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German Pages [317] Year 2017
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PRAKTlSC\-IE PHlLOSOPHlE
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Zu diesem Buch: Das Erscheinen von Peter Singers Anima/ Liberation (1975) hat eine heftige Debatte um den moralischen Status der Tiere entfacht. Der vorliegende Band bietet eine detaillierte Darstellung und Kritik der drei wichtigsten philosophischen Argumentationen zugunsten eines radikal aufgewerteten moralischen Status für Tiere. Schließlich legt der Autor dar, welche Eigenschaften einem Lebewesen das Recht auf moralische Berücksichtigung verleihen. Angelsächsische Philosophen haben in die hier behandelte Problematik ganz neue Argumente eingebracht, die gerade jetzt in der Praktischen Philosophie lebhaft diskutiert werden. The publication of Peter Singer's Anima/ Liberation in 1975 provoked a stormy debate about the moral status of animals. This present work offers a detailed description and criticism of the three most important philosophical arguments favoring a radical increase in the moral status of animals. At the conclusion the author shows what characteristics grant a living being the right to moral consideration. Der Autor: Dr. phil. Andreas Flury, geb. 1958, forscht und publiziert im Bereich Philosophische Ethik und verfaßt z. Zt. seine Habilitationsschrift. Veröffentlichungen zu verschiedenen Problemstellungen der Moralphilosophie.
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Andreas Flury Der moralische Status der Tiere
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Alber-Reihe Praktische Philosophie Unter Mitarbeit von Jan P. Beckmann, Dieter Birnbacher, Heiner Hastedt, Ekkehard Martens, Oswald Schwemmer, Ludwig Siep und Jean-Claude Wolf herausgegeben von Günther Bien, Karl-Heinz Nusser und Annemarie Pieper Band 57
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Andreas Flury
Der moralische Status der Tiere Henry Salt, Peter Singer, und Tom Regan
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Studienausgabe 2016 (Die 1. Auflage erschien 1999 unter der ISBN 3-495-47879-5.)
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MIX Papier aus verontwor-
!',.~restricted freedom < to which Herbert Spencer alludes «9 ) . Dabei ist es wenig hilfreich, die Respektierung von »Tierrechten« in einer vagen Weise zu fordern, wenn diese jedem noch so unbedeutenden menschlichen Bedürfnis untergeordnet werden. Gleichzeitig wird Gerechtigkeit Tieren (»lower races «10 ) gegenüber nicht erreichbar sein, wenn wir fortfahren, sie als Wesen zu betrachten, die einer ganzen anderen Ordnung angehören und die zahlreichen Eigenschaften übersehen, die sie mit dem Menschen gemein haben. Als Beispiel eines Humanisten, der diesen Fehler begeht, führt Salt Fraser an, der in seiner 1863 erschienenen Schrift »The Rights of Man and the Claims of Brutes « die These aufgestellt hatte, daß ein Tier am besten als die Summe seiner angenehmen Empfindungen (»pleasures «11 ) verstanden werden könne, da sein Leben keine ethische Dimension (»moral purpose «12 ) aufweist. Auf der Basis dieses Gedankengangs schließt Fraser, daß die Pflicht der Menschen gegen die Tiere sich in der Enthaltung der willkürlichen Tötung dieser Wesen erschöpfe. Demgegenüber hält Salt fest, daß die veraltete Auffassung aufzugeben sei, zwischen Tieren und Menschen bestehe eine große Kluft, wenn wir den Tieren jemals Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen. Stattdessen müssen wir anerkennen, daß uns ein gemeinsames Band der Humanität mit allen Lebewesen in einer umfassenden Bruderschaft vereint (»If we are ever going to do justice to the lower races, we must get rid of the antiquated notion of a >great gulf< fixed between them ' AR9. 10 AR9. 11 AR9. 12 AR 9.
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and mankind, and must recognize the common bond of humanity that unites all living beings in one universal brotherhood« 13 ). Für Salt sind zwei Traditionen völlig unterschiedlicher Herkunft verantwortlich für die menschliche Gleichgültigkeit gegenüber Tieren, nämlich die jüdisch-christliche Auffassung, daß nur der Mensch eine Seele besitze und die Behauptung Descartes', die Tiere besäßen weder Bewußtsein noch Empfinden . Die christliche Lehre, welche nur den Menschen die Möglichkeit eines ewigen Lebens verheißt, schließt aufgrund dieser Lehre die Tiere in der Praxis auch von der Sphäre moralischer Berücksichtigung aus. Zwar ist sich Salt bewußt, daß das Fehlen einer unsterblichen Seele die Rücksicht gegenüber den Tieren auch dringlicher machen könnte, nämlich wenn bedacht wird, daß die Leiden der Tiere auf dieser Erde - anders als diejenigen der Menschen - in einem Leben nach dem Tode nicht wieder gut gemacht werden können und deshalb besonders schwer wiegen. Allerdings hat die Tatsache, daß den Tieren eine unsterbÜche Seele abgesprochen wird, in der Regel ihre Aussicht vermindert, bei moralischen Entscheiden Rücksicht zu finden. Aus diesem Grund hält Salt keine humanistische Lehre für bedeutungsvoller als diejenige, daß den Tieren und den Menschen das gleiche Schicksal - sei es die Unsterblichkeit oder das Vergehen im Nichts - beschieden sei. Diese These wurde zu Salts Lebenszeit sowohl in religiösen wie wissenschaftlichen Kreisen vertreten 14 . Die zweite Quelle der zeitgenössischen Inhumanität gegenüber Tieren stellt die Cartesianische Tradition dar, die den nicht-menschlichen Tieren weder Bewußtsein noch Gefühl zuspricht. Spricht die christliche Tradition den Tieren das Leben nach dem Tode ab, so verneint Salt zufolge Descartes implizit sogar, daß Tiere überhaupt leben, wenn wir »leben « in einem Sinn verstehen wollen, der gegenüber dem Bezug auf die menschliche Existenz keine bloße Ironie darstellt. Nach diesem historischen Exkurs formuliert Salt das Grundprinzip, das seine Kritik der menschlichen Behandlung der Tiere leiten soll: Sein eigenes Leben zu führen, sein wirkliches Selbst zu verwirklichen, ist der höchste moralische Sinn des Menschen und des Tieres gleichermaßen; und daß die Tiere einen gehörigen Anteil an diesem Sinn der Individualität haben, kann kaum angezweifelt werden (»To live one's own life - to realize one's true self - is the highest moral purpose of
AR10. "' AR 12.
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man and animal alike; and that animals possess their due measure of this sense of individuality is scarcely open to doubt«15 ). Salt führt sein Kernargument weiter aus, indem er darauf hinweist, daß Tieren wie Menschen gewisse begrenzte natürliche Rechte zukommen, die ihnen ohne Tyrannei und Ungerechtigkeit nicht vorenthalten werden dürften . Tiere verfügen über Individualität, Charakter und Vernunft; alle Wesen mit diesen Eigenschaften besitzen aber das Recht, sie auszuüben, soweit das die Umstände erlauben. Die Namengebung trägt nach Salt viel Schuld am Los der Tiere oder ist zumindest mitverantwortlich, daß dieses nicht verbessert wird. Während sich Menschen als Personen verstehen, werden im englischen Sprachgebrauch auch hochkomplexe Lebewesen wie Hunde oder Affen durch die Verwendung des Pronomens »it« den Sachen gleichgestellt. Daneben sind Ausdrücke wie »brute-beast«, »live-stock« oder »dumb animals«, ja bereits die Bezeichnung »animals « geeignet, die Kluft zwischen Mensch und anderen Tieren unüberwindlich erscheinen zu lassen 16 • Die Behandlung der Tiere durch den Menschen erscheint Salt derart ungeheuerlich, daß er versteht, wenn viele Humanisten darüber verzweifelt sind. Er konstatiert daher die dringende Notwendigkeit, die Tiere in den Bereich der menschlichen Sympathie mit aufzunehmen. Salt zitiert den Autor der »History of European Morals«17 , der feststellt, daß die Gefühle, welche wir beim Anblick menschlichen Leids empfinden, sich nicht von denjenigen unterscheiden, die bei der Konfrontation mit tierischem Leid in uns hervorgerufen werden. Aus dieser Betrachtung schöpft Salt die Hoffnung, daß sich in der Geschichte der Menschheit eine Entwicklung durchsetze, welche bereits zur Sklavenbefreiung geführt hat und letztlich den Tieren zugute kommen wird. Die Grundidee von Lecky, die in Peter Singers Werk »The expanding cirde « eine entscheidende Rolle spielt, ist die folgende : »At one time [.. . ] the benevolent affections embrace merely the family, soon the circle expanding includes first a dass, then a nation, then a coalition of nations, then all humanity; and finally its influence is feit in the dealings of man with the animal world. In each of these cases a Standard is formed, different
" AR 12. AR 17 ff. 17 AR 20. 16
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from that of the preceding stage, but in each case the same tendency is recognized as virtue.« 18
Doch wenn auch zugestanden werden mag, daß die Menschen ihre moralische Sympathie im Laufe der Menschheitsgeschichte ausgeweitet haben, ist damit nicht die Anerkennung von Rechten der Tiere garantiert. Salt gesteht zu, es gebe keine Gewißheit dafür, daß die Menschen in dieser Entwicklung bis zur Einbeziehung der Tiere voranschritten. Doch betont er, daß jede Befreiungsbewegung gemäß dieser Entwicklungslinie erfolgt sei: Zuerst wird das Gefühl der Verwandtschaft erweckt und damit ist die Tyrannei über diese Gruppe von Wesen letztlich zu Verschwinden verurteilt, wenn auch die tatsächliche Gleichstellung noch lange auf sich warten lassen mag. Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung sieht Salt in der Ächtung und Abschaffung der Sklaverei. Salt räumt ein, daß der Tierbefreiung große Hindernisse entgegenstehen. Da sich die menschlichen Beziehungen zu Tieren sehr kompliziert gestalten und durch unzählige tief verwurzelte Gewohnheiten belastet sind, wäre die Erwartung unrealistisch, daß den Tieren könnte auf einen Schlag volle Gerechtigkeit widerfahren. Angesichts der Ausgangslage sieht es Salt als ein realistisches Ziel an, das Grundprinzip der Tierrechte aufzuzeigen und die krassesten Verletzungen dieser Rechte zu brandmarken. Er erinnert aber daran, daß in anderen Befreiungsbewegungen anfänglich vergleichbare Einschränkungen vorgenommen wurden. Die Tatsache, daß eine Ausweitung der Sphäre der Rechte von den Gegnern dieser Entwicklung für unmöglich erklärt worden ist, stellt für Salt ein verläßliches Indiz dafür dar, daß sich diese Ausweitung bereits Bahn bricht. Absurd aber wäre es, von den Befürworterinnen der Tierrechte Lösungen für alle Detailprobleme und hypothetischen Fälle zu erwarten, die sich aus dem Akzeptieren des Grundsatzes ergeben können, daß Tieren natürliche Rechte zukommen. Salt führt Humphry Primatt 19 als Zeugen an, um zu belegen, daß das Zufügen von Schmerz sowohl für Menschen wie Tiere ein Übel ist und ohne moralisch legitimierbare Gründe eine Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegenüber Mensch und Tier darstellt. Doch muß die Idee der Tierrechte nicht mit dem strengen Regiment
18 Lecky, History of European Morals, o. 0., o. J. Zitiert nach: AR 20. "AR 24.
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der tödlichen Wettstreits (»internecine competition«20 ) in Konflikt geraten, welche das Universum regiert? Salt zweifelt die Einschätzung des Sozialdarwinismus an, daß der Wettstreit das einzige Gesetz sei, welches die Natur regiere. Er verweist auf die Geschichte des Kampfes der Arbeiter um ihre Emanzipation, welcher von Seiten der Verteidiger des status quo die Idee der natürlichen Selektion und des Überlebens des Tüchtigsten entgegengehalten wurde, Einwände, die wenige Jahrzehnte später revidiert wurden. Salt sieht in der zeitgenössischen Forschung, z.B. in den Arbeiten von Kropotkin 21 , Anzeichen dafür, daß die Wissenschaft auf dem Wege sei, zu erkennen, daß der Wettstreit keineswegs den einzigen grundlegenden Charakterzug der Natur darstellt, sondern auch kooperative Grundmuster erkennbar sind. Gegen den Vorwurf den Sentimentalität verteidigt sich Salt, indem er darauf verweist, daß der Vorwurf sinnvollerweise nur gegen eine Position gerichtet werden kann, die inkonsistent ist und Mitgefühl in einem Fall aufbringt, aber in einem anderen vermissen läßt, ohne daß sich die beiden Fälle in einer relevanten Hinsicht unterscheiden würden . Aufhauend auf diesem Argument sieht Salt den Grundsatz, allen lebenden Dingen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Rechte von Menschen und Tieren gleicherweise zu achten als bestes Mittel gegen die Gefahr des Sentimentalität an. Die Annahme, das Prinzip der Tierrechte sei in irgend einer Form den Menschenrechten entgegengesetzt, stellt nach Salt einen gravierenden Irrtum dar. Er warnt vor dem speziesistischen Fehlschluß (»specious fallacy «22 ), es sei notwendig, zuerst die zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte zu bekämpfen und die Tierrechtsfrage bis zur Erreichung dieses Zieles auf sich beruhen zu lassen. Vielmehr ist ein ausgedehntes nüchternes Studium beider Komplexe notwendig, um eine Lösung für beide Probleme zu finden. Den Leuten, die vorschlagen, die Behandlung der Tierrechtsfrage so lange aufzuschieben, bis die moralischen und rechtlichen Probleme der Menschen gelöst sind, wirft Salt vor, die Augen vor den alltäglichen drängenden Problemen zu verschließen. Am Ende seiner Ausführungen zur Grundlegung der Theorie faßt Salt seine Erkenntnisse zusammen: »Ünce more then, animals have rights, and these rights consist in the >restric20
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AR 25. AR26. AR27.
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ted freedom< to live a natural life - a life, that is, which permits of the individual development - subject to the limitations imposed by the permanent needs and interests of the community. There is nothing quixotic or visionary in this assertion; it is perfectly compatible with a readiness to look the sternest laws of existence fully and honestly in the face. If we must kill, whether it be man or animal, !et us kill and have clone with it; if we must inflict pain, !et us do what is inevitable, without hypocrisy, or evasion, or cant. But (here is the cardinal point) !et us first be assured that it is necessary; !et us not wantonly trade on the needless miseries of other beings, and then attempt to lull our consciences by a series of shuffling excuses which cannot endure a moment's candid investigation« 21 •
2.2.3 Der Fall der domestizierten Tiere Wird die Stichhaltigkeit des grundlegenden Arguments zugestanden, daß Tieren natürliche Rechte zukommen, ist es unerheblich, ob es sich dabei um wildlebende oder domestizierte handelt 24 • Wenn Salt die domestizierten Tieren trotzdem gesondert behandelt, liegt der Grund einzig darin, daß in diesem Fall die Lebensform der Tiere besonders augenfällig vom Menschen geprägt wird. Daher können selbst hartnäckigste Leugner der Tierrechte die Verantwortlichkeit des Menschen in diesem Bereich nicht in Abrede stellen. Salt führt den Leserinnen die zahllosen Dienste der Tiere vor Augen, die diese in jeder Stadt und in jedem Land der Erde zugunsten des Menschen leisten. Rhetorisch fragt er, ob eine Gesellschaft, die den geringsten Anspruch darauf erhebt, menschlich genannt zu werden, es sich erlauben wird, die riesigen Erträge aus der Arbeit der Tiere einzuheimsen, ohne sich den Tieren gegenüber verpflichtet zu fühlen, ihre Belange zu berücksichtigen. Salt betont, daß schon zu seiner Zeit von niemandem mehr grundsätzlich in Abrede gestellt wird, daß Tieren Rechte zukämen. Allerdings sei der menschliche Geist erfinderisch, wenn es darum geht, den Umfang seiner moralischen Pflichten zu schmälern; dies werde nirgendwo deutlicher sichtbar als bei der Behandlung der Tiere (»lower races« 25 ). Die Sozialethik ist nach Salt flexibel genug, nahezu jedes System zu rechtfertigen, dessen Aufgabe für uns Menschen Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde. Als Beleg führt Sa!t die These des Bischof von Carlisle an, der behauptet, daß die AR 28 f. " Kapitel 2, The Case of Domestic Animals, AR 30 ff. " AR31.
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domestizierten Tiere nach ihrem eigenen Standard in einem Zustand nahezu perfekter Glückseligkeit leben, und daraus das Recht des Menschen ableitet, von ihnen Gegenleistungen zu fordern. Demgegenüber betont Salt, daß die Menschen die Tiere aus einem freien und natürlichen Zustand herausgerissen hätten, um von ihnen zu profitieren. Es kann daher nicht unter Hinweis auf eine angebliche menschliche Vorleistung geltend gemacht werden, die Tiere schuldeten uns Dankbarkeit und auf diese Weise den Konsequenzen der Anerkennung der Rechte der Tiere entgangen werden. Salt distanziert sich aber auch von Autorinnen, welche die Legitimität der Verfügungsgewalt des Menschen über Tiere prinzipiell und in jedem Falle ablehnen. Pragmatisch gesehen erscheint es ihm unmöglich, plötzlich auf die Arbeit der Tiere zu verzichten, wie es auch unmöglich wäre, ohne die Arbeit der Menschen auszukommen. Zu dem gegebenen Zeitpunkt erscheint es ihm aber möglich, die Arbeit der Menschen und Tiere so zu gestalten, daß diese auch Annehmlichkeiten enthält und nicht ein Leben voller Ungerechtigkeit und Mißhandlung bedeutet. Nachdem Salt die Willkürlichkeit der englischen Gesetzgebung seiner Zeit kritisiert hat, die gewisse Tiere als wild erklärt, obwohl sie domestiziert sind und ihnen damit den Schutz der Gesetzgebung vorenthält, nimmt er eine Unterteilung vor, welche für die folgenden Ausführungen die Tiere in drei Gruppen unterteilt: (1) Pferde, Esel, Maultiere, (2) Ochsen, Schafe, Ziegen und Schweine sowie (3) Hunde und Katzen. Salt wendet sich daraufhin der Frage zu, welche Rechte domestizierten Tieren zukommen. Er zitiert Humphry Primat, der diese Rechte in den drei Stichworten »Essen, Ruhe und sanfte Verwendung«26 umschrieben hat und fordert - einem Diktum von Montaigne folgend-, daß wir Tieren Gerechtigkeit, Gnade und Wohlwollen schulden, da gegenseitige Verpflichtungen zwischen ihnen und uns Menschen bestehen. Im Blick auf die Lebensweise der domestizierten Tiere zu seiner Zeit stellt Salt fest, daß die ganze Behandlung der Tiere von Anfang bis Ende eine einzige Verneinung ihrer Intelligenz und ihrer Individualität sei. Tiere werden behandelt, als ob sie bloße Instrumente des menschlichen Willens wären und einzig zu seinem Vergnügen existierten. Salt schildert das im urbanen England seiner Zeit überall ge26
AR 34.
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genwärtige Bild der unterernährten und überladenen Zugpferde, die unter der Brutalität der Kutscher und ihrer Peitsche leiden. Dabei gehören die Pferde (neben Eseln und Maultieren) zu der Gruppe von Tieren, denen gegenüber Menschen wenigstens gewisse Rücksicht walten lassen. Bei der zweiten Kategorie von Tieren diskutiert Salt die Kastration. Sie kann nach Salt nur durch dringlichste Notwendigkeit gerechtfertigt werden, weil ein solcher Eingriff ohne Anästhesie nicht nur schmerzhaft ist, sondern diese Wesen eines der kraftvollsten und belebendsten Elemente ihres Charakters beraubt. Daher ist dieser Eingriff zum Zwecke der Machtausübung über die Tiere ein Indiz des falschen Verhältnisses zu ihnen und die Kastration zum Zwecke der Veränderung des Fleischgeschmackes im höchsten Maße unnötig und ungerechtfertigt. Die dritte Gruppe von Tieren, welche Katzen und Hunde umfaßt, wird im Ganzen gesehen besser behandelt als jede andere Tierart. Wie weit die Menschen aber noch von einer rationalen und konsistenten Einschätzung ihres Wertes entfernt sind, wird für Salt daran deutlich, daß viele gebildete Leute in Hunden ein geeignetes Objekt für die »wissenschaftliche Folter« (»experimental torture «27 ) sehen. Wenn Tierheime gegründet werden, um Hunde und Katzen zu ernähren, ist dies zwar ein Zeichen für das humane Mitgefühl (»humane feeling «28 ) , das sich in Teilen der Bevölkerung regt, aber auch ein Beweis für die allgemeine Gleichgültigkeit der Menschen, die es erträgt, daß die Tiere, die dem Menschen am nächsten stehen, heimatlos werden. überhaupt erscheint es Salt fraglich, ob das Los der Haustiere dem Los der Lasttiere vorzuziehen sei. Zwar werden die Tiere oft mit sentimentalen Gefühlen überschüttet, aber dies sei auch leichter, als dem Tier wirklich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Salt erinnert daran, daß Tiere nicht bloß zum Vergnügen ihrer Besitzer existieren - sowenig wie zu ihrem kaufmännischen Profit. Aufgrund dieser Betrachtungsweise ist für ihn das Los vieler Haustiere, die als eine nutzlose Puppe gehalten werden, nur um einen Grad besser als das Schicksal der Lasttiere. Namentlich entspringen beide dem festen Glauben, daß das Leben eines Tiere keinen eigenen Sinn (»no moral purpose«29 ) habe. In seinem Fazit zur Lage der domestizierten Tiere hält Salt fest, daß 27
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AR 41. AR 42. A R 43.
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diese Tiere neben den universalen Rechten, die sie gemeinsam mit allen intelligenten Wesen besitzen, spezielle Rechte auf die Freundlichkeit (»courtesy«30 ) und Fairneß des Menschen haben, da sie nicht nur seine Mitgeschöpfe sind, sondern Mitarbeiter, von ihm Abhängige und - in vielen Fällen - seine Hausgenossen. 2.2.4 Der Fall der wilden Tiere Daß freilebende wie domestizierte Tiere Rechte besitzen, folgt für Salt unmittelbar aus der Annahme des Prinzips des ius animalium, wenn auch in ihrem Fall die Rechte einen weniger positiven Charakter besitzen und schwerer zu definieren sind 31 • Dabei ist es von größter Bedeutung, festzuhalten, daß die Rechte der Tiere nicht aus dem menschlichen Eigentumsrecht hergeleitet werden können. Vielmehr müssen wir nach Salt unsere Beachtung (»sympathy «32 ) und unseren Schutz auch auf Tiere ausdehnen, die nicht Besitz eines Menschen sind. Bis zur Annahme des »Martin's Act« von 1822 konnte auch die haarsträubendste Mißhandlung eines Tieres nur dann von der Justiz geahndet werden, wenn dadurch menschliche Eigentumsrechte verletzt wurden. Bei den wildlebenden Tieren hatte diese Eigenheit der Rechtsprechung die Folge, daß die Tiere (mit der Ausnahme der Vögel, die durch den »Wild Birds' Protection Act« von 1880 vor gewissen Arten des Mißbrauchs geschützt waren) der menschlichen Willkür vollkommen ausgeliefert waren und auch die monströsesten Mißhandlungen nicht geahndet wurden, solange keine Eigentumsrechte verletzt wurden. Aber freilebende Tiere haben für Salt zweifelsfrei das gleiche Rechte wie andere Tiere, ihr Leben frei von Verletzung und Belästigung zu führen, außer wenn dies in irgend einer Weise für das menschliche Wohlergehen abträglich wäre (»except when this is in some way inimical to human welfare «33 ) . Zwar sind wir für Salt durch die stärksten Instinkte - diejenigen der Selbsterhaltung - legitimiert, wenn wir uns gegen eine Vermehrung von Tieren schützen, welche die bestehende Vorherrschaft des Menschen bedrohen würde. Wir sind aber nicht berechtigt, Tiere unnötig zu töten und erst recht nicht, sie zu foltern . Salt vergleicht unser Verhältnis gegenüber freilebenden Tieren mit dem30 31
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AR43. Kapitel 3, The Case of Wild Anirnals, 45 ff. AR 45. AR 46.
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jenigen zivilisierten Nationen (»civilized nations «34 ) zu nicht zivilisierten. Obwohl der Mensch für Salt auf Grund seiner eigenen Bestimmung (»exigencies of his own destiny «35 ) berechtigt ist, seinen Vorrang über die freilebenden Tiere zu behaupten, muß ihm jedes Recht abgesprochen werden, sein Protektorat in eine Tyrannei zu verwandeln oder das Mindeste an unnötigem Schmerz oder Unterwerfung den Tieren zuzumuten. Von dem Leiden der Tiere aus bloßem kulinarischem oder sportlichen Vergnügen zu profitieren, ist für Salt mit der Idee der natürlichen Rechte absolut unvereinbar. Salt wendet sich den Tieren zu, die zwischen domestizierten und freilebenden Tieren stehen, nämlich denjenigen, welche zwar frei geboren sind, vom Menschen aber gefangen worden sind. Salt fragt, ob die Einkerkerung solcher Tiere als eine Verletzung des Prinzips der Tierrechte zu betrachten sei und antwortet, daß diese frage zumindest in den meisten fällen bejaht werden müsse. Dabei setzt er sich mit dem Argument auseinander, daß die Tiere durch die Gefangensetzung ihr Leben behalten, das sie, weil sie um die gleichen Ressourcen wie der Menschen wetteifern, ansonsten verlieren müßten. Diesem Einwand hält Salt entgegen, daß (a) ein schneller Tod einem endlosen Vegetieren (»death in life«36 ) vorzuziehen sei. Die Behauptung, (b) die Tiere empfänden das Leben in ihren Zookäfigen als angenehm, hält Salt für geradezu absurd. Er führt weiter aus, daß (c) das Einsperren dieser Tiere auf engem Raum zum Verlust all ihre charakterlichen Eigenschaften führe . Zudem bestreitet Salt, daß (d) sich durch das Einsperren dieser Tiere irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen lassen. Allerdings schränkt er sein Plädoyer zugunsten der Freiheit der Tiere ein, da er die Gefangensetzung bzw. Dressur der Tiere nicht in jedem fall für unmoralisch hält. Obwohl etwa das Zähmen von Elefanten und ihr Einsatz als Arbeitstiere aus moralischer Sicht bedenklich erscheint und er daher mit Freude dem Tag entgegensieht, da ihnen kein solcher Dienst mehr abgezwungen werden wird, besteht doch ein beträchtlicher Unterschied zwischen einer solchen Intelligenz erfordernden und sinnvollen Tätigkeit und dem Los eines Zootieres, das eine endlose Zeit der Sinnlosigkeit und der Abstumpfung durchleben muß. Wenn die Menschen ein Bedürfnis nach größe34 35
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AR 46. AR47. AR 49.
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rer Nähe zu Tieren haben - gibt Salt den Zoobesucherinnen zu bedenken -, müsse diese Intimität auf einer wirklichen Liebe für diese Wesen als lebendige Kreaturen und Mitgeschöpfe gründen. 2.2.5 Das Schlachten der Tiere zu Ernährungszwecken Für Salt kann keine Diskussion der Tierrechte adäquat und überzeugend sein, welche die Ernährungsfrage nicht aufgreift 37 • Diesen Problemkomplex kritisierten zu seinen Lebenszeiten viele Reformerinnen, welche sich für das Wohl der Tiere einsetzten. Dabei ist Frage für Salt nicht von Bedeutung, wie die Praxis des Fleischessens historisch entstanden ist; entscheidend erscheint ihm vielmehr die Tatsache, daß der Fleischverzehr infolge der Gewohnheit zum Bestandteil der modernen Zivilisation geworden ist. Nun ist es für Salt geradezu grotesk, Rechte eines Wesens zu postulieren, das zugestandenermaßen getötet und als Nahrung verwendet werden darf. Zudem macht es die Billigung der Grausamkeiten gegenüber den zu schlachtenden Tieren schwer, gegen andere Formen der Mißhandlung glaubhaft zu argumentieren . Gegenüber den von Salt zitierten Reformern, welche den Fleischverzehr aus verschiedenen Gründen für legitimierbar halten oder - wie Michelet 38 - seine Unrechtmäßigkeit zwar zugestehen, aber trotzdem dafür plädieren, die Praxis weiterführen, hält Salt fest, daß der Mensch von seiner Natur her nicht karnivor sei, und daß der Fleischkonsum bei Tieren bei Transport und Tötung unaufhebbare Ängste und Schmerzen verursache. Salt hebt zwei Tatsachen hervor: (1) Zum einen sind mit dem Fortschreiten der Zivilisation die Grausamkeiten noch ärger geworden, welche mit dem Schlachten von Tieren untrennbar verbunden sind, weil zum Beispiel Tiere in immer größerer Eile über immer größere Distanzen transportiert werden und dadurch jede Rücksicht auf ihr Wohl verunmöglicht wird. Zum anderen sind viele Leute für das Tierleid sensibel geworden und schrecken vor dem Anblick, der Erwähnung, ja dem bloßen Gedanken der Tierschlachtung zurück. Dies zeigt deutlich, wie stark das Mitempfinden wäre, würde die Schlachtung vor der Öffentlichkeit nicht sorgsam verborgen und einer speziellen Pariah-Klasse von Menschen zugewiesen. 37 38
Kapitel 4, The Slaughter of anirnals for Food, AR 54. AR 58.
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Nun wird die Fleischproduktion zuweilen mit dem Argument verteidigt, ein Tier würde seine Existenz mit all dem Leid und dem unzeitgemäßen Tod wählen, wenn dies der einzige Weg darstellte, um überhaupt existieren zu können. Die meisten dieser Tiere könnten ja ohne die menschliche Praxis des Fleischkonsums gar nicht existieren. Auf diesen Verteidigungsversuch entgegnet Salt, daß Tierrechte mit der Geburt des Tieres beginnen und mit seinem Tod enden und der Mensch seiner Verantwortung diesen Kreaturen gegenüber nicht dadurch entgehen kann, daß er sich auf ein spitzfindiges Argument beruft, welches auf angeblichen Präferenzen in einem imaginären vorgeburtlichen Stadium beruht. Den schlimmsten Effekt des Fleischessens auf die Erfolgsaussichten des Kampfes für die Tierrechte sieht Salt in der Tatsache, daß eine große Zahl von Wesen hervorgebracht wird, deren Lebensberechtigung (»the very raison d'etre «39 ) jede Basis entzogen wird. Während die Tiere in der Natur zwar auch Opfer eines anderen Tieres werden können, gibt es in der Natur auch kooperative Elemente, und vor allem haben die Tiere im Kampf um das überleben eine echte Chance, wohingegen einem zur Schlachtung vorgesehenen Tier von Anfang an jede natürliche Lebensweise unmöglich gemacht wird. Daß es eine flagrante Verletzung der Rechte der Tiere darstellt, wenn ihre Lebensform vollständig durch den Menschen verzerrt wird, ist nach Salt Einschätzung vielen Reformerinnen seiner Zeit klargeworden. 2.2.6 Sport oder Amateur-Schlächterei Obwohl von ihrem Ursprung her eng mit der Praxis des Fleischkonsums verbunden, ist die Jagd zur Lebenszeit Salts zu einer Form der Freizeitgestaltung degeneriert 40 • Die Jagd, die jetzt ohne jede wirkliche Notwendigkeit betrieben wird, gilt ihm als die willkürlichste Verletzung der Rechte der Tiere und läßt sich daher am wenigsten rechtfertigen. Dem Einwand, daß Tiere ohnehin sterben müßten und daher die Jagd aus sportlichen Motiven heraus legitim sei, hält Salt entgegen, daß mit der gleichen Argumentationsstruktur auch die Vorführungen in den römischen Amphitheatern gerechtfertigt werden könnten. Dabei gesteht Salt den Menschen prinzipiell das Recht zu, gefährliche 39
"°
AR 65. Kapitel 5, Sport, or Amateur Butchery, AR 67 ff.
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Spezien auszurotten und hält es für legitimierbar, Wölfe auszurotten, weil sie den Menschen bedrohen. Salt wirft den Jägern in diesem Zusammenhang vor, daß sie nicht einmal die Aufgabe erfüllten, Tiere zu eliminieren, welche die Gemeinschaft bedrohten. Vielmehr sei es ihr erklärtes Ziel, diese Tierarten zu erhalten, da sie durch den Erhalt eines gewissen Bestands ihr Jagdvergnügen verewigen können. Dem Einwand, daß die Jagd notwendig sei, um den englische Nationalcharakter der Männlichkeit zu erhalten, entgegnet Salt, daß es ein Unrecht sei, diese persönlichen Qualitäten auf Kosten unaussprechlichen Leids der Tiere zu fördern. Er gibt zudem zu bedenken, wie ungleich und daher unmännlich die Jagd in Wirklichkeit sei. Unsinnig ist für Salt auch das Argument, die Jagd bringe die Menschen in Kontakt mit der Natur und sei daher gerechtfertigt; er behauptet, auf die gleiche Weise ließe sich ein Bombenattentat auf eine englische Stadt legitimieren, wenn nur die Attentäter vorher eine erlebnisreiche Seereise nach England unternommen hätten. Salt weist darauf hin, daß durch den Einsatz von Attrappen eine Jagd durchgeführt werden könnte, bei welcher die Fähigkeit der Hunde und der Reiter auf die Probe gestellt würde, ohne daß dabei ein lebendes, zutiefst erschrecktes Wesen um sein Leben rennen müßte; da aber die Jäger am blutigen Ausgang Gefallen finden, erscheint ihnen eine solche Attrappenjagd nicht attraktiv. Salt wendet sich auch dem Schicksal der Kaninchen, der Ratten und anderer Kleintiere zu. Er sieht in ihrer Behandlung durch den Menschen die verhängnisvolle Wirksamkeit der Namengebung bestätigt. Den zahllosen Mißhandlungen von Kleintieren durch Kinder und dem Schicksal der in Schnappfallen an ihren Gliedmaßen zerquetschten, oft stunden-, ja tagelang leidenden Ratten und Mäusen begegnen die Menschen mit der größten Gleichgültigkeit, die auf der Einschätzung beruht, es handle sich bei diesen Wesen ja um Schädlinge (»vermin «41 ). Die Argumente, welche Salt gegen die Praxis der Hetzjagd angeführt hat, gelten ihm zufolge - möglicherweise etwas abgeschwächt auch bezüglich der Praxis des (gewöhnlichen) Jagens und Fischens. Das entscheidende Prinzip ist in all diesen Fälle alleine, daß der Mensch nicht berechtigt ist, aus bloßer Laune heraus Tiere zu töten oder ihnen Leiden zuzufügen.
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AR76.
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2.2.7 Das mörderische Modewarengeschäft Bevor Salt die Praktiken der Bekleidungsindustrie kritisiert, welche die Rechte der Tiere mißachten, schickt er voraus, daß er die Erzeugung von Wolle aus der nachfolgenden Kritik ausnimmt, weil sich diese ohne Verletzung der Tiere gewinnen läßt 42 • Er betont auch, daß nicht die Menschen, die unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse gezwungen sind, Pelztiere oder Vögel zu töten, die eigentlich Schuldigen sind, sondern die Konsumenten dieser Produkte. Auf den Einwand, daß es sich die Gesellschaft schlicht nicht leisten könne, von einem Tag auf den anderen auf sämtliche Produkte zu verzichten, welche zur Zeit von Tieren gewonnen werden, erwidert Salt, daß dies zwar tatsächlich schwer vorstellbar sei, aber nur dann, wenn völlig unrealistischerweise angenommen würde, daß diese Praktiken mit einem Schlag von allen aufgegeben würden. In Wirklichkeit müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß sich ein solcher Wandel langsam vollziehen werde. Eine kurze Reflexion mache klar, daß alle Produkte tierischer Provenienz ersetzbar seien, sobald sich eine ausreichende Nachfrage nach den entsprechenden Alternativ-Gütern gebildet hat. Aus pragmatischen Erwägungen heraus ist der Einsatz zugunsten der Tiere zuerst auf diejenigen Produkte zu lenken, welche lediglich Luxus- und Modebedürfnisse befriedigen, wie überhaupt Fragen des Was und Wo in dieser Reformbewegung von größter Bedeutung sind. Da er die konkreten Umstände der jeweiligen Situation in die moralische Beurteilung mit einbezieht, findet Salt das Tragen von Pelzbekleidung für Eskimos legitimierbar. Daraus darf aber nicht abgeleitet werden, daß diese Bekleidungsart auch unter gänzlich anderen Bedingungen vertretbar sei. So ist etwa der Pelzhandel in England für Salt ein barbarisches und einfältiges Geschäft, weil es bloß dekorativen Zwecken dient. Wenn aber die Pelzindustrie derart bedenklich ist, muß die Praxis des Handels mit Vogelfedern erst recht verurteilt werden. Salt zitiert einen zeitgenössischen Bericht, um zu belegen, welch enorme Ausmaße die Tötung zahlloser Vogelarten zur Gewinnung ihrer Federn bereits erreicht hat. Zwar gibt es niemanden, der diese Ausrottung der Vögel, deren Tötung zudem oft auf eine herzlose und abstoßende Weise erfolgt, zu rechtfertigen versuchte. Aber solange nicht alle Miß42
Kapitel 6, Murderous Millinery, AR 79ff.
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handlungen an Tieren angeprangert werden und die gemeinsame Ursache aller dieser Verletzungen, die Nichtanerkennung der Rechte der Tiere, allen klar geworden ist, werden diese Ungerechtigkeiten kein Ende finden . Damit will Salt aber nicht die Bemühungen zur Bekämpfung einzelner, besonders gravierender Mißhandlungen von Tieren entmutigen. Doch betont er, daß auch hier die eigentlich Schuldigen die Konsumentinnen sind, welche durch den Kauf der federgeschmückten Hüte das Leid der Tiere verursachen, und nicht die Vogelfänger und -händler. Freilich ist es schwierig, bei den Schuldigen ein Bewußtsein für ihre Verfehlungen zu erreichen, weil sie durch die Delegation des blutigen Geschäftes kaum noch der Konsequenzen ihres Tuns gewahr werden. Während die Jägerinnen die Folgen ihres Handels erleben und nur durch eine Betäubung oder Verwirrung ihres moralischen Urteils (»obtuseness or confusion of the moral faculties «43 ) keine Gewissensbisse verspüren, besitzen die Käuferinnen der mit Vogelfedern geschmückten Kleider Mitgefühl genug; schieres Unwissen oder Gedankenlosigkeit sind es, welche sie in ihren Kaufgewohnheiten verharren lassen. Salt vermutet, daß die Käuferinnen auf der Stelle solche Produkte boykottieren würden, wenn ihnen die Umstände vor Augen geführt würden, unter welchen diese Federn gewonnen wurden . Weil aber letztlich alle Mißbräuche zusammenhängen, ist es nach Salt möglicherweise wissenschaftlich gesehen falsch, zu behaupten, gewisse Praktiken seien schlimmer als andere. In Wahrheit besitzen die einzelnen Mißbräuche wie die Köpfe einer Hydra zwar einen eigenen Charakter und sind verschieden voneinander, aber sie weisen einen identischen Wesenskern auf und sind moralisch gleicherweise verwerflich. Während der Fleischkonsum die größte Zahl der Tiere betrifft, sich der Sport (der Hetzjagd) durch eine beispiellose Grausamkeit auszeichnet, zeigt die Vogeljagd auf erschreckende Weise die Unfähigkeit des Menschen auf, seine moralische Verantwortung wahrzunehmen. 2.2.8 Experimentelle Folter Obwohl die Verwendung von Tieren als Untersuchungsobjekte der Wissenschaft nicht der gedankenlosen Gleichgültigkeit entspringt, welche etwa die Jagd auszeichnet, sondern eine überdachte und ent43
AR 88.
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schlossene Planung vorausgeht, liegt ihr doch das gleiche unberechtigte Vorurteil zugrunde, welche die anderen Mißbräuche der Tiere möglich macht 44 • Mag auch der Geist einer Wissenschaftlerin von dem eines Jägers radikal verschieden sein, einig sind sich beide in der fälschlichen Annahme, daß Tiere bloße Automaten seien, denen Geist (»spirit« 45 ), Charakter und Individualität abgehen. Diese gleiche Fehleinschätzung ist es, welche in beiden Fällen dazu führt, den Tieren in der Praxis auch die elementarsten Rechte abzusprechen. Die analytische Methode, welche die moderne Wissenschaft zu der Erkenntnis der engen Verbindung zwischen Menschen und (anderen) Tieren führte, hatte gleichzeitig die schlimmsten Folgen hinsichtlich der Akzeptanz eines ius animalium und der Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Denn in den weitaus meisten Fällen wird die Naturwissenschaftlerin die Individualität des untersuchten Tieres - die für Salt entscheidende Eigenschaft eines solchen Wesens - ignorieren und aus Sektionen Wissen zu gewinnen suchen, eine Tätigkeit, die Salt als Anhäufung von Einzeltatsachen charakterisiert, die aus der Untersuchung von Leichen gewonnenen wurden. Demgegenüber zitiert Salt als Beispiel einer moralisch angemessenen Einstellung Tieren gegenüber eines Passage aus der Feder Thoreaus, der für die Untersuchung dieser Wesen folgenden Grundsatz formuliert: »l think the most important requisite in describing an animal is to be sure that you give its character and spirit, for in that you have, without error, the sum and effect of all its parts known and unknown. Surely the most important part of an animal is its anima, its vital spirit, on which is based its character and all the particulars by which it most concerns us. Yet most scientific books which treat of animals leave this out altogether, and what they describe are, as it were, phenomena of death matter«46 •
Salt sieht die zeitgenössische Naturwissenschaft durch die beklagenswert einseitige und daher irreführende Methodik des Materialismus geprägt, über deren Begrenzungen sich nur wenige Wissenschaftlerinnen zu einem reiferen und umfassenderen Verständnis erheben. Daher ist es nicht erstaunlich, daß die durch einen unbändigen Wissensdurst getriebenen Wissenschaftlerinnen eine experimentelle Folter betreiben, welche gemeinhin »Vivisektion « genannt wird - eine Kapitel 7, Experimental Torture, AR 90 ff. AR 90. "' AR 91f. 44
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Bezeichnung, die Sah noch für einen Euphemismus hält. Obwohl die Wissenschaftlerinnen die Lehre Descartes vehement verneinen, Tiere seien bloße Automaten, behandeln sie diese doch in Praxis, als ob sie solche wären. Zudem sieht Sah in diesen Wissenschaftlerinnen die direkten Nachkommen einer Klasse von Menschen, die - so freundlich und rücksichtsvoll sie sonst auch sein mögen - nie Skrupel empfunden haben, die stärksten Forderungen der Menschlichkeit den geringsten vermuteten Interessen der Wissenschaft unterzuordnen. Obwohl die Vivisektion nicht ein unerklärliches Phänomen ist, wie viele ihre Gegner glauben, sondern der gleichen Grundhaltung entspringt, welche der Hetzjagd zugrunde liegt, ist sie deswegen nicht weniger verabscheuungswürdig und moralisch ungerechtfertigt. Es ist sinnlos, sich für die Rechte der Tiere einzusetzen, wenn ein solches Recht nicht das vollumfängliche und ausnahmslose Recht beinhaltet, vor der Vivisektion bewahrt zu werden. Wenn ein Tier nicht das Recht hat - zitiert Salt Frau Cobbe -, vor der »wissenschaftlichen Inquisition «47 beschützt zu werden, dann besitzt es überhaupt keine Rechte und Übergriffe gegen diese Wesen können nicht strafbar sein. Wer wie E. B. Nicholson in seinem Werk »The Rights of an Animal «48 behauptet, die Vivisektion sei moralisch legitimierbar, gibt deshalb für Salt die ganze Sache der Tierrechte auf. Dem Argument, die Vivisektion sei durch ihren Nutzen gerechtfertigt, hält Sah entgegen, daß die Annahme, die Vivisektion trage zum medizinischen Fortschritt bei, fraglich sei; doch selbst wenn dieser Beitrag zugestanden würde, müßte immer noch die moralische Seite in Betracht gezogen werden. Aus der moralischen Perspektive bliebe es ein schweres Unrecht und eine gravierende Ungerechtigkeit gegenüber dem humanen Sinn der Gesellschaft (»humane sense of the community«49 ), ein unschuldiges Tier zu foltern. Nichts kann für Salt notwendig sein, was abscheulich, widerwärtig und unerträglich für den humanen Sinn ist (»to the general instincts of humanity«50 ). Dem Rechtfertigungsversuch, auch Tiere würden von den Erkenntnissen der Vivisektion profitieren, hält Salt die rhetorische Frage entgegen, wieso sich denn keine menschlichen Freiwilligen gefunden hätten, die bereit wären, für den Fortschritt der Medizin unter den 47 48 49 50
AR 95. E. B: Nicholson, The Rights of an animal, o. 0. 1879. AR 97. AR 98.
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Händen der Forscher zu sterben. Dies erscheint um so verwunderlicher, als es ja offensichtlich ist, daß Experimente an Menschen für die Humanmedizin wertvoller und aufschlußreicher sein würden als Experimente an Tieren. In diesem Falle wird von der Ärzteschaft aber auf die moralischen Implikationen eines solchen Versuches hingewiesen und der Vorwurf, es würden heimlich an ärmeren Patientinnen in Englands Spitälern anatomische Untersuchungen vorgenommen, wird von der Zunft der Mediziner mit Entrüstung von sich gewiesen. Wie ist aber eine solche Inkonsistenz zu verstehen, wenn nicht die Annahme zugrunde liegt, daß die Menschen Rechte hätten, die Tiere aber nicht, mit anderen Worten, daß die Tiere bloße Dinge seien, die keinen Anspruch auf Gerechtigkeit und Nachsicht der menschlichen Gemeinschaft erheben können? Wenn die Vivisektoren auf die Grausamkeit der Hetzjagd oder der Fleischproduktion verweisen, kann diese Entgegnung nur gegenüber Jägern oder Fleischkonsumenten vorgebracht werden, gegenüber jemandem, der jegliche Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegenüber Tieren ablehnt, verliert dieses Argument seine Geltungskraft. Zwar mag der Vivisektor vorbringen, daß sein Handeln nicht aus bloßer Unwissenheit oder Unbedachtsamkeit erfolgt, sondern wohlüberlegt ist; andererseits ist gerade der Umstand, daß ihr Handeln eine bewußte, willentliche und eingestandene Beeinträchtigung des Prinzips der Tierrechte darstellt, besohders erschreckend. Daher stellt die Vivisektion für Salt die Spitze (»ne plus ultra« 51 ) der Ungerechtigkeit des menschlichen Umgangs mit dem Tier dar. freilich ist die Vivisektion nicht die Wurzel, sondern vielmehr die Frucht des eigentlichen Übels: »The root of the evil lies, as I have throughout asserted, in the detestable assumption (detestable equally whether it be based on pseudo-religious or pseudo-scientific grounds) that there is a gulf, an impassable barrier, between man and animals, and that the moral instincts of compassion, justice, and love, are to be as sedulously repressed and thwarted in the one direction as they are to be fostered and extended in the other« 52 •
Henry Salt begrüßt das pragmatische Vorgehen beim Kampf für die Rechte der Tiere, das sich auf besonders abstoßende Formen der Mißachtung der Tierrechte konzentriert und dann schrittweise weitere Mißhandlungen anprangert. Allerdings muß dabei immer bewußt
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AR 102. AR 102.
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bleiben, daß jeglicher Einzelkampf auf einer gemeinsamen Basis beruht, nämlich der konsistenten Ablehnung jeglichen Mißbrauchs der Tiere aufgrund der Anerkennung ihrer natürlichen Rechte. 2.2.9 Reformansätze Da es Salts Hauptanliegen war, eine allgemeine Theorie der Tierrechte zu begründen und nicht möglichst umfassend Fälle von Ungerechtigkeiten an Tieren zu dokumentieren - eine Aufgabe, die andere Autorinnen ausreichend besorgt hatten -, begnügt er sich mit einem Zitat von Primatt, um in Erinnerung zu rufen, wie groß und zahlreich die Dienstleistungen der Tiere zugunsten des Menschen sind und wie wenig der Mensch umgekehrt zum Wohl der Tiere beigetragen hat 53 . Aussichtsreicher als der Kampf gegen einzelne Formen des Mißbrauchs erscheint Salt die Etablierung eines Kriteriums, das alle Arten des Mißbrauchs als solche erweist und als Prüfstein des menschlichen Umgangs mit Tieren dient. Dieses Kriterium bildet die Anerkennung bzw. Mißachtung des tierischen wie menschlichen Rechts, vor jedem unnötigen Leid sowie aller Leibeigenschaft bewahrt zu werden und ein natürliches Leben zu führen, dessen Freiheit nur durch die legitimen Erfordernisse der Gemeinschaft eingeschränkt ist. Auf den vom Autor selbst vorweggenommenen Einwand, mit dem Zugeständnis der grundsätzlichen Möglichkeit der Einschränkungen der Freiheit entstehe ein Schlupfloch, da bei jedem Mißbrauch der Tiere eine Notwendigkeit behauptet werden kann, entgegnet Salt, daß eine solche Schwierigkeit unausweichlich sei. Er sieht nämlich keine Möglichkeit, Rechte - sei es für Tiere oder Menschen - auf eine Weise zu formulieren, welche nicht gewisse Ausnahmen (»evasion«54 ) zuläßt. Wenn aber Verantwortliche für die Urteilsfindung bestimmt sind, ob wirkliche gesellschaftliche Erfordernisse die Einschränkung der Rechte der Tiere erfordern, kann darauf vertraut werden, daß das öffentliche Bewußtsein und das individuelle Gewissen in wechselseitiger Beeinflußung die einzig mögliche Lösung dieses schwierigen und vielseitigen Problems wenn auch langsam, so desto sicherer finden werden. Dabei ist ein Einsatz für die Rechte der Tiere nicht aus einer sentimentalen, träumerischen Grundhaltung möglich; Salt plädiert dafür, 53 54
Kapitel 8, Lines of Reform, AR 104 ff. AR 106.
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nicht die Augen davor zu verschließen, daß in der Natur Böses existiert, und daß auch das Leben der Tiere (wie das menschliche) zu einem beträchtlichen Anteil durch Gewalt und Raub geprägt wird. Aus diesem Grund sei es zur Zeit unmöglich, eine vollständige, logisch konsistente Philosophie der Rechte zu begründen; doch darf dieser Tatbestand nach Salt keine Ausrede darstellen, um sich nicht mit dem Problem zu beschäftigen. Salt drückt sein Vertrauen aus, daß sich der humane Geist (»humane instinct« 55 ) weiterentwickeln und Fragen lösen wird, die uns jetzt noch als absurd erscheinen. Sich für die Rechte der Tiere einzusetzen, heißt nicht nur, für Sympathie mit und Gerechtigkeit gegenüber den Opfern des Mißbrauchs zu plädieren, sondern vor allem, sich zugunsten des Loses der Menschheit einsetzen: »Üur true civilisation, our race-progress, our humanity (in the best sense of the term) are concerned in this development; it is ourselves, our own vital instincts, that we wrong, when we trample on the rights of the fellow-beings, human or animal, over whom we chance to hold jurisdiction« 56 •
Die Idee der Humanität ist nicht mehr länger auf die Menschen begrenzt, sie beginnt, sich auf die niederen Tiere auszuweiten, so wie sie früher auf Wilde und Sklaven ausgeweitet wurde. Salt zitiert Thoreau, der auch in den Tieren eine Seele wirken sieht, welche ihr Schicksal erfüllt wie die menschliche. Er verweist auf die Erkenntnisse der Evolutionstheorie, welche die vermeintliche Kluft, die das Judentum und das Christentum zwischen menschlichen und tierischen Geistesleistungen postuliert hat, als bloß graduelle Unterschiede auffaßt. Die Isolierung des Menschen von der Natur ist der Preis, den wir Salt zufolge dafür bezahlen, daß wir eine höchst einseitige »Zivilisation« errichtet haben. Er glaubt in seiner Zeit Zeichen einer neuen Hinwendung zur Natur zu erkennen, wie sie Rousseau gefordert hatte. Diese Rückwendung zur Natur wird aber keine Aufgabe der Vernunfttätigkeit zur Folge haben, sondern im Gegenteil der Vernunft zu ihrer wirklichen Rationalität verhelfen, wenn sie in perfekter Harmonie mit den tief verwurzelten emotionalen Instinkten und Sympathien tätig ist. Der wahre Wissenschaftler und Humanist wird Herz und Gehirn versöhnen und so wiederfinden, was im bisherigen Prozeß der Wissensgewinnung verloren ging: die Sicherheit der instinktiven Bega;s AR 110. ;• AR 111.
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bung (»the sureness of intuitive faculty« 57 ), welche Menschen und Tieren gleichermaßen eingepflanzt worden ist. Salt bemerkt, daß den Verfechterinnen der Tierrechte nicht ganz zu Unrecht der Vorwurf gemacht wird, sie seien gegenüber dem Kampf für die Menschenrechte oft gleichgültig. Freilich gilt auch die umgekehrte Aussage, daß die Kämpferinnen für die Menschenrechte nicht selten skeptisch, ja sogar feindlich gegenüber dem Anliegen der Tierrechte eingestellt sind. Da beide in Salts Sicht im Grunde genommen für die gleiche Sache arbeiten, fordert er von den Parteien, sich zumindest nicht gegenseitig zu bekämpfen, wenn sie nicht zur eigentlich gebotenen Kooperation zusammenfinden. Der Vormarsch der Demokratie wird die Situation der Tiere erheblich verbessern, da im gegenwärtigen ungerechten politisch-sozialen System nach Salt keine Aussicht besteht, daß das Los der Tiere die angemessene Berücksichtigung findet. Wenn schon das Wohlbefinden von Männern und Frauen rücksichtslos dem Profit geopfert wird, welche Aussicht besteht dann, daß die Tiere vor dem Mißbrauch verschont bleiben? Die meisten Menschen sind unter diesen Umständen außerstande die Tiere zu behandeln, wie es diesen eigentlich zusteht. Aber gibt Salt zu bedenken - es sind die Adeligen, welche nicht unter diesen wirtschaftlichen Zwängen leben, welche ein Verbot des Taubenschießens in England bislang verhindert haben. Wenn die Emanzipation des Menschen letztlich die Befreiung der Tieres mit sich bringt wird, fragt es sich, mit welchem Mittel dieses Ziel erreicht werden soll. Salt sieht zwei Instrumente, welche gelegentlich als prinzipiell widersprüchlich angesehen werden, obwohl sie ihm zufolge nicht nur miteinander verträglich sind, sondern sogar gegenseitig von Nutzen sein können und in einem gewissen Maße voneinander abhängig sind. Salt empfiehlt, beide Instrumente gleichzeitig zu nutzen, das erstere als hauptsächliches Instrument der Reform, das andere als Hilfs- und Ergänzungsmittel: Die Erziehung, im weitesten Sinne des Wortes verstanden, ist immer die Vorläuferin und die Bedingung humanitären Fortschritts gewesen und wird es immer sein. Freilich gilt es nicht nur die Kinder zu erziehen, sondern auch die Wissenschaftlerinnen, die Religionslehrer, die Moralisten und die Gebildeten. Wie aber ist ein derart ambitiöses Erziehungsziel erreichbar? Salt propagiert neben den bestehenden Initiativen zur Beseitigung der Mißbräuche von Tieren einen intellektuellen und sozialen Kreuzzug 57
AR 114.
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gegen den wichtigsten Grund der Unterdrückung, die Mißachtung der natürlichen Verwandtschaft von Mensch und Tier und ihrer Konsequenz, der Verneinung der Existenz von natürlichen Tierrechten. Die Gesetzgebung bildet die geeignete Fortsetzung und Ergänzung des Kampfes für die Besserstellung der Tiere. Die Gesetze eines Landes sind für Salt ein Register des moralischen Sinnes einer Gemeinschaft. Zwar folgt die Gesetzgebung der Entwicklung des moralischen Sinnes und geht ihm nicht voraus, aber trotzdem wirkt sie auf den moralischen Sinn ein, stärkt ihn und sichert ihn gegen die Gefahr des Rückschrittes. Daher hält Salt den Einwand nicht für gerechtfertigt, daß die richterliche Gewalt kein wirksamer Weg der Reform sei. Er betont, daß es für das Gesetz eine besonders wichtige Aufgabe sei, die Schwachen und Hilflosen vor Gewalt und Aggression zu schützen. Salt tritt auch der Befürchtung entgegeh, die Gerichtspersonen würden im Zweifelsfall nicht zu unterscheiden wissen, wann ein Mensch sich dem Tier gegenüber als Meister aufführe und wann als Peiniger. Zum Abschluß seiner Argumentationskette führt Salt eine Liste von Gesetzesinitiativen an, welche ihm vordringlich erscheinen. Dabei schickt er voraus, daß es naturgemäß nur möglich sei, diejenigen Rechtsverletzungen zu bestrafen, welche von der Bevölkerung als solche anerkannt werden. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, daß gewisse Grausamkeiten dadurch strafbar gemacht werden können, daß bestehende Gesetze neu und umfassender interpretiert werden, eine Möglichkeit, die durch die vage Formulierung gewisser Gesetzestexte erleichtert wird. Als dringendstes Gesetzesvorhaben sieht Salt das Verbot der Jagd gefangener oder gezähmter Tiere (»Royal Buckhounds«58 ) , den Schutz der »Schädlinge« (»vermin «59 ) vor ungerechtfertigter Folter und das Verbot oder die Einschränkung der Verwendung von Schnappfallen. Als besonders wichtig erscheint Salt darüber hinaus die gesetzliche Regelung des Transportes von Schlachtvieh. Im weiteren hält er es für nötig, private Schlachthäuser zu verbieten und dieselben staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Schließlich muß die Gesetzgebung die Vivisektion vollständig und ohne jede Ausnahme verbieten. Am Schluß seiner Ausführungen zieht Salt ein Fazit seiner Überlegungen: Er erinnert daran, daß die von ihm angestrebte Anerkennung der Rechte der Tiere und ihre Implikationen nicht durch eine 58 AR 128. " AR 128.
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plötzliche Bekehrung der Bevölkerungsmehrheit erreicht werden kann, welche Salt immer noch von aggressiven und selbstsüchtigen Motiven beherrscht sieht. Nur ein allmählicher Fortschritt des Sinnes für die Gleichheit wird diesen Wandel herbeiführen. Aufgrund dieser Einschätzung ist es vor allem die Aufgabe der Reformer, das Problem in ein helles Licht zu stellen und sich klar zu werden, wer Freund und wer Feind dieses Vorhabens ist. Schließlich betont Salt, daß die kommende Realisierung der Menschenrechte - zwar mit Verzögerung, aber unaufhaltsam - diejenige der Rechte der Tiere mit sich bringen wird.
2.3 Kritik an Henry Salts Theorie der Tierrechte
Meine Kritik und Würdigung von Salts Theorie der Rechte der Tiere gliedert sich auf die folgende Weise: Zuerst untersuche ich die Aktualität des Werkes für die zeitgenössische Diskussion angesichts der Tatsache, daß es vor über 100 Jahren verfaßt worden ist (2.3.1). Danach skizziere ich Salts Grundannahmen, die auch das Fundament seines Werks über die Rechte der Tiere bilden (2.3.2). In einem nächsten Schritt gilt es, die Auswirkungen dieser Grundannahmen auf Salts Behandlung der Tierrechtsproblematik nachzuweisen (2.3.3), und schließlich wird die Frage untersucht, ob die Theorie von Salt adäquate Lösungen für die aufgeworfenen Fragestellungen zu entwickeln vermag (2.3.4). 2.3.1 Zur Aktualität von Salts Werk Peter Singer, dessen Werk »Anima! Liberation« die zeitgenössische Diskussion um den moralischen Status der Tiere neu entfacht hat, rühmt im Vorwort zu Salts Werk dessen Bedeutung für die zeitgenössische Diskussion und sieht in »Animals' Rights« ein Buch, das weit mehr als nur geisteshistorisches Interesse verdiene. Obwohl Salts Buch nur eines von vielen im 18. und 19. Jahrhundert zur Frage der Rechte der Tiere verfaßten Werke darstellt, ragt es doch aus diesen aufgrund seiner bleibenden Aktualität hervor. Tatsächlich nimmt Salt fast jedes Argument voraus, das auch heute die Diskussion prägt, und Singer gesteht ein, daß die Verteidiger der Tierrechte dem Gedankengang von Salt kaum Neues beigefügt haben. Aber auch die Gegner der Tierrechte konnten nach Einschätzung des
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australischen Philosophen nur selten Argumente beibringen, die nicht schon von Sa!t eine Entgegnung gefunden hätten. Wenngleich das Urteil des renommierten Tierrechtlers genügen mag, um die Aktualität von Salts Werken zu erweisen, ist zum tieferen Verständnis seines Ansatzes doch eine Betrachtung notwendig, inwieweit sich (a) die sozioökonomischen Verhältnisse und (b) das öffentliche Bewußtsein sowie - aus beiden resultierend - (c) die Fragestellung der Tierrechtsdebatte seit 1892 verändert haben und dadurch die Aussagekraft von Salts Werk beeinflussen. (a) Seit 1892 hat in der westlich-industrialisierten Welt - und auf diese beschränkt Salt seine Untersuchung im wesentlichen - eine Mechanisierung stattgefunden, durch welche die körperliche Arbeitskraft von Mensch und Tier weitgehend durch die Energie aus Verbrennungs- und Elektromotoren ersetzt worden ist. Diese technische Revolution hatte gewaltige, in der Menschheitsgeschichte wohl einmalig dramatische Umwälzungen des gesamten täglichen Lebens zur Folge. Der Vormarsch und Siegeszug des Maschinenzeitalters wurde von einem erheblichen Teil der Bevölkerung mit Skepsis und Besorgnis verfolgt. Diese Entwicklung brachte nämlich auch neuartige soziale Probleme enormen Ausmaßes mit sich und führte zu einer Belastung der Ökosphäre, welche in manchen Ballungsgebieten lebensbedrohliche Ausmaße annahm . Dieser Vormarsch ist von Salt jedoch ausdrücklich begrüßt worden, weil damit die Tiere - freilich eben nur in der westlichen Industriegesellschaft - von ihrem Los als Zug- und Arbeitstiere weitgehend erlöst wurden. Damit entfällt für diesen geographischen Raum das Problem, unter welchen Umständen die Erzwingung der tierischen Arbeitsleistung zugunsten des Menschen als legitim anzusehen sei. Zudem sind im heutigen Kontext weitere Probleme weggefallen oder haben an Bedeutung verloren, die für Salts Werk von großer Bedeutung sind. Wenn auch heute noch in England Hetzjagden durchgeführt werden und zu vehementen Auseinandersetzungen zwischen Tierrechtlerinnen und Jägern Anlaß geben, so haben doch andere Fragestellungen dieses Thema stark in den Hintergrund gedrängt. Auch die Verwendung von Vogelfedern zu Modezwecken ist derart drastisch zurückgegangen, daß dieses Thema heute in der Tierrechtsdiskussion keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Andererseits gestaltet sich heute die Diskussion des Verhältnisses von Mensch und Tier grundsätzlich viel globaler, als dies bei Salt angelegt ist. Dies rührt daher, daß der Mensch in der vergangenen 100 Jahren nahezu alle Gebiete der Erde unter seine Herrschaft gebracht 85
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hat und in praktisch aller Regionen der Erde die Lebensumstände der Tiere beeinflußt. Der Mensch hat in diesem Zeitraum den Globus mit seiner Infrastruktur überzogen und die tierische Lebensräume teilweise massivsten Eingriffen ausgesetzt. Den dort lebenden Tieren wurde im besten Fall ein verminderter Lebensraum zugestanden, im schlimmsten aber ihrer Existenzgrundlage zerstört. Wie dieses Beanspruchen immer weiterer Gebiete moralisch zu beurteilen sei, ist für Salt noch keine aktuelle Problematik. Seine Antwort auf diese Frage läßt sich auch nicht einfachhin aus seinen Ausführungen bezüglich anderer Problemfälle ableiten. Der Mensch beeinflußt heute nicht nur die Erdoberfläche, sondern auch die Atmosphäre und die Weltmeere auf eine Weise, welche die Lebensqualität, ja das schiere überleben vieler Tierarten gefährdet. Salt stammt demgegenüber noch aus einer Welt, in der sich der Mensch gegenüber gewissen Tieren in einer Notwehrsituation glaubte und sich das Recht zusprach, bedrohliche Tierarten auszurotten. Es tritt deutlich zutage, daß der Mensch in dem Zeitraum, der seit der Publikation von »Animals' Rights« vergangen ist, durch seine Herrschaftsergreifung über den Planeten Erde in ein neues Verhältnis zu den auf ihm lebenden (anderen) Tieren getreten ist. Dieses neue Verhältnisse mußte notwendigerweise die Perspektive der moralischen Beurteilung verändern, wenn auch nicht eo ipso die moralischen Prinzipien selber. (b) Die Menschheit hat in den vergangenen hundert Jahren aber auch große Bewußtseinsveränderungen durchlebt. Zum einem ist das Denken der Menschen des voll entwickelten Industriezeitalters gezwungenermaßen globaler geworden. Die Tatsache, daß die Reichweite der menschlichen Eingriffe drastisch zugenommen hat und diese schon längst den ganzen Planeten und seine vielfach interdependenten Ökosysteme beeinflussen, zwingt die Menschen zumindest aus reinem Selbsterhaltungstrieb, die Auswirkungen menschlichen Wirtschaftens auf den ganzen Planeten zu bedenken. Ein Symbol für dieses neue Denken ist der Umweltgipfel in Rio de Janeiro von 1992 gewesen, auf welchem erstmals Repräsentanten aller Staaten der Erde versuchten, gemeinsam Lösungen für die größten Umweltprobleme zu entwickeln. Wenn auch die Resultate dieser Konferenz bescheiden gewesen sein mögen, symbolisiert dieses Treffen doch das Eingeständnis der Weltgemeinschaft, daß die Folgen menschlicher Einwirkung auf die ökologischen Systeme nur durch eine globale Kooperation zu lösen sind. Auch in der Tierrechtsproblematik ist dieser Paradigmenwechsel weg von einer bloß nationalen Perspektive durchgängig vollzogen worden.
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Gerade diejenigen Gesellschaften, welche den höchsten Grad der wissenschaftlich-technischen Beherrschung der Natur und ihrer Lebenswelt erreicht haben, sind durch die negativen Folgen dieser Entwicklung skeptisch gegenüber dieser Machtergreifung geworden. Die drastischen Folgen der Einwirkung des Menschen auf die Natur sind heute etwa durch die Gefahr des Ozonloches und des Zusammenbruchs ganzer Ökosysteme den meisten Menschen wohl bewußt; entsprechend ist die Bereitschaft gewachsen, dem menschlichen Herrschaftsstreben moralische Grenzen zu setzen und seien sie auch nur durch die ausschließlich auf Menschen bezogene Absicht motiviert, den Nachkommen eine einigermaßen lebenswerte Welt zu überlassen. Die Überzeugung, daß der Mensch nicht alles machen darf, was er technisch vermöchte, wird gewiß gegenüber Salts Zeiten von mehr Menschen geteilt. Naturgemäß konnte diese Entwicklung nicht ohne Einfluß auf die Tierrechtsdebatte bleiben. Denn das Mißtrauen gegenüber der Notwendigkeit und Legitimität immer weiterer Eingriffe in die Natur und die Skepsis gegenüber einem unhinterfragten Primat der wissenschaftlich-technischen Welt mußte auch den Interessen der Tiere einen höheren Stellenwert zukommen lassen. Der Vormarsch der menschlich dominierten »Kulturlandschaftunpersönlich