschaft auch gänzlich unbestritten. Subjektives Erleben ist biologisch vom Vorhandensein neuronalen Gewebes abhängig, das sich in der Embryonalentwicklung erst Wochen nach der Fertilisierung zu entwickeln beginnt. Zu den biologisch bedeutsamen Tatsachen vgl. Morowitz/Trefil 1992; Grobstein 1988; Moore/Persaud 1996. 15 Immerhin schreiben wir ja Tieren, die ebenfalls subjektiv erlebensfähig sind, kein Lebensgrundrecht zu. Vgl. zu diesen Problemen ausführlich Merkel 2001 a, 447 ff. 16 In einer Diskussion mit mir während einer Bioethik-Tagung in Bochum; ähnlich auch in Spaemann 2001, 48.

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nächsten Morgen beim Aufwachen neu zu erwerben. Selbstverständlich nimmt man alle seine dispositionellen Fähigkeiten, allen voran die des subjektiven Erlebens, mit in den Schlaf und verliert sie dort nicht - so wenig wie die von ihr abhängige Verletzbarkeit und Schutzwürdigkeit. 2.3 Halten wir die nun geklärten Voraussetzungen fest: Die Zuschreibung eines genuinen subjektiven Schutzrechts setzt die Verletzbarkeit des auf diese Weise zu schützenden Wesens voraus. Einem Wesen, das nicht verletzt werden kann, ein subjektives Recht gegen Verletzungen zuzuschreiben, ist schon begrifflich sinnlos. Es wäre aber genau deswegen auch nicht legitimierbar. Denn subjektive Rechte begründen stets die Pflicht aller anderen, sie zu beachten. Sie erzwingen also für alle anderen eine Freiheitseinschränkung. Da aber diese als Schutz für den „Rechtsinhaber" keinerlei Sinn haben kann, ist sie jedenfalls nicht als ein solcher Schutz, also nicht als genuines Recht legitimierbar.17 Subjektive Verletzbarkeit setzt zumindest subjektive Erlebensfähigkeit voraus. Wer schlechterdings nichts erleben kann, ist nicht subjektiv verletzbar. Denn ihm kann nichts angetan werden, was ihm selbst etwas ausmachen, sein eigenes Wohl und Wehe betreffen, für ihn selbst von Belang sein könnte. Da der frühe Embryo (noch) keine einzige der biologischen Eigenschaften haben kann, die ein subjektives Erleben ermöglichen, ist er aktuell nicht verletzbar. Daher scheidet er als Inhaber eines genuin subjektiven Rechts auf Leben aus. Ob wir ihm gleichwohl ein solches Recht zuschreiben sollten, ist damit noch nicht beantwortet. Damit ist auch das normativierte Speziesargument, das den Sein-SollenFehlschluß vermeidet, gescheitert. Diejenigen Eigenschaften von Menschen, die deren besondere Schutzwürdigkeit normativ begründen, liegen beim frühen Embryo zweifelsfrei nicht vor. 2.4 Man kann allerdings das Speziesargument noch ein weiteres Mal erweitern, und zwar so: Für den Einbezug eines Individuums in den Schutzkreis moralischer Rechte komme es nicht allein auf seine eigenen, sondern auch auf die typischen Eigenschaften der Spezies an, der es zugehört. Entweder bei ihm selbst oder (typischerweise) bei seiner Spezies müßten die schutzwürdigen Eigenschaften vorliegen.18 Daher müßten bereits früheste Embryonen als Speziesmitglieder in den Schutzraum der fundamentalen Menschenrechte einbezogen werden, wiewohl sie selbst die rechtsbegründenden Eigenschaften noch nicht aufwiesen. a) Wenn die Zuerkennung subjektiver Rechte nicht auf der Biologie des Menschen beruhen kann, sondern nur auf der normativen Bedeutung seiner be17 Aus anderen Gründen mag das Verbot einer Zerstörung dieses Wesens dagegen sehr wohl berechtigt und sinnvoll sein. Wir schützen ja auch und sogar bestimmte Pflanzenarten gegen Zerstörung - aber nicht um ihrer selbst, sondern um unserer Interessen willen, also selbstverständlich nicht im Modus der Zuschreibung von Rechten. 18 So etwa argumentiert Spaemann 2001, 49; in der internationalen Literatur ebenso Hursthouse 1987, 101 ff. und 218 ff.; Cohen 1986; Post 1993.

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sonders schütz würdigen Eigenschaften, dann ist freilich der Einbezug von Embryonen, denen diese Eigenschaften noch gänzlich fehlen, nur dann begründbar, wenn man eine weitere Norm angeben kann, die eben diesen Einbezug gebietet. Allein der Verweis auf die biologische Zugehörigkeit zu einer Spezies, deren andere Mitglieder im allgemeinen die rechtsbegründenden Eigenschaften aufweisen, wäre erneut ein Sein-Sollen-Fehlschluß. Die Erstreckung von Rechten, deren Entstehungsbedingungen bestimmte Eigenschaften sind, auch auf Wesen ohne diese Eigenschaften, ist ersichtlich ein normativer Akt: Er begründet solche Rechte für jene Wesen. Daher bedarf er selbst eines normativen Grundes, der besagt, daß diese Wesen einbezogen werden sollen. Die bloße Spezieszugehörigkeit, also ein biologisches Faktum, ist dafür erneut untauglich. b) Eine solche Norm läßt sich allerdings, jedenfalls prima facie, recht leicht erkennen. Nennen wir sie knapp und plastisch das Prinzip der Speziessolidarität. Es besagt, grob formuliert, ungefähr dies: Gewiß weisen frühe Embyronen die Eigenschaften noch nicht auf, um derentwillen wir uns Menschen generell für schutzwürdiger halten als Tiere. Vielmehr sind sie (noch) vollständig erlebensunfähig und deshalb aktuell nicht verletzbar. Aber wir alle sind einmal aus Embryonen entstanden, und wir leben heute gerne. Dieser Umstand begründet für uns eine gewisse prima-facie-Verpflichtung, allen Embryonen die Chance einer solchen Entwicklung nach Möglichkeit ebenfalls zu garantieren. Plausibel ist eine solche prima-facie-Pflicht allerdings nur im Hinblick auf menschliche, nicht auf tierische Embryonen. Denn nur jene, nicht diese haben das Potential einer Entwicklung zu Wesen mit eben den besonderen Eigenschaften, auf die wir die Begründung von Menschenrechten stützen. Nur sie stellen daher etwas dar, von dem wir wissen, daß es auch der organische Ursprung unseres eigenen Lebens gewesen ist. c) Das läßt sich offensichtlich hören. Gewiß bedarf es noch einer genaueren Klärung dieser Pflicht. Auch mag es möglicherweise normenlogisch problematisch sein, von einer Pflicht „gegenüber" einem Wesen, das gänzlich erlebensunfähig ist, zu sprechen, also dieses Wesen selbst zum Gläubiger der Pflicht zu machen. Aber davon hängt für unsere Analyse nichts ab. Wir können - in Anlehnung an eine bekannte Formel Kants - diese Pflicht auch als eine gegen uns selbst „in Ansehung" der Embryonen auffassen.19 Wichtig dagegen ist die genauere Bestimmung der Stärke und Reichweite dieser Pflicht. Und hier sieht man sofort, daß die Verpflichtungskraft eines solchen Solidaritätsprinzips für die Zuerkennung von Rechten bei weitem schwächer ist als die oben skizzierte eines genuinen subjektiven Rechts. Ein Wesen zu töten, das ein eigenes aktuelles Interesse an seinem Überleben hat, ist grundsätzlich ein schweres Unrecht.20 Einem Wesen, das noch keinerlei solches Interesse hat, weil es überhaupt noch 19 Die Formulierung „Pflichten in Ansehung von" (und nicht „gegenüber") Tieren in Kant 1907, 443. 20 Vorbehaltlich bestimmter Ausnahmesituationen natürlich, die Rechtfertigungen begründen, v. a. Notwehr- und Defensivnotstandslagen.

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nichts erleben kann, die apostrophierte Speziessolidarität und damit den Lebensschutz zugunsten seiner Zukunft zu verweigern, mag im Normalfall unerfreulich oder tadelnswert sein. Ein nur annähernd vergleichbares Unrecht wie das erstere ist es nicht.

3. Erweiterung der Perspektive: die normativen Fundamente Nun drängt sich freilich die Notwendigkeit einer umfassenderen Analyse auf. Was genau sind die normativen Grundlagen der bisher erwähnten und möglicherweise weiterer Pflichten, die wir kennen und denen wir korrespondierende Schutz- oder Rechtspositionen (möglicherweise unterschiedlichen Gewichts) zuordnen? Wie und warum erzeugen solche Normfundamente moralische Pflichten? Was genau ist es also, das uns verpflichtet? Und warum gibt es Unterschiede (wenn es sie gibt) im Gewicht und in der Reichweite unserer Pflichten? Ohne eine genauere Klärung dieser Fragen ist auch ein qualifiziertes Speziesargument der oben skizzierten Provenienz aussichtslos. Ich schlage vor, drei Prinzipien als primäre Quellen, gewissermaßen als die Urgründe unserer normativen Verpflichtungen, zu unterscheiden: (1) Verletzungsverbot, (2) Solidaritätspflichten, (3) Prinzip des Normenschutzes. 3.1 Zu (1): Das erste und wichtigste Prinzip der Ethik wohl aller Zeiten und Kulturen lautet: Neminem (oder genauer: ne alterum) laede - verletze niemanden (anderen)! Ihm schreiben wir nicht nur als einem Moralprinzip, sondern auch als einem Rechtsgrundsatz die Rolle eines „apriorischen, formalen Prinzips der Gerechtigkeit" zu.21 Das Verletzungsverbot korrespondiert, wie wir bereits oben gesehen haben, normenlogisch mit der notwendigen Bedingung genuin subjektiver Rechte: der Verletzbarkeit ihrer Inhaber. Knapp: Wer verletzbar ist, ist um seiner selbst, um seiner eigenen Subjektivität willen zu schützen. Ein solcher Schutz nimmt daher die Form des genuin subjektiven Rechts an, des Schutzrechts eines Subjekts um seiner selbst willen. Nach unserer obigen Analyse setzen deshalb beide, Verletzungsverbot wie genuin subjektive Rechte, als notwendige Minimalbedingung eine wenigstens rudimentäre gegenwärtige Erlebensfähigkeit voraus. Diese fehlt beim frühesten Embryo vollständig. Ein genuin subjektives Recht auf Leben ist daher für ihn nicht begründbar. Ob er 21 Formulierung von Isensee, in: Isensee/Kirchhof 1992, 197. Vgl. auch Art. 2 Abs. l GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt." - Zur Entstehung des „alterum non laedere" als eines allgemeinen Rechtsprinzips und seiner klassischen Formulierung bei Justinian vgl. Schiemann 1989.

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gleichwohl aus anderen Gründen im Modus eines lediglich zugeschriebenen subjektiven Rechts geschützt werden sollte, ist damit noch nicht entschieden. 3.2 Zu (2): Anders als Verletzungsverbote setzen Solidaritätspflichten eine aktuelle Erlebensfähigkeit nicht voraus. Sie können sich, wie gerade bei frühen Embryonen, auch auf die Gewährleistung einer Chance der künftigen Entwicklung zum erlebensfähigen Menschen richten. Dieses Potential verlangen sie freilich als Minimalbedingung. Das läßt sich leicht veranschaulichen. Für Solidarität mit einem Embryo, der etwa wegen eines schwersten genetischen Defekts nur wenige Wochen alt werden könnte, der sich aus seinem biologischen Status quo nicht herausentwickeln, der also niemals erlebens- und damit um seiner selbst willen moralisch berücksichtigungsfähig werden könnte, gäbe es keinen Anlaß. Schon daran sieht man: Solidaritätspflichten sind erheblich schwächer als Verletzungsverbote. Normenlogisch korrespondieren sie nicht mit subjektiven Rechten, sondern mit einem nur objektiven Schutz. Was ihn im Unterschied zu jenen kennzeichnet, ist seine grundsätzliche Abwägbarkeit gegen andere Belange.22 3.3 Zu (3): Das Prinzip des Normenschutzes ergänzt die beiden vorher genannten mit Überlegungen zur Gesamttextur unserer Normenordnung. Es besagt ungefähr folgendes: Ein System von Handlungsregeln und Prinzipien, - das um Humanität und weitestmögliche Konsistenz bemüht ist, - das an vorhandene moralische Intuitionen der Normunterworfenen so gut es geht anknüpft und deshalb unvermittelte Konfrontationen seiner Normen mit vorhandenen und historisch gewachsenen Überzeugungen zu vermeiden oder abzumildern sucht, - das auch auf die symbolische Wirkung bestimmter Handlungsverbote oder -erlaubnisse für die Gesamtordnung und die ihr Unterworfenen bedacht ist, - das daher auf seine Fähigkeit zur psychischen Motivierung der Normadressaten bedeutendes Gewicht legt - und das schließlich mit besonderem Nachdruck seine tragenden Fundamentalnormen profiliert und durchsetzt; ein solches Normensystem dürfte insgesamt stabiler sein, die Bereitschaft zur Normbefolgung besser gewährleisten und damit eine größere Orientierungssicherheit garantieren, als eines, das auf solche Erwägungen keinen Wert legt. Kurz: Es dürfte normativ erheblich vorzugswürdig sein. Normschutzüberle22 Der Begriff „Solidarität" ist ersichtlich vage und hoch abstrakt. Seine genauere normative Analyse würde in ein noch weitgehend unerforschtes philosophisches Gelände führen; vgl. dazu den Überblicksaufsatz von Bayertz in: ders. 1998. Für die Zwekke unserer Untersuchung genügt aber ein allgemeiner, intuitiv erfaßbarer und allseits akzeptierter Begriff; eine seiner Primärfunktionen hier ist eben die der Abgrenzung solidarischer Pflichten von Verletzungsverboten. Daß es im übrigen zahlreiche Typen von Solidaritätspflichten ganz unterschiedlichen Gewichts gibt, liegt auf der Hand.

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gungen dieser Art spielen im juristischen Bereich eine bedeutende, wenngleich nicht immer genau verstandene Rolle.23 Sie sind aber auch für moralische Regeln und Prinzipien wichtig, vor allem dann, wenn es um die Beurteilung neuer, bislang unbekannter Verhaltensweisen, z. B. neuer Formen der Forschung, geht. a) Normschutzüberlegungen knüpfen an vorhandene, also anderweitig begründete Pflichten und Rechte an. In dem skizzierten Schema unserer Unterscheidungen fundamentaler Normquellen heißt das: entweder an Verletzungsverbote oder an Solidaritätspflichten. Sie postulieren dann eine Verstärkung der jeweiligen Schutzposition im Hinblick auf die oben skizzierten Belange der Normenordnung als ganzer. Diese Verstärkung kann sich verdichten bis zur Zuschreibung eines subjektiven Rechts zu jemandem, der die Voraussetzungen eines genuin subjektiven Rechtes nicht erfüllt. Dabei mag diese Zuschreibung zunächst moralischen Ursprungs sein. Sie mag aber dann ihre begründete Verlängerung in der juristischen Sphäre finden: in der Zuerkennung eines subjektrechtlichen Status auch dort. Normschutzbelange der dargestellten Art sind ersichtlich solche der Gesamtgesellschaft. Schon daraus erhellt, daß sie gegen gewichtige andere Belange abgewogen werden können und nicht selten müssen. Diese anderen Belange mögen übrigens durchaus ebenfalls im Bereich des Normenschutzes ihre sachliche Grundlage haben. Doch können auch schutzwürdige individuelle Interessen konkreter einzelner Personen mit Interessen des gesellschaftlichen Normenschutzes in Konflikt geraten. b) Auch und gerade in der gegenwärtigen Debatte um die Embryonenforschung spielen Normschutzerwägungen eine weitaus größere Rolle, als allgemein an- und wahrgenommen wird. Viele Standpunkte in dieser Diskussion, die als genuin moralische aufgefaßt werden, artikulieren in Wahrheit normative Sekundärpostulate, die sich auf jene Gesamttextur unserer moralischen und rechtlichen Normensysteme beziehen. Das gilt insbesondere für die häufige Reklamation der Menschenwürde in einem vage generalisierenden, den Raum des subjektiven Grundrechts aus Art. l Abs. l GG oft weit verlassenden Sinn. Es gilt auch für einen großen Teil der populären „Dammbruch"- oder „slipperyslope"-Befürchtungen.24 Daß solchen Befürchtungen nicht selten unplausible, manchmal gänzlich unwahrscheinliche empirische Prognosen zugrunde liegen und sie deshalb unhaltbar sind, ist eine andere Frage. c) Argumente dieser Provenienz lassen sich oft erst dann richtig verstehen und beurteilen, wenn man sie als Normschutzpostulate im oben skizzierten Sinne interpretiert. Auch die normativen Gründe für die allgemeine Forderung, 23 So läßt sich etwa das gesamte Strafrecht durchaus schlüssig und plausibel primär als eine Art Normschutzunternehmung deuten: als besonders nachdrückliche rechtliche Sicherung der sozialen Verhaltensnormen, die für die Möglichkeit einer Gesellschaft von Freien und Gleichen unbedingt notwendig sind. 24 Die manchmal vagen, als genuin moralische Argumente nicht immer leicht rekonstruierbaren Einwände, die Jürgen Habermas (2001) neuerdings formuliert hat, gehören großenteils ebenfalls hierher.

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der menschliche Embryo dürfe nicht wie eine Sache behandelt, für beliebige Zwecke verwendet, verbraucht oder kommerzialisiert werden, gehören im wesentlichen hierher. Die Forderung ist trotz der subjektiven Nichtverletzbarkeit früher Embryonen vollkommen zutreffend und zu unterstreichen. Ihre Gründe liegen aber primär nicht in aktuellen Schutzinteressen des Embryos, sondern in den dargestellten Belangen des gesamtgesellschaftlichen Normenschutzes. 3.4 Mit diesen Überlegungen läßt sich ein Bedenken ausräumen, das in der internationalen bioethischen Diskussion über den Embryonenschutz oft geäußert wird. Es muß sich auch geradezu aufdrängen, wenn man die Einteilung unserer moralischen Normquellen in Verletzungsverbote und Solidaritätspflichten für erschöpfend halten und die Aspekte des Normenschutzes ignorieren wollte. Das Bedenken ist dieses: Wenn die Möglichkeit einer wenigstens minimalen subjektiven Erlebensfähigkeit als Voraussetzung eines genuinen subjektiven Rechts beurteilt wird, müßte dies nicht zu inakzeptablen Konsequenzen für bestimmte geborene Menschen führen? Denn auch unter ihnen gibt es welche, die subjektiv vollständig erlebensunfähig sind, z.B. irreversibel Bewußtlose im apallischen Syndrom oder sog. anenzephale Neugeborene, die ohne Groß- und Mittelhirn zur Welt kommen.25 Müßte man dann nicht auch ihnen subjektive Grundrechte auf Leben und Würde absprechen? a) Die Antwort lautet: nein.26 Wohl ist es richtig, daß das Kriterium der Erlebensfähigkeit, nimmt man es für sich alleine, diese Menschen tatsächlich nicht in den normativen Schutzraum genuin subjektiver Rechte einschließt. Es schließt sie aber auch nicht aus. Was ihren Einschluß jedoch zwingend gebietet, ist das Prinzip des Normenschutzes. Die Fundamentalnormen unserer Rechtsund Moralordnung - Menschenwürde, Lebensrecht, Gleichheitssatz - werden über die Grenzen hinaus, die von den Kriterien ihrer genuinen Begründung gezogen würden, allgemein, nämlich allen geborenen Menschen, garantiert. Die hauptsächlichen Gründe habe ich genannt: Humanität, Stabilität, symbolische Konsistenz, Orientierungskraft der normativen Gesamttextur unserer Gesellschaft. Ein Normensystem, das alle geborenen Mitglieder prinzipiell in gleicher Weise in den Schutzraum seiner fundamentalen Rechte einschließt, ist gegenüber einem, das für jeden individuellen Lebensschutz jeweils eine gewissermaßen persönliche Qualifikation verlangte, bei weitem vorzugswürdig. Daher werden die entsprechenden subjektiven Grundrechte jedem geborenen Menschen ohne weiteres zugeschriebenen, auch wenn er - etwa als Anenzephalus - wegen seiner vollständigen Erlebensunfähigkeit nicht subjektiv verletzbar 25 Zur strafrechtlichen Problematik des Sterbenlassens im ersteren (Apalliker-)Fall vgl. BGHSt 40,257; dazu Merkel 1995 (m. w. N.); zu der des letzteren (Anenzephalus-)Falles ausführlich Merkel 2001 a, 66 ff. und 621 ff. 26 Daß eine derart indiskutable Konsequenz die hier entwickelte Analyse desavouieren müßte, liegt auf der Hand; es sei aber ausdrücklich hervorgehoben.

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ist und sein Grundrechtsschutz daher als genuines Verletzungsverbot nicht plausibel zu machen wäre. Wir schützen mit seinem Grundrecht auf Leben auch, ja primär das allgemeine Tötungsverbot als Fundamentalnorm der Ethik und des Rechts. b) Erst wenn man diese Zusammenhänge sieht, lassen sich im übrigen auch die für selbstverständlich gehaltenen Begrenzungen jenes Schutzes verstehen. Es gibt weltweit wohl keine einzige Klinik, in der lebendgeborene Anenzephale mit den Mitteln der Intensivmedizin am Leben gehalten würden, wiewohl sie damit in den meisten Fällen wochen- oder sogar monatelang überleben könnten. Vielmehr läßt man sie überall, und trotz unbezweifelter grundsätzlicher Lebenserhaltungspflicht (strafrechtlich: Garantenpflicht) der Ärzte behandlungslos sterben. Auch in Deutschland ist das nicht anders.27 Aktiv töten darf man sie dagegen nirgendwo. Das zeigt deutlich, daß es nicht wirklich um den Erhalt ihres Lebens geht; andernfalls wäre das Sterbenlassen trotz der Möglichkeit einer (für die Kinder gänzlich leidfreien) Lebensverlängerung moralisch wie rechtlich indiskutabel. Man erkennt jedoch stillschweigend an, daß solche Kinder von ihrem Leben nichts erleben und deshalb auch nicht selbst etwas „haben" können. Daher bemüht man sich um dessen Erhaltung nicht im mindesten. Die Rechtsordnung nimmt das hin, hierzulande wie überall; die Ethik schweigt dazu. Ganz offenbar ist dieses rein vegetative, subjektiv unerlebte Leben nicht der wirkliche Gegenstand des gebotenen Schutzes. Vielmehr ist es die fundamentale gesellschaftliche Verbotsnorm gegen aktive Tötungen. Nur so erklärt sich die völlige Freigabe des Sterbenlassens bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des strikten Verbots jeder aktiven Tötung. Anenzephale sind aber nicht nur subjektiv erlebensunfähig; sie haben auch niemals irgendetwas erlebt. Bei irreversibel apallischen Patienten ist das anders. Sie waren vor ihrer Bewußtlosigkeit regelmäßig erlebensfähige Personen und subjektiv verletzbar. Das erklärt, warum die Frage, ob man ihre Behandlung mit tödlicher Folge einstellen darf, anders als im Falle anenzephaler Neugeborener (übrigens ebenfalls weltweit) umstritten ist.28 Denn hier tritt neben das Element des Normenschutzes, den wir gegen eine aktive Tötung grundsätzlich für dringender geboten halten als zugunsten einer Rettung,29 das eines gewissermaßen nachwirkend garantierten Schutzreflexes aus dem Verletzungsverbot, der im Fall des Anenzephalus gänzlich fehlt. Denn es ist für uns alle von erheblichem Belang, wie mit uns verfahren werden darf, sollten wir vom Schicksal eines irreversiblen apallischen Syndroms ereilt werden. Diese gegenwärtige Aktualität 27 Vgl. nur die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion „Die Grünen" im Bundestag, in: BT-Drucks. 11/7980 (1990), 53, wo genau dies lakonisch und ohne weitere Erklärung festgestellt wird (und übrigens seitens der Anfragenden unkommentiert bleibt). Zum ganzen Problem und seiner rechtlichen Behandlung Merkel 2001 a, 66 ff. und 621 ff. 28 Für die deutsche Diskussion vgl. die Nachweise in Anm.25. 29 Zu den - mutmaßlichen - Gründen dafür vgl. Merkel 2001 a, 583 f.

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des Problems für jeden Einzelnen ist es, was seine Lösung schwierig macht. Es geht eben nicht nur um die von außen und stellvertretend eingenommene Innenperspektive eines Apallikers, sondern um den heutigen Blick jedes einzelnen von uns, der morgen Apalliker sein kann, auf die dann zu erwartende Situation, also auf sich selbst. Daß um solche Fragen weltweit gestritten wird, im Fall des Anenzephalus dagegen nicht (weil das eben niemand werden kann, der jemals erlebensfähig gewesen ist), ist deshalb nicht überraschend. Verstehen lassen sich unsere normativ unterschiedlichen Einstellungen dazu nur, wenn man die oben entwickelten Unterscheidungen unserer maßgeblichen Normgründe und dabei vor allem das meistens übersehene Prinzip des Normenschutzes bedenkt. 3.5 Ziehen wir ein vorläufiges Resümee: Da der frühe Embryo gänzlich erlebensunfähig und deshalb aktuell nicht verletzbar ist, und zwar auch durch seine Tötung nicht, da er aber andererseits (regelmäßig) das Potential der Entwicklung zur erlebensfähigen Person hat, obliegt uns ihm gegenüber eine prima facie-Schutzpflicht aus dem Prinzip der Solidarität. Diese Pflicht ist gegenüber anderen Belangen Einzelner und der Gemeinschaft abwägbar. Normschutzüberlegungen, die hier wie bei allem Umgang mit menschlichem Leben eine wichtige Rolle spielen, verbieten zahlreiche mögliche Zwecke und Verhaltensweisen gegenüber Embryonen, etwa solche frivoler oder rein kommerzieller oder auch nur frei beliebiger Art. Sie verböten übrigens auch eine Legitimation der Embryonenforschung aus Gründen einer gänzlich abstrakten Forschungstätigkeit, die allein der Befriedigung einer faustischen Neugier diente. Ginge es hier um eine Wissenschaft, die keinerlei angewandten Nutzen für gewichtige Lebensinteressen von Menschen haben könnte, so müßte auch das bedeutsame, nominell sogar unbeschränkte Grundrecht der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG zurücktreten. Etwas ganz anderes ist freilich die Forschung zum Zweck einer möglichen Hilfe für schwerkranke, leidende, sterbende Menschen. Und um diese, nicht um eine abstrakte wissenschaftliche Neugier geht es bei der Stammzellforschung. Anders als bei geborenen Menschen gebieten solche Normschutzerwägungen die Intensivierung unserer Solidarität mit dem Embryo bis hin zu einem zugeschriebenen subjektiven Recht auf Leben jedoch nicht. Selbst die aktive Zerstörung von Embryonen erscheint uns nicht als Bedrohung unserer generellen Verbotsnorm gegen aktive Tötungen. Das gilt sogar für die Tötung erheblich weiter entwickelter Embryonen als der hier in Frage stehenden. Die Regelung des Abtreibungsproblems und ihre relativ friedliche Hinnahme durch die Gesellschaft zeigen das deutlich. Vermutlich jeder fühlt intuitiv zumindest einen moralischen Unterschied zwischen der Tötung eines geborenen Menschen und der eines frühen Embryos. Und daher wohl auch dies: daß die prima facieSchutzpflicht für das frühe embryonale Leben jedenfalls im Vergleich mit dem Tötungsverbot und der Lebenserhaltungspflicht gegenüber geborenen Menschen von relativ geringem Gewicht ist. Daraus ergibt sich auch und gerade unter dem Gesichtspunkt des Normenschutzes die Notwendigkeit, diese unter-

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schiedlichen moralischen Gewichte in der Normenordnung selbst deutlich auszuweisen. Tut man dies nicht, dann drohen irgendwann in Normkonflikten offene Inkonsistenzen - für ein System von Verhaltensnormen stets eine erhebliche Gefahr, da es auf Glaubwürdigkeit, Dignität und Orientierungskraft der fraglichen Normen Schatten der Unsicherheit und des Zweifels wirft.

4. Veranschaulichung: die Rolle moralischer Intuitionen Wer dies alles im Hinblick auf den Embryonenschutz dennoch bezweifelt, erwäge das folgende Szenario: In einem biotechnischen Labor bricht ein Feuer aus. In dem Labor befinden sich zehn am Vortag in vitro gezeugte, lebende Embryonen und außerdem ein durch den Rauch bereits tief bewußtloser Säugling.30 Ein in letzter Sekunde in das Labor eindringender Retter erkennt, daß er nur noch entweder den Säugling oder die zehn Embryonen retten kann. Hätte irgend jemand ernsthafte Zweifel, wie sich der Retter entscheiden sollte? Und hätte jemand solche Zweifel, wenn es nicht um zehn, sondern um hundert, tausend, ja um beliebig viele Embryonen ginge? 4.1 Ich habe diese Veranschaulichung unserer tief sitzenden und vorderhand gewiß revisionsfesten moralischen Intuitionen schon anderswo öffentlich präsentiert.31 Dagegen ist mancherlei vorgebracht worden, das deshalb hier erwähnt und überprüft sei. a) Der Philosoph Otfried Hoffe wendet ein, das Beispiel operiere lediglich mit positiven Pflichten, also Pflichten des Retters zur Hilfeleistung. Bei der verbrauchenden Forschung an Embryonen gehe es aber um deren Tötung, also um negative Pflichten, um Verletzungsverbote. Und diese hätten bekanntlich ein erheblich größeres Gewicht.32 Das ist, bei allem Respekt, ein erstaunlicher Einwand. Es wäre ja wahrhaftig mehr als seltsam, würden wir zwar bei Hilfspflichten zwischen frühen Embryonen und geborenen Menschen einen gewaltigen Unterschied machen, bei Verletzungsverboten aber plötzlich überhaupt keinen mehr. Und das ist selbstverständlich auch nicht der Fall. Deshalb ist es auch leicht, den Unterschied an einem Beispiel mit negativen Pflichten zu zeigen, ja stärker noch: an einer Kollision von fundamentalen negativen Pflichten auf der 30 Die Voraussetzung der tiefen Bewußtlosigkeit dient der Ausschaltung anderer Pflichten als der zum Schutz des Lebens, v. a. solcher zur Schmerzvermeidung, aus der imaginierten Situation. 31 Merkel 2001 b. 32 Hoffe 2001, 43; ähnlich Schockenhoff 2001, 17; befremdlich Kollek 2001, 17, die behauptet, es sei lediglich eine Frage der subjektiven Präferenzen, wie die Entscheidung des Retters ausfalle; ein moralisches Urteil lasse sich darüber nicht fällen. Das ist so offensichtlich abwegig, wie eine Rettung der Embryonen statt des Säuglings moralisch verwerflich wäre.

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einen und lediglich positiven (Hilfs-)Pflichten auf der anderen Seite. Bleiben wir bei meinem Szenario: Der Retter habe nur dann eine Möglichkeit zur Rettung des Säuglings, wenn er die im Wege stehende Apparatur mit den zehn (oder beliebig vielen) Embryonen zur Seite und dabei ins Feuer stößt, und das heißt natürlich: die Embryonen aktiv tötet. Auch in dieser Situation besteht keinerlei Zweifel an der moralischen Pflicht, den Säugling um jenen Preis zu retten. Eine solche aktive Tötung auch nur eines geborenen Menschen, der dem Retter des Säuglings im Wege stünde, etwa eines bewegungsunfähig Gelähmten, wäre dagegen selbstverständlich moralisch verwerflich und juristisch ein rechtswidriger Totschlag. Und sie bliebe beides auch dann, wenn sie das einzige Rettungsmittel nicht bloß für einen, sondern für viele Säuglinge wäre.33 b) Eingewendet worden ist weiterhin das folgende: Man könne sich schließlich auch andere Triage-Situationen dieser Art vorstellen, in denen die Rettung des einen und das Verbrennenlassen des anderen keineswegs bedeute, daß der nicht Gerettete ein geringeres Lebensrecht als der Gerette hätte oder gar überhaupt keines. Klar pointiert hat diesen Gedanken der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Huppe: Er, Huppe, würde als Retter und konfrontiert mit der Wahl, entweder seine Frau oder einen Rechtsphilosophen zu retten, die erstere wählen und doch dem letzteren dessen gleichgewichtiges Lebensrecht nicht absprechen.34 Das ist ein aufschlußreicher Hinweis. Denn vermutlich würde die Frau des Rechtsphilosophen in derselben Situation umgekehrt diesen retten und nicht Frau Huppe. Und hier genau liegt der Schlüssel zum Verständnis des allerdings prinzipiellen Unterschieds zu meinem Szenario mit den Embryonen. In einer Notsituation des Entweder-Oder wie in der des Labor-Falles gibt es bei gleicher Schutzwürdigkeit der Bedrohten eine große Menge zulässiger, moralisch nicht vorwerfbarer Präferenz-Kriterien für die Rettung. Persönliche Nähe zwischen Retter und Gerettetem ist gewiß das wichtigste. Aber auch andere, schwächere, sogar für sich genommen sehr dubiose würden wir gewissermaßen schweigend hinnehmen: das unterschiedliche Alter der Bedrohten etwa oder ihren Gesundheitszustand, den blitzschnellen Losentscheid bis hin zur größeren Sympathie des Retters mit dem einen als mit dem anderen von ihnen. Keines dieser Kriterien hat irgendetwas mit dem moralischen oder rechtlichen Schutz -

33 Man mag das Beispiel weiter zuspitzen: Anstelle des Säuglings befinde sich in dem Labor ein erwachsener Schimpanse in einem Käfig. Es ist keineswegs klar, daß der Retter moralisch verpflichtet wäre, die Embryonen zu retten und den Affen verbrennen zu lassen. Ich halte dies im Gegenteil für moralisch eindeutig falsch. Der Grund liegt in der aktuellen subjektiven Verletzbarkeit des Affen und in deren völligem Fehlen bei den Embryonen. Aber selbst wer dies dezidiert bestreiten möchte, muß wohl zugeben, daß eine Rettung des Affen nicht annähernd das gleiche Unrecht wäre, für das wir sie zweifellos hielten, überließe der Retter dafür nicht zehn frühe Embryonen, sondern zehn Säuglinge dem Flammentod. 34 Berichtet in einem Zeitungsartikel, der mir genau erinnerlich, aber nicht mehr zugänglich ist.

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status der Bedrohten zu tun. Und genau dieser ist das wohl einzige Kriterium, das keine zulässige Direktive für die Wahl abgeben könnte.35 Genau umgekehrt verhält es sich aber in meinem Embryonen-Fall: Hier könnte keines der vorhin genannten anderen Kriterien die Rettungswahl legitimieren. Das einzige dafür moralisch zulässige ist der unterschiedliche Schutzstatus der Bedrohten. Der Abgeordnete Huppe dürfte also selbst dann nicht die Embryonen statt des Säuglings retten, wenn er diesen, etwa als ihr biologischer Vater, sehr nahe und jenem gänzlich fern stünde. Und genau dasselbe gilt für alle denkbaren Retter der Welt: Immer und unter allen vorstellbaren sonstigen Umständen müßte jeder von ihnen den Säugling und dürfte nicht die Embryonen retten. Knapp formuliert: Wir würden in einer Triage-Situation ä la Huppe praktisch alle Entscheidungskriterien akzeptieren - nur eines nicht: die Behauptung eines prinzipiellen Statusunterschiedes. Im Laborbeispiel mit den Embryonen dagegen würden wir keines der im ändern Fall denkbaren Entscheidungskriterien akzeptieren - und nur ein einziges billigen: den prinzipiellen Statusunterschied. c) Das wirft nun allerdings ein helles Licht auf die normativen Probleme, die hier im Spiel sind. Die Einwände Höffes und Hüppes widerlegen nicht nur nicht, sondern unterstreichen, was das ursprüngliche Beispiel zeigen sollte. Sogar aktiv töten dürfte, nein müßte der Retter die Embryonen, wenn er nur so das Kind retten könnte (gegen Hoffe). Und er müßte dies selbst dann, wenn er den Embryonen verwandtschaftlich nahe, dem Säugling dagegen gänzlich fern stünde (gegen Huppe). Nichts vermag diese wohl universell geteilte, tiefsitzende moralische Intuition zu erklären als der Umstand, daß wir einen nachgerade gewaltigen Unterschied im Gewicht der Pflichten annehmen, die wir gegenüber geborenen Menschen einerseits und gegenüber Embryonen andererseits haben. Wer will, mag - etwa in der Form des Hüppeschen Einwands - noch immer behaupten, dieser Unterschied schließe nicht zwingend aus, daß gleichwohl beide, früher Embryo wie geborener Mensch, ein Recht auf Leben und Würdeschutz hätten. Die Behauptung führte aber ganz offensichtlich Grundrechte zweiter (oder eigentlich eher dritter) Klasse ein. Sie blieben, wie unser Laborbeispiel zeigt, in ihrer Schutzfunktion hinter den wirklichen Grundrechten geborener Menschen nachgerade endlos weit zurück. Und das bedeutet einfach: Solche „Grundrechte" wären keine. Wer sie gleichwohl so nennt, beweist damit nicht etwa eine moralische Haltung. Vielmehr spiegelt er - und wäre es optima 35 Eine Rettungsentscheidung, die sich auf objektive Differenzkriterien, etwa auf einen „größeren moralischen Wert" von Männern gegenüber Frauen, von Weißen gegenüber Schwarzen, Jungen gegenüber Alten, Gesunden gegenüber Kranken (oder jeweils umgekehrt) stützen wollte, wäre stets moralisch verwerflich und in keinem Fall akzeptabel. Dagegen wären subjektive Präferenzen des Retters wie „Dieser Mann war mir als Person sympathischer als die Frau" oder „Dieser Weiße sympathischer als der Schwarze" moralisch genauso hinzunehmen wie die jeweils umgekehrte Präferenz.

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fide - eine Moralität des Schützens und der Fürsorge vor, die von dem großzügig zugeschriebenen „Grundrecht" nicht annähernd beglaubigt wird, deren gebotene Konsequenzen also nicht durchzuhalten sind. Die Ethik darf aber ihre Argumente nicht auf Täuschungen und Selbsttäuschungen gründen. Eine solche Zuschreibung von Grundrechten, die versprechen, was niemand zu halten bereit wäre, ist daher moralisch nicht akzeptabel. 4.2 Das alles bestätigt die Ergebnisse unserer obigen abstrakten Analyse nachdrücklich. Gewiß ersetzt ein Szenario wie das des brennenden Labors nicht die tragenden ethischen Argumente. Es macht sie vielmehr anschaulich. Es zeigt aber außerdem auch ihre Konsonanz mit unseren fundamentalen moralischen Intuitionen. Diese Kohärenz der Resultate einer eingehenden Analyse mit unseren gut erprobten alltagspraktischen Überzeugungen ist für die moralphilosophischen Argumente selbst von erheblicher Beglaubigungskraft.36 Daß in einem Beispiel wie dem des brennenden Labors wohl zwischen allen Streitparteien der gegenwärtigen Debatte ein „overlapping consensus"37, eine vermutlich universale „übergreifende Übereinstimmung" hinsichtlich der Lösung besteht, ist ein gewichtiges Indiz für deren moralische Richtigkeit - und damit freilich auch für die Konsequenzen, die sich aus ihr ergeben. Die folgende liegt auf der Hand: Die Speziessolidarität mag im Normalfall einen Grund für den Einbezug des Embryos in die moralische Sphäre des Lebensschutzes abgeben. In jedem halbwegs gewichtigen Sonderfall ist dieser objektive Schutzreflex gegen kollidierende andere Interessen abwägbar - ganz anders als ein genuin subjektives Recht auf Leben. Und er ist, wie die Ausdehnung meines Laborfalles auf beliebig viele Embryonen und auf die Situation ihrer sogar aktiven Tötung zeigen soll, von relativ geringem Gewicht.

5. Konklusion Dies ist nun das Ergebnis sämtlicher Überlegungen zum Speziesargument: Beurteilt man den Embryo nur nach seinem aktuellen Zustand, dem gegenwärti36 Ethische Theorien, die auf irgendeine Weise die Verbindung der Resultate einer analytischen Reflexion mit den „wohlerwogenen Urteilen" (John Rawls) unserer alltagsmoralischen Einstellungen für bedeutsam zur Begründung moralischer Normen halten, werden (im weitesten Sinne) kohärentistische oder Kohärenztheorien der Moral genannt. Der vielleicht prominenteste Philosoph, der dieser Richtung zugehört, ist John Rawls mit seinem klassischen Werk 1971, dt. 1975; vgl. ebda, vor allem Kap. l, 9., 65 ff. - Nachdrücklich für eine kohärentistische Begründung von Handlungsnormen Nida-Rümelin 2001. - Hier soll lediglich auch auf diese Form der Plausibilisierung und Beglaubigung hingewiesen werden; eine dezidiert kohärentistische Moraltheorie braucht dafür nicht vertreten, in die umstrittenen Probleme der philosopischen Diskussion nicht tiefer eingestiegen zu werden. 37 Zu diesem Begriff ebenfalls Rawls 1992.

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gen Status quo seiner Erlebensunfähigkeit, dann ist es nicht möglich, ein genuin subjektives Recht auf Leben für ihn zu begründen. Seine Spezieszugehörigkeit ändert daran nichts. Eine bloß objektive prima facie-Pflicht solidarischer Provenienz haben wir allerdings festhalten können. Sie greift aber bereits über den aktuellen Status des Embryos hinaus und setzt das Potential seiner künftigen Entwicklung voraus. Damit verknüpft sie Spezies- und Potentialitätsargument. Erst in dieser Kombination wird eine Pflicht erkennbar, zu deren Begründung das Speziesargument eine Voraussetzung beizubringen vermag. Gute Gründe, diese Pflicht bis zur Zuschreibung eines subjektiven Rechts zu verstärken, sind nicht erkennbar geworden. Auch Normschutzüberlegungen der oben skizzierten Art, die vor allem der Spezieszugehörigkeit des Embryos Rechnung tragen, sprechen nicht dafür. Unser zugespitztes Laborbeispiel demonstriert das deutlich: Sogar eine aktive Tötung der Embryonen zur Rettung des Säuglings wäre moralisch unbedingt geboten. Eine solche Tötung ist aber mit dem Status eines subjektiven Rechts nicht zu vereinbaren, und zwar weder in rechtlicher noch in ethischer Hinsicht. Wollten wir ein solches Recht dennoch zuschreiben, so müßten wir zur Vermeidung destruktiver Inkonsistenzen entweder unsere fundamentalen moralischen Überzeugungen ignorieren oder ihre Änderung erzwingen: In allen skizzierten Konfliktfällen wären stets die Embryonen zu retten. Ich nehme an, daß dies niemandem akzeptabel erscheint.

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Das Kontinuumsargument

Ludger Honnefelder Pro Kontinuumsargument: Die Begründung des moralischen Status des menschlichen Embryos aus der Kontinuität der Entwicklung des ungeborenen zum geborenen Menschen In diesem Beitrag wird das sogenannte Kontinuumsargument begründet und verteidigt. Es besagt im Prinzip folgendes: Jedes menschliche Wesen, das aktuale Personeigenschaften hat, hat Würde; jeder menschliche Embryo hat insofern aktuale Personeigenschaften, als er ein menschliches Lebewesen ist, das sich, unter normalen Bedingungen, ohne moralrelevante Einschnitte zu einem geborenen menschlichen Wesen entwickelt, das aktuale Personeigenschaften hat; also hat jeder menschliche Embryo Würde. Die Begründung des Würdestatus menschlicher Embryonen erfolgt also durch die Übertragung des moralischen Status vom geborenen auf den ungeborenen Menschen aufgrund der Identität und der Kontinuität der Entwicklung, die vom ungeborenen zum geborenen Menschen führt. Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen, daß das Kontinuumsargument und das Identitätsargument im Prinzip dasselbe aussagen und in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem sogenannten Potentialitätsargument stehen. Es ist die reale und aktive Potenz eines bereits existierenden Lebewesens, die die Identität und Kontinuität mit dem später geborenen Menschen begründet.

In der aktuellen Diskussion um Fortpflanzungsmedizin, Präimplantationsdiagnostik und Stammzellforschung nimmt die Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos eine Schlüsselstellung ein. Die Frage selbst ist nicht neu; doch anders als in den genannten aktuellen Kontexten stellte sie sich in der Vergangenheit nur in bezug auf den Abbruch und die Gefährdung einer bereits eingetretenen Schwangerschaft. Ausschließlich als Embryo im Körper der Mutter trat der ungeborene Mensch in den Blick. Erst die Entdeckung der Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung außerhalb des Mutterleibes führte zur Existenz des Embryo in vitro und eröffnete ein bis dahin unbekanntes Spektrum von Möglichkeiten der Erzeugung und Nutzung menschlichen Lebens. Neben der In-vitro-Fertilisation zum Zweck der Infertilitätsbehandlung und der Präimplantationsdiagnostik mit Blick auf ein genetisches Risiko von Eltern mit Kinderwunsch waren es vor allem die sich abzeichnenden Ziele der medizinischen Forschung, die den Blick auf den in vitro gezeugten Embryo lenkten. Denn an der erfolgreichen Klonierung des Schafs Dolly zeigte sich, daß das Baerscbe Gesetz durchbrochen werden kann, gemäß dem die Differenzierung der verschiedenen Zelltypen aus dem am Anfang der Entwicklung eines höhe-

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ren Lebewesens stehenden befruchteten Ei und den daraus hervorgehenden embryonalen Zellen einen irreversiblen Prozeß darstellt. Darüber hinaus ließ die auf das Klonierungsexperiment folgende Identifizierung pluripotenter embryonaler und etlicher Formen gewebespezifischer Stammzellen deutlich werden, daß das in diesen Stammzellen liegende Entwicklungsvermögen - einmal erforscht - zu einer bis dahin unbekannten Erweiterung des therapeutischen Instrumentariums in der Hand des Arztes führen kann. Dies aber mußte mit zunehmender Dringlichkeit zu der Frage führen, wie mit dem menschlichen Embryo in vitro umzugehen ist, wenn hochrangige Ziele in Forschung und Therapie anstehen. Ist sein moralischer Status dem des Embryo in utero vergleichbar, und wie ist dieser Status überhaupt zu bestimmen? Will man auf diese Frage eine begründete Antwort geben,1 ist zunächst zu klären, was die Frage nach dem moralischen Status bedeutet (1) und wie sie für den geborenen Menschen zu beantworten ist (2). In den folgenden zwei Kapiteln werde ich das sogenannte Kontinaumsargument (K-Argument), d. h. die Begründung der Übertragung des moralischen Status vom geborenen auf den ungeborenen Menschen insbesondere aufgrund der Identität und der Kontinuität der Entwicklung vorstellen und verteidigen, die vom ungeborenen zum geborenen Menschen führt. Dabei werde ich nach dem moralischen Status des ungeborenen Menschen (3) und insbesondere des Embryos in vitro (4) fragen. Ich gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß das Kontinuumsargument und das Identitätsargument im Prinzip dasselbe aussagen und in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem sogenannten Potentialitätsargument stehen. Der Aufsatz schließt mit einem Resümee und Ausblick (5). Das in diesem Aufsatz zu verteidigende K-Argument besagt im Prinzip folgendes: (1) Jedes menschliche Wesen, das aktual ist, hat Würde. (2) Jeder menschliche Embryo ist aktual , weil er ein menschliches Lebewesen ist, das sich, unter normalen Bedingungen, kontinuierlich (ohne moralrelevante Einschnitte) zu einem geborenen menschlichen Wesen entwickelt, das unzweifelhaft aktual ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Würde.2

1. Was bedeutet die Frage nach dem moralischen Status? Offenkundig wird die Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos in vitro in der Erwartung gestellt, daß aus der Antwort auf diese Frage Aufschluß über die Schutzwürdigkeit des Embryos zu erhalten ist und daß dies 1 2

Ich folge dabei Überlegungen, die ich in Honnefelder 2002 vorgelegt habe. Mit den -Eigenschaften sind Eigenschaften gemeint, aufgrund deren wir ihre Träger unter normalen Umständen nicht töten dürfen. Vgl. dazu die Einleitung von Gregor Damschen und Dieter Schönecker (in diesem Band, 3).

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wiederum erlaubt, Kriterien für den angemessenen Umgang mit menschlichen Embryonen zu gewinnen. Freilich will dabei der Sinn, in dem der Ausdruck „Status" verwendet wird, genau beachtet sein. Denn „Status" kann einerseits die „Verfassung" von etwas meinen, wie sie deskriptiv erfaßbar ist, oder andererseits die „Stellung" bzw. den „Stand", der jemandem zugemessen wird bzw. den jemand einnimmt.3 Doch ist der „Status", um den es bei der Frage nach dem moralischen Status geht, weder die biologische oder ontologische Verfassung noch die gesellschaftliche Zuschreibung. Beschriebe der in Frage stehende Status nichts anderes als die biologische oder ontologische Verfassung, wäre daraus die Schutzwürdigkeit nur um den Preis eines fehlerhaften Schlusses von einem Sein auf ein Sollen zu gewinnen. Wäre er umgekehrt nur als Resultat einer Zuschreibung durch Dritte zu verstehen, wäre seine Bestimmung dem Verdacht bloßer gesellschaftlicher Konvention ausgeliefert. Dies bedeutet freilich, wie wir noch sehen werden, weder, daß deskriptive Annahmen bei der Bestimmung des Status unerheblich wären, noch, daß sich der Status nicht über ein Urteil der Anerkennung zur Geltung brächte. Wie das Wort „moralisch" in der Verbindung mit „Status" anzeigt, wird „Status" hier verwendet, um die Antwort auf die Frage auszudrücken, als welches „Gut" der menschliche Embryo in vitro zu betrachten ist. Dabei wird mit dem Terminus „Gut" etwas bezeichnet, was Gegenstand eines Werfurteils ist, das seinerseits „moralisch" von Belang ist. „Werturteil" bedeutet jedoch keineswegs, daß es dieses Urteil ist, durch das dem Referenzobjekt allererst ein Wert beigelegt oder zugemessen wird. Vielmehr ist beides möglich: In einem Werturteil kann ein bereits bestehendes Gut als Gut anerkannt oder aber einem Gegenstand bzw. einem Sachverhalt der Charakter eines Gutes beigelegt bzw. zuerkannt werden. Im ersten Fall können wir von einem intrinsischen, im zweiten Falle von einem extrinsischen Gut sprechen.4 In beiden Fällen ist das Werturteil Voraussetzung für die nachfolgenden handlungsleitenden Urteile, wobei zu beachten ist, daß in vielen handlungsleitenden Urteilen die zugrunde liegenden Werturteile als solche keineswegs ausdrücklich gemacht werden. Die Frage nach dem moralischen Status ist also nichts anderes als die Explikation des Werturteils, das auf die Frage antwortet, was für ein Gut das in Rede stehende X ist. Dieses Werturteil gibt dann seinerseits die Grundlage an, auf die sich die jeweils handlungsleitenden Urteile beziehen. Der Differenzierung der Verwendungsweise von Status entsprechend kann dabei X als ein intrinsches oder als ein extrinsisches Gut verstanden werden.

3 4

Vgl. Georges 1988. Vgl. Holm 1998, 41 f.

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2. Was ist der moralische Status des geborenen Menschen? Wollen wir klären, als welches Gut der menschliche Embryo in vitro zu betrachten ist, dann ist es sinnvoll, von der Frage auszugehen, als welches Gut denn der Mensch überhaupt zu betrachten ist. Denn ohne Zweifel ist es methodologisch sinnvoll, den zu klärenden Fall im Ausgang vom offenkundigen Fall einer näheren Bestimmung zuzuführen. Offenkundig ist aber, daß wir in bezug auf den geborenen Menschen den Ausdruck „Mensch" nicht nur in einem deskriptiven Sinn verwenden. Deshalb können wir auch fragen, ob dies in gleicher Weise der Fall ist, wenn wir von ungeborenen Menschen sprechen und nach deren moralischen Status fragen. Gehen wir vom Sprachgebrauch aus, so sind wir über das, was wir meinen, wenn wir jemanden als einen Menschen bezeichnen, gewöhnlich nicht im Zweifel. Insbesondere zögern wir nicht, mit diesem Ausdruck alle Mitglieder unserer Spezies zu bezeichnen. Dabei gebrauchen wir - in der Fachsprache ausgedrückt - das Prädikat „Mensch" als einen sortalen Ausdruck, d. h. als einen (generellen) Terminus, mit dessen Hilfe wir etwas identifizieren, indem wir es zugleich charakterisieren. Sortale Ausdrücke wie „Mensch" sind dadurch gekennzeichnet, daß sie sich in einer festen Weise - Kripke und Putnam sprechen von starrer Referenz5 - auf Exemplare von Dingen beziehen, die von einer bestimmten Natur sind. Sie sind verborgen indexikalisch, verweisen also auf einen in der Wirklichkeit vorgegebenen Bestand in Form einer natürlichen Art. Was eine solche Art ausmacht, ist daher nicht Sache der sprachlichen Konvention, sondern Sache der Wirklichkeit und der sie kennzeichnenden Naturgesetze. In dieser Weise ist der Sortalausdruck „Mensch" keine zur beliebigen Disposition stehende kulturelle Zuschreibung, sondern meint ein Individuum einer natürlichen Art, welche durch bestimmte Kennzeichen charakterisiert ist, die wir die alle Exemplare dieser Art kennzeichnende Natur nennen können. Zu der mit dem Ausdruck „Mensch" bezeichneten natürlichen Art gehört es, ein Lebewesen zu sein, zu dessen Natur die Entwicklung der Fähigkeit gehört, sowohl körperliche Funktionen wie Gehen oder Stehen auszuführen als auch mentale wie die, um sich selbst zu wissen und vernünftig und frei zu handeln.6 Charakteristisch für Sortalausdrücke wie „Mensch" ist es darüber hinaus, daß sie Eigenschaften bezeichnen, die eine Entität nicht zusätzlich zu der Tatsache hat, daß sie existiert, sondern die die Weise ihrer Existenz überhaupt kennzeichnen. So bezeichnen wir als Lebewesen solche Entitäten, für die Leben die Weise ihrer Existenz darstellt. Und „Mensch" nennen wir ein Lebewesen, für das Leben in der Weise eines vernunftbegabten Lebewesens die Weise ist, in Vgl. Kripke 1981, 59f.; Putnam, 21990, 40-47; vgl. dazu ausführlicher Honnefelder 1996 und Honnefelder 1998b. Charakteristisch für die natürliche Art Mensch ist es nach Strawson 1972,18, daß von einem Individuum dieser Art gleichermaßen M(aterie)- und P(erson)-Prädikate, d.h. auf Körperliches und auf Mentales bezogene Prädikate, ausgesagt werden können.

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der es existiert.7 Vernunftbegabtes Lebewesen zu sein, ist die Weise, in der der Mensch existiert, weshalb wir dann, wenn der Mensch dies nicht mehr ist, sagen, daß er nicht mehr existiert. Dies bedeutet indessen keineswegs, daß der Mensch nur existiert, sofern er seine Vernunft aktuell betätigt. Denn Vernunftbegabtheit wird als eine artspezifische Eigenschaft verwendet, die für diese Art von Lebewesen kennzeichnend ist. Deshalb bezeichnen wir denjenigen, der am Gebrauch der Vernunft gehindert ist, als einen ,kranken' Menschen und denjenigen, der noch nicht geboren und zum Gebrauch der Vernunft gekommen ist, als einen ,ungeborenen' Menschen, und nicht jeweils als etwas von einer anderen natürlichen Art. Kennzeichnend für den Gebrauch des Ausdrucks „Mensch" ist schließlich, daß wir ein Individuum, das wir als „Mensch" bezeichnen, als ein und dasselbe in Raum und Zeit sich durchhaltende Individuum, d. h. als eine nicht nur hier und jetzt aktuell existierende, sondern über eine bestimmte Raum- und Zeitstrecke persistierende Entität, und zwar - wie bereits gesagt - in der Art eines Lebewesens, verstehen. Andernfalls wären wir weder in der Lage, uns selbst und andere in Raum und Zeit zu (re-)identifizieren, noch könnten wir alle Mitglieder der Spezies Homo sapiens als Menschen bezeichnen, noch wäre es sinnvoll, von Menschenrechten zu sprechen. Mit der deskriptiven Kennzeichnung des Menschen, Individuum einer Art zu sein, zu deren Natur es gehört, ein Lebewesen mit dem Vermögen des Vernunftgebrauchs zu sein, ist nun zugleich ein Werturteil verbunden.8 Was wir nämlich mit dem Prädikat „Mensch" bezeichnen, verstehen wir im Zusammenhang der Vorzugsurteile, von denen unser Handeln bestimmt ist, als ein Gut, wobei Gut hier einen prämoralischen Sinn hat, insofern es den Gegenstand eines Werturteils darstellt, das dann als Grundlage unserer moralischen, auf Handlungen bezogenen Urteile dient. Den Menschen als ein Gut zu betrachten, das wir allen anderen Gütern vorziehen, ist in diesem Sinn ein Werturteil in Form eines letzten praktischen Urteils, in dem wir alle übereinstimmen. Dabei beschränken wir uns nicht auf die von der biologischen Taxonomie erfaßten Merkmale, sondern schreiben dem Menschen im Unterschied zu allen anderen Lebewesen deshalb einen unbedingten Wert zu, weil er das mit Vernunft begabte Lebewesen ist, zu dessen Natur es gehört, sich zu sich selbst verhalten und selbstgewählte Zwecke verfolgen zu können.9

7

8 9

Vgl. das aristotelische Diktum, daß das Leben die Weise ist, in der Lebewesen existieren (und dementsprechend das Leben als vernunftbegabtes Lebewesen die Weise, in der vernunftbegabte Lebewesen existieren): „[...] vivere viventibus est esse [...]" (Aristoteles, De anima, Buch II, Kap. 4, 415b 13). Vgl. dazu Ricken 1998. Zu den unterschiedlichen Formen der begrifflichen Explikation des fundamentalen praktischen Urteils, das dem moral point of view zugrunde liegt, vgl. die Übersicht in Honnefelderl998a,656ff.

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„Fast jeder", so heißt es bei Dworkin, „bejaht ausdrücklich oder intuitiv den Gedanken, daß menschliches Leben einen Wert an sich hat, der ganz unabhängig ist von dessen persönlichem Wert für irgend jemanden."10 Nur wenn wir diese Annahme als allgemein akzeptiert unterstellen, wird es nach Dworkin verständlich, daß Schwangerschaftsabbruch auch für denjenigen ein Problem darstellt, der den Embryo nicht als Person betrachtet, und aktive Sterbehilfe von allen auch dann für rechtfertigungsbedürftig gehalten wird, wenn sie vom Betroffenen selbst erbeten wird. Insofern es zum Menschen gehört, ein Lebewesen zu sein, das seiner Natur nach das Vermögen besitzt, selbstgesetzte Zwecke zu verfolgen, können wir den Menschen mit Kants Sprachgebrauch auch „Person" nennen11 und ihm im Hinblick auf den unbedingten Wert, der ihm als Zweck an sich selbst zukommt,12 eine Würde zuschreiben,13 die ihn der Abwägung gegen andere Güter entzieht und die deshalb als unverletzlich gelten muß. In diesem Sprachgebrauch bezeichnet der Ausdruck „Person" den Menschen, insofern ihm die Natur eines vernünftigen Wesens eigen ist, und apostrophiert den unbedingten Wert, der dem Menschen in dieser Natur zukommt. Das Ergebnis der kurzen Sprachanalyse, mit dem Sortalausdruck „Mensch" sei ein Werturteil verbunden, das dem Menschen einen unbedingten Wert zuspreche, impliziert also weder einen Speziesismus14 noch einen Sein-SollenFehlschluß. Denn der Einwand, man ziehe damit eine bestimmte biologische Spezies grundlos anderen vor, ist nur berechtigt, wenn man zuvor die Natur des Menschen auf das beschränkt, was die Taxonomie der Biologie erfaßt, und den Wert des Menschen auf seinen biologischen Wert reduziert. Den unbedingten Wert aber sprechen wir nicht dem biologischen Substrat, sondern der Natur des Menschen zu, wie wir sie in unserem lebensweltlichen Sprechen mit dem Ausdruck „Mensch" bezeichnen. Und ein Fehlschluß liegt nicht vor, weil der Wert des Menschen nicht aus seiner Natur gefolgert, sondern ihm in seiner Natur in Form eines letzten praktischen Urteils zugesprochen wird. Wäre das (Sortal-)Prädikat „Mensch" nicht mit einem solchen Werturteil verbunden, bräche die Begründung für eine fundamentale moralische und rechtliche Annahme weg, nämlich die von der anzuerkennenden Gleichheit aller Menschen als Menschen.

10 Dworkin 1994, 98. 11 Vgl. Kant 1907,223: „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind." 12 Vgl. Kant 1903, 431. 13 Vgl. Kant 1903,440. 14 So der Einwand von Singer 1984, 169.

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3. Was ist der moralische Status des ungeborenen Menschen? Das Kontinuumsargument 3.1 Wenn aber zu dem Prädikat „Mensch" gehört, von jedem Mitglied derart ausgesagt zu werden, und wenn dieses Prädikat mit dem beschriebenen fundamentalen Werturteil verbunden ist, das dem Menschen einen besonderen moralischen Status zuspricht, dann liegt es nahe, diesen Status auch dem noch nicht geborenen Lebewesen zuzusprechen, das unter die menschliche Art fällt und sich zu einem geborenen Menschen zu entwickeln vermag. Wie aber- so lautet dann die Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryo in vitro - kann der beschriebenen doppelten Einsicht in ihren beiden Teilen gleichermaßen Rechnung getragen werden: daß nämlich die dem Menschen eigene Würde jedem Menschen als Menschen zukommt, der Mensch sich aber zugleich als Mensch zum Menschen entwickelt? Jeder Versuch einer Antwort auf diese Frage hat beiden Intuitionen gerecht zu werden, wobei in der zwischen diesen Intuitionen liegenden Spannung offensichtlich der Grund für die bislang nicht behebbare Verschiedenheit der Antworten liegt, die den gegenwärtigen Streit um den Status des menschlichen Embryos kennzeichnet.15 Dabei ist zu beachten, daß diese Spannung gleichermaßen die begriffliche Explikation wie auch die normative Antwort auf die damit verbundene Herausforderung betrifft. Hiermit komme ich auf das eingangs genannte Thema von Kontinuität und Identität zu sprechen. Denn eine erste hier zu nennende Grundposition geht bei der Rückübertragung des moralischen Status und der daraus resultierenden Schutzwürdigkeit vom geborenen auf den ungeborenen Menschen von der Identität und Kontinuität aus, die den geborenen mit dem ungeborenen Menschen verbindet und die dem ungeborenen Menschen die reale Potentialität zukommen läßt, sich aus sich heraus zu dem geborenen Menschen zu entwikkeln.16 Denn ohne Zweifel gehört der ungeborene Mensch nicht nur der gleichen Spezies an wie der geborene; es ist ein und dasselbe Lebewesen, das sich über die verschiedenen Phasen der Schwangerschaft hinweg zu dem geborenen Menschen entwickelt. Auch die Weise, in der wir uns rück- und vorblickend als mit uns identisch erfahren und uns eine unverwechselbare und in ununterbrochener Kontinuität sich durchhaltende Identität zuschreiben, ist unlöslich an die diachrone Identität des Lebewesens gebunden, das wir sind. Wir führen uns zurück auf das Kind, das zu einem bestimmten Zeitpunkt von bestimmten Eltern gezeugt wurde, und auch unsere Sorge zu überleben bezieht sich darauf, als dieses Lebewesen zu überleben, das wir seit der Zeugung bis jetzt sind. 15 Vgl. die neuere Übersicht bei Reiter 2001,608 f.; ferner die Dokumentation von Geyer 2001 sowie den Zweiten Zwischenbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin. 16 Vgl. ausführlicher Honnefelder 1996, 250-254.

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Wenn sich aber Identität und Kontinuität auf das Lebewesen beziehen, das ein jeder von uns ist, dann müssen sie sich so weit zurück erstrecken, wie es ein Lebewesen gibt, das sich als solches - und dies bedeutet für Lebewesen: sich als ein lebendiges Ganzes aus sich heraus - zu dem geborenen Menschen entwikkelt, der ich bin. Dafür genügt nicht die logische Möglichkeit, daß sich aus Eiund Samenzelle ein Lebewesen entwickeln kann. Es genügt auch nicht die Möglichkeit, daß ein Minderjähriger zu einem Volljährigen oder ein Kronprinz zu einem König mit entsprechenden Befugnissen wird. Ferner geht es nicht - wie beim unbehauenen Marmor im Blick auf die in ihm ,enthaltenec Statue - um materiale Potentialität, sondern - und dies wird in der üblichen Kritik des Potentialitätsarguments meist übersehen17 - um die spezifische Potentialität, die Lebewesen von dem Augenblick an eigen ist, in dem sie entstanden sind, und die dazu führt, daß sie - die üblichen Umstände vorausgesetzt - zu dem werden, was zu ihrer Art gehört.18 Es ist also die reale und aktive Potenz eines bereits existierenden Lebewesens, die die Identität und Kontinuität mit dem später geborenen Menschen begründet. Damit wird deutlich, daß Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies, Identität, Kontinuität und Potentialität Aspekte sind, die in wechselseitig sich bedingender Weise und deshalb voneinander nicht trennbar, die embryonale Entwicklung eines Lebewesens kennzeichnen. Es erscheint mir deshalb nicht sinnvoll, die sogenannten SKIP-Argumente voneinander losgelöst zu betrachten. In dieser spezifischen Verbindung sind sie die Grundlage für das Argument, den Beginn des Menschseins auf den Beginn dieser Entwicklung zurückzuführen.19 3.2 Das damit skizzierte K-Argument kann gegen verschiedene Einwände verteidigt werden, wie sie insbesondere aus der Sicht einer zweiten Grundposition erhoben werden. Sie kommt im Gegensatz zu der erstgenannten Grundposition zu dem Resultat, daß dem Menschen ein moralischer Status erst nach der Geburt bzw. zu einem erst nach der Geburt liegenden Zeitpunkt zukommt, wobei eine erste Variante dieser Position im Zusammenhang einer Theorie von Rechten, eine zweite im Kontext eines Präferenz Militarismus begegnet. Die erste dieser beiden Varianten geht davon aus, daß nur dann sinnvoll von einem moralischen Status des Menschen zu sprechen ist, wenn dies bedeutet, bestimmte Rechte - darunter vor allem das Lebensrecht - zu besitzen.20 Für die Zuschreibung von Rechten ist aber nach dieser Position eine notwendige Bedingung der Besitz von Interessen, und Interessen wiederum hat ein Lebewesen bzw. eine Entität nur dann, wenn es darum weiß, daß diese Interessen verletzt sind.21 Ein Lebewesen, das nicht daran interessiert ist, Schmerz zu vermeiden, 17 18 19 20 21

Vgl. etwa Kaminsky 1998 oder Schöne-Seifert 2001. Vgl. dazu ausführlicher Holm 1998 und Holm 1996, 206ff. Dies wird in der Kritik von Merkel 2001 gänzlich übersehen. Vgl. die diskutierten Positionen in Holm 1996 und Holm 1998. In diesem Sinne argumentiert auch Reinhard Merkel (in diesem Band, 35-58).

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weil es diesen Schmerz nicht empfinden kann, das auch nicht daran interessiert ist, zu überleben, weil es gar nicht um sein Leben als Leben weiß, und das eine Verletzung seiner Selbstachtung nicht erfahren kann, weil es sie noch nicht entwickelt hat, kann - so das Argument - auch keine Interessen haben, die durch Rechte zu schützen wären. Der Zeitpunkt des Besitzes von elementaren Rechten ist daher an den Zeitpunkt der bewußt erfahrenen Verletzbarkeit von Interessen gebunden und somit kaum vor der Geburt des Menschen anzusetzen.22 Die Bindung des Besitzes von Rechten (und damit des in Frage stehenden moralischen Status) an verletzbare Interessen hängt aber, so ist dieser Position entgegenzuhalten, nicht nur an der (im Kontext der Ethik keineswegs zwingenden) Annahme, daß ein schutzwürdiges Gut nur da vorliegt, wo eine Entität im Besitz von Rechten ist; selbst unter Voraussetzung dieser Annahme führt die mit dieser Position verbundene Argumentation nicht zu dem behaupteten Ergebnis. Denn keineswegs liegen schützenswerte Interessen erst dann vor, wenn das Lebewesen sich der Interessen und ihrer Verletzung bewußt ist. Liegt nämlich der Grund für die Verwerflichkeit der Tötung eines Unschuldigen darin, daß wir - wie Holm argumentiert - ihn der Möglichkeit berauben, „ein Leben wie das unsere zu führen", dann liegt ein verletzbares Interesse bereits dann vor, wenn es ein Lebewesen gibt, das die reale Potenz besitzt, ein Leben wie das unsere zu führen, und das in Identität und Kontinuität zu dem Lebewesen steht, das ein solches Leben bewußt erfährt und deshalb das Interesse besitzt, nicht zu einem früheren Zeitpunkt getötet worden zu sein.23 Hält man sich diese Perspektive vor Augen, ist es durchaus konsequent, die kontraktualistische Begründung des moralischen Standpunkts zu erweitern und den Achtungsanspruch nicht auf die der wechselseitigen Anerkennung fähigen Subjekte zu beschränken, sondern diesen Anspruch - wie neuerlich Habermas vorschlägt - um die Forderung zu erweitern, den ungeborenen Menschen „in Antizipation seiner Bestimmung wie eine zweite Person zu behandeln, die sich, wenn sie geboren würde, zu dieser Behandlung verhalten könnte".2* Denn was sollte Anlaß für die geforderte Erweiterung des Achtungsanspruchs sein und die vorgeschlagene Antizipation von einer dezisionistischen Fiktion unterscheiden, wenn nicht die Tatsache, daß dem ungeborenen Menschen die reale Potenz eigen ist, ,ein Leben wie das unsere zu führen'? Wenn aber zu achtende Interessen bereits dann vorliegen, wenn ein Lebewesen da ist, 22 Für ein Einsetzen des moralischen Status bei der Geburt des Menschen werden noch weitere Überlegungen vorgetragen, die auf die Bedeutung der Geburt für das Leben des Menschen abheben, wie die der „manifestierten Eigenständigkeit" oder der Tatsache, „aus[zu]sehen wie ein Mensch" (Gerhardt 2001, 417 f.). Ohne die Bedeutung schmälern zu wollen, die dem Ereignis der Geburt zukommt, wird man solchen Argumenten im Zeitalter der eingeleiteten oder verzögerten Geburt allerdings wenig Gewicht beimessen können. 23 Vgl. Holm 1996, insbes. 211. 24 Habermas2001,120.

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das die reale Potenz besitzt, ,ein Leben wie das unsere zu führen', dann ist es das zur Begründung intersubjektiv verbindlicher Rechte und Pflichten angeführte moralische Prinzip der Symmetrie, das die Ausweitung auf den ungeborenen Menschen fordert.25 Die zweite Variante der Auffassung, die einen moralischen Status des menschlichen Embryos bestreitet, basiert auf der präferenzutilitaristischen Annahme, daß jede moralische Verpflichtung ihre Grundlage allein im Gebot der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen besitzt und somit ein generelles Tötungsverbot nur solche Lebewesen betreffen kann, die Präferenzen von Interessen entwickeln - und nur mit Blick auf solche Lebewesen spricht der Präferenzutilitarismus von Personen - und für die daher der Tod auch dann eine Verletzung von Interessen darstellt, wenn er unerwartet und schmerzlos erfolgt.26 Da aber Interessenspräferenzen nur vorliegen, wenn ein Lebewesen Eigenschaften wie Selbstbewußtsein, Zukunftsbezug, Wissen um den Tod u. ä. ausgebildet hat, setzt der Status der Schutzwürdigkeit des Menschen als Person erst in Stadien seiner Entwicklung ein, wie sie im ersten Lebensjahr erreicht werden. Konsequenterweise fallen umgekehrt auch tierische Lebewesen, die Interessenspräferenzen aufweisen, unter den beschriebenen Schutzstatus. Gegen diese Position können nicht nur eine Reihe von kontraintuitiven Konsequenzen angeführt werden; sie bringt auch alle Schwierigkeiten mit sich, auf die eine utilitaristische Ethik generell stößt - von der Schwierigkeit der interpersonalen Interessensbeurteilung bis zum Fehlen eines Gerechtigkeitsprinzips und der Möglichkeit der Mediatisierung des Individuums.27 Will man die dem Utilitarismus in seiner ursprünglichen Form eigenen Schwierigkeiten, wie es der Präferenzutilitarismus versucht, durch Einführung des Begriffs einer Präferenz von Interessen im Sinn einer Vorzugsordnung in bezug auf zukünftige Interessen beheben, muß man konsequenterweise - wie Parfit gezeigt hat - die diachrone Identität der Person - wie schon Locke - an die Einheit des Bewußtseins, d. h. an die mentale Kontinuität der Erinnerung (mental connectedness) binden.28 Person bzw. Mensch muß dann - in der Fachsprache ausgedrückt - als Phasen-Sortal, nicht als Substanz-Sortal interpretiert werden. Das aber widerspricht der Auslegung unseres praktischen Selbstverhältnisses, der gemäß - so Wiggins29 — die elementare Überlebenssorge als die Sorge verstanden werden muß, als das Lebewesen fortzuleben, das wir sind, und nicht als Sorge um eine nächste Phase im Kontinuum unserer mentalen Wahrnehmung. Der Rückgang auf Person bzw. Mensch als Phasen-Sortal führt auch in kaum lösbare theoretische Schwierigkeiten, denn er setzt eine Ereignis-Ontologie voraus, die gegenüber den substanzontologischen Annahmen, die sowohl unser 25 26 27 28 29

Vgl. dazu Lutz-Bachmann 2001. So etwa Singer 1984; vgl. dazu ausführlicher Honnefelder 1993. Vgl. etwa Hoffe 1992. Vgl. Parfit 1984, 322. Vgl. Wiggins2 1991.

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lebensweltliches Sprechen als auch unser wissenschaftliches Sprechen im Bereich der Lebewesen macht, nur schwer zu verteidigen ist.30

4. Was ist der moralische Status des Embryos in vitro"} Das K-Argument bedarf jedoch weiterer Verteidigung, wenn man es zur Begründung der Übertragungs des moralischen Status auch auf den menschlichen Embryo in vitro benutzt. Denn mit dem Verweis, daß wir in Lebenswelt und Wissenschaft das Prädikat „Mensch" als Substanz-Sortal verwenden, ist diese Frage noch keineswegs beantwortet. Auch wenn man die Ausdehnung des moralischen Status auf den Embryo aufgrund der Identität, Kontinuität und realen Potentialität akzeptiert, die den ungeborenen Mensch mit dem geborenen Menschen verbindet, ist damit noch keine genaue Antwort auf die Frage gegeben, von welchem Zeitpunkt an das menschliche Lebewesen beginnt, auf das der fragliche Status ausgedehnt wird. Erst damit sind wir bei der Frage nach dem moralischen Status des Embryos in seiner frühesten Phase, insbesondere unter der Existenzweise in vitro. Geht man vom Begriff eines Lebewesens aus und versteht darunter eine selbständige, aus sich heraus lebende und sich selbst gemäß einem eigenen individuellen Genom organisierende und replizierende Einheit, dann beginnt ein neues Lebewesen von der Art des Menschen nach abgeschlossener Befruchtung, also dann, wenn mit den ersten Zellteilungen die selbstgesteuerte und gemäß dem individuellen Genom sich vollziehende Entwicklung einsetzt. In diesem Sinn ist der Beginn des menschlichen Lebewesens seitens der Embryologie und der Entwicklungsbiologie unkontrovers.31 (i) Freilich bleibt der Einwand, daß auch das sogenannte Vorkernstadium, in dem das Spermium bereits in das Ei eingedrungen ist, die Verbindung der beiden in den getrennten Zellkernen vorliegenden haploiden Chromosomensätze jedoch noch nicht stattgefunden hat, eine Einheit darstellt, der die in Rede stehende reale Potentialität eigen ist, insofern sie sich aus sich selbst heraus zu den weiteren Embryonalstadien entwickelt. In der Tat stellt das Vorkernstadium eine bestimmte Phase im Prozeß der Entstehung eines neuen Lebewesens dar und macht damit den Prozeßcharakter dieser Entstehung deutlich. Doch erfüllt es gerade noch nicht die genannten Kriterien eines neuen, sich selbst steuernden und organisierenden Lebewesens, von dem erst gesprochen werden kann, wenn die befruchtete Eizelle sich in Form der Zellteilungen zu entwickeln beginnt. Es ist nicht die reale Potentialität der beiden noch getrennten haploiden Chromosomensätze zu einem neuen Lebewesen, sondern die reale Potentialität der befruchteten Eizelle als einem neuen Lebewesen, die gemäß dem genannten K-Argument als Kriterium für den Beginn des Lebens dieses Lebewesens zu betrach30 Vgl. ausführlicher Honnefeider 1993, 259 ff. 31 Vgl. im einzelnen etwa Rager 1997.

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ten ist. Von daher erscheint es im Blick auf die zu treffende Abgrenzung als gerechtfertigt, die abgeschlossene Befruchtung und die damit einsetzende selbstgesteuerte Entwicklung als den Beginn des Lebens eines eigenen - genetisch individuellen - Lebewesens zu betrachten. (ü) Ein zweiter Einwand geht von der Tatsache aus, daß sich mit abgeschlossener Befruchtung zwar ein einzigartiges Genom gebildet hat, durchaus aber noch eine Mehrlingsbildung stattfinden kann. Das neu entstandene Lebewesen besitzt in dieser Phase zwar Individualität im Sinn von Ungeteiltheit, d. h. von genetischer Einheit und Einzigartigkeit, aber ihm fehlt Individualität im Sinn von Unteilbarkeit, d. h. von numerischer Einzigkeit als Lebewesen, wie sie die bleibende Identität des sich entwickelnden Embryos begründet. Wenn aber zwischen genetischer und organismischer bzw. numerischer Individualität unterschieden werden muß, kann die Ausdehnung des moralischen Status - so der Einwand - nur bis zu dem Zeitpunkt sinnvoll sein, in dem feststeht, auf welche individuelle Entität er zu beziehen ist, d. h. bis zum Abschluß der Möglichkeit einer Mehrlingsbildung.32 Auch dieser Einwand macht die komplexe Prozeßhaftigkeit deutlich, die die Entstehung und Entwicklung eines Lebewesens von der Organisationsform des Menschen kennzeichnet. Zudem kann ihm die wichtige Einsicht entnommen werden, daß die Bindung des moralischen Status allein an das Vorliegen eines individuellen Genoms ein „Genetizismus" wäre, der den Verhältnissen nicht gerecht wird. Denn das Genom ist nicht als eine Art von aristotelischer Seele und nicht als das maßgebliche Lebensprinzip aufzufassen.33 Lebensprinzip ist die befruchtete Zelle, die freilich ihre Entwicklung gemäß dem neuen individuellen Genom vollzieht. Das aber bedeutet, daß die Bezugsentität für den in Frage stehenden moralischen Status des Embryos in vitro nicht das individuelle Genom, sondern das neue Lebewesen ist, dem dieses individuelle Genom eignet. Der aus der befruchteten Zelle sich entwickelnde Embryo ist aber auch im Fall einer Mehrlingsbildung in jeder Phase nicht nur genetisch einzigartig, sondern stets auch numerisch ein Lebewesen; nur entstehen im Fall der Mehrlingsbildung aus dem bis dahin existierenden Individuum eines oder mehrere weitere Individuen. Da in keiner Phase genetische Einzigartigkeit nicht mit Individualität verbunden ist, erlaubt es dieser Befund nicht, den Zustand bis zu diesem Zeitpunkt praindividuell zu nennen und dementsprechend von einem Praembryo zu sprechen; doch führt er die Sprache, in der wir über Individuation sprechen, an ihre Grenzen, jedenfalls, wenn wir im üblichen Sprachgebrauch unter Individualität nicht nur Ungeteiltheit, sondern auch \Jnteilbarkeit verstehen.34 (iii) Als der entscheidende Einwand, der gegen die Annahme angeführt werden kann, dem Embryo sei im Sinne des K-Argumentes von vollendeter Befruchtung an der moralische Status eines menschlichen Lebewesens eigen, 32 Vgl. etwa Ford 1988, 84-101, und Knoepffler 1999. 33 Vgl. dazu ausführlicher Honnefelder 2001. 34 Vgl. dazu Rager 1997, insbes. 88 f.

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bleibt allerdings die Prozeßhaftigkeit, in der sich die Entstehung eines neuen menschlichen Lebewesens vollzieht. Offenkundig ist ja die Befruchtung als eine „Kaskade" zu beschreiben, in der jede Stufe kontinuierlich aus der anderen folgt.35 Daraus hat die häufig als gradualistisch bezeichnete Position den Schluß gezogen, daß zwar dem Embryo von vollendeter Befruchtung an Schutzwürdigkeit zukommt, daß aber diese Schutzwürdigkeit im Maß der Entwicklung zunimmt und sich - so der Warnock Report, der der Rechtsregelung in Großbritannien zugrunde liegt36 -von einem besonderen Status (specialstatus) zu einem uneingeschränkten Status der Schutzwürdigkeit entwickelt. Als maßgebliche Zäsuren werden dabei die Einnistung in den Uterus (4.-6. Tag), die Ausbildung des Primitivstreifens (12.-14.Tag) und die Ausbildung neuronaler Strukturen (nach dem 50. Tag) genannt.37 Was gegen einen Gradualismus der Schutzwürdigkeit spricht, ist die Kontinuität der Entwicklung, die die Setzung von Zäsuren nicht ohne eine verbleibende Beliebigkeit zuläßt. Daß wir in bezug auf Kontinuen quantitativer und qualitativer Art in anderen Zusammenhängen erfolgreich Unterscheidungen vornehmen, widerlegt dies nicht. Denn im Fall des Embryos handelt es sich um ein Kontinuum der organischen Entwicklung, die ein Lebewesen unter den üblichen Bedingungen von sich aus nimmt. Eine solche Entwicklung legt es nahe, bei der Frage nach dem Beginn auf den Zeitpunkt zu verweisen, in dem der Entstehungsprozeß den Charakter der Selbstentwicklung eines eigenen Lebewesens annimmt. Von den drei genannten Zäsuren kann der Beginn des ,Hirnlebens' am wenigsten überzeugen. Zwar ist es - wie ausgeführt - das Vermögen der Subjekthaftigkeit, das den moralischen Status des Menschen begründet, doch eignet dieses Vermögen bereits dem Embryo in seinen frühesten Stadien, sonst könnte es nicht zur Ausbildung der entsprechenden Fähigkeiten kommen.38 Wenn man den Status allein von dem Entwicklungsgrad der physiologischen Voraussetzungen abhängig machen wollte, müßte man ihn analoger Weise auch an den jeweiligen physiologischen Zustand bzw. an die aktuellen Vollzüge des Vermögens binden. Aber wir betrachten auch den Schlafenden, den Bewußtlosen, den noch nicht zum Bewußtsein Gekommenen und den Bewußtseinsgeschädigten in einem evaluativen Sinn als Menschen. Den Status zur wechselnden und zudem von Leistungen abhängigen Größe zu machen, widerspräche der Forderung nach moralischer Symmetrie und rechtlicher Gleichheit, in deren Zusammenhang der Rekurs auf den moralischen Status allererst seinen Sinn gewinnt. Die Ausbildung des Primitivstreifens, die als zweite der Zäsuren genannt wurde, gewinnt ihre Relevanz für den moralischen Status durch den damit ver35 Vgl. vor allem Beier 1990 und Beier 1999. 36 Department of Health and Social Security, Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology (Warnock Report), 1984, 63 f. 37 Vgl. Holm 1998. 38 Vgl. Rager 1997, 97ff.

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bundenen Ausschluß der Möglichkeit der Mehrlingsbildung. Doch wie dargestellt, beginnt die Individuierung nicht erst damit; eher könnte man sagen, daß sie mit der Unteilbarkeit, die in dieser Phase zur Ungeteiltheit hinzukommt, ihren (negativen) Abschluß findet. Dies ist aber kein hinlänglicher Grund, um bis zum Ende der ersten 14 Tage von einem Praembryo zu sprechen und damit die Annahme eines qualitativ differenten Stadiums zu verbinden. Größer scheint jedoch die Relevanz, die der Einnistung in den Uterus für den moralischen Status zukommt. Im Fall des Embryo in vitro geschieht sie nicht von selbst, sondern durch die Implantation, also durch einen Eingriff von dritter Seite, mit dem für die betroffene Frau ihre Schwangerschaft beginnt. Von der Einnistung aber - so die Argumentation - ist es abhängig, daß zusätzliche Faktoren ihre Wirkung aufnehmen, die nicht zu dem bereits vorhandenen genetischen Programm des Embryos gehören, sondern epigenetisch einwirken, die jedoch die Voraussetzung dafür sind, daß es zu einer weiteren Entwicklung des Embryos kommt. Dazu werden insbesondere die Signale gezählt, die der Embryo erst durch die Wechselwirkung mit dem mütterlichen Organismus empfängt.39 Sollten sich diese Vermutungen in der Forschung bestätigen, sind ohne Zweifel neue Fragen gestellt: Sind solche epigenetisch wirkende Faktoren als notwendige, aber zur realen Potentialität des Embryos in vitro nur hinzukommende Umgebungsbedingungen zu verstehen, oder stellen sie konstitutive Ursachen dar, ohne die wir noch gar nicht von einer realen, aktiven Potentialität des Embryos sprechen können? Und würde dies dann bedeuten, daß der Embryo erst mit der Einnistung zu einem menschlichen Lebewesen wird bzw. Leben im Sinn der - wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt - „geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums"40 gewinnt? Das würde allerdings einen Begriff des Lebewesens voraussetzen, der inhaltlich mehr enthält und deshalb restriktiver ist als der übliche und die Wechselwirkung mit dem mütterlichen Organismus als conditio sine qua non in sich aufnimmt. Hieraus könnte dann gefolgert werden, daß die Schutzwürdigkeit, die dem Embryo am Leitfaden der realen Potentialität zukommt, zumindest in ihrem vollen Umfang erst ab dem Zeitpunkt der Nidation anzusetzen wäre. Aber ist der Embryo - so muß die Gegenfrage lauten - nicht auch vor der Einnistung bereits ein menschliches Lebewesen? Gewiß ist es richtig, daß es ohne die Einnistung nicht zur natürlichen Weiterentwicklung des in vitro erzeugten Embryos kommt. Aber ist die Notwendigkeit zusätzlicher Stimuli wirklich ein Argument dafür, daß dem Embryo vor der Einnistung nicht bereits jene reale Potentialität zukommt, die uns davon sprechen läßt, daß hier ein neues menschliches Lebewesen zu existieren begonnen hat? Nach dem oben beschriebenen lebensweltlichen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch, gemäß dem wir Lebewesen natürlicher Arten identifizieren, ist schon der Embryo in 39 Vgl. neuerlich Nüsslein-Volhard 2001; ferner auch Kummer 1999. 40 BVerfGE 39, 37.

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vitro als ein menschliches Lebewesen zu bezeichnen. Denn unzweifelhaft gibt es ihn als individuelles Lebewesen bereits in vitro. Knüpfen wir die Ausdehnung des moralischen Status vom geborenen auf den ungeborenen Menschen an die Dauer der Existenz als Lebewesen in diesem Sinn, kann der Status nicht erst mit der Nidation vorliegen. Doch bleibt die Frage, in welcher Weise wir die Bedeutung des Faktums der Einnistung für die embryonale Entwicklung in ethischer Hinsicht angemessen berücksichtigen. Wie bei der Frage der Mehrlingsbildung bzw. der Individuation stoßen auch hier die übliche Begrifflichkeit und ihre Deutung an eine Grenze, die weiteres Nachdenken erfordert, was aber eine Preisgabe der Deutung des Embryos in vitro als eines menschlichen Lebewesens nicht zu rechtfertigen vermag. (iv) Wenn ohne den Akt der Implantation, so ein weiterer Einwand, keine weitere Entwicklung des in vitro hergestellten Embryos möglich ist, hängt dann nicht der Status des erzeugten Embryos von der Intention seiner Erzeugung bzw. der Annahme durch die Mutter ab?41 Hat nicht ein Embryo, der nicht zum Zwecke einer Schwangerschaft erzeugt worden ist und bei dem es daher nicht zur Implantation kommt bzw. der nicht darauf angelegt ist, als Kind einer Mutter geboren zu werden oder dessen Annahme durch die Mutter abgelehnt wird, einen anderen Status als der auf Schwangerschaft und Geburt hin angelegte Embryo? Bleiben wir bei dem oben ausgeführten Grundgedanken, daß der moralische Status bzw. die Würde an das menschliche Lebewesen gebunden ist, kann diese Überlegung nicht überzeugen. Sie liefe darauf hinaus, daß die Verleihung von Status und Menschenwürde von der Zwecksetzung bei der Erzeugung des Embryos bzw. dem Akt seiner Annahme abhängig gemacht würde. Eben dies aber widerspricht dem Kern des Menschenrechtsgedankens, daß jedes menschliche Lebewesen gleichermaßen und unabhängig von externen Intentionen in seiner Würde anzuerkennen ist. (v) Wäre dies aber, so lautet der daran anschließende weitere Einwand, nicht ganz anders zu betrachten, wenn es sich um ein menschliches Lebewesen handelt, das durch die am Schaf Dolly praktizierte Methode, also durch Transfer des Kerns einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle erzeugt wird? Da dieses Lebewesen nicht wie üblich aus den Keimzellen seiner Eltern, sondern in Form eines zeitversetzten Zwillings aus einer Zelle des Zellkernspenders entsteht, fällt es bekanntlich noch nicht einmal unter die an der Verbindung der beiden haploiden Chromosomensätze der Eltern orientierte Legaldefinition des Embryonenschutzgesetzes; denn bei dessen Formulierung war die Möglichkeit des Klonens durch Zellkerntransfer noch nicht bekannt. Doch auch hier folgt aus der Art der Erzeugung nicht, daß es sich bei dem Erzeugten nicht um ein menschliches Lebewesen handelt. Auch kann die im Fall des sogenannten „therapeutischen" Klonens verfolgte Zwecksetzung, einen solchen Embryo nur zum Zweck der Stammzellgewinnung herzustellen, ihn also nicht als Teil einer 41 Vgl. dazu neuerlich Schockenhoff 2001.

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„natürlichen Biographie" zu betrachten,42 kein Grund sein, den moralischen Status nicht auch auf einen solchen Embryo auszudehnen. Ohne Zweifel unterscheidet sich die hier vorliegende Zwecksetzung von der Zwecksetzung, im Fall der Unfruchtbarkeit einem bestimmten Elternpaar zur Geburt des gewünschten Kindes zu verhelfen. Doch wenn wir bei der Ausdehnung des moralischen Status vom geborenen auf den ungeborenen Menschen und bei der Bindung des Status an die reale Potentialität des menschlichen Lebewesens bleiben, dann ist auch der durch Zellkerntransfer erzeugte Embryo ein menschliches Lebewesen, was sich nicht zuletzt daran zeigt, daß er jederzeit zu dem Versuch einer reproduktiven Klonierung benutzt werden kann. Für die Vertreter der gradualistischen Position ist die in den diskutierten Einwänden zur Sprache kommende komplexe Prozeßhaftigkeit der embryonalen Entwicklung hinlänglicher Grund, auch den moralischen Status und die daraus folgende Schutzwürdigkeit des Embryos in vitro entsprechend abzustufen, wobei die Mehrheit der Vertreter dieser Position die Einnistung in den Uterus als den Zeitpunkt betrachtet, zu welchem dem Embryo der volle moralische Status zuzuordnen ist. Freilich tendiert diese Mehrheit zugleich dazu, dem Embryo bereits vor diesem Zeitpunkt einen besonderen Status bzw. eine gewisse Schutzwürdigkeit zuzuordnen. Dabei wird entweder auf die bereits vor diesem Zeitpunkt bestehende reale Potentialität des Embryos in vitro abgehoben und/oder auf eine Solidarität, die der »Gattung* bzw. der ,Menschheit' geschuldet ist, der der Embryo bereits vor und ohne Einnistung zugehört, oder es wird auf eine Vorwirkung der Menschenwürde Bezug genommen in Analogie zur Fortwirkung dieser Würde, wie wir sie am Lebensende beim Umgang mit dem menschlichen Leichnam zugrunde legen.

5. Resümee und Ausblick Was haben wir mit den bisherigen Überlegungen gewonnen? Den moralischen Status erst dem geborenen Menschen zuzuordnen und ansonsten nur von einem auf den ungeborenen Menschen vorwirkenden Schutz zu sprechen, kann nicht überzeugen. Denn sofern die angeführten Argumente nicht an ihren eigenen Voraussetzungen scheitern, begründen sie eine erst weit nach der Geburt erfolgende Zuerkennung des moralischen Status und widersprechen damit den maßgeblichen Intuitionen, die der Menschenrechtsgedanke zum Ausdruck bringt. Wenn der Schutz der Menschenwürde dem Menschen als Menschen zukommt, kann sein Beginn nicht von anderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden als dem Beginn des Menschseins selbst. Fragen wirft diese Schutzwürdigkeit in bezug auf die frühe Phase des menschlichen Embryos auf, insbesondere in bezug auf den Embryo in vitro. 42 Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin, 82 f., vgl. auch 46 f.

Pro Kontinuumsargument

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Wie ist die Anerkennung der Schutzwürdigkeit, die dem menschlichen Lebewesen von seinem Beginn an zukommt, mit der Einsicht in die Prozeßhaftigkeit seiner Entstehung und Entwicklung zu verbinden? Auffallend ist, daß die meisten derjenigen, die für einen der Entwicklung folgenden und insbesondere am Zeitpunkt der Nidation orientierten abgestuften Schutz plädieren, auch den davor liegenden Zeitraum nach abgeschlossener Befruchtung nicht ohne Schutz lassen wollen. Offensichtlich besteht zwischen den diskutierten Positionen des abgestuften und des nicht abgestuften Schutzes eine Gemeinsamkeit in der Grundüberzeugung, daß das menschliche Lebewesen zu keinem Zeitpunkt seiner Existenz zu beliebiger Disposition stehen kann und deshalb prinzipiell als schutzwürdig betrachtet werden muß. Die Differenzen setzen bei der Frage ein, wie weit das fundamentale praktische Urteil, das mit dem Gebrauch des Sortalausdrucks „Mensch" verbunden ist und das dem Menschen als Menschen einen moralischen Status zuordnet, auf den künstlich gezeugten Embryo auszudehnen ist - oder anders ausgedrückt: ob und in welcher Weise bei diesem Urteil der Prozeßhaftigkeit der embryonalen Entwicklung Rechnung zu tragen ist. Der Unterschied in der Beantwortung dieser Frage ergibt sich nicht aus einer Differenz der dabei zugrundegelegten Fakten. Denn in beiden Fällen wird das infrage stehende praktische Urteil nicht aus biologischen oder metaphysischen Fakten abgeleitet. Vielmehr geht es darum, in welcher Weise den zu berücksichtigenden empirischen Annahmen moralische Relevanz zugemessen werden muß: Im einen Fall lautet das praktische Urteil, daß auch bei verbleibender Unsicherheit hinsichtlich des Beginns des menschlichen Lebewesens der Schutz der Menschenwürde die Einbeziehung des Embryos von abgeschlossener Befruchtung an fordert. Im anderen Fall geht das praktische Urteil dahin, diesen Würdeschutz erst ab dem Zeitpunkt einsetzen zu lassen, in dem die reale Potentialität durch Einnistung in den mütterlichen Uterus ihr definitives Gewicht gewonnen hat, und dem vor diesem Zeitpunkt vorliegenden Embryo in vitro nur abgeleiteten Schutz zukommen zu lassen. Eine solche gradualistische Auffassung steht vor der schwierigen Frage, wie die moralische Relevanz der für die Abstufung des Status herangezogenen Zäsur angesichts der Tatsache dargetan werden kann, daß der Embryo bereits vor dem Datum der Einnistung unzweifelhaft ein menschliches Lebewesen darstellt. Zudem muß sie begründen, inwieweit sich die von ihr eingeräumte begrenzte Schutzwürdigkeit des Embryos vor diesem Datum dann noch begründen läßt und ob eine solchermaßen begrenzte Schutzwürdigkeit der Forderung des Menschenrechtsgedankens zu genügen vermag. Kann überhaupt eine dem Embryo in vitro zukommende Schutzwürdigkeit anders gefaßt werden als unter dem Titel der Unverletzlichkeit der Würde, die dem Menschen generell zukommt? Nimmt man eine Vorwirkung des Würdeschutzes nach Art der Nachwirkung in bezug auf den menschlichen Leichnam an, so wird entweder bestritten, daß der frühe Embryo bereits ein menschliches Lebewesen ist, oder aber die Annahme einer solchen Schutzwürdigkeit setzt - wie jede Form einer Antizipa-

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tion der Schutzwürdigkeit - voraus, daß das Schutzgut unter das Sortalprädikat „menschliches Lebewesen" fällt. Dann läßt sich aber eine Abstufung innerhalb von Status bzw. Würde kaum rechtfertigen. Beschreitet man den Ausweg, zwischen einer nicht abwägbaren und einer abwägbaren Menschenwürde zu unterscheiden,43 verfehlt man die Pointe im Begriff der Menschenwürde, die ja gerade darin besteht, den Menschen in einer letzten, grundsätzlichen Weise der Abwägung gegen andere Güter zu entziehen. Umgekehrt muß sich die Auffassung, die dem menschlichen Embryo von abgeschlossener Fertilisation an einen nicht eingeschränkten moralischen Status zuordnet und ihn dementsprechend unter den Schutz der Menschenwürde gestellt sieht, entgegenhalten lassen, daß die Entwicklung von der Befruchtung bis zur Geburt ein Prozeß ist und deshalb die Bestimmung des Zeitpunkts, an dem das menschliche Lebewesen beginnt, mit schwierigen Fragen verbunden ist. Der befruchteten Eizelle und den folgenden frühen embryonalen Stadien ist das Menschsein ja nicht anzusehen, vielmehr ist es aufgrund der Kriterien, nach denen ein eigenes menschliches Lebewesen vorliegt, anzuerkennen. Nicht ohne Grund folgt das entsprechende praktische Urteil dabei dem tutioristischen Prinzip, im Zweifelsfall der Anerkenntnis den Vorrang zu geben. Zudem stellt sich die Frage, ob der beschriebenen Prozeßhaftigkeit in der frühen embryonalen Entwicklung nur auf die bereits erwähnte Weise Rechnung getragen werden kann, daß man zur Annahme von einer abgestuften Würde bzw. einer abgestuften Schutzwürdigkeit greift - mit den damit verbundenen Schwierigkeiten -, oder ob man an der Angemessenheit des Würdeschutzes auch für den Embryo in vitro festhält und die Prozeßhaftigkeit in Form einer Berücksichtigung der Umstände berücksichtigt. Dies berührt insbesondere den Zusammenhang zwischen dem Schutz der menschlichen Würde und dem Lebensschutz. Geht man von einer Abstufung der Schutzwürdigkeit in der Form aus, daß dem Embryo in vitro nur ein abgeleiteter Schutz zukommt, nicht aber der Schutz der menschlichen Würde, eröffnet sich die Möglichkeit der Abwägung dieses Schutzes angesichts auf andere Weise nicht erreichbarer hochrangiger Ziele. Und nicht selten scheint die Intuition, daß eine solche Abwägung möglich sein sollte, der Grund für den Lösungsvorschlag zu sein, eine entsprechende Abstufung der Schutzwürdigkeit anzunehmen. Anders steht es, wenn man die oben an erster Stelle genannte Position eines uneingeschränkten Schutzes einnimmt. Hier stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise die Prozeßhaftigkeit der embryonalen Entwicklung Grund sein kann, hinsichtlich des aus dem Würdeschutz folgenden Lebensschutzes eine Abwägung für möglich zu halten. Bei dieser Frage sind unterschiedliche Antworten aus der Sicht des gleichen uneingeschränkten Würdeschutzes anzutreffen: Eine erste Antwort kommt im Ausgang von dem Gedanken, daß das Leben des menschlichen Lebewesens die fundamentale Bedingung für das Vermögen 43 Vgl. etwa Schöne-Seifert 2001.

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ist, Subjekt zu sein, zu dem Ergebnis, daß ein uneingeschränkter Lebensschutz als geboten zu betrachten ist und eine Einschränkung nur in dem Ausnahmefall zulässig ist, daß Leben gegen Leben steht. Eine zweite Antwort geht davon aus, daß der uneingeschränkte Würdeschutz sich nur entsprechend den Umständen in einen entsprechenden Lebensschutz entfalten kann. Deshalb sei in dem Fall, daß ein Embryo, der zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden ist, diesem Zweck aber aus nicht behebbaren Gründen nicht zugeführt werden kann und bei dem daher der Würdeschutz nur noch in der Form des Sterbenlassens verwirklicht werden kann, eine Abwägung angesichts von hochrangigen, dem Lebensschutz dienenden Zielen möglich. Daher stelle es keinen Verstoß gegen den gebotenen Würdeschutz dar, dem Embryo unter diesen eng gezogenen Umständen Stammzellen zu entnehmen, auch wenn dies zur Zerstörung des dem Sterben überlassenen Embryos führt. Dabei wird davon ausgegangen, daß in diesem Fall das aus dem Würdeschutz folgende Gebot des Lebensschutzes sich aufgrund der genannten Umstände anders darstellt als beispielsweise in Fällen infauster Erkrankungen oder moribunder Zustände. Eine Klärung der hier ohne Zweifel verbleibenden gewichtigen Fragen kann nicht mehr allein mit Hilfe des Rückgriffs auf den moralischen Status des Embryos erfolgen. Denn sie setzt eine intensivere Beschäftigung mit der Frage voraus, wie sich die aus dem Würdeschutz folgenden Schutzansprüche zu entfalten haben und ob und inwieweit dabei konfligierenden Umständen Rechnung getragen werden kann und muß. Der Rückgriff auf den moralischen Status ist unabdingbar, wenn wir dem Gedanken der Menschenrechte folgen wollen und die dem Menschen eigene Schutzwürdigkeit nicht von einer Zuerkennung durch Dritte, nicht von bestimmten Leistungen oder Eigenschaften, auch nicht von Szenarien der Abwägung abhängig machen wollen, sondern allein auf die Anerkennung des Menschen als Menschen, d. h. auf den ihm in seinem Menschsein eigenen moralischen und rechtlichen Status. Sofern wir diesen Status in dem mit der Verwendung des Sortalprädikats „Mensch" verbundenen Werturteil zum Ausdruck bringen und an das menschliche Lebewesen binden, spricht alles dafür, ihn mit dem Leben beginnen zu lassen, das dem menschlichen Lebewesen eigen ist.

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Matthias Kaufmann Contra Kontinuumsargument: Abgestufte moralische Berücksichtigung trotz stufenloser biologischer Entwicklung Der Grund dafür, warum wir Embryonen als moralisch berücksichtigungswürdig akzeptieren, liegt nach der hier vertretenen Auffassung darin, daß man sich mit einem Namen starr auf sie beziehen kann und daß spätestens nach etwa acht Wochen, also noch vor der Entwicklung der Empfindungsfähigkeit im vollen Sinne, eine relativ zuverlässige Prognose möglich ist, derzufolge sich aus diesem Wesen eine Person entwickeln wird. Daraus folgt jedoch kein Anspruch auf gleiche moralische Berücksichtigung, wie sie Kindern und Erwachsenen zusteht. Da wir auch in anderen rechtlichen und moralischen Fragen die faktische Entwicklung der menschlichen Natur berücksichtigen, wäre es unplausibel, die Abhängigkeit des Embryos vom Leib der Mutter und die allmähliche Herausbildung seiner Fähigkeiten für völlig irrelevant zu halten. Bei Frühembryonen kommt das Problem hinzu, daß man entweder Probleme hat, sich zuverlässig individuell auf sie zu beziehen (in vivo) oder aber daß bisher keine Prognose möglich ist, daß sie sich zu Personen entwickeln werden (in vitro).

Die Herausgeber des Bandes haben dem Argument, welches die Kontinuität der pränatalen menschlichen Entwicklung heranzieht, um allen menschlichen Embryonen die Menschenwürde zuzusprechen, die sie vor der Tötung, vor der „Verwerfung" bei der Präimplantationsdiagnostik, vor der Verwendung bei gentechnischen Experimenten verschiedener Art, also der sogenannten „verbrauchenden Embryonenforschung", schützt, folgende Form gegeben: (1) Jedes menschliche Wesen, das aktual ist, (2) Jeder menschliche Embryo wird sich, unter normalen Bedingungen, kontinuierlich (ohne moralrelevante Einschnitte) zu einem menschlichen Wesen entwickeln, das aktual ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Würde^.1 Zusätzliche Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und damit Gültigkeit dieses Schlusses sind offenbar: (l*) Allein der Umstand, daß ein Wesen nicht aktual ist, reicht noch nicht aus, ihm die Menschenwürde abzusprechen, falls es sich im Normalfall zu einem Wesen entwickelt, das ist oder le1

Vgl. in diesem Band, 3.

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diglich durch eine kontingente individuelle Entwicklung nicht ist. (l**) Die entscheidende Entwicklung zu einem Wesen, das aktual ist, findet nicht allein nach der Geburt oder mit der Geburt statt. Beide Voraussetzungen würden bekanntlich Peter Singer oder Norbert Hoerster ablehnen. Für Singer, Hoerster, Harris und andere ist der rechtliche Anspruch auf Tötungsschutz mit der aktualen Personalität verknüpft, die wir aufgrund einer vor allem von Singer benutzten spezifischen Interpretation der Merkmale der Personalität zwar bei Primaten und manchen anderen Säugetieren annehmen können, nicht jedoch bei menschlichen Embryonen oder Feten, genaugenommen nicht einmal bei Neugeborenen.2 Die Ansicht, es könne moralisch relevant sein, ob ein Wesen dabei ist, sich zu einer Person zu entwickeln oder nicht, wird als Rückgriff auf eine bloße Potentialität angesehen, die sich moralisch gesehen nicht von der Potentialität des Spermiums oder der unbefruchteten Eizelle unterscheide. Um das Kontinuumsargument in seiner Tragfähigkeit und seinen Grenzen genau ausloten zu können und zu diesem Zweck die Voraussetzungen (l*) und (l**) zu stützen, muß man daher die in diesen Voraussetzungen benutzte Art von Potentialität von der tatsächlich moralisch deutlich weniger relevanten Art von Potentialität herausarbeiten, die für Eizelle und Spermium typisch ist. Dies soll später geschehen. Danach kann in Teil 2 versucht werden, die Grenzen des Kontinuumsargumentes genauer zu bestimmen. Zunächst gilt es, sich der in den Prämissen auftauchenden Termini zu vergewissern und zu überlegen, in welcher Bedeutung die Prämissen stark genug werden könnten, um die behauptete Konklusion zu rechtfertigen. Ich werde zu zeigen versuchen, daß keine plausible Interpretation der Prämissen (1) und (2) eine Interpretation der Konklusion zu stützen vermag, die allen Embryonen den selben Schutz wie erwachsenen Menschen oder wie geborenen Kindern zuspricht.

1. Welches aktuale verleiht Menschenwürde? Zunächst dürfte klar sein, daß mit der Menschenwürde, die durch die Zeichenfolge „WürdeM" bezeichnet wird, wohl nicht die Art von Würde gemeint ist, die einen Menschen etwa aufgrund seines Alters oder seines Amtes vor anderen auszeichnet, sondern etwas, das allen Menschen zusteht. Die Diskussion, inwieweit die Gattung Homo sapiens sapiens unabhängig von ihren einzelnen Mitgliedern eine Würde besitzt, kann im Kontext der gelieferten Vorgaben unberücksichtigt bleiben.3 Es handelt sich bei der Menschenwürde in dieser Interpretation um ein normatives Konzept, das Menschen davor schützen soll, von anderen Menschen 2 3

Vgl. neuerlich Hoerster 2002,87ff., zur „bioethischen Guillotine" Quante 2002,94ff. Vgl. Habermas 2001.

Contra Kontinuumsargument

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als bloßes Mittel, sozusagen als Material zur Verfolgung ihrer Ziele betrachtet zu werden. Dieser Schutz impliziert prima facie den Schutz vor Tötung, insbesondere vor absichtlicher Tötung, aber auch ein gewisses Minimum an Fürsorge. Die Einschränkung auf einen prima facie Schutz vor Tötung wird erforderlich, weil auch in manchen Ländern, die behaupten, für die Menschenwürde einzutreten, die Todesstrafe existiert, weil die Tötung von bewaffneten Feinden innerhalb eines Krieges, unter Umständen auch die Tötung eines Angreifers in einer Notwehrsituation nicht als Verbrechen angesehen werden. Bei kriegerischen Handlungen ist man sogar bereit, den Tod von Unschuldigen in Kauf zu nehmen, ohne deshalb das Konzept der Menschenwürde für obsolet oder untauglich zu halten.4 Umgekehrt sieht man es jedoch als menschenunwürdige Behandlung an, wenn man Menschen in Not verhungern läßt, ohne sich um Hilfe zu bemühen. Man kann die Menschenwürde als unspezifischen Anspruch auf den elementaren Kern der Menschenrechte der ersten und zweiten Generation zu fassen versuchen.5 Da sich Menschenwürde als normativer Anspruch nicht empirisch beobachten lässt, andererseits allen Menschen zustehen soll, wird man, falls man dies für begründungsbedürftig hält, nach einem Merkmal oder einem Bündel von Merkmalen suchen, wodurch alle Menschen Anspruch auf diese besondere Behandlung anmelden dürfen, die man Tieren nicht oder in erheblich geringerem Maße zugesteht. Eine auf den ersten Blick attraktive Möglichkeit, ein Merkmal zu benennen, dessen kontinuierliches Vorhandensein die Menschenwürde garantiert, besteht in der Annahme, daß ein jeder Mensch eine substanzielle Geistseele besitzt, die für seine spezifisch menschlichen Fähigkeiten verantwortlich ist und ihm Würde, daher auch moralische Schutzwürdigkeit verleiht. Diese Auffassung ist verschieden von der bloßen Behauptung der Gottesebenbildlichkeit, auf die Peter Singer die Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit von Menschen glaubt reduzieren zu können. Allerdings gerät man durch den damit verbundenen Substanzendualismus und die Annahme einer Simultanbeseelung in erhebliche theoretische Schwierigkeiten, die es problematisch erscheinen lassen, diese Annahme als konsensfähige Grundlage allgemein verbindlicher moralischer Urteile zu unterstellen.6 Will man zu einem ontologisch weniger kontroversen Bezugsrahmen für die Menschenwürde gelangen, so kann man sich an die polemische Konnotation des Begriffs halten, die eben darin besteht, zur Vermeidung von Diskriminierungen eine derartige Würde mit den zugehörigen Schutzansprüchen jedem Menschen, unabhängig von seinem Stand, seiner Konfession, seiner Hautfarbe 4 5

6

Zur Diskussion der „Doppelwirkungslehre" vgl. z.B. Mapel 2001. Vgl. Bielefeldt 1998, 62 ff., 85 ff. Es versteht sich von selbst, daß die intensive Diskussion, die in den letzten Jahren um den Begriff der Menschenwürde geführt wurde, hier nicht einmal ansatzweise wiedergegeben werden kann, vgl. z.B. Balzer/Rippe/Schaber 1998 und Rager 1998, 161 ff. Vgl. z. B. Churchland 1990; Bieri 1997; Knoepffler 1999, 61 ff., 72 f.

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und seinem Geschlecht zuzusprechen. Merkmale wie die Standeszugehörigkeit rechtfertigen insofern für sich keine moralische Zurücksetzung oder Bevorzugung, als sie moralisch zunächst irrelevant sind. Moralisch relevant sind demnach Eigenschaften, die entweder die Bedürfnisse oder die Fähigkeiten - und die mit diesen Fähigkeiten verbundenen Bedürfnisse - eines Wesens zum Ausdruck bringen. Da wir eine dieser moralisch relevanten Eigenschaften, nämlich die Verletzlichkeit und Leidensfähigkeit, mit den Tieren teilen, kommt als spezifisch menschliche eher die Vernunftfähigkeit in Frage, die Fähigkeit, die man gemäß einer neuzeitlichen Sprachregelung Personen zuschreibt. Man hat mit dem Rückgriff auf den Personbegriff zumindest insoweit eine gemeinsame Diskussionsebene erreicht, als auch Singer zugesteht, daß Personen nicht getötet werden dürfen, da man sonst ihren Lebensplan zerstören würde. Weniger klar ist, was unter einer Person zu verstehen sei.7 Vergleichsweise „behavioristisch" ist die an Locke angelehnte Auffassung der Person als intelligentem, zum Selbstbezug fähigen Lebewesen, das zur eigenen Vergangenheit und Zukunft Stellung nehmen kann.8 Eine eher auf Kant ausgerichtete Zugangsweise nimmt als entscheidendes Kriterium die .Möglichkeit der Freiheit'.9 Kant spricht bekanntlich von einem „mit Freiheit begabten Wesen", welches durch den „Akt der Zeugung... eigenmächtig" in die Welt gesetzt wurde, was eine „inpraktischer Hinsicht richtige und notwendige Idee" sei, mit welcher Idee es an jener Stelle allerdings primär die Fürsorgepflicht beider Eltern für ihre Kinder zu begründen gilt (Kant 1993, Rechtslehre §28, Hervorhebung im Original). Ob der Vorgang der Zeugung unmittelbar ein Wesen mit Freiheit begabt, scheint damit theoretisch noch nicht geklärt, in praktischer Hinsicht bedarf es einer wohlüberlegten Entscheidung. Da diese für eine Person typischen Fähigkeiten aktual weder Säuglingen noch Embryonen, weder Menschen im Koma noch im engsten Sinne solchen im Schlaf zukommen, dafür bei entsprechend weitgefaßter Interpretation einigen Primaten und möglicherweise noch anderen höheren Säugetieren, ist hier eine Entscheidung erforderlich, nach welchen Kriterien der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden soll, wenn überhaupt. Da, wie eben festgehalten, ein zentrales Anliegen im Verweis auf die Menschenwürde seit jeher darin besteht, die zu moralischem Verhalten Verpflichteten auch zu Berechtigten zu erklären, indem man Standeszugehörigkeit, Hautfarbe und Geschlecht als irrelevant erkennt, da andererseits die Verpflichtung wesentlich an der Fähigkeit zur autonomen Entscheidung festgemacht wird, scheint es im Hinblick auf die AlVgl. Sturma2001. Allerdings bestimmt die von Locke im §9 des Kap. XXVII des zweiten Buches seines Essay Concerning Human Understanding (Locke 1975, 335) gegebene Definition der Person primär die Verantwortlichkeit derselben, wodurch sie Adressatin von Lohn und Strafe wird (§18,341). Vgl. Hruschka 2001. In der Sache schließt dies keineswegs aus, eine solche Definition in Kants Reich der Zwecke zu transponieren. Vgl. Mayer 2001; Starck 2002; Honnefelder 1996,230ff.

Contra Kontinuumsargument

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ternative, entweder Tiere oder menschliche Säuglinge und eventuell Embryonen als Personen zu akzeptieren, angemessener, einerseits unter Personalität die Fähigkeit zu verstehen, auch bewußt moralisch relevante Entscheidungen zu treffen und sich an Beratungen über Nützliches und Schädliches zu beteiligen, als rudimentäre Fähigkeiten des Spracherwerbs für ausreichend zu halten. Andererseits sind sowohl der Verlust dieser weiter entwickelten Fähigkeit durch einen individuellen Unglücksfall als auch der Noch-nicht-Besitz aufgrund zu geringen Alters oder auch aufgrund eines individuellen genetischen Schadens prima facie bloße Faktizitäten wie Geschlecht und Hautfarbe und zunächst nicht als moralisch relevante Gründe anzusehen, die mit dem Personenstatus verknüpften moralischen Ansprüche vollständig zu verlieren. Es erschiene als unbillige Härte, derartige unverschuldete Benachteiligungen noch durch das Absprechen der Menschenwürde zu verschärfen. Schließlich erkennen wir auch niemandem die Staatsbürgerschaft ab, weil er im Koma liegt. Doch bedeutet das Anerkennen der Menschenwürde nicht in jedem Fall die Garantie eines unbedingten Lebensschutzes. In manchen Fällen wird aus dem Anspruch auf Menschenwürde sogar das Recht auf Tod abgeleitet. Zumindest scheint die Zahl der Fälle, in denen man nach allgemeinem Konsens dazu übergeht, die medizinische Behandlung in der Intensivmedizin auf die Grundversorgung zu beschränken, zuzunehmen. In gewissem Maße müssen wir die Zuerkennung bestimmter Rechte in Relation zu der empirisch zu erwartenden Fähigkeit setzen, sie wahrzunehmen. Den rechtlichen Fixierungen dieser Relationen haftet dabei stets ein Element des Willkürlichen an, wie etwa der Bestimmung des Alters, ab dem wir Menschen das Wahlrecht zugestehen, obwohl uns klar ist, daß die Entwicklung zur verantwortungsbewußten Person individuell verschieden abläuft und neuere pädagogische Erkenntnisse dringend davon abraten, Kindern die für eine Person charakteristischen Fähigkeiten in toto abzusprechen. Unbeschadet dessen gehen wir davon aus, daß diejenigen, die diese Fähigkeiten noch nicht besitzen, zumindest dasselbe Recht auf Schutz, Fürsorge und Pflege genießen wie diejenigen, die sie nicht mehr oder für gewisse Zeit nicht besitzen. Wenn wir ferner unsere moralische Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen und deren Rechte auf unsere Rücksichtnahme diskutieren, wäre es unverständlich, wenn wir bereits existierende Lebewesen aus diesen Generationen für moralisch völlig irrelevant erklären würden.10 Auch Hoerster gesteht ein „Gattungsinteresse" (Hoerster 2002, 110) an der Existenz des Embryos zu, da wir es nicht billigen könnten, wenn die Menschheit durch Tötung aller Embryonen nicht fortbestünde, auch wenn dabei kein Mensch unter Verletzung seines Lebensrechtes getötet würde, da eben Embryonen nach seiner Auffassung kein echtes Überlebensinteresse und daher auch kein Lebensrecht haben.11 10 Vgl. Birnbacher 1988. 11 Vgl. Hoerster 2002, 88.

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Der an dieser Stelle übliche Einwand, wer Embryonen aus den genannten Fairneßgründen ein Lebensrecht zugestehen wolle, müsse auch sämtliche Spermien und Eizellen für unbedingt schützenswert erklären, weil beide belebt und darüber hinaus mögliche eigenständige Lebewesen seien,12 übersieht die verschiedenen Bedeutungen von „Möglichkeit" bzw. „Potentialität", die hier zum Tragen kommen. Von einem beliebigen Spermium, sofern wir es denn (etwa gedanklich) identifizieren können, kann man in gewissem Sinne sagen: „Es ist für a möglich, ein Mensch zu werden", oder „aus a kann ein Mensch werden". Doch verbleibt die Behauptung relativ nahe an der logischen Möglichkeit, ist von dieser allerdings noch so verschieden, wie die Zerbrechlichkeit des Glases von der Möglichkeit, daß dieses Glas zu Fuß über die Alpen getragen wird: Das eine unterscheidet Glas von einigen anderen Stoffen, das andere nicht. Demgegenüber ist der über einen etwa acht Wochen alten Embryo in vivo geäußerte Satz „a kann ein Kind werden" von deutlich anderer Struktur, da er eher behauptet: „a wird ein Kind und später eine Person werden" - mit Einschränkung durch eine ceteris paribus Klausel -, während der über ein Spermium geäußerte Satz „a kann ein Kind werden" der Ergänzung „Wenn es eine Eizelle befruchtet" bedarf. Wir haben im einen Fall also ein (relativ) starr bezeichnetes Individuum,13 das seine numerische Identität bis zum Tod, welcher der üblichen Prognose nach als Tod einer Person erfolgt, nicht ändern wird. Trotz aller unbestreitbaren, dramatischen Veränderungen, denen dieses Individuum unterworfen ist, läßt sich seine Entwicklung als Geschichte dieses unverwechselbaren Individuums nachverfolgen. Im anderen Fall entsteht erst durch die Verschmelzung der Samenzelle mit der Eizelle, wobei die Samenzelle nicht erhalten bleibt, ein neues Individuum. Insofern ist es eher irreführend, beim heranwachsenden Embryo von mehreren Wochen von „Potentialität" zu sprechen. Passender wäre die Aussage, ein solches Wesen sei der Potentialität im eigentlichen Sinne, d. h. der Möglichkeit, daß Fähigkeiten aktualisiert werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, bereits in erheblichem Maße entzogen. Der Satz: „a wird ein Kind und später eine Person werden" besitzt eher den Status einer relativ zuverlässigen Prognose. Da wir hier also ein identifizierbares und starr bezeichenbares lebendes Wesen vor uns haben, wäre es unplausibel, den von diesem Wesen nicht verantworteten Zeitpunkt der Geburt bzw. der Entwicklung der für eine Person relevanten Fähigkeiten so zu verabsolutieren, daß wir diesem Wesen jedes Lebensrecht absprechen. Sowenig wie das Geschlecht und die Hautfarbe sollten das Alter und persönliche Unglücksfälle einen Grund zur Diskriminierung liefern. Die hier vorgenommene Verwendung der Lehre starrer Designatoren - in Verbindung mit Fairneßerwägungen - besitzt gewisse Parallelen zum Verweis auf „sortale Prädikate", mit dem man die Besonderheiten der natürlichen Art des Menschen zu fassen versucht.14 Im 12 Vgl. Harris 1995, 39ff. 13 Über Namen als starre Designatoren vgL Kripke 1981, v.a. 63f., 88f., 97ff. 14 Vgl. Quante 2002, 52 ff.; Honnefelder (in diesem Band, bes. 64-66).

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zweiten Teil werde ich versuchen, die Differenzen beider Zugangsweisen deutlich zu machen. Bisher dürften die Prämisse (1) - mit der Eigenschaft „besitzt die für eine moralisch verantwortliche Person relevanten Fähigkeiten" als - und die Zusatzprämissen (l*) und (l**) für unsere Zwecke hinreichend begründet sein. Im folgenden werde ich zu zeigen versuchen, daß man Prämisse (2) entweder so rekonstruieren kann, daß sie in gewissem Maße plausibel ist, oder so, daß sie die Konklusion zu begründen vermag. Beides zusammen scheint mir nicht in plausibler Weise möglich.

2. Was heißt „ohne moralrelevante Einschnitte"? Zunächst sei darauf verwiesen, daß sich die zweite Prämisse in doppelter Weise verstehen läßt: (2*) Es läßt sich nach der Verschmelzung der Vorkerne kaum ein Zeitpunkt angeben, an dem ein eindeutig und unkontrovers konstatierbarer, moralisch relevanter Entwicklungssprung stattfindet. (2**) Zwischen der Verschmelzung der Vorkerne und der Geburt tragen sich keine moralisch relevanten Veränderungen zu. Während die Behauptung im ersten Sinn in gewissem Maße plausibel ist, wäre es der zweite Sinn, der benötigt würde, um die Konklusion (3) des eingangs angegebenen Schlusses zu stützen. Wenn für die These (2*) gewisse Plausibilität in Anspruch genommen wird, so gilt es sogleich vor einer Überbeanspruchung zu warnen. Bekanntlich gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen, einen Einschnitt vorzunehmen, sei es beim Verlust der Totipotenz, beim Beginn der Selbststeuerung, beim Verlust der Fähigkeit zur Mehrlingsbildung, bei der Nidation, bei der Entwicklung des Neuralrohres, bei der Bildung des Gehirns, bei der Entstehung des Bewußtseins.15 Eine alte, bereits bei Aristoteles vorhandene und in neuerer Zeit etwa bei Harris wiederzufindende Auffassung sieht die Entwicklung der Empfindungsfähigkeit als entscheidenden Zeitpunkt an.16 Andererseits gibt es gegen jedes dieser Kriterien mehr oder minder gewichtige Einwände, so daß zumindest (noch) kein genereller Konsens vorhanden ist.17 Ebenso wenig ist es freilich selbstverständlich, die Verschmelzung der Vorkerne zum singulären Augenblick der Menschwerdung zu stilisieren. Schließlich handelt es sich um einen sich seinerseits über mehrere Stunden erstreckenden Teil des etwa 24-stündigen Befruchtungsvorgangs, der 15 Vgl. u.a. Quante2002, 73ff. 16 Vgl. Harris 1995, 39ff., 173 ff. und Aristoteles, Politik VII16, 1335b 23 ff. 17 Vgl. z. B. Schockenhoff 1993, 310.

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wiederum in einen umfassenderen zielgerichteten Prozeß hin zur Genexpression im Vierzellstadium, zur Nidation etc. eingebunden ist.18 Immerhin läßt sich festhalten, daß mit der Befruchtung der einmalige, neue Chromosomensatz des entstehenden Menschen ausgebildet ist, was u. a. gegen Konzeptionen spricht, die den Beginn des Lebens noch weiter zurückzuverlegen gedenken.19 Aus der Schwierigkeit, in der Folgezeit einen unbestreitbaren Moment eines Entwicklungssprungs zu fixieren, wurden entgegengesetzte Schlüsse gezogen. Zum einen die eben kritisierte Auffassung, nach der Embryonen als Nicht-Personen keinerlei Recht auf Tötungsschutz genießen. Eher aus pragmatischen und historischen als aus intrinsisch-moralischen Gründen zieht etwa Norbert Hoerster den Einschnitt bei der Geburt.20 Zwar legt man Wert darauf, daß das Ungeborene bei der Tötung keinen Schmerz empfinden darf, ein Lebensrecht besitze es jedoch in keiner Weise.21 Für Frühembryonen, die sicher noch keinen Schmerz empfinden können, gibt es dann jedoch keinerlei Schutz vor dem Zugriff von außen, sie stehen nach dieser Auffassung für verbrauchende Embryonenforschung unbegrenzt zur Verfügung. Es gibt allenfalls politische oder pragmatische Gründe, etwa die Rücksichtnahme auf in der Gesellschaft verbreitete religiöse Gefühle, die hier beschränkende Wirkung ausüben könnten. Auf der Gegenseite geht man von Prämisse (2*) selbstverständlich zu Prämisse (2**) über und bezieht den Schutz des Embryos als Person mit allen Konsequenzen auf den gesamten pränatalen Zeitraum. Beides scheint problematisch. Für diejenigen, die den Embryonen jedes Lebensrecht absprechen, wird es schwierig, ohne Willkür einen Zeitpunkt nach der Geburt anzugeben, ab dem ein Kind vor Tötung geschützt sein soll, bis zu dem es jedoch getötet werden darf. Benennt man die Geburt als entscheidenden Zeitpunkt, von dem ab ein Lebensrecht bestehen soll, das bis dahin in keiner Weise existierte, so stellt man das Siebenmonats-Kind auf einen rechtlich fundamental verschiedenen Status zum neun Monate alten Embryo. Wer also sein Kind schützen will, muß für eine Frühgeburt sorgen. Ebenso fragwürdig erscheint es, allein aufgrund dieses Kontinuumsargumentes in der Fassung (2"~) alle befruchteten Eizellen in den selben Status wie Neugeborene oder auch wie erwachsene Menschen stellen zu wollen. Abgesehen davon, daß es häufig unbemerkt bleibt, wenn diese in den ersten Tagen nach der Empfängnis ausgeschwemmt werden (es werden Schätzungen von etwa 30 bis 50 Prozent genannt), ohne angemessen betrauert zu werden, wird es problematisch, eine absolute Pflicht zur Erhaltung mit allen Konsequenzen anzunehmen. Jeder Arzt, der einen natürlichen Abgang, wie er vor allem in den ersten acht Wochen aufgrund genetischer „Fehlprogrammierung" relativ häufig vor18 19 20 21

Vgl. Knoepffler 1999, 47ff., 113 ff. Vgl. Quante 2002, 83 ff. Vgl. Hoerster 1991,128 ff. Vgl. Singer 1994.

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kommt, geschehen läßt und nicht mit allen Mitteln so lange wie möglich verhindert, würde sich dann der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Indessen ist auch der Versuch, beiden Extrempositionen zu entrinnen, keineswegs trivial - Hoerster etwa hat seine Auffassung, hier liege eine Dichotomic vor, erst jüngst bekräftigt.22 Dieser Versuch wird allerdings bereits dann unverzichtbar, wenn man die in vielen, wenn nicht den meisten Rechtssystemen westlicher Länder geübte Praxis, die Tötung von Embryonen und Föten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zumindest unter gewissen Bedingungen nicht unter Strafe zu stellen, vor dem Verdikt verbrecherischer Irrationalität bewahren will. Einen Hinweis gibt hier paradoxerweise gerade Peter Singers Argument gegen das Lebensrecht von Embryonen, Prinz Charles sei ja auch der potentielle König Englands (übrigens durchaus im eben als Prognose charakterisierten Sinn), ohne die Rechte eines solchen Königs zu besitzen.23 Zwar verliert dieses Argument einen wesentlichen Teil seiner Wirkung, weil Prinz Charles nicht dieselben Rechte besitzt wie ein König, seine rechtliche Position aber gerade durch den Rechtsanspruch definiert ist, König zu werden, doch kann man davon lernen, daß es nicht dieselben Rechte sein müssen, die Könige und künftige Könige, Wahlberechtigte und künftige Wahlberechtigte, Kinder und künftige Kinder besitzen, ohne daß den Beteiligten deshalb die Menschenwürde abzusprechen wäre. Wenn wir Kleinkinder nicht an der Börse spekulieren, keinen Alkohol und Tabak konsumieren und nicht zu Ministerinnen werden lassen, akzeptieren wir bestimmte Altersgrenzen für verschiedene Rechte, obgleich wir wissen, daß sie in vielen Fällen nicht der tatsächlichen Entwicklungsstufe von Kindern und Jugendlichen entsprechen. Analog wäre es unverständlich, einige Wesensmerkmale embryonaler Entwicklung für völlig irrelevant für die moralisch erlaubte Behandlung anzusehen. Dies ist zum einen die Tatsache, daß sich ein heranwachsender Embryo normalerweise im Leib einer Frau befindet und ihre Lebensführung, möglicherweise auch ihre Gesundheit in erheblicher Weise beeinflußt. Dies ist zum anderen der Umstand, daß sich die (etwa im Umgang mit Tieren als moralisch relevantes Kriterium anerkannte) Empfindungsfähigkeit während der ersten Schwangerschaftsmonate erst entwickelt. Entsprechend wird zumindest Frauen, die sich durch eine Schwangerschaft bedroht fühlen, in Deutschland Straffreiheit bei einer Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate - eben in der Zeit, in der nach Aristoteles' Ansicht der Embryo keine Empfindung hat - zugestanden, somit das Lebensrecht des in der eben beschriebenen Weise identifizierbaren, starr bezeichenbaren, mit einer Prognose der Entwicklung zur Person versehenen Embryos unter einen erheblichen Vorbehalt gestellt.24 Es gibt noch andere Hinweise darauf, daß weder gesetzlich noch nach der Überzeugung so gut wie aller Beteiligten ein unbedingter Lebensschutz für alle 22 Vgl. Hoerster 2002, 133. 23 Vgl. Singer 1994,164 ff. 24 Andernorts habe ich zu zeigen versucht, daß dieses Vorgehen durchaus plausibel ist (Kaufmann 1996, 586).

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Embryonen angenommen wird. Sonst sähe man sich etwa moralisch und rechtlich gezwungen, natürliche Abstoßungsreaktionen, die in den ersten acht Wochen der Schwangerschaft besonders häufig auftreten, immer und mit allen Mitteln zu unterbinden. Da wir es als inakzeptabel angesehen hatten, allein eine genetische Veränderung, ein schlechtes Los in der Lotterie der Natur, als Rechtfertigung für eine Benachteiligung anzusehen und uns verpflichtet wissen, natürliche Benachteiligungen so weit wie möglich auszugleichen, muß unsere eher geringe Neigung, den natürlichen Nachteil solcher Embryonen auszugleichen, die - oft aufgrund genetischer Veränderungen - abgestoßen werden bzw. deren Abstoßung bevorsteht, auch etwas mit der Entwicklungsstufe zu tun haben. Es mag sein, daß es sich in vielen dieser Fälle um Embryonen handelt, die ohnehin nicht lebensfähig gewesen wären. Doch müßte man erwarten können, daß um jedes einzelne Leben mit derselben Hingabe gekämpft wird, wie wir dies bei geborenen Kindern und Erwachsenen für selbstverständlich halten. Dasselbe sollte dann für jene etwa 30 bis 50 Prozent aller Embryonen gelten, die kurz nach der Befruchtung ausgeschwemmt werden. Zwar läßt sich einwenden, daß so, wie eine hohe Kindersterblichkeit, z. B. im mittelalterlichen Europa, nicht dazu führte, Kindern das Lebensrecht abzusprechen,25 so auch die hohe Abgangswahrscheinlichkeit kein Grund sein könne, die Schutzwürdigkeit der Embryonen im Frühstadium herabzustufen. Doch geben wir uns im Unterschied auch zur mittelalterlichen Medizin vergleichsweise wenig Mühe, hier so viele Leben wie nur irgend möglich zu retten. Andernfalls müßten massive Fördergelder für Forschungen und Entwicklungen bereitgestellt werden, mit deren Hilfe Frauen jederzeit in die Lage versetzt und rechtlich verpflichtet wären, zu überprüfen, ob sie befruchtete Eizellen in sich tragen, zu deren Schutz sie dann alles Erdenkliche zu tun hätten. Nidationshemmende Methoden der Empfängnisverhütung wären allemal zu verbieten. Man muß wenig prophetische Gabe besitzen, um sich auszudenken, wie die Forderung nach solcher Forschung, sollte sie denn politisch erhoben werden, insbesondere von Seiten vieler Frauen aufgenommen würde. Zumindest der Intuition nach scheinen die meisten Menschen weniger geneigt, befruchtete Eizellen sofort als im vollen Umfang schutzwürdige Personen anzusehen. Sonst müßten sie die zu erwartenden Reaktionen jener Frauen als hemmungslosen Egoismus brandmarken. Der Widerwillen gegen derartige Eingriffe in die Intimsphäre ist gewiß berechtigt, doch wäre er ein schwaches Argument, wenn es wirklich um das Leben von Menschen im vollen Sinne des Wortes ginge. Bereits beim Verdacht auf Rauschgiftschmuggel werden etwa Menschen erniedrigenden Untersuchungen unterzogen. Diese Überlegungen sollten darauf hinweisen, daß auch diejenigen, die vehement die Schutzwürdigkeit aller Embryonen ab der Verschmelzung der Vorkerne verfechten, in ihren Handlungen offenbar anderen Intuitionen folgen. Derartige pragmatische Inkonsistenzen kann man entweder zum Anlaß nehmen, die de25 So ließe sich das ontologische Argument bei Knoepffler 1999, 72, normativ weiterführen.

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duktiv gewonnene Position zu ändern, oder aber dazu, eine Revision unserer Intuitionen anzustreben. Gegen die letztere Option sprechen m. E. folgende Überlegungen. Auch ohne einen durch die biologische Entwicklung vorgegebenen scharfen Einschnitt gibt es Anhaltspunkte, die uns nahelegen, den Schutz bei Frühembryonen nochmals abzuschwächen. Dies ergibt sich interessanterweise bei genauerer Betrachtung des eben vorgetragenen Argumentes zum Schutz älterer Embryonen und Föten mittels der Nicht-Diskriminierung aus Altersgründen. Soeben wurde die Schutzwürdigkeit von etwa acht Wochen alten Embryonen damit begründet, daß wir ein eindeutig identifizierbares und kontinuierlich bezeichenbares Wesen vor uns haben, welches sich aller Voraussicht nach, bis auf einen Rest an Ungewißheit, das heißt aber, mit hoher Wahrscheinlichkeit, zum Kind und zur Person entwickeln wird und es unfair wäre, den zufälligen Geburtszeitpunkt zur fixen Grenze zwischen Lebensberechtigten und NichtLebensberechtigten zu machen. Für den Fall, daß eine Frau sich durch die Schwangerschaft bedroht fühlt, erscheint mir aus besagten Gründen die geltende rechtliche Regelung sinnvoll, bei der versucht wird, ihr in einem Beratungsgespräch dieses Gefühl der Bedrohung zu nehmen, bei der andererseits ein Schwangerschaftsabbruch nur innerhalb einer bestimmten Frist straffrei bleibt. Dies führt zur Beschränkung des Lebensrechtes eines Embryos in dieser ersten Lebensphase, wenn man davon ausgehen muß, daß das Lebensinteresse der Mutter - gemäß ihrem eigenen Urteil - entgegensteht. Eine weitgehende Schutzwürdigkeit für den Embryo bleibt durchaus erhalten. Allerdings scheint dieses Argument aus der Potentialität im Sinne der NichtDiskriminierung an Bedingungen geknüpft zu sein, die für frühe Embryonen oder auch für überzählige Embryonen bei der Befruchtung in-vitro nicht oder nur in deutlich verringertem Maße gegeben sind. Dies ist einmal das Kriterium der relativ zuverlässigen Prognose, daß sich dieses Wesen zu einer Person entwickeln wird, zum anderen die eindeutige individuelle Identifizierbarkeit. Man muß mit den erwähnten Einschränkungen davon ausgehen können, daß sich das Wesen zur Person entwickeln wird. Dadurch unterscheidet es sich ja von jener Art Potentialität, wie sie sich beim Spermium und der Eizelle findet. Und es muß eindeutig als Individuum identifizierbar sein, damit sich ein starrer Designator überhaupt sinnvoll verwenden läßt und wir wissen, welches Wesen wir vor Diskriminierung zu schützen gedenken. Beide Kriterien sind im Hinblick auf die menschliche Frühentwicklung teils in eigenartiger Weise miteinander verwoben, teils treten sie deutlich auseinander. Man kann zwar retrospektiv auf den Zeugungsakt eines benannten Kindes oder Embryos Bezug nehmen, doch hat während desselben für gewöhnlich keine Taufsituation (baptism), wie Saul Kripke den Akt der Namensgebung auch für andere individuelle Gegenstände beziehungsreich nennt, stattgefunden.26 Bis vor nicht allzu langer Zeit fiel diese logische „Taufsituation" mit der übli26 Vgl. Kripke 1981.

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chen Feststellung der Schwangerschaft, etwa der Frau A, zusammen, die daraufhin auf die eine oder andere Weise zu ihrem werdenden Kind Stellung nehmen konnte. Auch wenn die Verfahren zur Feststellung der Schwangerschaft immer weiter verbessert werden und die anschließende Pränataldiagnostik immer neue Möglichkeiten eröffnet, stellen die hohe Ausschwemmrate und die noch mögliche Zwillingsbildung eine schwer zu überwindende Schwelle für die eindeutige Bezugnahme vor der Nidation dar. Für das Argument der NichtDiskriminierung aufgrund der eindeutigen Identifikation und der zuverlässigen Prognose der Entwicklung zur Person stellt bei in-vivo entstandenen Embryonen der Zeitpunkt der Nidation daher eine Grenze dar, jenseits derer es erheblich an Plausibilität verliert. Um feststellen zu können, ob das allgemeine Verbot der Diskriminierung aufgrund moralisch irrelevanter Unterschiede bei den Wesen B und C eingehalten wurde oder nicht, muß ich mich eindeutig auf B und C beziehen können, was hier, wie gesagt, nicht der Fall ist. Es mag für generelle Überlegungen genügen, auf Gruppen von Menschen mit Hilfe von Quantoren Bezug zu nehmen, also etwa zu sagen, daß für alle Frauen gilt, daß sie die selben Rechte haben wie Männer, daß für alle Jugendlichen gilt, daß sie ab 18 Jahren wählen dürfen etc. Doch geht man dabei selbstverständlich davon aus, daß man im Zweifelsfall auf die einzelne Frau und den einzelnen Jugendlichen Bezug nehmen kann, um die Einhaltung der gesetzlichen Regelung zu überprüfen. Genau dies trifft jedoch in unserem Fall nicht zu. Der erwähnte Rückgriff auf sortale Prädikate (Quante, Honnefelder) ist geeignet, dieses Problem zu verdecken, da beim Gebrauch von Prädikaten die „ontologische Last" im Sinne Quines, also die Bezugnahme auf Gegenstände, von den Quantoren übernommen wird, nicht von der individuellen Benennung. Es besteht hier eine gewisse Analogie zur Unterscheidung von substitutioneller und objektueller Qualifikation.27 Während es jedoch als Vorteil objektueller Quantifikation angesehen werden mag, daß man etwa Aussagen über reelle Zahlen treffen kann, ohne diese Zahlen benennen können zu müssen, wird es bei der Sicherung von Rechten zum Nachteil, wenn eine derartige individuelle Bezugnahme nicht möglich ist. Wir haben also zum einen die epistemische Schwierigkeit der Bezugnahme auf Frühembryonen in vivo. Wir wissen ferner, daß sich das Neuralrohr, d. h. die allererste physiologische Voraussetzung zur Entwicklung von Schmerzempfindlichkeit und Denkvermögen (also der Fähigkeiten, die sonst überall als Kriterien der moralischen Berücksichtigungsfähigkeit gelten) wenn überhaupt, dann erst nach ca. 14 Tagen entwickelt. Wir wissen andererseits bei Frühembryonen, anders als einige Wochen später, nicht, ob sie diese Fähigkeiten je entwickeln, ein Merkmal, das sie von Menschen im Koma unterscheidet, die sie bereits unter Beweis gestellt haben. Hinzu kommen gewisse Kontinuitätsprobleme im Falle der Zwillingsbildung, wo wir nicht von ein und demselben Wesen

27 Vgl. Quinel974,108 ff.

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sprechen können, das sich kontinuierlich über die Zeit hin entwickelt. Hinzu kommen außerdem, wie Ralf Stoecker in diesem Band zeigt,28 noch die Zweifel, ob man zwischen der Zygote und dem sich daraus entwickelnden Embryo tatsächlich eine numerische Identität annehmen kann. Auch wenn keiner dieser Einwände einen endgültigen und schlagenden Beweis liefert, insgesamt lassen sie die allgemein verbreiteten Intuitionen, denen zufolge eine gerade befruchtete menschliche Eizelle einen moralisch deutlich anderen Status besitzt als ein erwachsener Mensch oder auch als ein Kind, vernünftiger erscheinen als die Revisionsversuche, die diese Differenz bestreiten. In der Fassung (2;:"'i'), die für das Kontinuumsargument in der hier vorgetragenen Fassung unverzichtbar wäre, erscheint die Prämisse (2) daher nicht akzeptabel. Man könnte hier einwenden, die zufälligen Überlebenschancen, die sich in Wahrscheinlichkeiten ausdrücken lassen, könnten auf das moralisch relevante Kriterium der Potentialität, wenn wir es denn verwenden wollen, nicht den geringsten Einfluß haben. Wenn wir Potentialität als Kriterium anerkennen, so das Argument, muß es für alle potentiellen Personen gleich gelten, denen eine aktive Potentialität zukommt, im Unterschied zu der noch wesentlich passiven Potentialität von Spermium und Eizelle. Damit wären der Lebensschutz und insbesondere der Schutz vor dem Zugriff der Genforschung für alle Embryonen vollständig aufrecht zu erhalten. Die für den Begriff einer aktiven Potenz luzideste Erläuterung dürfte sich in der quaestio XI Artikel l (co) von Thomas von Aquins Schrift De veritate finden. Thomas unterscheidet die potentia activa von der potentia passiva dadurch, daß „bei einem vollständig vorhandenen Wirkvermögen [...] das dem Wirkenden innerliche Wirkprinzip hinreicht, den Zustand der vollendeten Wirklichkeit herbeizuführen". In diesem Fall „wirkt [...] die von außen kommende Kraft ausschließlich dadurch, daß sie das innerlich Wirkende unterstützt und ihm das zur Verfügung stellt, wodurch es zur vollständigen Wirklichkeit übergehen kann. So ist ja der Arzt beim Vorgang der Heilung nur der Diener der Natur als der ursprünglichen Wirkkraft" (Thomas 1988, 19).29 Laut einer Passage der Summa theologiae wird die Heilung teils von außen, teils von innen bewirkt, wobei die innere Natur klar die Hauptursache bleibt.30 Hier scheint nicht selbstverständlich, daß es die angemessene Beschreibung einer Schwangerschaft ist, daß das dem Embryo „innerliche Wirkprinzip" hinreicht, damit er zu einem Kind wird und etwa die Schwangere „ausschließlich [...] das zur Verfügung 28 Vgl. in diesem Band, 129-145. 29 „Sciendum [...] est quod in rebus naturalibus aliquid praeexistit in potentia dupliciter: uno modo in potentia activa completa, quando scilicet principium intrinsecum sufficienter potest perducere in actum perfectum [...] Quando [...] praeexistit aliquid in potentia activa completa, tune agens extrinsecum non agit nisi adiuvando agens intrinsecum et ministrando ei quibus possit in actum exire; sicut medicus in sanatione est minister naturae quae principaliter operatur" (Thomas 1988,18). Für Hinweise zu dieser Passage danke ich Arne Moritz. 30 Vgl. Thomas 1990,1 117 art. l, co.

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stellt", was er zu seiner Entwicklung benötigt. Selbst wenn es so sein sollte, kann es Situationen geben, in denen dieses Zur-Verfügung-Stellen unzumutbar wird. Ferner hatten wir festgestellt, daß gerade bei Frühembryonen das innerliche Wirkprinzip oft nicht zur Weiterentwicklung ausreicht. Zudem wird diese Rolle der Natur bei der Befruchtung in-vitro noch stärker relativiert. Insofern scheint auch diese potentia activa nicht in evidenter Weise ausreichend, um einen absoluten und unbedingten Schutz aller Embryonen vom Moment der Zeugung an zu begründen. Versucht man durch Rückgriff auf eine relativ zuverlässige Prognose zu erklären, warum wir uns dagegen wehren, etwa Feten im Alter von fünf Monaten als moralisch nicht berücksichtigungsfähigen „Rohstoff" zur Herstellung von Medikamenten qualifizieren zu lassen, so macht es einen Unterschied, mit welcher Sicherheit wir vorhersagen können, daß das betreffende Wesen, sofern wir es überhaupt eindeutig identifizieren können, sich zur Person entwickeln wird. Dies, zusammen mit der wachsenden Schmerzempfindlichkeit einerseits, der Ähnlichkeit zum Kind nach der Geburt andererseits - so eine Vermutung über die Motive - läßt uns einen Fötus von fünf Monaten bei einem drohenden Abgang anders behandeln als einen vierwöchigen Embryo und deutlich anders als eine eben befruchtete Eizelle, auf die wir uns in-vivo normalerweise gar nicht eindeutig beziehen können. Bei „überzähligen" Embryonen im Rahmen der Befruchtung in-vitro kann man zwar eine „Taufsituation" im genannten logischen Sinne annehmen, da sie sich ja in-vitro eindeutig identifizieren lassen. Doch kann man bisher gerade nicht prognostizieren, daß sie sich zu Personen entwickeln, da wir die entsprechenden Mittel (noch) nicht zur Verfügung stellen können.31 Da wir nun nicht versuchen, alle in-vivo-Ab gange im Frühstadium zu verhindern, wäre es eine unplausible Bevorzugung der überzähligen in-vitro-Embryonen, ihnen eine absolute Schutzwürdigkeit zuzusprechen, zumal ihr Tod bislang nicht generell verhindert werden kann und noch umstritten ist, ob etwa eine Freigabe für Adoptionsverfahren anzustreben wäre. Die moralische Entscheidung, für die hier plädiert wird, besteht also darin, die in-vitro befruchteten Frühembryonen, insbesondere die überzähligen Embryonen, eher mit „gleichaltrigen" in-vivo Embryonen gleichzusetzen als mit fertigen Personen. Gegen die Abschaffung der Befruchtung in-vitro aus dem Grund, daß dabei Wesen entstehen, die nicht in einem ernstzunehmenden Sinn am Leben erhalten werden, spricht, daß wir an anderer Stelle den Tod geborener und empfindungs- und denkfähiger Menschen in Kauf nehmen, um andere Menschen zu töten. Insofern scheint es zumindest nicht abwegiger, notfalls nicht-empfindungsfähige menschliche Wesen umkommen zu lassen, um anderen das Leben zu ermöglichen. Trotz der gesetzlichen Regelung, nach der das Entstehen solcher Wesen verhindert werden soll, existiert aus unterschiedlichen Gründen eine begrenzte Anzahl auch in

31 Vgl. Singer/Dawson 1990, 80.

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Deutschland, ferner gibt es mehrere tausend kryokonservierte Zellen im Einzellstadium vor der Verschmelzung der Vorkerne. Nach einer m. E. nicht unplausiblen Auffassung ließe sich die Verwendung dieser Embryonen zur Entwicklung von Heilungsmöglichkeiten für schwerkranke Menschen in Parallele zur Organentnahme bei hirntoten Patienten setzen, auch wenn die dort so wichtige Bedingung der Unumkehrbarkeit der Entwicklung hier nicht gegeben ist.32 Wir haben allen Grund zu einem äußerst vorsichtigen Umgang mit diesen Wesen, da es sich nun einmal um ein Frühstadium menschlicher Entwicklung handelt. Ein völliges Verbot jeder Forschung an ihnen scheint mir aber nach dem hier Vorgetragenen nicht zu rechtfertigen.

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Das Identitätsargument

Rainer Enskat Pro Identitätsargument: Auch menschliche Embryonen sind jederzeit Menschen Man kann identitätsstiftende Gemeinsamkeiten zwischen dem moralischen Status menschlicher Embryonen und dem würdefundierenden Status erwachsener Menschen - wenn überhaupt - erst dann ausfindig machen, wenn man den moralischen Status erwachsener Menschen schon bestimmt hat. Ob menschliche Embryonen dasselbe zur Menschenwürde gehörende unbedingte Recht auf Leben haben wie erwachsene Menschen, kann man daher erst dann beurteilen, wenn geklärt ist, wovon die Inhaberschaft dieses Rechts bei erwachsenen Menschen abhängt. Der moralische Status menschlicher Embryonen kann weder von Intentionen noch von Handlungen abhängen, weil sie weder einer Intention noch einer Handlung fähig sind. Der moralische Status erwachsener Menschen kann von Intentionen nicht abhängen, weil die Bestimmung des Menschen mehr einschließt als das Haben, Hegen oder Befriedigen von Intentionen. Nicht nur intentionalistische, auch konsequentialistische Modelle kommen für eine Bestimmung des moralischen Status von Menschen nicht in Frage: Da sowohl Intentionen wie Handlungen wie das praktische Bewerten von Handlungsfolgen das Leben voraussetzen, auf das ein Inhaber der Menschenwürde ein unbedingtes Recht hat, kann die Inhaberschaft dieses Rechts nicht wiederum von irgendwelchen Manifestationen dieses Lebens abhängen. Die folgenden Überlegungen argumentieren deontologisch: Das in der Menschenwürde eingeschlossene unbedingte Lebensrecht hängt von einer unbedingten Verpflichtung ab, wie sie ein Adressat dieser Verpflichtung ohne den Schutz eines unbedingten Lebensrechts gar nicht mit berechtigter Aussicht auf Erfolg wahrnehmen könnte. Zwar haben erst erwachsene Menschen alle Fähigkeiten, Talente und Kräfte entwickelt, eine solche Verpflichtung kognitiv und praktisch wahrzunehmen. Doch ein Wesen, dessen Würde ein unbedingtes Lebensrecht einschließt, ist unabhängig von diesem Bewußtsein, von dieser Praxis und von der zu ihnen führenden Entwicklung ein Adressat der Verpflichtung, die es im Horizont seines unbedingten Lebensrechts erst so relativ spät wahrnehmen kann. Ein menschlicher Embryo ist daher schon vor jeder ihm möglichen Entwicklung derselbe Träger derselben Menschenwürde wie der erwachsene Mensch, der sich aus ihm entwickeln kann.

1.

Den folgenden Überlegungen ist die Aufgabe gestellt zu untersuchen, ob ein Argument entwickelt werden kann, das die folgenden Thesen begründet: Ein menschlicher Embryo hat spätestens seit dem Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung von Ei und Samen aktual eine moralisch relevante, würdefundierende Eigenschaft , durch die er spätestens seit diesem Zeitpunkt in moralisch relevanter Weise mit dem Wesen identisch ist, das sich zu irgendeinem beliebig späteren Zeitpunkt seines Lebens aus diesem Embryo entwickelt haben kann.

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Vom argumentative!! Schicksal der Thesen, um die es in allen Beiträgen dieses Bandes geht, hängen bekanntlich praktische Konsequenzen ab, die nicht nur bis in den Anfang der Existenz, sondern auch bis in den Ursprung des Menschheitscharakters eines jeden einzelnen Menschen reichen. Das Ziel aller dieser analytischen und argumentativen Bemühungen erschöpft sich ja nicht darin, möglichst tiefe, aber selbstgenügsame Einsichten in diesen Anfang und diesen Ursprung zu gewinnen. Ihr Ziel ist es, Einsichten in die Gründe der Legitimierung oder der Delegitimierung von Interventionen zu gewinnen, denen die Existenz des menschlichen Embryos in den frühesten Phasen von dessen Existenz ausgesetzt werden kann. Wo es um die Klärung und die Lösung der Legitimationsprobleme von Tötungsverboten bzw. Tötungslizenzen geht, da sind mit jedem möglichen Ergebnis nur allzu offensichtlich praktische Tragweiten verbunden, von denen auch die überwältigend vielen Menschen betroffen sind, die in der Vergangenheit keinen blassen Schimmer von Philosophie oder von Wissenschaft hatten, in der Gegenwart keinen solchen blassen Schimmer haben und auch in Zukunft keinen solchen Schimmer haben werden. Doch wenn die Beurteilung des moralischen Status von menschlichen Embryonen durch diese Menschen eine ernstzunehmende Chance auf Trefflichkeit haben soll, dann ergibt sich daraus für die Philosophie das Postulat, in gezielter Weise solche argumentativen Möglichkeiten ernst zu nehmen, die der Urteilskraft des Menschen nichts anderes zutrauen und zumuten als das, was ihr durch die pure Faktizität seiner Existenz schon seit den unscheinbarsten Anfängen seiner Gattungsgeschichte zugetraut und zugemutet wird — Aufklärung über die praktische Bestimmung seiner Existenz ganz ohne Interventionen von Experten und Eliten zu erlangen, wie sie sich regelmäßig erst in Altersphasen von Epochen seiner Geschichte zu Wort zu melden pflegen. Die Philosophie sollte jedenfalls auch auf dem Problemfeld der Embryonenethik ernsthaft mit dem Risiko rechnen, daß sie Formen der Herrschaft durch Experten und durch selbsternannte Verwalter und Spender von Glück und Heil schon dann Vorschub leistet, wenn sie nicht bis zum definitiven Nachweis der Abwegigkeit nach solchen argumentativen Möglichkeiten sucht.

2.

Nun ist der analytische und der argumentative Aufwand, der unter diesen Umständen nötig ist, nicht zuletzt auch von den Vorgaben abhängig, die die Organisatoren des Unternehmens, das in diesem Band seinen literarisch dokumentierten Abschluß findet, den Referenten mit auf den Weg gegeben haben. Eine von diesen Vorgaben ist mit einer logischen Extra-Auf gäbe verbunden. Das zentrale Ergebnis der Überlegungen zu jedem der vier SKIP-Argumente soll so zusammengefaßt werden, daß daraus eine logisch gültige Schlußfolgerung nach dem Schema eines klassischen Syllogismus' wird. Diese Aufgabe hat eine Verpflichtung zur Folge, die zugleich eine Komplizierung und eine Vereinfachung

Pro Identitätsargument

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mit sich bringt. Zum einen zwingt sie, das ganze höchst differenzierte und verzweigte Feld der intuitiven embryonenethischen Voraussetzungen zu durchmustern, die die persönliche Urteilskraft des Einzelnen gleichsam im Rücken hat, wenn sie zu möglichst trefflichen Einschätzungen der legitimen Formen der praktischen Behandlung des menschlichen Embryos in den diversen Situationen seiner möglichen Entwicklung zu gelangen sucht. Zum anderen zwingt sie, diese Musterung in die Ermittlung eines einzigen Begriffs und eines einzigen Satzes münden zu lassen, durch die genau eine von den Prämissen des gesuchten Syllogismus' zu einer positiven oder zu einer negativen Behauptung über eine würdefundierende Eigenschaft eines menschlichen Embryos wird. Doch eine Schlußfolgerung kann bekanntlich auch dann logisch gültig sein, wenn ihre Prämissen falsch sind. Man muß daher unter den Vorzeichen dieser logischen Extra-Aufgabe vor allem versuchen, sich um die Begründung und die Wahrheit der Prämissen des jeweiligen Pro-Argumentes zu kümmern. Allerdings kann man eine Prämisse nur dann begründen und ihren Wahrheitswert nur dann beurteilen, wenn die darin verwendeten Begriffe hinreichend bestimmt sind. Im Rahmen des Pro-Argumentes der Identität kommt es daher offensichtlich auf zweierlei an: Man muß den Begriff hinreichend bestimmen, der die würdefundierende Eigenschaft markiert, von der es abhängt, daß ein menschlicher Embryo in jeder Phase seiner Existenz in moralisch relevanter Weise mit dem Wesen identisch ist, das sich zu irgendeinem beliebig späteren Zeitpunkt aus diesem Embryo entwickelt haben kann; und man muß die Zentralprämisse begründen, die diesen Begriff verwendet. Indessen werden die nachfolgenden Überlegungen - ebenso wie die Überlegungen jedes anderen Beitrags zu diesem Band - nicht nur durch die Vorgabe der logischen Extra-Auf gäbe vorkonturiert. Sie werden vor allem - wie sonst allerdings analog nur noch die Beiträge zur Kontinuums- und zur Potentialitätsproblematik - durch den formalen Kern ihres Themas vorkonturiert. Denn sowohl die Pro- wie die Contra-Argumente der Identität müssen schon angesichts der biologisch möglichen Verhältnisse in der embryonalen Entwicklung des Menschen dem Umstand Rechnung tragen, daß man sogar diese Verhältnisse nur unter Rückgriff auf verschiedene in unserer alltäglichen Verständigung gebräuchliche Identitätsbegriffe angemessen erfassen kann. So kommt man nur im einfachsten Fall der Embryonalentwicklung auch mit dem einfachsten unserer üblichen Identitätsbegriffe, dem Begriff der numerischen Identität aus. Denn nur da, wo keine eineiige Mehrlingsbildung erfolgt, ist ein Embryo, der sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt - wenn auch unter bizarren Gestaltwandlungen - entwickelt hat, numerisch identisch mit dem Embryo, der sich zu irgendeinem späteren oder früheren Zeitpunkt entwickelt hat. Doch kein Fall von eineiiger Mehrlingsbildung läßt sich mit diesem einfachsten Identitätsbegriff angemessen erfassen, sondern nur noch unter zusätzlicher Zuhilfenahme des zuerst wohl von Leibniz aus dem Alltagsgebrauch hervorgehobenen Begriffs der ontogenetischen Identität: Sobald sich ein anfänglicher individueller Embryo zu embryonalen Mehrungen entwickelt hat, ist er selbstverständlich

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mit keinem dieser Mehrlinge numerisch identisch, wenngleich er mit jedem dieser Mehrlinge ontogenetisch identisch ist, während keiner dieser Mehrlinge mit irgendeinem anderen dieser Mehrlinge numerisch oder ontogenetisch identisch ist. Man muß die biologisch möglichen embryonalen Anwendungsfälle für diese beiden alltäglichen Identitätsbegriffe zunächst einmal durchbuchstabiert haben, um zu sehen, daß und inwiefern man durch die ethische Dimension des embryonalen Identitätsproblems von Anfang an auf die Benutzung eines ganz anderen, dritten Kandidaten aus dem Repertoire unserer alltäglichen Identitäts begriffe festgelegt ist. Dies ergibt sich schon aus der gemeinsamen Leitfrage aller vier embryonenethischen Argumentationstypen. Denn wenn nach einer moralisch relevanten, würdefundierenden Eigenschaft des menschlichen Embryos gefragt wird, dann ergibt sich daraus für das Pro- und das Contra-Argument der Identität die Frage, ob es eine moralisch relevante Eigenschaft des menschlichen Embryos gibt oder nicht, die dafür sorgt, daß ein menschlicher Embryo spätestens seit dem Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung seiner Vorkerne derselbe Träger von Würde ist wie der erwachsene Mensch, der aus ihm hervorgehen kann. Es ist der hier benutzte Begriff der sortalen Identität, der das formale Mittel an die Hand gibt, mit dessen Hilfe man den menschlichen Embryo in derselben moralisch relevanten, würdefundierenden Hinsicht sortieren kann wie den erwachsenen Menschen - also den menschlichen Embryo entweder als denselben oder als nicht denselben Träger von Würde sortieren kann wie den erwachsenen Menschen.1 Der identitätstheoretische Hauptsatz, zu dessen Gunsten das embryonenethische Pro-Argument gesucht wird, hat daher in dem springenden Punkt die logische Form: Der menschliche Embryo ist in moralisch relevanter, würdefundierender Hinsicht derselbe wie der erwachsene Mensch.

3.

Wenn man dem moralischen Status des menschlichen Embryos auf die Spur zu kommen sucht, dann ist man auf eine bestimmte methodische Technik angewiesen: Man muß von den klarsten, ausgeprägtesten und randschärfsten Fällen ausgehen, in denen der moralische Status des Menschen zum Zuge kommt. Und diese Fälle kommen nun einmal in ihrer überwältigenden Mehrheit ausschließlich im Erwachsenenalter der Menschen vor. Ein erwachsener Mensch traut soZur Einführung des Begriffs der sortalen Identität vgl. Geach 1962; eine systematische Verwendung dieses Begriffs in einem nicht-ethischen Problemfeld erörtert zuerst Wiggins 1967. Die verbreitete unkritische Verwendung verschiedener Identitätsbegriffe und insbesondere die verbreitete Vernachlässigung des besonders wichtigen Begriffs der sortalen Identität in der embryonenethischen Debatte kritisiert zu Recht Merkel 2001, 491-495.

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wohl sich selbst wie einem anderen erwachsenen Menschen einen moralischen Status zu; aber ein erwachsener Mensch mutet auch sowohl sich selbst wie einem anderen erwachsenen Menschen einen moralischen Status zu. Doch was ist der Inhalt dieses Zutrauens und dieser Zumutung? Was macht den Kern des moralischen Status aus, den jedenfalls erwachsene Menschen sowohl sich selbst wie einander zutrauen und zumuten? Es liegt auf der Hand, daß diese Fragen geradezu im Handumdrehen den Charakter von Rätselfragen anzunehmen scheinen, sobald man sie in den Dienst der Aufgabe stellt, dem moralischen Status des menschlichen Embryos auf die Spur zu kommen. Denn zwischen diesem Embryo - insbesondere im Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung seiner Vorkerne - und dem erwachsenen Menschen tut sich eine empirisch unauslotbare und unüberbrückbare Kluft von Unterschieden auf. Vergleiche der extrauterinen Situationen, der Verhaltensweisen, der physiologischen Funktionen sowie der Gestalten des erwachsenen Menschen mit den intrauterinen Situationen, den Verhaltensweisen, den physiologischen Funktionen und den Gestalten des menschlichen Embryos vor allem in den frühesten Phasen von dessen Existenz lassen keinerlei Eigenschaft, geschweige denn eine moralisch relevante Eigenschaft erkennen, die dem erwachsenen Menschen und dessen Embryo gemeinsam wäre und daher eine moralisch relevante Identitätsbrücke zwischen ihnen bilden könnte. Das Contra-Argument der Identität scheint daher leichtes Spiel zu haben: Da es noch nicht einmal einen (empirischen) Indikator einer moralisch relevanten Identität des menschlichen Embryos mit dem erwachsenen Menschen gibt, ist jedes embryonenethische Pro-Argument der Identität empirisch unfundiert. Die Aufgabe, unter diesen Umständen ein Argument zugunsten einer moralisch relevanten Identität des erwachsenen Menschen mit dem menschlichen Embryo zu entwickeln, erweckt allerdings nicht nur den Anschein von Rätselhaftigkeit. Sie eröffnet auch Optionen, und vor allem macht sie auf eine Reihe von Teilaufgaben aufmerksam, die nicht selten vernachlässigt werden, weil sie nur allzu leicht im toten Winkel von ethischen Primärintuitionen verborgen bleiben. Einige von diesen Teilaufgaben ergeben sich nun aber gerade aus dem methodischen Umstand, daß man den moralischen Status des menschlichen Embryos nur im Licht des moralischen Status des erwachsenen Menschen bestimmen kann. Man kann daher auch die moralische Relevanz einer Eigenschaft des menschlichen Embryos erst dann mit berechtigter Aussicht auf Erfolg zu bestimmen suchen, wenn man den moralischen Status des erwachsenen Menschen schon hinreichend geklärt hat. Es wäre daher ein methodischer Fehler, von einem unbestimmten oder von einem nicht klar oder nicht explizit bestimmten moralischen Status des erwachsenen Menschen auszugehen und nach zuverlässigen Kriterien bzw. nach charakteristischen Indikatoren für das Vorliegen eines moralischen Status beim menschlichen Embryo zu fragen. Denn es bliebe dann eben auch unbestimmt, unklar oder explikationsbedürftig, nach dem Vorliegen von was man sich mit Hilfe eines entsprechenden Kriteriums oder Indikatorenkomplexes überhaupt erkundigt.

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3.1

Unter dieser Voraussetzung ergeben sich für die Kontroverse um den moralischen Status des menschlichen Embryos indessen einige gravierende Probleme der Beweislastkoordinierung. Sie sind es vor allem, die nur allzu leicht im toten Winkel von ethischen Primärintuitionen vernachlässigt werden. Das wohl wichtigste dieser metaethischen Koordinierungsprobleme ergibt sich aus dem Umstand, daß in allen an dieser Kontroverse beteiligten Argumentationstypen die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen einen gemeinsamen Inhalt aller obersten Prämissen bildet - der diversen deontologischen Oberprämissen ebenso wie der diversen konsequentialistischen Oberprämissen. Nun streiten deontologische und konsequentialistische Ethiken bekanntlich ohne Aussicht auf Verträglichkeit über die normativen Fundamente der Praxis. Diese Unverträglichkeit läßt es zwar auf den ersten Blick abwegig erscheinen, die Koordination von irgendwelchen Beweislasten ins Auge zu fassen, die den Kontrahenten insbesondere in den embryonenethischen Verzweigungen dieses Streits alleine schon auf Grund ihrer Oberprämissen gemeinsam sein könnten. Doch man übersieht in diesem Streit nur allzu leicht, daß die Fähigkeit der praktischen Selbstbestimmung sowohl von der Moralfähigkeit wie von der Fähigkeit der praktischen Handlungsfolgenbewertung eingeschlossen wird. Diese notwendige Bedingung sowohl der Moralfähigkeit wie der Fähigkeit, Handlungsfolgen praktisch zu bewerten, taucht in den diversen deontologischen und konsequentialistischen Ethiken auch unter solchen Namen wie z. B. denen der Autonomie und der praktischen Urteilsfähigkeit auf.2 Die folgenden Erörterungen sollen daher mit Mitteln einer entsprechenden Koordinierung der Beweislasten auch zeigen, daß deontologische und konsequentialistische Proponenten und Kontrahenten von embryonenethischen Thesen eine gemeinsame Beweislast jedenfalls und mindestens in dem Maß vernachlässigen, wie sie sich nicht um eine hinreichende Klärung der in ihren obersten Prämissen implizierten praktischen Selbstbestimmungsfähigkeit bemühen. Denn die Moralfähigkeit des erwachsenen Menschen bildet nur zusammen mit der von dieser Moralfähigkeit eingeschlossenen Fähigkeit der praktischen Selbstbestimmung denjenigen moralischen Status des erwachsenen Menschen, im Blick auf den man die moralisch relevante, würdefundierende Eigenschaft des menschlichen Embryos in methodisch kontrollierbarer Weise bestimmen kann. Die Moralfähigkeit des erwachsenen Menschen besteht indessen nicht, wie hier argumentiert werden soll, in der Fähigkeit, Wünsche, Interessen oder andere derartige Intentionen durch die Handlungsweisen zu befriedigen, die man als Mittel zur Erreichung der Ziele realisieren und rechtfertigen kann, die durch diese Intentionen fixiert werden. Auch die innerweltliche Bestimmung des Zu den deontologischen Ethiken vgl. den locus dassicus bei Kant 1903, 431 ff., 440 f., 446ff.; zu den konsequentialistischen Ethiken vgl. z.B. Singer 1984, 18-25, 115f., 252 f.

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Menschen besteht in mehr und in etwas anderem als im Haben, Hegen und Befriedigen solcher Intentionen. Diese Bestimmung kann man sich indessen klar machen, wenn man das von der Menschenwürde implizierte unbedingte Lebensrecht des erwachsenen Menschen in Rechnung stellt, also das Recht auf das einzigartige Medium, in dem es dieser Bestimmung gerecht werden kann. Denn die Unbedingtheit dieses Rechts setzt die Unbedingtheit einer - oder mehr als einer - Verpflichtung voraus, deren Adressat jeder Träger dieses Rechts ist. Es kann nur die Unbedingtheit einer Verpflichtung sein, was die Unbedingtheit eines Rechts auf das einzigartige Medium verbürgt, in dem er seiner durch diese Verpflichtung entworfenen Bestimmung gerecht werden kann. Gleichwohl besteht die gesuchte würdefundierende Eigenschaft nicht erst in der mehr oder weniger hoch entwickelten Fähigkeit des erwachsenen Menschen, einer unbedingten Verpflichtung gerecht zu werden. Sie besteht vielmehr darin, Adressat einer unbedingten Verpflichtung und daher auch Träger des korrespondierenden, ebenso unbedingten Rechts zu sein, dieser unbedingten Verpflichtung in der Praxis zu entsprechen - also vor allem auch des Rechts auf Leben als das einzigartige Medium, in dem diese Verpflichtung wahrgenommen werden kann. Vom moralischen Status des erwachsenen Menschen unterscheidet sich der des menschlichen Embryos zwar selbstverständlich dadurch, daß er noch nicht fähig ist, eine unbedingte Verpflichtung auch bloß zu vernehmen, geschweige denn danach zu trachten, ihr gerecht zu werden und das korrespondierende unbedingte Recht wahrzunehmen. Gleichwohl ist, wie hier argumentiert werden soll, der menschliche Embryo - wie jeder erwachsene Mensch und zwar seit der vollendeten Verschmelzung seiner Vorkerne - nur dann ein Inhaber von Würde, wenn er sowohl Adressat einer unbedingten Verpflichtung wie Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts ist. Denn erst mit der Verbindung dieser Adressatenschaft und Trägerschaft gibt es ein Attribut, im Blick auf das sowohl sein Inhaber sich selbst unbedingte Achtung schuldig ist wie auch seinesgleichen wiederum ihm unbedingte Achtung schuldig ist.3 Die Leerformel des embryonenethischen Pro-Argumentes der Identität, wonach der menschliche Embryo in moralisch relevanter Hinsicht derselbe wie In einem anderen Zusammenhang (vgl. Enskat 2001) habe ich gezeigt, wie man unterschiedliche Inhalte unbedingter Verpflichtungen in drei Schritten bestimmen kann: 1. indem man die chronische praktische Angewiesenheit jedes Menschen auf sachgerechte Informationen über seine Lebensumstände berücksichtigt, wobei zu diesen Lebensumständen nun einmal auch die Interaktionen und Kommunikationen mit seinesgleichen gehören; 2. indem man die Mitteilungen von Informationen zwischen Menschen als die lebenswichtigsten Handlungsweisen auffaßt, die mit Hilfe des Verfahrens, das den Kern des von Kant formulierten kategorischen Imperativs bildet, auf ihr moralisches Format geprüft werden können; 3. indem man auch die nicht-kommunikativen Interaktionsformen der Menschen daraufhin prüft, inwiefern ihr moralisches Format vom moralischen Format der kommunikativen Formen abhängt, in denen sie mit den Informationen umgehen, die ihnen im Blick auf ihre Interaktionen zur Verfügung stehen.

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der erwachsene Mensch ist,4 kann daher zu der These konkretisiert werden, daß der menschliche Embryo derselbe Adressat einer unbedingten Verpflichtung und derselbe Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts ist wie der erwachsene Mensch. Vom moralischen Status des erwachsenen Menschen unterscheidet sich der des menschlichen Embryos insofern ganz unbeschadet dieser Identität dadurch, daß der Embryo einerseits noch nicht fähig ist, sich durch selbstbestimmte und moralisch geprägte leibhaftige Handlungsweisen mit einem solchen Adressaten und Träger praktisch zu identifizieren, und andererseits noch nicht fähig ist, sich seiner Identität mit einem solchen Adressaten und Träger bewußt zu werden? Die syllogistische Form des Argumentes, das hier entwickelt werden soll, fällt angesichts dieser Zentralthesen so aus: (1) Alle Wesen, die aktual Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts sind, haben aktual Würde. (2) Alle menschlichen Embryonen sind aktual Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts. Also: (3) Alle menschlichen Embryonen haben aktual Würde.

4 5

Vgl. oben S. 104 Durch die Identität des menschlichen Embryos mit dem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und dem Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts kommt ein andersartiger Fall von Identität ins Spiel als die in diesem Beitrag eigentlich thematische, würdefundierte Identität des menschlichen Embryos mit dem erwachsenen Menschen. Dieser andersartige Fall sei hier mit der entsprechenden Vorläufigkeit wenigstens durch eine vorläufige Präzisierung einer formal korrekten Identitätsaussage umrissen: Der Embryo, der bis jetzt und hier aus der ovarischen Mitgift von jemandt und der spermischen Mitgift von jemand 2 hervorgegangen ist, ist identisch mit dem Adressaten der unbedingten Verpflichtung und Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts, dem jemandj und jemand2 ursprünglich gewünscht haben, daß er dereinst die Fähigkeiten, Talente und Kräfte entwickelt haben wird, die man benötigt, um auch diese Verpflichtung und dieses Recht tüchtig wahrnehmen zu können. Es geht hier also nicht um den nicht-trivialen Fall, daß ein Individuum in extremen Phasen seiner Entwicklung und entgegen allem Anschein Träger desselben moralisch relevanten Attributs ist; es geht vielmehr um den allerdings ebenso nicht-trivialen Fall, daß ein und dasselbe Individuum - und zwar auch entgegen allem Anschein - Träger sowohl eines biologisch-anthropologischen Attributs wie auch eines moralisch-anthropologischen Attributs ist.

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4.

Wenn man sich an der Begründung von positiven oder von negativen Thesen über die Moralfähigkeit und die von ihr eingeschlossene praktische Selbstbestimmungsfähigkeit versucht, dann sollte man ein methodologisches Prinzip respektieren, das nicht nur in der Philosophie, sondern überall da unumgänglich ist, wo überhaupt irgendwelche Behauptungen über Fähigkeiten, Fertigkeiten, Vermögen, Kompetenzen und andere subjektive Möglichkeiten aufgestellt werden - also über Möglichkeiten, deren sprachlicher Ausdruck im Deutschen durch ein Schema wie (SM) Das Individuum i ist fähig, so-und-so zu handeln standardisiert werden kann. Das methodologische Prinzip, das der Eigenart solcher subjektiven Möglichkeiten Rechnung trägt, beruht auf der Tatsache, daß solche subjektiven Möglichkeiten grundsätzlich nicht beobachtet werden können, und zwar weder von denjenigen Individuen, die solche Möglichkeiten haben, noch von denjenigen Individuen, die in der Rolle von Beobachtern solchen Individuen zugewandt sind.6 Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen, Vermögen und dergleichen kann man allenfalls in indirekter Weise mit empirischen Mitteln auf die Spur kommen. Dazu muß man die beobachtbaren Verhaltensweisen der Individuen studieren, die die entsprechenden Fähigkeiten, Kompetenzen, Fertigkeiten und Vermögen haben. Bei praktischen Fähigkeiten wie der Moralfähigkeit und der von ihr eingeschlossenen praktischen Selbstbestimmungsfähigkeit sind es offenkundig die leibhaftigen Handlungsweisen eines entsprechend befähigten Wesens, die empirisch zugängliche Indikatoren zumindest für die praktische Dimension dieser Fähigkeiten abgeben. Eine so banale Handlungsweise wie ein Spaziergang kann ebenso ein Beispiel für eine Handlungsweise abgeben, zu der sich jemand selbst bestimmt, wie eine Gehirnoperation, zu der sich ein entsprechend spezialisierter Chirurg selbst bestimmt - jede beliebig wichtige oder banale Handlungsweise kommt hier ebenso in Frage wie jede beliebig komplexe oder einfache Handlungsweise. In jedem Fall fällt einer beobachtbaren, leibhaftigen Handlungsweise, zu der sich ein individuelles Wesen selbst bestimmt, die Rolle eines Indikators zu: Sie verweist auf die anders gar nicht zugängliche Tatsache, daß der Initiator der Handlungsweise mit der praktischen Fähigkeit begabt ist, sich selbst zu Handlungsweisen wie einem Spaziergang oder einer Gehirnoperation zu bestimmen. 4.1

Wenn man die prinzipielle Unbeobachtbarkeit in Rechnung stellt, die die Moralfähigkeit und die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit mit anderen Fähigkeiten gemeinsam haben; und wenn man außerdem die indikatorische Funktion der leibhaftigen Handlungsweisen in Rechnung stellt, in denen sich die prakti6

Vgl. zu den Basisinformationen Stegmüller 1970, 213-238.

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sehe Dimension dieser Fähigkeiten in einer empirisch zugänglichen Weise manifestiert, dann sind zwar noch nicht einmal alle elementaren methodologischen Probleme entschärft, denen sich eine Theorie der Moralfähigkeit und der praktischen Selbstbestimmungsfähigkeit zu stellen hat. Doch wenn man eine solche Theorie mit einem embryonenethischen Pro-Argument der Identität zu verflechten sucht, dann zeichnet sich schon auf dieser vergleichsweise bescheidenen methodologischen Reflexionsstufe eine Möglichkeit ab, den empiristischen Unfundiertheitsverdacht wenigstens skeptisch zu relativieren, dem alle derartigen Pro-Argumente ausgesetzt zu sein scheinen.7 Denn wenn die gesuchte moralisch relevante Eigenschaft eines menschlichen Embryos im Status eines Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Trägers des korrespondierenden unbedingten Rechts besteht, dann muß ein Embryo auch im Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung seiner Vorkerne durchaus nicht schon deswegen keine moralisch relevante Eigenschaft haben, weil er keine empirisch faßbaren Manifestationen einer solchen Eigenschaft zeigt; vielmehr kann er eine solche Eigenschaft von Anfang an haben, obwohl er ihre charakteristischen Indikatoren erst viel später zeigt, ebenso wie er die Moralfähigkeit und die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit erst viel später entwickelt, vermöge deren er diese Eigenschaft durch entsprechende leibhaftige Handlungsindikatoren manifest macht.8 Ein weiteres und mindestens genauso heikles methodologisches Problem aller embryonenethischen Pro- und Contra-Argumente zeichnet sich indessen ab, wenn man die Rolle der Beispiele sorgfältiger erwägt, an deren Leitfaden sich die indikatorische Funktion erörtern läßt, die leibhaftige Handlungsweisen im Blick auf die praktische Tragweite der Begabung ihrer Urheber nicht erst mit der Moralfähigkeit, sondern allein schon mit der in allen Ethiken unterstellten praktischen Selbstbestimmungsfähigkeit annehmen können. Denn wenn jemand z. B. nach den Regeln der chirurgischen Kunst seiner Zeit eine Gehirnoperation durchführt, dann verweist die komplexe Handlungsweise, mit der ihm dies gelingt, ja offenkundig primär und in charakteristischer Weise auf seine spezifische praktische, chirurgische Kompetenz. Sie verweist aber nicht primär und auch nicht in charakteristischer Weise auf eine Selbstbestimmtheit dieser Handlungsweise. Daher lassen sich zwar charakteristische Merkmale z.B. einer Gehirnoperation, eines Spaziergangs oder irgendeiner anderen konkreten Handlungsweise durch empirische Beobachtungen eben dieser Handlungsweise und ihrer Umstände sowie durch Interpretation der entsprechenden Beobachtungen gewinnen. Es ist aber gar nicht ohne weiteres klar, auf was für Merkmale einer leibhaftigen Handlungsweise eines erwachsenen Menschen man seine Aufmerksamkeit mit berechtigter Aussicht auf Erfolg konzentrieren kann, wenn man Indikatoren für die Selbstbestimmtheit dieser Handlungsweise zu beobachten sucht. Solange der kategoriale Typ des Selbstbestimmtheitscharak7 8

Vgl. oben S. 105. Vgl. Stegmüller 1970, 232 ff.

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ters einer leibhaftigen Handlungsweise nicht zureichend geklärt ist und vom kategorialen Typ der beobachtbaren leibhaftigen Handlungscharaktere unterschieden werden kann, leidet auch die embryonenethische Kontroverse unter einer elementaren Unklarheit.9

5. In dieser Situation von zumindest vorläufiger Unklarheit hilft es weiter, wenn man berücksichtigt, daß man Unterschiede zwischen beliebigen konkreten Handlungsweisen nur im Licht von entsprechend unterschiedlichen Charakterisierungen dieser Handlungsweisen erkennen kann. In einer ähnlichen methodischen Situation findet man sich mit der Aufgabe, den Selbstbestimmtheitscharakter zu klären, den ein Akteur seinen Handlungsweisen verleihen kann, falls er die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit schon entwickelt hat. Auch die Selbstbestimmtheit und die moralische Prägung einer leibhaftigen Handlungsweise kann man nur durch die entsprechenden Charakterisierungen dieser beiden Formate und ihrer Unterschiede erkennen. Hält man sich aus den skizzierten Gründen, vor allem auch wegen der ethischen Neutralität, zunächst an die Selbstbestimmtheit, dann zeigt eine entsprechende Charakterisierung, daß es bei der Selbstbestimmtheit um einen ganz anderen kategorialen Typ von Handlungscharakter geht als bei denjenigen Handlungscharakteren, durch die man die Unterschiede zwischen konkreten leibhaftigen Handlungsweisen wie z.B. einem Spaziergang oder einer Herzoperation erkennen kann. Dieser Typenunterschied zeigt sich nahezu im Handumdrehen, wenn man die Formen der sprachlichen Atteste berücksichtigt, durch die erwachsene Menschen sich selbst und ihresgleichen die Selbstbestimmtheit ihrer Handlungsweisen bezeugen können. Diese sprachlichen Atteste bilden ja in ihrer ursprünglichen, verlautbarenden Gestalt Sprechakte und daher ihrerseits leibhaftige Handlungsweisen. Nimmt man diese sprachlichen Selbstbestimmtheitsatteste wiederum in ihrer authentischen Gestalt auf, also in der Gestalt, in der ein erwachsener Mensch sich selbst und nicht jemand anders bezeugt, daß er eine leibhaftige Handlungsweise in selbstbestimmter Form vollzieht, dann bilden diese authentischen Selbstbestimmtheitsatteste offenbar das genuine Medium für die Indikatoren, mit deren Hilfe man dem spezifischen Typ des Selbstbestimmtheitscharakters einer leibhaftigen Handlungsweise auf die Spur kommen kann. Orientiert man sich mit diesem Ziel an einem sprachlichen Attest der Form (0) Ich bestimme mich jetzt und hier selbst dazu, jetzt und hier sound-so zu handeln

Verschiedene Typen von internen Unzulänglichkeiten einiger klassischer Modelle praktischer Selbstbestimmung und Selbstbestimmtheit sind am eindringlichsten von Tugendhat 1979,137-357, diagnostiziert und analysiert worden.

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dann erhält man offensichtlich einige Indikatoren dafür, daß und inwiefern der Charakter der Selbstbestimmtheit einer Handlungsweise ein komplexer formaler Charakter ist. Mit der gebotenen Vorläufigkeit lassen sich einige formale Züge dieses Charakters folgendermaßen analysieren: l. Die Selbstbestimmtheit einer Handlungsweise hat invariant gegenüber beliebigen Unterschieden zwischen dieser Handlungsweise und jeder beliebigen anderen selbstbestimmten Handlungsweise dieselbe Form: 1.1 zur invarianten Form der Selbstbestimmtheit von Handlungsweisen gehören mindestens vier Umstände: 1.1.1 der Umstand, daß der Vollzug eines Aktes praktischer Selbstbestimmung, der überhaupt das Epitheton des Praktischen verdient, von einem Individuum bestritten wird, das im Jetzt und Hier einer konkreten Situation in der Rolle des Subjekts einer leibhaftigen Handlungsweise zum Zuge kommt; 1.1.2 der Umstand, daß der Vollzug eines solchen bestimmenden Aktes von einem Individuum bestritten wird, das sich in eben dieser Situation selbst zu eben dieser Handlungsweise bestimmt - also in der Rolle des Subjekts eben dieses bestimmenden Aktes zum Zuge kommt; 1.1.3 der Umstand, daß der Vollzug eines solchen bestimmenden Aktes von einem Individuum bestritten wird, das in eben dieser Situation sich zu eben dieser Handlungsweise bestimmt - also in der Rolle des Objekts eben dieses bestimmenden Aktes zum Zuge kommt; 1.1.4 sowie vor allem noch der Umstand, daß das Individuum, das in der Rolle des Subjekts der leibhaftigen Handlungsweise zum Zuge kommt, identisch ist sowohl mit dem Individuum, das in der Rolle des Subjekts des bestimmenden Aktes zum Zuge kommt, wie auch mit dem Individuum, das in der Rolle des Objekts eben dieses bestimmenden Aktes zum Zuge kommt. Zur invarianten Form der Selbstbestimmtheit einer Handlungsweise gehört also im Rahmen dieser vorläufigen Rohanalyse der Umstand, daß ein und dasselbe Individuum jedenfalls und mindestens diese drei Rollen in Personalunion ausübt.10 Will man daher nicht nur den Unterschied zwischen diesen drei Rollen, sondern auch die dreidimensionale Personalunion ihres Inhabers in der sprachlichen Form der authentischen Atteste praktischer Selbstbestimmung angemes-

10 Das Selbstverhältnis, von dem in der Philosophie des Selbstbewußtseins und der praktischen Selbstbestimmung immer wieder die Rede ist, hat daher geradezu die Form einer solchen mehrgliedrigen Identität; zur Vervollständigung der Analyse vgl. jedoch unten S. 116-118

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sen verdeutlichen, dann ergibt sich die folgende formal einfache Modifikation des Schemas (0): (1) Ich bestimmte mich jetzt und hier selbst dazu, daß ich jetzt und hier so-und-so handle.11

5.1 Dieser komplexe formale Charakter der Selbstbestimmtheit einer leibhaftigen Handlungsweise hat nun allerdings eine beträchtliche methodologische Tragweite nicht nur für die embryonenethischen Pro- und Contra-Argumente vom identitätsorientierten Typ, sondern auch für die vom potentialitäts-, vom kontinuums- und vom speziesorientierten Typ. Denn dieser formale Charakter sorgt dafür, daß bereits diese Selbstbestimmtheit prinzipiell nicht durch Beobachtung - und schon gar nicht durch Beobachtung der Handlungsweise selbst - ermittelt werden kann. Durch Beobachtung der jeweiligen Handlungsweise selbst kann sie schon deswegen nicht ermittelt werden, weil sie - wie die vorläufige Rohanalyse zeigt - gar keine Eigenschaft einer Handlungsweise an sich ist. Sie ist vielmehr eine Eigenschaft der Beziehung, die ein Individuum zu 11 Wer die Selbstbestimmungsatteste (0) und (l) wegen ihrer sprachlichen und grammatischen Formen gekünstelt findet und den Verdacht hegt, ihre Analyse könnte zum Nachteil der sachlichen Adäquatheit in diesen Formen befangen sein und daher die gesuchte Struktur verfehlen, kann zur Kontrolle und als eventuelle Korrekturinstanz eine möglichst einfache sprachliche und grammatische Form der Selbstbestimmungsatteste für die Analyse fruchtbar machen, z.B. (a) Ich will jetzt und hier so-und-so handeln. Doch es gibt Situationen, in denen wir sinngemäß sagen (a*) Ich will jetzt und hier, daß du jetzt und hier so-und-so handelst. Solche Situationen sorgen daher dafür, daß durch die propositionale daß-Grammatik das Ziel des Wollens (entsprechend 1.1.1 der Analyse) explizit gemacht wird; entsprechend fällt das voluntative Selbstbestimmungsattest so aus: (a+) Ich will jetzt und hier, daß ich jetzt und hier so-und-so handle. Doch vom Ziel des Wollens ist aus sachlichen Gründen der Adressat des Wollens zu unterscheiden: (a**) Ich will jetzt und hier von dir, daß du jetzt und hier so-und-so handelst. Dieser adressatengrammatischen Komponente entspricht offenbar 1.1.3 der Analyse, so daß das vollständige voluntative Selbstbestimmungsattest so ausfällt: (a++) Ich will jetzt und hier von mir, daß ich jetzt und hier so-und-so handle. Die Wendung jemand will so-und-so handeln ist also sinnäquivalent mit der Wendung jemand j bestimmt jemand 2 dazu, daß jemand 3 so-und-so handelt, so daß der Fall Ich will jetzt und hier so-und-so handeln den Fall impliziert:

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einer Handlungsweise insofern unterhält, als es sich selbst zu dieser Handlungsweise bestimmt. Doch diese Eigenschaft kann deswegen prinzipiell nicht durch Beobachtung ermittelt werden, weil sie nur durch eine formale Analyse der Rollen ermittelt werden kann, die ein Individuum in Personalunion übt, wenn es Akte praktischer Selbstbestimmung vollzieht, sowie durch eine formale Analyse der Identitätsrelationen, die gleichsam die Fäden des Netzes bilden, das durch diese Personalunion zusammengehalten wird. In diesem formalen Geflecht aus Rollen, Rollencharakteren und Identitätsrelationen zwischen Inhabern der entsprechenden Rollen tauchen die leibhaftigen Handlungsweisen trotz ihrer Leibhaftigkeit nur noch als unselbständige Teilmomente auf. Der formale Charakter der Selbstbestimmtheit einer Handlungsweise sorgt daher aber auch dafür, daß embryonenethische Argumente aller vier Typen aus dem SKIP-Spektrum noch ganz diesseits aller Pro- und Contra-Optionen auf nichtempirische Prämissen festgelegt sind - jedenfalls in dem Maß, wie sie von der Voraussetzung Gebrauch machen, daß zum moralisch relevanten Status des erwachsenen Menschen die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit gehört. Denn unter dieser Voraussetzung ist bereits die Fähigkeit der praktischen Selbstbestimmung gar nicht das einzige Element im Gepräge einer selbstbestimmten Handlungsweise, was prinzipiell nicht empirisch erfaßt werden kann. Sogar der Charakter der Selbstbestimmtheit einer leibhaftigen Handlungsweise kann dann prinzipiell nicht unmittelbar empirisch erfaßt werden, obwohl diese Handlungsweisen andererseits die einzigen Indikatoren für die praktische Tragweite der Begabung ihres Urhebers mit dieser Fähigkeit abgeben. Doch damit verschwindet endgültig der Anschein, als wenn ethische ProArgumente der moralisch relevanten Identität des erwachsenen Menschen mit seinem Embryo schon dann zum Scheitern verurteilt waren, wenn kein empirisches Kriterium dieser Identität von solchen Embryonen zumindest in den frühesten Phasen ihrer Existenz erfüllt wird. Statt dessen zeigt sich umgekehrt, daß man von Anfang an schon im Blick auf den erwachsenen Menschen einen Fehler begeht, wenn man meint oder unterstellt, daß auch bloß die Selbstbestimmtheit seiner Handlungsweisen empirisch, also durch Beobachtung dieser Handlungsweisen und ihrer Umstände, ermittelt werden könnte. Denn weder die Moralfähigkeit noch die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit des erwachsenen Menschen noch der Charakter der Selbstbestimmtheit seiner leibhaftigen Handlungsweisen kann empirisch ermittelt werden. Daher muß sich die Embryonenethik bei der Frage nach dem moralischen Status des menschlichen Embryos mit demselben methodologischen Befund abfinden wie bei der Frage nach dem moralischen Status des erwachsenen Menschen: Man kann den moralischen Status eines Lebewesens aus prinzipiellen Gründen nicht vollständig mit Hilfe von empirischen Untersuchungsmethoden ermitteln.

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5.2

Eine Rohanalyse des Selbstbestimmtheitscharakters leibhaftiger Handlungsweisen von erwachsenen Menschen kann gerade durch ihre Vorläufigkeit besonders drastisch demonstrieren, daß embryonenethische Argumente schon viel früher mit nicht-empirischen Prämissen rechnen müssen als es eine starke hintergründige opinio communis nahelegt - weil nämlich die Pro- und die Contra-Argumente aus dem ganzen SKIP-Spektrum ein gemeinsames Kriterium zur Beurteilung des moralischen Status des menschlichen Embryos benutzen: Die Moralfähigkeit und die darin eingeschlossene praktische Selbstbestimmungsfähigkeit des erwachsenen Menschen. Andererseits ist nicht nur in deontologischen, sondern auch in konsequentialistischen Ethiken die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit bzw. Autonomie eine notwendige Bedingung der Moralfähigkeit des erwachsenen Menschen. Daher sind nicht-empirische Prämissen, die den kriteriellen moralischen Status des erwachsenen Menschen betreffen, mehr oder weniger stillschweigend sowohl an deontologischen wie an konsequentialistischen embryonenethischen Argumenten beteiligt, in denen es um das Pro und das Contra eines moralischen Status des menschlichen Embryos geht. Unter diesen Umständen ist es umso zweckmäßiger, den Inhalt der nichtempirischen Prämisse vollständig auszubuchstabieren, auf die sich jede Argumentation festlegt, die den moralischen Status des erwachsenen Menschen als primäres Kriterium für die Beurteilung des moralischen Status des menschlichen Embryos fruchtbar zu machen sucht. Die bisherige Rohanalyse hat den Inhalt dieser Prämisse nicht nur nicht vollständig bestimmt, sie hat vor allem die Pointe dieses Inhalts noch nicht berücksichtigt. Denn das Selbstbestimmungsattest (1), dessen sprachliche Form dieser Analyse zum Leitfaden dient, zielt ja gar nicht in erster Linie auf den Selbstbestimmtheitscharakter einer leibhaftigen Handlungsweise dessen, der dieses Attest ausstellt. Es zielt primär auf den Akt der Selbstbestimmung, durch den die attestierende Instanz die leibhaftige Handlungsweise fixiert, die sie praktiziert. Doch der Charakter dieses Aktes der Selbstbestimmung bliebe seinerseits und an sich selbst völlig unbestimmt, wenn man ihn allenfalls im Spiegel der drei Rollen, der drei Identitätsrelationen und der entsprechenden dreifältigen Personalunion betrachten könnte, in denen das Individuum zum Zuge kommt, das sich einen solchen Selbstbestimmungsakt attestiert. Man benötigt daher eine hinreichend genaue Charakterisierung des Selbstbestimmungsaktes selbst, durch den erwachsene Menschen ihren leibhaftigen Handlungsweisen den nicht-empirischen, formalen Charakter der Selbstbestimmtheit verleihen. Man benötigt eine solche Charakterisierung allerdings auch deswegen, weil ohne sie weder der Kompetenzbereich der Fähigkeit eingegrenzt werden kann, die in solchen Akten zum Zuge kommt, noch der Kompetenzbereich der die Selbstbestimmungsfähigkeit einschließenden Moralfähigkeit hinreichend differenziert beschrieben werden kann.

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5.3

Man muß daher zunächst wieder von der sprachlichen Form des praktischen Selbstbestimmungsattests (1) Ich bestimme mich jetzt und hier selbst dazu, daß ich jetzt und hier so-und-so handle ausgehen. Will man nun die eigentümlichen Charaktere des in dieser Form attestierten Selbstbestimmungsaktes klären, dann kann man sich eine einfache formale, bewährte Analysetechnik zunutze machen. Sie erlaubt es, das Personalpronomen „ich" und das Reflexivpronomen „mich" an jeder Stelle, an der es vorkommt, durch eine Variable zu ersetzen: jemandj bestimmt jemand 2 jetzt und hier selbst dazu, daß jemand3 jetzt und hier so-und-so handelt. Nun gibt es aus rein formalen Gründen offenbar verschiedene logisch konsistente Möglichkeiten, wie jemandj, jemand 2 und jemand 3 durch Identität bzw. Diversität paarweise miteinander verbunden sind. Unter diesen Möglichkeiten zeichnet das Selbstbestimmungsattest (1), wie seine sprachlichen Indikatoren andeuten, den Fall der totalen Identität jemand j = jemand2 = jemand3 aus. Doch diese formale Rohanalyse12 reicht auch nur bis zu diesem vergleichsweise vordergründigen Befund. Nimmt man im Licht dieses Befundes wieder den Leitfaden der sprachlichen Form des praktischen Selbstbestimmungsattests (1) zu Hilfe und nimmt den Umstand gebührend ernst, daß hier ja ein Akt der praktischen Selbstbestimmung zur Sprache gebracht wird, dann muß man diesen Befund modifizieren. Denn im Fall eines solchen Aktes hat man es eben nicht mit einer objektiv vorliegenden dreigliedrigen Identitätsrelation zu tun, sondern mit einem dreifachen identifikatorischen Akt: Wer einen Akt der praktischen Selbstbestimmung vollzieht, der identifiziert sich selbst in einem und demselben Atemzug 1. mit einem individuellen Träger-jemand! der Rolle, jemand2 zu einer Handlungsweise zu bestimmen, also mit einem individuellen Subjekt einer praktischen Bestimmung, 2. mit dem individuellen Träger-jemand2 der Rolle, sich von jemandj zu dieser Handlungsweise bestimmen zu lassen, also mit dem individuellen Objekt dieser praktischen Bestimmung, und schließlich 3. mit dem individuellen Subjekt-jemand3 eben dieser Handlungsweise selbst. Der Akt der praktischen Selbstbestimmung hat daher eine invariante Grundform - die Form einer dreifachen reflexiven Identifikation. Die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit ist insofern gar nichts anderes als die Fähigkeit, diese dreifache reflexive Identifikation zu vollziehen.13 Diese dreifache reflexive

12 Vgl. oben S. 111-113. 13 Inwiefern solche reflexiven - und authentischen (selbst) - Identifikationen auch die Struktur des nicht-praktischen Selbstbewußtseins bilden, habe ich ausführlich analysiert in Enskat 1998, bes. 191 ff.; ein Plädoyer für eine Analyse der identifikatorischen Funktionen, die mit der Verwendung des Ersten Personalpronomens verbunden

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Identifikation mag dem einen oder anderen zunächst wie ein Kunstprodukt aus einem Labor der sogenannten akademischen Philosophie anmuten. Doch jedem von uns sind solche mehrfachen reflexiven Identifikationen aus den makroskopischen Zusammenhängen unseres Alltagslebens gut vertraut. Sie tauchen hier lediglich unter einem anderen Namen auf. In der Bildungssprache unserer Tage sagen wir in den entsprechenden Fällen, daß jemand in Personalunion mehrerlei sei oder tue. Denn in jeder Gestalt von Personalunion wird eine mehrfache reflexive Identifikation vollzogen. Solche Gestalten von Personalunion begleiten jeden von uns - gleichsam wie unzählige Schatten - auf Schritt und Tritt. Wer z. B. seinen regelmäßigen Weg von seiner Wohnstätte zu seiner Arbeitsstelle zurücklegt, der identifiziert sich selbst u. a. mit einem Träger der Rolle eines Inhabers eines festen Wohnsitzes, mit einem Träger der Rolle eines Verkehrsteilnehmers, mit einem Träger der Rolle eines Berufstätigen, mit einem Träger der Rolle eines Verbrauchers von diversen Gütern des alltäglichen Lebensbedarfs und mit mancherlei anderen Rollenträgerschaften sonst noch. Es liegt auf der Hand, daß die reflexiven Identifikationen, die die formalen Brennpunkte solcher Personalunionen ausmachen, in den komplexen Zusammenhängen des gesellschaftlichen Lebens in der Regel sogar um ein Vielfaches multipler ausfallen als die dreifache reflexive Identifikation, die die Grundform jedes Aktes der praktischen Selbstbestimmung bildet. Der Grad der Multiplität der reflexiven Identifikationen, die die formalen Brennpunkte der jeweiligen Personalunion bilden, entspricht offenbar direkt der Anzahl der sozialen Rollenträgerschaften, die an der jeweiligen Personalunion beteiligt sind.14 Die Rollen, die mit der dreifachen reflexiven Identifikation des praktischen Selbstbestimmungsaktes verflochten sind, sind indessen keine sozialen Rollen. Sie werden von jedem Individuum, das sie ausübt, durch jeden Akt reflexiver Identifikation immer wieder von neuem selbst geschaffen, während es sie im Zuge eines solchen Aktes ausübt, und auch ausschließlich von ihm selbst und ausschließlich im Zuge eines solchen Aktes ausgeübt. Der Anlaß ihrer Hervorbringung und Ausübung mag ausnahmslos in den sozialen Beziehungen der sich selbst bestimmenden Akteure zu finden sein. Und das sprachliche Medium der praktischen Selbstbestimmung mag in Gestalt des Ersten Personalpronomens, des

sind, findet sich bei Henrich 1989, bes. 119f. Identitäre und reflexive Strukturmomente bilden auch in den von Tugendhat 1979, 137-357 analysierten Modellen praktischer Selbstbestimmung die formalen Brennpunkte. Es wäre aufschlußreich zu untersuchen, inwiefern die von Tugendhat diagnostizierten internen Schwierigkeiten dieser Modelle überwunden werden können, wenn man diese Modelle mit Hilfe des rollenrelativen Konzepts reflexiver Identifikationen modifiziert. Das Sich-zu-sichverhalten, von dem in der Philosophie des Selbstbewußtseins und der praktischen Selbstbestimmung immer wieder die Rede ist, hat jedenfalls die Form einer mehrfachen reflexiven Identifikation. 14 Zur Wichtigkeit der Berücksichtigung von sozialen Rollen, Rollencharakteren und Rollenunterschieden durch die Ethik vgl. auch Birnbacher 1995, 242ff.

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Reflexivpronomens und ihrer Funktionsäquivalente sogar unverwechselbare konventionale - und insofern soziale - Indikatoren dieser Rollen und Rollencharaktere, Akte und Aktcharaktere ausgeprägt und allgemein verfügbar gemacht haben.15 Sie selbst erschöpfen sich indessen in der unreduzierbaren formalen Subjektivität reflexiver Identifikationen. 5.4

Da die von allen Ethiktypen akzeptierte praktische Selbstbestimmungsfähigkeit eine notwendige Bedingung der Moralfähigkeit ist, und da ein Akt praktischer Selbstbestimmung die Form einer dreifachen reflexiven Identifikation hat, hat offenbar auch jeder Akt praktisch-moralischer Selbstbestimmung die Form einer reflexiven Identifikation: (2) Ich bestimme mich deswegen jetzt und hier selbst dazu, daß ich jetzt und hier so-und-so handle, weil ICH unbedingt verpflichtet bin, daß ich so-und-so handle.16 Der moralische Charakter eines Aktes praktischer Selbstbestimmung besteht darin, daß der individuelle Träger eines solchen Aktes sich selbst mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung identifiziert. Im Blick auf den Inhalt dieser unbedingten Verpflichtung können bei ihren Adressaten, wie die Erfahrung zeigt, zwar immer wieder einmal mancherlei Unklarheiten, Irrtümer, Selbsttäuschungen oder Verdrängungen ihr irritierendes Spiel treiben. Durch kognitive, affektive, soziale, ökonomische und andere Störfaktoren wird die Verständigung jedes einzelnen Menschen mit sich selbst über die Frage, welchen Handlungsweisen eine unbedingte Verpflichtung überhaupt angemessen ist und welchen nicht, in Mitleidenschaft gezogen. Der daraus resultierende Streit über die Inhalte unbedingter Pflichten wird in methodisch kontrollierbaren Formen zwischen den unterschiedlichen deontologischen Ethiken fortgesetzt. Nicht strittig kann es indessen sein, daß nur das Attribut, Adressat einer unbedingten Verpflichtung zu sein, die Würde eines solchen Adressaten fundieren 15 Zu den konventionalen Strukturzügen der Sprache vgl. Savigny 1983. 16 In seiner voluntativen Gestalt fällt das praktisch-moralische Selbstbestimmungsattest ersichtlich so aus (vgl. oben S. 113, Fn. 11): (b) Ich will deswegen jetzt und hier so-und-so handeln, weil ICH unbedingt verpflichtet bin, jetzt und hier so-und-so zu handeln. Dadurch, daß ein Akteur diese reflexive Identifikation mit dem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung auch mit einer Rechtfertigung (... deswegen, weil...) seiner Handlungsweise verknüpft, vollzieht er seine selbstbestimmte Handlungsweise nicht nur in einem moralischen Modus, sondern auch in einer rationalen Form. Er identifiziert sich also nicht nur mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung, sondern auch mit einem minimal rationalen Subjekt seiner Handlungsweise - minimal deswegen, weil die praktisch-moralische Rationalität zwar mit den alltäglichen Rechtfertigungen und Begründungen anfängt, die durch die weil-Grammatik signalisiert werden, aber damit nicht endet.

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kann. Denn nur durch dieses Attribut existiert ein Mensch in einem Bannkreis von Autonomie, innerhalb von dessen Grenzen er durch nichts und niemanden in dem korrespondierenden, ebenso unbedingten Recht eingeschränkt werden darf, einer solchen unbedingten Verpflichtung im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten gerecht zu werden. Die Formel der moralisch-praktischen Selbstbestimmung ist daher erst dann vollständig, wenn sie nicht nur - wie (2) - die unbedingte Verpflichtung zu einer bestimmten Handlungsweise, sondern auch die unbedingte Berechtigung zu dieser Handlungsweise berücksichtigt: (3) Ich bestimme mich deswegen jetzt und hier selbst dazu, daß ich jetzt und hier so-und-so handle, weil ICH unbedingt verpflichtet und unbedingt berechtigt bin, so-und-so zu handeln. Die erste und unmittelbare Konkretisierung dieses unbedingten Rechts besteht offenkundig im unbedingten Lebensrecht eines solchen Individuums - also in dem durch nichts und niemanden einzuschränkenden Recht, in der ihm beschiedenen Lebenszeit mit jeder seiner ihm möglichen Handlungsweisen - sei es durch Tun oder durch Unterlassen - dieser unbedingten Verpflichtung im Rahmen seiner subjektiven und seiner objektiven Möglichkeiten gerecht zu werden. Gewiß unterscheidet sich der moralische Status des menschlichen Embryos vom moralischen Status des erwachsenen Menschen nun einmal dadurch, daß der Embryo die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kräfte noch nicht entwickelt und ausgeprägt hat, mit deren Hilfe der erwachsene Mensch dieser unbedingten Verpflichtung gerecht zu werden suchen kann. Doch man würde sich offenkundig eines naturalistischen Fehlschlusses schuldig machen, wenn man aus dieser faktischen natürlichen Entwicklungsdifferenz irgendwelche normativen Konsequenzen ziehen würde, die die Formen des Umgangs mit dem menschlichen Embryo betreffen. Die einschlägigen Normen für den Umgang mit dem menschlichen Embryo werden in paradigmatischer Weise vielmehr in anderen, ebenfalls von der Natur mitgeprägten Situationen manifest. Denn z. B. nach dem Einschlafen ist der erwachsene Mensch nicht mehr und vor dem Aufwachen noch nicht wieder in der Lage, durch selbstbestimmte leibhaftige Handlungsweisen dieser unbedingten Verpflichtung gerecht zu werden. Und dennoch hört er auch in diesen alltäglichsten natürlichen Situationen seiner depotenzierten Moral- und Selbstbestimmungsfähigkeit nicht auf, unter denselben unbedingten moralischen und rechtlichen Normen des Schutzes seiner Würde durch seinesgleichen zu stehen wie in den komplementären, ebenso alltäglichen und natürlichen Situationen seines Wachseins (Protektions-Prinzip). Analoges gilt für ihn im Blick auf Situationen, in denen er durch Funktionsstörungen, Krankheiten oder andere natürliche Prozesse in Bewußtlosigkeit oder in andere Formen mehr oder weniger gravierender Hilflosigkeit geraten ist. In solchen Situationen seiner depotenzierten Selbstbestimmungs- und Moralfähigkeit steht er nicht nur unter denselben unbedingten moralischen und rechtlichen Schutznormen wie während seiner bewußten Existenz. Darüber hinaus steht er in diesen Situationen seiner be-

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wußtlosen Existenz unter denselben moralischen und rechtlichen Normen, durch die seinesgleichen auch in den Situationen seiner bewußten Existenz in unbedingter Form verpflichtet ist, ihm sowohl nach Kräften wie auch gemäß seinem Bedarf und den Umständen entsprechend dabei zu helfen, daß er wieder in eine Verfassung gerät, in der er seine gewachsene Moralfähigkeit tüchtig wahrnehmen kann (Subsidiaritätsprinzip). Und schließlich steht er sowohl in solchen schütz- wie in solchen hilfsbedürftigen Situationen unter den moralischen und rechtlichen Normen, die seinesgleichen wiederum in unbedingter Form verpflichten, nach Kräften stellvertretend für ihn seine Pflichten und Rechte wahrzunehmen (Vikariats-Prinzip). 5.5

Gemessen am moralischen Status eines Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Trägers eines unbedingten Rechts sind der alltägliche Schlaf, gelegentliche Anfälle von Bewußtlosigkeit sowie die embryonale, die kindliche und die jugendliche Entwicklung eines Menschen natürliche Widerfahrnisse, von denen keines ohne naturalistischen Fehlschluß zugunsten der Begründung oder der Ableitung irgendeiner Norm in Anspruch genommen werden kann. Vielmehr sind umgekehrt alle Widerfahrnisse, denen ein Inhaber des moralischen Status durch solche natürlichen Prozesse, Zustände und Ereignisse ausgesetzt ist, geradezu paradigmatische Kandidaten für die Frage, wie sie im Licht der moralischen und der rechtlichen Normen zu gestalten sind, mit denen das Protektions-, das Subsidiaritäts- und das Vikariatsprinzip verflochten sind. Die embryonale Entwicklung des Menschen ist im Sinne dieser Prinzipien jedenfalls nur eines unter mehreren natürlichen Widerfahrnissen dieses Typs - wenngleich sie selbstverständlich, neben dem Sterben eines Menschen, das schicksalhafteste Widerfahrnis ist, dem die Inhaber des moralischen Status ausgesetzt sind, den jeder Mensch von der vollendeten Verschmelzung der Vorkerne seiner embryonalen Gestalt bis zu seinem Tod verkörpert. Es kann daher angesichts der würdefundierten Identität eines menschlichen Embryos mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger eines korrespondierenden, ebenso unbedingten Lebensrechtes keinen vernünftigen Zweifel daran geben, daß er ausschließlich ein unbedingt anspruchsberechtigter Empfänger von Schutz und Hilfe sowie ein vorläufig unmündiger, aber ebenso anspruchsberechtigter Partner in der ebenso vorläufigen, stellvertretenden Wahrnehmung seiner Pflichten und Rechte durch erwachsene Vormünder sein kann, aber niemals legitimerweise ein Objekt irgendwelcher Tötungshandlungen: Einen unbedingten moralischen Rechtsanspruch auf Schutz gegen Eingriffe in seine integrale Verkörperung eines Trägers von Würde hat er deswegen, weil er sich nicht selbst dagegen schützen kann; einen unbedingten moralischen Rechtsanspruch auf Hilfe bei der Entwicklung zu einem möglichst tüchtigen moralfähigen Wesen hat er deswegen, weil er sich diese Hilfe nicht selbst geben kann; und einen unbedingten moralischen Rechtsanspruch auf vertretungswei-

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se Wahrnehmung seiner Pflichten und Rechte durch andere hat er deswegen, weil er diese Rechte und Pflichten nicht selbst wahrnehmen kann. Ganz andere Fragen stellen sich freilich im Blick auf das für jeden Menschen unabwendbare Sterben. Von diesem durch die Natur über die Menschen verhängten Widerfahrnis bleibt auch der menschliche Embryo, wie Spontanaborte und andere von der Mikroembryologie entdeckte natürliche Prozesse zeigen, sogar in frühesten Phasen seiner Existenz nicht verschont. Das ist auch dann alles andere als tragisch, wenn man in Rechnung stellt, daß sogar der menschliche Embryo schon Träger des ganzen, würdefundierenden moralischen Status des erwachsenen Menschen ist. Die embryologischen Forschungsmethoden der letzten Jahrzehnte haben uns lediglich die Augen dafür geöffnet, daß der Tod die Menschen schon unvergleichlich viel früher und häufiger ereilt als sie dies während ihrer ganzen bisherigen Geschichte wissen konnten. Aber dadurch wird der Embryonaltod nicht tragischer als der Umstand, daß Menschen nun einmal überhaupt sterben müssen. Ethische Probleme bereitet das Sterben eines menschlichen Embryos daher aus keinen anderen Gründen als das Sterben erwachsener Menschen. Das Problem ist nicht, ob man menschliche Embryonen in irgendeiner Phase ihrer Existenz töten darf oder nicht. Das ist angesichts des in seiner Würde eingeschlossenen unbedingten Lebensrechts genauso unbedingt verboten wie in jeder beliebigen anderen Lebensphase eines Menschen. Das ethische Problem kann auch hier nur sein, wann und wie man angesichts eines für einen menschlichen Embryo oder für seine werdende Mutter lebensbedrohlichen Prozesses die Hilfe beenden darf, die man sowohl ihm wie ihr so lange schuldig ist, wie man berechtigte Aussichten auf Rettung hegen darf. Die Abwägungsschwierigkeiten, die sich in konkreten Situationen aus diesem Problem ergeben, sind so groß und so ernst, daß es sich schon deswegen nicht lohnt, das modische Scheinproblem einer Legitimierbarkeit von Lizenzen für die Tötung von menschlichen Embryonen auch nur probeweise für etwas anderes zu halten als es ist.

6. Nun kann man allerdings nicht gut darüber hinwegsehen, daß der moralische Status des menschlichen Embryos auch deswegen ins Zwielicht geraten kann, weil gerade die Formen, in denen sich erwachsene Menschen ihres moralischen Status am ausgeprägtesten bewußt werden, die sachgemäße Beurteilung dieses Status irritieren können. Denn der Akt, durch den sich jemand seiner Identität mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts bewußt wird, hat nun einmal die Form einer reflexiven Identifikation. Erfahrungsgemäß können Menschen diese eminente reflexive Identifikation erst in recht späten Phasen ihrer postnatalen Existenz vollziehen. In diesen Phasen haben sie allerdings bereits das ganze hochkomplexe Gewebe der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kräfte entwickelt und erwor-

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ben, ohne die sie noch nicht einmal in amoralischen Formen praktische Selbstbestimmung üben könnten. Doch der Akt, durch den sich ein erwachsener Mensch seiner Identität mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger eines unbedingten Rechts bewußt wird, hat nicht nur eine (multiple) reflexive Form. Sein Vollzug ist auch jeweils an eine ganz bestimmte, relativ späte lebensgeschichtliche Situation gebunden. Die reflexive Form eines solchen identifikatorischen Aktes leistet daher zusammen mit der lebensgeschichtlichen Situationsbindung seines jeweiligen Vollzugs einem Irrtum Vorschub: Das Individuum, das einen solchen Akt in einer konkreten Situation seines Lebens vollzieht, hält das Entwicklungs- und Reifeniveau der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kräfte, die ihm den Vollzug dieses Aktes in dieser konkreten Situation ermöglichen, irrtümlich für einen integralen Teil des moralischen Status, der für einen Menschen überhaupt charakteristisch ist. Doch der Fehler dieser Auffassung besteht offenkundig darin, daß hier die subjektiven und die objektiven Bedingungen, die einem Menschen erst in relativ späten Phasen seiner Existenz ermöglichen, sich seines moralischen Status bewußt zu werden und diesem Status in der Praxis gerecht zu werden, mit Komponenten eben dieses Status verwechselt werden. Man verwechselt daher eine mehr oder weniger hochentwickelte Moralfähigkeit zumindest mit einem wesentlichen Teil des moralischen Status, den man kraft dieser Fähigkeit zu durchschauen, zu respektieren und zu praktizieren lernen kann. Gewiß kann man durchaus sinnvoll darüber streiten, ob einem einzelnen Akt einer reflexiven Identifikation mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger eines unbedingten Rechts das Format einer einmaligen und situationsgebundenen Entdeckung des moralischen Status zukommen kann oder ob die Erschließung des moralischen Status für einen Menschen in unumgänglicher Weise mit einem lange währenden Prozeß der Bewußtwerdung verbunden ist, der wiederum mit einer letzten Endes lebenslangen praktischen Bewährung nicht nur für ihn selbst, sondern auch für seine Kommunikations- und Interaktionspartner unter seinesgleichen verknüpft ist. In jedem Fall ist es ein Fehler, die entwicklungsabhängige Moralfähigkeit und ihre ebenso entwicklungsabhängigen kognitiven, praktischen, technischen, emotionalen und physischen Komponenten mit einem Teil des moralischen Status zu verwechseln, den man allerdings nur mit Hilfe dieser Fähigkeit praktizieren und sich bewußt machen kann. Im Gegensatz zur entwicklungsabhängigen Moralfähigkeit und ihren ebenso entwicklungsabhängigen Komponenten kommt der moralische Status einem Menschen nicht früher oder später und nicht mehr oder weniger und auch nicht in irgendeiner Anfangsphase ganz und gar nicht zu. Er kommt ihm vielmehr immer und ganz und gar zu, von der vollendeten Verschmelzung der Vorkerne seines Embryos bis zu seinem Tod.17

17 Einige wichtige formale Züge der Adressatenschaft einer unbedingten Verpflichtung hat Heidegger 1927, §§54 ff. im Rahmen seiner existentialontologischen Analyse des

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6.1

Die Verwechslung der Moralfähigkeit mit einem echten Teil des moralischen Status ist indessen eine der wichtigsten Quellen des Zwielichts, in das der moralische Status des menschlichen Embryos geraten kann. Denn da dem Embryo diese ganze Fähigkeit fehlt, scheint sein moralischer Status im Schatten dieser Verwechslung zumindest defizitär zu sein: Er kann weder ein Bewußtsein seines moralischen Status zuwege bringen noch praktisch-moralische Selbstbestimmung üben. Wenn man dann noch mit Hilfe eines entsprechenden Gewichtungskriteriums die Moralfähigkeit und ihre einzelnen Aktualisierungen in den Rang der ausschlaggebenden Komponenten des moralischen Status erhebt, dann versetzt man den vermeintlichen Rest des moralischen Status - die Adressatenschaft einer unbedingten Verpflichtung und Trägerschaft des korrespondierenden unbedingten Rechts - in die Rolle eines defizitären Vorläufers, durch den der Embryo den ausreichenden Rechtsanspruch auf die der Würde angemessene Achtung seines Lebens noch nicht innezuhaben scheint. Dieses Defizit scheint dann sogar der Legitimierung einer Tötungslizenz eine Möglichkeit zu eröffnen. Doch auch hier ist ein naturalistischer Fehlschluß im Spiel, und zwar sogar ein doppelter. Denn so wenig man aus wahren Aussagen über die Tatsache des Fehlens der Moralfähigkeit auf irgendwelche Gebote, Verbote oder Erlaubnisse für den Umgang mit den entsprechend defizitären Wesen schließen kann, so wenig kann man entsprechende Schlüsse aus wahren Aussagen über die Tatsache der Begabung mit dieser Fähigkeit ziehen.18 Gewissens im Blick auf den Fall erörtert, daß sich der Adressat einer solchen Verpflichtung seiner Adressatenschaft schon bewußt geworden ist. 18 Die Logik irrealer Konditionale und die Semantik möglicher Welten erlauben gewiß mancherlei argumentationstechnische Labor- bzw. Seminarversuche, mit deren Hilfe man die Entwicklungsdifferenzen zwischen dem moralunfähigen menschlichen Embryo und dem moralfähigen erwachsenen Menschen quasi-experimentell überbrükken kann. So kann man formal korrekte Argumentationen mit Hilfe von kontrafaktischen Hypothesen beispielsweise darüber bestreiten, wie ein Mensch sich während seiner embryonalen Phase in einer noch zu konkretisierenden Situation verhalten würde, falls er die praktische Selbstbestimmungsfähigkeit und die Moralfähigkeit schon entwickelt hätte; man kann ebenfalls formal korrekt argumentieren, indem man eine mögliche Welt annimmt, in der beispielsweise ein konkreter gegenwärtig lebender Mensch mit dem seinerzeit durch einen Spontanabort gestorbenen eineiigen Zwilling seines eigenen wirklichen Embryos identisch ist. Solche argumentationstechnischen Experimente mögen unter bestimmten didaktischen Umständen geeignet sein, ein erhellendes, wenn auch manchmal grelles, Licht auf die praktischen Tragweiten zu werfen, die die faktischen Phasendifferenzen der gattungsspezifischen menschlichen Individualentwicklung mit sich bringen, wenn man sie mit Hilfe der einen oder anderen deontologischen oder konsequentialistischen Prämisse erwägt. Zur Gewinnung oder zur Begründung solcher Prämissen tragen sie indessen nicht das geringste bei, weil sie sie - wie es sich für Prämissen gehört - voraussetzen. Einige irrea-

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Der moralische Status ist daher auch ohne Verflechtung mit einer mehr oder weniger hochentwickelten Moralfähigkeit kein defizitärer normativer Status. Auch das unbedingte Lebensrecht des erwachsenen Menschen ist nicht durch irgendein Entwicklungsniveau von dessen Moralfähigkeit begründet, sondern ausschließlich durch dieselbe unbedingte Verpflichtung, deren Adressat auch schon der menschliche Embryo ist. Es wäre mit der Unbedingtheit sowohl dieses Rechts wie dieser Verpflichtung geradezu unverträglich, wenn seine Trägerschaft bzw. ihre Adressatenschaft von irgendwelchen Bedingungen abhängen würden - sei es von natürlichen Entwicklungen oder von Sozialisierungsprozessen, von Dezisionen oder von Konventionen, von Einsichten oder von Bewußtseinsformen, von sozialen Verhältnissen oder von anderen lebensgeschichtlichen Umständen ihrer Adressaten und Träger. Das einzige, was von solchen Bedingungen abhängt, sind die Alternative, ob ihr Adressat und Träger lernt oder nicht lernt, diese Verpflichtung und dieses Recht wahrzunehmen, und der Modus, wie er sie praktisch und nicht-praktisch wahrnimmt, falls er sie überhaupt wahrzunehmen lernt. Die Identität, die ein Mensch in seiner embryonalen Gestalt mit einem Adressaten einer unbedingten Verpflichtung und Träger des korrespondierenden unbedingten Rechts innehat, ist daher unabhängig davon, ob dieser Mensch in seiner erwachsenen Gestalt diese Identität wahrnimmt oder nicht, und ebenso unabhängig davon, ob er durch seine Entwicklung überhaupt die Chance erhält oder nicht, ein Reifeniveau seiner Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kräfte zu erlangen, das ihm erlaubt, diese Identität wahrzunehmen - sei es durch Formen seines Bewußtseins oder durch Formen seiner Praxis. Die Unabhängigkeit dieses moralischen Status von allen entwicklungsabhängigen Faktoren führt daher auch zu der Einsicht, daß ein Mensch diesen Status schon seit dem frühesten Zeitpunkt seiner embryonalen Existenz innehat. Der Embryo ist daher einiges von dem, was er seit dem Zeitpunkt der vollendeten Verschmelzung seiner Vorkerne in moralisch relevanter Hinsicht überhaupt ist, nicht potentiell, sondern aktual. Er ist, um es mit Kants zu Unrecht noch nicht klassisch gewordener Formel zu sagen, aktual „nicht nur ein Weltwesen, sondern auch ein [...] Weltbürger" (Kant 1907, 281).

7.

Die vorausgegangenen Überlegungen sollten untersuchen, ob es eine moralisch relevante, würdefundierende Eigenschaft gibt, durch die jeder erwachsene Mensch derselbe Träger von Würde ist wie sein Embryo spätestens seit der vollendeten Verschmelzung von dessen Vorkernen. Die gesuchte Eigenschaft, so sollte gezeigt werden, besteht in dem Attribut, Adressat einer unbedingten Verle embryonenethische Konditionale und embryonenethische mögliche-Welten-Argumente mit konsequentialistischen Prämissen werden sorgfältig von Merkel 2001, 494 ff. erwogen.

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pflichtung und Träger des korrespondierenden, ebenso unbedingten Rechts zu sein, dieser unbedingten Verpflichtung gerecht zu werden. Das erste konkrete Recht, das sich unmittelbar aus diesem unbedingten Recht ergibt, ist das Recht auf Leben jedes Inhabers dieser Würde. Denn ohne dieses Leben hätte er noch nicht einmal die geringste moralisch relevante Möglichkeit, dieser Verpflichtung - unter Umständen auch gegen Widerstand durch seinesgleichen - gerecht zu werden. Die Würde, die in der Inhaberschaft dieser Adressatenschaft und Trägerschaft besteht, kann, so wurde argumentiert, von ihrem jeweiligen Inhaber im günstigen Fall entdeckt, bewußt gemacht und praktisch bewährt werden, im ungünstigen Fall verkannt und praktisch vernachlässigt werden; sie kann aber von ihm nicht hervorgebracht werden, weil es mit der Unbedingtheit sowohl einer Verpflichtung wie eines Rechts unverträglich wäre, wenn ihr genuiner Adressat bzw. Träger nur unter irgendeiner wie auch immer qualifizierten Bedingung ihr Adressat bzw. Träger wäre. Die Beziehungen des hier entwickelten Pro-Argumentes der Identität zu den drei anderen Argumenttypen haben unterschiedliche Gewichte und Komplikationsgrade. Am gewichtigsten ist die Beziehung zum Speziesargument. Denn in der Frage, woran man erkennen kann, daß ein menschlicher Embryo Träger der gattungsspezifischen Würde ist, ist das hier entwickelte Pro-Argument der Identität mit einer spezifischen, methodologischen Variante des Spezies-Argumentes verflochten: Im empirischen Licht des Umstände, daß ein Embryo bzw. dessen Vorkerne von Menschen abstammen, - und nur in diesem Licht - kann man erkennen, daß er Inhaber derselben Würde ist, die jedes entsprechend gereifte Mitglied dieser Spezies für sich selbst und bei sich selbst entdecken sowie vor sich selbst und vor seinesgleichen durch seine Praxis bewähren kann. Die Tatsache dieser Abstammung ist - in der lateinischen Schulsprache des 18. Jahrhunderts - die einzigartige empirische ratio cognoscendi dieser Würdeinhaberschaft; in der technischen Gebrauchssprache unserer Tage ist sie das einzigartige empirische Kriterium bzw. der einzigartige empirische Indikator dieser Würdeinhaberschaft. Mit Hilfe einer von Kant eingeführten ambivalenten Menschheits-Grammatik kann man dies auch so formulieren, daß das empirische Faktum der Zugehörigkeit eines Embryos zur biologischen Spezies der Menschheit der einzigartige empirische Indikator für die Ausstattung dieses Embryos mit dem moralischen Attribut der Menschheit (humanitas) ist. Auf einen solchen (empirischen) Indikator sind wir deswegen angewiesen, weil die zentralen moralischen Begriffe nicht-empirische Begriffe von formalen praktischen Attributen der individuellen Angehörigen einer speziellen natürlichen Spezies von Lebewesen sind.19 19 Der methodologische Charakter dieser Variante des Speziesargumentes ist deswegen wichtig, weil das Argument ohne diese methodologische Relativierung die Art selbst als einen realen Träger von Würde in Anspruch nimmt, so daß das individuelle Mitglied der Art nur durch eine noch zu klärende Form der Partizipation an dieser Würde zu seiner charakteristischen individuellen Würde gelangt; einige Schwierigkeiten

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Die praktische Angewiesenheit der Menschen auf sprachliche Kommunikation hat im Laufe ihrer Gattungsgeschichte allerdings dazu geführt, daß grammatische Formen ausgeprägt worden sind, in denen auch die Akte reflexiver Identifikationen artikuliert und sogar dokumentiert werden können, durch die sie sich diese Attribute in thematischer Weise erschließen können. Ein anderes Material und Medium als solche sprachlich artikulierten und dokumentierten Akte reflexiver Identifikationen steht daher auch einer gezielten und gegenständlichen Untersuchung dieser Attribute nicht zur Verfügung. Es wäre müßig, darüber zu streiten, ob eine Untersuchung dieser Attribute nur dann eine philosophische Untersuchung ist, wenn sie sich auf die sprachlichen Artikulationen und Dokumentationen solcher reflexiven Identifikationen konzentriert. Wichtiger ist es, sich klarzumachen, daß es keine methodische Alternative gibt, diesen Attributen auf die Spur zu kommen, als daß man diese sie manifestierenden Artikulationen und Dokumentationen formal analysiert.20 Die Beziehungen des hier entwickelten Pro-Argumentes der Identität zu den Pro-Argumenten der Kontinuität und der Potentialität sind indessen einfach: Die Kontinuität der würdefundierenden Eigenschaft wird von der so konzipierten Identität impliziert; mit der Potentialität der entwicklungsabhängigen Moralfähigkeit ist sie jedenfalls verträglich.

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Kant, Immanuel (1903): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Kant's gesammelte Schriften, Band 4, Berlin. Kant, Immanuel (1907): Metaphysik der Sitten, in: Kant's gesammelte Schriften, Band 6, Berlin. Merkel, Reinhard (2001): Früheuthanasie. Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin, Baden-Baden. Savigny, Eike von (1983): Zum Begriff der Sprache, Stuttgart. Singer, Peter (1984): Praktische Ethik, Stuttgart. Stegmüller, Wolf gang (1970): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Bd. II: Theorie und Erfahrung, Berlin/Heidelberg/New York. Tugendhat, Ernst (1979): Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, Frankfurt a. M. Wiggins, David (1967): Identity and Spatio-Temporal Continuity, Oxford.

Ralf Stoecker Contra Identitätsargument: Mein Embryo und ich Das Identitätsargument besagt folgendes: Aus der Identität des Erwachsenen mit dem Embryo, aus dem er sich entwickelt hat, und der Tatsache, daß der Erwachsene eine Menschenwürde hat, kann man auf die Würde des Embryos schließen. Dieser Schluß basiert auf zwei zentralen Annahmen: erstens, daß die Identität tatsächlich besteht, und zweitens, daß die Eigenschaft, Menschenwürde zu haben, dem Menschen wesentlich ist, also nicht erst im Laufe seiner Existenz erworben wird. Die erste Annahme klingt prima facie plausibel und lässt sich auch gegen eine Reihe von Einwänden verteidigen. Mit bezug auf die frühen, sogenannten Präembryonen schwindet diese Plausibilität allerdings, sobald man sich die embryonale Entwicklung der ersten beiden Schwangerschaftswochen etwas genauer ansieht. Eine Zygote, Morula oder Blastozyste ist nicht mit dem daraus erwachsenden Fötus, Neugeborenen und schließlich Erwachsenen identisch, man kann folglich auch keine Würde aus dieser Identität ableiten. Zudem ist die zweite Annahme, daß der Besitz von Menschenwürde eine essentielle Eigenschaft ist, alles andere als selbstverständlich. Wer diese Prämisse begründen will, kommt nicht umhin, etwas darüber zu sagen, worauf die Menschenwürde basiert, von welchen Eigenschaften es abhängt, daß man eine Menschenwürde hat. Ohne eine solche Ergänzung ist das Identitätsargument deshalb allenfalls ein Schema für mögliche Begründungen der Embryonenwürde. Mit der Ergänzung ist aber die Identitätsthese möglicherweise überflüssig, weil man dann direkt und unabhängig von Identitätsfragen klären kann, ob schon frühe Embryonen die Merkmale haben, auf denen die Menschenwürde beruht. Es ist also insgesamt höchst zweifelhaft, ob sich aus dem Identitätsargument etwas über die Würde der Embryonen herleiten läßt.

Gegenstand der folgenden Überlegungen ist ein bestimmtes Argument für die These, daß alle Embryonen eine Menschenwürde haben, das sogenannte Identitäts-Argument. Eine naheliegende, einfache Version dieses Argumentes1 sieht folgendermaßen aus: (1) Jedes Wesen, das aktual ist, hat Menschenwürde. (2) Jeder Embryo ist in moralrelevanter Hinsicht identisch mit genau einem Wesen, das aktual ist. Also: (3) Jeder Embryo hat Menschenwürde.

Vgl. die Einleitung von Gregor Dänischen und Dieter Schönecker (in diesem Band, 4L).

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Wie ich im ersten Abschnitt der Untersuchung zeigen werde, bietet das Argument in dieser Form keine Rechtfertigung dafür, die Konklusion für wahr zu halten. Das Argument ist zwar schlüssig, ob man aber die Prämissen für wahr halten sollte, hängt allein davon ab, ob man die Konklusion für wahr hält. Kurz, es handelt sich um eine Petitio principii. Diesen argumentativen Defekt kann man allerdings ausräumen, ohne die Grundidee des Identitätsargumentes aufzugeben. In den folgenden Abschnitten diskutiere ich deshalb eine modifizierte Version des Identitätsargumentes, um dann am Ende trotzdem zu dem Fazit zu gelangen, daß das Argument keine Rechtfertigung für seine Konklusion bietet. Bevor ich mich mit den beiden Versionen des Identitätsargumentes auseinandersetze, möchte ich betonen, daß es mir dabei allein um die Stichhaltigkeit dieser Argumente geht, nicht um die Wahrheit der Konklusion. Meine eigene Haltung zur Würde der Embryonen ist differenzierter, als daß sie sich durch ein bloßes Ja oder Nein ausdrücken ließe. Ich bin überzeugt und habe dafür argumentiert, daß man im Umgang mit Embryonen deren Menschenwürde zu achten hat.2 Ob aber Embryonen, mit denen wir nicht umgehen (weil sie sich noch tief im Eileiter oder Uterus ihrer Mutter befinden), eine Menschenwürde haben, scheint mir zweifelhaft. Insofern haben also nur einige und nicht alle Embryonen eine Menschenwürde, allerdings sind es gerade diejenigen, die eine Menschenwürde haben, die die Frage aufwerfen, ob Embryonen überhaupt eine Menschenwürde haben können.

1. Eine Kritik des einfachen Identitätsargumentes Ist das Identitätsargument in der oben dargestellten Form stichhaltig? Das hängt davon ab, ob die Prämissen wahr sind und die Konklusion schlüssig daraus folgt. Die erste Prämisse soll hier nicht weiter diskutiert werden. Es ist die Grundidee des Identitätsarguments (wie es die Bandherausgeber in Anlehnung an Reinhard Merkel3 formuliert haben), for the sake of the argument vorauszusetzen, daß es irgendeine Eigenschaft gibt, auf der die Menschenwürde mancher Menschen beruht (z. B. Selbstbewußtsein, Lebensinteresse, Autonomie, Personalität oder auch unsere eigene Menschenwürde), um dann zu versuchen, schon daraus Schlußfolgerungen auf die Würde der Embryonen zu ziehen. Ist das Argument schlüssig? Zweifellos ist es schlüssig, wenn man das Präsens in der zweiten Prämisse temporal liest, also so, daß jedes Wesen zu dem Zeitpunkt, zu dem es ein Embryo ist, ein Wesen ist, das aktual ist. Denn das heißt nichts anderes, als daß man voraussetzt, daß schon die Embryonen die Eigenschaft haben, von der man außerdem annimmt, daß sie Menschenwürde begründet, und daraus folgt trivialerweise, daß sie auch Menschenwürde haben. 2 3

Vgl. Stoecker 2002. Vgl. Merkel 2001.

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Das Argument ist in dieser Lesart schlüssig, setzt aber offenkundig voraus, was es erst zu beweisen gilt, d. h. es bildet eine Petitio principii. Interessanter ist das Argument, wenn man das Präsens in Prämisse (2) atemporal liest, als die Behauptung, daß alle Embryonen irgendwann einmal Wesen waren, sind oder sein werden, die eine Eigenschaft haben, auf der Menschenwürde beruht. Doch dafür ist das Argument dann nicht mehr schlüssig. Denn in dieser Lesart lassen die Prämissen nur den Schluß zu, daß ein Embryo irgendwann einmal Menschenwürde hat bzw. gehabt hat oder haben wird, und das impliziert nicht, daß er sie hat, während er ein Embryo ist. Er könnte sie auch später erst erwerben. Diese Chance haben allerdings nicht alle Embryonen, sondern nur diejenigen, die irgendwann einmal zu Kindern heranreifen. Damit zeigt sich die entscheidende Schwäche des Argumentes. Manche Embryonen sind Embryonen, solange es sie gibt. Wenn man trotzdem mit Prämisse (2) daran festhalten will, daß jeder Embryo mit einem Wesen identisch ist, das irgendwann einmal ist, dann muß man behaupten, daß manche Embryonen schon als Embryonen die Eigenschaft haben (nämlich diejenigen, die nie über dieses Stadium hinauskommen). Wenn diese Embryonen aber haben, dann wäre es absurd, wenn nicht auch diejenigen Embryonen diese Eigenschaft hätten, die spater einmal zu Kindern heranreifen. Man muß also behaupten, daß viele, wenn nicht sogar alle Embryonen die Eigenschaft haben, was nichts anderes ist als Prämisse (2) in der eben abgelehnten temporalen Lesart. Kurz, (2) ist in der atemporalen Lesart entweder offensichtlich falsch, und also ist das Identitätsargument nicht stichhaltig, oder (2) ist wahr, weil schon Embryonen die Eigenschaft haben, auf der die Menschenwürde beruht, und dann ist diese Annahme abermals eine Petitio principii.

2. Das modifizierte Identitätsargument Doch der eigentliche Kern des Identitätsargumentes, wie es beispielsweise Reinhard Merkel verwendet hat,4 ist davon nicht berührt. Denn im Grunde muß es in diesem Argument gar nicht darum gehen, daß alle Embryonen mit jemandem identisch sind, der eine Menschenwürde hat, es reicht, daß diese Identität für jene Embryonen gilt, die dann auch die Gelegenheit bekommen aufzuwachsen. Dann kann man nämlich folgendermaßen argumentieren: (1) Jedes Wesen, das aktual ist, hat Menschenwürde. (2.1) Viele Erwachsene, die aktual sind, sind mit Embryonen in moralrelevanter Hinsicht identisch. (2.2) Also haben die Embryonen, mit denen sie in moralrelevanter Hinsicht identisch sind, Menschenwürde. Vgl. Merkel 2001.

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(2.3) Wenn irgendein Embryo Menschenwürde hat, dann alle. Also: (K) Jeder Embryo hat Menschenwürde. In freier Rede: Weil wir eine Eigenschaft haben, auf der unsere Menschenwürde beruht, und weil wir früher einmal Embryonen waren, hatten wir auch als Embryonen eine Menschenwürde, also hatten einige und damit haben alle Embryonen eine Menschenwürde. Das ist das Argument, wie es von den Herausgebern dieses Bandes zur Diskussion gestellt wird. Die Stichhaltigkeit dieses Argumentes hängt abermals davon ab, ob die Prämissen wahr und die Folgerungen schlüssig sind. Dabei ist (2.3) unmittelbar einleuchtend (auch wenn ich es, wie gesagt, streng genommen für falsch halte). Jedenfalls kann man zugestehen, daß es für die Frage, ob ein Embryo Menschenwürde hat oder nicht, keine Rolle spielen sollte, ob er später einmal geboren wird. Zudem ist der Schluß von (2.2) und (2.3) auf (K) offenkundig gültig. Problematischer sind allerdings erstens Prämisse (2.1) und zweitens der Schluß von (1) und (2.1) auf (2.2). Ich werde mit der Diskussion von Prämisse (2.1) beginnen.5 2. a) Zur Identität von Erwachsenen und Embryonen Daß sich ein paar Monate, bevor ein Baby geboren wird, ein Embryo im Bauch der Mutter befindet, ist weder ein Zufall noch ist es bloß eine von vielen schwangerschaftsbedingten Veränderungen des mütterlichen Organismus. Der Embryo ist dasjenige, woraus sich das Baby entwickelt. Jedes Handbuch für werdende Eltern beschreibt die Schwangerschaft als einen kontinuierlichen Prozeß, in dem die Entwicklung eines Kindes verschiedene Stadien durchläuft, angefangen von der Zygote bis zur Geburt und häufig noch weiter zu den ersten Entwicklungsstufen des Neugeborenen und Kleinkindes. Was liegt näher, als dieser Darstellung beizupflichten und das menschliche Leben als einen Prozeß zu betrachten, der mit der Zeugung beginnt und bis zum Tode weiterläuft. Für diese Annahme spricht auch, daß Gründe, die uns üblicherweise dazu veranlassen, zwei Wesen als nicht identisch anzusehen, auf das Verhältnis zwischen Embryo und Erwachsenem nicht zutreffen. Wären beispielsweise der Embryo und der aus ihm erwachsene Mensch irgendwann einmal zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten, dann würde ihre Nichtidentität feststehen, doch das sind sie natürlich nie. Fraglich wäre die Identität auch, wenn es eine Zeit gäbe, von der feststeht, daß es den Embryo nicht mehr und den Erwachsenen noch nicht gibt. Doch auch dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. (Das ist ein Gegenstand des Kontinuumsargumentes, so daß ich darauf nicht weiter eingeDie erste Fassung des I-Argumentes war der ursprüngliche Versuch der Herausgeber dieses Bandes, das I-Argument in eine logische Form zu bringen. Der zweite Versuch stammt von mir.

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hen werde.) Dazu kommt, daß ein übliches Indiz für die Identifikation von Lebewesen, ihre genetische Gleichheit, für die Identität spricht. Kurz, auf den ersten Blick scheint (2.1) trivialerweise wahr zu sein. Dessen ungeachtet ist diese These schon im Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte und erst recht heute im Rahmen der Diskussion von PID und Stammzellforschung immer wieder angezweifelt worden. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die ich im folgenden kurz ansprechen und diskutieren werde. Die ersten beiden Gründe gegen (2.1) sind philosophisch am radikalsten, weil sie die der Prämisse zugrundeliegende Idee diachroner Identität grundsätzlich in Frage stellen. (A) Identität ist stets relativ. Auf Peter Geach geht die Idee zurück, daß es strenggenommen keinen Sinn mache, ganz generell von Identität oder Verschiedenheit zu sprechen, man müsse stets angeben, in welcher Hinsicht, in bezug aufweichen Sortal-Begriff Identität bestehe.6 Rudi Voller ist heute, bei der Fußballweltmeisterschaft 2002, derselbe Mann wie vor zwölf Jahren bei der WM in Italien, er ist aber nicht derselbe Mittelstürmer (denn heute ist er gar kein Mittelstürmer mehr, sondern Trainer). Dr. Jekyll ist derselbe Mensch wie Mr. Hyde, aber nicht dieselbe Person. Identitätsaussagen zu erwarten, die über diese relativierten Behauptungen hinausgehen, ist sinnlos. Das ist die Grundthese der Relativität der Identität. Diese These spricht für sich gesehen noch nicht gegen (2.1). Im Gegenteil, sie erlaubt sogar die Interpretation einer Passage in der vorgegebenen Formulierung des Argumentes, die ich bislang kommentarlos übernommen habe, die aber alles andere als selbstverständlich ist. Embryonen, wird dort behauptet, seien ,in moralrelevanter Hinsicht' mit Erwachsenen identisch, die die Eigenschaft haben. Im Prinzip gibt es drei Lesarten für diesen Zusatz. Man kann ihn so lesen, daß Embryonen Erwachsenen in moralischer Hinsicht gleichen. Weil das aber nichts anderes bedeutet, als daß sie ebenfalls eine Menschenwürde haben, wäre (2.1) eine offensichtliche Petitio principii. Man kann die Passage auch so lesen, daß zumindest ein Teil von uns Erwachsenen, die wir eine Menschenwürde haben, früher einmal Embryonen waren. Dann ist dieser Zusatz allerdings überflüssig, denn das Übereinstimmen in moralischer Hinsicht ergibt sich unmittelbar aus der Identität. Deshalb ist es interessant, daß die Konzeption der Relativität der Identität noch eine dritte Lesart erlaubt. Der zentrale Unterschied liegt sozusagen (und sehr grob gesprochen) darin, daß es nach der Theorie der relativen Identität nichts anderes gibt als ein Gleichen (also dem „identisch" der 1. Lesart), daß wir nämlich mit den Embryonen, aus denen wir uns entwickelt haben, in moralischer Hinsicht identisch seien - auch wenn wir es in anderer Hinsicht nicht sind. (Sie sind nicht dieselben Ehepartner, Philosophen, Bielefeld-Fans,... wie wir.) 6

Vgl. Geach 1962.

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Das Problem dieser relativistischen Lesart liegt also nicht darin, daß sie (2.1) falsch macht, es liegt vielmehr darin, daß man dafür einen hohen Preis zu zahlen hat. Weil aus der Identität in einer Hinsicht nicht die Identität in jeder Hinsicht folgt, gilt für die relative Identität nicht das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen. Das wiederum bedeutet, daß der Schluß von (1) und (2.1) auf (2.2) und damit auf (K) nicht formal gerechtfertigt ist. Auch wenn ein Embryo und ein Erwachsener derselbe Mensch sind, könnte es sein, daß sie in anderer Hinsicht nicht identisch sind und folglich unterschiedliche Eigenschaften haben. Aus unserer Identität mit dem Embryo in moralischer Hinsicht darf man also entweder gar nicht darauf schließen, daß der Embryo Menschenwürde hat, oder man muß annehmen, daß diese Eigenschaft ohnehin schon zur moralischen Hinsicht gehört, in der man mit ihm identisch ist - und dann fällt die dritte, relativistische Lesart von „in moralrelevanter Hinsicht identisch" mit der ersten zusammen und bildet ebenso eine Petitio principii. Kurz, ich halte das Identitäts-Argument nur unter der Voraussetzung für interessant, daß von strikter Identität die Rede ist, für die das Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen gültig ist, nicht für relative Identität. (B) Es gibt keine personale Identität, sondern nur eine eng verzahnte Ahnenreihe momentaner Personenzustände. Auch unter der Voraussetzung eines strikten, nicht relativierten Identitätsbegriffs kann man allerdings bestreiten, daß er sich auf die Beziehung zwischen Personen zu unterschiedlichen Zeiten anwenden läßt. Nach dieser ontologischen These, die auf Derek Parfit zurückgeht,7 ist (2.1) falsch, weil jede derartige Aussage über Personen falsch ist. Ich bin nicht mit dem Embryo identisch, aus dem ich mich entwickelt habe, aber auch nicht mit dem Referenten auf der Embryonen-Tagung in Halle Ende Februar, noch mit demjenigen Menschen, der in ein paar Tagen das fertige Manuskript dieses Artikels an die Herausgeber schicken wird. Personen wie Sie und ich sind (so Parfit) keine im Laufe der Zeit veränderlichen Entitäten (wie z. B. Tische und Tiere), sondern Ereignisse, Stadien, die sich zu zeitlichen Ketten zusammenfinden, die wir dann irrtümlich für Stadien einer kontinuierlichen, veränderlichen Person halten. Im Grunde ist das aber eine Fiktion, ähnlich wie der Eindruck, im Fernsehen sehe man sich bewegende Bilder, während einem nur schnelle Abfolgen statischer Bilder geboten werden. Personen als zeitlich ausgedehnte, veränderliche Entitäten gibt es nicht. Diese Position klingt exotisch und ist es in meinen Augen auch, aber es ist wichtig, sich klar zu machen, daß die verbreitete Behauptung, in bezug auf die Beziehung zwischen Personen zu unterschiedlichen Zeiten ließen sich nur Fragen .qualitativer', nicht aber strikter .numerischer' Identität stellen, auf diese exotische These verpflichtet ist. Entweder wir sind veränderliche Entitäten wie Vg. Parfit 1984.

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Tische und Tiere, dann ist es eine gute Frage, ob jemand, der beispielsweise Ende Februar in Halle gewesen ist, strikt identisch mit mir ist (was nichts anderes heißt als: ob ich damals in Halle war), oder wir sind keine derartigen Entitäten, dann war ich im Februar weder in Halle noch sonst wo. Dann gab es mich damals noch gar nicht. Angesichts der Unplausibilität dieser Konsequenz kann sich ein Verfechter des Identitätsargumentes leichten Herzens auf die bedingte Verteidigung von (2.1) beschränken, daß ein Erwachsener mit einem Embryo nicht weniger identisch sei als mit seinem ,Selbst' vom Vortag. Den folgenden Einwänden ist deshalb gemeinsam, daß sie ausdrücklich von einer Asymmetrie ausgehen, zwischen meiner Beziehung zu meinem gestrigen Ich und der Beziehung zu dem Embryo, aus dem ich vor einigen Jahren entstanden bin. (C) Embryonen sind Erwachsenen nicht ähnlich. Ein erster Grund findet sich gleich zu Anfang in Merkels „Zeit"-Artikel: „Denn zwischen einem nur unter dem Mikroskop erkennbaren Vier- oder Achtzellwesen und einem geborenen Menschen läßt sich nur eine einzige Identitätsbeziehung feststellen, die der Identität des individuellen Genoms" (Merkel 2001, 38). Statt „Identität" sollte man hier wohl besser „Übereinstimmung" lesen, so daß Merkel auf die schon erwähnte genetische Übereinstimmung hinweist, zugleich aber skeptisch ist, ob diese für die Identität von Embryo und Erwachsenem hinreicht. Was aber fehlt Merkel? Inwiefern gibt es größere Übereinstimmungen zwischen meinem gestrigen und heutigen Ich als zwischen mir und einem Embryo? Nun, ich bin meinem gestrigen Ich ungleich ähnlicher als einem Embryo, ich habe in etwa die gleiche Größe und Masse, sehe mir ähnlich, habe ziemlich die gleichen Überzeugungen, Vorlieben und Charaktereigenschaften (wenn auch eine ganz andere Laune) und kann mich noch gut daran erinnern, was ich gestern getan habe. All dies unterscheidet mich dramatisch von der Morula vor einigen Jahrzehnten. Vieles davon unterscheidet mich allerdings auch von dem Studenten, Schüler, Säugling, der ich zweifellos einmal war, und auch von dem Greis, der ich hoffentlich einmal sein werde. Es gehört zu unserem Leben, daß wir uns verändern, möglicherweise haben wir es ganz zu Anfang nur noch viel drastischer getan als heutzutage. (D) Embryonen sind noch unbeseelt. Vielleicht gibt es aber eine Eigenschaft, in bezug auf die sich Menschen nicht ändern können, die uns vielmehr wesentlich ist, so daß wir sie haben, solange es uns gibt, und mit deren Verlust auch unsere Existenz endet. Drei Kandidatinnen für eine solche essentielle Eigenschaft gehen auf den klassischen Begriff der Seele zurück. Die erste ist die Eigenschaft zu leben: Sein hieße dann für Menschen, am Leben zu sein. Ich bezweifle zwar, daß das stimmt, weil ich glaube, daß es auch

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tote Menschen gibt,8 aber jedenfalls läßt sich daraus kein Einwand gegen (2.1) entnehmen, denn am Leben sind Embryonen zweifellos. Die zweite Kandidatin für eine essentielle Eigenschaft liegt in der Psyche im modernen Sinn des Wortes, in der Fähigkeit zu fühlen, wahrzunehmen, vielleicht sogar zu denken. Wenn es uns wesentlich ist, diese Fertigkeiten zu haben, dann waren wir niemals Embryonen, denn Embryonen haben alle diese Eigenschaften nicht. Wir sind also mit keinem Embryo identisch, (2.1) ist falsch. Gegen diesen Einwand spricht allerdings, daß die Annahme, daß uns unsere Psyche auf diese Weise wesentlich ist, nicht nur vor der Geburt Konsequenzen hat, sondern auch am Lebensende: Wer eine Hirnverletzung erleidet, die ihm unwiderruflich das Bewußtsein raubt, befindet sich aus dieser Sicht nicht etwa in einem bedauernswerten Zustand, es gibt ihn dann gar nicht mehr; er ist vernichtet worden, und an seine Stelle ist ein rein vegetatives Wesen getreten, eine Art posthumanes Residualwesen, das bloß so aussieht wie der Verunglückte. Mir scheint, daß es extrem guter Gründe bedarf, um solche Konsequenzen zu akzeptieren.9 Die dritte Kandidatin für eine essentielle Eigenschaft ist die, ein Mensch zu sein. Ich halte das für die bei weitem plausibelste Kandidatin, dafür stellt sich nun aber die berechtigte Frage, ob nicht auch Embryonen diese Eigenschaft haben. Die Diskussion des Identitätsargumentes verlagert sich damit auf die des Speziesargumentes. (E) Der Vergleich mit anderen Lebewesen zeigt, daß keine Identität besteht. In ähnliche Richtung läuft auch eine Überlegung, die auf der engen Parallele zwischen der menschlichen Entwicklung und der Entwicklung anderer Lebewesen aufbaut: Raupen und Puppen sind keine Schmetterlinge, Eier keine Hühner, also ist es naheliegend, daß auch der Embryo nicht mit dem Menschen identisch ist. Auch diese Diskussion gehört in den Kontext des Speziesargumentes, allerdings scheint mir die offenkundige Schwäche in der Prämisse zu liegen, daß Raupe und Schmetterling, Ei und Henne wirklich verschieden sind. (F) Es wäre tragisch, wenn unsere Existenz so früh beginnen würde. Ein weiterer Gesichtspunkt an der Schnittstelle zum Speziesargument ist die Überlegung, daß es ein düsteres Bild auf das menschliche Schicksal werfen würde, läge der Anfang unserer Existenz bereits in unserer Zeugung. Schließlich wächst nur ein kleiner Teil aller Embryonen zu Kindern heran, viele enden im Spontanabort, einige werden durch Spirale und die sogenannte ,Pille-danach' verhindert, einige als Föten abgetrieben, oder sie bleiben neuerdings auch in den verschlungenen Netzen der extrakorporalen Befruchtung hängen. Wären wir alle selbst einmal Embryonen gewesen, dann scheint man nicht um die ErkenntVgl Stoecker 1999, Abschnitt 4.2.2. Vgl. Stoecker 1999, Kap. 4.

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nis herum zu kommen, daß wir zu den wenigen Glücklichen gehören, die ein gnadenloses Rennen um Leben und Tod überstanden haben, mit dem die menschliche Existenz zwangsläufig beginnt. Würde unsere Existenz dagegen erst später einsetzen, dann könnten wir diesem Selektionsprozeß ebenso gelassen gegenüberstehen wie der Tatsache, daß auch von den vielen Spermien, die sich um unsere Befruchtung bemüht haben, nur eines sein Ziel erreicht hat. Dieses Argument hängt nicht nur mit dem Spezies-, sondern auch mit dem Potentialitätsargument zusammen, insofern es die Potenz eines Embryos betrifft, überhaupt aufzuwachsen. Jedenfalls scheint es mir aber wenig mehr zu zeigen, als daß uns die Vernichtung mancher menschlichen Existenzen zu Recht vollkommen gleichgültig läßt. Keines der bislang genannten Argumente gegen Prämisse (2.1) war besonders plausibel. Das unterscheidet sie von den beiden letzten Überlegungen, denen gemeinsam ist, daß sie auf bestimmten biologischen Details der embryonalen Entwicklung basieren. 2. b) Zur Identität von Erwachsenen und Präembryonen Bislang bin ich davon ausgegangen, daß der Ausdruck „Embryo" hinreichend scharf für die Bewertung der Argumente ist. Doch in Wirklichkeit deckt er ganz unterschiedliche Stadien und Möglichkeiten im frühen menschlichen Reifungsprozeß ab. Nach dem Embryonenschutzgesetz sind die befruchtete Eizelle und der daraus erwachsene Zellverband, sowie jede totipotente Einzelzelle Embryonen, wobei üblicherweise ab dem dritten Schwangerschaftsmonat nicht mehr vom Embryo, sondern vom Fötus gesprochen wird.10 Es ist aber keineswegs selbstverständlich, daß die Frage der Identität zwischen Embryo und Erwachsenem für alle Stadien der Embryonalentwicklung gleich beantwortet werden muß. (G) Aus einem Embryo können mehrere Kinder erwachsen. Ein Grund, zwischen den verschiedenen Entwicklungsstufen des Embryos zu unterscheiden, liegt in den Möglichkeiten zur Zwillingsbildung und Klonierung. Bis zur Bildung des Primitivstreifens am Ende der zweiten Woche post conceptionem (p. c.) ist es möglich, daß sich der Embryo teilt und eineiige Zwillinge heranwachsen. Wenn man aber behauptet, jedes dieser Kinder sei mit dem frühen Embryo identisch, aus dem es entstanden ist, dann muß man aufgrund der Transitivität der Identität folgern, daß auch die Geschwister identisch seien, was natürlich absurd ist. Also können sie jedenfalls nicht beide dieser Embryo gewesen sein. Ähnliches gilt, wenn einem frühen Embryo eine totipotente Zelle entnommen wird, die dann, parallel zum restlichen Embryo, zu einem eigenständigen 10 EschG § 8 Nr. l. Das neue, am l. Juli 2002 in Kraft getretene Stammzellgesetz baut auf dieser Begriffsbestimmung auf (vgl. StZG, Begründung zu §3).

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Menschen heranwächst. Auch dieser Mensch wäre nicht mit der Zygote identisch, aus der er entstanden ist, weil er sonst mit dem Menschen identisch wäre, der sich aus dem Restembryo entwickelt hat. Diese Überlegung wird gelegentlich zum Anlaß genommen, zwischen Präembryonen bis zur Einnistung (etwa zeitgleich mit der Bildung des Primitivstreifens) und den eigentlichen Embryonen zu unterscheiden. Ich halte das für einen sinnvollen terminologischen Vorschlag, dem ich in der Diskussion dieses und des nächsten Einwandes folgen werde. Entsprechend kann man dann zwei Lesarten des Identitätsargumentes unterscheiden. Nach einer stärkeren Lesart gilt das, was in den Prämissen und der Konklusion über Embryonen gesagt wird, auch für Präembryonen, nach einer schwächeren Lesart nur für die .eigentlichen' Embryonen nach der Bildung des Primitivstreifens. Die beiden Lesarten haben wiederum ein unterschiedliches bioethisches Gewicht. In der schwächeren Lesart beschränken sich die Auswirkungen auf die Abtreibungsdebatte, in der stärkeren Lesart betrifft das Argument auch die Zulässigkeit von PID und Stammzellforschung, weil von diesen Verfahren nur die wenige Tage alten Präembryonen betroffen sind. Für die bislang genannten Einwände gegen das Identitätsargument spielte diese Unterscheidung keine Rolle, erst der Zwillingseinwand und auch das folgende Gegenargument setzen diesen Unterschied voraus, denn sie richten sich ausschließlich gegen die stärkere Version. Zeigt die Möglichkeit der Zwillingsbildung und Klonierung, daß die starke These (2), daß einige Erwachsene früher einmal Präembryonen waren, absurd ist? Nicht unbedingt, es gibt zumindest eine Reihe von alternativen Interpretationen dieser Vorgänge. Man kann sie erstens als sogenannte Knospenbildung ansehen, also als das Entstehen eines Wesens aus einem schon bestehenden. Der Präembryo teilt sich nicht in zwei Präembryonen, sondern ein Präembryo spaltet sich von einem anderen ab. Für die Identitätsbeziehungen bedeutet dies, daß nur eines der Kinder, die entstehen, mit dem Präembryo und letztlich der Zygote identisch ist, das andere aber etwas später entstanden ist, als sich der eine vom anderen Präembryo gelöst hat. Für den Fall der totipotenten Zelle, die dem Präembryo entnommen wird, scheint das eine plausible Beschreibung. Bei der gewöhnlichen Zwillingsbildung gibt es allerdings keine Asymmetrie, die es rechtfertigen würde, den einen Präembryo als die Weiterentwicklung der Zygote, den anderen als Abknospung anzusehen. Hier paßt eine zweite Interpretation besser: Mit der Zweiteilung endet die Existenz des ursprünglichen Präembryos, und es entstehen zwei neue Individuen, ebenso wie eine Amöbe vernichtet ist und zwei neue entstanden sind, wenn sie sich geteilt hat. Folglich ist auch keiner der Zwillinge mit dem ursprünglichen Präembryo identisch. Für dieses Verhältnis gilt (2.1) nicht. Für alle Menschen, die keine Zwillinge sind, kann (2.1) aber weiterhin unbegrenzt gelten, sie können mit dem Präembryo identisch sein, aus dem sie sich entwickelt haben. Schließlich ist auch mein Mantel identisch mit dem Mantel, den ich vor einiger Zeit im Laden gekauft habe, obwohl es vereinzelt Mäntel gibt, wie etwa den des

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heiligen Martin, die dadurch entstanden sind, daß ein größerer Mantel geteilt (und die andere Hälfte an einen Bettler verschenkt) wurde. Trotz dieser prinzipiellen Möglichkeiten, (2.1) gegenüber dem ZwillingsEinwand (G) zu verteidigen, bin ich allerdings skeptisch, ob man damit dem Einwand wirklich gerecht wird. Verstärkt wird diese Skepsis durch die zugegebenermaßen äußerst seltenen Fälle siamesischer Zwillinge, die durch eine späte und deshalb unvollständige Teilung des Embryos in dieser Phase entstehen. Das Problem ist hier nicht nur die Identität mit dem Präembryo, sondern auch die der Zwillingsgeschwister bzw. der vermeintlichen Zwillingsgeschwister untereinander. Manchmal ist es klar, daß es wirklich zwei Geschwister sind, die z. B. nur am Bauch zusammengewachsen sind, manchmal ist es ebenso klar, daß es sich um einen einzigen Menschen handelt, wenn das „Geschwister" nur aus bestimmten Extra-Gliedmaßen o. ä. besteht, und dann gibt es noch alle denkbaren Zwischenstufen. Was diese Fälle zeigen, ist meines Erachtens, daß unsere vertrauten Begriffe des Menschen, der Person, des Individuums nicht auf alle Überraschungen und Skurrilitäten vorbereitet sind, die uns das Leben bietet. Gelegentlich wissen wir einfach nicht, was wir sagen sollen. Und das, scheint mir, gilt auch für die Zwillingsbildung. Es gibt hier nirgends einen verborgenen Sachverhalt, dem zufolge der eine oder andere der beiden eineiigen Zwillinge mit der Zygote identisch ist oder dem zufolge sie beide erst später entstanden sind. Es hängt nur davon ab, wie wir in diesen Fällen reden wollen. Wenn wir uns hier aber sozusagen in einer Grauzone der Verwendung unseres Identitätsvokabulars befinden, dann verliert ganz generell der argumentative Rückgriff auf die Identität seine rechtfertigende Kraft. Die Möglichkeit zur Spaltung (oder sogar zur Fusion) von Präembryonen zeigt, daß in den ersten Tagen nach der Zeugung die Grenzen des werdenden Individuums auf eine Weise im Fluß sind, wie sie es später niemals wieder sein werden. Das unterscheidet Präembryonen von den daraus erwachsenden Menschen und ist insofern ein Grund, skeptisch gegenüber (2.1) zu sein. In dieselbe Richtung weist auch der nächste und in meinen Augen stärkste Einwand gegen die unbeschränkte Gültigkeit von (2.1). (H) Nur ein Teil des Embryos entwickelt sich zum Kind. Bekanntlich ist ein Präembryo in den ersten Tagen p. c. eine gleichförmige Ansammlung totipotenter Zellen, dann entsteht die Blastozystenhöhle und die Zellen scheiden sich zu ungefähr zwei Dritteln in eine Randschicht, den Throphoblast, und zu einem Drittel in die innere Zellmasse, den sogenannten Embryoblast. Der Throphoblast entwickelt sich vor allem zur Plazenta, der Embryoblast differenziert sich weiter aus zur Chorionwand, der Fruchtblase, zum Dottersack und natürlich, wie der Name schon andeutet, zum späteren Embryo. Nur ein vergleichsweise kleiner Teil aller Zelllinien, die von der Zygote ausgehen, entwickelt sich also zum Fötus und schließlich zum Kind, die meisten Zellen werden zu den verschiedenen extraembryonalen Hilfsgeweben.

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Darstellungen der embryonalen Entwicklung verschleiern diese Sachverhalte manchmal, indem sie von der Zygote über Morula und Blastozyste direkt zur Keimscheibe und deren Weiterentwicklungen übergehen und somit das Schicksal der anderen von der Zygote ausgehenden Zellinien als nicht zum eigentlichen Embryo gehörig ausblenden. Aber für die Frage der Identität zwischen einem Erwachsenen und dem Präembryo, aus dem er entstanden ist, spielt es offenkundig eine wichtige Rolle, ob hier immer dasselbe dargestellt wird, ob also der Präembryo, mit dem die Entwicklung beginnt, mit dem späteren Embryo und dieser schließlich mit dem erwachsenen Menschen identisch ist. Zweifel daran bilden Einwand (H), der wie schon Zwillingseinwand (G) nicht gegen die Identität des Erwachsenen mit dem älteren Embryo, sondern nur gegen die Identität mit dem Präembryo spricht. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Beziehung zwischen den verschiedenen Embryonalstadien zu beschreiben. Erstens kann man ernst nehmen, daß der Präembryo alles umfaßt, was aus der Zygote entsteht, und die übliche Konzentration auf den späteren Fötus als irreführend erachten. Aus dieser Sicht besteht ein Mensch in den ersten neun Monaten seiner Existenz aus einer Plazenta, der Fruchtblase mit dem Fruchtwasser und dem darin eingebetteten, durch die Nabelschnur versorgten Fötus. Erst mit dem Platzen der Fruchtblase, der Austreibung und schließlich der Durchtrennung der Nabelschnur bei der Geburt läßt er dann einen Teil seiner selbst hinter sich, ähnlich wie eine Schlange, die sich häutet und daraufhin etwas zurückläßt, das vorher ein Teil von ihr war. Diese Betrachtungsweise stützt (2.1) für Präembryonen, hat allerdings für spätere Embryonen bzw. Föten die kontraintuitive Konsequenz, daß sie nun nicht mehr mit dem Erwachsenen identisch sind, sondern nur ehemalige Teile von ihm sind. Kindsbewegungen sind dann nicht Bewegungen des, sondern Bewegungen im Ungeborenen. Prämisse (2.1) würde für Föten streng genommen nicht mehr gelten. Darüber hinaus ergibt sich für diese Sichtweise eine Schwierigkeit bei der Einschätzung eineiiger Zwillinge (die teilweise dieselbe Plazenta teilen), während es keine Probleme bereitet, Zwillinge als zwei Individuen zu betrachten, wenn man, wie üblich, nur die Föten als die zukünftigen Erwachsenen ansieht. All dies spricht für eine zweite Beschreibung der Beziehung zwischen Präembryo und späterem Erwachsenen. Vielleicht ,häuten' sich Menschen nicht erst bei der Geburt von einem Teil ihrer Masse, sondern schon viel früher, in der Differenzierung zwischen eigentlichem Embryo und extraembryonalen Geweben, so daß die Vorgänge am Übergang von der ersten zur zweiten Woche p. c. als eine Art Klärung, als ein Zutagetreten des Menschen verstanden werden können. Mit der Entstehung der Blastozyste stößt der Embryo einen Teil seiner Körpermasse ab, um so ein Versorgungssystem zu errichten, das seine weitere Ernährung erlaubt. Ähnlich wäre dann auch die Entwicklung von Fruchtblase und Dottersack ein weiterer Schritt zweckgerichteter Verschlankung des eigentlichen, kontinuierlichen Embryos. Diese Beschreibung hat den Vorteil, sowohl an (2.1) wie auch an der vertrauten Identifikation von Fötus und Kind festhalten zu können. Sie hat allerdings

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auch zwei Schwächen. Erstens paßt die Beschreibung schlecht zum quantitativen Verhältnis zwischen .abgestoßenen' und .verbleibenden' Zellen. Schließlich sind es nur ganz wenige Zellinien aus dem Präembryo, die im Fötus münden. Dem könnte man zwar entgegenhalten, daß beispielsweise auch eine Raumfähre irgendwann die ungleich größeren Treibstofftanks abstößt, ohne daß Zweifel daran beständen, daß weiterhin sie die Raumfähre ist, nicht die leeren Tanks, aber man ist dann immer noch mit einer zweiten Schwäche konfrontiert: Die Beschreibung wäre ungleich plausibler, wenn man davon ausgehen könnte, daß sich die Zellen, die später zum Fötus auswachsen, schon in den Frühstadien des Embryos intern von den anderen Zellen unterscheiden würden (wie die eigentliche Raumfähre von ihren Tanks), so daß man den Prozeß tatsächlich als eine Art Läuterung, Entpuppung o. ä. ansehen könnte. Ob es solche internen Unterschiede gibt, zwischen Blastomerzellen, die sich später zum Embryoblasten entwickeln, und denjenigen, die den Trophoblasten bilden, ist meines Wissens noch Gegenstand der Forschung, aber nur wenn es sie gibt, kann man möglicherweise vertreten, daß die Bildung des Embryoblasten den Präembryo auf einen schon bislang vorhandenen Teil reduziert.11 Dies sind Schwächen, keine Widerlegungen der Beschreibung. Es gibt auch andere Entitäten, denen wir unter solchen Umständen Identität zuschreiben, z. B. wenn wir von einem Edelstein sagen, daß er zunächst ein Rohdiamant ist, aus dem dann ein Brillant wird. Aber zumindest zeigen sie, daß es alles andere als selbstverständlich ist, daß ein Mensch mit der Zygote, Elastomere oder Morula identisch ist. Auf den ersten Blick liegt es viel näher anzunehmen, daß der Mensch erst mit der Bildung der Keimscheibe entsteht, denn dann sind die Zellinien festgelegt, aus denen er sich bilden wird im Unterschied zum embryonalen Hilfsgewebe. Außerdem gibt es dann auch eine räumliche Grenze gegenüber dem restlichen Gewebe. Der Embryo hat von diesem Zeitpunkt an eine Gestalt, die sich kontinuierlich zu einem Kind weiterformen wird. Diese dritte Beschreibung des Differenzierungsprozesses in der zweiten Schwangerschaftswoche, der zufolge erst hier die Existenz des Menschen beginnt, scheint mir deshalb die einleuchtendste zu sein. Aber sie impliziert, daß (2.1) für die Beziehung zwischen Erwachsenen und Präembryos falsch ist. Niemand von uns war je eine Morula. Damit bin ich am Ende der Diskussion der verschiedenen möglichen Einwände gegen Prämisse (2.1). Sie hat zu dem Ergebnis geführt, daß die meisten Vorbehalte problemlos ausgeräumt werden können bzw. auf fragwürdigen philosophischen Voraussetzungen beruhen. Nichts spricht wirklich dagegen, daß wir einmal Embryonen und Föten waren. Problematischer ist aber die Annahme, daß wir auch schon Präembryonen waren.12 Dagegen sprechen sowohl der 11 Vgl. die Hinweise von Dänischen/Schönecker auf neuere Forschungen, die in diese Richtung weisen (in diesem Band, 247 f.). 12 Ich korrigiere damit eine vorschnelle Behauptung in Stoecker 2002, Fußnote 3, der zufolge es offensichtlich sei, daß wir einmal Zygoten gewesen seien.

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Zwillingseinwand wie auch die mangelnde Ausdifferenzierung von embryonalem und extraembryonalem Gewebe. Viel näher liegt es, unsere Existenz dort anfangen zu lassen, wo wir unsere individuelle Gestalt bekommen haben, und das ist frühestens mit der Ausbildung der Keimscheibe am Ende der ersten Schwangerschaftswoche (wegen Einwand [H]) oder vielleicht auch erst mit der Bildung des Primitivstreifens am Ende der zweiten Woche (wegen Einwand [G]). Weil es aber prinzipiell auch möglich ist, Differenzierung und Zwillingsbildung so zu beschreiben, daß (2.1) uneingeschränkt bewahrt ist, und weil sich die Frage der Menschenwürde des Embryos nicht nur für frühe, sondern (im Rahmen der Abtreibungsdebatte) auch für spätere Stadien der Schwangerschaft stellt, ist es zur Beurteilung des Identitätsargumentes wichtig, nicht nur die Wahrheit von (2.1), sondern auch die Schlüssigkeit der Folgerung von (1) und (2.1) auf (2.2) zu diskutieren. 2. c) Ist die Folgerung von (1) und (2.1) auf (2.2) schlüssig? Kann man daraus, daß ein Erwachsener eine Eigenschaft hat, die seine Menschenwürde impliziert, sowie seiner Identität mit einem Embryo (von nun an wieder einschließlich der Präembryonen), der ein paar Jahrzehnte zuvor gelebt hat, den Schluß ziehen, daß der Embryo ebenfalls Menschenwürde gehabt hat? Zumindest ist das kein Schluß, der für alle Eigenschaftspaare gilt. Wer Bundestagspräsident ist, ist auch Bundestagsabgeordneter, aber die Identität des derzeitigen Bundestagspräsidenten mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden in der DDR-Volkskammer Mitte 1990, impliziert nicht, daß Wolf gang Thierse schon damals Bundestagsabgeordneter war. Er ist es erst später, nach der Wiedervereinigung geworden. Ebenso könnte es sein, daß Thierse heute eine Eigenschaft hat (z. B. ebenfalls die Eigenschaft, Bundestagspräsident zu sein), die impliziert, daß er Menschenwürde hat, ohne daß er schon immer eine Menschenwürde gehabt hat. Vielleicht hat er auch die Eigenschaft, eine Menschenwürde zu haben, erst später erworben. Wenn der Schluß also nicht formal zu rechtfertigen ist, dann kann er nur inhaltlich korrekt sein, d.h. aufgrund der beiden speziellen Eigenschaften, um die es geht. Eine Möglichkeit, ihn zu rechtfertigen, wäre die These, daß die Eigenschaft, Menschenwürde zu haben, einem Menschen wesentlich ist, daß er sie also, wenn überhaupt, solange hat, wie es ihn gibt. Das ist eine verbreitete und durchaus plausible Ansicht über die Menschenwürde. Außerdem ist das Identitätsargument unter dieser Annahme (und unter der Voraussetzung von [2.1]) stichhaltig: Es führt schlüssig zu der Konklusion, daß Embryonen eine Menschenwürde haben. Ja, es ist eigentlich unnötig kompliziert. Das spielt nämlich gar keine Rolle mehr, das Argument besagt dann einfach nur noch: Manche Menschen haben Menschenwürde; wer sie überhaupt hat, hat sie schon immer gehabt; also auch als Embryo; und weil nur dann manche Embryonen Menschenwürde haben, wenn alle sie haben, haben alle Embryonen Menschenwür-

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de. Das Problem mit diesem Argument ist nur, daß es keine Auskunft darüber gibt, weshalb wir annehmen sollten, daß die Eigenschaft, Menschenwürde zu haben, eine essentielle Eigenschaft für Menschen ist. Schließlich wird niemand, der bestreitet, daß Embryonen eine Menschenwürde haben, ohne zu bezweifeln, daß sie mit den aus ihnen erwachsenen Menschen identisch sind, bereit sein zu akzeptieren, daß Menschenwürde essentiell ist. Deshalb ist es so wichtig, daß im Identitätsargument von die Rede ist. Der Schluß von (1) und (2.1) auf (2.2) ist nicht nur dann gerechtfertigt, wenn man einfach annimmt, daß die Menschenwürde essentiell ist, sondern auch dann, wenn man annimmt, daß es ein gibt, das erstens auf die Menschenwürde schließen läßt, zweitens aber auch eine essentielle Eigenschaft des Menschen ist (anders als die Eigenschaft, Bundestagspräsident zu sein). Allerdings reicht es nicht, einfach vorauszusetzen, daß es ein solches gibt, denn das würde den Skeptiker nicht stärker überzeugen als die Behauptung, die Menschenwürde selbst sei eine solche Eigenschaft. Man muß vielmehr die entsprechende Eigenschaft nennen. Nur dann kann das Identitätsargument überzeugend sein, weil nur dann verständlich werden kann, daß der Schluß von (1) und (2.1) auf (2.2) gerechtfertigt ist. Damit wird der eigentliche Kern des Identitätsargumentes deutlich: Es ist eher ein Argumentschema als selbst schon ein Argument, denn es gibt an, welche Form mögliche Argumente für die Menschenwürde von Embryonen nehmen können. Sie können verschiedene Einsetzungsinstanzen für nennen, zusammen mit dem Anspruch, daß es sich um essentielle Eigenschaften des Menschen handele. Für sich gesehen aber, ohne Einsetzungsinstanz für , bleibt der Schluß von (1) und (2.1) auf (2.2) ungestützt, das Argument ist nicht schlüssig.

3. Zum Verhältnis zwischen dem Identitätsargument und den anderen drei Argumenten Ich habe schon gelegentlich auf inhaltliche Berührungspunkte des Identitätsargumentes mit den drei anderen Argumenten hingewiesen, die in diesem Band diskutiert werden. Es gibt aber darüber hinaus noch zwei generellere Beziehungen. Erstens habe ich vorgeschlagen, das Identitätsargument als Schema möglicher Argumente aufzufassen, und zumindest das Spezies- und das Potentialitätsargument lassen sich auch so reformulieren, daß sie diesem Schema folgen. Essentiell wären dann die Eigenschaften, ein Mensch zu sein bzw. potentiell zu sein, und man könnte jeweils aus der unbestreitbaren Tatsache, daß bestimmte erwachsene Menschen diese Eigenschaften haben, darauf schließen, daß auch alle Embryonen sie haben. (Das heißt allerdings weder, daß diese Argumente notwendigerweise so aufgefaßt werden müssen, noch daß dies die stärksten Interpretationen sind.) Zweitens ist die Annahme naheliegend, daß zumindest das Kontinuums- und das Potentialitätsargument die zentrale Prämisse des Identitätsargumentes tei-

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len, die Identität des Erwachsenen mit dem Embryo. Nur wer mit einem Embryo identisch ist, hat sich vom Embryo zum Erwachsenen entwickeln können. Und nur wer als Embryo das Potential hat, später selbst einmal ein Erwachsener zu sein, hat auch das Potential, als Erwachsener zu haben. In diesem Sinn bildet Prämisse (2.1) des Identitätsargumentes also eine notwendige Bedingung für diese beiden Argumente. Dazu kommt, daß vermutlich auch das Speziesargument erheblich von der impliziten Annahme lebt, daß der Embryo und der sich daraus entwickelnde Erwachsene nicht nur beide Menschen, sondern daß sie ein und derselbe Mensch sind. Die Identitätsprämisse (2.1) spielt insofern für alle vier Argumente eine fundamentale Rolle. Wenn das allerdings stimmt, gewinnen auch die Einwände gegen diese Prämisse eine Bedeutung über das ursprüngliche Identitätsargument hinaus, vor allem Einwände (G) und (H), die zumindest nahelegen, daß zwischen uns und den Präembryonen keine Identität bestehe. Deshalb lohnt es sich, zum Schluß die Frage zu stellen, ob unter der Bedingung, daß diese Einwände berechtigt sind und keine Identität mit Präembryonen besteht, auch das Thema Menschenwürde insgesamt für den Umgang mit diesen Embryonen (im Zusammenhang mit PID, Stammzellforschung, Klonen) abgehandelt und obsolet ist. Ich glaube nicht. Erstens zeigt sich gerade am Scheitern des Identitätsargumentes, daß man in dieser Debatte nicht sehr weit kommt, ohne das näher zu spezifizieren. Es ist eine Illusion anzunehmen, man könne etwas über die Würde von Embryonen erfahren, ohne zuvor geklärt zu haben, auf welcher Grundlage das Gebot zur Achtung der Menschenwürde im Normalfall (also gegenüber Ihnen, mir und Wolf gang Thierse) beruht. Die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies und das bloße Potential zu irgendwelchen Fähigkeiten Erwachsener, von denen im Spezies- und Potentialitätsargument die Rede ist, schöpfen jedenfalls die möglichen Antworten nicht aus. Dabei könnte sich dann unter Umständen herausstellen, daß Embryonen auch dann eine schützenswerte Würde haben, wenn sie nicht mit uns identisch sind. Zweitens ist es wichtig, daran zu denken, daß das moralphilosophisch interessante Phänomen nicht das Haben von Menschenwürde ist, sondern das Gebot, die Würde eines Menschen zu achten.13 Die entscheidende Frage ist also, mit welchen Handlungen man jemandes Würde verletzen kann, und das können wiederum Handlungen sein, die sich gar nicht gegen den Betreffenden selbst richten, sondern gegen jemand anderen oder etwas ganz anderes. Ich kann einen Menschen kränken, indem ich sein Foto anspucke, und vielleicht kann ich seine Würde auch dadurch mißachten, daß ich etwas mit dem Vierzeiler anstelle, aus dem er sich später entwickelt, selbst wenn der Mensch nicht mit diesem Embryo identisch ist und auch wenn der Embryo selbst keine Würde hat, die man kränken könnte. (Dann wäre es vielleicht doch wichtig, ob man einen Embryo vor sich hat, der einmal aufwachsen wird oder nicht.) Und schließlich kann es sein, daß man dadurch, daß man einem Wesen etwas antut, die ei13 Vgl. Stoecker 2002.

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gene Würde mißachtet, auch wenn das betroffene Wesen selbst keine Würde hat. Es könnte also einfach unter unserer Würde sein, bestimmte Dinge mit jüngsten Embryonen anzustellen. Das alles ist nicht Gegenstand dieses Buches, aber es zeigt m. E., daß mit der Diskussion der vier Argumente, so wichtig sie auch ist, das Thema Embryonen und Menschenwürde noch längst nicht erschöpfend abgehandelt ist.14

Literatur Geach, Peter (1962): Reference and Generality, Cornell. Merkel, Reinhard (2001): „Rechte für Embryonen?", Die Zeit 5 (25.1.2001), 37-38; jetzt auch in: Geyer, Chr. (Hrsg.): Biopolitik. Die Positionen, Frankfurt a. M. 2001. Parfit, Derek (1984): Reasons and Persons, Oxford/New York. Stoecker, Ralf (1999): Der Hirntod - Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation, Freiburg/München. Stoecker, Ralf (2002): „Die Würde des Embryos", in: Groß, D. (Hrsg.): Zwischen Theorie und Praxis: Ethik in der Medizin in Lehre und Klinik, Würzburg, 53-71.

14 Ich möchte mich herzlich bei allen bedanken, die mir durch ihre kritischen Kommentare beim Verfassen dieses Textes geholfen haben, insbesondere bei Gregor Damschen, Dieter Schönecker und vor allem bei Jens Kulenkampff.

Das Potentialitätsargument

Wolfgang Wieland

Pro Potentialitätsargument: Moralfähigkeit als Grundlage von Würde und Lebensschutz Die Würde des Menschen und damit auch sein in ihr verankertes Recht auf Lebensschutz beruht ausschließlich auf seiner Anlage, ein moralfähiges Wesen zu sein; sie ist nicht in seiner Empfindungsfähigkeit fundiert, ebensowenig in seinem Vermögen, Interessen und Wünsche zu haben, ein Zeitbewußtsein und ein Bewußtsein seiner selbst zu entwickeln. Aufgrund seiner Moralfähigkeit, eine Eigenschaft von der Art einer Disposition, ist der Mensch dazu bestimmt, der an ihn gerichteten, unbedingten Forderung der Sittlichkeit Folge zu leisten. Sie gehört zu jenen Potentialitäten, die sich nicht als Abschwächungen oder Defizienzen aktueller Eigenschaften oder als bloße Anwartschaften auf sie verstehen lassen. Bei ihr handelt es sich nicht um eine deskriptive, empirisch beobachtbare, sondern um eine ihrem Status nach normative Bestimmung. Ihr normativer Charakter schließt jede Möglichkeit aus, sie allein aus der Faktizität der biologisch feststellbaren Ausstattung der Spezies Mensch abzuleiten. Die Zugehörigkeit zu dieser Spezies, zu der, von niemandem bezweifelt, auch der Embryo gehört, wird lediglich als Indikator in Anspruch genommen, auf den man angewiesen ist, wenn man ein zur Moralfähigkeit veranlagtes Wesen willkürfrei als solches kennzeichnen will.

1. Vorstellung des Argumentes In diesem Aufsatz soll das Potentialitätsargument, das die Zuschreibung der Menschenwürde an den Embryo legitimieren soll, untersucht werden. Es geht darum, ob es dieses Ziel erreicht oder aber, sollte sich herausstellen, daß ihm dies, wie viele der an den einschlägigen Diskussionen Beteiligten meinen, bislang noch nicht gelungen ist, ob es modifiziert und mit geeigneten Mitteln verbessert werden kann. (1) Jedes Wesen, das potentiell ist, (2) Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat WürdeM· Dabei sollte man aber nicht übersehen, daß diesem Argument in den Auseinandersetzungen über den moralischen Status des Embryos nur eine subsidiäre Aufgabe zukommt. Denn es ist eigentlich nur für Adressaten bestimmt, nach deren Meinung der Embryo nicht bereits unmittelbar, sondern allenfalls im Blick auf das, was aus ihm werden soll, die Bedingungen erfüllt, die einen dazu zwingen, ihm die Menschenwürde und die auf ihr basierenden Rechte zuzuer-

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kennen. So macht das Potentialitätsargument den Gedanken fruchtbar, daß dem Embryo bereits das potentielle Vorliegen der diese Würde fundierenden Bestimmungen den entsprechenden moralischen und rechtlichen Status garantiert. Unternimmt man es, dieses Argument zu bewerten, sollte man sich zuvor Rechenschaft darüber geben, ob es Grenzen gibt, die man bei einem solchen Versuch auch unter den günstigsten Randbedingungen nicht überschreiten kann. Gerade wenn einem der logische Kern einer Argumentation in Gestalt eines formgerechten Syllogismus präsentiert wird, wie ihn die Herausgeber des vorliegenden Bandes vorgegeben haben, muß man beachten, daß eine Konklusion inhaltlich niemals einen Ertrag liefern kann, der über den der Prämissen hinausgeht, aus denen sie abgeleitet wird. Man kann nicht erwarten, außerhalb der rein formalen Disziplinen allein mit logischem Schließen Resultate zu erzielen, deren Inhalt in jeder Hinsicht gänzlich neu wäre. Auf diese Weise wird nur expliziert, was in den Prämissen immer schon auf unausdrückliche und latente Weise mit enthalten ist. Auch die von Logikern und Wissenschaftstheoretikern den Problemen der Induktion gewidmeten Bemühungen haben auf ihre Weise bestätigt, daß man mit folgerichtigem logischem Operieren allein niemals zu Ergebnissen gelangt, die nicht schon in den Voraussetzungen enthalten sind. Höchstens in Ausnahmefällen gelingt es einem einmal, seinen Diskussionspartner aufgrund von Prämissen, die er akzeptiert, allein mit logischen Techniken von der Richtigkeit einer These zu überzeugen, der er zunächst widersprochen hatte. Dennoch ist es nicht müßig, Argumentationen auf ihre logische Struktur hin zu untersuchen. Im Gegenteil: Ein solches Unternehmen bietet einem die Möglichkeit, sich über die eigenen Voraussetzungen und Überzeugungen klar zu werden, über die man sich gewöhnlich keine Rechenschaft gibt, da sie zumeist im Ungefähr dessen verbleiben, was man für allzu selbstverständlich hält, als daß man eine Veranlassung sähe, sie zu explizieren und auf Begriffe zu bringen. Oft verdrängt man, daß sich ein moralisches Urteil über einen Einzelfall, für das man sich stark macht, nicht mit den allgemeinen normativen Grundsätzen vereinbaren läßt, denen man sich verpflichtet weiß. So legt es der praktische Umgang mit Argumenten immer wieder nahe, die logische Folgeordnung umzukehren. Das gilt gerade dort, wo man mit logischem Argumentieren nicht nur ein Erkenntnisinteresse befriedigen, sondern zugleich auch Antwort auf normative Fragen finden und damit Entscheidungen im Bereich des individuellen und des kollektiven Handelns legitimieren will. Dann sind es nicht die Prämissen, die am Beginn der logischen Praxis stehen, sondern der Satz, für den man sich stark machen und den man verteidigen will. Für diesen Zweck fahndet man nach Argumenten, die diesen Satz stützen können. In solchen Fällen erschließt man nicht aus gegebenen Prämissen eine Konklusion, sondern man geht für einen bereits vorliegenden, zur Konklusion bestimmten Satz auf die Suche nach Prämissen, aus denen er sich ableiten läßt. Dabei muß man stets berücksichtigen, daß sich aus wahren Prämissen nur wahre Konklusionen ableiten lassen, daß es auf der anderen Seite aber möglich ist, auch aus falschen Prämissen lo-

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gisch korrekt auf wahre Konklusionen zu schließen. Die faktische Priorität der Konklusion in der Praxis des Argumentierens kennzeichnet übrigens auch die Konstellation, unter deren Bedingungen im vierten vorchristlichen Jahrhundert bei den Griechen die formale Logik erfunden wurde.1 So wird auch eine Prüfung des vorgegebenen Potentialitätsarguments zugunsten der Menschenwürde des Embryos das Schwergewicht nicht auf die Untersuchung seiner formallogischen Folgerichtigkeit legen, die im vorliegenden Fall ohnehin auf der Hand liegt. Da aber gerade die Konklusion kontrovers ist, muß sich die Analyse auf die Frage konzentrieren, ob die Prämissen vertretbar und begründbar sind, aus denen sich diese Konklusion ableiten läßt. Wo kontrovers argumentiert wird, darf die Frage nach der Verteilung der Beweislast nicht ausgeklammert bleiben, wenn die Diskussion nicht strukturlos bleiben soll. Das gilt erst recht dort, wo das Argumentieren keine Ziele theoretischer Neugier verfolgt, sondern Handlungen und Unterlassungen rechtfertigen will, zumal da man sich zwar des Urteilens, nicht aber des Handelns enthalten kann. Nun sind die von den Bioethikern unserer Gegenwart im Blick auf mögliche Handlungsoptionen geführten Diskussionen von Hause aus gewiß keinen inhaltlichen Vorgaben verpflichtet. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß diese Erörterungen häufig in eine Schieflage geraten. Gerade weil es bisher unangefochten und einhellig anerkannte Lebensrechte sind, deren Legitimation die Bioethik heute, ob prinzipiell oder nur methodisch, in Zweifel zieht, wirkt sie auf die Öffentlichkeit oft so, als würde sie ihre Aufgaben vornehmlich in der Rechtfertigung von Tötungslizenzen sehen. Manchmal mag es scheinen, als befänden sich alle von vornherein schon in der Defensive, die sich darum bemühen, das Lebensrecht des Menschen auch für die vorgeburtlichen Phasen seiner Existenz zu sichern, weil oft gerade ihnen die Beweislast zugeschoben wird. Gewiß ist manch ein mit dieser Zielsetzung vorgetragenes Plädoyer nicht in letzter Konsequenz schlußkräftig. Doch man sollte die Augen nicht davor verschließen, daß Bestrebungen, Lebensrechte am Anfang und am Ende der individuellen Existenz des Menschen zu relativieren, heute oft mit einem breit gestreuten öffentlichen Beifall bedacht werden. Dabei werden nicht immer die Interessen und Motive hinreichend deutlich, die hinter diesem Beifall stehen. Deswegen sollte man sich niemals auf eine Beweislastregelung einlassen, die dazu führt, daß die Aufdeckung von Schwächen in der Verteidigung eines Lebensrechts im Effekt so behandelt wird, als ließe sich damit zugleich die Legitimität einer Tötungslizenz dartun. Auch pragmatische Gründe sprechen in solchen Fällen für einen Tutiorismus, nämlich dafür, diejenigen mit der Beweislast zu beschweren, die einem Wesen das Lebensrecht absprechen wollen. Im Zweifelsfall läßt sich die nicht legitimierte Tötung eines Wesens schon ihrer Unwiderruflichkeit wegen schlechterdings nicht entschuldigen. Im Gegensatz dazu ist die Annahme eines Lebensrechts aber auch dann noch tolerierbar, wenn die Begründung einstweilen noch offenkundige Lücken aufweist. l

Grundinformation bei Kapp 1965.

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Es ist Aufgabe des vorliegenden Bandes, die Korrektheit oder aber die Anfechtbarkeit der vier vorgegebenen Musterargumente2 mitsamt ihrer Prämissen darzutun, die sich auf die Würde und damit zugleich auf das Lebensrecht eines Menschen in jener Phase seines Lebens beziehen, in der man ihn als Embryo zu bezeichnen pflegt. Zur Orientierung soll dabei in allen Fällen die Form eines quantorenlogisch formulierten Basissatzes dienen, der dazu bestimmt ist, das Schema eines Minimalkonsenses in bezug auf eine Bedingung auszudrücken, unter der niemand bestreitet, daß einem Wesen Menschenwürde zuerkannt werden kann: Für alle Wesen gibt es mindestens eine Eigenschaft , so daß gilt: Wenn ein Wesen aktual ist, dann hat es Würde^ 3 Damit fungiert das aktuale Vorliegen der Eigenschaft als eine hinreichende, nicht aber notwendige Bedingung für die Zuschreibung dieser Würde. Offen bleibt die Möglichkeit, auch einem Wesen, das die Eigenschaft in ihrer aktualen Ausprägung nicht aufweist, die Menschenwürde zuzuerkennen, wenn Voraussetzungen anderer Art gegeben sind. So verwendet das Potentialitätsargument, das diese Würde auch dem Embryo sichern will, als erste Prämisse einen Satz, der aus dem Basissatz mittels einer Extension gewonnen wird, kraft deren die Auszeichnung durch die Menschenwürde nicht nur auf das aktuale, sondern schon auf das potentielle Vorliegen jener Eigenschaft gegründet wird, insofern es sich auch dem Embryo attestieren läßt. Damit ist zunächst die Frage gestellt, ob diese Ausweitung des Basissatzes möglichen Einwänden standhält, ob dieser Basissatz am Ende überhaupt selbst vertretbar ist.

2. Erörterung des Argumentes Unter der Voraussetzung, daß man berechtigt ist, die Bestimmung des Basissatzes auf das nur potentielle Vorliegen der Eigenschaft auszuweiten, läßt sich ein formal korrekter Schluß ziehen, dessen Konklusion dem Embryo Menschenwürde zugesteht. Wer nun in bezug auf das so gewonnene Potentialitätsargument die Gegenposition vertreten will, wird schwerlich die formale Korrektheit des Schlusses, sondern den Basissatz anfechten oder wenigstens die Berechtigung bezweifeln, ihn zu einem Potentialitätssatz auszuweiten. Will man diese Berechtigung mit Hilfe von Analogbeispielen in Zweifel ziehen, hat man leichtes Spiel. Zu ihnen gehört das in diesem Zusammenhang häufig herangezogene Kronprinzenargument. Es basiert auf dem kaum zu bestreitenden Gedanken, daß die verfassungsmäßigen Rechte des herrschenden Monarchen nicht zugleich auch dem Kronprinzen zukommen, den man, als dessen designierten 2 3

Vgl. die Einleitung von G. Damschen und D. Schönecker im vorliegenden Band,l-7. Vgl. die Einleitung von G. Damschen und D. Schönecker im vorliegenden Band, 3.

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Nachfolger, auch als potentiellen Monarchen ansprechen kann. Es ist evident, daß es Rechte anderer Art sind, die ihm als lediglich potentiellem Monarchen zukommen. Niemandem, der sich über diese Argumentationsfigur klar geworden ist, wird es schwerfallen, eine Vielzahl von ähnlichen, auf geeigneten Beispielen fußenden Argumenten zu formulieren, die eine generelle Berechtigung ausschließen, aus einem gültigen Aktualitätssatz die Gültigkeit des korrespondierenden Potentialitätssatzes abzuleiten. Auch noch so viele dem Muster des Kronprinzenarguments entsprechende Beispiele erweisen freilich nicht, daß es in allen denkbaren Fällen unzulässig wäre, die Gültigkeit eines an eine Aktualität anknüpfenden Satzes auf die entsprechende Potentialität auszuweiten. Singuläre Gegenbeispiele zeigen nur an, daß es keine generelle Lizenz zu einer solchen Extension gibt. Doch sie lassen die Möglichkeit offen, daß es in bestimmten Fällen oder unter zusätzlichen Voraussetzungen zulässig, vielleicht sogar geboten ist, auf diesem Weg einen inhaltlich vertretbaren Satz zu gewinnen, der die moralische oder die rechtliche Position des Trägers von bestimmten, aktuell ausgeprägten Eigenschaften auch dem zugesteht, dem diese Eigenschaften nur potentiell zukommen. Hier kann man sich an einer Argumentationsfigur orientieren, die einem häufig im Umkreis von Erörterungen begegnet, die den Begriff und den Status der Person zum Inhalt haben. Im Diskurs über die Menschenrechte melden sich heute immer vernehmlicher Vertreter einer Fraktion zu Wort, die diese Rechte nicht allen, sondern ausschließlich solchen Menschen zugestehen wollen, die bestimmte Merkmale aufweisen, aufgrund derer sie als Personen qualifiziert werden können. Zumeist in unmittelbarer oder mittelbarer Anknüpfung an eine von John Locke entwickelte Konzeption4 werden dabei als Abgrenzungskriterien regelmäßig bewußtseinszentrierte, introspektiv erfaßbare Phänomene verwendet, vor allem das Ichbewußtsein und damit das Bewußtsein der sich über die Zeit erstreckenden eigenen Identität, das im Modus der Erinnerung auch die Vergangenheit einbezieht. Die mit diesem Ansatz verbundenen Schwierigkeiten sind bekannt. Spricht man die auf Personenrechte reduzierten Menschenrechte denen ab, die den an bestimmten Tatsachen des Bewußtseins orientierten Personkriterien nicht genügen, so kommen sie einem Menschen streng genommen schon dann nicht mehr zu, wenn er sich im Zustand des Schlafes befindet. Will man diese extrem kontraintuitive Konsequenz vermeiden, muß man das Konzept so modifizieren, daß man einem Menschen diese Rechte nicht schon dann absprechen muß, wenn er sich gerade nicht im Zustand des Wachseins befindet. Dies läßt sich erreichen, wenn man sie auch jedem zugesteht, dem die den Status einer Person markierenden Eigenschaften nicht aktual, sondern - vorübergehend - lediglich potentiell zukommen. Der Begriff der Potentialität dient hier also dazu, Vgl. Locke 1975, 2. 27. 9ff. Bei der Auswertung dieser häufig herangezogenen Stelle wird zu wenig berücksichtigt, daß hier, im Rahmen einer allgemeinen Relationenlehre, das leitende Thema nicht die Person, sondern die Identität bildet. Zur gegenwärtigen Diskussion personaler Identität vgl. vor allem Parfit 1984.

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die Härten abzumildern, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man diesen Status an Kriterien bindet, die sich auf Phänomene des aktualen Wachbewußtseins beziehen und keine Rücksicht darauf nimmt, daß sich schlechterdings keine Person ohne Unterbrechung in diesem Zustand befindet. So ermöglicht es der Potentialitätsbegriff dem Vertreter der auf Personenrechte eingeschränkten Menschenrechte, auch dem Schläfer, als einem nur potentiell seiner selbst bewußten Individuum, den Status einer Person mitsamt den an ihn gebundenen Rechten zuzugestehen. Kronprinzenargument und Schläferargument sind von sehr simpler Faktur. Der praktische Umgang mit ihnen wird nicht von ihrer einfachen, leicht durchschaubaren formallogischen Struktur reguliert, sondern - wie auch sonst häufig in Erörterungen von Fragen der angewandten Ethik - von inhaltsbezogenen Intuitionen, die als nicht weiter in Frage gestellte Korrekturfaktoren eingesetzt werden und die es das eine Mal zulassen, das andere Mal dagegen verbieten, eine auf eine aktual ausgeprägte Eigenschaft eines Menschen gestützte normative Bestimmung so auszuweiten, daß sie ihm auch dann noch zuzugestehen wäre, wenn ihm diese Eigenschaft nur potentialiter zukommt. Diese Fälle belegen, wie moralische Intuitionen im praktischen Umgang mit logischen Schlüssen und ihren Konklusionen imstande sind, zumindest in einem ersten Zugriff, das Interesse an der formallogischen Folgerichtigkeit eines Arguments hintanzustellen. Daß der Kronprinz nicht die gleichen Rechte wie der Monarch genießt, daß man dem Schläfer nicht den moralischen Status wird streitig machen wollen, der ihm im Wachsein zukommt — solche Evidenzen läßt man sich auch durch formal korrekte Schlußfolgerungen nicht erschüttern. Um so dringlicher wird es, in derartigen Fällen die Voraussetzungen zu revidieren, aus denen sich kontraintuitive Konsequenzen ableiten lassen. Oft legt es freilich erst die Formalisierung eines Arguments nahe, zunächst nach Gründen für die Akzeptanz oder die Verwerfung der Prämissen zu suchen. Das gilt im Fall des Potentialitätsarguments besonders für die erste Prämisse, die jedem Wesen, das potentiell eine bestimmte Eigenschaft aufweist, die Menschenwürde zugesteht. Zeigen die beiden Beispiele, daß Potentialitätsargumente weder generell akzeptiert noch generell verworfen werden dürfen, stellt sich die Frage, ob sich Randbedingungen finden lassen, unter denen man ein auf der Extension einer Aktualität beruhendes, gültiges Potentialitätsargument formulieren kann, das dem Embryo die Menschenwürde garantiert. Will man die hierfür nötigen Eingrenzungen vornehmen, ist es zweckmäßig, wiederum vom Basissatz auszugehen und die Aufmerksamkeit auch auf das zu lenken, was er offen läßt. Das bezieht sich auf den Begriff der Menschenwürde ebenso wie auf den kategorialen Status der Eigenschaften, an deren aktuales Vorliegen dieser Satz die Zuschreibung dieser Würde bindet; es bezieht sich aber auch auf den Modus, in dem diese Eigenschaften mit der Würde verknüpft werden. Vor allem sollte nicht vernachlässigt werden, daß der Ausdruck „Potentialität", von dem das nach ihm benannte Argument Gebrauch macht, ähnlich wie die Modalbegriffe in der

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Umgangssprache, oft recht undifferenziert verwendet wird.5 Leicht wird übersehen, daß dieser Ausdruck vieldeutig ist und für unterschiedlich strukturierte Modalfaktoren stehen kann. Schon die ersten Anfänge der Modaltheorie in der Antike geben Zeugnis von der Notwendigkeit, unterschiedlich strukturierte Potentialitätsbegriffe anzusetzen.6 Es ist hier nicht möglich, alle Potentialitätsbegriffe, die in der Tradition konzipiert und präzisiert worden sind, mit dem Anspruch auf Vollständigkeit vorzustellen. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen, daß sie einen von dem der aktualen Wirklichkeit verschiedenen logischen oder ontologischen Status dessen markieren, worauf sie bezogen werden. Sie lassen sich nach verschiedenen, zum Teil auch kombinierbaren Gesichtspunkten klassifizieren. Die logische Möglichkeit, ihrem Gehalt nach die ärmste Potentialität, läßt sich auf alle Sachverhalte anwenden, deren Annahme keinen Widerspruch enthält. Auch der Möglichkeitsbegriff wird, gleich jedem anderen Begriff inhaltlich durch das Begriffsnetz mitbestimmt, in dem ihm ein Platz zukommt. So können die drei Modalbegriffe der Möglichkeit, der Wirklichkeit und der Notwendigkeit eine hierarchische Klimax oder aber eine anders geartete Ordnung bilden. Nur in dem ersten Fall ist der schwächere in dem jeweils stärkeren Begriff bereits enthalten;7 im zweiten Fall ist es denkbar, daß mit jedem Modalbegriff ein Bereich sui generis markiert wird, der sich mit den Bereichen, die den anderen Begriffen entsprechen, nicht überschneidet. Außerdem kann die Potentialität bald eine einseitige, bald eine zweiseitige Möglichkeit anzeigen; nur die zweiseitige Möglichkeit impliziert stets die Möglichkeit des Gegenteils. Ferner ist die Möglichkeit „de dicto", wie sie einer möglicherweise wahren Aussage entspricht, von der Möglichkeit „de re" zu unterscheiden, die nicht die Aussage im ganzen, sondern nur ihr Prädikat bestimmt. Auch kann man Potentialitäten so konzipieren, daß sie sich aufeinander anwenden und so gleichsam potenzieren lassen. Daneben kann man auch mit graduierbaren Potentialitäten arbeiten. So hat man auch in der bioethischen Diskussion stärkere und schwächere Ausprägungen unterschieden.8 Potentialitäten lassen sich auch im Sinn einer inhaltsbezogenen Typologie unterscheiden, so die Möglichkeiten, etwas zu sein oder zu werden, etwas zu tun oder zu erleiden, etwas zu erlangen oder einzubüßen. Eine wiederum andere Differenzierung setzt bei den Randbedingungen an, unter denen sich

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Vgl. auch Buckle 1990, 90 ff. Vgl. bei Aristoteles vor allem die „klassische" Behandlung der Thematik im Buch IX der Metaphysik; in den Ersten Analytiken besonders die Kapitel 13, 13, 15, 16; in De interpretatione die Kapitel 12,13; in De anima die Kapitel II l, 5. Vgl. dazu Seel 1982. Die Annahme einer Klimax der Modalbegriffe verschafft einem, wie man leicht sieht, noch nicht das Recht, aus logischen Gründen aus dem Basissatz auf den entsprechenden Potentialitätssatz zu schließen. Vgl. Stone 1987, 815 ff.

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eine Potentialität auf die ihr zugeordnete Aktualität bezieht.9 So läßt sich eine Potentialität ansetzen, die in die Aktualität übergeht, sobald ein Hindernis beseitigt oder eine andere Randbedingung erfüllt ist. Dazu gehören auch die Fälle, in denen dieser Übergang nur den Ablauf einer Zeitspanne erfordert oder das Durchlaufen einer Entwicklung, deren Ergebnis sich mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren läßt. Dadurch unterscheidet sich die zeitlose von der zeitbezogenen, auf eine Zukunft hin orientierten Potentialität, die im übrigen auch bloße Wahrscheinlichkeiten markieren kann. Bedeutsam ist überdies, ob die Potentialität einem Sachverhalt oder einem Gegenstand im Sinne einer akzidentellen oder einer essentiellen Bestimmung zukommt. Oftmals übersieht man die für unsere Fragestellung entscheidenden Potentialitäten, deren Sinn sich deswegen nicht erst im Erreichen der ihnen entsprechenden Aktualität erfüllt, weil ihnen im Verhältnis zu ihr eine höhere Dignität zukommt. So lassen sich Optionen und Machtpositionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kompetenzen und Dispositionen als gleichsam selbständige Potentialitäten deuten, die stets mehr sind als das, was sich auf ihrer Basis im Einzelfall verwirklichen läßt. Das wird besonders an Hand politischer und wirtschaftlicher Optionen deutlich; ihr Eigenwert ist nicht geringer, wenn sie nicht ausgeübt werden. Wo eine derartige optionale Potentialität vorliegt, besteht kein ontologisches Gefalle in bezug auf eine entsprechende Aktualität.10 Auch unter der Vielzahl der Freiheitsbegriffe finden sich Konzepte, die sich zwanglos als selbständige Potentialitäten deuten lassen. Es liegt auf der Hand, daß Diskussionen über Potentialitäten leicht in eine Schiefläge geraten, wenn man nicht berücksichtigt, daß einem hier eine geradezu verwirrende Vielzahl unterschiedlich strukturierter Modalbegriffe zur Verfügung steht, die jedenfalls in den Erörterungen des auf Embryonen bezogenen Potentialitätsarguments noch nicht alle ausgereizt worden sind. In der Tat bleibt manchmal verdeckt, daß es nicht immer derselbe Potentialitätsbegriff ist, von dem seine Befürworter und seine Gegner Gebrauch machen.11 So bleibt die Frage, ob einer dieser Begriffe geeignet ist, in einen Satz einzugehen, der durch eine legitimierungsfähige Ausweitung des Basissatzes gewonnen wird. Bevor man diese Frage beantwortet, sollte man die Menschenwürde ins Auge fassen, um nach den Bedingungen in Gestalt aktual ausgeprägter Eigenschaften zu suchen, unter denen man sie legitimerweise jemandem zuschreiben kann. Nun läßt sich schwerlich übersehen, daß ihr in der heutigen Diskussion arg strapazierter Begriff auch von denen nicht immer in ein und derselben Bedeu9

Auf den unterschiedlichen, von den jeweiligen Randbedingungen abhängigen Inhalt von Potentialitäten haben in der Embryonendebatte insbesondere aufmerksam gemacht Singer/Dawson 1990, 76ff. 10 Eine zentrale Stellung kommt den originären, weil nicht von einer korrespondierenden Aktualität her dominierten Potentialitäten auch in der Daseinsanalyse der phänomenologischen Fundamentalontologie zu. Vgl. Heidegger 1977, insbesondere §31. 11 Vgl. aber die Erörterung der Potentialitätsvarianten bei Leist 1990, 84 ff.

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tung verwendet wird, für die er nicht nur eine semantische Altlast oder ein kontingentes Zwischenprodukt der Evolution anzeigt. Dennoch wäre es wenig hilfreich, die Vielfalt dieser Bedeutungen katalogisieren zu wollen. Zweckmäßiger ist es, lediglich die Merkmale zu akzentuieren, von denen die Bedeutung bestimmt wird, in der von diesem seinem Typus nach normativen Begriff im gegenwärtigen Zusammenhang Gebrauch gemacht werden soll. Hier jedenfalls soll von der Menschenwürde in dem Sinn die Rede sein, in dem sie einen Wert sui generis repräsentiert, der nicht mit Werten anderer Art so in ein Verhältnis gesetzt werden kann, daß er sich mit ihnen verrechnen ließe. Ein Mangel an dieser Würde kann niemals durch einen anderen Wert kompensiert werden. Deswegen leidet es die Menschenwürde nicht, daß man sie in eine Güterabwägung oder in einen Nutzenkalkül als Element eingehen läßt. Überdies führt der korrekte Umgang mit ihrem Begriff immer nur zu Klassifikationen, aber weder zu Abstufungen noch gar zu Quantifizierungen. Dieser Würde ist es eigentümlich, daß sie der durch sie auszuzeichnenden Entität entweder ganz und ungeteilt oder gar nicht, niemals aber in höherem oder geringerem Grade zukommt. Es gibt keine Menschenwürde auf Raten. Dergleichen muß dann auch für die normativen Bestimmungen gelten, die in ihr gründen. Ein auf andere Weise legitimierter Lebensschutz mag graduellen Abstufungen und dem Prinzip des Mehr oder Weniger zugänglich sein.12 Ein der Menschenwürde fundiertes Lebensrecht läßt sich hingegen ebensowenig graduieren wie diese Würde selbst. Der Würde, von der hier die Rede ist, kann das Wesen, dem sie zukommt, weder verlustig gehen noch kann sie ihm genommen werden, schon gar nicht dadurch, daß man es auf würdelose Weise behandelt. Wer sich dergleichen zuschulden kommen läßt, setzt immer nur seine eigene Würde aufs Spiel. Wenn man sie als unverfügbar bezeichnet, so schließt dies ein, daß sie von einem Menschen weder mittels einer arbiträren Zuschreibung durch seinesgleichen noch aufgrund einer Kooptation erworben wird. Kraft eigenen Rechts besitzt sie jeder, dem sie zukommt. Man drückt diesen Gedanken auch gerne so aus, daß man sagt, sie sei dem Menschen von Natur aus oder auf Grund seiner Geburt eigen. Solche Formulierungen sind irrtumsträchtig, weil sie, von ihrer sprachlichen Oberfläche her verstanden, dem Mißverständnis Vorschub leisten, diese Würde ließe sich auf naturalistische Weise deuten oder gar fundieren. Zu einer Verwirrung kann die Anknüpfung an die Geburt gerade dort führen, wo man erörtert, ob dem Menschen die Auszeichnung durch sie nicht schon in den frühesten, nämlich den vorgeburtlichen Phasen seiner individuellen Existenz zukommt. Doch solche Formulierungen sind nicht dazu bestimmt, die Würde auf ein natürliches Ereignis zu gründen. Denn sie sollen lediglich verdeutlichen, daß sie einem Menschen jedenfalls nicht kraft einer arbiträren Zuschreibung, nicht auf der Grundlage einer Entscheidung zukommt. Sie ist Gegenstand nicht einer Verleihung, sondern einer Anerkennung. Es ist 12 Ein Beispiel für den Versuch einer derartigen Graduierung, der viele Nachfolger gefunden hat, bietet der Warnock Report. Vgl. Warnock 1985.

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dieselbe Anerkennung, wie sie jeder Mensch aufgrund der ihm eigenen Würde seinesgleichen schuldet. Es ist die Frage, ob - und gegebenenfalls in welcher Weise - die Anerkennung dieser Würde begründungsfähig ist. Sie stellt sich, vor aller Berücksichtigung von Potentialitäten, schon auf der Ebene des Basissatzes. Nun verknüpft dieser Satz in Gestalt einer formalen Implikation die einem Wesen zukommende Würde mit bestimmten, ihm zukommenden aktualen Eigenschaften, deren Begriffe für die Variable eingesetzt werden können. Allerdings läßt dieser Satz verschiedene Deutungen des Modus zu, dem gemäß die Würde mit der entsprechenden Eigenschaft verbunden wird. Seine Formulierung sagt nichts über den Typus einer möglichen Begründung aus, also nichts darüber, ob die Eigenschaft den Rechtsgrund oder lediglich einen Erkenntnisgrund oder vielleicht sogar nur ein Indiz für die rechtmäßige Zuschreibung der Würde abgeben soll. In jedem Fall verdient indessen der Typus der Eigenschaften Aufmerksamkeit, mit denen die Menschenwürde verbunden werden soll. Zumeist werden hier, in Anknüpfung an die Lockesche Konzeption der Person, Phänomene im Reich des Bewußtseins herangezogen, denen die entsprechenden Funktionen abverlangt werden, so dem Selbstbewußtsein, der Fähigkeit zur Selbstachtung, der Selbstbestimmungsfähigkeit, dem Bewußtsein der eigenen Identität über die Zeit hinweg und damit auch dem die Zukunft intendierenden und antizipierenden Bewußtsein. In diesen Umkreis gehört aber auch die Leidensfähigkeit, die Empfindungsfähigkeit, sowie die Fähigkeit, Interessen und Wünsche zu haben. Im Hinblick auf das mit der Menschenwürde verbundene Recht auf Schutz des Lebens wird hier auch der Lebenswunsch und das Lebensinteresse bedeutsam. Will man die auf die Menschenwürde zu gründenden moralischen und juridischen Rechte an Wünsche und Interessen binden, ist besondere Vorsicht geboten. Bekanntlich nehmen in den Konzepten der dem Konsequentialismus verpflichteten Ethiker die manifesten Wünsche und Interessen der Menschen eine zentrale Stellung ein. Nicht selten empfehlen sich solche Konzepte sogar damit, daß sie bei der Befolgung ihrer Normen die optimale Befriedigung dieser Interessen in Aussicht stellen. Gerade ideologisch orientierte Ethikkonzeptionen deuten die Moralität im ganzen oft nur noch funktionalistisch oder instrumentell, wenn sie in ihr ein Gebilde sehen, dessen Sinn und dessen Aufgabe sich darin erschöpft, die Erfüllung der von Menschen gehegten Wünsche zu optimieren. Natürlich spricht nichts gegen eine Befugnis, Techniken zu entwickeln und anzuwenden, mit deren Hilfe sich derartige Optimierungsleistungen erbringen lassen. Ein großer Teil der von Menschen auf ihre Daseinsbewältigung aufgewendeten Mühen ist der Lösung derartiger Aufgaben gewidmet. Trotzdem lassen sich, bei der Strafe eines Sein-Sollen-Fehlschlusses, weder die Moralität noch die Zuschreibung einer normativen Bestimmung von der Art der Menschenwürde noch irgendwelche moralischen oder juridischen Rechte unmittelbar auf die Faktizität von Wünschen und Interessen gründen. So hat ein Lebensrecht auch derjenige, der mangels eines aktualen Lebenswunsches darauf verzichtet, Gebrauch von ihm zu machen. Faktische Wünsche und Interessen kön-

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nen für sich allein keine Norm begründen, zumal da gerade sie in besonderem Maße einer Normierung bedürfen. Moral und Recht sind mit der Lösung der einschlägigen Aufgaben schon immer befaßt; zumindest implizit nehmen auch die Vertreter einer interessenbasierten Ethik derartige Normierungen vor. Das läßt sich am Beispiel des Kinderwunsches ebenso deutlich machen wie am Beispiel des Wunsches, ein Kind nicht zu haben. Beide Wünsche stellen der modernen Bioethik schwer lösbare Probleme. Nun gibt es gewiß auch Wünsche und Interessen, die unauflöslich mit der conditio humana verbunden sind und sich deswegen durch ihre Konstanz auszeichnen. Zu einem großen, ja zum überwiegenden Teil handelt es sich jedoch um kontingente Phänomene, im Extremfall oft sogar um bloße Launen. Die Beförderung und Optimierung des Wohlergehens, nach dem jeder Mensch strebt, taugt zwar zum Inhalt eines sittlichen Gebotes, aber es ist deswegen weder Prinzip noch Endzweck der Moralität. Zudem muß man in Rechnung stellen, daß alle Menschen in bezug auf das, was ihr Wohlergehen ausmacht, stets dem Risiko des Irrtums unterworfen sind. Schon diese Irrtumsträchtigkeit der einschlägigen Vorstellungen spricht gegen die Berechtigung, moralische Pflichten und Gebote, aber auch Rechte unmittelbar auf faktisch virulente Wünsche und Interessen zu gründen. Eigene Wünsche und Interessen legitimieren niemanden, in die Rechte anderer einzugreifen, auch dann nicht, wenn der andere von seinen Rechten keinen Gebrauch machen will. Der Versuch, die Menschenwürde mit Tatsachen des Bewußtseins zu verknüpfen, ist auch deswegen bedenklich, weil es sich bei ihnen, durchaus nicht nur im Fall von Wünschen und Interessen, oft um wandelbare Erscheinungen handelt, deren das Subjekt leicht auch wieder verlustig geht. So stellt sich die Frage, ob sich die Anbindung dieser Würde an inkonstante Phänomene korrekt begründen läßt, wenn sie doch ein unverlierbares und unentziehbares Merkmal dessen sein soll, dem sie zukommt. Muß man am Ende also doch akzeptieren, daß ein solches Wesen seine Würde verliert, wenn jene Bewußtseinsphänomene nicht mehr präsent sind? Zu einer solchen Konsequenz ist man dann nicht gezwungen, wenn man diese Phänomene nicht als essentielle Elemente der Würde, nicht als Sachgründe, sondern als kontingente Indikatoren oder als hinreichende, aber nicht notwendige Erkenntnisbedingungen ansieht, unter denen sie einem Menschen zuzuerkennen ist. Die Verwendung der formalen Implikation für die Darstellung des Zusammenhangs zwischen der Menschenwürde und diesen Bedingungen begünstigt freilich eine Deutung, die jenen Bewußtseinsphänomenen die Rolle von lediglich hinreichenden, nicht aber notwendigen Bedingungen zuweist. Man sollte indessen nicht übersehen, daß hinter der Ankopplung der Würde an bestimmte Bewußtseinstatsachen manchmal auch die Absicht steht, den Schutz der in ihr gründenden Rechte denen zu entziehen, die diesen Bedingungen nicht genügen. Sie mutieren dabei unversehens zu notwendigen Bedingungen. Einer derartigen Konsequenz entgeht man dann, wenn man jene Voraussetzungen auch dann als erfüllt ansieht, wenn sie nur im Modus der Potentialität gegeben sind. Doch eine solche Lösung überzeugt niemanden, für den jeder Rekurs auf eine Potentialität fragwürdig bleibt.

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Angesichts der hier skizzierten Schwierigkeiten empfiehlt es sich, will man an der Orientierung am Basissatz trotz allem festhalten, schon auf seiner Ebene strengere Bedingungen anzusetzen, denen ein Begriff genügen muß, wenn er in diesem Satz, der die Zuschreibung der Menschenwürde an ein Wesen zu legitimieren bestimmt ist, für die Variable soll eingesetzt werden können. Es sollen auf jeden Fall Bedingungen sein, die mit der Unverlierbarkeit dieser Würde nicht konfligieren. Ebenso wichtig ist es, daß auch diese Bedingungen selbst normativen Charakter aufweisen, wenn man sich nicht spätestens bei dem Versuch, den Basissatz zu begründen, in einen Sein-Sollen-Fehlschluß verstricken will, der auf der Grundlage dessen, was ist, eine Legitimation für das zu liefern vorgibt, was sein soll. Jeder Versuch, normative Prädikationen allein aus faktischen Bestimmungen abzuleiten, führt notwendigerweise zu einem solchen Fehlschluß, weil jede korrekte Begründung eines normativen Satzes mindestens eine normative Prämisse verlangt.13 Wer für die Verknüpfung eines deskriptiven und eines normativen Begriffs nach einer logisch stringenten normativen Rechtfertigung sucht, läuft daher Gefahr, sich in einen unendlichen Regreß zu verstricken. Nun läßt sich zwar schon jede Anwendung einer Norm auf einen empirischen Sachverhalt als Verknüpfung eines deskriptiven und eines normativen Begriffs darstellen. Doch hinter jeder derartigen Anwendung steht letztlich stets ein Akt der auf Begründungen nicht angewiesenen Urteilskraft.14 Zu ihren Domänen gehört die Regulierung von konkreten, faktischen Einzelfällen auf der Grundlage von Gemeingültigkeit beanspruchenden Normen gerade deswegen, weil der Hiatus zwischen Normativem und Deskriptivem lückenlose logische Ableitungen nicht zuläßt. Empirische Beobachtung kann von sich aus niemals darüber befinden, ob einem Subjekt ein bestimmtes Prädikat vom normativen Typus zukommt oder nicht. Das gilt für die durch die äußeren Sinne vermittelte Erfahrung in gleicher Weise wie für die psychische Introspektion. Will man von der Unterscheidung zwischen Beobachtungsbegriffen und theoretischen Begriffen Gebrauch ma13 Eine präzise und randscharfe Unterscheidung deskriptiver und normativer Begriffe ist unentbehrlich, wenn die logische Struktur von Argumenten zu analysieren ist, die letztlich dazu bestimmt sind, Handlungen zu legitimieren. Deswegen darf man aber nicht außer Acht lassen, daß viele Begriffe, die hinter den Ausdrücken der Umgangssprache, aber auch vieler nichtformalisierter Fachsprachen stehen, hybrider Natur sind, da sie sowohl deskriptive als auch normative Komponenten enthalten. Manch einem vermeintlichen Sein-Sollen-Fehlschluß liegen derartige Begriffe zugrunde. Auch die Verständigung des Menschen mit seinesgleichen wird unter den Bedingungen der alltäglichen Lebenswelt durch sie oft erst ermöglicht. Nicht zu übersehen ist, daß schon das platonische Ideenkonzept ebenso wie die aristotelische Ontologie von solchen hybriden Begriffen Gebrauch macht. Ihre Denkmuster lassen sich noch in der gegenwärtigen Philosophie, speziell in der Ethik nachweisen. Vor allem das Konzept einer der Natur bereits innewohnenden Normativität ist zu seiner Darstellung auf derartige Begriffe angewiesen. 14 Vgl. dazu Wieland 1974, 17ff.; Wieland 2001, Kapitel III.

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chen, wie sie in der Wissenschaftstheorie präzisiert worden ist, kann kein Zweifel daran bestehen, daß alle normativen Begriffe den theoretischen Begriffen zuzuschlagen sind, falls man ihnen nicht überhaupt eine eigene Begriffsklasse zugestehen will. Im Zusammenhang mit den hier vorgetragenen Überlegungen wird dies auch für die Deutung des Basissatzes bedeutsam. Wenn dieser Satz die Menschenwürde ausdrücklich mit dem aktualen Vorliegen einer Eigenschaft verknüpft, so fällt es schwer, den Modus dieser Aktualität anders als im Sinne einer gegenwärtigen Beobachtbarkeit zu deuten, wenn man sie operationalisieren und zugleich Sätze verifizieren will, die sich auf sie beziehen. Normative und potentielle Bestimmungen sind jedoch beide keine möglichen Gegenstände unmittelbarer Beobachtungen. Auch von hier aus werden die Schwierigkeiten verständlich, die mit dem Versuch verbunden sind, aus einem Aktualitätssatz über eine Ausweitung einen normativ bestimmten Potentialitätssatz zu gewinnen. Denn das modale Begriffspaar aktual-potentiell ist, wie auch sein historischer Ursprung in der aristotelischen Ontologie deutlich macht, von Hause aus dem Bereich des Erkennens zugeordnet. Es läßt sich nicht ohne eingreifende Modifikationen für die begriffliche Bewältigung der Welt des Praktischen und des Normativen fruchtbar machen. Soll begründet werden, warum dem Menschen eine für ihn spezifische Würde zukommt, so taugt dazu, will man einen Sein-Sollen-Fehlschluß vermeiden, nur ein Merkmal, das weder durch einen Beobachtungsbegriff noch überhaupt durch einen deskriptiven Begriff, sondern, wie die Menschenwürde selbst, nur durch einen normativen Begriff bestimmt werden kann. Diese Würde läßt sich daher nicht auf empirisch erhebbare Fakten gründen, weder auf das Lebensinteresse des Menschen noch auf seine Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit, weder auf seine Vernunft oder seine Intelligenz noch auf seine Fähigkeit, Wünsche zu entwickeln, auch nicht auf sein Selbstbewußtsein, sondern letztlich allein darauf, daß er ein Wesen ist, das nicht in seiner von der Natur gegebenen physischen, psychischen und mentalen Ausstattung aufgeht, sondern sich darüber hinaus vor allem durch seine Moralfähigkeit auszeichnet15. Damit ist gerade nicht gemeint, daß er Verhaltensregeln befolgen kann, die für ihn Mittel sind, um vorgegebene und als solche nicht normierte Ziele zu verwirklichen. Solche Regeln greifen nur, sofern man sich bereits für diese Ziele entschieden hat. An solche Vorbedingungen gebundene Regeln und Normen gelten somit nur hypothetisch; sie haben technischen, aber keinen moralischen Charakter. Gesetze der Moralität erheben dagegen Anspruch auf eine von Voraussetzungen, Bedingungen und Konventionen nicht abhängige Verbindlichkeit. Nun schließen alle unverkürzten Antworten auf die alte Frage, was der Mensch sei, unmittelbar oder mittelbar seine Moralfähigkeit ein. Sein Wesen ist nicht nur durch das bestimmt, was er in der Welt der Natur und in der sozialen Welt ist, sondern weit 15 Eine Bindung nur an Phänomene des Selbstbewußtseins und seiner Derivate allein reicht auch deswegen nicht aus, weil ein seiner selbst bewußtes, aber nicht moralfähiges Wesen durchaus widerspruchsfrei gedacht werden kann.

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mehr noch durch das, was er sein soll und was von ihm gefordert wird. Sein Status als eines von der Moralität in Pflicht genommenen Wesens wird nicht dadurch berührt, ob er ihren Imperativen Folge leistet oder nicht, ob er sich die ihn verpflichtenden Forderungen deutlich bewußt macht oder ob er sie verdrängt. Relevant ist nur, daß er als ein essentiell durch seine Moralfähigkeit bestimmtes Wesen daraufhin angelegt ist, diese Forderungen wahrnehmen und sein Handeln und Verhalten durch sie motivieren zu können, auch wenn er von dieser Fähigkeit nicht in jedem Augenblick seiner physischen Existenz Gebrauch macht, ja noch nicht einmal immer Gebrauch machen kann. Seine Würde beruht jedenfalls nicht auf den Ansprüchen, die er selbst erhebt, sondern auf Forderungen, deren Adressat er ist; nicht auf dem, was er will, sondern auf dem, was er soll.16 Das gilt auch dann, wenn er sich im Einzelfall darüber irrt, was dieses Sollen von ihm verlangt. Auf jeden Fall rechtfertigt das unbedingte Sollen, unter dem er steht, seinen Anspruch gegenüber jedermann, ihn als moralfähiges Wesen anzuerkennen. Aber obwohl dieses Sollen, was seine Legitimation anbetrifft, gerade nicht in der Welt der Fakten gründet, ist es gleichwohl dazu bestimmt, auf eben diese Welt angewendet zu werden und das Verhalten des Menschen in ihr nicht nur zu normieren, sondern überdies auch zu motivieren. Doch aus dieser Anwendungsbedürftigkeit läßt sich nicht ableiten, daß der Grund der Verbindlichkeit dieses Sollens in der Welt zu suchen wäre, auf die es sich bezieht. Wenn sich die Bestimmung des Menschen als eines moralfähigen Wesens aus prinzipiellen Gründen ebensowenig wie irgendeine andere normative Bestimmung als eine durch Beobachtung feststellbare, aktual vorliegende faktische Eigenschaft verstehen und auf den Begriff bringen läßt, liegt der Versuch nahe, die Moralfähigkeit ihrer kategorialen Struktur nach zu den Dispositionen zu rechnen. Um dieser Einstufung gerecht zu werden, braucht man hier durchaus nicht die verzweigten Untersuchungen in ihren Einzelheiten zu rekapitulieren, die von den Wissenschaftstheoretikern seit Carnap der formalen Analyse der Dispositionsbegriffe gewidmet worden sind.17 Dort richtet sich das Interesse ohnehin nicht so sehr auf den Status und die Funktion, die diesen Begriffen in den praktischen und den normativen Disziplinen zukommt. Für den gegenwärtigen Zusammenhang ist immerhin ein Ergebnis von Bedeutung: daß nämlich alle Dispositionsbegriffe ihrem Status nach theoretische Begriffe sind, die sich auf Inhalte richten, die niemals unmittelbar Gegenstand von Beobachtungen werden können. Obwohl sie sich auf der Basis von Beobachtungen allein nicht definieren lassen, können sie Voraussetzungen liefern, unter denen sich beobachtbare Sachverhalte erklären lassen. Solche Dispositionen lassen sich daher auch als Potentialitäten ansehen, die ihren Inhaber in den Stand setzen, etwas zu bewirken oder zu erleiden, die aber in keiner konkreten Aktualisierung aufgehen. 16 Über die Art des Zusammenhangs zwischen Moralität und Würde vgl. den locus classicus bei Kant 1994, 434 f. 17 Grundinformation bei Stegmüller 1970, 213 ff.

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Exemplarisch gilt dies für normativ bestimmte Dispositionen. Zu ihnen führt der Weg nicht, wie bei Potentialitäten anderer Art, über die abschwächende Extension einer aktualen Bestimmung oder über eine bloße Analogiebildung, da sie im Verhältnis zu dem, was sie ermöglichen, stets den Vorrang behaupten. Als eine dispositionelle Potentialität ist die Moralfähigkeit des Menschen nicht von der Art einer aktuellen Eigenschaft, die sich gleichsam im Wartestand befindet. Überdies ist sie für den Menschen keine akzidentelle Bestimmung, sondern ein essentielles Wesensmerkmal, das ihm eigen ist, solange er existiert, und zwar auch dann, wenn er, aus welchen Gründen auch immer, daran gehindert ist, den Anspruch der Moral wahrzunehmen und ihm sein Handeln zu unterstellen. Wie alle für den Menschen essentiellen normativen Bestimmungen ist auch die Moralfähigkeit nicht graduierbar. Es bleibt die Frage, ob dem Menschen die als dispositioneile Potentialität verstandene Moralfähigkeit als Grund der ihm eigenen Würde mitsamt dem von ihr geforderten Lebensschutz in sämtlichen Phasen seiner individuellen physischen Existenz, also auch schon im embryonalen Zustand eigen ist. Bei der Beantwortung muß beachtet werden, daß sich die Moralfähigkeit im Gegensatz zu anderen, nichtdispositionellen Potentialitäten nicht als Derivat einer allein am Erwachsenen orientierten Aktualität definieren läßt, der sich im Vollbesitz aller seiner Fähigkeiten und Kräfte befindet. Ohnehin würde es zu einer Verkürzung führen, wollte man den Menschen nur unter dem Blickwinkel seines Erwachsenseins betrachten und diese Lebensphase zum Maß aller menschlichen Dinge nehmen. Auch dem Kind kommt die Moralfähigkeit und mit ihr die Menschenwürde nicht erst im Blick auf den Erwachsenen, zu dem es sich entwickeln soll, sondern auf unmittelbare Weise zu. Wollte man die Anerkennung dieser Disposition davon abhängig sein lassen, daß der Mensch bereits ein bestimmtes Stadium seiner persönlichen Entwicklung erreicht hat, müßte man in ihr einen Wendepunkt markieren können, vor dessen Erreichen ihm die Menschenwürde entweder noch gar nicht oder, dem Prinzip des Mehr oder Weniger folgend, nur in einem defizienten Modus zuerkannt zu werden brauchte. Mit einem solchen Ansatz würde man sich schon deswegen Schwierigkeiten einhandeln, weil man über normative Bestimmungen nicht wie über deskriptiv erhebbare Eigenschaften aufgrund von Beobachtungen befinden kann. Vor allem aber ist es die Unverfügbarkeit dieser Würde, die einer derartigen Markierung entgegensteht. Sie läßt es nicht zu, daß die Anerkennung der Würde eines Menschen, in welchem Stadium seiner physischen Entwicklung er sich auch befindet, nur von arbiträren Entscheidungen abhängt, die von seinesgleichen getroffen werden. Das gilt auch für die Fälle, in denen versucht wird, den Charakter solcher Entscheidungen mit Hilfe einer heute beliebten und verbreiteten Methode dadurch zu verschleiern, daß man die Kompetenz zur Einführung konventioneller Definitionen in Anspruch nimmt. Ihre Unantastbarkeit würde man auch dann unterlaufen, wenn man sie nur für den Inhalt ihres Begriffs reserviert, die Frage nach den Regeln seiner Anwendung dagegen auf sich beruhen läßt. Die Menschenwürde wäre gleich den in ihr gründenden Men-

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schenrechten entwertet, wenn es Sache nicht von Einsichten, sondern ausschließlich von Entscheidungen wäre, wer beanspruchen darf, als Subjekt der Würde und der in ihr gründenden Rechte anerkannt zu werden. Entsprechendes gilt für die Antwort auf die Frage, von welchem Zeitpunkt ab einem Menschen die ihm eigene Würde zuzuerkennen ist. Macht man mit dem Prinzip ihrer Unverfügbarkeit Ernst, bleibt nur die Konsequenz, sie dem Menschen auf Grund der für ihn essentiellen Moralfähigkeit vom Anfang seines natürlichen, auch die embryonale Phase einschließenden individuellen Lebens an nicht als eine momentane, sondern als eine persistierende Disposition zuzuerkennen. Dies ist gleichwohl keine willkürliche Entscheidung, sondern nur eine Konsequenz aus der Einsicht in die Notwendigkeit, in diesen Fragen auf derartige Entscheidungen ein für allemal zu verzichten und nach einer Lösung zu suchen, die sich durch eine größtmögliche Entscheidungsferne auszeichnet und zugleich dem schon eingangs bei der Erörterung der Beweislastfrage ins Spiel gebrachten tutioristischen Grundsatz gerecht wird.18 Es wäre nicht der Mühe wert, die Ideen der Menschenwürde und der Menschenrechte zu erörtern, wenn darüber, wer ihrer teilhaftig ist, aufgrund von konventionellen Definitionen entschieden werden könnte.

3. Der Zusammenhang des Potentialitätsargumentes mit den übrigen SKIPArgumenten Es könnte so aussehen, als sollte mit der hier vorgeschlagenen Lösung die dem Menschen eigene Würde auf ein naturgegebenes Substrat, nämlich auf seine Natürlichkeit gegründet werden, um die Erörterung in eine Option für das von vielen als obsolet angesehene Speziesargument einmünden zu lassen.19 Doch die 18 Nicht triftig wäre ein Argument, das die Berechtigung, einen späteren Beginn der Moralfähigkeit des Menschen anzusetzen, auf die Notwendigkeit einer moralischen Erziehung gründen will, die es dem Individuum allererst erlaubt, sich dieser Disposition bewußt zu werden. Der Erzieher könnte sein Ziel nicht erreichen, würde er die Moralfähigkeit nicht schon von Anfang an antizipatorisch unterstellen. Wer sich auf das Geschäft einer solchen Erziehung einläßt, hat bereits durch die Tat anerkannt, daß der Mensch auch dann schon moralfähig ist, wenn er sich dieser Potentialität noch nicht deutlich bewußt ist. - Eine analoge Situation liegt in bezug auf die Sprachfähigkeit vor, einer für den Menschen ebenfalls essentiellen Disposition. Niemals wird diese Fähigkeit von Natur aus aktualisiert; denn der Mensch lernt immer nur sprechen, wenn man zu ihm und mit ihm spricht und ihn dabei als ein sprachfähiges, antizipatorisch als ein bereits sprachmächtiges Wesen anerkennt. Jedes sprachfähige und moralfähige Wesen hat Anspruch darauf, daß seine Fähigkeiten entwickelt und bewußt gemacht werden, auch wenn es diesen Anspruch selbst noch nicht durchsetzen kann. 19 Man pflegt seit einiger Zeit mit Hilfe einer suggestiven Wortprägung, nicht ohne diskriminierende Konnotationen, von einem „Speziesismus" zu sprechen. Ohne Zweifel läßt sich auf die bloße Zugehörigkeit zu einer biologischen Spezies allein noch

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Würde soll in Wirklichkeit hier nicht durch die Faktizität einer natürlichen Spezies legitimiert, sondern mit der Moralfähigkeit des Menschen als einer dispositionellen Potentialität auf eine Bestimmung vom normativen Typus gegründet werden. Allenfalls das Bewußtsein der Moralität läßt sich auch in den Gegebenheiten einer natürlichen Spezies verankern, auf keinen Fall jedoch das intentionale Korrelat dieses Bewußtseins, die Moralität selbst. Selbstredend verlangt jede normative Bestimmung ein Substrat, auf das sie sich anwenden läßt, in letzter Instanz stets auf einen noch nicht vornormierten, faktischen Sachverhalt. Aber an dieses Substrat vererbt sie eben niemals die ihr eigene Fähigkeit, Prämissen normativer Begründungen zu liefern, beispielsweise die Fähigkeit, die Zuschreibung der Menschenwürde an ein Wesen mitsamt den in ihr gründenden Rechten zu legitimieren.20 Allein deswegen, weil die Moralfähigkeit des Menschen als eine ihrem Status nach normative Bestimmung auch beim Erwachsenen niemals zu einem Gegenstand möglicher Beobachtungen wird, bedarf man eines Indikators, der selbst freilich keine Begründungsfunktionen übernehmen und schon gar nicht als essentielles Element der Moralität oder der Menschenwürde gelten kann. Die Zugehörigkeit zu einer Spezies ist immerhin geeignet, die Funktion eines solchen Indikators zu übernehmen. Insoweit wird sie nur als die naturale Basis der Menschenwürde in Anspruch genommen, die selbst aber nicht als naturale Bestimmung gedeutet werden darf. Diese Funktion zu übernehmen ist die menschliche Spezies, zu der ohne jeden Zweifel auch der Embryo gehört, deswegen prädestiniert, weil es jedenfalls Angehörige dieser Spezies sind, denen die Disposition der Moralfähigkeit eigen ist, gleichgültig, ob sie die durch sie eröffneten Optionen ausüben oder nicht.21 Daß auch der menschliche Embryo zu dieser Spezies gehört, ist Resultat nicht einer Entscheidung, sondern Inhalt einer begründungsfähigen Einsicht. Bei der Verknüpfung der Moralfähigkeit und der Würde des Menschen mit seiner Spezies ist es allein deren indikatorischer Charakter, der einen den Fehler vermeiden läßt, eine normative Bestimmung durch den Rekurs auf ein bloßes Faktum zu legitimieren. Damit wird der größtmögliche Abstand zu einer Lösung eingehalten, bei der die Zuschreibung der nicht die Gültigkeit einer Norm gründen. Trotzdem macht man sich einer verfehlten Analogie schuldig, wenn man wie Peter Singer eine Identität dieses Fehlers mit „den illegitimen Diskriminierungen in rassistischen oder sexistischen Behauptungen" diagnostizieren will (Merkel 2001, 469). 20 Darauf ist besonders deswegen zu achten, weil der Vorwurf des Sein-Sollen-Fehlschlusses nicht selten irrtümlicherweise gegen Sätze erhoben wird, die in Wirklichkeit nur die Applikation von Normen auf faktische Sachverhalte explizieren. Freilich führt mangelnde Sorgfalt bei der sprachlichen Formulierung einer Argumentation gelegentlich dazu, daß der Unterschied zwischen der Legitimation und der Anwendung einer Norm verwischt wird. 21 Im vorliegenden Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob Anlaß besteht und Gründe vorliegen, auch die Zugehörigkeit zu bestimmten anderen Spezies für entsprechende indikatorische Funktionen in Anspruch zu nehmen.

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Menschenwürde als die Sache einer arbiträren Entscheidung betrachtet wird. Auf diesen Abstand bedacht zu sein, ist deswegen unabdingbar, weil zur Gemeinschaft moralfähiger, zu gegenseitiger Anerkennung verpflichteter Subjekte ein jeder von Beginn an stets kraft eigenen Rechts, nicht aber auf der Grundlage einer Kooptation, einer arbiträren Zuweisung oder einer Verleihung gehört. Nur deswegen ist jedermann schon um seiner eigenen Menschenwürde willen verpflichtet, die Würde anderer ohne Einschränkung und ohne Vorbedingungen anzuerkennen. Auf der anderen Seite ist niemand für die Achtung und die Anerkennung seiner eigenen Würde seinesgleichen zu Dank verpflichtet. Wer ihre Zuerkennung zur Sache einer Kooptationsentscheidung macht, meldet damit in Wirklichkeit und der Sache nach nur den Anspruch auf das Recht des Stärkeren an. Wie ist das aufgrund der vorgetragenen, hier zusammenzufassenden Überlegungen modifizierte Potentialitätsargument zu bewerten? Es hat sich bestätigt, daß das eigentliche Problem nicht in der leicht nachzuweisenden formalen Folgerichtigkeit eines Schlusses besteht, der davon ausgeht, daß die Aktualität, an die der Basissatz anknüpft, auf eine Potentialität hin ausgeweitet wird, und der dem Embryo daraufhin die Menschenwürde unter der Bedingung zuspricht, daß er an dieser Potentialität teilhat. Als fragwürdig haben sich vielmehr einige Voraussetzungen dieses Schlusses erwiesen. Das gilt zunächst für die Berechtigung, jene Extension vorzunehmen und auf diese Weise ohne weitere Begründung die erste Prämisse jenes Schlusses zu gewinnen. Es gilt aber auch im Hinblick darauf, daß der Basissatz selbst in mehrfacher Hinsicht unterbestimmt bleibt; er läßt offen, ob deskriptive oder normative, akzidentelle oder essentielle, momentane oder persistierende Bestimmungen als mögliche Prädikatoren für die Variable eingesetzt werden können. Es gilt vor allem in bezug auf die Vielfalt der Potentialitätsbegriffe, die zur Auswahl stehen. Der hier zur Diskussion gestellte Lösungsvorschlag zielt auf ein Argument, das bei einem Potentialitätstyp ansetzt, zu dem man gerade nicht auf dem Wege über die Extension einer Aktualität gelangt, zumal da normative und als solche nicht unmittelbar beobachtbare Bestimmungen ohnehin keiner Aktualität im gewöhnlichen Sinn fähig sind. Dieses Argument will die Menschenwürde und die auf ihr beruhenden Rechte vielmehr originär und unmittelbar an eine normative Potentialität vom dispositioneilen Typus, nämlich an die für den Menschen essentielle Moralfähigkeit, binden.22 Die Unverfügbarkeit dieser Würde läßt es nicht zu, dem Menschen die Moralfähigkeit, in der sie gründet, auf Grund einer arbiträren Entscheidung erst von irgendeinem Stadium seiner individuellen physischen Entwicklung ab zuzusprechen. Deswegen wird sie, als eine normative Bestimmung, 22 Auch wenn alle Versuche fehlschlagen, die darauf gerichtet sind, die Menschenwürde mittels eines Sein-Sollen-Fehlschlusses nur auf biologisch erhebbare Fakten zu gründen, so gibt dies dennoch niemandem das Recht, auch nicht auf dem Weg über eine willkürliche Zuweisung der Beweislast, einem Wesen wie dem Embryo allein auf Grund eines faktischen biologischen Befundes diese Würde abzusprechen.

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durch die faktische Spezieszugehörigkeit, wie sie schon dem Embryo unbestritten zukommt, zwar nicht begründet, wohl aber wird diese naturgegebene Zugehörigkeit als Indikator in Anspruch genommen, der sich durch seine Entscheidungsferne auszeichnet. Er begründet nicht, sondern zeigt nur an, daß jedenfalls einem zu dieser Spezies gehörigen Individuum, zumal unter tutioristischen Gesichtspunkten, die Moralfähigkeit nicht abgesprochen werden darf, gleichgültig, wann es die durch sie eröffneten Optionen erstmals realisiert, ob es sie überhaupt realisiert.23 Es gehört zu der Eigenart von dispositionellen wie von optionalen Potentialitäten, von Fähigkeiten wie von Fertigkeiten, daß sie sich gerade nicht als defiziente Abschwächungen der Aktualitäten verstehen lassen, die durch sie allererst ermöglicht werden. Gerade umgekehrt beziehen sie sich auf die ihnen zugeordneten Aktualitäten als Instanzen, an denen sie sich immer nur bewähren, ohne jedoch in ihnen aufzugehen. Ihnen gegenüber behalten die originären, nicht abgeleiteten Potentialitäten stets den Vorrang. Die Frage nach der Beziehung des Potentialitätsarguments in der hier vorgetragenen Spielart zu den anderen drei den moralischen Status des Embryos betreffenden Argumenten ist also leicht zu beantworten. Vom Speziesargument macht es Gebrauch, wenngleich in einer Modifikation, in der die Zugehörigkeit zu einer Spezies keine begründende, sondern nur eine indikatorische Funktion hat. Aber weder die Annahme der Kontinuität der Entwicklung des Wesens, dessen Menschenwürde zur Debatte steht, noch die Annahme von dessen Identität über die Zeit hinweg fordert die Gültigkeit eines Potentialitätsarguments; ebensowenig wird von dessen Gültigkeit eine jener Annahmen gefordert. Hingegen ist das Potentialitätsargument mit ihnen verträglich, da sich aus seinen Prämissen und den Prämissen des Kontinuitäts- oder des Identitätsarguments kein Widerspruch ableiten läßt.

Literatur Aristoteles (1975): Erste Analytiken, hrsg. v. Rolfes, E., Hamburg. Aristoteles (1991): Metaphysik, hrsg. v. Seidl, H., Hamburg. Aristoteles (1995): De anima, hrsg. v. Theiler, W., bearb. v. Seidl, H., Hamburg. Aristoteles (1995): De interpretatione, hrsg. v. Rolfes, E., Hamburg. Buckle, Stephen (1990): „Arguing from potential", in: Singer, P. et al. (Hrsg.): Embryo Experimentation, Cambridge, 90-108. Heidegger, Martin (1977): Sein und Zeit, hrsg. v. von Herrmann, E-W., Frankfurt a. M. (EA 1926). 23 Ein Wesen kann einer natürlichen Spezies stets mit hinreichender Sicherheit zugeordnet werden. Dagegen ist eine vergleichbare Sicherheit niemals zu erreichen, wo festgestellt werden soll, ob ein Wesen den für seine Anerkennung als Person den von den Vertretern des Konzepts der Personenrechte verbindlich gemachten Kriterien genügt.

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Wolfgang Wieland

Kant, Immanuel (1994): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hrsg. v. Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin (EA 1785). Kapp, Ernst (1965): Der Ursprung der Logik bei den Griechen, Göttingen (EA 1942). Leist, Anton (1990): Eine Frage des Lebens. Eine Ethik der Abtreibung und künstlichen Befruchtung, Frankfurt a. M. Locke, John (1975): An Essay concerning human understanding, hrsg. v. Nidditch, P. H., Oxford (EA 1689). Merkel, Reinhard (2001): Früheuthanasie, Baden-Baden. Parfit, Derek (1984): Reasons and Persons, Oxford. Seel, Gerhard (1982): Die Aristotelische Modaltheorie, Berlin. Singer, Peter/Dawson, Karen (1990): „IVF Technology and the Argument from Potential", in: Singer, P. et al. (Hrsg.): Embryo Experimentation, Cambridge, 76-89. Stegmüller, Wolfgang (1970): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. II: Theorie und Erfahrung, Berlin/Heidelberg/New York. Stone, Jim (1987): „Why Potentiality Matters", in: Canadian Journal of Philosophy, 17, 815-830. Warnock, Mary (1985): A Question of Life. The Warnock Report on Human Fertilization and Embryology, Oxford. Wieland, Wolfgang (1974): „Praxis und Urteilskraft", in: Zeitschrift für philosophische Forschung, 2%, 17 ff. Wieland, Wolfgang (2001): Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen.

Bettina Schöne-Seifert

Contra Potentialitätsargument: Probleme einer traditionellen Begründung für embryonalen Lebensschutz Haben Embryonen deswegen einen moralischen Anspruch auf Lebensschutz, weil sie das Potential haben, sich zu einem Kind zu entwickeln? Im folgenden wird dieses Potentialitätsargument (genauer: Potentialitätsprz'nzip) in verschiedenen Lesarten auf seine Plausibilität hin untersucht und als wenig überzeugend abgelehnt. Die gegenteilige Auffassung könnte zum Teil, so eine weitere These dieser Abhandlung, aus einer irrtümlichen Ausweitung derjenigen normativen Bedeutung resultieren, die dem embryonalen Potential unbestreitbar zukommt.

Zur Bedeutung des Argumentes In den Debatten um den moralischen Status menschlicher Embryonen spielt das vor knapp 30 Jahren so benannte Potentialitätsargument (Tooley 1974) eine tragende Rolle. Viele, die menschlichen Embryonen einen moralischen Anspruch auf Lebensschutz zusprechen, sehen dafür in dessen „Potential" eine, wenn nicht die entscheidende Begründungsbasis. Aber viele Kritiker weisen das Argument als ganz unplausibel zurück. Ob es nun einleuchtet oder nicht: Diese Frage ist - nach den Abtreibungsdebatten der 1970er bis 90er - erneut auf dem öffentlichen Tapet, seit die Ethik der Embryonenforschung (zum Zweck der Stammzellgewinnung) debattiert wird. In den entsprechenden Podiumsdiskussionen, Streitschriften oder Stellungnahmen wird hier, für und wider, oft nur apodiktisch-rhetorisch debattiert. Doch verdient ein derart kontrovers beurteiltes Argument natürlich eine tiefergehende Untersuchung, die nicht zuletzt die Wurzel dieser unterschiedlichen Beurteilungen sollte erklären können. Zu einer derartigen Untersuchung möchte ich im folgenden beitragen - um im Ergebnis das Potentialitätsargument als nicht plausibel zu beurteilen. Auf dem Weg zu diesem Ergebnis werde ich das Argument in verschiedenen Lesarten betrachten und kritisieren. Dabei kann ich auf bereits geleistete Arbeiten zurückgreifen: So sind im anglo-amerikanischen Schrifttum schon in den 1980er und 1990er Jahren mehrere kritische Untersuchungen des Potentialitätsargumentes erschienen (s. Literaturverzeichnis). Einschlägige Arbeiten im deutschsprachigen Schrifttum wurden insbesondere von Anton Leist (1990), Wolf gang Lenzen (1995) und Reinhard Merkel (2001) vorgelegt.

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1. Die Struktur des Argumentes Das Potentialitätsargument und das Potentialitätsprinzip Die Herausgeber dieses Bandes haben vorgegeben, das Potentialitätsargument (im folgenden auch kurz „P- Argument") - und analog zuvor auch die anderen „Standardargumente" - wie folgt zu formalisieren:1 Voraussetzungen: (A) Jedes Wesen, das aktual ist, hat WürdeM. (B) WürdeM umfaßt den Anspruch auf Lebensrecht. (C) Als Embryo gilt die Zygote ab vollständiger Kernverschmelzung. Der eigentliche Syllogismus lautet: (1) Jedes Wesen, das potentiell ist, hat WürdeM. (2) Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat

ist.

Überzeugend an dieser Darstellung ist die vorläufige inhaltliche Offenheit von , die es erlaubt, den Kern des Argumentes in der besonderen normativen Gewichtung eines Potentialitäts-Status zu sehen. Die typische angloamerikanische Debatte um das P- Argument hat von jeher als Person-Sein aufgefaßt.2 Gerade in der deutschen Diskussion aber ist der Personenbegriff in seiner Bedeutung wie in seiner ethischen Relevanz hochgradig umstritten3; und somit ist auch kontrovers, ob Embryonen nicht bereits aktuelle Personen sind, bzw. ob es bei der Begründung des moralischen Status auf Personalität überhaupt ankommt. Diese Fragen umgeht eine Darstellung des P- Argumentes, welche selbst nicht weiter zu bestimmen verlangt. Ein unkontroverser Kandidat für die Eigenschaft ist etwa „ein menschliches Kind zu sein". Nach dem Potentialitäts-Syllogismus wären Embryonen dann also zu schützen, weil sie potentielle menschliche Kinder sind. In dieser Formulierung kann das Argument zunächst auf größtmögliche Zustimmung rechnen. Im Rahmen einer ausgearbeiteten ethischen Theorie des Lebensschutzes allerdings setzt sich eine derartige Bestimmung von unweigerlich Nachfragen danach aus, was genau am Menschliches-Kind-Sein dessen Lebensschutz begründet. Und dann wäre eine weitergehende Analyse von , etwa in Begriffen von Bewußtseinsfähigkeit, Selbstbestimmung, Moralfähigkeit u. a. irgendwann doch wieder unvermeidbar. 1 2 3

Vgl. in diesem Band die Einleitung von Dänischen/Schönecker, 1-7. Beispielhaft: Kuhse/Singer 1990; Lockwood 1988; Tooley 1974. Vgl. Spaemann 1996 und Birnbacher 1997.

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Weniger glücklich an unserem Ausgangs-Syllogismus erscheinen mir hingegen zwei Aspekte: Erstens wird in Voraussetzung (B) festgelegt, daß das P-Argument auf die Begründung eines „Lebensrechts" abziele. Hier kann nur gemeint sein, daß dieses Recht dem eines menschlichen Kindes oder Erwachsenen gleichrangig sei. Neben einer Engführung des Argumentes auf die Begründung eines solchermaßen vollen moralischen Status, wie sie in den Debatten zugegebenermaßen vorherrscht, gibt es aber auch eine schwächere Variante des P-Argumentes. Ihr zufolge kann das potentielle menschlicher Embryonen für diese zwar keinen vollen, aber doch einen abgeschwächten Anspruch auf Lebensschutz begründen. Dieses „schwache P-Argument", das auch von vielen Kritikern der starken Fassung konzediert wird, sollte aber nicht aus dem Blickfeld fallen. Mein zweites Bedenken richtet sich generell dagegen, die Begründung eines embryonalen Lebensrechts über die Zuschreibung von Menschenwürde (bzw. „Würden")4 laufen zu lassen. Zwar steht die deutsche rechtsethische Debatte um den Embryonenschutz im Lichte des Verfassungsprinzips der Menschenwürde. Doch bestreiten inzwischen zahlreiche Verfassungsexperten, daß frühe Embryonen (nach Verfassung plus geltendem Recht) überhaupt Träger subjektiver Grundrechte sein können.5 In der ethischen Diskussion ist der Menschenwürdebegriff erst recht notorisch vage, und schließlich spielt er in der internationalen Debatte, schon aufgrund unterschiedlicher rechtsethisch-begrifflicher Traditionen, keine den embryonalen Status fundierende Rolle. Insofern hätte für mich alles dafür gesprochen, die Frage nach einem ethischen Lebensrecht für Embryonen direkt zu behandeln und das P-Argument entsprechend so zu formulieren, daß ein Wesen, das potentiell ist, eben deswegen (starken oder schwachen [s. o.]) Anspruch auf Lebensschutz habe. Da jedoch die Überzeugungskraft des P-Argumentes unabhängig davon analysiert werden kann, ob mit ihm Lebensschutz direkt oder aber über die Zuschreibung von Menschenwürde begründet wird, beharre ich nicht weiter auf diesem Punkt. Wichtig aber ist ein anderer Einwand gegen die vorgegebene formale Darstellung des P-Argumentes: Die Darstellung als Syllogismus erhellt in diesem Falle gar nichts, da weder die so zum Ausdruck gebrachte Struktur des Argumentes für irgend jemanden undurchsichtig gewesen oder strittig sein dürfte noch so eine Präzisierung oder genauere Lokalisierung bestehender Dissense über das P-Argument ermöglicht wird. Strittig ist in dieser Diskussion nämlich von jeher nur ein einziger Punkt: der Übergang von der unbestrittenen Voraussetzung (A) zur Prämisse (1) des eigentlichen Syllogismus, also von:

Zum Begriff von „WürdeM" vgl. in diesem Band den Beitrag von Dänischen/Schönecker, In dubiopro embryone, 190 ff. Einen Überblick über die gegenwärtige Verfassungsdiskussion leistet Reinhard Merkel 2002, der ebenfalls dezidiert gegen eine Grundrechtssubjektivität früher Embryonen argumentiert.

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(A) Jedes Wesen, das aktual ist, hat WürdeM. zu (1) Jedes Wesen, das potentiell ist, hat Würde M·6 Dies und nichts anderes ist das sogenannte Potentialitätsprmzzp, dessen Plausibilität so sehr unterschiedlich beurteilt wird. Zur Argumentation von Wolfgang Wieland Die komplexen Ausführungen, die Wolfgang Wieland in diesem Band zur Begründung eines kategorischen Lebensschutzprinzips für Embryonen vorgelegt hat, plädieren für einen bemerkenswerten Sonderfall des P-Argumentes, der sich der üblichen Kritik an diesem nicht aussetzt - wohl aber andere Schwierigkeiten einhandelt, auf die ich im folgenden allerdings nicht angemessen eingehen kann.7 Ein Sonder-, ja Grenzfall des P-Argumentes liegt hier deswegen vor, weil Wielands Argumentation darauf abzielt, Würdej^ mit dem Besitz einer ,dispositionellen Moralfähigkeit' zu begründen. Im Besitz dieser Eigenschaft nun seien sie alle: der sich erfolgreich um Moral bemühende Mensch, der hierin fehlende, der irrende, aber auch der schlafende Mensch, der komatöse und schließlich sogar die befruchtete menschliche Eizelle. Offenkundig werden hier sehr disparate Varianten von Disposition (etwa fehlerhafte Ausübung, Latenz, irreversibler Verlust und eben das Potential zur späteren Entwicklung) zur Moralfähigkeit begrifflich zusammengefaßt und normativ gleichgestellt. Der solchermaßen weit gefaßte Dispositionsbegriff läßt Aktualität und Potentialität mit Bezug auf das, was WürdeM fundiert, ununterscheidbar werden. Auch Embryonen sind ja bereits aktual im Besitz der so verstandenen Disposition. Potentialitätsprinzip und -Syllogismus müssen also gar nicht erst bemüht werden. So jedenfalls stellt sich die Sachlage formal dar. Inhaltlich wird das moralische Potential des menschlichen Embryos aber natürlich doch zur Begründungsbasis der ihm zugeschriebenen Ansprüche gemacht. Nur geschieht dies nicht in der üblichen Weise (in der obigen Formalisierung: von [A] auf [1] schließend), sondern indem bei keinem Menschen als Begründung des ihm zukommenden Anspruchs auf Lebensschutz mehr als die Disposition zur Moralfähigkeit gefordert wird. Wer - wie ich selbst - diese Argumentation am Ende nicht überzeugend findet, kann seine Kritik dementsprechend nicht auf das Potentialitätsprinzip begrenzen, sondern muß sich mit der Gesamttheorie auseinandersetzen, der zufolNach den voranstehenden Ausführung unterscheide ich dabei zwischen einem starkem und einem schwachen P-Argument. Das starke P-Argument besagt: Wenn gilt: „Jedes Wesen, das aktual ist, hat dadurch ein kategorisches moralisches Lebensrecht", dann gilt auch: „Jedes Wesen, das potentiell ist, hat dadurch ein kategorisches moralisches Lebensrecht". Das schwache P-Argument besagt dagegen: Wenn gilt: „Jedes Wesen, das aktual ist, hat dadurch ein kategorisches moralisches Lebensrecht", dann gilt auch: „Jedes Wesen, das potentiell ist, hat dadurch moralisch einen prima facie Anspruch auf Lebensschutz". Vgl. den Beitrag von Wolfgang Wieland (in diesem Band, 149-168).

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ge Moralitätsdispositionen das Lebensrecht ihrer Träger begründen - was mein Anliegen in diesem Aufsatz übersteigt. Wenngleich mir weder die kantianische axiologische Verengung auf Moralität (statt auf bewußtes Erleben) einleuchtet noch gar die extreme Ausweitung des Dispositionsbegriffes, werde ich mich im folgenden auf eine Untersuchung des Potentialitätsprinzips beschränken müssen. Stellenweise werden meine Überlegungen diejenigen von Wolf gang Wieland berühren, aber im ganzen kann ich ihnen hier nicht gerecht werden.

2. Verschiedene Lesarten von Potentialität: Welche überzeugt? Zur Argumentationsmethode Zu den Bedingungen gegenwärtiger moralphilosophischer Kontroversen gehören die weithin verlorene Hoffnung auf Letztbegründungen sowie generell das Fehlen einer unstrittigen Moralepistemologie. Zumindest viel Zustimmung hat die Theorie des „Überlegungsgleichgewichts" gefunden, wie sie John Rawls und nach ihm u. a. Norman Daniels ausgearbeitet haben. Begründete moralische Urteile, so plädieren diese Autoren in rekonstruktiver wie empfehlender Absicht, kämen im Hin-und-Herpendeln zwischen theoretischen Einsichten und zunächst intuitiven Einzelurteilen zustande, wobei auf beiden Ebenen solange korrigiert und präzisiert werde, bis beide miteinander im Gleichgewicht stehen. Auch wenn wichtige Fragen, die sich im Zusammenhang mit dieser Begründungsmethodik stellen - etwa nach den Kriterien und Details angemessenen Korrigierens -, bisher nicht hinreichend beantwortet sind, erscheint mir dieses auch „kohärentistisch" genannte Verfahren mehrversprechend als seine Alternativen. Für die Frage, ob das P-Argument, also ein höheres „Prinzip", einleuchtend zu begründen vermag, daß menschliche Embryonen einen moralischen Anspruch auf Lebensschutz haben, folgen daraus immerhin einige Beurteilungskriterien: 1. Das P-Argument sollte nicht ad hoc und ergebnisorientiert zur Beantwortung der Statusfrage aus dem Zylinder gezaubert werden, sondern eine gewisse unabhängige Plausibilität haben, die sich an seiner Akzeptabilität in anderen Bewertungskontexten oder durch eine einleuchtende theoretische Fundierung zeigen müßte. 2. Das P-Argument darf zu keinen absurden Bewertungen nötigen. Dazu muß es zunächst mit dem Exklusionsproblem fertig werden: Es sollte nicht dazu nötigen, Spermien und unbefruchtete Eizellen unter ein vergleichbares Lebensschutzgebot zu stellen wie Embryonen. Auch wenn einzelne Autoren8 diese Konsequenz akzeptieren, wird sie allgemein als so hochgradig absurd anVgl. z. B. Hare 1975, der allerdings gegenüber Keimzellen wie Embryonen nur einen schwachen Grad an Lebensschutz für geboten hält.

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gesehen, daß sie in meinen Augen zur Herstellung eines überzeugenden Überlegungsgleichgewichts nicht in Betracht kommt. Weiter müßten die aus dem P-Argument folgenden Statusurteile über Eizellen im Vorkernstadium einerseits und über therapeutisch geklonte Embryonen andererseits hinreichend vernünftig scheinen. Bei alledem ist selbstverständlich noch vorauszusetzen, daß Embryonen die Eigenschaft , den status ad quern, unstrittig im status potentials besitzen (das entspricht der 2. Prämisse der obigen syllogistischen Rekonstruktion des P-Argumentes) und daß den (starken oder schwachen) Lebensschutz seines Trägers rechtfertigt (entsprechend der Prämisse [A] des Syllogismus). Genau welches hierfür hinreichend ist, lasse ich in diesem Aufsatz offen. Für meine Überlegungen reicht es aus, dieses zunächst weitgehend unanalysiert als Kind-Sein zu verstehen. Die Frage ist nun, was genau es bedeuten soll, ein -Potential zu haben und deswegen wertvoll zu sein.9 Ich werde nacheinander verschiedene, zunehmend plausible mögliche Lesarten diskutieren und mit dem jeweils schwächstmöglichen Argument zu entkräften versuchen. -Potential als notwendige Bedingung für die Realisierung eines -Wesens? Bestünde die normative Besonderheit menschlicher Embryonen in nichts anderem als darin, eine der notwendigen Voraussetzungen für die Entstehung eines Kindes zu sein, unterschieden sie sich darin nicht von aufnahmebereiten Gebärmüttern, die - zumindest gegenwärtig noch - eine andere notwendige Bedingung dafür sind, daß ein Kind sich überhaupt entwickeln kann. Schon diese absurde Konsequenz diskreditiert das so ausgelegte -Verständnis. Darüber hinaus setzt eine solche auch „konsequentialistisch" (Buckle 1988,101 f.) genannte Lesart, nach der jeder Embryo gewissermaßen als Mittel zum Zweck der Heranreifung eines weiteren Kindes geschätzt und geschützt würde, voraus, daß eben dieser Zweck auch realisiert werden soll und die Mittel vergleichsweise knapp sind. Für den Bildhauer, der Marmorstatuen herstellen möchte und nicht über Marmor im Überfluß verfügt, ist der unbehauene Stein als Mittel, funktional-quantitativ, wertvoll. In Zeiten der gewünschten Geburtenkontrolle und gefürchteten Übervölkerung sind jene Annahmen jedoch für Embryonen ganz abwegig.10 Vor allem aber ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß der Status, 9

Damit wird Potentialität bewußt von vornherein „im Kontext der Frage nach dem moralischen Status" behandelt, eine Strategie, in der Quante (2002,87ff.) eine problematische Vermischung ontologischer mit moralischen Fragen sieht. Doch solange die möglichen differenzierten deskriptiven Konzepte von Potemialität dabei nicht schon mit Blick auf ein erwünschtes normatives Urteil selektiert werden, scheint mir darin kein grundsätzliches Problem zu liegen. 10 Hare allerdings meint, den Schutzstatus, der aktualen -Entitäten (bei = PersonSein) zukommt, aufgrund der Sprachlogik des präskriptiven Universalisierungsprinzips auch allen existierend-potentiellen und selbst allen noch nicht-existierend-po-

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den Befürworter des P-Argumentes einem Embryo zuschreiben, ein Respekt gebietender sei und damit nicht auf einen bloß instrumentellen Wert zu reduzieren. Potentialität als Vorstufe-Sein Angemessener zur Begründung eines moralischen Status scheint daher ein Konzept von Potentialität zu sein, welches die Tatsache berücksichtigt, daß ein Embryo sich zum Kind entwickelt, wenn denn die erforderlichen Rahmenbedingungen dieser Entwicklung - etwa die Beherbergung durch eine geeignete Gebärmutter - erfüllt sind. Aber - so der notorische wie berechtigte Einwand an dieser Stelle - „Vorstufe-Sein" impliziert doch auch in anderen Kontexten nicht eo ipso, daß der Wert der „Vollstufe" gewissermaßen auf sie abstrahle. Das noch im Entstehungsprozeß befindliche Auto, der designierte König, der künftige Führerscheinbesitzer: sie alle (so das Standardargument) hätten eben nicht den Wert oder Status dessen, was aus ihnen erst noch werde oder werden könne. Und weiter stellt sich hier (wie natürlich auch schon im vorhergehenden Abschnitt) das Exklusionsproblem: Sind denn nicht auch unbefruchtete Eizellen „Vorstufen" der befruchteten und damit schließlich der aus diesen sich entwikkelnden Kinder? Hier ließe sich einwenden, es gehe beim relevanten Potential doch wohl darum, die vollständige Vorstufe des dann aktual Wertvollen zu sein. Der übliche Gegenzug des Kritikers des P-Argumentes besteht an dieser Stelle darin, Ei- und Samenzelle nun zusammen berücksichtigen zu wollen. Selbst wenn er sich dabei bescheiden und den zur Diskussion stehenden Potentialitätsstatus nur identifizierbaren Keimzell-Paaren zuschreiben wollte, wäre zumindest beim sogenannten ICSI11- Verfahren bereits das ausgewählte KeimzellPaar unter Lebensschutz zu stellen. Potentialität als aktive inhärente Kraft Befürworter des P-Argumentes können nun zusätzlich anführen, daß die status-relevante Potentialität ein aktives Vermögen sei, dem nicht durch gezielte manipulative Unterstützung durch Menschenhand nachgeholfen werden müsse. Und in der Tat scheint die alte thomistische Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Potential auf den ersten Blick durchaus tragfähig. Nicht nur tentiellen Entitäten zuschreiben zu müssen (Hare 1975, 359). Diese Begründung erscheint mir weniger wegen fehlender Identifizierbarkeit der noch nicht gezeugten Entitäten problematisch (so aber Quante 2002, 11 Off.), als vielmehr wegen der vollkommen unplausiblen Auffassung von gebotener Universalisierung. 11 ICSI steht für Intracytoplasmic Sperm Injection und bezeichnet jene inzwischen etablierte künstliche Reproduktionstechnik, bei der gezielt Spermien in unbefruchtete Eizellen gespritzt werden, um bestimmte männliche Fruchtbarkeitsdefekte zu kompensieren.

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„ICSI" fällt als offensichtlicher Fall von Manipulation aus der Reichweite dieses Konzepts von Potentialität deutlich heraus. Sondern dasselbe gilt auch für Körperzellen, die eines Tages durch künstliche Reprogrammierung in den Zustand einer gerade befruchteten Eizelle gebracht werden könnten, oder für Eizellen, die dorthin durch eine künstlich induzierte Parthenogenese gelangten. In beiden, keineswegs mehr unrealistischen, Fällen ist das „Potential" des Ausgangsmaterials - von Körper- oder Eizellen - lediglich passiver Natur, insofern es seine „Entfaltung" zwingend einem manipulativen Eingriff verdankt. Genauer betrachtet ist aber auch die Aktivität, mit der sich die Entwicklung einer einmal befruchteten menschlichen Eizelle12 vollzieht, alles andere als ein autarker Prozeß. Die Rahmenbedingungen, unter denen sie sich wirklich bis zu einem lebensfähigen Kind entwickelt, sind zahlreich und labil. Entsprechend können die Anstrengungen, die nötig sein mögen, eine konkrete in vivo befruchtete Eizelle auf den Weg einer intakten Schwangerschaft zu bringen und sie dort zu halten, sehr groß sein. Was dann unterscheidet solche Anstrengungen von den Mühen einer induzierten Parthenogenese oder gar von den manipulativen Mühen einer Reprogrammierung von Körperzellen zu quasi-Zygoten, wie sie eines Tages möglich werden könnte? Was macht das Potential der Zygote zu einem aktiven, dasjenige der Körperzelle hingegen allenfalls zu einem passiven Potential? In beiden Fällen setzt die Entstehung eines Kindes ein kompliziertes Zusammenspiel von Selbststeuerung der ursprünglichen Entität und von Ermöglichungsbedingungen voraus. Der prinzipielle Unterschied läßt sich, so scheint es, nur mit Rekurs auf einen hypothetischen „natürlichen Verlauf" rekonstruieren, in dem sich eben das Entwicklungspotential der Zygote - nicht aber dasjenige der Hautzelle - entfalten würde.13 12 Und - genau betrachtet - auch die weitere Entwicklung der „Vorkernstadien". So bezeichnet man Eizellen in einer frühen Phase des Befruchtungsprozesses: nach dem Eindringen der Samenzelle, aber vor dem Verschmelzen des väterlichen und des mütterlichen Vorkerns. Nach geltender Legaldefinition (Embryonenschutzgesetz) existieren in dieser Phase noch keine Embryonen. Nach gängiger Auffassung in Recht und Ethik ist der Status von Vorkernstadien ganz anders zu beurteilen als derjenige von Embryonen. 13 So auch Singer/Dawson 1988, 87. - Alternativ ließe sich der hypothetisch unbehinderte Verlauf zum Maßstab nehmen, wie er der konkreten Entität „bevorstünde". Damit handelt man sich allerdings einen Potentialitäts- und damit Statusunterschied zwischen in vivo und in vitro Embryonen ein: Diese dürften verworfen, jene aber nicht abgetrieben werden. Zur mangelnden Überzeugungskraft solcher „extrinsischer" Statuskonzepte vgl. weiter unten, 179 ff. - Eine weitere Aktiv-Passiv-Unterscheidung von vermeintlich normativer Bedeutung, die hier nicht weiter verfolgt werden kann, bezieht sich auf den Modus der Behinderung. Analog zur verbreiteten Auffassung von aktiver = verbotener und passiver = u. U. erlaubter Sterbehilfe wären Abtreibung und Stammzellgewinnung als aktive Eingriffe unzulässig, Nidationshemmung und Embryonenverwerfung als bloß passive Intervention u. U. zulässig. Anders als bei der Beurteilung von Sterbehilfe scheint diese Unterscheidung intuitiv

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Aber ist man nicht selbst mit diesem differenzierten Verständnis von Potentialität weiterhin genötigt, auch Ei- und Samenzellen (und schon gar Vorkernstadien) unter dasselbe Lebensschutzgebot zu stellen wie Embryonen? Gilt nicht auch von ihnen, daß sie unter den Bedingungen eines hypothetischen „natürlichen Verlaufs" der Dinge am Ende zu einem Kind werden würden? Diese Konsequenz läßt sich nur mit einer weiteren Präzisierungsstrategie abblocken. Potentialität als aktive wesenhafte Kraft Um eine Differenz in der jeweiligen Potentialität von Keimzellen einerseits und Embryonen andererseits zu markieren, die einen grundsätzlichen Statusunterschied zwischen beiden Kategorien von Entitäten begründen könnte, muß notwendigerweise deren ontologische Verschiedenheit mit ins Spiel gebracht werden. Nur so läßt sich im Ergebnis von der besonderen Potentialität des Embryos in Abgrenzung von derjenigen der Keimzellen sprechen. Um dorthin zu gelangen, müßte, scheint es, zunächst der Beginn des menschlichen Lebens als eine moralisch neutrale ontologische Grenze bestimmt werden. Als Kriterium für den menschlichen Lebensbeginn werden überwiegend (a) die vollständige Bildung eines diploiden Genoms genommen, gelegentlich auch (b) bereits die zweite Reifeteilung im Vorkernstadium, seltener (c) erst das 2 bis 4 Tage später stattfindende Einsetzen der selbststeuernden Aktivität des Lebewesens als Organismus.14 Wie auch immer im einzelnen bestimmt - von diesem Zeitpunkt an läßt sich das wesenhafte Potential der somit dann entstandenen Entität seihst von denjenigen Potentialen unterscheiden, die zu deren Entstehung erst geführt haben. Was ist gewonnen? Fraglos ein Potentialitätsbegriff mit eindeutigem Abgrenzungskriterium und daher mit mehr Anfangsplausibilität als alle seine bisherigen Alternativen. Je nach Grenzziehung lassen sich so Gameten, die „geprimte Petrischale"15 oder Vorkernstadien abgrenzen von den späteren Entwicklungsstadien mit ganz „anderem" Potential. Jene haben, so könnte man sagen, ein „Erzeugungspotential", diese aber ein „Entwicklungspotential".16 Doch folgt daraus bereits, daß mit dem Wechsel vom einen zum anderen ein Unterschied im moralischen Status verbunden sei? Ich meine: nein.

wenig Anklang zu finden. Das vorsätzliche Verwerfen eines Embryos wird, so scheint mir, eher so beurteilt wie das vorsätzliche Verhungernlassen eines Babys, das natürlich trotz seiner nur „unterlassenden" Natur allgemein als moralisch unzulässig gilt. 14 Dieser Vorschlag wurde kürzlich von Michael Quante (2002, 69 ff.) ausgearbeitet. 15 Einer der typischen puzzle cases für Befürworter des P-Argumentes ist die Petrischale, in der unter optimalen Nährbedingungen Samenzellen „aktiv" auf eine noch unbefruchtete Eizelle lossteuern. Vgl. dazu auch Lockwood 1988,197. 16 Vgl. auch Buckle 1990, 96ff., oder Quante 2002, 87.

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Die Argumentation, die auf den differenzierten Begriff eines „eigenen Entwicklungspotentials" zurückgreift, läßt sich auf zweierlei Weise rekonstruieren. Entweder wird (1) die besagte ontologische Grenze ihrerseits auch schon als moralisch relevant verstanden. Dann aber trägt sie selbst die wesentliche Begründungslast. Wer etwa argumentiert, schon die befruchtete Eizelle sei identisch mit dem Kind, das sich unter günstigen Bedingungen aus ihm entwickeln kann, und müsse deswegen mitsamt seinem Entwicklungspotential geschützt werden, rekurriert mitnichten auf einen neutralen ontologischen Identitätsbegriff. Ob die numerische, die genetische, die neuronale, eine als psychische Kontinuität verstandene oder eine noch anders aufgefaßte Identität hier das angemessene Konzept sind, muß eigens begründet werden — und zwar auch mit Blick auf die moralischen Implikationen am Lebensende und am Lebensanfang. Dann, aber erst dann, wenn diese Vorentscheidung getroffen ist, ergibt sich, welche vorgeburtlichen menschlichen Entwicklungstufen zu schützen seien - zu schützen mitsamt ihrem Potential für weitere Entwicklungen. Oder aber (2) die besagte ontologische Grenzziehung ist ihrerseits wirklich moralisch neutral - dann mag es zwar gute Gründe für diese und keine andere taxonomische Einteilung geben. Aber warum an dieser Grenze irgendein relevanter Statusunterschied soll festzumachen sein, leuchtet nicht von selbst ein. Die gängigen Überbrückungen dieser Begründungslücke sind, scheint es, entweder theologische Prämissen oder bestimmte Aspekte einer aristotelischen Metaphysik. Appelliert wird hier, häufig implizit,17 an die Vorstellung eines wesenhaften Telos, das bereits dem frühen Embryo eigne, an eine Entelechie des Menschenkeims, die bestimmungsgemäß zur Entfaltung kommen müsse, oder an die steuernde göttliche Hand, der sich die befruchtete Eizelle mitsamt ihrem Entwicklungspotential verdanke. Doch entstammen diese Vorstellungen religiösen Grundannahmen, die nicht zum Fundament einer allgemeinverbindlichen Moral taugen, oder aber einer Metaphysik, die wir uns sonst nicht zu eigen machen und die wir nun nicht einfach ad hoc zur Bewertung der Embryonenschutzfragen heranziehen können. Die Rede vom „Entwicklungspotential des Lebewesens seihst" mag zwar das Vorhandensein eines Subjekts suggerieren. In einem moralisch relevanten Sinn wäre dies jedoch erst noch zu zeigen. Potentialität als gradualistisches Konzept? Nach einer von vielen vertretenen Auffassung kommt den vorgeburtlichen Entwicklungsstufen menschlichen Lebens zunehmender Lebensschutz zu. Läßt sich das P-Argument in eine solche gradualistische Auffassung integrieren? Ich meine wiederum: nein.

17 Hier bin ich für klärende Diskussionen Paul Hoyningen-Huene zu Dank verpflichtet.

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Grundsätzlich würden sich zwei Lesarten anbieten, nach denen das „Potential" eines menschlichen Embryos zunehmend anwüchse und somit dessen zunehmende Schutzwürdigkeit begründen könnte. Nach der einen Lesart wäre das embryonale Potential so etwas wie die (zunehmende) Fähigkeit, autark zu existieren, nach der anderen die (zunehmende) Wahrscheinlichkeit, sich tatsächlich zu einem Kind zu entwickeln. Die Autarkie-Variante scheidet schon deswegen von vornherein aus, weil sie nicht einmal bei 5jährigen Kindern realisiert wäre, deren voller Lebensschutz-Status buchstäblich von niemandem angezweifelt wird. Aber auch die auf den ersten Blick attraktivere Wahrscheinlichkeits-Variante18 kann nicht überzeugen. Entweder nämlich müßte sie statistisch verstanden werden und also ein Maß dafür sein, mit welcher generellen Wahrscheinlichkeit Embryonen einer bestimmten Entwicklungsstufe sich zu Kindern entwickeln. Oder sie müßte eine entsprechende Angabe für jeweils konkrete Embryonen beinhalten. Im ersten Fall wäre kaum einsichtig, warum die statistischen Daten den Status eines konkreten Embryos bestimmen sollten. Angenommen, dessen Aussichten wären aufgrund günstiger genetischer Disposition und höchstmöglichen mütterlichen oder väterlichen Engagements viel höher als üblich. Mit welchem Argument dürfte sein moralischer Status dann daran abgelesen werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit andere Embryonen dieser Entwicklungsstufe sich weiterentwickeln? Eine solche Position wäre nur im Rahmen einer quantitativ-funktionalen Werthaltung gegenüber Embryonen denkbar. Dann nämlich wären Embryonen wertvoll, um möglichst viele Kinder entstehen zu lassen, und dazu wären Faustregeln über lohnende und vergebliche Investitionen in den Embryonenschutz durchaus von heuristischem Wert. Eine solche „konsequentialistische" Rekonstruktion des P-Argumentes wurde jedoch bereits oben (174-175) abgelehnt. Der fundamentalere Fehler einer probabilistischen Interpretation von Potentialität aber zeigt sich auch bei der individualisierenden Interpretation von Entwicklungswahrscheinlichkeit: Entweder geht es hier um die Entwicklungschance eines konkreten Embryos ohne menschliche Hilfe - dann bleibt unverständlich, warum dieser „naturbelassene" Verlauf normativ ausgezeichnet wird. Oder es geht um Entwicklungschancen, wie sie sich unter Einbeziehen menschlicher Absichten und Handlungen darstellen. Damit jedoch wird Potentialität zu einem extrinsischen Konzept und dadurch unplausibel. Ein extrinsisches Verständnis von Potentialität? Eine stillschweigend gemachte Voraussetzung meiner bisherigen Überlegungen war, daß Potentialität - und überhaupt jeder andere Status-relevante Aspekt menschlicher Embryonen - ein intrinsisches Merkmal sein muß. Mit anderen Worten: Ihr moralischer Status soll allein von einfachen oder komplexen wert18 So argumentiert etwa Noonan 1984 zugunsten eines einschlägigen Potentialitätsunterschiedes zwischen Keimzellen und Embryo.

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begründenden Eigenschaften abhängen, die ihnen selbst zukommen, nicht aber von zusätzlichen äußeren Aspekten und insbesondere nicht von menschlichen Absichten, Urteilen und Handlungen ihnen gegenüber. Denn eine Antwort auf die Statusfrage soll ja gerade erst bestimmen, in welcher Weise wir vorgeburtliche Formen menschlichen Lebens behandeln, welche Absichten und Haltungen wir ihnen gegenüber haben sollen. Diese Prämisse, die in der bisherigen Diskussion wohl allgemein galt, ist in letzter Zeit gelegentlich in Frage gestellt worden.19 So hat etwa der theologische Ethiker Johannes Fischer dafür plädiert, zwischen „werdenden" und „existierenden" Menschen einerseits und menschlichem Leben, das nicht in eine dieser Kategorien falle, andererseits zu unterscheiden. Letztgenanntem komme nicht die unbedingte Schutzwürdigkeit der Menschen zu, die den ersten beiden Kategorien zugehören. Im Kern gehe es dabei, so Fischer, „um die Einsicht, daß die Frage, ob es sich bei einem gegebenen Embryo um einen werdenden Menschen handelt, nicht allein von dessen Eigenschaften her beantwortet werden kann, sondern daß diesbezüglich die Umstände eine wesentliche Rolle spielen, von denen seine Entwicklung abhängt" (Fischer 2001,16). Diese Überlegungen enthalten eine überzeugende Präzisierung, soweit es dabei um die Bedeutung fixer äußerer Kausalfaktoren geht. Wenn etwa von einem gegebenen Embryo gilt, daß er aufgrund seiner genetischen Ausstattung gar nicht in der Lage ist, sich weiter als bis zum 20. Tag nach der Befruchtung zu entwickeln, dann resultiert diese Unfähigkeit natürlich aus dem Zusammenspiel intrinsischer Merkmale dieses Embryos mit (teilweise kontingenten) äußeren Umständen: Könnte man das Entwicklungshindernis durch einen medikamentösen Eingriff beheben, hätte man eine in relevanter Hinsicht andere Situation. Nicht überzeugend jedoch ist nach meinem Dafürhalten, wenn man zu den statusrelevanten „äußeren Umständen" auch solche hinzurechnet, die kausal von menschlichen Entscheidungen über den Umgang mit Embryonen abhängen. Auch Fischer findet den Gedanken irritierend, „daß letztlich wir es sind, die mit unserem Einfluß auf die Entwicklungsmöglichkeiten eines Embryos bestimmen, ob er den Status und die Schutzwürdigkeit eines werdenden Menschen erlangt oder nicht" (Fischer 2001, 16), stimmt ihm aber nichtsdestotrotz zu. Im Ergebnis seien so der Verbrauch überzähliger Embryonen zum Zweck der Stammzellforschung, aber auch das therapeutische Klonen zulässig, eben weil diese Embryonen unserer Intention nach gar keine werdenden Menschen seien. Einmal abgesehen davon, daß diese Überlegungen offenlassen, ab wann die Schutzwürdigkeit eines Embryos nicht mehr von unserem eigenen Einfluß auf ihn abhängt, haben sie zwingend zur Folge, daß der erlaubte Umgang mit Embryonen sich nun nicht mehr an der Statusfrage bemessen läßt. Was ein Embryo in moralischer Hinsicht ist und was wir mit ihm tun dürfen, wird vielmehr zueinander in einen unfruchtbaren Zirkelbezug gesetzt.20 19 So Warren 1997; Fischer 2001. 20 Wie ich meine, ist dies relevant analog zu: (a) „X soll

heiraten, wenn sie sich eignet,

Contra Potentialitätsargument

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Allerdings läßt sich Fischers Position auch auf eine andere Weise rekonstruieren und überzeugender machen, allerdings wohl ohne noch Fischers eigener Auffassung zu entsprechen. In einem ersten Schritt beurteilt man den Status von Embryonen nach intrinsischen Eigenschaften (einschließlich der fixen Rahmenbedingungen, unter denen diese intrinsischen Eigenschaften zur Geltung kommen). Für frühe Embryonen ergibt sich dabei, nehmen wir an, keine statusbedingte kategorische Schutzpflicht. In einem zweiten Schritt darf man sich dann entscheiden, welche dieser Embryonen gewissermaßen auf den Weg der „werdenden" und später „existierenden" Menschen geschickt werden. Und diese Entscheidungen verleihen ihnen dann einen sekundären, von relationalen Aspekten bestimmten Status. Warum und in welchem Maße dieser zweite Status irreversibel ist, bis zu welchem Entwicklungsstadium er maßgeblich ist und was insgesamt zugunsten einer solchen zweistufigen Statusbestimmung spricht - all das müßte im Rahmen einer gesonderten Abhandlung untersucht werden. Zur unstrittigen normativen Bedeutung embryonaler Potentialität Es wäre ein Mißverständnis, würde man nach den bisherigen Überlegungen das embryonale Potential für normativ bedeutungslos halten. Das ist es mitnichten. Im folgenden sollen die unbestreitbaren Aspekte seiner normativen Bedeutung skizziert werden, um diesem Mißverständnis vorzubeugen, vor allem aber, um eine Erklärung dafür anzubieten, warum das P-Argument sich trotz eigentlich mangelnder Überzeugungskraft so hartnäckig hält. Erstens ist das Potential, sich zu einem menschlichen Kind21 zu entwickeln, eine notwendige Bedingung für ein (starkes wie schwaches) Lebensschutz-Gebot. Menschliche Zellverbände, aber auch ein defekter Embryo, der sich sicher niemals bis zur Lebensfähigkeit entwickeln könnte, müssen offenkundig nicht mehr geschützt werden. Ohne Potentialität im Sinne einer zumindest minimalen Entwicklungswahrscheinlichkeit stellt sich die Lebensschutzfrage gar nicht erst. Zweitens ist das Entwicklungspotential eines Embryos immer dann Gegenstand einer stellvertretenden Fürsorgepflicht derer, die sich um ihn kümmern, wenn vorhersehbar ist, daß er sich sicher oder möglicherweise zu einem Kind entwickeln wird. Unter der Bedingung des Geborenwerdens also muß bereits jede vorgeburtliche Entwicklungsstufe in den Grenzen des Möglichen und Zumutbaren so behandelt werden, daß ihr Potential, ein langes, gesundes, erfülltes Leben zu führen, nicht beeinträchtigt wird. Der Drogenkonsum einer Schwanseine Frau zu sein" und (b) „Y erweist sich dadurch als geeignet, X's Frau zu sein, daß er sie heiratet." 21 Genaugenommen ist diese Bedingung zu strikt: Es könnte sein, daß auch ein anderes Entwicklungspotential (etwa zu einem hinreichend menschenähnlichen Wesen) einen vollen moralischen Status begründet.

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geren oder der Verzicht auf eine mögliche intrauterine Therapie sind prima fade deshalb moralisch verwerflich, weil sie das Potential des künftigen Kindes schädigen. Drittens wird die stellvertretende Fürsorge für die Entfaltung eines embryonalen Potentials von dem Augenblick an mehr als ein bloß bedingtes moralisches Gebot, wo dieser Embryo den vollen moralischen Status erreicht hat. Das P-Argument kann diesen Status - das ergibt sich aus allem Bisherigen - selbst nicht überzeugend begründen. Wenn dieser (auf andere Weise begründete) Status jedoch erreicht ist, dann gehört Potential-Schutz ebenso zu den Pflichten gegenüber ungeborenem Leben wie er zu den unbedingten Fürsorgepflichten gegenüber Kindern, Kranken oder Behinderten gehört. Diese dreifache Bedeutung des Entwicklungspotentials von Embryonen- (1) als notwendige Bedingung für Lebensschutz, (2) als Gegenstand genereller Fürsorgepflichten unter der Bedingung späteren Geborenwerdens und (3) als Gegenstand unbedingter Fürsorgepflichten nach Erlangen des vollen moralischen Status - mag dazu beitragen, dieses Entwicklungspotential irrtümlich auch noch (4) für eine hinreichende Bedingung eines Lebensschutzgebots gegenüber Embryonen zu halten. Eben diese vierte Annahme ist innerhalb einer kohärentistischen Begründungsmethodik, wie ich sie im Vorangehenden praktiziert habe, aber nicht zu vertreten. Um es noch einmal anders zu formulieren: Lebensschutz für menschliche Embryonen ist nur unter der Bedingung begründet zu fordern und zu praktizieren, daß sie ein Potential zur Kind-Entwicklung haben. Moralisch geschuldet werden ihnen Lebensschutzpflichten aber erst aufgrund ihres Eintritts in die Sphäre der moralischen Adressaten. Vor dem Einsetzen minimaler Empfindungsfähigkeit ist dieser Eintritt aber nicht begründet anzunehmen (wofür hier nicht argumentiert werde kann - siehe aber Leist, Merkel, Steinbock oder Sumner).

3. Fazit und Ausblick Aus alledem folgt nicht, daß das P-Argument eindeutig widerlegt sei, sondern lediglich, daß ein angemessen eingegrenztes P-Argument nicht ohne starke religiöse oder metaphysische Voraussetzungen vertreten werden kann - und zwar das P-Argument weder in seiner starken noch in seiner schwachen Variante.22 22 Auch wenn die schwache Variante des P-Argumentes selbst von vielen Kritikern der starken Fassung konzediert wird, gilt doch alles bisher Gesagte gleichermaßen für beide Formen des Argumentes. Auch ein bloßer prima fade Lebensschutz läßt sich für frühe Embryonen nicht überzeugend mit ihrem spezifischen Potential (in Abgrenzung zu Ei- oder reprogrammierbaren Hautzellen) begründen. Das Entwicklungspotential ist auch hier notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Ausschlaggebend sind vielmehr indirekte Gründe (s.u.).

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Natürlich kann man diese Voraussetzungen machen - aber sie lassen sich nach meinem Dafürhalten nicht als verbindlich ausweisen. Dieses Ergebnis scheint mir so klar, daß der Rückzug auf eine tutioristische Position (im Zweifel für den embryonalen Lebensschutz), wie er gelegentlich angesichts der bestehenden Beurteilungsdivergenzen gefordert wird, ungerechtfertigt wäre. Das gilt umso mehr, als die tutioristische Anerkennung eines solchen Lebensschutzes einen hohen moralische Preis hätte: nämlich den Verzicht auf wesentliche Aspekte der reproduktiven Freiheit einerseits und auf das Ausschöpfen therapeutischer Potentiale für Schwerstkranke andererseits, wie sie derzeit die embryonale Stammzellforschung erhoffen läßt. Tutioristische Positionen sind dort überzeugend, wo wir die empirischen Kriterien für die Erfüllung eines Sachverhalts nicht genau kennen (Beispiel: irreversibler Bewußtseinsverlust im Rahmen der Hirntodfeststellung). Wo aber die ethischen Grundbegriffe und -prinzipien selbst betroffen sind, scheint mir die Annahme eines epistemischen Schleiers, der uns zu tutioristischer Vorsicht nötigt, unangemessen. Aber was begründet dann einen vollen moralischen Status auf eine plausiblere Weise? Diese Frage zu beantworten, liegt außerhalb des mir hier aufgetragenen Untersuchungsgegenstandes. Ich möchte dennoch andeuten, in welche Richtung ich zu antworten versuchen würde. Statusbestimmend, so meine ich, muß die Frage der Identität bzw. Nonidentität vorgeburtlicher Entwicklungsstufen mit dem späteren Kind sein. Die Identität, um die es hier geht, ist sicher nicht einfach eine numerische oder genetische Identität, sondern eine normativ relevante Identität, die weder rein deskriptiv noch allein ergebnisorientiert am Problem des Embryonenschutzes entwickelt werden kann. Einleuchtend scheint mir, daß das Einsetzen der Empfindungsfähigkeit eines Embryos eine notwendige Bedingung für solche Identität und damit für einen vollen moralischen Status sein muß.23 Ob und warum - oder warum nicht - dies auch bereits eine hinreichende Bedingung ist, muß hier offenbleiben. Die damit favorisierte Strategie - Statusbestimmung über eine Identitätstheorie und dann Potentialitätsschutz im Rahmen einer stellvertretenden Interessenwahrung - ist nicht originell. Entsprechende Versuche liegen, mit gewissen Abweichungen im Ergebnis, etwa von Leist, Lockwood, Merkel oder Sumner vor. Sie alle bestimmen erst Kriterien dafür, ab wann der sich entwickelnde Embryo mit dem späteren Kind in einem moralisch relevanten Sinn identisch ist, und erklären von da an dessen Entwicklungspotential zum Gegenstand gebotener stellvertretender Fürsorge. Dieser Weg erscheint aussichtsreich.

23 Dabei sei ausdrücklich auf die hierbei normativ bedeutsame Differenz zwischen einem Embryo und einem schlafenden oder ohnmächtigen Menschen hingewiesen: Jener war nie empfindungsfähig, diese waren es und haben dadurch gewissermaßen irreversibel einen anderen Status bekommen. Um es mit einem Bild zu illustrieren: Der Embryo ist hier vergleichbar mit einem noch nicht zusammengesetzten Auto, der Schlafende mit einem Auto ohne Benzin im Tank.

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Alle vorangehenden Überlegungen bezogen sich ausschließlich auf Lebensschutzpflichten, die Embryonen selbst geschuldet oder eben nicht geschuldet werden. Nicht diskutiert wurde ein sehr wohl einleuchtender indirekter Grund, Embryonen unter prima fade Schutz zu stellen: Hier geht es um den Schutz unserer Mitmenschlichkeits-Tugenden, die unbeschadet der bisherigen Argumentation sehr wohl gefährdet sein können, wenn wir menschenähnliche Winzlinge, die sich durch die bestaunenswerten Prozesse von Zeugung und Schwangerschaft und Geburt ohne sichtbare harte Zäsuren zu Kindern entwickeln können, ohne entgegenstehende massive Gründe abtöten.24

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Gregor Dänischen / Dieter Schönecker In dubio pro embryone. Neue Argumente zum moralischen Status menschlicher Embryonen Im ersten Teil unterscheiden wir die philosophische von der rechtlichen und politischen Ebene der Embryonendebatte und beschreiben unsere indirekte Begründungsstrategie. Sie besteht darin, auf eine Bestimmung der würdestiftenden -Eigenschaften zu verzichten und statt dessen von unbegründeten, aber auch von allen Diskussionspartnern unbezweifelten Prämissen auszugehen. Im zweiten Teil rekonstruieren und kritisieren wir das Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument. Das S-Argument hat, wenn überhaupt, nur als kriterielles Argument noch eine gewisse Plausibilität. Vom K-Argument und I-Argument übernehmen wir den Gedanken der numerischen Identität und verknüpfen ihn mit dem Kerngedanken des P-Argumentes. So kommen wir zu folgendem Argument: (1) Jeder lebendige menschliche Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat), hat WürdeM. (2) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo ist ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat). Also: (3) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo hat WürdeM. Reversibel komatöse Menschen und Neugeborene werden geschützt, weil sie das Potential haben, in Zukunft über aktuale Personeigenschaften zu verfügen; ein in moralischer Hinsicht gleiches Potential besitzen, so unsere These, auch entwicklungsfähige Embryonen. Der Grundgedanke der numerischen Identität, mit dem wir die zweite Prämisse stützen, besteht darin, daß jeder Mensch von seinem embryonalen Dasein bis hin zum Erwachsenenalter eine körperliche Einheit bildet. In einem ausführlichen Teil gehen wir auf das Kronprinzessin-, das Gameten-, das Parthenogenese-, das Körperzellen-, das Vorkernstadiumproblem und das Problem des biologisch-heteronomen Frühembryos, das Mehrlings-, das Fusions-, das Siamesische Zwillinge-, das Hydatidiform mole- und schließlich das Trophoblastenproblem ein. In einem dritten Teil wird das indirekte Argument durch ein metatheoretisches Vorsichtsargument ergänzt. Es besagt, daß in Situationen, in denen Zweifel darüber besteht, ob ein Wesen in den Anwendungsbereich einer moralischen Norm fällt, es zugleich aber hinreichend starke Gründe für diese Subsumtion gibt, davon ausgegangen werden muß, daß es sich so verhält, wenn die gegenteilige Annahme und die mit ihr vielleicht verbundenen positiven Auswirkungen in keinem akzeptablen Verhältnis zum moralischen Schaden stehen, der entstünde, würde man jene Subsumtion nicht machen. Das Hauptergebnis unserer Überlegungen lautet deshalb: In dubio pro embryone.

Man muß nicht von Whiteheads Bonmot überzeugt sein, daß die ganze Philosophiegeschichte lediglich aus Fußnoten zu Platon bestehe, um der Überzeu-

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gung anzuhängen, daß es selten etwas wirklich Neues in der Philosophie zu entdecken gibt. Das trifft auch auf die Debatte zum moralischen Status menschlicher Embryonen zu. Das Thema berührt die Philosophie schon seit langem. Und obwohl sich durch die moderne Embryologie, Reproduktionsmedizin und Genetik die Diskussion noch einmal erheblich erweitert und verändert hat, sind vermutlich auch hier die wichtigsten Argumente und Überlegungen schon einmal vorgetragen worden. Das heißt aber nicht, daß wichtige Erkenntnisse nicht auch wieder vergessen oder jedenfalls vernachlässigt wurden, und das heißt erst recht nicht, daß alle Argumente hinreichend präzise analysiert und kritisiert wurden. Zuweilen kann eine präzisere Fassung eines Argumentes der Entdekkung eines wirklich neuen Argumentes nahezu gleichkommen. In diesem Sinne werden wir versuchen, alle wesentlichen Argumente in der Debatte - das Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (SKIP) - noch einmal analytisch genau und kritisch zu durchleuchten (Teil B).1 In diesem Licht mag dann manches wie neu erscheinen. Vielleicht neu in einem engeren Sinne ist ein indirektes Argument, mit dem wir auf der Grundlage von Potentialität und numerischer Identität nachzuweisen versuchen, daß Embryonen nicht getötet werden dürfen. Wir beginnen allerdings mit einigen methodischen Vorüberlegungen (Teil A). Schließlich versuchen wir den Nachweis zu führen, daß bei aller Kritik an den Hauptargumenten für den starken moralischen Status von Embryonen immer noch hinreichend Zweifel an der These bestehen bleibt, Embryonen komme ein solcher starker moralischer Status nicht zu (Teil C). Im Zweifel gilt aber, daß im Sinne desjenigen, dessen Rechte beschnitten werden sollen, wenn er sie denn überhaupt hat, entschieden werden muß, so daß das Hauptergebnis unserer Überlegungen lauten wird: In dubiopro embryone. Hier ein Überblick:

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A 1. 2. 3.

Methodische Vorüberlegungen Zur Frage nach dem moralischen Status menschlicher Embryonen Die philosophische, juridische und politische Ebene der Embryonendebatte Begründungsstrategien: direkt, indirekt und metatheoretisch argumentieren

B 4. 5. 6. 7. 8.

Das Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (SKIP) Das Speziesargument Das Kontinuumsargument Das Identitätsargument Das Potentialitätsargument Potentialität und Identität: Ein indirektes Argument (NIP) 8.1 Das P-Argument 8.2 Das NI-Argument 8.3 Probleme und Erwiderungen

Wir greifen dabei u. a. auf die Analysen der Autoren dieses Bandes zurück.

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C In dubio pro embryone. Ein Metaargument 9. Die Grundidee des Vorsichtsargumentes 10. Einwände und Erwiderungen 11. Konklusion

A Methodische Vorüberlegungen Zur Klarheit der Embryonendebatte soll nicht nur beitragen, daß die wesentlichen Argumente in sich und in ihrem Zusammenhang untereinander präzise dargestellt werden. Sehr wichtig ist auch, sich und seinen Diskussionspartnern zunächst einmal zu verdeutlichen, worüber überhaupt gestritten wird und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Wir werden daher zunächst klären, auf welche Frage genau wir eine Antwort suchen (1). Dabei unterscheiden wir eine philosophische, juridische und politische Ebene (2). Schließlich werden wir kurz skizzieren, welche Argumentationsstrategie wir verfolgen (3). Unsere eigene Argumentation ist auf die philosophische Ebene beschränkt und bedient sich einer indirekten Strategie, mit der zusätzlich ein Metaargument verknüpft wird.

1. Zur Frage nach dem moralischen Status menschlicher Embryonen Die Frage, welchen moralischen Status menschliche Embryonen haben, scheint sehr allgemein gestellt. Denn selbst wenn man zu der Antwort gelangen würde, daß menschliche Embryonen einen, wie man vielleicht sagen könnte, starken moralischen Status haben, der darin besteht, daß sie, wie man oft sagt, Würde besitzen, folgt daraus noch nicht direkt etwas für die Frage, wie man mit solchen Wesen umzugehen hat. Man könnte gegen die Frage einwenden, daß etwa auch geborene gesunde Menschen Würde besitzen, ohne daß damit eindeutig impliziert wäre, welche Rechte und Pflichten sich daraus ableiten; es sei durchaus plausibel, daß ein Mensch Würde besitze und dennoch - ohne daß dies einen Widerspruch impliziere - ohne Arbeit und arm sei, vielleicht sogar ohne Bildung, ohne Wahlrecht, ja es sei sogar möglich, daß ein Mensch Würde besitze und dennoch in manchen Situationen bewußt getötet werden dürfe (in Notwehr, im Krieg, in einem moralischen Dilemma, vielleicht sogar im Rahmen einer legalen Hinrichtung). Das ist richtig. Allerdings spielt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem starken moralischen Status, Würde zu besitzen, und den Rechten und Pflichten, die sich daraus ableiten, bei Embryonen eine wesentlich geringere Rolle. Denn was für den Embryo nicht allein, aber doch zunächst und auch primär maßgeblich ist, ist die Frage, ob er lebt oder nicht; alles andere ist nicht nur zweitrangig, sondern spielt zu diesem frühen Zeitpunkt menschlicher Existenz noch keine bedeutende Rolle. (Da das Leben offenkundig für alle Lebewesen notwendige Voraussetzung dafür ist, überhaupt etwas zu erleben und zu handeln, ist es in dieser Hinsicht für alle Lebewesen primär maß-

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geblich, zunächst einmal zu leben - wenn sie denn leben wollen. Aber für geborene und besonders für erwachsene Lebewesen eröffnet sich ein Reich von möglichen Rechten und Pflichten, die für die tatsächliche Gestaltung des Lebens nicht weniger Aufmerksamkeit verdienen als das Leben selbst, ja vielleicht sogar objektiv wichtiger werden können als dieses.) Wenn wir uns für den moralischen Status von Embryonen interessieren, dann interessieren wir uns also primär für die Frage, ob menschliche Embryonen ein Recht auf Leben haben, oder, um den problematischen Begriff des Rechts zu vermeiden, ob Embryonen getötet werden dürfen. Da es, wie schon angedeutet, vielleicht oder vermutlich Situationen gibt, in denen auch Wesen, die Würde besitzen (also etwa geborene Menschen), getötet werden dürfen, müssen wir ein wenig präzisieren. Kaum jemand wird bestreiten, daß solche Wesen in Akten unmittelbarer Notwehr getötet werden dürfen, und darüber, ob man im Krieg, in einem Akt der Sterbehilfe, in einem Akt des Tyrannen- oder Selbstmordes oder sogar im Rahmen einer legalen Hinrichtung Lebewesen mit Würde töten darf, läßt sich jedenfalls sinnvoll streiten.2 Zu den Umständen, die die Tötung eines Wesens, das Würde besitzt, rechtfertigen können, gehören aber jedenfalls nicht das Interesse anderer an der Entwicklung neuer Heilmittel oder auch das Interesse anderer an wissenschaftlicher Grundlagenforschung. ,Normale Umstände' sind also Umstände, in denen Handeln aus Notwehr usw. nicht vorliegt. Demnach lautet die Frage also, ob Embryonen unter normalen Umständen getötet werden dürfen.3 Zum Würdebegriff Wir haben einige Male von der Würde des Embryos gesprochen. Dennoch wollen wir diesen Begriff vermeiden, oder besser, wir wollen ihn nur in einer eng begrenzten Bedeutung verwenden. Denn der übliche Terminus der „Würde" ist notorisch ungenau, da weder über die Intension noch über die Extension dieses Begriffs Einigkeit herrscht; so wie der Begriff tatsächlich verwendet wird, ist weder klar, was er alles beinhaltet, noch ist klar, wer überhaupt Träger von Würde ist oder sein kann. Andererseits handelt es sich um einen wichtigen Begriff der Ethik, den man nicht ohne weiteres aufgeben sollte. Da für unsere Fragestellung allein relevant ist, ob menschliche Embryonen unter normalen Umständen getötet werden dürfen, werden wir im folgenden davon sprechen, daß ein Wesen, das WürdeM hat, unter normalen Umständen nicht getötet werden darf, und daß ein Wesen, das unter normalen Umständen nicht getötet werden So läßt das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 unter bestimmten Umständen Eingriffe in das Recht auf Leben ausdrücklich zu. Die Formulierung ,unter normalen Umständen' sei im folgenden stets mitgedacht, wenn es darum geht, ob bestimmte Lebewesen nicht getötet werden dürfen. Es ist strittig, ob der sinnliche Genuß bestimmter Nahrungsmittel ein Umstand ist, der berechtigt, bestimmte Wesen (Tiere) zu töten; als Handeln aus Notwehr - man muß Tiere essen, um selbst (gesund) leben zu können - läßt sich der Genuß von Tierfleisch in der Regel jedenfalls nicht interpretieren.

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darf, WürdeM hat; Würde^ und das Tötungsverbot sind also extensional äquivalent. Zugleich soll der Ausdruck Würde M anzeigen, daß möglicherweise nicht nur Menschen oder menschliche Lebewesen einen starken moralischen Status oder eben Würdest haben, sondern vielleicht auch andere Lebewesen, etwa manche Säugetiere.4 Unsere Hauptfrage kann jetzt folgendermaßen präzisiert werden: Haben menschliche Embryonen einen starken moralischen Status, der darin besteht, daß sie Würde^i besitzen, was impliziert, daß sie unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen? Damit ist nicht gesagt, daß nicht auch andere Fragen durchaus eine Rolle spielen, wenn es darauf ankäme, den moralischen Status von Embryonen umfassend zu bestimmen; im Gegenteil, hier tut sich eine Vielzahl von Fragen auf. So wäre es etwa denkbar, daß durch die Abhängigkeit des Embryos von der Mutter dem Embryo das Recht zusteht, daß die Mutter und damit er selbst hinreichend gut ernährt werden. Doch solche Fragen wollen wir unberücksichtigt lassen ebenso wie die Frage, ob ein entwicklungsfähiger Embryo einen anderen Status hat als einer, der dies nicht ist.5 Wir werden später die These vertreten, daß jedenfalls entwicklungsfähige menschliche Embryonen, also solche, von denen wir wissen (oder wissen können), daß sie sich zu geborenen Menschen mit -Eigenschaften entwickeln werden (bzw. entwickeln können), prima facie dieselben starken Schutzrechte genießen sollten, die ein geborener Mensch mit -Eigenschaften genießt.6 Einen Embryo bezeichnen wir dann als ,entwicklungsfähig', wenn er keine genetischen Defekte hat, die es ihm unmöglich machen, sich jemals zu einem geborenen Menschen mit -Eigenschaften zu entwickeln. Dazu gehören z. B. durch Parthenogenese entstandene Auf diesen Punkt gehen wir im Zusammenhang mit dem S-Argument noch genauer ein. — Es ist prima facie gewiß nicht unplausibel, in einem starken Sinne von der Würde etwa von Säugetieren zu sprechen, so daß aus diesem Würdestatus folgt, daß Säugetiere unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen. Dabei ist bemerkenswert, daß Säugetiere einen starken Würdestatus besitzen könnten, wir aber, selbst wenn wir dies für zutreffend hielten, das Leben eines gesunden erwachsenen Säugetieres dennoch für weniger wertvoll und schützenswert erachten als z.B. das eines gesunden erwachsenen Menschen. Es gehört demnach keineswegs zur Semantik des Ausdrucks „Würde" (wie Honnefeider [78] und Schockenhoff [19-24] in diesem Band zu glauben scheinen), daß er nicht graduierbar ist. Die Graduierbarkeit hängt vielmehr an der Problematik der Güterabwägung. Damit zusammenhängend könnte man auch fragen, ob Embryonen ein Recht auf informationeile Selbstbestimmung haben, was ausschließen würde, daß ohne ihre Einwilligung ein genetisches Screening durchgeführt werden darf. Mit „ " beziehen wir uns auf die Eigenschaften oder Fähigkeiten, von denen man in der Regel annimmt, daß sie die Würde eines Menschen oder überhaupt eines Lebewesens begründen: Autonomie (als Fähigkeit zur Zwecksetzung), moralische Autonomie (Freiheit), kognitive Fähigkeiten (z. B. Abstraktionsfähigkeit), Selbstbewußtsein, Präferenzen (als zukunftsorientierte Wünsche), Wünsche, Interessen und Leidensfähigkeit, aber auch Gottesebenbildlichkeit oder die Heiligkeit des Lebens.

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menschliche Embryonen, die ausnahmslos spätestens vier Wochen nach der Befruchtung absterben. Die Einschränkung auf in diesem Sinne ,entwicklungsfähige' Embryonen ergibt sich daraus, daß unser späteres Hauptargument, das NIP-Argument, nur greift, wenn Embryonen tatsächlich selbst das Potential besitzen, Menschen mit -Eigenschaften zu werden. Ein solches Potential darf nicht aus Gründen, die im Embryo selbst liegen - also z. B. aus genetischen Gründen -, ausgeschlossen sein. Obwohl sich kryokonservierte Embryonen aus externen Gründen faktisch wohl oft nicht mehr zu geborenen Menschen entwickeln werden, sind sie dennoch intrinsisch gesehen entwicklungsfähig.7 Ebenfalls ausschließen wollen wir die Frage, ob sich durch die Tatsache, daß (die meisten) Embryonen im Mutterleib befindlich sind und dies auch sein müssen, wenn sie gedeihen sollen, etwas ändert, oder anders gesagt: wir schließen die Abtreibungsdebatte aus. Es spielt also für unsere Überlegungen keine Rolle, ob ein Embryo in vivo oder in vitro gezeugt wird und lebt (wobei natürlich ein älterer Embryo nicht in vitro leben kann; es käme jedenfalls darauf nicht an). Zum Embryonenbegriff Ebenfalls präzisierungsbedürftig ist der Terminus (menschlicher) „Embryo". In der Debatte versteht man darunter oft einfach die befruchtete Eizelle und das sich daraus entwickelnde menschliche Lebewesen bis einschließlich der achten Woche post conceptionem (p. c.); gegen Ende der achten Woche spricht man vom „Fetus".8 Allerdings müssen eine Reihe von Präzisierungen vorgenommen werden, deren Notwendigkeit sich daraus ergibt, daß bestimmte biologische Sachverhalte und Entwicklungsschritte von ethischer bzw. moralischer Relevanz sind: 1) Sieht man einmal von der ebenfalls möglichen Position ab, daß bereits menschliche Gameten (also Ei- und Samenzelle) Schutzrechte genießen könnten, so ist die erste wichtige Stufe die imprägnierte Eizelle (also die Eizelle, in die das Spermium eingedrungen ist), in der die männlichen und weiblichen Vorkerne aber noch nicht miteinander verschmolzen sind; wir sprechen hier von der imprägnierten Oozyte (manchmal ist hier auch die Rede vom ,Vorkernstadium'). 2) Von der imprägnierten Oozyte ist die befruchtete Oozyte (Zygote) zu unterscheiden, deren Vorkerne bereits verschmolzen sind, deren genetische SelbstWir schließen damit nicht aus, daß auch genetisch kranke menschliche Embryonen, die sich niemals zu einem geborenen Menschen mit -Eigenschaften entwickeln können, starke Schutzrechte genießen sollten. Aber wir vermuten, daß man für diese These ein anderes Argument benötigt. Für ein striktes Verbot der Forschung an Embryonen, auch wenn sie nicht entwicklungsfähig sind, sprechen u. a. Dammbruchargumente. Und zwar mit dem Auftreten der Knochenmarkhöhle im Oberarmknochen gegen Ende der 8. Entwicklungswoche (p. c.); für diesen Hinweis danken wir Christoph Viebahn (vgl. seinen Beitrag in diesem Band, 269-277).

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Steuerung aber noch nicht begonnen hat; wir nennen dies den biologisch-heteronomen Friibembryo. 3) Von diesem biologisch-heteronomen Frühembryo unterscheiden wir den biologisch-autonomen Frühembryo und meinen damit die befruchtete, totipotente Eizelle mit verschmolzenen Vorkernen, deren genetische Selbststeuerung begonnen hat.9 Ein solcher Embryo besteht aus einem mehrzelligen Verband aus jeweils totipotenten Zellen (Elastomere), die zusammen eine Einheit bilden. 4) Außerdem bezeichnen wir mit „Embryo" auch einen Zellverband, dessen einzelne Zellen (vermutlich ab dem 8-Zell-Stadium) jede für sich nicht mehr totipotent sind (Morula, Blastozyste). 5) Und schließlich nennen wir „Embryo" eine totipotente Zelle, die aus einem mindestens zweizeiligen Embryo im genannten dritten Sinne entnommen wird.10 Zuweilen spricht man auch vom „Präembryo" und meint damit den Embryo in der Phase seiner Entwicklung, in der eineiige Zwillingsbildung noch möglich ist (also etwa bis zur Ausbildung des Primitivstreifens). Da der Begriff des „Präembryos" zuweilen ethische Implikationen hat - es sprechen durchaus einige Argumente dafür, den sogenannten Präembryonen den Würden-Status abzusprechen, nicht aber den Embryonen ab dem 14. Tag -, vermeiden wir diesen Begriff. Statt dessen sprechen wir also entweder allgemein vom „Embryo" und meinen damit das sich entwickelnde menschliche Lebewesen ab der imprägnierten Oozyte; oder wir verwenden die entsprechend differenzierten Termini technici. Die Hauptfrage Um keine Verwirrung entstehen zu lassen, möchten wir unsere Frage also zunächst folgendermaßen präzisieren: Haben menschliche Embryonen ab der imprägnierten Oozyte einen Würde M-Status, der impliziert, daß sie unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen?11

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Die genetische Selbststeuerung beginnt beim Menschen vermutlich bereits im 4-ZellStadium. 10 Eine solche Zelle ist also eine Blastomere, von der (nur) aus Tierversuchen bekannt ist, daß sie sich zu einem Embryo im engeren Sinne entwickeln kann. 11 Wir glauben, daß unser NIP-Argument (vgl. unten Abschnitt 8) spätestens für den biologisch-autonomen Frühembryo greift. Die imprägnierte Oozyte und der biologisch-heteronome Frühembryo stellen ein weiteres Problem dar, das wir in Abschnitt 8.3 behandeln.

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2. Die philosophische, juridische und politische Ebene der Embryonendebatte Es ist zunächst sehr wichtig, zwischen verschiedenen Ebenen der Diskussion zu differenzieren. Diese Ebenen hängen zwar zusammen, aber die Erkenntnisinteressen, die man jeweils auf ihnen verfolgt, sind sehr unterschiedlich. Wir schlagen vor, zwischen einer philosophischen, juridischen und einer politischen Ebene zu unterscheiden. Für alle drei Ebenen der Embryonendebatte trifft es zu, daß dabei in erheblichem Maße auf medizinisch-biologisches Wissen rekurriert wird und auch rekurriert werden muß. Wer über den moralischen Status menschlicher Embryonen nachdenken will, muß zunächst wissen, was ein Embryo, biologisch-medizinisch oder eben embryologisch gesehen, überhaupt ist; schon bei der eben vorgenommenen Begriffsbestimmung von „Embryo" sahen wir, wie schwierig die Sachlage ist. Dieser notwendige Rekurs auf naturwissenschaftliches Faktenwissen ist in der Embryonendebatte besonders wichtig und ausgeprägt, er ist aber auch besonders problematisch. Denn der Forschungsstand ändert sich rapide, und zwar nicht nur in der Breite, sondern auch in der Tiefe der Erkenntnis; so hat sich etwa die Auffassung darüber, bis wann und genau in welchem Sinne embryonale Stammzellen totipotent sind, in den letzten Jahren erheblich geändert, und noch ist es, streng genommen, nicht möglich, hier von einer gesicherten Erkenntnis zu sprechen. Da die Bestimmung des moralischen Status menschlicher Embryonen aber von solchen Erkenntnissen mit abhängig ist, bleiben Zweifel. Wie solche Zweifel zu bewerten sind, werden wir im Teil C diskutieren. Die philosophische Ebene Auf der philosophischen Ebene geht es um die Frage, welche philosophisch-ethische Position die richtige ist. Sind Embryonen Personen, sind Embryonen Menschen, sind alle Menschen Personen, sind alle Personen Menschen, warum dürfen Personen nicht getötet werden, dürfen Güter abgewogen werden, und wenn ja: wie dürfen sie abgewogen werden - diese und viele Fragen mehr verlangen nach einer Antwort, und solange wir uns auf der philosophischen Ebene befinden, geht es allein um die Suche nach den besten Argumenten und Gegenargumenten. Es spielt hier keine Rolle, wie eine bestimmte ethische Position sich in einer positiven Rechtsordnung niederschlägt, wieviele Menschen einer bestimmten Position anhängen, oder auf welche Weise eine bestimmte ethische Position gesellschaftliche Akzeptanz finden kann. Es geht allein um die Frage, was die richtige Antwort auf eine philosophisch-ethische Frage ist; es geht um Wahrheit. Daher ist es auf dieser Ebene auch völlig irrelevant, ob die richtige Antwort einen Hintergrund hat, der von vielen oder den meisten Mitgliedern einer Gesellschaft nicht geteilt wird, etwa einen religiösen oder theistischen. Wenn die richtige Antwort auf die Frage nach dem moralischen Status menschlicher Embryonen theistisch ausfällt, dann wird diese Antwort nicht deshalb

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falsch, weil die meisten Philosophen und auch die allermeisten Deutschen nicht mehr theistisch denken und argumentieren. Die juridische Ebene Auf der juridischen Ebene geht es um ein ganz anderes Erkenntnisinteresse. Auf dieser Ebene geht es um die Frage, wie gegebene positive (etwa bundesrepublikanische) Gesetze - der Würdeschutzartikel des Grundgesetzes, das Embryonenschutzgesetz, die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch - zu interpretieren und ob sie miteinander verträglich sind. Es geht also zunächst nicht um weitergehende rechtsphilosophische Themen, sondern allein um die angemessene Auslegung positiver Gesetzgebung. So ist es etwa ein schwerwiegendes juridisches Problem, ob die geltenden Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch verträglich sind mit der rechtlichen Stellung, die Embryonen innerhalb des Embryonenschutzgesetzes gegeben wird. Aber dies sind in der Tat nur juridische Probleme, keine philosophischen. Wer etwa in der Debatte um den moralischen Status von Embryonen darauf hinweist, daß das Intrauterinpessar (die sogenannte Spirale) ein legales Mittel der Empfängnisverhütung ist, bei der bereits befruchtete Eizellen - also Embryonen - getötet werden können, so daß es widersprüchlich wäre, im Rahmen der medizinischen Forschung die Tötung menschlicher Embryonen zu verbieten, sie zum Zwecke der Empfängnisverhütung aber zu erlauben, mag zwar juridisch betrachtet auf einen wichtigen Punkt aufmerksam machen. Philosophisch ist der Hinweis auf diesen Sachverhalt aber wenig ergiebig.12 Zwar ist es nicht nur für juridische, sondern auch für ethische Systeme maßgeblich, Widersprüche zu vermeiden, und insofern sollte, wer die Tötung von Embryonen für medizinische Zwecke für verwerflich hält, sie gewiß nicht zum Zwecke der Empfängnisverhütung für legitim halten. Aber es ist eine philosophische Frage, wie die Tötung von Embryonen ethisch überhaupt zu bewerten ist, und eine ganz andere (juridische) Frage und unabhängig davon zu beantworten, ob in einer gegebenen Rechtsordnung der Rechtsstatus von Embryonen auf vielleicht widersprüchliche Weise erfaßt wird. Selbstverständlich fließen in positive Rechtsordnungen philosophische Überlegungen ein, und vielleicht kann man sogar positive Rechtsordnungen naturrechtlich begründen. Aber wenn eine positive Rechtsordnung einmal gegeben ist, sind Fragen der Konsistenz und Auslegung von Fragen nach der Wahrheit philosophischer Theorien zu unterscheiden.

12 Mit Blick auf die große Relevanz des Personbegriffs sowohl für die Embryonendebatte wie auch für die Abtreibungsdebatte ist auf der juridischen Ebene der Hinweis von nicht zu vernachlässigender Relevanz, daß im Grundgesetz (Art.l) vom Menschen und dessen Würde die Rede ist, keineswegs aber von der Person und ihrer Würde.

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Die politische Ebene Von der philosophischen und juridischen Ebene noch einmal zu differenzieren ist die politische Ebene der Embryonendebatte. Auf dieser Ebene geht es darum, welche politische Entscheidung - dürfen embryonale Stammzellen importiert, darf therapeutisches Klonen praktiziert werden? - unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen getroffen werden kann und soll. Natürlich sind solche Prozesse der Entscheidungsfindung auch davon abhängig, welche rechtlichen Vorgaben bereits vorliegen, was besonders durch die maßgeblichen Artikel der Verfassung von großer Relevanz ist. Auch philosophische Überlegungen spielen hier hinein, da öffentliche Debatten von moralischer Relevanz auch durch philosophische Traditionen und (professionelle) Moralphilosophen geprägt werden.13 Dennoch geht es auf der gesellschaftlichen Ebene nicht nur darum, wie Gesetze ausgelegt werden - denn es sollen ja gegebenenfalls neue geschaffen werden -, und es geht auch nicht nur darum, welches die richtige Antwort auf die Frage ist, über deren Antwort eine Entscheidung herbeigeführt werden muß. Denn ganz abgesehen davon, daß die Expertinnen und Experten sehr verschiedene und sogar widersprüchliche Auffassungen in der Embryonendebatte vertreten, steht die Politik im Unterschied zur Philosophie unter Zeitdruck, und im Unterschied zur Philosophie muß die Politik in einer demokratischen Gesellschaft auch und gerade in elementaren Fragen nicht (primär) eine Antwort finden, die wahr ist, sondern eine solche, die nach Möglichkeit einen breiten Konsens erlaubt. Durch Kompromisse kommt man nicht zur Wahrheit, wohl aber zu Rechtsfrieden und Stabilität. Wir werden gleich sehen, daß diese Überlegung auch für den Unterschied zwischen direkter und indirekter Argumentationsstrategie eine große Rolle spielt.

3. Begründungsstrategien: direkt, indirekt und metatheoretisch argumentieren Um unsere Hauptfrage - dürfen menschliche Embryonen unter normalen Umständen getötet werden? - zu beantworten, kann man zunächst zwei verschiedene Strategien verfolgen: eine direkte und eine indirekte. Wir werden eine indirekte Strategie verfolgen, mit der wir dann in einem zweiten Schritt ein Metaargument verknüpfen. Die direkte Strategie In der direkten Strategie versucht man zunächst zu begründen, warum bestimmte Lebewesen nicht getötet werden dürfen, um dann zu prüfen, ob Embryonen zu diesen Lebewesen gehören. Diese Strategie setzt ein ethisches System voraus, in dem erstens geklärt ist, was gut ist und (bzw. oder) wie man han13 Zum Beitrag der Philosophie zur Politik vgl. auch Damschen 2000.

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dein soll, und in dem zweitens geklärt ist, warum man so, wie man handeln soll, nämlich moralisch, überhaupt handeln soll. Nun ist es aber erstens eine unbestreitbare Tatsache, daß die Wissenschaft, die sich mit diesen Fragen beschäftigt (die Ethik), ganz verschiedene Ethiktypen kennt, die sich sowohl in den Grundprinzipien wie auch in der Ableitung bestimmter Handlungsgebote oder Wertsätze erheblich unterscheiden und auch widersprechen. Zweitens ist es nicht nur nicht gelungen, ein allgemein anerkanntes Tötungsverbot mit dem damit zusammenhängenden Würdebegriff zu begründen; wir halten die Feststellung für gerechtfertigt, daß in den meisten Ethiken nicht einmal der Versuch gemacht worden ist, den behaupteten Würdestatus bestimmter Lebewesen (etwa des Menschen) bzw. das Tötungsverbot wirklich zu begründen. Das kann man sich an zwei prominenten Vertretern ethischer Theorien, die auch in der Embryonendebatte eine große Rolle spielen, leicht klarmachen: Immanuel Kant und Peter Singer. Für Kant hat der Mensch Würde oder absoluten Wert, weil er Zweck an sich ist; und Zweck an sich sei der Mensch, weil er ein autonomes Wesen sei. Doch diese These, daß der Mensch Würde habe, weil er ein autonomes Wesen sei, wird von Kant überhaupt nicht begründet; sie wird einfach nur aufgestellt.14 Warum haben nicht auch fühlende Wesen Würde? Oder Wesen, die Schmerzen empfinden? Oder vielleicht auch Wesen aufgrund ihrer Schönheit (etwa Bäume)? Auch Peter Singer nennt einen solchen Kandidaten, ohne zu begründen, warum solche Lebewesen nicht getötet werden dürfen. Abgesehen davon, daß seine präferenzutilitaristische Begründung des Tötungsverbotes in vielen Fällen kontraintuitive Implikationen hat,15 bleibt seine Hauptthese, daß Lebewesen aufgrund ihrer zukunftsgerichteten Präferenzen nicht getötet werden dürfen, unbegründet. Wieso folgt aus der unbestreitbaren Tatsache, daß manche Lebewesen zukunftsgerichtete Präferenzen haben, daß diese Lebewesen unter den Schutz des Tötungsverbotes fallen? Wie oder woran erkennen wir dies? Darauf gibt Singer keine Antwort, ebensowenig wie Kant eine Antwort darauf gibt, wie oder woran wir erkennen, daß Autonomie die würdestiftende Eigenschaft ist. Die indirekte Strategie Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die entsprechende Begründungsversuche mit sich brächten, wollen wir die indirekte Strategie verfolgen. Der wesentliche Schachzug der indirekten Strategie besteht darin, auf eine Begründung dafür, warum bestimmte Eigenschaften würdestiftend sind, ausdrücklich zu verzichten. Wir wollen soweit wie möglich so vorgehen, daß wir von grundsätzlichen ethischen Positionen unabhängig sind. Vielmehr geht man in dieser Strategie davon aus, daß bestimmte Aussagen über die Würde von Lebewesen - ob 14 Vgl. dazu Schönecker 1999 und Schönecker/Wood 2002, 140-153. 15 Vgl. dazu Stoecker 1999, 251 ff., und zusammenfassend Schockenhoff (in diesem Band, 16-19).

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an sich begründet oder nicht - von fast allen Diskussionspartnern anerkannt werden; eine solche Aussage wäre etwa die, daß gesunde erwachsene Menschen nicht getötet werden dürfen. Eine weitere These ist schon problematischer: Nicht nur gesunde Erwachsene, sondern auch reversibel Komatöse, schwer geistig Behinderte und Neugeborene dürfen nicht getötet werden. Wenn man davon ausgeht, daß diese These zutrifft, dann könnte man, so die indirekte Strategie, nachweisen, daß Embryonen sich etwa von Neugeborenen oder reversibel Komatösen in keinen moralrelevanten Fähigkeiten unterscheiden und es also inkonsistent wäre, Neugeborene oder reversibel Komatöse, aber nicht Embryonen unter den Schutz des Tötungsverbotes zu stellen; und dieser Nachweis könnte ganz unabhängig davon gelingen, ob die These tatsächlich gut begründet ist, daß Neugeborene oder reversibel Komatöse nicht getötet werden dürfen. Diese Strategie ist auch deswegen besonders vielversprechend, weil es auf der politischen Ebene nicht primär darauf ankommt, die philosophisch richtige, sondern die gesellschaftlich akzeptable und rechtlich durchsetzbare Lösung zu finden. Für eine solche Lösung wäre es daher auch gleichgültig, ob eine Minderheit in der philosophischen Zunft die Position vertritt, Neugeborene dürften unter bestimmten Umständen sehr wohl getötet werden. Ein Metaargument Wir sind der Überzeugung, daß sich auf der Grundlage des Gedankens von der Potentialität des Embryos und der numerischen Identität zeigen läßt, daß Embryonen unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß solche Argumente auf Einwände und Gegenargumente stoßen (tatsächlich werden wir entsprechende Schwierigkeiten unseres Argumentes - des NIP-Argumentes - selbst vorstellen und darauf eingehen).16 Auch unserem Argument wird es wahrscheinlich nicht anders ergehen; es werden Zweifel an ihm laut werden. Wir meinen aber, daß dieses Argument hinreichend stark ist, um nicht als unplausibel oder sogar abwegig gelten zu müssen, und wir meinen auch, daß ein solches Argument hinreicht, um in Verknüpfung mit einem Metaargument - dem Vorsichtsargument - den WürdeM-Status von Embryonen zu demonstrieren. Denn solange wir berechtigte Zweifel daran haben, ob Embryonen Würde^ besitzen, sollten wir besser davon ausgehen, daß es sich auch so verhält (daß sie nämlich WürdeM besitzen); täten wir dies nicht, müßten wir im entgegengesetzten und jedenfalls nicht unwahrscheinlichen Falle davon ausgehen, auch unter normalen Umständen Wesen zu töten, die über Würdest verfügen und also nicht getötet werden dürfen.

16 Vgl. 238-250.

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B Das Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (SKIP) Wir werden jetzt versuchen, die Hauptargumente in der Embryonendebatte (SKIP) zu rekonstruieren und kritisch zu bewerten. Unter Rekonstruktion' verstehen wir dabei - anders als in philosophiehistoriographischen Kontexten - nicht die rekonstruierende Interpretation von Texten mit dem Ziel, solche Texte und die in ihnen enthaltenen Argumente besser zu verstehen.17 Die bioethische oder medizinethische Literatur zum moralischen Status menschlicher Embryonen ist in den letzten dreißig Jahren enorm angewachsen. Es wäre zwar eine reizvolle und sicher lohnende Aufgabe, diese Literatur umfassend, systematisch und genau zu sammeln, zu interpretieren und eben zu rekonstruieren, aber das ist nichts, was wir hier bewältigen könnten. Wir werden also erst gar nicht versuchen, die tatsächlich vorgeschlagenen Argumente mit all ihren Varianten und Details, Stärken und Schwächen nachzuvollziehen. Uns geht es vielmehr darum, die SKIP-Argumente gewissermaßen idealtypisch zu rekonstruieren. Das heißt natürlich nicht, das wir auf die vorliegende Literatur keine Rücksicht nehmen, im Gegenteil, wir haben versucht, uns ein möglichst umfassendes Bild von den bisher vorgetragenen Überlegungen zu machen.18Aus diesen tatsächlich vorliegenden Texten und Argumenten destillieren wir gewissermaßen das wichtigste heraus.

4. Das Speziesargument Eine möglichst präzise Rekonstruktion der SKIP-Argumente ist also unsere Aufgabe. Schon beim ersten dieser Argumente, dem Speziesargument (S-Argument), zeigt sich die Fruchtbarkeit einer solchen Anstrengung. Obwohl man nämlich eine allgemeine Form eines solchen S-Argumentes angeben kann, ist es eigentlich wenig sinnvoll und sogar irreführend, von ,dem' S-Argument zu sprechen. In Wahrheit müssen nämlich mindestens drei Formen von S-Argumenten unterschieden werden: (i) das speziesistisch-kausale S-Argument, (ii) das nichtspeziesistisch-kausale S-Argument, (iii) das nichtspeziesistisch-kriterielle S-Argument. Gemeinsam ist diesen drei Formen von S-Argumenten, daß in ihnen der Speziesbegriff die zentrale Rolle spielt; damit ist einiges, aber noch nicht sehr viel 17 Vgl. z. B. Stegmüller 1967; vgl. dazu kritisch Schönecker 2001. 18 Einen Überblick über die Literatur zum moralischen Status menschlicher Embryonen (Embryonen- und Abtreibungsdebatte) findet man in unserer Auswahlbibliographie (in diesem Band, 295-309).

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gesagt. Das, was damit gesagt wird, läßt sich durch den folgenden Schluß darstellen: (1) Jedes Mitglied der Spezies Mensch hat Würde^iVx (Mx -» WMx) (2) Jeder menschliche Embryo ist Mitglied der Spezies Mensch. Vx (Ex -*· MX) Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat WürdeM. /.Vx (Ex -* WMx)19 Es wird sich später herausstellen, daß die erwähnten drei Formen des S-Argumentes, logisch betrachtet, mit dieser formalen Darstellung in der allgemeinen Fassung kompatibel sind. Dennoch ist es ratsam, bei der Diskussion des S-Argumentes die drei Formen des Speziesargumentes jeweils für sich zu betrachten. Beginnen wir mit dem speziesistisch-kausalen S-Argument. Das speziesistisch-kausale S-Argument Im Zusammenhang mit dem Speziesargument wird stets auch eine Position diskutiert, die seit einiger Zeit unter der Bezeichnung Speziesismus firmiert.20 Darunter versteht man die These, daß ein Wesen dann und nur dann, wenn es ein Mitglied der Spezies Mensch ist, Würde hat. Bei aller Unklarheit des Würdebegriffs ist damit zumindest impliziert, daß dann und nur dann, wenn ein Wesen Mitglied der Spezies Mensch ist, ein solches Wesen unter normalen Umständen nicht getötet werden darf. Entscheidend ist der Gedanke, der mit der Wendung ,dann und nur dann' zum Ausdruck gebracht wird. Folgt man dem Speziesismus, dann besteht nämlich zwischen dem Status, Mensch zu sein, und dem Status, Würde zu besitzen, eine Äquivalenzbeziekung. Der Speziesismus beginnt mit folgender Behauptung: Wenn etwas Mensch ist, dann hat es auch Würde, formal: (i) Vx (Mx-* Wx).21

19 Die einzelnen Elemente einer biologischen Spezies werden „Mitglieder" genannt. Zu einer Spezies zu gehören, ist also eine Form der „Mitgliedschaft". Wir haben deshalb im Speziesargument den Terminus „Mitglied einer Spezies" gewählt. - Statt von der Spezies „Mensch" müßte man genauer von der Spezies „Homo sapiens sapiens" sprechen, weil „Mensch" eine Gattungsbezeichnung ist; wir verzichten darauf aus Gründen der Einfachheit. 20 Es war bekanntlich Peter Singer, der diesen Begriff populär gemacht hat (vgl. Singer 1996 [EA 1975], 27ff. und 1984 [EA 1982], 70ff.); vgl. auch LaFolette/Shanks 1996; für den deutschsprachigen Raum vgl. z.B. Hoerster 1991, 55-69. 21 Diese These entspricht Prämisse l aus der allgemeinen Fassung des S-Argumentes. - Die Einführung des Begriffs „ WürdcM*' erübrigt sich in der speziesistischen Va-

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Aber der Speziesismus behauptet nicht nur, wie es diese formale Wiedergabe zeigt, daß die Mitgliedschaft zur Spezies Mensch (also das biologische Menschsein) eine hinreichende Bedingung dafür ist, Würde zu besitzen. Er behauptet zugleich, daß ein Wesen, das kein Mitglied der Spezies Mensch ist, auch keine Würde hat und haben kann. Das läßt sich formal so ausdrücken: (ii) V x ( - M x ^ - - W x ) . Damit ist aber nichts anderes gesagt, als daß die Mitgliedschaft zur Spezies Mensch auch eine notwendige Bedingung dafür ist, Würde zu besitzen, oder anders gesagt: Nur wer Mitglied der Spezies Mensch ist, hat Würde. Formal läßt sich das leicht durch die Kontraposition von (ii) zeigen; dann gewinnt man nämlich (iii) Vx(Wx^Mx), und aus (i) und (iii) folgt Vx (Mx *»Wx), also eben die Aussage, daß zwischen dem biologischen Status, Mensch zu sein, und dem ethischen Status, Würde zu besitzen, eine Äquivalenzbeziehung besteht. Wer aber sagt, daß die Mitgliedschaft zur Spezies Mensch eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür ist, Würde zu besitzen, der sagt damit zugleich, daß ein Wesen, das kein Mitglied der Spezies Mensch ist, auch keine Würde besitzt. Hat der Speziesismus recht, dann können etwa Pflanzen oder auch Tiere keine Würde haben, weil sie keine Mitglieder der Spezies Mensch sind. Auf die Kritik am Speziesismus gehen wir gleich ein. Zunächst ist es wichtig zu sehen, daß der Speziesismus nicht nur aussagt, daß alle und ausschließlich Mitglieder der Spezies Mensch Würde besitzen. Die eigentliche These ist vielmehr die, daß ein Wesen, das Mitglied der Spezies Mensch ist, allein deshalb Würde besitzt, weil es Mitglied der Spezies Mensch ist. Die bloße Tatsache, biologisch zur Spezies Homo sapiens sapiens zu gehören, ist demnach sowohl kausal hinreichend wie auch notwendig dafür, Würde zu besitzen. Es besteht, logisch betrachtet, nicht nur eine Äquivalenz zwischen der Aussage, ein Lebewesen sei Mitglied der Spezies Mensch, und der Aussage, ein Lebewesen habe Würde. Es besteht, so der Speziesismus, außerdem ein Bedingungsverhältnis, eine Kausalrelation zwischen der Eigenschaft, Mitglied der Spezies Mensch zu sein, und der Eigenschaft, Würde zu besitzen. Das speziesistische S-Argument besagt also: Dann und nur dann, wenn ein Wesen ein Mitglied der Spezies riante. Im Obersatz und in der Konklusion der allgemeinen Fassung des S-Argumentes ist also in der speziesistischen Interpretation nur von „Würde" die Rede.

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Mensch ist, hat es Würde, und diese Würde wird kausal durch diese biologische Mitgliedschaft verursacht. Und da menschliche Embryonen zu dieser Spezies gehören, besitzen sie aus der Sicht des Speziesismus auch Würde. Das nichtspeziesistisch-kausale S-Argument Aus Gründen, auf die wir gleich zu sprechen kommen, ist der Speziesismus, der dem speziesistisch-kausalen S-Argument zugrundeliegt, wenig plausibel, und tatsächlich haben, wenn überhaupt, auch nur wenige das speziesistisch-kausale S-Argument in seiner reinen Form vertreten.22 Man kann aber auf den Speziesismus verzichten und dennoch ein Argument vortragen, das es verdient, ein S-Argument genannt zu werden. Auch in einem solchen Argument - nennen wir es das nichtspeziesistisch-kausale S-Argument - wird nämlich an dem Obersatz aus dem obigen Schluß festgehalten, also daran, daß jedes Mitglied der Spezies Mensch Würde hat. Und auch für die nichtspeziesistische Variante des S-Argumentes gibt es eine Kausalrelation zwischen der Eigenschaft, Mitglied der Spezies Mensch zu sein, und der Eigenschaft, Würde zu besitzen. Im Unterschied zum Speziesismus wird die Mitgliedschaft zur Spezies Mensch dabei aber nur als hinreichende, nicht zugleich als notwendige Bedingung verstanden: Wenn ein Wesen Mitglied der Spezies Mensch ist, dann hat es Würde. Wenn ein Wesen nicht Mitglied der Spezies Mensch ist, folgt daraus aber nicht, daß ein solches Wesen keine Würde hat; es könnte andere Gründe für seine Würde geben (etwa auch die Mitgliedschaft zu einer anderen Spezies).23 So oder so, auch in dieser nichtspeziesistischen Variante gilt: Menschliche Embryonen gehören zur Spezies Mensch, und da alle Mitglieder dieser Spezies (aufgrund dieser ihrer Mitgliedschaft) Würde^ besitzen, besitzen auch Embryonen Würde^· Das nichtspeziesistisch-kriterielle S-Argument Eine dritte Interpretation des Obersatzes (daß jedes Mitglied der Spezies Mensch Würde hat), versteht die Relation zwischen der Spezieszugehörigkeit und Würde nicht als kausale, sondern als epistemologisch-kriterielle Relation. Demzufolge wird der Status eines Wesens, Mitglied der Spezies Mensch zu sein, nicht als eine kausale Ursache dafür verstanden, daß ein solches Wesen Würde^ 22 Ein nichtspeziesistisch-kausales S-Argument findet sich bei Spaemann 1989,220, und 1996 (vgl. z. B. 1996, 264, wo Spaemann über Delphine als mögliche Personen spricht). Auch die Moraltheologie der katholischen Kirche argumentiert übrigens keineswegs speziesistisch. Im Bericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin finden nur KIP-Argumente überhaupt Eingang, und das speziesistische S-Argument wird mit dem Unterschied zwischen ZuschreibungsgrwW und Zuschreibungs&nimww sogar ausdrücklich zurückgewiesen (Deutscher Bundestag 2002, 74). 23 Da es sich um ein nichtspeziesistisches Argument handelt, steht im Obersatz und in der Konklusion statt „Würde" entsprechend

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besitzt. Vielmehr wird diese Spezieszugehörigkeit als eine epistemologische, und zwar kriterielle Bedingung für die Erkenntnis interpretiert, daß ein solches Wesen Würde^ besitzt: Wenn ein epistemisches Subjekt S weiß, daß, wenn ein Wesen Mitglied der Spezies Mensch ist, dieses Wesen Würde^ besitzt, und S weiß, daß ein Wesen Mitglied der Spezies Mensch ist, dann weiß S auch, daß dieses Wesen Würde^ besitzt. Gemäß dem nichtspeziesistisch-kriteriellen S-Argument läßt uns die Mitgliedschaft eines Wesens zur Spezies Mensch also erkennen, daß dieses Wesen WürdeM besitzt; daraus folgt aber nicht, daß der Grund, weshalh dieses Wesen WürdeM besitzt, in der Mitgliedschaft zur Spezies Mensch besteht (und es folgt daraus auch nicht, daß nur Mitglieder der Spezies Mensch Würde^ besitzen). Die Grundidee des nichtspeziesistisch-kriteriellen S-Argumentes besteht darin, daß die biologische Spezieszugehörigkeit (ähnlich einem Tachometer) uns anzeigt, daß ein bestimmtes Wesen WürdeM besitzt, weil immer dann, wenn biologische Spezieszugehörigkeit vorliegt, auch das Attribut vorliegt (aber nicht umgekehrt), so daß die Speziesgehörigkeit zwar die Würde^j anzeigt, aber weder direkt noch indirekt verursacht (so wie der Tachometer die Geschwindigkeit anzeigt, aber nicht verursacht).24 Zur Kritik des Speziesbegriffs Da Vertreter von S-Argumenten mit dem zentralen Begriff der Spezies operieren, müssen sie voraussetzen, daß Klarheit darüber besteht, was dieser Begriff überhaupt bedeutet. Nun wird man zugeben, daß in der Philosophie ständig mit Begriffen operiert wird, deren Bedeutung notorisch unklar oder zumindest umstritten ist. Aber der Speziesbegriff wird nicht nur innerhalb der Philosophie der Biologie, sondern auch in der Biologie selbst sehr kontrovers diskutiert. Noch in jüngsten Veröffentlichungen wird dies betont: Es gebe eine Vielzahl verschiedener Theorien, und von einem allgemein anerkannten Konzept sei man weit entfernt.25 Wir können an dieser Stelle darauf nicht weiter eingehen, aber es darf wohl mit gutem Grund behauptet werden, daß auch in der Biologie und ihren Teildisziplinen weder klar ist, wie Spezies voneinander genau unterschieden 24 Das Attribut kann dabei sowohl als aktuale oder potentielle Eigenschaft oder Fähigkeit verstanden werden. - Im Sinne eines Zuschreibungskriteriums (statt eines Zuschreibungsgrundes) interpretiert auch Honnefeider 1993, 252, das S-Argument; die These, die bloße biologische Spezieszugehörigkeit sei würdestiftend, weist er zurück. 25 So schreibt etwa Barton: „Despite the central importance of species and speciation to biology, there is no consensus on what exactly a species is" (2001, 325); im gleichen Heft der Zeitschrift Trends in Ecology & Evolution listet Hey zwei Dutzend verschiedene Speziesbegriffe auf (2001, 327); und Mallet behauptet im Journal of Evolutionary Biology, daß in den nächsten Jahren mit einer Revolution im Verständnis der Speziesbildung zu rechnen sei (2001, 887). Zur philosophischen Interpretation vgl. Ereshevsky 1992. — Für entsprechende Hinweise danken wir Carolin Delker und Michael Latthof.

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werden können, noch klar ist, wie genau die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Spezies bestimmt werden kann. Besonders der letzte Punkt ist für das S-Argument aber verheerend. Denn im Untersatz des S-Argumentes geht es ja gerade um die These, daß jeder menschliche Embryo ein Mitglied der Spezies Mensch ist. Wenn aber aufgrund fehlender Definitionsklarheit gar nicht festgestellt werden kann, ob und wann überhaupt ein Wesen zur Spezies Mensch gehört, läuft diese These von vornherein ins Leere, weil dann auch nicht festgestellt werden kann, ob bzw. inwiefern ein Embryo zur Spezies Mensch gehört.26 Zur Kritik des Speziesismus Doch gehen wir einmal davon aus, der Speziesbegriff lasse sich ohne größere Probleme klären. Dann gibt es gegen den Speziesismus immer noch ein einfaches, aber schlagendes Argument: Wir brauchen dafür nur anzunehmen, es existierten irgendwo im Universum Wesen, die genauso oder ähnlich intelligent, leidend und mitleidend, sozial, autonom usw. sind wie wir, kurzum: Wesen, die in einem nichtbiologischen Sinne genauso oder ähnlich menschlich sind wie wir, ohne daß sie biologisch zur Spezies Mensch gehörten (selbst wenn es diese Wesen de facto nicht gibt, ist es sicher nicht ausgeschlossen, daß es sie zumindest geben könnte, und diese Möglichkeit reicht für unsere Überlegung). Hätte der Speziesismus recht, dann besäßen solche Wesen keine Würde, sie fielen nicht unter den Schutz des Tötungsverbotes.27 Man mag auf diese intuitiv einleuchtende Überlegung mit der Erwiderung reagieren, daß diese Wesen dann eben tatsächlich keine Würde hätten. Allerdings würde dies nur noch einmal deutlich machen, daß der Speziesismus nicht positiv begründet, warum überhaupt die bloße Spezieszugehörigkeit ethisch bzw. moralisch relevant sein soll.28 Zwar leiden, wie wir schon sahen, fast alle ethischen Ansätze unter dieser Schwierigkeit, tatsächlich nicht zu begründen und vielleicht auch nicht begründen zu können, warum bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften würdestiftend sind.29 Aber der Speziesismus fällt gewissermaßen aus dem Kreis der überhaupt plausiblen 26

Übrigens müßte man vielleicht von einem „Unterspeziesargument" sprechen, weil der Homo sapiens sapiens (vermutlich) keine Art, sondern eine Unterart ist. „Homo" bezeichnet die Gattung, „sapiens" die Art und das an die Artbezeichnung angehängte erneute „sapiens" die Unterartbezeichnung. Es scheint uns klar, daß in der Debatte um das S-Argument stets die Spezies bzw. Subspezies gemeint ist, nicht aber die Gattung. Tatsächlich gehen die Begriffe bei den meisten Autoren durcheinander. 27 Vgl. schon die Überlegung bei Tooley 1983, 66f. 28 Daher auch der pejorative Neologismus „Speziesismus": Ähnlich wie der Rassismus oder Sexismus leide der Speziesismus, so die Kritiker, von vornherein an einem massiven Begründungsdefizit. Genausowenig wie einzusehen sei, warum die bloße Zugehörigkeit zu einer Rasse oder einem Geschlecht moralisch relevant ist, sei auch die bloße Zugehörigkeit zu einer Spezies nicht als moralrelevant einsehbar; vgl. Singer 1984, 70-84, und Hoerster 1991, 61. 29 Vgl. Teil A, 189-198.

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Kandidaten heraus. Denn er impliziert, daß Wesen, die wie wir über Selbstbewußtsein, Rationalität, Autonomie, kurz: über verfügen bzw. sind, aber nicht zu unserer Spezies gehören, keine Würde bzw. WürdeM besitzen (also auch nicht unter das Tötungsverbot fallen). Und das ist hochgradig kontraintuitiv und damit gleichbedeutend mit einer reductio ad absurdum. Zur Kritik des Sein-Sollen-Fehlschlusses Besonders im Zusammenhang mit S-Argumenten wird immer wieder der Vorwurf des Sein-Sollen-Fehlschlusses bzw. des naturalistischen Fehlschlusses erhoben.30 Der Vorwurf besteht darin, daß im S-Argument ausschließlich auf ein biologisches Faktum Bezug genommen werde; es sei aber nicht ersichtlich, wie allein ein Faktum der Natur eine Norm begründen könne.31 Doch worin genau besteht eigentlich der Vorwurf? (i) In einer schwachen (logischen) Interpretation besteht der Sein-SollenFehlschluß nur darin, daß aus „ist"-Aussagen, also aus deskriptiven Aussagen, keine „soll"-Aussagen, also keine normativen Aussagen, deduktiv abgeleitet werden können. Genauer gesagt: Keine normative Aussage - also keine Aussage, die etwas gebietet oder als moralisch wertvoll (gut) behauptet - kann gültig aus einer Prämissenmenge gefolgert werden, die nicht bereits eine normative Aussage enthält. Nun ist das aber nichts anderes als die wichtige, aber doch eben auch trivial und unbestreitbar zu nennende Einsicht, daß in Schlüssen die Konklusion nicht mehr enthalten darf, als in den Prämissen enthalten ist. Und wenn in den Prämissen keine normative Aussage enthalten ist, dann kann auch, so das gegen den Sein-Sollen-Fehlschluß geltend gemachte (sogenannte Humesche) Gesetz, die Konklusion keine solche Aussage sein oder keine solche Aussage enthalten. So läßt sich etwa aus den beiden Aussagen „Dort an der Kreuzung steht eine gebrechliche alte Frau" und „Diese gebrechliche alte Frau kann ohne fremde Hilfe die Kreuzung nicht passieren" nicht die normative Konklusion ableiten „Du sollst dieser Frau über die Kreuzung helfen". An dieser elementaren logischen Regel - eine Konklusion darf nicht mehr enthalten als die Prämissen - läßt sich nicht zweifeln, und in diesem Sinne handelt es sich bei jedem Sein-Sollen-Fehlschluß tatsächlich um einen Fehlschluß. Man sieht aber auch sofort, daß der logische Fehler in einem solchen Fehlschluß sehr leicht behoben werden kann - man muß in die Prämissenmenge nur eine entsprechende norma30 Dabei wird meistens unterstellt, es handele sich um einen und denselben Fehlschluß. Der Ausdruck „naturalistischer Fehlschluß" wurde von G. E. Moore geprägt (in Principia Ethica). Da er dort etwas anderes meint als den Sein-Sollen-Fehlschluß (nämlich eigentlich die falsche Identifikation von „gut" mit einem anderen Attribut und die daraus resultierende Unmöglichkeit, „gut" zu definieren), vermeiden wir diesen Ausdruck und sprechen statt dessen vom „Sein-Sollen-Fehlschluß". Der damit verbundene Sachverhalt wird auch als „Humes Gesetz" oder „is-ought"- bzw. „factvalue-distinction" beschrieben. 31 Vgl. z. B. Merkel 2001, 467f.; in diesem Band, 37-39.

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tive Aussage aufnehmen. In unserem Beispiel wäre das etwa die Aussage „Alten gebrechlichen Frauen, die ohne fremde Hilfe keine Kreuzung passieren können, soll geholfen werden". Nimmt man diese normative Prämisse hinzu, gibt es an dem Schluß und damit an der Konklusion formal nichts auszusetzen. Es bleibt natürlich die Frage, wie eine solche normative Prämisse begründet werden kann. Aber das ist gerade nicht die Schwäche, auf die der logisch interpretierte Vorwurf des Sein-Sollen-Fehlschlusses hinweist. (ii) Wäre mit dem Vorwurf, S-Argumente begingen den Sein-Sollen-Fehlschluß, nichts anderes gemeint als der besagte logische Fehler, dann wären entsprechende S-Argumente leicht zu reparieren. Tatsächlich wäre das S-Argument in der allgemeinen Form (und seinen drei Spezifikationen) nicht einmal reparaturbediirftig, weil im Obersatz bereits eine normative Aussage ausgedrückt wird, die dann in Verbindung mit einer deskriptiven Aussage eine weitere normative Aussage erlaubt, und daran ist, wie gesagt, nichts auszusetzen. Aber in Wahrheit besteht in einer starken (materialen) Interpretation des Sein-Sollen-Fehlschlusses der behauptete Irrtum des S-Argumentes darin, daß überhaupt eine Norm (ein Sollen) durch ein biologisches Faktum (ein Sein) begründet wird; die häufige Rede vom ,naturalistischen' Fehlschluß erklärt sich in diesem Kontext dann daraus, daß das in Frage stehende ,Sein' ein »natürliches* (z. B. biologisches) Faktum ist.32 Der eigentliche Vorwurf besteht demnach darin, daß im S-Argument das Tötungsverbot bloß dadurch begründet wird, daß diejenigen, die durch dieses Verbot geschützt werden sollen (also auch Embryonen), zur Spezies Mensch gehören. Allein diese biologische Tatsache soll die Norm begründen, und dagegen wird behauptet, daß sich aus einer biologischen (oder eben naturalistisch zu beschreibenden) Tatsache nichts Normatives ableiten ließe. Erstaunlicherweise gehört die nicht bloß logisch, sondern material interpretierte These vom Sein-Sollen-Fehlschluß zu den wenigen Thesen der Philosophie, die fast ungeteilte Zustimmung finden. Das ist erstaunlich, weil diese These schon auf den ersten Blick viel weniger plausibel ist als ihre fast uneingeschränkte Akzeptanz vermuten ließe. Zunächst einmal kann man darauf hinweisen, daß es jedenfalls nicht ausgeschlossen oder irgendwie ,logisch' oder ,semantisch' verboten ist, eine Beschreibung einer Entität für unvollständig zu halten, wenn diese Entität nicht zugleich auch durch Wertprädikate beschrieben wird. Dann ließen sich in der Konklusion normative Sätze ableiten, weil solche Sätze schon in der Prämissenmenge enthalten sind. So ist im Rahmen einer bestimmten Konzeption von Ethik, die valuative Begriffe für zentral hält (vertre32 In diesem Sinne schreibt z.B. Merkel (in diesem Band, 37): „Wer allein den sachlichen Umstand einer bestimmten biologischen Beschaffenheit heranzieht, um eine Norm zu begründen - eben das Recht des Embryos auf Leben und damit zugleich die Pflicht aller anderen, seine Tötung zu unterlassen -, der demonstriert exemplarisch, was seit David Hume ein ,Sein-Sollen-' und seit George Edward Moore nicht selten auch ein »naturalistischer Fehlschluß' genannt wird: den ungültigen direkten Schluß von einem Faktum der Welt auf eine Norm".

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ten etwa von Hans Jonas), der Vorwurf des Sein-Sollen-Fehlschlusses ohnehin obsolet.33 Im Rahmen einer solchen physiozentrischen Ethik versteht man alles und auch natürlich Seiende als (mehr oder weniger) wertvoll. Daß dieses Seiende außerdem naturwissenschaftlich beschreibbar ist, ändert daran nichts und begründet nicht den Vorwurf des Sein-Sollen-Fehlschlusses. Im Gegenteil: Deskriptive und valuativ-normative Urteile lassen sich letztlich nicht völlig trennen. So ließe sich etwa die menschliche totipotente Zelle, wie sie die Biologie beschreibt, als wertvoll charakterisieren. Die totipotente Zelle wäre nicht wertvoll, wenn sie nicht das wäre, was sie ist und wie sie naturwissenschaftlich beschrieben wird. Was wertvoll ist, ist schützenswert; und daraus lassen sich dann bestimmte Normen ableiten. Doch damit ist ein weites und schwieriges Feld eröffnet, auf das wir uns hier nicht einlassen können, aber auch nicht einlassen müssen. Denn diejenigen, die üblicherweise (und nicht nur im Zusammenhang mit dem S-Argument) den Vorwurf des inhaltlich interpretierten Sein-Sollen-Fehlschlusses erheben, begehen ihn selbst; wir müssen nur zeigen, daß der Vorwurf des so verstandenen Sein-Sollen-Fehlschlusses, wenn er denn überhaupt stichhaltig ist, jedenfalls auf diejenigen zurückfällt, die ihn erheben. Und das ist leicht gezeigt: Sieht man einmal von einem allgemein verstandenen Naturalismus ab, demzufolge normative Aussagen und Terme sich in nichtnormative Aussage und Terme übersetzen lassen,34 und versteht man unter ,naturalistisch' das, was in der Sprache der Naturund Sozialwissenschaften beschrieben wird oder beschrieben werden kann, so wäre der sogenannte naturalistische Fehlschluß insofern naturalistisch, als er von Entitäten, die in der Sprache der Natur- und Sozialwissenschaften beschrieben werden oder beschrieben werden können, auf Normen schließt. In diesem Sinne besteht der Vorwurf im Rahmen des S-Argumentes gerade darin, daß allein durch eine biologisch beschreibbare Eigenschaft (Mitglied der Spezies Mensch zu sein) eine Norm begründet wird. Eine solche bloß biologische (natürliche und naturalistisch beschreibbare) Eigenschaft allein sei aber moralisch irrelevant. Moralisch relevant sei vielmehr die Tatsache, daß Menschen sich ihrer selbst bewußt seien, Lebensinteressen haben können oder subjektiv verletzbar seien (so Philosophen, die, zugegeben grob gesprochen, ähnlich wie Peter Singer einen Interessen- oder Präferenzbegriff zur Basis ihrer Ethik machen).35 Nun kann man aber die Tatsache, daß ein Wesen Bewußtsein und Präferenzen hat, doch weitgehend naturalistisch beschreiben, ja Vertreter eines physikali33 Vgl. Jonas 1979, bes. 90-95. Jonas nennt dort Humes Gesetz ein Dogma, das „nie ernsthaft geprüft worden [ist] und nur auf einen Begriff von Sein zu[trifft], für den, da er schon in entsprechender Neutralisierung (als ,wertfrei') konzipiert ist, die Unableitbarkeit eines Sollens eine tautologische Folge ist" (92); vgl. auch Schockenhoff (in diesem Band, 17). 34 Vgl. Kutschera 21999, 54-59. 35 Vgl. z. B. im Zusammenhang mit dem Speziesismus Merkel (in diesem Band, 40-44) undHoerster!991,55-69.

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stisch-biologistischen Ansatzes würden behaupten, daß die Termini „Bewußtsein", „Präferenz" oder auch „Verletzbarkeit" vollständig in der Sprache der Naturwissenschaften definiert werden können. Die Eigenschaft, Mitglied der Spezies Mensch zu sein, wäre demnach nicht weniger, aber auch nicht mehr ,naturalistisch' zu begreifen als etwa die Eigenschaft, Präferenzen zu haben. Nicht nur begründen Vertreter eines präferenzorientierten Ansatzes in der Ethik genausowenig wie ihre Kontrahenten aus anderen Schulen (seien sie .kantisch' zu nennen oder wie auch immer), warum nun ausgerechnet das aktuale Haben von Präferenzen oder die Eigenschaft, subjektiv verletzbar zu sein, maßgeblich sein soll - der Fels, bei dem sich für sie der Spaten umbiegt,36 ist nicht minder als der Fels der Speziesisten ,naturalistisch'. Das Problem des Speziesismus besteht nicht darin, daß er aus einem (biologischen) Sein auf ein Sollen schließt. Es besteht darin, daß er von einem falschen Sein auf ein Sollen schließt, und dieser Fehler wiederum zeigt sich nur dadurch, daß er ethisch kontraintuitive Konsequenzen hat. Präferenzorientierte Ansätze vermeiden diese kontraintuitive Konsequenz (und handeln sich zugleich andere ein). Aber auch in solchen Ansätzen wird von einem Sein ausgegangen, und dieses Sein ist ebenso wie in anderen Ansätzen naturalistisch interpretierbar. Was bleibt vom S-Argument? Die Kritik am Speziesismus und damit auch die Kritik am speziesistisch-kausalen S-Argument ist, so meinen wir, vernichtend. Es ist weder einleuchtend, warum der Würdestatus grundsätzlich auf Menschen beschränkt sein soll, noch ist nachvollziehbar, wie überhaupt eine bloße Spezieszugehörigkeit als solche moralisch relevant sein kann. Die nichtspeziesistisch-kausale Variante des S-Argumentes hat zwar den Vorteil, die Mitgliedschaft zur Spezies Mensch nur für eine hinreichende, nicht aber für eine notwendige (kausale) Bedingung für WürdeM zu halten. Aber auch sie kann überhaupt nicht plausibel machen, warum es diese Mitgliedschaft selbst ist, die würdestiftend ist, und nicht vielmehr eine -Eigenschaft, die mit dieser biologischen Mitgliedschaft - oder einer anderen - in der Regel einhergeht. Gerade wer die Spezieszugehörigkeit bloß als hinreichende Bedingung versteht, neben der andere hinreichende Bedingungen denkbar sind (etwa die Mitgliedschaft zur Spezies Wookiee), hat Beweisnot zu erklären, warum die bloße Spezieszugehörigkeit- sei es zur Spezies Homo sapiens sapiens, sei es zur Spezies Wookiee - maßgeblich sei soll, nicht aber eine oder mehrere -Eigenschaften, die Mitglieder verschiedener Spezies gemeinsam haben.

36 Dieses Bild hat Reinhard Merkel bei einer von G. Damschen und D. Schönecker veranstalteten DFG-Tagung in Halle (22.2.-24.2.2002: Der moralische Status von Embryonen. Argumente pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- undPotentialitätsargument) benutzt, um auf die Frage zu antworten, warum Verletzbarkeit moralisch relevant sei.

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Im Kontext von S-Argumenten findet man häufig zwei weitere Überlegungen, auf die wir noch kurz eingehen sollten: Eine Möglichkeit, den Fehler im logisch interpretierten Sein-Sollen-Fehlschluß zu beheben, bestehe darin, ein Prinzip der ,Speziessolidarität' einzuführen: Sei solidarisch mit allen Mitgliedern Deiner Spezies (Mensch)!37 Abgesehen davon, daß S-Argumente gar keinen logischen Fehler begehen, sieht man sofort, daß ein solches Prinzip unbegründet ist. Denn entweder besagt dieses Prinzip nichts anderes als das S-Argument selbst bzw. leitet sich aus ihm ab; dann ist es der gleichen Kritik ausgesetzt. Oder es müßte anders begründet werden - dann aber wie? Dazu wird nichts gesagt. Eine andere Überlegung besagt, man müsse alle Mitglieder einer Spezies ungeachtet ihrer tatsächlichen individuellen Gestalt oder biologischen Ausstattung als Würdeträger betrachten, wenn die typischen Vertreter dieser Spezies aktuale würdestiftende (^-Eigenschaften haben; auf diese Weise würden z. B. auch anenzephale Kinder oder eben auch Embryonen geschützt.38 Aber warum sollte man dies tun? Entweder hängt der Würdestatus an der biologischen Spezieszugehörigkeit oder nicht. Wenn ja, dann spielen die aktual würdestiftenden -Eigenschaften keine Rolle, weil davon die Spezieszugehörigkeit unberührt ist, und eine solche Position ist dann genau der gleichen Kritik ausgesetzt wie die S-Argumente.39 Oder der Würdestatus hängt wirklich davon ab, jene würdestiftenden -Eigenschaften aktual zu haben, dann haben jene untypischen Vertreter sie gerade nicht aktual. (Man kann argumentieren, daß sie sie potentiell haben, aber dann sind wir bei einem ganz anderen Argument, dem Potentialitätsargument.) Allein das kriteriell interpretierte S-Argument kann vielleicht noch eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nehmen. Allerdings muß man es dazu in einen anderen Argumentationskontext passen; wir kommen darauf zurück, wenn wir das NIP-Argument entwickeln.

37 Vgl. z. B. Leist 1990, 65, und Merkel 2001, 470f. sowie in diesem Band, 45-46; Leist kritisiert dieses Prinzip. 38 Vgl. dazu Leist 1990, 65 f. 39 Ein entwicklungsfähiger Embryo ist jedenfalls Mitglied der Spezies Mensch, auch ohne die üblichen -Eigenschaften aktual zu besitzen. - Es hilft nicht, wie Spaemann zu behaupten, etwa schwer debile Menschen sollten wir in der Annahme schützen, „daß sie eigentlich eine menschliche Natur haben" (2001,425, u. H.). Denn biologisch betrachtet sind auch schwer debile Menschen immer noch (und nicht nur ,eigentlich') Menschen, im nichtbiologischen (man sagt auch oft: personalen) Sinne sind sie es wohl gerade nicht (nicht einmal ,eigentlich'). Die These, das , Wesen' (oder die ,Seele') des Menschen liege auch bei denen vor, bei denen es sich gerade nicht zeige, ist, wie Spaemann 1989, 220, einräumt, „theoretisch voraussetzungsvoll".

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5. Das Kontinuumsargument Das Kontinuumsargument (K- Argument) wird zwar häufig in der Diskussion angeführt (manchmal auch unter dem Namen „Kontinuitätsargument"),40 gehört aber unserer Meinung nach zu den schwächeren SKIP- Argumenten. Seine Grundidee ist ungefähr folgende:41 Ein Embryo entwickelt sich unter normalen Umständen zu einem erwachsenen Menschen. Diesen Erwachsenen dürfen wir nicht töten, denn er hat Würde^. Wenn man nun auf der Zeitachse den Entwicklungsprozeß vom Embryo hin zum Erwachsenen zurückgeht, wird man keinen biologischen (oder sonstigen) Einschnitt finden, ab dem das sich entwickelnde Lebewesen Würde^ hatte, vor dem aber dieses Lebewesen keine Würde^i besaß. Die Entwicklung des Embryos hin zum Erwachsenen ist kontinuierlich: Sie weist keine moralrelevanten Einschnitte auf. Wenn also die Entwicklung keine moralrelevanten Einschnitte aufweist, der Erwachsene aber WürdeM besitzt, dann auch schon der Embryo. Das läßt sich folgendermaßen formalisieren:42 (1) Jedes menschliche Wesen, das aktual ist, Vx ([Mx ax] -» WMx) (2) Jeder menschliche Embryo wird sich, unter normalen Bedingungen, kontinuierlich (ohne moralrelevante Einschnitte) zu einem menschlichen Wesen entwickeln, das aktual ist. Vx(Ex-* k [MxA4> a x])« Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat WürdeM· /.Vx (Ex -» WMx) Der entscheidende Punkt am K-Argument ist offenkundig die zweite Prämisse, in der es um die kontinuierliche Entwicklung' geht. Im Zusammenhang mit dem K-Argument wird aber nicht nur das Adverb kontinuierlich (entwickeln)' verwendet, sondern auch das Substantiv jKontinuum'. Ehe man die ethischen Implikationen solcher Termini betrachtet, ist zunächst die Frage angebracht, was sie eigentlich in nicht-ethischen Zusammenhängen bedeuten.

40 Deutscher Bundestag 2002; The President's Council on Bioethics 2002; BverfGE 39, l ff., 37. 41 Vgl. auch Leist 1990, 50-53; Kaminsky 1998, 88-92; Merkel 2001, 473-476. 42 Einen komplexeren Schluß, der aber im Prinzip dasselbe ausdrückt, präsentiert Leist 1990, 50 f. 43 Es scheint uns schwierig, den Untersatz des K-Argumentes mit Hilfe der üblichen allquantifizierten Subjunktion darzustellen. Daher haben wir für die entscheidende zweistellige Relation ,x entwickelt sich kontinuierlich (ohne moralrelevante Einschnitte) zu y' das folgende Symbol,-»]/ gewählt.

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Der nicht-ethische Kontinuumsbegriff Das K-Argument beginnt mit dem Hinweis, daß der Mensch von der imprägnierten Oozyte über die Zygote und den erwachsenen Menschen bis hin zum sterbenden Menschen ein biologischer Organismus ist, der eine biologische Einheit bildet, die sich zwar fortlaufend entwickelt und verändert, die aber als Einheit von dieser kontinuierlichen Entwicklung (von der Befruchtung über die erste Zellteilung bis hin zum Erlöschen der Zellteilung) unberührt bleibt und also vom Anfang bis zum Ende eine numerisch identische Einheit ist. Deshalb bildet auch ein Schmetterling eine Einheit, obwohl er ganz unterschiedliche Entwicklungsschritte von der kriechenden Raupe bis zum fliegenden Schmetterling erfährt. Unter ,Kontinuum' sollte man ganz allgemein die räumliche Einheit (das Zusammenhängen) einer Entität verstehen (in diesem Sinne ist auch ein Stuhl ein Kontinuum). Jedes Kontinuum ist also eine Einheit. Es gilt aber nicht der umgekehrte Fall: Nicht jede Einheit ist ein Kontinuum. Denn wir nennen z. B. einen Fußballverein eine Einheit, obwohl nicht alle Elemente dieser Einheit räumlich miteinander verbunden sind. Biologische Wesen zeichnen sich als Kontinua dadurch aus, daß sie sich durch Zellteilung entwickeln oder jedenfalls entwickeln können;44 daß sie sich kontinuierlich entwickeln heißt dabei nichts anderes, als daß die Einheit (also die Entitäten als Kontinua) in und trotz ihrer Entwicklung Kontinua sind und bleiben. Im Gegensatz zum S-Argument erschöpft sich die durch das K-Argument ausgedrückte Einheit des Individuums von der befruchteten Eizelle bis hin zum sterbenden Menschen also nicht in der genetischen Identität des Individuums, denn die bleibt ja gleich und entwickelt sich nicht. Kritik des K-Argumentes Damit ist der Kern des K-Argumentes aber noch nicht erfaßt. Denn aus der Tatsache, daß sich der Embryo auch in dem nicht-ethischen Sinne kontinuierlich, im Sinne der numerischen Identität, zu einem Erwachsenen entwickelt, folgt ja nicht, daß diese Entwicklung keine moralrelevanten Einschnitte aufweist. Offensichtlich enthält die zweite Prämisse des K-Argumentes einen Kontinuumsbegriff, der über den nicht-ethischen Kontinuumsbegriff hinausgeht.,Kontinuierlich' wird nun interpretiert als .ohne moralrelevante Einschnitte'. Diese Einschnitte könnten aber Einschnitte sein, die keine räumliche Trennung der Teile implizieren. Es könnte sich also um eine Kontinuität handeln, die nicht auf den nicht-ethischen Kontinuumsbegriff angewiesen ist. Warum betont das K-Argument, daß es in der embryonalen Entwicklung keine moralrelevanten Einschnitte gebe? Es reagiert damit auf die Tatsache, daß es in der Entwicklung des menschlichen Embryos sehr wohl biologische Ein44 Diese Kautele rührt daher, daß eine Zygote, die man einfriert, ein Kontinuum ist, obwohl aktual keine Zellteilung stattfindet.

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schnitte oder Zäsuren gibt, die viele für moralisch relevant halten. Zu diesen Zäsuren gehören:45 1) das Eindringen des Spermiums in die Eizelle, durch das andere Spermien ausgeschlossen werden und das Entwicklungsprogramm der Eizelle unumkehrbar zu arbeiten beginnt; 2) die Vereinigung der Vorkerne (Syngamie) in den ersten 24 Stunden p. c., mit der der einmalige Chromosomensatz des entstehenden Menschen festgelegt ist; 3) der Beginn der genetischen Selbststeuerung im 4-8-Zellstadium am 3. Tag p. c., ab der sich der Embryo biologisch-autonom (unabhängig von mütterlicher RNA) entwickelt; 4) die Implantation des Embryos in die Gebärmutter, die am 6. Tag p. c. beginnt; 5) die Bildung des Primitivstreifens (etwa am 14. Tag p. c.), mit der Mehrlingsbildungen (und Fusionen) unmöglich werden; 6) die Entwicklung des Zentralnervensystems (Neurulation) ab der 3. Woche p. c. als erste physiologische Bedingung zur Entwicklung von Schmerzfähigkeit; 7) die Entwicklung eines menschenähnlichen Aussehens; 8) die Entwicklung eines Gehirns und die beginnende Empfindungsfähigkeit ab ca. dem fünften Monat p. c.; 9) die Geburt (etwa 40 Wochen p. c.). Auf welche Weise will nun das K-Argument zeigen, daß diese Einschnitte nicht moralisch relevant sind? Es scheinen uns drei Interpretationen möglich. 1) Humes Gesetz Vielleicht sagt das K-Argument nur, daß kein von einem Opponenten benannter biologischer Einschnitt (z. B. Primitivstreifen, Bildung des Gehirns, Geburt) moralisch relevant sein kann (und damit moralisch willkürlich ist), weil man aus keinem deskriptiven Prädikat ein normatives Prädikat ableiten kann. Dann aber handelt es sich bei dem K-Argument um gar kein eigenständiges Argument, sondern nur um die Anwendung von Humes Gesetz.46 Das K-Argument wird zwar de facto in der Forschungsdiskussion in diesem Sinne verwendet. Es ist aber klar, daß ein so verstandenes K-Argument sein Beweisziel gar nicht erreicht; denn es soll ja dieses Argument selbst zeigen, daß menschliche Embryonen WürdeM haben. Das kann aber Humes Gesetz nicht leisten, da es nur ein Abwehrargument ist. Es kann immer nur negativ sagen, was keinen Wert besitzt, nicht aber positiv, was einen Wert besitzt. 45 Vgl. Viebahn (in diesem Band, 276). 46 Vgl. die ausführlichere Darstellung von Humes Gesetz bzw. des Sein-Sollen-Fehlschlusses im Rahmen des S-Argumentes, Abschnitt 4, 205-208.

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2) Normative Blindheit Ausgehend von der Annahme, daß wir weder wissen, wann und warum ein gesunder erwachsener Mensch WürdeM besitzt oder nicht besitzt, könnte ein Vertreter des K-Argumentes so argumentieren: Wir wissen nicht, weshalb eine Entität WürdeM besitzt. Aber wenn wir von einer Entität ausgehen, die nach allgemein anerkannter Auffassung WürdeM besitzt (also etwa ein gesunder erwachsener Mensch) und den Weg in der Entwicklung dieses Menschen zurückgehen, dann erkennen wir keinen moralrelevanten Einschnitt. - Doch wenn wir wirklich mit der Voraussetzung anfangen, nicht zu wissen, warum bestimmte Entitäten (also etwa gesunde erwachsene Menschen) Würde M besitzen, wie können wir dann erkennen, ob moralrelevante Einschnitte vorliegen oder nicht? Darauf kann der Vertreter des K-Argumentes nicht antworten, weil er in gewisser Weise normativ blind ist; er kann gar nicht erkennen, ob ein moralrelevanter Einschnitt vorliegt. Der bloße Hinweis auf die angebliche Kontinuität hilft nicht weiter. Denn daß eine Entwicklung ohne moralrelevante Einschnitte vorliegt, ist ja gerade das, was bewiesen werden müßte. Er kann dann auch nichts gegen das folgende Abgrenzungsproblem vorbringen: Wenn in der Betrachtung des Entwicklungsprozesses zurück vom erwachsenen Menschen zum Embryo keine moralrelevanten Einschnitte erkennbar sind, dann kann diese Betrachtung des Prozesses hinter den Embryo zurück weiter fortgeführt werden. Auch hier ließen sich keine moralrelevanten Einschnitte feststellen, so daß man auch den Gameten bereits einen starken WürdeMStatus zuschreiben müßte. Da das absurd sei, so der Einwand, sei das ganze K-Argument falsch. Schließlich kann der normativ Blinde auch nichts gegen einen Kritiker des K-Argumentes ausrichten, der annimmt, daß z.B. Leidensfähigkeit das moralrelevante Kriterium ist (die gesuchte -Eigenschaft). Die Leidensfähigkeit eines Individuums kann man an deskriptiv beschreibbaren Tatsachen festmachen und erkennen, so daß der Kritiker aufgrund seines Kriteriums einen klaren Einschnitt setzen kann. Gegen diesen letztgenannten Vorschlag hilft das K-Argument im Sinne der normativen Blindheit nicht weiter. Man müßte vielmehr auf die übrigen drei SIP-Argumente verweisen, die echte Konkurrenzkriterien zur aktualen Leidensfähigkeit angeben können. Mit dem Rückgriff auf SIP hätte sich das K-Argument aber in der Embryonendebatte als irrelevant erwiesen. 3) Einheitlicher Zellverband und kontinuierliche Entwicklung Ein Vertreter des K-Argumentes kann nicht darauf hinweisen, daß Würde^ mit einer bestimmten Funktion zusammenhängt, die ein Körper bzw. ein Zellverband realisieren kann und de facto realisiert (z. B. Schmerzempfindung, Bewußtsein etc.). Denn das K-Argument will ja gerade behaupten, daß die Entwicklung eines menschlichen Embryos von der imprägnierten Eizelle zu einem menschlichen Wesen mit Würde^ sich ohne moralrelevante Einschnitte voll-

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zieht und daher auch schon die imprägnierte Eizelle über WürdeM verfügt; die Auszeichnung einer bestimmten Funktion würde dieser Intention ja gerade widerstreiten. Das K-Argument ist also nur sinnvoll, wenn Würde^ mit dem gesamten Körper eines Menschen zusammenhängt, also dem gesamten Zellverband, und zwar von Anbeginn seiner unentwickelten Form bis zum Ende der Entwicklung. Wenn letzteres zutrifft, liegt die Würde^ also immer dann vor, wenn der gesamte Zellverband als Kontinuum vorliegt. Dabei ist es unerheblich, ob der Zellverband einen geringen Komplexitätsgrad (wie bei der einzelligen Zygote) oder einen hohen Komplexitätsgrad (wie beim milliardenzelligen erwachsenen Menschen) aufweist. Entscheidend ist nur, daß es sich um einen einheitlichen Verband von Zellen handelt. Das heißt aber auch, daß die kontinuierliche Entwicklung als Entwicklung für den moralischen Status dieses Organismus gerade keine Rolle spielt; entscheidend ist nur die numerische Einheit dieses Organismus, also die Tatsache, daß dieser Organismus ein Kontinuum ist. Die Tatsache, daß sich dieser Organismus als Kontinuum entwickelt, ohne daß diese Entwicklung etwas an der Einheit des jeweils individuellen Organismus ändert, zeigt dann nur - so könnte man das K-Argument interpretieren -, daß die Zuschreibung der Menschenwürde zu einem erwachsenen Menschen, nicht aber zu einem Embryo, willkürlich wäre. Dies gilt, weil schon der Embryo jener individuelle Organismus ist, der später der erwachsene Mensch ist. Es handelt sich um die numerische Einheit eines menschlichen Lebens, dessen Alter und Entwicklungsstand keine Rolle spielt.47 Fazit und Ausblick Die Annahme, daß die WürdeM mit dem gesamten Zellverband zusammenhängt, bleibt problematisch; denn für diese These liegt ja noch gar kein Argument vor. Anders gesagt: Das K-Argument ist überhaupt kein Argument (d. h. mit ihm wird keine These begründet), sondern es ist selbst nur eine bloße Behauptung - nämlich die Behauptung, daß die Entwicklung eines menschlichen 47 Daher kann auch ein Gegenargument wie das Haufen-Paradox hier nicht greifen, da dieses Argument ja gerade mit dem unterschiedlichen Komplexitätsgrad eines Dinges operiert. - Merkel 2001, 473 f., argumentiert, daß es sich bei dem K-Argument um einen Fehlschluß handelt, nämlich um das sogenannte Sorites-(= Haufen-)Paradox. Man könne aus der Tatsache, daß man in einem Kontinuum wie der embryonalen Entwicklung keinen Punkt angeben könne, der den Unterschied zwischen dem schutzwürdigen und dem nicht-schutzwürdigen Wesen ausmache, nicht den Schluß ziehen, daß es keinen moralrelevanten Unterschied zwischen einem Embryo und einem Erwachsenen gibt. So könne man doch z.B. einen Mann von 1,50m „klein" nennen und einen Mann von 2,50m „groß", obwohl man keinen einzelnen Punkt auf dem Längenmaß angeben kann, der die genaue Grenze zwischen „klein" und „groß" markiert. Allerdings lebt Merkels Argument von der Annahme, daß sich die normativen Prädikate (z. B. „schutzwürdig", „nicht-schutzwürdig") wie die sogenannten vagen deskriptiven Prädikate (z. B. „groß", „klein") verhalten, und dies ist unbewiesen.

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Embryos von der imprägnierten Eizelle zu einem menschlichen Wesen mit WürdeM sich ohne moralrelevante Einschnitte vollzieht und daher auch schon diese Eizelle über Würde M verfügt. Diese These wird aber an keiner Stelle begründet. Vielleicht kann sie begründet werden. Aber dann sind dies eben andere Begründungen (SIP), die sich vom K-Argument unterscheiden. Das K-Argument ist also nicht nur nicht unabhängig von SIP; es ist nicht nur kein selbständiges Argument, sondern überhaupt kein Argument in einem starken Sinne. Wie könnte die These, daß es keine moralrelevanten Einschnitte gibt, aber mit Blick auf SIP begründet werden? Es ergeben sich abschließend die folgenden drei Möglichkeiten: S-Argument: Jeder menschliche Embryo besitzt in seiner Eigenschaft als Mitglied der Spezies Mensch Würde^i- Die Mitgliedschaft zur Spezies entwikkelt sich aber nicht, so daß keine moralrelevanten Einschnitte vorliegen. I-Argument: Jeder menschliche Embryo ist eine Person, die mit der Person des sich aus dem Embryo entwickelnden Menschen identisch ist. Personale Identität liegt von Anfang an vor, moralrelevante Einschnitte liegen nicht vor. P-Argument: Jeder menschliche Embryo ist von Anfang an potentiell , und auch potentiell zu sein, garantiert Würdest, so daß keine moralrelevanten Einschnitte vorliegen. Wie das S-Argument zu bewerten ist, haben wir bereits gesehen. Zum I-Argument kommen wir als nächstes.

6. Das Identitätsargument Im Grunde genommen könnten wir uns bei dem Identitätsargument (I-Argument) sehr kurz fassen. Wir meinen nämlich, daß ein solches Argument, wenn es eine wirklich begründende und nicht bloß kriterielle Kraft haben soll, aus einer recht einfachen Überlegungen heraus grundsätzlich nicht tragfähig sein kann. Mit dieser Überlegung werden wir beginnen. Da wir es uns aber auch zum Ziel gesetzt haben, die SKIP-Argumente kritisch zu rekonstruieren, werden wir dennoch kurz die üblichen Varianten des I-Argumentes analysieren. Zum Identitätsbegriff Da im I-Argument der Identitätsbegriff natürlich von zentraler Bedeutung ist, wird es zunächst ratsam sein, kurz an die wichtigsten Aspekte dieses Begriffs zu erinnern. Abstrahiert man einmal von den großen Schwierigkeiten, die der Identitätsbegriff schon innerhalb der theoretischen Philosophie mit sich bringt,48 so kann man zwischen absoluter Identität und Identität bezüglich einer Hinsicht unterscheiden. Absolut identisch - das heißt identisch in allen Hinsichten - ist nur ein Gegenstand mit sich selbst. Es ist diese absolute Identität, die in dem so48 Vgl. dazu Gillitzer 2001.

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genannten Leibnizprinzip zum Ausdruck kommt. Bei der Identität bezüglich einer Hinsicht wiederum unterscheidet man zwischen numerischer und qualitativer Identität: Numerisch identisch sind a und a bzw. a und b dann, wenn sie der Zahl nach identisch sind, d. h. wenn sie ein und derselbe Gegenstand sind, ohne absolute oder auch nur qualitative Identität zu besitzen. So ist etwa der Dozent Derek Parfit numerisch identisch mit dem Studenten Derek Parfit, der er einmal war, d. h. der Dozent und der Student sind hinsichtlich ihrer numerischen (körperlichen) Identität ein und derselbe. Qualitativ identisch sind zwei Gegenstände c und d dann, wenn sie in allen relevanten qualitativen Eigenschaften übereinstimmen (wie etwa die verschiedenen Exemplare eines bestimmten Automobiltyps). Es liegt auf der Hand, daß es beim I-Argument nur um Identität bezüglich einer Hinsicht gehen kann. Denn ein Embryo und ein ausgewachsener Mensch sind in vielen Hinsichten gewaltig unterschieden, so daß der Embryo nur mit sich selbst absolut identisch ist, aber natürlich nicht mit einem Erwachsenen. Die Frage ist allerdings, ob Embryonen und Erwachsene in numerischer oder qualitativer Hinsicht identisch sein können, und wenn ja, in welchem Sinne.49 Warum nichtkriterielle I-Argumente grundsätzlich untauglich sind Der Kerngedanke von nichtkriteriellen I-Argumenten besteht darin, daß Embryonen WürdeM besitzen, weil sie in moralrelevanter Hinsicht mit nichtembryonalen WürdeM-Trägern identisch sind; diese Identität sei würdestiftend. Doch dagegen spricht folgendes Argument: Identität besteht in einer Relation zwischen zwei Gegenständen, die durch das Zeichen „=" zwischen den beiden Relata ausgedrückt wird. Die Aussage, daß zwei Gegenstände in einer Hinsicht identisch sind, besagt nichts anderes, als daß diese beiden Gegenstände eine Eigenschaft gemeinsam haben (und eben in Hinsicht auf diese Eigenschaft identisch sind), und sie sind nur deshalb identisch, weil beide Relata diese Eigenschaft jeweils für sich haben. Das wiederum heißt nun aber nichts anderes, als daß ein Embryo, wenn er mit einem Wesen, das aufgrund einer Eigenschaft Würden besitzt, in moralrelevanter Hinsicht identisch ist, selbst diese eine Eigenschaft hat, die es erlaubt zu behaupten, er sei mit diesem Wesen identisch, 49 Für die Unterscheidung von numerischer und qualitativer Identität vgl. auch Parfit 1984, 200f., Leist 1990, 111-114, und Gillitzer 2001, 21-44. - Eine Schwierigkeit in Stoeckers Beitrag (in diesem Band, 129-145) liegt unseres Erachtens darin, daß er den Identitätsbegriff nicht klärt bzw. mindestens ungewöhnlich benutzt. So nennt er (glauben wir) qualitative Identität,Übereinstimmung' und numerische Identität Absolute' oder ,strikte' Identität (was irreführend ist); er spricht aber auch vom ,Leibnizprinzip', das wiederum nicht als numerische Identität verstanden wird, sondern als absolute Identität in dem von uns erläuterten Sinne. Sollte Stoecker wirklich der Auffassung sein, daß das I-Argument nur unter der Voraussetzung von strikter Identität überhaupt interessant und strikte Identität in unserem Sinne als absolute Identität zu verstehen ist, würden wir das für nicht nachvollziehbar halten.

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eben weil dieses Wesen auch diese Eigenschaft hat. Der Embryo hat also nicht die Eigenschaft aufgrund seiner Identität mit jenem Wesen, das die Eigenschaft hat, sondern weil der Embryo die Eigenschaft hat, kann behauptet werden, er sei in moralrelevanter Hinsicht identisch mit einem Wesen, das diese Eigenschaft ebenfalls hat. Anders gesagt: Wenn der Embryo die Eigenschaft und damit Würde^ hat, dann nicht, weil er mit einem anderen Wesen, das WürdeM hat, identisch ist; er hat WürdeM» weil er die Eigenschaft hat, ganz unabhängig davon, ob er mit einem anderen Wesen identisch ist oder nicht. Wenn man zeigen kann, daß der Embryo in moralrelevanter Hinsicht mit einem nichtembryonalen WürdeM-Träger identisch ist, dann hat man demonstriert, daß auch er ein WürdeM-Träger ist. Aber die Identität ist selbst nicht würdestiftend, sondern nur ein würdeanzeigender Indikator.50 Nur wenn man ein I-Argument kriteriell gebraucht, kann es positiv etwas beweisen. Auf diese Überlegung werden wir im Zusammenhang mit unserem NIP-Argument noch einmal zurückkommen. Kann es eine moralrelevante Identität von Embryonen mit geborenen WürdeM-Trägern geben? Es gibt einen Typ von I-Argumenten, für den es zentral ist, daß zwischen Embryonen und Wesen, die aktual sind und deswegen Würdej^ haben, aber keine Embryonen sind, eine moralrelevante Identität besteht, und zwar so, daß von dem Embryo gesagt wird, er sei identisch mit einem geborenen WürdeM-Träger.51 Das Argument hat verschiedene Varianten, wobei die Varianten aus jeweils verschiedenen Untersätzen resultieren. (1) Jedes Wesen, das aktual

ist, hat WürdeM.

50 Daher ist uns auch nicht klar, inwiefern Enskat (in diesem Band, 101-127) sein Argument als I-Argument präsentiert. Die würdefundierende Eigenschaft besteht bei ihm darin, Adressat einer moralischen Verpflichtung zu sein. Abgesehen davon, daß nicht recht einleuchtet, wie ein Embryo dies sein kann, ohne den Begriff der Potentialität ins Spiel zu bringen, hat ein Embryo diese Eigenschaft (wenn er sie denn besitzt), auch ohne mit einem anderen Wesen in dieser Eigenschaft identisch zu sein. 51 Vgl. z. B. Kaminsky 1998, 87, die die generelle Aussage von I-Argumenten so zusammenfaßt, daß „Embryonen mit dem Erwachsenen, zu dem sie sich möglicherweise entwickeln, in einem Identitätsverhältnis stehen und daher ebensowenig getötet werden dürfen wie Erwachsene". Eines der oben erwähnten theoretischen Probleme des Identitätsbegriffs besteht darin, wie überhaupt Identität zwischen zwei raum-zeitlichen Gegenständen bestehen kann, von denen der eine nicht mehr oder noch nicht existiert. Es scheint daher auch problematisch, wie ein Embryo - um die Formulierung von Kaminsky zu verwenden - überhaupt ,mit dem Erwachsenen, zu dem er sich möglicherweise entwickelt', identisch sein kann, weil der Erwachsene, zu dem der Embryo sich vielleicht entwickeln wird, eben noch nicht da ist und damit auch nicht das eine Relat der Identitätsbeziehung.

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(2*) Jeder menschliche Embryo ist in mindestens einer moralrelevanten Hinsicht identisch mit genau einem Wesen, das aktual ist. (2**) Jeder menschliche Embryo ist in mindestens einer moralrelevanten Hinsicht identisch mit genau einem zukünftigen Wesen, das, unter günstigen Bedingungen, aus dem Embryo hervorgehen wird und dann aktual ist. (2***) Jeder menschliche Embryo ist in mindestens einer moralrelevanten Hinsicht identisch mit mindestens einem Wesen, das aktual ist. Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat WürdeM. Sieht man einmal von dem Mehrlingsproblem und verwandten Schwierigkeiten ab - wie natürlich überhaupt von dem oben beschriebenen Grundproblem -,52 so liegt ein Grundmangel dieses Argumentes auch hier wieder auf der Hand: Wenn sich die Würden eines Embryos allein daraus ableitete, daß er identisch ist mit mindestens oder sogar genau einem geborenen Wesen, das aktual ist, dann hinge die Würde^ eines Embryos davon ab, daß es eben mindestens ein Wesen tatsächlich gibt, das Würde^ hat. Gäbe es ein solches geborenes Wesen nicht, dann hätten Embryonen keine WürdeM, weil das eine Relat der würdestiftenden Identitätsbeziehung fehlte. Der problematische Punkt läßt sich einigermaßen realistisch darstellen: Würden etwa durch eine weltweit flächendeckende Zündung von Neutronenwaffen alle geborenen Menschen getötet, es überlebten aber einige kryokonservierte Embryonen, dann verlören diese Embryonen mit dem Tod der würdestiftenden aktualen Würden-Träger ihre WürdenUm dieses Problem zu lösen und das I-Argument stärker zu machen, könnte man - wie Ralf Stoecker es in seinem Beitrag in dem hier vorliegenden Band tut - das I-Argument folgendermaßen verstehen:53 (1) Jedes Wesen, das aktual ist, hat Menschenwürde. (2.1) Viele Erwachsene, die aktual sind, sind mit Embryonen in moralrelevanter Hinsicht identisch. Also: (2.2) Die Embryonen, mit denen sie identisch sind, haben Menschenwürde. (2.3) Wenn irgendein Embryo Menschenwürde hat, dann alle. Also: (3) Jeder Embryo hat Menschenwürde. Stoecker selbst meint, daß dieses Argument aus diversen Gründen nicht überzeugt. Allerdings scheint uns schon die Rekonstruktion problematisch. Zunächst: Unter der Voraussetzung, daß Stoecker in (2.1) sagen will, daß viele Er52 Vgl. oben 216-217. 53 Vgl. Stoeckers Beitrag (in diesem Band, 131 f.). Für eine überzeugende Kritik an der ursprünglichen Rekonstruktion des I-Argumentes danken wir Ralf Stoecker.

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wachsene, die aktual sind, mit jeweils einem Embryo identisch sind (sc. mit dem, aus dem sie hervorgegangen sind), und nicht, daß viele Erwachsene (sc. die, die aktual sind) mit allen Embryonen in mindestens einer, und zwar der moralrelevanten Hinsicht (qualitativ) identisch sind, ist die Einschränkung auf , viele' Erwachsene in (2.1) falsch oder jedenfalls unnötig vorsichtig. Denn alle Erwachsenen, die tatsächlich geboren und aktual sind, waren natürlich irgendwann einmal Embryonen. Wie viele erwachsene Menschen es gibt, ist für das Argument irrelevant (es muß nur mindestens einer sein). Nun hat Stoecker gewiß Recht, daß es für die Frage, ob ein Embryo Menschenwürde hat oder nicht, keine Rolle spielen sollte, ob er später einmal geboren wird. Er will dieses Problem umgehen, indem er die Prämisse (2.3) einführt. Doch es bleibt erstens das Problem, daß laut (2.1) zumindest ein Erwachsener, der tatsächlich geboren und aktual ist, existieren muß, damit gesagt werden kann, daß ein Embryo in moralrelevanter Hinsicht identisch ist mit diesem Erwachsenen, um dann mit Hilfe der Prämisse (2.3) auch alle Embryonen an der daraus entspringenden WürdeM teilhaben zu lassen. Daraus folgt aber, wie oben schon erläutert, daß in einer Situation, in der kein erwachsener Mensch mehr lebt, wohl aber (etwa kryokonservierte) Embryonen, diese Embryonen keine WürdeM besitzen; der Status, WürdeM zu besitzen, wäre von dem kontingenten Faktum abhängig, daß mindestens ein erwachsener Mensch lebt und aktual ist.54 Zweitens leuchtet, ungeachtet ihrer prinzipiellen Plausibilität, die Prämisse (2.3) als Prämisse innerhalb des I-Argumentes nicht ein. Denn die These, daß, wenn irgendein Embryo Würde^ hat, dann auch alle Embryonen, beruht einfach nur auf einer Klassenhildung, die ihrerseits nicht begründet ist und jedenfalls auch mit dem I-Argument nicht begründet werden kann. Denn wenn irgendein Embryo deswegen WürdeM hat (oder genauer: hatte), weil er mit einem erwachsenen Menschen identisch ist, dann sind alle anderen Embryonen mit diesem erwachsenen Menschen ja gerade nicht identisch. Will Stoecker dagegen, wie schon bemerkt, behaupten, daß (im Sinne von 2***) alle Embryonen in eben dieser einen, moralrelevanten, Hinsicht mit mindestens einem erwachsenen Menschen identisch sind, dann bedarf es nicht mehr der Prämisse (2.3). Es bleibt also ein grundsätzliches Problem des I-Argumentes: Entweder man sagt, daß der Embryo in moralrelevanter Hinsicht mit mindestens einem erwachsenen Menschen, der ist, identisch ist; dann folgt aber daraus, daß der Embryo selbst schon aktual ist und also ganz unabhängig von dieser Identität WürdeM hat (die Identitätsbehauptung würde dann nicht mehr zum Ausdruck bringen als die These, daß ein erwachsener Mensch x, der ist, in einer bestimmten, moralrelevanten, Hinsicht identisch ist mit einem anderen Menschen y, der ist, ohne daß die WürdeM von x von derjenigen von y abhängig wäre). Oder man bindet die WürdeM von Embryonen an das Faktum der Existenz geborener 54 Damit das I-Argument ein nichtkriterielles Argument sein kann, muß die Existenz geborener WürdeM-Träger als notwendige Bedingung interpretiert werden.

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WürdeM-Träger; dann folgt aber daraus in der beschriebenen Weise das Kontingenzproblem. Wer dagegen argumentiert, daß der Embryo potentiell ist (also etwa potentiell eine Person), trägt ein Potentialitätsargument vor. Ein genetisches I-Argument? Immer wieder wird in der Debatte auf die Individualität und Einzigartigkeit jedes menschlichen Genoms hingewiesen, über die auch jede Zygote verfüge. Mit der Verschmelzung der Vorkerne beginne die Existenz eines neuen, einmaligen menschlichen Wesens.55 Doch worin genau besteht das Argument? Zunächst ist klar, daß die genetische Einzigartigkeit für sich betrachtet nicht würdestiftend sein kann; denn ein einzigartiges Genom haben auch die meisten Tiere.56 Ganz unabhängig von der grundsätzlichen Problematik des Sein-Sollen-Fehlschlusses ist aber auch das bloße Vorliegen einer Zelle mit einem, wenn auch einzigartigen, menschlichen Genom moralisch irrelevant. Denn das vollständige Genom befindet sich ja in jeder menschlichen Körperzelle mit diploidem Chromosomensatz, und wenn die Zygote deswegen Würde^ besäße, weil sie ein solches menschliches Genom hat, dann besäße jede menschliche Körperzelle (etwa auch jede Hautzelle) WürdeM, und das ist gewiß absurd. Nur wenn man sagt, daß die Zygote das Potential besitzt, aufgrund ihres Genoms ein Wesen mit einer oder der moralrelevanten -Eigenschaft zu werden, ist der Hinweis auf das Genom relevant. Nur hat man es dann mit einem P-Argument, vielleicht sogar mit einem S-Argument, jedenfalls aber nicht mit einem I-Argument zu tun. Mit dem Hinweis allein auf die Individualität und Einzigartigkeit jedes menschlichen Genoms ist also nichts gewonnen. Das I-Argument als Personargument Sehr oft wird das I-Argument im Sinne eines Argumentes von der diachronen Identität der Person (personale Identität) verstanden:57

55 Auch die Katholische Kirche scheint so zu argumentieren; vgl. die Analysen bei Leist 1990,109-118, und aus theologischer Sicht auch Schockenhoff 1993, 307 f. 56 Dagegen sollte man nicht, wie üblich (z. B. Merkel 2001, 479), auf die angebliche Kehrseite der Medaille verweisen, daß es genetisch nicht einzigartige Menschen gebe (Mehrlinge), denn tatsächlich sind solche Wesen nicht im strengen Sinne (vollständig) genetisch einzigartig. Unter der Voraussetzung, daß sie es sind, ist genetische Identität offenkundig keine hinreichende Bedingung für die Identität eines biologischen Organismus. Sie ist aber auch keine notwendige Bedingung, weil es in der individuellen Geschichte eines Organismus zu Mutationen oder gezielt herbeigeführten genetischen Mischungen kommen kann; vgl. dazu Quante 2002, 72. 57 So wird z. B. bei Merkel 2001, 491, das I-Argument ausdrücklich als Argument von der personalen Identität interpretiert. Merkel weist darauf hin, daß es in dieser Interpretation auch in der Strafrechtsdogmatik eine erhebliche Rolle spiele (ebd.).

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(1) Jedes Wesen, das eine Person ist, Vx (Px -» W M x) (2) Jeder menschliche Embryo ist eine Person. Vx (Ex -» Px) Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat Würde^i/.Vx (Ex -» WMx) Doch selbst wenn dieses Argument - nennen wir es das Personargument - richtig wäre, ist es jedenfalls keine Variante des I-Argumentes; denn in diesem Argument wird ja nicht behauptet, daß jeder menschliche Embryo in seiner Eigenschaft, Person zu sein, identisch ist oder sein kann mit einem geborenen Menschen, der eine Person ist.58 Darauf mag man zwar erwidern, daß eben darin der Embryo mit geborenen (erwachsenen) Personen identisch sei, daß er genau wie sie Person ist und seine personale Identität durch die Zeit hindurch (diachron) bewahrt. Doch zeigt diese Erwiderung erneut das grundsätzliche Problem nichtkriterieller I-Argumente: Denn wenn der Embryo bereits eine Person ist und Personen Würde^ haben, dann hat der Embryo nicht deswegen WürdeM> weil er mit bereits geborenen Personen oder mit sich selbst als zukünftig geborenem Wesen in dieser moralrelevanten Hinsicht identisch ist, sondern er hat WürdeM, weil er eine Person ist.59 Auch wer zwischen aktualen und potentiellen Personen unterscheidet, aktualen Personen Würde^ zuschreibt und dann argumentiert, daß menschliche Embryonen potentielle Personen sind, die in dieser Eigenschaft (als potentielle Personen) Würde^ besitzen, trägt kein I-Argument vor. Vielmehr handelt es sich dabei um ein P- Argument, bei dem als Personsein interpretiert wird. Entweder man sagt also, Embryonen sind bereits aktual Personen, die ihre Personalität auch über ihren Status als Embryonen hinaus bis zum möglichen Erwachsenenalter diachron bewahren (diachrone Identität), dann spielt die Identität keine Rolle, weil Embryonen dann ja schon als Embryonen aktual Personen sind. Oder man sagt, Embryonen sind potentielle Personen und in ihrer Potentialität schützenswert, dann spielt 58 Zum Begriff der Person in der Ethik vgl. z.B. den kritischen Überblicksartikel von Honnefelder 1993. - Der Begriff der Person ist faktisch in der Embryonendebatte wie überhaupt in der Ethik von großer Wichtigkeit; fast alle, die über den moralischen Status von Embryonen schreiben, beziehen sich darauf. Es ist wohl der Sache nicht unangemessen, wenn man feststellt, daß der Begriff der Person meistens gleichzusetzen ist mit dem Begriff eines Wesens, das über eine bestimmte -Eigenschaft oder über bestimmte -Eigenschaften verfügt. Die Frage ist dann nur, welche -Eigenschaften dies sind, und welche Wesen diese Eigenschaften haben. Da wir im Rahmen der indirekten Strategie genau diese Frage vernachlässigen, braucht uns auch der Personbegriff nicht zu interessieren. 59 Ähnlich auch Merkel 2001,498. - Entsprechend würde ein Vertreter des S-Argumentes nicht sagen (dürfen), ein Embryo habe Würde, weil er mit einem Mitglied der Spezies Mensch identisch ist, sondern er habe - eben genau wie ein geborener Vertreter der Spezies Mensch - deswegen Würde, weil er Mitglied der Spezies Mensch sei.

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die Identität ebenfalls keine (nichtkriterielle) Rolle, weil es ein P-Argument ist.60

7. Das Potentialitätsargument Das Potentialitätsargument (P-Argument) ist unter den SKIP- Argumenten sicherlich das einflußreichste und stärkste Argument.61 Da wir dieses Argument und die gegen es erhobenen Einwände im nächsten Kapitel noch einmal ausführlich darstellen und diskutieren, kann die Einführung des P-Argumentes hier etwas knapper ausfallen. Die Grundidee des P-Argumentes läßt sich so skizzieren: Erwachsene Menschen dürfen prima facie nicht getötet werden, weil sie bestimmte -Eigenschaften (Personeigenschaften) aktual haben; sie sind sich ihrer bewußt, sie handeln autonom, sie haben auf die Zukunft gerichtete Interessen und Wünsche und leiden Schmerzen. Diese -Eigenschaften haben Embryonen noch nicht realisiert: Sie haben noch nicht aktual die -Eigenschaften. Aber - und das unterscheidet sie z. B. von den Tieren - sie sind potentielle Wesen mit -Eigenschaften, d. h. sie werden sich unter normalen Umständen in einer absehbaren Zeit zu Wesen entwickeln, die die -Eigenschaften aktual haben. Wesen, die jene -Eigenschaften potentiell haben, sind aber genauso schützenswert wie Wesen, die diese Eigenschaften aktual haben. Da Embryonen Wesen sind, die die -Eigenschaften potentiell haben, dürfen sie also prima facie nicht getötet werden. Diese Überlegung läßt sich in folgende Argumentform bringen: (1) Jedes Wesen, das potentiell

ist, hat WürdeM.

(2) Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell ist. Vx (Ex -» ) Also: (3) Jeder menschliche Embryo hat WürdeM. .'.Vx (Ex -*· W^x) Im P-Argument sind sowohl der Obersatz als auch der Untersatz wichtig. Der Obersatz formuliert den entscheidenden Gedanken: Potentiell zu sein ist hinreichend für die WürdeM. Es stellt sich aber sofort die Frage, wie man von der plausiblen Voraussetzung 60 Auf die Verknüpfung des I-Argumentes mit dem P-Argument weist nachdrücklich Merkel hin (2001, bes. 493 ff.). Auf unsere eigene Verknüpfung eines kriteriellen I-Argumentes mit dem P-Argument gehen wir später im Zusammenhang mit dem NIP-Argument ein, vgl. 228-238. 61 Das zeigt schon die zahlreich zum P-Argument erschienene Forschungsliteratur, vgl. z.B.Wade 1975;Tooley 1983,165 ff.; Stone 1987;Hare 1988; Lockwood 1988a, 1988b; Buckle 1990; Leist 1990, 83-92; Gillon 1991; Fisher 1994; Holm 1996; Reichlin 1997; Kaminsky 1998, 96-101; Steigleder 1998; Wolbert 1998; Hershenov 1999; Knoepffler 1999, 78 ff.; Jacquette 2001; Merkel 2001, 476-491.

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(V) Jedes Wesen, das aktual ist, hat Würde M zur ersten Prämisse des P-Argumentes gelangt. Oder anders gesagt, was sind die Gründe dafür, daß folgendes Potentialitätsprinzip gilt: Wenn gilt: (V) Jedes Wesen, das aktual (^ ist, hat Würde M , dann gilt ebenfalls: (1) Jedes Wesen, das potentiell ist, hat WürdeM. Dieses in der ersten Prämisse des P-Argumentes enthaltene Potentialitätsprinzip (P-Prinzip) ist es eigentlich, um das sich der Streit dreht.62 Aber auch der Untersatz des P-Argumentes ist umstritten. Denn woher weiß man überhaupt, daß der menschliche Embryo ein Wesen ist, das potentiell ist? Soweit wir sehen, kann man diese Frage nicht mit den Überlegungen lösen, die man zur Beantwortung des Problems der ersten Prämisse anstellen muß. Das P-Argument kann die Wahrheit der zweiten Prämisse nicht beweisen, ohne auf eines der anderen SKIP-Argumente zurückzugreifen. Wir werden im Kapitel 8.2 eine Lösung für dieses Problem vorschlagen.63 Was ist Potentialität? Drei Kandidaten Als Antwort auf die Frage, was mit dem Begriff der Potentialität gemeint sein könnte, kommen mindestens drei Hauptkandidaten in den Blick: 1) Potentialität als logische Möglichkeit (Possibilität), 2) Potentialität als Wahrscheinlichkeit (Prohahilität) und 3) Potentialität als dispositionelle Möglichkeit (aktive Potentialität).64 Unter einer logischen Möglichkeit (Possibilität) versteht man die widerspruchsfrei denkbare Möglichkeit, daß ein bestimmtes Ereignis eintritt. Diese Möglichkeit manifestiert sich in Sätzen des Typs „Es ist möglich, daß p". So ist es z. B. logisch möglich, daß morgen die Sonne aufgeht. Es ist aber gleichermaßen logisch möglich, daß morgen und an allen Tagen danach nie wieder die Sonne aufgeht. Unter der Potentialität als Wahrscheinlichkeit (Probabilität) versteht 62 Darauf weist Schöne-Seifert ausdrücklich hin (in diesem Band, 172). Allerdings erhält sie erst dann ein echtes P-Argument für den starken moralischen Status eines Embryos, wenn sie auch den Untersatz des P-Argumentes hinzunimmt. Ohne einen Untersatz kann sie aus dem P-Prinzip niemals für irgendein Wesen einen Schutzstatus ableiten. 63 Daß das P-Prinzip nicht für jedes beliebige gelten kann, zeigt das inzwischen klassische Kronprinzessinproblem (eigentlich das .Kronprinzenproblem'): Eine Kronprinzessin ist eine potentielle Königin, hat aber als solche durchaus nicht die gleichen Rechte (und Pflichten) wie eine aktuale Königin (wir gehen später darauf ein, 239). 64 Weitere Alternativen diskutieren z. B. Buckle 1990; Leist 1990, 83-92; Reichlin 1997; Schöne-Seifert (in diesem Band, 174-181).

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man die Angabe eines numerischen Wahrscheinlichkeitswertes zwischen 0 und l dafür, daß ein bestimmtes Ereignis eintritt. Die dispositioneile Möglichkeit hingegen hängt von der Ausstattung eines Objektes oder eines Handlungssubjektes ab. Sie liegt nur dann vor, wenn das Objekt oder das Handlungssubjekt so beschaffen ist, daß es etwas Bestimmtes tun kann. Die dispositioneile Möglichkeit manifestiert sich in Sätzen des Typs „Es ist einem Objekt oder einem Handlungssubjekt möglich, zu tun". So ist es z.B. einem Stück Glas möglich zu zerbrechen, oder einem Menschen ist es möglich, fünf Meter weit zu springen.65 Welcher der drei Potentialitätsbegriffe ist nun im P-Argument sinnvollerweise gemeint? 1) Potentialität als logische Möglichkeit (Possihilität) Wenn mit ,Potentialität' die logische Möglichkeit gemeint ist, ergibt sich ein Ahgrenzungsproblem. Denn für fast alles ist es widerspruchsfrei denkbar, daß es ein menschliches Wesen wird. Wenn es nur auf die logische Widerspruchsfreiheit ankommt, haben z. B. die Grundelemente des Universums genauso ein Potential, ein Mensch zu werden, wie viele Tierarten, die man durch entsprechende in der Science-fiction-Literatur beschriebene, widerspruchsfrei denkbare Eingriffe in Menschen umwandeln könnte (zur Veranschaulichung dieser logischen Möglichkeiten könnte man an H. G. Wells Roman Die Insel des Dr. Moreau denken). Die logische Möglichkeit (Possibilität) ist ein viel zu weiter Begriff, als daß er im Zusammenhang mit einem P-Argument fruchtbar sein könnte.66 Das zeigt auch der folgende realistische und für unsere Zusammenhänge einschlägige Fall: Es ist logisch widerspruchsfrei denkbar, daß sich aus einer befruchteten Eizelle ein erwachsener Mensch entwickelt. Es ist aber ebenso logisch widerspruchsfrei denkbar, daß sich nur aus einer einzelnen unbefruchteten Eizelle (ohne eine dazukommende Samenzelle) ein erwachsener Mensch entwickelt. Denn es könnte, logisch betrachtet, der Fall eintreten, daß sich die Eizelle durch Parthenogenese (Jungfernzeugung) zu einem erwachsenen Menschen entwikkelt. Bei manchen Spezies ist dies de facto auch dispositioneil möglich, bei einem Menschen ist es zumindest logisch nicht unmöglich. Demnach hätten die befruchtete Eizelle und die unbefruchtete Eizelle dasselbe logische Potential zu einem erwachsenen Menschen.67 Wenn es nun eine hinreichende Eigenschaft für die Menschenwürde eines Wesens wäre, logisch potentiell zu sein, so müßte man nicht nur der befruchteten Eizelle, sondern schon der unbefruchteten Eizelle Menschenwürde zusprechen. Nun vertreten aber die meisten Befürworter 65 Die logische Möglichkeit ist keine hinreichende Bedingung für die dispositionelle Möglichkeit, d. h. was logisch möglich ist, muß noch lange nicht dispositioneil möglich sein. Die logische Möglichkeit ist aber natürlich eine notwendige Bedingung der dispositionellen Möglichkeit, d. h. was dispositionell möglich ist, muß auch logisch möglich sein. 66 Vgl. auch das Gametenproblem unten in Abschnitt 8.3. 67 Zum Gameten- und Parthenogeneseproblem vgl. Abschnitt 8.3.

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des P-Argumentes die Ansicht, daß zwar die befruchtete Eizelle potentiell ist, daß das jedoch für die einzelne unbefruchtete Eizelle (und auch die einzelne Samenzelle) für sich genommen nicht zutrifft. Also kann mit dem angesprochenen Potential nicht das logische Potential im Sinne der logischen Möglichkeit gemeint sein, wenn man verhindern möchte, daß das ganze Konzept des P-Argumentes mit der Zuschreibung der Menschenwürde an die Gameten ad absurdum geführt wird. Vielleicht könnte man auch die Ansicht vertreten, daß die Ei- und Samenzelle einzeln noch nicht dasselbe logische Potential haben wie die befruchtete Eizelle. Diese Annahme geht allerdings davon aus, daß bisher de facto noch keine Parthenogenese aus einer einzelnen unbefruchteten Eizelle stattgefunden hat und deshalb Ei- und Samenzelle beide nur notwendige Bedingungen für einen entwicklungsfähigen Embryo sind, aber zusammen keine hinreichende Bedingung, insofern als dritte notwendige Bedingung noch die Vereinigung der beiden Vorkerne hinzukommen muß. Der Rekurs auf die bisherige de facto-Unmöglichkeit der Parthenogenese beim Menschen zeigt aber, daß es sich bei diesem Argument eigentlich um ein Argument über die dispositionelle Möglichkeit handelt. 2) Potentialität als Wahrscheinlichkeit (Prohabilität) Um dem Abgrenzungsproblem zu entkommen, haben einige Autoren .Potentialität' mit »bestimmte Wahrscheinlichkeit, ein Mensch (bzw. eine Person) zu werden' gleichgesetzt.68 Dann kann man den einzelnen Stadien der embryonalen Entwicklung und auch den Gameten Wahrscheinlichkeitswerte zuordnen, (zukünftig) eine Person zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, eine Person zu werden, ist bei einzelnen Spermien sehr gering (1:200.000.000), nimmt aber nach der Vereinigung von Spermium und Eizelle rapide zu (0,8). Letztere Wahrscheinlichkeit könnte man auch als starke Potentialität im Gegensatz zur schwachen Potentialität der Gameten bezeichnet. Nur die starke Potentialität, heißt es, sei schützenswert, nicht aber die schwache.69 Gegen das Konzept der Potentialität als Wahrscheinlichkeit lassen sich, wie wir meinen, zwei stichhaltige Einwände erheben:70 Zum einen verfehlt man den Sinn von Potentialität, der im P-Argument ausgedrückt wird, wenn man das Vorhandensein dieser Potentialität von externen Wünschen und Entscheidungen abhängig macht, etwa denen der Frau, die sich dafür entscheidet, einen durch IVF gezeugten Embryo in den Uterus implantieren zu lassen. Wollen wir ernsthaft sagen, daß der durch IVF erzeugte Embryo weniger schützenswert ist als der durch eine normale Befruchtung entstandene? Die Frage, ob etwas ein Potential hat, ist zunächst eine ontologische Frage nach dem Vorliegen einer be68 Vgl. z.B. Engelhardt jr. 1986, 111. 69 Vgl. Noonan 1970, 56f. 70 Vgl. dazu auch Reichlin 1997,11 f. und Singer/Dawson 1990, 83 f.

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stimmten internen Eigenschaft. Diese Eigenschaft liegt aber ganz unabhängig davon vor, ob sich die externen Bedingungen ändern oder nicht. Zum anderen gelingt die Lösung des Abgrenzungsproblems nur scheinbar. Denn obwohl die Wahrscheinlichkeit, eine Person zu werden, nach der Befruchtung der Eizelle wesentlich höher liegt als vorher, hat auch die einzelne Gamete in der Lesart der Potentialität als Wahrscheinlichkeit eine (wenn auch sehr geringe) Wahrscheinlichkeit, eine Person zu werden. Die Abgrenzung zwischen Gameten auf der einen Seite und einem Embryo auf der anderen Seite kann also nur gelingen, wenn man angibt, wie hoch der Wahrscheinlichkeitswert sein muß, damit man etwas schützt. Man gibt aber genau den Wert an, den der Embryo erreicht, die einzelne Gamete dagegen verfehlt. Damit hat man das Abgrenzungsproblem jedoch nicht gelöst, sondern durch eine Petitio principii vorentschieden. 3) Potentialität als dispositioneile Möglichkeit Wenn die logische Möglichkeit und die Probabilität nicht das sind, was im P-Argument für das Potential sinnvoll eingesetzt werden kann, dann bietet sich noch die dritte Alternative an: Potentialität als dispositionelle Möglichkeit. In der Tat ist das ein Verständnis von Potentialität, von dem wir in der Entwicklung unseres eigenen NIP-Argumentes Gebrauch machen werden. Wir verstehen darunter die dispositioneile Handlungsmöglichkeit eines Subjekts, die sich in Sätzen des Typs „Es ist einem Handlungssubjekt möglich, zu tun, y zu sein oder z zu werden" äußert. So ist es z. B. einem Menschen möglich, fünf Meter weit zu springen, sich seiner selbst bewußt zu sein oder eine Astronautin zu werden. Die dispositioneile Möglichkeit umfaßt Vermögen und Fähigkeiten. Unter einer Fähigkeit verstehen wir die dispositionelle Möglichkeit eines Handlungssubjekts, unter günstigen Umständen aktual eine bestimmte Handlung durchzuführen. So kann z. B. Anna, die noch nicht lateinisch sprechen kann, durch Übung die Fähigkeit erlangen, lateinisch zu sprechen. Wenn Anna diese Fähigkeit erlangt hat, also aktual fähig ist, lateinisch zu sprechen, dann kann sie jederzeit aktual, wenn sie nichts hindert und die Umstände günstig sind, lateinisch sprechen. Anna hat diese Fähigkeit aber auch dann, wenn sie sie nicht realisiert (Anna will jetzt nicht lateinisch sprechen und tut es auch nicht) oder sie aufgrund widriger Umstände für eine befristete Zeit nicht realisieren kann (Anna hat gerade eine Kieferoperation hinter sich). Entsprechend kann man von realisierten und nicht-realisierten aktualen Fähigkeiten sprechen. Solange Anna die Fähigkeit noch nicht erlangt hat, hat sie diese Fähigkeit nur potentiell. Denn es ist ihr dispositionell möglich, diese Sprache zu erlernen; sie hat prinzipiell die Anlage dazu (diese Anlage ist bereits in ihrem Genom enthalten). Damit es Anna möglich ist, eine Fähigkeit wie das Lateinsprechen zu erlernen, bedarf es also eines aktualen Vermögens dazu. Ein aktuales Vermögen ist also die dispositionelle Möglichkeit, eine bestimmte Fähigkeit auszubilden. Ein solches aktuales Vermögen ermöglicht es Anna, Latein zu erlernen; ohne ein

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solches Vermögen ist eine bestimmte Fähigkeit nicht einmal potentiell möglich. Darin unterscheiden sich Handlungssubjekte wie Anna von anderen Lebewesen. Denn nicht jedem Lebewesen ist es dispositionell möglich, eine Sprache zu erlernen. So können Ringelblumen sicherlich nicht Latein lernen (auch wenn dieser Fall logisch nicht ausgeschlossen werden kann). Das Vermögen zu einer Handlung besteht auch dann weiter, wenn man die Fähigkeit bereits erlangt hat. So hat z.B. Anna das Vermögen, lateinisch zu sprechen, auch dann, wenn sie bereits die Fähigkeit dazu hat. Das zeigt sich gerade daran, daß Anna die Fähigkeit, lateinisch zu sprechen, in einem Sinne verlieren kann, der sich von der bloßen Widrigkeit von Umständen unterscheidet (z. B. durch einen Schlaganfall), und dennoch in der Regel aufgrund ihres von der Fähigkeit unterschiedenen Vermögens, das sie immer noch hat, wiedererlangen kann. Dieses Vermögen, die Fähigkeit des Lateinsprechens auszubilden, ist Anna inhärent; es ist damit von günstigen externen Bedingungen für die Ausbildung einer bestimmten Sprachfertigkeit zu unterscheiden. Überträgt man die beiden Begriffe des Vermögens und der Fähigkeit nun auf den Embryo, so kann man die zweite Prämisse des P-Argumentes („Jeder menschliche Embryo ist ein Wesen, das potentiell fy ist") genauer fassen. Daß ein Embryo potentiell ist, heißt dann: Der Embryo hat jetzt das aktuale Vermögen, später aktuale moralrelevante Fähigkeiten auszubilden. Dabei entspricht der Begriff des aktualen Vermögens dem potentiell' in der zweiten Prämisse und der Begriff der aktualen moralrelevanten Fähigkeiten entspricht dem , '. Wie verhält es sich aber mit dem Potential von Ei- und Samenzelle? Haben sie nicht dasselbe Potential wie der Embryo? Man könnte doch folgenden Gegeneinwand vorbringen: Ei- und Samenzelle haben jetzt das aktuale Metavermögen, später das aktuale Vermögen auszubilden, wiederum später aktuale moralrelevante Fähigkeiten auszubilden. - Doch dieser Gegeneinwand scheitert aus folgendem Grund: Ei- und Samenzelle bilden, solange sie noch nicht verschmolzen sind, kein zusammenhängendes Ganzes; sie bilden noch kein Kontinuum. Ein zusammenhängendes Ganzes zu sein, ist aber eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein des aktualen Vermögens, später aktuale moralrelevante Fähigkeiten auszubilden. Also haben Ei- und Samenzelle noch kein aktuales Vermögen zu irgendetwas, sondern nur die logische Möglichkeit, später ein aktuales Vermögen zu haben, wenn sie ein Kontinuum bilden. Fazit Versteht man im P-Argument unter Potentialität die logische Möglichkeit oder eine Wahrscheinlichkeit, dann ist das Argument nicht zu halten. Es ergeben sich die klassischen Abgrenzungsprobleme. Anders sieht es aus, wenn unter Potentialität eine dispositionelle Möglichkeit verstanden wird. Diese Alternative kann die Abgrenzungsprobleme lösen. Das P-Argument kann allerdings nicht funktionieren, solange es nicht auf ein weiteres der SKIP-Argumente zurückgreift, das den Untersatz des P-Argumentes als wahr erweist.

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8. Potentialität und Identität: Ein indirektes Argument (NIP) Nachdem wir die SKIP-Argumente vorgestellt und kritisiert haben, möchten wir nun im folgenden eine eigene Strategie zum Schutz menschlicher Embryonen entwickeln, die zum Teil auf das K-, I-, und P-Argument zurückgreift. Wir berücksichtigen aus dem K- und I-Argument dabei das Moment der numerischen Identität (NI) und aus dem P-Argument die Potentialität (P). Wir nennen unser Argument das N IP-Argument. Wir werden die These vertreten, daß jedenfalls entwicklungsfähige menschliche Embryonen, also solche, von denen wir wissen (oder wissen können), daß sie sich zu geborenen Menschen mit -Eigenschaften entwickeln werden (bzw. entwickeln können), prima facie dieselben starken Schutzrechte genießen sollten, die ein geborener Mensch mit -Eigenschaften genießt. Einen Embryo bezeichnen wir dann als »entwicklungsfähig', wenn er keine genetischen Defekte hat, die es ihm selbst unmöglich machen, sich jemals zu einem geborenen Menschen mit -Eigenschaften zu entwickeln.71 Dieser Hinweis ist wichtig, weil man nur von einem Wesen, das sich überhaupt zu einem entwicken kann, sinnvoll behaupten darf, es habe das Potential zu x. Zu den nicht-entwicklungsfähigen Embryonen gehören z.B. durch Parthenogenese entstandene menschliche Embryonen, die ohne Ausnahme spätestens vier Wochen p. c. absterben. Wir schließen damit nicht aus, daß auch nicht-entwicklungsfähige menschliche Embryonen, die sich aufgrund ihrer internen genetischen Ausstattung niemals zu einem geborenen Menschen entwickeln können, starke Schutzrechte genießen sollten; aber wir vermuten, daß man für diese These ein anderes (direktes) Argument benötigt als für unsere Ausgangsthese. Wir argumentieren für den folgenden Schluß: (1) Jeder lebendige menschliche Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat), hat WürdeM. Vx (Kmx -» WMx)72 (2) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo ist ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat). Vx (Emx -* Kmx)73 Also: (3) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo hat WürdeM. .·. Vx (Emx -* WMx)

71 Vgl. Teil A dieses Aufsatzes, 189-198. 72 Km: ist ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat); WM: x hat WürdeM· 73 Em: x ist ein entwicklungsfähiger menschlicher Embryo. (Das „ist" wird hier als materiale Implikation verstanden; logische Identität oder logische Äquivalenz sind ausgeschlossen, da nicht jeder menschliche Körper auch ein embryonaler Körper ist.)

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Die formale Gültigkeit des Argumentes ist leicht zu sehen. We kann man aber die beiden Prämissen des Argumentes plausibilisieren? Wir gehen folgendermaßen vor: Von entscheidender Bedeutung ist zunächst die Verteidigung der ersten Prämisse; dies tun wir (8.1) mit Hilfe eines Potentialitätsargumentes (P-Argument). Danach begründen wir kurz die zweite Prämisse (8.2) mit Hilfe des^rgumentes der numerischen Identität (NI-Argument). Im dritten Teil (8.3) gehen wir auf die wichtigsten Probleme unserer Überlegung ein: Das Gameten- (i), das Kronprinzessin- (ii), das Parthenogenese- (iii), das Körperzellen- (iv), das Vorkernstadiumproblem und das Problem des biologisch-heteronomen Embryos (v), das Mehrlings- (vi), das Fusions- (vii), das Siamesische Zwillinge- (viii), das Hydatidiform mole- (ix) und schließlich das Trophoblastenproblem (x). Zur Erinnerung: Wir werden im folgenden auf den Begriff der Menschenwürde verzichten und statt dessen von Würde ^ sprechen.74 Denn die entscheidende Frage ist alleine, ob menschliche Embryonen getötet werden dürfen; dieses Tötungsverbot wird von der Menschenwürde zwar impliziert, ist aber nicht mit ihr äquivalent. Die von uns eingeführte WürdeM hingegen ist äquivalent zum Tötungsverbot, ohne daß sie auf Menschen beschränkt wäre. Das Tötungsverbot ist in unserem Argument sehr eng mit bestimmten -Fähigkeiten bzw. Eigenschaften verknüpft, die üblicherweise Kandidaten für den Begriff der Person sind. Zu diesen Kandidaten gehören, auch dies zur Erinnerung, Autonomie (als Fähigkeit zur Zwecksetzung), moralische Autonomie (Freiheit), bestimmte kognitive Fähigkeiten (z. B. Abstraktionsfähigkeit), Selbstbewußtsein, Präferenzen (als zukunftsorientierte Wünsche), Wünsche und Interessen sowie Leidensfähigkeit. 8.1 Das P-Argument Um die erste Prämisse des NIP-Argumentes zu begründen, die aus dem P-Argument stammt, verfolgen wir eine indirekte Strategie.75 Die indirekte Strategie Die indirekte Strategie geht von Prämissen aus, denen sowohl diejenigen zustimmen, die Embryonen die Würde^j absprechen, als auch diejenigen, die Embryonen diese WürdeM zusprechen.76 Es ist für unsere Strategie zunächst nicht wichtig, wie die gemeinsam geteilten Prämissen selbst begründet werden können. Uns ist bisher keine gelungene oder jedenfalls keine allgemein anerkannte Begründung für diese Prämissen bekannt. Ebensowenig konnten die Prämissen aber bislang auch widerlegt werden. Für unsere indirekte Strategie ist nur entscheidend, daß unter normalen ethischen Standards alle Menschen diese Prämis74 Zu den Gründen vgl. oben Teil A, 190-192 75 Diese indirekte Strategie wurde in Teil A, 197-198, bereits expliziert. 76 „Zusprechen" ist hier nicht im Sinne einer nicht-realistischen Ethik gemeint. Im Gegenteil: Wir meinen, daß ein Embryo real Würde^ hat.

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sen teilen. Die indirekte Strategie ist also nur so stark wie unsere mit den Diskussionspartnern geteilte Überzeugung ist, daß die Ausgangsprämissen wahr sind.77 Aus diesen von allen Menschen geteilten Prämissen folgern wir dann, daß auch entwicklungsfähige menschliche Embryonen Würdest haben. Damit können wir denjenigen, die entwicklungsfähigen menschlichen Embryonen WürdeM absprechen, einen Widerspruch in ihrer Argumentation nachweisen. Denn wenn unsere Schlußfolgerungen richtig sind, folgt die Tatsache, daß entwicklungsfähige menschliche Embryonen WürdeM haben, bereits aus den Grundprämissen derjenigen, die das bestreiten. Wie lauten nun diese Grundprämissen? (Gl) Aktual zu sein, ist hinreichend für Würde M· (G2) Reversibel Komatöse (sowie Neugeborene und Schlafende) haben WürdeM, ohne daß sie aktual sind.78 (G3) Reversibel Komatöse (sowie Neugeborene und Schlafende) sind potentiell . Die Prämissen G1-G3 bestreitet niemand ernsthaft. Es stellt sich nur die Frage, warum reversibel Komatöse (sowie Neugeborene und Schlafende) Würde^ haben. Wir meinen, daß eine genauere Untersuchung der in den Prämissen G1-G3 enthaltenen Implikationen zeigt, daß der Grund für die WürdeM-Zuschreibung auch an reversibel Komatöse, Neugeborene und Schlafende der folgende ist: (G4) Reversibel Komatöse (sowie Neugeborene und Schlafende) haben WürdeM, weil sie potentiell sind. Die Grundprämisse G4 würden auf den ersten Blick sicherlich nicht alle Diskussionspartner akzeptieren. Sie ergibt sich aber, wie gezeigt werden wird, aus den Grundprämissen G1-G3. Im Rahmen unserer indirekten Strategie ist es nicht wichtig, ob wir wissen, welche -Eigenschaft es genau ist, die in Prämisse G4 hinreichend dafür ist, daß wir einem Wesen Würde^ zusprechen. Es kommt lediglich darauf an zu wissen, daß der reversibel Komatöse (sowie der Neuge-

77 Damit genügt unser Argument einem der beiden Beurteilungskriterien, die SchöneSeifert (in diesem Band, 173-174) für das Gelingen eines P-Argumentes formuliert hat: Die Prämissen des Argumentes sollten eine gewisse, von dem P-Argument unabhängige Plausibilität haben. Daß unser Argument auch Schöne-Seiferts zweitem Beurteilungskriterium genügt, daß nämlich aus dem Argument keine absurden Konsequenzen folgen dürfen, zeigen wir unten in Abschnitt 8.3. 78 Für stark alkoholisierte oder unter Drogen- bzw. Medikamenteneinfluß stehende Menschen gilt vermutlich ähnliches. Wie Schlafende sind sie zwar nicht bei vollem Bewußtsein, aber auch nicht bewußtlos.

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borene und der Schlafende) diese -Eigenschaft nur potentiell, aber nicht aktual hat. Wir werden im ersten Teil unseres Argumentes anhand der drei Grundprämissen G l—G3 den Obersatz aus unserem Schluß zu plausibilisieren versuchen, daß jeder lebendige menschliche Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat), Würde M hat. Wenn wir dies annehmen, und wenn wir zusätzlich folgende Prämisse (den Untersatz unseres NIP-Ausgangsargumentes) annehmen: (2) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo ist ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat), dann folgt auch (die Konklusion unseres NIP-Argumentes): (3) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo hat Würde^· Wir wissen also zunächst nicht, ob der entwicklungsfähige menschliche Embryo überhaupt ein lebendiger menschlicher Körper ist, der Träger potentieller -Eigenschaften ist. Dies können wir mithilfe des P-Argumentes auch nicht beweisen. Dazu benötigen wir zusätzlich das Argument der numerischen Identität, mit dessen Hilfe wir ein Kriterium dafür erhalten, daß der Embryo ein lebendiger menschlicher Körper ist. Im folgenden werden wir die genannten drei Grundprämissen G1-G3 genauer explizieren. Voraussetzungen im Rahmen der indirekten Strategie Zunächst gehen wir ohne Begründung davon aus, daß man den Körper eines geborenen gesunden Menschen, spätestens aber den Körper eines erwachsenen gesunden Menschen, unter normalen Umständen nicht vollständig zerstören darf.79 Der Grund, weshalb allgemein anerkannt ist, daß wir den Körper eines gesunden Erwachsenen, der bei vollem Bewußtsein ist, nicht vollständig zerstören dürfen, liegt darin, daß die Zerstörung eines menschlichen Körpers zur Konsequenz hat, daß wir damit auch den Menschen töten, und d. h. im besonderen: daß wir ihn seiner aktualen würdestiftenden -Eigenschaften berauben. Welche Eigenschaften tatsächlich die menschliche Würde und damit auch das Tötungsverbot begründen, ist umstritten, für uns aber auch irrelevant; wir müssen nur davon ausgehen, daß die vollständige Zerstörung des Körpers gesunder erwachsener Menschen unbestritten verwerflich ist. Genauso unbestritten ist, daß Menschen, die in ein reversibles Koma gefallen sind oder versetzt wurden, nicht getötet werden dürfen, obwohl sie - und das ist 79 Der Begriff des Körpers wird in Abschnitt 8.2 erklärt; zu den „normalen Umständen" vgl. Teil A, 190-191.

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der entscheidende Punkt - über die üblichen -Eigenschaften (also letztlich über die Personeigenschaften) nicht aktual verfügen. Unsere Strategie besteht nun in dem Nachweis, daß jeder Versuch, in dieser Hinsicht zwischen einem reversibel-komatösen Menschen und einem Embryo zu unterscheiden, willkürlich wäre, und der Embryo aufgrund seiner Potentialität nicht weniger starke Schutzrechte genießt als der Komatöse aufgrund seiner Potentialität. Die These lautet also: Wenn wir keine Schwierigkeiten damit haben, dem Komatösen aufgrund seiner aktualen, aber nicht-realisierten Fähigkeit zu -Eigenschaften Würden zuzusprechen (und wenn wir, wie wir im NI-Argument zeigen werden, annehmen müssen, daß der menschliche Embryo ein aktuales, aber nichtrealisiertes Vermögen zu -Eigenschaften besitzt), dann sollten wir auch keine Schwierigkeit damit haben, dem menschlichen Embryo aufgrund seines aktualen, aber nicht-realisierten Vermögens zu -Eigenschaften Würde^i zuzusprechen. Wir müssen also nicht demonstrieren, warum Potentialität moralisch relevant ist. Wir müssen nur davon ausgehen, daß es sich zumindest in einigen Fällen (etwa bei reversibel Komatösen) unbestritten so verhält, und daß Embryonen genau wie diese Fälle zu betrachten sind. Das P-Argument Wie läuft nun das P-Argument? Wie oben schon ausgeführt, verstehen wir in diesem Kontext unter Potentialität die dispositionelle Möglichkeit eines Handlungssubjekts, wobei wir zwischen Vermögen und Fähigkeit differenzieren.80 Überträgt man diese beiden Begriffe des Vermögens und der Fähigkeit nun zunächst auf reversibel Komatöse, so ist offenkundig, daß ein reversibel Komatöser in unserer Terminologie die Fähigkeit als dispositioneile Möglichkeit hat, unter anderen, günstigen Umständen und wenn ihn nichts (mehr) daran hindert, bestimmte -Eigenschaften zu realisieren, er diese Fähigkeit aber, solange er im Koma liegt, tatsächlich nicht aktual realisiert. Dessen ungeachtet genießt er die vollen Schutzrechte, und das heißt auch: Er hat Würde^· Im Unterschied zum reversibel Komatösen hat der entwicklungsfähige Embryo nicht die aktuale Fähigkeit, bestimmte -Eigenschaften zu realisieren. Aber der entwicklungsfähige Embryo hat das aktuale Vermögen, später diese Fähigkeit, die auch der reversibel Komatöse hat, zu entwickeln. Und jetzt kommt der entscheidende Schritt: Wenn wir die Fähigkeit des reversibel Komatösen, in Zukunft bestimmte -Eigenschaften zu realisieren, als würdestiftend achten, obwohl der reversibel Komatöse als Komatöser diese Fähigkeit nicht aktual realisieren kann, dann wäre es inkonsistent, das Vermögen des Embryos, einmal angenommen, daß er ein solches besitzt, nicht genauso zu achten. Denn wieso sollte die aktual nicht-realisierte Fähigkeit, bestimmte -Eigenschaften zu haben, höher einzuschätzen sein als das aktuale Vermögen, solche Fähigkeiten zu entwickeln? Für den Komatösen wie auch für den Embryo gilt, daß beide 80 Vgl. die Ausführungen zum P-Argument in Abschnitt 7.

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nicht aktual über die üblichen -Eigenschaften verfügen (wenn auch über das aktuale Vermögen bzw. die aktuale Fähigkeit). Beide haben aber eine dispositionelle Möglichkeit dazu, in Zukunft über solche -Eigenschaften zu verfügen, der reversibel Komatöse eine Fähigkeit, der Embryo ein Vermögen - sollen wir den Embryo töten dürfen, nur weil bei ihm die Realisierung jener -Eigenschaften noch (mindestens) neun Monate auf sich warten läßt, beim Komatösen dagegen vielleicht nur wenige Stunden? Das ist nicht plausibel.81 Wir haben bislang noch nicht gezeigt, daß der entwicklungsfähige menschliche Embryo tatsächlich Träger potentieller -Eigenschaften ist. Wir haben lediglich gezeigt, daß es inkonsequent wäre, dem Embryo, wenn er tatsächlich Träger potentieller -Eigenschaften wäre, die WürdeM abzusprechen, während man dem reversibel Komatösen diese Würde^ aufgrund der Tatsache, daß er Träger potentieller -Eigenschaften ist, zuspräche. Einwand 1: Zukünftig

zu sein, ist nicht moralisch relevant

Man könnte zunächst zwei (unterschiedliche) Einwände gegen das P-Argument erheben: Erstens könnte man einwenden, daß wir den reversibel Komatösen nicht allein deshalb schützen, weil er zukünftig -Eigenschaften realisiert, sondern allein deshalb, weil er (a) früher einmal -Eigenschaften realisiert hat.82

81 Tatsächlich werden ja in manchen Fällen erwachsene Menschen über Monate in ein künstliches Koma versetzt; die Zeitspanne kann offenkundig kein moralrelevantes Kriterium sein. - Merkel, der ebenfalls zwischen Vermögen und Fähigkeit unterscheidet, schreibt, der Begriff der ,Erlebensfähigkeit' verlange selbstverständlich nicht aktuales subjektives Erleben, sondern nur „eine vorhandene Fähigkeit dazu" (in diesem Band, 43), d. h. eine dispositioneile Fähigkeit, die auch da sei, wenn sie nicht ausgeübt werde und die sich in ihrer Gegenwärtigkeit „von erst künftig möglichen, potentiellen Fähigkeiten" (in diesem Band, 43) unterscheide. Aber auch der Embryo hat eine Disposition. Diese Disposition ist zwar keine aktuale Fähigkeit, aber sie ist ein aktuales Vermögen, und warum soll der Unterschied zwischen aktualer Fähigkeit und aktualem Vermögen - die doch beide Dispositionen sind - auf den Unterschied zwischen Leben und Tod hinauslaufen? Darauf gibt Merkel keine Antwort. 82 Einen ähnlichen Einwand formuliert Schöne-Seifert (in diesem Band, 183, Anm.23): Der schlafende oder ohnmächtige Mensch sei schon früher empfindungsfähig gewesen, der Embryo aber nicht. Dadurch habe der Schlafende oder Ohnmächtige gegenüber dem Embryo „irreversibel einen anderen Status bekommen". Der Embryo sei vergleichbar mit einem noch nicht zusammengesetzten Auto, der Schlafende mit einem Auto ohne Benzin im Tank. - Doch Schöne-Seiferts Hinweis auf den irreversibel erlangten anderen Status des Ohnmächtigen hilft nicht weiter. Denn es bleibt die Frage: Wenn aktuelle Leidensfähigkeit die moralrelevante -Eigenschaft ist, worin unterscheidet sich dann der Ohnmächtige vom Embryo? Beide sind nicht aktual leidensfähig (schmerzfähig). Und warum unterscheiden wir dann zwischen einem (reversibel) Ohnmächtigen und einem Hirntoten? Beide waren doch früher leidensfähig und hätten nach Schöne-Seifert deshalb auch denselben höheren Status als der Em-

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Zweitens könnte man argumentieren, daß wir ihn nicht allein deshalb schützen, weil er zukünftig -Eigenschaften realisiert, sondern allein deshalb, weil er (a) früher einmal -Eigenschaften realisiert hat und (b) zukünftig -Eigenschaften (wieder) realisieren wird. Auf beide Einwände läßt sich folgendermaßen antworten: Wenn die Bedingung (a) oder die Konjunktion der Bedingungen (a) und (b) generell erfüllt sein müßte, um einem Lebewesen starke Schutzrechte zuzusprechen, wäre es nicht einsichtig, warum wir Neugeborene schützen. Denn solche Neugeborenen hatten vor ihrer Geburt -Eigenschaften noch nicht aktual realisiert. Trotzdem schützen wir sie. Offensichtlich schützen wir die Neugeborenen doch deshalb, weil sie zukünftig -Eigenschaften realisieren werden, ganz unabhängig von ihrer Vergangenheit. Und das haben sie mit den entwicklungsfähigen Embryonen - wenn wir einmal annehmen, daß diese Träger potentieller -Eigenschaften sind - gemeinsam. Einwand 2: Leidensfähigkeit als moralisch relevante ^-Eigenschaft Gegen das P-Argument könnte noch ein weiterer Einwand erhoben werden: Es sei zwar richtig, daß das Neugeborene niemals früher schon aktual autonom war, nie bestimmte kognitive Fähigkeiten hatte (z. B. Abstraktionsfähigkeit), Selbstbewußtsein, Präferenzen (als zukunftsorientierte Wünsche), Wünsche oder Interessen. Aber das sei nicht wichtig. Denn die moralisch relevante - genschaft sei die Leidensfähigkeit. Und in der Tat war der Fetus schon früher leidensfähig, spätestens einige Zeit nach der Bildung des Neuralrohres. Mit diesem Einwand könnte man einen zweiten verbinden: Selbst wenn man nicht die Leidensfähigkeit für die moralisch relevante -Eigenschaft hielte und das Neugeborene niemals früher die traditionellen -Eigenschaften der Person realisiert hätte, schützen wir es im Unterschied zu einem Embryo, weil es jetzt aktual bei Bewußtsein ist und jetzt aktual Schmerzen leiden kann. Zunächst zum ersten Einwand: Wenn man die Leidensfähigkeit für die relevante -Eigenschaft hält, die hinreichend ist für WürdeM, geht der Einwand gegen unser P-Argument durch. Es scheint uns aber auf der Hand zu liegen, daß man innerhalb einer direkten Strategie zeigen kann, daß Leidensfähigkeit nicht hinreichend ist für Schutzwürdigkeit. Hier ist nicht der Platz, um diese These explizit zu beweisen. Ralf Stoecker hat dies aber an anderer Stelle auf, wie wir meinen, überzeugende Weise getan.83 Zum zweiten Einwand folgendes Gedankenexperiment: Nehmen wir an, daß ein Arzt ein Neugeborenes durch einen ärztlichen Kunstfehler in ein reversibles bryo erlangt. Oder gibt es doch weitere moralrelevante -Eigenschaften, z. B. zukünftig leidensfähig zu sein? 83 Vgl. Stoecker 1999, 224-327. Tatsächlich wird in interesse- oder präferenzorientierten Ansätzen die Leidensfähigkeit in der Regel an Bewußtsein und Zukunftsorientierung gebunden. Beides hat das Neugeborene (im engeren Sinne) wohl nicht, weshalb z.B. Peter Singer Neugeborenen ein uneingeschränktes Lebensrecht abspricht.

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Koma versetzt hat. Offensichtlich ist das komatöse Neugeborene nicht bei Bewußtsein, empfindet keine Schmerzen und hat noch niemals früher -Eigenschaften realisiert. Dürften wir das Neugeborene dann töten? Offensichtlich doch nicht. Also kann die würdestiftende Eigenschaft des komatösen Neugeborenen nur die sein, die auch schon einem Embryo zukommt, nämlich in Zukunft über solche -Eigenschaften zu verfügen.84 Aus diesen Überlegungen folgt, daß die Eigenschaft, Träger potentieller -Eigenschaften zu sein (oder solche zu haben), selbst bereits eine moralrelevante Eigenschaft ist. Denn wir töten ja weder den reversibel komatösen Erwachsenen noch das Neugeborene noch das komatöse Neugeborene, denen nur die Eigenschaft, Träger potentieller -Eigenschaften zu sein (oder solche zu haben), gemeinsam ist. Dann dürfen wir aber auch entwicklungsfähige menschliche Embryonen nicht töten, wenn sie ebenfalls Träger potentieller -Eigenschaften sind. Das ergibt sich aus den Grundprämissen G1-G3, die auch von denjenigen akzeptiert werden, die Embryonen die Würde^ absprechen. 8.2 Das NI-Argument Durch die Verteidigung der ersten Prämisse unseres NIP-Argumentes haben wir gezeigt, daß ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (oder diese selbst hat), Würde^ hat. Wozu benötigt man nun noch die zweite Prämisse, die mit dem Begriff der numerischen Identität operiert? Das P-Argument alleine sähe wie folgt aus: (1) Wesen mit potentiellen -Eigenschaften haben Würde M· (2) Entwicklungsfähige menschliche Embryonen sind Wesen mit potentiellen -Eigenschaften. Also: (3) Entwicklungsfähige menschliche Embryonen haben WürdeM.

84 Robert Schnepf hat mündlich den Einwand erhoben, daß das Vermögen des Embryos, Fähigkeiten auszubilden, und das Vermögen des Neugeborenen, Fähigkeiten auszubilden, nicht dasselbe seien. Denn jedes Vermögen beinhalte die Fähigkeiten l, 2, ..., n. Zwei Vermögen A und B seien genau dann verschieden, wenn Vermögen A mehr Fähigkeiten realisiert hat als Vermögen B. So sei es möglich, daß das Neugeborene mehr moralrelevantes Potential habe als der Embryo. - Darauf erwidern wir folgendermaßen: Es ist richtig, daß die Realisierung von eine bestimmte Zahl von bereits realisierten Subfähigkeiten voraussetzt (z. B. muß, wer autonom sein will, denken können; das kann das Neugeborene vielleicht, aber sicher nicht der Embryo). Das ist aber nur ein Unterschied im Bereich der Subfähigkeiten, nicht im Bereich des Vermögens (der Anlage). Das Vermögen ist bei beiden gleich. Und beide haben die moralrelevanten -Eigenschaften noch nicht realisiert. Warum sollte dann ein gradueller Unterschied auf dem Weg hin zu den aktualen -Eigenschaften selbst so moralrelevant sein, daß er über Leben und Tod zu entscheiden vermag?

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Reicht nicht dieses P-Argument alleine, um zu zeigen, daß entwicklungsfähige menschliche Embryonen Würde^ haben? Das NI-Argument als kriterielles Argument Das P-Argument reicht offensichtlich deshalb nicht alleine aus, weil es allgemein über Wesen spricht, die potentielle -Eigenschaften haben. Wir wissen aber z. B. nicht, ob nicht auch Steine, Bäume oder Tiere Träger potentieller -Eigenschaften sein können. Wir haben bisher nur gesehen, daß lebendige menschliche Körper wie Erwachsene, (reversibel) Komatöse und Neugeborene potentielle -Eigenschaften haben (und deshalb auch zu schützen sind). Unser einziges Kriterium dafür, daß wir es mit einem Wesen zu tun haben, das potentielle -Eigenschaften hat, ist also, einen lebendigen menschlichen Körper zu haben. Die indirekte Strategie (über die plausiblen Grundprämissen G1-G3 zu Erwachsenen, reversibel komatösen Menschen und Neugeborenen) sagt uns nur, daß wir zumindest den lebendigen Körper der allermeisten geborenen Menschen, reversibel Komatösen und Neugeborenen nicht töten dürfen. Der Körper lebender Menschen ist jedoch nicht selbst würdestiftend: Das ist weiterhin die potentielle -Eigenschaft. Der Körper lebender Menschen ist nur ein Kriterium, ein äußeres Anzeichen, dafür anzunehmen, daß wir es mit einem Wesen zu tun haben, das potentielle -Eigenschaften hat. Das folgende NI-Argument, mit dem wir zeigen, daß entwicklungsfähige menschliche Embryonen lebendige menschliche Körper sind, ist also nur ein kriterielles (oder epistemisches) Argument; zugleich erlaubt es als Abwehrargument, einige Einwände, die gegen das P-Argument geltend gemacht werden, zurückzuweisen. Der entwicklungsfähige Embryo ist ein lebendiger menschlicher Körper Wir haben im P-Argument gezeigt, daß der entwicklungsfähige Embryo zu schützen ist, wenn er ein Träger potentieller -Eigenschaften ist. Aber warum und in welchem Sinne verdient der Embryo überhaupt, ein lebendiger menschlicher Körper und damit ein Träger potentieller -Eigenschaften genannt zu werden? Unter einem ,lebendigen menschlichen Körper' verstehen wir das menschliche materielle Substrat, das als eine selbständige, aus sich heraus lebende und sich gemäß einem eigenen individuellen menschlichen Genom organisierende und replizierende Einheit Träger aktualer oder potentieller Eigenschaften ist (oder diese Eigenschaften hat), aufgrund derer wir Menschen unter den Schutz des Tötungsverbotes stellen: die -Eigenschaften.85 Daß wir den Embryo einen lebendigen menschlichen Körper nennen dürfen, wird durch folgende Überlegung plausibilisiert: Der Mensch ist vom Embryo über den Erwachsenen bis hin zum sterbenden Menschen ein biologischer Organismus, der eine Einheit bildet. Diese Einheit entwickelt sich zwar fortlau85 Vgl. Bodden-Heidrich et al. 1997, 15 ff., und Honnefelders Definition (in diesem Band, 71).

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fend, bleibt aber als Einheit von ihrer kontinuierlichen Entwicklung (von der ersten Zellteilung bis zum Erlöschen der Zellteilung) unberührt und ist also vom Anfang bis zum Ende eine numerisch identische Einheit, oder anders gesagt: ein durch raumzeitliche und kausale Kohäsion bestimmtes Kontinuum.96 Ein menschliches Wesen bildet eine Einheit, genauso wie auch ein Zitronenfalter eine Einheit ist, obwohl dieser ganz unterschiedliche Entwicklungsschritte von der kriechenden Raupe über die ruhende Puppe bis zum fliegenden Schmetterling erfährt. Wenn wir nun unter dem Jebendigen menschlichen Körper' den materiellen Organismus verstehen,87 der als eine selbständige, aus sich heraus lebende und sich gemäß einem eigenen individuellen menschlichen Genom organisierende und replizierende Einheit Träger aktualer oder potentieller -Eigenschaften ist, aufgrund deren wir Menschen unter den Schutz des Tötungsverbotes stellen, und wenn wir davon ausgehen müssen, daß ein so verstandener Körper eines erwachsenen Menschen mit dem Embryo numerisch identisch ist, dann darf auch der Embryo ein lebendiger menschlicher Körper genannt werden. Und in der Tat ist ja jeder Embryo spätestens nach der Vereinigung der Vorkerne und nach dem Einsetzen der genetischen Selbststeuerung genau solch eine sich gemäß einem individuellen menschlichen Genom organisierende Einheit.88 Der Grundgedanke eines solchen Argumentes der numerischen Identität besteht also darin, daß Menschen von ihrem embryonalen Dasein bis hin zum Erwachsenenalter eine Einheit sind, auf die wir uns nach einem Taufakt konstant beziehen können.89 Wir können zu dem Embryo sagen: Das da war ich, und wir können daher dem Embryo unseren Namen geben, den er, wenn er fortlebt, bis zum Erwachsenenalter tragen darf. Wenn wir keine Schwierigkeiten mit der These haben, daß es sich bei dem lebendigen Körper des erwachsenen Menschen und dem Körper eben dieses Menschen als Kind in gewisser Hinsicht um einen und denselben Körper handelt, dann sollten wir auch keine Schwierigkeiten damit haben, den Körper des erwachsenen Menschen und den Körper eben dieses Menschen als Embryo in gewisser Hinsicht für einen und denselben Körper zu halten; und diese Hinsicht ist die numerische Identität.

86 Vgl. dazu noch einmal unsere Ausführungen zum Kontinuum als numerischer Identität im K-Argument (Abschnitt 5) und zum kriteriellen I-Argument (Abschnitt 6). Es ist übrigens bezeichnend, daß die Zellmembran „Einheitsmembran" genannt wird. 87 Quante (2002, 64) versteht den Organismus dagegen als Lebensprozeß, den er vom Körper unterscheidet. 88 Zur Frage, ob nicht auch der Oozyte im Vorkernstadium oder vor dem Einsetzen der genetischen Selbststeuerung ein starker moralischer Status zukommt, vgl. unten Abschnitt 8.3. 89 Zum Begriff der numerischen Identität vgl. Gillitzer 2001, 21 ff.; zum Verhältnis von sortalen Prädikaten und Identität vgl. Gillitzer 2001, 44ff., und Honnefelder (in diesem Band, 64-66); zur Idee des Taufakts durch sortale Prädikate vgl. Kripke 1981.

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Die Konklusion Damit haben sich sowohl die erste Prämisse als auch die zweite Prämisse unseres NIP-Argumentes als wahr erwiesen. Wir sind deshalb berechtigt, von den beiden Prämissen auf den Schlußsatz zu schließen: (3) Jeder entwicklungsfähige menschliche Embryo hat Würdest· Kurz zusammengefaßt besagt das NIP-Argument also folgendes: Wir schützen Menschen, die in einem reversiblen Koma liegen, nur deswegen durch das Tötungsverbot, weil ihre Körper (auch ohne Bewußtsein) in sich die Fähigkeit tragen, in Zukunft würdestiftende -Eigenschaften zu realisieren. Es ist aber genau diese Disposition - in Zukunft würdestiftende -Eigenschaften zu realisieren -, die auch der Embryo hat. Daß der Embryo sie hat, zeigt sich durch die numerische Identität zwischen einem embryonalen und einem erwachsenen menschlichen Körper. Das NIP-Argument bezieht, wie wir gesehen haben, seine Stärke aus der indirekten Strategie. Die erste Prämisse des Argumentes sagt, daß bereits potentielle -Eigenschaften hinreichend sind für WürdeM. Sie ist die moralrelevante Prämisse. Die zweite Prämisse hat nur eine kriterielle Funktion: Sie zeigt uns Wesen, die potentielle -Eigenschaften haben. (Damit ist aber ausdrücklich nicht ausgeschlossen, daß auch andere Wesen potentielle -Eigenschaften haben.) 8.3 Probleme und Erwiderungen Wir werden jetzt auf die oben erwähnten Probleme eingehen und dabei unsere Argumentation präzisieren. Das Kronprinzessin- (i), das Garnelen- (ii), das Parthenogenese- (iii), das Körperzellen- (iv) sowie das Vorkernstadiumproblem und das Problem des biologisch-heteronomen Frühembryos (v) betreffen unser P-Argument, das Mehrlings- (vi), das Fusions- (vii), das Siamesische Zwillinge(viii), das Hydatidiform mole- (ix) und das Trophoblastenproblem (x) betreffen unser NI-Argument. Diese Problemliste führt von den Problemen, die unserer Einschätzung nach relativ leicht zu lösen sind, zu den schwierigeren Problemen. Bisher lag der Schwerpunkt der internationalen Debatte und Forschung auf der Behandlung des Gameten-, Kronprinzessin- und Zwillingsproblems.90 Wir glauben hingegen, daß das Trophoblastenproblem die größte Schwierigkeit darstellt. Außerdem handelt es sich bei den folgenden Problemen (im Gegensatz zu den im NIP-Argument diskutierten) um Probleme, die generell im Zusammenhang mit SKIP behandelt werden, vor allem aber im Zusammenhang mit dem P-Argument.

90 Besonders das Zwillingsproblem ist immer noch von großem Einfluß; vgl. allein die jüngsten'Berichte der diversen Ethikkommissionen.

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(i) Das Kronprinzessinproblem:91 Das Entwicklungspotential einer Entität werde in normativer Hinsicht normalerweise nicht einfach gleichgesetzt mit der entwickelten Entität - eine Kronprinzessin sei potentiell Königin, habe aber dennoch nicht die gleichen Rechte wie eine Königin. Warum sollte also ein Wesen, so der Einwand, das das Vermögen hat, -Eigenschaften zu entwickeln, in normativer Hinsicht gleichbedeutend sein mit einem Wesen, das diese -Eigenschaften oder die Fähigkeit zu ihnen bereits aktual hat?92 Erwiderung: Das Kronprinzessinproblem beweist nur, daß eine nicht-realisierte Fähigkeit (Eigenschaft usw.) nicht immer die gleichen Rechte impliziert wie die gleiche Fähigkeit als realisierte. Damit ist aber nicht gezeigt, daß dies in allen Fällen des Verhältnisses realisierter und nicht-realisierter Fähigkeiten der Fall ist.93 Denn gerade am Beispiel des reversibel Komatösen läßt sich zeigen, daß es durchaus Fälle gibt, in denen eine nicht-realisierte Fähigkeit die gleichen Rechte impliziert wie die entsprechende realisierte Fähigkeit. (Es ist noch zu bemerken, daß das Vermögen auch nicht verlorengeht, wenn es realisiert worden ist. Die Kronprinzessin ist zwar als Königin keine Kronprinzessin mehr, aber sie hat weiterhin das Vermögen, Königin zu werden. Das zeigt sich, wenn die Königin für eine bestimmte Zeit, beispielsweise durch eine Revolution, als Königin abgesetzt wird. Ändern sich die politischen Verhältnisse in ihrem Land, kann sie wieder als Königin regieren.) (ii) Das Gametenproblem:94 Ein Standardeinwand gegen P-Argumente besteht darin, daß sie in gewisser Hinsicht zuwenig, in anderer Hinsicht aber (und als Folge daraus) angeblich zuviel beweisen würden. Zuwenig bewiesen P-Argumente insofern, als sie über einen unklaren oder zu weiten Begriff von Potentialität verfügten. Damit ein Wesen das, was es potentiell ist oder kann, aktual realisiert, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Was aber diese Bedingungen sind und inwiefern man sie genau bestimmen und begrenzen kann, bleibe, so der Vorwurf, ein unlösbares Problem. So müsse, damit der Embryo sein Potential realisieren kann, eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllt sein (die Plazenta muß funktionieren, das Fruchtwasser stabil sein, usw. usf.). In diesem Sinne könne nun aber auch einer menschlichen Eizelle bereits die Potentialität zu -Eigenschaften zugesprochen werden. Zwar müsse dazu die Bedingung

91 Vgl. Singer 1984,165, der sich an Prinz Charles als Beispiel orientiert; vgl. auch Feinberg 1984,145-150. 92 Ein ähnlich gelagerter Einwand besagt, daß wir alle potentielle Leichen sind, aber dennoch nicht so behandelt werden wollen, als wären wir bereits aktual Leichen; vgl. den Hinweis Reichlins 1997, 7, Anm. 18, auf den Einwand eines anonymen Gutachters seines Beitrages. 93 So argumentiert auch Wieland (in diesem Band, 152-153). 94 Vgl. z. B. Sumner 1981, 104; Harris 1983, 223, 1998, 50; Buckle 1990, 93-96; Singer/ Dawson 1990; Warnock 1990,230; Reichlin 1997,2-9; Warren 1998,131; Harris 1999, 298; Knoepffler 1999, 85; Quante 2002, 98 f.

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erfüllt sein, daß die Eizelle mit einer Samenzelle verschmelze, aber diese Bedingung sei eben auch nur eine unter mehreren Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit aus einer Eizelle oder eben aus einem Embryo ein Mensch werde, und lasse sich von den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Embryo zu einem Menschen werden kann (etwa die Bedingung, daß die Plazenta den Embryo ausreichend versorgt), nicht sinnvoll unterscheiden. In dieser Hinsicht beweise also das P-Argument zuviel, weil man dann auch Gameten starke Schutzrechte zusprechen müsse.95 Das sei aber absurd; deshalb müsse man per Reductio ad absurdum schließen, daß auch die Annahme, daß schon das Potential des Embryos ihn einem geborenen Menschen gleichstelle, falsch sei. Erwiderung: Es ist zwar richtig, daß die weibliche Gamete insofern das Potential hat, ein Mensch zu werden, als sie zumindest notwendige Bedingung dafür ist, daß ein Mensch entstehen kann. Aber dieser Potentialitätsbegriff ist zu weit gefaßt, um den offenkundigen Unterschied zwischen dem Potential der weiblichen Gamete und dem des Embryos erklären zu können. Denn in diesem Sinne sind ebenfalls der Urknall, die chemischen Grundelemente oder die Naturgesetze notwendige Bedingungen dafür, daß ein Mensch entstehen kann. In diesem Sinne befindet sich eine Gamete auf der gleichen Ebene wie etwa das Fruchtwasser. Doch im Unterschied zum Embryo wird aus keiner dieser Entitäten ein Mensch. Ziel des Fruchtwassers wie der Gameten ist es, zur Entstehung eines Menschen beizutragen. Aber es ist nicht inhärentes Ziel des Fruchtwassers selbst, ein Mensch zu werden, ebensowenig wie es Ziel der Gameten als Gameten ist, ein Mensch zu werden. Man sollte also ,Potentialität' und ,notwendige Bedingung' nicht miteinander verwechseln. (iii) Das Parthenogeneseproblem:96 Eine sogenannte Jungfernzeugung oder Parthenogenese liegt vor, wenn sich eine menschliche Eizelle spontan oder durch künstliche Anregung (aber ohne Mitwirkung einer Samenzelle) so teilt, daß sie sich zu einem Embryo entwickelt.97 Deshalb habe, so der Einwand, schon eine einzelne menschliche Eizelle das Vermögen, zu werden, und wenn man nicht bereit sei, jede menschliche Eizelle unter Tötungsschutz zu stellen, dann auch nicht Embryonen. Erwiderung: Soweit wir heute wissen, sind durch Parthenogenese entstandene menschliche Embryonen nicht in der Lage, sich zu einem erwachsenen Menschen zu entwickeln. Sie sterben ausnahmslos in den ersten Tagen ab, sind also prinzipiell nicht entwicklungsfähig.98 (Die Parthenogenese kommt im Tierreich dagegen tatsächlich vor und führt - außer bei Menschen - zu entwicklungsfähigen Embryonen.) Da man aber nicht sinnvollerweise davon sprechen kann, daß ein Wesen ein Vermögen zu -Eigenschaften hat, wenn es nie einen 95 96 97 98

Hare 1975 akzeptiert diese Konsequenz. Vgl. z. B. Singer/Dawson 1990, 81 ff.; Ford 1991,149-151; Quante 2002, 80f. Vgl. Viebahn (in diesem Band, 271). Vgl. Morowitz/Trefil 1992, 52 und Viebahn (in diesem Band, 271).

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Fall geben wird, in dem das Wesen aktual die Fähigkeit zu -Eigenschaften hat, kann man auch nicht davon sprechen, daß der durch Parthenogenese entstandene Embryo das gleiche Vermögen hat wie ein entwicklungsfähiger Embryo. Deshalb muß er auch nicht im gleichen Maße geschützt werden. Anders wäre die Situation zu bewerten, wenn sich durch Parthenogenese entstandene Embryonen eines Tages zu geborenen Menschen entwickeln könnten; sie müßten dann in der Tat genauso geschützt werden wie ,normale' Embryonen, die durch die Vereinigung von Ei- und Samenzelle entstanden sind. Ähnlich müßte man die Eizelle bewerten, wenn man sie so verändern könnte, daß sie sich regelmäßig seihst - ohne weitere Manipulation von außen - durch Parthenogenese fortpflanzt. Dann wäre auch sie unter einen starken Schutz zu stellen. Es kommt also nicht darauf an, wie ein entwicklungsfähiger menschlicher Embryo entsteht (ob durch künstliche Anregung zur Parthenogenese, durch künstliche IVF oder ICSI oder durch eine normale Befruchtung), sondern nur, daß er entstanden und entwicklungsfähig ist." Aber daraus folgt (ebenso wie im Gametenproblem) nicht, daß schon die bloße, zur Parthenogenese allein nicht fähige weibliche Eizelle unter Schutz gestellt werden muß. Denn es ist unter normalen Bedingungen nicht das inhärente Ziel einer einzelnen Eizelle, ein Mensch zu werden; erst der Embryo kann ein Mensch werden. Eine einzelne Eizelle wird normalerweise kein Mensch, und deswegen hat sie als Eizelle auch nicht das Potential dazu. (iv) Das Körperzellenproblem:100 Das Körperzellenproblem macht einen ähnlichen Einwand wie das Parthenogeneseproblem. Auch hier besteht das Problem darin, daß man eine Körperzelle in Zukunft vielleicht (biochemisch) so manipulieren und anregen könnte, daß sie zu einem entwicklungsfähigen Embryo wird. Wenn das aber möglich wäre, dann habe sogar jede menschliche Körperzelle das Vermögen, zu werden, und es wäre gewiß absurd, jeder menschlichen Körperzelle WürdeM zuzusprechen. Dann dürfe man aber auch Embryonen keine Würde^j zusprechen. Erwiderung: Das Körperzellenproblem stellt für unsere NIP-Argumentation solange kein Problem dar, wie Körperzellen zu einer derartigen Entwicklung de facto noch nicht angeregt werden können. Wenn man sie aber wie beschrieben anregen könnte, dann gäbe es zwischen diesem Verfahren der Erzeugung eines entwicklungsfähigen Embryos und den schon bekannten künstlichen Verfahren (z. B. IVF, ICSI) keinen prinzipiellen Unterschied. In diesen Verfahren muß zu dem Ausgangsmaterial immer noch etwas Zweites hinzutreten: das künstliche Verbinden des Spermiums mit der Eizelle (IVF, ICSI) oder eben das künstliche Anregen der Körperzelle durch eine biochemische Substanz (oder was auch immer dazu geeignet sein mag). Man könnte zur Veranschaulichung 99 Schöne-Seifert hingegen (in diesem Band, 175-176) macht zwischen künstlicher und normaler Entstehung einen Unterschied. 100 Vgl. z.B. Zoglauer 2002, 59.

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vielleicht von einer „IVF ohne Spermium" sprechen. Der durch eine derartige Manipulation erzeugte entwicklungsfähige Embryo hätte natürlich Würde^, weil er bereits Träger potentieller -Eigenschaften ist. Es bleibt aber dabei, daß die menschliche Körperzelle alleine ohne künstliche Manipulation nicht zu einem entwicklungsfähigen Embryo wird. Denn sie hat kein inhärentes Vermögen, ein Mensch zu werden. Deshalb gilt für sie dasselbe, das auch schon für die einzelnen Gameten im Gametenproblem galt: Sie ist nicht unter denselben Schutz zu stellen wie der entwicklungsfähige menschliche Embryo.101 (v) Das Vorkernstadiumproblem und das Problem des biologisch-heteronomen Frühembryos:102 In diesem Abschnitt gehen wir auf zwei weitere Probleme ein. Sie betreffen erstens die wichtige Frage, welchen moralischen Status die imprägnierte Oozyte im Vorkernstadium hat, also vor der völligen Vereinigung der beiden Vorkerne, und zweitens die nicht minder wichtige Frage, welchen moralischen Status der biologisch-heteronome Embryo vor dem Einsetzen der genetischen Selbststeuerung hat.103 Diese beiden Fragen sind gesondert zu behandeln, weil durchaus die Position vertreten wird, daß der Embryo (wenn überhaupt) erst mit dem Einsetzen der genetischen Selbststeuerung Würde^j besitze. Die imprägnierte Oozyte sei zwar auf dem Weg zur Vereinigung der Vorkerne und damit zur Bildung des individuellen menschlichen Genoms, aber das sei nicht moralisch relevant, solange dieses Genom nicht de facto vorliege, die Vorkerne sich also noch nicht vereinigt hätten. Man dürfe nicht einen Fehlschluß von dem unmittelbaren Bevorstehen eines Ereignisses (Vereinigung der Vorkerne) auf das Ereignis selbst begehen.104 Der biologisch-heteronome Embryo wiederum habe ebenfalls noch keine Würde^, weil bei ihm die Steuerung des Entwicklungsprozesses noch von der mütterlichen RNA der Eizelle und eben noch nicht von seinem individuellen Genom übernommen worden sei. 101 Tooley 1972 hat ein dem Körper Zellenproblem analoges Gedankenexperiment entwickelt: Man könne sich vorstellen, daß man Kätzchen etwas spritzen könne, das ihnen das Vermögen verleiht, intellektuelle Fähigkeiten auszubilden, die den menschlichen entsprechen. Dann dürfte man diese Kätzchen nicht mehr töten. Das sei aber ungewöhnlich. — Dazu ist zu sagen, daß es sich bei den durch die beschriebene medizinische Behandlung entstandenen Kätzchen nicht mehr um Angehörige der Spezies Katze handelt. Es ist durch diese Manipulation von außen eine andere Spezies entstanden, die dann - unter der Voraussetzung, daß sie sich unter normalen Bedingungen zu Wesen mit aktualen -Eigenschaften entwickelt - zu schützen ist. Tooleys Argument lebt davon, daß diese neue Spezies immer noch das Aussehen von Katzen hat und wir unter normalen Bedingungen davon ausgehen können, daß Lebewesen, die wie Katzen aussehen, keine intellektuellen Fähigkeiten haben, die den menschlichen entsprechen. Aber das ist im vorliegenden Fall eben eine falsche Annahme. 102 Zum biologischen Sachverhalt vgl. Bodden-Heidrich etal. 1997, 70; Knoepffler 1999, 49 ff., 74; Quante 2002, 83-85. 103 Zum Embryonenbegriff vgl. unsere Ausführungen in Teil A, 192-193. 104 Vgl. Quante 2002, 84.

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Erwiderung: l.) Zunächst muß geklärt werden, ob es ein Abgrenzungskriterium zwischen den Gameten und der imprägnierten Oozyte gibt. Nun hat zwar in der imprägnierten Oozyte die Vereinigung der Vorkerne noch nicht stattgefunden. Aber schon mit dem Abschluß der zweiten Reifeteilung ist die genetische Einzigartigkeit des Embryos festgelegt und der Prozeß zum biologisch-heteronomen und dann biologisch-autonomen Embryo unter normalen Bedingungen unumkehrbar angestoßen.105 Es ist zwar richtig, daß man zwischen dem Bevorstehen eines Ereignisses und dem Ereignis selbst unterscheiden muß. Aber im Gegensatz zu den zwei einzelnen Gameten steht im Stadium der imprägnierten Oozyte schon fest, welches individuelle Genom der Embryo nach der Vereinigung der Vorkerne haben wird. Außerdem bildet die imprägnierte Oozyte bereits eine raum-zeitliche kontinuierliche Einheit (wenn man so will, den ,Körper' des Menschen), die alle Elemente in sich umfaßt, die für den weiteren Entwicklungsprozeß notwendig sind. Beides zusammen - die Individualität eines Kontinuums - erlaubt die eindeutige, namensgebende Bezugnahme auf die imprägnierte Oozyte (den Kripkeschen Taufakt). Bei den einzelnen Gameten ist dies nicht möglich. 2.) Im biologisch-heteronomen Frühembryo ist zwar noch nicht die genetische Selbststeuerung aktiviert, aber dieser Prozeß ist unumkehrbar angestoßen. Der biologisch-heteronome Frühembryo wird sich unter normalen Umständen ganz sicher zu einem biologisch-autonomen Frühembryo entwickeln; und im Gegensatz zu den Gameten hat der biologisch-heteronome Frühembryo bereits das Vermögen zur Ausbildung der genetischen Selbststeuerung. Die Tatsache, daß die genetische Selbststeuerung noch nicht eingesetzt hat, ändert - wie schon beim Problem des Vorkernstadiums - nichts daran, daß ein individuelles Kontinuum mit einem Potential zu -Eigenschaften bereits vorliegt. Deshalb ist der biologisch-heteronome Frühembryo aufgrund des NIP-Argumentes genauso zu schützen wie auch der biologisch-autonome Frühembryo. (vi) Das Mehrlingsproblem:106 Das Mehrlingsproblem gehört neben dem Gametenproblem zu den am häufigsten behandelten Problemen im Umkreis der Frage, welchen moralischen Status menschliche Embryonen haben. Es besagt, daß es nicht möglich sei, eine numerische Identität zwischen dem Embryo und dem erwachsenen Menschen zu behaupten, weil es bis spätestens zum Ende der zweiten Woche p. c. zu Mehrlingsbildungen kommen kann: entweder in vivo durch Teilung (Halbierung) oder in vitro durch Extraktion.107 Kein erwachsener Mensch könne sagen, daß er mit dem Embryo in den ersten 14 Tagen nume105 Vgl. Bodden-Heidrich etal. 1997, 67. 106 Vgl. z.B. Ford 1991, 119-122, 132-137; Holland 1991; Munthe 2001; Tollefsen 2001, 307ff.; Quante 2002, 74-77; Stoecker (in diesem Band, 137-139); Zoglauer 2002, 56-59. Das Mehrlingsproblem wird meistens .Zwillingsproblem' genannt. 107 Vgl. den Warnock-Report (Warnock 1984, 1985; vgl. auch Warnock 1990, 228), der die Ausbildung des Primitivstreifens als Kriterium angibt.

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risch identisch sei, weil dieser Embryo sich noch teilen kann und die daraus hervorgehenden Embryonen nicht beide mit dem Ausgangsembryo identisch sein können. Denn die Zwillinge oder Mehrlinge wären sonst aufgrund der Transitivität der Identität auch miteinander identisch, was natürlich absurd ist. Erwiderung: Zunächst ist es wichtig, zwischen einer möglichen und einer faktischen Mehrlingsbildung zu unterscheiden.108 Die Tatsache, daß Mehrlingsbildung möglich ist, ändert nichts an der numerischen Identität eines erwachsenen Menschen mit einem Embryo, der sich faktisch nicht geteilt hat. In diesem Falle zieht das Mehrlingsproblem nicht. Anders sieht es bei faktischer Mehrlingsbildung aus: In der Tat können durch Mehrlingsbildung entstandene Embryonen nicht numerisch identisch sein mit dem Embryo, aus dem sie hervorgegangen sind. Aber diese Tatsache ändert nichts an der Geltung unseres NIArgumentes. Solange ein Embryo, nennen wir ihn Peter, sich nicht teilt, bleibt er Peter, solange er lebt; er ist ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist. Teilt sich der Embryo mit dem Namen Peter, dann existiert Peter nicht mehr (er ,stirbt', wenn man so will)109, und aus Peter gehen Hans und Franz hervor.110 Der erwachsene Hans ist nicht numerisch identisch mit Peter, sondern mit dem embryonalen Hans, und das gleiche gilt für Franz. Beide, Hans und Franz, sind aber im embryonalen wie im erwachsenen Zustand jeweils ein lebendiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist (und damit schützenswert). Damit ist der Embryo in allen seinen Stadien zu schützen, auch wenn es im Falle der tatsächlichen Mehrlingsbildung verschiedene Individuen sind (zunächst Peter, dann Hans und Franz), die geschützt werden müssen. (vii) Das Fusionsproblem:111 Ein weiteres Problem stellt der zum Mehrlingsproblem analoge umgekehrte Fall dar. Es ist (zumindest im Tierexperiment) möglich, daß sich zwei entwicklungsfähige Embryonen zu einem Embryo vereinigen („Fusion").112 Dabei sind zwei verschiedene Formen von Fusionen denkbar: 1. Zwei genetisch verschiedene Embryonen verschmelzen zu einem Embryo (die sogenannte Chimärenbildung); 2. zwei genetisch identische Embryonen, die durch Zwillingsbildung entstanden waren, verschmelzen wieder zu einem Embryo. Die Möglichkeit der Fusion zeige, daß der spätere Erwachsene nicht mit einem frühen Embryo numerisch identisch sein könne. Denn bis zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Fusionsbildung nicht mehr möglich ist, könnten 108 Das betont auch richtig Munthe 2001, 390; Ford 1991, 135, hingegen begeht einen Fehler, wenn er meint, diese Differenz einebnen zu können. 109 Vgl. Schockenhoff 1993, 308. 110 Eine alternative Interpretationen der Mehrlingsbildung wäre die Knospenbildung (der Ausgangsembryo bleibt erhalten und bildet einen zweiten aus sich heraus, eine Art,Knospe'); vgl. dazu Stoecker (in diesem Band, 138). 111 Vgl. Quante 2002, 77-79. 112 Vgl. Ford 1991, 139f.

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sich immer zwei Embryonen, z. B. Hans und Franz, zu einem Embryo Peter vereinigen. Der geborene Peter sei aber weder mit Hans noch mit Franz identisch, also auch nicht mit einer Zygote in den ersten Stadien. Erwiderung: Dieser Einwand weist die gleichen Schwächen auf wie das Mehrlingsproblem. Zunächst wird wieder nicht hinreichend zwischen einer möglichen und einer faktischen Fusion zweier Embryonen unterschieden. Solange de facto keine Fusion zustande kommt, ist der geborene Mensch mit einem Embryo numerisch identisch. Kommt aber eine Fusion zustande, sind die beiden Ausgangsembryonen nach der Fusion nicht mehr existent (sie ,sterben'), und ein neuer Embryo entsteht. Der neuentstandene Embryo ist zwar in der Tat nicht mit den beiden Ausgangsembryonen identisch. Aber das gefährdet unser NIP-Argument (ebenso wie beim Mehrlingseinwand) nicht. Denn die beiden Ausgangsembryonen sind bis zu ihrem durch externe Einflüsse bedingten ,Tod' entwicklungsfähige menschliche Körper, die Träger potentieller -Eigenschaften sind (und damit schützenswert). Danach entsteht ein neuer Embryo, der ebenfalls ein entwicklungsfähiger menschlicher Körper und Träger potentieller -Eigenschaften ist. Auch er ist schützenswert. Also ist die These, daß entwicklungsfähige menschliche Embryonen in jeder Phase ihres Lebens schützenswert sind, durch den Fusionseinwand nicht widerlegt. (viii) Das Siamesische Zwillinge-Problem:113 Das Siamesische Zwillinge-Problem vereinigt Momente des Mehrlings- und des Fusionseinwandes in sich. Die sogenannten Siamesischen Zwillinge sind Zwillinge, die räumlich nicht vollständig voneinander isoliert sind, sondern an mindestens einer Stelle des Körpers miteinander verwachsen bzw. fusioniert sind und sich eines oder mehrere Organe teilen. Bei der begrifflichen Einordnung dieses Falles stößt unsere Sprache an ihre Grenzen: Handelt es sich bei den Siamesischen Zwillingen um zwei Körper zweier Personen, die nur mehr oder weniger eng miteinander verbunden sind, oder um einen einzigen Körper, den sich zwei Personen teilen? Wer für die erste Interpretation plädiert, wird (für den Fall, daß die Siamesischen Zwillinge aus einem einzigen Embryo hervorgegangen sind) einen Einwand analog zum Mehrlingsproblem vorbringen; oder er wird das Argument mit dem Trophoblastenproblem verbinden und darauf hinweisen, daß dann (wenn man einmal annimmt, daß der Körper des Embryos auch aus der Plazenta besteht) ein und dasselbe Organ, nämlich die Plazenta, zu zwei Körpern gehört. Auch wer die zweite Interpretation vertritt, wird einen Einwand analog zum Mehrlingsproblem oder Fusionsproblem vorbringen. Erwiderung: Auch wenn man manche Siamesische Zwillinge so beschreiben kann, daß es sich um einen Körper handelt, den zwei Personen sich teilen, und auch wenn damit die Identität der zwei Personen mit dem Embryo, aus dem sie entstanden sind, nicht gegeben ist, ist dennoch der Körper der Siamesischen 113 Vgl. Stoecker (in diesem Band, 139) sowie die oben angegebene Literatur zum Mehrlingsproblem.

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Zwillinge ein entwicklungsfähiger menschlicher Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften ist. Er ist in diesem Fall eben Träger potentieller -Eigenschaften zweier Personen (und nicht nur einer, wie sonst üblich). Die Antworten auf das Mehrlings- und Fusionsproblem haben wir bereits gegeben, auf das Trophoblastenproblem werden wir noch ausführlich eingehen.114 (ix) Das Hydatidiform mole-Problem:115 Manche Zygoten entwickeln sich nicht zu Trophoblast und Embryoblast, sondern aufgrund eines genetischen Defekts nur zu einer Plazenta (hydatidiform mole). Aus solchen Zygoten wird also niemals ein Mensch. Die Möglichkeit, daß sich aus einer Zygote nur eine Plazenta entwickle, zeige, so der Einwand, daß die Zygote noch kein lebendiger menschlicher Körper sei. Erwiderung: Die Tatsache, daß sich der Embryo in diesem Falle nur zur Plazenta entwickelt, stellt kein Argument dafür dar, daß keine Zygote ein lebendiger menschlicher Körper ist. Wir müssen hier zwei hypothetisch mögliche Fälle unterscheiden: Erstens den Fall, daß diese Zygote prinzipiell entwicklungsfähig ist, es aber durch äußere Umstände dann nicht zur Bildung von Trophoblast und Embryoblast kommt; und zweitens den Fall, daß diese Zygote niemals entwicklungsfähig war und von vornherein feststand, daß sie sich niemals zu einem Menschen entwickeln konnte. Im ersteren Fall handelt es sich bis zum Einsetzen der widrigen äußeren Umstände um einen lebendigen menschlichen Körper, der Träger potentieller -Eigenschaften und deshalb zu schützen ist. Der Übergang vom Embryo zur bloßen Plazenta wäre dann ähnlich zu interpretieren wie das Problem, das sich durch die mögliche Mehrlingsbildung in den ersten 14 Tagen p. c. ergibt: In dem Moment, in dem der Embryo seine Entwicklungsfähigkeit zu einem Wesen mit -Eigenschaften verliert und schließlich zur Plazenta wird, existiert er nicht mehr (er .stirbt'). Der Plazenta kommen deshalb nicht die gleichen Schutzrechte zu wie dem Embryo, denn sie hat natürlich nicht die Entwicklungsfähigkeit zu einem Wesen mit -Eigenschaften. Im zweiten Fall steht bereits mit der Bildung der Zygote fest, daß es sich um einen Organismus handelt, der aufgrund eines genetischen Defekts prinzipiell nicht entwicklungsfähig ist. Wir hatten schon früher betont, daß ein Embryo, der einen so starken genetischen Defekt aufweist, daß sicher ist, daß er sich niemals zu einem Menschen mit -Eigenschaften entwickeln kann, auch keine potentiellen -Eigenschaften aufweist. Er ist also zumindest nicht aufgrund des Vorhandenseins von potentiellen -Eigenschaften zu schützen. (x) Das Trophoblastenproblern:116 Obwohl, wie gesagt, das Zwillings- oder Mehrlingsproblem in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte immer noch der am meisten diskutierte Einwand gegen die SKIP-Argumente ist, mei114 Vgl. das Trophoblastenproblem in Abschnitt x. 115 Vgl. Ford 1991, 82; Quante 2002, 80. 116 Vgl. Buckle 1990; Steigleder 2002, 21-23; Stoecker (in diesem Band, 139-141).

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nen wir, daß das Trophoblastenproblem größere Schwierigkeiten bereitet. In der Tat stellt es den stärksten Einwand gegen unser Argument dar. Es kritisiert besonders nachdrücklich die These des NI-Argumentes, daß bereits der sehr frühe Embryo ein lebendiger menschlicher Körper sei. Die Grundidee des Trophoblastenproblems läßt sich folgendermaßen skizzieren: Nur die wenigsten Zellen des frühen Embryos entwickeln sich zum späteren eigentlichen' Embryo, daraufhin zum Fetus und schließlich zum erwachsenen Menschen. Aus etwa zwei Dritteln der ursprünglichen Zellmasse, dem Trophoblasten, entwickelt sich nach der Einnistung das Versorgungsgewebe und später die Plazenta, aus dem restlichen Drittel, dem Embryoblasten, entwickeln sich die Fruchtblase, der Dottersack und der dann bald eine menschliche Gestalt annehmende ,eigentliche' Embryo. Das Problem bestehe zum einen darin, daß ein geborener Mensch nicht mit der Blastozyste, aus der er hervorgegangen ist, identisch sein könne, weil nur ein Teil der Blastozyste zum späteren Menschen werde; zum anderen darin, daß dieser Teil, der Embryoblast, wiederum nicht mit der einzelligen Zygote identisch sein könne. Schauen wir uns die Entwicklung von der einzelligen Zygote über die Morula bis hin zur Blastozyste etwas genauer an, um das Problem besser zu verstehen:117 Aus einer einzelligen Zygote (A) entsteht durch die erste Teilung eine zweizeilige Zygote (B). Beide, A und B, sind jeweils von einer Außenhülle (der Zona pellucida) umgeben, und bei beiden bilden die Zellen noch ein zusammenhängendes Ganzes, oder wie wir es nennen: ein Kontinuum. Man kann also sagen, daß A zu B geworden ist. Nach weiteren Teilungen wächst B nach etwa drei Tagen zu einer Zellkugel von ca. 12-16 Zellen heran, der sogenannten Morula (C). In diesem Stadium kann man bereits eine deutliche Differenzierung der Zellen erkennen. Sie sind nun nicht mehr totipotent, können sich also nicht mehr jeweils zu einem ganzen Menschen entwickeln. Ihre weitere Entwicklung ist bereits festgelegt: Die Zellen, die zur Außenhülle der Morula gehören, werden sich zum Trophoblasten entwickeln, die inneren Zellen, die von den äußeren Zellen umschlossen werden, zum späteren Embryoblasten.118 Der für das Trophoblastenproblem entscheidende Übergang ist der von der Morula (C) zur Blastozyste (D). Denn die Blastozyste als ganze (D) enthält zwei voneinander differente Zelltypen: diejenigen, die die innere Zellmasse der Kugel, den Embryoblasten (E), bilden und sich nicht mehr zu Trophoblastzellen entwickeln können, und diejenigen, die den Trophoblasten (F) bilden, und sich ihrerseits nicht mehr zu Embryoblastzellen entwickeln können.119 117 Vgl. zum folgenden auch die Argumentation von Steigleder 2002,21-23, und die Abbildung l in Viebahns Darstellung der embryonalen Frühphase (in diesem Band, 277). 118 Vgl. dazu Ziomek, C. A./Johnson, M. H./Handyside, A. H. (1982): „The Developmental Potential of Mouse 16-cell Elastomeres", m: Journal of Experimental Zoology, 221, 345-355. Für den Hinweis danken wir Christoph Viebahn. 119 Es gibt neuere Hinweise durch Forschung an Mäuseembryonen, daß vielleicht auch

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Aus diesem biologischen Tatbestand entstehe nun folgendes Problem: Man könne zwar sagen, daß sich der Einzeller zum Zweizeiler und dieser Zweizeiler sich zur Morula entwickelt hat, aber man könne nicht mehr im gleichen Sinne sagen, daß sich die Morula zum Embryoblasten entwickelt hat. Denn erstens sei die Morula als ganze nicht mit dem Embryoblasten identisch, weil dieser nur ein Teil der Blastozyste sei. Zweitens könne die Morula aber auch nicht mit dem Embryoblast und dem Trophoblasten identisch sein, weil beide gar keine Einheit darstellten, die sich als Einheit entwickelte.120 Daher sei der Embryoblast nicht mit der Morula identisch. Weil aber die Morula ihrerseits identisch sei mit der zwei- und einzelligen Zygote, sei der Embryoblast aufgrund der Transitivität der Identität auch nicht mit der zwei- und einzelligen Zygote identisch. Unter der Voraussetzung, daß sich nur aus dem Embryoblasten der spätere Mensch entwickele und daß dieser spätere Mensch daher nur mit dem Embryoblast identisch sei, seien also weder die zwei- und einzellige Zygote noch die Morula mit diesem ,eigentlichen' Embryo identisch. Da das NIP-Argument aber mit einer numerischen Identität (mindestens) zwischen der Zygote und dem erwachsenen Menschen argumentiere, scheitere das ganze Argument. Erwiderung: Zwei Reaktionen sind denkbar. In der ersten wird die Voraussetzung des Trophoblasteneinwandes akzeptiert, daß nämlich nur der Embryoblast der schützenswerte ^eigentliche') Embryo ist, nicht aber die Blastozyste, die sowohl den Embryoblasten wie den Trophoblasten umfaßt; in der zweiten Reaktion wird genau diese Voraussetzung angegriffen. Betrachten wir die erste mögliche Erwiderung: Man muß zwischen der Entwicklung der ganzen Morula zum Embryoblasten und der Entwicklung nur eines Teiles der Morula zum Embryoblasten unterscheiden. Obwohl man bisher die Morula als ganzes ,Embryo' genannt hat, wäre dann das, was sich zum Embryoblasten entwickelt, nur der innere Teil des ,Embryos' im Stadium der Morula, nämlich die innere Zellmasse der Morula. Auch wenn die Rede vom eigentlichen' Embryo als Teil des .Embryos' im Stadium der Morula mißverständlich klingen könnte, scheint es sinnvoll, diese Alternative zu untersuchen. Aber kann man auf diese Weise die numerische Identität des Embryoblasten mit der einzelligen Zygote erhalten? Betrachten wir noch einmal den Weg zwischen dem Embryoblasten (E) und der einzelligen Zygote (A). Der Embryoblast ist in dieser Interpretation numerisch identisch mit einem Teil der Morula (C). Dieser Teil der Morula, nennen wir ihn Cl, sind die Zellen, die nicht mit der Hülle der Zellkugel in Kontakt stehen. Cl wiederum ist aus bestimmten Zellen der zweizeiligen Zygote (B) hervorgegangen; nennen wir die eine Zelle von B die Zelle Bl, die andere B2. Dann kann Cl beim Säugerembryo schon bei der ersten Teilung oder sogar schon durch die Imprägnation determiniert wird, welche Zellen sich zum Embryoblasten und welche sich zum Trophoblasten entwickeln; vgl. Pearson, Helen (2002): „Your destiny, from day one", in: Nature Science Update, 08.07.2002, http://www.nature.com/nsu/ 020701/020701-12.html. 120 So Steigleder 2002, 23.

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nur entweder mit B l oder B2, aber nicht mit beiden identisch sein. Nun ist klar, daß weder B l noch B2 als jeweiliger Teil von B mit ganz A, der einzelligen Zygote, numerisch identisch sein können. Numerisch identisch ist A nur mit B, also dem Ganzen aus B l und B2. Wenn aber weder B l noch B2 mit A identisch ist, dann kann (aufgrund der Transitivität der Identität) auch Cl, das entweder mit B l oder B2 identisch ist, mit A nicht identisch sein, und dann auch nicht E (das in dieser Interpretation ja mit Cl identisch ist) mit A. Unter der Voraussetzung, daß der Embryoblast der ,eigentliche' Embryo ist, läßt sich das Trophoblastenproblem also nicht lösen. Aber vielleicht läßt sich, so die zweite Erwiderung, genau diese Voraussetzung angreifen, daß nur der Embryoblast der »eigentliche' Embryo sei, nicht aber die ganze Blastozyste, die aus dem Embryoblasten und dem Trophoblasten besteht. Doch wie kann man sinnvollerweise sagen, daß die ganze Blastozyste der Embryo ist? Diese Annahme scheint kontraintuitiv zu sein, denn offensichtlich wird ja der Trophoblast und alles, was sich aus ihm entwickelt, spätestens mit dem Durchtrennen der Nabelschnur abgestoßen; es scheint ein offenkundiger Unterschied zu bestehen zwischem dem ,eigentlichen* Embryo (später ,Fetus' genannt), der bald eine menschliche Gestalt annimmt, und all dem, was gewissermaßen um ihn herum existiert und auch nicht zur Mutter gehört. Vielleicht wirkt die Annahme nicht mehr so kontraintuitiv, wenn man sich die Funktion des Trophoblasten und der aus ihm hervorgehenden Plazenta noch einmal vor Augen führt: Der Trophoblast wird nämlich auch als Versorgungsgewehe bezeichnet. Ab der vierten Woche steht mit ihm ein Gefäßsystem für die Versorgung des Embryoblasten zur Verfügung. Später wird das Versorgungsgewebe als Chorion frondosum bezeichnet, und ab dem vierten Entwicklungsmonat heißt das Organ für die Versorgung des Feten dann Plazenta (Mutterkuchen). Der Trophoblast und die Plazenta versorgen und ernähren also den Embryoblasten.121 In gewisser Hinsicht sind der Trophoblast, der Dottersack und die Plazenta vom Embryoblasten, dem Epiblasten und dann dem immer mehr eine menschliche Gestalt annehmenden ,eigentlichen' Embryo räumlich getrennt. Andererseits hängen alle diese Teile untereinander physisch-körperlich und funktional zusammen; der Unterschied zwischen intern und extern ist sehr fließend, und zumindest über die Nabelschnur sind die diversen Organe immer verbunden.122 Was also spricht dagegen, diese Versorgungsorgane, auch wenn 121 Wenn man die Plazenta zum Embryo rechnet, ergibt sich das schon bekannte Problem, daß sich die Körper Siamesischer Zwillinge dann ein Organ (in diesem Fall die Plazenta) teilen: Die Plazenta ist zugleich Teil des einen wie auch des anderen Körpers. Man kann darauf aber entgegnen, daß es durchaus denkbar ist, daß an einem Organ zugleich (und an derselben Raum-Zeit-Stelle) zwei unterschiedliche Ereignisse stattfinden können (so Quante 2001, 78). 122 Interessant ist in diesem Zusammenhang z. B. auch, daß am Ende des ersten Monats ein großer Teil des entodermal ausgekleideten Dottersacks in den embryonalen Körper einbezogen wird und dann den Magen-Darm-Kanal bildet; vgl. dazu Zankl 2001, 67.

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sie, wie die Plazenta, außerhalb des ,eigentlichen* Embryos oder Fetus liegen, dennoch als Teil dieses Embryos oder Fetus zu verstehen?123 Mit der Geburt und dann dem Durchtrennen der Nabelschnur werden diese externen Versorgungsorgane abgestoßen.

C In dubio pro embryone. Ein Metaargument In der neueren Debatte um den moralischen Status menschlicher Embryonen hat man selten, aber doch gelegentlich das Stichwort „Tutiorismus-Argument" oder auch „benefit of the doubt-Argument" gehört. Wir meinen, daß die Grundidee dieses Argumentes richtig ist und sein Gewicht in der Debatte vernachlässigt wurde.124 Um unnötige Anglizismen zu vermeiden, werden wir aber nicht vom ,benefit of the doubt' sprechen, und auch den bekannten Ausdruck ,Tutiorismus' werden wir vermeiden.125 Statt dessen sprechen wir vom Vorsichtsargument.

9. Die Grundidee des Vorsichtsargumentes Versuchen wir zunächst, das Vorsichtsargument durch zwei reale Beispiele zu veranschaulichen: Ein Jäger, der auf der Pirsch ist, darf nur dann auf etwas schie123 Tatsache ist, daß in den ersten Wochen nach der Ausbildung des Trophoblasten, des Dottersacks usw. das Ganze als Embryo bezeichnet wird. 124 So wird es in der „Stellungnahme zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen" des Nationalen Ethikrats (2001) nur am Rande erwähnt (wenn davon die Rede ist, daß „in Zweifelsfragen eher einer strengen Rechtsauslegung zu folgen" sei, 8). Im Bericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin wird das Argument gar nicht erwähnt. - Eine sehr kurze (positive) Erwähnung findet man in Baumgartner etal. 1997, 238; eher fragend ist dagegen Honnefeider 1993, 263, ausführlicher und grundsätzlich positiv Knoepffler 1999, 119ff. 125 Der Tutiorismus (von lat. ,tutior', sicherer) ist eines der sogenannten ,Moralsystemec, die innerhalb der katholischen Theologie vor allem im 17. und 18. Jahrhundert im Streit um die Zulässigkeit des Prinzips Lex dubia non obligat („Ein zweifelhaftes Gesetz verpflichtet nicht") entwickelt wurden. Der absolute Tutiorismus verwirft dieses Prinzip und besagt, daß bestehende Gesetze immer, auch im größten Zweifel, befolgt werden müssen; der gemäßigte Tutiorismus anerkennt zwar das Prinzip, behauptet aber, daß ein Gesetz erst dann zweifelhaft ist, wenn höchste Wahrscheinlichkeitsgründe seine Geltung in Zweifel ziehen. Daneben gibt es noch weitere ,Moralsysteme' (den Laxismus und verschiedene Spielarten des Probabilismus). Der Hintergrund dieser moraltheologischen Debatte läßt sich nicht ohne weiteres auf die Embryonendebatte übertragen, und es ist jedenfalls irreführend, die Grundidee dessen, was man in der aktuellen Debatte „Tutiorismus-Argument" nennt, eben so zu nennen (denn was genau sollte das zweifelhafte Gesetz' sein?). Zum historischen Hintergrund vgl. Tauer 1981 und 1984 sowie auf Tauer Bezug nehmend Kaminsky 1998, 85f.

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ßen, das sich im Unterholz bewegt, wenn er sicher ist, daß es sich bei dem, das sich da bewegt, nicht um spielende Kinder handelt, sondern um das Wild, das er zu erlegen beabsichtigt. Der Jäger mag zwar bedauern, das Wild nicht erlegen zu können, und er mag sogar sehr darauf angewiesen sein, Beute zu machen, weil er tatsächlich seit einigen Tagen nichts mehr erlegt hat und er selbst wie seine Familie Hunger leiden - aber er wird oder er darf jedenfalls nicht schießen, wenn er guten Grund für die Annahme hat, er könne fälschlicherweise Kinder töten. Solange der Jäger berechtigten Zweifel daran hat, ob das, was er töten möchte, wirklich Tiere sind und nicht vielmehr menschliche Lebewesen, darf er nicht schießen. Das Risiko ist zu groß, der mögliche Nutzen (Tötung eines Tieres zur Nahrungsaufnahme) steht in keinem akzeptablen Verhältnis zum möglichen Schaden (Tötung unschuldiger Menschen).126 Das zweite Beispiel ist historisch bedeutsam und kommt dem aktuellen Streit um den moralischen Status menschlicher Embryonen sehr nahe: Sowohl für das antike und neuzeitliche Sklaventum wie auch für die Kolonialisierung Lateinamerikas läßt sich zeigen, daß manche in subjektiv aufrichtiger Weise die Versklavung oder Ausbeutung von Wesen verteidigten, die wir heute ganz selbstverständlich als Menschen betrachten und an deren Würdestatus nicht der geringste Zweifel besteht.127 An der These, daß Schwarze oder Indianer keine Menschen seien oder jedenfalls keine vollwertigen Menschen, gab es vernünftige Zweifel. Analog zum Jägerbeispiel kann man argumentieren, daß die (aufrichtigen) Verfechter dieser These nicht das Risiko hätten eingehen dürfen, zum Zwecke der Arbeitskräftegewinnung die Versklavung oder Ausbeutung von Wesen zu verteidigen, die möglicherweise Menschen sind. Auch hier ist das Risiko zu groß, der Nutzen (Gewinnung billiger Arbeitskräfte) steht in keinem akzeptablen Verhältnis zum möglichen Schaden (Versklavung und Ausbeutung von Menschen). Jene Verfechter - und erst recht die Sklavenhalter und verbrecherischen Kolonialisten - hätten gut daran getan, sich im Zweifel für die Annahme zu entscheiden, Schwarze oder Indianer seien in der Tat Menschen, und daher schützenswert; und Zweifel bestand ja ohne Frage, wenn auch vielleicht nicht in subjektiver Hinsicht bei den Apologeten. So wie wir heute rückblikkend sagen, man hätte damals nach dem Prinzip In dubio pro servo handeln sollen, so sollte man heute sagen: In dubio pro embryone.12* 126 Wenn wir hier und im folgenden von (moralischem) Schaden sprechen, ist damit kein utilitaristisches Moralverständnis impliziert. Eine moralische Schädigung kann sowohl in einer Regelverletzung vorliegen wie in einer physischen oder psychischen Schädigung eines Würden-Trägers. 127 Vgl. die Hinweise bei Hösle 1997,165 ff.; Hösle nennt die beiden Apologien Gines de Sepulvedas und Las Casas. 128 Dieses Prinzip verstehen wir ausdrücklich nicht im Sinne des positivrechtlichen oder auch naturrechtlichen Prinzips „Im Zweifel für den Angeklagten", da bei diesem Prinzip der grundsätzliche Status des Angeklagten als anerkanntes Rechtssubjekt bereits vorausgesetzt wird. Hinsichtlich des Zweifels und der gebotenen Vorsicht ist die

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In beiden Beispielen haben wir es mit einem ethischen Subsumtionsproblem zu tun. Der Jäger weiß, daß er Menschen nicht erschießen darf, aber er weiß nicht, ob das, was sich da im Unterholz bewegt, ein Mensch oder ein Tier ist. Spanische Kolonialisten wissen, daß Menschen nicht versklavt und getötet werden dürfen, aber sie wissen nicht, ob Indianer Menschen sind.129 Man weiß also, daß ein moralisches Gesetz gilt, man weiß aber nicht mit Sicherheit, ob ein bestimmtes Wesen zur Sorte der Wesen gehört, die durch dieses Gesetz geschützt werden. Allerdings ist in Wahrheit die Lage komplexer, weil wir es mit zwei Varianten des Subsumtionsproblems zu tun haben. In der ersten (schwächeren) Variante wissen wir nicht, ob ein durch eine bestimmte Norm (bleiben wir wieder bei dem Tötungsverbot) geschützt wird, weil wir nicht wissen, ob dieses zu den Wesen gehört, die durch diese Norm geschützt werden. Dabei wird vorausgesetzt, daß wir wissen, warum dieses Gebot gilt, z. B. deshalb, weil es verboten ist, Mitglieder der von Gott geschaffenen Spezies Mensch zu töten. Problematisch ist in einem solchen Fall dann nur, ob das x, um das es geht, ein solches von Gott geschaffenes Mitglied der Spezies Mensch ist; die beiden genannten Beispiele (insbesondere das zweite) lassen sich im diesem Sinne interpretieren.130 Noch problematischer ist die zweite Variante des Subsumtionsproblems. Denn wenn wir nur wissen (oder davon ausgehen), daß es verboten ist, bestimmte Wesen zu töten, ohne aber zu wissen, warum es verboten ist, diese Wesen zu töten - ohne also zu wissen, welche -Eigenschaft es ist, die das Tötungsverbot begründet -, ist es noch viel schwieriger, zu bestimmen, ob ein Wesen zur Sorte der Wesen gehört, die durch das Tötungsverbot geschützt werden - denn wir wissen dann ja gar nicht genau, wonach wir suchen sollen. Im Kontext der Embryonendebatte und im Rahmen unserer indirekten Strategie stehen wir offenkundig vor der zweiten Variante des Subsumtionsproblems: Wir gehen davon aus, daß wir geborene Menschen und auch reversibel Komatöse nicht töten dürfen, aber wir wissen nicht genau, warum dies so ist. Unter diesen Voraussetzungen bestand die Aufgabe zunächst darin zu klären, ob menschliche Embryonen mit reversibel Komatösen in moralischer Hinsicht etwas Wesentliches gemeinsam haben, so daß anzunehmen ist, daß sie, eben genau wie die reversibel Komatösen, zur Sorte der Wesen gehören, die einen WürdeM-Status haben. Wir haben ein Argument entwickelt (das NIP-Argument), das diese hinreichende Gemeinsamkeit demonstrieren soll.131 Dieses Argument Analogie aber, so meinen wir, deutlich, und in diesem Sinne wird das Prinzip auch in nichtrechtlichen Alltagssituationen gebraucht. 129 Auf die Unterschiede in beiden Fällen werden wir nicht eingehen (so ist klar, daß sich im Falle des Jägers das Subsumtionsproblem im Prinzip leichter lösen läßt). 130 Oder wenn wir es z.B. als ethisches Wissen unterstellen, daß Lebewesen deshalb nicht getötet werden dürfen, wenn und weil sie aktuale Präferenzen haben, könnte es z. B. strittig sein, ob Neugeborene aktuale Präferenzen haben. 131 Es tut sich hier übrigens kein Kontingenzproblem wie beim I-Argument auf (vgl. 218-220), da die Würde menschlicher Embryonen nicht an die faktische Existenz re-

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wollen wir nun noch durch ein Metaargument, das Vorsichtsargument, ergänzen. Es besagt, daß in Situationen, in denen guter Zweifel darüber besteht, ob ein Wesen in den Anwendungsbereich eines moralischen Gebotes fällt, davon ausgegangen werden muß, daß es sich so verhält, wenn die gegenteilige Annahme und die mit ihr vielleicht verbundenen positiven Auswirkungen in keinem akzeptablen Verhältnis zum moralischen Schaden stehen, der entstünde, würde man jene Annahme nicht machen.1*2 Machen wir uns zunächst klar, welche Elemente bei der ethischen Überlegung und Abwägung berücksichtigt werden müssen: 1) Wie groß ist der moralische Schaden, den die Annahme mit sich brächte, Embryonen besäßen keine Würde^? 2) Wie groß ist der (moralische) Nutzen, den die Annahme mit sich brächte, Embryonen besäßen keine Würde^? 3) Wie groß ist der Zweifel daran, daß Embryonen (keine) Würde^ besitzen? Gehen wir diese drei Elemente der Reihe nach durch: Moralischer Schaden: Unter der Voraussetzung, daß Embryonen Würde^ besitzen, ist ihre Tötung moralisch radikal verwerflich, so verwerflich, wie es jede Tötung würdetragender Wesen oder eben menschlicher Lebewesen nun einmal ist; ihre Tötung ist dann kein Bagatelldelikt. Dies ist eigentlich unbestritten, oder sollte es jedenfalls sein. Was uns diese (mögliche) Verwerflichkeit leicht vergessen läßt, ist vermutlich die Tatsache, daß Embryonen nicht aussehen wie die Wesen, denen wir üblicherweise WürdeM zusprechen (daß sie also nicht aussehen wie Menschen), und daß wir sie, außer unter Laborbedingungen, nicht sehen. Doch auch Embryonen tragen sehr bald menschliche Züge. Und vor allem sollten wir aus der Tatsache lernen, daß wir uns sehr oft von der moralischen Verwerflichkeit von Handlungen oder Zuständen nicht beeindrucken lassen, einfach weil sie uns nicht gegenwärtig sind, ohne daß wir diese Eigenart unserer moralischen Natur für lobenswert hielten. (Moralischer) Nutzen: Wenn wir davon ausgehen, daß Embryonen keine Würdest besitzen und daher auch getötet werden dürfen, scheint der Nutzen versibel Komatöser gebunden ist. Die These ist nur, daß, wenn wir reversibel Komatöse schützen - oder eben auch schützen würden, wenn sie existierten -, dann auch Embryonen zu schützen sind. 132 Ein solches Vorsichtsargument findet sich auch in der Enzyklika Evangelium Vitae von Johannes Paul II. : „Im übrigen ist der Einsatz, der auf dem Spiel steht, so groß, daß unter dem Gesichtspunkt der moralischen Verpflichtung schon die bloße Wahrscheinlichkeit, eine menschliche Person vor sich zu haben, genügen würde, um das strikteste Verbot jedes Eingriffs zu rechtfertigen, der zur Tötung des menschlichen Embryos vorgenommen wird. Eben deshalb hat die Kirche jenseits der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und selbst der philosophischen Aussagen, auf die sich das Lehramt nicht ausdrücklich eingelassen hat, stets gelehrt und lehrt noch immer, daß der Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an jene unbedingte Achtung zu gewährleisten ist, die dem Menschen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit und Einheit moralisch geschuldet wird" (Artikel Nr. 60).

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sehr groß zu sein.133 Wir müssen auf die Details hier nicht eingehen, aber die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen ist vielversprechend für die biologisch-medizinische Grundlagenforschung sowie auch für die direkte Anwendung in der Medizin: Bei der Entwicklung von Zell-, Gewebe- und Organersatz, bei der Gentherapie sowie bei der Toxizitätsprüfung und Entwicklung von Pharmaka kann der Einsatz humaner embryonaler Stamm- (und Keim-)zellen eine große Rolle spielen.134 Sieht man einmal davon ab, daß noch offen ist, ob die erwarteten medizinischen Erfolge tatsächlich mehr sind als utopistisches Wunschdenken,135 so ist zweierlei zu berücksichtigen: Erstens haben wir gesagt, daß Wesen mit Würde^ unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen. Zu solchen Umständen, die die Tötung nicht erlauben, gehören die grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung. Fast niemand würde es für legitim halten, gesunde erwachsene Menschen oder auch reversibel Komatöse für medizinische Zwecke zu töten, auch wenn damit Krankheit und Tod anderer (vieler) Menschen verhindert werden könnten. Dann muß aber auch gelten: Wenn Embryonen den gleichen moralischen Status haben wie reversibel Komatöse, dann dürfen sie nicht getötet werden, auch nicht für medizinische Zwecke.136 Zweitens ist immer wieder angemahnt worden, daß es Alternativen zur embryonalen Stammzellforschung gibt. Dieser Hinweis spielt vor allem mit Blick auf die Einschätzung des Zweifels eine gewichtige Rolle. Ethischer Zweifel: Das Vorsichtsargument besagt, daß dann, wenn hinreichend starker Zweifel daran besteht, ob eine Handlung zulässig ist, diese Handlung unterlassen werden sollte, vorausgesetzt, sie bringt gravierenden moralischen Schaden mit sich. Wie gesagt, unbestritten sollte sein, daß die Tötung menschlicher Embryonen zum Zwecke des medizinischen Fortschritts moralisch verwerflich ist, vorausgesetzt, Embryonen haben WürdeM genau wie auch Neugeborene oder reversibel Komatöse. Sehr umstritten ist dagegen, ob Embryonen WürdeM besitzen. Es werden gute Gründe dafür vorgebracht, daß dies nicht der Fall ist, und viele aufgeklärte und nachdenkliche Menschen halten diese Gründe für überzeugend. Umgekehrt werden Zweifel an diesen Gründen vorgetragen, und nicht nur Zweifel, sondern eigenständige Argumente - SKIP-

133 Unter ,Nutzen' können dabei moralisch wertvolle (.nützliche') Handlungen oder Ereignisse verstanden werden, aber auch der ökonomisch-politische Nutzen (der wiederum moralisch relevant sein kann). 134 Vgl. den Überblick im Bericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin (Deutscher Bundestag 2002, 40-48). 135 Es ließen sich viele solcher Heilsversprechen aufzählen; man denke nur an das Wunschdenken aus der frühen Zeit der friedlichen Kernenergienutzung. 136 Der oft gehörte Hinweis auf die verfassungsrechtlich garantierte ,Freiheit der Forschung' ist so abwegig, daß eine ausdrückliche Widerlegung nicht lohnt. Denn selbstredend setzt eben diese Verfassung eben dieser Freiheit der Forschung grundrechtsimmanente Grenzen.

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Argumente -, die demonstrieren sollen, daß Embryonen WürdeM besitzen. Wir haben diese Argumente abgewogen und sind zu dem Ergebnis gelangt, daß zumindest ein bestimmter Typ von Argument - das NIP-Argument - gute und hinreichend starke Gründe für die These liefert, daß Embryonen tatsächlich Würde M besitzen. Wir sind sogar davon überzeugt. Doch darauf kommt es nicht an. Maßgeblich ist auf dem Hintergrund des Vorsichtsargumentes nur, daß gute Zweifel an der Position bestehen, wonach Embryonen keine Würde^ besitzen, und daß diese Zweifel so stark sind, daß die Opponenten in einem mehr als (oft sogenannten) theoretischem' Sinne einräumen müssen, ihre eigene Position könnte falsch sein. Wir meinen, das NIP-Argument begründet solche guten Zweifel; wäre dies nicht der Fall, könnte auch das Vorsichtsargument nicht greifen. Entweder haben Embryonen Würde^ oder nicht; die sachlich richtige Antwort auf die Frage nach dem moralischen Status menschlicher Embryonen hängt nicht davon ab, welche Konsequenzen aus dieser Antwort folgen. Aber für welche Antwort wir uns entscheiden, hängt im Falle eines sachlichen Gleichgewichts der Argumente sehr wohl davon ab, wie wir die praktischen Konsequenzen bewerten. Wenn humane embryonale Stammzellen ausschließlich für die Grundlagenforschung in der Embryologie, nicht aber für die Medizin interessant wären, würden die SKIP-Argumente oder auch das NIP-Argument bei der Suche nach der richtigen Entscheidung um so stärker ins Gewicht fallen. Was den Zweifel am Würdestatus menschlicher Embryonen nährt oder vielleicht sogar überhaupt erst in Gang bringt, ist unbestreitbar das Interesse, das mit einem solchen Zweifel verbunden ist (sei es das medizinische und damit verbundene ökonomische Interesse an der Stammzellforschung, sei es das persönliche Interesse an der Abtreibung). Die Suche nach der richtigen Entscheidung darf im Falle eines (vielleicht vorübergehenden) sachlich-argumentativen Gleichgewichts durchaus von solchen Interessen beeinflußt werden.137 Bei dieser Abwägung muß aber, wie gesagt, nicht nur berücksichtigt und in Verhältnis zum sachlichen Zweifel gesetzt werden, wie groß gegebenenfalls der moralische Schaden ist. Es muß auch berücksichtigt werden, ob es Alternativen gibt. Wenn aber nun (i) die Erlaubtheit der Handlung, menschliche Embryonen unter normalen Umständen zu töten, mit guten Gründen bezweifelt werden kann, weil mit guten Gründen behauptet werden kann, daß Embryonen zum Kreis der Wesen gehören, die Würde^ haben; und wenn (ii) klar ist, daß diese Handlung, für den Fall, daß sie, ohne daß wir dies mit Sicherheit wüßten, tatsächlich nicht erlaubt ist, moralisch radikal verwerflich ist; und wenn umgekehrt (iii) ihre Voll137 Es wäre übrigens irreführend, hier von einem ,Patt' zu sprechen, weil dieser aus der Schachsprache übernommene Begriff beinhaltet, daß überhaupt keine Züge mehr möglich sind (das ist nicht zu verwechseln mit dem .Remis durch Zugwiederholung'); das Argumentationsgleichgewicht kann dagegen aufgehoben werden. Ohne wirkliche Begründung scheinen auch Gert/Cluver/Clouser anzunehmen, daß elementare ethische Dispute grundsätzlich nicht lösbar seien (l997, Kap.2, z. B. 22 f.).

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Ziehung auch deshalb, weil es Alternativen zur humanembryonalen Stammzellforschung gibt, nicht von solch einem großen moralisch relevanten Vorteil ist, der es erlauben würde, den Zweifel an ihrer Erlaubtheit zu ignorieren - dann müssen wir moralische Vorsicht walten lassen und die Handlung unterlassen. Die Schlußfolgerung muß dann lauten: In dubio pro embryone.

10. Einwände und Erwiderungen Wir möchten dieses Vorsichtsargument jetzt noch weiter präzisieren und erläutern, indem wir auf einige Einwände eingehen. Wir sehen hauptsächlich zwei Problembereiche: l.) Wann akzeptieren wir ein Argument als ,gut' oder ,hinreichend stark', und wie gut muß ein Argument sein, um den Zweifel an der Erlaubtheit einer Handlung für berechtigt zu halten? 2.) Wie lassen sich Zweifel einerseits und Güterabwägung andererseits verrechnen? Gute Argumente, hinreichende Zweifel Um es noch einmal ausdrücklich zu betonen: Das Vorsichtsargument greift nur dann, wenn ein von ihm unabhängiges Argument gut, plausibel oder hinreichend stark ist; die Frage ist freilich, was ein »gutes4 Argument eigentlich auszeichnet. Ein naheliegender Einwand gegen das Vorsichtsargument ließe sich daher so formulieren: Es scheint zwar ratsam, Vorsicht walten zu lassen. Aber ab wann ist solche Vorsicht geboten? Es können stets an allen unseren ethisch-moralischen Vorstellungen Zweifel vorgebracht werden. Wenn wir kein Kriterium haben, mit dem wir solche Zweifel und die ihnen zugrundeliegenden Argumente zu bewerten vermögen, bleibt der eigentliche Hinweis auf berechtigte Zweifel leer; denn wir wissen ja nicht, wann ein Zweifel berechtigt ist. So könnte jemand Zweifel äußern, ob unsere übliche Praxis, Insekten für weniger schützenswert zu halten als Menschen, gerechtfertigt ist; und eine solche Zweiflerin könnte darauf hinweisen, daß für den Fall, daß Insekten WürdeM haben, der moralische Schaden gravierend wäre. Oder vielleicht könnte jemand auch dafür argumentieren, daß Symmetrie und Schönheit die maßgeblichen -Eigenschaften sind, und entsprechend fordern, natürliche und artifizielle Gegenstände von Symmetrie und Schönheit unter den Schutz eines Zerstörungsverbotes zu stellen (analog zum Tötungsverbot). Eine radikale Änderung unserer Lebensweise wäre dann geboten, weil wir mit unserer jetzigen Lebensweise ständig solche Gegenstände zerstören. Besonders die zweite Variante des Subsumtionsproblems ist dieser Kritik ausgesetzt. Es ist wichtig, zunächst eine negative Abgrenzung vorzunehmen und darauf hinzuweisen, daß der Zweifel, von dem im Vorsichtsargument die Rede ist, weder als grundsätzlicher Zweifel im Sinne eines pankritischen Fallibilismus interpretiert werden darf noch im Sinne eines hyperbolischen Zweifels (a la Descar-

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tes).138 Vielleicht kann man nicht an allem zweifeln, aber jedenfalls an sehr vielem, und Philosophinnen und Philosophen haben dies immer schon getan. Doch ob man in fallibilistischer oder hyperbolischer Manier Zweifel hegt, solche sogenannten Zweifel verdienen oft kaum ihre Bezeichnung, weil sie in der Regel nicht handlungsrelevant sind. So mag man daran zweifeln, ob die Außenwelt real ist, aber wenn es darauf ankommt, wird man sich darauf verlassen, daß die Brücke, auf der man einen Fluß, oder das Flugzeug, in dem man einen Ozean überquert, real sind. In diesem Sinne sind die Zweifel, die auf beiden Seiten der Embryonendebatte an der jeweils anderen Position laut werden, realistisch: Sie lassen vieles unbezweifelt, was auch der common sense anerkennt und höchstens in philosophischen Oberseminaren fraglich wird.139 Aber was ist nun ein gutes Argument? Eine präzise Bestimmung scheint uns aus Gründen, die gleich deutlich werden, nicht möglich zu sein; aber von einer Mindestanforderung an gute Argumente darf man sprechen. Diese Mindestanforderung betrachten wir im folgenden. Argumente liefern Gründe für die Wahrheit von Aussagen, Positionen und Theorien; sie wollen und sollen überzeugen, nicht überreden. In der Regel bestehen solche Argumente aus Aussagen, die in einem bestimmten logischen Zusammenhang und Ableitungsverhältnis zueinander stehen. Eine notwendige, aber natürlich nicht hinreichende Bedingung für die Wahrheit eines Argumentes ist seine Geltung, d.h. seine formallogische Korrektheit und Widerspruchsfreiheit. Ein gutes Argument muß also logisch gültig sein. Eine hinreichende Bedingung dafür, ein gutes Argument zu sein, ist die Konjunktion der Wahrheit seiner Prämissen mit der logischen Geltung seiner Form; beides zusammen führt bekanntlich zu einer wahren Konklusion. Ein wahres Argument ist also sicher ein gutes Argument. Aber dies scheint in der Tat nur eine hinreichende, keine notwendige Bedingung zu sein, oder anders gesagt: Wir beurteilen ein Argument auch dann als ,gut' oder ,plausibel', ohne damit zwingenderweise über seine Wahrheit zu urteilen. Es kann also sein (und es ist, so meinen wir, in der Tat die Praxis unseres Argumentierens und Streitens), daß wir nichts über die Wahrheit eines Argumentes wissen, oder daß 138 Die Hauptthese des Fallibilismus besagt, daß von keiner Aussage mit absoluter Sicherheit behauptet werden könne, sie sei wahr; im Prinzip könne sich jede Aussage, die wir zu einem gegebenen Zeitpunkt für wahr halten, als falsch herausstellen, Irren sei grundsätzlich immer möglich. Im Unterschied dazu ist der Zweifel hyperbolischer Natur jeweils spezifisch argumentgebunden: So könnte man an der Verläßlichkeit der Sinneswahrnehmung aufgrund bisheriger Sinnestäuschungen zweifeln; oder an der Zuverlässigkeit induktiver Schlüsse aufgrund der Möglichkeit abnormer Prädikate; oder auch an der Geltung mathematischer Erkenntnis aufgrund eines bösen Dämons, usw. 139 Es ist übrigens interessant, daß in der Embryonendebatte die keineswegs hyperbolischen Zweifel am Realitätsgehalt naturwissenschaftlicher Theorien keine Rolle spielen. Obwohl die sogenannten Anti-Realisten in der Wissenschaftstheorie bezweifeln, daß Wasser H2O ist, hält sich in der Embryonendebatte niemand mit der Frage auf, ob es z. B. so etwas wie Gene überhaupt gibt.

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wir ein Argument tatsächlich für falsch halten, oder daß wir sogar tatsächlich im Nachhinein feststellen, ein Argument ist falsch - ohne daß all dies uns davon abhalten würde, ein Argument für ,gut' zu halten. Die Geschichte der Philosophie und Ethik ist voll davon. Wie gesagt: Im Unterschied zur logischen Geltung (oder manchmal auch zur Wahrheit) ist die Güte eines Argumentes nichts, das sich eindeutig feststellen ließe. Es gibt dafür kein klares Kriterium, keinen Maßstab, der uns zweifelsfrei erlauben würde, ein Argument positiv als gut zu qualifizieren. Die Beurteilung eines Argumentes als gut ist vielmehr ein Akt der Anerkennung, der bei demjenigen, der urteilt, Urteilskraft verlangt, die selbst, wie man weiß, nicht wieder unter eine Regel zu bringen ist. Solche Urteile sind eingebettet in ein mehr oder weniger zusammenhängendes Ganzes von Überzeugungen, Evidenzen und Zweifeln. Sie sind nicht isoliert, und die Anerkennung von Argumenten als ,gut' hängt maßgeblich davon ab, auf welchem Hintergrundwissen sie vorgetragen werden. Argumente sind dann gut, wenn sie in der Öffentlichkeit von einer Gemeinschaft der Denkenden und Urteilenden als ,gut' beurteilt werden. Aber einen Gerichtshof gibt es nicht. Es muß letztlich jeder selbst entscheiden, was er in aller Ehrlichkeit und intellektueller Redlichkeit für zumindest gut, wenn auch vielleicht nicht wahr hält. So halten wir etwa den Hinweis auf das Trophoblastenproblem für wirklich wichtig oder eben ,gut', auch wenn wir meinen, darauf reagieren zu können. Umgekehrt meinen wir, daß man das NIP-Argument nicht ohne weiteres wird zurückweisen können. Es ist gut genug oder hinreichend stark, um Zweifel an der Position zu hegen, derzufolge Embryonen keine Würde^ besitzen. Dies um so mehr, als dieses Argument im wesentlichen mit den Mitteln der Position operiert, zu der es sich konträr oder kontradiktorisch verhält. Im Klartext: Wenn wir im Rahmen der indirekten Methode keine starken theoretischen Voraussetzungen machen müssen, sondern einfach nur von der Plausibilität einer allgemein, auch von unseren Kontrahenten, anerkannten Prämisse ausgehen (reversibel Komatöse oder Neugeborene dürfen unter normalen Umständen nicht getötet werden), dann scheint uns dies den Anspruch darauf, daß unsere gesamte Argumentation von den Kontrahenten als ,gut', wenn auch vielleicht nicht als wahr, beurteilt wird, zu erhöhen. Zweifel und Güterabwägung Kehren wir noch einmal kurz zum Jägerbeispiel zurück. Solange der Jäger nicht weiß, ob es sich um Kinder oder Wild im Unterholz handelt, darf er nicht schießen, jedenfalls dann nicht, wenn er nur zum Vergnügen auf der Jagd ist. Was aber, wenn der Jäger weiß, daß seine Kinder an Hunger sterben werden, falls er nicht an diesem Tage etwas nach Hause bringt? Für wie wahrscheinlich oder plausibel muß er es halten, daß keine Kinder im Unterholz sind, bevor er schießen darf, gegeben, er ist dringend auf Nahrung angewiesen? Wie lassen sich Zweifel einerseits und Güterabwägung andererseits ver-

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rechnen?140 Die Antwort lautet: Wir wissen es nicht, und vermutlich weiß niemand es. Genausowenig wie man weiß, wann ein Argument gut oder plausibel ist, sowenig weiß man - gesetzt, die Plausibilität eines Argumentes (einer Theorie oder Erklärung) lasse sich mit einen gewissen Glaubensgrad korrelieren, der zumindest nicht = 0 sein darf -, wie man die Plausibilität in ein angemessenenes Verhältnis zu den möglichen Schäden bringen kann. Wir sehen uns außerstande, hier ein abgerundetes Bild der Problematik zu geben. Wir möchten aber auf folgende Dinge hinweisen: 1.) Es bleibt dabei, daß man Wesen mit Würden nicht für medizinische Zwecke opfern darf. 2.) Wenn man Wesen mit Würdest unter normalen Umständen tötet, ist das ein gravierender moralischer Schaden. 3.) Auf der Grundlage des NIP-Argumentes scheint uns die Annahme, daß Embryonen Würden besitzen, plausibel, jedenfalls nicht abwegig. 4.) Es gibt Alternativen zur sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung. 5.) Die Tötung von Embryonen zum Zwecke der sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung wäre direkt (aktiv) und beabsichtigt; dagegen wären der Tod und das Leiden von Menschen, denen im Falle verbrauchender Embryonenforschung vielleicht oder sogar vermutlich geholfen werden könnte, unbeabsichtigt und indirekt.141 Wenn wir uns für die humanembryonale Stammzellforschung entscheiden, bleibt der üble Geschmack, daß wir es aus egoistischen Gründen tun, und nicht, weil wir wirklich der Auffassung sind, es sei moralisch legitim. Moral ist nicht immer umsonst zu haben. Wir tun gut daran, dies im Zweifelsfalle auch zu demonstrieren.142

140 Ohne Frage sind zumindest bei den gemäßigten Positionen der Pro-Embryonenforschung solche Abwägungsüberlegungen von großer Wichtigkeit; vgl. z.B. den ersten Bericht des US-amerikanischen President 's Council on Bioethics, in dem es heißt: „Yet we believe that, on balance, the objections to cloning-for-biomedical-research are outweighed by the good that can be done for current and future individuals who suffer" (2002, 82). 141 Die Ungültigkeit des Prinzips der doppelten Wirkung wird dabei vorausgesetzt; vgl. dazu auch Knoepffler 1999, 121 f. Wir geben natürlich sofort zu, daß dieses Prinzip wie überhaupt die Differenz zwischen Tun und Unterlassen ein weites, schwieriges Feld eröffnen. Im Unterschied zur Problematik der Sterbehilfe scheint es uns aber einleuchtend, zwischem dem aktiven Töten von Embryonen und dem (schlimmstenfalls) Sterbenlassen von Menschen, wenn ihnen nur zu den möglichen Kosten Dritter geholfen werden könnte, zu unterscheiden. 142 „It is possible that some might suffer in the future because research proceeded more slowly. We cannot suppose that the moral life comes without cost" (The President's Council on Bioethics 2002,104). - Es liegt uns fern, die moralische Integrität vieler der Menschen zu bezweifeln, die für die humanembryonale Stammzellforschung eintreten. Zugleich können wir aber die Rede vieler von der ,Ethik des Heilens' nicht anders als pure Heuchelei verstehen. Allzu offenkundig liegen hier rein ökonomische Interessen vor. Wem es wirklich um eine ,Ethik des Heilens' ginge, der brauchte nur einen Bruchteil der Mittel, die jetzt in die Stammzellforschung fließen und die in der Zukunft nur

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Weitere Überlegungen zum Vorsichtsargument (i) Ein weiterer Gegeneinwand könnte geltend machen, daß wir es in der Ethik ohnehin nicht mit moralischen Tatsachen zu tun haben, auf die man sich entdeckend durch wahre Aussagen beziehen könnte, sondern mit gesellschaftlichen Konstruktionen, innerhalb deren ein moralischer Status (und damit auch Rechte und Pflichten) zugesprochen werden, ohne daß ein solcher Status in einem stärkeren objektivistischen Sinne unabhängig von der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit wäre.143 - Eines der stärksten Argumente gegen einen solchen Anti-Realismus in der Ethik ist der Hinweis darauf, daß Menschen nach einer richtigen Antwort für ethische Fragen suchen.144 Hat der Konstruktivismus recht, dann muß er auch einräumen, daß jeglicher Streit darüber, was die richtige ethische Antwort und moralische Entscheidung ist, von Anfang an sinnlos ist. Denn die richtige Antwort ist die Antwort, mit der eine moralische Tatsache erkannt wird. Doch wenn der Zweck ethischer Auseinandersetzungen das Finden der richtigen Antwort ist, es diese aber gar nicht gibt, dann ergibt auch die Auseinandersetzung keinen Sinn; sie verfehlt dann eben ihren Zweck, weil sie ihn gar nicht erreichen kann. Der Konstruktivist kann darauf nicht antworten, die im Konsens gefundene Antwort sei gerade die richtige, und mehr sei gar nicht zu erwarten. Denn abgesehen davon, daß sich die Bedeutung von ,Richtigkeit' (oder Wahrheit) offenkundig nicht in,Konsens' erschöpft, müssen bereits jeweils Antworten vorliegen, die von denen, die sie vortragen, für richtig gehalten werden, damit die Suche nach einem Konsens und damit die ethische Auseinandersetzung überhaupt in Gang kommen kann. Deren Richtigkeit bzw. die Anerkennung ihrer Richtigkeit kann offenkundig nicht wieder in einem Konsens bestehen (das wäre zirkulär), sondern in sachlicher Richtigkeit. Nur wer bereit ist, unseren andauernden ethischen Diskurs wie auch die historische Entwicklung unserer moralischen Vorstellungen für eine gewaltige Illusion und Selbsttäuschung zu halten, die man im Rahmen einer Irrtumstheorie zu erklären vermag, kann auch die Idee der richtigen Antwort verwerfen. Und das ist ein hoher Preis. Die Embryonendebatte wäre dann so überflüssig wie ein Kröpf.145 für die allerwenigsten von medizinischem Nutzen sein werden, für Medikamente und Impfungen aufzuwenden, die in Entwicklungsländern jetzt dringend gebraucht werden. 143 Ein solcher (nonkognitivistischer) Konstruktivismus wird in der Embryonendebatte z. B. von Klaus Tanner vertreten (vgl. Tanner 2002); vgl. auch die Stellungnahme evangelischer Ethiker zur Debatte um die Embryonenforschung (Anselm et al. 2002). 144 Vgl. dazu z.B. Schaber 1997, 41-59. Allerdings vertritt Schaber einen Realismus, der wegen des zugrundeliegenden Subjektivismus diesen Namen kaum verdient. 145 Dies scheint in der Tat die Auffassung Volker Gerhardts zu sein, der die Beschäftigung mit ethisch-philosophischen Fragen des Lebensbeginns als „akademische Quisquilien" abtut. Wer freilich der unverrückbaren Überzeugung ist, daß vor und nach aller Diskussion schon feststeht, daß ein Mensch erst „dann auf der Welt ist, wenn er geboren ist", der braucht sich wohl nicht mit SKIP- oder ähnlichen Argumenten zu

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(ii) Wir haben das Vorsichtsargument im Kontext eines Subsumtionsproblems interpretiert. Es kann nur greifen, wenn Zweifel darüber bestehen, ob ein Wesen in den Anwendungsbereich eines moralischen Gebotes fällt. Wer dagegen sicher zu sein meint, daß eine ganz bestimmte -Eigenschaft würdestiftend ist und auch sicher darüber, daß bestimmte Wesen diese -Eigenschaft nicht besitzen, der wird zumindest in bezug auf diese Wesen das Vorsichtsargument für irrelevant halten. So könnten etwa Vertreter eines präferenz- oder interesseorientierten Ansatzes behaupten, eine notwendige Bedingung dafür, geschützt zu werden, sei die subjektive Verletzbarkeit, die wiederum subjektive Erlebensfähigkeit voraussetze. Da der Embryo allerfrühestens mit der Herausbildung des Gehirns subjektiv erlebensfähig ist, wäre er demnach vorher mit Sicherheit nicht Träger der relevanten -Eigenschaft. Raum für eine gebotene Vorsicht gebe es hier nicht (wenn auch Raum für andere normlogische Überlegungen).146 - Sieht man einmal davon ab, daß eine solche (als ethischer Subjektivismus zu qualifizierende) Position erheblichen direkten Kritikpunkten ausgesetzt ist, reicht es im Rahmen unserer indirekten Strategie aus, erneut auf folgendes hinzuweisen: Wer das Kriterium der aktuellen Erlebensfähigkeit für maßgeblich hält, der vermag nicht zu erklären, warum wir reversibel Komatöse nicht töten dürfen. Natürlich kennt etwa Merkel diesen Einwand, aber seine Reaktion darauf ist, wie oben gezeigt, alles andere als überzeugend.147 (iii) Schließlich könnte gewissermaßen auch der Spieß umgedreht und das Vorsichtsargument gegen starke Schutzrechte menschlicher Embryonen gewendet werden. Die Überlegung wäre demnach, daß man sich im Zweifel gerade aufgrund der Abwägung von Zweifel und Gütern und im Sinne des Vorsichtsargumentes nicht für das Lebensrecht von Embryonen, sondern für das Recht Kranker auf Hilfeleistung entscheiden müßte. — Das ist nicht völlig verkehrt; wir haben selbst betont, wie schwer die Abwägung von Gütern und Zweifeln ist. Allerdings ändert dies nichts daran, daß vor aller Abwägung bereits feststeht, daß das moralische Recht einer Würdeträgerin auf Leben, wenn sie denn Würde hat, höher einzuschätzen ist als das moralische Recht einer Würdeträgerin auf Hilfe gegen Krankheit und Tod. Jene darf für diese nicht getötet werden. Und dann besteht die Vorsicht, die das Vorsichtsargument einfordert, gerade darin, die Höherwertigkeit dieses Gutes angemessen zu berücksichtigen.

befassen (zitiert nach Kisser 2002). Die Frage muß dann aber erlaubt sein, welche Funktion eine Kommission wie der Nationale Ethikrat überhaupt hat, und wieso die philosophische Zunft durch einen Philosophen vertreten wird, der wenig Interesse zeigt, die mühseligen Tiefen und Untiefen ethischer Analysen zu durchschreiten. 146 So etwa auch die Position Merkels (in diesem Band, 35-58). 147 Vgl. noch einmal 233. - Es ist übrigens bemerkenswert, daß Singer bei der Frage, ab wann ein Neugeborenes ein Recht auf Leben hat, selbst zur Vorsicht mahnt: „Natürlich sollten wir übervorsichtig sein, wenn Rechte ins Spiel kommen" (1984, 171).

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Konsensbildung in der pluralistischen Gesellschaft Wir haben eingangs zwischen der ethischen, juridischen und der politischen Ebene der Embryonendebatte unterschieden. Die juridische (jedenfalls die positivrechtliche) Ebene braucht uns hier nicht zu interessieren. Auf der ethischen Ebene haben wir im Rahmen der indirekten Strategie durch das NIP-Argument zu zeigen versucht, daß Embryonen Würde^ besitzen; zusätzliche Stütze wollten wir diesem Argument durch das Vorsichtsargument geben. Sowohl die indirekte Argumentationsstrategie wie auch das Metaargument eignen sich nun auch für die Lösung des Problems, wie auf der politischen Ebene Entscheidungen begründet werden können, denen kein direkter ethischer Konsens zugrundeliegt. Das wollen wir jetzt noch kurz zeigen. (i) Der Vorteil der indirekten Strategie liegt darin, daß sie keine ethischen, religiösen oder weltanschaulichen Prämissen voraussetzen oder entsprechend weitreichende Annahmen verteidigen muß. Alles, was man im Rahmen dieser Strategie für das NIP-Argument braucht, ist erstens die Annahme, daß reversibel Komatöse und Neugeborene unter normalen Umständen nicht getötet werden dürfen, und wir können sicher sein, daß diese Annahme in unserer Gesellschaft so gut wie ausnahmslos geteilt wird; zweitens muß man gewiß annehmen, daß Inkonsistenzen in jeder normativen Ethik zu vermeiden sind. Folgt man dem NIP-Argument, so kann man nur bei Strafe der Inkonsistenz gleichzeitig die Annahme vertreten, Embryonen dürften zu Forschungszwecken getötet werden (denn reversibel Komatöse und Neugeborene dürfen ja auch nicht getötet werden). (ii) Dennoch gibt es Einwände gegen das NIP-Argument, so wie vermutlich für alle Thesen und Theorien gilt, daß es stets Advokaten und Kritiker gibt; de facto ist keine Theorie unumstritten. Nun folgt nichts daraus für die Wahrheit oder Falschheit einer Theorie, daß sie von mehr oder weniger Menschen anerkannt wird (jedenfalls dann nicht, wenn man die Konsenstheorie der Wahrheit für verkehrt hält). Aber es gehört zur Eigenart praktischer Situationen, daß man sich unter Zeitdruck irgendwann entscheiden muß; Aufschub ist in der Regel nur sehr begrenzt möglich. In solchen Situationen tun wir gut daran, uns an dem Wissen (oder begründetem Fürwahrhalten) zu orientieren, das uns zu dem Zeitpunkt, auf den es ankommt, am besten oder plausibelsten (oder auch ,gut') erscheint. Welches dieses Wissen ist, ist nun wiederum nicht immer leicht zu bestimmen. Obwohl, wie gesagt, die Zahl der Advokaten oder Kritiker einer Theorie nicht (zwingend) etwas über deren Wahrheitsgehalt aussagt, spielt diese Zahl unter Zeitdruck eine Rolle. So spielt es etwa für die Frage, ob die globale Klimaerwärmung (wenn sie denn stattfindet) primär durch industriell bedingte Abgase verursacht wird, eine maßgebliche Rolle, wie viele der Experten diese Frage bejahen bzw. verneinen. Und wer vor der Frage steht, ob er sich einer riskanten Operation unterziehen soll, wird sich durchaus auch an der Zahl derer orientieren, die für bzw. gegen diese Maßnahme votieren. Was aber, wenn unsere begründeten Meinungen nicht nur nach objektiven Maßstäben unsicher sind,

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sondern auch hinsichtlich der Zahl derer, die ihnen anhängen? Genau dies scheint in der Embryonendebatte der Fall zu sein. Kaum jemand wird beanspruchen, er oder sie wisse mit absoluter Sicherheit, daß Embryonen Würdest (nicht) besitzen; und man wird gewiß sagen dürfen, daß de facto die Meinungen sehr weit auseinander gehen. Wie auch der vorliegende Band demonstriert, gibt es auf beiden Seiten Argumente pro und contra, die jeweils etwas für sich haben und die von Menschen vertreten werden, deren Expertise und moralische Integrität allgemein anerkannt werden und die keineswegs als Außenseiter gelten. Wir meinen, daß in solchen Situationen das Vorsichtsargument ein Mittel der politischen Entscheidungsfindung sein kann.148 11. Konklusion Wir haben versucht, die SKIP-Argumente in eine Form zu bringen, die es erlaubt, klar und deutlich zu erkennen, worin das jeweilige Argument eigentlich besteht. So wurde es auch möglich, die Stärken und Schwächen genau zu benennen: Das S-Argument hat, wenn überhaupt, dann nur als kriterielles Argument noch eine gewisse Plausibilität; das K-Argument und das I-Argument im engeren Sinne sind unbrauchbar. Allerdings sollte man von den beiden letztgenannten Argumenten den Gedanken des sich durchhaltenden Kontinuums oder eben den der numerischen Identität übernehmen. Für sich genommen ist damit nicht viel gewonnen. In Verknüpfung mit dem P-Argument wird daraus allerdings ein starkes selbständiges Argument (NIP). Der Grundgedanke des P-Argumentes besagt, daß potentielle -Eigenschaften hinreichend würdestiftend sind, jedenfalls so sehr, daß ein Wesen mit potentiellen -Eigenschaften unter normalen Umständen nicht getötet werden darf. Dafür ist es nicht nötig, so haben wir behauptet, die maßgeblichen -Eigenschaften zu bestimmen. Es ist hinreichend, von einer allgemein anerkannten Prämisse - reversibel Komatöse und Neugeborene dürfen nicht getötet werden - auszugehen, um im Rahmen einer solchen indirekten Strategie zu zeigen, daß Embryonen WürdeM besitzen. Der Begriff der numerischen Identität erlaubt dabei, von der Potentialität eines und desselben Wesens durch alle Stadien seiner Existenz zu sprechen. Das Vorsichtsargument schließlich setzt voraus und behauptet allerdings auch, daß dieses NIP-Argument so gut oder hinreichend stark ist, daß es Zweifel bei jenen sähen sollte, die den Embryonen (jedenfalls unter besonderen Be148 Uns ist unklar, wie man solche Situationen entscheidungs- oder spieltheoretisch fassen könnte. Uns scheint aber, daß die in ethischen Zweifelssituationen verlangte Entscheidung nicht im Sinne der Entscheidungstheorie als eine Entscheidung unter Unsicherheit oder unter Risiko zu verstehen ist. Denn der Zweifel besteht ja nicht darin, daß der Handelnde nicht weiß, welche Ereignisse eintreten werden (unabhängig davon, welche subjektive Wahrscheinlichkeit er den möglichen Ereignissen zuordnet), sondern darin, daß Unsicherheit oder Risiko darüber besteht, was überhaupt die moralisch richtige Handlung ist.

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dingungen) starke Schutzrechte absprechen, Zweifel, die dann dazu führen sollten, eine vorsichtige Position einzunehmen. Es mag zwar sein, und es ist sogar wahrscheinlich, daß sie sich von unserem NIP-Argument letztlich nicht überzeugen lassen. Doch alle, die meinen, daß menschliche Embryonen keine WürdeM besitzen, oder die sich dessen sogar subjektiv sicher sind, müssen sich fragen, ob sie ihr eigenes Leben notfalls darauf verwetten würden. Würden sie es tun? Wenn nicht, dann sollten sie auch nicht das Leben anderer aufs Spiel setzen.149

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Christoph Viebahn Eine Skizze der embryonalen Frühentwicklung des Menschen Die Keimzellen Die embryonale Entwicklung des Menschen beginnt mit der Befruchtung der Eizelle (Oozyte) durch das Spermium (Samenfaden). Entsprechend ihrer Herkunft werden die beiden Keimzellen auch als weibliche und männliche Keimzelle oder als weiblicher und männlicher Gamet bezeichnet. Beide Zellen haben in den erwachsenen Keimdrüsen (Eierstock oder Hoden) einen komplizierten Differenzierungsprozeß durchlaufen und sind als hochspezialisierte Zellen an zwei extremen Positionen des zellulären Bauplanes angelangt. Das Spermium ist eine der kleinsten Zellen unseres Organismus. Sein Zellkern, der hauptsächlich die genetischen Informationen in Form der DNA und ihrem Kontrollapparat von regulierenden chemischen Faktoren (Proteinen) enthält, ist dicht gepackt, d. h. die DNA ist homogen kondensiert und inaktiv. Der größte Teil des Zytoplasmas, das die übrigen Stoffwechselleistungen einer Zelle beherbergt, wird während der Reifung im Hoden abgestoßen; es verbleibt ein dünner, beweglicher Zellfortsatz, die Geißel, die über ein kurzes Halsstück mit dem (zellkernhaltigen) „Kopf" des Spermiums verbunden ist. Das Halsstück enthält bis zu 100 Mitochondrien (Zellorganellen) als „Energiespender" und verschiedene Zellskelettbestandteile, die bis in die Geißel hineinreichen und als Motor für die Beweglichkeit der Geißel dienen. Über der Spitze des Kopfbereiches liegt kappenartig das sogenannte Akrosom, ein schmales enzymhaltiges Säckchen. Im Vergleich zu diesem Spermienkopf hat die Eizelle während ihrer Reifung im Eierstock etwa den zwanzigfachen Durchmesser erreicht, dabei ist ihr Zellkern, auch „Keimbläschen" genannt, nur wenig größer als derjenige des Spermiums. Da das Spermium bei der Befruchtung im wesentlichen nur seinen (zunächst inaktiven) Zellkern einbringt, muß die Eizelle in der Lage sein, den Anfang der Entwicklung selbständig zu steuern. Zu diesem Zweck werden in der Eizelle während der Reifung im Eierstock große Mengen an Struktur-eiweißen, Energiespeicher (sogenannte Dottergranula), verschiedenste mRNA-Moleküle und Organellen angereichert, wodurch die Eizelle eine der größten Zellen des menschlichen Körpers ist. Als mechanische Stütze liegt der Eizelle außen eine dünne, zellfreie, relativ steife und stabile Eiweißhülle an, die Zona pellucida. Sie dient dem Schutz der Eizelle zwischen Ovulation und Implantation (Nidation, s. u.), muß aber bei der Befruchtung vom Spermium (u. a. mit Hilfe der Enzyme im Akrosom) durchdrungen werden. Unter den wenigen Organellen, die das Spermium bei der Befruchtung in die Eizelle überträgt, wird wahrscheinlich nur das Zentriol als Zytoskelettbestand-

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teil bei der Bildung der Zellskelettspindel weiterverwendet, die für die erste Teilung nach der Befruchtung im Zellplasma aufgebaut werden muß. Die väterlichen Mitochondrien werden einem spezifischen Abbauprozeß zugeführt und zusammen mit den restlichen väterlichen zytoplasmatischen Bestandteilen vollständig vernichtet. Die Mitochondrien (und darin die mitochondrieneigene DNA) des neu entstandenen Keims sind also mütterlicher Herkunft, d. h. das mitochondriale Genom wird von Generation zu Generation mütterlicherseits weitergegeben.

Reifeteilung Männliche und weibliche Keimzellen haben in den Keimdrüsen die Reifeteilung (Meiose) durchlaufen. Dabei wird zunächst homologes Erbmaterial, d. h. sich entsprechende väterliche und mütterliche Chromosomenabschnitte, rekombiniert. Danach wird die Zahl der Chromosomen halbiert. Durch die Rekombination entstehen in jeder männlichen oder weiblichen Keimzelle neue einzigartige Variationen für das Zusammenspiel von Genen, die von der Elterngeneration dieser Keimzellen stammen und die sich später in persönlichen genetischen Merkmalen des durch diese Keimzellen gezeugten neuen Individuums (= Enkelgeneration) äußern. Durch die Halbierung der Chromosomenzahl wird erreicht, daß nach der Befruchtung beim Zusammenkommen der Gameten nicht eine doppelte, sondern die für den Menschen typische Chromosomenzahl von 46 wieder vorliegt. Bei der Spermienreifung (im erwachsenen Hoden) entstehen durch die zweistufige Reifeteilung innerhalb von etwa 120 Tagen vier gleich große Keimzellen. Im Gegensatz dazu entstehen bei der Eizellreifung bereits nach der ersten Stufe zwei ungleich große Zellen: 1. Das sogenannte erste Polkörperchen, das nahezu ausschließlich DNA (das vollständige mütterliche Genom) enthält; 2. die Eizelle mit dem Keimbläschen (Kern) und dem vergrößerten Zytoplasma. Beide „Teilungsprodukte" bleiben dabei innerhalb der Zona pellucida liegen und über einen dünnen Zytoplasmafaden miteinander verbunden. In der zweiten Stufe der Reifeteilung wird das Keimbläschen in der Eizelle aufgelöst, und es entsteht aus ihm der weibliche Vorkern und das 2. Polkörperchen, das ebenfalls nahezu ausschließlich aus DNA besteht und in den engen Raum zwischen Eizelle und Zona pellucida ausgeschleust wird. Die Reifeteilung der Eizelle beginnt bereits während der embryonalen Entwicklung der geschlechtsreifen Frau, wird zweimal unterbrochen (bereits vor der Geburt und unmittelbar nach der Ovulation, s. u.) und wird schließlich durch das Eindringen des Spermiums unter Bildung des weiblichen Vorkerns zum Abschluß gebracht.

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Befruchtung In der sogenannten Befruchtungkaskade greifen mehrere eng miteinander verknüpfte Einzelschritte ineinander, bis mütterliches und väterliches Genom vereinigt sind. Auf das Eindringen des Spermiums in die Oozyte (Imprägnation) folgt die Dekondensierung des Spermium-Kerns zum männlichen Vorkern. Weiblicher Vorkern (der Nachfolger des „Keimbläschens" der Eizelle) und männlicher Vorkern nähern sich im Zytoplasma der Eizelle einander an und vereinigen sich, jedoch ohne daß sich eine neue Kernmembran bilden würde, wie das der häufig gebrauchte Begriff der „Verschmelzung" der Vorkerne suggeriert. Vielmehr hat bereits während der Vorkernbildung eine Verdoppelung der DNA eingesetzt, so daß die Chromosomen bereits in je 2 Chromatiden (verdoppelte, teilungsbereite Chromosomen) geteilt vorliegen und sofort auf die sich bildende Teilungsspindel verteilt werden können. Die Vereinigung der mütterlichen und väterlichen DNA zu einer einzigen Einheit (das sogenannte „Verschmelzen der Vorkerne") besteht also nur andeutungsweise und für sehr kurze Zeit. Dieser Vorgang wird auch als „Syngamie" bezeichnet und markiert das Ende der Befruchtung. Die befruchtete Eizelle wird als „Zygote" bezeichnet. Die Befruchtung dauert etwa 24 Stunden und erfolgt etwa in der Mitte des Eileiters. Nach der Ovulation (Follikelsprung, Eisprung) liegt die Eizelle im Prinzip frei in der Bauchhöhle; in der Regel wird sie jedoch von der trichterförmigen freien Öffnung des Eileiters aufgefangen und in Richtung Gebärmutter transportiert. Die Spermien gelangen aufgrund ihres Geißelschlags und anderer Mechanismen zum Ort der Befruchtung. Im Verlauf des Befruchtungsvorganges kommt es also - zur Aktivierung eines Entwicklungsprogramms, das im Zytoplasma der Eizelle in Form von mütterlicher RNA gespeichert ist, - zur Wiederherstellung des normalen (diploiden) Chromosomensatzes, und - zur Festlegung der genetischen Ausrüstung des neuen Individuums, darunter auch des Geschlechts, wobei jeweils nach der Konstellation der Geschlechtschromosomen ein weiblicher (XX) oder männlicher (XY) Embryo resultiert. Eine nicht befruchtete Eizelle stirbt innerhalb weniger Stunden (12-24) nach der Ovulation ab. Kommt es zur Entwicklung einer Eizelle ohne die Anwesenheit eines Spermiums, spricht man von Parthenogenese (Jungfernzeugung). Eine parthenogenetische Eizelle kann sich bei Säugern im günstigsten Fall bis weit in die Organentwicklung entwickeln (10 Tage der Entwicklung bei Maus oder Kaninchen, entsprechend der 4. Woche beim Menschen). Die Weiterentwicklung scheitert aber schließlich an einer fehlerhaften Plazentabildung. Einige Wirbeltiere, wie z. B. Eidechsen- und Fischarten, können sich erfolgreich parthenogenetisch vermehren. In jüngster Zeit ist es bei mehreren Spezies (Schaf, Schwein, Rind, Maus) gelungen, den Zellkern einer ausdifferenzierten (adulten) Zelle in eine entkernte Eizelle derselben Spezies durch Mikromanipulation einzuführen und nach

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Übertragung in ein scheinschwangeres Muttertier zur Differenzierung zu bringen. Dabei wird der adulte Zellkern offensichtlich durch die zytoplasmatischen Faktoren der Eizelle reprogrammiert, d. h. anstelle des adulten (differenzierungsabhängigen) Genprogrammes wird das initiale (totipotente) embryonale Entwicklungsprogramm „abgelesen". Das daraus resultierende Tier stellt eine genetisch identische Kopie des Spendertieres dar, aus dem der Kern entnommen wurde. Durch diese als „Klonierung" bezeichnete Technik hat das lange Zeit gültige Dogma, das dem Genom einer ausdifferenzierten somatischen Zelle Totipotenz absprach, seine Gültigkeit verloren.

Furchung Mit dem Auftreten der Teilungsspindel wird die erste Teilung des Embryos eingeleitet. Wie bei Tieren mit verhältnismäßig großen Eizellen (z. B. Frosch und Huhn) bildet sich auf der Oberfläche der Eizelle (also unter der Zona pellucida) eine lange Furche, die die erste Teilungsebene andeutet. Durch die erste Teilung wird die Zygote in zwei gleich große Elastomere geteilt, die zusammen dasselbe Volumen einnehmen wie die Zygote. Dabei verhindert die steife Umhüllung (Zona pellucida) eine weitere Größenzunahme der Zygote; außerdem müssen die Zellen des Embryos wieder auf „Normalmaß" reduziert werden. Bis zur 5. Teilung spricht man von Furchungsteilungen, da die Zygote in zunehmend kleinere Zellen (Elastomere) aufgeteilt wird, bis nach etwa 3 Tagen mit 16 bis 32 Zellen das Morulastadium („Maulbeerstadium") erreicht ist. Das 2-Zellstadium liegt etwa 30 Stunden nach der Befruchtung vor. Nach 40 Stunden (und einer zweiten Runde der DNA-Duplikation) ist das 4-Zellstadium erreicht. Erst jetzt, im 4- oder 8-Zellstadium, setzt auch die Transkription des neu zusammengesetzten Zygotengenoms und damit die Produktion von embryoeigenen Proteinen ein. Erst von diesem Zeitpunkt an kann also das Genom des Embryos Einfluß auf seine eigene weitere Entwicklung nehmen; man spricht daher vom möglichen Beginn der genetischen Selbststeuerung. Die Zona pellucida bleibt noch bis zum Blastozystenstadium (s. u.) erhalten, u. a. um eine vorzeitige Implantation zu verhindern. Die frühen Blastomeren des Säugerembryos gelten als totipotent. Der Zeitpunkt, an dem die Totipotenz aufgehoben wird, variiert bei den experimentell zugänglichen Säugern zwischen dem 4- (Maus) und dem 8-Zellstadium (Rind). Experimentell kann im 2-Zellstadium der Maus eine Elastomere abgetötet werden, und aus der verbleibenden Elastomere entwickelt sich eine normale Maus. Fügt man umgekehrt zwei Mäusemorulae im 8-Zellstadium zusammen, so bildet sich daraus eine Riesenmorula, die nach Reimplantation in den Uterus eines Tieres zu einer normalen Maus heranwächst. Solche Tiere werden als Chimären bezeichnet, da sie vier Elternteile und Zellen mit zwei verschiedenen Genotypen haben. Das zeigt sich u. a. daran, daß sich bei entsprechenden genetischen Markern, z. B. für weiße und schwarze Fellfarbe, auf diese Weise gefleckte Tiere

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züchten lassen. Auch beim Menschen wird die Totipotenz wahrscheinlich erst jenseits des 8-Zellstadiums aufgehoben, kurz bevor sich die Blastomere in die äußere Zellschicht des Trophoblast und den Embryoblast differenzieren. Vermutlich werden zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal unterschiedliche genetische Programme aktiviert.

Blastozyste Wenn etwa 32 Blastomeren entstanden sind, kommt es zum Aneinanderrücken der Zellen (Kompaktierung) und zur Ausbildung eines exzentrischen Hohlraumes. Dadurch läßt sich eine innere Zellmasse (Embryoblast) von einer äußeren Zellschicht (Trophoblast) unterscheiden. Mit diesem Differenzierungsschritt geht die Morula in die (embryonal-abembryonal) polarisierte Blastozyste über. Nach dem Schlüpfen aus der aufbrechenden Zona pellucida in der 2. Entwicklungswoche wird die Blastozyste implantationsreif: Sie heftet sich an einer Seite mit dem nun von der Zona „entblößten" Trophoblast an die Schleimhaut der Gebärmutter an. Die Trophoblastzellen vermehren sich und beginnen sofort, die Schleimhaut zu eröffnen; sie dringen in das mütterliche Gewebe ein und schaffen unter der Oberfläche allmählich einen Raum, der groß genug ist, innerhalb der nächsten Entwicklungstage die gesamte Blastozyste aufzunehmen. Am Ende der 2. Woche schließt sich die Gebärmutterschleimhaut über der eingedrungenen Blastozyste wieder. Die Entwicklungsphase zwischen Anheftung und Schleimhautverschluß wird unter dem Begriff Implantation oder Nidation (Einnistung) zusammengefaßt; sie beginnt am 6. Tag nach der Befruchtung und ist etwa am 16. Tag abgeschlossen. Schon während der Implantation bilden sich im Trophoblast die typischen Strukturen der Plazenta, so daß der Embryo - im Vergleich mit den meisten Säugetieren außerordentlich früh - optimal mit Nährstoffen versorgt wird. Die Blastozyste implantiert normalerweise in der hinteren oder vorderen Wand der Gebärmutter. Abweichende Implantationsorte können sowohl innerhalb als auch außerhalb der Uterushöhle auftreten. Eine Implantation außerhalb des Uterus (ektopische Implantation) ist z.B. im Eileiter oder in der Bauchhöhle möglich und kann zu einer extrauterinen Schwangerschaft führen. Eine solche extrauterine Schwangerschaft hat meist das Absterben des Embryos zur Folge und kann zu lebensgefährlichen mütterlichen Blutungen im 2. Schwangerschaftsmonat führen. Der Embryoblast entwickelt sich zum eigentlichen embryonalen Körper. Zunächst gliedert er sich in zwei epitheliale Zellschichten: den dorsal (rückenwärts) liegenden Epiblast und den ventral (bauchwärts) anliegenden Hypoblast. Im Hypoblast entsteht in der weiteren Entwicklung eine sichelförmige Verdikkung, der vordere Randbogen, der als erstes sichtbares Zeichen der später senkrecht verlaufenden Körperachse des Embryos gilt. Der Embryoblast hat in dieser Phase der Entwicklung die Form einer Scheibe und wird auch als Keimscheibe bezeichnet.

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Im Tierexperiment können im Blastozystenstadium die Zellen des Embryoblasten (häufig auch als innere Zellmasse bezeichnet) mikrochirurgisch, in der Regel unter Zerstörung des Embryos, entnommen und in Nährlösung (in vitro) nahezu unbegrenzt vermehrt werden. Je nach verwendeten Zusätzen (Wachstumsfaktoren) in der Nährlösung verharren diese Zellen dabei in ihrem primären, undifferenzierten Zustand oder sie werden, entsprechend der vielseitigen Potenz (Pluripotenz) ihrer Ursprungszellen, in eine bestimmte Differenzierungsrichtung (z. B. Nervenzellen oder Blutzellen) gelenkt. Wegen der Herkunft aus einem frühembryonalen Stadium und wegen der Flexibilität in vitro werden diese Zellen als embryonale Stammzellen (ES) bezeichnet. Gastrulation Die Differenzierung des Epiblasts in drei Keimblätter (Ektoderm, Mesoderm, Endoderm) sowie die Ausbildung der wirbeltierspezifischen Körpergrundgestalt vollziehen sich in der sogenannten Gastrulationsphase in der 3. Entwicklungswoche: Während und bereits kurz vor der Implantation finden weitere Differenzierungsvorgänge im zweischichtigen Embryoblast statt. Am Rand der Keimscheibe breiten sich Hypoblast-Zellen aus und bilden eine flache Zellage der Innenwand der Blastozystenhöhle: Dies ist die Wand des primären Dottersacks (Nabelbläschen), der beim Menschen zwar nur vorübergehend besteht, aber an die Stelle der Blastozystenhöhle nun den primären Dottersack treten läßt. Über der Keimscheibe, d. h. auf der dorsalen, dem Hypoblast abgewandten Oberfläche der Keimscheibe, erweitert sich der Raum zwischen Epiblastzellen und dem Trophoblast zu einem einheitlichen, flüssigkeitsgefüllten Hohlraum, der Amnionhöhle, die wenig später durch eine aus den randständigen Epiblastzellen hervorgehende Zellschicht, dem Amnioblast, vom Trophoblast abgegrenzt wird. Die Gastrulation ist insbesondere durch das Auftreten des längsgerichteten Primitivstreifens im hinteren Bereich des Epiblasts gekennzeichnet. Im Primitivstreifen gelangen zahlreiche Epiblastzellen zwischen Epiblast und Hypoblast und breiten sich dort zu einer neuen Zellschicht, dem Mesoderm, aus. An der kranialen Spitze des Primitivstreifens bildet sich der Primitivknoten. Seine Zellen wandern hauptsächlich unter dem Epiblast entlang nach vorne, bilden dabei einen Zellstrang, die Notochorda (auch Chorda dorsalis oder „Rückenseite" genannt), und produzieren Signalmoleküle, die eine Umwandlung des darüberliegenden Epiblasts zum Ektoderm induzieren. Weitere aus dem Primitivknoten nach unten austretende Zellen verdrängen und ersetzen den Hypoblast zusätzlich von der Mitte her und bilden das Endoderm. Schließlich ist die Gastrulationsphase geprägt durch die Bildung der Urkeimzellen, d. h. die irreversible Trennung von Keimzellvorläuferzellen und somalischen, zur Keimzellbildung nicht befähigten Zellen. Die Urkeimzellen bilden sich wahrscheinlich aus dem Epiblast und erscheinen zusammen mit dem entstehenden Mesoderm im Primitivstreifen.

Eine Skizze der embryonalen Friihentwicklung

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Innerhalb des Embryoblasts ist es also die dorsale Zellschicht, der Epiblast, der das gesamte Zellmaterial für die drei Keimblätter und die Keimzellen und damit für alle Gewebe des embryonalen Körpers liefert.

Organogenese Auf der Grundlage der ersten Achsenorganisation kommt es schließlich zwischen der 4. und 8. Entwicklungswoche (Embryonalperiode) durch lokale Wechselwirkungen zwischen den drei Keimblättern zur Entwicklung der Organsysteme (Organogenese) und zur Ausprägung der embryonalen Körperform. Als erstes funktionstüchtiges Organ entsteht das Herz aus dem Mesoderm. Kurz zuvor wird im Ektoderm die Bildung des Zentralnervensystems angestoßen, in dem unter der Wirkung der Chorda dorsalis (Induktion) ein zentraler Bereich des Ektoderms als Neuralplatte vom umgebenden epidermalen (hautbildenden) Ektoderm abgegrenzt wird. Die weitere Entwicklung des Nervensystems ist durch die Abfaltung dieser Platte zum sogenannten Neuralrohr und die anschließende Gliederung des Neuralrohres in die großen Abschnitte des Zentralnervensystems geprägt. Dieser Vorgang wird als Neurulation bezeichnet und beginnt am Ende der 4. Entwicklungswoche. Aus dem Endoderm entstehen im wesentlichen der Magen-Darmkanal und die an ihn „angeschlossenen" Drüsen (Speicheldrüsen, Bauchspeicheldrüse, Leber, Milz). Weitere Abkömmlinge der Keimblätter sind beispielhaft in Abb. l aufgeführt. In der Entwicklungsphase bis zum Abschluß der Organogenese wird der Keim als Embryo bezeichnet. Die sich anschließende Fetalperiode (3.-9. Entwicklungsmonat) ist vor allem durch Wachstum und Differenzierung der Organe und der Körperform gekennzeichnet. In dieser Entwicklungsperiode wird der Keim als Fetus bezeichnet.

Zwillingsbildung Gegenwärtige Vorstellungen über die Zwillingsbildung aus einer Zygote (eineiige, monozygote oder genetisch identische Zwillinge) gehen davon aus, daß sich in einem Keim zwei Organisatorbereiche (Primitivknoten) ausbilden. Dabei kann der vorausgehende Duplikationsschritt in unterschiedlichen Stadien abgelaufen sein: 1) Durch Duplikation während der Furchung entstehen zwei Blastozysten, und es entwickeln sich zwei vollständig getrennte Embryonen mit eigenen Plazenten und getrennten embryonalen Hüllen. 2) Durch Duplikation des Embryoblasten (innerhalb einer einzelnen Blastozyste) entwickeln sich in der Regel selbständige Zwillinge mit gemeinsamer Plazenta und gemeinsamer Amnionhöhle. 3) Nach Duplikation des Primitivknotens (und -Streifens) innerhalb einer Keimscheibe entstehen mehr oder weniger stark verwachsene Zwil-

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linge (sogenannte Siamesische Zwillinge, Doppelfehlbildungen). Je nachdem wie nahe, in welchem Winkel und in welchem Größenverhältnis zueinander diese Primitivknoten (und daraus die Chorda dorsalis) entstehen, gibt es Verwachsungen an Kopf, Rumpf oder Becken oder auch ungleich große Zwillinge, von denen einer, im Wachstum zurückgedrängt, als „parasitärer Zwilling", z.B. in der Bauchhöhle des erfolgreich wachsenden Zwilling in einem mehr oder weniger zurückgebildeten frühembryonalen Stadium erhalten bleiben kann.

Funktionelle Meilensteine der embryonalen Frühentwicklung Für das derzeit (im Jahr 2002) in Deutschland gültige Embryonenschutzgesetz, das das Experimentieren (auch zu therapeutischen Zwecken) an menschlichen Embryonen unter Strafe stellt, wurde die Vereinigung der Vorkerne (Syngamie, s. o.) als Beginn des schutzwürdigen embryonalen Lebens festgelegt. Andere Zeitpunkte der Entwicklung könnten in diesem Zusammenhang auch sinnvoll erscheinen, so z. B. - das Eindringen des Spermiums in die Eizelle, wodurch andere Spermien ausgeschlossen werden, die erste Voraussetzung für eine Individualentwicklung geschaffen und das Entwicklungsprogramm der Eizelle unumkehrbar angestoßen wird; - die erstmalige Verwendung (Transkription) der zygotischen „embryoeigenen" genetischen Information im 4- bis 8-Zellstadium (genetische Selbststeuerung); - die Implantation am 6. Tag, die den Beginn der säugertypischen intrauterinen Entwicklung markiert; - das Erscheinen des Primitivstreifens (etwa am 14. Tag), mit dem (insbesondere auch bei eineiigen Zwillingen) die Entwicklung eines selbständigen Individuums möglich wird; oder auch - das Auftreten des Vorläufergewebes des Zentralnervensystems (Neurulation, 3. Woche) als Zeichen der ausgeprägten kognitiven Entwicklung des Menschen.

Weiterführende Literatur Christ, Bodo (1998): Medizinische Embryologie, Wiesbaden. Drews, Ulrich (1993): Taschenatlas der Embryologie, Stuttgart. Hinrichsen, Klaus V. (1990): Humanembryologie, Berlin. Larsen, William J. (2001): Human Embryology, London. Sadler, Thomas W. (1998): Medizinische Embryologie, Stuttgart.

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an >, N i J5 -C C ! Befruchtung Fetus (aus [it.: fetus = das Zeugen; veraltet: F tus, Foetus) Bezeichnung der Leibesfrucht, nachdem die Entwicklung der Organanlagen abgeschlossen ist (beim Menschen etwa 8 Wochen nach der Befruchtung). Fusion Verschmelzung. Gameten (aus gr.: γαμέτη [gamete] = Ehefrau/Ehemann) Reife, zur Befruchtung bef higte Keimzellen. Die Gameten des Mannes sind die Spermien, die der Frau die Eizellen (Oozyten). Die Keimzellen erfahren im Hoden bzw. Eierstock einen Reifungsproze (Gametogenese), der sie zur Befruchtung bef higt. Gastrulation -*· Keimbl tter

Gen (aus gr.: γενναν [gennan] = hervorbringen, zeugen)

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Ein auf den Chromosomen lokalisierter Erbfaktor, der entweder allein oder mit mehreren Genen (Polygenie) die Informationen für die Ausprägung eines Merkmals (Phänotyp) enthält. Alle Gene eines Organismus bilden das Genom. Zu einem Gen sind Informationen als DNS-Sequenz kodiert, die zur Bildung eines oder mehrerer Proteine führen. Genetische Selbststeuerung Während der ersten beiden Zellteilungen der befruchteten Eizelle ist das embryoeigene Genom noch nicht „aktiv" und die mRNS des Zellplasmas, die zur Bildung von Proteinen notwendig ist, stammt noch aus der Eizelle; sie ist daher vollständig mütterlicher Herkunft. Der Zellstoffwechsel des jungen Keimes wird also von maternalen Faktoren gesteuert. Dies ändert sich beim Menschen im 4- oder 8-Zellstadium (ca. 40 Stunden nach der Befruchtung) mit der Aktivierung des embryonalen Genoms und der damit verbundenen genetischen Selbststeuerung durch eigene Proteinbiosynthese. Genom (aus gr.: [genos] = Gattung; Nachkommenschaft; Geschlecht) Einfacher (haploider) Chromosomensatz eines Organismus; im weiteren Sinne die Gesamtheit seiner Gene. Diese sind bei höheren Lebewesen im Zellkern lokalisiert. Haploid (aus gr.: [haploos] = einfach) In der Genetik spricht man von einem haploiden (einfachen) Chromosomensatz. Der normalerweise in allen Körperzellen doppelte (diploide) Chromosomensatz wird in der Reifeteilung (Meiose) der Keimzellen auf einen einfachen reduziert. Durch die Befruchtung werden zwei haploide Chromosomensätze von Mutter und Vater wieder zu einem diploiden zusammengeführt. Homo sapiens sapiens (aus lat.: homo = Mensch; sapiens = mit Vernunft begabt) Der Typus des jetzigen modernen Menschen. In der biologischen Taxonomie, die die verschiedenen Arten des Tierreichs einteilt, steht nach einer binären Nomenklatur die Gattung an erster Stelle (z. B. Homo für die Gattung Mensch) und die Art oder Spezies an zweiter Stelle (z. B. sapiens oder erectus). Alle Lebewesen einer Gattung werden nach morphologischen Kriterien zusammengefaßt, können sich aber im Gegensatz zu Lebewesen einer Art nicht untereinander fortpflanzen. Auch innerhalb einer Art können die Individuen stark unterschiedlich aussehen, was häufig auf unterschiedliche Lebensräume zurückzuführen ist. So unterteilt man die Art mit einer ternären Nomenklatur in Unterarten oder Subspezies, um z. B. Homo sapiens sapiens von Homo sapiens neandertalensis abzugrenzen.

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ICSI -»In-Vitro-Fertilisation (IVF) Implantation -» Nidation Insemination (aus lat.: inseminare = säen, pflanzen) (Künstliche) Zugabe von Spermien in den weiblichen Genitaltrakt (intrauterine Insemination) oder außerhalb des Körpers zu Eizellen im Rahmen einer In-Vitro-Fertilisation (extrauterine Insemination). Intrakorporal (aus lat: intra - innerhalb; corpus - Körper) Innerhalb des Körpers. Intrauterin (aus lat.: intra = innerhalb; uter - der Schlauch) Innerhalb der Gebärmutter (Uterus). In vitro (aus lat.: in vitro = im Glas) Bezeichnung für biologische oder medizische Experimente und Techniken, die außerhalb des Organismus stattfinden. In-Vitro-Fertilisation (IVF) Befruchtung der Eizelle „im Reagenzglas", also außerhalb des Körpers der Frau. Die IVF ist unter Auflagen vom Gesetzgeber (Embryonenschutzgesetz) toleriert und kann bei Sterilität angewandt werden. Die Eizellen werden der Frau entweder durch die Bauchdecke oder durch die Vagina endoskopisch unter Ultraschallkontrolle aus den hormoneil stimulierten Eierstöcken entnommen. Die befruchteten Eizellen werden dann nach 48 bis 72 Stunden in die Gebärmutter eingeschleust (Embryonentransfer). Die Erfolgsquote der Schwangerschaft bei Embryonentransfer beträgt 15-25%, weshalb in der Regel drei Embryonen pro Transfer übertragen werden. Eine Variante der In-Vitro-Fertilisation ist die ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion), bei der das Spermium direkt in die Eizelle injiziert wird. In vivo (aus lat.: in vivo = im Lebenden) Im lebenden Organismus. Keimbahn Die während der Individualentwicklung (Ontogenese) ablaufende Zellfolge der Keimzelldifferenzierung. Zur Keimbahn gehören alle Zellen, die sich zu be-

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fruchtungsfähigen Keimzellen (Gameten) entwickeln können. Die in frühen embryonalen Stadien sich differenzierenden primordialen Keimzellen wandern in die sich entwickelnden Hoden und Eierstöcke ein und reifen über verschiedene Zwischenstadien bis zur Adoleszenz zu den Gameten (Spermien und Eizellen beim Menschen) heran. Keimblätter Während eines Umorganisierungsprozesses des frühen Embryos, der in der Entwicklungsbiologie als Gastrulation bezeichnet wird, differenzieren sich Zellen der Keimscheibe zu drei Gewebeschichten (Keimblätter), die in Lagen übereinander angeordnet sind und aus denen sich alle Gewebe des reifen Organismus ableiten lassen. Die Keimblätter heißen Endoderm, Mesoderm und Ektoderm. Keimscheibe Bezeichnung für den Embryo in frühen Stadien der Entwicklung. Zunächst nimmt er eine runde, dann eine ovale, sich ausziehende flache Form an und besteht aus zwei oder drei übereinander liegenden Zellschichten (Keimblätter). Durch Faltung und Krümmung erhält er in späteren EntwicklungsStadien eine komplexere Form. Keimzellen Zur Fortpflanzung spezialisierte Zellen, die während der Individualentwicklung Wanderungs- und Reifungsprozessen unterliegen. Die befruchtungsfähigen Keimzellen sind die Gameten (beim Menschen Spermien bzw. Eizellen). Kerngenom Neben dem Genom des Zellkernes, der fast die gesamte DNS der Zelle beinhaltet, besitzen auch Mitochondrien (zur Energiegewinnung spezialisierte Zellorganellen) eine eigene DNS, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Struktur und Funktion benötigen. Die mitochondriale genetische Information wird auch als Chondrom bezeichnet und der des Zellkernes, dem (Kern)genom, gegenübergestellt. Kernverschmelzung Zum Abschluß der Befruchtung verschmelzen die Membranen der aus Eizelle und Spermium entstandenen Vorkerne miteinander. Die Vorkerne enthalten einen einfachen (haploiden) Chromosomensatz, der sich durch diesen Prozeß wieder verdoppelt. Beim Menschen kommt es allerdings nicht zu einem Verschmelzen der Vorkerne, weil sich keine neue Kernmembran ausbildet, sondern sich sofort die erste Zellteilung anschließt.

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Knospung Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung (z. B. bei Hohltieren), wobei sich in einer bestimmten Region des Muttertieres eine Knospe bildet und sich daraus ein neues Individuum abschnürt. Koma (aus gr.: [köma] = tiefer Schlaf) Tiefe Bewußtlosigkeit, bei der der Patient auf äußere Reize nicht mehr anspricht. Ein Koma kann durch hirnorganische Schäden, durch Stoffwechselentgleisungen (z. B. diabetisches Koma) oder Vergiftungen hervorgerufen werden. Bei schweren Verletzungen kann man den Patienten medikamentös in ein sog. „künstliches Koma" versetzen, um ihm die Schmerzen zu nehmen und im Rahmen einer intensivmedizinischen Betreuung besser behandeln zu können. Je nach Grad der Verletzung (bes. der hirnorganischen Schädigung) ist das Koma reversibel bzw. irreversibel. Körperzelle (Syn.: Somalische Zelle) Jede Zelle des Körpers, die nicht zur Keimbahn (Keimzelle) gehört. Kryokonservierung (aus gr.: [kryos] = Frost, Kälte) Methode des Haltbarmachens von Gewebe oder Zellen durch Schockgefrierung und Lagerung in flüssigem Stickstoff. Künstliche Befruchtung -»IVF Mehrlingsbildung Beim Menschen kommt es während des Menstruationszyklus der Frau in der Regel nur zur Abgabe einer Eizelle in den Eileiter (Ovulation); bei mehreren gleichzeitigen Ovulationen können mehrere Eizellen befruchtet werden und sich dementsprechend mehrere Embryonen (Mehrlinge) entwickeln. Am häufigsten liegt eine Zwillingsschwangerschaft vor. Wenn sich zwei Embryonen aus einer Eizelle entwickeln, spricht man von eineiigen Zwillingen. Diese besitzen, im Gegensatz zu zweieiigen Zwillingen, ein identisches Erbgut. Je nach dem Zeitpunkt der Trennung der embryonalen Zellmassen können eineiige Zwillinge gemeinsame Eihäute oder Plazenten haben. Trennt sich die embryonale Zellmasse nicht vollständig, bleiben die Zwillinge an Teilen des Körpers verwachsen (sog. „Siamesische Zwillinge"). Morula (aus lat.: morula = Maulbeere)

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Bezeichnung des S ugerembryos in allen Furchungsstadien bis zur Bildung der Blastozyste. Die ersten Zellteilungen nach der Befruchtung verlaufen ohne Zunahme der Zellmasse (Furchungsteilungen), wobei die befruchtete Eizelle in kleinere Tochterzellen (Blastomeren) unterteilt wird. Diese runden Zellen werden unter einer Proteinh lle (Zona pellucida), die den Embryo umgibt, dicht gepackt. Der Keim erh lt so das Aussehen einer Maulbeere. Mutterkuchen -> Plazenta Nasciturus (aus lat: nasciturus = der Geborenwerdende) Das noch ungeborene Kind. Neonatal (aus gr.: νέος [neos] = neu; lat.: natalis = Geburtstag) Neugeboren. Die Zeit von der vollendeten Geburt bis zum 28. Lebenstag. Neuralrohr (aus gr.: νεύρο v [ne ron] = der Nerv) Aus dem Neuralrohr entwickeln sich das Gehirn und das R ckenmark. Durch Verdickung des Ektoderms (eines der drei Keimbl tter) entsteht als Anlage des Nervensystems die Neuralplatte in der dorsalen Mittellinie der Keimscheibe. Durch ungleiche Zellvermehrung entsteht eine Furche (Neuralrinne), die sich sp ter zum Neuralrohr schlie t und in das Innere des Embryos absinkt. Dieser Prozess wird als Neurulation bezeichnet und findet beim Menschen zwischen dem 21. und 24. Tag nach der Befruchtung statt. Neurulation -> Neuralrohr Nidation (aus lat.: nidus = Nest; Syn.: Implantation) Einnistung des Embryos in die Wand der Geb rmutter. Dies findet beim Menschen etwa am sechsten Tag nach der Befruchtung statt. Oozyte -*· Gameten Parthenogenese (aus gr.: παρθένος [parthenos] = die Jungfrau; γένεσις [genesis] = Geburt) Sogenannte Jungfernzeugung, d. h. spontane oder k nstlich hervorgerufene Bildung eines Embryos aus einer nicht befruchteten Eizelle. Die Parthenogenese ist als ungeschlechtliche Fortpflanzung im Tierreich verbreitet.

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PID -* Präimplantationsdiagnostik (PID) Plazenta (aus lat.: placenta = Kuchen; Syn: Mutterkuchen, Nachgeburt) Stoffwechselorgan der Placentalier („Hochsäuger" als Unterklasse der Säuger), das für den Feten Atmungs-, Ernährungs- und Ausscheidungsfunktion übernimmt, Hormone produziert und dabei den Stoffaustausch überwacht (Plazentaschranke). Das beim Menschen bis zu 600g schwere Organ besteht aus fetalen (Amnion und Chorion) und maternalen (Dezidua) Anteilen. Die Chorionzotten werden von mütterlichem Blut umspült, nehmen Nährstoffe und Sauerstoff in das Blut des Feten auf und geben Stoff Wechselprodukte ab. Pluripotente Zelle Diese Zellen können sich in alle Gewebe und Zelltypen des adulten Organismus differenzieren, jedoch, im Gegensatz zu totipotenten Zellen, keine extraembryonalen Strukturen (z. B. Plazenta) ausbilden. Polkörper Während der Reifeteilung (Meiose) der weiblichen Keimzellen kommt es bei zwei Zellteilungen zur Bildung einer großen Eizelle und in der Regel zwei verkümmerten Restkörpern, den sogenannten Polkörpern. Diese überlassen ihr Zellplasma der Eizelle und haben selbst keine Funktion mehr. Post conceptionem (p. c.) (aus lat.: post - nach; conceptio - Empfängnis) Nach der Befruchtung. Die Befruchtung dient als Bezugspunkt für die Altersangabe des Embryos in Tagen (d. p. c.) oder Stunden (h. p. c.). Präembryo -» Embryo Präimplantationsdiagnostik (PID) Methode der Früherkennung von Erbkrankheiten bei künstlich befruchteten Embryonen. Man entnimmt dem Embryo in der Regel am dritten Tag nach der Befruchtung (meist im Achtzellstadium) Zellen, ohne ihn in seiner Entwicklung zu gefährden. An diesen Zellen führt man genetische Diagnostik durch (z. B. eine Analyse der Chromosomen zur Diagnose eines Down-Syndroms). Danach kann der Embryo in die Gebärmutter zurückgeführt werden (Embryotransfer). Pränatal (aus \&t.:prae = vor; natalis = Geburtstag) Vor der Geburt.

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Primitivstreifen Zu Beginn eines Umorganisierungsprozesses in der frühen Entwicklung (Gastrulation) bildet die rückenwärts gelegene Zellschicht (Epiblast) der jungen Keimscheibe bei höheren Wirbeltieren im hinteren Drittel einen Zellstrang (Primitivstreifen), der nach hinten durch den Keimscheibenrand und nach vorne durch den Primitivknoten begrenzt wird. Durch den Primitivstreifen erhält der Embryo eine deutliche Kopf-Schwanz-Achse. Die Zellen des Epiblasten wandern durch den Primitivstreifen zwischen die beiden Schichten der frühen Keimscheibe aus und differenzieren sich zu mesodermalen und endodermalen Geweben (Keimblätter). Pronukleusstadium -»Vorkern Rekombination Bildung neuer Genkombinationen aus genetisch verschiedenen Genomen. Eine Rekombination hat immer eine Änderung der Ausprägung eines Merkmals (Phänotyp) zur Folge. Ein Beispiel ist das sogenannte Crossing Over in der Reifeteilung der Keimzellen (Meiose): Es lagern sich homologe Chromosomenpaare aneinander und tauschen Genabschnitte miteinander aus; dadurch wird der Genbestand einer Population ständig durchmischt und neu zusammengestellt. Beim Austausch an nichthomologen Chromosomen kann es zu nicht-balancierten Translokationen kommen, was Krankheiten hervorrufen kann (z. B. Down-Syndrom). RNA -> RNS

RNS (Ribonukleinsäure; engl: RNA) Besitzt einen ähnlichen Aufbau wie DNS, enthält aber statt der Base Thymin Uracil, einen nicht-oxidierten Zucker (Ribose) und liegt in der Zelle meistens einsträngig vor. Eine wichtige Funktion kommt ihr bei der Proteinbiosynthese zu: Die genetische Information, in Form von DNS im Zellkern gespeichert, wird in eine RNS umgeschrieben (Transkription), aus dem Zellkern geschleust und an spezialisierten Zellorganellen (Ribosomen) in eine Proteinsequenz übersetzt (Translation). Somatisch (aus gr.: [soma] = Körper, Leib) Zum Körper gehörend, den Körper betreffend.

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Spermium -* Gameten Spontanabort -> Abort Stammzelle Stammzellen besitzen das Potential, sich zu verschiedenen spezialisierten Zellen zu differenzieren und sich selbst zu regenerieren. Stammzellen, die aus der inneren Zellmasse der Blastozyste gewonnen werden (embryonale Stammzellen [ES]), besitzen das Potential, sich zu jeder Zelle des künftigen Organismus einschließlich der Keimzellen, jedoch nicht der extraembryonalen Gewebe (z. B. Plazenta), zu differenzieren; sie sind pluripotent. Zellen früher Furchungsstadien (beim Menschen wahrscheinlich bis zum 8-Zellstadium) können sich zu allen Geweben des künftigen Organismus einschließlich der Plazenta entwickeln (totipotente Zellen). Im Laufe der Embryonalentwicklung verlieren die Zellen mit jedem weiteren Entwicklungsschritt an Differenzierungspotential. Auch im reifen Organismus existieren noch Stammzellen (adulte Stammzellen), z. B. die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark oder die Stammzellen der Haut. Sie stehen im Dienste der Regeneration und Neubildung von Geweben und sind nach heutigem Kenntnisstand unter experimentellen Bedingungen möglicherweise ebenfalls pluripotent. Stammzellinie -*· Zellinie Totipotente Zelle Diese Zellen haben das Potential, sich zu jeder Zelle des Körpers und der extraembryonalen Gewebe (z. B. Plazenta) zu differenzieren. Beim Menschen sind die Blastomeren wahrscheinlich bis zum 8-Zellstadium totipotent. Sobald sich diese Zellen weiter entwickeln und damit weiter differenzieren, verlieren sie ihre Totipotenz. Trisomie 21 -> Down-Syndrom Trophoblast (aus gr.: [trophe] = Ernährung; [blästos] = Sproß) Geht aus der äußeren Zellmasse der Morula hervor und bildet die Außenwand der Blastozyste. Aus ihm entwickeln sich nach der Einnistung in die Gebärmutter Teile der Plazenta und der Eihäute. Vorkern Nach dem Eindringen des Spermiums in die Eizelle liegt das genetische Material der Gameten zunächst noch getrennt in Vorkernen vor, die von einer eigenen Membran umgeben sind (Vorkernstadium). Erst nach der Vereinigung der Vorkerne ist die Befruchtung abgeschlossen.

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Vorkernstadium -*· Vorkern Zellinie In einer Nährlösung aufbewahrte und nachgezüchtete Zellen, die auf eine oder wenige Ursprungszellen zurückgehen und sich in ihren Eigenschaften unter diesen künstlichen Bedingungen prinzipiell nicht verändern (z. B. embryonale Stammzellen oder Tumorzellen). Zellkern Als größte Organelle eukaryotischer (kerntragender) Zellen enthält er das Erbgut in Form von DNS und grenzt sich durch die Kernmembran vom umliegenden Zytoplasma ab. Zona pellucida (aus lat.: zona. - Gürtel·,pellucida = durchsichtig) Proteinschicht, die die Eizelle und den frühen Embryo umgibt. Erst kurz vor der Einnistung des Embryos in die Gebärmutterschleimhaut (Nidation) streift er die Zona pellucida ab. Während der Passage des frühen Embryos durch den Eileiter hat die Zona pellucida eine Schutzfunktion. Bei der Befruchtung ist sie auch an der Limitierung auf genau ein befruchtendes Spermium mitbeteiligt. Zwillingsbildung -» Mehrlingsbildung Zygote (aus gr.: [zygon] = das Zweigespann) Die bei der Vereinigung zweier Gameten entstandene Zelle mit einem doppelten (diploiden) Chromosomensatz.

Gregor Dänischen / Dieter Schönecker in Zusammenarbeit mit Enrico Sperfeld und Sebastian Wichner

Auswahlbibliographie zum moralischen Status menschlicher Embryonen1 Ach, Johann (1993): „Embryonen, Marsmenschen und Löwen: Zur Ethik der Abtreibung", in: Ach, J./Gaidt, A. (Hrsg.): Herausforderung der Bioethik, Stuttgart, 71-136. Ach, Johann/Gaidt, Andreas (1993) (Hrsg.): Herausforderung der Bioethik, Stuttgart. Akademie für Ethik in der Medizin, Arbeitsgruppe „Schutz des Embryo" (1990): „Stellungnahme: Embryonen-Forschung - zulassen oder verbieten?", in: Ethik in der Medizin, 2,105-117. Almond, Brenda/Hill, Donald (1991) (Hrsg.): Applied Philosophy. Morals and Metaphysics in Contemporary Debate, London/New York. Alpern, Kenneth D. (1992): The Ethics of Reproductive Technology, New York. Anscombe, Elizabeth G. E. (1984): „Were You a Zygote?", in: Griffiths, A. P. (Hrsg.): Philosophy and Practice, Cambridge, 111-116. Badura-Lotter, Gisela (2000): „Embryonale Stammzellen - naturwissenschaftlicher Sachstand und ethische Analyse", in: Engels, E.-M./Badura-Lotter, G./Schicktanz, S. (Hrsg.): Neue Perspektiven der TranspUntationsmedizin im interdisziplinären Dialog, Baden-Baden. Balzer, Philipp/Rippe, Klaus P./Schaber, Peter (1998): Menschenwürde vs. Würde der Kreatur. Begriffsbestimmung, Gentechnik, Ethikkommissionen, Freiburg i. Br. Bässen, Paul (1982): „Present Sakes and Future Prospects: The Status of Early Abortion", in: Philosophy & Public Affairs, 11, 314-331. Baumgartner, Hans M. et al. (1997): „Menschenwürde und Lebensschutz: Philosophische Aspekte", in: Rager, G. (Hrsg.): Beginn, Personalität und Würde des Menschen, Freiburg i. Br., 161-242. Bayertz, Kurt (1987): GenEthik. Probleme der Technisierung menschlicher Fortpflanzung, Reinbek bei Hamburg. Bayertz, Kurt (1995): „Die Idee der Menschenwürde: Probleme und Paradoxien", in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 81, 465-481. Bayertz, Kurt (1996): „Human Dignity: Philosophical Origin and Scientific Erosion of an Idea", in: Bayertz, K. (Hrsg.): Sanctity of Life and Human Dignity, Dordrecht, 73-90. Bayertz, Kurt (1996) (Hrsg.): Sanctity of Life and Human Dignity, Dordrecht. Baylis, Francoise E. (1990): „The Ethics of ex utero Research on Spare Non-viable IVF Human Embryos", in: Bioethics, 4, 311-329. Beauchamp, Tom L./Childress, James F. (1994): Principles of Biomedical Ethics, Oxford. Die folgende Bibliographie zum moralischen Status menschlicher Embryonen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir haben aber versucht, die wichtigsten und in der Debatte oft zitierten Arbeiten aufzunehmen. Daher haben wir nicht immer, aber im Einzelfall auch solche (besonders wichtigen) Arbeiten aufgeführt, die Teil von ebenfalls aufgenommenen Sammelbänden sind. - Wir danken Klaus Steigleder für wertvolle Hinweise.

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Hinweise zu den Autoren Gregor Dänischen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Mitglied des Arbeitskreises „Begründungsfragen und Begründungsansätze in der Medizinethik" der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM). Forschungsschwerpunkte: Erkenntnistheorie, Angewandte Ethik, antike Philosophie. Wichtigste Veröffentlichungen: „Das Prinzip des performativen Widerspruchs. Zur epistemologischen Bedeutung der Dialogform in Platons Euthydemos", in: Methexis 12, 1999, 89-101; „Formen der Begründung. Zur Struktur und Reichweite reflexiver Argumente bei Platon, Cicero und Apel", in: Baumbach, M. (Hrsg.): Tradita et Inventa. Studien zum Nachleben der Antike, Heidelberg 2000, 549-573; „Sechs Aspekte eines möglichen Beitrags der Philosophie zur Politik", in: Mühleisen, H.-O. (Hrsg.): Vom Nutzen der Philosophie für die Politik, Frankfurt a. M. 2000, 14-27; „The Embryonic Body and its Dignity. An Argument from Potentiality and Numerical Identity", in: Akten des 25. Internationalen Wittgenstein-Symposiums: 11.-17. August 2002, Sonderband, Kirchberg am Wechsel/Österreich 2003 (mit Dieter Schönecker). Weitere Aufsätze zur Erkenntnistheorie, Transzendentalpragmatik und antiken Philosophie. Rainer Enskat ist Professor für Philosophie am Institut für Philosophie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Theoretische Philosophie, Ethik, Philosophie der Neuzeit. Wichtigste Veröffentlichungen: Kants Theorie des geometrischen Gegenstandes, Berlin/New York 1978; Die hegelsche Theorie des praktischen Bewußtseins, Frankfurt a. M. 1986; Wahrheit und Entdeckung. Logische und erkenntnistheoretische Untersuchungen über Aussagen und Aussagenkontexte, Frankfurt a. M. 1986; „Authentisches Wissen. Was die Erkenntnistheorie beim Platonischen Sokrates lernen kann", in: ders. (Hrsg.): Amicus Plato magis amica veritas. Festschrift für Wolfgang Wieland zum 65. Geburtstag, Berlin/New York 1998, 101-143; „Personale Identifikation. Wie man mit Wittgenstein an einer nicht-Wittgensteinschen Metaphysik der Subjektivität arbeiten kann", in: Hogrebe, W. (Hrsg.): Subjektivität. Akten der Tagung des Engeren Kreises der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland. Oktober 1994 in Jena, München 1998, 167-204; „Autonomie und Humanität. Wie kategorische Imperative die Urteilskraft orientieren", in: Baumgarten, H.-U./Held, C. (Hrsg.): Systematische Ethik mit Kant, Freiburg/München 2001, 82-123. Diverse Aufsätze zur Erkenntnistheorie, zur analytischen Transzendentalphilosophie und zur Frage nach den Bedingungen der Aufklärung. Ludger Honnefelder ist Professor emeritus für Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen

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Hinweise zu den Autoren

Akademie der Wissenschaften, der deutschen Delegation im Lenkungsausschuß für Bioethik des Europarats (CDBI) sowie der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages; er ist außerdem Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik e. V., Bonn, sowie Direktor des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften, Bonn. Forschungsschwerpunkte: Metaphysik, Angewandte Ethik, Mittelalterliche Philosophie und ihre Wirkungsgeschichte. Wichtigste Veröffentlichungen: Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre desJohannes Duns Scotus, Münster E A 1979, 2. Auflage 1989; Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus - Suarez Wolff- Kant- Peirce), Hamburg 1990; Thomas von Aquin, Hagen 1999. Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten. Jan Idkowiak arbeitet am Institut für Anatomie und Zellbiologie der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkt: Aspekte der Frühentwicklung insbesondere der Achsendifferenzierung von Säugerembryonen. Matthias Kaufmann ist Professor für Ethik am Institut für Philosophie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Ethik, Politische Philosophie, Rechtsphilosophie, Sprachphilosophie im Mittelalter und im 20. Jahrhundert. Wichtigste Veröffentlichungen: Recht ohne Regel? Die philosophischen Prinzipien in Carl Schmitts Staats- und Rechtslehre, Freiburg/ München 1988; Begriffe, Sätze, Dinge. Referenz und Wahrheit bei Wilhelm von Ockham, Leiden/Köln 1994;Rechtsphilosophie, Freiburg/München 1996; Aufgeklärte Anarchie. Eine Einführung in die politische Philosophie, Berlin 1999; Herausgeber von Integration oder Toleranz? Minderheiten als philosophisches Problem, Freiburg/München 2001; Herausgeber von Recht auf Rausch und Selbstverlust durch Sucht. Vom Umgang mit Drogen in der liberalen Gesellschaft, Frankfurt a. M. u. a. 2002. Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten. Reinhard Merkel ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg; Forschungsschwerpunkte: Dogmatik des Strafrechts, Rechtsphilosophie, Politische Philosophie und Völker s traf r echt, Recht und Ethik in der Medizin. Wichtigste Veröffentlichungen: Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus, Baden-Baden 1994; Mitherausgeber von Zur Debatte über Euthanasie, Frankfurt a. M. 1991; Mitherausgeber von „ Zum Ewigen Frieden ". Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, Frankfurt a. M. 1996; Herausgeber von Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000; Früheuthanasie. Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin, Baden-Baden 2001; Forschungsobjekt Embryo: Ethische und verfassungs-

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rechtliche Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen, München 2002. Zahlreiche Aufsätze zum Strafrecht, zur Philosophie und zur Literatur. Eberhard Schockenhoff ist Professor für Moraltheologie an der Katholischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Mitglied des Nationalen Ethikrats. Forschungsschwerpunkte: Moraltheologie, Medizinische Ethik. Wichtigste Veröffentlichungen: Bonum hominis. Die anthropologischen und theologischen Grundlagen der Tugendethik des Thomas von Aquin, Mainz 1986; Zum Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes, Mainz 1990; Ethik des Lebens, Mainz E A 1993,2. Auflage 2000; Naturrecht und Menschenwürde, Mainz 1996; Zur Lüge verdammt?, Freiburg i. Brsg. 2000. Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Medizinische Ethik. Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten. Dieter Schönecker ist wissenschaftlicher Assistent an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Mitglied des Arbeitskreises „Begründungsfragen und Begründungsansätze in der Medizinethik" der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM). Forschungssschwerpunkte: Allgemeine und Angewandte Ethik, Erkenntnistheorie, Hermeneutik, Kant, Hegel. Wichtigste Veröffentlichungen: Kant: Grundlegung III. Die Deduktion des kategorischen Imperativs, Freiburg/München 1999; Mitherausgeber von Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Hamburg 1999; Mitherausgeber von Kant verstehen /Under-standing Kant. Über die Interpretation philosophischer Texte, Darmstadt 2001; Immanuel Kant: „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten". Ein einführender Kommentar, Paderborn 2002 (mit Allen W. Wood); Mitherausgeber von Einführungen Philosophie (17 Bände, Darmstadt 2002 ff.). Diverse Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten. Bettina Schöne-Seifert ist Philosophin und approbierte Ärztin, arbeitet gegenwärtig als Gastprofessorin an der Zentralen Einrichtung für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik der Universität Hannover. Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation an der Niedersächsischen Ärztekammer; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben; Mitglied der „Senatskommission für Grundsatzfragen der Gentechnologie" sowie der Arbeitsgruppe „Stammzellforschung" der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Mitglied des Nationalen Ethikrats. Forschungsschwerpunkte: Medizinethik, Angewandte Ethik, Grundlagenfragen der Ethik. Wichtigste Veröffentlichungen: Mitherausgeberin von Humangenetik - Ethische Probleme der Beratung, Diagnostik und Forschung, Stuttgart 1993. Zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften und Büchern, zu den jüngsten Veröffentlichungen gehören z. B.: „Medizinethik", in: Nida-Rümelin, J. (Hrsg.): Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung. Ein Handbuch. Stuttgart 1996, 552-648; „Autonomie und Präimplantationsdiagno-

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stik. Neuer Kontext - altes Problem", in: Ethik in der Medizin, 11. Supplement l, 1999, 87-98; „Defining Death in Germany: Brain Death and its Discontents", in: Youngner, S.J./Arnold R.M./Schapiro, R. (Hrsg.): The Definition of Death. Contemporary Controversies, Boston 1999, 399-422. Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten. Ralf Stoecker ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Bielefeld und lehrt derzeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Angewandte Ethik, philosophische Anthropologie, Handlungstheorie, Erkenntnistheorie, Philosophie des Geistes. Wichtigste Veröffentlichungen: Was sind Ereignisse?, Berlin/New York 1992; Reflecting Davidson, Berlin/New York 1993; Der Hirntod. Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation, Freiburg i. Br./München 1999; Handlungen und Handlungsgründe, Paderborn 2002. Zahlreiche weitere Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten. Christoph Viebahn ist Arzt und Professor für Anatomie an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Frühe embryonale Entwicklung des Säugers und dabei insbesondere die Differenzierung der Körperachsen und die Bildung der Keimzellen. Wichtigste Veröffentlichungen: „The anterior margin of the mammalian gastrula: Comparative and phylogenetic aspects of its role in axis formation and head induction", in: Current Topics in Developmental Biology 46,1999, 63-103; Schäfer-Haas, A./Viebahn, Ch.: „The germ cell epitope PG-2 is expressed in primordial germ cells and in hypoblast cells of the gastrulating rabbit embryo", in: Anatomy and Embryology 202, 2000, 13-23; Dermietzel, R./Viebahn, Gh.: „Allgemeine Entwicklungslehre", in: Drenckhahn, D. (Hrsg.): B enningh off Anatomic, Band 1, 16. Auflage München 2002; Viebahn, Ch./Stortz, C./Mitchell, S.M./Blum, M.: „Low proliferative and high migratory activity in the area of Brachyury expressing mesoderm progenitor cells in the gastrulating rabbit embryo", in: Development 129, 2002, 2355-2365. Wolfgang Wieland ist Professor emeritus für Philosophie an der RuprechtKarls-Universität Heidelberg und approbierter Arzt. Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte: Antike Philosophie, Kant, Deutscher Idealismus, Grundlagen der Medizin. Wichtigste Veröffentlichungen: Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles, Göttingen E A 1970, 3. Auflage 1992; „Praxis und Urteilskraft", in: Zeitschrift für philosophische Forschung 28, 1974, 17-42; Diagnose. Überlegungen zur Medizintheorie, Berlin/New York 1975; Platon und die Formen des Wissens, Göttingen EA 1982,2. Auflage 1998; Strukturwandel der Medizin und ärztliche Ethik. Philosophische Überlegungen zu Grundfragen einer praktischen Wissenschaft, Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

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Phil.-Hist. Klasse Jg. 1985, 4. Abh., Heidelberg 1986; Aporien der praktischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1989; Verantwortung - Prinzip der Ethik?, Heidelberg 1999; Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen 2001. Zahlreiche Aufsätze zu den Forschungsschwerpunkten.

Personenregister

Almond, B. 265 Anselm, R. 260,264 Aristoteles 29,32,79,89,91,97,155,167, 314 Arnold, R. M. 314 Augustinus 21-22, 32 Balzer, Ph. 85,97 Barton, N. 203,264 Baumann, P. 264 Baumbach, M. 311 Baumgarten, H. U. 126 Baumgartner, H. M. 250, 264 Bayertz, K. 47,56 Beckwith, F.J. 7 Beier, H. M. 73,79 Bellut, C. 126 Bielefeldt, H. 85,97 Bieri,P. 85,97 Birnbacher, D. 87, 97,117, 126, 170, 184 Blum, M. 314 Bodden-Heidrich, R. 236,242-243, 264 Boethius,A.M.S. 12,32 Braun, V. 32 Breuninger, R. 266 Buckle, St.E. 155, 167, 174, 177, 184, 222-223,239, 246, 264

Dermietzel, R. 314 Drews, U. 276 Drenckhahn, D. 314 Dreyer, M. 80 Dworkin, R. 66,80 Effertz,D. 264 Eichler, U. 264 Engelhardt jr., T. H. 21,25, 32,225, 264 Enskat, R. VI, 101,107,126,217,264, 311 Ereshevsky, M. 203,264 Eser,A. 80 Evans, D. 80,265 Fehige, Ch. 184 Feinberg, J. 38, 42, 56,184, 264 Fichte,].G. 22,32 Fischer,]. 180,184 Fisher,].A. 222,264 Fleischhauer, K. 80-81 Ford, N. M. 72,80,240,243-244,246,265 Frankena, W. K. 37,56

Callahan,]. 38,56 Chadwick.R. 80 Christ, B. 276 Churchland, P. 85,97 Cohen, M. 44,56 Ciouser, K. D. 255,265 Culver, Ch. 255,265

Geach, P. 104, 126, 133, 145 Gensler, HJ. 2,7 Georges, K.E. 63,80 Gerhardt, V. 69,80,260 Gert, B. 255,265 Geyer, Ch. 56-57, 80-81,145 Gillitzer, B. 215-216,237,265 Gillon, R. 222,265 Grewendorf, G. 56 Grobstein, C. 43, 56 Groß, D. 145 Grünkorn, G. VI

Dänischen, G. VI, l, 2, 4, 6, 62,129, 141, 145,152, 170-171,187,196, 208, 264, 311 Daniels, N. 173,184 Dawson, K. 96, 98,156, 168, 176, 184, 225, 239, 240, 266 Delker,C. 203,264

Habermas, J. 48, 56, 69, 80, 84, 97 Handyside, A. H. 247,267 Hare, R. M. 2, 7,173-175,184, 222, 240, 265 Harris, J. 84, 88-89, 97, 239, 265 Hegel, G. F. W. 22-23, 32, 313 Heidegger, M. 122, 126,156, 167

318 Held, C. 126,311 Henrich, D. 117,126 Hershenov.D.B. 222,265 Hey,J. 203,265 Hildt,E. 266 Hill, D. 265 Hinrichsen, K. V. 79,276 Hoerster, N. 14-15,32, 84, 87,90-91, 97, 200, 204, 207, 265 Hoffe, O. 52, 54, 56, 70, 80 Höfling, W. 38,56

Hogrebe,W. 126,311 Holland, A. 243,265 Holm, S. 63, 68-69, 80, 222, 265 Honnefeider, L. VI, 18,32,61-62,64-65, 67, 70-72, 80, 86, 88, 94, 97, 191, 203, 221, 236-237, 250, 264-265, 311 Hösle,V. 251,265 Hruschka,J. 86,97

Hügli,A. 37,56 Hume, D. 37, 57, 205-207, 212 Huppe, H. 53-54 Hursthouse, R. 44, 57 IdkowiakJ. VI, 281 Ipsen.J. 38,57 Isensee,]. 46,57,80 Jacquette, D. 222,265 JoerdenJ.C. 97 Johannes Paul II. 253 Johnson, M. H. 247,267 Jonas, H. 207,265 Kaegi,D. 264 Kahn, O. VI Kaminsky, C. 2, 7, 68, 80, 210, 217, 222, 250, 265 Kant, I. 2, 7, 12-14, 16, 20, 22, 27, 32, 45, 57, 80, 86, 97, 106, 124-127, 162, 168, 173, 197, 208, 262, 266, 311-315 Kapp, E. 151, 168 Kaufmann, M. VI, 83, 91, 97, 264, 312 Kaulbach, F. 22,32 Kirchhof, P. 46,57,80 Kissler, A. 265 Knoepffler, N. 72, 80, 85, 90, 92, 97, 222, 239, 242, 250, 259, 264-265

Personenregister Kollek,R. 52,57 Korff,W. 90 Krause, A. 264 Krieger, G. 80,97-98 Kripke, S. 64, 80, 88, 93, 97, 237, 243, 265 Kuhse, H. 170,184,267 Kulenkampff, J. 145 Kummer, Ch. 74,80 Kutschera, F. von 207, 265 Ladwig,B. 264 LaFolette, H. 39, 57, 200, 265 Larsen,W.J. 276 Las Casas, B. de 251 Latthof, M. 203,264 Lauritzen, P. 58 Leist, A. 2, 7,39,41-42,57,126,156,168, 171, 182-184, 209-210,216, 220, 222-223, 265 Lenzen, W. 169,184 Locke, J. 12-14,18, 32, 70, 86, 97, 153, 158,168 Lockwood, M. 170, 177, 183-184, 222, 265 Lutz-Bachmann, M. 70, 80 MackieJ.L. 37,57,184 Mallet, J. 203,266 Mapel.D.R. 85,97 Marcol,A. 267 Mayer, V. 86,97 Meggle, G. 56,184 Merkel, R. VI, 2, 7,14, 35, 38, 42-43, 49-50, 52, 57, 68, 81, 104, 124,127, 130-131, 135, 145,165,168-169, 182-184, 205-210, 214, 220-222, 233, 261,264,266,312 Mieth,D. 32,266 Mitchell, S. M. 314 Moore, G.E. 37,205-206 Moore, K. L. 43,57 Morowitz, HJ. 43, 57, 240, 266 Moser, P. 264 Mühleisen, H.-O. 264,311 Müller-Schöll, U. 126 Munthe,Ch. 243-244,266 Nelson, L. 42,57

Personenregister Neumann, J. 264 Nida-Rümelin, J. 55, 57, 313 Noonan jr., J. T. 179, 184, 266 Nüsslein-Volhard, Ch. 74, 81 Orsi,G. 57 Parfit, D. 70, 81,134,145, 153,168,216, 266 Pearson, H. 248,266 Persaud,T.V.N. 43,57 Pigden, Ch.R. 37,57 Platon 24, 32, 160, 187, 311, 314 Pojman, L. 7 Pöltner, G. 17,31 Post, St. 44,57 Prinz Charles 91, 239 Propping, P. 80 Putnam, H. 64,81 Quante, M. 84, 88-90, 94, 98,174-175, 177,184, 220, 237, 239,240, 242-244, 246, 249, 266 Quine,W.V.O. 94,98 Rager, G. 16, 18,26, 32, 71-73, 81, 85, 98, 264 RawlsJ. 28,55,57,173,184 Reichlin, M. 222-223,225, 239, 266 Reiter,]. 67,81 Ricken, F. 65,81 Rippe, K.P. 97 Sadler, Th.W. 276 Sass, H.-M. 97,98 Savigny, E. von 118, 127 Schaber, P. 85, 97, 260, 264, 266 Schäfer-Haas, A. 314 Schapiro, R. 314 Schiemann, G. 46, 57 Schirmer, Ch. VI Schnepf, R. 235,264 Schockenhoff, E. VI, 11,17,32,52,57,75, 81, 89, 98, 191, 197, 207, 220, 244, 264, 266,313 Schönecker, D. VI, l, 62,129,141, 145, 170,187, 197, 199, 208, 264, 266, 295, 311,313

319 Schönecker, R.J. 264 Schöne-Seifen, B. VI, 68,78,81,169,223, 230,233,241,264,313 Seel, G. 155,168 Sepulveda, J. Gines de 251 Shanks, N. 39, 57, 200, 265 Singer, P. 14-16, 32, 57, 66, 70, 81, 84-86, 90-91, 96-98,106,127,156,165, 167-168, 170, 176, 184, 197, 200, 204, 207, 225, 234,239-240, 261, 264, 266-267 Smith, B. 264 Spaemann, R. 20, 24, 32, 43-44, 57, 170, 185,202,209,266 Sperfeld,E. VI, 295 Starck, Ch. 86,98 Starz, E. 184 Stegmüller, W. 109-110,127, 162,168, 199, 266 Steigleder, K. 222, 246-248, 266, 295 Steinbock, B. 42,57-58,182,185 Stoecker, R. VI, 4, 95, 129-130, 136, 141, 144-145, 197,216, 218-219, 234, 243-246, 264, 267 Stone, J. 155,168,222,267 Stortz, C. 314 Strasser, P. 184 Strawson, P. F. 64,81 Sturma, D. 86,98 Sumner, L. W. 183,185,239, 267 Tanner, K. 260,267 Tauer, C. A. 250,267 Thomas von Aquin 12, 33, 95, 98 Tollefsen, Ch. 243,267 Tooley, M. 42,58,169-170,185,204,222, 242, 267 Trefil, J. 43, 57, 240, 266 Tugendhat, E. 111, 117, 126-127 Viebahn, Ch. VI, l, 192, 212, 240, 247, 264, 269, 314 Wade, F. C. 222,267 Warnock, M. 73, 79,157, 168,184, 239, 243, 265, 267 Warren, M. A. 180, 185, 239, 267 Wehowsky, St. 29 Whitehead, A.N. 187

320 Wichner,S. VI, 295 Wieland, W. VI, 149, 160, 168, 172, 239, 264,311,314 Wiggins, D. 70,81,104,127 Wolbert,W. 20,33,222,267 Wood, A. W. 197,266

Personenregister Youngner, S.J. 314 Zankl, H. 249,267 Ziomek,C.A. 247,267 Zoglauer, Th. 241,243,267 Zwenger, Th. 266

Sachregister

Abgrenzungsproblem 5, 153,177, 213, 224-227, 243 Abort 90, 92, 96,121, 123, 136, 281 Abstraktionsfähigkeit 3, 191, 229, 234 Abtreibung 25, 51, 66, 91, 93,126, 176, 195,255,281,295 Abtreibungsdebatte 133, 138, 142, 169, 192,195, 199 Adulte Stammzelle s. Zelle, Stammzelle, adulte Anenzephalus 49-51,209,281 Anlage 13, 23, 30,149, 226,235 s. Vermögen Apallisches Syndrom s. Koma Argument s. Begründungsstrategie; Dammbruchargument; Identitätsargument; Kontinuumsargument; NI-Argument; NIP-Argument; Potentialitätsargument; SKIP-Argumente; Speziesargument; Vorsichtsargument gutes A. 256-258 Argumentationsgleichgewicht 255 Art s. Spezies Aussage 17, 37, 65, 149, 166, 205-207, 212-213 - deskriptive A.n 17, 37, 65, 149,160, 166,205-207,212-213 - normative A.n 17,37,65,149,160,166, 205-207, 212 Ausschwemmrate 90,92,94,121,123,136 Autonomie 3, 27, 30-31, 106, 109-119, 122-123, 130, 158, 170, 191, 197, 205, 229 s. -Eigenschaft - A. als Fähigkeit zur Zwecksetzung 3, 191,229 - moralische A. (Freiheit) 3, 191,229 - Selbstbestimmung, Selbstbestimmungsfähigkeit 27, 30-31, 106, 109-119, 122-123, 158, 170, 191 Befruchtung 25-27, 61, 71-73, 77-78, 89-90,92-93,96,136-137,176,180,192,

211, 225-226, 241, 269-273,281-290, 293 s. Eizelle - B.skaskade 25-26, 73 - künstliche B. 61, 175, 241, 286 s. ICSI; In-Vitro-Fertilisation (IVF) Begründungsstrategie 173-174, 196-198, 187,250-256 - direkte B. 196-197 - indirekte B. 187,197-198 - kohärentistische B. 173-174 - Metaargument 198, 250-256 s. Vorsichtsargument Behinderte 3, 13-14, 19, 31, 38, 73, 182, 198 - geistig B. 3,13-14,182, 198 Benefit of the doubt-Argument s. Vorsichtsargument Beweislast 29, 106, 151, 164, 166 Bewußtlosigkeit 18,43,49-50,52, 73,119-120, 183, 238, 288 s. Koma Bewußtsein 4-5,13,15,18,22, 31, 70, 73, 89,101,123-124,136,149,153,158-159, 165, 170,207-208, 213, 230-231, 234-235 s. Identität; -Eigenschaft; Person - B. der eigenen Identität über die Zeit hinweg 13, 153, 158 - B. der Moralität 165 - B.sfähigkeit 170 - B.sformen 124 - B.sstrom 18 - B.sverlust 183 s. Bewußtlosigkeit; Koma - Entstehung des B.s 89 - Ichb. 153 - Selbstb. 3, 13, 15, 17, 31, 70, 112, 116-117, 130, 149, 158, 161, 191, 205, 229, 234 - Wachb. 154 - Zeitb. 149 Biologisch-autonomer Frühembryo s. Embryo

322 Biologisch-heteronomer Frühembryo s. Embryo Elastomere 141, 193, 247, 272-273, 277, 281,289,292 Blastozyste 129, 139-140, 193, 247-249, 272-275, 277, 281-282, 284, 289, 292 Chimärenbildung 244, 272 Chorion 139, 249, 282, 290 Chromosom 71,75,90,212,220, 270-271, 282-283, 285, 290, 291, 293 - C.ensatz 71,75,90,212,220,271, 282-283, 285, 287, 293 - diploider C.ensatz 220,271,282, 285, 293 - haploider C.ensatz 71,75,283,285, 287 - C.enzahl 270 Dammbruchargument 48, 192 Designator s. Referenz Differenzierung (biologische) 61,140-142, 247,269, 272-275, 282, 286, 292 Dilemma, moralisches 189 Disposition 43-44, 149,156, 162-165, 172, 233, 238 s. Fähigkeit; Moralfähigkeit; Potentialität; Vermögen - dispositionelle Fähigkeit 43-44,156, 164, 226, 232-233 - dispositionelle Möglichkeit 224-227, 232-233 - dispositionelle Potentialität 163-164, 167,223-224 - D.sbegriff 162, 172-173 - essentielle D. 164 - genetische D. 179 - Moralitätsd.en 173 — persistierende D. 164 DNA/DNS 39, 269-272, 282-283,285, 287, 291, 293 Dottersack 139-140, 247, 249-250, 274, 277, 283 Down-Syndrom 283,290-291 Einheit s. Identität; Kontinuum Eizelle 5-6, 71, 75, 78, 84, 88, 90, 92-93, 95-96, 137,172,174-176, 178,192-193, 195,211-215, 224-226,239-242,

Sachregister 269-272, 276-277, 281, 285-290, 292-293 s. Befruchtung; Gametenproblem; Potentialität; Zelle - befruchtete E. 5, 71, 78, 84, 88, 90, 92, 95-96,137, 172,176,178,192-193,195, 211-215, 224-226, 242, 269, 271, 277, 281,284-286,289 - E. im Vorkernstadium 174, 176, 192, 213-214, 237, 242-243, 271, 277, 281, 292 - entkernte E. 75,271 - Entwicklung der E. als Keimzelle 269-270 - imprägnierte E. (Oozyte) 174, 176, 192-193, 211, 213-215, 237, 242-243, 248,271,277,281,292 - Potentialität der befruchteten E. 71,84, 176,178,224-226,242 - Potentialität der unbefruchteten E. 93, 95, 176, 224-225, 239-241 s. Parthenogenese - totipotente E. 193 - unbefruchtete E. 93, 95, 173, 175-176, 224-225, 239-241, 271, 277, 281, 288-290, 293 Embryo passim v. a. 192-193, 269-277, 283-284 s. Eizelle; Embryonendebatte; Fähigkeit; NIP-Argument; SKIP-Argumente; Zelle - Abhängigkeit des E.s von der Mutter 61,74-75,93,130,191-192 - Begriff des E.s 25-26,192-193 — biologisch-autonomer Frühe. 193,212, 243 - biologisch-heteronomer Frühe. 187, 193, 229, 238, 242-243 - durch Parthenogenese entstandener E. 191-192,228,240-241 - durch IVF entstandener E. 61-62, 75, 77, 93, 96, 176, 192, 225-226, 241 - durch Klonierung entstandener E. 75, 144, 174, 180, 196 - E. als Adressat einer unbedingten Verpflichtung und eines korrespondierenden Rechts 107-108,110,120,124-125, 217 - E. als Person 25, 28-30, 66, 87, 90,170, 194, 215, 220-222

Sachregister - E. als Träger potentieller Eigenschaften 6, 45, 47, 56, 73-74, 76, 88, 101, 169, 171-182,215,222-235,239 - E. als Weltbürger 124 - .eigentlicher' E. s. Embryoblast - s. Entwicklung, embryonale - entwicklungsfähiger E. 43,131, 187, 191-192, 228, 230-238,241-242 - s. Identität des E.s mit einem Erwachsenen - nicht entwicklungsfähiger E. 47, 92, 181,192,228,240,246 - Präe./Frühe. 72, 74, 83, 90, 93-94, 96, 129,137-141,144, 182,187, 193, 242-243, 284 — Stammzelle s. Zelle, Stammzelle, embryonale - s. Status, moralischer - Tötung menschlicher E.nen für medizinische Zwecke l, 75-76,79,83,97,180, 195,254-256,259,262 — Vergleich zwischen E.nen und Komatösen 198, 232-235, 254,263 Embryoblast 139,141,246-249,273-275, 277, 282, 284 s.Trophoblastenproblem Embryologie 16, 71, 121, 188, 255 Embryonendebatte 1-7,194-197,221, 257, 260, 263 - Argumente und Probleme in der E. 1-7 s. NIP-Argument; SKIP-Argumente; Vorsichtsargument - Bedeutung des Begriffs der Person für die E. 221 - juridische Ebene der E. 195 - Konstruktivismus in der E. 260 s. Realismus/Antirealismus - philosophische Ebene der E. 194-195 - politische Ebene der E. 196 - realistische Voraussetzungen in der E. 257 s. Realismus/Antirealismus - Überflüssigkeit der E. 260 Embryonenschutzgesetz 75, 137, 176, 195, 276, 286 Embryonentransfer 286 Empfängnisverhütung 92,195 Entwicklung 3-6, 21, 26-28, 30, 43, 45, 47, 51, 56, 61-62, 64, 70-78, 83, 87-94, 96-97,101, 103,108,120,122-124, 129,

323 132, 136-138, 140, 163, 166-167, 172, 175-183, 187, 191-193, 210-211, 213-214, 225, 228, 230-248, 269-277, 282-284, 287,291-292 s. Kontinuum; Kontinuumsargument - diskontinuierliche E. 4, 137-140, 212 - embryonale E. 3-4,21,26-28,43,45, 47,61,68,71-78,89,91,93-94,101,103, 120, 129, 132, 137, 140, 175-176, 180, 192-193,210-211,213,225,247-248, 269-277, 282-284, 287, 291-292 - E.sdifferenz zwischen Embryo und erwachsenem Menschen 123 - E.sphase 26, 30, 43, 70, 108, 123,137, 177,269-277,287 - E.spotential 26, 45, 51, 56, 62, 64, 97, 172, 176-178, 180-182, 187, 191-192, 209, 225, 228, 230-236, 238-246 - E.sprogramm der Eizelle 212,271-272, 276 s. genetische Selbststeuerung - E.sstufen 21, 26, 30, 43, 70, 73, 83, 88-89, 91-92, 94, 122, 124, 132, 137, 177-179, 181, 183, 192,211-212,214, 237, 276, 287 - E.swahrscheinlichkeit s. Potentialität - E. und das Sorites-Paradox 214 - kontinuierliche E. (ohne moralrelevante Einschnitte) 4, 6,26, 61-62, 73, 77-78, 83, 89, 93, 132, 167, 210-211, 213-214, 237 - moralisch relevanter E.ssprung 89-90, 94,212,276 - Prozeßhaftigkeit der embryonalen E. 77-78,132,210,213,242-243 Entwicklungsfähigkeit 26, 45, 51, 56, 62, 64, 97, 172, 176-178, 180-182,187, 191-192, 209, 225,228, 230-236, 238-246 Euthanasie s. Sterbehilfe Fähigkeit 3-4, 11, 15, 17-18, 20-21, 27, 30-31, 41-44, 46-47, 49, 64, 73, 83, 85-89, 91, 94, 101, 108-119, 122-123, 136, 144, 149, 156, 158, 161, 170, 181-183,191,198, 203, 212, 226-227, 229, 232-233, 235, 238-239,241-242, 261 s. Disposition; Entwicklungsfähigkeit; Möglichkeit, Moralfähigkeit; dis-

324 positioneile; -Eigenschaft; Potentialität; Vermögen; Vernunft - dispositionelle F. 43-44, 156, 164, 226, 232-233 - Empfindungsf./Erlebensf. 4,15,41-44, 46-47, 56, 83, 89, 91, 94, 136, 149, 158, 161,182-183,191,212,233,261 - F. zu freier Handlung 15,20,30-31, 86, 108,149 - F. zum sittlichen Subjektsein 11,30,73 - F. zu -Eigenschaften 232-233, 238, 241 - F. zur Bildung des Bewußtseins der eigenen Identität s. Bewußtsein - F. zur Selbstachtung 158 - F. zur Zwecksetzung 3, 65-66,191,229 - F. zu Wünschen und Zukunftspräferenzen 15, 18, 106, 149, 158, 161, 191, 229 - kognitive F.en 3,94,136,149,164,191, 229, 234,242 - Leidensf. s. Schmerzempfindung - moralrelevante F. 3-4, 11, 30, 86-89, 191, 198,203, 227, 232-235, 239 personale F.en 85-89, 136, 191 - potentielle F. 43, 88, 94,144, 203, 226, 233 - Schmerzf. s. Schmerzempfindung - Selbstbestimmungsf. 27,30-31,106, 109-119, 122-123, 158, 170, 191 - Urteilsf. s. Urteilskraft Fehlschluß s. naturalistischer Fehlschluß; Sein-Sollen-Fehlschluß Fertilisation s. Befruchtung Fetus/Fötus 4-5, 25, 91, 93, 96, 129, 136-137,139-141, 192, 234, 247, 249-250, 275, 283-284 Fruchtwasser 140, 239-240, 282 Fusion 139,212,244-245,284 Fusionsproblem 5,187,229,238,244-246 Gamete 192, 270, 277, 284, 287 s. Eizelle; Gametenproblem; Samenzelle Gametenproblem 6,177,213,225, 239-243 s. Abgrenzungsproblem; Kronprinzessinproblem/Kronprinzenproblem Gattung s. Spezies Gattungssolidarität s. Speziessolidarität

Sachregister Gebärmutter 175,212,271,273,277,282, 284,286, 289-290, 292-293 Geburt 4,68-69, 75-76, 78,84, 88-90, 93, 96,132,136,140,157,184,212,234,250, 270, 277, 283, 289-290 s. Entwicklung, embryonale Gehirn 4, 89, 212, 261, 281, 289 s. Hirntod; Neuralrohr; Zentralnervensystem Genetischer Defekt 47,191, 228, 246 s. Entwicklungsfähigkeit Genetische Selbststeuerung 4, 193, 243, 276, 285 Genom 4, 25-26, 71-72,135,177, 220, 226, 236-237, 242-243, 270-272, 285, 287, 291 Gerechtigkeit 14-15,24-25,28-29,46,70 s. Goldene Regel; Unparteilichkeit Gleichbehandlung s. Unparteilichkeit Goldene Regel 2, 28, 69-70 Gottesebenbildlichkeit 3, 22, 85,191 Gradualismus s. Würde, abgestufte Gut 17, 27, 40-43, 47, 65-66, 78-79, 96, 157-158, 191, 194, 206-207, 212, 254-261 - der Mensch als G. 65-66 - deskriptive Kennzeichnung und Werturteil 65-66, 79, 206-207 - G. im prämoralischen Sinn 65 - Güterabwägung 27, 47, 65-66, 78, 96, 157-158, 191, 194, 212, 254-261 - G.sein vs. Sein 17 — intrinsisch vs. extrinsisch 43 - subjektiver vs. objektiver Wert 40—42 Güterabwägung s. Gut Haufen-Paradox s. Sorites-Paradox Heiligkeit des Lebens 3, 30, 191 Hirntod 38-40,42-43,183 - Grundrechtssubjektivität nach dem Tod 38 - Recht auf Tod 87 — Tod als Verletzung von Interessen 70 Homo sapiens sapiens s. Spezies Humes Gesetz/Humesches Gesetz s. Naturalistischer Fehlschluß; Sein-SollenFehlschluß Hydatidiform mole 246

Sachregister Hydatidiform mole-Problem 229, 238, 246 I-Argument s. Identitätsargument ICSI 175-176,241,286 Identifikation 108, 116-118, 122, 126 Identität 4-5, 101-145, 215-222 s. Person - absolute I. 134,215-216 - genetische I. 133,135, 178, 183, 211, 220-221 - identifikatorischer Akt 108,116-118, 122, 126 - I. der Zygote mit der Blastozyste 95, 139-142, 246-250 - I. der Zygote mit dem erwachsenen Menschen 137-142,243-250 - I. des Embryos mit einem Erwachsenen 104, 114, 132-143, 183, 215-222, 235-237, 243-250 - I.srelationen 113-115 - Leibnizprinzip 134,215-216 - moralrelevante I. 62, 67, 105, 107-108, 114,183,216-218 - numerische I. 6, 88, 95, 103-104, 134, 178, 183, 188, 198, 216, 228-229, 231, 235, 237-238, 243-244, 248, 263 s. Entwicklung, kontinuierliche - ontogenetische I. 103-104 - personale I. 2, 13-19, 23, 26, 67-68, 70-72, 133-134, 153, 167, 215, 220-221 - qualitative I. 133-134, 215-216 - sortale I. 104 Identitätsargument (I-Argument) 2, 4—5, 101-145, 215-222 s. Identität; NI-Argument; SKIP-Argumente - formale Darstellung des I.s 4,108,129, 131-132,217-218,221 - genetisches I. 220 - kriterielles I. s. NI-Argument - nichtkriterielles I. 216-217 - I. als Personargument 220-222 - Probleme des I.s 130-143, 215-222, 243-250 - Zusammenhang mit den anderen SKIPArgumenten 6, 62, 125-126, 143-145, 167 Implantation s. Nidation Imprägnation s. Befruchtung

325

Indirektes Argument s. Begründungsstrategie Individualität 12, 25-26, 72,220, 243 Individuum 4-5,11-12, 28, 31, 42, 44, 64-65, 70, 72, 74, 88, 93, 108-109, 112-115, 117, 119, 122, 139,154,164, 167, 204, 211, 213, 270-271, 276, 288 s. Identitätsargument; NI-Argument Insemination 286 s. ICSI; In-Vitro-Fertilisation (IVF) Interessen s. Fähigkeit; Schmerzempfindung Intrauterinpessar 136,195 Intuition s. Moralische Intuition In-Vitro-Fertilisation (IVF) 61,93,96,225, 241-242, 286 K-Argument s. Kontinuumsargument Keimbahn 286-288 Keimblätter 274-275, 277, 287 Keimscheibe 140-142,274-275,287,289, 291 Keimzellen s. Zellen Kerngenom 287 Kernverschmelzung s. Vorkern Klonen 75,144, 180, 196 - therapeutisches K. 180, 196 Knospung 138, 244, 288 s. Zwillingsproblem Koma 3, 5-6, 18, 31, 49, 51, 86-87, 94, 172, 187, 198, 230-235, 238-239, 252-254, 262-263, 288 s. NIP-Argument, Potentialitätsargument - Apalliker 49, 51 - irreversibles K. 288 - K.töse haben starken Würdestatus 3, 31, 87,172,187,198, 230-232,238-239, 252,262 - Potentialität des K.tösen und des Embryos 230-235 - reversibles K. 5-6, 18, 187, 198, 230-235, 238, 252-254, 258, 262, 288 - Schlafender s. Person - Vergleich zwischen K.tösen und Embryonen 198, 232-235, 254, 263 - Vergleich zwischen K.tösen und Neugeborenen 187,198,234-235

326 Konsens 13-14,55,89,152,196,260, 262-263 - K.bildung in der pluralistischen Gesellschaft 47-49,262-263 Kontinuum 3-4, 61-81, 83-98, 210-215, 228 s. Entwicklung; Kontinuumsargument - ethischer K.sbegriff 211-214 - kontinuierliche Entwicklung (,ohne moralrelevante Einschnitte') 4, 6, 26, 61-62, 73, 77-78, 83, 89-97, 132, 167, 210-214,237 - nichtethischer K.sbegriff 211,213-214 Kontinuumsargument (K-Argument) 3-4, 61-81, 83-98, 210-215, 228 s. Entwicklung; Kontinuum; NI-Argument; SKIP-Argumente - formale Darstellung des K.s 3, 62, 83-84,89,210 - K. als Abwehrargument 212 - K. als NI-Argument s. NI-Argument - Probleme des K.s 4,84-97,211-215, 238-250 — Zusammenhang mit den anderen SKIPArgumenten 6, 62, 215 Körper 18, 21-23, 30-32, 39, 78-79, 140-141,214,228-250 - K. eines Embryos 140-141, 228-250 - moralische Relevanz des K.s 18,21-23, 30-32, 39, 78-79, 214, 228-250 Körperzelle s. Zelle Körperzellenproblem 6, 176, 220, 241-242 s. Parthenogeneseproblem Kronprinzessinproblem/Kronprinzenproblem 6, 68, 91, 152-154, 187, 223, 229, 238-239 s. Gametenproblem Kryokonservierung 192,211,218-219, 288 Künstliche Befruchtung s. In-Vitro-Fertilisation (IVF) Leben s. Körper Lebensinteresse 15,18-19,51,87,93,130, 158, 161, 207 s. -Eigenschaft Lebensrecht s. Recht Leib s. Körper Leibnizprinzip s. Identität Leidensfähigkeit s. Schmerzempfindung

Sachregister Logische Möglichkeit (Possibilität) s. Möglichkeit, logische Mehrlingsbildung s. Zwillinge Mehrlingsproblem s. Zwillingsproblem Meiose s. Reifeteilung Mensch 285 s. Person; Recht; Spezies; Würde - geborene (gesunde) M.en 3, 5, 24-25, 35-37, 49, 51-54, 61-62, 64-68, 70-71, 75-76, 84, 92, 96, 132, 135, 189-192, 217-219, 221, 228, 231, 236, 240-241, 245, 247, 252, 260 s. Neugeborenes - Homo sapiens sapiens s. Spezies Homo sapiens sapiens Menschenrechte s. Recht Menschenwürde s. Würde, MenschenMetaargument s. Begründungsstrategie Möglichkeit 68, 88, 109, 116, 155, 223-227, 232-233 s. Disposition; Fähigkeit; Potentialität; Potentialitätsargument; Vermögen - dispositionelle M. 109,224-227, 232-233 - logische M. 68, 88, 116, 155, 223-225, 227 s. Kronprinzessinproblem/Kronprinzenproblem - M. der Gameten s. Gametenproblem - M. der Mehrlingsbildung s. Zwillingsproblem Moralfähigkeit 13, 20,106, 109-110, 114-115, 118-120, 122-124, 149, 161-167, 170, 172 s. Disposition; Fähigkeit; Möglichkeit; Potentialität; Vermögen - entwicklungsabhängige M. 122, 126 - M. als dispositioneile Potentialität 162-167, 172 Moralische Intuition 12,35,47,52-56,67, 76, 78, 92-93, 95, 105-106, 154 - kontraintuitiv 18, 70, 140, 153-154, 197,205,208 Moralischer Status s. Status Morula 129, 135, 140-141, 193, 247-248, 272-273, 277, 282, 284, 288-289, 292 Mutterleib 4-5,61,192 Nationaler Ethikrat l, 124, 261, 266, 313

Sachregister Naturalistischer Fehlschluß 17, 26-27, 37-38, 44-45, 119-120, 123, 157, 205-207 s. Sein-Sollen-Fehlschluß Neugeborenes 3-5, 49-50, 84, 90, 129, 132, 187, 198, 230, 234-236, 252, 254 Neuralrohr 89, 94, 234, 275, 289 Neurulation s. Zentralnervensystem NI-Argument/Argument der numerischen Identität 235-237 s. Kontinuumsargument; NIP-Argument; Potentialitätsargument - N. als Abwehrargument 236 - N. als kriterielles Argument 236 - Probleme des N.s 243-250 Nidation 26,74-75,77,89-90,92,94,269, 273, 277, 289, 293 NIP-Argument 228-238 s. NI-Argument; Potentialitätsargument - Einwände gegen das N. 233-235, 238-250 - formale Darstellung des N.s 187,228 - Grundprämissen des N.s 230-232 Notwehr 45,85,189-190 Numerische Identität s. Identität, numerische Nutzen, moralischer 14, 157, 251, 253-254 Oozyte s. Eizelle Organismus 22, 74, 132, 177, 211, 214, 220,236-237, 246, 269, 282, 284-287, 290, 292 P-Argument s. Potentialitätsargument Parthenogenese 6, 176, 191, 224-225, 240-241,271,289 Parthenogeneseproblem 178, 224, 238, 240-241 s. Körperzellenproblem Person 12-19,21,25,28-32,66,70,86-87, 90,95, 112-113,115,117, 134,153, 158, 170, 194, 215, 220-222 s. Bewußtsein; Identität; Identitätsargument; -Eigenschaft - Einheit von P. und menschlicher Natur 12, 30-32 - Embryo als P. 25,28-30,66, 87,90,170, 194,215,220-222

327

- (empiristischer) P.begriff des Präferenz utilitarismus 13-19, 21, 70 - ethische Implikationen des P.seins 13-19 - s. Identität, personale - P.argument s. Identitätsargument - P.definition, klassische 12-14,66,86, 153,158,221 - P.eigenschaft s. -Eigenschaft - potentielle P. 30, 84, 95-96,124, 220-222 - P.phasen 18, 134 - P.rollen 112-113,115,117 - P.status von Schlafenden 5-6,18, 43-44, 73, 86-87, 119-120, 153-154, 172-173, 183, 230-234 s. Koma - P. und Mensch 12, 19-21, 30-32 - P. und Sittlichkeit 13 - P. und Vorsichtsargument 253 Personale Identität s. Identität, personale Personalität s. Identität, personale Pflicht/Verpflichtung 36-38, 41-56, 70, 86-87, 90, 101, 107,159, 162, 166, 181-182, 184, 189-190, 250, 253, 260 - Solidaritätspflicht 45-47,51-52,55,76, 164-165,209 - unbedingte Verpflichtung 107-108, 110,120, 124-125,217 -Eigenschaft 5,191, 229 s. Person - aktua^-E. 16,191,209,222,235,239, 242 - Embryonen als Träger potentieller -E.en 6, 187, 222, 228, 233-238, 242, 244-246 - Fähigkeit zu -E.en 232-233,238, 241 - Kandidaten für -E.en 5,191,229-230, 233-234, 256, 261 - reversibel Komatöse als Träger potentieller -E.en 6, 230-231, 235-236, 238 - -E.en als Personeigenschaften 221-222,232,234 - -E.en und indirekte Begründung s. Begründungsstrategie - -E.en und Tötungsverbot 62, 222, 252, 263 - potentielle - . 187,228,231,233, 235-236, 238-239, 246, 263 - Vermögen zu -E.en 232-233, 240, 243

328 Plazenta 5, 139-140, 239-240, 245-247, 250, 271, 273, 275, 277, 282-283, 290 Pluralistische Gesellschaft s. Konsens Pluripotente Zelle s. Zelle, pluripotente Pluripotenz s. Zelle, pluripotente Politik 90, 92,156,194,196,198,262-263 Polkörper 270,290 Possibilität s. Möglichkeit, logische Potentialität 25, 29, 43-47, 51, 67-72, 74, 77, 88, 93-96, 144, 155-156, 162-164, 167, 172-175,177-179, 181-182, 203, 223-240 s. Disposition; Fähigkeit; Möglichkeit; Moralfähigkeit; Vermögen -aktive P. 68,74,95-96,175-178 - aktive und passive P. 29, 69-70, 95-96 - gradualistische P. 45-47, 51, 77, 155, 178-179, 181-182 - materialeP. 68 - P. als dispositionelle Möglichkeit 43, 156, 162-164,167, 172-173, 177-178, 223-224, 226-227 - P. als logische Möglichkeit (Possibilität) 155,223-225 - P. als notwendige Bedingung 174—175, 239-240 - P. als Vorstufe-Sein 175 - P. als Wahrscheinlichkeit (Probabilität) 25, 88, 93-95, 156, 179,181, 223-226 - potentielle Fähigkeit 43-44,88,94,144, 203, 226, 233 - potentielle Person s. Person - P. und Identität 228-238 - reale P. 67-68, 71-72, 74 Potentialitätsargument (P-Argument) 5, 43, 74-75, 91, 149-168, 169-185, 222-235 s. Fähigkeit; NIP-Argument; Potentialität; SKIP-Argumente - formale Darstellung des P.s 5,149,170, 228,235 - Probleme des P.s 74-75, 91, 152-153, 174-182,238-243 - Potentialitätsprinzip 170-172 - Zusammenhang mit den anderen SKIPArgumenten 6, 56, 62, 68, 71, 84, 126, 137, 143-144, 164-167, 209, 215, 217, 220 Potentialitätsprinzip s. Potentialitätsargument

Sachregister Präembryo s. Embryo, PräPräferenz 3, 14-15, 52-54, 70,191, 197, 207-208, 229, 234,252, 261 s. Interesse, Präferenzutilitarismus Präferenzutilitarismus 14-19, 70-71,197, 261 s. Utilitarismus Präimplantationsdiagnostik (PID) 61, 83, 133,138,144,290 Prämisse s. Aussage President's Council on Bioethics 1,210, 259, 266 Primitivstreifen 4, 73, 137-138, 142, 193, 212, 243, 274, 276, 284,291 Prinzip der doppelten Wirkung 259 Problem des biologisch-heteronomen Frühembryos 187 Prozeß s. Entwicklung Rassismus 17, 39, 165, 204 Realismus/Antirealismus 229, 257, 260 - moralischer R. 229, 260 - theoretischer R. 257 Recht 12, 14-17, 19-21, 24-27, 35-38, 40-46,68-70, 75-76, 84-85, 87-88, 90-93,107, 119, 121,124,151-154, 157-158, 170-173, 190, 194-195, 234, 261 - Begriff des R.s 20-21, 24-25, 35-36, 68-70, 194-195 - Menschenr.e 12, 14, 16, 19-20, 37, 65, 68-70, 75-76, 79, 85, 153-154,164 - positive R.sordnung 36, 87, 91, 119-120, 159, 171, 190, 194-196, 220 - postmortale Grundrechtsträgerschaft 38 - Prinzip des Normenschutzes 47-52, 56 - R. auf Freiheit der Forschung 254 - R. auf informationeile Selbstbestimmung des Embryos 191 - R. auf Leben 14-15, 17, 19, 26-27, 36-38, 40-46, 68-70, 84, 87-88, 90-93, 107, 119,121, 124, 151-152, 157-158, 170-173,190,234,261 - R. auf Tod 87 - R.sfrieden 47-49,196,198,262 - Schutzr. l, 35-36,40-46,191-192,228, 232, 234, 240, 246, 261 - unbedingtes (moralisches) R. 101-127

Sachregister - s. Verletzungsverbot Reductio ad absurdum 131, 137-138, 173-174, 205, 213, 220, 225,230, 240-241,244 Referenz 63-64, 88, 91, 93-94 s. Taufakt, Kripkescher - R. von „Gut" 63 - starre R. 64, 88, 91, 93-94, 237 Reifeteilung 177, 243, 270, 285, 290-291 Rekombination 270,291 Reproduktionsmedizin 175,188 Risiko 61,159,251,263 - genetisches R. 61 - R. des Irrtums 159,251 - R. und Spieltheorie 263 RNA/RNS 212,242,269,271,291 Samenzelle 69-272 s. Befruchtung; Eizelle; Gametenproblem; Potentialität; Zelle - Entwicklung der S. als Keimzelle 269-270,277 - Potentialität der S. 6, 68, 84, 88,93, 95, 173-175, 177, 192, 225-227, 240 - s. im Vorkernstadium 71,176-177 S-Argument s. Speziesargument Säugetier 84, 86, 191,248, 271-273,276, 282, 289-290 s. Tier Schlafender s. Koma; Person Schmerzempfindung 3, 94, 212 - Interesse an Schmerzfreiheit 15,68—69 - s. als moralisch relevante -Eigenschaft 15,40-46, 68-69, 90, 96, 197, 222, 233-235 Schutzrecht s. Recht Schwangerschaftsabbruch s. Abtreibung Sein-Sollen-Fehlschluß 17,37-38,44-45, 205-208 s. Naturalistischer Fehlschluß Selbstbestimmungsfähigkeit s. Autonomie Selbstbewußtsein s. Bewußtsein Selbsttötung 190 Sexismus 17,39,204 Siamesische Zwillinge s. Zwillinge Siamesische Zwillinge-Problem s. Zwillingsproblem SKIP-Argumente 1-267 s. Identitätsargument; Kontinuumsargument; Potentialitätsargument; Speziesargument

329 - formale Darstellung der S. 1-6, 11, 36, 62, 83-84, 89, 108, 129, 131-132, 149, 170, 200-201, 210, 217-218, 221, 222-223 - Zusammenhang der S. 6, 56, 76-79, 125-126, 143-145, 164-167,208-209, 214-215,221-222,227 Slippery Slope-Argument s. Dammbruchargument Sollenssätze s. Aussage Sorites-Paradox 214 Sortales Prädikat 64-70,77-79,88-89,94, 104,133, 237 Spermium s. Samenzelle Spezies 200, 203-204, 285 s. Sortales Prädikat; Speziesargument - s. Homo sapiens sapiens 12, 15-16, 37, 65, 84,200-201,204, 208,285 Speziesargument (S-Argument) 2-3, 11-33, 35-58,199-209 s. SKIP-Argumente; Spezies; Speziesismus - formale Darstellung des S.s 3, 11, 36, 200 - nichtspeziesistisch-kausales S. 202 — nichtspeziesistisch-kriterielles S. 125, 149,202-203 - speziesistisch-kausales S. 200-202 - typischer Vertreter der Spezies Mensch 37-38, 44, 64-65, 209 - Zusammenhang mit den anderen SKIPArgumenten 6,125-126,136,143-144, 164-167, 209, 211, 215,220, 263 - Zuschreibungsgrund vs. Zuschreibungskriterium 202-203 - Zuschreibungskriterium 165, 167, 202-203 Speziesismus 15-17, 31, 39, 66, 200-202, 204-205, 207-208 Speziessolidarität 45-47, 51-52, 55, 76, 164-165,209 Spirale s. Intrauterinpessar Spontanabort s. Abort Stammzelle s. Zelle, Stammzelle Stammzellforschung l, 51, 61, 75,138, 144,169, 176,180,183,196,254-256, 259 Stammzellinie s. Zelle, Stammzellinie

330 Status 62-63,64-67, 71-76,104-105,114, 180, 189-193,194-196 - Bedeutung der Frage nach dem moralischen S. 62-63, 104-105, 114, 180, 189-193,194-196 - moralischer S. des Embryos in vitro 71-76,176 - moralischer S. des geborenen Menschen 64-67 - .special status' 73,76, 95 s. Würde, abgestufte - starker moralischer S. s. Würde, WürdeM Sterbehilfe 66, 176-177, 190, 259 Strategie s. Begründungsstrategie Suizid s. Selbsttötung Taufakt, Kripkescher 5, 64, 93-94, 237, 243 Tier 15,45,87,91,134-135,190-191,201, 220, 222, 236, 251-252,272, 274, 285, 289 Totipotente Zelle s. Zelle, totipotente; Eizelle, totipotente Totipotenz s. Zelle, totipotente Tötungsverbot 14-15,17-18,36, 45-46, 50-51,62,70,96,121,190-191,197-198, 204-205,210,231-236, 251-252, 254-256 s. Würde, WürdeM Trisomie 21 s. Down-Syndrom Trophoblast 247-249, 273-274, 292 Trophoblastenproblem 139-142,238, 246-250, 258 Tutiorismus s. Vorsichtsargument Tutiorismus-Argument s. Vorsichtsargument Tyrannenmord 190 Unparteilichkeit 19,24-25,27,36-37,66, 69 Unterlassen 91, 119, 151, 176-177, 259 Urteilskraft 102-103,160,258 Uterus s. Gebärmutter Utilitarismus, klassischer 14-15, 30-32, 40, 70, 251 s. Präferenzutilitarismus Verletzungsverbot 46-50, 52

Sachregister Vermögen 11,30-31,19,65-66,73,78-79, 94-95, 175-176, 226-227,232-236, 239-243 s. Disposition; Fähigkeit; Möglichkeit; Moralfähigkeit; Person; Potentialität - aktives V. 175-176 - aktuales V. 226-227, 232-233 - Denkv. 94 — inhärentes V. 227 - Leistungsv. 19 - Metav. 227 - realisiertes vs. nicht-realisiertes V. 232 - V. der Subjekthaftigkeit 73, 78-79 - V. des Vernunftgebrauchs 65 - V. und reale Potenz 240-241 - V. und Tooleys Katze 242 - V. vs. Fähigkeit 226-227, 232-236, 239 - V. zur genetischen Selbststeuerung 243 - V. zur moralischen Selbstbestimmung 11,30-31 — V. zur Zwecksetzung 66 - Wirkv. 95 Vernunft 3, 12-13, 20, 22, 24-25, 30-31, 64-66, 86, 118, 122,191, 205, 225, 229, 234, 276, 285 - V. als würdestiftende Eigenschaft 3, 12-13, 20, 22, 30-31, 86,118, 122, 191, 205, 225, 229, 234, 276,285 - vernünftige Natur des Menschen 24-25, 64-66 Verschmelzen von Ei- und Samenzelle s. Befruchtung Verschmelzung/Vereinigung der Vorkerne s. Vorkern Versklavung 251 Vorkern 4,25,89-90,92,96-97,104-105, 107,110,120, 122, 124-125,176, 192-193, 212, 220, 237, 270-271, 276, 281,287,292 - männlicher V. 125, 176, 192, 271, 281, 292 - Verschmelzung/Vereinigung der V.e 4, 25, 89-90, 92,96-97,104-105,107,110, 120, 122, 124, 176,192-193, 212, 220, 237,271,276,281,287 - weiblicher V. 125, 176, 192, 270, 281, 292 Vorkernstadium 25, 71, 174, 176-177

Sachregister Vorkernstadiumproblem 4,25-26, 71-72, 177-178,242-243 Vorsichtsargument 198,250-264 - guter Zweifel 256-258 - hyperbolischer Zweifel 256-257 - Tutiorismus 29, 78, 151, 164, 167, 183, 250 Wahrscheinlichkeit (Probabilität) s. Potentialität Wert s. Gut Wunsch s. Fähigkeit Würde 15, 26-27, 73-79, 83-98,157-158, 163, 191 - abgestufte W./Gradualismus 15,26-27, 73-79, 83-98, 157-158,163, 191 - Menschenw. 15, 26-27, 73-79, 83-98, 157-158, 163, 191 - naturale Basis von W. 21-23, 78-79 - W. der Tiere 190-191 - W. M 1,3,84-85,152,171-172,190-192, 200-202, 204-205 - W.M äquivalent zum Tötungsverbot 190-191,229 WürdeM s. Würde Würdestiftende Eigenschaft s. -Eigenschaft Zelle passim v. a. 269-277 s. Eizelle - 2-Zell-Stadium 193, 247-248, 272 - 4-Zell-Stadium 90,135, 193, 212 - 8-Zell-Stadium 28, 135, 193, 212, 247, 290 s. Morula - 16-Zell-Stadium 28, 247 s. Morula - Keimz. 75,173,177,179,269-270,284, 287 - Körperz. 6,75,176,220,241-242 - pluripotente Z. 274, 277, 290, 292 - Stammz. 292

331 -

adulteS. 271,292 embryonaleS. 62,255,292 Stammzellinie 140-141,293 totipotente S. 62, 75, 79, 137-139, 193-194, 207, 254, 272-273, 277, 290, 292 - totipotente Z. s. totipotente Stammzelle - Zellinie s. Zelle, Stammzellinie Zellkern 71, 75-76, 269, 271-272,282, 285,287,291,293,317 Zellinie s. Zelle, Stammzellinie Zellverband 137, 193, 213-214, 284 Zentralnervensystem 212, 275-276, 289 Zona pellucida 247, 269-270, 272-273, 277, 293 Zweck an sich 13-14, 20-21,28, 48-49, 51,66,75,86,195,197,254 Zweifel s. Vorsichtsargument Zwillinge 5, 75, 103, 123, 137-140, 193, 212, 220, 245-246, 249, 275-277, 288 s. Zwillingsproblem - eineiige Z. 103,123, 137-140, 193, 212, 220, 275-277, 288 - Siamesische Z. 5,139, 245-246, 249, 276, 288 - zweieiige Z. 288 - Z. und Dolly-Methode 75 Zwillingsproblem 4-5, 72-75, 94, 103-104, 123,137-140, 142, 238, 243-246 s. Knospung, Primitivstreifen - mögliche vs. tatsächliche Zwillingsbildung 89,244 - Siamesische Zwillinge-Problem 245-246,249 Zygotepassim v. a. 192-193,271-272,277, 293 s. Eizelle; Embryo; Identität; Potentialität; Trophoblastenproblem; Zelle; Zwillingsproblem