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German Pages 322 Year 2021
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 521
Der lukrative Schuldvertrag Eine historisch-institutionelle Dekonstruktion seiner Physiognomie
Von
Manuel Gonzalo Casas
Duncker & Humblot · Berlin
MANUEL GONZALO CASAS
Der lukrative Schuldvertrag
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 521
Der lukrative Schuldvertrag Eine historisch-institutionelle Dekonstruktion seiner Physiognomie
Von
Manuel Gonzalo Casas
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-18011-0 (Print) ISBN 978-3-428-58011-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Zwei Menschen, unterschiedlicher Herkunft, begegnen sich zum ersten Mal in einer Wüste, fernab jeder Siedlung. Sie sind sich kulturell fremd. Einer hat Dörrfleisch dabei und ist durstig. Der andere ist hungrig und trägt Wassermelonen1. Was würden sie in dieser Situation tun? Würden sie einen Tauschvertrag abschließen? Würden sie also als Erstes als Händler agieren? Intuitiv bejaht man dies. Das lehrt der gesunde Menschenverstand: Eine Vereinbarung sei ein Vertrag, der Mensch habe eine natürliche Neigung zum lukrativen Austausch und der Staat sei nur ein Hilfsmittel des Marktes. Die vorliegende Rechtsschrift zeigt im Gegenteil – anhand einer historischen, philosophischen, wirtschaftlichen und anthropologischen Analyse des Vertragsprinzips pacta sunt servanda – auf, dass der Staat – oder eine ähnliche Autorität – keine rein unterstützende Funktion hat, sondern ein struktureller Bestandteil des gegenseitigen Schuldvertrages ist: Ohne einen institutionellen Rahmen wären Vereinbarungen nicht bindend und der lukrative Austausch nicht notwendigerweise als Verhaltensmaxime des Menschen eingeführt worden. Zur Analyse der Grundstruktur des lukrativen Schuldvertrages wird der Finanzmarkt, der dominanter Ausdruck des globalen Marktkapitalismus ist, als Referenzmarkt herangezogen. Insbesondere werden der Staatsanleihenmarkt und sein Derivatmarkt berücksichtigt. Der Anstoß zur Untersuchung des Staatsanleihenmarktes und seines Derivatmarktes resultiert nicht nur aus der Tatsache, dass diese Märkte anscheinend auf der Idee der Universalität des lukrativen Schuldvertrages beruhen. Die Wahl des Themas ergibt sich auch aus meinem Status als Argentinier. Mein Land litt nämlich das ganze Jahrtausend unter den Folgen des internationalen Staatsschuldenkonflikts. Dies veranlasste mich, das Funktionieren des Marktes für diese Geschäfte zu betrachten. Ebenso erregten Herkunftsgründe das Interesse an der historischen, philosophischen und anthropologischen Betrachtung des Schuldvertrages. Meine Heimatstadt, San Miguel de Tucumán, ist von Bergen umgeben, die seit jeher von Ureinwohnern bewohnt werden. Dort bestehen immer noch wirtschaftliche Praktiken, die sich von dem Marktvertrag aus der westlichen Gesellschaft unterscheiden. Diese Art von Kontrast wurde mir aber erst in Deutschland deutlich, wo die Marktwirtschaft in einer reinen Fassung stattfindet. Ausgehend von diesem kulturellen Hintergrund wollte ich daher die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, interdisziplinär zu unter-
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Vgl. zu diesem Beispiel G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39.
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Vorwort
suchen, welche die Grundvoraussetzungen für die ordnungsgemäße Entwicklung des Rückgrats des Marktes sind: der lukrative Schuldvertrag. Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis März 2020 berücksichtigt werden. Gewisse Stilempfehlungen bezüglich der literarischen Gattung „Vorwort“ behaupten, dass man nicht dem Betreuer der wissenschaftlichen Arbeit danken sollte. Es wird verstanden, dass die Betreuung der Arbeit Teil seiner Aufgabe ist. Ich kann jedoch nicht übersehen was die außerordentliche Hilfe meines geschätzten Lehrers, Prof. Dr. Marc-Philippe Weller, sowohl in wissenschaftlicher als auch in menschlicher Hinsicht, für mich bedeutete. Er war nicht nur offen und motiviert in der Annahme der Richtung einer Arbeit, die aufgrund ihres interdisziplinären Charakters schwer zu erfassen und zu beherrschen schien. Weller zeigte zudem jederzeit eine besondere Sensibilität für meinen Status als Doktorand aus einem fernen Land. Das hat mir geholfen, Heimweh zu vermeiden sowie Deutschland während meines Aufenthaltes als Heimat zu empfinden. Danken möchte ich auch der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Stipendien für Master- und Promotionsstudium in Deutschland und für den Druckkostenzuschuss dieses Buchs. Ebenfalls danke ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Graduiertenakademie der Universität Heidelberg für das Abschlussstipendium zur Fertigstellung der Dissertation. Ohne all diese großzügige finanzielle Unterstützung wäre es mir nicht möglich gewesen, diese Arbeit zu vollenden und zu veröffentlichen. Spezieller Dank gebührt ferner Adrian Koch, Vanessa Grifo und Greta Göbel, die mir bei der Korrektur des Manuskripts gewissenhaft geholfen haben. Daneben empfinde ich Dankbarkeit gegenüber den Teilnehmern des „Seminario de Derecho Civil“ von der Universitat Pompeu Fabra, des „Seminario de Derecho Comparado“ von der Universidad de Sevilla und der Diskussionsgruppe „Aktuelle Stunde“ von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht). An diesen akademischen Orten referierte ich einige der hier entwickelten Ideen. Die Debatten im Anschluss an diese Präsentationen trugen zum tieferen Verständnis der Thematik dieses Textes bei. Ebenso danke ich Nicolás Salvi, LL.M., Dr. Javier Habib, LL.M. und Prof. Dr. Chris Thomale, LL.M., für die Diskussionen über das Recht im Allgemeinen, die wir führten. Diese Gespräche, insbesondere diejenigen über die kantische Rechtstheorie, haben diese Schrift bereichert. Großer Dank kommt darüber hinaus meiner Familie und meinen argentinischen, lateinamerikanischen und deutschen Freunden zu. Sie waren eine ständige Unterstützung – trotz der knappen Zeit, die ich aufgrund meiner blinden Besessenheit für diese Arbeit zur Verfügung hatte.
Vorwort
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Meine geliebte Partnerin Dr. Daniela López Testa, LL. M. hat mich bei der Ausarbeitung dieses Textes unermüdlich gefördert. Mit unschätzbarer Geduld half sie mir dabei, als meine Gedanken in eine Sackgasse zu geraten schienen. Meine Eltern, Gabriel und „Cachito“ Casas waren die Hauptanhänger meiner Ideen. Sie können zwar kein Deutsch. Sie waren allerdings immer bereit, aus der Ferne meinen endlosen Reflexionen am Telefon zuzuhören. Ihnen allen sei deshalb auf das Herzlichste gedankt und dieses Werk gewidmet. San Miguel de Tucumán, im August 2020
Manuel Gonzalo Casas
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Globales Vertragswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Der Staat als reine Hilfe des Vertrages? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 C. These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 E. Themeneingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1. Kapitel Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt – Seine Verzerrung
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A. Der Wettbewerb der Rechtsprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Die Kommerzialisierung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Der Staatsanleihevertrag und der Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Staatliche Gerichtsbarkeiten als Teil der Finanzplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Mangelnde Transparenz bei der Gerichtsbarkeitsprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Der Kreditderivatemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Die großen Finanzakteure als Richter und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 C. Ursprung der globalen Dysfunktionalität der Vertragsstruktur: Der Marktpopulismus
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D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
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Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Geschichte der Liberalisierung des gegebenen Wortes: Das Prinzip pacta sunt servanda
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A. Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I. Der Grundsatz des Form- und Typenzwangs als Ausdruck des institutionellen Rahmens des römischen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Das pactum als unverbindliche, formfreie Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 B. Das Recht des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Die Theorie der pacta vestita als Erbin vom römischen Prinzip des Form- und Typenzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Rechtfertigung der Vestitur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Handelspraxis: die aequitas mercatoria als Korrektur der Unklagbarkeit der pacta nuda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Niedergang der Vestiturtheorie: ex nudo pacto actionem non nasci als Ausnahme 67 C. Kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Pacta sunt servanda als Verbindlichkeit des gegebenen Wortes . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Kanonische Grundlage der Verbindlichkeit der pacta nuda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Klagbarkeit der pacta nuda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Die causa-Lehre als Brücke zwischen dem Zivilrecht und dem kanonischen Recht 74 D. Schule des Naturrechts: Die einfache Vereinbarung bindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Tatbestand des Vertrages: Vom angenommenen Versprechen zum beiderseitigen Konsens als Willensvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Hugo Grotius: Erster Schritt zum Vertragsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Samuel Pufendorf: Der Vertrag als zwei consensus unius . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Christian Thomasius: Der Vertrag als mutuus consensus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Christian Wolff: Die Gleichsetzung der Willensvereinbarung mit dem Schuldvertrag im deutschen Rechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5. Jean Domat: Das Weiterleben der causa als Entstehungsvoraussetzung der convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6. Robert Joseph Pothier: Der Konsensualvertrag in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Rechtsfolge des Vertrages: Der Grundsatz pacta sunt servanda als die Vertragstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Hugo Grotius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Samuel Pufendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Christian Thomasius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Christian Wolff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5. Jean Domat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Robert Joseph Pothier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Inhaltsverzeichnis
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III. Naturrechtskodifizierungen: Positivierung der formfreien Vereinbarung . . . . . . . . 94 1. Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 E. Die Kodifizierung in Deutschland: Die Gleichstellung der Willenseinigung mit dem obligatorischen und realen Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Historische Rechtsschule: Das Vertragsmodell der Willenserklärungsvereinigung
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II. BGB: Die Kodifizierung des abstrakten Vertragsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 F. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3. Kapitel Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
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A. Ethisches Postulat des Vertrages: Der Mensch mit Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Kategorische Struktur der Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Willensfreiheit als Fähigkeit zur Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Selbstbindung als Voraussetzung und Folge der Selbstbestimmung . . . . . . 118 3. Selbstverantwortung als Folge der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Vertragsabschließen und Vertragserfüllen als „ethisches Grundkönnen der Personen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Vertragsfreiheit als Motor der Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Der Austausch der Marktwirtschaft als Austausch von Rechten . . . . . . . . . . . . . . 129 III. Der Grundsatz pacta sunt servanda als Voraussetzung der Marktwirtschaft . . . . . 135 C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht: Ist der lukrative Schuldvertrag ein vorstaatliches Phänomen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Terminologische Klärung: Vorstaatliche Vertragstheorie statt aprioristischer Vertragslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Vorstaatliche allgemeine Vertragskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Hilfsfunktion der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 IV. Verschiedene Ansätze der vorstaatlichen Vertragskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Der Vertrag gemäß der Naturrechtsschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Der Vertrag aus der aprioristischen Rechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Die obligatorische Bindung als inhärentes Element im Konzept des „Versprechens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Die obligatorische Bindung als inhärentes Element im Konzept des „Vertrages“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Das Privateigentum als aprioristisches Konnexinstitut des Vertrages . . . . . . 160
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Inhaltsverzeichnis 3. Der Vertrag aus einem „voluntaristischen“ Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Die voluntaristische Theorie von Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Allgemeines Rechtsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Das Postulat des Privatrechts als Achse des intelligiblen Besitzes . . . . . 165 cc) Persönliches Recht: Der Vertrag als abgeleiteter Erwerbsmechanismus 167 b) Die voluntaristische Theorie von Gerhart Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Der Wille als Ursprung der Geltung des gesamten Rechts . . . . . . . . . . . 172 bb) Die Willensvereinbarung in der Wüste als wirksamer Vertrag . . . . . . . . 173 4. Der Vertrag nach der liberalen Markttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Der lukrative Tauschvertrag als Teil der Natur des Menschen . . . . . . . . . . . 176 b) Eigeninteresse als Grundlage für die Erfüllung des Schuldvertrages . . . . . . 181 c) Privatrechtsgesellschaft ohne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages . . . . . . . . . . . . . . 186 I. Das Gesetz des Stärkeren: Recht und Handel als Friedensprozess . . . . . . . . . . . . 191 II. Die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung durch die Rechtsordnung als Voraussetzung für den Vertragsabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Die Vorteile des Monopolmechanismus der Vertragsdurchsetzung . . . . . . . . . . 198 2. Die Unangemessenheit außerstaatlicher Sanktionen als Mechanismus zur Vertragsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Die Unverbindlichkeit des bloßen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Gleichstellung als Voraussetzung des Austauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 IV. Freiheit vor den institutionellen Spielregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 V. Das Geld als institutionelles Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Das Geld und seine Rolle auf dem Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Der lukrative Schuldvertrag als monetärer Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Der Ursprung des Geldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Das Geld: Eine Konsequenz des lukrativen Tauschs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Das Geld als sozialpolitische Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 VI. Die kulturelle Relativität des lukrativen Tauschhandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Die Abwesenheit vom lukrativen Tauschhandel innerhalb der primitiven Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Der außergemeinschaftliche Austausch: Das System des primitiven Form- und Typenzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 3. Der lukrative Tauschhandel innerhalb der Gesellschaft als post-monetäres Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Schuldvertrag in primitiven Gesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Die Juristische Schule der Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Das Risiko der analytischen Blindheit der Juristischen Schule der Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Inhaltsverzeichnis
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E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Die Vertragsfreiheit als anerkannte Freiheit: Der Grundsatz pactum non obligat per se . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Der Schuldvertrag als allgemeiner Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Das deutsche Rechtsmodell als Beispiel: Der bilaterale Rechtsakt als Begründer von Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Abweichungen des allgemeinen Vertragstyps als Bestätigung der rechtsgeschäftlichen Typizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 F. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Schlussbetrachtungen: Zurück zu „der globalen Finanzwüste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Einleitung „Sind die denkbaren vernünftigen Ansichten über den Gegenstand vollständig erschöpft, nun gut, wer will es einem armen Schriftsteller, der trotzdem noch eine neue Ansicht ausstellen muß, zur Last legen, daß er zu einer unsinnigen hat greifen müssen?“ Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz (1884), S. 107.
A. Problemstellung I. Globales Vertragswesen „Lo prometido es ley.“ „Ogni promessa è debito.“ „Toutes les dettes se paient.“ „Schulden sind Ehrensache.“ „A contract is a contract.“ Diese Postulate sind tief in der Laiensprache verschiedener Kulturen verwurzelt. Unter Juristen pflegt man diese Grundsätze durch die Vertragsmaxime „pacta sunt servanda“ – übersetzt „Vereinbarungen muß man einhalten“1 – zusammenzufassen. Dahinter verbirgt sich gewissermaßen eine Gleichstellung von Vereinbarung und Vertrag. Diese Idee, dass Vereinbarungen verpflichten, wird sogar als notwendig und universell dargestellt.2 Sie wäre dann eines jener heiligen, unantastbaren Konzepte von Gesellschaften, die nach dem Philosophen Ronald Dworkin (1913 – 2013) nicht in Frage gestellt werden könnten, ohne Korruption oder Ignoranz zu implizieren.3 Daneben wird seit Adam Smith (1723 – 1790)4 angeführt, der Mensch habe eine natürliche Neigung zum lukrativen Tauschvertrag.5 Daraus ergibt sich die heute 1
Dolezalek, in: Handwörterbuch Rechtsgeschichte, Stichwort „pacta sunt servanda“, S. 1400. So z. B. Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3 ff.; Hillgruber, ARSP 1999, 348, 350 ff.; derselbe, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 169; Larenz, Richtiges Recht, S. 57 ff.; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158 ff.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 608 ff.; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444 ff. 3 Dworkin, Law’s Empire, S. 88: „Every community has paradigms of law, propositions that in practice cannot be challenged without suggesting either corruption or ignorance (…) Judges think about law, moreover, within society, not apart from it; the general intellectual environment, as well as the common language that reflects and protects that environment, exercises practical constraints on idiosyncrasy and conceptual constraints on imagination.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 4 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 18 f.: „This division of labor is (…) the necessary, though very slow and gradual consequence of a certain propensity in human nature which has in 2
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Einleitung
übliche Dichotomie zwischen Markt und Staat.6 Der Markt hat nämlich als Säule den lukrativen Austausch7, eine horizontale und freiwillige Beziehung, wohingegen der Staat im Verhältnis zu seinen Bürgern als vertikal und imperativisch erachtet wird.8 Dieses Marktverhaltensprinzip gilt als Grundlage der Wirtschaftsbeziehungen der zeitgenössischen Gesellschaft.9 Lukrativer Tauschhandel finde aber der orthodoxen Martkwirschaftslehre zufolge zu jeder Zeit und an jedem Ort statt, selbst in primitiven Gesellschaften wie denen der Jäger.10 Der Mensch sei ein tauschendes Tier.11 Ausgehend von diesen Prämissen wird weltweit eine Ideologie des Vertragswesens konstatiert.12 Diese tendiere dazu, alles auf den Freihandel zu reduzieren, und misstraue dem, was nicht auf einer freiwilligen Einigung beruhe.13 Dieser Ideologie sind die Bewegung Law and Economics14 sowie der ökonomische Gedanke der Österreichischen Schule und der Chicago School und ihr neoliberales
view no such extensive utility; the propensity to truck, barter and exchange one thing for another (…) this propensity is common to all men, and to be found in no other race of animals, which seem to know neither this nor any other species of contracts.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 5 Zustimmend Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. 6 Vgl. Graeber, Debt, S. 18, 50, 71, 75. Ähnlich Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 150; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 26; Ingham, Capitalism, S. 11. 7 Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 254 f., 266; derselbe, The Great Transformation, S. 56 f.; vgl. auch Ingham, Capitalism, S. 53 ff, 92 ff.; Krugman/Wells, Economics, S. 798 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 f.; Parkin/King, Economics, S. 55 ff.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 33, 458 f., 461; Stiglitz, Economics, S. 53 ff. 8 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 142, 144 ff. In Bezug auf die verbreitete Konzeptualisierung der Beziehung zwischen dem Markt und dem Recht, einer Schöpfung des Staates, schreibt Stark, Law for Sale, S. 10: „(…) law is traditionally thought to be an exogenous framework for the market mechanism, an instrument that is used in order to confine and regulate markets according to social and political decisions as to what goods should be traded and how“. 9 So Graeber, Debt, S. 28; vgl. ferner Polanyi, The Great Transformation, S. 43. 10 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 46 f.; derselbe, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 20, 44; zustimmend Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, S. 4; ähnlich Carlino, Macroeconomía, S. 109; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 2 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14. 11 Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. 12 Supiot, Homo juridicus, S. 142 ff. 13 Supiot, Homo juridicus, S. 145 f.; vgl. auch Graeber, Debt, S. 376 f.; Ingham, Capitalism, S. 202. Als Beispiel für diesen Gedanken Hans-Hermann Hoppe, der glaubt, dass der Staat verschwinden sollte, weil er durch eine Form des Diebstahls (Steuern) finanziert werde. Die Gesellschaft sollte nach seiner Lehre nur von Privateigentum und Verträge regiert werden. Hoppe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter den Überschriften „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“ und „The Consequence of Moral Error: Statism and the Destruction of Liberty and Property“; derselbe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, II, IV; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Errors of Classical Liberalism.“ 14 Supiot, Homo juridicus, S. 143 ff.
A. Problemstellung
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Projekt zuzuordnen.15 Letzteres verlangt die Deregulierung des Marktes, die Beseitigung von Handelshemmnissen und damit den freien Kapitalverkehr.16 Die globale Arbeitsteilung und der einheitliche Markt entstünden aus dem lukrativen Austausch.17 Dieses ökonomische Denken wurde zwar nicht auf der ganzen Welt mit dem gleichen Maß an Begeisterung und Tiefe verfolgt.18 Durch die Finanzkrise im Jahr 200819 hat es an Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren.20 Die Versuchung zu protektionistischen Nationalismen nimmt zu.21 Die neoliberale Ansicht schaffte jedoch seit Ende des letzten Jahrhunderts, ähnlich wie bei den Erfahrungen des 19. Jahrhunderts, die noch immer anhaltende Wirtschaftsinternationalisierung zu etablieren: die sogenannte „second globalization.“22
II. Der Staat als reine Hilfe des Vertrages? Im neoliberalen Schema der wirtschaftlich-sozialen Organisation hat der Staat eine bloße Hilfsrolle.23 Was den Vertrag betrifft, soll er praktisch nur dessen Erfüllung sicherstellen.24 Aufgrund der Komplexität der Austauschverhältnisse kann die Prä15 Zum Neoliberalismus im Allgemein Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 99 ff.; vgl. auch Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 14 f.; Hudson, Killing the Host, S. 178 ff.; Santos, Sociología jurídica crítica, S. 561; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 25 ff. 16 Dazu Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 47 ff., 61 f.; vgl. zudem Ingham, Capitalism, S. 263; Santos, Sociología jurídica crítica, S. 93 f. 17 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 14. 18 Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 114 ff. 117 f.; vgl. dazu auch Ingham, Capitalism, S. 193, 197 f.; Piketty, Capital, S. 139. 19 Zur Finanzkrise Hull, Optionen, Futures und andere Derivate, S. 238 ff.; Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 51 ff.; Trujillo del Valle, Titulización de activos, S. 169 ff.; vgl. auch Graeber, Debt, S. 15 f.; Hudson, Killing the Host, S. 173 ff.; O’Rourke, The Great Depression, S. 110 ff.; Piketty, Capital, S. 297 f., 472 ff. 20 Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. ix. 21 Vgl. Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 137. Diesbezüglich Piketty, Capital, S. 539: „If you have free trade and free circulation of capital and people but destroy the social state and all forms of progressive taxation, the temptations of defensive nationalism and identity politics will very likely grown stronger than ever in both Europe and the United States.“ 22 Piketty, Capital, S. 28: „(…) what has been called the ,first globalization‘ of finance and trade (1870 – 1914) (…) is in many ways similar to the ,second globalization‘, which has been under way since the 1970 s.“ 23 Zur ökonomischen Rolle des Staats im Neoliberalismus siehe Ingham, Capitalism, S. 78 f., 87, 190, 197 f., 202, 263; Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 111 f., 121, 124; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 42 ff.; auch Piketty, Capital, S. 138 f.; Santos, Sociología jurídica crítica, S. 295 ff. 24 M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 2: „First, the scope of government must be limited. Its major function must be to protect our freedom both from the enemies outside our gates and from our fellow-citizens: to preserve law and order, to enforce private contracts, to foster competitive markets.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. ferner M. Friedman/
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Einleitung
senz des Staats zur Vermittlung möglicher Streitigkeiten mitunter erforderlich sein.25 Mit der Internationalisierung der Austauschverhältnisse ist diese Rolle des Schlichters indes nicht auf einen Staat konzentriert. Denn es existieren nur nationale Garanten für die Einhaltung des transnational Vereinbarten.26 Dieser Umstand sollte den Vertrag im Prinzip nicht berühren, wenn dem Staat nur eine instrumentelle Funktion gegenüber dem vereinbarten Geschäft zukäme. Die Zersplitterung der Rolle des Staates als Garant der Einhaltung von Vereinbarungen kann jedoch entgegen dieser Annahme die Funktionalität des Austausches beeinträchtigen. Beispielsweise versuchen die nationalen Gerichtsbarkeiten im Kontext des freien Kapitalverkehrs, hinsichtlich der Staatsanleihebedingungen als zuständig ausgewählt zu werden.27 Der beste Weg, diese Wahl zu fördern, besteht darin, sich zugunsten des transnationalen Kapitals ohne Berücksichtigung des Vereinbarten zu entscheiden.28 Dies wird aber den Austausch schädigen. Auf diesem Wege kann der Vertrag am Ende nämlich durch das Gesetz des Stärkeren regiert werden und nicht durch das gegebene Wort.29 Im Hinblick auf dieses globalen Vertragswesens soll diese Arbeit aufzeigen, dass der Staat keine bloße Unterstützung, sondern ein struktureller Bestandteil des gegenseitigen Schuldvertrags ist30 : Ohne einen institutionellen Rahmen wären Vereinbarungen nicht bindend und der Austausch nicht notwendig als Maxime des wirtschaftssozialen Verhaltens eingeführt worden. Diese Säulen des Westens sind nur konstruierte Wahrheiten, die wie alle konstruierten Wahrheiten „nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken … Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind.“31 R. Friedman, Free to Choose, S. 29 f. Diese Konzeption über die Staatsfunktion bezüglich des Vertrags entspricht A. Smiths Lehre. Siehe A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 82, Vol. 2, S. 330. Ähnlich derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 303. 25 M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 29 f. 26 Supiot, Homo juridicus, S. 161 f. 27 M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 80. Siehe mehr dazu 1. Kapitel, unter B. I. 28 Vgl. M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 80. 29 Ähnlich Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 73 f.; auch M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76. Vgl. ferner Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 3; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 92; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1. 30 Diesbezüglich ist zu erwähnen, dass Hayek, The Constitution of Liberty, S. 329 ff., einer der theoretischen Gesichter des Neoliberalismus, zwar ein System von Belohnungen und Sanktionen als grundlegend für das Funktionieren des selbstregulierten Marktes anerkennt. Dieses System werde durch die Rechtsordnung und die Rechtsstaatlichkeit (rule of law) repräsentiert. Dies wurde jedoch bei der Internationalisierung des Marktes nicht ausreichend berücksichtigt. Die politischen Propagandisten seines Werkes betonten diesen Aspekt nicht, sie plädierten vielmehr für die „Privatisierung“ und die „Deregulierung der Wirtschaft.“ Vgl. Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 103, 111 ff. 31 Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, S. 7, 15 f. Vgl. dazu auch Humán Villavicencio, Claves de la deconstrucción, S. 89, 113.
B. Meinungsstand
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B. Meinungsstand Die praktische Bedeutung der Feststellung, ob die gegenseitige Vertragsvereinbarung ihre verbindliche Kraft erst durch die Existenz einer Rechtsordnung erhält, wird teilweise verneint.32 Man argumentiert, dass diese nur dann relevant werde, wenn man die Privatautonomie in Abrede stellen wolle.33 Aber dies ist eine zu enge Sichtweise. Der Ursprung der Verbindlichkeit der Verträge kann beispielsweise aufzeigen, was man unter dem Prinzip „pacta sunt servanda“ in einem bestimmten Rechtssystem versteht und in der Gesellschaft für mehr Rechtssicherheit sorgen.34 Könnte diese Maxime vor dem Staat Gültigkeit in Anspruch nehmen, hätte eine Untersuchung ihrer Bedeutung in einer konkreten Zivilkodifizierung keinen Sinn mehr.35 Denn ihr Inhalt hinge nicht von einer Rechtsordnung ab. Ferner gewinnt diese Frage Bedeutung im Kontext der Globalisierung, wie es auch Alain Supiot nahelegt, der mit deren Hilfe die Funktionalität der transnationalen Austauschverhältnisse beurteilt.36 Die Untersuchung der Ursache des gegenseitigen Schuldvertrages, wie sie diese Arbeit vornimmt, ermöglicht einige der Mängel der Internationalisierung des Marktes zu verstehen und bietet Lösungsansätze. Laut einem Teil der Rechtslehre verpflichte die freiwillige Vereinbarung per se.37 Hiernach habe die Rechtsordnung nur eine ergänzende Funktion hinsichtlich des gegenseitigen Schuldvertrags.38 Diese These wurde vor allem von der Naturrechtsschule39, der rechtlichen Apriorismus-Lehre40 sowie der voluntaristischen Ver32
Vgl. HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 7. HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 7. 34 So das zugrundeliegende Ziel von Weller, Die Vertragstreue. 35 Weller, Die Vertragstreue, S. 163. 36 Supiot, Homo juridicus, S. 146 ff. 37 Darunter Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3 ff.; Hillgruber, ARSP 1999, 348, 350 ff.; derselbe, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 169; Larenz, Richtiges Recht, S. 57 ff.; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158 ff.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlichrechtlichen Vertrages, S. 591, 608 ff.; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 442 ff. 38 Vgl. Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 4; Hillgruber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 169; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 445; auch Larenz, Richtiges Recht, S. 60; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379. 39 Siehe z. B. Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section 1, 5; dasselbe Werk, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, S. 61; Grotius, De iure belli ac pacis, Vorrede, Tz. 15; dasselbe Werk, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1; Pothier, Traité des obligations, Tz. 3; Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2; derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 f. (S. 86 f.). Vgl. ferner Hillgruber, ARSP 1999, 348, 354. 40 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 147 ff., 178. Vgl. auch Hartmann, Ethik, S. 465; Larenz, Richtiges Recht, S. 61 f.; Larenz/Wolf, AT, § 2, Rn. 32 mit Fn. 24; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 608 ff. 33
20
Einleitung
tragstheorie von Immanuel Kant (1724 – 1804)41 und Gerhart Husserl (1893 – 1973)42 beeinflusst. Diesem Gedankenstrom liegt die Idee zugrunde, dass der Tausch, der Vertrag und seine rechtliche Bindung dem Menschen „inhärent“ sind: Das vertragliche Austauschverhältnis sei die erste menschliche Beziehung, die zwischen zwei Fremden mitten im Nirgendwo entstünde.43 Ebenso sieht es die moderne Wirtschaftstheorie als selbstverständlich an, dass der Austausch die Grundlage der Gesellschaft ist.44 Sie basiert auf der Idee, dass der Mensch eine natürliche Neigung zum lukrativen Tauschhandel habe.45 Aus diesem Verhalten entwickelt sich dieser Doktrin zufolge die gesamte Marktgesellschaft.46 So sei das Geld eine Ware, die besonders im Prozess der Verbreitung von Tauschgeschäften benötigt werde.47 Diese Ware werde in einem ersten Schritt von allen Marktteilnehmern zur Erleichterung ihrer Tauschgeschäfte gewählt, da sie im Handel eine weitgehende Akzeptanz erfahre.48 Sie könne nämlich leicht gegen andere Sachen ausgetauscht werden.49 Der Staat greife demnach erst in einem zweiten Schritt in diesen Prozess ein, um das Gewicht, das Maß und die anderen Eigenschaften der bereits sozial wie Geld betrachteten Ware zu gewährleisten.50 41 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59 f., § 19, S. 77, § 44, S. 119. Vgl. dazu Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 70 f.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 41; auch Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158; Stöhr, AcP 2014, 425, 443. 42 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 27 f., 30, 35, 37 ff., 42, 46; derselbe, Recht und Zeit, S. 27 f. 43 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 609 f.; vgl. ferner G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39; Wolf/Neuner, AT, § 10, Rn. 23; in diese Richtung auch Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3. 44 Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 32. 45 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 f.; derserlbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 46; Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. Zustimmend M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 11 ff. 46 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25. 47 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25 f.; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 250 ff.; derselbe, Origins of Money, S. 19 ff.; vgl. auch Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432 f.; Carlino, Macroeconomía, S. 109 f., 112; F. Walker, Political Economy, S. 121 f.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 4, 13; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 458 f.; Stiglitz, Economics, S. 880 f. 48 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25 f.; vgl. auch Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 4; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14. 49 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287; vgl. ferner Mises, Human action, S. 404. 50 So A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 27 f.; auch Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 260; derselbe, Origins of Money, S. 51 f.; ähnlich Locke, Considerations concerning raising the value of money, S. 8 f.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 459. Eine vergleichbare Idee über den Ursprung des Geldes wurde übrigens schon vor langer Zeit vertreten, und zwar im 3 Jh. n. Chr., von Paulus. Digesten 18, 1, 1, pr.
B. Meinungsstand
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Ein ähnliches Phänomen beobachtet diese Lehre bei gegenseitigen Schuldverträgen.51 Sie entstünden als Folge der Zunahme des Handels52 und der Staat werde erst später eingreifen, um die Einhaltung der Vereinbarungen zu kontrollieren.53 Er ist dann für diese Ansicht nur noch ein Hilfsmittel des Marktes. Zu diesem letzten Punkt postuliert Hans-Hermann Hoppe, aktueller Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie54, sogar, dass eine staatenlose Privatrechtsgesellschaft gegründet werden solle.55 Sie solle sich ausschließlich nach den Naturgesetzen der ursprünglichen Aneignung, des Privateigentums und des vertraglichen Austauschs richten.56 Private Sicherheitsagenturen und Schiedsrichter würden sich mit dem Schutz von Eigentum und Verträgen befassen57 und miteinander auf dem Markt konkurrieren, um als zuständig für einen solchen Schutz ausgewählt zu werden.58 Diese libertäre Stellung, auch benannt als Anarchokapitalismus59, ist von aktueller Relevanz, weil sie Teil der Überlegungen ist, auf welche sich die digitalen Währungen stützen.60 Im Gegensatz zu all diesen Doktrinen meint die Anerkennungstheorie, dass die Vertragsvereinbarung erst durch die Rechtsordnung verbindlich werde.61 Der 51
Vgl. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428. A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 326 f. 53 Vgl. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 330; ferner H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 f.; in diese Richtung auch Posner, Economic analysis of law, S. 93 f.; vgl. zudem Stöhr, AcP 2014, 426, 444 f. 54 Siehe https://www.misesde.org/2011/09/hoppe-hans-hermann/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 55 Hoppe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter den Überschriften „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“ und „The Consequence of Moral Error: Statism and the Destruction of Liberty and Property“; derselbe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, IV; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter den Überschriften „The Errors of Classical Liberalism“ und „The Idea of a Private Law Society.“ 56 Hoppe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, II, IV f., VI; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ 57 Hoppe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ 58 Hoppe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ 59 Habermann, Natürliche Ordnung ohne Staat, in: FAZ, 5.4.2004. 60 Vgl. Krugman, Bubble, Bubble, Fraud and Trouble, in: New York Times, 29.1.2018. 61 Ausführlich zu dieser Lehre Canaris, AcP 1984, 201, 218 f.; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1 ff.; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 137, 151 f.; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 166 ff.; vgl. auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 f., 33; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 140 ff.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 115; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206 f., 230 f.; ferner Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 15 ff.; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51 ff., 67; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038; Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2008, N8 18, 107, 184; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5. 52
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Einleitung
Mensch habe die natürliche Freiheit zum Einigen, aber nicht die natürliche Freiheit zum Vertragsabschluss.62 Einige Vertreter dieser Doktrin scheinen jedoch die Auffassung zu teilen, dass der Tauschhandel die wirtschaftliche Grundform jeder sozialen Organisation darstellt. Denn sie deuten an, dass die Wirtschaftsentwicklung ohne das Vorhandensein eines Vertragsdurchsetzungsmechanismus im System des sofortigen Austauschs stecken geblieben wäre.63 Das heißt, es ist eine Koinzidenz zwischen den vorgenannten verschiedenen Ansichten hinsichtlich des sofortigen Austauschs erkennbar. Die Meinungsdiskrepanz reduziert sich also auf den zukunftsgerichtet-obligatorischen Aspekt des Vertrages, der nach Marc-Philippe Weller freilich das Essential des Vertrages ausmacht („Zukunftsdimension“ des Vertrages als geniale Erfindung der Neuzeit).64
C. These Keine dieser Positionen kann in ihrer Gesamtheit überzeugen. Denn aus einer Studie über die Geschichte und Physiognomie des Vertrages auf dem Markt geht hervor, dass nicht nur die Vertragsverbindlichkeit (Anerkennungstheorie), sondern auch die Einführung des lukrativen Austauschs als Form der wirtschaftlich-sozialen Organisation von der Existenz eines institutionellen Rahmens abhängen. Die beiden Elemente, von denen die Ideologie des Vertragswesens ausgeht, brauchen daher eine Autorität. Deswegen zielt diese Arbeit vor allem darauf ab, aufzuzeigen, dass ohne einen institutionellen Rahmen weder die Vereinbarung verpflichtet noch sich der lukrative Austausch als Verhaltensprinzip innerhalb einer Gesellschaft notwendig etablieren würde.
D. Gang der Untersuchung Diese Untersuchung besteht aus drei Kapiteln. Das erste Kapitel zeigt anhand von Beispielen aus dem Finanzmarkt die Verzerrung der funktionalen Struktur des Vertrages auf, die aufgrund der Marktinternationalisierung stattfindet. Insbesondere geht das Kapitel auf die Folgen für den Austausch der territorialen Beschränkung der Macht des Staates als Garant der Einhaltung internationaler Verträge ein. 62
E.R. Huber, AöR 1933, 1, 41; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20, 26. So Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29; Weller, Die Vertragstreue, S. 278 f.; derselbe, JZ 2012, 881, 886; vgl. zu dieser Idee auch Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267, unter wem jene sich beziehen. 64 Weller, Die Vertragstreue, S. 278 f. Ähnlich Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28 f.; Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 29. 63
D. Gang der Untersuchung
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Daneben wird – unter kritischer Würdigung – dargelegt, wie die globalen angenommenen Lösungen von der Ideologie des Vertragswesens beeinflusst werden. Nach dieser kurzen Darstellung sollen die Prämissen dieser Ideologie dekonstruiert werden. Hierfür beschäftigt sich das zweite Kapitel mit der Geschichte der Liberalisierung des gegebenen Wortes und zeigt auf, dass die Vereinbarung historisch nicht schon immer verpflichtet hat. Es wird dargestellt, dass Vertrag und einfache Vereinbarung seit dem römischen Recht antagonistisch waren.65 Nur ersterer erzeugte Verpflichtungen.66 Dabei bildete nicht die Willenseinigung das zentrales Vertragselement, sondern vielmehr die Erfüllung bestimmter durch den vertraglichen Grundsatz des Form- und Typenzwangs auferlegter Riten.67 Das heißt, damals gab es offensichtlich einen institutionellen Rahmen. Erst als sich der Konsens unabhängig von Formen entwickelte, triumphierte die Maxime „pacta sunt servanda“ und die Willensvereinbarung wurde mit dem Vertrag gleichgestellt.68 Diese Entfaltung vollzog sich endgültig in der Neuzeit mit der Naturrechtsschule69 und den von ihr inspirierten Kodifizierungen.70 Angesichts dieser Unabhängigkeit der vertraglichen Vereinbarung von der Einhaltung bestimmter Formzwänge stellte sich die Frage nach dem Ursprung ihrer bindenden Kraft.71 Bisher hatten es nur die Kanonisten eingehend versucht, den Grundsatz der Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarungen zu begründen.72 Aber 65
Vgl. Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 13; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10; Nanz, Vertragsbegriff, S. 11, 15, 22; auch Supiot, Homo juridicus, S. 150 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 72. 66 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 7 ff.; Meincke, Römische Privatrecht, S. 100; vgl. ferner Berman, Law and Revolution, II, S. 157; MeyerCording, Die Rechtsnormen, S. 12 f.; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 188. 67 Vgl. Berman, Law and Revolution, II, S. 157; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 21; Weller, Die Vertragstreue, S. 70 ff.; ferner Ehmann, JZ 2003, 702, 712; Galgano, Il contratto, S. 2; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 546. 68 C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 514; derselbe, Grundsätze des Naturund Völckerrechts, §§ 438, 514. Vgl. dazu auch Nanz, Vertragsbegriff, S. 165; ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 33; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 13; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 16; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 448; derselbe, Die Vertragstreue, S. 80. 69 Vgl. Landau, FS Nörr, S. 457, 473 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544; auch Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 303; Nanz, Vertragsbegriff, S. 135; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547. 70 Siehe z. B. Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis IV 1, § 3; Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten I 5, § 79. Vgl. ferner HKK/Thier, § 311 I, Rn. 20; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 195. 71 Vgl. HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 6; dieselbe, Freiheit ohne Grenzen?, S. 226. 72 HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 23; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14; vgl. dazu auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 36; Berman, Law and Revolution, I, S. 247; Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 50 ff.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 8; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182 f.; MayerMaly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 100 f.; derselbe, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 124; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 37; Nanz, Vertragsbegriff, S. 52; Weller, Die Vertragstreue, S. 72 ff.
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Einleitung
nachdem das römische Vertragsprinzip seine Gültigkeit verloren hatte und damit die explizite Präsenz der Autorität verschwand, entstand ein besonderes Interesse an dieser Debatte73 : Verpflichtet die gegenseitige Vereinbarung – wie es das Vertragswesen nahelegt – per se? Eine Antwort hierauf wird das letzte Kapitel dieser Arbeit zu geben versuchen. In diesem wird herausgearbeitet, dass die modernen Rechtsordnungen zur Gestaltung des Vertragsrechts ein Modell der ethischen und wirtschaftlichen Person mit individueller Freiheit übernehmen und dieser Person die Kompetenz der Rechtsfolgenbegründung durch Vertrag zuschreiben. Dies entspricht zwar der Anerkennungstheorie.74 Im Unterschied zu dieser Doktrin wird allerdings die These aufgestellt, dass sich auch der lukrative Austausch als Verhaltensprinzip der Gesellschaft nicht notwendigerweise ohne die Intervention einer Autorität entwickelt hätte. Um zu diesen Schlussfolgerungen zu gelangen, erfolgt zunächst eine Erläuterung des Modells der ethischen und mit Willensfreiheit ausgestatteten Person und das Modell des homo oeconomicus mit seiner wirtschaftlicher Freiheit und Neigung zum lukrativen Tausch. Im Zusammenhang mit der Erklärung dieses letzten Modells wird das Funktionieren des selbstregulierten Marktes geschildert und dargestellt, wie der Schuldvertrag theoretisch mit der Idee des sofortigen Tauschs verschmilzt. Im Anschluss daran wird die Denkströmung behandelt, die unter anderem auf der Grundlage von Modellen ethischer und wirtschaftlicher Personen die These aufstellt, dass der Vertrag für seine verpflichtende Wirkung keiner staatlichen Anerkennung bedarf: Vielmehr seien die obligatorische Vereinbarung und der Tausch hiernach natürliche Phänomene, die über die Kulturen hinausgingen. Darauf aufbauend folgt eine Kritik an diesen Doktrinen. Darin wird unter anderem dargetan, dass ein obligatorischer Austausch, der sich ohne einen dritten Garanten hinsichtlich seiner Erfüllung ereignet, bei Konflikten dem Gesetz des Stärkeren unterliegt.75 Weiter wird aufgezeigt, dass das Geld, das einen wesentlichen Bestandteil der Schuldverträge ausmacht76, eine Schöpfung der Autorität einer Gesellschaft wie die des Staates oder die der Kolonialregierung in den eroberten Gebieten ist.77 Ferner wird 73
Vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 226. Weller, Die Vertragstreue, S. 165 ff.; vgl. auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff., 33. 75 Vgl. Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 73 f.; derselbe, Homo juridicus, S. 154 f.; auch M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76; ähnlich Auer, Materialisierung, S. 15. 76 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 68; ähnlich Humphrey, Man 20 (1985), 48, 51; J. Flume, Marktaustausch, S. 101; Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 13. 77 Keynes, ATreatise on Money, Vol. I, S. 4 f., 11 ff.; Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, passim; Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 27 ff.; derselbe, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 2, 4 ff.; vgl. auch Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 65 ff.; Ingham, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 516 ff.; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 21 f., 24 f.; derselbe, Capitalism, S. 68 ff.; Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 16, 19, 27, 30 ff. 74
E. Themeneingrenzung
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deutlich, dass der lukrative Tauschhandel nicht in allen Gesellschaften intern existiert78, sondern vielmehr eine der Währung nachgelagerte Erscheinung, eine Folge ihres Verschwindens oder ihrer Abwesenheit ist.79 Dementsprechend wird im Gegensatz zur Ideologie des Vertragswesens die Meinung vertreten, dass der Staat – oder eine ähnliche Autorität – ein strukturelles Element des Marktvertrags ist. Das Kapitel schließt mit der Postulierung, dass die Rechtsordnung bestimmt, wann die ethische und wirtschaftliche Freiheit der Individuen Rechtsverbindlichkeit erlangt und welche konkreten Rechtsfolgen sie begründen kann. Als These wird mithin vertreten, dass es in gewisser Weise auch heute noch, wie im römischen Recht, ein System der Typizität gibt. Jedoch kann nicht mehr von einer Typizität an Verträgen, sondern nur noch an Rechtsakten (Werner Flume) gesprochen werden.80 Abschließend greift diese Arbeit wieder die Beispiele des transnationalen Marktes des ersten Kapitels auf und bewertet sie im Lichte der neu gewonnenen Prämissen.
E. Themeneingrenzung Der Gegenstand dieser Untersuchung entspricht in gewisser Weise dem der allgemeinen Rechtslehre. Diese Disziplin strebt im Wesentlichen an, die Grundbegriffe des Rechts aus dem positiven Recht, seiner Anwendung und seiner Evolution zu induzieren und auf alle Rechtssysteme zu verallgemeinern.81 Es handelt sich um die 78
Vgl. Graeber, Debt, S. 28 ff.; Humphrey, Man 20 (1985), 48 ff.; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 250 ff.; derselbe, The Great Transformation, S. 43 f., 53; Servet, Economy and Society Vol. 11, 22 ff.; derselbe, Revue numismatique 157 (2001), 15, 24, 26 f., 32; auch Mauss, Sociologie et Anthropologie, S. 150 f.; Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiii; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 416. 79 So Humphrey, Man 20 (1985), 48, 49 ff.; vgl. auch Graeber, Debt, S. 37, 40, 45. 80 Zur Akstypen-Lehre W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2, 23 ff., 33; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 137, 147 ff.; vgl. auch H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 18 f.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 123; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 167, 169. 81 Vgl. zu dieser weiten Konzeption von Allgemeiner Rechtslehre K. Röhl/H. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 1 ff., 7 ff.; auch Adomeit, Rechtstheorie, S. 11 f., 14 f. Zum Unterschied zwischen der allgemeinen Rechtslehre und der aprioristischen Rechtslehre Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 252, 271; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 612 ff. Die allgemeine Rechtslehre beschäftigt sich mit Rechtsstrukturen, die nicht vor und nicht unabhängig vom System des positiven Rechts bestehen. Aus dem positiven Recht folgert diese Doktrin vielmehr die Grundbegriffe wie etwa den Schaden oder die Kompetenz, deren Kern allen Rechtsordnungen gemeinsam sei [Bezüglich des Gegenstands der allgemeinen Rechtslehre K. Röhl/H. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 9: „Wir suchen nicht nach apriorischen oder universalen Rechtsbegriffen (…).“]. Die aprioristische Rechtslehre versucht dagegen nur, universelle und notwendige Rechtsbegriffe zu entdecken, die von keinem positiven Gesetz abhängen würden und die sogar absolut von jedem positiven Recht abweichen könnten. Siehe mehr dazu 3. Kapitel, unter C. IV. 2.
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Einleitung
Erarbeitung von allgemeinen Aussagen des Rechts: „Gesetze über Gesetze.“82 Die vorliegende Studie versucht daran anknüpfend, unter anderem durch eine Analyse der historischen Entwicklung des gegenseitigen Schuldvertragskonzepts dessen grundlegende institutionelle Struktur festzustellen. Das bedeutet nicht, dass der Schuldvertrag keinen eigenen modus vivendi in den verschiedenen Rechtsordnungen der Welt erlangen kann.83 Als die Sowjetunion beispielsweise zerfiel und ihre Länder das westliche Wirtschaftsmodell übernahmen, musste dieses Modell erst lernen, mit den Überresten der Legalität des Kommunismus zusammenzuleben.84 Das Grundschema der Entwicklung des Austauschvertrages muss jedoch immer vorhanden sein. Dies ist daher vergleichbar mit dem Phänomen des Franchisings. Franchise-Produkte weisen in der Regel besondere Charakteristika auf, die sich nach den entsprechenden Lokalismen der jeweiligen Region richten, in der sich die Niederlassung befindet. Für die Gewährleistung eines funktionierenden Geschäfts wiederholen sich allerdings bestimmte Markenmerkmale an den verschiedenen Standorten. Zum Festlegen der Grundstruktur des gegenseitigen Schuldvertrages kann natürlich nicht der Vertragsbegriff aller Rechtsordnungen berücksichtigt werden. Deshalb legen die nachfolgenden Ausführungen wesentlich, aber nicht ausschließlich das Vertragsmodell der deutschen Rechtsordnung zugrunde. Dieses Modell besitzt bestimmte Eigenschaften hinsichtlich des globalen Vertragswesens, die diese Entscheidung rechtfertigen. So ist es dasjenige, das die größte Gleichstellung zwischen Vereinbarung und Vertrag zulässt – eine Idee, die sich hinter der Ideologie des Vertragswesens verbirgt. Denn für die Vertragsentstehung erfordert die deutsche Rechtsordnung im Gegensatz zu den Systemen der römischen oder angelsächsischen Rechtskreise nicht mehr als die einfache Parteienvereinbarung.85 Das römische Vertragsmodell legt neben der freiwilligen Vereinbarung die Präsenz der causa als Vertragsabschlussvoraussetzung fest.86 Das angelsächsische common law verlangt hingegen ferner die consideration.87 Im deutschen Vertragsmodell ist in Einklang mit dem Liberalismus nur die Freiheitausübung entscheidend für die Geschäftsentstehung.88 Der Vertrag wird nicht wirksam, weil er einen Zweck hat, 82 Adomeit, Rechtstheorie, S. 14: „Es geht darum, generelle Aussagen über das recht (Rechtsregeln) zu erarbeiten, Gesetzte über Gesetze.“ 83 Ähnlich Supiot, Homo juridicus, S. 141 f. 84 Vgl. Santos, Sociología jurídica crítica, S. 348; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 33 ff.; auch M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 97. 85 So Weller, Die Vertragstreue, S. 69 f.; derselbe, JZ 2013, 1021, 1025; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26; auch HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 9; vgl. dazu ferner M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1, 3; derselbe, ZEuP 2017, 69, 71 ff. 86 M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1, 3; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26. 87 M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 72; derselbe, La Ley 3.6.2016, 1, 3; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 550; Weller, JZ 2013, 1021, 1025; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26; Zweigert, JZ 1964, 349, 350 f. 88 Vgl. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 17; auch Säcker, Zum Regierungsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, 1.
E. Themeneingrenzung
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sondern weil er durch Privatautonomie gegründet wurde89 – wie Werner Flume (1908 – 2009) verewigte: „stat pro ratione voluntas.“90 Das deutsche Vertragsmodell ist ebenfalls dasjenige, das die Regelwerke mit globalen Ansprüchen übernehmen. Beispielweise begrenzen Art. 14 i. V. m. Art. 11 und 18 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG) und Art. 3.2 UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts (PICC) wie das BGB das Vertragszustandekommen auf die Willenseinigung.91 Die CISG ist eine Vereinheitlichung des internationalen Kaufrechts, wurde im Jahr 1980 von der Wiener Konferenz verabschiedet und ist in 87 Staaten in Kraft.92 Die PICC wurden ursprünglich im Jahr 1994 verabschiedet, im Jahr 2010 erneuert und orientieren sich nicht an die nationale Vertragsrechtsvereinheitlichung, sondern vielmehr daran, die besten Lösungen für konkreten internationale Fälle anzubieten.93 Neben diesen Merkmalen umfasst das deutsche Vertragskonzept aufgrund seines Abstraktionsgrades nicht nur die verpflichtende Vereinbarung, sondern auch die Einigung mit rein realen Rechtsfolgen (vgl. z. B. die dingliche Einigung in § 929).94 In Deutschland sind demzufolge die Einigungen, die die Übergaben des sofortigen Tausches von Sachen begleiten, als Verträge katalogisierbar. In der französischen Rechtsordnung ist der contrat dagegen beispielweise nur die Willensvereinbarung, deren Ziel die Schaffung obligatorischer Rechtsfolgen ist (Art. 1101 n. F. Code Civil).95 Aus diesen Gründen dient das Konzept der Willensvereinbarung in der deutschen Rechtsordnung der Beurteilung der Richtigkeit oder 89 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 230. Vgl. ferner Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15. 90 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 6: „Für den Bereich der Privatautonomie gilt der Satz: stat pro ratione voluntas.“ Dieser Ausdruck hat keinen rein rechtlichen Ursprung. Sie stammt aus der Satire sechs von Decimus Junius Juvenal (Juvenal, Satiren, II Buch, 6 Satire, Rn. 220): „hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas.“ (Deutsche Übersetzung nach Sven Lorenz: „Aber ich will es, so befehle ich es, anstelle eines guten Grundes soll mein Wille gelten!“). Mit diesem Satz fordert eine Frau von ihrem Mann die sofortige Hinrichtung eines Sklaven, unabhängig von seiner Schuld. Der Satz wurde von W. Flume aufgenommen und dekontextualisiert, um die private Autonomie anzuzeigen. Sie erweiterte sich dann in letzterem Sinne in der deutschen Rechtsliteratur. So z. B. S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 192, 246; Säcker, Zum Regierungsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, 1; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 8 und dort auch Fn. 55; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26; derselbe, Die Vertragstreue, S. 170. 91 Vgl. dazu M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 73. 92 Siehe E. Luig, Der internationale Vertragsschluß, S. 5 ff., 15 f., 34 ff.; auch M. G. Casas, Revista de Derecho comercial, del consumidor y de la empresa 2013, N84, 155, 156, Fn. 9. 93 Siehe E. Luig, Der internationale Vertragsschluß, S. 7 f., 16 ff., 37 ff.; ferner M. G. Casas, Revista de Derecho comercial, del consumidor y de la empresa 2013, N84, 155, 156, Fn. 10. 94 Vgl. Mugdan, Bd. I, Einführungsgesetz und Allgemeiner Theil, S. 422; auch Brox/W.-D. Walker, AT, § 4, Rn. 8, § 5, Rn. 1 ff.; Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 116 und Fn. 11; Leenen, AT, § 3, Rn. 11 ff., § 4, Rn. 22 ff.; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 1 f., 15 ff., 23 ff.; ferner Wörlen/Metzler-Müller, BGB AT, S. 148 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 239. 95 Zum französischen Begriff „contrat“ Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 647 ff.
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Einleitung
Unrichtigkeit der globalen Idee, wonach der entgeltliche gegenseitige Vertrag unabhängig vom Staat besteht. Diese Studie behandelt auch – wie bereits erwähnt – das Modell des homo oeconomicus mit seinem Hang zum lukrativen Tauschhandel.96 Dies kann zu der Annahme führen, dass diese These sich der Methode der ökonomischen Analyse des Rechts bedient. Diese Doktrin hat zwar ein solches Individuum als zentrales Subjekt97, sie wird hier allerdings nur hilfsweise neben der liberalen Markttheorie herangezogen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Wirtschaftsakteur der Marktgesellschaft aus dem 18. Jahrhundert stammt98, nicht aus der ökonomischen Analyse des Rechts, und dass beispielsweise A. Smith sowie Friedrich August von Hayek (1899 – 1992), große Vertreter des klassischen Liberalismus bzw. des Neoliberalismus, den Marktvertrag99 nicht auf der Grundlage des Effizienzprinzips jener Rechtslehre erforschen.100 In Verbindung mit dem oben Gesagten ist es notwendig, sich von den westlichen Rechtsordnungen zu lösen, um die Konzeptualisierung des Tauschhandels als primäre universelle Form der sozialwirtschaftlichen Organisation zu dekonstruieren. Keine der westlichen Rechtsordnungen ermöglicht es nämlich, diese Analyse ordnungsgemäß durchzuführen. Sie sind alle bereits kulturell von der Marktwirtschaft geprägt, und die Kultur einer Gesellschaft beeinflusst ihr ganzes Verhalten.101 Der Westen würde, wenn die Währung verschwände, vom Tauschhandel regiert, wie zum Beispiel in Teilen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.102 Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, auf rechtsfremde Disziplinen zurückzugreifen, die erklären, was das Recht allein nicht kann.103 Die Anthropologie wird dabei helfen. Seit der fortschreitenden Begegnung Europas mit der nicht-westlichen 96
Siehe 3. Kapitel, unter B. und D. IV. Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 4; derselbe, JZ 2005, 216, 217 f.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 46, 95 ff.; Posner, Economic analysis of law, S. 3 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 351 f. 98 Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 86; vgl. auch Polanyi, The Great Transformation, S. 43. 99 Siehe zu ihren Überlegungen bezüglich des Austauschvertrags z. B. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 ff., Vol. 2, S. 330; derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.December.24.1762, Rn. 21, Monday.January.17.1763, Rn. 42 ff., Friday.January.21.1763, Rn. 56 ff., Monday.March.28.1763, Rn. 44 ff.; dasselbe Werk, Report dated 1766, Rn. 10, 175 ff., 303, 326 ff.; auch Hayek, The Constitution of Liberty, S. 339 f. 100 Vgl. zum Effizienzprinzip in der ökonomischen Analyse des Rechts Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 4, 21; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XLIV; Horn, AcP 1976, 307, 309 f., 319; Mackaay, Law and Economics, S. 12, 15 f., 27; Weller, Die Vertragstreue, S. 348. 101 Vgl. Atwood, Payback, S. 10. 102 Vgl. Fernández Mayo, Revista Pueblos y Fronteras Digital, N8 7, 2009, 5, Fn. 4; Rossmeissl, Observatorio de la Economía Latinoamericana, 2005 N8 37. 103 So der Zweck der Interdisziplinarität nach LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1182. 97
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Welt berichtet jene über Orte, an denen es weder Markt noch lukrativen Tausch gab.104 Nur weil diese Disziplin hilfsweise verwendet wird, ist aber in dieser Arbeit keine anthropologische Abhandlung zu erwarten. Sie wird ergänzend als vergleichende Ökonomie verstanden, um zu zeigen, dass lukrativer Tauschhandel nicht das Prinzip der natürlichen Organisation jeder Gesellschaft ist und dass nicht jede Austauschform ein Vertrag ist: Handelsfreiheit als Vertragsfreiheit ist ein Erbe des Westens.105 Schließlich ist der kommerzielle Austausch zwischen Staaten oder zwischen zwei Subjekten des Völkerrechts von dieser Behandlung ausgeschlossen. Sie werden durch andere – meist völkerrechtliche – Beziehungen als die des privatrechtlichen Vertrages geregelt.106
104 Vgl. Godelier, Avant-propos, S. V, VI; Graeber, Debt, S. 29; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 245; derselbe, The Great Transformation, S. 43 ff., 53; auch Humphrey, Man 20 (1985), 48, 49. 105 Bruns, JZ 2007, 385, 386: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gehört, so kann man ohne Übertreibung sagen, zum gemeinsamen rechtskulturellen Erbe der westlichen Welt.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 106 So Hippel, Privatautonomie, S. 105; ähnlich Weller, Die Vertragstreue, S. 22 f.
1. Kapitel
Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt – Seine Verzerrung „Pero el asunto es sencillo, la ley es como el cuchillo: no ofende a quien lo maneja.“ José Hernández, La Vuelta del Martin Fierro (1879), Rn. 4245.1
Vor Beginn der Untersuchung der Geschichte und der Struktur des lukrativen Schuldvertrages ist es angebracht, einen Blick auf den globalen Finanzmarkt zu werfen. Aus der Fehlfunktion dieses Marktes, „Sohn des Neoliberalismus“, kann man nämlich die Aktualität der fundamentalen Frage nach dem Ursprung der Bindungskraft und der Physiognomie der gegenseitigen Vertragsvereinbarung entnehmen. Der so genannte neoliberale Staat wurde vor allem ab den 1980er Jahren von westlichen Ländern mit dem Thatcher-Reagan-Tandem an der Spitze gefördert.2 Nach diesem politischen Modell sollte sich der Staat in eine sekundäre und passive Rolle in der Wirtschaft zurückziehen.3 Er sollte nicht eingreifen, sondern nur darauf achten, dass niemand die Marktregeln verletzt.4 Der Preismechanismus sollte das totum sein.5 Aber damit dieser Mechanismus funktionsfähig umgesetzt werden konnte, war es notwendig, dass der lukrative Austausch materiell und räumlich wuchs, wie die liberale Staatsentstehung im 18. und 19. Jahrhundert zeigte.6 Aus 1 Deutsche Nachdichtung nach Alfredo Bauer: „Ich kenne die Dinge besser: / Es schonen Gesetz und Messer / den, der in der Hand sie hält.“ Hernández, Der Gaucho Martín Fierro, Rn. 6556. 2 Vgl. dazu Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 103, 111 ff.; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 25 ff.; ferner Hudson, Killing the Host, S. 178 ff.; Ingham, Capitalism, S. 87, 197; Piketty, Capital, S. 42, 98, 138 f.; Vanoli/Cámpora, Voces en el Fénix N8 11, 80, 82. Vgl. aber Graeber, Debt, S. 53 (auch dort Fn. 25), der die Position Reagans in Bezug auf den Neoliberalismus wegen seiner Militärpolitik relativiert. 3 Ingham, Capitalism, S. 190, 197. 4 Vgl. Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. xii, xxi f.; auch Ingham, Capitalism, S. 190. 5 Vgl. Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. xvii f., 111, 114; ferner Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 14. 6 Vgl. zu dieser Charakteristik des Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts Polanyi, The Great Transformation, S. 57, 63, 71 ff., 75. Der Neoliberalismus verband seinerseits den Diskurs über den Freihandel mit der liberalen Erfahrung des 18. und 19. Jahrhunderts und präsentierte sich als seine Fortsetzung. Vgl. dazu Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. xxii f.
1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
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diesem Grund wurden mit der Vertragsfreiheit als Standard die Maßnahmen zur Beseitigung von Handelshemmnissen sowie der freie Kapital- und Warenverkehr weltweit verteidigt.7 In der Folge davon schlossen sich die Mehrheit der Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die DDR8 und die Entwicklungsländer Lateinamerikas diesem Modell der wirtschaftlich-sozialen Organisation mit seinen Nuancen an.9 Grundlegend für diesen neoliberalen Expansionsprozess waren die gescheiterte Perestroika von Michail Gorbatschow10 und die Prinzipien des Washington Consensus, die der britische Ökonom John Williamson im Jahr 1989 skizzierte.11 Diese wirtschaftliche Globalisierung brachte einige komplexe rechtliche Phänomene mit sich, die Folge der Konzeptualisierung des Staates als einfaches Hilfsmittel des Marktes sind. So hat der freie Kapitalverkehr die Rechtsordnungskonkurrenz geweckt (dazu unter A.).12 Daneben fragmentierte die massive Internationalisierung des Austauschs die Rolle des Staates als Garant für die Erfüllung desselben.13 Diese Fragmentierung kann aufgrund des erwähnten Rechtsordnungswettbewerbs oder der mangelnden Transparenz des globalen Marktes die Vertragsentwicklung betreffen. Am Ende kann der Vertrag manchmal von nur einer Partei regiert werden statt vom Vereinbarten (dazu unter B.).14 Angesichts dieser Möglichkeit werden jedoch keine globalen bedeutenden institutionellen Maßnahmen ergriffen, sondern es wird vielmehr in Übereinstimmung mit der Ideologie des Vertragswesens davon ausgegangen, dass der Markt selbst das Problem löst (dazu unter C.).
7 Vgl. dazu Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. xxii f.; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 47 f., 61 f.; ferner Piketty, Capital, S. 42, 98, 138 f.; Santos, Sociología jurídica crítica, S. 295; Vanoli/Cámpora, Voces en el Fénix N8 11, 80, 82; auch Ingham, Capitalism, S. 87, 197; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 2. Zu einer vergleichenden Übersicht zwischen der weltweit liberalisierenden Wirtschaftspolitik des Neoliberalismus seit 1980 und der regulierenden Wirtschaftspolitik des Wohlfahrtsstaats, der jenem Wirtschaftsmodell vorausging Hudson, Killing the Host, S. 179 f. 8 Zur neoliberalistischen Wirtschaftswandlung der postsowjetischen Staaten und der DDR Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 13 ff., 17 f., 22; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 30 ff.; auch Carrère, Limonov, S. 335 ff.; Piketty, Capital, S. 139. 9 Ausführlich zum Neoliberalismus in Lateinamerika Rojas Villagra et al., Neoliberalismo en América Latina; Überblick auch Santos, Sociología jurídica crítica, S. 295. 10 Zur Perestroika im Allgemeinen Aganbegyan, International Affairs, Vol. 64, No. 2 (Spring, 1988), 177 ff.; Mau, Europe-Asia Studies Vol. 48, No. 2 (Mar. 1996), 207 ff., 213 ff.; Miller, Kritika, Vol. 17 No. 1 (2016), 95 ff. 11 Zu den Prinzipien des Washington-Konsens Williamson, What Washington Means by Policy Reform, S. 7 ff.; vgl. auch Lozada, A Conversation With John Williamson, Economist, in: The Washington Post, 12.4.2009. 12 Stark, Law for Sale, S. 8: „(…) regulatory competition is one of the many symptoms of globalization.“ 13 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 161 f. 14 Ähnlich M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76; Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 73 f.
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
A. Der Wettbewerb der Rechtsprodukte Dank der Liberalisierung der Handelsgrenzen kann sich das Kapital den Gesetzen des Landes, aus dem es kommt, entziehen und andere Rechtssysteme wählen, die ihm die höchsten Gewinne bieten.15 Aus diesem Grund werden nationale Normen, wie Supiot warnt, zu kommerziellen Produkten.16 Sie unterwerfen sich dem Gesetz von Angebot und Nachfrage und konkurrieren auf darwinistische Weise regional oder weltweit miteinander, um für das Kapital attraktiver zu werden17: „The law is on sale!“18 Dieser Prozess der Rechtsordnungskonkurrenz ist keine unbewusste Folge der Globalisierung. Hayek, dessen Werk eine der Säulen des Neoliberalismus ist19, hatte vielmehr eine evolutionäre Auffassung von sozialen Institutionen: „What has yet to be more widely recognized is that the present order of society has largely arisen, not by design, but by prevalence of the more effective institutions in a process of competition.“20
Dieses Phänomen kristallisiert sich insbesondere in der Europäischen Union heraus. Denn ihre Grundprinzipien sind die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV), die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).21
15 Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 51. Vgl. ferner Ingham, Capitalism, S. 202; Piketty, Capital, S. 221, 355; Stark, Law for Sale, S. 21. 16 Ausführlich zu diesem Kommerzialisierungsprozess des ganzen Rechts Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 51 ff.; auch Stark, Law for Sale, passim; vgl. zudem Eidenmüller, JZ 2009, 641 ff.; Romano, J. L. Econ. & Org. Vol. 1 (1985) 225 ff. Darüber hinaus sollte das Recht zwar – wie Stark, Law for Sale, S. 13, 149, betont – entsprechend der terminologischen Genauigkeit als eine Dienstleistung und nicht als ein Produkt angesehen werden. Denn es ist unter anderem nicht materiell und ändert nicht die Eigentumsverhältnisse bei einem hypothetischen Marktaustausch. Die Differenzierung des Rechts als Dienstleistung oder Produkt ist für diese Arbeit jedoch nicht von Bedeutung. Hier wird deshalb die bereits akzeptierte Metapher des Rechts als Produkt verwendet. So sprechen zum Beispiel Eidenmüller, JZ 2009, 641 ff.; Romano, J. L. Econ. & Org. Vol. 1 (1985) 225 ff. und Weller, RabelsZ 2017, 748, 769 f. von dem Recht als Produkt. 17 Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 51; vgl. auch Ingham, Capitalism, S. 202; Stark, Law for Sale, S. 2: „Associated with this situation is the idea of a ,market for law‘, of law as a product that is being marketed by suppliers to potential demanders, who then ,buy‘ the legal product that is most attractive for them because it best fits their interests and needs and, in most cases, reduces their costs.“ 18 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 76, 80. 19 Vgl. dazu Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 99 ff. 20 Hayek, The Political Order of a Free People, S. 154 f. (Hervorhebung durch Verfasser). 21 Überblick zur Förderung des Wettbewerbs in Europa auf der Grundlage dieser Freiheiten Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 121; auch Stark, Law for Sale, S. 23.
A. Der Wettbewerb der Rechtsprodukte
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Ein konkreter Beweis dieser Kommerzialisierung der Rechtsordnungen ist beispielsweise das Urteil „Viking Line“ des Gerichtshofs der Europäischen Union aus dem Jahr 2007.22 In diesem Fall wollte das finnische Unternehmen Viking Line im Jahr 2003 die finnische Flagge eines Schiffs, das die Strecke Helsinki – Tallinn fuhr, in die estnische ändern. Dadurch versuchte es, seine Besatzung dem estnischen Arbeitsrecht zu unterwerfen, das für ihn günstiger als das finnische war. Um dies zu verhindern, rief die Finnish Seamen’s Union (FSU) einen Streik aus und bat um die Unterstützung der International Transport Workers’ Federation (ITF), damit ihre Mitglieder – darunter diejenigen aus Estland – nicht mit Viking Line verhandelten. Die ITF ist eine Institution, die sich gegen die Praktiken von Billigflaggen einsetzt.23 Bei diesen wird anstelle der Flagge des Landes des Eigentümers des Schiffes oder der Flagge des Landes der effektiven Führung des Schiffunternehmens eine andere, günstigere Flagge verwendet.24 Als Folge dieser Maßnahmen einigten sich beide Parteien darauf, dass das Unternehmen seine Flagge bis 2005 nicht änderte. Als Estland im Jahr 2004 jedoch bereits Mitglied der damaligen Europäischen Gemeinschaft wurde, verklagte Viking Line dennoch die FSU und die ITF und argumentierte, dass beide Verbände gegen die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft verstießen. Im Jahr 2007 entschied der Europäische Gerichtshof zugunsten von Viking Line und stellte fest, dass eine solche Gewerkschaftsmaßnahme der Unternehmensniederlassungsfreiheit von § 43 EG-Vertrags (jetzt § 49 AEUV) widerspricht. Wie man bemerkt, hätte die Reederei nicht von den für sie vorteilhaftesten Arbeitsrechtsvorschriften profitieren können, wenn Estland nicht der Europäischen Gemeinschaft beigetreten wäre.25 Sie hätte die Flagge nicht nach Lust und Laune wechseln lassen können. Die Rechtsordnungskonkurrenz zeigt sich auch in der Debatte über die Privatrechtsvereinheitlichung. In diesem Prozess zielt jedes Rechtssystem darauf ab, zum Modell zu werden.26 Sie wollen das „tertium genus“ sein, das sowohl vom nationalen Recht als auch von traditionellen Rechtsfamilien unabhängig ist.27 Beispielsweise folgen die Instrumente des internationalen und europäischen Vertragsrechts bisher dem Vorbild der deutschen Rechtsordnung bezüglich des Vertragsabschlusses.28 Diese sei nämlich aus Gläubigersicht effizienter und einfacher als das römische
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EuGH, 11.12.2007 – C-438/05 – „Viking Line.“ Siehe https://www.itfglobal.org/en/sector/seafarers/flags-of-convenience (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 24 https://www.itfglobal.org/en/sector/seafarers/flags-of-convenience (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Vgl. auch zum Einsatz von Billigflaggen Stark, Law for Sale, S. 1 f. 25 Kritisch zum Fall „Viking Line“ Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 56 ff. 26 Pimont, RJT 2009 43 – 2, 439, 444. Vgl. auch M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 75; derselbe, La Ley 3.6.2016, 1, 2; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 423. 27 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 348. 28 Vgl. dazu M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 73. 23
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
Rechtskreismodell, das die causa fordert.29 Nach dem deutschen Rechtssystem hängt die Vertragsentstehung nur vom Vorliegen der einfachen Willensvereinigung ab.30 Angesichts dieser Situation hat beispielsweise Spanien, um nicht als Referenzmodell ausgeschlossen zu werden, im Jahr 2009 ein Projekt vorgestellt, das die Bedeutung der causa als Vertragsentstehungsvoraussetzung herunterspielen sollte.31 Ebenso wollte Frankreich seine Privatrechtsordnung durch die Schuldrechtsreform vom Jahr 2016 wettbewerbsfähiger machen32 und beseitigte sein „joyau du patrimoine contractuel“33 als Vertragsabschlusserfordernis (vgl. Art. 1128 Code Civil).34 Der Präsidentenbericht über die Reformverordnung bringt dies zum Ausdruck: „(…) objectif poursuivi par l’ordonnance est de renforcer l’attractivité du droit français, au plan politique, culturel, et économique. (…) A cet égard, l’abandon formel de la notion de cause, qui a suscité de nombreux débats, permettra à la France de se rapprocher de la législation de nombreux droits étrangers (…).“35
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit Die Liberalisierung der Handelsgrenzen hat auch die Segmentierung der Rolle des Staates als Garant für das Vereinbarte verstärkt. Verträge sind transnational, der Staat hat aber nur lokalisierte Macht.36 Grundsätzlich stehen als Lösung dafür die Regeln des Internationalen Privatrechts mit ihren Techniken der Normen- und Gerichtsbarkeitskonfliktlösung zur Verfü-
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So Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 27. In diese Richtung auch Hellwege, AcP 2011, 665, 692. Vgl. hierzu ferner M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 69. 30 So Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 449; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 66, 69 f.; derselbe, JZ 2013, 1021, 1025. Siehe dazu Einleitung, unter E. und 2. Kapitel, unter E. II. 31 Laut dem exposición de motivos des spanischen Entwurfs zur Angleichung des Código Civil an die Bedürfnisse des aktuellen Marktes und an das europäische Recht 2009 wird der causa die derzeitig noch genossene Bedeutung nicht mehr zuteil. Propuesta de anteproyecto de ley de modernización del derecho de obligaciones y contratos, 13, VII. Vgl. aber Saborido Sánchez, Indret 2013, N8 1, 1, 28 ff., der dieses Versprechen des Entwurfs relativiert. 32 Vgl. dazu M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1, 2; derselbe, ZEuP 2017, 69, 75; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 423; auch Mazeaud, RJT 2010 44 – 1, 243, 244; Pimont, RJT 2009 432, 439, 441, 444. 33 Mazeaud, ERCL 2010, 1, 20. 34 Siehe dazu 2. Kapitel, unter D. III. 3. Zur Abschaffung der cause-Lehre in Frankreich M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1, 3 f.; derselbe, ZEuP 2017, 69 ff.; Weller, FS Müller-Graff (2015), S. 109, 113 ff.; derselbe, „La cause“, S. 146 ff. 35 Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n8 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations. (Hervorhebung durch Verfasser). 36 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 161 f.
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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gung.37 Diese Vorschriften haben sich gerade im Territorialstaat zum Schutz transnationaler Geschäfte stark verbreitet.38 Als Alternative zum traditionellen Kollisionsrecht wird auch die Möglichkeit eines nach seinen eigenen Regeln unterliegenden Vertrags in Betracht gezogen: „contrats sans loi, contratti senza legge, rechtsordnungslose Verträge.“39 Diese Art von Geschäft werde durch eine Reihe von deterritorialisierten Prinzipien, wie z. B. Treu und Glauben, geregelt40, und seine Konflikte werden von privaten Instanzen, wie etwa der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, entschieden.41 Diese beiden Maßnahmen funktionieren allerdings manchmal nicht richtig. Aufgrund des Rechtsordnungswettbewerbs oder mangelnder Transparenz besteht die Möglichkeit, dass die zuständige Gerichtsinstanz nicht als echter konfliktfremder Dritter auftritt.42 Das Fehlen dieses Dritten bei Konflikten kann dazu führen, dass der Austausch nicht mehr durch das gegebene Wort regiert wird. Dann kann er seinen freiwilligen Charakter verlieren und von Zwang beherrscht werden. Dies kann durch konkrete Beispiele im Finanzmarkt beleuchtet werden, der dominanter Ausdruck des globalen Marktkapitalismus ist.43 Die nationale Gerichtsbarkeitskonkurrenz soll im Folgenden durch Staatsschuldenkonflikte veranschaulicht werden (dazu unter I.). Als Beleg der mangelnden Transparenz in den Streitigkeiten um die „rechtsordnungslosen“ Austauschverhältnisse wird ein Fall des Marktes der Derivate über Staatsanleihen herangezogen (dazu unter II.).
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Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 162. Vgl. Santos, Sociología jurídica crítica, S. 349; auch T. Rauscher, Internationales Privatrecht, § 1, Rn. 25 ff. 39 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 350 (Hervorhebung im Original). 40 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 350 f. 41 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 94. Diesbezüglich vgl. zudem die Überlegungen von C. Duve, AnwBl 2014 Heft 2, 252, über die Entwicklung von Technologien zur außergerichtlichen Beilegung transnationaler Streitigkeiten über das Internet: ein neuer Schritt in die „Privatisierung der Justiz.“ 42 Hierbei ist allerdings zu erwähnen, dass in einigen Bereichen der außergerichtlichen Streitbeilegung, wie beispielsweise der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, einige Maßnahmen ergriffen wurden, um den Mangel an Transparenz zu mildern. Dazu C. Duve/Wimalasena, AnwBl 2014 Heft 6, 511 f. 43 Ingham, Capitalism, S. 261. 38
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
I. Die Kommerzialisierung der Gerichte 1. Der Staatsanleihevertrag und der Kapitalmarkt Mit dem Untergang des Bretton-Woods-Währungssystems44 und der Kapitalliberalisierung wurden internationale Kreditagenturen wie der International Monetary Fund (IMF) in ihrer Funktion teilweise durch den Kapitalmarkt ersetzt.45 Seitdem finanzieren sich die Staaten daher regelmäßig durch Anleihen mit einer Vielzahl von privaten Investoren.46 Sie nutzen ein Privatvertragsverhältnis.47 Dieses Geschäft hat besondere Eigenschaften. Eine der Parteien, der Staat, hat zwar eine eigene Währung und ein eigenes Rechtssystem sowie eine eigene Justiz.48 Dies kann als institutioneller Rahmen für den Austausch zwischen dem Staat und den Gläubigern dienen.49 Allerdings werden in der Regel Währung, Recht und Gerichtsbarkeit eines anderen Staates durch die Staatsanleihebedingungen gewählt, um Zweifel an der Parteilichkeit zu vermeiden.50 Diese Rechtstechniken haben grundsätzlich keinen Einfluss auf die Staatsimmunität. Die völkerrechtliche Maxime „par in parem non habet imperium ni iurisdictionem“, die einen Souverän dagegen schützt, sich einem anderen zu unterwerfen, gilt für diese Austausche nicht.51 Man versteht, dass der Staat hier als privater Akteur (acta iure gestionis) und nicht als Souverän (acta iure imperii) handelt.52 So hatten die 150 verschiedenen Anleihen, die den argentinischen 44
Ausführlich zum Bretton-Woods-Abkommen und seinem Ende Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 66 ff., 95, 103 ff., 131. Vgl. auch O’Rourke, The Great Depression, S. 110, 113. 45 Vanoli/Cámpora, Voces en el Fénix N8 11, 80, 82. 46 Vgl. Munevar, Vulture Funds, S. 1; Pfeiffer, ZVglRWiss 102 (2003) 141, 144; auch A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 6 ff.; Kleinlein, AVR 44 (2006), 405; Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 3. Nur sieben Prozent der Anleihen der argentinischen Staatsverschuldung im Jahr 2001 wären beispielsweise in den Händen von Staaten und privaten Kreditbanken gewesen. Rudolf/Hufken, Am. J. Int’l L. Vol. 101, No. 4 (Oct., 2007), 857, 861, Fn. 15. 47 Zu Anleiheemissionen als Privatrechtsverhältnis Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 10 ff. Vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08. Mai 2007 – 2 BvM 1/03 – Rn. 26; ferner A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 8; Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 406; Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 81 f.; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 52; Weller/Grotz, JZ 2015, 989. 48 Vgl. M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76, 77. 49 So ist der Fall z. B. zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und seinen Anleihegläubigern. Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 3. 50 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 12 f.; vgl. auch Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 7 f. 51 Pfeiffer/Kopp, ZVglRWiss 102 (2003) 563, 565; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 15. 52 Reithmann/Martiny/Fraitag, Internationales Vertragsrecht, Rz. 6.649: „Juristische Personen des öffentlichen Rechts handeln bei Aufnahme von Mitteln am Kapitalmarkt durch Emission von Anleihen nicht hoheitlich (acta iure imperii), sondern lediglich fiskalisch (acta iure gestionis).“ Vgl. auch Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 417 f.; Pfeiffer, ZVglRWiss 102
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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Staatsbankrott des Jahres 2001 ausmachten, – neben argentinischen Pesos – fünf verschiedene Währungen (US-Dollar, Pfund Sterling, Yen, Euro und Schweizer Franken) und richteten sich – außer nach argentinischem Recht – nach dem Recht von sieben Ländern (USA, England, Japan, Deutschland, Italien, Spanien und Schweiz).53 Als gängige Praxis zur Erhöhung der Attraktivität von Anleihen für Gläubiger verzichten die Staaten auch häufig auf die allgemeine Immunität ihres Vermögens (waiver of immunity).54 Auf diese Weise verfügen die Gläubiger im Falle eines Vertragskonflikts über Vermögenswerte zur Vollstreckung und mittelbaren Umwandlung der Anleihe in Kapital.55 Aus diesen Vollstreckungen werden jedoch Vermögen ausgeschlossen, die souveränen, militärischen, konsularischen oder diplomatischen Zwecken dienen56, es sei denn, es wird ein ausdrücklicher und sehr konkreter Verzicht auf die Immunität dieses Vermögens festgestellt.57 2. Staatliche Gerichtsbarkeiten als Teil der Finanzplätze Indem der Emissionsstaat die Währungsmanagement-, Rechtsgestaltungs- und Rechtsprechungshoheit über seine Anleihen aufgibt, ergibt sich eine Art „Forum Shopping“ für das Kapital. Die verschiedenen staatlichen Gerichtsbarkeiten neigen dazu, miteinander zu konkurrieren, um in den Anleiheemissionsbedingungen als zuständig gewählt zu werden.58 Jede Streitigkeit bringt nämlich einen großen Ka(2003) 141, 167; Pfeiffer/Kopp, ZVglRWiss 102 (2003) 563, 565, 569; Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 333 f.; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 15. 53 Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 10; Val, Relaciones Internacionales n8 52/2017, 163, 171, Fn. 21. 54 Rudolf/Hufken, Am. J. Int’l L. Vol. 101, No. 4 (Oct., 2007), 857, 864; vgl. auch Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 422 ff.; Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 10 f., 336 f. 55 Vgl. Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 15 ff. 56 Vgl. Lübbe-Wolff, Sondervotum, BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08. Mai 2007 – 2 BvM 1/03 – Rn. 93. Siehe diesbezüglich z. B. die Verordnung 334/2017 der argentinischen Exekutive vom 12.5.2017, bei der festgestellt wird, unter welcher Bedingungen das Finanzministerium eine Gerichtsstandvereinbarung zugunsten eines ausländischen Gerichts in den Anleihebedingungen bestimmen kann. Art. 1, Abs. 2 der Verordnung zählt auf, welche Vermögen von der Immunität geschützt bleiben, und zwar u. a. jede Reserve der argentinischen Zentralbank (a); jedes Vermögen, das von einer diplomatischen, staatlichen oder konsularischen Mission der argentinischen Republik genutzt wird (f); oder jedes Eigentum militärischer Art oder unter der Kontrolle einer militärischen Behörde oder Verteidigungsagentur der argentinischen Republik (h). 57 Tief dazu Pfeiffer/Kopp, ZVglRWiss 102 (2003) 563, 570 ff.; vgl. ferner Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 422 ff.; Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404, 408; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 16; auch Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 337 f. 58 Zu diesem Phänomen in Staatsanleihen M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76 ff.
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
pitalfluss mit sich, was letztendlich den Rechts- und Finanzplätzen, d. h. der Wirtschaft des Landes, zugutekommt.59 Um die Attraktivität der Gerichtsbarkeit zu steigern, entscheidet diese in der Regel zugunsten des transnationalen Kapitals. Die Gerichtsbarkeiten werden hier also – wie auch die Rechtsordnungen – zu Waren.60 Dies verzerrt jedoch den Anleihevertrag und beeinträchtigt seine Funktionalität. Die zuständige Rechtsordnung ist somit gerade nicht neutral.61 Eine Streitigkeit über den Austausch wird nicht mehr von einem parteifremden Dritten entschieden. Vielmehr findet eine gewisse Subversion der Parteilichkeit zugunsten der staatlichen Gläubiger statt.62 Dies ist besonders bedenklich, wenn man berücksichtigt, dass die Staatsumschuldungen mit anschließenden Rechtsstreitigkeiten in den letzten Jahren exponentiell zugenommen haben63 und Staatsumschuldungen keine außergewöhnlichen Ereignisse sind.64 Als Beispiel hierfür kann eine Entscheidung des New Yorker Gerichts aus dem Jahre 1998 über die peruanische Verschuldung herangezogen werden. Dabei war die Rolle des Gerichts nicht mit den Erwartungen an eine dem Geschäft fremde Instanz vereinbar. Im Jahr 1984 stellte Peru seine Zahlungen ein.65 Nach mehreren Neuverhandlungsversuchen stimmte es im Jahr 1996 der Umschuldung gemäß dem „Brady-Plan“ zu.66 Im selben Jahr kaufte der Fonds Elliot Associates LP von Paul Singer67 ausgefallene peruanische Schulden zu etwa der Hälfte ihres Wertes.68 Der Fonds verweigerte die Einigung mit dem südamerikanischen Staat und klagte dann
59 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 80; vgl. auch M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27. 60 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 80; vgl. ferner M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27. 61 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78. 62 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78. In diese Richtung, aber in Bezug auf das Recht im Allgemeinen Stark, Law for Sale, S. 126: „Law is a contested commodity insofar as its commodity status conflicts with the societal functions we expect it to perform.“ 63 Schumacher/Trebesch/Enderlein, CESifo Working Paper No. 6931 (Februar 2018), 1, 2: „The data show that Argentina’s legal dispute with holdouts is no exception, but part of a general trend. In recent years, 50 % of debt crises involved litigation, compared to less than 10 % in the 1980s and early 1990s. The claims under dispute have grown notably, from close to zero in the 1980s to an average of 3 % of restructured debt, or 1.5 % of debtor country GDP in the 2000s.“ 64 Wigglesworth/Webber, Markets: An unforgiven debt, in: Financial Times, 27.11.2012: „The IMF has tallied more than 600 sovereign restructurings in 95 countries between 1950 and 2010.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. dazu auch Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 3. 65 Zur ganzen Geschichte des Konflikts Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 244 ff. 66 Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 244. 67 Val, Relaciones Internacionales n8 52/2017, 163, 166. 68 Vgl. A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 13 f.; auch Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 11.
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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auf Zahlung des Gesamtbetrags der Staatsanleihe.69 Dieser „distressed sovereign debt“ Investor war also ein „Geierfonds.“ Diese Art von Fonds spezialisiert sich auf den Kauf von Schuldverschreibungen in Verzug oder in baldigem Verzug auf dem Sekundärmarkt zu einem Preis, der niedriger als der Nominalpreis ist, und beansprucht später hundertprozentig ihren Nominalwert vor Gericht.70 Richter Robert W. Sweet vom New York Southern District Court entschied die Klage von Elliot zugunsten von Peru.71 Zu diesem Zeitpunkt war die Champerty-Doktrin in Section 489 des New York Judiciary Law enthalten. Sie verbot den Kauf von ausgefallenen Anleihen mit der Absicht, gegen deren Emittenten zu verklagen.72 Die zweite Instanz hob jedoch die Entscheidung von Sweet auf mit der augenfälligen Begründung, dass der Fonds Anleihen mit der Absicht seiner Eintreibung gekauft habe und dass die Klage gegen den Emissionsstaat zu diesem Zweck „incidental and contingent“ gewesen sei.73 Diese „game-changing decision“74 machte die Norm bedeutungslos. Jeder, der eine Anleihe erwirbt, möchte sie selbstverständlich einlösen.75 Aber in dem dargelegten Zusammenhang konnte Elliot beim Schuldkauf keine vernünftigen Erwartungen daran haben, den vollen Betrag ohne Klage einzunehmen.76 Er hatte die Anleihen zum halben Wert erworben als Peru bereits seine vertraglichen Pflichten verletzt hatte. Der lateinamerikanische Staat ging in Berufung, die aber erfolglos blieb und im Jahre 2000 stand fest, dass er verpflichtet war, an Elliot zu zahlen.77 Auch die gerichtlichen Maßnahmen, die der Richter Thomas Griesa vom New Yorker Southern District Court im „trial of the century“ zwischen dem Fonds NML Capital und der Argentinischen Republik ergriffen hat, sind nicht als unparteiisch 69
Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 245; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, Fn. 9; Val, Relaciones Internacionales n8 52/2017, 163, 168; vgl. auch D’Elía, La Ley DJ 27.8.2014, 1, Fn. 2. 70 A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 9; Guzman, 85 Rev. Jur. UPR (2016), 611, 612, 623 f.; M. G. Casas/Guzman, La Ley 8. 6. 2018, 1; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 80 f.; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1; vgl. auch D’Elía, La Ley DJ 27.8.2014, 1. 71 U.S. District Court for the Southern District of New York, Elliott v. Peru, 961 F. Supp. 83, vom 28 April 1997. 72 N.Y. Judiciary Law § 489: „[n]o corporation or association, directly or indirectly (…) shall solicit, buy or take assignment (…) of a bond promissory note, bill of exchange, book debt, or other thing in action, or any claim or demand, with the intent and for the purpose of bringing an action or proceeding thereon (…).“ (Hervorhebung durch Verfasser). 73 U. S. Court of Appeals, Second Circuit, Elliot v. Peru, AZ 98-9268, 98-9318, vom 20. Oktober 1999. 74 Blackman/Mukhi, 73 LAW & CONTEMP. PROBS. 4 (Fall 2010), 47, 54. 75 Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 249 f. 76 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 12; derselbe, Voces en el Fénix N8 62, 102, 109; Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 249; Val, Relaciones Internacionales n8 52/2017, 163, 169. 77 Kupelian/Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 232 f., 251 f.; Val, Relaciones Internacionales n8 52/2017, 163, 169.
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
anzusehen.78 Im Jahre 2001 erklärte das südamerikanische Land aufgrund einer schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise die Zahlungseinstellung in Bezug auf seine Schulden.79 Diese staatliche Maßnahme löste eine Reihe von Verhandlungen und Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema aus, deren Folgen noch fortdauern.80 In den Jahren 2005 und 2010 vereinbarte die argentinische Regierung zwei Umschuldungen, die 92,4 % der ausgefallenen Anleihen umfassten.81 Außerhalb dieser Einigungen blieben jedoch „Geierfonds“ bestehen. Einer davon, der bereits erwähnte NML Capital, eine Tochtergesellschaft von Elliot82, hat zwischen den Jahren 2003 und 2011 mehr als zehn Klagen gegen Argentinien vor New Yorker Gerichten erhoben.83 Dabei forderte er die Einziehung von hundert Prozent seiner Anleihen.84 Diesem Gerichtsstreit schlossen sich dann weitere Fonds sowie alte Anleihegläubiger mit dem gleichen Ziel an.85 Viele der Fonds hatten ihre Kredite nach der Schuldverzugserklärung des Landes des Silbers zu einem Preis erworben, der unter 70 % des Anleihennominalwerts lag.86 Ende des Jahres 2011 verurteilte der Richter Griesa die Argentinische Republik zur Rückzahlung der Anleihe zu ihren ursprünglichen Bedingungen.87 Zu diesem Zweck ordnete er Anfang des Jahres 2012 78 J. Smith, PRIME, 9.12.2014, 1, 2 ff. Der Fall NML Capital, Ltd. v. Republic of Argentina dauerte mehr als zehn Jahre und hatte außerordentliche Folgen. Deshalb nannte die Presse ihn „trial of the century.“ So z. B. Coterill, Choose your own adventure, sovereign debt trial of the century edition, in: Financial Times, 8.2.2013. Vgl. dazu auch Hudson, Killing the Host, S. 356; M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, Fn. 1; Plana/Madcur, La Ley 23.10.2015, 1. 79 Zur ganzen Geschichte des Konflikts Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 10 ff.; Guzman, CIGI Paper No. 110, 1 ff.; Hudson, Killing the Host, S. 347 ff.; vgl. ferner A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 16; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 2. 80 Dazu M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1 ff. Siehe auch die jüngste Entscheidung BVerfG, Beschluss vom 03. Juni 2019 – 2 BvR 824/15. 81 Hudson, Killing the Host, S. 347, 349 f.; M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1. 82 Siehe https://offshoreleaks.icij.org/nodes/82011056 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Vgl. auch Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 2, Fn. 29; Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 268. 83 A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 17; Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404. 84 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 11; Hudson, Killing the Host, S. 347 f., 350. 85 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 11 f. Diesbezüglich Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 10: „So, arguably, the ,run to the courthouse‘ could be considered the ,run to the Southern District of New York‘ with regard to Argentina’s holdout litigation.“ Vgl. auch Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 242: „The litigation against Argentina, which under Argentina’s New York law FAA rose to over 1,500 individual suits.“ 86 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 13 f.; vgl. auch Hudson, Killing the Host, S. 347 f.; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 2; Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 268. 87 U.S. District Court for the Southern District of New York, NML Capital, Ltd. v. Republic of Argentina, 2011 WL 9522565, No. 08 Civ 6978 (TPG) 09 Civ. 1707 (TPG), 09 Civ. 1708 (TPG), vom 7 Dezember 2011.
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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eine drastische Maßnahme an, die Argentinien die Rückzahlung der umstrukturierten Schulden verhinderte, solange es die Anleihen der Umschuldungsverweigerern (die sog. „Hold out- und Akkordstörern“88) nicht beglichen hatte.89 Der Supreme Court der Vereinigten Staaten lehnte die Revision dieser Entscheidung im Juni 2014 ab.90 Diese Entscheidung drohte auch mit eventuellen haftungsrechtlichen Konsequenzen für die Bank of New York Mellon (BoNY) und andere Unternehmen, die mit dem argentinischen Staat bei der Zahlung seiner umstrukturierten Schulden hätten zusammenarbeiten können.91 Die BoNY war der Treuhänder der Umschuldungen und besaß das von Argentinien eingezahlte Geld, um die Zinsen vom 30. Juli dieses Jahres zu tilgen.92 Die anderen potenziellen Zahlungsintermediäre sahen aus Angst vor Repressalien davon ab, Argentinien zu helfen.93 All diese Dritten wurden zu „rehenes del conflicto legal“ (Geisel des Rechtsstreits).94 Die Zahlung konnte dementsprechend nicht geleistet werden.95 Diese Mittel gehörten allerdings nicht mehr zum argentinischen Staat.96 Die Treuhandschaft trennt die der Treuhandbank übergebenen Gelder vom Vermögen des Treugebers.97 Das Geld, das sich im Besitz von BoNY befand, war deshalb Treuhandvermögen.98 Es war für die „Exchangeoder Compliance-Gläubiger“, Begünstigte des Treuhandgeschäfts und im Prozess nicht angehörte Dritte vorgesehen.99 In diesem Konflikt überschritt das Gericht zudem seine territorialen Grenzen, da die Drohung, nicht mit Argentinien zusammenzuarbeiten, auch Zahlungsvermittler mit Sitz in anderen Gerichtsbarkeiten
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Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 4, 39. U.S. District Court for the Southern District of New York, NML Capital, Ltd. v. Argentina, No. 08 Civ 6978 (TPG) 09 Civ. 1707 (TPG), 09 Civ. 1708 (TPG), vom 23 Februar 2012. Vgl. dazu auch Hudson, Killing the Host, S. 348, 351 ff.; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 2; Plana/Madcur, La Ley 23.10.2015, 1 f. 90 U.S. Supreme Court, Republic of Argentina v. NML Capital, Ltd., Vol. 573, No. 12 – 842, verhandelt am 21 April 2014— Entschieden am 16 Juni 2014. Vgl. dazu Weller/M. G. Casas, El contrato peligroso: NML Capital vs. Argentina, in: Clarín, 11.8.2014, S. 19. 91 Ausführlich zu den Folgen dieser Maßnahmen M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1 ff.; vgl. dazu auch Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 13 f.; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78. 92 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14; Hudson, Killing the Host, S. 358; M. G. Casas/ Guzman, La Ley 8.6.2018, 1. 93 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 13. 94 Weller/M. G. Casas, El contrato peligroso: NML Capital vs. Argentina, in: Clarín, 11.8.2014, S. 19. 95 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14; vgl. auch A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 18. 96 Drucaroff Aguiar, La Ley 4.8.2014, 1, 2. 97 Vgl. M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78. 98 Drucaroff Aguiar, La Ley 4.8.2014, 1, 2. 99 Drucaroff Aguiar, La Ley 4.8.2014, 1, 2. 89
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
umfasste.100 Darüber hinaus wurde hier die Champerty-Doktrin nicht angewendet. Zwar wurde ihre Anwendung im Jahr 2004 für den Erwerb von Anleihen im Wert von über 500.000 US-Dollar durch eine Reform der New Yorker Gesetzgebung ausgeschlossen101, die streitigen Anleihen von Argentinien waren jedoch vor diesem Datum emittiert worden. Die Rückwirkung dieser Gesetzesänderung führte zu einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtssicherheit und zu einer Begünstigung der Gläubiger.102 Diese Modifizierung fand ihren Ursprung in Lobbying-Aktionen von „Geierfonds.“103 Der Gesetzesentwurf wurde vom New York State Senator John Marchi unterbreitet, dessen Stiftung John Marchi and Friends Spenden von Singer – Geschäftsführer von NML Capital – erhalten hatte.104 Demzufolge richtete sich die Gerichtsbarkeit in diesem Fall nicht nur nach dem Kapital, sondern die Gläubiger des Emissionsstaates nahmen auch Einfluss auf die Rechtsgestaltungshoheit. Das Handeln der Justiz zugunsten des Kapitalmarktes zeigt sich auch in anderen Gerichtsordnungen. So war die zweite Anleihemehrheit zum Zeitpunkt des argentinischen Defaults der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.105 Zwischen den Jahren 1993 und 2000 hatte das lateinamerikanische Land 28 der 100 Auslandsanleihen dort emittiert.106 Deshalb beschäftigten sich auch die deutschen Gerichte mit dieser Schuldenkrise und verfolgten – wenn auch weniger explizit als die Amerikaner – in eine „creditor friendly“ Argumentation. Beispielsweise wurde die Entscheidung „Argentinien“ des BVerfG im Jahr 2007107 vom Kapitalmarkt sehr begrüßt108, in welcher der Argentinischen Republik die Einrede des Zahlungsnotstandes verweigert wurde. Dabei wurden weder die argentinischen Notstandsgesetze angemessen behandelt109, noch die Tatsachen, dass die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze sowie ein Viertel unterhalb des Existenzminimums lebte und dass die Arbeitslosigkeit bei circa 25 % lag.110 Das Gericht befand, dass der staatliche Zahlungsnotstand nicht zum Völkergewohnheitsrecht gehörte. Auf Grundlage dieses 100 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 13; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78; vgl. ferner Calcagno, Voces en el Fénix N8 62, 6, 13; Drucaroff Aguiar, La Ley 4.8.2014, 1, 2. 101 Blackman/Mukhi, 73 LAW & CONTEMP. PROBS. 4 (Fall 2010), 47, 54; Munevar, Vulture Funds, S. 2. 102 Ähnlich Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 12. 103 Vgl. Blackman/Mukhi, 73 LAW & CONTEMP. PROBS. 4 (Fall 2010), 47, 54; Kupelian/ Rivas, Revista Derecho Público, N8 7 (2014), 225, 248. 104 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 12 mit Fn. 22; derselbe, Voces en el Fénix N8 62, 102, 109. 105 Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 17 f. 106 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 13. 107 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 08. Mai 2007 – 2 BvM 1/03. 108 Zu dieser Information Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 6. 109 Gesetz der Republik Argentinien Nr. 25.561 über den öffentlichen Notstand und die Reform des Wechselkurssystems vom 6.1.2002. Die Geltungsdauer dieser Norm wurde alle zwei Jahre verlängert und erst am 6.1.2018 beendet. 110 A. Schäfer, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 154 (2018), 1, 16.
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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Falles entschied auch der BGH Anfang des Jahres 2015 in gleicher Weise bezüglich Argentiniens.111 Diese Position wäre nicht besonders umstritten112 und würde in dem hier vorgestellten Kontext keine Aufmerksamkeit erregen, wenn es nicht abweichende vorherige Rechtsprechung dieser Gerichte gäbe. Nach dem Zweiten Weltkrieg berief sich das BVerfG anlässlich der Ablehnung eines Vertragsanspruchs gegen das Deutsche Reich auf den Staatnotstand.113 Im Jahr 1962 stellte das Gericht fest, dass die Ansprüche gegen den Staat wegen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes und den Übergangsbestimmungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Art. 134, 135 a) erloschen seien. In Ermangelung eines Staatsbankrottgesetzes akzeptierte das Gericht die damals ergriffenen Notmaßnahmen und sagte scharf: „Das Reich (…) war nicht nur vorübergehend zahlungsfähig, sondern konkursreif.“114 Ein Jahr vor diesem Urteil bestimmte der BGH ferner im Zusammenhang mit einer Staatshaftungsklage, dass der Zustand der Reichskonten die Beseitigung bestimmter Verpflichtungen auf Grundlage eines konkursähnlichen Systems rechtfertigte.115 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung lassen sich die Entscheidungen der deutschen Gerichte aus diesem Jahrhundert über Staatsanleihen als einladende Geste zum transnationalen Kapital lesen. Auf der Urteilsvollstreckungsebene ist diese Umkehrung der Parteiergreifung der Rechtsprechung zugunsten der Gläubiger ebenfalls zu sehen. Im Rahmen des Jahrhundertprozesses versuchte NML Capital, die Vermögen Argentiniens weltweit zu beschlagnahmen.116 Im Oktober 2012 erreichte der Fonds nach der Entscheidung des Richter Griesa, dass ein ghanaisches Gericht die Fregatte „Libertad“ festnahm.117 Die „Libertad“ ist ein argentinisches Kriegsschiff, das diplomatische Missionen und die Kadettenausbildung durchführt.118 Damals legte es im Hafen von Tema in Accra an.119 Der Halt war zuvor mit der ghanaischen Regierung vereinbart worden.120 NML Capital stützte seinen Embargoantrag auf die Tatsache, dass das südamerikanische Land die Immunität seines Vermögens aufgehoben hatte und ausländische Ge111
BGH, 24.2.2015 – XI ZR 193/14. Für die Anerkennung des Staatsnotstands nach Völkerrecht in der deutschen Rechtsordnung Pfeiffer, ZVglRWiss 102 (2003) 141, 146 ff.; auch Rudolf/Hufken, Am. J. Int’l L. Vol. 101, No. 4 (Oct., 2007), 857, 862 ff. Zweifel an dieser Möglichkeit Kleinlein, AVR 44 (2006), 405, 413 ff. Für die Anerkennung des Staatsnotstands nicht nach Völkerrecht, aber durch die Anwendung des Internationalen Privatrechts und des deutschen materiellen Rechts Weller, Die Grenze der Vertragstreue, und Weller/Grotz, JZ 2015, 989 ff. 113 BVerfG, 14.11.1962 – 1 BvR 987/58. 114 BVerfG, 14.11.1962 – 1 BvR 987/58, Rz. 43. 115 BGH, 21.12.1961 – III ZR 157/60, BGHZ 36, 245. 116 Hudson, Killing the Host, S. 348. 117 Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 269 ff. 118 Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 266. Vgl. ferner Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404, 408. 119 Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 266. 120 Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404. 112
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
richtsbarkeiten für die Urteilvollstreckung gegen es allgemein akzeptiert hatte.121 Das Embargo wurde in der Berufung bestätigt.122 Daraufhin wandte sich Argentinien an den International Tribunal for the Law of the Sea.123 Diese Einrichtung ist für zwischenstaatliche Angelegenheiten bezüglich der United Nations Convention on the Law of the Sea zuständig.124 Sie ist supranational und arbeitet unparteiisch und ist deshalb kein Teil des Rechtsmarktes. In seinem Antrag forderte Argentinien die sofortige Freigabe seines Flaggschiffs unter anderem auf der Grundlage von Art. 32 des Übereinkommens.125 Diese Norm besagt, dass Kriegsschiffe souveräne Immunität genießen. Im Dezember, nach einem zweimonatigen Embargo, entschied das Gericht schließlich zugunsten Argentiniens und bestimmte, dass die Fregatte als Kriegsschiff Ausdruck der staatlichen Souveränität ist.126 Damit konnte die „Libertad“ wieder frei segeln.127 Die gerichtliche Entscheidung Ghanas zugunsten des Kapitals war folglich eine klare Verletzung der souveränen Immunität.128 Der Verzicht Argentiniens in Bezug auf die Durchsetzbarkeit seiner Vermögen war allgemein gehalten129, und nicht besonders, wie es für die Beschlagnahme von Vermögenswerten für hoheitliche Zwecke erforderlich ist.130 Diese Rechtsstreitigkeiten zeigen hinreichend die Folgen des Zusammenwirkens der beiden Phänomene – einerseits die Fragmentierung der Staatsfunktion als Garant für das Vereinbarte und andererseits die Konkurrenz der Rechtsordnungen – auf: Die dreiseitige Struktur, die jeder Vertrag verlangt, kann pervertiert werden.
121
Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 270 f. Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 271 f. 123 Zum gesamten Gerichtsprozess Robins, 20 Harv. Negot. L. Rev. (2015), 265, 273 ff.; vgl. auch dazu Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404 ff. 124 Siehe https://www.itlos.org/en/the-tribunal/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 125 Request for Prescription of Provisional Measures Under Art. 290, Para. 5, of the United Nations Convention on the Law of the Sea, Annex A, N8 6, ARA Libertad (Arg. v. Ghana), Case No. 20, Nov. 14, 2012. 126 ARA Libertad (Arg. v. Ghana), Case No. 20, Order of Dec. 15, 2012, N8 94. 127 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 74. 128 In diese Richtung auch Kraska, Am. J. Int’l L. Vol. 107, No. 2 (April 2013), 404, 408 ff. 129 Die betreffende Immunitätsverzichtsbestimmung schreibt vor: „The Republic has in the Fiscal Agency Agreement irrevocably submitted to the jurisdiction of any New York State or Federal Court sitting in the borough of Manhattan, the City of New York and the Courts of the Republic of Argentine (,the specified Courts‘) over any suit, action or proceedings against it or its properties assets or revenues with respect to the securities of this series or the fiscal Agency Agreement (a ,Related Proceeding‘).“ Request for Prescription of Provisional Measures Under Art. 290, Para. 5, of the United Nations Convention on the Law of the Sea, Annex A4, S.10, ARA Libertad (Arg. v. Ghana), Case No. 20, Nov. 14, 2012. (Hervorhebung im Original). 130 Siehe oben 1. Kapitel, unter B. I. 1. Fn. 57. 122
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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II. Mangelnde Transparenz bei der Gerichtsbarkeitsprivatisierung Die Probleme, die bei der Konfliktlösung durch private Instanzen von „selbstregulierten“ Verträgen auftreten, werden sichtbar in einer Entscheidung der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) über Credit Default Swaps (CDS) bezüglich umstrukturierten argentinischen Anleihen. 1. Der Kreditderivatemarkt Die ISDA ist eine im Jahr 1985 gegründete Handelsorganisation mit dem Ziel, den Derivatemarkt effizienter und sicherer zu machen.131 Dafür verfügt diese Institution unter anderem über Werkzeuge wie die Credit Derivatives Determinations Committees.132 Diese Ausschüsse haben die Aufgabe, die Standards des Kreditderivatemarktes im Einzelfall anzuwenden.133 Dabei müssen sie unter anderem entscheiden, ob ein Kreditereignis, das einem Derivat zugrunde liegt, eingetreten ist oder nicht.134 Das heißt, sie legen in gewisser Weise ähnlich einem privaten Gericht fest, in welche Richtung der Kapitalfluss in einem bestimmten Geschäft gehen soll.135 Derivatekontrakte ihrerseits sind Vereinbarungen über die zukünftige Schwankung eines als Basiswert bezeichneten Vermögenswertes (Underlying).136 Der Wert dieser Verträge wird demzufolge durch den Wert eines anderen Vermögenswertes bestimmt137 – er wird von ihm abgeleitet (derivare [lat.] = ableiten).138 Diese Verträge werden danach klassifiziert, ob sie auf einem organisierten Markt (z. B. EUREX) oder auf einem außerbörslichen Markt (OTC aufgrund des Akronyms seines englischen Namens Over-the-Counter) gehandelt und abgeschlossen wer131
http://www2.isda.org/about-isda/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Vgl. dazu Schenk, International financial regulation and supervision, S. 40, 41; Vivien, AVP N8 73 – 2017, 22, 24. 132 M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. 133 https://www.cdsdeterminationscommittees.org/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 134 Vgl. https://www.cdsdeterminationscommittees.org/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 135 Vgl. M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. 136 Bingham/Kiesel, Risk-neutral valuation, S. 2, definiert Derivate so: „A derivate security, or contingent claim, is a financial contract whose value at expiration date T (more briefly, expiry) is determined exactly by the price (or prices within a prespecified time-interval) of the underlying financial assets (or instruments) at time T (within the time inteval [0, T]).“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch BT-Drs. 16/10067, S. 53: „Ein Derivat ist ein schwebendes Vertragsverhältnis, dessen Wert auf Änderungen des Wertes eines Basisobjektes – beispielsweise eines Zinssatzes, Wechselkurses, Rohstoffpreises, Preis- oder Zinsindexes, der Bonität, eines Kreditindexes oder einer anderen Variablen – reagiert, bei dem Anschaffungskosten nicht oder nur in sehr geringem Umfang anfallen und das erst in der Zukunft erfüllt wird.“ 137 Vgl. Bingham/Kiesel, Risk-neutral valuation, S. 2; Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 1; Zaiat, Credit Default Swaps, in: Página/12, 21.6.2014. 138 Harder, Derivative Finanzinstrumente bei Kreditinstituten, S. 7. KOM(2009) 332 endgültig, S. 3: „Sie heißen Derivate, weil ihr Wert von einem ,Basiswert‘ wie z. B. einem Finanzinstrument, einer Ware, einer Marktvariablen oder sogar einer Dienstleistung ,abgeleitet‘ wird.“ Vgl. dazu auch G. Simon/Place, Financial Derivatives, S. 4.
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
den.139 Im Folgenden sind OTC-Derivate von Interesse. Der Markt für diese Art von Derivaten wuchs mit der Finanzmarktliberalisierung ab den 1980er Jahren dramatisch140 und bildete in den letzten Jahren den größten globalen Markt.141 Diese Austausche sind maßgeschneiderte Verträge.142 Sie sind in der Regel von den Parteien frei und individuell nach ihrem Wunsch verhandelt.143 Diese Derivate entsprechen daher gewissermaßen dem vertraglichen Verhandlungsmodell tête à tête des Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Eine Beschreibung der Entstehung von OTC-Derivaten aus erster Hand findet sich in der Erzählchronik „The Big Short“ (2010) des ehemaligen Traders Michael Lewis.144 Das Werk beschäftigt sich mit der Finanzkrise des Jahres 2008 und wurde im Jahr 2015 durch die gleichnamige Filmadaption des Regisseurs Adam McKay weltweit bekannt.145 Der Text erzählt den Prozess der individuellen Verhandlung eines Derivats zwischen dem Hedge-Fonds-Manager Michael Burry und den Vertretern von sieben großen Wall Street-Finanzinstituten.146 Im Jahr 2005 entdeckte Burry die hohe Ausfallwahrscheinlichkeit so genannter Subprime-Hypotheken und wollte angesichts dessen Derivate auf ihr Kreditrisiko als Investition abschließen.147 Er berechnete, dass ein Teil der US-Hypothekenanleihen innerhalb von drei Jahren nicht bezahlt werden könnte.148 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand gegen die Entwicklung des Subprime-Hypothekenmarktes investiert.149 Von den sieben Firmen, mit denen Burry Kontakt aufnahm, zeigten infolgedessen nur zwei – die Deutsche Bank und Goldman Sachs – Interesse an der Schaffung eines solchen Derivats und dieses musste mit Hilfe von der ISDA speziell für die Situation konzipiert werden.150 139 Harder, Derivative Finanzinstrumente bei Kreditinstituten, S. 9; KOM(2009) 332 endgültig, S. 3, 6 f. 140 Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 1; vgl. ferner KOM(2009) 332 endgültig, S. 3. 141 Laut ISDA belief sich das Handelsvolumen mit OTC-Derivaten im Juni 2013 auf 693 Milliarden Dollar (ISDA, The Value of Derivatives, 2014). Die Bank for International Settlements (BIS), eine im Jahr 1930 gegründete Organisation, die 60 Zentralbanken vertritt, schätzte ebenfalls, dass der Umsatz mit OTC-Derivaten bis Ende des Jahres 2014 630 Billionen US-Dollar betrug. Das entsprach damals mehr als das Achtfache des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Siehe BIS Monetary and Economic Department, BIS Quarterly Review, September 2015, 35, 42. 142 Vgl. KOM(2009) 332 endgültig, S. 3, 6 ff.; Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 10. 143 Vgl. Harder, Derivative Finanzinstrumente bei Kreditinstituten, S. 9; Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 10. 144 Lewis, The Big Short. 145 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/The_Big_Short_(Film) (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 146 Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 26 ff. 147 Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 28 ff. 148 Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 30 f. 149 Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 28 f. 150 Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 31, 48 ff.
B. Die Fragmentierung der Gerechtigkeit
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Dieses von Burry abgeschlossene Derivat war gerade ein Credit Default Swap (CDS).151 Es ist das einfachste und beliebteste Kreditderivat.152 Es handelt sich um einen finanziellen Risikoabsicherungsvertrag, in dem ein Austausch von Kapitalflüssen auf der Grundlage eines spezifischen Referenzaktivums eines bestimmten Referenzschuldners vereinbart wird.153 Bei diesem Geschäft muss der Sicherungsnehmer eine Prämie für einen bestimmten Zeitraum (CDS-Spread) oder im Voraus (upfront CDS) zahlen und der Sicherungsgeber muss den versicherten Kredit ganz oder teilweise abdecken, falls er nicht zurückgezahlt wird (credit event).154 Dementsprechend kann der Swap-Käufer durch diese Finanzierungsoperation seine Kreditrisiken managen155 und sich kostengünstig gegen einen großen Verlust absichern.156 Ein Staatsanleiheinhaber hat beispielsweise die Möglichkeit, sich durch ein CDS zu schützen und das Risiko des Staatsbankrotts auf den Versicherungsverkäufer zu übertragen.157 In diesem Fall spricht man von sovereign CDS (SCDS).158 Dieses Derivat kann grundsätzlich auch von jemandem gekauft werden, der das Wertpapier, dessen Ausfallrisiko der Basiswert des Geschäfts ist, nicht besitzt.159 Dabei geht der 151
Lewis, The Big Short, Chapter Two, S. 29 ff. M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. Vgl. auch Wagner, Credit Default Swaps, S. 21. Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 35: „Er [der CDS] dominiert auch den Kreditderivatemarkt.“ 153 Vgl. Wagner, Credit Default Swaps, S. 26 f. 154 G. Simon/Place, Financial Derivatives, S. 27: „A ,credit default swap‘ is a credit derivate in which the counterparties swap the risk premium inherent in an interest rate on a bond or loan – on an ongoing basis – for a cash payment in the event of default by the debtor.“ Artikel 2, (1), c), von Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swap definiert den CDS als „einen Derivatekontrakt, bei dem eine Partei einer anderen Partei eine Prämie zahlt als Gegenleistung für eine Zahlung oder einen anderen Vorteil im Falle eines Kreditereignisses mit Bezug auf einen Referenzschuldner oder bei jedem anderen Zahlungsausfall im Zusammenhang mit diesem Derivatekontrakt, der eine vergleichbare wirtschaftliche Wirkung hat.“ Vgl. auch zu diesem Geschäft Läger, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 37; Storck/Zerey, in: Zerey, Finanzderivate, § 8, Rn. 1 ff., 22 ff.; Wagner, Credit Default Swaps, S. 21 ff.; ferner Barnier, MEMO/11/713; Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 321 f.; Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 35 f. 155 Wagner, Credit Default Swaps, S. 10: „Kreditderivate ermöglichen die Abspaltung des Bonitätsrisikos vom originären Geschäft und den separaten Handel bzw. die Weitergabe dieser Risikokomponente an den Kapitalmarkt.“ Vgl. auch Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 2, Rn. 7. 156 Vgl. Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 39 f.; auch Eck, in: Zerey, Finanzderivate, § 5, Rn. 32. Schüwer, in: Zerey, Finanzderivate, § 1, Rn. 38: „Der Hauptnutzen von CDS für Banken liegt darin, das Kreditrisiko aus ihrem Geschäft als Finanzintermediäre zu managen.“ 157 Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3; M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; auch Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 321 ff. 158 Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3. 159 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 261 f.; ferner Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 1; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 2; Wagner, Credit Default Swaps, S. 22. Seit dem Jahr 2012 152
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
Sicherungsnehmer nicht das reale Risiko des Basisgeschäfts ein, sondern schließt lediglich eine Wette über dessen Entwicklung ab.160 Er profitiert demgemäß nur, indem sich das Risiko des zugrunde liegenden Kredits erhöht.161 Dieses Geschäft wird als naked bezeichnet.162 2. Die großen Finanzakteure als Richter und Parteien Die Erfüllung der umstrukturierten Anleihen Argentiniens in den Jahren 2005 und 2010 war Gegenstand von SCDSs.163 Daher warf die Besonderheit der von Richter Griesa angeordneten Blockierungszahlung die Frage auf, ob die Nichteinhaltung der umstrukturierten Anleihen durch den Staat als Default identifizierbar war oder nicht.164 Das südamerikanische Land wollte zahlen. Es hatte damals 539 Millionen US-Dollar Zinsen an BoNY überwiesen, die Gläubiger konnten aber es wegen des Gerichtsbeschlusses nicht einziehen.165 Angesichts dessen wurde in den sozialen Netzwerken mit Scharfsinn durch den Hashtag „#Griesafault“ angedeutet, dass die Nichteinhaltung der Anleihen nicht dem Emissionsstaat zuzuschreiben sei, sondern Griesas Schuld sei.166 An der Klassifizierung dieser Situation hing das Schicksal der SCDSs: „in what direction should the money go? Should the buyers of the SCDS on Argentina’s bonds continue paying premiums to the sellers? Or should the sellers make a payment to the buyers corresponding to the contingency of the default?“167
sind naked sovereign CDS in der Europäischen Union aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit Griechenlands verboten. [Art. 13 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swap]. Vgl. dazu Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3 f.; Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 245; Münchau, Time to outlaw naked credit default swaps, in: Financial Times, 28.2.2010. Kritisch zu diesen europäischen Maßnahmen Capponi/Larsson, Ann Finance 2014, 481, 482 ff.; Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 320 ff. 160 Vgl. Münchau, Time to outlaw naked credit default swaps, in: Financial Times, 28.2.2010; auch Ingham, Capitalism, S. 261 f.; Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 2 f. 161 Barnier, MEMO/11/713, S. 1. 162 Münchau, Time to outlaw naked credit default swaps, in: Financial Times, 28.2.2010: „A naked CDS purchase means that you take out insurance on bonds without actually owning them. It is a purely speculative gamble.“ Vgl. dazu auch Barnier, MEMO/11/713, S. 1; Capponi/ Larsson, Ann Finance 2014, 481, 482; Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 322 f. 163 M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. 164 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14; vgl. ferner M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. 165 Dazu M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1 f. 166 Vgl. Stiglitz/Guzman, Argentina default? Griesafault is much more accurate, in: The Guardian, 7.8.2014. 167 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14.
C. Ursprung der globalen Dysfunktionalität der Vertragsstruktur
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Ein ISDA-Kreditderivatbestimmungsausschuss intervenierte, um festzustellen, ob die Zahlung ausgefallen war.168 Der Ausschuss entschied positiv darüber, dass ein Ausfallereignis stattgefunden hatte.169 Das Problem bei dieser Entscheidung war jedoch, dass der Elliot-Fonds, von dem NML Capital – wie bereits erwähnt – eine Tochtergesellschaft ist, unter den Ausschussmitgliedern war.170 Das heißt, der Fonds, der Argentinien in der New Yorker Justiz verklagt hat, war derjenige, der das Schicksal der SCDSs in Bezug auf die Auswirkungen eines solchen Konflikts bestimmen sollte. Der Fonds hätte einige der betroffenen naked SCDSs erwerben können. Aufgrund der mangelnden Transparenz des OTC-Derivatemarktes und insbesondere der CDSs ist es nicht möglich festzustellen, ob dieser Fonds tatsächlich von der Ausschussentscheidung profitiert hat.171 Diese Möglichkeit wurde dennoch nahegelegt.172 In diesem Fall wären die Derivate durch die Abwesenheit eines parteienfremden Dritten betroffen gewesen. Die Folgen der SCDSs hätten von einem ihrer Käufer unparteiisch bestimmt werden können. Dies zeigt folglich, dass die absolute Privatisierung von Verträgen und ihrer Konfliktlösung in gewissen Fällen dazu führen kann, dass der Austausch nicht durch das freiwillige Vereinbarte geregelt wird.
C. Ursprung der globalen Dysfunktionalität der Vertragsstruktur: Der Marktpopulismus Die Folgen der Konkurrenz der Rechtsordnungen sowie die durch die Internationalisierung des Austausches verursachte Fragmentierung der Rolle des Staates als Vertragserfüllungsgaranten wurden scharf kritisiert.173 Es wurde eine stärkere Institutionalisierung des globalen Marktes gefordert.174 Insbesondere wurden Regulierungen für die oben genannten Beispiele vorgeschlagen. Im Jahr 2001 stellte Anne Krueger, damals stellvertretende Generaldirektorin des IMF, beispielweise ein 168
M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. Zu dieser Entscheidung https://www.isda.org/2014/09/03/isda-americas-credit-derivati ves-determinations-committee-cds-auction-relating-to-the-argentine-republic/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 170 Vivien, AVP N8 73 – 2017, 22, 23; Vgl. zudem M. G. Casas/Guzman, La Ley 8.6.2018, 1, 2. 171 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14. 172 So Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14; in diese Richtung auch Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6; Vivien, AVP N8 73 – 2017, 22, 24. 173 Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 51 ff.; 73 ff., 81 ff.; derselbe, Homo juridicus, S. 161 ff. 174 Siehe insbesondere Supiot, Der Geist von Philadelphia. Vgl. zu der Institutionalisierung des Finanzmarktes im Allgemeinen Hudson, Killing the Host, S. 401 ff.; O’Rourke, The Great Depression, S. 110 ff.; Schenk, International financial regulation and supervision, S. 40; auch Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. 129; Vanoli/Cámpora, Voces en el Fénix N8 11, 80, 89. Vgl. zum Vorschlag der Einführung einer globalen oder regionalen Kapitalsteuer Piketty, Capital, S. 515 ff. 169
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
Projekt zur Einrichtung eines „sovereign debt restructuring mechanism“ vor.175 Dieser sollte als Staatssanierungsverfahren funktionieren und vom IMF durchgeführt werden.176 Dieser Mechanismus hob die Parteilichkeit der Entscheidungsorgane nicht hundertprozentig auf177, da der IMF als Staatsgläubiger fungiert.178 Er schwächte das Phänomen des gerichtlichen Wettbewerbs stark ab, aber er beseitigte es nicht, weil er nur die Möglichkeit enthielt, rechtliche Klagen während des Umschuldungsverhandlungsprozesses zu hemmen.179 In ähnlicher Weise verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2014 eine Resolution zur Schaffung eines multilateralen Rechtsrahmens für Staatsumschuldungen180 und im Jahr 2015 eine Reihe von Grundsätzen, die bei der Schaffung dieses Rahmens als Orientierungshilfe dienen sollten.181 Die Einhaltung dieser Grundsätze würde das Problem der mangelnden Transparenz des SCDSs-Marktes sowie das Problem des Gerichtsbarkeitsmarktes und der „Geierfonds“ lösen. Der dritte dieser Grundsätze, das Transparenzprinzip182, verlangt unter anderem, dass alle Gläubiger ihre Positionen in SCDSs aufdecken, um mögliche widersprüchliche Interessen bei Umschuldungsverhandlungen zur Kenntnis zu geben.183 Diese Informationspflicht über die Positionen in Derivaten würde mittelbar darstellen, ob ein SCDS-Käufer Mitglied des Ausschusses ist, der über sein Derivat bestimmen soll. Der vierte Grundsatz fordert die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aller an Staatsschuldenkonflikten beteiligten Institutionen.184 Die Achtung dieses Prinzips würde unvermeidlich zur Abschaffung des Gerichtbarkeitsmarktes und zur Schaffung einer supranationalen Gerichtsinstanz führen.185 Der fünfte Grundsatz der 175
Krueger, A New Approach To Sovereign Debt Restructuring. Vgl. Krueger, A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, S. 10 ff., 21 ff. 177 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 178 Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 51. Vgl. dazu auch Brooks/Guzman/ Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 4, 6, 10. 179 Krueger, A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, S. 15 f., 23, 25 ff. 180 GA resolution 68/304 (9.9.2014) on „Towards the establishment of a multilateral legal framework for sovereign debt restructuring processes.“ 181 GA resolution 69/319 (10.9.2015) on „Basic Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes.“ Ausfürlich dazu Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 3 ff.; Plana/Madcur, La Ley 23.10.2015, 1 ff.; vgl. auch Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 3. 182 Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes (UNO), No. 3: „Transparency should be promoted in order to enhance the accountability of the actors concerned, which can be achieved through the timely sharing of both data and processes related to sovereign debt workouts.“ 183 Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6. 184 Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes (UNO), No. 4: „Impartiality requires that all institutions and actors involved in sovereign debt restructuring workouts, including at the regional level, in accordance with their respective mandates, enjoy independence and refrain from exercising any undue influence over the process and other stakeholders or engaging in actions that would give rise to conflicts of interest or corruption or both.“ 185 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 176
C. Ursprung der globalen Dysfunktionalität der Vertragsstruktur
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Gläubigergleichbehandlung186 und der letzte Grundsatz der Umstrukturierung nach Mehrheiten187 würden schließlich den Akkordstörern ein Ende setzen.188 Trotz dieser Regulierungsvorschläge bleibt die institutionelle Situation in diesen Märkten nahezu unverändert. Das IMF-Projekt wurde nach zwei Jahren intensiver Diskussion aufgegeben.189 Dies wurde insbesondere von den Vereinigten Staaten von Amerika beeinflusst190, nach deren Auffassung die Einführung von Collective Action Clauses (CACs) in den Staatsanleihebedingungen eine effiziente und ausreichende Lösung darstellte.191 Gemäß diesen Klauseln verpflichten Umschuldungen, die die Zustimmung einer bestimmten Anzahl von Gläubigern (z. B. 75 %) umfassen, alle anderen.192 Auch der Privatsektor unterstützte diese Lösung, weil sie freiwillig und dezentralisiert war.193 Für die Ablehnung des IMF-Entwurfs stützte man sich darum Anfang des letzten Jahrzehnts auf die Selbstregulierung des Staatsanleihevertrags. Dabei wurde dennoch nicht beachtet, dass die CACs weder das Verhalten von „Geierfonds“194 noch die Kommerzialisierung von Gerichtsbarkeiten auflösen konnten. Würden diese Klauseln beispielsweise in jede einzelne Anleiheemission aufgenommen, wäre es für Umschuldungsverweigerer einfach, eine Sperrposition in einer bestimmten Serie von Anleihen zu erwerben und dadurch eine verbindliche 186 Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes (UNO), No. 5: „Equitable treatment imposes on States the duty to refrain from arbitrarily discriminating among creditors, unless a different treatment is justified under the law, is reasonable, and is correlated to the characteristics of the credit, guaranteeing inter-creditor equality, discussed among all creditors. Creditors have the right to receive the same proportionate treatment in accordance with their credit and its characteristics. No creditors or creditor groups should be excluded ex ante from the sovereign debt restructuring process.“ 187 Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes (UNO), No. 9: „Majority restructuring implies that sovereign debt restructuring agreements that are approved by a qualified majority of the creditors of a State are not to be affected, jeopardized or otherwise impeded by other States or a non-representative minority of creditors, who must respect the decisions adopted by the majority of the creditors. States should be encouraged to include collective action clauses in their sovereign debt to be issued.“ 188 Vgl. Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6 f. 189 Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 8. 190 Hudson, Killing the Host, S. 349; Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1; dieselbe, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 3. 191 Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 8. Vgl. ferner Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International Economics, 29.8.2014. 192 Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 39: „Collective action clauses (CACs) are designed to alleviate coordination problems among creditors by enabling a qualified majority of creditors (usually seventy-five percent) to change critical bond payment terms.“ Vgl. dazu auch Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 61. 193 Siehe https://www.icmagroup.org/Regulatory-Policy-and-Market-Practice/Primary-Mar kets/primary-market-topics/collective-action-clauses/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 194 Schumacher/Trebesch/Enderlein, CESifo Working Paper No. 6931 (Februar 2018), 1, 5. Vgl. ferner Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 3; dieselbe, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3.
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
Schuldenrestrukturierung zu verhindern.195 Zur Erschwerung dieser Möglichkeit empfahl die International Capital Market Association im Jahr 2014 die Einführung von CACs mit Aggregationsklauseln in den Verträgen, wonach die Mehrheiten für Umschuldungen nicht ausschließlich nach Serien berechnet werden.196 Diese Aggregationsklauseln haben zwei Abstimmungsvarianten bei der Änderung der Emissionsbedingungen. Die erste Variante (two-limb aggregated CACs) besteht aus der Berechnung von Mehrheiten auf zwei Ebenen: eine Mehrheit der gesamten Anleihen mit Aggregationsklauseln, so beispielsweise 2/3 der gesamten Anleiheinhaber, und eine kleinere Mehrheit für jede Serie, wo bereits z. B. die Hälfte der Anleiheinhaber ausreichend ist.197 Obwohl diese Methode das Geschäft der Akkordstörer verteuert, können diese Gläubiger immer noch eine Sperrposition in einer bestimmten Serie kaufen.198 Die andere Abstimmungsform rechnet auf einer einzigen Ebene die Mehrheit aller emittierten Anleihen (single-limb aggregated CACs) an.199 Diese Klauseln erfordern das Einverständnis einer großen Anzahl aller Gläubiger zu den Umschuldungsbedingungen, z.B. 75 % der Gesamtanleiheinhaberinhaber aller Serien und die Abwesenheit von Diskriminierung zwischen jenen innerhalb der neuen Bedingungen, um die Minderheiten zu verpflichten.200 Letztere Methode stellt zwar einen Fortschritt des Staatschuldenmarktes dar201, da es dem System von Unternehmenskonkursen ähnelt und die Sperrmaßnahmen der Hold out-Gläubiger kompliziert.202 Allerdings wird es lange dauern, bis alle Anleihen auf dem Markt solche Klauseln in ihre Emissionsbedin-
195 Schumacher/Trebesch/Enderlein, CESifo Working Paper No. 6931 (Februar 2018), 1, 36: „CACs were used successfully in the Seychelles, Belize and in the domestic-law bonds of Greece 2012, where majorities were reached, thus bringing participation to 100 %. However, CACs failed in 18 out of the 35 English-law bonds in Greece, as investors bought blocking positions and the required quorum was not reached.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 196 Vgl. Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International Economics, 29.8.2014; Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 2, 5, 17; auch Brooks/Guzman/ Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 9; Hudson, Killing the Host, S. 359; Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1. 197 Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 240. Vgl. ferner Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International Economics, 29.8.2014; Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1. Diesbezüglich ist aber zu nennen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) angesichts der Eurokrise ab 2013 die Aufnahme dieser Art von CACs in die neuen staatlichen Emissionen des europäischen Raums vorschrieb. Vgl. dazu Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 20 f.; auch Hudson, Killing the Host, S. 354; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3. 198 Schumacher/Trebesch/Enderlein, CESifo Working Paper No. 6931 (Februar 2018), 1, 44 f.; vgl. ferner Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International Economics, 29.8.2014. 199 Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International, 29.8.2014. 200 Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 240 f. Vgl. ferner Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1. 201 Vgl. Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 244. 202 Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 241. Vgl. dazu auch Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1 f., 4.
C. Ursprung der globalen Dysfunktionalität der Vertragsstruktur
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gungen aufgenommen haben.203 Zudem sind sie freiwillig, sodass es keine Garantie dafür gibt, dass alle Anleihen sie jemals enthalten werden.204 Schließlich werden die Gerichtsbarkeiten mit diesen Vertragsklauseln weiterhin fragmentiert und dem Wettbewerb ausgesetzt bleiben. Die UN-Grundsätze zu Umschuldungen haben ihrerseits keine Bindungskraft und werden in naher Zukunft wahrscheinlich nicht mit Rechtskraft durchgesetzt werden.205 Von den meisten Ländern wurden sie unterstützt, nur sechs Staaten lehnten sie auf der Grundlage eines reinen Marktansatzes ab.206 In diesen Ländern befinden sich jedoch die am weitesten entwickelten Finanzmärkte: die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich, Japan, Kanada, Israel und Deutschland.207 Sie verteidigten über die Gerichtsbarkeitskommerzialisierung hinaus die Position, dass die beste Lösung für Konflikte bezüglich Anleihen in der Verbesserung der Vertragsklauseln selbst liegen sollte.208 Dementsprechend setzte sich der rechtsordnungslose Vertrag gewissermaßen durch.209 Aus dieser Überschätzung des freiwilligen Austauschs folgt also, dass zumindest auf dem globalen Finanzmarkt bis zu einem gewissen Grad Marktpopulismus herrscht: „the idea that markets could exist beyond, against, and outside of states.“210
Dahinter verbirgt sich letztlich die Ideologie des Vertragswesens und ihre Prämissen, d. h. die Vorstellung, dass der Staat oder eine ähnliche Autorität den gegenseitigen Schuldvertrag nur ergänze: Eine Vereinbarung verpflichte per se und das menschliche Verhalten werde von einer natürlichen Neigung zum lukrativen Tausch bestimmt.211 203 Schumacher/Trebesch/Enderlein, CESifo Working Paper No. 6931 (Februar 2018), 1, 45; vgl. ferner Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 8; Cruces/Samples, 31 Emory Int’l L. Rev. (2016), 5, 40; Krueger, A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, S. 30 f.; Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 2. Gelpern, Real-time Economic Issues Watch – Peterson Institute for International Economics, 29.8.2014: „Hundreds of billions of dollars in bonds without the recommended clauses will remain outstanding for years, even decades.“ 204 Von 228 internationalen Anleihen, die zwischen dem 1. Oktober 2014 und dem 31. Oktober 2016 emittiert wurden, enthielten 24 % diese Klauseln nicht. Stolper/Dougherty, Capital Markets Law Journal, Vol. 12 (2), 2017, 239, 241. 205 Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 8. 206 Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 9. 207 Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 2, 17; vgl. ferner Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 9; Martínez Delgado, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 3. 208 Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 9. 209 Ähnlich Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1 f. 210 Graeber, Debt, S. 385. 211 In diesem Zusammenhang ist es angebracht zu erwähnen, dass Joseph Stiglitz einerseits zur Erklärung der Wirtschaft von einer Neigung des Menschen zum Tauschhandel ausgeht (z. B. Stiglitz, Economics, S. 880 f.). Aber andererseits fördert der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2001 stark die Institutionalisierung des globalen Finanzmarktes. Siehe z. B. Brooks/ Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1 ff.; Guzman/Stiglitz, International
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1. Kap.: Der Vertrag auf dem globalen Finanzmarkt
D. Ergebnisse 1. Globalisierung, getrieben vom Neoliberalismus, bedeutet die Liberalisierung der Handelsgrenzen. Dies ermöglicht es dem Kapital, die Rechtsordnung zu wählen, die ihm die höchste Rendite bietet. Vor diesem Hintergrund werden Normen zu kommerziellen Produkten, die weltweit um Kapital konkurrieren. 2. Daneben hat die Internationalisierung des Austauschs zu einer Fragmentierung der Rolle des Staates als Garant für deren Erfüllung geführt. Die Geschäfte sind transnational, aber die Macht des Staates ist territorial begrenzt. 3. Als Lösungsmöglichkeiten für diese Fragmentierung stehen einerseits die Normen des Internationalen Privatrechts zur Verfügung und andererseits die Privatisierung des Vertrages und die dazugehörigen Konfliktlösungsmechanismen (Vertrag ohne Gesetz). 4. Diese beiden Maßnahmen können jedoch in bestimmten Bereichen nicht ordnungsgemäß wirken. Die zuständige Gerichtsinstanz kann aufgrund der Rechtsordnungskonkurrenz oder der mangelnden Marktransparenz nicht immer als wahrer konfliktfremden Dritter auftreten und so die in jedem Vertrag vorgesehene dreiseitige Struktur korrumpieren: a) Die Auswirkungen des Rechtsordnungswettbewerbs in den Gerichtsbarkeiten kommen beispielsweise bei Staatsanleiheemissionen zum Ausdruck. Dabei streben die staatlichen Gerichtsbarkeiten danach, von den emittierenden Staaten als kompetent gewählt zu werden, da dies ihren Rechts- und Finanzplätzen zugutekommt. Um diese Wahl zu fördern, treten sie in der Regel in Konkurrenz miteinander und entscheiden zugunsten transnationaler Gläubiger und verlieren insoweit ihre Unparteilichkeit. b) An der Bestimmung des Schicksals von Derivatkontrakten durch die ISDAAusschüsse kann man die Folgen der mangelnden Markttransparenz für das Funktionieren des Vertrags sehen. Denn die Konflikte, die sich auf die Derivate beziehen, können wegen der Opazität ihrer Funktionsweise nur von einer der Parteien gelöst werden. Hier kann ein Vertragspartner dann – wortwörtlich – Richter und Partei sein. 5. Trotz dieser Konflikte besteht die Tendenz, globale Vorschläge für eine stärkere Marktinstitutionalisierung und -regulierung – insbesondere für die genannten Kapitalmarktgeschäfte – abzulehnen. Es wird angenommen, dass die Lösungen der Konflikte zwischen Gläubigern und Schuldnern aus der künftigen Änderung der autonom vereinbarten Bedingungen des Austausches erwachsen müssen. Demzufolge herrscht auf dem Weltmarkt das Grundprinzip der Ideologie des Vertragswesens vor: die Vorstellung, dass der Staat oder eine ähnliche Autorität nur ein entbehrlicher Zusatz zum gegenseitigen Schuldvertrag sei. policy analysis, FES New York, October 2016, 1 ff.; Stiglitz/Guzman, Argentina default? Griesafault is much more accurate, in: The Guardian, 7.8.2014.
2. Kapitel
Geschichte der Liberalisierung des gegebenen Wortes: Das Prinzip pacta sunt servanda „A study of the history of opinion is a necessary preliminary to the emancipation of the mind.“ John Maynard Keynes, The End of Laissez-faire (1926), I.
Anhand von Beispielen aus dem globalen Staatsanleihenmarkt wurde aufzeigt, dass der gegenseitige Schuldvertrag ohne eine entsprechende institutionelle Struktur mangelhaft funktionieren kann.1 Die mit der Internationalisierung des Schuldvertrages einhergehende Problematik der Vielzahl an Garanten der Vertragserfüllung wird jedoch nicht angemessen auf institutioneller Ebene angegangen, da zugrunde gelegt wird, dass der Vertrag selbst diese lösen sollte.2 Dem Staat wird nur eine bloße Hilfsrolle im Hinblick auf das Austauschverhältnis zugesprochen.3 Das heißt, der Markt wird hauptsächlich durch das Vertragswesen beherrscht.4 Solange dieses seine Gültigkeit nicht verliert, wird es folglich schwierig sein, einen Kompromiss über globale institutionelle Lösungen zu schaffen. Aus diesem Grund müssen die Prämissen dieser Ideologie widerlegt werden: Das Verständnis, dass die Willensvereinbarung per se bindend und der lukrative Austausch ein notwendiges Verhaltensmuster des Menschen sei. Zur Dekonstruktion dieser Prämissen wird zunächst die Entstehung des Konzepts des modernen Konsensualvertrages analysiert. Dabei wird deutlich, dass das Prinzip pacta sunt servanda, verstanden als die Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarung5, nicht zu allen Zeiten Geltung beanspruchte.6 Die Konzeptualisierung der 1
Siehe dazu 1. Kapitel, unter B. Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 8 f.; auch https:// www.icmagroup.org/Regulatory-Policy-and-Market-Practice/Primary-Markets/primary-mar ket-topics/collective-action-clauses/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Siehe mehr hierzu 1. Kapitel, unter C. 3 Zur Beschreibung der bloßen Hilfsfunktion des Staates auf dem globalen Markt im Allgemeinen Ingham, Capitalism, S. 78 f., 87, 190, 197 f., 202, 263; Magnusson/Stråth, History of Political Economy, S. xii, xxi f., 111 f., 121, 124; Santos, Sociología jurídica crítica, S. 295 ff.; auch Piketty, Capital, S. 138 f. Dazu mehr ferner Einleitung, unter A. und 3. Kapitel, unter C. IV. 4. b). 4 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 142 f. 5 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 38; Zimmermann, Law of Obligations, S. 576 f.; ferner Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6. 2
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Vertragsmaxime ist vielmehr eine moderne Schaffung.7 Sie ist Ergebnis eines langsamen und anstrengenden Prozesses8 – wie Bruno Schmidlin schließt: „Die Mühlen der Rechtsentwicklung mahlen langsam.“9 Im Zuge dieser vertraglichen Entwicklung musste das Wort sich zuerst von Formen befreien und sich die Macht verschaffen, über die Zukunft rechtsgeschäftlich disponieren zu können.10 Denn eine verbindliche Vereinbarung bedeutet nichts anderes, als dass die Gegenwart in Worten eingefroren wird.11 Das Postulat der eigenständigen Bindungskraft der Willensvereinbarung war zum damaligen Zeitpunkt, in dem der Konsens noch nicht unabhängig von Formzwang war und das pactum mit dem contractum nicht gleichgestellt wurde, schwierig zu etablieren. Durch die Formanforderungen war das Vorhandensein eines institutionellen Rahmens als strukturelles Element des Vertrages offensichtlich. Im Alten Griechenland kannte man nur den Realvertrag.12 Eine Vertragshaftung ergab sich erst, wenn eine Vermögenverschiebung vom Gläubiger zum Schuldner stattfand, die den Gläubiger schädigte und die dem Schuldner (der sich verpflichtet hatte, den Vertragszweck durchzusetzen) nützte.13 Der Schlüssel zur Haftung lag in dem Vorliegen eines Schadens und in diesem Sinne gab es keinen Unterschied zwischen der Deliktshaftung und der Vertragshaftung.14 Auch im Alten Rom erreichte der Vertrag noch nicht die Relevanz, die er heute besitzt. In einer Gesellschaft, die mehr um den Erhalt als um die Produktion von Reichtum besorgt war, stellte sich das Eigentumsrecht selbstverständlich als „il diritto per eccelenza“ dar.15 Darin 6 Vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 578; auch Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6. Anders Köbler, clausula rebus sic stantibus, S. 226, Fn. 6: „Dieser Satz besitzt ohnehin und unbestreitbar Geltung für jegliches Vertragsrecht (…).“ 7 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29. 8 Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 29. Vgl. zudem HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 22; Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 102 f.; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 545; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544 f.; ähnlich auch G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 53. 9 Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 203. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, sich die zutreffende Konzeption Jherings über das Rechtsgefühl zu vergegenwärtigen: „Nach meiner Ansicht ist das Rechtsgefühl, das sittliche Gefühl in dem Sinne, wie ich es hier meine, der Inhalt der rechtlichen und sittlichen Wahrheiten, ein historisches Product; die Rechtssätze, die Rechtseinrichtungen, die sittlichen Normen sind nicht durch dieses Gefühl vorgeschrieben, sondern die Macht des Lebens, das praktische Bedürfniss hat zu diesen Einrichtungen geführt.“ Jhering, Ueber die Entstehung des Rechtsgefühles, S. 18 f. Vgl. auch Ost, Academia 2007, 101, 115. 10 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 147. 11 Ähnlich Supiot, Homo juridicus, S. 138. Vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, S. 284. 12 Bydlisnki, Privatautonomie, S. 68. Vgl. dazu Stathopoulos, AcP 1994, 543, 545 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 231 f.; auch Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 28. 13 Vgl. Stathopoulos, AcP 1994, 543, 545 f. 14 Hierzu H. J. Wolff, ZRG RA 1957, 26, 50 ff. 61. Vgl. auch HKK/Thier, § 311 I, Rn. 5; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6 mit Fn. 39; ferner Kegel, Vertrag und Delikt. 15 Galgano, Il contratto, S. 1.
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steckte zwar bereits die Idee, dass dem Vertrag eine willentliche Übereinkunft zugrunde liegt, also ein Konsens.16 Es wurde jedoch angenommen, dass die formlose Vereinbarung, das pactum, keine Leistungspflichten begründete17; sie wurde vielmehr als antagonistisch gegenüber dem contractum angesehen.18 Die Form war die fundamentale Voraussetzung der Verträge und aufgrund des Vertragstypenzwangs gab es nur eine begrenzte Anzahl an verbindlichen Geschäften.19 Dieses Schema der Typizität war deswegen eine Manifestation des römischen institutionellen Rahmens des Vertrags (dazu unter A.). Im Mittelalter versuchten die Legisten, dieses System beizubehalten. Sie entwickelten aber im Gegensatz zu den Römern eine abstraktere Vertragsordnung, wobei sie zwischen dem pactum vestitum und dem pactum nudum unterschieden, je nachdem ob die Vereinbarung dem vertraglichen Form- und Typenzwang des Römischen Rechts folgte oder nicht. So war das pactum nudum, die informelle Übereinkunft, für sie auch unverbindlich (dazu unter B.). Damals verteidigte die kanonische Rechtstheorie hingegen die These, dass eine vertragliche Verpflichtung auch aus einer formlosen Vereinbarung entstehen könne. In diesem Zusammenhang tauchte der Ausdruck pacta sunt servanda zum ersten Mal auf. Dieser Grundsatz betonte die Überflüssigkeit der vertraglichen Formen. Gemäß der kanonischen Rechtsdoktrin verlangte Gott durch das Gebot, die Wahrheit zu sagen, die Erfüllung der einseitigen Versprechen, die jeder Vereinbarung – unabhängig von ihrer Form – zugrunde liegen.20 Diese Lehre befreite demzufolge das gegebene Wort von den Formzwängen, aber nicht von der Ägide eines institutionellen Dritten: Gott.21 Aus diesem Grund fand diese Ansicht keinen Anklang außerhalb der Glaubensgemeinschaft (dazu unter C.). Erst mit der Naturrechtslehre, der sog. klassischen Vertragslehre, die im 17. und 18. Jahrhundert vorherrschte, verdrängte der Grundsatz „ex nudo pacto oritur actio“ als allgemeine Regel das bisherige Prinzip „nuda pactio obligationem non parit.“22 In der Theorie wurde die formlose Willensvereinbarung mit dem Vertrag gleichgesetzt23 und der Grundsatz pacta sunt servanda setzte sich als
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Vgl. Stathopoulos, AcP 1994, 543, 546. Vgl. Berman, Law and Revolution, II, S. 157. 18 Vgl. Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 13; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10; Nanz, Vertragsbegriff, S. 11, 15, 22; Supiot, Homo juridicus, S. 150 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 72; auch Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262. 19 Stöhr, AcP 2014, 426, 428. 20 Decock, Theologians and Contract Law, S. 126; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14, 19; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182 f.; Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 100 f. Vgl. ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 36; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 284; Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36 f.; Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 50 f.; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 23; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 8; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 37; Supiot, Homo juridicus, S. 153 f. 21 Ähnlich Supiot, Homo juridicus, S. 154. 22 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 153. 23 So z. B. C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 514. 17
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die Verbindlichkeit des formlosen angenommenen Versprechens durch.24 Die Vertreter der Naturrechtslehre postulierten, dass selbst Gott an sein gegebenes Wort gebunden sei.25 Damit lösten sie erstmals in Abkehr zum kanonischen Recht die notwendige Manifestation eines Dritten oder eines institutionellen Rahmens aus der Vertragsstruktur heraus: Das gegebene Wort verpflichte aus sich selbst heraus (dazu unter D.). Die formfreie Vereinbarung als Stützpunkt des Vertrags wurde später von der Historischen Rechtsschule übernommen und weiterentwickelt. Sie konzeptualisierte unter dem Einfluss des Idealismus den Vertrag auf abstrakte Weise und verstand, dass Vertrag nicht nur die schuldrechtliche Vereinbarung ist, sondern auch die dingliche Einigung, welche die Übergabe von Sachen begleitet. Diese Systematisierung wurde dann vom BGB aufgenommen (dazu unter E.).
A. Römisches Recht I. Der Grundsatz des Form- und Typenzwangs als Ausdruck des institutionellen Rahmens des römischen Vertrages Seit dem klassischen Rom (ca. 1. – 2. Jh. n. Chr.)26 war die willentliche Übereinkunft ein Element des contractus.27 Sie wurde von Ulpian (ca. 170 – 223 n. Chr.), der Pedius (ca. 50 – 120 n. Chr.) zitierte, als unabdingbar für denselben betrachtet: „nullum esse contractum, nullam obligationem, quae non habeat in se conventionem.“28 In Rom begründete der Konsens gleichwohl keine Leistungspflichten.29 Vielmehr wurde diesem eine nachgeordnete Bedeutung beigemessen.30 Damals zog man den Ritus dem gegebenen Wort zur rechtgeschäftlichen Verfügung über die Zukunft vor. Denn der Auslöser für die Bindungswirkung des Konsens war die 24 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 38, 74 ff. 85 f.; auch derselbe, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442 ff. 25 So Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 26 Zum Vertragsrecht im Römischen Recht Argüello, Manual de derecho romano, S. 297 ff.; Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 13 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 205 ff., 262 ff.; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 100 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §§ 38 ff.; Meincke, Römische Privatrecht, S. 97 ff.; Mousourakis, Roman Private Law, S. 183 ff.; derselbe, Roman Law, S. 128 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 34 ff. 27 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 7. Vgl. ferner HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 21; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 102 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 2; Meincke, Römische Privatrecht, S. 100; Nanz, Vertragsbegriff, S. 8; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 114 ff.; auch Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 16. 28 Digesten 2, 14, 1, 3: „(…) es gäbe keinen Contract, keine Verbindlichkeit, welche nicht in sich eine Convention enthalte (…).“ Deutsche Übersetzung nach einem Vereine Rechtsgelehrte, in: Otto/Schilling/Sintenis (Hrgs.), Corpus Juris Civilis, Erster Band, S. 316. 29 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 4, 7 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 70. Vgl. ferner Meincke, Römische Privatrecht, S. 100; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 188. 30 Vgl. Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 92.
A. Römisches Recht
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Erfüllung des Form- und Typenzwangs der Verträge.31 Dieser war eine Manifestation des institutionellen Rahmens des römischen Vertrages. Gemäß dem vertraglichen Formzwang war die Form die raison d’être der Leistungspflicht. Die Durchführung einer bestimmten Formalität hinsichtlich eines durch das ius civil anerkannten Vertragsinhalts war maßgeblich für die Wirksamkeit der obligatorischen Bindung.32 Beispielsweise kam der verbale Vertrag nicht allein durch die Übereinkunft zustande, sondern erst durch die Beachtung seiner Formerfordernisse.33 Die Behauptung, dass es über die Aussprache des solemne verba eine Willenserklärung gegeben habe34, wäre Ergebnis einer retrospektiven Verzerrung. Der Vertragstypenzwang drückte sich wiederum darin aus, dass man lediglich über einen numerus clausus an Vertragsmodellen verfügte, um ein Übereinkommen in eine verbindliche Übereinkunft zu überführen.35 Nur die Handlungen, die nach Inhalt und Form einem anerkannten Vertragstyp entsprachen, wurden contractus genannt.36 Sie waren die einzigen Übereinkommen, die vom Gesetz mit einer actio geschützt wurden.37 So hinterließ das römische Recht keine allgemeine Vertragsidee, sondern bloß eine Liste von besonderen Verträgen.38 Dies passte zum pragmatischen
31 Weller, Die Vertragstreue, S. 70 f.; vgl. dazu Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 100; auch Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 205 f.: „Die Bindung des Geschäftspartners ergab sich aus dem rituellen Akt selbst.“ 32 Weller, Die Vertragstreue, S. 71. Vgl. dazu Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 197; ferner Berman, Law and Revolution, II, S. 157; Ehmann, JZ 2003, 702, 712; Galgano, Il contratto, S. 2; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 546; Supiot, Homo juridicus, S. 151. 33 Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 11. 34 In diese Richtung Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 121. 35 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, S. 108; Meincke, Römische Privatrecht, S. 100; auch Dilcher, ZRG RA 1960, 270: „Typenzwang im Vertragsrecht bedeutet die Beschränkung des Klageschutzes auf bestimmte, einem rechtlich anerkannten Typus entsprechende Obligationen, die Verweigerung des Klageschutzes für den außerhalb eines solchen Typus erklärten Konsens der Parteien.“ 36 Vgl. HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 21. Nach Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 16, 20, müsse man sich trotz dieser Anforderung vergegenwärtigen, dass es Verträge gäbe, die inhaltlich neutral seien, so die Stipulation oder den Kauf. 37 Vgl. Mousourakis, Roman Law, S. 128. 38 Argüello, Manual de derecho romano, S. 297. So auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 108; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 30; Messineo, Contratto, S. 30; Mousourakis, Roman Law, S. 141. Vgl. ferner Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 30; Landau, FS Nörr, S. 457; Nanz, Vertragsbegriff, S. 22 f.; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 109; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 561; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 12, 28. Diesbezüglich ist folgendes zu vergegenwärtigen: Das Partizip vom contrahere ist contractus, das selten als Substantiv angewendet wurde. Als contrahere bezeichnete man nämlich den rechtlich verbindenden Akt. Das Ergebnis aus diesem Akt nannte man entweder allgemein obligatio oder den eigenen Name des betreffenden Vertrags (z. B. emptio, locatio, mandatum, etc.). Dazu Supiot, Homo juridicus, S. 151, Fn. 1.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
römischen Geist39, der auf dem Realismus beruhte40 und gegen die Theoretisierung sowie das Abstrahieren des Idealismus eine Abneigung hegte.41 Jenseits des numerus clausus der Vertragstypen bestand keine verbindliche Vereinbarung.42 Neue Typen kamen nur über Rechtsetzungsakte zustande, wie zum Beispiel die Schenkung durch die Kaiserkonstitution.43 Dementsprechend gab es im antiken Rom weder die Freiheit, einen typunabhängigen Vertragsinhalt zu gestalten, noch einen Vertragstyp zu erschaffen.44 Die Verpflichtungsmacht der Parteien reduzierte sich grundsätzlich auf den Entschluss, einen Vertrag abzuschließen und einen Vertragstyp sowie eine Vertragspartei auszuwählen.45 Diesbezüglich teilte Gaius in seinen „Institutionen“ die Verträge in vier Typen: re, verbis, litteris und consensu.46 Die Realverträge (re) erforderten als Form die Sachübergabe (Darlehen, Erfüllung)47, die Verbalverträge (verbis) eine Verbalförmlichkeit (die berühmte stipulatio)48, die Literalverträge (litteris) den förmlichen Buchungsakt (die Eintragung einer Forderung in ein Geschäftsbuch des Gläubigers)49 und die Konsensualverträge (consensu) den Konsens (Kauf, Miete, Pacht,
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So Nanz, Vertragsbegriff, S. 10; vgl. auch Zimmermann, Law of Obligations, S. 561 f. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 249: „Zwar hat fast jede große Epoche der Fachjurisprudenz in allgemein anerkannten sozialethischen Lehren ihren Hintergrund: so die klassische römische in der Philosophie der Akademie, des Peripatos und vor allen der Stoa.“ Vgl. aber Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 215, der den Einfluss der griechischen Philosophie auf das römische Recht relativiert. 41 Ollero Granados, Estudios clásicos 1979, N8 83, 97, 101. Zum Realismus der Antiken im Allgemein siehe Ferrater Mora, Diccionario, Tomo II, Stichwörter „Ortega y Gasset (José)“ und „Realismo“; Marías, José Ortega y Gasset, S. 28; Ortega y Gasset, Was ist Philosophie?, S. 311, 451, 462 ff. 42 Vgl. Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 100; Mousourakis, Roman Law, S. 141. 43 Nanz, Vertragsbegriff, S. 11. 44 Weller, Die Vertragstreue, S. 71. Vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 108; Ehmann, JZ 2003, 702, 712; derselbe, FS Beuthien (2009), S. 3, 17; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 12 f. 45 Vgl. HKK/Thier, § 311 I, Rn. 7; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 101. Zimmermann, Law of Obligations, S. 530: „(…) it became crucially important to determine, for every slightly atypical arrangement, whether it could be squeezed into one of the existing contractual niches and, if so, into which one.“ Ähnlich Messineo, Contratto, S. 30. 46 Gaius, Institutiones, III, 89: „Et prius videamus de his, quae ex contractu nascuntur. Harum autem quattuor genera sunt: aut enim re trahitur obligatio aut verbis aut litteris aut consensu“ (Deutsche Übersetzung nach Ulrich Manthe: „Und zuerst wollen wir solche betrachten, die aus einem Vertrag entstehen. Von ihnen gibt es vier Gattungen: eine Verpflichtung kommt nämlich entweder durch Sachübergabe oder durch Worte oder durch briefliche Ermächtigung oder durch Willensübereinstimmung zustande.“). 47 Gaius, Institutiones, III, 90 – 91. 48 Gaius, Institutiones, III, 92 – 127. 49 Gaius, Institutiones, III, 128 – 134. 40
A. Römisches Recht
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Dienst- und Werkvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag).50 Diese Einteilung repräsentiert die Mehrzahl der verbindlichen Verträge jener Epoche, ist aber nicht abschließend.51
II. Das pactum als unverbindliche, formfreie Vereinbarung Der Begriff pactum/pactio hat den gleichen Ursprung wie pacis, Frieden.52 Im Zwölftafelgesetz bezog sich pactio auf die Möglichkeit des Verbrechers, das Opferanrecht auf Rache zu kaufen53 und sich damit friedlich einer Verpflichtung zu entledigen.54 Später wurde diese Vokabel in Gegenüberstellung zum Konzept des contractus benutzt.55 Das pactum wurde zwar als „Einwilligung und Uebereinkunft Zweier“ verstanden.56 Gleichwohl galt es als Willensvereinbarung, die unter keine der Vertragstypenkategorien fiel, die das ius strictum vorsah57, und deshalb ver50 Gaius, Institutiones, III, 135 – 168. Vgl. zur Kategorisierung von Gaius Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 16 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 208 ff.; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 100 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 6 ff.; Meincke, Römische Privatrecht, S. 100 ff.; Mousourakis, Roman Law, S. 128 ff.; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 119 ff. Überblick Argüello, Manual de derecho romano, S. 298 f.; Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 31; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 3. 51 Nanz, Vertragsbegriff, S. 6, 12 f. 52 Digesten 2, 14, 1, 1: „Pactum autem a pactione dicitur (inde etiam pacis nomen appellatum est).“ [Deutsche Übersetzung nach einem Vereine Rechtsgelehrte, in: Otto/Schilling/ Sintenis (Hrgs.), Corpus Juris Civilis, Erster Band, S. 316: „Pactum (Vertrag) wird von Pactio abgeleitet, daher stammt auch das Wort Pax (Friede).“ (Hervorhebung im Original)]. Zum Begriff pactum im römischen Recht Burillo Loshuertos, Anales de la Universidad de Murcia 1964, 151 ff.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 15 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 508, Fn. 3, 562 f. 53 Nanz, Vertragsbegriff, S. 15; Zimmermann, Law of Obligations, S. 508, Fn. 3, 563; vgl. auch Mousourakis, Roman Private Law, S. 245, Fn. 317. 54 Das Zwölftafelgesetz, Tafel 8, 2: „Si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit, talio esto.“ [Deutsche Übersetzung nach Rudolf Düll: „Wenn jemand (einem anderen) ein Glied verstümmelt, soll (der Täter) das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht (mit dem Verletzten) gütlich einigt.“] Vgl. dazu Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 130, Fn. 42. 55 Nanz, Vertragsbegriff, S. 11, 15, 22; siehe auch Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 13; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10; Weller, Die Vertragstreue, S. 72. Vgl. aber Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 13, 17. 56 Digesten 50, 12, 3, pr.: „Pactum est duorum consensus atque conventio.“ Deutsche Übersetzung nach einem Vereine Rechtsgelehrte, in: Otto/Schilling/Sintenis (Hrgs.), Corpus Juris Civilis, Vierter Band, S. 1199. 57 Mousourakis, Roman Private Law, S. 245; vgl. ferner Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 21; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 103; auch Argüello, Manual de derecho romano, S. 337; Nanz, Vertragsbegriff, S. 23; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 129; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 213, 216.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
pflichtete sie nicht.58 Das heißt, in Fällen, in denen das willentliche Übereinkommen der Richtschnur des Zivilrechts folgte, wurde es als contractus angesehen. In Fällen der formfreien Einigung wurde es dagegen pactum genannt. Das römische Vertragsprinzip – sofern eines bestanden hätte – wäre sodann die Unklagbarkeit der pacta gewesen59: „ex nudo pacto actionem non nasci.“60 Das pactum war nur ausnahmsweise zur Rechtsverteidigung (exceptio pacti) anführbar, wenn die Gegenpartei gegen das Vereinbarte Klage erhoben hatte.61 Diese Rechtsverteidigung resultierte aus dem Kompromiss des praetor: pacta conventa servabo.62 Im Laufe der Zeit und aus der Notwendigkeit des gesellschaftlichen Lebens heraus wurden jedoch gewisse Vereinbarungen als klagbar anerkannt.63 So wurden auf Grundlage der bonae fidei fiducia jene pacta klagbar, die neben einem anerkannten Vertragstyp abgeschlossen wurden.64 Diese Abreden waren folglich als pacta adiecta bekannt. Ihre bindende Kraft erwuchs – in Einklang mit dem Grundsatz accesorium sequitur principale – aus dem Hauptvertrag.65 Der Prätor gewährte zudem Klagen zum Erreichen der Erfüllung gewisser Leistungsversprechen und hieraus entsprangen die später sogenannten pacta praetoria.66 Im postklassichen Rom entnahm der Kaiser aus der Kategorie stipulatio einige Übereinkommen – wie das der Schenkung oder das der Mitgift –, verlieh ihnen Rechtskraft und auf diesem Wege wurden sie zu
58 Vgl. Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13. 59 So Supiot, Homo juridicus, S. 151. Darüber hinaus Savigny, Das Obligationenrecht, B. 2, S. 231: „Dieser letzte Satz, die Klaglosigkeit der nuda pacta, kann als der charakteristische Grundzug des Römischen Systems der Verträge angesehen werden.“ Puchta, Pandekten, § 250, S. 386: „Das R. R. [römische Recht] geht nämlich von dem Grundsatz aus, daß eine bloße Uebereinkunft, pactum, die auf irgend eine Art erklärte Uebereinstimmung der Willen, nicht hinreichen soll, eine klagbare Obligatio hervorzubringen.“ 60 Digesten 2, 14, 7, 4. 61 Digesten 2, 14, 7, 4. Vgl. hierzu Mousourakis, Roman Private Law, S. 245, Fn. 317; auch Argüello, Manual de derecho romano, S. 337; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 273; Galgano, Il contratto, S. 3; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262, 315; ferner A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.January.21.1763, Rn. 72 f. 62 Digesten 2, 14, 7, 7. Vgl. dazu Nanz, Vertragsbegriff, S. 15 f.; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 111; auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 13. 63 Vgl. Mousourakis, Roman Private Law, S. 245; siehe auch Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 262; Honsell, Römisches Recht, § 32, S. 103. 64 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 13; Mousourakis, Roman Private Law, S. 245. 65 Nanz, Vertragsbegriff, S. 16. Vgl. auch Argüello, Manual de derecho romano, S. 338 f.; Burillo Loshuertos, Anales de la Universidad de Murcia 1964, 151, 160 ff.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 271; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10. 66 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10; Mousourakis, Roman Private Law, S. 246. Vgl. dazu Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 14, § 46; Nanz, Vertragsbegriff, S. 17; auch Argüello, Manual de derecho romano, S. 299, 338 ff.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 272.
B. Das Recht des Mittelalters
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unabhängigen klagbaren Verträgen.67 Diese Vereinbarungen traten mittels der condictio ex lege in Kraft68 und wurden von den Kommentatoren unter dem Konzept pactum legitimum eingeordnet.69 Ungeachtet dieser Entwicklung des römischen Rechts wurde die Dichotomie contractus/pactum bzw. klagbare/nicht klagbare Vereinbarung während dieser Rechtsentwicklungsphase nicht abgeschafft.70 Diese Änderung des Vertrages bedeutete nicht die Erosion seines institutionellen Rahmens, sondern vielmehr die Erweiterung seines Konzepts.
B. Das Recht des Mittelalters I. Die Theorie der pacta vestita als Erbin vom römischen Prinzip des Form- und Typenzwangs Im Mittelalter waren die sogenannten Legisten, Glossatoren und Kommentatoren weiterhin an den vertraglichen Form- und Typenzwang des Römischen Rechts gebunden.71 Aber im Unterschied zu den Römern versuchten sie, auf einer höheren Abstraktionsebene ein Vertragssystem zu entwickeln.72 Als Hauptgesichtspunkt ihres Schemas führten sie das pactum ein.73 Das pactum wurde als Oberbegriff benutzt, der sowohl die verbindliche als auch die unverbindliche Vereinbarung umfasste.74 Dies erscheint paradox, wenn man 67 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 10. Vgl. hierzu Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 263; Nanz, Vertragsbegriff, S. 17; auch Argüello, Manual de derecho romano, S. 338, 340 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 16; Mousourakis, Roman Private Law, S. 246. 68 Digesten 13, 2, 1. 69 Argüello, Manual de derecho romano, S. 340. 70 Hierzu Nanz, Vertragsbegriff, S. 11 f., 17 f. vgl. auch Burillo Loshuertos, Anales de la Universidad de Murcia 1964, 151, 169; HKK/T. Duve, § 242, Rn. 5; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 214; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 546; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 28. Vgl. aber Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 17: „Der Gegensatz zwischen contractus und pactum ist im nachklass. Vulgarrecht und bei Just. verwischt worden (…).“ 71 Ausführlich zum Vertragsrecht bei Legisten Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S. 249 ff.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270 ff.; Marcín Balsa, Revista Mexicana de Historia del Derecho N8 23, 191 ff.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 31 ff.; Söllner, ZRG RA 1960, 182 ff. Überblick bei HKK/Thier, § 311 I, Rn. 12 f.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 6 ff.; Landau, FS Nörr, S. 457, 458 ff.; Mayer-Maly, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 124; Zimmermann, Law of Obligations, S. 538 f. 72 Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 31 f. 73 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 216; vgl. auch Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36; HKK/ Thier, § 311 I, Rn. 12; Marcín Balsa, Revista Mexicana de Historia del Derecho N8 23, 191, 192 ff. 74 Landau, FS Nörr, S. 457, 459; vgl. auch Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
bedenkt, dass sowohl die Schule der Glossatoren wie jene der Kommentatoren ihre Theorien auf das Studium des Römischen Rechts stützten.75 Nach diesem Recht war das pactum – wie oben ausgeführt – nur das nichtklagbare Übereinkommen.76 Dieser Bedeutungswandel im Mittelalter gründete auf der Tatsache, dass die Legisten die Texte Justinians philologisch in den Augen ihrer eigenen Epoche auslegten.77 Sie setzten sich mit den unterschiedlichen Vertragstypen auseinander, die aus verschiedenen Epochen und Regionen stammten, und strebten danach, eine Vertragstheorie durch Vereinheitlichung und Systematisierung zu formulieren.78 Hierbei verdoppelten und streckten sie die römischen Quellen, sodass sie diese zunehmend als irrelevant erschienen ließen.79 Auf diese Weise verstanden die Legisten einerseits das pactum als Konsens und gleichmäßige Voraussetzung aller Schuldverträge.80 Hierfür stützten sie sich auf Ulpianus Ausspruch der Digesten 2, 14, 1, 2: „Et est pactio duorum pluriumve in idem placitum et consensus.“81 Andererseits strukturierten sie die Dichotomie pactum vestitum/pactum nudum in Anlehnung an die Regel „ex nudo pacto actionem non nasci“82 als Unterarten des pactum.83 Bei dieser Dichotomie entsprach ersteres dem Konzept des römischen contractus, während zweiteres das römische pactum war.84 Das heißt, das pactum vestitum war das Übereinkommen, das materiell und formell zu jeglichem Vertragstypus (vestimentum) passte und welches folglich gerichtlich klagbar war – so der Vertrag litteris. Das pactum nudum war im Gegensatz hierzu die Vereinbarung, die keinem Vertragstyp folgte und keine Klage erzeugte.85 Unter diese letzte Kategorie fiel zum Beispiel eine durch den Boten abgeschlossene stipulatio. Diese war nämlich ein formeller, abstrakter Vertrag, der nur von Anwesenden (inter praesentes) abgeschlossen werden 75 Nanz, Vertragsbegriff, S. 31. Vgl. ferner Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 56 ff. 76 Siehe 2. Kapitel, unter A. II. 77 Vgl. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 216. 78 Nanz, Vertragsbegriff, S. 31 f. Vgl. ferner Burillo Loshuertos, Anales de la Universidad de Murcia 1964, 151 f.; Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 30; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 216. 79 Decock, Theologians and Contract Law, S. 110, 115. Vgl. dazu Berman, Law and Revolution, II, S. 161. 80 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 216 f. 81 Digesten 2, 14, 1, 2. Deutsche Übersetzung nach einem Vereine Rechtsgelehrte, in: Otto/ Schilling/Sintenis (Hrgs.), Corpus Juris Civilis, Erster Band, S. 316: „Und pactio heisst die Uebereinstimmung Zweier oder Mehrerer zu einer und derselben Uebereinkunft.“ Vgl. dazu Söllner, ZRG RA 1960, 182, 216. 82 Digesten 2, 14, 7, 4. 83 Vgl. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 217. 84 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 217. Siehe auch Nanz, Vertragsbegriff, S. 41, 44 f.; Supiot, Homo juridicus, S. 152 f. Diesbezüglich behauptet Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 277: das pactum vestitum und das pactum nudum sind „(…) die beiden Eckpfeiler, zwischen denen sich die zivilistische Dogmatik des Typenzwangs dann bis zum Ende des Mittelalters bewegt.“ 85 Vgl. dazu Landau, FS Nörr, S. 457, 459; auch HKK/Thier, § 311 I, Rn. 12.
B. Das Recht des Mittelalters
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konnte86 und deren verbale Formel ohne zeitliche Unterbrechung in einem einzigen Akt (unitas actus) formuliert werden musste.87 In der Tat bedeutete die Vestiturtheorie dementsprechend keinen Fortschritt für die Liberalisierung des gegebenen Wortes. Der Konsens allein reichte weiterhin nicht für die Vertragsentstehung aus. Die Vestiturtheorie beschränkte sich eher auf das Erbe des Form- und Typenzwangs88: Sie war Ausdruck des institutionellen Rahmens des mittelalterlichen Vertrages. Die damalige Situation beschreibt Wim Decock sehr plastisch: „(…) the only way naked pacts can become enforceable as a matter of civil law is through their getting clothes, being dressed up and becoming ,hot‘.“89
II. Rechtfertigung der Vestitur Innerhalb der Vestiturtheorie erschufen die Legisten neue Vertragstypen und erweiterten damit immer mehr die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung der Parteien gegenüber der römischen Tradition.90 Dies zeigt zum Beispiel die Rechtsfigur des pactum geminatum (Zwillingspactum), die zum Allgemeingut der Kommentatoren in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde.91 Nach diesem Vertragstypus wurde ein pactum nudum mittels seines zweimaligen Abschlusses zu einem pactum vestitum.92 Ein doppelter Abschluss stand für einen ernsthaften und reflektierten Willen, der Wirksamkeit verdiente.93 Vor diesem Hintergrund kann die rechtspolitische Motivation des vestimentum bei den Legisten verstanden werden. Damit wollte man verhindern, dass unerwartete Vermögenschäden durch unbeabsichtigte Engagements entstehen.94 Das vestimentum galt nämlich als ein „Seriositätsindiz“, aus 86 Meincke, Römische Privatrecht, S. 103; Mousourakis, Roman Law, S. 131 f.; derselbe, Roman Private Law, S. 215. 87 Ausführlich zu den Voraussetzungen der stipulatio siehe Argüello, Manual de derecho romano, S. 304 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 208 ff.; Meincke, Römische Privatrecht, S. 103 ff.; Mousourakis, Roman Private Law, S. 214 ff.; derselbe, Roman Law, S. 131 ff.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 20 f.; Pérez Bravo, Ars Boni et Aequi 2005, 137, 140 ff.; vgl. auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 7, Rn. 20. 88 So Nanz, Vertragsbegriff, S. 31 f., 36. 89 Decock, Theologians and Contract Law, S. 111. 90 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 12. Vgl. ferner Landau, FS Nörr, S. 457; Nanz, Vertragsbegriff, S. 41 ff. 91 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 262. 92 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 262. Vgl. dazu HKK/Thier, § 311 I, Rn. 13; auch Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S.249, 250 ff.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 299. 93 Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S. 249, 260: „(…) così nel patto geminato la volontà di obbligarsi manifestata due volte era un indice che l’accordo era deliberato e come tale meritava di ottenere efficacia.“ Vgl. dazu Söllner, ZRG RA 1960, 182, 262 f.; auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 40; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 13; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 6 f.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 42 f. 94 HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 22.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
welchem abgeleitet wurde, dass sich die Vertragsparteien bewusst waren, dass ihr Verhalten eine intentio iuris ausdrückte, in diesem Fall die Absicht zum Vertragen.95 Wenn hingegen das vestimentum fehlte, nahm man an, dass das Übereinkommen aus einer unreflektierten sowie leichtfertigen Handlung (praesumptio levitatis) folgte.96 Diese Funktion des vestimentum wird noch nachvollziehbarer, wenn man sich Folgendes vor Augen führt: Auf der einen Seite ist die zentrale Rolle des Eigentumserhalts in der westlichen Gesellschaft bis zur industriellen Revolution zu beachten.97 Diese Gesellschaft strebte nach Sicherheit und Stabilität, und die NichtMobilität von Eigentum half dabei.98 Beispielweise wurde im Mittelalter die Kommerzialisierung des Landeseigentums ausgeschlossen (extra commercium) und seine Übertragung begrenzt, die durch feudale Statuten bestimmt wurde.99 Auf der anderen Seite muss man sich an den Satz von Gerhard Kegel (1912 – 2006) erinnern: Ein „Vertrag ist gefährlich und soll gefährlich sein.“100 Denn der Vertrag kompromittiert das Vermögen der Vertragspartner und bezweckt in der Regel durch seine dynamische, zukunftsgerichtete Auswirkung die Änderung des status quo.101
III. Handelspraxis: die aequitas mercatoria als Korrektur der Unklagbarkeit der pacta nuda Die Bräuche der Kaufleute des Mittelalters – gebündelt in der sog. lex mercatoria102 – entfernten sich vom System der pacta vestita.103 Dort galt zwar nicht ein allgemeiner Grundsatz der Klagbarkeit des pactum nudum.104 Jedoch wurde in der Praxis der Kaufmannsgerichte (in curia mercatorum) das Prinzip der Unklagbarkeit 95 Zweigert JZ 1964, 349 (352) führte den Ausdruck „Seriositätsindizien“ ein, um diejenigen besonderen Elemente zu erwähnen, die zum Differenzieren von verbindlichen und unverbindlichen Versprechen in den unterschiedlichen Rechtsysteme angewendet werden. 96 Vgl. dazu Decock, Theologians and Contract Law, S. 116 f. 97 Vgl. Galgano, Il contratto, S. 1 ff. 98 So Galgano, Il contratto, S. 1. 99 Polanyi, The Great Transformation, S. 69 f.; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445; vgl. auch A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.January.17.1763, Rn. 7 f.; dasselbe Werk, Report dated 1766, Rn. 170 f.; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 44. 100 Kegel, Gutachten für den 40. DJT (1953), S. 134, 200. So auch Weller, FS Müller-Graff (2015), S. 109, 110, in Bezug auf die causa-Lehre als Seriositätsindiz; vgl. ferner M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 85 f. 101 Weller, FS Müller-Graff (2015), S. 109, 110. 102 Vgl. zur Diskussion über die Existenz einer wirklichen lex mercatoria im Mittelalter im Sinne einer unabhängigen Rechtsgebiet Cordes, ZRG GA 2001, 168 ff.; Scherner, ZRG GA 2001, 148 ff. 103 Vgl. Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 102; Zimmermann, Law of Obligations, S. 540. 104 Mayer-Maly, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 125. Vgl. ferner Nanz, Vertragsbegriff, S. 58.
B. Das Recht des Mittelalters
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der pacta nuda auf Grundlage der aequitas mercatoria korrigiert.105 Denn einerseits gab es keine Zweifel an der Rationalität der Geschäfte der Kaufleute, da ihre Hauptaktivität darin bestand, Verträge abzuschließen.106 Andererseits trachtete das Handelsrecht danach, den Handelsverkehr zu beschleunigen und zu vereinfachen107, sodass seine Zwecke der komplizierten Struktur des vertraglichen Form- und Typenzwangs des römischen Rechts entgegenstanden.108 Diese Rechtsprechungspraxis wurde zum Handelsgewohnheitsrecht und wurde als Ausnahme zum römischen Grundsatz des „ex nudo pacto actionem non nasci“ betrachtet.109 Diese Situation sollte jedoch nicht zur Annahme führen, dass die Vereinbarung per se ohne institutionellen Rahmen verbindlich war: Die Handelsgerichte verliehen ihr ihre Verbindlichkeit auf der Grundlage der Billigkeit.
IV. Niedergang der Vestiturtheorie: ex nudo pacto actionem non nasci als Ausnahme Im Laufe der Zeit begann man, den römischen Gedanken in Frage zu stellen und ihm mit Skepsis zu begegnen.110 Am Ende des Mittelalters zählte beispielsweise Giasone del Maino (1435 – 1519)111 neben dem bereits erwähnten Fall der lex mercatoria noch 15 weitere Fälle, bei denen ein pactum nudum einklagbar war112 und Andreae ab Exea († 1575)113 zählte insgesamt 67 solcher Fälle auf.114 Diese Situation führte dazu, dass die Regel „ex nudo pacto actionem non nasci“115 zu einer Ausnahme
105 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 16. Vgl. auch Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 297; HKK/T. Duve, § 242, Rn. 13; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 7; Landau, FS Nörr, S. 457, 471 f.; Mayer-Maly, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 123; Scherner, ZRG GA 2001, 148, 158 f.; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 229. 106 Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 305. Ähnlich HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 22, Fn. 77. 107 Galgano, Il contratto, S. 3. 108 Nanz, Vertragsbegriff, S. 57: Das Handelsrecht fördert eine „Stipulation ohne Stipulationsform.“ Vgl. zum Einfluss der Vertragsformen auf die Geschäften Comentario Código Civil y Comercial/M. G. Casas, Art. 1015, S. 660 f. 109 Dazu Nanz, Vertragsbegriff, S. 58. 110 Decock, Theologians and Contract Law, S. 113. Näher dazu Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S. 249, 269 ff. 111 G. del Maino, Commentaria, ad D. 2, 14, 7, 4, num. 4 – 26. 112 Dazu Söllner, ZRG RA 1960, 182, 263 f.; vgl. auch Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S. 249, 271 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, S. 113; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 13; ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 43. 113 Exea, Tractatus De Pactis, num. 295 – 585 (S. 1, 84 ff.). 114 Birocchi, La questione dell’efficacia dei patti, S. 249, 274 ff. mit Fn. 135; vgl. ferner Decock, Theologians and Contract Law, S. 113. 115 Digesten 2, 14, 7, 4.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
wurde.116 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte die Vestiturtheorie bereits ein „Schattendasein.“117 Während des Bauernkriegs (1524 – 1525) in der Schweiz sprach man sich mit Entschiedenheit gegen die Schwerfälligkeit und die Professionalität des römischen Rechts aus: „We do not want to hear of Bartolus and Baldus.“118 Das Prinzip der Nichtklagbarkeit der pacta nuda gab man allerdings erst im 17. Jahrhundert auf.119
C. Kanonisches Recht I. Pacta sunt servanda als Verbindlichkeit des gegebenen Wortes Der Grundsatz pacta sunt servanda entstand aus dem kanonischen Recht des Mittelalters, um auszudrücken, dass alle Vereinbarungen verpflichteten, unabhängig davon, ob sie „nackt“ waren oder nicht.120 Das heißt, die Kanonisten waren die Ersten, die mit dieser lateinischen Sentenz verteidigten, dass man für die Bindungswirkung des gegebenen Wortes keine besondere Formalität benötigte. Der locus classicus dieser Vertragsmaxime ist der berühmte Kanon von Antigonus (X 1, 35, 1), welcher in den Dekretalien von Gregor IX., das sog. Liber Extra aus dem Jahr 1234 festlegte121: Vereinbarungen muss man, auch wenn sie nackt sind, einhalten („pacta quantumcunque nuda servanda sunt“).122 Dieser Kanon bezieht sich auf das I. Konzil von Karthago aus den Jahren 345 – 348 (d. h. ex concilio Africano123), das älteste Plenarkonzil der Reichskirche in Afrika124, wo der Bischof An116 Nanz, Vertragsbegriff, S. 44: „Mit ihm und anderen klagbaren Vereinbarungen war die Anzahl an Durchbrechungen des Klaglosigkeitsgrundsatzes ausgangs des Mittelaltes so groß geworden, daß der Bereich klagloser Verträge zu völliger Bedeutungslosigkeit verblassen mußte.“ 117 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 265. 118 Van Caenegem, Judges, Legislators and Professors, S. 137. Zu diesem Ausdruck ausführlich Schott, Wir Eidgenossen fragen nicht nach Bartele und Baldele, S. 17 ff. 119 Siehe 2. Kapitel, unter D. 120 Hierzu ausführlich Decock, Theologians and Contract Law, S. 122 ff.; Landau, FS Nörr, S. 457 ff.; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 240 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 542 ff. Überblick Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38, Rn. 18; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182 f. 121 Der Liber Extra wurde von Raimundo de Peñafort († 1275) auf Befehl von Papst Gregor IX (ca. 1167 – 1241) geschaffen. Nanz, Vertragsbegriff, S. 50. 122 Corpus iuris canonici emendatum et notis illustratum, Gregorii XIII iussu editum, Romae 1582 (= ed. Gregoriana), part. 2, col. 440. l. 10 – 24, zitiert nach Decock, Theologians and Contract Law, S. 122. Vgl. aber Hyland, VJIL 1994, 34, 405, 416, demgemäß dieser Ausdruck bei der ursprünglichen Veröffentlichung der Dekretalen nicht anwesend gewesen wäre, er würde eher erst im 15. Jahrhundert vom Kardinal Hostiensis eingeführt. 123 Zimmermann, Law of Obligations, S. 543. 124 Landau, FS Nörr, S. 457, 458.
C. Kanonisches Recht
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tigonus den Bischof Optantius anklagte, ein Übereinkommen zwischen ihnen über die Jurisdiktion ihrer jeweiligen Diözesen nicht respektiert zu haben.125 Gratus, Bischof von Karthago und Vorsitzender des Konzils entschied in Übereinstimmung mit den Teilnehmern, dass die Übereinkunft verbindlich war, denn der Frieden müsste eingehalten und die Vereinbarungen müssten bewahrt werden („Pax servetur, pacta custodiantur“).126 Ein solches Übereinkommen war nicht formlos, es handelte sich um einen geschriebenen Text.127 Der Kanon wurde jedoch in den Dekretalien von Gregor IX. mit der eindeutigen Absicht dekontextualisiert und gekürzt, um erkennen zu geben, dass schon der bloße Konsens verpflichtete.128 Dies ergibt sich aus dem Titel „De pactis“, unter welchem der Kanon erscheint, aus der Überschrift des Kanons „pacta quantumcunque nuda servanda sunt“ sowie aus dem Reminiszenz dieser Überschrift an das Versprechen des Prätors: „pacta conventa servabo“ (Digesten 2, 14, 7, 7).129 Die Einführung dieses vertraglichen Gebots war ein Meilenstein im Prozess der Liberalisierung des gegebenen Wortes vom Formzwang. Man erkannte die Macht an, durch einfache Vereinbarung über die Zukunft rechtlich verfügen zu können. Doch wurde damals noch nicht angenommen, dass diese Bindungsmacht in der Vereinbarung selbst lag. Bei der Überprüfung der theoretischen Struktur dieses vertraglichen Prinzips des kanonischen Rechts wird deutlich – wie nachfolgend gezeigt wird –, dass man vom einseitigen Versprechen und nicht von der Vereinbarung ausging und dass immer noch ein institutioneller Rahmen, wenn auch implizit, vorausgesetzt wurde: Die Bindung an das gegebene Wort wurde durch das göttlichen Gebot der Wahrhaftigkeit auferlegt, die vor Gott zu respektieren war130, und seine Vollstreckung erfolgte durch die Kirchengerichte.131
125
Decock, Theologians and Contract Law, S. 122; Hyland, VJIL 1994, 34, 405, 415 f. Corpus iuris canonici emendatum et notis illustratum, Gregorii XIII iussu editum, Romae 1582 (= ed. Gregoriana), part. 2, col. 440. l. 10 – 24, zitiert nach Decock, Theologians and Contract Law, S. 122. Vgl. auch Hyland, VJIL 1994, 34, 405, 416; Nanz, Vertragsbegriff, S. 51; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 240 f.; Supiot, Homo juridicus, S. 154, Fn. 1. 127 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 240 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 543, Fn. 227; vgl. ferner Hyland, VJIL 1994, 34, 405, 416. 128 Zimmermann, Law of Obligations, S. 543. Vgl. ferner Landau, FS Nörr, S. 457, 458; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 241. 129 Zimmermann, Law of Obligations, S. 543. Ähnlich zur Verbindung zwischen „pacta sunt servanda“ und „pacta conventa servabo“ Nanz, Vertragsbegriff, S. 15. 130 Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 284; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14; Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 100 f.; Supiot, Homo juridicus, S. 153 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 72 ff.; vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 126; Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 50 f.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 8; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182 f.; Stöhr, AcP 2014, 426, 439 f.; ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 36; Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36 f.; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 23; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 37. 131 Siehe sogleich im Text. 126
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
II. Kanonische Grundlage der Verbindlichkeit der pacta nuda In den Dekretalien von Gregor IX. wurde nicht erklärt, warum die Übereinkommen verpflichtend waren.132 Sie beschränkten sich darauf, in Anlehnung an den Kanon von Antigonus als allgemeine Regel den Grundsatz einzuführen, dass man die Vereinbarungen, auch wenn sie „nackt“ sind, einhalten müsse.133 Dieser Kanon wurde nicht im Decretum Gratiani des Jahres 1140, die älteste kanonische Rechtssammlung, übernommen.134 Er wurde erst im Jahr 1188 von Bernhard von Pavia († 1213) in seinem Brevarium Extravagantium, einer Ergänzung des Decretum Gratiani, geborgen.135 In diesem Werk wurde auch keine Begründung für die Verbindlichkeit solcher Vereinbarungen aufgeführt.136 Vielmehr machte der bloße Bezug auf das Konzil von Karthago in einer Gesetzessammlung jegliche Begründung überflüssig.137 Im selben Jahr des Brevarium Extravagantium138 veröffentlichte Huguccio von Pisa († 1210), wahrscheinlich der Lehrer von Bernhard von Pavia, seine Summa zum Decretum Gratiani.139 In diesem Werk wurde die Rechtfertigung der Verbindlichkeit der nuda promissio dargetan.140 Huguccio behauptete, dass Versprechungen eingehalten werden müssten, weil derjenige, der sie breche, eine Sünde begehe.141 Denn Gott unterscheide nicht zwischen dem, was ein Christ einfach so sage von dem, was er schwöre.142 Diese Begründung der Verbindlichkeit der einseitigen „nackten“ Versprechen setzte sich in der rechtskanonischen Diskussion der folgenden Jahrhunderte durch143 und von ihr ausgehend rechtfertigte sich die Verbindlichkeit der formfreien Übereinkommen.144 Das heißt, die Verbindlichkeit der pacta nuda stütze sich innerhalb 132 133 134
S. 126. 135
Vgl. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 241. Vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 543. Landau, FS Nörr, S. 457, 458, 465. Vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law,
Landau, FS Nörr, S. 457, 458, 464. Vgl. zudem HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14. Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, S. 123. 137 Landau, FS Nörr, S. 457, 466. Vgl. ferner Decock, Theologians and Contract Law, S. 123. 138 Landau, FS Nörr, S. 457, 467: „(…) ein präzises Geburtsjahr für das Prinzip ,Pacta sunt servanda‘ (…) ist das Jahr 1188.“ 139 Decock, Theologians and Contract Law, S. 123; Dilcher, ZRG RA 1960, 283; Landau, FS Nörr, S. 457, 467; Nanz, Vertragsbegriff, S. 52. 140 Dazu Landau, FS Nörr, S. 457, 460 ff. 141 Landau, FS Nörr, S. 457, 462. Vgl. Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36 f.; Stöhr, AcP 2014, 426, 440. 142 Decock, Theologians and Contract Law, S. 123 f.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 281; Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 37; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14; vgl. auch Nanz, Vertragsbegriff, S. 52. 143 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 14, 19. 144 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 100 f.; derselbe, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 123 f. Vgl. dazu Decock, Theologians and Contract Law, S. 126; Dilcher, ZRG 136
C. Kanonisches Recht
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des kanonischen Rechts auf den Grundsatz der Bußdisziplin und auf das Moralgebot, die Wahrheit sagen zu müssen.145 Hiernach stellte die Nichterfüllung eines Versprechens nämlich für Gott eine Lüge, ja eine Sünde dar.146 Diese Perspektive stand im Einklang mit der Bibel und mit Theorien, die auf deren Grundlage durch die Patristik und die Scholastik entwickelt wurden. So äußert sich das Alte Testament nachdrücklich gegen die Lüge: „ein Mund, der lügt, tötet die Seele“147; „Du bringst die Lügner um; der HERR hat Greuel an den Blutgierigen und Falschen“148 ; „Der HERR wolle ausrotten alle Heuchelei und die Zunge, die da stolz redet.“149 Im Neuen Testament erzählt Matthäus, dass Jesus in seiner Bergpredigt sagte: „Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht! (…) Es sei aber eure Rede: Ja, ja! Nein, nein! Was aber darüber hinausgeht, ist vom Bösen.“150 Von dieser Ermahnung durfte man nicht die Unannehmbarkeit der iuramenta ableiten. Dies wäre mit einer Gesellschaft unvereinbar gewesen, in der der Eid so wichtig war.151 Deshalb wurde diese Passage eher als die Idee verstanden, dass ein einfaches Versprechen ebenso wie ein Schwur erfüllt werden müsste.152 Der Vater der Patristik, Augustinus von Hippo (354 – 430), studierte tiefgründig das Thema der Lüge.153 In seiner Schrift „De mendacio“ schlussfolgerte er kategorisch, dass Lüge eine Sünde sei: „Ganz deutlich wird daher (…), daß die bekannten Zeugnisse der Schriften lediglich dafür sprechen, man dürfe überhaupt nie lügen (…). Jeder aber, der annähme, es gebe eine Art der Lüge, die keine Sünde sei, betrügt sich selbst auf schändliche Art und Weise, da er sich für einen rechtschaffenen Betrüger seiner Mitmenschen hält.“154 RA 1960, 270, 284; Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 50 f.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 8; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182 f. 145 Vgl. Bärmann, RIDC 1961, 18, 35 f.; Berman, Law and Revolution, I, S. 247; HKK/ Hofer, vor § 145, Rn. 23; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 182; Supiot, Homo juridicus, S. 153 f. 146 Bärmann, RIDC 1961, 18, 36; Harke, Römisches Recht, § 4, Rn. 36 f.; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 37; Supiot, Homo juridicus, S. 153. 147 Weis. 1, 11. 148 Ps. 5, 5. 149 Ps. 12, 3. 150 Matthäus 5, 33 – 37. Auf dieses Herrenwort bezieht Jacob 5, 12, sich auch: „Vor allem, meine Brüder, schwört nicht, weder beim Himmel noch bei der Erde noch irgendeinen anderen Eid. Euer Ja soll ein Ja sein und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt.“ 151 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 101. 152 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 101; derselbe, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 124; Weller, Die Vertragstreue, S. 73, Fn. 128. Vgl. aber Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 51 f., 55 f.; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 183, zum Eid als Voraussetzung der Zuständigkeit der Kirchengericht. 153 Siehe Augustinus, Die Lügenschriften. 154 Augustinus, Die Lügenschriften, De mendacio, Kapitel XXI, 42.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
Die Überlegungen von Augustinus über die Lüge wurden von Thomas von Aquin (1225 – 1274), höchster Vertreter der Scholastik, in seiner „Summa Theologiae“ übernommen155, und in Zusammenhang mit der Nichterfüllung eines Versprechens gesetzt: „mendacium est si quis non impleat quod promisit.“156 Zudem erkannte der Doctor Angelicus zwar in diesem Werk an, dass ein einfaches, einem anderen gegebenes Versprechen gemäß den Zivilgesetzen nicht zu dessen Erfüllen verpflichte, da der Menschenwillen veränderlich sei.157 Er führte aber weiter aus: „secundum honestatem ex qualibet promissione homo homini obligatur.“158 Die Ideen von Thomas waren für das Kirchenrecht von großer Relevanz.159 Beleg hierfür ist das Wandgemälde „Il Trionfo di san Tommaso d’Aquino“ von der „Cappellone degli Spagnoli“ in Florenz, erstellt zwischen den Jahren 1365 und 1367 durch Andrea di Bonaiuto († 1377). Auf diesem Gemälde wollte man die Vorherrschaft der Theorien von Thomas in den verschiedenen Disziplinen abbilden. Im Zentrum des Bildes sieht man ihn sitzend auf einem majestätischen Thron, geleitet von den biblischen Autoren. Im unteren rechten und linken Teil des Werks findet man die heiligen Wissenschaften bzw. die freien Künste. Bei den heiligen Wissenschaften wird das Zivilrecht durch Justinianus und das kanonische Recht durch Papst Clemens V. repräsentiert.160 Dem Wandgemälde kann man folglich entnehmen, dass die Rechtstheorien von Thomas, darunter die Rechtfertigung der Verbindlichkeit des formlosen Versprechens auf Grundlage von „truth (veritas), faith (fidelitas) and honesty (honestas)“161 damals von Teilen der Kirche als der Lehren des römischen sowie des kanonischen Rechts überlegen verstanden wurden.
III. Klagbarkeit der pacta nuda Bezüglich der Durchsetzbarkeit der Einhaltung formfreier Versprechen äußerte sich Huguccio in seiner Summa des Decretum Gratiani, dass hierfür keine actio 155
Thomas v Aquin, Summa Theologica, II. Book, II. Part, Question 110, Article 3, Answer: „Unde omne mendacium est peccatum, sicut etiam Augustinus asserit, in libro contra mendacium.“ (Englische Übersetzung nach Fathers of the English Dominican Province: „Therefore every lie is a sin, as also Augustine declares“). Vgl. dazu Weller, Die Vertragstreue, S. 73. 156 Thomas v Aquin, Summa Theologica, II. Book, II. Part, Question 110, Article 3, Objection 5 (Englische Übersetzung nach Fathers of the English Dominican Province: „(…) it is a lie not to fulfill what one has promised.“). 157 Thomas v Aquin, Summa Theologiæ, II. Book, II. Part, Question 88, Article 3, Objection 1. 158 Thomas v Aquin, Summa Theologiæ, II. Book, II. Part, Question 88, Article 3, Reply to Objection 1 (Englische Übersetzung nach Fathers of the English Dominican Province: „Honesty demands that a man should keep any promise he makes to another man.“). 159 Vgl. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 241. 160 Siehe Cappellone degli Spagnoli, https://it.wikipedia.org/wiki/Cappellone_degli_Spag noli#Il_Trionfo_di_san_Tommaso_d.27Aquino (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 161 Gordley, Origins of the Common Law of Contract, S. 367, 374.
C. Kanonisches Recht
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erforderlich sei.162 Er stellte hingegen darauf ab, dass der Richter von Amts wegen handeln müsse und bezog sich damit auf eine dem kanonischen Recht eigene Technik, das officium iudicis.163 So brach er nicht mit der rechtsrömischen Regel „ex nudo pacto actionem non nasci.“ Dieser Erklärungsansatz löste Diskussionen unter den Kanonisten aus, setzte sich letztlich aber nicht durch.164 Einen anderen Ansatz mit Blick auf die Klagbarkeit der nuda promissio schlug Johannes Teutonicus († 1245), erster Rechtsgelehrter aus Deutschland, im Jahr 1212 in Anlehnung an die römische sog. condictio ex lege165 vor: die condictio ex canone.166 Nach seiner Doktrin waren die „nackten“ Versprechen und Vereinbarungen durch eine Klage basierend auf der kanonischen Rechtsgrundlage geschützt.167 Dieser Position folgte man zwar im 14. Jahrhundert.168 Die condictio ex canone galt aber nicht in fori civili.169 Sie fand lediglich Anwendung auf abgeschlossene Übereinkünfte zwischen Klerikern und auf jene, deren Entscheidungsfindung der Kirche anheimgestellt war.170 Papst Innozenz IV. (ca. 1195 – 1254) warf seinerseits um das Jahr 1250 die denuntiatio evangelica auf, ein Rechtsinstitut des kanonischen Strafprozesses, um zwischen Laien mittelbar die Einhaltung formfreier Übereinkommen zu erzielen und der römischen Regel der Nichtklagbarkeit von formlosen Vereinbarungen gegenüber treu zu bleiben.171 Die denuntiatio evangelica legte fest, dass das Brechen eines Versprechens ein kirchliches Delikt war, und dass derjenige, der eine Übereinkunft nicht einhielt, exkommuniziert werden konnte („nisi pacta servet, excommunicabitur“172). Die Drohung der „ecclesiastica disciplina“ konnte daher dem Schuldner als Anreiz zur Erfüllung seines Versprechens dienen, sofern er die Exkommunizierung
162 Bärmann, RIDC 1961, 18, 37; Landau, FS Nörr, S. 457, 463. Überblick Stöhr, AcP 2014, 426, 440. 163 Landau, FS Nörr, S. 457, 463 f., 468. Vgl. dazu Bärmann, RIDC 1961, 18, 37; Decock, Theologians and Contract Law, S. 123 f., 127. 164 Decock, Theologians and Contract Law, S. 124, 127. 165 Digesten 13, 2, 1. 166 Nanz, Vertragsbegriff, S. 52 f. 167 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 243 ff. Vgl. ferner Decock, Theologians and Contract Law, S. 127; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 184. 168 Vgl. Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 184. 169 Weller, Die Vertragstreue, S. 97; vgl. auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 37; Zimmermann, Law of Obligations, S. 543 f. 170 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 247; Weller, Die Vertragstreue, S. 97; vgl. auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 37; Decock, Theologians and Contract Law, S. 125, 127 f. 171 Vgl. HKK/Thier, § 311 I, Rn. 15; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 245; auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 128; Landau, FS Nörr, S. 457, 469 f. 172 Innocenz IV., Innocentii quarti Pont. Maximi super Libros quinque Decretalium, ed. Venetiis 1570 (Neudruck Frankfurt/M. 1968), Apparatus ad X 1.351 v. ,cohiburit‘ zitiert nach Weller, Die Vertragstreue, S. 96, Fn. 332.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
als Unheil empfand.173 Diese Strafe rechtfertigte sich damit, dass die Verletzung der Versprechenstreue eine Sünde war (ratione peccati).174 Sie wurde ausgehend vom Evangelium nach Matthäus entwickelt175 : „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf daß alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halt ihn als einen Zöllner oder Heiden.“
IV. Die causa-Lehre als Brücke zwischen dem Zivilrecht und dem kanonischen Recht In den Jahren 1795 und 1796 malte der Spanier Francisco de Goya y Lucientes (1746 – 1828) für das Arbeitszimmer des Adligen Manuel Godoy y Álvarez de Faria (1767 – 1851) seine bekannte sowie umstrittene „La maja desnuda“ (Die nackte Maja).176 Dieses Werk war das erste einer weiblichen Figur in der Malereigeschichte, auf welchem das Schamhaar abgebildet wurde.177 Daher führte es damals zu einer großen Aufruhr.178 Angesichts dieser Situation habe Godoy laut der Legende bei Goya die Schaffung der „La maja vestida“ (Die bekleidete Maja), die bekleidete Schwester jenes Bilds, in Auftrag gegeben.179 Dieses Werk, das zwischen den Jahren 1802 und 1805 gemalt wurde180, sei benutzt worden, um dahinter „La maja desnuda“ im Arbeitszimmer von Godoy zu verstecken.181 Letztere sei durch ein Schienensystem zur Schau gestellt worden, abhängig davon, wer das Arbeitszimmer betrat.182 Die Entwicklung des „Mythos der cause“183 ist mit dieser Geschichte vergleichbar. 173
Nanz, Vertragsbegriff, S. 53; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 245 ff. Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 53; Weller, Die Vertragstreue, S. 96 (auch dort Fn. 331). 175 Matthäus 18, 15 – 17. 176 Siehe https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/la-maja-desnuda/65953 b93-323e-48fe-98cb-9d4b15852b18 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 177 Barth, Volker, Skandale in der Kunst: So nackt wie Gott sie schuf, aber noch ein bißchen schöner, 15.3.2013, in: https://wize.life/themen/kultur/5715/skandale-in-der-kunst-so-nacktwie-gott-sie-schuf-aber-noch-ein-bisschen-schoener (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 178 Siehe Barth, Volker, Skandale in der Kunst: So nackt wie Gott sie schuf, aber noch ein bißchen schöner, 15.3.2013, in: https://wize.life/themen/kultur/5715/skandale-in-der-kunst-sonackt-wie-gott-sie-schuf-aber-noch-ein-bisschen-schoener (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 179 Vgl. http://www.artehistoria.com/v2/obras/946.htm (zuletzt abgerufen am 30.3.2020); Luna, Juan J., La maja desnuda, in: ALMENDRON.COM, abrufbar unter https://www.almen dron.com/artehistoria/arte/pintura/goya-realidad-e-imagen/la-maja-desnuda/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 180 Siehe https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/la-maja-vestida/a3121efc6924-454c-8a9f-e4320f26d3d0 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 181 Siehe http://www.artehistoria.com/v2/obras/946.htm (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 182 http://www.artehistoria.com/v2/obras/946.htm (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 174
C. Kanonisches Recht
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Im 14. Jahrhundert war es bereits communis opinio canonistarum (herrschende Meinung der Kanonisten), dass das pactum nudum verbindlich war.184 Denn sie waren überzeugt, dass die Differenzierung zwischen einer stipulatio und einem pactum nudum keine Bedeutung für Gott habe.185 Diese Einstellung war für die Legisten jedoch nicht nachvollziehbar, da sie die verbindlichen Geschäfte nach ihrer Form charakterisierten und nur dem pactum vestitum Wirksamkeit zusprachen.186 Für die Mehrheit unter ihnen war die Klagbarkeit des pactum nudum „a contradiction in terms.“187 Vor diesem Hintergrund transponierte Baldus de Ubaldis (1327 – 1400) damals die causa-Lehre im scholastischen Sinne auf das pactum nudum, um eine Brücke zwischen den Kanonisten, die der formlosen Vereinbarung eine actio zugestanden, und den Legisten, für die eine actio nur aus dem pactum vestitum hervorgehen konnte, zu schlagen.188 Entsprechend dieser Theorie sollte nur ein formfreies Übereinkommen ohne ausreichenden Grund, also ohne causa, als ein (nicht klagbares) pactum nudum behandelt werden.189 Mit anderen Worten fungierte das Vorliegen eines klaren Vertragsmotivs als Seriositätsindiz der Einigung190 und machte den Schutz der Vertragsparteien sowie ein Formerfordernis überflüssig, sodass nun lediglich die unbedachte Handlung als pactum nudum einzuordnen war.191 Ende des 15. Jahrhunderts wurde die causa-Lehre sowohl im Zivil- als auch im kanonischen Recht aufgenommen.192 So wurde damit das System der pacta vestita nicht aufgehoben und das lateinische Prinzip nuda pactio non parit actionem erhielt 183
Weller, FS Müller-Graff (2015), S. 109, 110. Nanz, Vertragsbegriff, S. 54. Vgl. ferner HKK/Thier, § 311 I, Rn. 15. 185 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 250. 186 M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 70 f.; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 250; vgl. auch Ehmann, FS Stathopoulus (2010), S. 1, 3. 187 Decock, Theologians and Contract Law, S. 107. 188 Hierzu ausführlich Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2001, N8 23, 209, 286 ff.; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 247 f., 250 ff. Vgl. ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 39 f.; Berman, Law and Revolution, I, S. 246 f.; Ehmann, FS Stathopoulus (2010), S. 1, 3; Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 56 (mit Fn. 111) f.; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 184; Nanz, Vertragsbegriff, S. 54 f.; Navarretta, Rev. Derecho Privado N8 11, 57, 59; Zimmermann, Law of Obligations, S. 549, 551 f., 555. 189 Vgl. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 251; auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 130; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 40, Rn. 7; Zimmermann, Law of Obligations, S. 552. 190 Vgl. Navarretta, Rev. Derecho Privado N8 11, 57, 59 f. Söllner, ZRG RA 1960, 182, 265; Zimmermann, Law of Obligations, S. 549. 191 Vgl. M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 71, 85. 192 Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2001, N8 23, 209, 286; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 261 ff. Vgl. auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 39 f.; Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 300; Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 49; Helmholz, Contracts and the Canon Law, S. 49, 51; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 15; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 8 f.; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 183; Nanz, Vertragsbegriff, S. 55 f. 184
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
auch unter den Klerikern eine gewisse Geltung.193 Die causa manifestierte den institutionellen Rahmen des Vertrages und verhinderte so die Gleichstellung der bloßen Vereinbarung mit dem Vertrag im kanonischen Recht. Diese Doktrin stützte sich auf den Titel 44, 4, 3 der Digesten, der bestimmt: „si quis sine causa ab aliquo fuerit stipulatus, deinde ex ea stipulatione experiatur, exceptio utique doli mali ei nocebit (…).“194 Diese Passage betrifft zwar den Fall, dass ein Missverständnis bezüglich einer stipulatio besteht, wurde dennoch von den Glossatoren als Bestimmung der Gültigkeitsvoraussetzung der Stipulation angesehen.195 Demzufolge war die Theorie der causa zweifellos eine Konditionierung der Liberalisierung des gegebenen Wortes innerhalb des kanonischen Rechts.196 Im Zivilrecht ersetzte sie aber das Formerfordernis und stellte einen weiteren Schritt hin zur Aufgabe des vertragsrömischen numerus clausus und zur vollen Anerkennung der Vertragsfreiheit dar.197
D. Schule des Naturrechts: Die einfache Vereinbarung bindet Im 17. und 18. Jahrhundert kehrte sich die römische Regel „ex nudo pacto actionem non nasci“ um.198 Der Grundsatz „ex nudo pacto oritur actio“ setzte sich durch und die grundlegende Bedeutung der formlosen Vereinbarung als Auslöser von Leistungspflichten wurde nicht mehr infrage gestellt199 : Das gegebene Wort hatte die Zukunft definitiv übernommen. An der Erosion des römischen Vertragsgrundsatzes des Form- und Typenzwangs – und an der konsequenten Liberalisierung des gegebenen Wortes – hatten, wie bereits aufgezeigt, das kanonische Recht und die Geschäftspraxis ihren Anteil.200 Jedoch kam der „final breakthrough“ bei der doktrinären Schaffung des Konzepts des
193
Söllner, ZRG RA 1960, 182, 252; vgl. ferner Zimmermann, Law of Obligations, S. 552. Deutsche Übersetzung nach Corpus Juris Civilis, Vierter Band, S. 553: „Wenn Jemand von dem Andern ohne Grund stipulirt hat, und nachher aus der Stipulation Klage erhebt, so wird ihm jeden Falls die Einrede der Arglist entgegenstehen (…).“ 195 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 252; Zimmermann, Law of Obligations, S. 550; vgl. zudem Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 50; M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 71. 196 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 103, behauptet, dass die causa als die wichtigste Gegenströmung gegen die Klagbarkeit der formlosen Vereinbarungen gelte. 197 Ähnlich Ehmann, JZ 2003, 702, 714; Zimmermann, Law of Obligations, S. 553, 555. 198 Vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 539 f. 199 Zimmermann, Law of Obligations, S. 539 f. 200 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 103: „Das Bemühen um verstehende Rechtsgeschichte verbietet jeden Versuch einer monokausalen Deutung.“ (Hervorhebung im Original). 194
D. Schule des Naturrechts: Die einfache Vereinbarung bindet
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modernen Konsensualvertrags durch die Naturrechtsschule.201 Diese Denkströmung bekräftigte die Idee der Verbindlichkeit einer formfreien Übereinkunft und legte dem Vertrag einen Konsens zugrunde, wobei dieser als zwei externe übereinstimmende Willensäußerungen verstanden wurde.202 Das heißt, mit dieser Doktrin wurde das pactum zum ersten Mal mit dem contractus gleichgesetzt.203 Aus diesem Grund konnte erst ab diesem Zeitpunkt die Prämisse des gegenwärtigen Vertragswesens, wonach die Vereinbarung per se verpflichte, formuliert werden.204 Für die Naturrechtsschule beschränkte sich der Vertrag nicht auf eine Figur des Privatrechts. Er galt vielmehr als Wesensinstitut der menschlichen Assoziation205, durch welches die Notwendigkeiten und Probleme der Menschheit zufriedengestellt werden konnten.206 So nahm der Vertrag eine hierarchische Stellung ein und wurde in den grundlegenden Werken der größten Exponenten dieser Lehre behandelt.207 Die Naturrechtsdoktrin erklärte während der Staatsäkularisierung, in Anlehnung an dieses Rechtsinstitut, sogar die Schaffung des Staats: Mit dem contrat social wurde der status libertatis aufgegeben und der status civilis (Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau) eingeführt.208 Zugleich zeigte sich damals aus einer soziologischen Perspektive der Beginn des Übergangs von einer landwirtschaftlichen Gesellschaft, gekennzeichnet hauptsächlich durch Familienbande, hin zu einer Industriegesellschaft, beruhend auf der individuellen Freiheit.209 Damit stand im Vergleich zum Alten Rom nicht mehr der 201 Zimmermann, Law of Obligations, S. 544. Vgl. ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 20; Berman, Law and Revolution, II, S. 156; Dilcher, ZRG RA 1960, 303; Landau, FS Nörr, S. 457, 473 f.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 135; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547. 202 Ausführlich dazu Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435 ff.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 74 ff. 203 So z. B. C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 514. 204 Siehe dazu 3. Kapitel. 205 Vgl. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 10, 20. 206 HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 25; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544; vgl. ferner Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 436; derselbe, Die Vertragstreue, S. 74. Diesbezüglich Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13 f.: „Von hier entwickelte sich die Vertrags- und Rechtsgeschäftslehre, und im naturrechtlichen Überschwang wurde der Vertrag zum ,Hebel dieser Welt‘ und zum juristischen Universalwerkzeug der Gerechtigkeit.“ Vgl. hierzu auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 136 f. 207 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 11. Vgl. zudem Dedek, CJLJ 2012, 313, 323. 208 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 10. So auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 39 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544; vgl. ferner Graeber, Debt, S. 197; Hillgruber, ARSP 1999, 348, 353; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 25; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 14. Diesbezüglich Keynes, The End of Laissez-faire, I: „At the end of the seventeenth century the divine right of monarchs gave place to natural liberty and to the contract.“ 209 Weller, Die Vertragstreue, S. 86. Hierzu ferner Bruns, JZ 2007, 385 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 36; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 1. Ähnlich Rückert, Natürliche Freiheit – Historische Freiheit – Vertragsfreiheit, S. 305, 307 ff.; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 8 f.
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Reichtumserhalt, sondern dessen Entwicklung im Vordergrund.210 In diesem Zusammenhang nahm der Konsensualvertrag mit seiner Möglichkeit, Ressourcen neu zu allokieren, allmählich eine „posizione dominante nel moderno diritto civile“ ein.211 Berühmt ist diesbezüglich der Satz von Sir Henry Maine (1822 – 1888) „we may say that the movement of the progressive societies has hitherto been a movement from Status to Contract.“212 Doch die Vertragstheorie der Naturrechtsschule wurde nicht aus dem Nichts begründet, sondern viele ihrer Grundlagen waren bereits diskutiert worden.213 So übernahmen die Naturrechtslehrer sowohl – über die Spätscholastik – Elemente der rechtskanonischen Theorie als auch Elemente des Corpus Iuris Civilis.214 Sie emanzipierten sich jedoch von den Moraltheologen und den Romanisten und entwarfen ein schematisiertes und geordnetes Vertragssystem.215 Die Juristen des Naturrechts entwickelten, basierend u. a. auf der promissio, der acceptatio sowie dem Gebot, die Wahrheit zu sagen, eine Allgemeinlehre des Konsensualvertrags.216 Entsprechend den Vertretern der Naturrechtstheorie bedarf das formfreie Versprechen für seine Verbindlichkeit einer Annahme.217 Diese wurde verlangt, um zu betonen, dass das Versprechen widerrufbar war, solange es nicht akzeptiert wurde.218 Man überwand mit diesem Erfordernis die kanonische Theorie der Verbindlichkeit
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Vgl. Galgano, Il contratto, S. 3 f. Galgano, Il contratto, S. 1, 4. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 436: „Der Vertrag gilt als ,König des Privatrechts‘ (…) Die ,Krönungsmesse‘ des Vertragsrechts lässt sich auf die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts datieren, geht doch der moderne Vertragsbegriff auf das Natur- und Vernunftrecht dieser Zeit zurück.“ Vgl. dazu derselbe, Die Vertragstreue, S. 87; auch Raiser, FS DJT (1960), S. 101. 212 Maine, Ancient Law, Chap. V, S. 170. Bei dieser These geht es zwar um den Übergang der archaischen Rechtsreformen zum klassischen römischen Recht. Jedoch wird sie dessen ungeachtet als plastischer Kurzformel für den Befund verwendet, dass die geschäftlichen Beziehungen zwischen den Individuen immer mehr von ihren privatautonomen Entscheidungen bestimmt werden. Dazu Höfling, Vertragsfreiheit, S. 1 mit Fn. 2. Teilweise kritisch zu Maines These Wesel, Geschichte des Rechts, S. 66 f.; ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 259 f. Darüber hinaus behauptete Weber, Rechtssoziologie, S. 107, ähnlich wie Maine: „Der Privatrechtssphäre ist dies derart charakteristisch, daß man die heutige Art der Vergemeinschaftung (…) geradezu als ,Kontraktgesellschaft‘ bezeichnen kann.“ (Vgl. zudem dasselbe Werk, S. 169). 213 Vgl. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 21. 214 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 8, 16. Vgl. ferner Machado Cabral, Sequência 2016, N8 72, 145, 147 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 561. 215 Vgl. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 9, 11, 19; auch Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 98, 104; Zimmermann, ERCL 2012, 367, 376. Vgl. aber Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 71, 121 ff., der die Emanzipierung der Naturrechtslehre von der spätscholastischen Doktrin relativiert. 216 Vgl. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 21. 217 Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 81. 218 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19; vgl. zudem Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 80 f. 211
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des einseitigen Versprechens219 und es wurde der Grundstein des modernen Vertragsprinzips gelegt.220 Zentraler Kern des kanonischen Rechts war nämlich das einfache Versprechen, jener des Naturrechts war hingegen das angenommene Versprechen.221 Auch im Unterschied zu den Kanonisten besagte die Naturrechtsdoktrin nicht, dass die Verbindlichkeit der Einigung auf eine Forderung Gottes, eines institutionellen Dritten, zurückzuführen war. Der Naturrechtslehre zufolge würde eine formfreie Vereinbarung selbst Gott verpflichten, der dieses Prinzip nicht verändern könnte.222 Für sie stützte sich dieses Mandat auf „die freie selbstgewollte Bindung an das eigene Wort.“223 Die Annahme als Voraussetzung für die Verbindlichkeit des einseitigen Versprechens wurde in der Naturrechtsschule durch Hugo Grotius (1583 – 1645) bestärkt.224 Dieser Ansatz wurde von Samuel Pufendorf (1632 – 1694) übernommen225, der die Zustimmung dann Konsens nannte.226 Nach Pufendorf waren zwei Konsense für die Vertragsentstehung notwendig.227 Christian Thomasius (1655 – 1728) und Christian Wolff (1679 – 1754) gingen von der Forderung von zwei consensus unius für die Vertragsbegründung zum mutuo consensu über.228 Hinsichtlich der Erforderlichkeit der causa teilte sich das civil law in den römischen und den germanischen Rechtskreis auf. Ersterer, der in der Naturrechtstheorie hauptsächlich durch Jean Domat (1625 – 1696) und Robert Joseph Pothier (1699 – 1772) vertreten war, forderte für das Vertragszustandekommen zusätzlich zum Konsens das Vorliegen einer cause.229 Auf diese Weise blieben daher Spuren der Manifestation des institutionellen Vertragsrahmens des Mittelalters erhalten, auch wenn die Unterscheidung zwischen pactum nudum und pactum vestitum für Domat
219 Weller, Die Vertragstreue, S. 89. Vgl. Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 101: „Die naturrechtliche Lehre vom Versprechen ist somit als eine Fortführung der kanonistischen Doktrin der pomissio anzusehen.“ 220 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 75; Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 468. 221 Siehe oben zur kanonischen Rechtslehre der Verbindlichkeit des einseitigen Versprechens 2. Kapitel, unter C. I., II. und III. 222 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 223 HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 25. 224 HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 25. 225 Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2000, N8 22, 47, 57; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15. 226 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 31; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15; Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 95 f. 227 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 31. 228 Vgl. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 446 ff.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 75, 78 ff. 229 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19.
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und Pothier nicht dem Naturrecht entsprach.230 Dieses Modell wurde im ursprünglichen Code Civil aufgenommen. Der germanische Rechtskreis befestigte dagegen den Grundsatz „solus consensus obligat.“231 Damit stellte er am stärksten die bloße formlose Vereinbarung mit dem Vertrag gleich (dazu unter I.). Der Grundsatz pacta sunt servanda zeichnete sich seinerseits als oberstes Prinzip des Naturrechts aus.232 Allerdings wurde dieser lateinische Ausdruck während dieser Epoche vor allem verwendet, um die verpflichtende Bindung aus den formfreien Vereinbarungen anzuzeigen: Die Vertragstreue233 (dazu unter II.). Dieses theoretische Vertragsrechtsschema, in dem die formfreie Vereinbarung dem Schuldvertrag gleichgesetzt wurde, liegt den naturrechtlichen Kodifizierungen zugrunde (dazu unter III.).
I. Tatbestand des Vertrages: Vom angenommenen Versprechen zum beiderseitigen Konsens als Willensvereinbarung 1. Hugo Grotius: Erster Schritt zum Vertragsprinzip Grotius ist der Vater des Naturrechts.234 Sein Werk „De Iure Belli ac Pacis“ (1625) wird als Ursprung der klassischen Naturrechtsdoktrin angesehen.235 Es wurde fast hundert Jahre lang als Naturrechtslehrbuch in Deutschland, Frankreich, Schweden und der Schweiz genutzt.236 Dieses Werk wird mitunter als ein Bruch mit der Scholastik verstanden.237 Grotius übernahm jedoch viel aus dieser Denkweise und säkularisierte sie.238 Er stützte seine Theorien grundsätzlich auf die natürliche Vernunft und nicht auf die göttliche Vernunft.239 230 Siehe Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, S. 61; Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 231 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 88. 232 So Popescu, LESIJ N8 1 2009, 128, 129. 233 Ausführlich dazu Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 38, 85 f. Vgl. auch Zimmermann, Law of Obligations, S. 576 f. 234 Nanz, Vertragsbegriff, S. 139; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544. vgl. ferner Dedek, CJLJ 2012, 313, 323. 235 Machado Cabral, Sequência 2016, N8 72, 145, 148; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 444; derselbe, Die Vertragstreue, S. 75. 236 Machado Cabral, Sequência 2016, N8 72, 145, 148 f. 237 Dazu Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 121 ff. 238 Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 71: „the doctrines of the late scholastics were taken over intact and popularized by the founder of the northern natural law school, Hugo Grotius (…). Indeed, the doctrines remained much the same in the work of his successors (…). While these jurists preserved the late scholastic doctrines, however, they no longer explained them by Aristotelian and Thomistic principles.“ Vgl. dazu auch Dedek, CJLJ 2012, 313, 323; Nanz, Vertragsbegriff, S. 140; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 190; Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 8 f.; Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 468.
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Man findet bei Grotius noch keine Lehre des Konsensualvertrags.240 Er ging auf den Vertrag nur ein, weil dessen Bruch die Verletzung eines erworbenen Rechts darstelle und auf diese Weise den Krieg rechtfertigen könne.241 Daher erfolgte seine ausschließliche Betrachtung lediglich rudimentär im XII. Kapitel „Über die Verträge“ des zweiten Buchs von „De Iure Belli ac Pacis.“242 Dabei bot Grotius eine Vertragsdefinition: „Alle Handlungen, welche einem anderen nützlich sind, werden, mit Ausnahme der wohltätigen, mit dem Namen Vertrag belegt.“243 Zudem stimmte er der Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarung zu.244 Die Kategorie des „pactum nudum“ als unverbindliche Einigung war für ihn eine Schaffung des Zivilrechts und nicht des Naturrechts.245 Die Bindungskraft leitete Grotius jedoch noch nicht aus der Übereinkommen selbst ab, sondern behauptete vielmehr in dem Kapitel XI „Über die Versprechen“, das dem Vertragskapitel vorausging, die eigenständige Verbindlichkeit des formfreien Versprechens.246 Nach dem holländischen Juristen war nur das vollkommene Versprechen verbindlich, welches drei Erfordernisse erfüllte: Es müsse zunächst den aktuellen wahrhaftigen Willen des Erklärenden über etwas Zukünftiges zum Ausdruck gebracht haben.247 Zweitens müsse die Erklärung äußerlich die ernste Absicht dargelegt haben, in der kommenden Zeit bei diesem Willen zu verharren.248 Letztlich müsse die Erklärung, um ein vollkommenes Versprechen zu sein, ein erkennbares Zeichen des Willens enthalten haben, dass dem anderen ein Recht übertragen werden solle.249 Der Schlüssel zum perfekten Versprechen war somit der Wille, der dem Versprechen zugrunde lag, und dessen Erklärung.250 Grotius schrieb sich folglich in die Tradition des kanonischen Rechts bezüglich der Lehre des einseitigen Versprechens
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Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 76. Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 95. Vgl. ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 29. 241 Siehe Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel I, unter II, 1 f. 242 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 13. 243 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter VII. 244 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. 245 Dazu Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. 246 Die Vertragsdefinition von Grotius nennt keine Verbindung mit der Versprechenslehre. Diese Verknüpfung wird eher aus dem systematischen Aufbau der grotianischen Lehre abgeleitet. So auch Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 445, Fn. 96; derselbe, Die Vertragstreue, S. 77, Fn. 163. Grotius bezog sich nämlich bei Kapitel XI des Buchs II „Über die Versprechen“ (unter VI) auf das pactum errantis als eine Problematik der Lehre von Versprechen. Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book II, Ch. XI, § 6. 247 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter II. 248 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter III. 249 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. 250 Vgl. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 191. 240
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ein.251 Gemäß seiner Ansicht entstand jedoch ein Rechtsanspruch auf Erfüllung des Versprechens erst mit der Annahme des Empfängers desselbigen.252 Vor dieser Annahme war es widerrufbar.253 Hierin liegt einer der großen Unterschiede zwischen Grotius und der allgemeinen Meinung des kanonischen Rechts.254 Während für letztere die Verbindlichkeit mit dem einseitigen Versprechen erfolgte, galt dies für Grotius erst mit der Annahme des Versprechens. Dies war der erste Schritt hin zum modernen Vertragsprinzip255 sowie zur Gleichstellung der Willensvereinbarung mit dem Vertrag. Das Erfordernis der Zustimmung entnahm Grotius dem Vergleich, den er zwischen der Übereignung einer Sache und einem Schuldversprechen anstellte.256 Er übernahm das Modell der einseitigen promissio und forderte bei ihrer Verbindung mit den Eigentumsübertragungsformen die acceptatio des Versprechens.257 Denn nach Grotius veräußere der Versprechenden hierbei, ähnlich jenem, der einen Gegenstand veräußere, einen Teil seiner Freiheit.258 Grotius’ Konzeption bestand dementsprechend aus dem Versprechen, der Rechtsübertragung und dessen Annahme.259 Dem gemeinsamen Konsens kam noch keine Bedeutung zu. So kann man mit Franz Wieacker (1908 – 1994) festhalten: „(…) der Vorgang der Vertragsschließung wurde (…) nicht als mutuus consensus, sondern als acceptatio der einseitigen promissio formuliert.“260 Hinsichtlich der causa erklärte Grotius: „neque promissiones quae causam expressam non habent naturaliter esse irritas.“261 In seiner Theorie verschwand demnach jede Reminiszenz an das institutionelle System der pacta vestita.
251 Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 444; derselbe, Die Vertragstreue, S. 76. Vgl. ferner Nanz, Vertragsbegriff, S. 142 ff. 252 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter XIV. (Siehe dazu auch dasselbe Werk, Buch II, Kapitel XI, unter XV bis XIX). 253 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter XVI. 254 Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 445; derselbe, Die Vertragstreue, S. 77. Vgl. dazu auch Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 468. 255 Weller, Die Vertragstreue, S. 75; vgl. zudem Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 17. 256 Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 324 ff.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 13. 257 Vgl. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 12, 17; auch Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 444 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 76. 258 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 259 Vgl. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 445; derselbe, Die Vertragstreue, S. 77. 260 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 16 (Hervorhebung im Original). 261 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter XXI (Deutsche Übersetzung von Walter Schätzel: „Insbesondere sind Versprechen, wenn sie auch keine ausdrückliche Grundlage haben (…) nach dem Naturrecht gültig“). Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius, S. 35, spricht in Bezug auf die causa-Lehre bei Grotius von der „causa-Unbedürftigkeit ,seines‘ Versprechens.“
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2. Samuel Pufendorf: Der Vertrag als zwei consensus unius Pufendorf war der Nachfolger von Grotius bezüglich der naturrechtlichen Vertragsdoktrin.262 Seine Theorie der Verbindlichkeit der formlosen Vereinbarung basierte auf der grotianischen Versprechenslehre.263 Mit Pufendorf erfuhr sie allerdings eine weitere Entwicklung.264 Während Grotius ausführlich dem Versprechen nur ein Kapitel widmete, das Kapitel XI des zweiten Buchs von „De Iure Belli ac Pacis“, behandelte Pufendorf das Versprechen in aller Tiefe in mindestens vier Kapiteln des dritten Buchs seines Werks „De Iure Naturae et Gentium“ (1672): Kapitel 5 „On the Nature of Promises and Pacts in General“, Kapitel 6 „On the Consent Required in Promises and Pacts“, Kapitel 7 „On the Subject-Matter of Promises and Pacts“ und Kapitel 8 „On the Conditions of Promises.“ In seiner Schrift „De Officiis Hominis Et Civis“ (1673)265, eine Art von Zusammenfassung jenes Werks266, waren das Versprechen und der Vertrag auch Hauptgegenstand in vier Kapiteln seines ersten Buchs: Kapitel 9 „Über die Pflicht beim Vertragsschluß im allgemeinen“, Kapitel 15 „Über vom Wert der Gegenstände abhängige Verträge und die sich daraus ergebenden Pflichten“, Kapitel 16 „Auf welche Art und Weise Verbindlichkeiten aus Verträgen erlöschen“ und Kapitel 17 „Über die Auslegung.“ Pufendorf interessierte sich zudem nicht für den Vertragsbruch als Mittel zur Rechtfertigung des Krieges, obwohl er dieser Möglichkeit ebenfalls anerkannte.267 Pufendorf nahm den Vertrag eher als Vehikel, über welches die Personen zueinander in Beziehung träten, um Güter auszutauschen.268 Laut seiner Theorie, ähnlich der Ideologie des Vertragswesens269, könnten sie auf diesem Wege alle ihre Bedürfnisse befriedigen.270 Aus diesem Grund war Pufendorf eine zentrale Figur für die rationale Vertragslehre. Sein Denksystem maß dem Vertrag eine hierarchische Position bei, die über die Naturrechtskodifizierungen und die Schule der Pandektistik bis zum heutigen Tag beibehalten wurde.271 262
Vgl. Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15.; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 445; derselbe, Die Vertragstreue, S. 78. 263 Siehe z. B. Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. V, § 7 und Ch. VI, § 14 f. Vgl. dazu auch Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2000, N8 22, 47, 57; Dedek, CJLJ 2012, 313, 327 f.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15. 264 Vgl. dazu Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2000, N8 22, 47, 57; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 446 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 78 f. 265 Pufendorf, De officio hominis et civis. 266 Adame Goddard, El derecho natural y los contratos, S. 189, 193; Berry, Adam Smith and Early-Modern Thought, S. 77, 90. 267 Siehe z. B. Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87). 268 Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 14. Vgl. auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 30; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19; Nanz, Vertragsbegriff, S. 150 f. 269 Siehe zur Ideologie des Vertragswesens Einleitung, unter A. 270 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 1; derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 (S. 86 f.). 271 Ähnlich Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 11, 13, 15. Vgl. auch Kegel, Vertrag und Delikt, S. 14 f.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 149; Zimmermann, Law of Obligations, S. 568.
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Pufendorf verglich wie Grotius das Schuldversprechen mit der Sachübereignung.272 So musste das Versprechen nach ihm nicht nur äußerlich erkenntlich gegeben, sondern auch angenommen werden.273 Die Rechtfertigung der Bindungswirkung wurzelte in dieser Zustimmung, die Pufendorf mit dem consensus gleichsetzte.274 Das heißt, der Konsens war hier noch nicht die Übereinstimmung von zwei Willenserklärungen wie er heute verstanden wird275 : Der Konsens stellte hingegen die freie Zustimmung einer Vertragspartei zur Einschränkung ihrer Willensfreiheit dar.276 Dies war nach Pufendorf „required in promises and pacts.“277 Folglich benötigte man in einem Vertrag gewissermaßen zwei „voneinander unabhängige, selbständige Konsense.“278 Einen bezüglich des Willensschuldners und einen anderen hinsichtlich des Willensgläubigers279 : „for a promise to be valid, there is required the consent, not only of the one who makes the promise, but of him to whom it is made.“280 Weller spricht hierbei von einem „intrapersonalen Konsensverständnis.“281 3. Christian Thomasius: Der Vertrag als mutuus consensus Thomasius war der erste große Protagonist der frühen deutschen Aufklärung.282 Er war Gründungsmitglied der Universität Halle im Jahr 1694, die als Modell dieser
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Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. V, § 7. Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. VI, § 14 f.; derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 16 (S. 93). 274 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19. Vgl. ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 31; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15. Diesbezüglich definierte Pufendorf Consensus im Buch I, Kapitel IV, „On the will of man as it concurs in moral actions“, als „simple approbation of means, in so far as they are judged useful to some end.“ Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book I, Ch. IV, § 1. Diese Begriffsbestimmung hat zwar nichts mit dem Vertragsabschluss zu tun. Es handelt sich vielmehr um die Billigung einer Zweck-Mittel-Relation. Trotzdem stützte Pufendorf sich bei Betrachtung der promissa und der pacta nicht auf ein solches Konsensverständnis, dabei war der Konsens die Zustimmung der Versprechung. Pufendorf ging nämlich bei promissa et pacta „von einem umgangssprachlichen Verständnis des Konsens aus.“ Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 96. 275 Vgl. aber Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 18, der schon von mutuus consensus bei Pufendors Vertragslehre spricht. 276 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. VI, § 1. 277 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. VI, § 1. 278 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 31. Vgl. dazu auch Dedek, CJLJ 2012, 313, 332; Nanz, Vertragsbegriff, S. 155; Zimmermann, Law of Obligations, S. 568 f. 279 Vgl. Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15. 280 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. VI, § 15. 281 Weller, Die Vertragstreue, S. 78; derselbe, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 446 (Hervorhebung im Original). 282 K. Luig, FS Helmut Coing (1982), Bd. 1, S. 177, 178; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 447; derselbe, Die Vertragstreue, S. 79. 273
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Strömung aufgefasst wurde283, und schuf die erste wissenschaftliche Zeitschrift in deutscher Sprache.284 Friedrich Wilheim I. von Brandenburg-Preußen (1620 – 1688) vertraute ihm die Leitung über den Entwurf eines Privatrechtsgesetzbuchs für das gesamte Gebiet seines Staats an.285 Thomasius hatte jedoch Zweifel an diesem Projekt und es wurde am Ende nie verwirklicht.286 Dieser Leipziger Denker erkannte die Verbindlichkeit der pacta nuda an.287 Er entwickelte die Versprechenslehre von Grotius und Pufendorf weiter, aber in seinem Werk „Institutiones Iurisprudentiae Divinae“ (1688) kam er zu einem Begriff des Konsensualvertrags, der dem heutigen ähnelte.288 Denn dabei wurde das einseitig, angenommene Versprechen, anders als bei Grotius, nicht mehr als Achse des pactum eingeordnet und auch den Konsens wurde nicht mehr, wie bei Pufendorf, als die freie Zustimmung zu einer Einschränkung verstanden. Thomasius vertrat vielmehr, dass das pactum aus dem Konsens als Willensübereinstimmung hervorgeht289 und sich aus einem Versprechen einerseits und einer Annahme anderseits zusammensetzt.290 Bei Thomasius war somit der Konsens wichtiger als die Erklärungen, aus denen dieser bestand.291 Der Konsens war damit zentraler Punkt seiner Vertragstheorie292: „Causa próxima constituendi pactum est consensus.“293 Mit ihm verlor zudem die causa, die letzte Spur des mittelalterlichen Systems der pacta vestita, ihre Relevanz im deutschen Rechtsdenken294 und die Vereinbarung wurde mit dem Vertrag nahezu gleichgesetzt. 283 Machado Cabral, Sequência 2016, N8 72, 145, 150, 163 f.; vgl. ferner Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 315. 284 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 315. 285 K. Luig, FS Helmut Coing (1982), Bd. 1, S. 177, 178. 286 Dazu K. Luig, FS Helmut Coing (1982), Bd. 1, S. 177, 178 ff. 287 Vgl. K. Luig, FS Helmut Coing (1982), Bd. 1, S. 177, 189 ff. 288 Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15. Vgl. dazu auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 32; Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 96; Nanz, Vertragsbegriff, S. 159, 164; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 447; derselbe, Die Vertragstreue, S. 79. 289 Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 7, § 1, 4 (S. 212): „Pactum est duorum in idem placitum de dando aliquo vel faciendo consensus.“ (Hervorhebung im Original). 290 Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 7, § 1, 7 (S. 213): „Vocatur autem ex parte ejus, qui se obstringit, promissio, ex parte alterius, acceptio.“ (Hervorhebung im Original). 291 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 96. 292 Nanz, Vertragsbegriff, S. 160 f.; vgl. auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 31 f.; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 15; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 194. 293 Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 7, § 1, 6 (S. 213) (Hervorhebung im Original). 294 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19. Vgl. dazu Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 103 f.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
4. Christian Wolff: Die Gleichsetzung der Willensvereinbarung mit dem Schuldvertrag im deutschen Rechtsdenken Mit dem Mathematiker, Philosoph und Theologe C. Wolff erlangte die Naturrechtslehre in Deutschland ihr höchstes Niveau und zugleich ihren Abschluss.295 C. Wolff war einer der Vermittler zwischen dem Naturrecht und der Schule der Pandektistik296; er galt gewissermaßen als „der eigentliche Vater jener ,Begriffs-‘ oder ,Konstruktionsjurisprudenz‘, welche die Pandektenwissenschaft des 19. Jhs. (…) beherrscht[e].“297 Dieser Naturrechtslehrer verortete die Konsenstheorie innerhalb der Lehre des menschlichen Verhaltens.298 Diese war eine der Vorläufertheorien der Rechtsgeschäftslehre.299 Wie auch schon für Thomasius war sein Vertragskonzept das der formfreien Willensübereinstimmung300, die sich aus einem Schuldversprechen und aus dessen Annahme zusammensetzt.301 Die Konsens- und Vertragstheorie von C. Wolff – und nicht die von Thomasius – fand allerdings am meisten Beachtung in der nachfolgenden Vertragsrechtsentwicklung und wurde zur Hauptinspiration der Naturrechtskodifizierungen.302 Dies resultierte wahrscheinlich daraus, dass C. Wolffs grundlegenden Thesen über das Vertragsrecht nicht nur auf Latein, sondern auch auf Deutsch publiziert wurden.303 Die Fassung in deutscher Sprache seiner „Institutiones Juris Naturae et Gentium“ aus dem Jahr 1750 erschien im Jahr 1754: „Grundsätze des Natur- und Völckerrechts.“ Diese Übersetzung wurde von Gottlob Samuel Nicolai (1725 – 1765) mit C. Wolffs Plazet vorgenommen.304 Dieser Text ist eine Zusammenfassung seines großen Werks „Ius naturae methodo scientifica pertractatum“ (8 Bände, 1741 – 1748) und seines „Ius Gentium“ (1749).305 Hier kommt die ableitende Methode, die dem Natur- und Vernunftrecht eigen ist, mit Klarheit zum 295
Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 32. Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 7, 22. 297 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 320. 298 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 96; derselbe, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 125 f. Vgl. dazu ferner Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 20. 299 Vgl. Mayer-Maly, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 125 f. 300 Nanz, Vertragsbegriff, S. 164. Vgl. ferner HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19. 301 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 16; Nanz, Vertragsbegriff, S. 166 f. 302 Nanz, Vertragsbegriff, S. 164 f., 169; vgl. auch Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 96. 303 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 33; Nanz, Vertragsbegriff, S. 164. 304 Thomann, Vorwort zu C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, S. VIII. 305 Siehe Thomann, Vorwort zu C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, S. VIII; auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 32, Fn. 122. Das Werk „Ius Gentium“ schloss sich als neunter Band vom „Ius naturae methodo scientifica pertractatum“ an. Otfried Nippold, Einleitung zu C. Wolff, Ius gentium methodo scientifica pertractatum, Vol. I, S. XXIX. 296
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Ausdruck. Der Werksuntertitel lautet nämlich „Grundsätze (…), worin alle Verbindlichkeiten und alle Rechte aus der Natur des Menschen in einem beständigen Zusammenhange hergeleitet werden.“306 Mit C. Wolff wurde die Unterscheidung zwischen pactum und contractus im deutschen Rechtsdenken endgültig abgeschafft. Er führte kategorisch aus, dass beide für das Naturrecht von gleicher Bedeutung seien („Quamobrem pacta et contractus naturaliter non differunt“307) und sie wurden in der deutschen Version im Jahr 1754 erstmalig mit dem allgemeinen Begriff „Vertrag“ bezeichnet.308 Was den consensus anbelangt, wurde diese Vokabel zwar bei C. Wolff mit dem deutschen Begriff „Einwilligung“ übersetzt und damit mit einem einseitigen Wollen.309 Dieses Konzept richtete sich aber auf den Willen der vertraglichen Gegenpartei.310 Denn Wolf unterstrich bei der Definition desselbigen, im Unterschied zu Pufendorf, dessen Bezug auf ein anderes Subjekt311: „Zu den inneren Handlungen gehört die Einwilligung (consensus), welche darinnen bestehet, daß wir wollen, es solle eben dasjenige geschehen, oder unterlassen werden, was der andere thun, oder unterlassen will.“312
Dieser Konsens war für C. Wolff Vertragsentstehungsvoraussetzung und dementsprechend war, wie Theo Mayer-Maly (1931 – 2007) ausführt, „für die Annahme eines consensus unius kein Raum“313:
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Hervorhebung durch Verfasser. Siehe dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 319 f. 307 C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 514 (Hervorhebung durch Verfasser). 308 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, §§ 438, 514. Vgl. hierzu Nanz, Vertragsbegriff, S. 165; auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 33; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 16; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 448 mit Fn. 126; derselbe, Die Vertragstreue, S. 80 mit Fn. 193; Zimmermann, Law of Obligations, S. 568, Fn. 150. Darüber hinaus behauptete Bartsch, AcP 1954, 412, 421, dass Philipp v. Zeesen (1619 – 1689) schon zuvor das Wort „Vertrag“ als deutsche Übersetzung für den Begriff „Contract“ eingeführt haben sollte. Das heißt, C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 438, verwandte erstmals die Bezeichnung „Vertrag“ als Oberbegriff von pactum und contractus, während Philipp v. Zeesen (1619 – 1689) den „Vertrag“ nur als Übersetzung von „Contract“ eingeführte. Vgl. dazu Nanz, Vertragsbegriff, S. 165, Fn. 233. 309 Nanz, Vertragsbegriff, S. 166. 310 Nanz, Vertragsbegriff, S. 166. 311 Zum Konsensbegriff von C. Wolff als partnerbezogenen Begriff Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 97; derselbe, FS Erwin Seidl (1975), S. 118, 125 f.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 164; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 448 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 80 f. 312 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 27. 313 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 97.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda „Conventio, qua duo vel plures in eandem, vel easdem promissiones consentiunt, Pactum, sive Pactio appelatur.“314 „Wenn zwey oder mehrere zusammen in ein Versprechen einwilligen, heißt es ein Vertrag (pactum oder pactio).“315
Genau wie bei Thomasius verschwanden bei C. Wolff die causa und damit jedes Überbleibsel des institutionellen Rahmens des mittelalterlichen Vertrages. Für C. Wolff war der Wille die causa des Vertrages316 und er bestimmte daher den Konsens – die Willensvereinbarung – als einzige Vertragsentstehungsvoraussetzung: „(…) so ist der Vertrag gleich gültig, so bald beyde Theile ihre Einwilligung gegeben.“317 5. Jean Domat: Das Weiterleben der causa als Entstehungsvoraussetzung der convention Zur Zeit des deutschen Naturrechts zeichnete sich auch in Frankreich ein moderner Vertragsbegriff ab.318 Hauptakteure waren hier die Romanisten Domat und Pothier.319 Mit Domat begann die französische Naturrechtsschule.320 Sein Werk „Les lois civiles dans leur ordre naturel“ (1689 – 1694) erfuhr besondere Relevanz im bürgerlichen Recht.321 Sie wurde wegen ihrer Eleganz und Klarheit zur Grundlage des französischen modernen Vertragsrechts.322 Darin kam diesem Rechtsgebiet eine zentrale Bedeutung zu und es wurde auf ähnliche Weise wie bei Pufendorf und der Ideologie des Vertragswesens zum Ausdruck gebracht, dass die vertraglichen 314 C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 438 (Hervorhebung von „consentiunt“ durch Verfasser). 315 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 438. 316 C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 407: „Cum a voluntate promittentis unice dependeat, utrum promittere velit, nec ne (§. 385), & vi libertatis naturalis nulli hominum rationem reddere tenetur, cur quid faciat (§. 78); promissio naturaliter non habere debet caussam expressam, scilicet cur promittat.“ (Hervorhebung im Original). C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 407: „Weil es einig und allein auf den Willen des Versprechers ankommt, ob er etwas versprechen will, oder nicht (§. 245.); und vermöge der natürlichen Freiheit er seinem Menschen Rechenschaft geben darf, warum er etwas thue (§ 78.); so darf nach dem natürlichen Rechte in einem Versprechen. Die Ursache desselben nicht ausgedrückt werden, warum man nämlich etwas verspricht.“ 317 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 445. 318 Vgl. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 450; derselbe, Die Vertragstreue, S. 82. 319 Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 187; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 450; derselbe, Die Vertragstreue, S. 82. 320 Zimmermann, Law of Obligations, S. 566. 321 Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 451. 322 Zimmermann, Law of Obligations, S. 566.
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Übereinkünfte für den Austausch zwischen den Menschen sowie für die Befriedigung aller ihrer Bedürfnisse fundamental seien.323 Bezüglich des pactum nudum legte Domat fest, dass es zwischen ihm und dem Vertrag keinen Unterschied gebe, er identifizierte beide mit dem Name convention: „Ce mot de convention est un nom général, qui comprend toute sorte de contrats, traitéz, & pactes de toute nature.“324 Die Übereinkünfte wurden von Domat definiert als „(…) les engagements, qui se forment par le consentement mutuel de deux ou plusieurs personnes, qui se font entre eux une loi d’exécuter ce qu’ils se promettent.“325 Das Versprochene könnte die Schaffung, Änderung oder Abschaffung einer Verpflichtung sein326, sodass der Begriff convention nicht „toute sorte de contrats“ umfasste. Sie bezog sich lediglich auf den Schuldvertrag. Als Entstehungsvoraussetzung der convention bestimmte Domat im Unterschied zum grotianischen Modell des angenommenen Versprechens, den beiderseitigen Konsens327: „Les conventions s’accomplissent par le consentement mutuel, donné & arrêté réciproquement.“328 Er forderte trotzdem neben dem Konsens noch das Vorliegen einer cause für die Verbindlichkeit des gegebenen Worts329 : „(…) et l’obligation serait nulle, si, dans la vérité, elle était sans cause“330; „Dans les conventions où quelqu’un se trouve obligé sans aucune cause, l’obligation est nulle.“331 In diesem Modell des römischen Rechtkreises blieb demzufolge dieses vom institutionellen Rahmen der Legisten geforderte Element bestehen, auch wenn die Unterscheidung zwischen pactum nudum und pactum vestitum für die französische Naturrechtsschule irrelevant waren.332
323 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, Introduction, S. 61 f. 324 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section 1, I (Hervorhebung durch Verfasser). 325 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, Introduction, S. 61. 326 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section 1, II. 327 Vgl. Kegel, Vertrag und Delikt, S. 21; Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 642. 328 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section 1, VIII (Hervorhebung durch Verfasser). 329 Ausführlich zum causa-Erfordernis bei Domat siehe Guzmán Brito, Rev. estud. hist.juríd. 2001, N8 23, 209, 344 ff. 330 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section 1, V (Hervorhebung durch Verfasser). 331 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section V, XIII (Hervorhebung durch Verfasser). 332 Siehe Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, S. 61.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
6. Robert Joseph Pothier: Der Konsensualvertrag in Frankreich Pothier war ein Nachfolger von Domat auf dem Gebiet des Vertragsrechts.333 Sein Werk „Traité des obligations“ (1761) hatte großen Einfluss auf die Erarbeitung des ursprünglichen Code Civil, in welchem sogar ganze Textpassagen wörtlich aufgenommen worden sind.334 Durch die Herausgabe der englischen Übersetzung im Jahre 1806 prägte dieser Text außerdem die Juristen des common law des 19. Jahrhunderts.335 Pothier erkannte der Unterscheidung zwischen dem pactum und dem contractus des römischen Rechts seine Bedeutung ab: „Les principes du droit romain sur les différentes espèces de pactes, et sur la distinction des contrats et des simples pactes, n’étant pas fondés sur le droit nature (…) ne sont pas admis dans notre droit.“336 Er konsolidierte endgültig das Konsensual- und Vertragsprinzip in Frankreich.337 Dieser Naturrechtslehrer vereinte die Konsenstheorie von Domat mit der angenommenen Versprechenslehre von Grotius.338 So definierte Pothier, indem er Domat zitierte, den Vertrag als „le consentement de deux ou de plusieurs personnes, pour former entre elles quelque engagement (…).“339 In der Tradition von Grotius führte Pothier seinerseits aus, dass der Vertrag sich aus einem Versprechen (Angebot) und einer Annahme zusammensetze: „Le contrat renferme le concours des volontés de deux personnes, dont l’une promet quelque chose à l’autre, et l’autre accepte la promesse qui lui est faite.“340 In Übereinstimmung mit Domat stellte Pothier auch eine Gattungsbeziehung zwischen der convention, die er pacte nannte, und dem contrat her.341 Das Vertragskonzept von Pothier ist jedoch enger als das von Domat, denn es betrifft nicht die Willensvereinbarung zur Beendigung von Verpflichtungen. Für Pothier sei die convention die Willensvereinbarung zur Begründung, Änderung oder Beendigung einer Verpflichtung.342 Sein Begriff von contrat hingegen sei auf die Willenseinigung zur Schaffung von Verpflichtungen beschränkt.343 Diese Leistungspflicht könne in
333
Nanz, Vertragsbegriff, S. 187, Fn. 122; vgl. auch Kegel, Vertrag und Delikt, S. 21. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 452. Vgl. ferner Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 196. 335 Zimmermann, Law of Obligations, S. 570 f., 575. Vgl. zudem Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 71. 336 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3 (Hervorhebung durch Verfasser). 337 Vgl. Guzmán Brito, Rev. estud. hist.-juríd. 2000, N8 22, 47, 59 f. 338 Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 453; derselbe, Die Vertragstreue, S. 82 f. 339 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 340 Pothier, Traité des obligations, Tz. 4 (Hervorhebung durch Verfasser). 341 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 342 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 343 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 334
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einem Tun, einem Nichtstun oder einem Geben bestehen.344 Eine Willensübereinstimmung zum Schuldenerlass ist gemäß dieser Konzeption deshalb über ihre Rechtswirkung hinaus kein Vertrag.345 Darüber hinaus forderte Pothier genau wie Domat im Artikel III „Des différents vices qui peuvent se rencontrer dans les contrats“, § VI „Du défaut de cause dans le contrat“, als Vertragsentstehungsvoraussetzung, zusätzlich zum Konsens, weiter die cause346 : „Tout engagement doit avoir une cause honnête.“347 Das Fehlen einer solchen zog gemäß dieser Doktrin die Vertragsnichtigkeit nach sich.348 Aufgrund dieser Anforderung erlaubte die französische Naturrechtsschule damals also noch nicht den gleichen Grad an Assimilation zwischen Willensvereinbarung und Vertrag wie der deutsche Rechtskreis, obwohl beide diese Gleichheit grundsätzlich postulierten: Die cause implizierte ein gewisses Fortbestehen des institutionellen Rahmens des mittelalterlichen Vertrages.
II. Rechtsfolge des Vertrages: Der Grundsatz pacta sunt servanda als die Vertragstreue Während dieser Etappe der Vertragsrechtsentwicklung triumphierte die noch vorhandene Idee, den Grundsatz pacta sunt servanda vor allem mit der Verbindlichkeit des Vereinbarten zu identifizieren: der Vertragstreue.349 Das heißt, mit jenem lateinischen Ausspruch wurde im Gegensatz zur kanonischen Rechtslehre nicht mehr hauptsächlich auf die Unwichtigkeit des Formzwangs für den Abschluss einer Vertragseinigung – den Tatbestand des Vertrages – verwiesen, sondern auf die vertragliche Bindung – die Rechtsfolge des Vertrages. Dieses Vertragsprinzip zeichnete sich dabei als heilige Maxime des Rechts aus.350 Laut der Naturrechtsschule brauchten die Vereinbarungen keinen institutionellen Rahmen mehr, um Bindungswirkung zu entfalten, da diese sich aus dem „Gebot der Vernunft“ herleitete.351 344
Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 643. 346 Ausführlich zum Causa-Erfordernis bei Pothier siehe Guzmán Brito, Rev. estud. hist.juríd. 2001, N8 23, 209, 354 ff. 347 Pothier, Traité des obligations, Tz. 42 (Hervorhebung durch Verfasser). 348 Pothier, Traité des obligations, Tz. 42. 349 Ausführlich dazu Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 38, 85 f. Vgl. auch Zimmermann, Law of Obligations, S. 576 f. 350 Vgl. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442; derselbe, Die Vertragstreue, S. 85. 351 Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547. In Bezug auf die Versprechenslehre von Grotius, Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 191: „Die innere Vernünftigkeit des Versprechens verlangt eine absolute Treubindung.“ Vgl. ferner Landau, FS Nörr, S. 457, 473 f. 345
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
1. Hugo Grotius Grotius führte in „De Iure Belli ac Pacis“ aus: „es entspricht (…) dem Recht der Natur, Verträge zu halten“352 und er sprach davon, die „heiligen Treue“ des gegebenen Wortes zu halten.353 Im selben Werk behauptete er, dass sich die Verpflichtung zur Erfüllen des Versprochenen „aus der Natur der unveränderten Gerechtigkeit“ rationaler Wesen ableite354 und erkannte an, dass sogar Gott gegen seine Natur handeln würde, wenn er seine Versprechen nicht hielte.355 2. Samuel Pufendorf Mit Pufendorf akzentuierte sich noch mehr die Bedeutung des Grundsatzes pacta sunt servanda als Vertragsrechtsfolge.356 In seinem Werk „De Iure Naturae et Gentium“ behauptete er, dass diese Vertragsmaxime die „most sacred precept of natural law“ sei357 und sie sich in der sozialen Menschennatur rechtfertige: „Now whenever men enter into any agreements, the social nature of man requires that they must be faithfully observed.“358 In seinem „De Officiis Hominis Et Civis“ stellte Pufendorf fest, dass es eine absolute Pflicht sei, den anderen nicht zu schädigen und, dass ein Schaden entstünde, sofern die eingegangen Verpflichtungen nicht eingehalten würden.359 Dabei drückte er ferner aus, dass das Naturrecht das Einhalten des gegebenen Worts fordere.360 3. Christian Thomasius Thomasius erkannte als Rechtsfolge des Vertrags das Prinzip „promissa sunt servanda“ an.361 Er legte in seinem Text „Institutiones Iurisprudentiae Divinae“ unter Bezugnahme auf das Werk Pufendorfs die Vorschrift „FIDEM IN PROMISSIONE
352
Grotius, De iure belli ac pacis, Vorrede, Tz. 15. Grotius, De iure belli ac pacis, Buch III, Kapitel XXV, unter VII. 354 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1 (Hervorhebung durch Verfasser). 355 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 356 So Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 447; derselbe, Die Vertragstreue, S. 79, 85; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544. 357 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2 (Hervorhebung durch Verfasser). 358 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2. Vgl. auch derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 (S. 86 f.). 359 Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. VII, §§ 2 ff. (S. 78 ff.). 360 Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87). 361 K. Luig, FS Helmut Coing (1982), Bd. 1, S. 177, 191. 353
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DATAM SERVA“ fest362 und rechtfertigte diese mit dem Interesse des gerechten menschlichen Zusammenlebens.363 4. Christian Wolff C. Wolff postulierte in seinen „Institutiones juris naturae et gentium“ auch den Grundsatz „pacta…servanda sunt“364 als Rechtsfolge des Vertrags und setzte über die Folgen seines Verstoßens seinen Vorrang fest: „(…) so hat der Mensch ein Recht zum Kriege wider denjenigen, der den Vertrag nicht halten will.“365 In seinem Werk „Ius naturae methodo scientifica pertractatum“ bestimmte er außerdem, dass das angenommene Versprechen selbst dem Annehmenden das Recht übertrage, das Erfüllen des Versprochenen einzufordern und eventuell zu erzwingen.366 5. Jean Domat In dem Werk „Les lois civiles dans leur ordre naturel“ erkannte Domat die Vertragsbindung als Rechtsfolge der Vereinbarungen an. Dabei führte er aus, dass „toutes les conventions (…) ont toujours leur effet, & elles obligent à ce qui est convenu.“367 Die Verbindlichkeit der Vereinbarungen wurde als Naturrechtsprinzip verstanden368 und als unveränderlich postuliert.369 Domat behauptete zudem in Einklang mit der Maxime der Assisen von Jerusalem des 12. Jahrhunderts „convenant vain loi“370, dass diese Vertragsbindung Gesetzeskraft habe: „les conventions tienent lieu de loix“.371 Der Vertrag wurde also ausdrücklich als lex privata präsentiert.372 362
Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 7, § 1, 1 (S. 212). Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 7, § 1, 3 (S. 212). 364 C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 438. 365 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 447. 366 C. Wolff, Ius naturae methodo scientifica pertractatum, III, § 363, S. 241 f. Hierzu Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 75 f. 367 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section I, VII. 368 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Livre Premier, Section I, V. 369 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, S. LXVII. 370 Vgl. Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 102; Zimmermann, Law of Obligations, S. 540. 371 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Livre Premier, Section I, V. Vgl. auch dasselbe Werk, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre 1, Section II, VII: „Les conventions étant formées, tout ce qui a été convenu tient lieu de loy à ceux qui les ont faites.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 372 Aus der Definition der convetion lässt sich auch entnehmen, dass der Vertrag gemäß Domat lex privata war: „Es conventions sont les engagements, qui se forment par le consentement mutuel de deux ou plusieurs personnes, qui se font entre eux une loi d’exécuter ce qu’ils se promettent.“ Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre 363
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
6. Robert Joseph Pothier Pothier legte schließlich in seinem Text „Traité des obligations“ die verpflichtende Bindung als Rechtsfolge des Vertrags fest. Er behauptete, dass der Vertrag selbst den Anspruch verleihe, „d’en exiger l’accomplissement (…)“373 und dass die Verträge „produisent des obligations.“374
III. Naturrechtskodifizierungen: Positivierung der formfreien Vereinbarung Nachdem das Rechtsleben wissenschaftlich im Einklang mit den Naturprinzipien formuliert wurde, wurde es noch positiviert.375 So herrschte in den Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts das naturrechtliche Vertragsmodell vor.376 Damit wurde die Lehrkonstruktion der Gleichsetzung der Willensvereinbarung mit dem Vertrag verstärkt.377 1. Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (CMBC) aus dem Jahr 1765, das erste naturrechtliches Gesetzbuch, das in Kraft trat378, setzte den Vertrag mit der Vereinbarung gleich und schaffte ausdrücklich die Unterscheidung zwischen pactum vestitum, pactum nudum und contractum ab: „Nachdem aber heut zu Tage allen Pacten die nämliche Kraft und Wirkung, wie einem Contracte beygelegt ist, so fällt auch obige Abtheilung sammt dem Unterschiede zwischen den sogenannten Pactis nudis, Legitimis, vestis vel adjetis hinweg.“ (CMBC IV 1, § 5).
Das CMBC erhob demnach als Vertragsentstehungsvoraussetzung nur den Konsens: „Die Essential- und innerliche Requisita, ohne welchen keine Convention von Kraft und Gültigkeit seyn mag, bestehen 1mo in dem Versprechen eines und der Annahme anderen Theils (…) Es wird aber auch 2do ein wahrer, vollkommener, ernstlicher und freyer Wille oder Consens hierzu allerseits erfordert (…)“ (CMBC IV 1, § 5).
Premier, Introduction, Introduction, S. 61 (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. dazu Nanz, Vertragsbegriff, S. 189; auch Kegel, Vertrag und Delikt, S. 23. 373 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 374 Pothier, Traité des obligations, Tz. 85. 375 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 34. 376 Vgl. HKK/Thier, § 311 I, Rn. 20. 377 Vgl. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 195. 378 Nanz, Vertragsbegriff, S. 170.
D. Schule des Naturrechts: Die einfache Vereinbarung bindet
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Auf Ebene der Vertragsrechtsfolgen setzte diese Kodifikation die Verbindlichkeit für alle Verträge unabhängig davon ein, ob jemand ihn bereits zuvor erfüllt hat.379 2. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Besonderen Einfluss hatte die Vertragslehre der Naturrechtsschule im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR).380 Dieses Gesetzbuch trat nach einigem Widerstand des Adels am 1. Juni 1794 in Kraft381 und galt in der Region des früheren Preußen bis zum 1. Januar 1900.382 Darin war auch die Unterscheidung von pactum nudum und contractum irrelevant und das angenommene Versprechen wurde als Voraussetzung der Vertragsabschließung festgelegt: „Durch die Annahme eines gültigen Versprechens wird der Vertrag geschlossen“383 ; „Zur Wirklichkeit eines Vertrages wird wesentlich erfordert, daß das Versprechen gültig angenommen worden.“384 Die Annahme und das Angebot waren gleichermaßen Voraussetzungen der Vertragsentstehung.385 Sie wurden mit dem Konzept der „Willenserklärung“ gleichgestellt386, welches als „eine Aeußerung dessen, was nach der Absicht des Erklärenden geschehen, oder nicht geschehen soll“, definiert war.387 Diesbezüglich und in Übereinstimmung mit C. Wolff entwarf dieses Gesetzbuch eine Lehre des Rechtsgeschäfts388 : „Von Handlungen und den daraus entstehenden Rechten“ (ALR I 3). In dieser Kodifikation war die Verbindlichkeit als Rechtsfolge des Vertrags angeordnet.389 Dabei wurde festgelegt, dass der gültig geschlossene Vertrag nur noch durch gegenseitiges Einverständnis annulliert werden konnte.390 379 380 381 382
S. 84. 383
CMBC IV 12, § 1. Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 178. Dazu Kegel, Vertrag und Delikt, S. 16. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 456; derselbe, Die Vertragstreue,
ALR I 5, § 79. ALR I 5, § 4. 385 Nanz, Vertragsbegriff, S. 166. 386 ALR I 5, § 78: „Alles, was zur Rechtsgültigkeit einer Willenserklärung überhaupt gehört, wird auch zur Gültigkeit der Annahme eines Versprechens erfordert.“ ALR I 5, § 2: „Die Erklärung, einem Andern ein Recht übertragen, oder eine Verbindlichkeit gegen denselben übernehmen zu wollen, heißt Versprechen.“ 387 ALR I 4, § 1. 388 Mayer-Maly, Die Bedeutung des Konsenses, S. 91, 98. Vgl. ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 34 f. 389 ALR I 5, § 394: „Vielmehr steht ihm nur frey, den Gegentheil zu der versprochenen Erfüllung, und zu der nach den Gesetzen ihm zukommenden Enschädigung, durch den Richter anzuhalten.“ In Übereinstimmung damit ALR I 5, § 394 bestimmt: „Die von der einen Seite geweigerte oder nicht gehörig geleistete Erfüllung des Vertrags berechtigt den Andern in der Regel noch nicht, von dem Vertrage selbst wieder abzugehn.“ 390 ALR I 5, § 385: „Durch wechselseitige Einwilligung kann ein zwar schon geschlossener, aber noch nicht erfüllter Vertrag wieder aufgehoben werden.“ 384
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
3. Code Civil Der Code Civil ist der bedeutendste der Gesetzestexte des Naturrechts.391 Er war Modell des römischen Rechtskreises und der Kodifizierungen des 19. Jahrhunderts, da er Revolution und Modernität in der Epoche der Aufklärung bedeutete.392 Dieser Text wurde im Kontext der 1789er Revolution erarbeitet und trat im Jahr 1804 in Kraft.393 Er ist ein Symbol für Frankreich und er gilt als seine „véritable constitution.“394 Man darf nicht vergessen, dass Napoléon (1769 – 1821), Jahre nach dem Erlass desselbigen, auf Ste Hélène äußerte: „Ma vraie gloire, ce n’est pas d’avoir gagné quarante batailles; Waterloo effacera le souvenir de tant de victoires. Ce que rien n’effacera, ce qui vivra éternellement, c’est mon Code Civil.“395 Hinsichtlich des Vertragssystems stützte sich der Code Civil in seiner ursprünglichen Fassung auf die Darlegungen von Domat sowie Pothier.396 Sie waren dessen intellektuelle Väter.397 Dieser Teil des Gesetzbuchs wurde jedoch nach mehr als zweihundert Jahren unveränderlicher Geltung kürzlich durch die Verordnung Nr. 2016 – 131 zur Schuldrechtsreform überarbeitet.398 So definierte der Art. 1101 des ursprünglichen Code Civil den Vertrag ähnlich wie Pothier als „une convention par laquelle une ou plusieurs personnes s’obligent, envers une ou plusieurs autres, à donner, à faire ou à ne pas faire quelque chose.“ Die neue Fassung des Art. 1101 enthält nicht mehr den Verweis auf die Gattungsbeziehung zwischen convention und contrat und bestimmt gleichzeitig neu den möglichen Vertragsinhalt: „Le contrat est un accord de volontés entre deux ou plusieurs personnes destiné à créer, modifier, transmettre ou éteindre des obligations.“399 Heutzutage ist die Willensübereinstimmung zum Schuldenerlass dementsprechend anders als vorher ein Vertrag. 391
Nanz, Vertragsbegriff, S. 187. M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 71. Vgl. dazu auch Fauvarque-Cosson, ZEuP 2007, 428, 430 f.; Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 161 ff.; Picod, Indret 2009, N8 4, 1, 6; Vergara, La Ley 17.12.2014, 1, 2; Xanthaki, ICLQ, Vol. 57, 659, 671. 393 Zur Entstehungsgeschichte des Code Civil Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 437 ff.; auch Kegel, Vertrag und Delikt, S. 23 f.; Nanz, Vertragsbegriff, S. 192 f. 394 Carbonnier, Le Code Civil, S. 293, 309. 395 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 83. 396 Vgl. Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 642 f. 397 Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 193. 398 Zum französischen Schuldrechtsreform M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1 ff.; derselbe, ZEuP 2017, 68 ff.; auch Fauvarque-Cosson, ELTE LJ 2014/1, 59, 61 ff.; Mazeaud, La Ley 17.3.2014, 1 ff.; Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 ff.; Weller, FS Müller-Graff (2015), S. 109 f. 399 Kritisch zu diesem neuen Begriff Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 647 ff., demnach besser gewesen wäre, das Konzept von convention und contrat bei der Schuldrechtsreform vollständig zu verschmelzen: „Mieux encore, il aurait été préférable de fusionner totalement le contrat et la convention en énonçant que les contrats sont des accords de volonté destinés à produire des effets de droit.“ (S. 649). Denn bei dem Code Civil bleiben noch vereinbarte Rechtsgeschäfte (actes juridiques conventionnels) nach Art. 1100-1, die keine 392
D. Schule des Naturrechts: Die einfache Vereinbarung bindet
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Als Vertragsentstehungsvoraussetzung geht die neue Gesetzbuchsfassung nicht mehr vom consensus unius der Tradition Pufendorfs aus400 und hält auch nicht mehr an dem Erfordernis der cause, welche von Domat und Pothier verlangt worden war401, fest. Der Art. 1108 in seiner ursprünglichen Fassung bestimmte: „Quatre conditions sont essentielles pour la validité d’une convention: Le consentement de la partie qui s’oblige; Sa capacité de contracter; Un objet certain qui forme la matière de l’engagement; Une cause licite dans l’obligation.“402
Das reformierte Gesetzbuch legt hingegen in seinem Art. 1128 fest: „Sont nécessaires à la validité d’un contrat: 18 Le consentement des parties; 28 Leur capacité de contracter; 38 Un contenu licite et certain.“403
Mit der Anforderung des „consentement des parties“ enthält der neue Text des Code Civil die Konzeption von Domat und Pothier über den Konsens als beiderseitige Übereinkunft. Mit dem Verzicht auf die cause wurde darüber hinaus die „heilige Kuh“404 der französischen Privatrechtstradition, die „cocoricause!!!“405, geopfert. Man verließ in diesem Punkt den römischen Rechtskreis und übernahm das sog. rein konsensuale Vertragsmodell: „Les contrats sont par principe consensuels“ (Art. 1172 Code Civil n. F.).406 Dies trägt zu einer größeren Angleichung zwischen Vereinbarung und Vertrag bei, die für die Ideologie des Vertragswesens charakteristisch ist. Denn nach diesem Modell, welches dem germanischen Rechtskreis folgt, kommt der Vertrag, wie zuvor erwähnt407, mit der bloßen Willensübereinstimmung zustande, ohne die Notwendigkeit einer zusätzlichen Vertragsentstehungsvoraussetzung wie
Begründung, Änderung, Übertragung oder Löschung von Verpflichtungen als Gegenstand haben. Art. 1100-1 Code Civil: „Les actes juridiques sont des manifestations de volonté destinées à produire des effets de droit. Ils peuvent être conventionnels ou unilatéraux [Abs. 1]. Ils obéissent, en tant que de raison, pour leur validité et leurs effets, aux règles qui gouvernent les contrats [Abs. 2].“ 400 Vgl. dazu Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 446 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 78 mit Fn. 180. 401 Siehe 2. Kapitel, unter D. I. 5. und 6. 402 Hervorhebung durch Verfasser. 403 Hervorhebung durch Verfasser. 404 Doralt, RabelsZ 2012, 761, 774. 405 Mazeaud, ERCL 2010, 1, 20 (Hervorhebung durch Verfasser). 406 Siehe 1. Kapitel, unter A. Zur Abschaffung der cause-Lehre in Frankreich M. G. Casas, ZEuP 2017, 69 ff., derselbe, La Ley 3.6.2016, 1, 3 f.; Weller, „La cause“, S. 146 ff.; auch derselbe, FS Müller-Graff (2015), S. 109, 113 ff. 407 Siehe Einleitung, unter E. und 1. Kapitel unter A.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
der causa des römischen Rechtskreises oder der consideration des angelsächsischen Rechtskreises.408 Als Vertragsrechtsfolge setzt der Code Civil die obligatorische Bindung fest. Der neue Art. 1103 gibt die sehr berühmte Phrase des Art. 1134 des Code Civil a. F. wider, welche in Anlehnung an die Idee von Jerusalems Assisen und Domat des Vertrags als lex privata besagt: „Les contrats légalement formés tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faits.“409
E. Die Kodifizierung in Deutschland: Die Gleichstellung der Willenseinigung mit dem obligatorischen und realen Vertrag Im 19. Jahrhundert hatte die Mehrheit der Länder Mittel-, Süd- und Ost-Kontinentaleuropas bereits ihre eigenen bürgerlichen Gesetzbücher.410 Das deutsche Territorium richtete sich dagegen trotz der intellektuellen Einigung, repräsentiert durch die Historische Rechtsschule, noch anachronistisch nach einer Vielheit von Rechtsnormen aus.411 So waren beispielsweise die preußischen Territorien der ALR zugehörig, andere dem Code Civil und selbst das Königreich Sachsen erließ im Jahr 1865 sein eigenes bürgerliches Gesetzbuch.412 Diese Situation entsprach nicht den neuen Anforderungen des wirtschaftlichen Verkehrs nach der industriellen Revolution.413 Angesichts dessen und nach der berühmten Debatte von 1814 zwischen 408 Diesbezüglich kann man in Anlehnung an Weller das Konsensprinzip im weiteren und im engeren Sinne verstehen. Nach dem Konsensprinzip im weiteren Sinne ist der Konsens die wichtigste Vertragsentstehungsvoraussetzung, aber nicht die einzige. Die Rechtordnungen, die dem Konsensprinzip im weiteren Sinne folgen, verlangen neben dem Konsens eine andere Vertragsentstehungsvoraussetzung, in der Form eines weiteren Seriositätsindizes. So spielt die causa beispielweise – neben dem Konsens – im argentinischen Código Civil y Comercial 2015 eine wichtige Rolle (Art. 1013), wobei das Konsensprinzip im weiteren Sinne übernommen wurde. Das Konsensprinzip im engeren Sinne bestimmt dagegen, dass der Vertrag grundsätzlich mit der schlichten Willenseinigung der Parteien abgeschlossen wird. Dies Modell wird reiner Konsensualismus genannt. Siehe Weller, Die Vertragstreue, S. 65 ff.; auch derselbe, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 441 f; derselbe, JZ 2013, 1021, 1025; vgl. dazu M. G. Casas, La Ley 3.6.2016, 1, 3 mit Fn. 75, 4; derselbe, ZEuP 2017, 69, 71 ff.; ferner Zimmermann, Law of Obligations, S. 567: „In the other countries of central Europe consensus acquired an even greater importance, since here it had been able to emancipate itself entirely from causa as another requirement for the validity of contracts.“ 409 Hervorhebung durch Verfasser. 410 Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 6 f. 411 Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 7 f. 412 Dazu Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 7. Vgl. auch Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 161, 163. Zu einer Landkarte des bis zum 31.12.1899 im Deutschen Reich geltenden Rechts ferner Wesel, Geschichte des Rechts, S. 442. 413 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 37.
E. Die Kodifizierung in Deutschland
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Anton Justus Thibaut (1772 – 1840)414 und Friedrich Karl von Savigny (1779 – 1861)415 über die Notwendigkeit eines allgemeinen und homogenen bürgerlichen Gesetzbuchs für Deutschland sowie über die Frage, ob das Recht reif hierfür war416, entschied man, ein einheitliches Gesetzbuch für das gesamte deutsche Territorium zu verfassen.417 Auf das Vertragssystem dieser Kodifikation hatte die Historische Rechtsschule Einfluss, obwohl sich ihr intellektuelle Vater Savigny gegen eine solche Rechtskodifizierung aussprach.418
I. Historische Rechtsschule: Das Vertragsmodell der Willenserklärungsvereinigung Die Historische Rechtsschule wurde im 19. Jahrhundert gegründet.419 Diese Denkströmung folgte der Methode der Bildung von Rechtsbegriffen der großen Namen des Naturrechts.420 Dabei ging sie aber von den römischen Rechtsprinzipien aus und nicht von den Postulaten der Vernunft.421 So wurde hier eine Verbindung zwischen dem zeitgenössischen Recht und der Vergangenheit hergestellt und eine moderne Privatrechtstheorie mit historischer Grundlage entwickelt.422 Denn nach dieser Lehre war das Recht Ergebnis eines geschichtlichen Ablaufs, der sich im Geist des Volks ausdrückte – wobei das Volk von den Juristen repräsentiert wurde.423 Der Corpus Iuris Civilis wurde damals folglich zur Richtschnur des Verständnisses des bestehenden kodifizierten und territorialen Rechts.424 Aus dieser Schule ging zudem die Pandektendoktrin hervor, welche in Anlehnung an die Postulate jener Denkströmung erstrebte, dogmatisch-systematisch die römischen Gesetzestexte zu bearbeiten.425 Die Pandektistik betrachtete nämlich die Rechtsordnung als „ein auf 414
Thibaut, Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts. Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung. 416 Vgl. hierzu Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 171 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 36 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 390 ff.; Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 10; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 137 f. 417 Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 10 f. 418 Vgl. Zimmermann, ERCL 2012, 367, 376 f.; auch Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 202. 419 Ausführlich dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 348 ff. 420 Vgl. Wieacker, FS Hanz Welzel (1974), S. 11. Kegel, Vertrag und Delikt, S. 26, Fn. 236: „(…) m. E. unterscheiden sich die naturrechtliche und die pandektistische Vertragsauffassung kaum (…).“ Vgl. aber Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 198. 421 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 139. 422 Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 8 ff. 423 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 137. 424 Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 8. Vgl. ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 37. 425 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 139. 415
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
römisch-rechtlicher Grundlage entwickeltes, geschlossenes System von Institutionen, Begriffen und Lehrsätzen.“426 Dieses System war gemäß dem römischen Isolierungsprinzip427 eine unabhängige Rechtswelt, die keinerlei Bezug zu der Ethik, der Wirtschaft oder der Politik hatte.428 Es gab „eine Sonderung des Rechts vom Nichtrecht.“429 Die Pandektenwissenschaft übernahm allerdings als Rechtssubjekt dieses Systems das von der Philosophie des deutschen Idealismus gesetzte „Ich“ mit seiner Willensfreiheit und sittlichen Selbstverantwortlichkeit.430 Der höchste Vertreter der Historischen Rechtsschule war Friedrich Karl von Savigny (1779 – 1861).431 Er erschuf, inspiriert vom Idealismus, eine große Systematisierung und Abstraktion des Rechts.432 Er rückte die Freiheit des Individuums ins Zentrum des Rechts433 und begründete eine Theorie der Rechtsverhältnisse.434 In dieser Lehre behandelte er den Vertrag.435 Dabei schrieb Savigny diesem eine hierarchische Stellung zu436 und führte aus, dass das römische Vertragsschema keine Anwendung mehr finde und die formfreie Vereinbarung verbindlich sei437:
426
Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 139. Zum römischen Isolierungsprinzip Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, S. 13 ff.; Zimmermann, JZ 2007, 1, 6. 428 Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 102. Vgl. auch Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 139. 429 Zimmermann, JZ 2007, 1, 6, in Bezug auf den römischen Isolierungsprinzip. 430 Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 102. Zum „Ich“ vom Idealismus siehe Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „Idealismo“; derselbe, Diccionario, Tomo II, Stichwort „Ortega y Gasset (José)“; Marías, José Ortega y Gasset, S. 28; Ortega y Gasset, Was ist Philosophie?, S. 311, 452 ff. 431 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 37; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 137. 432 Ausführlich dazu Rückert, Friedrich Carl von Savigny , S. 303 ff. Vgl. auch Kegel, Vertrag und Delikt, S. 26, Fn. 236; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199; Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, S. 11 f.; derselbe, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 352 f., 385, 397 f.; ferner Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 113, 120 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 31 f.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 63 ff. 433 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 37. Vgl. ferner Püls, Parteiautonomie, S. 32; Rückert, Friedrich Carl von Savigny, S. 364 ff.; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199, 201; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 353, 397 f. 434 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 398: „Seine methodische Figur zur Herstellung des übergreifenden oder das (davon nicht streng zu scheidende) ,Rechtsverhältniß‘. Die formale Einheit der Rechtsordnung wird nicht unmittelbar durch Rechtssätze selbst konstituiert, sondern durch die Vermittlung ,organischer Rechtsverhältnisse‘.“ 435 Dazu Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 6 ff. 436 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 312: „Hier nun kommt der Vertrag bey allen Arten der Rechtsinstitute vor, und überall als eine der wichtigsten Rechtsformen.“ 437 Vgl. auch Puchta, Pandekten, § 250, S. 387, Schüller von Savigny: „Diese ganze Beschränkung der Klagbarkeit ist in dem heutigen Recht weggefallen, eine gewöhnliche Uebereinkunft (wenn sie nur gültig ist) in allen Fällen eine klagbare Obligatio hervor, so gut als 427
E. Die Kodifizierung in Deutschland
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„Nach der fast allgemeinen Lehre der Schriftsteller über das heutige Recht ist das Römische System in neueren Staaten niemals zur Anwendung gekommen, und zwar ist (…) der formlose Vertrag an sich eben so klagbar (…), wie es bei den Römern die Stipulation war.“438
Savigny fasste den Vertrag als eine Willenserklärung auf, in deren Abschluss der Vertragsparteiwille zu einem gemeinsamen Wille wurde: „Vertrag ist die Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, wodurch ihre Rechtsverhältnisse bestimmt werden.“439 Das Unterscheidungsmerkmal des Vertrags von den anderen Willenserklärungen wurzelte in der „Vereinigung mehrerer Willen zu einem einzigen, ganzen ungetheilten Willen.“440 Damit wurde der Konsens vom individuellen Willen der Vertragsparteien losgelöst und ihnen gegenüber objektiviert.441 Dem Konsens kam innerhalb dieser Lehre der oberste Rang zu.442 Die Theorie des angenommenen Versprechens von Grotius und Pufendorf verlor dementsprechend ihre Relevanz.443 Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass der Vertrag mit Savigny nicht nur nach Begründung von Leistungspflichten trachtete, wie es das grotianische oder pufendorfische Vertragsmodell nahelegte.444 Gemäß der Doktrin der Historischen Rechtsschule lag der Vertragskern eher in der Herbeiführung von – persönlichen oder rein realen – Rechtswirkungen durch die bloße Willensübereinstimmung.445 Das heißt, dieser Vertragsbegriff umfasste wegen seines Abstraktionsgrads sowohl den Schuld- als auch den Verfügungsvertrag.446 Somit waren die Vereinbarungen, die die Übergabe eines sofortigen Tauschgeschäfts von Sachen begleiten, für diese Theorie – ähnlich der Ideologie des Vertragswesens – auch Verträge.447 In Einklang damit war die causa in dieser Lehre, ebenso wie bei in den wenigen Fällen der römischen Consensualcontracte und der ausnahmsweise durch Civiloder prätorisches Recht klagbar gemachten Pacta.“ 438 Savigny, Das Obligationenrecht, B. 2, S. 232. 439 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 309 (Hervorhebung durch Verfasser). 440 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 309 (Hervorhebung durch Verfasser). 441 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 21. Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 88. 442 Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 189: „Im Pandektenrecht steht die Vereinigung der übereinstimmenden Willenserklärungen im Mittelpunkt.“ 443 Vgl. HKK/Thier, § 311 I, Rn. 21; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199; auch Regelsberger, Pandekten I, § 149, S. 543, Fn. 1. 444 Mehr zu dieser Unterscheidung 3. Kapitel unter B. II. 445 So Weller, Die Vertragstreue, S. 87 f.; vgl. auch Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 102; Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 644. 446 Regelsberger, Pandekten I, § 149, S. 543: „Der Vertrag (…) dient zur Begründung, Aufhebung und Änderung von Obligationen und von dinglichen Rechten.“ 447 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 312: „So ist die Tradition ein wahrer Vertrag, da alle Merkmale des Vertragsbegriffs darin wahrgenommen werden: denn sie enthält von beiden Seiten die auf gegenwärtige Übertragung des Besitzes und des Eigenthums gerichtete Willenserklärung, und es werden die Rechtsverhältnisse der Handelnden dadurch neu bestimmt (…).“
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
Thomasius und C. Wolff, keine Vertragsentstehungsvoraussetzung. Auf diese Weise verschwindet der ausdrückliche Verweis auf den institutionellen Rahmen des mittelalterlichen Vertrages. Der gemeinsame Wille „ist sich selbst causa genug.“448 Nichtsdestotrotz verstand Savigny, dass der Wille keine eigenständige Bindungskraft habe.449 Diese sei eine künstliche Freiheitsmacht, die vom positiven Recht ausgehe.450 Daneben hänge die Bestimmung, ob eine Vereinbarung einen klagbaren Vertrag darstelle, im Zweifelsfall, so Savigny, anders als bei der Naturrechtsdoktrin von einem Richterermessen ab: einem institutionellen Dritten.451 In der Konzeptualisierung des Konsens als Willensvereinigung kommt den erwähnten Einfluss des Idealismus auf Savigny wiederum insbesondere zum Ausdruck.452 Denn Kant, Vordenker des deutschen Idealismus, definierte den Vertrag in seiner „Die Metaphysik der Sitten“ (1797) mit einem hohen Grad an Einheitlichkeit und Abstraktion als „Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, wodurch überhaupt das Seine des einen auf den anderen übergeht.“453 Die Präsenz Kants in Savignys Abhandlungen macht sich ebenfalls in seinem Verständnis des Vertrags als persönlichen oder realen Rechtsfolgenschöpfer bemerkbar, auch wenn Savigny den kantischen Vertragsbegriff in Bezug auf seine Rechtsfolgen kritisierte.454 Savigny behauptete, dass der kantische Vertragsbegriff auf die Eigentumsveräußerung oder auf die Vorbereitung dieser Veräußerung beschränkte sei.455 Dieser Begriff umfasste nach Savigny also nicht die Schuldverträge, bei denen es etwa um die Leistung eines Dienstes oder einer Arbeit ginge.456 Dies wäre jedoch meines Erachtens eine falsche Auslegung der Lehre Kants. Dieser nahm vielmehr die Möglichkeit an, dass der Vertrag sich auch auf einen Tun, nicht nur im Sinne eines Traditionsversprechens, 448
Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199 (Hervorhebung durch Verfasser). Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 12, 336. Vgl. dazu W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 5; auch HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 8. 450 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 336, 344 f., 380. 451 Savigny, Das Obligationenrecht, B. 2, S. 242: „Wir entbehren also den Vortheil, welchen die Römer in der Form der Stipulation fanden für die sichere Unterscheidung des vollendeten Vertrags von den bloßen Vorbereitungen und Uebergängen zu einem solchen (§ 74), und wir überlassen es lediglich dem Richter, in jedem einzelnen Fall diese Unterscheidung zu treffen. Eben so entbehren wir den vortheilhaften Einfluß, den die feierliche Form der Stipulation auf die Besonnenheit der Parteien üben könnte, indem wir es den Parteien überlassen, durch besonnene Ueberlegung sich selbst vor Schaden zu wahren.“ 452 Hammen, Friedrich Carl v. Savigny, S. 96; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 26, Fn. 236; vgl. ferner Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199 f. 453 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1. Teil I, § 18, S. 75 (Hervorhebung durch Verfasser). Zum kantischen Vertragsmodell 3. Kapitel, unter B. II. und C. IV. 3. a). Siehe auch dazu Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111 ff.; Dedek, CJLJ 2012, 313, 336 ff.; Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 199 f.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 43 ff. 454 Dazu Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 318. 455 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 318. 456 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 318. 449
E. Die Kodifizierung in Deutschland
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oder auf ein Nichtstun beziehen könne.457 Bei der Entwicklung seiner Vertragslehre fokussierte Kant sich insbesondre, aber nicht ausschließend, auf die von Savigny genannten Rechtsgeschäfte.458 Bei Betrachtung der Sacheigentumsübertragung mittels Vertrag im Kapitel § 21 des ersten Teils des zitierten Werks schrieb Kant beispielweise: „Denn alles Versprechen geht auf eine Leistung, und wenn das Versprochene eine Sache ist (…).“459 Daraus kann man a contrario sensu entnehmen, dass Inhalt des kantischen Vertrags etwas anders als eine Sache sein konnte. In Kapitel § 31 typisierte Kant die unterschiedlichen Verträge nach ihrem Vertragsgegenstand und ordnete den „Lohnvertrag“ und den „Bevollmächtigungsvertrag“ als „Verdigungsvertrag“ ein.460 Diese Rechtsgeschäfte haben eindeutig eine Dienstoder eine Arbeitsleistung zum Gegenstand. Ferner ist daneben zu beachten, dass der Philosoph aus Königsberg in seiner Vorlesung über Naturrecht gemäß der berühmten Mitschrift von Gottfried Feyerabend den Dienst als Vertragsgegenstand erwähnt haben soll.461 Die großen Vertreter der Pandektenwissenschaft forderten genau wie Savigny als Vertragsentstehungsvoraussetzung nur den Konsens, verstanden diesen als mehrere Willen, vereint in „ein[em] neue[n] Wille[n], de[m] Vertragswille[n].“462 So führte Georg Friedrich Puchta (1798 – 1846), Schüler von Savigny und Initiator des Gebrauchs der Begriffsjurisprudenz als Methode in der Pandektistik463, aus: „Zur Existenz eines Vertrags gehört die Übereinstimmung der Willen beider Subjecte (Paciscenten, Contrahenten), und die Erklärung derselben, welche von beiden Seiten (Versprechen – Acceptation) erfolgen muß.“464 Bernhard Windscheid (1817 – 1892), ein herausragender Schüler der Pandektistik in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
457 In diese Richtung auch Dedek, CJLJ 2012, 313, 337 ff., 343; ferner Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2510. 458 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. II. Vgl. aber Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 116 ff., wer auslegt, dass Kants Rechtslehre sich nicht mit dem Schuldvertrag beschäftige (S. 116, 120), Kant halte eher diese Rechtsgeschäft als selbstverständlich (S. 117). Kants Vertragslehre untersuche nach Byrd den Übertragungs- bzw. Erwerbvertrag (S. 117 ff.), dieser Vertrag könne aber nach Byrd anders als nach Savigny ein Recht auf jemands Dienste oder Arbeit als Gegenstand haben (S. 121, 127). 459 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 78 (Hervorhebung durch Verfasser). 460 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, S. 90 (Hervorhebung durch Verfasser). 461 Siehe z. B. Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1319, Rn. 2, 1328, Rn. 23. 462 Regelsberger, Pandekten I, § 149, S. 544: „Man kann sagen: durch den Zusammenschluss der Willen entsteht ein neuer Wille, der Vertragswille.“ In Bezug auf diese Idee vom Vertragswillen vgl. aber Tuhr, AT, Bd. 2, 1, § 53, S. 225, der diesbezüglich von „Mystische Anschauung“ spricht. So auch Hammen, Friedrich Carl v. Savigny, S. 96; ähnlich Hippel, Privatautonomie, S. 96, Fn. 11. 463 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 399 f. 464 Puchta, Pandekten, § 250, S. 386.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
hunderts465 und Mitglied der Ersten Kommission zur Erarbeitung des BGB466, äußerte: „Der Vertrag ist nicht nur Willensübereinstimmung, er ist Willensvereinigung.“467 In der Schlussphase dieser Denkströmung definierte Ferdinand Regelsberger (1831 – 1911), Nachfolger am Lehrstuhl des berühmten Pandektisten Heinrich Dernburg (1829 – 1907) in Zürich (1862)468, den Vertrag als „die geäusserte Willenseinigung von zwei oder mehr Personen zur Hervorbringung einer rechtlichen Wirkung unter ihnen oder unter den von ihnen vertretenen Personen.“469 Auf Ebene der Schuldvertragsrechtsfolgen legte diese Lehre die Vertragsbindung fest. Die gewöhnliche Übereinkunft erzeuge „(…) in allen Fällen eine klagbare Obligatio (…).“470 Hierdurch würden die Vertragsparteien freiwillig auf ihre eigene Freiheit verzichten, um sich jener des anderen zu unterziehen.471
II. BGB: Die Kodifizierung des abstrakten Vertragsbegriffs Das BGB wurde im Jahr 1896 nach einem Erarbeitungsprozess von mehr als zwanzig Jahren, welche im Jahr 1873 auf Vorschlag der Abgeordneten Eduard Lasker (1929 – 1884) und Johannes von Miquel (1928 – 1901) begann, angenommen und trat am 1. Januar 1900 in Kraft.472 In das 20. Jahrhundert startete Deutschland so mit Rechtseinheit. Dieser Text rezipierte das Modell des abstrakten Menschen, des „homo philosophicus“ vom Code Napoléon.473 Die Eltern des BGB gingen nämlich von dem Image „des vernünftigen, selbstverantwortlichen und urteilsfähigen Bürgers“ aus.474 Trotz dieser Ähnlichkeit sonderte sich das BGB in vielen Aspekten von den Naturrechtskodifizierungen ab.475 Zwischen ihrer Billigung und jener des BGB fand „die strenge begriffliche und systematische Schule der Pandektwissenschaft“
465
Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 8. Vgl. dazu auch W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 32. 466 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 446. 467 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, Bd. 1, § 69, S. 315, Fn. 2. 468 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Regelsberger (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 469 Regelsberger, Pandekten I, § 149, S. 543. 470 Puchta, Pandekten, § 250, S. 387. 471 Savigny, Das Obligationenrecht, B. 1, S. 4 f. Vgl. ferner Weller, Die Vertragstreue, S. 89. 472 Zum Kodifikationsprozess Wörlen/Metzler-Müller, BGB AT, S. 20 ff.; Zimmermann, The New German Law of Obligations, S. 11 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 140 f. 473 Vgl. zum „homo philosophicus“ De Lorenzo, La Ley 4.1.2007, 1, 2. 474 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 40. Vgl. dazu auch Wolf/ Neuner, AT, § 10, Rn. 2 f. 475 Vgl. zu den allgemeinen Unterschieden zwischen dem BGB und dem Code Civil Weller, JZ 2013, 1021, 1024 ff.
E. Die Kodifizierung in Deutschland
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statt.476 Das BGB rezipierte dessen Lehre und wurde deswegen mit einer höheren Schlüssigkeit und einer hohen abstrakten konzeptuellen Technik sowie Sprache erarbeitet.477 Hinsichtlich des Schuldvertrags erkannten die Redaktoren des BGB „im Rechtsleben seine dominierende Stellung“ an.478 Als Entstehungsvoraussetzung dieser Rechtfigur wurde das Konsensprinzip übernommen.479 Die Definition des Vertrags der Pandektenlehre spiegelte sich gewissermaßen im § 77 des Ersten Entwurfs BGB wider: „Zur Schließung eines Vertrags wird erfordert, dass die Vertragsschließenden ihren übereinstimmenden Willen sich gegenseitig erklären.“ Nichtsdestoweniger entschied sich die zweite Kommission zur Erarbeitung des BGB gegen eine solche Bestimmung480, da der Vertragsbegriff als selbstverständlich angenommen wurde.481 Im Rechtstext folgte man dennoch auf dem Vertragsgebiet der savignyanischen Theorie (vgl. §§ 145 ff., 311 Abs. 1 BGB)482, und zwar beschäftigen sich die §§ 145 ff. BGB mit der Willenserklärungsvereinigung.483 Das BGB sieht die causa in Einklang mit der Pandektistik und der Tradition von Thomasius und C. Wolff nicht als Entstehungsvoraussetzung des Vertrags voraus. Dieser kommt mit der bloßen Willenseinigung zustande.484 Es gilt der lateinische Leitsatz „solus consensus obligat.“485
476
Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 475. Zimmermann, ERCL 2012, 367, 377; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 143. Vgl. dazu auch Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, S. 10 f., 15. 478 v. Kübel, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht III, S. 1176. Vgl. auch derselbe, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht I, S. 483. 479 Vgl. Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 441; derselbe, Die Vertragstreue, S. 88. 480 Protokolle der 2. Kommission zum BGB, AT, § I, II, I, S. 74: „Zu §. 77 war beantragt: den §. 77 zu streichen. Die Komm. stimmte dem Antrage zu. Man erachtete es nicht für nothwendig, im G.B. die begrifflichen Merkmale der Vertragschließung zu bezeichnen. Für die wissenschaftliche Entwickelung mache es keinen Unterschied, ob man den Paragraphen bestehen lasse oder aufhebe.“ 481 Nanz, Vertragsbegriff, S. 201. 482 Vgl. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 189; Weller, Die Vertragstreue, S. 87. 483 Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 202. 484 Dagegen erklärt Ehmann, JZ 2003, 702, 712, dass der Grund der allgemeinen Nichtanerkennung der causa-Lehre in Deutschland im „naive[n] Gesetzespositivismus, der nach dem Inkrafttreten des BGB das deutsche Zivilrecht beherrschte“, besteht. Nach Ehmann sollte die causa-Lehre nämlich in der deutschen Rechtsordnung angewendet werden. Hierzu ferner derselbe, FS Stathopoulus (2010), S. 1, 36 ff. In diese Richtung auch Gregor Albers, Vortrag „Deutschland und die causa des Vertrags bis zum BGB“, Villa Vigoni 30.11.2016, zitiert nach D’Onofrio, ZRG RA 2017, 709, 711. Vgl. ferner Stathopoulos, AcP 1994, 543, 551 f. 485 Weller, Die Vertragstreue, S. 88. 477
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
Die Schuldvertragsrechtsfolgen betreffend legte der Entwurf des BGB in seinen §§ 359, 360 ausdrücklich und abschließend die Vertragsbindung fest: „§ 359 E-BGB: Der Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treue und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergibt.“ „§ 360 E-BGB: Erfüllt der eine Vertragsschließende seine Verbindlichkeit nicht, so ist der andere deshalb nicht berechtigt, einseitig vom Vertrag abzugehen, wenn nicht durch Gesetz oder Vereinbarung ein anderes bestimmt ist.“
Diese Vorschriften wurden im BGB gestrichen. Ihr Inhalt wurde als eine Selbstverständlichkeit angesehen.486 Der Grundsatz pacta sunt servanda als die rechtliche Bindungswirkung des Schuldvertrags folgt daher nur mittelbar aus dem § 305 a. F. (311 n. F.) in Verbindung mit dem § 241 BGB.487 Ersterer bestimmt, dass die Willensübereinkunft Schuldverhältnissen begründen kann. Der § 241 BGB ordnet hingegen an, dass der Gläubiger aufgrund eines Schuldverhältnisses die Leistung fordern kann.488 Damit wird also das gesetzliche Schuldverhältnis dem vertraglichen Schuldverhältnis gleichgestellt.489 Ein Verstoß gegen die Vertragsbindung ist, wie in Frankreich, eine Verletzung des Gesetzes, der lex privata.490 Die manuelle Übertragung von Sachen beim sofortigen Austausch wird ihrerseits im BGB, im Gegensatz zum Code Civil, auch als Vertrag betrachtet: ein dinglicher Vertrag.491 Wie das kantische Vertragsmodell, das von Savigny übernommen wurde492, erfordert die Übereignung einer beweglichen Sache in Deutschland die materielle Tradition derselben und eine Einigung über den Eigentumsübergang
486 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51. Weller, Die Vertragstreue, S. 36, hebt vor, dass „bereits den Verfassern des BGB (…) die Vertragstreue selbstverständlich – so selbstverständlich [erschien], dass sie sie nicht explizit kodifiziert, sondern dem ,Wesen des Schuldverhältnisses‘ zugeschrieben haben.“ So auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 31 f. Vgl. ferner v. Kübel, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht I, S. 379, 857. 487 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51. 488 Löwisch, AcP 1965, 421, 422; hierzu auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51; Leenen, AT, § 4, Rn. 27 f.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 32; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 28. 489 Löwisch, AcP 1965, 421, 422; vgl. auch Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 29; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 32. 490 Vgl. dazu Löwisch, AcP 1965, 421, 422; auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 32. 491 Zu diesem Merkmal des BGB Motive zum Entwurf BGB, Bd. I, S. 127: „Von besonderer Bedeutung ist die im Entwurfe durchgeführte Scheidung zwischen obligatorischem und dinglichem Rechtsgeschäfte, insbesondere zwischen obligatorischem und dinglichem Vertrage. Das dingliche Rechtsgeschäft kann zum Inhalte haben die Begründung, Uebertragung oder Aufhebung eines Rechtes an einer Sache oder an einem Rechte.“ 492 Siehe 3. Kapitel, unter B. II.
F. Ergebnisse
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(§ 929 S. 1 BGB).493 Diese Übertragung kann zum Beispiel zur Erfüllung eines schuldrechtlichen Kauf- oder Tauschvertrages erfolgen.494 Aber die materiellen Handlungen des sofortigen Austauschs von Geld gegen eine Sache (wirtschaftliche Transaktion des Kaufs) oder einer Sache gegen eine andere Sache (wirtschaftliche Transaktion des Tauschs) können ohne vorherige Verpflichtung stattfinden.495 Die diese Übergaben begleitenden Vereinbarungen werden in Deutschland auch als Verträge bezeichnet.496 Für diese Vertragsvereinbarungen gelten die oben genannten allgemeinen Vorschriften über den Vertragsabschluss (§§ 145 ff. BGB).497 Aus diesem Grund ist das deutsche Vertragskonzept näher als der französische Begriff an der Idee A. Smiths – Basis der Ideologie des Vertragswesens498 –, wonach der sofortige „exchange one thing for another“ ein Vertrag ist.499
F. Ergebnisse 1.
Das Prinzip pacta sunt servanda, verstanden als die Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarung, fand nicht zu allen Zeiten Geltung. Diese Konzeptualisierung ist eine moderne Kreation. Für seine Entwicklung musste der einfache Konsens den römische Vertragsgrundsatz des Form- und Typenzwangs überwinden und sich als einzige Vertragsentstehungsvoraussetzung etablieren. Erst mit der Annäherung zwischen Einigung und Vertrag wurde die Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarung anerkannt. Ab diesem Zeitpunkt konnte auch die Prämisse des gegenwärtigen Vertragswesens, wonach die Vereinbarung per se verpflichte, formuliert werden. Bis dahin war das Vorhandensein eines insti-
493 Vgl. Brox/W.-D. Walker, AT, § 5, Rn. 3 f.; Leenen, AT, § 3, Rn. 11 ff., § 4, Rn. 22; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 25; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 18. 494 Leenen, AT, § 4, Rn. 29, 31 f.; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 23 ff., 32, 56, 60; Wörlen/ Metzler-Müller, BGB AT, S. 148 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 239. 495 Leenen, AT, § 4, Rn. 33: „Die Wirksamkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass das zugrunde liegende schuldrechtliche Rechtsgeschäft unwirksam ist oder dass es an einem solchen schuldrechtlichen Geschäft überhaupt fehlt.“ Dazu auch Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 313. Derselbe, Das Obligationenrecht, B. 2, S. 256: „(…) es giebt Fälle unzweifelhaft gültiger Tradition, wobei von einer Obligation keine Spur vorhanden ist. (…).“ vgl. ferner Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 115, 121. 496 Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 18: „Ein sachenrechtlicher, sog. dinglicher Vertrag ist die Einigung bei der Übertragung des Eigentums nach §§ 873, 925 bzw. § 929.“ (Hervorhebung im Original). So auch Leenen, AT, § 3, Rn. 13, § 4, Rn. 22, § 24, Rn. 17. Diese Einigung wird von Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 116 und Fn. 11, „contract of transfer“ gennant. Vgl. ferner Brox/W.-D. Walker, AT, § 5, Rn. 3. 497 Leenen, AT, § 24, Rn. 17. 498 Siehe Einleitung, unter E. 499 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19: „(…) exchange one thing for another (…) is common to all men, and to be found in no other race of animals, which seem to know neither this nor any other species of contracts.“ (Hervorhebung durch Verfasser).
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
tutionellen Rahmens als strukturelles Element des Vertrages durch die Formanforderungen offensichtlich. 2.
Im klassischen Rom war der Auslöser der Vertragsverpflichtung nicht der Konsens, sondern die Erfüllung der Riten, die der institutionelle Vertragsrahmen durch den Grundsatz des Form- und Typenzwangs auferlegte: Lediglich die Vereinbarungen, welche in Inhalt und Form mit einem Vertragstyp des ius civil übereinstimmten, wurden contractus genannt und waren damit klagbar.
3.
Der Begriff pactum wurde im klassischen Rom in Abgrenzung zu contractus verwendet. Er war „der Konsens und das Übereinkommen zweier Personen“, die unter keine der typifizierten Vertragskategorien des ius strictum fielen. Diese formlose Vereinbarung war nicht klagbar („ex nudo pacto actionem non nasci“).
4.
Im Mittelalter führten die sog. Legisten den vertraglichen Form- und Typenzwang fort. Aber im Unterschied zu den Römern legten sie als zentralen Punkt ihres Schemas das pactum fest. Dieser wurde als Konsens und gleichmäßige Voraussetzung aller Schuldverträge verstanden. Und in Anlehnung an die Regel „ex nudo pacto actionem non nasci“ strukturierte man die Dichotomie pactum vestitum/pactum nudum als Untergattung des pactum. Ersterer entsprach dem Begriff des römischen contractus. Das pactum nudum war hingegen das römische pactum. Das System der pacta vestita war dann Ausdruck des institutionellen Rahmens des mittelalterlichen Vertrages.
5.
Der Grundsatz pacta sunt servanda entstand im 12. Jahrhundert innerhalb des kanonischen Rechts und wurde herangezogen, um auszudrücken, dass alle Übereinkünfte verpflichteten, ungeachtet dessen, ob sie „bekleidet“ oder „nackt“ waren: Vereinbarungen muss man, auch wenn sie nackt sind, einhalten („pacta quantumcunque nuda servanda sunt“). Doch nach der herrschenden Meinung der Vertreter des kanonischen Rechts wurzelte die Verbindlichkeit der formfreien Übereinkommen nicht in der bindenden Kraft des übereinstimmenden Willens. Sie rechtfertigte sich vielmehr aus dem Willen Gottes, dass die Menschen die Wahrheit sagen und daher ihre einseitigen Versprechen einhalten sollen. Demzufolge wurde mit dieser Lehre zwar das gegebene Wort vom Formzwang liberalisiert, aber die Verbindlichkeit der Vereinbarung blieb noch unter der Ägide eines institutionellen Dritten: Gott.
6.
Im 14. Jahrhundert übertrug Baldus de Ubaldis die causa-Doktrin im scholastischen Sinn auf das pactum nudum, um eine Brücke zwischen Kanonisten und Legisten zu bauen. Gemäß dieser Lehre musste eine formlose Vereinbarung nur als ein (nicht klagbares) pactum nudum behandelt werden, sofern sie keinen hinreichenden Grund, also keine causa hatte. Dies wurde im 15. Jahrhundert von den Kanonisten aufgenommen. In gewisser Weise wurde mit dem System der pacta vestita nicht gebrochen. Dieser institutionelle Rahmen des Vertrags der Legisten fand bei den Klerikern also über die causa seine Gültigkeit.
F. Ergebnisse
109
7.
Erst mit der Naturrechtsschule des 17. und 18. Jahrhunderts hörte man auf, die grundlegende Bedeutung der formfreien Vereinbarung als Auslöser von Leistungspflichten zu diskutieren: Das pactum wurde zum ersten Mal mit dem contractus gleichgesetzt. Nach dieser Denkströmung bedurfte das formfreie Versprechen für seine Verbindlichkeit einer Annahme. Hiermit überwand man die kanonische Theorie des einseitigen Versprechens. Im Gegensatz zu den Kanonisten war die Verbindlichkeit der Vereinbarungen nach der Naturrechtslehre auch nicht auf das Verlangen eines institutionellen Dritten zurückzuführen. Das Gebot zum Einhalten der Vereinbarungen basierte für sie vielmehr auf der freien Selbstbindung an das gegebene Wort: Die Willensvereinbarung selbst verpflichte.
8.
Dennoch entwickelte sich das civil law innerhalb der Naturrechtsschule im römischen und germanischen Rechtskreis in eine unterschiedliche Richtung. Im römischen Rechtskreis wurde für die Vertragsentstehung zusätzlich zum Konsens das Vorliegen einer cause gefordert. Darin fand man denn noch ein Überbleibsel des institutionellen Rahmens des mittelalterlichen Vertrages. Der germanische Rechtskreis hielt hingegen an dem Prinzip des „solus consensus obligat“ fest. Damit stellte letzterer die Vereinbarung am stärksten mit dem Vertrag gleich.
9.
Während dieser Epoche zeichnete sich das Prinzip pacta sunt servanda als heiliger Grundsatz des Naturrechts aus. Angesichts der Verfestigung der Regel der Wirksamkeit von formlosen Vereinbarungen nahm dieses lateinische Sprichwort allerdings den gegenwärtigen Sinn an. Es stand vor allem für die Bindungskraft der Vereinbarung: die Vertragstreue.
10. Diese theoretische Konzeptualisierung von pactum, contractum und dem Axiom pacta sunt servanda wurde den Naturrechtskodifikationen zugrunde gelegt. Damit wurde die Angleichung der Willensvereinbarung an den verbindlichen Vertrag verstärkt. 11. Im 19. Jahrhundert behielt die Historische Rechtsschule den Ausgleich von pactum und contractum bei und erschuf, beeinflusst vom Idealismus, einen Vertragsbegriff mit einer großen abstrakten Dimension. Sie verstand den Vertrag als Willenserklärung, in deren Abschluss der Wille beider Vertragsparteien zu einem neuen Willen wurde: dem Vertragswillen. Der Zweck dieses Willens bestand in der Erzeugung von Rechtswirkungen. Dieses Vertragskonzepts umfasste daher sowohl den Schuld- als auch den Verfügungsvertrag. Damit verlor die Lehre des angenommenen Versprechens, die sich nur auf Begründung von Leistungspflichten richtete, in Deutschland ihre Relevanz. Hierbei wird der Begriff des Vertrag sowohl für die verpflichtenden Vereinbarungen als auch – ähnlich der Ideologie des Vertragswesens – für die dinglichen Einigungen verwendet, welche die Übergaben des sofortigen Tauschhandels von Sachen begleiten. Auf Ebene der Schuldvertragsrechtsfolgen bestimmte die Historische Rechtsschule die Vertragsbindung.
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2. Kap.: Das Prinzip pacta sunt servanda
12. Im Jahr 1896 kodifizierte das BGB das abstrakte Vertragsmodell der Historischen Rechtsschule. Als Entstehungsvoraussetzung des Schuldvertrags wurde das Konsensprinzip rezipiert (§ 305 BGB a. F. – § 311 I BGB n. F. –). Die §§ 145 ff. BGB widmen sich der Einigung, bestehend aus zwei korrespondierten Willenserklärung. Als Rechtsfolge dieser Einigung wurde die rechtliche Bindung an das gegebene Wort anerkannt (§ 305 a. F. – § 311 n. F. i. V. m. § 241 BGB). Verfügungsgeschäfte, wie die Tradition, verlangen ihrerseits im BGB eine Vereinbarung. Diese wird als Vertrag bezeichnet. Deshalb sind die dinglichen Einigungen, die die Übergaben des sofortigen Tausches von Sachen begleiten, in Deutschland – im Unterschied zu anderen Ländern wie Frankreich und in Einklang mit dem globalen Vertragswesen – auch als Verträge einzuordnen.
3. Kapitel
Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung „Il faut évidemment se garder de prêter à cette relativité culturelle du contrat une fixité qu’elle n’a pas.“ Alain Supiot, Homo juridicus (2005), S. 141.
Zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert hat sich – wie dargestellt – das Konzept des modernen Konsensualvertrages als allgemeiner Begriff des Vertrages herausgebildet.1 Das römische System des vertraglichen Form- und Typenzwangs wurde überwunden2 und das pactum wurde mit dem contractum gleichgesetzt.3 Ab diesem Durchbruch des Konsensualprinzips wuchs die Bedeutung des individuellen Willens4 und es stellte sich die Frage, ob eine Willenseinigung per se verpflichtet.5 Dies ist zu einer klassischen Frage des Vertragsrechts geworden6 und ist sehr umstritten.7 Von der Vertragsbindung einerseits zu sprechen, ohne ihren Ursprung und ihre Grundlage zu erklären, wäre nämlich „like trying to explain a machine without regard to its function.“8 Andererseits führt dies zur Diskussion über die Möglichkeit – welche das globale Vertragswesen nahelegt – der vollständigen Vertragsentwicklung ohne staatliche oder ähnliche Autorität. Und dabei ist zudem die Daseinsberechtigung des Marktes betroffen, weil dieser zum Aktivieren des Preismechanismus voraussetzt, dass der größte Güteranteil einer Gesellschaft durch einen gegenseitigen Vertrag dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt.9 Auf diese Punkte wird im Folgenden eingegangen. 1
Siehe dazu 2. Kapitel, unter D. Vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 539 f. 3 So z. B. C. Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, § 514 : ,,Quamobrem pacta et contractus naturaliter non differunt.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Derselbe, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, §§ 438, 514. Vgl. dazu Nanz, Vertragsbegriff, S. 165; auch Heinrich, Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit, S. 33; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 16; Weller, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 448; derselbe, Die Vertragstreue, S. 80. 4 Püls, Parteiautonomie, S. 35. 5 Vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 226; auch HKK/derselbe, vor § 145, Rn. 6. 6 Diez-Picazo, Fundamentos del Derecho Civil, I, S. 124. 7 So Hachem, FS Schwenzer (2011), S. 647. 8 Gordley, Modern Contract Doctrine, S. 164. Ähnlich auch Bydlisnki, Privatautonomie, S. 67. 9 Ähnlich Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 247, 266; derselbe, The Great Transformation, S. 56, 71 f., 75. Diesbezüglich J. Flume, Marktaustausch, S. 1: „Märkte be2
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Seit der Naturrechtsschule hat der Konsensualvertrag als Rechtsfolge das Prinzip pacta sunt servanda, wobei dies vor allem als Vertragsbindung verstanden wird.10 Damals wurde die einfache Willensvereinbarung als rechtliche Voraussetzung für die Entstehung dieses Rechtsgeschäfts festgelegt.11 Bei der Analyse der Entstehung der Einigung wurde jedoch nicht wie heute der Begriff „Vertragsfreiheit“ verwendet.12 Dieses Institut spielt nicht nur auf die verschiedenen Freiheiten hinsichtlich des Vertragsabschlusses an13, sondern impliziert – mit seiner Inhalts- oder Typenfreiheit – auch die Nichteinmischung des Staates in die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Einzelnen.14 Die Naturrechtsschule hat zwar postuliert, dass die Art und die Bedingungen einer verbindlichen Vereinbarung „each man’s judgement“15 überlassen werden sollten. Sie hat ferner dem Austauschvertrag eine grundlegende Rolle zur
ruhen auf der Summe der in ihnen abgeschlossenen Austauschverträge, aus denen sich die Marktpreise als Durchschnittswerte ergeben und nach denen wir bemessen, was etwas wert ist.“ 10 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 38, 74, 85 f.; auch derselbe, Das Vertrags- und Konsensprinzip, S. 435, 442 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 576 f. Ausführlich dazu 2. Kapitel, unter D. II. 11 Siehe dazu oben 2. Kapitel, unter D. I. 12 Vgl. HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 2 f. Die Naturrechtsschule sprach von „natürlicher Freiheit“, aber in dem Sinne, dass alle Menschen von Natur aus frei seien. Rückert, Natürliche Freiheit – Historische Freiheit – Vertragsfreiheit, S. 305, 307 f. 13 Nach der Rechtsdogmatik beinhaltet die Vertragsfreiheit zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für den Einzelnen die Möglichkeit, frei zu wählen, ob er einen Vertrag abschließt (Abschlussfreiheit), mit wem er den Vertrag abschließt (Partnerwahlfreiheit), den Inhalt des Vertrages (Inhalts oder Typenfreiheit) und in welcher Form der Vertrag (Formfreiheit) geschlossen wird. Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 3, Fn. 18; Weller, Die Vertragstreue, S. 155; auch Bruns, JZ 2007, 385, 386 f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 55 f.; Leenen, AT, § 1, Rn. 6; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17 f.; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 12. 14 So Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445: Die Vertragsfreiheit „entspricht dem Wirtschaftsprogramm der bürgerlichen Gesellschaft, das Adam Smith 1776 im ,Wealth of Nations‘ formuliert hatte. Das freie Spiel der Kräfte, dem das Eingreifen des Staates nur schadet.“ Ähnlich Hayek, The Constitution of Liberty, S. 339: „Freedom of contract (…) means that the validity and enforceability of a contract must depend only on those general, equal, and known rules by which all other legal rights are determined, and not on the approval of its particular content by an agency of the government.“ In diese Richtung auch Polanyi, The Great Transformation, S. 148: „Theoretically, laissez-faire or freedom or contract implied the freedom of workers to withhold their labor either individually or jointly, if they decided; it implied also the freedom of businessmen to concert on selling prices irrespective of the wishes of the consumers.“ Vgl. dazu ferner Dauner-Lieb, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 286 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 33 f.; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 412 ff. 15 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 1: „And although the nature and kind of agreements entered into by individual men depend on each man’s judgement (…).“ Nanz, Vertragsbegriff, S. 151 f., und Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 30, finden bei Pufendorf die Anerkennung der Abschluss- und Inhaltsfreiheit der Vertragsfreiheit durch diesen Ausdruck.
3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
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Erfüllung aller menschlichen Bedürfnisse zugeschrieben.16 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war der Handel aber durch den Merkantilismus und die Überreste des Feudalwesens des Mittelalters noch weitgehend geregelt.17 Deshalb kann die Einführung des Grundsatzes der Klagbarkeit der formfreien Vereinbarungen durch die Naturrechtslehre nicht als die volle Rechtsanerkennung der Vertragsfreiheit angesehen werden.18 Der Begriff der Vertragsfreiheit im obigen wirtschaftlichen Sinne hat sich vielmehr erst mit den Naturrechtskodifikationen und im 19. Jahrhundert bei der Etablierung des liberalen Staates durchgesetzt.19 Dabei wurde er in verschiedenen Diskussionen verwendet, z. B. in Debatten über die Kommerzialisierung der Arbeit und des Wohnens.20 So hat dieser Ausdruck sich verbreitet und bezieht sich nun in gewisser Weise auf: „(…) die Befugnis, mit einem frei gewählten Partner eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung in thematischer Universalität und prozeduraler Beliebigkeit zu treffen.“21
Damit wird die Vertragsvereinbarung dann in Ausübung der „Vertragsfreiheit“ als Voraussetzung und die „Vertragstreue“ als Rechtsfolge strukturiert.22 Letztere ist ein notwendiges funktionelles Korrelat der Vertragsfreiheit.23 Denn die Vertragsfreiheit ohne die Möglichkeit, Rechtsverbindlichkeit durch Konsens zu schaffen, würde lediglich dem sofortigen Austausch dienen24 und aufgrund des Raums der Freiheit, 16 So z. B. Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, Introduction, S. 61 f.; Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 1; derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 (S. 86). 17 Vgl. Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445 f.; dazu auch Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 71 f., 108, 143, 183 ff.; Polanyi, The Great Transformation, S. 64 ff., 68 ff. 18 Vgl. HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 2, 10. 19 HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 3, 20, 23 f., 53. Diesbezüglich Püls, Parteiautonomie, S. 34: „Versteht man die Vertragsfreiheit als die Abkehr von staatlich-regulativen Wirtschaftsgesetzen feudalistischer Art und die Hinwendung der staatlichen Gesetzgebung zur Sicherung der natürlichen Abläufe in einem ungelenkten Wirtschaftssystem, dann rechtfertigt es die geschilderte Befreiung des Vertrages aus der ständisch-feudalen Sozialordnung, das Entstehen der Vertragsfreiheit als Wesenselement der Privatautonomie erst im 19. Jahrhundert anzusiedeln, in dem sich die wirtschaftlichen Motive des Bürgers weitgehend im Einklang mit dem rechtlichen und politischen System befanden.“ (Hervorhebung durch Verfasser). So auch Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445; vgl. ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 36 ff.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 197 f. 20 Vgl. HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 3, 20, 23 f., 53; ferner Polanyi, The Great Transformation, S. 163. 21 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 3 (Hervorhebung im Original). 22 Ähnlich Weller, Die Vertragstreue, S. 153. 23 Bruns, JZ 2007, 385, 386; Stöhr, AcP 2014, 425, 426. Vgl. auch Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 140; Weller, Die Vertragstreue, S. 153. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50: „Vertragsfreiheit bedeutet auch die Kompetenz, sich für die Zukunft zu binden.“ 24 Vgl. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 6.
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den sie impliziert, dazu verhelfen, staatliche Eingriffe abzuwehren.25 Aber als schöpferische Quelle von rein zukunftsgerichteten-obligatorischen Rechtsfolgen wäre sie macht- und sinnlos.26 Dieser Zusammenhang zwischen Vertragsfreiheit und Vertragstreue basiert auf einem janusköpfigen Menschenbild und wird durch dieses legitimiert. Er geht davon aus, dass der Mensch zum einen eine ethische Person mit Willensfreiheit (dazu unter A.) und zum anderen ein homo oeconomicus mit wirtschaftlicher Freiheit und Neigung zum lukrativen Tausch ist (dazu unter B.). In Anlehnung an unter anderem dieses Modell deuten bestimmte Doktrinen in Übereinstimmung mit dem Vertragswesen darauf hin, dass die Bindungskraft der Vereinbarung auf die Freiheit zurückzuführen sei und dass der Schuldvertrag und der Austausch notwendige Phänomene vor und unabhängig von Staat und jeder Autorität seien (dazu unter C.).27 Mit dieser These vernachlässigt man jedoch nicht nur die Bedeutung eines institutionellen Rahmens für die vollständige Entwicklung des Marktvertrages – für seine Konfliktlösung oder für den Schutz der vom Vertrag verwendeten Währung –28, sondern man würde auch in eine ähnliche oder gleichwertige Lage wie die irreale Situation des traditionellen Naturrechts geraten29, die in unseren Tagen schwer zu 25
Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 115, hob schon zutreffend hervor, dass der Hinweis auf die Vertragsfreiheit die Vertragstreue nicht erklärt, „denn er führt nur zur Nichteinmischung des Staates, nicht notwendig auch zu Anerkennung und Schutz des Vereinbarten.“ Zustimmend Bydlisnki, Privatautonomie, S. 68, Fn. 123; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 36; Stöhr, AcP 2014, 425, 426; Weller, Die Vertragstreue, S. 153. 26 So Bruns, JZ 2007, 385, 386 f. Diesbezüglich Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 378: „Ce lien de droit, vinculum juris, comme on appelle l’obligation, est le premier effet de tout contrat. Il en est la condition essentielle et sans laquelle il n’existerait pas.“ (Hervorhebung im Original). Ebenso Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 37. Vgl. ferner Unberath, Vertragsverletzung, S. 46 ff. Ähnlich auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung, S. 129, 147 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50; Leipold, AT BGB, § 10, Rn. 3; Supiot, Homo juridicus, S. 146; Weller, Die Vertragstreue, S. 150, 278. 27 In Bezug auf die Differenzierung zwischen der Legitimität und dem Ursprung der Bindungskraft des Vertrages schreibt Stöhr, AcP 2014, 425, 426, treffend: „Zwischen Legitimation und Herkunft einer Pflicht besteht ein Unterschied, der in der bisherigen Diskussion zumeist verschwimmt. Dies mag daran liegen, dass die Übergänge in der Tat fließend sind und beide Gesichtspunkte nach einigen Erklärungsansätzen sogar zusammenfallen können, wie noch zu zeigen ist. In rechtstheoretischer Hinsicht lässt sich indessen eine klare Trennung vornehmen: Die Legitimation befasst sich mit der Frage des ,warum‘, also aus welchen Gründen die Verpflichtung eines Rechtssubjekts gerechtfertigt ist. Demgegenüber betrifft die Herkunft der Vertragsbindung die Frage des ,woher‘, also aus welchen Kategorien (insb. geschriebene Rechtsordnung, Naturrecht, Moral) sich diese Verpflichtung konkret ergibt.“ 28 Vgl. Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 73 f.; derselbe, Homo juridicus, S. 154 ff., 158 ff.; auch M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76 f. 29 So ausdrücklich z. B. Stöhr, AcP 2014, 425, 449: „Bei der Vertragsbindung handelt es sich um ein vorrechtliches Phänomen, welches nicht erst der Anerkennung durch die Rechtsordnung bedarf. Man kann dies auch als Ausprägung eines der positiven Rechtsordnung übergeordneten Naturrechts begreifen.“ In diese Richtung auch Hoppe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter der Überschrift „The Consequence of Moral Error: Statism and the Destruction of Liberty and
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vertreten ist.30 Man muss sich zum Beispiel vergegenwärtigen, dass man seit der ersten Globalisierung über viele anthropologische Studien verfügt, die die kulturelle Relativität des lukrativen Austauschs als Verhaltensmuster einer Gesellschaft umfassend darstellen.31 Aus diesem Grund kann eine Position, die die natürliche Entwicklung des obligatorischen Austauschvertrages in jeder Gesellschaft für notwendig hält, für zeitgenössische, gut informierte Köpfe nicht überzeugend sein – wie Georg Jellinek (1851 – 1911) es ausdrückt: „(…) die Institutionen (…) müssen sich, um fortzubestehen, vor dem Bewußtsein einer jeden Generation als vernünftig rechtfertigen.“32 Die Verbindlichkeit der Willensvereinbarung sowie die Einführung des lukrativen Austauschs als Verhaltensprinzip einer Gesellschaft werden vielmehr von der Autorität bestimmt (dazu unter D.). Die Vertragsfreiheit ist keine natürliche, vorstaatliche Freiheit und auch nicht jede Vereinbarung ist ein Vertrag.33 Die Rechtsordnung als Autorität legt fest, wann die ethische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen Rechtskraft hat und es gibt daher heute, ähnlich dem römischen Recht, ein System des Form- und Typenzwangs, aber nicht mehr von Verträgen, sondern von Rechtsakten (dazu unter E.).34
A. Ethisches Postulat des Vertrages: Der Mensch mit Willensfreiheit Die Konstruktion des Rechtszusammenhangs zwischen der Ausübung der Vertragsfreiheit als Voraussetzung und dem Prinzip pacta sunt servanda als Folge geht hauptsächlich vom ethischen Modell des Menschen mit Willensfreiheit aus, das heißt
Property“; derselbe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, II (dort Fn. 4), V; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Errors of Classical Liberalism.“ 30 Vgl. Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 115; auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 21; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 33, Fn. 124. Diesbezüglich Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 655, schrieb bereits im Jahr 1979: „Now that we have, in so many respects, passed out of the Age of Principle into the Age of Pragmatism, it would not be surprising to discover that the idea of a principle which holds bare promises to be binding, even prima facie binding, is beginning to break down.“ 31 Vgl. dazu Godelier, Avant-propos, S. V, VI; Graeber, Debt, S. 28 f.; ferner Humphrey, Man 20 (1985), 48; Polanyi, The Great Transformation, S. 44; Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiii. 32 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 184. 33 Ähnlich Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 141 f. 34 Zur Akstypen-Lehre W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2, 23 ff., 33; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 137, 147 ff.; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 167, 169; vgl. auch H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 18 f.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 123.
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vom Menschen mit Autonomie.35 Denn Autonomie kommt aus dem Griechischen aqt|r – selbst – und m|lor – Gesetz –36, sodass der Besitz von Autonomie die Möglichkeit zur Selbstregulierung bedeutet. Diese Konzeption des Menschen mit Willensfreiheit gehört zu den Grundwerten der westlichen Kultur.37
I. Kategorische Struktur der Willensfreiheit Die Triade aus Selbstbestimmung, Selbstbindung und Selbstverantwortung macht die Freiheit aus: 1. Willensfreiheit als Fähigkeit zur Selbstbestimmung Die Vertragsfreiheit berücksichtigt „das Selbstverständnis des Einzelnen als frei und autonom handelndes und entscheidendes Individuum.“38 Deswegen gründet sie sich auf die vorstaatliche Fähigkeit des Menschen zur Willensfreiheit39 : „Vertragsfreiheit bedeutet individuelle Autonomie in Form der dialogischen Willensfreiheit.“40 Willensfreiheit besagt gemäß der Ethik von Nicolai Hartmann (1882 – 1950), dass der Mensch im Unterschied zu anderen Wesen nicht gezwungen sei, sich an eine externe Bestimmung zu halten.41 Das personale Wesen habe die Möglichkeit, für 35
Ausführlich dazu Weller, Die Vertragstreue, S. 156 ff. Vgl. ferner Auer, Materialisierung, S. 12 ff.; Canaris, AcP 2000, 273, 279; Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 719, 721, 722; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28 f., 35 f.; H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 13; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19 f.; Wolf/Neuner, AT, § 10, Rn. 1 f., 11, 15 f., 23. 36 Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 65. 37 So Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 127. Vgl. Auer, Materialisierung, S. 13: „Dieses Ideal der Selbstbestimmung bildet bis zu einem gewissen Grad die selbstverständliche ethische Grundlage des Liberalismus der westlichen Gesellschaften.“ 38 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 259. 39 Weller, Die Vertragstreue, S. 156. So auch Auer, ERPL 2002, 279, 289; dieselbe, Materialisierung, S. 12 ff.; Dauner-Lieb, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 286 ff.; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 551; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1; derselbe, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 135 f.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19 f., 114. Vgl. ferner Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 719, 721; Larenz, Richtiges Recht, S. 62 f.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 249, 259 ff.; Wolf/Neuner, AT, § 10, Rn. 11. 40 Hillgruber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 169. 41 Hartmann, Ethik, S. 351. So ähnlich Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 36, 63, 97: „Der Wille ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann.“ Vgl. zu kantischer Freiheitslehre Unberath, Vertragsverletzung, S. 32 ff. Die Ethik von Nicolai Hartmann stütz sich darüber hinaus ins-
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oder gegen die für ihn geltenden äußeren Werte zu handeln.42 Es kann folglich frei über seine eigenen Interessen entscheiden.43 Diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung ermögliche laut Hartmann dem Menschen, durch Initiative über das blinde Geschehen der Welt und die Naturzusammenhänge, in denen er wurzele, hinauszugehen.44 So werde man zu einem sittlichen Wesen, zu einer Person, sodass der Verzicht auf die Selbstbestimmung ein Verzicht auf sich selbst sei.45 Grundlegend für die wirksame Ausübung der Willensfreiheit seien aus ethischer Sicht die Werte der Vorsehung und der Zwecktätigkeit.46 Entsprechend dem Wert der Vorsehung lebe das personale Wesen einerseits nicht in der Gegenwart allein, sondern nehme in den Grenzen seines Vorblicks die Zukunft vorweg.47 Die Zukunft sei in der Praxis das Einzige, was ihm gehöre.48 Nur dort habe der Mensch die Fähigkeit zu handeln49 und das Principle of Alternative Possibilities besitze Gültigkeit.50 Sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart seien, so Hartmann, bereits bestimmt und nicht mehr zu ändern.51 Dank dieser unvollkommenen seherischen Kraft des Menschen könne er demzufolge für das Gewollte vorsorgen und es bewirken: Der Mensch könne selbst bestimmen.52 Der Mangel an Vorsehung sei im Gegensatz „das ahnungslose Treiben im Strom des Geschehens.“53 Der Mensch werde zu einer „blind hinlebende[n] Kreatur.“54 Der Wert der Zwecktätigkeit bringe andererseits nach Hartmann die Fähigkeit des Menschen mit sich, sich vorzubestimmen: die Selbstprädestination.55 Dieser Wert besondere auf die axiologische Phänomenologie von Max Scheler (1874 – 1928). Dabei kann man jedoch einige Ähnlichkeiten mit der kantischen Philosophie wahrnehmen, obwohl Kant Vertreter des Idealismus ist und seine Lehre deswegen von Hartmann, Ethik, S. 98 ff., kritisiert wird. Diese Ähnlichkeiten kommen wahrscheinlich aus der ersten Etappe der akademischen Karriere von Hartmann, da er damals zum Neukantianismus der Marburgern Schule gehörte. Vgl. Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „Hartmann (Nicolai)“; ferner G. Casas, Introducción a la Filosofía, S. 200. 42 Hartmann, Ethik, S. 351. 43 Vgl. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 20. In diese Richtung auch Hippel, Privatautonomie, S. 79. 44 Hartmann, Ethik, S. 352. 45 Hartmann, Ethik, S. 352. Vgl. dazu auch Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 67, 69. 46 Hartmann, Ethik, S. 354 ff., 358 ff. 47 Hartmann, Ethik, S. 355. 48 Hartmann, Ethik, S. 355. 49 Hartmann, Ethik, S. 355. 50 Zu diesem Prinzip Mankowski, AcP 2011, 153, 155. 51 Hartmann, Ethik, S. 355. 52 Hartmann, Ethik, S. 355. 53 Hartmann, Ethik, S. 355. 54 Hartmann, Ethik, S. 357. 55 Hartmann, Ethik, S. 359.
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mache über Freiheit und Vorsehung hinaus die Personalität vollständig.56 Der Mensch sei nämlich das einzige Wesen mit der Macht der Teleologie.57 Dies äußere sich in allen drei Stufen des finalen Nexus: Die Fähigkeit, sich Ziele zu setzen, die Fähigkeit, Mittel zu ihrer Verwirklichung zu finden und die Fähigkeit, durch sie den realen Prozess auf das vorgesteckte Ziel hinzulenken.58 Mit der Teleologie erwerbe die Person dann neben der inneren auch die äußere Willensfreiheit, die Bewegungsund Wirkungsfreiheit im Strom des Geschehens.59 2. Die Selbstbindung als Voraussetzung und Folge der Selbstbestimmung Der ethische Wert der Willensfreiheit umfasst nicht nur die Selbstbestimmung, sondern auch die Selbstbindung.60 Selbstbestimmung setzt notwendigerweise voraus, das Gewollte selbst zu bestimmen, d. h. mit einer Verbindlichkeit versehen zu können.61 Erst damit nimmt die Selbstbestimmung ihre Hauptwirkung an, die in der Zukunft liegt.62 Die Selbstbestimmung führt wiederum, einmal ausgeübt, zu ihrer eigenen Einschränkung durch Selbstbindung (quod prius est libertatis postea fit necessitatis).63 So ist es möglich wie Claus-Wilhelm Canaris zu behaupten: „Man kann erstere nicht erreichen, ohne letztere in Kauf zu nehmen.“64 Die Selbstbindung ist daher sowohl Voraussetzung als auch Folge der Selbstbestimmung.65 Diese Fähigkeit, sich selbst zu binden, hat aus ethischer Sicht einen grundsätzlichen Wert für die Bildung der menschlichen Persönlichkeit.66 Der sittlich reife Mensch könne Hartmann zufolge über einen impulsiven Moment hinausgehen und entscheiden, was er wollen und tun werde.67 Er sei nicht nur der jetzige Wille; dieser
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Hartmann, Ethik, S. 358. Hartmann, Ethik, S. 358. 58 Hartmann, Ethik, S. 358. 59 Hartmann, Ethik, S. 358. 60 So Weller, Die Vertragstreue, S. 157. Ähnlich Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 62; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 551. 61 Auer, Materialisierung, S. 13. 62 Vgl. Auer, Materialisierung, S. 13, Fn. 9. 63 Vgl. Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 64. 64 Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung, S. 129, 150. Vgl. dazu derselbe, AcP 2000, 273, 279; zudem Auer, Materialisierung, S. 13 f. (auch S. 14, Fn. 10); Larenz, Richtiges Recht, S. 57. 65 Vgl. Auer, Materialisierung, S. 13 f. 66 Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28. Vgl. dazu ferner Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 719, 722; Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 161. 67 Hartmann, Ethik, S. 466; zustimmend Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 25; derselbe, Die Vertragstreue, S. 158. 57
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habe Macht über den zukünftigen Willen.68 In dieser Prädestination liegt folglich die Grundlage der persönlichen Identität – wie Hartmann es ausdrückt: „Hinter dieser Identität des Willens steht aber letzten Endes die Identität der Person selbst. Der Versprechende identifiziert sich (einschließlich seiner Willensintention) als den jetzigen mit sich selbst als dem nachmaligen. (…) Der Bruch des Versprechens wäre die Lossage von sich selbst, das Einlösen ist das Festhalten an sich selbst, das sich selbst treu bleiben.“69
Eine ähnliche Idee über die Konstruktion der persönlichen Identität auf Grundlage der Worttreue war bereits im Jahr 1580 von Michel de Montaigne (1533 – 1592) in seinen berühmten „Essais“ dargelegt worden: „Je me fay plus d’injure en mentant, que je n’en fay à celuy, de qui je mens.“70 „(…) la parolle (…) est le seul util par le moien duquel se communiquent nos volontez et nos pensées, c’est le truchement de nostre ame: s’il nous faut, nous ne nous tenons plus, nous ne nous entreconnoissons plus.“71
Konkret ist die Einhaltung des Versprechens trotz der verstrichenen Zeit die Bestätigung, dass derjenige, der es erfüllt, die gleiche Person ist wie derjenige, der es abgegeben hat.72 Treue zum gegebenen Wort ist entsprechend der Ethik Treue zu sich selbst.73 3. Selbstverantwortung als Folge der Selbstbestimmung Die Grundlage der Verantwortung ist schließlich auch die menschliche Freiheit.74 Diese hat als Folge neben der Selbstbindung auch die Selbstverantwortung.75 Letztere ist nämlich Korrelat der Selbstbestimmung.76 Dies lässt sich durch die 68 Hartmann, Ethik, S. 466; zustimmend Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 25; derselbe, Die Vertragstreue, S. 158. 69 Hartmann, Ethik, S. 466. 70 Montaigne, Essais, II, 17, S. 283. 71 Montaigne, Essais, II, 18, S. 286. Ausführlich zur Identität der etlichen Person über das Versprechen nach Montaigne siehe Navarro Reyes, Pensar son certezas, S. 123 ff. 72 Navarro Reyes, Pensar sin certezas, S. 128. 73 Navarro Reyes, Pensar sin certezas, S. 128. In diese Richtung spricht Bydlinski, AcP 1980, 1, 8, von der „Vertragstreue i. S. einer in der Wurzel ethischen Bindung an das gegebene Wort.“ 74 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 75. Vgl. dazu auch Hayek, The Constitution of Liberty, S. 133. W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 61: „Zur Selbstbestimmung gehört nun, wie längst erkannt ist, die Selbstverantwortung.“ 75 Vgl. Hartmann, Ethik, S. 352. Diesbezüglich drückt Shaw, Man and Superman, S. 229, scharf aus: „Nothing can be unconditional: consequently nothing can be free. Liberty means responsibility. That is why most men dread it.“ 76 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 61; zustimmend Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 717, 720; Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 86. In diese Richtung auch Hillgruber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 171: „Selbstverantwortung ist die Kehrseite von Selbstbestimmung: Ohne Selbstbestimmung kann es keine
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tatsächliche Verantwortung für willensgetragenes Verhalten und durch den ethischen Wert der Persönlichkeit des Menschen erklären.77 Einerseits liegt der Grund für die Zurechnung der Verantwortung darin, dass eine willentliche Beziehung zwischen dem zuzurechnenden Ergebnis und der Person, der es zugerechnet wird, besteht.78 Sie sieht voraus, setzt ein Ziel, entscheidet, handelt und übernimmt die Folgen dieser Selbstbestimmung: „Das eben ist der Sinn der Vorbestimmung, dass derjenige, der sie übt, Schuld und Verdienst hat an allem, was sie bewirkt.“79 Die selbstverantwortliche Person sollte sich deshalb nicht über die Folgen einer freiwillig vorgenommenen Handlung beschweren: „Volenti non fit iniuria.“80 Andererseits gebe es gemäß Hartmann ohne Freiheit weder Schuld noch Verantwortung81, ebenso wenig existiere Freiheit ohne Zurechenbarkeit.82 Das Bejahen der Verantwortung sei daher die Erhaltung der Eigenschaft des Menschen als Person mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung.83 Wenn der Person die Zurechnung ihrer Taten versagt würde, sähe sie sich in ihrer Menschenwürde verletzt.84 Wie die kantische Ethik gerade hervorhebt: Person „ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind.“85
Selbstverantwortung geben, und Selbstbestimmung setzt Selbstbestimmungsfähigkeit.“ Vgl. ferner Auer, Materialisierung, S. 13 f.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung, S. 129, 151; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 41; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 65, 77; Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 1. 77 Weller, Die Vertragstreue, S. 157. 78 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 75. Vgl. dazu Navarro Reyes, Pensar sin certezas, S. 129; Weller, Die Vertragstreue, S. 157; auch Müller-Graff, Das Prinzip der Selbstverantwortung im heutigen Privatrecht, S. 139, 140 f.; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 77. 79 Hartmann, Ethik, S. 359. Vgl. ferner Hayek, The Constitution of Liberty, S. 138 f.; Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1713 (dort auch Fn. 74) (1976). Der Grundsatz der Selbstverantwortung erinnert darüber hinaus an die Fabel von Äsop (600 a. C.–564 a.C.) „Als die Frösche Wasser suchten“, die lehrt: „Überlege vor der Tat, damit nichts Törichtes daraus entstehe.“ Aesopus, Fabulae, S. 51, § 43. Ähnlich in der Bibel, Jesus Sirach, 7, 36: „Denk an dein Ende bei allem, was du tust; dann wirst du nie etwas Unrechtes tun.“ 80 Ausführlich zur Selbstbestimmung und zur Selbstverantwortung als Grundlagen des Prinzips „volenti non fit inuiria“ Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 64 ff. Vgl. dazu auch Hillgruber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 170. 81 Hartmann, Ethik, S. 352 f. 82 Hartmann, Ethik, S. 729. Vgl. Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 77: „Das Fehlen von Selbstverantwortung entwertet die Selbstbestimmung.“ 83 Hartmann, Ethik, S. 353, 725 f. Diesbezüglich Hayek, The Constitution of Liberty, S. 133: „Liberty not only means that the individual has both the opportunity and the burden of choice; it also means that he must bear the consequences of his actions and will receive praise or blame for them.“ 84 Hartmann, Ethik, S. 730 ff. 85 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV., S. 24.
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II. Vertragsabschließen und Vertragserfüllen als „ethisches Grundkönnen der Personen“ Freiheit, verstanden als die dialektische Verbindung zwischen Selbstbestimmung, Selbstbindung und Selbstverantwortung, gehöre dementsprechend laut hartmannscher Ethik zum metaphysischen Kern der Person, zu ihrem „ethischen Grundkönnen.“86 Diese Macht manifestiere sich am deutlichsten in der Fähigkeit der Menschen, Verträge abzuschließen und insbesondere zu erfüllen.87 Aus der kategorischen Struktur der ethischen Freiheit ergibt sich also, dass sie die natürliche Freiheit impliziert, sich mit anderen zu einigen und daraus Verantwortung zu übernehmen.88 Die Menschen können ein eventuelles Ereignis im Voraus vorhersehen, ein gemeinsames Ziel entsprechend dieses Ereignisses festlegen, sich auf seine Realisierung einigen und die Verantwortung dafür tragen. Der Konsens ist dabei eine Aktualisierung des Grundsatzes der Willensfreiheit. Infolgedessen muss eine Rechtsordnung, die diese ethische Dimension der Person respektieren will, jedem Rechtssubjekt in Form der Korrelation von Vertragsfreiheit mit dem Grundsatz pacta sunt servanda die Fähigkeit zum Abschluss verbindlicher und zeitlich sowie räumlich verteilter Vereinbarungen zuerkennen.89 Die rechtliche Anerkennung der Willensfreiheit ist die rechtliche Anerkennung der Menschenwürde.90 Andernfalls, wenn man Einzelpersonen weder die Fähigkeit sich selbst zu binden, noch die daraus resultierende Verantwortung für den Vertrag zu übernehmen, rechtlich anerkennen würde, so käme dies einer sittlichen Entmündigung gleich.91 Es gäbe für die Rechtsordnung keine Selbstbestimmungsfähigkeit und letztendlich liefe es auf eine „Desavouierung“ des ethischen Persönlichkeitswerts der Rechtssubjekte hinaus.92
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Hartmann, Ethik, S. 731 ff. Hartmann, Ethik, S. 732; zustimmend Larenz, Richtiges Recht, S. 62 f. Ähnlich Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379: „Que l’homme puisse contracter et s’obliger, c’est la plus grande des nécessités sociales, le plus noble attribut de la liberté et de la moralité humaines.“ 88 Ähnlich Weller, Die Vertragstreue, S. 157 f. Vgl. dazu ferner Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. 89 So Weller, Die Vertragstreue, S. 159. Vgl. auch Auer, Materialisierung, S. 13 f.; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 65, 67, 69 f. Diesbezüglich ferner Larenz, Richtiges Recht, S. 57: „Dadurch, daß ich mit dem anderen einen Vertrag schließe, erkenne ich die Selbstbestimmung des anderen und somit ihn als Person an.“ Zustimmend Diez-Picazo, Fundamentos del Derecho Civil, I, S. 126. 90 Vgl. Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 70, 77. 91 Vgl. Hartmann, Ethik, S. 353; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 77, 79. 92 So Weller, Die Vertragstreue, S. 159 f. Vgl. auch Hayek, The Constitution of Liberty, S. 141; Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 717, 722 f. 87
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B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus I. Vertragsfreiheit als Motor der Marktwirtschaft Der Zusammenhang von Vertragsfreiheit und der Maxime pacta sunt servanda ist nicht nur durch das ethische Modell des Menschen mit Willensfreiheit legitimiert. Er basiert auch auf dem Individualismus als Mechanismus der wirtschaftlich-sozialen Organisation, das heißt auf der liberalen Marktgesellschaft.93 Diese Gesellschaft ist ein Produkt des wirtschaftlichen Liberalismus des späten 18. und 19. Jahrhunderts und hat als zentrales Subjekt den homo oeconomicus.94 Diese Figur wurde später von der als „Law and Economics“ oder „Economic Analysis of Law“ bekannten akademischen Bewegung übernommen und erneut.95 Diese letzte Denkströmung wurde in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Nordamerika geboren96 und fand später, wenn auch mit geringerer Intensität, in den Studien des Civil Law Beachtung.97 Sie versucht, auf der Grundlage des Verhaltens des homo oeconomicus der Marktgesellschaft die tatsächlichen Reaktionen des Einzelnen auf Rechtsnormen vorherzusagen und diese zugleich nach dem Kriterium der Effizienz zu beurteilen.98 93 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 54; HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 20; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 195; auch Gandur, Microeconomía, S. 29. Ähnlich Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 58: „Das bedeutet, daß in einer Kultur, die dem Menschen Eigenverantwortung zumutet, die Marktwirtschaft vorgezeichnet ist.“ (Hervorhebung im Original). Zum Individualismus im Allgemeinen Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 256 ff., 293 ff.; Auer, Materialisierung, S. 10 ff.; Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1713 ff. (1976); Keynes, The End of Laissez-faire; ferner Hübner, FS Bodo Börner (1992), S. 719, 722. 94 Dauner-Lieb, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 286; dieselbe, Verbraucherschutz, S. 52. Vgl. zudem Gandur, Microeconomía, S. 28. 95 Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 f.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XXXVI f., 46, 95 ff.; Posner, Economic analysis of law, S. 3 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 351 f. 96 Rechtsuntersuchungen, die sich auf Postulate der Marktwirtschaft stützen, gab es zwar vor den 60er-Jahren in den USA, diese Untersuchungen beschränkten sich aber insbesondere auf die Studie der Antimonopolgesetze. Erst in dem genannten Jahrzehnt fand eine große akademische Bewegung statt, die versuchte, das ganze Rechtssystem nach den Marktwirtschaftsprinzipien zu analysieren. Aus diesem Grund nennt man diese Denkströmung auch „New Law and Economic“ statt nur „Law and Economic.“ Dazu Posner, Economic analysis of law, S. 23 ff.; vgl. auch zur Geschichte der Entwicklung dieser Lehre Mackaay, Law and Economics, S. 17 ff. 97 Mackaay, Law and Economics, S. 26 f. Vgl. ferner Horn, AcP 1976, 307, 308, 311. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, ist in Deutschland das bedeutendste Werk dieser Schule. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217, Fn. 9. 98 Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 f.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. XLIV, 95; Weller, Die Vertragstreue, S. 348. Vgl. Mackaay, Law and Economics, S. 12, 15 f., 27; auch Horn, AcP 1976, 307, 310.
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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Die Idee eines ökonomischen Individuums entstand jedoch nicht in der Neuzeit mit dem wirtschaftlichen Liberalismus. Sie kam bereits im antiken Griechenland vor.99 Xenophon bezog sich im 4. Jahrhundert v. Chr. in seinem „Oeconomicus“ auf diesen Akteur.100 Dieses Subjekt war derjenige, der das Feld oder den Staat richtig verwaltet hat, um besser zu produzieren und die Polis zu beliefern.101 Dabei wurde die Tätigkeit nicht nach ihrem lukrativen Potenzial bewertet, sondern nach ihrer Fähigkeit, die Werktätigen persönlich und vor allem politisch auszubilden.102 Folglich konnte das griechische Wirtschaftssubjekt seinen Wohlstand nicht erreichen, ohne der Polis Wohlfahrt zu verschaffen.103 Der homo oeconomicus der Marktgesellschaft bezieht sich allerdings auf einen anderen Wirtschaftsakteur. Er identifiziert sich mit einem freien, reifen, rational handelnden Individuum, das sich selbstverantwortlich damit beschäftigt, seine Bedürfnisse durch seine eigene Anstrengung zu befriedigen.104 Dieses Subjekt ist der beste Richter für seine Bedürfnisse und Präferenzen105, da es in der Regel besser als jeder andere in der Lage ist, diese zu kennen.106 Zudem habe dieser homo oeconomicus gemäß Adam Smith, „the first economist“107, eine natürliche Neigung „to truck, barter, and exchange one thing for another“108, um daraus einen persönlichen Vorteil zu erlangen.109 Aus diesem Grund kommen diese Bedürfnisse und Präferenzen auf dem Markt durch den Vertrag zum Ausdruck110 : Der Vertrag ist das „Instrument des marktwirtschaftlichen Tausches.“111 99
Dazu Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 11 ff. Xenophon, Oeconomicus, S. 381 ff. 101 Vgl. Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 11 ff. 102 Vgl. Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 16. 103 Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 16. 104 Vgl. Dauner-Lieb, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 286 f.; dieselbe, Verbraucherschutz, S. 51 ff.; zudem Auer, Materialisierung, S. 10, 12; Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1713 (1976). 105 Auer, ERPL 2002, 279, 289. Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217; auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 296. 106 Hayek, The Constitution of Liberty, S. 139. 107 Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 13. 108 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. Ähnlich Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. In Bezug auf A. Smiths Satz Polanyi, The Great Transformation, S. 43: „This phrase was later to yield the concept of the Economic Man.“ Vgl. dazu Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 86. 109 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 f. 110 Polanyi, The Great Transformation, S. 56: „(…) the principle of barter depends for its effectiveness on the market pattern.“ Vgl. auch derselbe, Economy as Instituted Process, S. 243, 266: „(…) the market is the locus of exchange, market and exchange are co-extensive.“ Ähnlich F. Walker, Political Economy, S. 120; J. Flume, Marktaustausch, S. 9. 111 Weller, Die Vertragstreue, S. 352. So auch Horn, AcP 1976, 307, 319: „Der private Vertrag ist das Instrument für den marktwirtschaftlichen Güterverkehr.“ In diese Richtung zudem HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 20; Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 71; Supiot, Homo juridicus, S. 144; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 415. 100
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Auf dem Markt stellt jeder Verbraucher diesem Sozialmodell zufolge einerseits eine Zweck-Mittel-Relation zwischen seinem verfügbaren Kapital, seinen eigenen Vorlieben und dem Preis der angebotenen Waren und Dienstleistungen her.112 Bei dieser Rechnung wird nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft berücksichtigt. Im Gegensatz zu Tieren können Menschen im Voraus genießen und leiden.113 Dann trifft jeder Verbraucher am Ende nach einem Prozess des Feilschens und der Abwägung der verschiedenen Optionen durch die Ausübung der Vertragsfreiheit eine vernünftige Auswahl – im Sinne einer vorteilhaften Entscheidung – zwischen den Angeboten.114 Das heißt, er tauscht in einer Welt der Knappheit eine gewünschte Ware, die er selbst hat, gegen eine andere, begehrenswertere Ware aus, die er nicht besitzt.115 Als Folge dieses auf Gewinnmaximierung basierenden Verhaltensprinzips werden die Anbieter von Waren, die die Verbraucherbedürfnisse zu einem niedrigeren Preis befriedigen, tendenziell durch erhöhten Umsatz und Gewinnsteigerung belohnt.116 Dies führt zu einem Wettbewerb zwischen verschiedenen Marktteilnehmern.117 Denn nur wer seine Waren an das attraktivste Preis-Leistungs-Verhältnis von Konkurrenten anpasst oder Innovationen zur Verbesserung eines solchen Verhältnisses einführt – zum Beispiel durch die Entwicklung anspruchsvoller Aspekte des angebotenen Produkts –, kann die Chance auf Nachfrage erhalten.118 112 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 52 f., 55; dieselbe, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 286. 113 Bentham, Traités de législation, Vol 1, S. 194. Ähnlich Santos, Para una sociología de las emergencias, in: Página/12, 4.9.2017. In diesem Zusammenhang ist es angebracht zu sagen, dass nach einem neuen Gebiet der wissenschaftlichen Forschung der positiven Psychologie der Mensch nicht mehr als in der Vergangenheit verankerte Wessen betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als ein Wesen der Zukunftserwartung und des Ausblicks. Dazu Seligman/ Railton/Baumeister/Sripada, Homo prospectus; Seligman/Tierney, We Aren’t Built to Live in the Moment, in: New York Times, 19.5.2017. 114 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 53; auch Carlino, Macroeconomía, S. 24. 115 Gandur, Microeconomía, S. 8. Ähnlich A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 17, 20 f.; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 8; Menger, Origins of Money, S. 11; vgl. zudem Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 296; Bentham, Traités de législation, Vol 1, S. 293. Hinsichtlich dieser Bewegungen der Sachen durch den Austausch Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 69: „Der Tauschverkehr ist demnach die Form, um jede Sache dahin zu führen, wo sie ihre Bestimmung erreicht. Keine Sache hält sich auf die Dauer da, wo sie ihre ökonomische Bestimmung, dem Menschen zu dienen, verfehlt, jede sucht ihren richtigen Eigenthümer auf, der Ambos den Schmied, die Geige den Musiker, der abgetragene Rock den Armen, ein Rafael die Gemäldegalerie. Der Tauschverkehr lässt sich als die ökonomische Vorsehung definieren, welche jedes Ding (Sache, Arbeitskraft) an den Ort seiner Bestimmung bring.“ In diese Richtung auch F. Walker, Political Economy, S. 121. 116 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 53. 117 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 53. 118 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 53; dieselbe, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 287; auch Carlino, Macroeconomía, S. 27; Stark, Law for Sale, S. 150. Diesbezüglich Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 107: Der Markt „(…) will secure a high degree of coincidence of expectations and an effective utilization of the knowledge and skills of the several members only at the price of a constant disappointment of some expectations.“
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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Andererseits unterliegen die Produktionsmittel gemäß dem Marktwirtschaftsmodell demselben Wettbewerbsprozess. Von diesen erhalten die Verbraucher ihr Einkommen, um Waren und Dienstleistungen erwerben zu können.119 Sie bieten den Handelsunternehmen ihre Arbeitskraft, ihr Land und ihr Kapital auf dem Produktionsmittelmarkt an.120 Die Unternehmen stellen eine Zweck-Mittel-Relation zwischen ihrem Kapital, ihrem Bedarf und dem Preis der angebotenen Produktionsmittel her. Aus dieser Zweck-Mittel-Relation und nach einem Verhandlungsprozess wählen sie rational, durch Nutzung der Vertragsfreiheit, unter den Angeboten aus.121 Wer Produktionsmittel zu einem niedrigeren Preis anbietet, wird dann tendenziell mit mehr Löhnen, Mieten oder Zinsen prämiert.122 Schließlich treten die Anbieter von Produktionsfaktoren, wie auf dem Markt für Waren und Dienstleistungen, in den Wettbewerb ein und müssen ihr Angebot anpassen oder verbessern, um auf dem Markt aktiv bleiben zu können. Aus dem Beschriebenen lässt sich also entnehmen, dass die Aktivität des homo oeconomicus der Marktgesellschaft, anders als der griechische Wirtschaftsakteur, an der Rationalisierung der Ressourcen beim Austausch einer Ware gegen eine andere gemessen wird.123 Das moderne Subjekt hat im Unterschied zu dem von Xenophon genannten Individuum keine festen Ziele wie die Belieferung der Polis oder die persönliche und politische Ausbildung.124 Für den aus dem Liberalismus kommenden Wirtschaftsakteur ist das Merkmal vielmehr, nach einem spezifischen formalen und rationalen Prozess zu handeln: Er muss beim Austausch entsprechend seiner Präferenzskala Ressourcen sparen.125 Dieses vernünftige Verhalten entspricht der Macht der Teleologie der Ethik von Hartmann.126 Obwohl das vernünftige Verhalten für den Markt von zentraler Bedeutung ist, ist es deswegen nicht ausschließlich für ihn bestimmt. Es kommt aus der 119
Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 26; Gandur, Microeconomía, S. 27. Gandur, Microeconomía, S. 27. 121 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 26. 122 Zu diesem vereinfachten Wirtschaftszyklus der Marktwirtschaft Carlino, Macroeconomía, S. 23 ff.; Gandur, Microeconomía, S. 25 ff. Vgl. auch M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 13 ff.; zudem Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 297; Ingham, Capitalism, S. 9; Polanyi, The Great Transformation, S. 68. 123 Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 15. Vgl. M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 20: „The income each person gets through the market is determined, as we have seen, by the difference between his receipts from the sale of goods and services and the costs he incurs in producing those goods and services.“ 124 Vgl. Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 11 ff., 16. 125 Vgl. Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 5. Kritisch dazu LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1184 f., der hervorhebt, dass die Ressourcenrationalisierung unabhängig vom Wirtschaftssystem bestehe. Das stimmt zwar, aber die individuelle Ressourcenrationalisierung als Charakter des Wirtschaftssystems ist nicht universell. Sie gehört zu bestimmten Wirtschaftssystemen, und zwar z. B. zur Markwirtschaft. Siehe 3. Kapitel, unter D. VI. 1. und 3. 126 Siehe 3. Kapitel, unter A. I. 1. 120
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
allgemeinen Logik und besteht darin, bestimmte Ziele mit begrenzten Mitteln zu verbinden und auszuwählen, welche Mittel die Möglichkeiten maximieren, die Ziele zu erreichen.127 Das bedeutet, dass eine Handlung weder allein durch ihre Mittel noch ihren Zweck rational sein wird, sondern durch die Zweck-Mittel-Relation, durch die Wahl der für einen Zweck geeigneten Mittel.128 Aus diesem Grund finden sich Rationalisierungshandlungen in so unterschiedlichen Bereichen wie bei Einkäufen, beim Schachspielen, beim Verfassen eines Trainingsprogramms und bei der Vorbereitung auf akademische Examen.129 Auf dem Markt besteht die rationale Handlung, wie oben erläutert, insbesondere darin, mithilfe von Preisen als quantifizierende Richtschnur zwischen begrenzten Ressourcen mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zu einem geringeren Aufwand richtig auszuwählen und auszutauschen.130 Aufgrund dieser Merkmale des Marktsystems, die sich von denen des griechischen Wirtschaftsmodells unterscheiden, meinte Robert Whately (1787 – 1863) in einer Vorlesung aus dem Jahr 1831, am Anfang der Entstehung der Wirtschaft als Wissenschaftsgebiet sogar, dass der aus dem Griechischen stammende Begriff „Ökonomie“ zusammen mit dem Adjektiv der gleichen Herkunft „politisch“ für die Benennung der neuen Wissenschaft verwirrend wirke.131 Dieser Professor der Oxford University machte darauf aufmerksam, dass die Begriffe „Catallactics“ oder „Science of Exchange“ präziser seien.132 Denn das Studienfach beschäftige sich mehr mit dem Austausch als mit der internen Führung einer Privatfamilie oder des Staates.133 Der englische Gelehrte ging dennoch damals davon aus, dass es zu spät sei, 127 Vgl. dazu Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243; ferner Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 6 f. 128 Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 245 f. Vgl. dazu auch H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 96. 129 So Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 246; zustimmend Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 7; vgl. auch Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 96; Mises, Human action, S. 40; Posner, Economic analysis of law, S. 15. 130 Ähnlich Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 247; vgl. ferner Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 7. 131 Whately, Lectures on Political Economy, S. 4 ff. Diesbezüglich Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 32: Die ökonomische Disziplin „n’a été qualifiée de politique qu’en souvenir de ses lointaines origines.“ 132 Whately, Lectures on Political Economy, S. 6. 133 Whately, Lectures on Political Economy, S. 4 ff., 9. In Bezug auf diese terminologische Problematik unterscheidet Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 243, zwischen einer substantiellen und einer formalen Bedeutung des Terminus „economic“: „The substantive meaning of economic derives from man’s dependence for his living upon nature and his fellows. It refers to the interchange with his natural and social environment, in so far as this results in supplying him with this means of material want satisfaction. The formal meaning of economic derives from the logical character of means-ends relationship, as apparent in such words as ,economical‘ or ,economizing‘. It refers to a definitive situation of choice, namely, that between the different uses of means induced by an insufficiency
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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diesen Begriff zu ändern.134 Trotz dieses prophetischen Treffers von Whately verzichtete Hayek später in seinem „Law, Legislation and Liberty“ (1973 – 1979) nicht auf den Versuch der Etablierung einer terminologischen Genauigkeit über das Verhältnis von Wirtschaft und Markt. So schlug der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1974 im zweiten Band dieses Werkes, „The Mirage of Social Justice“ (1976), vor, den Gebrauch des Worts „Ökonomie“ zum Verweisen auf den Markt aufzugeben.135 Er argumentierte, dass mit diesem Ausdruck im strengen Sinne, mit welchem ein Haushalt, ein Bauernhof oder ein Unternehmen – oder eine Einzelpersonen – gemeint sein könne, einen Komplex von Aktivitäten impliziere, durch die eine gegebene Menge von Mitteln nach einem einheitlichen Plan aufgeteilt werde.136 Die Bezeichnung des gesamten Netzwerks von Wirtschaftsakteuren, von Ökonomien, die spontan – zum Beispiel in Deutschland oder in Frankreich – zur Befriedigung ihrer unabhängigen Präferenzen rational handeln, als „Volkswirtschaft“ bedeute daher, dass alles verwaltet und auf einen einzigen Zweck ausgerichtet sein sollte.137 Als Alternative empfahl der österreichische Denker, inspiriert durch Whately, das System zahlreicher miteinander verbundener Einzelwirtschaften, welche den Markt bilden, mit dem Begriff „catallaxy“ zu benennen.138 Dieses Substantiv stammt aus dem griechischen Verb „katallattein“ oder „katallassein“, das unter anderen „to exchange“139 bedeutet und von Hayek wie folgt definiert wurde: of those means. If we call the rules governing choice of means the logic of rational action, then we may denote this variant of logic, with an improvised term, as formal economics.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 134 Whately, Lectures on Political Economy, S. 6: „It is with a view to put you on your guard against prejudices thus created (…) that I have stated my objections to the name of PoliticalEconomy. It is now, I conceive, too late to think of changing it.“ 135 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108 f. 136 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 107. 137 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108. 138 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108 und dort Fn. 2. Diesbezüglich ist zu erwähnen, dass das Substantiv „Catallactics“ zwar zwischen Whately und Hayek auch hinsichtlich der Untersuchung des Austausches innerhalb des Marktes angewendet wurde, aber mit keiner Bezugnahme auf die Problematik des Namens „Ökonomie.“ Siehe z. B. Mises, Human action, S. 3, 233 ff., aus dem Jahr 1949 und Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 266 ff., aus dem Jahr 1957. 139 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108 f.: „The term ,catalactis‘ was derived from the Greek verb katallattein (or katallassein) which meant, significantly, not only ,to exchange‘ but also ,to admit into the community‘ and ,to change from enemy into friend‘. From it the adjective ,callactic‘ has been derived to serve in the place of ,economic‘ to describe the kind of phenomena with which the science of catallactics deals. The ancient Greeks knew neither this term nor had a corresponding noun; if they had formed one it probably have been katallaxia. From this we can form an English term catallaxy which we shall use to describe the order brought about by the mutual adjustment of many individual economies in a market.“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Whately, Lectures on Political Economy, S. 6, Fn.*: „In the present instance, however, I am not sure that, if Aristotle had had occasion to express my meaning, he would not have used the very same word. In fact I may say he has used another part of the same verb in the sense of ,exchanging‘; (for the Verbals in ijor are, to all practical
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
„(…) the special kind of spontaneous order produced by the market through people acting within the rules of the law of property, tort and contract.“140
Über diese terminologische Frage hinaus versteht der Wirtschaftsliberalismus auf der Grundlage der oben genannten Marktprämissen – und trotz der Tatsache, dass niemand sich nach der Kognitionspsychologie und experimenteller Ökonomie in allen Einzelfällen absolut egoistisch und rational verhält141 –, dass die optimalste Ressourcenallokation durch die selbstregulierenden Kräfte des Marktes erfolge.142 Sozialinterventionen würden den Mechanismus des Preises und des Wettbewerbs beeinträchtigen.143 Sie würden die Innovationsfähigkeit sowie das Kreativitätspotenzial des Einzelnen einschränken.144 Deshalb werde das summum bonum gemäß dieser Denkströmung langfristig erreicht, solange man dem Menschen die maximale Verwirklichung von wirtschaftlicher Freiheit, von Produktions- und Austauschfreiheit, ermögliche145: „Laissez faire, laissez passer“ besagt das Motto des Freihandels.146 Diese Freiheit wird, wie erwähnt, mit der Vertragsfreiheit gleichgesetzt.147 Sie erlaube aus marktwirtschaftlicher Sicht, dass die Ressourcen in einem purposes, to be regarded as parts of the verbs they are formed from) in the third book of the Nicom. Ethics he speaks of men who hold their lives so cheap, that they risked them in exchange for the most trifling gain [jatakk\ttomtai]. The employment of this and kindred words in the sense of ,reconcilement‘, is evidently secondary, reconciliation being commonly effected by a compensation; something accepted as an equivalent for loss or injury.“ (Hervorhebung im Original). 140 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 109. 141 Dazu Kahneman, AER (2003) vol. 93 No. 2, 162 f., 165 f.; auch Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 ff. Siehe zudem Graeber, Debt, S. 90, 114 f.; LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, Fn. 2; Weller, Die Vertragstreue, S. 361 f.; Wilson/William, History of Homo Economicus, S. XXXVI f., 95 ff. Vgl. aber H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 110 ff., welche die Forschungsergebnisse der Kognitionspsychologie und der experimentellen Ökonomie kritisieren. 142 Vgl. Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 296, 298 f.; Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 473 ff.; Ingham, Capitalism, S. 190 f. 143 Hayek, The Road to Serfdom, S. 86, 127 ff.; M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 14, 17, 19 f., 23; vgl. ferner Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 472 ff. 144 So der Utilitarismus von Mill, On Liberty, S. 69 ff. Vgl. dazu auch Bruns, JZ 2007, 385, 390; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 69. 145 Vgl. dazu Auer, ERPL 2002, 279, 289; dieselbe, Materialisierung, S. 12; Hayek, The Constitution of Liberty, S. 144; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 69 f.; auch Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1713, Fn. 74 (1976): „The argument is that the wealth and happiness of a people depend less on natural advantages or the wisdom of rulers than on the moral fiber of the citizenry, that is, on their reliance.“ 146 Oncken, Die Maxime Laissez faire et laissez passer, S. 10: „Laissez faire heißt Freiheit der Produktion (Gewerbefreiheit); laissez passer dagegen Freiheit des Verkehrs (Handelsfreiheit).“ Zum Ausdruck „laissez faire, laissez passer“ außer dem gleich genannten Werk von Oncken siehe auch Higgs, The physiocrats, S. 38 ff.; Keynes, The End of Laissez-faire, II. 147 Vgl. auch Püls, Parteiautonomie, S. 34; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445; ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 36 ff.
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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wettbewerbsfähigen System bestmöglich genutzt werden.148 Bezüglich all dem Vorgenannten legte A. Smith im 18. Jahrhundert den berühmten Mythos der unsichtbaren Hand dar: „Every individual necessarily labours to render the annual revenue of the society as great as he can (…) By preferring the support of domestic to that of foreign industry, he intends only his own security; and by directing that industry in such a manner as its produce may be of the greatest value, he intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention.“149
Dieses Menschenbild besitzt deswegen im Gegensatz zu dem im vorherigen Abschnitt dargestellten ein utilitaristisches, nicht deontologisches Fundament.150
II. Der Austausch der Marktwirtschaft als Austausch von Rechten Der Vertrag, der im Kreislauf des freiwilligen Austausches der Marktgesellschaft verwendet wird, ist – wie man oben merken konnte – nicht nur das Handgeschäft, sondern vor allem der moderne konsensuale Schuldvertrag.151 Dies kann bemerkenswert erscheinen, denn in diesem Geschäft gibt es keine wirkliche Übertragung eines materiellen Objekts von Hand zu Hand, wie es das Postulat von A. Smith zum homo oeconomicus mit Neigung zum Tauschhandel „one thing for another“, dem Grundstein der liberalen Theorie152, hauptsächlich nahelegt.153 Allerdings sind diese Handelsarten, wenn man sie sorgfältig betrachtet, gleichwertig. Beim manuellen Austausch werden nicht nur Dinge übergeben, sondern auch die auf sie bezogenen Rechte ausgetauscht. Eine Übertragung von Rechten erfolgt auch im synallagma-
148 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 423: „Aus ökonomischer Sicht ist ein wichtiger Grund für die Forderung nach Vertragsfreiheit die Erkenntnis, dass sie in einem funktionsfähigen Wettbewerbssystem die Ressourcen an den Ort ihrer wertvollsten Verwendung steuert.“ Vgl. ferner Coleman, Risks and wrongs, S. 78; Weller, Die Vertragstreue, S. 354. 149 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 349 (Hervorhebung durch Verfasser). So bereits im Jahr 1759 derselbe, The theory of moral sentiments, S. 296: „They are led by an invisible hand to make nearly the same distribution of the necessaries of life, which would have been made, had the earth been divided into equal portions among all its inhabitants.“ (Hervorhebung durch Verfasser). In diese Richtung auch im Jahr 1859 Mill, On Liberty, S. 18: „Mankind are greater gainers by suffering each other to live as seems good to themselves, than by compelling each to live as seems good to the rest.“ Kritisch zu diesen Thesen Keynes, The End of Laissez-faire, I. 150 Ähnlich Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 69. 151 Vgl. K. Röhl, Rechtssoziologie, § 64, I., 2): „Die rechtliche Form des Markttausches ist der modern Konsensualvertrag.“ 152 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 43 f. 153 Vgl. Whately, Lectures on Political Economy, S. 10.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
tischen Schuldvertrag: Er ist ein Kreditaustausch.154 Daneben lohnt es sich, kurz auf die konzeptionelle Entstehung dieses Rechtsgeschäftes einzugehen, wodurch auch seine Ähnlichkeit mit dem manuellen Austausch deutlich wird. Für die Entwicklung der ersten dogmatischen Grundlagen des modernen Schuldvertrages griffen Grotius und dann Pufendorf auf die sofortige Übertragung von Gegenständen zurück.155 Sie materialisierten gewissermaßen die Freiheit156 und behaupteten, dass in einem Schuldversprechen eine „particula libertatis“ sofort übertragen werde, ähnlich wie bei der Abgabe einer Sache.157 Dabei veräußere der Versprechende nach dieser Theorie der Selbststeuerung eine Macht – potestas –, ein Recht über sein Verhalten, das er besitze.158 Dieses Freiheitspartikel gehöre mit seiner Annahme dem Empfänger des Versprechens.159 Daraus begründe man eine Pflicht für den Versprechenden, die darin liege, das versprochene Verhalten auszuführen160: „(…) what we were able before to do, or omit to do, or handle at our
154 In diese Richtung in Bezug auf das Wort „Austausch“ auch Whately, Lectures on Political Economy, S. 9 f.: „The only difficulty I can foresee as attendant on the language I have now been using, is one which vanishes so readily on a moment’s reflection as to be hardly worth mentioning. In many cases, where an exchange really takes place, the fact is liable (till the attention is called to it) to be overlooked, in consequence of our not seeing any actual transfer from hand to hand of a material object. For instance, when the copy-right of a book is sold to a bookseller, the article transferred is not the mere paper covered with writing, but the exclusive privilege of printing and publishing. It is plain however, on a moment’s thought, that the transaction is as real an exchange, as that which takes place between the bookseller and his customers who buy copies of the work. The payment of rent for land is a transaction of a similar kind: for though the land itself is a material object, it is not this that is parted with to the tenant, but the right to till it.“ 155 Ausführlich dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 324 ff.; vgl. auch Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 12 f., 14 f. 156 In diese Richtung bezüglich der Versprechenslehre von Grotius Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius, S. 51: „Betrachten wir sie näher, so ergibt sich, daß sie eine eigentümliche vergegenständlichende Auffassung von der Freiheit der Person voraussetzt: das Bild eines statischen, nach außen scharf abgegrenzten, nach innen jederzeit aufteilbaren Freiheitsbereiches.“ 157 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV: „Dies ist das vollkommene Versprechen und hat die gleiche Wirkung wie die Veräußerung des Eigentums. Denn es ist entweder der Weg zur Veräußerung des Eigentums oder die Veräußerung eines Teiles unserer Freiheit.“ Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. V, § 7: „Now when we promise to give something or to do something, such a promise either leads to the alienation of our property, or is an alienation of some slight portion of liberty.“ 158 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch I, Kapitel I, unter V: „(…) wir werden sie später ,Recht im eigentlichen oder strengen Sinne‘ nennen. Sie umfaßt die Macht sowohl über sich selbst, welche Freiheit heißt (…).‘“ (Hervorhebung durch Verfasser) (vgl. dasselbe Werk, Buch, II, Kapitel I, unter II und Kapitel II, unter I). Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book I, Ch. 1, § 19: „Power over one’s own Persons and actions is called liberty.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 328 f. 159 Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 325. 160 Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 329; Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 12.
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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discretion, we must now follow the directions of our promise“ – wie Pufendorf es formuliert.161 Die Gleichsetzung des Schuldvertrags mit der manuellen Übergabe einer Sache war die herrschende Meinung der Naturrechtsschule.162 Sie war so gefestigt, dass sogar angenommen wurde, dass der Konsens allein eine eigentumsübertragende Wirkung hatte.163 Diese Idee wurde in den Code Civil aufgenommen, obwohl Domat und Pothier, Naturrechtslehrer und intellektuelle Väter dieser Kodifizierung, gegen eine solche Auslegung des Schuldvertrags waren.164 Mit anderen Worten, die materielle Übertragung der Gegenstände verlor im Code Napoléon durch die Willensvereinbarung an Bedeutung (siehe z. B. Art. 711, 1138 a. F. bzw. 1196 n. F. und 1196 Code Civil).165 Diese Position der Naturrechtslehre stützte sich jedoch auf einen Zirkelschluss (circulus in probando).166 Grotius akzeptierte bei der Analyse des Übertragungsmodus des Eigentums, dass diese Übertragung durch bloßen Willen, also vor der Übergabe der Sache, erfolge.167 Trotzdem bezog er sich bei dieser Erklärung auf das Funktionieren der Versprechen168 und verglich diese mit der Veräußerung von Ge-
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Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. V, § 7. Vgl. Guzmán Brito, Revista Chilena de Derecho 2015, N8 1, 329, 334 f. 163 So Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel VI, unter I f., Kapitel VIII, unter XXV, Kapitel XII, unter XV; Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book IV, Ch. 9, §§ 5 f. und 8; Thomasius, Institutiones Iurisprudentiae Divinae, L. II Cap. 10, §§ 161 f. (S. 305); auch C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 314, 316 f., 320. Vgl. aber Rampelberg, RHFD 1998, 49, 57, wer suggeriert, dass dies eine Mindermeinung innerhalb der Naturrechtsschule gewesen sei. Pothier, Traité du droit du domaine, de propriété, Partie I, Chapitre II, Section IV, IV, § 245, S. 267, wer gegen die Eigentumsrechtsübertragung durch den schlichten Konsens war, erkennt dagegen an, dass eine solche Einsicht viele Anhänger hatte: „Nonobstant ces raisons, Grotius et plusieurs autres, qui ont écrit sur le droit naturel, prétendent que ce principe du droit romain, que le domaine des choses ne peut passer d’une personne à une autre que par la tradition, n’est point pris dans la nature; que c’est un principe de droit purement positif (…).“ 164 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, Section II, IX, S. 118 und Section II, XIV f., S. 175 f.; Pothier, Traité du droit du domaine, de propriété, Partie I, Chapitre II, Section IV, IV, § 245 f., S. 266 f.; derselbe, Traité des obligations, Tz. 151. Diese Position wurde von A. Smith übernommen. Nach den Mitschriften seiner Lectures on Jurisprudence sei das Folgende zur freiwilligen Eigentumsübertragung notwendig: „1st, a declaration of the intention both of the person who transferrs and of him to whom it is transferr’d. 2d, the actual delivery of the thing.“ Das angenommene Versprechen reiche dann nicht aus, um das Eigentum zu übertragen. A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 169 f.; vgl. auch dasselbe Werk, Report of 1762 – 3, Monday.January.17.1763, Rn. 1 ff. 165 Zur Kodifizierung dieses Prinzips in Frankreich Rampelberg, RHFD 1998, 49, 56 ff. Vgl. auch dazu Guzmán Brito, Revista Chilena de Derecho 2015, N8 1, 335 f. 166 Vgl. dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 329 ff., 337, 340, 343 ff. 167 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel VI, unter I f. 168 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel VI, unter II. 162
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genständen.169 Er erklärte demgemäß nicht den Übertragungsmechanismus. Er nahm ihn als selbstverständlich hin. Dieser logische Konflikt wurde von Kant überwunden.170 Er ging von der Naturrechtsdoktrin aus, verstand aber die Übertragung von Sachen und Krediten als Unterart des Vertrages.171 Dieser war der „Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, wodurch überhaupt das Seine des einen auf den anderen übergeht.“172 Diese Idee des gemeinsamen Willens wurde durch die Gegenüberstellung des Vertrages mit dem Erwerb von Gegenständen ohne Eigentümer (res vacua) begründet.173 Letzterer sei, so Kant, ein originärer Erwerb, der Vertrag sei hingegen eine Art des derivativen Erwerbs.174 Er unterliege dem Gesetz der Stetigkeit (lex continui), nach welchem der Besitz über die Willkür des anderen (die versprochene Leistung) zu keinem Augenblick unterbrochen werde.175 Der Versprechende gebe einen Besitz (das Versprochene) zum Vorteil des Annehmenden nicht auf und entsage auch nicht einem eigenen Recht.176 Die Willen der Vertragspartner würden sich vereinigen, damit ihr vereinigter Wille das Versprochene übertrage.177 Im Vertrag gehöre der Besitz für einen Moment zwei Personen zusammen, es sei also ein gemeinsamer Willensakt.178 Hierbei erstrebt Kant zwar, vom empirischen Vereinbarungsabschluss zu abstrahieren und betrachtet diesen Besitz als intelligiblen Besitz (possessio noumenon).179 Bei der Entwicklung dieser Beschreibung verweist er dennoch auf das pactum re initum, das heißt eine Vereinbarung, auf die unmittelbar die Sachenübergabe folgt.180 Daher wird die Idee des gemeinsamen Willens aus einem Vergleich mit der manuellen Übertragung eines physischen Objekts übernommen: Wenn beispielsweise eine Hand ein Buch zu einer anderen bringt, damit 169
Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. Hierzu Dedek, CJLJ 2012, 313, 337 ff. 171 So Dedek, CJLJ 2012, 313, 337 ff., 345 f. 172 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75 (Hervorhebung durch Verfasser). 173 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75, § 20, S. 78. 174 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 175 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 176 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 177 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 178 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 179 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 19, S. 76. Vgl. dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 342 f.; auch Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 60 f.; Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 155 ff.; Püls, Parteiautonomie, S. 28, 30. 180 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 4, S. 50, § 19, S. 76, § 21, S. 79. 170
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letztere es nimmt, gibt es einen Augenblick, in dem das Objekt von beiden besessen wird. Die Leistung nach dem kantischen Schuldvertrag kann ihrerseits aus einem Tun, Nichtstun oder Geben einer Sache bestehen.181 Die dinglichen Rechte über letztere werden in diesem Vertragsmodell, anders als bei der herrschenden Naturrechtslehre und beim Code Civil, bis zu dessen Übergabe nicht erworben.182 Hier gilt das Trennungsprinzip.183 Danach ist neben dem Schuldgeschäft ein weiterer Vertrag erforderlich, durch den das dingliche Eigentumsrecht übertragen wird.184 Zuvor erzeuge gemäß Kant der Schuldvertrag nur einen Kredit.185 Dieser wurde von dem rationalistischen Philosophen, ähnlich der Naturrechtstheorie, als Besitz einer zukünftigen Handlung eines anderen konzipiert.186 Dieser Besitz könne Kant zufolge im Gegensatz zu dem, was eine Sache betrifft, nur vertraglich erworben werden, ansonsten stände er, wenn er ursprünglich erworben würde, der Freiheit des Verpflichteten entgegen.187 Seine Übertragung beinhalte das Recht darauf, dass eine bestimmte Person das Versprochene (praestatio) leiste188 : „Verspricht einer, so giebt er dem andern die Freiheit, nach seinem Versprechen sich zu richten.“189 Für den Fall, dass das Versprochene eine Sache sei, werde die Macht erworben, ihre Übergabe durch den Versprechenden zu verlangen.190 Dank diesem Besitz der zukünftigen Handlung eines anderen sei der Gläubiger vermögender.191 181
Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 78. Siehe zur Diskussion über die Ausdehnung des kantischen Schuldvertragsbegriffs 2. Kapitel, unter E. I. 182 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 78 f. 183 Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 114: „Recognition of the fact that two distinct legal relations are involved in an agreement to transfer an object from one party to another is what can be called the principle of separation.“ 184 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 79. 185 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 77. Vgl. dazu Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2510. 186 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 74: „Der Besitz der Willkür eines anderen, als Vermögen sie durch die meine nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen Tat zu bestimmen, (das äußere Mein und Dein in Ansehung der Kausalität eines anderen) ist ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen ebendieselbe Person oder gegen andere haben kann).“ (Siehe auch dasselbe Werk, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 4, S. 50). Vgl. dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 337, 341. 187 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. 188 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20 f., S. 77 ff. 189 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1350, Rn. 64. 190 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 77 f. Vgl. dazu Dedek, CJLJ 2012, 313, 339; auch Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 117; Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2510 f.
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Die konzeptuellen Elemente der kantischen Vertragstheorie wurden später von der Historischen Rechtsschule aufgenommen.192 Savigny, der Gründer dieser Schule, stellte den Vertrag als Willensvereinigung mit dem Zweck der Herbeiführung von Rechtsfolgen dar.193 Diese Folgen könnten dinglich oder persönlich sein.194 Die erste Folge ergäbe sich, wenn die Willensvereinbarung Handlungen wie die Übergabe eines Buches zum Gegenstand habe, um den Empfänger zum Eigentümer zu machen.195 Diese Art des Vertrags, die von Savigny als dinglich bezeichnet wurde196, wurde in das BGB übernommen (vgl. Lehre zu § 929 BGB).197 Diesen Verträgen gehe in der Regel eine andere Vereinbarung, eine verbindliche Vereinbarung wie ein Kaufvertrag, voraus.198 Laut Savigny sei der Schuldvertrag der häufigste unter allen und derjenige gewesen, in dessen Anwendung die Vertragsnatur am deutlichsten und am wirksamsten hervorgetreten sei.199 Er habe als Gegenstand Verpflichtungen und habe deshalb nur persönliche Folgen.200 Diese Schuldverhältnisse würden den „Verkehr“ bilden201 und in den meisten Fällen darauf abzielen, durch fremde Handlung ein dingliches Recht oder dessen Ausübung und dessen Genuss zu erlangen.202 Diese Konzeptualisierung eines vom Sachlichen getrennten Schuldvertrages wurde auch im BGB eingeführt (vgl. Lehre zu §§ 241 I i. V. m. 311 BGB).203 191
Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 77. (Vgl. auch dasselbe Werk, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 4, S. 50). 192 So Dedek, CJLJ 2012, 313, 346; vgl. ferner Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 113, 120 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 31. 193 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 309. 194 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 87 f. 195 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 312. 196 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 313: „Man könnte (…) alle diese Fälle als dingliche Verträge bezeichnen.“ 197 Vgl. Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 116 und Fn. 11; ferner Brox/W.-D. Walker, AT, § 5, Rn. 2 ff.; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 15 f. Siehe auch 2. Kapitel, unter E. II. 198 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 313. 199 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 314 f. 200 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 312. 201 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 369. 202 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 372. 203 Vgl. Brox/W.-D. Walker, AT, § 4, Rn. 8, § 5, Rn. 1; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 17 f. Siehe 2. Kapitel, unter E. II. In Anlehnung an das kantische Trennungsprinzip legt Savigny außerdem die Grundlagen für das Abstraktionsprinzip: das Totem der deutschen Rechtskultur. Nach diesem Prinzip muss die Gültigkeit des Übertragungsvertrages unabhängig – abstrakt – von der Gültigkeit des Schuldvertrages bestimmt werden (vgl. Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 113, 115 f., 120 f.; ferner Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 27, 65 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 239 und dort auch Fn. 45, 867). Dabei argumentiert Savigny, Das Obligationenrecht, B. II, S. 256 ff., dass es gültige Übertragungen gebe, bei denen man keine bereits bestehende Verpflichtung finde. Er spricht als Beispiel eine manuelle Spende auf der Straße an oder den Fall, dass jemand einen anderen bitte, ihm Geld zu leihen, und das Geld ohne vorherige Einigung übertragen werde. Bei diesen Geschäften werde die Übertragung der Rechte an der Sache oder dem Geld nicht durch eine vorherige Schuld gerechtfertigt, sondern durch die
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Was die Obligation anbelangt, so definierte Savigny sie – ähnlich wie Kant – als die „Herrschaft über eine einzelne Handlung der fremden Person“204 und hielt fest, dass sie, ebenso wie das Eigentum, das Vermögen der Gläubiger erweitere.205 Aus diesem Grund kann mit dem gegenseitigen Schuldvertrag der kantischen und der savignyanischen Theorie – genauso wie es Grotius postulierte – auch ein Freiheitspartikel (etwas wie eine Materie) übertragen werden.206 Dieses Rechtsgeschäft kann also, obwohl es strikt von der sofortigen, physischen Übertragung unterschieden wird, in Anlehnung an den manuellen Austausch als sofortiger Austausch von Herrschaft über zukünftige Handlungen dekonstruiert werden.207 Nicht zuletzt kann die bestehende Schuld im Schuldvertrag der Marktwirtschaft zudem aus rein materieller Sicht als noch nicht komplett durchgesetzter Austausch konzipiert werden.208
III. Der Grundsatz pacta sunt servanda als Voraussetzung der Marktwirtschaft Die in diesem Abschnitt beschriebene Gesellschaft stützt sich wie erwähnt auf einen wettbewerbsorientierten Markt sowie seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Deshalb setzt sie zum ordnungsgemäßen Funktionieren die Einrichtung eines Systems von Belohnungen und Sanktionen voraus.209 Dies scheint mit dem liberalen Lieferung der Sache selbst und die Willensvereinigung der Parteien. Dementsprechend bestimmt das Abstraktionsprinzip, dass der Übertragungsvertrag auch gültig ist, wenn es einen nichtigen vorherigen Schuldvertrag zwischen den Parteien gibt. Dieser Idee folgt das BGB zur Unterstützung der Rechtsverkehrssicherheit (z. B. §§ 433, 929 BGB). Vgl. dazu Byrd, Kant’s Theory of Contract, S. 111, 116 und dort auch Fn. 11; zudem Brox/W.-D. Walker, AT, § 5, Rn. 16 ff.; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 78; Wörlen/Metzler-Müller, BGB AT, S. 148; Zimmermann, Law of Obligations, S. 239, 271, 834. 204 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 339; vgl. derselbe, Das Obligationenrecht, B. I, S. 4: Die „Obligation (…) besteht in der Herrschaft über eine fremde Person; jedoch nicht über diese Person in Ganzen (wodurch deren Persönlichkeit aufgehoben seyn würde), sondern über einzelne Handlungen derselben, die als aus ihrer Freiheit ausscheidend, und unserm Willen unterworfen, gedacht werden müssen.“ 205 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 339 f., 344, 367; vgl. derselbe, Das Obligationenrecht, B. I, S. 4 f. 206 Vgl. auch G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 46 und dort Fn. 5, demnach die savignyanische Auffassung vom Wesen der obligatio als einer „Herrschaft über eine Handlung“ des Schuldners auf dem Boden der Naturrechtslehre über das Versprechen als Freiheitstückveräußerung stehe. 207 Ähnlich bezüglich des savignianischen Vertragsmodells Dedek, CJLJ 2012, 313, 329; vgl. ferner dazu Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 22. 208 Graeber, Debt, S. 121: „A debt, then, is just an exchange that has not been brought to completion.“ 209 Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 331; ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 283. In diese Richtung auch Polanyi, The Great Transformation, S. 69.
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Prinzip der Nichteinmischung zu kollidieren. Diese Maxime zielt jedoch nur darauf ab, die Verletzung der Privatsphäre, nicht den Schutz und die Gewährleistung des selbstkorrigierenden Marktmechanismus zu verhindern.210 Die Grundlage dieser Anforderung der liberalen Marktgesellschaft liegt in der wirtschaftlichen Freiheit selbst. Denn wenn die Freiheit der Individuen wegen der Vermutung ihres rationalen Verhaltens respektiert wird, ist ein Mechanismus notwendig, um die Menschen davon zu überzeugen, dass eine solche Handlungsart sich lohnt.211 Dieser Mechanismus sollte sicherstellen, dass jeder Einzelne die positiven und negativen Folgen seiner Entscheidungen trägt.212 In Übereinstimmung damit drückt Jeremy Bentham (1748 – 1832), der Vater des Utilitarismus, eine Doktrin, die eng mit dem wirtschaftlichen Liberalismus verbunden ist213, aus: „La loi ne dit pas à l’homme: Travaille et je te récompenserai; mais elle lui dit: Travaille, et les fruit de ton travail, cette récompense naturelle et suffisante que sans moi tu ne pourrais conserver, je t’en assurerai la jouissance, en arrêtant la main qui voudrait les ravir.“214
Auf dem Gebiet des Vertrages wird der erforderliche Mechanismus zur Gewährleistung der Gewinne und Verluste der individuell getroffenen Entscheidungen im Allgemeinen durch die Nichtänderung des erfüllten Vertrags dargestellt.215 Dies friert die Vor- und Nachteile eines vergangenen Austausches ein und unterstützt somit rationelles Handeln, da derjenige, der von diesem Geschäft profitiert hat, dazu neigen wird, bei seinen nächsten Marktaktivitäten dasselbe zu tun. Wer hingegen 210
Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 329; Ingham, Capitalism, S. 190. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 139 f. Dazu auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 257; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 15. Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 20: „(…) we have market incentives and punishments to keep us on track.“ Vgl. Posner, Economic analysis of law, S. 4; Stark, Law for Sale, S. 149 f. In diese Richtung ferner Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217: „Und wenn der Gesetzgeber beispielweise den Verkäufer einer Sache für deren Mangelhaftigkeit haften lässt (§§ 434 ff. BGB), dann geht es ihm nicht nur um Kompensation bei Vorliegen eines Mangels. Angestrebt wird vielmehr zumindest auch, dass diese Haftung das Verkäuferverhalten allgemein in die gewünschte Richtung – die Lieferung einer mangelfreien Kaufsache – lenken wird.“ 212 Hayek, The Constitution of Liberty, S. 139. 213 Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 292; Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 69. 214 Bentham, Traités de législation, Vol 1, S. 194 (Hervorhebung im Original). Ähnlich A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 210: „Law and government, too, seem to propose no other object but this, they secure the individual who has enlarged his property, that he may peaceably enjoy the fruits of it.“ Vgl. dazu auch Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 137 f. 215 Diesbezüglich Bentham, Traités de législation, Vol 1, S. 298 f.: „Les cas ordinaire est que la chose vaille ce qu’elle vaut. L’avantage total des échanges avantageux est plus qu’équivalent au désavantage total des marchés défavorables. Les gains du commerce sont plus grands que les pertes (…). Les aliénations en général doivent donc être maintenues. Mais annuler les aliénations pout des pertes accidentelles, ce serait interdire en général les aliénations, car personne ne voudrait vendre, personne ne voudrait acheter, si le marché pouvait à tout moment se trouver nul, au moyen de quelque évènement subséquent qu’il serait impossible de prévenir ni de prévoir.“ Ähnlich Posner, Economic analysis of law, S. 7. 211
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nach einer Ex-post-Analyse Austauschverluste erlitten hat, wird in seinen weiteren Verträgen mithilfe seiner Fähigkeit zum Vorhersehen und zum Lernen die ZweckMittel-Relation überprüfen, die zwischen seinem verfügbaren Kapital, seiner Präferenzen und dem Preis der angebotenen Waren, Dienstleistungen oder Produktionsfaktoren bestand.216 Was insbesondere den Schuldvertrag betrifft, so kommt das System von Preisen und Sanktionen grundsätzlich mit dem Prinzip pacta sunt servanda zum Ausdruck.217 Diese vertragliche Maxime garantiert nämlich, dass die vertragliche Verpflichtung in Zukunft erfüllt wird. Tatsächlich ist die Vertragsfreiheit Teil der individuellen wirtschaftlichen Freiheit218, die daraus resultierende Vertragstreue Teil des vom Markt vorausgesetzten Systems von Belohnungen und Sanktionen.219 Die Vertragstreue sorgt dafür, dass das, was für die Zukunft vereinbart wurde, eingehalten wird, unabhängig davon, ob dies zum Zeitpunkt der Erfüllung des Vereinbarten rational oder irrational erscheint. Auf diese Weise wird, wie bei der Nichtänderung von Verträgen, der Abschluss von Einigungen mit vernünftigem Inhalt gefördert. Derjenige, dessen vertragliche Wahl seinen Bedürfnissen entsprach, wird in gleicher Weise bei einer anderen Gelegenheit wählen. Derjenige, der eine nachteilige Vereinbarung getroffen hat, wird im Gegenteil versuchen, in seinen nächsten Geschäften die hergestellte Zweck-Mittel-Relation zu verändern. Zusammen mit der Optimierung des selbstkorrigierenden Marktmechanismus fördert die Gewährleistung der Vertragsbindung auch komplexe und umfangreiche Investitionen. Denn der homo oeconomicus der Marktgesellschaft beschränkt sich 216
Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 139. Hachem, FS Schwenzer (2011), S. 647 ff., nimmt zwar an, dass sich der Grundsatz pacta sunt servanda in den Rechtsordnungen des Civil Law über die Moral und die Ökonomie berechtigen lässt. Er behauptet aber in Anlehnung an das Common Law, dass die Ökonomie eher gegen die Erfüllung des Vertrags in natura und für die sogenannte efficient breach of contract doctrine spreche. Vgl. dazu Posner, Economic analysis of law, S. 130 f.; ferner H.-B. Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 504 ff. Kritisch zu dieser Konzeption Weller, Die Vertragstreue, S. 347 f., 360 ff., der zutreffend u. a. hervorhebt, dass die ökonomische Effizienz vielmehr für das Naturalerfüllungsprinzip spreche, weil es insgesamt ein nutzensteigerndes Verhalten der Teilnehmer des Marktes fördere. Vgl. auch gegen die efficient breach of contract doctrine Supiot, Homo juridicus, S. 174 f., nachdem das gegebene Wort nach einer solchen Lehre keinen Wert habe. 218 In diese Richtung Hayek, The Constitution of Liberty, S. 339. Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217: „So basiert etwa die Einräumung von Vertragsfreiheit im Schuldrecht (vgl. § 311 Abs. 1 BGB) auf der Annahme, dass wir willens und in der Lage sind, unsere Privatrechtsverhältnisse eigenverantwortlich zu gestalten.“ 219 Hayek, The Constitution of Liberty, S. 338: „If there is to be an efficient adjustment of the different activities in the market, certain minimum requirements must be met; the more important of these are (…) the prevention of violence and fraud, the protection of property and the enforcement of contracts, and the recognition of equal rights of all individuals to produce in whatever quantities and sell at whatever prices they choose.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. auch Gandur, Microeconomía, S. 31 f., nach wem wesentliche Staatsfunktionen der Schutz des Privateigentums und die Vollstreckung von Verträgen sind. 217
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nicht nur auf „buy cheaply and sell dearly“, sondern dieser Akteur achtet auch bei der Berechnung seines Geschäfts darauf, ob es ein stabiles System gibt, bei dem „one can expect to collect one’s debts and to find one’s shop intact in the morning.“220 Das heißt, er will beim Verhandeln die Sicherheit haben, dass die vertragliche Schuld in Zukunft erfüllt werden kann. Ausgehend von dieser Gewissheit kann man bestehende Kredite verwalten sowie in anderen verketteten Geschäftsaktivitäten virtuell verwenden und so den Austauschfluss und die damit verbundene Produktivität fördern.221 Als Beispiel dafür kann man in simplifizierter Weise die innere Funktion eines Restaurants und seine äußeren Auswirkungen nennen: Ein Mensch reserviert das Restaurant und gibt für eine große Anzahl von Gästen für den folgenden Samstag ein spezielles Menü in Auftrag. In Anbetracht dessen bestellt der Gaststättenbetreiber Lebensmittel bei seinen Lieferanten und stellt sicher, dass seine Mitarbeiter, Köche und Kellner am Samstag im Dienst sind. Er weiß, dass der Kunde in Zukunft unbedingt bezahlen wird. Diese Zahlung dient ihm dann dazu, seinen Lieferanten, Mitarbeitern und Vermietern die zuvor vereinbarten Preise, Gehälter bzw. die Gebäudemiete zu bezahlen. Die letztgenannten Subjekte werden auch die zukünftigen Zahlungen zum Erfüllen ihrer mit Dritten noch ausstehenden Verbindlichkeiten nutzen. Lieferanten, Mitarbeiter und Vermieter werden Löhne an ihre Mitarbeiter zahlen und ihre Mieten bzw. Zinsendarlehen tilgen. Diese Kette der virtuellen Verfügung über Kredite wird sukzessive fortgesetzt.222 Die Maxime pacta sunt servanda erleichtert infolgedessen die Geschäftsplanung.223 In diesem Zusammenhang argumentierte A. Smith: „Commerce and manufactures can seldom flourish long in any state which does not enjoy a regular administration of justice, in which the people do not feel themselves secure in the possession of their property, in which the faith of contracts is not supported by law, and in which the authority of the state is not supposed to be regularly employed in enforcing the payment of debts from all those who are able to pay.“224
Diese letzte Funktion der Vertragstreue lässt sich besonders deutlich im Projekt „Doing Business“ der Weltbank erkennen. Dieses Projekt wurde im Jahr 2002 eingeführt und seine Ergebnisse werden seit 2004 jährlich veröffentlicht. Es handelt sich um einen Bericht, der derzeit 190 verschiedene Rechtsordnungen (auch europäische) nach ihrer wirtschaftlichen Effizienz und ihrer Handelsattraktivität be220 Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 86: „The notion of ,economic man‘ (…) who not only seeks to buy cheaply and sell dearly but who plans his production to meet the conditions of a market – involves the idea of productive life in a relatively stable system within which certain rules apply so that one can expect to collect one’s debts and to find one’s shop intact in the morning.“ 221 Ähnlich Hachem, FS Schwenzer (2011), S. 647, 648. 222 Umformuliertes und vergrößertes Beispiel aus Seligman/Tierney, We Aren’t Built to Live in the Moment, in: New York Times, 19.5.2017, wobei aber um die menschliche Prospektierungsfähigkeit geht. 223 Horn, AcP 1976, 307, 319. 224 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 330 (Hervorhebung durch Verfasser).
B. Das wirtschaftliche Postulat des Vertrages: Der homo oeconomicus
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wertet.225 Zu den Themen dieser Berichte gehört „Enforcing Contracts.“226 Hierbei berücksichtigt man unter anderem den Zeit- und Kostenaufwand für die Beilegung einer Handelsstreitsache vor einem Gericht in erster Instanz sowie die Frage, ob das Justizsystem eine Reihe von „guten Praktiken“ – zum Beispiel die Implementierung von spezialisierten Handelsgerichten – befolgt, um die Qualität und Effizienz der Justitiabilität zu unterstützen. Alle bewerteten Items werden in Kardinalzahlen zum Erleichtern einer rationalen Analyse dargeboten.227 Um die Einhaltung der „guten Praktiken“ zu bewerten, verwendet man deshalb einen Qualitätsindex des Gerichtsverfahrens in einem Bereich von 0 bis 18. So benötigt man in Deutschland nach dem letzten Bericht des Jahres 2019 im Standardfall 499 Tage für die Vertragserfüllung ab dem Zeitpunkt, an dem sich eine Vertragspartei zur Klage entschließt, bis zur Zahlung. Dieser Prozess kostet 14.4 % des Klagewertes, was Gerichtsgebühren, Vollstreckungskosten und Anwaltskosten beinhaltet. Und schließlich wird für Deutschland ein Qualitätsindex des Gerichtsverfahrens von 12.5 geschätzt.228 In Frankreich werden hingegen für einen ähnlichen Vertragskonflikt 447 Tage für seine Lösung berechnet und zwar zum Preis von 17.4 % des Klagewertes und mit einem Qualitätsindex des Gerichtsverfahrens von 12.0.229 Angesichts dieser Daten weiß beispielweise eine Investorin, die aufgrund der vertragsrechtlichen Aspekte zwischen der Gründung ihrer Unternehmensorganisation in Deutschland oder in Frankreich schwankt, dass die Durchsetzung der Vertragsbindung in Deutschland langsamer als in Frankreich geschieht, aber durch ein Justizsystem mit mehr Fachpraktiken sowie mit niedrigeren Kosten zu erreichen ist. Es liegt an ihr, eine Zweck-Mittel-Relation entsprechend ihrer Präferenzen für Zeit oder für spezialisierte Praktiken und Kosten der Erfüllungsgewährleistung des vertraglichen Vereinbarten herzustellen. Aus dem Vorgenannten lässt sich also ableiten, dass die Wechselbezüglichkeit zwischen Vertragsfreiheit und der Maxime pacta sunt servanda „Grundbedingung funktionierender Märkte“230 ist.
225
Dazu Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 52 f. Siehe http://www.doingbusiness.org/en/data/exploretopics/enforcing-contracts (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 227 Zur Methodologie der Studie http://www.doingbusiness.org/en/methodology/enforcingcontracts (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 228 http://www.doingbusiness.org/en/data/exploreeconomies/germany#DB_ec (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 229 http://www.doingbusiness.org/en/data/exploreeconomies/france#DB_ec (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 230 Bruns, JZ 2007, 385, 386. Ähnlich H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428, wer behaupten, dass „das Vertragsrecht in einem System der Vertragsfreiheit sozusagen ein ,Schmiermittel der Wirtschaft‘“ darstelle. 226
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht: Ist der lukrative Schuldvertrag ein vorstaatliches Phänomen? Aus den vorigen Abschnitten geht hervor, dass die ethische Willensfreiheit und die wirtschaftliche Freiheit des Menschen grundlegende außerrechtliche Voraussetzungen des lukrativen Schuldvertrages sind.231 Ohne die menschliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum lukrativen Austausch wäre die Konzeption des modernen Konsensualvertrages, die in ihrem jetzigen Kern bereits von der Naturrechtsschule entwickelt wurde, nicht denkbar.232 Denn wenn es einerseits keine Willensfreiheit gäbe, könnte kein Partikel davon übertragen werden. Es gäbe weder einen bindenden Willen noch die Möglichkeit des Konsenses als Willensübereinstimmung und die Vertragsbindung könnte deshalb nicht entstehen.233 Und andererseits, wenn die Fähigkeit des Menschen zum Austausch fehlen würde, könnte der Vertrag die ihm von Pufendorf234 und Domat235 zugewiesene Funktion nicht erfüllen, Mittel der Zusammenarbeit zur Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse zu sein. Pufendorf behauptete in seinem „De Iure Naturae et Gentium“ (1672) beim Betrachten des Vertragsgrunds und der Grenzen der Wohltätigkeit: „And so, if mutual offices, the real fruit of humanity, are to be practised more frequently between men, and by a kind of set rule, it was necessary for men themselves to agree among themselves on the mutual rendering of such services (…). Therefore, it had to be determined beforehand what one should do for another, and what he should in his turn expect from another, and demand on his own right.“236
Laut Domat nutzen die Menschen den gegenseitigen Vertrag, um sich mit fast allem zu versorgen:
231 In diese Richtung Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 86: „A legal system presupposes freedom of the will.“ 232 Siehe 2. Kapitel, unter D. 233 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51, 53; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29, 35. Vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 161: „Die Fähigkeit, sich zu ,binden‘, ist eine moralische Qualität der Person, ohne die ein ,Sichvertragen‘ im Rechtsverkehr überhaupt nicht möglich wäre.“ 234 Zur Konzeptualisierung des Vertrags von Pufendorf siehe 2. Kapitel, unter D. I. 2. und II. 2. 235 Zur Konzeptualisierung des Vertrags von Domat siehe 2. Kapitel, unter D. I. 5. und II. 5. 236 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 1 (Hervorhebung im Original). Dazu auch derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 (S. 86): „Damit also die zwischenmenschlichen Pflichten, die eine Folge des Zusammenlebens in der Gesellschaft sind, um so regelmäßiger und nach festen Normen erfüllt werden, ist es notwendig, daß die Menschen Verträge miteinander abschließen über den Austausch von gegenseitigen Leistungen, die sie allein nach dem Gesetz der Menschlichkeit sich nicht einseitig von anderen versprechen lassen können.“ Vgl. dazu Wieacker, FS Hanz Welzel (1974), S. 7, 14; ferner Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 30; HKK/Thier, § 311 I, Rn. 19; Nanz, Vertragsbegriff, S. 150 f.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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„Ainsi, pour l’usage de l’industrie, & du travail, les hommes s’associent, se loüent, & agissent diferemment les uns pour les autres. Ainsi, pour l’usage des choses, lors qu’ils ont besoin de les acquerir, ou de s’en désaire, ils en sont commerce par des ventes, & par des échanges; & lors qu’ils n’ont besoin de les avoir que pour un temps, ils les loüent, ou les empruntent.“237
In Anlehnung unter anderem an diese vorstaatsrechtlichen Fähigkeiten des Menschen zur Selbstbestimmung und zum Austauschen argumentieren gewisse Doktrinen, in Übereinstimmung mit dem Vertragswesen, dass die Bindungskraft der gegenseitigen Willensvereinbarungen auch einen vorstaatlichen Ursprung besitze.238 Sie benötige für ihre Existenz keine zusätzliche Anerkennung durch den Staat (dazu unter II.). Die Rechtsordnung habe nur eine ergänzende Funktion hinsichtlich des Vertrages (dazu unter III.). Aufgrund der besonderen Relevanz der sogenannten aprioristischen Rechtstheorie239 in dieser Diskussion wurden diese Positionen in jüngster Zeit in der Rechtslehre als aprioristische Thesen bezeichnet.240 Allerdings stützen sich nicht alle Lehren, die die vorstaatliche Existenz des Vertrages postulieren, auf diese Theorie (dazu unter IV.). Aus diesem Grund ist es in diesem Text vorzugswürdig, diese Doktrinen unter dem Namen der vorstaatlichen Vertragstheorien zu subsumieren (dazu unter I.).
I. Terminologische Klärung: Vorstaatliche Vertragstheorie statt aprioristischer Vertragslehre Die Theorien, die die vorstaatliche Existenz des Vertrags postulieren, werden, wie gerade erwähnt, von der Rechtsdogmatik als aprioristische Lehre bezeichnet.241 Dies ist auf den Einfluss der gleichnamigen Doktrin des deutschen Rechtsphilosophen Adolf Reinach (1883 – 1917) auf diese Thematik im letzten Jahrhundert zurückzuführen. 237 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, Introduction, S. 61 f. 238 Als Vertreter dieser Lehren könnte man u. a. folgende Autoren anführen: A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 ff.; Buddeberg, AöR 1925, 85, 109 ff.; Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3 ff.; G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 32, 38 ff.; H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 f.; Hillgruber, ARSP 1999, 348, 350 ff.; derselbe, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 169; Larenz, Richtiges Recht, S. 57 ff.; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 14; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158 ff.; Posner, Economic analysis of law, S. 93 f. (auch dort Fn. § 4.1. 1); Püls, Parteiautonomie, S. 38 ff.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 608 ff.; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 442 ff. 239 Zu dieser Theorie Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes; auch C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 11 f.; Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 2 ff.; Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 77 ff. 240 So z. B. Stöhr, AcP 2014, 425, 442 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 160 ff. 241 So z. B. Stöhr, AcP 2014, 425, 442 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 160 ff.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Der Ausdruck „a priori“ im allgemeinsten Sinne bedeutet, was vorher ist, was vor etwas liegt.242 In der Philosophie nahm der Begriff seit der Neuzeit eine grundlegende Bedeutung an, als das Wissensproblem die Frage nach dem Sein aus dem Zentrum der Debatte verdrängte.243 So ist die Äußerung „a priori“ in der Erkenntnistheorie ein Grundbegriff, der sich darauf bezieht, was für die Produktion eines bestimmten Wissens vorausgesetzt wird und unerlässlich ist.244 Dabei ist das Aprioristische, was unabhängig von der Erfahrung und selbst gerechtfertigt ist245, was notwendig und universell ist.246 Das a posteriori wird dagegen aus der Erfahrung entnommen247 und ist kontingent und relativ.248 Beispielweise ist von den folgenden Sätzen nur a ein Wissen, das a priori gerechtfertigt ist, während Satz b a posteriori gerechtfertigt wäre, falls er überprüft würde: „a. All bachelors are unmarried. b. All bachelors in the U.S. are taxed at a different rate from married men.“249
Das Konzept Apriori kann außerdem in einem subjektiven und in einem objektiven Sinne verstanden werden. Das subjektive Apriori verweist darauf, was vom kognitiven, transzendentalen, nicht-empirischen oder individuellen Subjekt vorausgesetzt wird und was von diesem Subjekt ausgeht.250 Dieses Apriori wirkt dann im Wissen, bevor die kognitive Aktivität beginnt.251 Es bedingt auf formal logische Weise das Material, welches der Mensch durch seine Sinne wahrnimmt.252 Das objektive Apriori bezieht sich hingegen auf die universellen und notwendigen Essenzen, die unmittelbar und intuitiv aus empirischen Objekten gewonnen werden.253 Dieses Apriori bedingt die Kenntnis dieser konkret vorhandenen Objekte, aber nicht aus dem transzendentalen Subjekt, sondern aus dem Wesen der Objekte254 und damit auch auf materielle Weise.255 Der erste Sinn von Apriori entspricht der Idee des 242 Vgl. Duden, Wörterbuch, Stichwort „a priori“: „(bildungssprachlich) von vornherein; grundsätzlich; ohne weitere Beweise.“ 243 Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „A priori.“ Vgl. auch Rojas Amandi, Dereito 2004, N8 2, 111, 114 f. 244 Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 245. 245 Vgl. Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 6 f.; Russel, A Priori Justification and Knowledge. 246 Vgl. Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „A priori.“ 247 Vgl. Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 7. 248 Ausführlich zu der Apriorität und der Aposteriorität in der Erkenntnislehre Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245 ff.; Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „A priori“; Russel, A Priori Justification and Knowledge. Überblick Weller, Die Vertragstreue, S. 160, Fn. 53. 249 Russel, A Priori Justification and Knowledge. 250 Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 245 f. 251 Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 245. 252 Vgl. G. Casas, Introducción a la Filosofía, S. 87. 253 Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 245. 254 Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 246. Vgl. zudem Hartmann, Ethik, S. 100. 255 Vgl. C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 9.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Apriori von Kant256, der zweite ähnelt dem von Edmund Husserl (1859 – 1938), dem Vater der Phänomenologie.257 Die Phänomenologie wurde ihrerseits als die ultimative Grundlage aller Wissenschaften konzipiert.258 Sie zielt darauf ab, die Sachen selbst in ihrem apriorischen Wesensgehalt zu erfassen259 : „Zu den Sachen selbst“260 – so lautet ihr Motto.261 Dazu wird die phänomenologische Reduktionsmethode verwendet. Diese Methode postuliert in allgemeiner Form, dass zum Erfassen des unmittelbaren, nackten Vorgegebenen die natürliche Welt eingeklammert werden solle und auf ontologische Behauptungen sowie auf Annahmen darüber verzichtet werden solle.262 Diese Konzeption über das Apriori der Phänomenologie ist von Reinach für die apriorische Rechtslehre übernommen worden.263 Dieser erste Schüler von
256 Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 44: „Unter apriorischen Grundlagen versteht der Kantianer Kategorien, Denkformen die als Bedingungen der Erkenntnis die Gegenstände der Erkenntnis im transzendentallogischen Sinne ermöglichen.“ Ähnlich auch Hartmann, Ethik, S. 104 f.: „Kant ist außerstande, ein A priori sich vorzustellen, das nicht in einer Funktion des Subjekts bestünde. Das scheinbar Einleuchtende daran ist dieses, daß apriorische Einsicht ja tatsächlich ohne Gegebenheit realer Einzelgegenstände besteht. Das eben ist ihre Apriorität.“ Vgl. dazu Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 246 ff.; G. Casas, Introducción a la Filosofía, S. 85 ff.; ferner Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichworte „A priori“ und „Kant.“ 257 Vgl. Derisi, Sapientia No 86 (1967), 245, 246, 251 ff.; G. Casas, Introducción a la Filosofía, S. 177 ff.; auch Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „A priori.“ In Bezug auf die Phänomenologie im Allgemeinen Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 44: „Ganz anders der Phänomenologe. Sein Ausgangspunkt ist nicht die Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis als solcher, ihn interessiert vielmehr die Frage nach den möglichen Inhalten der Erkenntnis. Inhalt der Erkenntnis ist weder der Erkenntnisakt, der psychologische Vorgang des Erkennens, noch der als bewusstseinstranszendent vorausgesetzte Gegenstand, auf den sich die Erkenntnis richtet – den sie ,intendiert‘ –, sondern die Bedeutung, der Sinn, der ,gemeinte Sachverhalt‘.“ 258 So Choi, Property and Legality in Edmund and Gerhart Husserl, 125; Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157. Auf die Phänomenologie bezieht sich Würtenberger, FS Gerhart Husserl (1969), S. VIII, als das „Prinzip aller Prinzipien der Philosophie.“ 259 Vgl. Böhler, Gerhart Husserl, S. 27, 30. 260 Dieser Ausdruck kommt aus der ersten Arbeit E. Husserls zur Phänomenologie, sein „Logische Untersuchungen“ aus den Jahren 1901 – 1902, in denen er sich mit der reinen Logik beschäftigt. Dabei behauptet er bezüglich des Ziels seiner Untersuchung: „Wir wollen uns schlechterdings nicht mit ,bloßen Worten‘, das ist mit einem bloß symbolischen Wortverständnis, zufrieden geben, wie wir es zunächst in unseren Reflexionen über den Sinn der in der reinen Logik aufgestellten Gesetze über ,Begriffe‘, ,Urteile‘, ,Wahrheiten‘ usw. mit ihren mannigfachen Besonderungen haben. Bedeutungen, die nur von entfernen, verschwommenen, uneigentlichen Anschauungen — wenn überhaupt von irgendwelchen — belebt sind, können uns nicht genug tun. Wir wollen auf die ,Sachen selbst‘ zurückgehen.“ E. Husserl, Logische Untersuchungen, Bd. 2, I. Teil, 2, S. 5 f. (Hervorhebung durch Verfasser). 261 Böhler, Gerhart Husserl, S. 27; Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 158; Würtenberger, FS Gerhart Husserl (1969), S. VIII. 262 Choi, Property and Legality in Edmund and Gerhart Husserl, S. 125, 127 f.; vgl. ferner Böhler, Gerhart Husserl, S. 31 ff. 263 Vgl. Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 8 ff.; Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 76, 78; Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 159.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
E. Husserl264 erklärt in seinem berühmten Werk „Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes“ aus dem Jahr 1913: „Von den rechtlichen Gebilden gelten apriorische Sätze. Diese Apriorität soll nichts Dunkles und Mystisches besagen, sie ist an den schlichten Tatsachen orientiert, die wir erwähnt haben: jeder Sachverhalt, der im angegebenen Sinne allgemein ist und notwendig besteht, wird von uns als ein apriorischer bezeichnet. Wir werden sehen, daß es eine reiche Fülle solcher apriorischer Sätze gibt, streng formulierbar und evident einsichtig, unabhängig von allem erfassenden Bewußtsein, unabhängig auch vor allen Dingen von jedem positiven Recht, genauso wie die rechtlichen Gebilde, von denen sie gelten.“265
Die aprioristische Rechtstheorie versteht das Recht daher als ein von selbst verständliches Phänomen, das unabhängig sei und sowohl dem Intellekt als auch der Rechtsordnung vorausgehe.266 Sie beschäftigt sich damit, die normativen Gebilde zu bezeichnen, die wie Zahlen und ihre Gesetze eine universelle Essenz und Gültigkeit hätten und auf deren Grundlage positive Rechtssysteme aufgebaut würden.267 Trotz ihrer Einordnung als aprioristische Theorien bestehen Doktrinen, die zwar die vorstaatliche Existenz der Vertragsvereinbarung verteidigen, aber nicht auf Reinachs juristische Lehre basieren. Dies ist beispielsweise bei der Natur- und Vernunftrechtsschule der Fall, die Alexander Stöhr als aprioristisch identifiziert hat.268 Dieser Gedankenstrom erklärt, ähnlich wie Reinach, doch lange vor der Entwicklung der phänomenologischen Philosophie und damit seiner aprioristischen These, dass es ein Recht vor dem positiven Recht gebe.269 Im Gegensatz zur Rechtsphänomenologie, wie Reinach selbst es ausdrückte270, sieht diese Theorie jedoch ein solches Recht als einen Ausdruck der Vernunft und der gemeinsamen Natur des Menschen an.271 Und dabei postuliert sie das Prinzip pacta sunt servanda
264 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 159. Zur Biographie von Reinach Dubois/B. Smith, Adolf Reinach; auch C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 7 f.; Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 5; Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 77. 265 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 144 (Hervorhebung durch Verfasser). 266 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 146. 267 Dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 143 ff.; auch C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 11 f.; Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 10; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 612, 614. Vgl. ferner Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 44 ff. 268 Stöhr, AcP 2014, 425, 443. 269 Siehe gleich 3. Kapitel, unter C. IV. 1. 270 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 271 ff., widmet nämlich der Unterscheidungen zwischen der Naturrechtslehre und der apriorischen Rechtslehre ein ganzes Kapitel: „Schluß – § 10. Die apriorische Rechtslehre und das Naturrecht.“ (S. 141, 271). Vgl. dazu aber C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1 ff., 16 f.; Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 15 ff.; die diese Unterscheidungen relativieren. 271 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 275 f. Siehe auch gleich 3. Kapitel, unter C. IV. 2.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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als ein „Gebot der Vernunft.“272 Die reinachsche Idee über das Apriori des Rechts weist nämlich nicht nur, wie oben angeführt, auf etwas hin, das dem positiven Recht vorausgehe, sondern auch dem Intellekt und der Vernunft.273 Des Weiteren machen einige Thesen, die sich tatsächlich auf der aprioristischen Rechtstheorie gründen, wiederum von fremden Argumenten Gebrauch. So stützt sich Karl Larenz (1903 – 1993), der als aprioristisch eingeordnet wurde274, zum Nachweis der vorstaatlichen Existenz des Schuldvertrags auf Reinachs Theorie275, aber auch auf die ethische Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung.276 Dieser letzte Wert der Willensfreiheit wird aus Hartmann übernommen.277 Dieser Philosoph ist, wie Reinach, ein Phänomenologe.278 Er beschäftigt sich allerdings mit der Apriorität der Ethik, nicht mit der der Rechtsbegriffe.279 Deswegen sind seine Analysen, wie die über die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, denen Reinachs fremd.280 Aufgrund dieser Überlegungen werden in diesem Text die Doktrinen, die die Existenz des gegenseitigen Schuldvertrags unabhängig von der Rechtsordnung vertreten, als vorstaatliche Vertragstheorien identifiziert.
II. Vorstaatliche allgemeine Vertragskonzeption Nach den Theorien über die vorstaatliche Existenz des Vertrages sei die Fähigkeit des Menschen, in eine Vertragsbindung einzutreten, durch die Rechtsordnung weder begründet noch gewährt.281 Der Vertrag gehe eher dem Staat voraus282 : „L’obligation 272 Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547. Siehe 2. Kapitel, unter D. II. und gleich 3. Kapitel, unter C. IV. 1. 273 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 144. 274 Weller, Die Vertragstreue, S. 160. 275 Larenz, Richtiges Recht, S. 61 f. 276 Larenz, Richtiges Recht, S. 57; derselbe, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 161. 277 Larenz, Richtiges Recht, S. 62; derselbe, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 161. 278 Vgl. Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „Hartmann (Nicolai)“; ferner G. Casas, Introducción a la Filosofía, S. 200. 279 Hartmann, Ethik, S. 18 ff. Vgl. auch Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlichrechtlichen Vertrages, S. 591, 611, Fn. 91, a.E. 280 Vgl. Larenz, Richtiges Recht, S. 62: „Das ist die Antwort, die Reinach gibt. (…) Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Daß aber der Mensch zu solchen Akten fähig ist (…), ist wieder darin begründet, daß der Mensch ein Wesen ist, das ein Sollen kennt und sich selbst unter ein Gebot zu stellen vermag, in seiner moralischen Existenz oder seinem Personensein. Der Philosoph Nicolai Hartmann spricht in diesen Zusammenhang von einem ,ethischen Grundkönnen der Person‘ (…).“ (Reinach und Hartmann Hervorhebung im Original, der Rest durch Verfasser). 281 Vgl. Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3 f.; Hillgruber, ARSP 1999, 348, 351; Larenz, Richtiges Recht, S. 60; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I,
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
qui résulte de tout contrat est préexistante à la loi“, legt Léobon Larombière (1813 – 1893) fest.283 Der Vertrag sei daher ein natürlicher und sozialer Prozess, der „älter (…) als das Recht und weiter reicht als das Recht“ sei.284 In Anlehnung an diese Art von Ideen wird beispielweise behauptet, dass das protostaatliche afrikanische Volk der Ashanti von der Goldküste285 das Darlehen als Vertrag mit zeitlicher Distanzwirkung gekannt habe.286 Diese Vereinbarung sei ohne Zivilrechtsordnung bindend gewesen.287 Ein Verstoß dagegen sei als Verbrechen des Hochverrats, als Erklärung von „Hass auf den König“ verstanden worden.288 Darüber hinaus argumentiert Klaus Stern, dass der Vertrag entstehe, wenn man den Robinson-Status überwinde und gemeinsame Komplementärbeziehungen mit einem Mitmenschen eingehe289 ; er sei: „(…) eine Urform friedlichen menschlichen Zusammenlebens, ein Lebensprinzip, das immer dann seine Wirkung entfaltet, wenn Menschen ihre gegenseitigen Beziehungen ordnen und in gegenseitiger Achtung regeln wollen.“290
Dies zeige sich nach Ansicht Sterns am sogenannten Wüstenbeispiel291, verbreitet durch Gerhart Husserl (1893 – 1973) in seinem Werk „Rechtskraft und Rechtsgel-
S. 379; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158 f.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 609; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 442, 449. Vgl. aber Wolf/Neuner, AT, § 10, Rn. 23, die einerseits behaupten, dass „Verträge gehalten werden sollen (,pacta sunt servanda‘), folgt nicht erst aus einem Gebot der jeweiligen Rechtsordnung, sondern bereits aus der bindenden Kraft des Versprechen als eines moralischen Akts der Person.“ Andererseits bestimmen sie (§ 10, Rn. 24): „Die rechtliche Geltung einer vertraglichen Regelung hat also stets einen doppelten Grund: den diese Regelung schaffenden gemeinsamen Willensakt der Vertragsschließenden, durch den sie sich selbst binden, und die Anerkennung dieses Aktes durch die Rechtsordnung“ (vgl. auch dazu § 10, Rn. 10). Ähnlich ferner Larenz/ Wolf, AT, § 2, Rn. 32, welche eine Altauflage ist, die 8. Auflage des Werkes Wolf/Neuner, AT. 282 Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 161: „Die Fähigkeit, sich zu ,binden‘, (…) wird also dem Menschen nicht etwa erst von der Rechtsordnung beigelegt, sondern ist ihrerseits ein a priori jeder Rechtsordnung (….).“ (Hervorhebung durch Verfasser). 283 Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379. In diese Richtung erklärt Bassenge, Das Versprechen, S. 56: „Auch solche rechtliche Pflichten sind zunächst einmal an sich Pflichten, und wann sie nicht schon an sich Pflichten wären, könnten sie kaum rechtliche Pflichten sein.“ 284 Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3 f. 285 Zu den Aschanti siehe Wesel, Geschichte des Rechts, S. 50 f., 53, 55. 286 Stöhr, AcP 2014, 425, 445. Vgl. dazu zudem Wesel, Geschichte des Rechts, S. 55. 287 Stöhr, AcP 2014, 425, 445. 288 Wesel, Geschichte des Rechts, S. 55. 289 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 610; vgl. auch Wolf/Neuner, AT, § 10, Rn. 23. 290 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 609. 291 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 609.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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tung“ aus dem Jahr 1925292 : Zwei Menschen verschiedener Rasse würden sich in einer Wüste fernab von jeglicher Siedlung begegnen. Sie hätten einander nie zuvor gesehen und sprächen nicht die gleiche Sprache. Einer habe gedörrtes Fleisch und sei durstig, während der andere hungrig sei und einen Beutel Wassermelonen mit sich trage. Sie mäßen sich gegenseitig mit Blicken. Ihre Stärken würden gleich scheinen, sodass die Gewinnchance eines Kampfes jedem Teil ungewiss bliebe. Um ihre Bedürfnisse auf sichere Weise zu befriedigen, würden sie per Zeichen zustimmen, manuell und sofort Fleisch gegen Wassermelonen einzutauschen. Sie schlössen einen Austauschvertrag ab.293 Auch die Überlegungen von A. Smith stehen im Einklang hiermit. Für ihn sei das Schließen von Verträgen allen Menschen gemeinsam und Ausdruck ihrer natürlichen Neigung zum Verhandeln und Tauschen.294 Dieses Verständnis von der Befugnis des Menschen zur vertraglichen Selbstbindung sei gemäß Christian Hillgruber historisch akzeptiert worden.295 Es sei jedoch durch den Absolutismus und den damit verbundenen staatlichen Willen, die einzige Quelle verbindlicher Rechtsnormen zu werden, verzerrt worden.296 Damals stellten die Kodifizierungen nämlich den Vertragsparteien ein entwickeltes Privatrecht zur Verfügung.297 Aus diesem Grund erscheine die Fähigkeit zur vertraglichen Bindung nach dieser Lehre derzeit wie „eine vom Staat abgeleitete heteronome Befugnis.“298
292
G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. Das Wüstenbeispiel wurde vorher bereits im Jahr 1893 von Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3, in einer schlichteren Weise dargestellt: „(…) auch zwei Männer, die einander in einer Wüsste begegnen, können einen Kauf- oder Tauschvertrag abschließen, der deswegen nicht minder gültig ist, weil auf diesem Erdpunkte kein Rechtssatz ihn als solchen anerkannte.“ Diesbezüglich schreibt Larenz, Richtiges Recht, S. 60: „So bindet etwa auch ein Vertrag, den zwei Staatenlose irgendwo im ,Niemandsland‘ miteinander schließen, wenn sie z. B. Gegenstände untereinander austauschen.“ 294 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19: „the propensity to truck, barter, and exchange one thing for another (…) is common to all men, and to be found in no other race of animals, which seem to know neither this nor any other species of contracts.“ 295 Hillgruber, ARSP 1999, 348, 351. Ähnlich Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 653. 296 Hillgruber, ARSP 1999, 348, 351. Vgl. zudem Buddeberg, AöR 1925, 85, 116: „Der Souverän gibt lediglich in dem ,parole de Roy‘ die Garantie seiner Verträge: ,car tel est nostre plaisir‘.“ (Vgl. dasselbe Werk, 117 f.); siehe hierzu ferner Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 620. In diese Richtung auch G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 36 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 24 f. 297 Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 14. 298 Hillgruber, ARSP 1999, 348, 351. So auch Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 14: „Damit verloren die alten Vertragstheorien und -erklärungen ihren Sinn, mit denen das Naturund Vernunftrecht seinerzeit ohne staatliche Hilfe der Privatautonomie die Bahn freimachen wollte.“ 293
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
III. Hilfsfunktion der Rechtsordnung Die Rechtsordnung erfülle gemäß der vorstaatlichen Vertragsthese wie beim Neoliberalismus299 im Allgemeinen nur eine Zusatzfunktion des Vertrags.300 Sie übernehme ihn einfach301 und beschränke sich auf die Verbesserung der Mechanismen seiner Vollstreckung.302 Die Vertragsparteien hätten nach dieser Konzeption nur ergänzend auf die gesetzlichen Vorschriften zurückgegriffen, insbesondere wegen der damit verbundenen Senkung der Transaktionskosten.303 Die Besonderheiten, die der Vertrag in einer bestimmten Rechtsordnung aufweise, ändere daher nichts an seiner Präexistenz.304 In diesem Zusammenhang drückt Eugen Ehrlich (1862 – 1922) das so aus: „Der staatliche Schutz des Vertrages ist daher etwas äußerlich in historischer Zeit Hinzukommendes, der Vertrag wird dadurch etwas Wirksameres, aber nicht etwas anderes, als er sonst wäre.“305 Dementsprechend gehöre die Durchsetzbarkeit des Vertrags durch staatliche Gerichte für diese Lehre nicht zum Vertragsbegriff.306 Sie diene dem Schutz des Vertrags.307 Aber die Identifizierung der vertraglichen Verbindung mit dieser Zwangsvollstreckungsmöglichkeit sei reduktionistisch.308 Stöhr behauptet in Anlehnung an die ökonomische Analyse des Rechts, dass der Markt selbst bei mangelnder Durchsetzbarkeit der 299
Siehe dazu Einleitung, unter A. und 1. Kapitel. Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 445. Anders Hippel, Privatautonomie, S. 104 f. (dort auch Fn. 31), der die Möglichkeit eines bindenden Vertrags in einer vorstaatlichen Situation annimmt, aber diesbezüglich sagt, dass „die positive Rechtsordnung rechtstheoretisch auch nicht etwa als ein bloß äußerer Zusatz betrachtet werden“ dürfe (S. 104). Im Naturzustand sei der Vertrag nach dem Gerechtigkeitsprinzip zu beurteilen (S. 104 f.). In einer Rechtsordnung seien ihre Rechtskriterien für die Beurteilung des vertraglichen Einzelfalles abschließend zu entnehmen (S. 105). Deswegen würden sich Privatverträge und völkerrechtliche Verträge unterscheiden (S. 105). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Staat beispielsweise gemäß Hoppe, anders als nach der Mehrheit der vorstaatlichen Vertragslehren, die Vertragsverhältnisse nur schädige und daher verschwinden solle. Siehe zu dieser Doktrin 3. Kapitel, unter C. IV. 4. c). 301 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 625. 302 Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379. Vgl. ferner Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 4; Larenz, Richtiges Recht, S. 60. 303 Stöhr, AcP 2014, 425, 445; vgl. auch Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 15. 304 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 612, 619. 305 Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 4. 306 Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444. Vgl. zudem Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 161. 307 Hillgruber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165, 169. 308 Hillgruber, ARSP 1999, 348, 351; vgl. auch Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 161. Ähnlich Bassenge, Das Versprechen, S. 50: „An dem Charakter der Pflichten als Pflichten kann die Tatsache nichts ändern, daß ihnen ein Anspruch gegenübersteht. (…) Als Anspruch wäre hier die kategorisch berechtigte tatsächliche Macht zu verstehen, durch gerichtliche Hilfe auf die Erfüllung einer Pflicht oder auf ein Ersaßgeschehen hinzuwirken. Man kann um dieses privatrechtlichen Anspruchs willen die fragliche Pflicht als privatrechtliche Verbindlichkeit, als Obligation bezeichnen. An der Sache wird dadurch nichts geändert.“ 300
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Vertragsverbindung alternative Sanktionsmechanismen einführe309 : Diejenigen Händler, die auch bei fehlender Vertragsdurchsetzbarkeit ihre Verpflichtungen erfüllt hätten, würden vom Markt mit mehr Kunden belohnt. Im Gegensatz dazu würden diejenigen Geschäftspersonen, die ihre Vereinbarungen nicht eingehalten hätten, vom Markt zunehmend ausgeschlossen. Niemand würde mit ihnen Übereinkünfte treffen wollen.310 Etwas Ähnliches habe in der Geschichte bei den hanseatischen Kaufleuten des Mittelalters stattgefunden.311 Unter ihnen seien Handelsbräuche gültig gewesen, deren Verletzung zu gesellschaftlichen Sanktionen geführt habe.312
IV. Verschiedene Ansätze der vorstaatlichen Vertragskonzeption Im Rahmen der vorstaatlichen Vertragslehre werden, wie oben erwähnt313, mehrere spezifische Ansätze mit eigenen Merkmalen vorgestellt. Hier werden nur die wichtigsten Argumente getrennt behandelt.314 1. Der Vertrag gemäß der Naturrechtsschule Die Naturrechtsschule ist die älteste Lehre, die darauf abzielt, das Bestehen des Vertrages unabhängig vom Staat und jeder anderen Autorität vollständig zu rechtfertigen.315 Ihr Fokus auf diesen Punkt ist jedoch nach wie vor eine Referenz für einige zeitgenössische Theorien.316 309
Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444 f. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428 f.; Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444 f. 311 Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 445. 312 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428, Fn. 10. Vgl. dazu auch Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444 ff. 313 Siehe 3. Kapitel, unter C. I. 314 Von einer gesonderten Berücksichtigung werden z. B. die dem Naturrecht naheliegende Lehren oder rechtssoziologischen Lehren von Hippel bzw. Buddeberg ausgeschlossen. Hippel, Privatautonomie, S. 94, 96 ff., begründet die bindende Vertragskraft im Naturzustand mit „der formalen Grundvorstellung, daß Gerechtigkeit herrschen soll, daß jedermann verpflichtet ist, bei seinem Verhalten die Interessen der anderen im Rahmen der Gleichberechtigung zu berücksichtigen“ (S. 98). Dieses Gebot führe nach Hippel „(in Verbindung mit dem Wahrheitsinteresse) im Naturzustand unmittelbar zu einer Sanktion all der Abreden, in denen die Parteien in einer Gerechtigkeit entsprechenden Weise ihre zukünftigen Beziehungen geregelt haben“ (S. 102). Buddeberg, AöR 1925, 85, 109 ff., nimmt zwar seinerseits an, dass die Vertragsbindung nicht vom Rechtsstaat abhängig sei, aber doch von der Kollektivität. Demgemäß sei ein Vertrag ohne kollektive Grundlage nicht möglich: „Die ,Vertragstreue‘ ist Ausdruck für die Anerkennung der gegenseitigen Bindung im Kollektivverhalten“ (S. 109). Vgl. zu weiteren Bezügen auf verschiedene Theorien über den Grund der Vertragsbindung Hippel, Privatautonomie, S. 91 f., Fn. 25. 315 Siehe 2. Kapitel, unter D. 310
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Die großen Namen dieser Denkströmung unterschieden sich im 17. und 18. Jahrhundert in den Details ihrer eigenen Doktrinen, doch sie waren sich über das Wesentliche einig.317 Diese Theorie postulierte, dass die Grundlage des Rechts in der transzendentalen und unveränderlichen Kraft der Vernunft liege, die alle Menschen vereine und ihnen gemeinsam sei.318 Die Vernunft sei der Macht des Naturrechts untergeordnet, da sie die Gerechtigkeit selbst sei.319 Sie sei gemäß Domat „l’objet naturel de la raison.“320 Dieses Gesetz sei unveränderlich und besitze im Gegensatz zum Staatsgesetz jederzeit und überall Gültigkeit, unabhängig von seiner Verkündung.321 Diese Unveränderlichkeit sei nach Grotius dergestalt, dass nicht einmal Gott sie ändern könne: „So wenig also Gott es bewirken kann, daß zweimal zwei nicht vier sind, ebenso wenig kann er bewirken, daß das nach seiner inneren Natur Schlechte nicht schlecht sei.“322 Dieses Gesetz beweise man zum einen a priori durch seine Übereinstimmung mit der Vernunft und zum anderen a posteriori dadurch, dass es in allen Völkern als natürlich angesehen werde.323 Die Mächte der einzelnen Staaten würden der Naturrechtstheorie zufolge die Einhaltung dieser unveränderlichen Gerechtigkeit sorgsam überwachen, „parce que tous les hommes n’ont pas toujoûrs la raison assez pure pour reconnaître cette justicie, ou le coeur assez droit pour y obeïr.“324 Was den Vertrag anbelangt, so verschwand die römische Unterscheidung zwischen pactum und conctractum bzw. zwischen pactum nudum und pactum vestitum mit der Naturrechtsschule.325 Denn diese Kategorien – so Pothier – „n’étant pas fondés sur le droit naturel.“326 Als Vertragsvoraussetzung entwickelte diese Theorie das sogenannte Vertragsprinzip, das aus einem Versprechen – einem Angebot – und einer Annahme besteht.327 Dabei stützte sie sich vor allem auf das grotianische Konzept des akzeptierten vollkommenen Versprechens als Freiheitsveräußerung.328 Nach dem niederländischen Juristen gebe es drei Stufen zum Sprechen über zukünftige Dinge, von 316 So z. B. Hillgruber, ARSP 1999, 348, 353 ff.; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 13 f.; Stöhr, AcP 2014, 425, 443. 317 Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 323. 318 Buddeberg, AöR 1925, 85, 115. 319 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, S. LXV : „Les loix naturelles étant la justice même, elles ont une autorité naturelle sur nôtre raison.“ 320 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, S. LXVI. 321 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, S. LVI, LXVI. 322 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch I, Kapitel I, unter X, 5. 323 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch I, Kapitel I, unter XII, 1. 324 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, S. LXV. 325 Siehe 2. Kapitel, unter A., B. und D. 326 Pothier, Traité des obligations, Tz. 3. 327 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 75; Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 468 f. 328 Dazu 2. Kapitel, unter D. I. 1. und 3. Kapitel, unter B. 2.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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denen nur ein Grad ein vollkommenes Versprechen darstelle.329 Der erste Grad sei das Ausdrücken des aktuellen wahrhaftigen Willens über etwas Zukünftiges.330 Dabei liege noch kein Versprechen vor, man könne seine Meinung noch ändern.331 Im zweiten Grad sei die Erklärung ein ernsthaftes und klares Anzeichen dafür, auch in Zukunft an diesem Willen festzuhalten.332 Auf dieser Ebene stehe man bereits vor einem Gelübde, das verpflichte, aber dem anderem kein Recht gewähre, wie im Falle der Standhaftigkeit.333 Eine Erklärung sei gemäß dieser Lehre ein vollkommenes Versprechen, aus dem ein Recht resultiere, wenn die Erklärung mit dem dritten Grad zum Sprechen über zukünftige Dinge übereinstimme.334 In diesem letzten Grad solle zu dieser Erklärung ein Zeichen hinzutreten, dass man einem anderen ein Recht gewähren wolle.335 Dieses Versprechen verleihe nach Grotius aber erst das Recht zum Verlangen des frei versprochenen Verhaltens, wenn es angenommen werde, als ob es die Übertragung einer Sache wäre.336 Diese Konzeptualisierung des vollkommenen Versprechens als Akt der Sozialkommunikation wurde von den anderen Mitgliedern der Naturrechtsschule übernommen.337 Aus dieser Idee heraus entwickelten sie den Vertrag als mutuus consensus, das heißt, sie verbanden à la longue den Vertrags- mit dem Konsensgrundsatz.338 Das Gebot zur Erfüllung des Vereinbarten sei darüber hinaus nach der Lehre der Naturrechtsschule die Rechtsfolge des Vertrags und gehöre zum Naturrecht.339 Es sei egal, was das positive Gesetz vorschreibe; Vereinbarungen seien immer absolut verbindlich.340 So sei ein Naturrechtsprinzip laut Domat, dass „les conventions tienent lieu de loix.“341 Sie seien „une suite naturelle de l’ordre de la société civile, & des liaisions que Dieu forme entre les hommes.“342 Für Grotius entspreche es „dem Recht
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Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter I, 6. und II ff. Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter II. 331 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter II. 332 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter III. 333 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter III. 334 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. 335 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV. 336 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter XIV. (Siehe dazu auch dasselbe Werk, Buch II, Kapitel XI, unter XV bis XIX). 337 Siehe z. B. Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. V, § 7, Ch. VI, §§ 14 f.; derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 6 f. (S. 88), § 16 (S. 93). Überblick ferner bei G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 46 ff. 338 Zur Entwicklung des Vertrags- und Konsensprinzips während der Naturrechtsschule im Einzelnen siehe 2. Kapitel, unter D. I. 339 Dazu siehe 2. Kapitel, unter D. II. 340 Hillgruber, ARSP 1999, 348, 354. 341 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Livre Premier, Section I, V. 342 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Introduction, S. 61. 330
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
der Natur, Verträge zu halten.“343 Diese Maxime gelte auch für Gott, der „gegen seine Natur handeln würde, wenn er das Verheißene nicht gewährte.“344 Es käme „aus der Natur der unveränderten Gerechtigkeit (…), die sowohl Gott als allen vernünftigen Wesen in ihrer Weise gemeinsam“ sei.345 In ähnlicher Weise erklärt Pufendorf, dass das Prinzip pacta sunt servanda das „most sacred precept of natural law“ sei.346 Dies leite sich aus der sozialen Natur des Menschen ab, die verpflichte, Vereinbarungen strikt zu respektieren und einzuhalten.347 Treu zu bleiben – Verträge und Versprechen zu erfüllen – leite und ordne das gesamte menschliche Leben.348 Wenn die Treue also dieser Doktrin zufolge ende, ende auch die Geselligkeit.349 Ohne die Treue ginge der größte Teil des Nutzens verloren, „der sich für die Menschen durch Austausch von Diensten und Sachen ergeben kann.“350 Der Mensch könnte sich nicht auf andere verlassen, um seine Ziele zu erreichen.351 Das würde dazu führen, dass es keinen Frieden mehr gäbe, also würde es Krieg geben.352 Mit den legitimen Motiven für Krieg beschäftigt Grotius sich in seinem „De Iure Belli ac Pacis“ (1625), das während des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) geschrieben wurde.353 Unter die Kriegsgründe subsumiert er den Bruch einer Vereinbarung.354 Eine unbezahlte Vertragsschuld stellt für den Begründer der Naturrechtsdisziplin355 eine Schädigung dar, die das Recht gewähre, durch Krieg die versprochene Leistung zu erhalten.356 Diese Idee gehört zur Naturrechtslehre. Beispielweise behaupteten Pufendorf und C. Wolff, deren Werke den Krieg nicht als Hauptgegenstand haben, auch, dass die Nichteinhaltung von Vereinbarungen einen Krieg rechtfertige.357 Ersterer brachte in seinem „De Amiciis Hominis Et Civis“ zum Ausdruck, dass 343
Grotius, De iure belli ac pacis, Vorrede, Tz. 15 (Hervorhebung durch Verfasser). Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 345 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XI, unter IV, 1. 346 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2 (Hervorhebung durch Verfasser). 347 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2. Vgl. derselbe, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 2 f. (S. 86 f.). 348 Pufendorf, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2. 349 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch III, Kapitel XXV, unter I, unter Bezug auf Aristoteles, Rhetorik, Buch I, Kap. 15. 350 Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87). Vgl. auch derselbe, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2. 351 Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87); derselbe, De iure naturae et Gentium, Book III, Ch. IV, § 2. 352 Vgl. Hillgruber, ARSP 1999, 348, 355, 359. 353 Vgl. Hillgruber, ARSP 1999, 348, 353. 354 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel I, unter II, 1 f. 355 Dedek, CJLJ 2012, 313, 323. 356 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel I, unter II, 1 f. 357 Zur Vertragstheorie von Puffendorf und C. Wolff im Einzelnen siehe oben 2. Kapitel, unter D. I. 2. und II. 2. bzw. unter D. I. 4. und II. 4. 344
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„hochst gerechte Gründe für Streitigkeiten und Kriege“ aus dem Bruch eines Versprechens entständen.358 Außerdem sagt C. Wolff in seinem „Institutiones Juris Naturae et Gentium“: „(…) so ist die Verletzung der Verträge eine rechtmäßige Ursache des Krieges.“359 Zusammenfassend bestehe der Schuldvertrag für die Naturrechtsschule unabhängig vom positiven Gesetz und er sei nicht nur vernünftig, sondern auch notwendig und nützlich für die Menschheit.360 2. Der Vertrag aus der aprioristischen Rechtstheorie Ein weiterer vorstaatlicher Ansatz über die Existenz des Vertrags ist auf die Rechtsphilosophie Reinachs zurückzuführen.361 Dieser Privatdozent aus Göttingen gilt als „Begründer der Rechtsphänomenologie.“362 In Übereinstimmung mit der Philosophie seines Lehrers E. Husserl will Reinach das Recht näher an die sogenannten „objektiven“ Wissenschaften heranbringen, deren Prinzipien existieren würden, auch wenn sie nicht entdeckt würden.363 Er beschäftigt sich daher damit, das Wesen der juristischen Gebilde zu enthüllen, die „für jede denkbare Welt“ gälten.364 Dabei versteht er diese Gebilde als ein Phänomen, das dem positiven Recht vorausgehe und von der Erkenntnis unabhängig sei. So drückt Reinach einerseits aus, dass die Grundbegriffe des Rechts „ein außerpositivrechtliches Sein“ hätten.365 Diese Konzepte seien der Rechtsordnung 358 Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87). (Hervorhebung durch Verfasser). 359 C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 447: „Weil wir durch den Vertrag das Recht erlangen, den andern, der ihn nicht halten will, mit Gewalt dazu anzuhalten, daß er das leiste, worüber man mit einander eines worden (§. 438. 379.); die gewaltsame Behauptung seines Rechts aber der Krieg ist (§. 98.); so hat der Mensch ein Recht zum Krieg wieder denjenigen, der den Vertrag nicht halten will. Wenn jemand den Vertrag bricht; und folglich das Gegentheil davon thut, worüber man im Vertrage mit einander eines worden; so handelt er wider das vollkommene Recht des andern, welches er durch den Vertrag erhalten hatte (§. 97.), und thut deswegen ihm unrecht (§. 87.). Weil nun das Unrecht, das einem angethan worden, eine rechtmäßige Ursache des Krieges ist (§. 98.); so ist die Verletzung der Verträge eine rechtmäßige Ursache des Krieges.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 360 Vgl. Buddeberg, AöR 1925, 85, 115. 361 Diesem Ansatz folgen unter anderen Hartmann, Ethik, S. 465; Larenz, Richtiges Recht, S. 61 f.; Larenz/Wolf, AT, § 2, Rn. 32 mit Fn. 24; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 611 ff. 362 Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 77; so auch Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 159 f. 363 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 160. 364 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 276. 365 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 145: „Die sog. spezifisch rechtlichen Grundbegriffe haben ein außerpositiv-rechtliches Sein, genauso wie die Zahlen ein Sein unabhängig von der mathematischen Wissenschaft besitzen.“
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
vorgeordnet und unabhängig davon gültig.366 Dieses positive Recht sei Dank der apriorischen Wesensgesetze möglich und verständlich.367 Abweichungen des positiven Rechts hinsichtlich dem aprioristischen Recht beträfen deswegen die Gültigkeit der apriorischen Seinsgesetze nicht368: So wie die wahrgenommene weiße Farbe eines bestimmten Hauses nicht allen Häusern zugeteilt werden könne, könne das, was vom Eigentum in einer spezifischen positivistischen Rechtsordnung erfasst werde, aufgrund der Apriorität dieses Konzepts nicht allem Eigentum zugewiesen werden.369 Aus diesen Gründen unterscheidet sich die aprioristische Rechtstheorie von der allgemeinen Rechtslehre.370 Letztere befasst sich nicht wie die aprioristische Rechtsdoktrin mit rechtlichen Gebilden, die vor und unabhängig vom System des positiven Rechts bestünden.371 Sie erstrebt vielmehr, durch die „method of ,inductive generalisation‘“372 aus dem positiven Recht seinen fundamentalen Kern zu extrahieren und ihn für alle Rechtsordnungen zu verallgemeinern.373 Andererseits behauptet Reinach, dass „ewige Gesetze, welche unabhängig (…) von unserem Erfassen“ seien, für die rechtlichen Gebilde gälten.374 Sie seien dementsprechend dieser Doktrin zufolge kein So-denken-zu-müssen-und-nicht-andersdenken-zu-Können, sondern eine wesentliche Notwendigkeit.375 Die rechtlichen Grundbegriffe seien Ein-so-zu-sein-und-nicht-anders-sein-zu-Können.376 Darin liegt – wie oben erwähnt – der größte Unterschied zwischen der aprioristischen Rechtslehre und der Naturrechtsschule.377 Beide suchen nach ewigen Wahrheiten, die dem Einfluss positiver Gesetze entzogen seien.378 Aber die aprioristische Rechtstheorie versteht diese als unabhängig von der Vernunft, der Natur und der Organisation des
366 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 614; vgl. ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 82 f. 367 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 252. 368 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 252. 369 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 143 f.; vgl. auch C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 11. 370 Dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 271 f.; auch Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 612 ff. 371 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 271. 372 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 160. 373 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 612; Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 271. 374 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 145: „Es gelten von diesen rechtlichen Gebilden ewige Gesetze, welche unabhängig sind von unserem Erfassen, genauso wie die Gesetze der Mathematik.“ 375 Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 6: „un-tener-que-pensar-así-y-no-poder-pensar-deotro-modo.“ (Übersetzung durch den Verfasser). 376 Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 6: „un-ser-así-y-no-poder-ser-de-otro-modo.“ (Übersetzung durch den Verfasser). 377 Siehe 3. Kapitel, unter C. I. 378 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 275.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Menschen.379 Die Menschen würden zwar laut Reinach Rechtsbeziehungen eingehen und seien Träger von Rechten und Pflichten in diesen Rechtsbeziehungen.380 Diese Rechtsbeziehungen würden sich aber nicht darin gründen, dass sie vom Menschen als solchem vollzogen würden.381 Sie würden sich vielmehr auf das Wesen der rechtlichen Gebilde stützen.382 Deshalb könnten nichtmenschliche Wesen wie Engel und Teufel nach dieser Ansicht Rechtsgeschäfte durchführen.383 Abgesehen von diesen Merkmalen seien die Rechtsbegriffe, mit denen sich die aprioristische Rechtslehre befasst, nicht physisch, aber auch nicht außerzeitlich wie die ideellen Gegenstände.384 Denn ein Anspruch entstehe zum Beispiel, bestehe eine bestimmte Zeit lang und gehe dann wieder unter.385 Deswegen hätten diese rechtlichen Gebilde eine eigenartige, rein rechtliche Gegenständlichkeit.386 a) Die obligatorische Bindung als inhärentes Element im Konzept des „Versprechens“ In Bezug auf den Vertrag ordnet Reinach die Einigung als gegenseitige soziale Akte387 ein, erkennt die aprioristische Qualität seiner Bindungskraft an388 und suggeriert, dass der gegenseitige Schuldvertrag ein „gegenseitiges Versprechen“ sei.389 Seine apriorische Rechtsdoktrin vertieft sich dennoch im Allgemeinen nicht in die Phänomenologie dieses Rechtsgeschäfts.390 Diese Theorie beschäftigt sich vielmehr
379
Dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 276, 278. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 276. 381 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 276. 382 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 276. 383 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 188 f. 384 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 145. Vgl. dazu ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 92. 385 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 148. Vgl. dazu auch Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 5. 386 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 145, 148, 150, 212, 246, 276 f. 387 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 171. 388 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 178: „Es kann vor allen Dingen kein Zweifel sein, daß die Bindung durch Verträge und Versprechungen nicht etwa erst durch ,Moralisten und Staatsmänner geschaffen‘ ist, daß sie jedenfalls ganz unabhängig von jedem positiven Rechte besteht.“ (Hervorhebung durch Verfasser). (Vgl. ferner dasselbe Werk, S. 141, 275). 389 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 256: „So erteilt das BGB dem Kaufvertrag bekanntlich lediglich die Wirkungen eines gegenseitigen Versprechens.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 390 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 171, Fn. 35: „Auf die interessante und schwierige Phänomenologie des Vertrages einzugehen, ist uns in diesem Zusammenhang nicht möglich.“ 380
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
mit dem Versprechen als aprioristisches Phänomen.391 So wird in ähnlicher Weise wie bei Grotius bei der Differenzierung der Gesprächsstufen über zukünftige Dinge angeführt392, dass ein Versprechen von einer einfachen Willensäußerung zu unterscheiden sei.393 Die Gleichsetzung der beiden bedeute, das Phänomen des Versprechens als solches zu leugnen.394 Der Unterschied zwischen ihnen bestehe darin, dass der Versprechende durch das Versprechen für den Fall der Nichteinhaltung verantwortlich sei395: „(…) to make a promise is to bind oneself to a performance.“396 Wer also laut dieser Ansicht einfach eine andere Person darüber informiere, er wolle morgen einen Spaziergang an einen bestimmten Ort unternehmen, verpflichte sich dadurch nicht.397 Wenn er sich dagegen an die andere Person wende und ihr zusage, sie morgen an einem bestimmten Ort für einen Spaziergang zu treffen, dann sei er verpflichtet, seine Erklärung einzuhalten.398 Das Versprechen sei folglich nach Reinach ein „eigenartiger fremdpersonaler sozialer Akt“, der sich auf die Verpflichtung des Versprechenden gegenüber jemand anderen – deswegen fremdpersonal – richte.399 Damit eröffne sich ein Kreis weiteren Geschehens.400 Etwas Neues trete in die Welt ein.401 Denn das Versprechen als 391 Ausführlich dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 147 ff.; vgl. dazu ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 89 ff. Diesbezüglich ist auch zu erwähnen, dass Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 608 ff., versucht, anders als Reinach die Kernpunkte einer rein apriorischen Vertragsbindungslehre darzulegen. 392 Siehe 3. Kapitel, unter C. IV. 1. 393 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 166. Zustimmend Bassenge, Das Versprechen, S. 9, 17; Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 46; derselbe, Richtiges Recht, S. 61. 394 So Bassenge, Das Versprechen, S. 9. 395 C. A. G. Maino, Hacia una fundamentación del derecho, S. 1, 13; vgl. auch Larenz, Richtiges Recht, S. 61. 396 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 161. 397 Larenz, Richtiges Recht, S. 61. 398 Hierzu Larenz, Richtiges Recht, S. 61. Vgl. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 149: „Es verspreche der A dem B, mit ihm spazieren zu gehen, und B nehme das Versprechen an. Es entsteht eine entsprechende Verbindlichkeit des A und ein Anspruch des B.“ Das Beispiel des Spaziergangs wird auch von Bassenge, Das Versprechen, S. 18, verwendet. 399 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 165 ff., 206. Vgl. dazu aber Bassenge, Das Versprechen, S. 10, der auch Phänomenologe ist und diese Charakteristik des Versprechens als „keine Wesensbeschreibung, sondern bloß eine Angabe formaler Kriterien“ betrachtet. 400 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 165 f. Aus diesem Grund gilt Reinach als Vorläufer der Speech-Act-Theory, die danach von John Langshaw Austin in seinem „How to Do Things with Words“ (1955/1962) entwickelt wurde. Austin behauptet nämlich beim Erklären des „performative sentence“: „Utterances can be found, satisfying these conditions, yet such that A. they do not ,describe‘ or ,report‘ or constate anything at all, are not ,true or false‘; and B. the uttering of the sentence is, or is a part of, the doing of an action, which again would not normally be described as saying something. (…)
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solches begründe Ansprüche und Verbindlichkeiten402, sobald der Adressat – daraus der soziale Aspekt des Aktes403 – das Versprechen zur Kenntnis nehme.404 Mit dieser Idee verteidigt Reinach einen notwendigen und essenziellen Zusammenhang apodiktischer Natur zwischen Versprechen, Anspruch und Verbindlichkeit.405 Die Regulierung des positiven Rechts dieser dreiseitigen Beziehung sei der aprioristischen Rechtslehre zufolge gleichgültig.406 Wenn das Versprechen keine Verpflichtung erzeuge, verliere es seine Spezifität.407 Und wenn die geschuldete Leistung nicht innerhalb der angegebenen Frist erfüllt werde, werde der Anspruch „verletzt.“408 Die Examples: (E. a) ,I do (sc. take this woman to be my lawful wedded wife)‘ – as uttered in the course of the marriage ceremony (…).“ (S. 5); „In these examples it seems clear that to utter the sentence (in, of course, the appropriate circumstances) is not to describe my doing of what I should be said in so uttering to be doing or to state that I am doing it: it is to do it.“ (S. 6). Hierzu Dubois/B. Smith, Adolf Reinach; vgl. auch Crespo, Estudio preliminar, S. 1, 5; Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 77, 84; Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 161. Darüber hinaus wird bei Austins Schrift in Bezug auf das Versprechen, das als „performative sentence“ betrachtet wird (z. B. S. 11), Folgendes bestimmt: „Accuracy and morality alike are on the side of the plain saying that our word is our bond“ (S. 10). (Hervorhebung im Original). 401 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 148. 402 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 148, 166 f., 172, 188. Zustimmend Hartmann, Ethik, S. 465. Ähnlich Larenz, Richtiges Recht, S. 62. 403 Dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 159 ff., vgl. auch Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 81. 404 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 172: „Anspruch und Verbindlichkeit gründen in dem Versprechen als solchem. Für die Entstehung beider ist Voraussetzung, daß der Adressat des Versprechens innewird.“ Kritisch zu diesen Voraussetzungen Bassenge, Das Versprechen, S. 10 ff. Dieser hat seine eigene phänomenologische Versprechenslehre. Dabei erkennt er zwar die Lehre Reinachs an, die die Unterscheidung zwischen der Absichtsmitteilung und eines Versprechens gezeigt habe (S. 9, 17). Aber er stellt anders als Reinach fest, dass sich das Versprechen nicht mit seiner Kenntnisnahme durch den Adressaten vollende. Gemäß Bassenge sei das Versprechen eher ein Akt vorsätzlicher Vertrauenserregung. So wende der Versprecher sich an den Empfänger, um sein Vertrauen auf das gegebene Versprechen zu begründen (S. 14, 16, 19 f.): „Wer verspricht, (…) will Vertrauen setzen“ (S. 17). Deswegen sei das Versprechen erst mit der tatsächlichen Erregung des Empfängervertrauens vollendet (S. 17). Der Grund der bindenden Kraft des Versprechens liege also nach Bassenge in einem allgemeinen Prinzip, das lautet: „Praktisch gewordenes Vertrauen ist zu rechtfertigen“ (S. 32). Vgl. dazu aber Larenz, Richtiges Recht, S. 62, wonach die bindende Kraft des Versprechens von der erfolgreichen Vertrauenserregung unabhängig sei. Kritisch auch derselbe, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 46, Fn. 99, wobei Larenz behauptet, dass die Versprechenslehre Bassenges um eine rein psychologische Erklärung der Versprechenswirkungen gehe und dabei das normative Element außer Acht lasse. 405 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 161. 406 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 173, Fn. 1. 407 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 161. 408 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 173, 197. Anders Bassenge, Das Versprechen, S. 32 f., nach dem der Versprechende bei Nichterfüllung des Versprechens nicht nur das Vertrauen seines Empfängers enttäusche. Die Nichterfüllung des Versprechens frustriere außerdem das Verhalten des Vertrauenden und beeinträchtige damit seine Freiheit, da der Empfänger des Versprechens nach einem illusorischen Verhalten des
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Möglichkeit, in Zukunft das geschuldete Verhalten zu verlangen, stehe dem Empfänger des Versprechens zu, während die Verpflichtung, dies zu tun, den Versprechenden betreffe.409 Aus diesem Grund vertritt Reinach im Gegensatz zur Naturrechtsschule die Ansicht, dass das Versprechen keine Akzeptanz seitens des Empfängers für seine Wirksamkeit erfordere.410 Dafür sei die Kenntnisnahme des Versprechens ausreichend.411 Das verbindliche Verhältnis komme wiederum entsprechend dieser Idee auch dann zustande, wenn es weder dem Versprechenden noch dem Empfänger einen Nutzen bringe412 und auch wenn sein Inhalt unmoralisch sei.413 Dabei werde die entstandene Rechtsverbindlichkeit von ihrem Inhalt unterschieden.414 Erstere gründe nicht auf Letzterem, sondern auf dem Wesen des Versprechens als Akt.415 Der Anspruch und die Verpflichtung ergäben sich zwar darüber hinaus gemäß Reinach aus dem Versprechen, welches „ein eigenartiges, im Willen fundiertes psychisches Tun [sei], das (…) in äußere Erscheinung treten“ müsse.416 Das verbindliche Verhältnis sei jedoch auch unabhängig von den psychologischen Auswirkungen dieses Aktes.417 Wie Sophie Loidolt diesbezüglich sagt: „Sichberechtigtoder Sichverbindlichfühlen ist etwas anderes, als es tatsächlich zu sein.“418 Das geschaffene Bindungsverhältnis entstehe laut dieser Rechtsdoktrin aus einem natürlichen Geschehen, dem Vollzug eines sozialen Aktes419, aber es sei dem Erleben gegenüber etwas Transzendentes.420 Es könne durch nichts außerhalb von sich selbst gerechtfertigt werden und man könne nur versuchen, das Phänomen zu erfassen.421 In
anderen – das Versprochene – handle: „Wer bei seinem Tun in Illusionen befangen ist, handelt nicht frei.“ 409 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 147. Vgl. auch Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 89. 410 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 171 f. Nach Bassenge, Das Versprechen, S. 18, sei die Annahme auch keine Voraussetzung des Versprechens. 411 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 169, 172. 412 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 178 f. 413 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 186 f. 414 Vgl. Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 97. 415 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 186. 416 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 182 (Hervorhebung durch Verfasser). 417 Dazu Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 150, 179, 181 ff. 418 Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 89 (Hervorhebung im Original). 419 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 212. 420 Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 92. 421 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 179, 188; vgl. zudem Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 94.
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diesem Sinne würden Anspruch und Verpflichtung nach dieser Lehre idealen Gegenständen wie Zahlen und Sätzen ähneln.422 Reinach führt hierzu schlüssig aus: „Wir stellen ja nur den schlichten Satz auf, daß das Versprechen als solches Anspruch und Verbindlichkeit erzeugt. (…) Ihn erklären zu wollen, hätte genau denselben Sinn wie der Versuch einer Erklärung des Satzes 1 x 1 = 1.“423
Anders als diese idealen Gegenstände sei die Verbindlichkeit gemäß dieser Theorie jedoch, wie alle Rechtsbegriffe, temporär.424 b) Die obligatorische Bindung als inhärentes Element im Konzept des „Vertrages“ Die gerade dargestellte Lehre der aprioristischen Verbindlichkeit des Versprechens wird von einem Teil der vorstaatlichen Vertragstheorie übernommen und in ähnlicher Weise wie bei Reinach als Grundlage des Vertrags postuliert425: „Vertrag ist doppelseitiges Versprechen.“426 Dabei binde eine Partei sich dieser Ansicht zufolge, weil sie sich bewusst sei, dass nur so der andere sich auch binde und sie dann in der Lage sein werde, dieser zu vertrauen.427 Dieses Rechtsgeschäft sei daher verbindlich, weil es als bindend angesehen und verstanden werde.428 Seine Verpflichtungskraft erwachse aus dem Vertrag selbst429 : „Der Vertrag impliziert die Gebundenheit seiner Parteien.“430 Dies zeige sich grundsätzlich in den Leistungsvereinbarungen mit formellen oder rechtswidrigen Mängeln.431 Sie würden von den Parteien als bindend angesehen, auch wenn die Rechtsordnung ihre rechtliche Durchsetzbarkeit versage.432 Aus diesem Grund heiße die Darstellung der Rechtsnorm als Grundlage der Vertragsbindung gemäß diesen Überlegungen, den Sinn des Vertrages zu verkennen und dieses Phänomen zu ignorieren.433
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Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 92. Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 188. 424 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 148; vgl. ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 92. 425 Hartmann, Ethik, S. 465. 426 Hartmann, Ethik, S. 465. Vgl. auch Stöhr, AcP 2014, 425, 443. 427 Larenz, Richtiges Recht, S. 57. 428 Larenz, Richtiges Recht, S. 60. Ähnlich Larenz/Wolf, AT, § 2, Rn. 32, Fn. 24. 429 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 617 f. 430 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 618. 431 Larenz, Richtiges Recht, S. 60. 432 Larenz, Richtiges Recht, S. 60. 433 Larenz, Richtiges Recht, S. 60, 63. 423
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
c) Das Privateigentum als aprioristisches Konnexinstitut des Vertrages Gegenseitige Privatrechtsverträge haben den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zum Gegenstand, und deshalb postuliert die vorstaatliche Vertragstheorie, die teilweise auf Reinachs Rechtsphänomenologie basiert, zusätzlich zur Apriorität der Vertragsbindung die ursprüngliche Existenz des Privateigentums.434 Dies sei entsprechend diesem Ansatz ein mit dem Vertrag verbundenes Institut.435 Es bestehe immer, wenn auch manchmal nur in rudimentärer Weise, wie die kommunistische Erfahrung gezeigt habe, wo es Sachen gegeben habe, die den Personen gehört hätten und die austauschbar gewesen seien.436 Denn etwas sei laut der aprioristischen Rechtstheorie kein Eigentum, weil die Rechtsordnung es schütze, sondern diese beschütze es vielmehr, da es Eigentum sei.437 Es sei nur eine Relation zwischen einerseits seinem Träger, der eine Person sei, und andererseits einem getragenen Objekt, das eine Sache sei.438 So könne es sich in einem unbewohnten und von positivem Recht befreiten Raum wie zunächst dem von Robinson Crusoe konstituieren.439 Im Ergebnis sei Eigentum wie der Vertrag nach diesem Ansatz „eine der Rechtserfahrung vorausgehende Kategorie, ein apriorischer Begriff.“440 3. Der Vertrag aus einem „voluntaristischen“ Ansatz Gewisse Verfechter der vorstaatlichen Vertragsexistenz stützen sich ebenfalls grundsätzlich auf den Willen des Menschen.441 Diese Idee kann aus didaktischen Gründen als voluntaristisch bezeichnet werden.442 Es wird argumentiert, dass die vertragliche Bindungskraft aus dem Willen komme, da sie nur entstehe, wenn beide 434 Larenz, Richtiges Recht, S. 59; vgl. auch Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 610 f. 435 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 610. 436 Larenz, Richtiges Recht, S. 59, unter Bezug auf Ryffel, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 324. Letzterer bestimmt an den gegeben Seite u. a.: „Schließlich sind mehr oder weniger allgemeine anthropologische Konstanten anzunehmen (wie Ehe, Familie, Verträge, Assoziationen, Eigentum und Arten des Eigentumserwerbs), nur darf man diese nicht verabsolutieren und in eine eindeutige, ,wesensgemäße‘, aus der ,Natur der Sache‘ sich ergebende Form pressen (…). Dies kann man sich etwa am Beispiel des Eigentums verdeutlichen.“ 437 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 194. 438 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 193. 439 Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 194. 440 Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 610 (Hervorhebung im Original). Mehr zum Eigentum gemäß dieser Lehre Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 191 ff. 441 So z. B. Hartmann, Ethik, S. 465, 731 f.; Larenz, Richtiges Recht, S. 57; Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379; Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158 f.; Püls, Parteiautonomie, S. 38 ff. 442 So Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158. Diez-Picazo, Fundamentos del Derecho Civil, I, S. 124, spricht von „Voluntarismo jurídico“ (Juristischer Voluntarismus).
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Parteien ihr zustimmen würden.443 Deswegen bedeute das Verständnis, dass der Vertrag seine Kraft erst im staatlichen Recht finde, für diesen Ansatz die Möglichkeit, die Freiheit und das Bewusstsein der Person abzuschaffen.444 An dieser Stelle verdienen Kants und G. Husserls Rechtstheorien besondere Aufmerksamkeit. Beide nähern sich eher der rationalistischen Naturrechtslehre bzw. der juristischen Phänomenologie. Ihre Doktrinen werden hier allerdings erläutert, weil sie den Willen in den Mittelpunkt nicht nur ihrer vertraglichen, sondern auch gesamten rechtlichen Überlegungen stellen. a) Die voluntaristische Theorie von Immanuel Kant Kant ist ein Denker, der schwer als „rein vorstaatlich“ zu klassifizieren ist. Auf der einen Seite wird er als wichtiger Vertreter der Vernunftrechtslehre bezeichnet und seine Doktrin ist daher in einigen Aspekten mit der Naturrechtsschule verwandt.445 Er beschäftigt sich zwar mit dem Naturrecht, das auf apriorischen Prinzipien der Vernunft basiere.446 Trotzdem kritisiert er die traditionelle Naturrechtstheorie, weil sie unter anderem den Unterschied zwischen den Gesetzen der Natur und der Freiheit nicht verstehe.447 In letzteren sieht er das Recht gegründet, das sich durch die Vernunft manifestiere.448 Der Mensch handle nach dem Willen, der nicht mehr als die praktische Vernunft sei.449 Wenn er sich hingegen nach den Gesetzen der Natur verhielte, verlöre er seinen freien Status und würde ein dem reinen Instinkt unterworfenes Tier.450 Auf der anderen Seite wurde auch angedeutet, dass Kant die Tür zum Rechtspositivismus öffne.451 Er sei weder ein traditioneller Rechtsnaturlehrer
443 Larenz, Richtiges Recht, S. 57: So „beruht die Bindung eines jeden an den Vertrag auf seinem eigenen Willen (…).“ Vgl. ferner Larenz/Wolf, AT, § 2, Rn. 32. 444 Larombière, Théorie et pratique des obligations, I, S. 379. In diese Richtung auch Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 446 ff. 445 Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 12. 446 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 447 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1322, Rn. 10. Vgl. dazu zudem Rojas Amandi, Dereito 2004, N8 2, 111, 116; ferner zur kantischen Kritik an der traditionellen Naturrechtsschule Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 351 f. 448 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1322, Rn. 9. 449 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 36, 63. 450 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1319, Rn. 3, 1320, Rn. 3, 1321, Rn. 6, 1326, Rn. 19. 451 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 404. Vgl. ferner Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 87, 129 f.; auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 352 f.: „Von Kants (selbst keineswegs formaler) Ethik geht daher eine Hauptader des wissenschaftlichen Formalismus, d. h. des rechtswissenschaftlichen Positivismus aus, der den späten Usus modernus in eine autonome Wissenschaft des positiven Rechts umbilden sollte.“
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
noch ein reiner Rechtspositivist.452 Seine Doktrin sei als „protopositivistische Rechtsnaturtheorie“ zu identifizieren.453 Er lege den Eintritt in den Zivilzustand als grundlegend für den peremtorischen Charakter des Rechts fest.454 Kant wird in diesem Text jedoch als vorstaatlich behandelt.455 Denn sein apriorisches, rechtsrationalistisches Gedankengut stellt sich die Existenz des Vertrages vor einer solchen bürgerlichen Verfassung – wenn auch provisorisch – als möglich vor456 und ein Teil der als vorstaatlich eingeordneten Juristen stützt sich auf seine Lehre.457 aa) Allgemeines Rechtsgesetz Die gesamte Lehre von Kant ist tief vom Recht inspiriert.458 In seinen Texten zur Ethik dominiert das „Sollen“ das „Sein“ und er spricht vom apriorischen allgemeinen Gesetz sowie von Vernunfturteilen.459 Doch erst in einem seiner letzten Werke, „Die Metaphysik der Sitten“ aus dem Jahr 1797, beschäftigt er sich intensiv mit dem Recht. Im Einklang mit seiner ethischen Theorie versucht er dabei, die Gültigkeitsbedingungen des Rechts zu bestimmen, die a priori implizit in der Vernunft enthalten seien.460 In dieser Schrift werden einige Rechtsideen entwickelt, die bereits in seinen im Jahr 1784 von Gottfried Feyerabend mitgeschriebenen Vorlesungen zum Naturrecht vorgestellt wurden.461 In „Die Metaphysik der Sitten“ fragt Kant nach dem Recht in seinem rationalen Sinn, das heißt, was Recht sei (quid ius).462 Er behauptet, dass das Recht in der reinen
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López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 404, 406. Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 16: „La posición de Kant al respecto es claramente iusnaturalista, aunque, como se verá, su posición también anuncia el positivismo jurídico, por lo que su doctrina puede ser calificada como iusnaturalismo protopositivista.“ (Hervorhebung durch Verfasser). In diese Richtung auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 10 f., der in Bezug auf Kant schreibt: „Diese Positivierung des Rechts ist im Naturrecht selbst angelegt.“ 454 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, §§ 8 f., S. 59 f. 455 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 8, S. 58 f. 456 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59 f., § 44, S. 119. 457 So z. B. Moisá, Autonomía de la voluntad, S. 158; Stöhr, AcP 2014, 425, 443. 458 So Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 9. 459 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395. 460 Vgl. Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 123; López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395; Rojas Amandi, Dereito 2004, N8 2, 111, 131, 133; auch Contreras García, Alegatos 2009, N8 79, 759, 761, 772 f. 461 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317 ff. 462 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 30. 453
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
163
Vernunft liege, weit entfernt von positiven und empirischen Gesetzen.463 Er interessiert sich für den Rechtsbegriff in Bezug auf die Verbindlichkeit.464 Beim Recht handle es sich Kant zufolge um ein äußeres und praktisches Verhältnis zwischen mindestens zwei Personen.465 Diese Beziehung sei ein Verhältnis der Willkür.466 Nach einem universellen Gesetz solle die Willkür daher die Freiheit der anderen Person nicht beeinträchtigen, damit das Verhältnis gerecht sei.467 Die Willkür sei der Willensaspekt, der mit der Handlung verbunden sei.468 Die Materie der Willkür sei schließlich für das Recht irrelevant, es sei nur die Form des Verhältnisses aus der Sicht der Freiheit von Bedeutung.469 Deshalb werde nicht über die Zwecke der Parteien in einer Rechtsbeziehung diskutiert, also zum Beispiel, ob Vorteile in einem bestimmten Vertrag für eine Partei bestünden.470 Beruhend auf diesen Überlegungen verfasst Kant in Übereinstimmung mit seinem „Kategorischen Imperativ“471 als universelles Rechtsgesetz folgende Formel: „(…) handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne.“472
463 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 30 f.: „Was Rechtens sei (quid sit iuris), d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben, kann er noch wohl angeben: aber ob das, was sie wollten, auch recht sei, und das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne, bleibt ihm wohl verborgen, wenn er nicht eine Zeitlang jene empirischen Prinzipien verläßt, die Quellen jener Urteile in der bloßen Vernunft sucht (…).“ (Hervorhebung im Original). 464 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 465 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 466 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 467 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 468 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 399. Vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 33: „Die Willkür ist ein Vermögen, etwas nach Belieben zu tun oder zu lassen.“ (Hervorhebung im Original). 469 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 470 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 31. 471 Der Kategorische Imperativ lautet: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“ Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 52. Vgl. zur Beziehung zwischen dem kantischen Rechtsprinzip und dem kategorischen Imperativ Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23 ff. 472 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § C, S. 32. Vgl. ferner derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1320, Rn. 3 f.: „Recht ist die Einschränkung der Freiheit, nach welcher sie mit jeder andrer Freiheit nach einer allgemeinen Regel bestehen kann.“
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Darüber hinaus wird von dieser Doktrin bestimmt, dass jedes Recht untrennbar mit der Befugnis verbunden sei, von jedem anderen dessen Achtung zu erzwingen.473 Sobald der Rechtsbegriff dargelegt ist, teilt Kant das Recht in zwei Kriterien auf. Aus den systematischen Lehren sei das Recht einerseits als natürlich, basierend auf apriorischen Vernunftsprinzipien, und positiv, entsprechend dem Gesetzgeberwillen, einzustufen.474 Als moralisches Vermögen, andere zu verpflichten, sei das Recht andererseits außerdem in angeborenes Recht und erworbenes Recht zu unterteilen.475 Ersteres erlange der Mensch gemäß dieser Lehre von Natur aus und unabhängig von jeglichem Rechtsakt.476 Es sei das innere Mein und Dein.477 Das erworbene Recht hänge dagegen von einem Rechtsakt ab und sei das äußere Mein und Dein.478 Das innere Mein und Dein sei die Freiheit als Unabhängigkeit von einer anderen Willkür in Koexistenz mit jeder anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz.479 In dieser Freiheit finde sich die angeborene Gleichheit, und zwar die Unabhängigkeit nicht zu mehr von anderen verpflichtet zu werden, als wozu die anderen auch verpflichtet seien.480 In der kantischen Theorie dient das angeborene Recht als Voraussetzung für das gesamte Rechtssystem.481 Daraus ergäben sich dann die anderen Rechte: das äußere Mein und Dein, das unter anderen das Eigentum und das persönliche Recht seien.482 Das Naturrecht teilt Kant seinerseits in Privatrecht und öffentliches Recht ein. Das Privatrecht stelle das natürliche Recht des Naturzustands (status naturalis) dar, während das öffentliche Recht das Recht sei, das Garantie durch öffentliche Gesetze des Zivilzustands, also der bürgerlichen Gesellschaft (status civilis) erlange.483 473 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § D, S. 32 f. Diesbezüglich derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1333, Rn. 33: „Ein Recht ist daher die Befugnis andre zu zwingen.“ 474 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 475 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 476 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 477 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 478 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 479 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 402 f.; vgl. zudem Unberath, Vertragsverletzung, S. 34 f. 480 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, § B, S. 39. 481 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 403. Vgl. auch Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 32: „Whatever may be analytically ,developed‘ out of the concept of right has no force unless the concept of right itself can be shown to be grounded in the nature and reality of freedom.“ 482 López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 403. 483 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Metaphysik der Sitten überhaupt, § B, S. 44.
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bb) Das Postulat des Privatrechts als Achse des intelligiblen Besitzes Zentrales Element des Privatrechts des Naturzustands ist für die kantische Theorie das erworbene Recht.484 Zu seiner Versicherung und Verteidigung leitet sie das öffentliche Recht des Zivilzustands aus der Vernunft ab.485 Das erworbene Recht ist Kant zufolge das äußere rechtliche Meine (meum iuris).486 Das sei es, womit eine Person so verbunden sei, dass seine Nutzung durch einen anderen, ohne Zustimmung der betroffenen Person, diese in ihren Rechten verletzen würde, auch wenn diese nicht in physischem Besitz davon sei.487 Der entscheidende Besitz für das Recht sei demgemäß intelligibel (noumenon), aber nicht physisch und empirisch (phaenomenon).488 Dieser intelligible Besitz ist also nach dieser Doktrin der rechtliche Besitz und basiert auf einem juristischen Postulat der praktischen Vernunft: „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben.“489
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Vgl. aber López Hernández, Anuario de filosofía del derecho IX (1992), 395, 405, welcher als zentrales Element des Privatrechts des kantischen Naturzustandes das Eigentumsrecht hervorhebt; er berücksichtigt also nicht das Personale Recht oder das HausherrenRecht (Familienrecht). Ähnlich Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 18, 20, 26, 28; Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32, 37. 485 Gemäß Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 16, 26, sei der bürgerliche Zustand aber notwendig, um das Privateigentum zu schützen. In diese Richtung auch F. Rauscher, Kant’s Social and Political Philosophy; Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32, 39. Meines Erachtens begründet Kant die Staatsidee insbesondere, doch nicht ausschließlich auf der Gewährleistung des Privateigentums. Er denkt eher an die Versicherung des ganzen Vermögens. So spricht er zuerst beim Erklären des „äußeren Meine“ von „einem intelligiblen Besitz“ (Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 1, S. 47 ff.) und sagt, dass man den bürgerlichen Zustand setzen solle, um einen solchen Besitz zu stabilisieren (dasselbe Werk, § 8, S. 58 f.). Zweitens behauptet er, dass „die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat“ Gegenstand des intelligiblen Besitzes sein könne (dasselbe Werk, § 4, S. 49 f.). Schließlich bezieht er sich auf das Eigentum, wenn er das Recht über Sachen erklärt, was nur eine Art von intelligiblem Besitz sei (dasselbe Werk, § 17, S. 74). Ähnlich Unberath, Vertragsverletzung, S. 36: „Wichtig zu bemerken ist auch, daß der Begriff erheblich weiter ist als das Eigentum an Sachen: Gemeint ist der rein rechtliche Besitz eines beliebigen äußeren Gegenstandes der Willkür nach Abstraktion aller Bedingungen des empirischen Besitzes in Raum und Zeit.“ In diese Richtung auch Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 54; Hruschka, JZ 2004, 1085, 1089. 486 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 1, S. 47, § 5, S. 51. 487 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 1, S. 47, § 5, S. 51. 488 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 1, S. 47, § 5, S. 51. Vgl. dazu Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32; auch Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 55 ff.; Tomassini, AHF (2015), N8 2, 435, 437 f. 489 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 2, S. 48.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Aufgrund seiner Bedeutung in der kantischen Privatrechtslehre wurde dieses Postulat von Joachim Hruschka (1935 – 2017) „Postulat des Privatrechts“ genannt.490 Bei diesem Postulat sei laut dieser Ansicht „der äußere Gegenstand der Willkür“ dasjenige, was die Willkür als Mittel zum Erreichen ihrer Zwecke verwenden könne.491 Denn ein Individuum besitze physische Objekte, aber wenn diese nicht auch rechtlich verwendet werden könnten, würde die Freiheit sich selbst ihrer Willkür berauben.492 Bei dieser Rechtslage wäre die Nutzung einer Sache, die über den momentanen Gebrauch der Sache hinausgehe, zum Beispiel sinnlos493 : „Wer sät, könnte nicht damit rechnen zu ernten.“494 Angesichts dessen abstrahiere die praktische Vernunft die zeitlichen und räumlichen Bedingungen, die zwischen dem Wunsch, etwas als etwas Eigenes zu haben, und diesem Etwas bestehen, und leite das äußere Mein (der intelligible Besitz) hieraus ab.495 Dieser intelligible Besitz bestehe nach der kantischen Theorie in der vorstaatlichen Situation, aber aufgrund mangelnder Sicherheit nur provisorisch.496 Ohne die Möglichkeit, im Naturzustand rechtlich zu besitzen, könne der Zivilzustand nicht eintreten.497 Im Naturzustand finde man schon die Materie des Rechts des Zivilzustands.498 Letzterer diene nur dazu, das Recht zu garantieren und ihm den peremtorischen Charakter zu verleihen.499 Er positiviere das Recht500 und das Recht könne
490 Hruschka, JZ 2004, 1085, 1089. Diesbezüglich spricht Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 24, von „the central principle of ,private right‘.“ 491 F. Rauscher, Kant’s Social and Political Philosophy; Hruschka, JZ 2004, 1085, 1089; Unberath, Vertragsverletzung, S. 38 ff.; Tomassini, AHF (2015), N8 2, 435, 437 f. 492 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 2, S. 48. Diesbezüglich Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 58: „The moral possibility of property rights rest, in the first instance, on the assumptions that it would be irrational to deny ourselves the use of objects that can be used as means to our ends and that, at least in the case of physical objects, the objects themselves have no rights, or we have no obligations to them, that would block this use.“ 493 Hruschka, JZ 2004, 1085, 1089; so auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 40. 494 Hruschka, JZ 2004, 1085, 1089. 495 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 6, S. 52, 54, § 7, S. 58. Vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 36: „Es geht also um den von empirischen Bedingungen abstrahierenden Besitz.“ 496 Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 16; Unberath, Vertragsverletzung, S. 41. 497 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 44, S. 119. 498 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 41, S. 113. Vgl. ferner Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 17. 499 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59. Vgl. dazu auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 42 f. 500 Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 19; Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 86.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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bei dieser Positivierung keinen Abbruch leiden.501 Die Begründung des Zivilzustands in der Realität sei subjektiv zufällig, aber seine Notwendigkeit sei ein objektives Naturrechtsprinzip.502 Der Eintritt in den Zivilzustand sei dann gemäß dieser Ideen eine Pflicht.503 Folglich handle entsprechend dem Vernunftrecht, wer im Naturzustand sich gegenüber jedem verteidige, der nicht mit ihm in den Zivilzustand eintrete und somit seinen Besitz stören wolle504: Man könne in diesem Zustand seinen Besitz selbst verteidigen.505 cc) Persönliches Recht: Der Vertrag als abgeleiteter Erwerbsmechanismus Der intelligible Besitz könne nach Kant unter anderem körperliche Sachen und die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio) zum Gegenstand haben.506 Der Besitz des zukünftigen Verhaltens eines anderen (Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat) führt zur besonderen Behandlung des Schuldvertrages und des Prinzips pacta sunt servanda.507 Dieser Besitz bestehe laut kantischer Lehre grundsätzlich in einem persönlichen Recht508, und zwar darin, Gläubiger eines Schuldners zu sein.509 Diese Art von Besitz könne im Unterschied zum Besitz einer
501 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59. 502 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 15, S. 67. 503 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 8, S. 59. Vgl. dazu Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 16; Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 62; Hruschka, JZ 2004, 1085, 1086 ff.; Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32, 37 f. 504 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59 f. (siehe auch dasselbe Werk, § 15, S. 68, § 16, S. 71, § 42, S. 113 f.). Vgl. dazu ferner Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 16; Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 62; Hruschka, JZ 2004, 1085, 1086 ff.; Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32, 37 f. 505 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 9, S. 59 f., § 15, S. 68. 506 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 4, S. 49 ff., § 6, S. 52 ff., Einleitung der Erwerbung des äußeren Mein und Dein, S. 63 (vgl. dasselbe Werk, §§ 11 ff., S. 63 ff., §§ 18, S. 74 ff., §§ 22 ff., S. 80 ff.). 507 Ausführlich zur Auslegung Kants Vertragslehre Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 53 ff.; Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 153 ff.; Unberath, Vertragsverletzung, S. 43 ff.; vgl. auch Dedek, CJLJ 2012, 313, 337, 341; Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2510 ff. Siehe dazu ferner 3. Kapitel, unter B. 2. 508 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 74 f. 509 So Hruschka, JZ 2004, 1085, 1091.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Sache nicht ursprünglich erworben werden.510 Das wäre der kantischen Konzeption zufolge gegen die Freiheit und somit Unrecht.511 Für den Erwerber sei das zukünftige Verhalten eines anderen zwar ein äußeres Objekt seiner Willkür, ähnlich einer körperlichen Sache, aber für den Versprechenden stehe ein Teil seiner Freiheit auf dem Spiel.512 Dieser Besitz könne auch nicht rechtswidrig erworben werden.513 In einem solchen Fall habe der Betroffene das Recht auf Reparatur, er erwerbe allerdings durch die Entschädigung nichts Zusätzliches über das hinaus, was er nicht schon vorher gehabt habe.514 Der Besitz des zukünftigen Verhaltens eines anderen könne entsprechend Kant nur durch Vertrag erworben werden.515 In diesem Geschäft würden sich die Willen der Parteien – wie oben betrachtet516 – vereinen, um den Besitz eines zukünftigen Verhaltens zu übertragen.517 Das zukünftige Verhalten eines anderen sei die vertragliche Leistung und könne sich auf ein Tun, ein Nichtstun oder das Geben einer Sache beziehen.518 Auf diese Weise gehe es beim Vertrag gemäß dieser Doktrin um einen kooperativen Weg für die Menschen, Leistungen und dadurch auch möglicherweise Sachen zum Erreichen ihrer Zwecke zu erhalten.519 Aus diesem Grund wäre das vorgenannte Postulat des Privatrechts ohne den Vertrag beeinträchtigt.520 Man könnte beispielweise Dinge nicht bekommen, die bereits von anderen erworben worden seien.521 Dazu sollte man abwarten, dass die Dinge herrenlos geworden seien, um sie anschließend einseitig zu erwerben.522
510 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. 511 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. 512 Dedek, CJLJ 2012, 313, 344. 513 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. 514 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. 515 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75. Vgl. auch derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1350, Rn. 63. 516 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. 2. 517 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 20, S. 78. 518 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 78, § 31, S. 89 ff. Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 337 ff., 343. Siehe zur Diskussion über die Ausdehnung des kantischen Schuldvertragsbegriffs 2. Kapitel, unter E. I. 519 So Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2509; F. Rauscher, Kant’s Social and Political Philosophy. 520 Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 57 ff., 70; Unberath, Vertragsverletzung, S. 40, 48. 521 Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 65 f. 522 Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 65 f.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Der Vertrag definiere nach dieser Idee das Vermögen der Vertragsparteien und das Verhältnis zwischen ihren Freiheiten neu523 : „Was Voluntas communis festsetzt, ist Recht.“524 Der Besitz der vertraglichen Leistung werde erworben, bevor sie physisch erbracht werde.525 Das heißt, das zukünftige Verhalten der Versprechenden verlasse seinen bloßen Status der Möglichkeit und werde unfehlbar zu einem Kredit – einer aktiven Obligation – für den Erwerber und zu einer Schuld – einer passiven Obligation – für den Übertragenden.526 Die Willensvereinigung schaffe laut dieser Lehre also die Verpflichtung: „Pactum est servandum, promißis standum.“527 Denn eine solche Übertragung einer zukünftigen Leistung durch Versprechen anzunehmen, aber die daraus resultierende Verbindung zu leugnen, sei eine contradictio in adiecta528: „(…) denn da wird meine Habe und Besitz an dem Versprochenen dadurch nicht aufgehoben, daß der Versprechende zu einer Zeit sagte: diese Sache soll dein sein, eine Zeit hernach aber von ebenderselben Sache sagt: ich will jetzt die Sache solle nicht dein sein.“529
Daraus folgt, dass die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung für diese Theorie eine Verletzung des Gläubigervermögens bedeutet.530 In diesem Zusammenhang ist es angebracht zu erwähnen, dass Kant in ähnlicher Weise wie Reinach531, aber vor dessen Theorie und aus dem subjektiven Apriori, bei der Formu-
523 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 18, S. 75, § 20, S. 77; dazu auch Dedek, CJLJ 2012, 313, 346. 524 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1351, Rn. 65. 525 Dazu Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 61; Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 32, 33. Vgl. ferner Unberath, Vertragsverletzung, S. 43: „Es ist wichtig zu sehen, daß das Postulat des Privatrechts nicht auf das Eigentum an Sachen beschränkt ist, sondern im gleichen Maße auch für das Vertragsrecht zu gelten beansprucht.“ 526 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 4, S. 50, § 20, S. 77; siehe ferner Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 61; Dedek, CJLJ 2012, 313, 337, Fn. 112; Hevia, Kant y la filosofía del derecho contractual, S. 2501, 2510. Goyard-Fabre, Kant et le problème du droit, S. 157 : „L’essence du contrat est d’obliger les parties, réciproquement, l’une envers l’autre, de les obliger absolument, comme oblige l’impératif catégorique: comme tel, le contrat n’est pas un simple accord des volontés, un simple consensus occasionnel et conditionnel; il manifeste le pouvoir intelligible de la volonté en tant que faculté législatrice de la raison. Il le manifeste a priori, hors du monde et hors de temps.“ 527 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1351, Rn. 65 f. 528 Dedek, CJLJ 2012, 313, 336 f. und dort auch Fn. 112. Vgl. dazu zudem Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 72: „The legal principle that (accepted) promises have to be kept is the opposite side of the coin from the principle that contractual claims are possible. If accepted promises are to be kept, that means that the promisee has a contractual claim. Contrarily, if someone has a contractual claim, that means that accepted promises have to be kept.“ 529 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 7, S. 57. 530 Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 53. 531 Siehe dazu 3. Kapitel, unter C. IV. 2. a).
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
lierung der Vertragsbindung als Postulat der reinen Vernunft an einen Vergleich mit der Mathematik appelliert: „Die Frage war: warum soll ich mein Versprechen halten? Denn daß ich es soll, begreift ein jeder von selbst. Es ist aber schlechterdings unmöglich, von diesem kategorischen Imperativ noch einen Beweis zu führen; ebenso, wie es für den Geometer unmöglich ist, durch Vernunftschlüsse zu beweisen, daß ich, um ein Dreieck zu machen, drei Linien nehmen müsse (ein analytischer Satz), deren zwei aber zusammengenommen größer sein müssen, als die dritte (ein synthetischer; beide aber a priori).“532
In Bezug auf die Durchsetzbarkeit des Vertrags könne nach dieser Lehre der Versprechende, wenn er die Schuld nicht erbringen wolle, dazu gezwungen werden.533 Dies betreffe die Freiheit seines Willens nicht, da er sich bei Vertragsabschluss frei selbsteingeschränkt habe.534 Im vorstaatlichen Naturzustand könne man laut Kant ebenfalls durch Vertrag das zukünftige Verhalten eines anderen erwerben.535 Er geht zwar nicht tiefer auf diesen Punkt ein, aber seine oben dargelegten allgemeinen Ideen zum intelligiblen Besitz gelten auch für das Vertragsrecht.536 Deshalb werde nach dieser Ansicht das provisorisch im Naturzustand erhaltene Recht auf eine Leistung im Zivilzustand peremtorisch sein.537 Im Naturzustand könnte man Kants Überlegungen zufolge den Schuldner einseitig zur Erbringung seines geschuldeten Verhaltens zwingen, wenn er sich seiner Erfüllung widersetzen würde. Diese Selbstdurchsetzung der geschuldeten Leistung entspricht dem allgemeinen Rechtsprinzip von Kant und der Notwendigkeit der Verfassung des Zivilzustands. In Übereinstimmung mit seinen Ideen zur Verteidigung des Besitzes eines Grundstücks im Naturzustand538 kann man durch lo532
Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 19, S. 77 (Hervorhebung durch Verfasser). 533 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre, § E, S. 33; derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1350, Rn. 64. 534 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1319, Rn. 2, 1350, Rn. 64. 535 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 44, S. 119. 536 Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 54: „Generally, Kant interpreters consider the first ten sections in the ,Doctrine of Right‘, discussing private law, only in light of its relevance to property law. Yet, in section 4 of the ,Doctrine of Right‘, Kant clearly indicates that the external objects of my choice include physical things, another’s choice to perform an act, and another’s status in relation to me. Stated differently, the principles Kant develops in these first ten sections relate to property law, contract law, and family law.“ 537 So Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 70 f. Vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 41: „In diesem ,Naturzustand‘ ist rechtlicher Besitz, wir würden von Eigentum bzw. Vertrag sprechen, zwar denkbar, aber in der Wirklichkeit nur provisorisch, vorübergehend.“ 538 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 17, S. 73: „Soweit ich aus meinem Sitze mechanisches Vermögen habe, meinen Boden gegen den Eingriff anderer zu sichern (z. B. so weit die Kanonen vom Ufer abreichern), gehört er zu meinem Besitz, und das Meer ist bis dahin geschlossen.“ (Hervorhebung durch Verfasser).
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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gische Folgerung sogar behaupten, dass nach dem Verfasser von „Zum ewigen Frieden“ (1795)539 paradoxerweise die Vertragserfüllung mit Waffengewalt im Naturzustand erfolgen könne540: Wer im Naturzustand seine Versprechen nicht einhalten würde, genauso wie wer das Land eines anderen nicht respektieren würde, würde nämlich den Besitz des Versprechensempfängers stören. In diesem Sinne unterscheidet die kantische Doktrin sich also nicht von der Naturrechtslehre. Beide glauben an die vom Staat unabhängige Existenz des Vertrags und erlauben, die Erbringung der vertraglichen Schuld durch Krieg zu erzwingen.541 b) Die voluntaristische Theorie von Gerhart Husserl Die Lehre von G. Husserl ist unter die sogenannte „phenomenological school of law“ subsumierbar.542 Sie ist aber auch im Rahmen des voluntaristischen Ansatzes zu beachten, der die Existenz der Vertragsbindung unabhängig vom Staat verteidigt. Denn G. Husserl betont besonders, dass der Ursprung der Bindungskraft im Willen liege.543 Der in Halle geborene Jurist war der Sohn von E. Husserl, dessen Philosophie als Grundlage seiner Analysen diente.544 Er brachte seine phänomenologischen Instrumente dem Recht näher545 und versuchte im Wesentlichen, seine apriorischen Strukturen zu erfassen.546 Dieser Professor der Universitäten Kiel und Washington verwendete daher die phänomenologische Reduktionsmethode und analysierte das 539
Kant, Zum ewigen Frieden. Bezüglich der allgemeine Möglichkeit der Übertragung der kantischen Überlegungen über intelligiblen Besitz einer Sache auf den intelligiblen Besitz der Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat sagt Unberath, Vertragsverletzung, S. 44: „Das subjektive Recht aus Verträgen, das persönliche Recht, wird in gleicher Weise wie das Eigentum an Sachen eingeführt. Nur das Objekt des ,äußeren Mein‘ ist unterschiedlich.“ Ähnlich Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 53: „(…) Kant’s discussion of both sensible or physical possession, as well as intelligible possession or ownership, is equally applicable to contractual claims.“ (Vgl. auch denselben Aufsatz, 47, 53, Fn. 30). 541 Diesbezüglich behauptet Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1353, Rn. 68, dass man den Vertrag nach dem Gesetz der Menschheit als Prinzip halten muss, „sonst würde ein beständiger Krieg seyn, einer dem andern sein Versprechen nicht trauen und gar nichts sicher seyn.“ 542 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 158. Vgl. bezüglich des Einflusses von der Doktrin G. Husserls auf die phänomenologische Rechtslehre Würtenberger, FS Gerhart Husserl (1969), S. VII: „Dieser neuen Richtung der Rechtslehre wesentliche Impulse gegeben zu haben, ist nicht zuletzt das hohe Verdienst des deutschen Juristen Gerhart Husserl.“ 543 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 27 f., 30, 38. 544 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. VII. Zu einer Biografie von G. Husserl Böhler, Gerhart Husserl, S. 3 ff. 545 Vgl. Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 183, 194, 199. 546 Pallard, Henri/Hudson, Richard, in: Philosophy of Law, Vol. I, Stichwort „Husserl, Gerhart (1893 – 1973)“, S. 385. 540
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Recht, das vor Zeit und Geschichte bestehe.547 Er erkannte zudem Reinachs rein intuitive Einstellung als zutreffend an, obwohl er – wie man sehen wird – von dessen Lehre abweicht.548 In den Untersuchungen von G. Husserl nahm das Problem der Geltung des Rechts einen besonderen Stellenwert ein.549 Das war die große Frage der Rechtsphilosophie seiner Zeit, die maßgeblich durch den kelsenianischen Standard geprägt war.550 Seine Bonner Habilitation „Rechtskraft und Rechtsgeltung“ hat als exklusiven Gegenstand, wie der Titel schon nahelegt, das Thema der Geltung des Rechts.551 Diese Schrift ist die interessanteste für die vorliegende Studie.552 Darin wird nämlich die Bindungskraft des Vertrages als Werk des gemeinsamen Willens ausgeführt und das oben genannte Wüstenbeispiel behandelt. aa) Der Wille als Ursprung der Geltung des gesamten Rechts Die Geltung des Rechts wird von G. Husserl als „die Seinsform des Rechts“ vorgestellt.553 Dank ihr würden Sachverhalte Rechtswirklichkeit erhalten.554 Wenn die Geltung des Rechts aufgehoben werde, werde es seiner Seinsform beraubt.555 Die Geltung des Rechts unterliegt nach dieser Doktrin bestimmten Voraussetzungen. So könne ein Sachverhalt nur dann als Rechtssachverhalt gelten und angesehen werden, wenn er sich auf das willentliche Verhalten von Individuen im Verhältnis zueinander beziehe und dieser Bezug den Sinn einer normativen Begrenzung der Einzelwillen habe.556 Das Recht habe die Funktion, eine Mehrheit von Subjekten zu ordnen.557 Deswegen setze es dieser Ansicht zufolge als soziale Wirklichkeit voraus, dass mehrere freiwillige Subjekte eine Rechtsgemeinschaft bilden würden558 : Ein Recht ohne Rechtskreis sei wie ein landloser König.559 Die 547
Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 159. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. VI f. 549 Vgl. Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 166 f. 550 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 166, 168. Vgl. ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 196: „War vor 1933 der Rechtspositivismus die dominierende Theorie (…).“ 551 Böhler, Gerhart Husserl, S. 6 f. 552 Zu einer Auslegung dieses Buchs Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 185 ff.; auch Böhler, Gerhart Husserl, S. 58 ff. Überblick Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 54 f. 553 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 1; vgl. auch derselbe, Recht und Welt, S. 67, 83. 554 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 1. 555 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 12; vgl. dazu ferner Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 185. 556 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 2. 557 Böhler, Gerhart Husserl, S. 77. 558 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 2 f.; vgl. zudem derselbe, Recht und Welt, S. 67, 77 f. 548
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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Gemeinschaft solle zur Erzeugung einer „Willensverbundenheit“ mit Rechtscharakter ferner einen Ausgleich verschiedengearteter Willensstrebungen ihrer Mitglieder anstreben.560 Der Einzelwillen solle beabsichtigen, sich einem höheren Gesamtwillen zu unterwerfen, das heißt, er solle entsprechend dieser Lehre ein „Wir“ konstituieren.561 Ohne diese willentliche Zustimmung und Anerkennung eines Sachverhalts als Norm könne sie nicht zur Geltung kommen und sei damit auch kein Recht.562 Denn die Rechtsnorm gelte für G. Husserl – gegen den dominanten Gedanken des 19. Jahrhunderts563 – „nicht als Erkenntnissatz, sondern als Willenssatz.“564 Sie leite sich anders als ein mathematischer Satz nicht aus logischen Prämissen, sondern aus dem Willen ab.565 Trotz dieser Merkmale des Rechts solle seine Geltung laut dieser Überlegungen nicht als eine Faktizität, eine historisch-einmalige Tatsächlichkeit566 oder eine psychologische Tatsächlichkeit angesehen werden.567 Sie habe vielmehr „ein Sein eigener Art.“568 bb) Die Willensvereinbarung in der Wüste als wirksamer Vertrag Der Vertrag sei nach G. Husserls Theorie ein Instrument, mit dem Rechtsgeltung geschaffen werden könne.569 Sein Zustandekommen wird von G. Husserl ähnlich wie die Pandektenwissenschaft beschrieben und erinnert daher an Kant.570 So objektiviert er den Konsens und behauptet, dass die Parteien durch die Übereinstimmung ihrer Einzelwillen einen neuen gemeinsamen Gesamtwillen schüfen: den Vertragswillen.571 Der Anbieter antizipiere diesen Willen und der Annehmer gebe ihm einen endgültigen Wert.572 Damit erlange das Vereinbarte intersubjektive Bindungswir559 560 561 562 563
S. 55. 564
G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 5. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 3. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 3. Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 185. Püls, Parteiautonomie, S. 38. Vgl. dazu auch Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie,
G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 8 (Hervorhebung durch Verfasser). Dazu G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 8, 40; derselbe, Recht und Welt, S. 67, 77: „Das Recht ist Willenswerk.“ 566 Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 185. 567 Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 55. 568 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 8. 569 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 9 f., 26 ff. Er setzt darüber hinaus eine Unterscheidung zwischen der autonomen Rechtsschaffung und der staatlichen Rechtsanwendung, beide innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung, fest, die nicht von Bedeutung für diese Untersuchung ist. (Vgl. dasselbe Werk, S. 35 ff.). 570 Siehe 2. Kapitel, unter E. I. und 3. Kapitel, unter B. II. 571 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 26, 28. 572 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 22, Fn. 2. 565
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
kung für einen abgegrenzten Rechtskreis.573 Die Geltungskraft des Vereinbarten resultiere dann nach dieser Ansicht aus den individuellen Willen.574 Hinsichtlich des Staates wird davon ausgegangen, dass seine Anerkennung der privat durch Vertrag geschaffenen Norm weder einen konstitutiven Faktor darstelle noch ihren Rechtsgehalt verändere.575 Sie betreffe nur die Wirkung nach außen, das heißt, im Rechtskreis des Staates, in dem die Vertragsparteien sich befänden.576 Wenn der Staat schwach sei und keine Vollstreckungsmittel habe, müssten die Parteien deshalb ihre privaten Rechte und das Vereinbarte mit ihrer eigenen Kraft durchsetzen.577 In der Tat könne das durch den Vertrag geschaffene geltende Recht gemäß dieser Theorie sogar primär sein.578 Das Primärrecht sei laut G. Husserl das Recht, das sich nicht aus einer höheren Rechtsordnung ableite.579 Dieses Recht könne außerdem von Subjekten geschaffen werden, die keiner Rechtsordnung unterworfen seien580, die nicht souverän seien581 und die kein Band sozialer Konvention zwischen sich hätten.582 Diese Idee verteidige daher das Bestehen eines geltenden Vertragsrechts, das nicht nur vom Staat, sondern auch von jedem vorigem Statut unabhängig sei.583 In diesem Zusammenhang wird das Wüstenbeispiel von dieser Theorie vorgestellt und diskutiert584, und zwar die Hypothese, dass zwei Menschen verschiedener Kulturen, einer durstig und der andere hungrig, sich erstmals in der Mitte des Nirgendwo begegnen und die beiden sofort Trockenfleisch durch Zeichen gegen Wassermelonen tauschen.585 Der in diesem rechtsfreien Raum abgeschlossene Austausch werde als Tauschvertrag bezeichnet, der eine unangreifbare Rechtslage schaffe.586 Aus diesem Grund werde die Vertragsnorm verletzt, wenn eine der Vertragsparteien, etwa die Durstige, der anderen Partei nachträglich einen Teil des
573 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 26. Vgl. auch derselbe, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 22, Fn. 2. 574 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 27 f., 30, 38. 575 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 35. 576 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 35, 46. Vgl. dazu ferner Püls, Parteiautonomie, S. 38 f., auch Böhler, Gerhart Husserl, S. 83 ff. 577 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 37. 578 Dazu G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 30 ff., 38 f., 42. 579 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 30, 42. 580 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 31, 36 f. 581 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 32, 38 f. 582 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 583 Hippel, Privatautonomie, S. 92. 584 Dazu G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39 ff. 585 Siehe oben 3. Kapitel, unter C. II. 586 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39.
C. Von den ethisch-ökonomischen Postulaten zum Recht
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gegebenen Tauschgegenstands wegnehme.587 Diese Verletzung wird in dieser Lehre nicht allein durch die Bindungskraft des Prinzips pacta sunt servanda erklärt.588 Dieses wird von G. Husserl als eine einfache ethische Verhaltensnorm angesehen, die per se nicht binde.589 Sie sei nur dann von rechtlicher Bedeutung, wenn sie durch die Anerkennung der Parteien Charakter und Geltungswert einer Rechtsnorm enthielte.590 Der Austausch in der Wüste habe vielmehr normative Wirkung, weil die Vertragspartner durch ihre freiwilligen Handlungen einem vertraglichen Gesamtwillen unterworfen gewesen seien.591 Sie hätten nach dieser Doktrin freiwillig eine Vertragsrechtsgemeinschaft mit Bindungskraft geschaffen: den lex contractus.592 Die Freiheit der ursprünglichen Schaffung neuen Rechts durch Vertrag dürfe ihrerseits laut dieser Theorie nicht mit der Möglichkeit verwechselt werden, ein Recht willkürlich zu setzen.593 Diese rechtliche Freiheit lasse keineswegs beliebige „Erfindungen“ der Parteien auf rechtlichem Gebiet zu.594 Jedes Recht sei gemäß dieser Lehre, im Gegensatz zu Reinach, auf unaufhebbare Weise mit seiner Wesensform verbunden; diese Form aus dem Recht zu extrahieren sei die Entziehung seines Rechtscharakters.595 Die Freiheit der Vertragsparteien in einem rechtsfreien Raum bestehe demnach darin, einen ungültigen vertraglichen Rechtsgedanken anzunehmen und ihm Rechtskraft für einen Sonderrechtskreis zu verleihen.596 Diesbezüglich drückt G. Husserl in seiner berühmtesten Schrift „Recht und Zeit“ aus dem Jahr 1955597 aus, dass der Vertrag keine Erfindung des Rechts sei.598 Er sei ein Objekt der sozialen Wirklichkeit, das dem Recht vor-gegeben sei.599 Das Recht gehe von seiner Präexistenz aus und statte ihn mit einer bestimmten Rechtswirkung aus.600 Damit erfahre der Vertrag einen solchen Strukturwandel, dass man von einer neuen Schöpfung sprechen könne.601 Er höre auf, ein bloßes Objekt der sozialen Wirk587
G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39; zustimmend Hippel, Privatautonomie, S. 93, 97, der aber seine Einstellung mit anderen Argumenten begründet, und zwar mit der Beachtung des Interesses des Vertragspartners. 588 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 589 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 590 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 591 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 592 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 593 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 46. 594 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 46. 595 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 46. 596 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 46. 597 Stella, From Criticism to the Phenomenology of Law, S. 157, 167. Zu einer Auslegung dieser Arbeit Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 192 ff.; vgl. ferner Böhler, Gerhart Husserl, S. 206 ff. 598 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 27 f. 599 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 27. 600 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 27. 601 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 28.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
lichkeit zu sein und werde zu einem Konstrukt des Rechts.602 Entsprechend dieser Lehre gibt es deswegen im Gegensatz zur Natur- und Vernunftrechtsschule kein verbindliches Recht, das der Rechtsgemeinschaft vorausgeht und aus dem die Personen sich bedienen können.603 Nach G. Husserl schüfen diese einen Rechtskreis und würden Sachverhalten durch ihren Willen Geltung verleihen.604 Vor einer solchen Anerkennung beständen nur aprioristische Sätze über Wesenszusammenhänge rechtlicher Natur, aber kein geltendes Recht.605 Diese seien dabei nur vorrechtliche Sachverhalte.606 Darüber hinaus stellt G. Husserl fest, dass in der Periode des Beginns des Rechts nur wenige fundamentale Rechtsmöglichkeiten verwirklicht worden seien607 und darunter nicht die Rechtsverbindlichkeit des Versprechens einer künftigen Leistung zu finden gewesen sei.608 Nach dem Recht der Frühzeit seien alle Rechtsgeschäfte Bargeschäfte gewesen.609 Der Grund dafür habe dieser Doktrin zufolge darin gelegen, dass die Zukunft damals den Göttern gehört habe.610 Ein menschlicher Akt, der freiwillig eine Verhaltensmaxime für die Zukunft festgelegt habe, sei vermessen und dem Sinn des Lebens zuwider gewesen.611 Erst mit der Rationalisierung des Weltbildes, nach einer langen Entwicklung, sei das Vertrauen in das gegebene Wort als eine Art der geistigen Selbstveräußerung entstanden.612 4. Der Vertrag nach der liberalen Markttheorie a) Der lukrative Tauschvertrag als Teil der Natur des Menschen Als Folge der grundlegenden Rolle des Vertrages für den Markt wirft der Wirtschaftsliberalismus auch die Möglichkeit des Vertrages ohne Staat auf.613 Wesentlich ist dabei die liberale Markttheorie von A. Smith. Diese Doktrin sollte von diesem Philosophen ursprünglich als Teil einer Rechtslehre behandelt werden614, das heißt,
602
Vgl. Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 196. Ähnlich Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 186 f., 191 ff. 604 Siehe oben 3. Kapitel, unter C. IV. 3. b) aa). 605 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 9. 606 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 9. 607 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 52, Fn. 1. 608 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 53. 609 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 52. 610 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 52. 611 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 52. 612 G. Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 53 und dort Fn. 5. 613 Zur Vertragsrolle im Markt siehe 3. Kapitel, unter B. I. und III. 614 Petersen, Lucernaiuris Working Paper Series, 2/2011, 1, 2; vgl. auch derselbe, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 22. 603
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in ähnlicher Weise, wie sie in seinen Vorlesungen über das Recht erscheint.615 Zu diesem Zeitpunkt war die Ökonomie nämlich keine eigenständige Disziplin616 und A. Smith hielt das Naturrecht für die wichtigste bestehende Wissenschaft.617 Seine wirtschaftlichen Überlegungen wurden jedoch schließlich in einem exklusiven Text zu wirtschaftlichen Fragen, in seiner „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ aus dem Jahr 1776 eingeführt. Dieses Werk dient seitdem als Gründungsmanifest der Wirtschaftswissenschaften.618 Es war bei seiner Veröffentlichung sofort erfolgreich619 und sein Einfluss wurde mit dem des Neuen Testaments verglichen.620 Es versuchte, beim Anbruch der industriellen Revolution die unerwartete Beschleunigung des Wirtschaftswachstums der westeuropäischen Nationen zu erklären.621 Vor dieser Epoche herrschte die merkantilistische Vorstellung vor, nach der der Gewinn des einen auf dem Verlust des anderen beruhte.622 Der Export wurde als Ressourcenverlust zugunsten des Feindes und die Regulierungs- und Militärmacht als die Möglichkeit zur Erlangung für wirtschaftlichen Reichtum an615 Siehe z. B. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 15 ff. in Bezug auf derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 38 ff. Diese Lectures on Jurisprudence sind zwei Manuskripte über Vorlesungen, die A. Smith zugeschrieben werden. Sie sind Mitschriften, die von Zuhörern in den 1750er- und 1760er-Jahren aufgenommen und in den Jahren 1896 und 1958 entdeckt wurden. Man spekuliert, dass diese Vorlesungen einen Teil seines Projekts „Theory and History of Law and Government“ widerspiegeln. Dieser letzte Text, der aus gesundheitlichen Gründen unvollendet blieb, sei im Jahr 1790, eine Woche vor seinem Tod, von seinen Testamentsvollstreckern auf seinen Wunsch hin verbrannt worden. Vgl. dazu Kurz/Sturn, Adam Smith, S. 47, 52; Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 19 ff., 122; derselbe, Lucernaiuris Working Paper Series, 2/2011, 1, 2 f.; Ronge, Das Adam-Smith-Projekt, S. 16 ff.; zudem Montes, Newtonianism and Adam Smith, S. 36, 46, Fn. 19. 616 Petersen, Lucernaiuris Working Paper Series, 2/2011, 1: „Adam Smiths Annahmen wurden zumeist von Ökonomen, seltener von Philosophen, am wenigsten von Juristen überprüft. Das ist um so erstaunlicher, als es seinerzeit die Nationalökonomie im Unterschied zur Jurisprudenz noch nicht als eigenständige Disziplin gab.“ Vgl. F. Simon, Adam Smith and the Law, S. 393, 412; auch Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 29. 617 A. Smith, The theory of moral sentiments, S. 352: „The principles upon which those rules either are, or ought to be founded, are the subject of a particular science, of all sciences by far the most important, but hitherto, perhaps, the least cultivated,– that of natural jurisprudence.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Zum Einfluss des Naturrechts auf A. Smiths Lehre Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 295 f.; Überblick Berry, Introduction – Adam Smith, S. 1, 13. Diesbezüglich Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 120 ff., versucht, aus verschiedenen Texten und Vorlesungen von Adam Smith, seine Naturrechtstheorie zu rekonstruieren. 618 Kurz/Sturn, Adam Smith, S. 71. Vgl. ferner Ingham, Capitalism, S. 13: „In the third century after its publication The Wealth of Nations holds its place as the most cited work in economics.“ (Hervorhebung im Original). 619 Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 294; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 22; Kurz/Sturn, Adam Smith, S. 23 f.; vgl. auch Berry, Introduction – Adam Smith, S. 1, 15. 620 Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 471. 621 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 7. 622 Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 422 ff., 471 f.
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gesehen.623 Es wurde angenommen, dass Vorteile einer Nation hinsichtlich natürlicher Ressourcen durch ihre militärische Eroberung erreicht werden konnten.624 Das Magnum Opus von A. Smith brach mit dieser Tradition625 und stellte im Gegenteil fest, dass produktives Wachstum das Ergebnis der Arbeitsteilung gewesen sei.626 Mit der Spezialisierung auf ein bestimmtes Handwerk gewinne man, so der „Vater der Ökonomie“627, Fertigkeiten in der Produktionskapazität desselben, spare Produktionszeit, indem man nicht von einer Aufgabe zur anderen springen müsse, und erhöhe die Möglichkeit zur Erfindung von Maschinen zum Verkürzen der Arbeit.628 Diese Vorteile der Arbeitsteilung wurden von A. Smith in Übereinstimmung mit der empirischen Methode von Isaac Newton (1643 – 1727), die seinen Beobachtergeist beeinflusste629, durch seine berühmte Analyse einer Stecknadelfabrik dargestellt. Er besuchte ein Unternehmen mit zehn Mitarbeitern, mit einer Aufgabenteilung und einer Tagesproduktion von 48.000 Nadeln – 4.800 Nadeln täglich pro Mitarbeiter – und kam zum Schluss, dass höchstens eine Stecknadel pro Tag hergestellt werden könne, wenn diese Produktion in den Händen einer einzigen Person liege.630 Die Arbeitsteilung – und das damit verbundene Produktionswachstum – leite sich, laut dem schottischen Denker, dennoch nicht von einem vorsätzlichen Plan ab.631 Sie sei eine notwendige Folge der natürlichen Neigung des Menschen „to truck, barter, and exchange one thing for another“632, um daraus einen Vorteil zu ziehen.633 Diese 623
Ingham, Capitalism, S. 7. Ingham, Capitalism, S. 7. 625 Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 28 f. 626 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 12, 17. Zustimmend M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13. 627 Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 30; ähnlich Dejevsky, The Big Question: Who was Adam Smith, in: The Independent, 31.10.2006; F. Simon, Adam Smith and the Law, S. 393, 414; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 13; M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 1; Montes, Newtonianism and Adam Smith, S. 36, 50; Petersen, Lucernaiuris Working Paper Series, 2/2011, 1; derselbe, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 9. 628 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 15 ff. 629 Zu „Smith’s Newtonianism“ insbesondere Montes, Newtonianism and Adam Smith, S. 36, 46 ff. Vgl. auch Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 476; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 30; ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 295. 630 Ausführlich zum Beispiel der Stecknadelproduktion und zur Arbeitsteilung A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 12 ff. Dank dieser Idee war A. Smith im Jahr 2007 der erste Schotte, der auf einer Banknote der Bank of England abgebildet ist. Auf der Rückseite des 20Pfund-Scheins ist sein Profil und eine Fabrik von Stecknadelarbeitern zu sehen. Daneben steht „The division of labour in pin manufacturing: (and the great increase in the quantity of work that results).“ Siehe https://www.bankofengland.co.uk/banknotes/20-pound-note (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Vgl. auch Dejevsky, The Big Question: Who was Adam Smith, in: The Independent, 31.10.2006. 631 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 18 f. 632 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. 633 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 f.; derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 46. Zustimmend M. Friedman/R. Friedman, 624
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Art von Austausch sei nach dieser Theorie als Vertrag zu identifizieren und finde seine endgültige Grundlage in der gemeinsamen Fähigkeit aller Menschen zu denken, zu sprechen und zu überzeugen634 : „It is common to all men, and to be found in no other race of animals, which seem to know neither this nor any other species of contracts.“635
Zur Rechtfertigung der dem Menschen innewohnenden Natur des Austauschvertrages wird argumentiert, dass der Mensch zur Lösung seiner Existenzprobleme fast immer, im Gegensatz zu Tieren, die Hilfe eines anderen benötige.636 Zu dieser Kooperation komme der Mensch gemäß dieser Doktrin nicht durch das Wohlwollen anderer, sondern durch die Überzeugung seiner Mitmenschen vom Nutzen, den sie durch den Austausch erlangen würden637: „Give me that which I want, and you shall have this which you want“638 – drückt dieses Prinzip des menschlichen Verhaltens aus. Das eigene Interesse veranlasse folglich laut dieser Ansicht die Menschen, sich um das Interesse des anderen zu kümmern.639 Dies sei gerade das Interesse, das „inter Free to Choose, S. 11 ff. Ähnlich Atwood, Payback, S. 12, 14 ff., 20 f., 27 f., die der Ansicht ist, dass der Mensch innerlich gewissermaßen durch die Tauschregel „Tip for Tap“ bestimmt werde. Dieses Verhaltensmuster kann etwa als „do ut des“ übersetzt werden. 634 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19; derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 56: „If we should enquire into the principle of human mind on which this disposition of trucking is founded, it is clearly the natural inclination everyone has to persuade.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 635 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 (Hervorhebung durch Verfasser). Zustimmend Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. 636 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. 637 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 f.: „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages.“ Diese Idee des Eigennutzes als ultimative Grundlage des Wirtschaftswachstums ist von der berühmten Fabel der Bienen des niederländischen Arztes Bernard de Mandeville (1670 – 1733) inspiriert worden. In diesem Text wird, ähnlich wie in A. Smiths Werk, vertreten, dass Egoismus zusammen mit anderen Lastern sei, „the very Wheel, that turn’d the Trade.“ Mandeville, The Fable of the Bees, Vol. 1, S. 69. Vgl. dazu Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 411 ff., 472; Ingham, Capitalism, S. 10. In Bezug auf diesen Punkt wurde aber das Problem angegangen, dass ein Widerspruch innerhalb der Lehre von A. Smith bestehe. Denn man kann einerseits aus seinem Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ entnehmen, dass das menschliche Verhalten nur von egoistischen Interessen motiviert sei. Andererseits betrachtete A. Smith in seinem Werk „The theory of moral sentiments“ die Fähigkeit zur Empathie des Menschen. In der vorgenannten Schrift findet man außerdem eine ausdrückliche Kritik an Mandevilles Gedanken (A. Smith, The theory of moral sentiments, S. 499 ff.). Diese Diskussion ist als das Adam Smith Problem bekannt. Ausführlich dazu Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 32 ff., 253 ff.; Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 66 ff.; auch Heath, Adam Smith and Self-Interest, S. 241, 253 ff.; vgl. ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 304; Berry, Introduction – Adam Smith, S. 1, 14. 638 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. 639 Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 296.
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est“, ein „Inmitten“ (entre), im Sinne eines Ausstiegs aus der Gefangenschaft des Selbst.640 Ohne diese Eignung für den Tauschvertrag müsse sich jeder Mensch nach A. Smith allein alle notwendigen Mittel für seinen Unterhalt und seine Bequemlichkeit beschaffen.641 Mit dieser Neuauslegung des Handels endete der oben ausgeführte Gedanke, dass der Gewinn des einen der Verlust des anderen sei.642 Es gebe, wie Rose Friedman (1910 – 2009) und ihr Ehemann Milton (1912 – 2006) in dieser Hinsicht ausdrücken, keinen „fixed pie, that one party can gain only at the expense of another.“643 Der Austausch werde aufgrund seines freiwilligen Charakters nur stattfinden, wenn beide davon profitieren.644 Dank dieser Neigung zum Austausch würden die Menschen dieser Lehre zufolge zu Kaufleuten und die Gesellschaft werde zu einer wahren Marktgesellschaft.645 In größeren Gesellschaften komme dieses Phänomen stärker zum Vorschein, denn es gebe in diesen mehr Möglichkeiten, sich einer einzigen Tätigkeit zu widmen.646 Daraus könne man einen Produktteil der eigenen Arbeit, das über den eigenen Verbrauch hinausgehe, gegen ein passendes Produktarbeitsteil eines anderen tauschen.647 Aus anthropologischer Sicht hält A. Smith trotzdem fest, dass die Neigung zum lukrativen Tauschvertrag und damit der Markt immer gegeben seien, auch in kleinen Jägerstämmen: „In a tribe of hunters or shepherds a particular person makes bows and arrows, for example, with more readiness and dexterity than any other. He frequently exchanges them for cattle or for venison with his companions; and he finds at last that he can in this manner get more cattle and venison, than if he himself went to the field to catch them. From a regard to his own interest, therefore, the making of bows and arrows grows to be his chief business, and he becomes a sort of armourer. Another excels in making the frames and covers of their little huts or moveable houses. He is accustomed to be of use in this way to his neighbors, who reward him in the same manner with cattle and with venison, till at last he finds it his interest to dedicate himself entirely to this employment, and to become a sort of house-carpenter. In the same manner a third becomes a smith or a brazier, a fourth a tanner or a dresser of hiders or skins, the principal part of the clothing of savages.“648 640
Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 474. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 21. 642 Vgl. Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 471 f. 643 M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 13. 644 M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 1 f., 13. Vgl. dazu auch M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13; Mises, Human action, S. 205 f.; ferner Stiglitz, Economics, S. 54 f. 645 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25. Diesbezüglich sagt Kurz/Sturn, Adam Smith, S. 72: „Das ökonomische System ist evolutorisch.“ (Hervorhebung im Original). 646 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 21 ff. 647 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 22. 648 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 20. Vgl. zudem derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 46 f.; Ricardo, Principles of 641
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Diese Vorstellung des austauschenden Menschen begründete später den aktuellen homo oeconomicus649 und wurde von der modernen Wirtschaftswissenschaft als Leitverhalten des Menschen zur Erklärung des Marktes verwendet650 und zur Prämisse der gegenwärtigen globalen Vertragswesensideologie.651 In Einklang damit definierte Whately den Menschen sogar als ein „animal that makes Exchanges“652 und deutete an, dass Robinson Crusoe diese Tätigkeit aufnehmen würde, sobald neue Bewohner auf der Insel ankämen.653 b) Eigeninteresse als Grundlage für die Erfüllung des Schuldvertrages Nach der Mitschrift der Rechtsvorlesungen von A. Smith bezüglich des Schuldvertrages ergebe sich keine Verpflichtung aus einer einfachen Erklärung über die Zukunft.654 Das gegebene Wort binde nur, wenn es eindeutig und ausdrücklich feststelle, dass sich der Empfänger auf das Versprochene verlassen könne.655 Das Gebot zur Erfüllung dieses Versprechens gehöre gemäß diesem Professor für Moralphilosophie von Glasgow656 zu „the most sacred laws of justice.“657 Dieses VerPolitical Economy and Taxation, S. 4. In diese Richtung M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14: „(…) the central characteristic of the market technique of achieving co-ordination is fully displayed in the simple exchange economy that contains neither enterprises nor money.“ Ähnlich Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 27; Posner, The Economics of Justice, S. 182 ff. 649 Polanyi, The Great Transformation, S. 43. Ähnlich Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 86. 650 Siehe z. B. Krugman/Wells, Economics, S. 798 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 f.; Stiglitz, Economics, S. 881; Parkin/King, Economics, S. 55 ff.; Samuelson/ Nordhaus, Economics (2010), S. 33, 458 f., 461; auch Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Carlino, Macroeconomía, S. 109 f., 112; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 1 ff.; L. Arnold, Makroökonomik, S. 111 f. Das Element des Austauschs ist in der modernen Wirtschaftstheorie so dominant, dass Mises, Human action, S. 95, einseitige Handlungen sogar als einen Prozess des „autistischen Austauschs“ verstand: „If the action is performed by an individual without any reference to cooperation with other individuals, we may call it autistic exchange. An instance: the isolated hunter who kills an animal for his own consumption; he exchanges leisure and a cartridge for food.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 651 Siehe Einleitung, unter A. und 1. Kapitel, unter C. 652 Whately, Lectures on Political Economy, S. 7. 653 Whately, Lectures on Political Economy, S. 8. 654 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.January.17.1763, Rn. 42 f.; Friday.January.21.1763, Rn. 56 f.; dasselbe Werk, Report dated 1766, Rn. 10, 175 f. 655 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.January.17.1763, Rn. 43, 49. 656 Kurz/Sturn, Adam Smith, S. 18. 657 A. Smith, The theory of moral sentiments, S. 135 f.: „The most sacred laws of justice, therefore, those whose violation seems to call loudest for vengeance and punishment, are the laws which guard the life and person of our neighbour; the next are those which guard his property and possessions; and last of all come those which guard what are called his personal rights, or what is due to him from the promises of others.“ (Hervorhebung durch Verfasser).
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ständnis des Versprechens ähnelt dem von Grotius658, der A. Smith in seinen Studien über die Rechtswissenschaft beeinflusst hat.659 A. Smith rechtfertigt jedoch nicht die Vertragsbindung mit einer absoluten Befolgung der traditionellen Naturrechtstheorie.660 Für ihn entstehe die Verbindlichkeit aus der vom Versprechen erregten Abhängigkeit und Erwartung, dessen Enttäuschung etwas Wertvolles bedeute.661 Der Anteil an erfüllten Verträgen sei das Ergebnis des Handels selbst, da das Handelswachstum zu mehr Ehrlichkeit und Pünktlichkeit bei Verträgen führe.662 Ein Kaufmann, der eine unendliche Anzahl von täglichen Geschäften mache, verhalte sich nämlich entsprechend A. Smith bei der Erfüllung seiner Geschäfte gewissenhaft, weil er befürchte, seinen Ruf – die Basis seines Kredits – zu verlieren.663 Sein eigenes Interesse bringe ihn folglich dazu, seine vertraglichen Versprechen einzuhalten, damit er auch in Zukunft weiter austauschen könne.664 Mit der Verbreitung des Konzepts des Menschen als notwendigerweise tauschendes Tier, des Handels als dessen Folge und des berühmten smithianischen Postulats der unsichtbaren Hand665 wurde die Dichotomie – heute des gesunden Menschenverstandes – zwischen Markt und Staat etabliert.666 A. Smith weist aber dem Staat Funktionen zu, wenn auch nur eingeschränkt.667 Zu seinen Aufgaben 658
Siehe 3. Kapitel, unter C. IV. 1. Siehe z. B. A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 1: „Grotius seems to have been the first who attempted to give the world any thing like a regular system of natural jurisprudence, and his treatise on the laws of war and peace, with all its imperfections, is perhaps at this day the most compleat work on this subject.“ So auch derselbe, The theory of moral sentiments, S. 559. Vgl. dazu ferner Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 132. 660 Dazu A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.January.21.1763, Rn. 58 ff. 661 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.December.24.1762, Rn. 21, Monday.January.17.1763, Rn. 43, Friday.January.21.1763, Rn. 56 ff.; dasselbe Werk, Report dated 1766, Rn. 10, 175 f. 662 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 326 f. 663 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 327. 664 A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 327. 665 Siehe 3. Kapitel, unter B. I. 666 Vgl. Graeber, Debt, S. 18, 50, 71, 75. Ähnlich Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 139, 150; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 26; Hayek, The Constitution of Liberty, S. 329 f.; Ingham, Capitalism, S. 11. 667 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 153: „According to the system of natural liberty, the sovereign has only three duties to attend to; three duties of great importance, indeed, but plain and intelligible to common understandings: first, the duty of protecting the society from the violence and invasion of other independent societies; secondly, the duty of protecting, as far as possible, every member of the society from the injustice or oppression of every other member of it, on the duty of establishing an exact administration of justice; and, thirdly, the duty of erecting and maintaining certain public works, and certain public institutions, which it can never be for the interest of any individual, or small number of individuals to erect and maintain; because the profit could never repay the expense to any individual, or small number of individuals, though it may frequently do much than repay it to a great society.“ Vgl. zu den Staatsfunktionen nach A. Smiths Lehre M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 4 f., 28 ff.; 659
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gehöre die Administration der Justiz.668 Dies geschehe, wenn Gesellschaften wertvolles Eigentum entwickelt hätten669, denn das Hauptziel der Justiz beruhe auf dem Schutz des Besitzes.670 Dabei müssten Richter A. Smith zufolge die Einhaltung von Schuldverträgen sicherstellen671: Das smithianische System des freien Austauschs „needs to be defended by the laws and by their enforcement.“672 Ohne diese letzte Gewährleistung gebe es nach dieser Doktrin trotzdem verbindliche Verträge, aber es erschwere das weitere Florieren von Industrie und Handel.673 In Ermangelung der Möglichkeit der staatlichen Zwangsvollstreckung von Verträgen würden Kaufleute für Darlehen zum Beispiel von Kreditnehmern wegen der Unsicherheit, ihr Geld zurückzuerhalten, Zinsen in solcher Höhe verlangen, als ob sie bankrott wären.674 Diese Position zum Verhältnis zwischen dem Vertrag als autonomem Phänomen und dem Staat als einfache Hilfe liegt auch einem Teil der neoliberalen Theorie675 und der ökonomischen Analyse des Rechts zugrunde. Laut der ökonomischen Analyse des Rechts gäbe es – wie bereits erwähnt – ähnlich wie bei A. Smith ohne einen gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus gleichwohl Schuldverträge und der kommerzielle Ruf würde ihre Einhaltung fördern, aber die Handelsbeziehungen wären begrenzt.676 Dabei ziehen Hans-Bernd Schäfer und Claus Ott insbesondere eine Parallele zwischen der Währung und dem gerichtlichen Vertragsvollstreckungssystem: „Ohne Geld und ohne Vertragsrecht würde es auch Tausch und Handel geben, aber auf einem niedrigen Niveau.“677
ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 302 f.; Ingham, Capitalism, S. 11; Kurz/ Sturn, Adam Smith, S. 156 f. 668 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 168 ff. 669 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 168. Vgl. F. Simon, Adam Smith and the Law, S. 393, 398, in Bezug auf A. Smiths Lehre: „Property poses the need to give life to laws and institutions and, at the same time, determines how they will be created.“ 670 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 172. 671 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 330. 672 F. Simon, Adam Smith and the Law, S. 393, 394. So auch Campbell, Adam Smith: Methods, Morals, and Markets, S. 559, 572 f: „Smith’s system of natural liberty involves the laws of justice, including the law of contract.“ 673 Vgl. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 330. Ähnlich derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 303. 674 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 82. Vgl. dazu auch Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 195 f. 675 Vgl. z. B. M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 2; M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 29 f. Siehe ferner Einleitung, unter A. 676 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 f. In diese Richtung auch Posner, Economic analysis of law, S. 93 f.; vgl. ferner Stöhr, AcP 2014, 426, 444 f. 677 H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428.
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c) Privatrechtsgesellschaft ohne Staat Nicht zuletzt ist es angebracht, im Rahmen des wirtschaftlichen Ansatzes der vorstaatlichen Vertragsexistenz kurz die libertäre Position des Anarchokapitalismus zu betrachten. Denn diese Doktrin gewinnt in der Gegenwart eine besondere Bedeutung, da sie eine der Säulen darstellt, auf denen die selbstregulierten digitalen Währungen wie Bitcoin basieren, also solche ohne staatliche Regulierung.678 Sein Hauptvertreter Hoppe teilt gewisse Postulate der vorgestellten Markttheorie, aber im Gegensatz dazu meint er, dass der Staat keine Funktion erfüllen müsse.679 Er solle verschwinden und es solle eine Privatrechtsgesellschaft errichtet werden.680 Diese solle laut diesem Mitglied der Österreichischen Schule der Ökonomie681 ausschließlich nach den Naturgesetzen der ursprünglichen Aneignung, des Privateigentums und des Austauschvertrages geregelt werden.682 So wäre man gemäß Hoppe in seiner entworfenen Privatrechtsgesellschaft in Anlehnung an die Eigentumstheorie von John Locke (1632 – 1704)683 Eigentümer des eigenen Körpers und aller Orte und naturgegebenen Güter, die man besetzen bzw. benutzen würde, sofern niemand sie bereits vor einem selbst besetzt oder benutzt hätte (first-user-first-owner rule).684 Diese erste objektive (intersubjektiv bestimmbare) Verbindung zwischen einem Subjekt und einem Raum oder einem Objekt würde entsprechend dieser Wirtschaftsethik den Akt der ursprünglichen Aneignung konstituieren.685 Dadurch entstände ein Privateigentumstitel, der hier die exklusive Kontrolle über bestimmte physische Räume und Objekte bedeuten würde.686 Wären die Plätze oder Güter hingegen bereits erworben worden, könnte der Erwerb ihres Eigentums nur durch 678
Krugman, Bubble, Bubble, Fraud and Trouble, in: New York Times, 29.1.2018. Hoppe, Rothbardian Ethics, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State.“ Vgl. dazu auch Milei, Por qué, para los libertarios, el Estado no debería existir, in: La Nación, 12.2.2019. 680 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, IV; derselbe, Rothbardian Ethics, unter den Überschriften „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“ und „The Consequence of Moral Error: Statism and the Destruction of Liberty and Property“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, unter den Überschriften „The Errors of Classical Liberalism“ und „The Idea of a Private Law Society.“ 681 Siehe https://www.misesde.org/2011/09/hoppe-hans-hermann/ (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 682 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, II, IV f., VI; derselbe, The Idea of a Private Law Society, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ Vgl. ferner Milei, Por qué, para los libertarios, el Estado no debería existir, in: La Nación, 12.2.2019. 683 Locke, Government, second essay, Chap. V., S. 243 ff.: „(…) every Man has a Property in his own Person. This no Body has any Right to but himself. The Labour of his Body, and the Work of his Hands, we may say, are properly his. Whatsoever then he removes out of the State that Nature hath provided, and left it in, he hath mixed his Labour with, and joined to it something that is his own, and thereby makes it his Property.“ (Hervorhebung im Original). 684 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, II. 685 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, II. 686 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, III. 679
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eine willentliche – vertragliche – Übertragung vom alten auf den neuen Eigentümer erfolgen.687 Dieses System würde dieser Doktrin zufolge wirtschaftlichen Wohlstand und somit das Pareto-Optimum schaffen688, weil der Erwerber besser als vor der ursprünglichen Aneignung dastehen würde, ohne die Situation eines anderen zu beeinträchtigen.689 Der Austauschvertrag würde zudem aufgrund seines Charakters als Element des Willens nur dann abgeschlossen werden, wenn er einen Nutzen für beide Parteien hätte.690 Jede Regelung, die Nicht-Eigentümern, Nicht-Produzenten und Nicht-Händlern eine teilweise oder vollständige Kontrolle über eine erworbene, produzierte oder kommerzialisierte Sache gewähren würde, würde das Privateigentum schädigen und im Gegenteil den wirtschaftlichen Wohlstand behindern.691 Daher würden Einzelpersonen in dieser skizzierten Gesellschaft nicht von einer monopolistischen Autorität zu einer Eigentumsübertragung gezwungen, wie beispielsweise bei der Steuererhebung durch den Staat.692 Der Schutz von Privateigentum und Verträgen läge in den Händen des Einzelnen (Selbstverteidigung).693 Demgegenüber würden trotzdem aufgrund der Vorteile der Arbeitsteilung nach dieser hypothetischen Gesellschaft private Sicherheitsagenturen und Schiedsrichter auftauchen, die diese Funktionen gegen ein freiwilliges Honorar erfüllen würden.694 Sie würden miteinander konkurrieren, um auf dem Markt ausgewählt zu werden, und
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Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, II. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 13: „ParetoKriterium: Wenn jedes Mitglied der Gesellschaft entweder den Zustand x dem von y persönlich vorzieht oder zwischen beiden Zuständen indifferent ist, mindestens aber ein Gesellschaftsmitglied x vorzieht, soll der Zustand x dem von y sozial vorgezogen werden. Sozialwahlentscheidungen, die diese Bedingungen erfüllen, heißen Pareto-superiore Entscheidungen oder Pareto-Verbesserungen.“ Vgl. auch C. Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, Mediation in der Wirtschaft, S. 178. 689 Hoppe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, IV. 690 Hoppe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, IV. 691 Hoppe, The Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, II, IV; vgl. auch derselbe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter der Überschrift „The Consequence of Moral Error: Statism and the Destruction of Liberty and Property“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Errors of Classical Liberalism.“ 692 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, II; derselbe, Rothbardian Ethics, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, unter den Überschriften „The Errors of Classical Liberalism“ und „The Idea of a Private Law Society.“ Vgl. dazu ferner Milei, Por qué, para los libertarios, el Estado no debería existir, in: La Nación, 12.2.2019. 693 Hoppe, Rothbardian Ethics, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ 694 Hoppe, The Idea of a Private Law Society, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society“; derselbe, Rothbardian Ethics, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State.“ 688
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auf lange Sicht würde sich eine Vereinheitlichung von Regeln und Entscheidungen entwickeln, die ausschließlich auf dem Privatrecht aufbauen würden.695
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages Einige der erwähnten Ansätze der vorstaatlichen Vertragstheorie haben die Gesellschaft und die Entwicklung der allgemeinen Vertragstheorie bereichert. Das Konzept der Naturrechtsschule des Konsensualvertrages als Veräußerung eines Partikels der Freiheit war beispielsweise in der Neuzeit „Hilfsinstrument“ für die Besitzlosen. Damals wurden bereits Lehen auf dem Land und Zünfte im Stadtgebiet ausgehöhlt696, deren formales Verbot in Europa ab Ende des 18. Jahrhunderts etabliert wurde.697 Damit blieben unzählige Bauern und Handwerker ohne sie schützende Institutionen und ohne Güter oder Arbeitsmittel zurück.698 Sie hatten nur ihren Körper und ihr Wort.699 Aus diesem Grund war für sie die Anerkennung des rechtlichen Wertes eines Versprechens über ein zukünftiges Verhalten eine Möglichkeit, ihnen in irgendeiner Weise ein tauschbares Vermögen zu verschaffen.700 Durch den Konsensualvertrag konnte jeder dank dieser Ansicht seine eigene Situation verändern und verbessern.701 Der Vertragsabschluss war die Ausübung der Freiheit.702 Auf diese Weise wurde der Vertrag bei der Entstehung des Kapitalismus als „lo strumento caratteristico dell’attività imprenditoriale“703 aufgefasst. 695 Hoppe, Rothbardian Ethics, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State“; derselbe, The Idea of a Private Law Society, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society.“ 696 Vgl. dazu Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel XXIV, S. 752 ff.; auch Polanyi, The Great Transformation, S. 69 ff., Wesel, Geschichte des Rechts, S. 302, 323. 697 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 70 f.; ferner Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 135; Überblick über diese Änderung im deutschen Territorium Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 143, 183 f.; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445 f. 698 Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel XXIV, S. 753 f., 756, 772 f. Vgl. zudem Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 257 f.; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 446. Bezüglich des Edikts über die Bauernbefreiung sagt Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 190 f.: „Das Edikt wurde in der Hand der Gutsherren, die zugleich Inhaber der örtlichen Verwaltungshoheit waren, zu einem wirkungsvollen Instrument der Einziehung von Bauerland zum Gutshof (…). So war das stolze Wort von 1807 nichts anderes geworden als die Einleitung zu einem Bauernsterben, das man kaum als Bauernbefreiung bezeichnen konnte.“ 699 Vgl. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, S. 83. 700 In Bezug auf diese Funktion des Versprechens im Allgemeinen Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 265: „(…) das Versprechen ist die Entbindung des Vertrages von den Fesseln der Gegenwart, die Anweisung auf die Zukunft zum Zweck der Bestreitung der Bedürfnisse der Gegenwart.“ 701 Diesbezüglich sagt Bruns, JZ 2007, 385, 390, dass die Vertragsfreiheit „dem Einzelnen die Gewähr für eine Chance zur Veränderung und Verbesserung der eigenen Situation“ bietet. 702 Vgl. dazu Vergara, La Ley 17.12.2014, 1, 2; auch Bruns, JZ 2007, 385, 387.
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Ebenso war Kants Umdeutung des Vertrages als Übergabemechanismus von nicht nur zukünftigen Handlungen (Schuldvertrag), sondern auch von Sachen (realer Vertrag) eine zutreffende Abstraktion von aktueller Gültigkeit.704 Mit dieser Theorie überwand er, wie bereits veranschaulicht, also den Zirkularfehler, auf dem die Naturrechtsschule basierte, um diese Übergaben zu erklären.705 Die Naturrechtsschule verstand zum einem, dass die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand durch ein bloßes Versprechen sofort erfolge, aber verglich zum anderem das vertragliche Verspechen einer Leistung mit der Veräußerung von Gegenstände.706 Diese Rechtslehre stellte daher nicht klar, ob der Vertrag der allgemeine Übergabemechanismus oder lediglich ein Übergabemechanismus einer zukünftigen Handlung war.707 Der wirtschaftliche Liberalismus hat wiederum dem heutigen Ökonomen grundlegende Werkzeuge an die Hand gegeben, um die Marktgesellschaft zu analysieren und zu begreifen.708 Zu ihnen gehört das Verständnis, dass Handel den Gewinn von beiden Parteien und nicht nur den Gewinn einer Partei auf Kosten der anderen bedeuten kann.709 Über ihre Details hinaus irren sich alle vorstaatlichen Vertragsdoktrinen jedoch wie die Ideologie des Vertragswesens darüber, dass die Fähigkeit des Menschen zur Willens- oder Austauschfreiheit für die Entstehung und Entwicklung des lukrativen Schuldvertrages ausreiche. Auf einer nicht ausschließlichen allgemeinen Ebene des Vertrages geraten diese Doktrinen bei der Postulierung der Universalität und Notwendigkeit des Schuldvertrages sowie des lukrativen Austauschs in einen Fehler, den Richard Rorty (1931 – 2007) der traditionellen Philosophie zuweist.710 Denn sie versuchen, eine bestimmte 703 704 705 706
IV. 707
Galgano, Il contratto, S. 3. Hierzu Dedek, CJLJ 2012, 313, 337 ff. Siehe tief dazu 3. Kapitel, unter B. II. Vgl. z. B. Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel VI, unter I f., Kapitel XI, unter
Vgl. Dedek, CJLJ 2012, 313, 329 ff., 337. So ähnlich Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 247. 709 Vgl. Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 471 f.; ferner Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 109 und dort Fn. 6. 710 Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, S. 9 f., versteht die traditionelle Philosophie, einschließlich kantische Lehre, „as an attempt to escape from history – an attempt to find nonhistorical conditions of any possible historical development (…)“ und „(…) to eternalize a certain contemporary language-game, social practice, or self-image.“ In diese Richtung in Bezug auf Kants Doktrin Luhmann, Vertrauen, S. 27: „Natürlich ist kein System in der Lage, die wirkliche Welt mit all ihrer unfaßbaren Komplexität in der Vorstellung zu wiederholen, also zu verdoppeln. In diese Annahme hatte sich der transzendentale Idealismus verrannt, weil er ,das Subjekt‘ oder ,das Bewußtsein‘ zum Partner der Welt abstrahierte, es damit auf die gleiche Komplexitätsstufe brachte, also das Komplexitätsgefälle zwischen Wirklichkeit und Vorstellung, zwischen Welt und Intention, zwischen ,außen‘ und ,innen‘ übersah und so an der 708
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
soziale Praxis und ein Selbstbild der Welt ohne Berücksichtigung ihrer Entwicklungsbedingungen zu verallgemeinern.711 Dies ist den Menschen gemeinsam, die dazu neigen zu glauben, dass der Begriff Kultur als etwas Relatives und Kontingentes nicht zu der Praxis und der Weltanschauung ihrer eigenen Gesellschaft passt, sondern lediglich anderen Gesellschaften zuzuschreiben ist.712 So ist die Theorie des apriorischen Vernunftrechts von Kant trotz ihrer Systematik und Abstraktion teilweise als die Verteidigung der Bedingungen anzusehen, unter denen die Marktgesellschaft entstanden ist.713 Die Französische Revolution hatte ihn verwundert.714 Zum Beispiel meinte er in Bezug auf das Privateigentum, den Hauptgegenstand seines Vertragsbegriffs715, dass der Mechanismus der ursprünglichen Zueignung des Bodens in seinem ersten zeitlichen und physischen Besitz (die Inhabung) liege.716 Diese Zueignung entspreche nach der apriorischen Vernunft dem a priori allgemeinen Willen, die Privaterwerbung des Bodens zu erlauben.717 Kant lehnte im Gegensatz zu Locke ab, dass die Bearbeitung des Bodens (z. B. seine Bebauung und seine Entwässerung) zu seinem Erwerb führe.718 Diese besonderen Regeln werden bei der Betrachtung des Kontextes der Überlegungen des Königsberger Denkers klar. Mit jenen Regeln wurde nämlich vertreten, dass die bestehende Verteilung des Landes vereinbart worden war719, und deshalb wurde vermieden, mit den Dienern, den wahren Arbeitern des Feudallandes, über das Landeigentum zu diskutieren.720 In ähnlicher Weise konnte die Idee, dass die eigenständige Bindungskraft der Vereinbarungen so unveränderlich und unbestreitbar wie eine einfache mathematische oder geometrische Formel sei721, nur in einer Gesellschaft behauptet werden, in Funktion des Vorstellens als Herstellung von Ordnung durch Komplexitätsreduktion vorbeigriff.“ 711 Vgl. Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, S. 9 f. 712 Ähnlich Graeber, Debt, S. 114. 713 Vgl. Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 20, 22, 26; Contreras García, Alegatos 2009, N8 79, 759, 774 f.; auch Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 39. 714 So Abarca Hernández, Inter Sedes (2001) N8 2 – 3, 13, 14, 21. Vgl. auch Ferrater Mora, Diccionario, Tomo I, Stichwort „Kant (Immanuel).“ 715 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 21, S. 78 ff. 716 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 6, S. 54, § 10, S. 62, § 14, S. 66. 717 Dazu Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 6, S. 52, § 11, S. 64, § 15, S. 67, § 16, S. 70 f., § 17, S. 72; vgl. auch Tomassini, AHF (2015), N8 2, 435, 439 ff. 718 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 15, S. 68, § 17, S. 72 f. 719 Williams, Philos. Q. 1977, Volume 27, 39. 720 Bertomeu, Isegoría/30 (2004), 141, 145 f. 721 So Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 19, S. 77; ähnlich Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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der das Vertragssystem des Form- und Typenzwangs bereits seine Überzeugungskraft verloren hatte. Im alten Rom war eine solche Annahme undenkbar. In diesem historischen Stadium war, wie gezeigt wurde, die Abhängigkeit der Verbindlichkeit einer Vereinbarung von einem institutionellen Rahmen, dargestellt durch die Formanforderungen, offensichtlich.722 Auch die wirtschaftliche Theorie von A. Smith ist zum Teil die Darstellung des damaligen Zeitgeistes.723 A. Smith zeichnete das Bild eines unabgängigen Subjekts, das dem Feilschen und dem lukrativen Tauschen ausgesetzt sei, als notwendig und universell.724 Dieser Ansatz wurde während der zunehmenden Bildung der Marktgesellschaft vorgestellt.725 In der Zeit von A. Smith herrschte noch teilweise der Merkantilismus, was in hohem Maße die Regelung des Inhalts des Handels zum einem, aber auch zum anderen die räumliche Ausdehnung des Austauschs von der Stadt auf das Land bedeutete.726 Daneben hatte A. Smith die Lehre der Physiokraten während seines Aufenthalts in Frankreich zwischen den Jahren 1764 und 1766 untersucht.727 Allerdings war das Individuum in der vorangegangenen Zeit den Banden der sozialen Struktur untergeordnet, zu der es gehörte.728 Der Marktaustausch beschränkte sich in Europa auf die Stadt.729 Die Arbeit, der Boden und das Geld, zentrale Waren der Marktgesellschaft, waren als Objekte vom lukrativen Austausch ausgeschlossen.730 Rechtes, S. 141, 188; in diese Richtung auch Grotius, De iure belli ac pacis, Buch I, Kapitel I, unter X, 5. 722 Siehe dazu insbesondere 2. Kapitel, unter A. 723 Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 294. 724 Vgl. Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615 f. In Bezug auf die besondere Tendenz von Ökonomen, die faktische Grundlagen ihres Wissens zu verallgemeinern und alles in Funktion des Austauschs zu lesen schreibt Maine, Ancient Law, S. 305, zugespitzt: „The bias indeed of most persons trained in political economy is to consider the general truth on which their science reposes as entitled to become universal, and, when, they apply it as an art, their efforts are ordinarily directed to enlarging the providence of Contract and to curtailing that of Imperative Law, except so far as law is necessary to enforce the performance of Contracts.“ 725 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 8; Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615 f. 726 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 65 ff., 70 f.; zudem Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 134. 727 Vgl. Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 18, 22; auch Berry, Introduction – Adam Smith, S. 1, 14. Vgl. aber Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, S. 32 f., wer den Einfluss des Frankreich-Aufenthalts relativiert, da viele seiner ökonomischen Gedanken schon in seiner Vorlesung vorgestellt worden waren. 728 So Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615, 616. 729 Polanyi, The Great Transformation, S. 62; vgl. zudem Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 134. 730 Zur Kommerzregulierung und seiner Liberalisierung während dieser Zeit im Allgemeinen Polanyi, The Great Transformation, S. 62 ff., 68 ff., 163 ff., 179 ff.; auch Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 71 f, 108, 143, 183 ff., 307; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 302 f., 322 ff., 445 f. vgl. ferner insbesondere bezüglich der damaligen Kommer-
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Auf der besonderen Ebene des gegenseitigen Vertrages übersehen alle vorstaatlichen Doktrinen, wie das globale Vertragswesen, die Notwendigkeit bestimmter monopolistischer Strukturen für seine Entstehung und Funktionsweise. Wie Karl Marx (1818 – 1883) zutreffend nahelegt, ist der Marktvertrag keine natürliche vorpolitische Institution und der Staat oder jede vertikale Organisation sind keine dem Vertrag nachfolgende künstliche Institutionen.731 Der Vertrag ist vielmehr, wie im Folgenden aufgezeigt wird, eine kulturelle Schöpfung, die auf einem dreiseitigen Schema beruht. Der Staat ist für dieses Rechtsgeschäft nicht nur eine Hilfe. Bei der Formulierung der Hypothese des Vertrages zwischen Fremden im Niemandsland wird unter anderem nicht eingehend darauf geachtet, dass die latente Anwesenheit eines den Parteien fremden Dritten verhindert, den Austausch in die Hände des Stärkeren zu legen (dazu unter I.). Diese Autorität erleichtert durch die Monopolgarantie der Zwangserfüllung der Vereinbarung, dass die einander unbekannten Personen es wagen, sich für die Zukunft zu einigen (dazu unter II.). Sie ermöglicht es ihnen ebenfalls, sich gegenüber dem Dritten gegenseitig als gleichwertig wahrzunehmen, was Voraussetzung für jeden horizontalen Austausch ist (dazu unter III.), und gemeinsame institutionelle Verhaltensregeln zu haben (dazu unter IV.). Auch die vorstaatlichen Vertragstheorien betrachten die Relevanz des Geldes im lukrativen Schuldvertrag nicht in angemessener Weise oder die Tatsache, dass das Geld nicht die Folge des vorpolitischen Marktaustauschs ist. Das Geld ist eine komplexe Schaffung des Staates – oder einer ähnlichen Autorität –, die es erlaubt, den Wert von Schulden, wie die zeitlich und räumlich aufgeschobenen Vertragsleistungen, zu messen.732 Aus diesem Grund könnte der Wert eines Versprechens, ohne Geld als stabile Maßeinheit, nicht mit Sicherheit für die Zukunft ausgedrückt werden. Man könnte nicht wissen, ob der gegenseitige und in der Vergangenheit abgeschlossene Schuldvertrag bei seiner Erfüllung Gewinn generieren würde, und der Markt würde
zialisierung der Arbeit und des Bodens Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 257 f.; Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel XXIV, S. 752 ff.; zur Geldkommerzialisierung dieser Periode Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, I, S. 20 ff., 36 ff.; Graeber, Debt, S. 321 ff.; Homer, Interest Rates, S. 69 ff., 104 ff.; Jiménez Muñoz, La usura, S. 29 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 35, Rn. 25, § 39, Rn. 9; Munro, Working Papers 439 (2011), University of Toronto, 1, 7 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 170 ff. 731 Marx, Misère de la philosophie, S. 103: „Les économistes ont une singulière manière de procéder il n’y a pour eux que deux sortes d’institutions, celles de l’art et celles de la nature. Les institutions de la féodalité sont des institutions artificielles, celles de la bourgeoisie sont des institutions naturelles. Ils ressemblent en ceci aux théologiens, qui eux aussi établissent deux sortes de religions. Toute religion qui n’est pas la leur est une invention des hommes, tandis que leur propre religion est une émanation de Dieu.“ In diese Richtung auch Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 28. 732 Vgl. Wray, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 2, 9; derselbe, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 27 f.; dazu auch Ingham, Capitalism, S. 68 ff.; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 21 f., 24 f.; derselbe, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 516 ff.; zudem Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 70 ff.
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daher nicht in großem Ausmaß entwickelt werden733 (dazu unter V.). In Verbindung damit ist es merkwürdig, dass das Postulat über die notwendige Neigung des Menschen zum lukrativen Tausch unter den modernen Ökonomen nach wie vor Geltung besitzt.734 Der industrielle Kapitalismus hat mit Hilfe des Staates seit dem Mittelalter grundsätzlich jede Form von Organisation, die nicht auf dem Markt und damit dem lukrativen Austausch basiert, nach und nach beseitigt.735 Diese Kommerzialisierung der Gesellschaften hat dazu beigetragen, die Vorstellung der Ökonomen von der universellen Gültigkeit des lukrativen Tausches zu festigen.736 Die Anthropologie konnte jedoch dank dieses Globalisierungsprozesses berichten, dass dieses letztgenannte Verhaltensprinzip innerhalb der so genannten primitiven Gesellschaften nicht zu finden sei, nicht einmal in den vom Vater der Ökonomie erwähnten Jägervölkern.737 Der Vertrag als Austauschmechanismus ist ein westliches Phänomen. Und der lukrative Tausch scheint als internes System der wirtschaftlichen Organisation einer Gesellschaft auf jeden Fall dem Geld nachgelagert zu sein. Dieser Tausch ist ein Produkt der Zerstörung oder des Verschwindens des Geldes738 (dazu unter VI.).
I. Das Gesetz des Stärkeren: Recht und Handel als Friedensprozess Die Hypothese des Vertrages im Niemandsland stellt eine völlig unrealistische Situation dar.739 Im Wüstenbeispiel von G. Husserl spekuliert man insbesondere über einen einfachen faktischen Austausch, der dem realen Prozess des Tauschvertrages entspricht, aber kein Vertrag ist.740 Denn wie Supiot betont, ist die binäre und horizontale Dimension des Vertrags nicht möglich ohne die ternäre und vertikale Dimension des Dritten, unter dessen Schutz der Vertrag abgeschlossen wird.741 In der genannten Situation fehlt nämlich eine den Parteien fremde Instanz, die die dia733
Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 257: „Viewed as an exchange system, or, in brief, catallactically, trade, money and market form an indivisible whole.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. ferner Ingham, Capitalism, S. 68. 734 Siehe etwa Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 f.; Parkin/King, Economics, S. 55 ff.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 33, 458 f., 461; Stiglitz, Economics, S. 881. 735 In diese Richtung Godelier, Avant-propos, S. V, VIII; vgl. ferner Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 134. 736 Ähnlich Polanyi, The Great Transformation, S. 43 f.; auch Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 139. 737 Vgl. Godelier, Avant-propos, S. V, VI; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 245; derselbe, The Great Transformation, S. 43 ff., 53; auch Humphrey, Man 20 (1985), 48, 49. 738 So Humphrey, Man 20 (1985), 48, 49 f., 51 f.; vgl. zudem Graeber, Debt, S. 37, 40, 45. 739 So Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 115. 740 Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 141 f. 741 Supiot, Homo juridicus, S. 155.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
lektische Ich-Du-Beziehung auflöst, in der sich der durstige und der hungrige Beteiligte des Beispiels befinden können. Diese würden dabei zu Richtern und Parteien ihrer eigenen Angelegenheit.742 Demzufolge würde die Lösung aller Probleme, die in Bezug auf den Zustand des Fleisches oder die Reue eines Individuums auftreten könnten743, dem Gesetz des Stärkeren überlassen744 : einem anderen Konfliktlösungsmechanismus als dem Recht.745 Das heißt, ohne eine Monopolautorität der Gewalt wird nicht der vereinbarte Wille das Schicksal des Austauschs in einem Wüstenkonflikt bestimmen. Wahrscheinlich wird der Wille desjenigen, der das Fleisch besaß, dies aufgrund der größeren Proteinkomposition – und somit die Kraft – seines Körpers entscheidend sein.746 Diese letzte Annahme kann sogar zur Beseitigung der Persönlichkeit einer der Parteien der Beziehung führen. Wer einseitig mit Gewalt die Auslegung der 742 Vgl. W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 5: der einzelne kann „nicht in eigener Sache Richter sein.“ 743 Die von G. Husserl dargelegte Situation beschreibt, dass ein Vertragspartner heimlich einen Teil dessen nehme, was dem anderen gegeben werde. G. Husserl klassifiziert es als Verletzung der lex contractus. Dies ist eine Folge der Tatsache, dass G. Husserl der Ansicht ist, dass der Vertrag in einer solchen Situation die einzige bestehende Rechtsordnung schaffe (G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39; zustimmend Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 617 f.; ähnlich Hippel, Privatautonomie, S. 93). Dieses Ereignis wäre meiner Meinung nach, wenn es eine dem Austausch fremde Instanz zum Konfliktlösen gäbe, mehr als ein „Vertragsbruch“, ein „Diebstahl.“ Aus diesem Grund wird die Situation hier mit dem Fall der „Reue“ oder der Diskussion über die „Bedingungen“ des Austausches behandelt. 744 Hier wird kein natürlicher hobbesianischer Zustand von bellum omnium contra omnes postuliert (Hobbes, De Cive, Praefatio). Es wird spekuliert, dass die Situation in der Wüste offen wäre. Angesichts des absoluten kulturellen Unterschieds zwischen dem Hungrigen und dem Durstigen kann man sich nicht einmal sicher sein, ob es einen Austausch, ein Teilen, eine einseitige Aneignung oder gar keinen der genannten Fälle geben würde (Dazu gleich 3. Kapitel, unter D. IV.). Hier wird nur behauptet, dass es bei einem Austausch erst im Falle eines Konflikts ohne einen Konfliktvermittler einen ähnlichen Zustand des Homo homini lupus geben könnte und dass der Austausch im Niemandsland deshalb nicht mit einem Vertrag gleichgesetzt werden kann. Zum hobbesianischen Zustand Hobbes, De Cive, I, 2 ff. Überblick auch bei Choi, Property and Legality in Edmund and Gerhart Husserl, 125, 126; Wieacker, FS Hans Welzel (1974), S. 7, 17 f. Vgl. auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 18: „Der Hobbessche Mensch ist kein Vernunftwesen, sondern ein den Naturgesetzen unterworfenes, instinktgeleitetes Tier; seine Freiheit ist keine moralische Qualität, sondern die faktische Macht zur Selbstverteidigung. Der Mensch als moralische Person besitz in diesem System keinen Raum.“ 745 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76. Ähnlich Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 74. Vgl. dazu auch Auer, Materialisierung, S. 15; Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 13 f. Diesbezüglich sagt Kennedy, 89 Harv. L. Rev. 1685, 1719 (1976): „The rules against violence, for example, have the effect of changing the balance of power that would exist in the state of nature into that of civil society. The strong, who would supposedly dominate everyone if there were no state, are deprived of their advantages and forced to respect the ,rights‘ of the weak.“ (Hervorhebung im Original). 746 Hierbei sei daran erinnert, dass der hungernde Mann im Wüstenbeispiel von G. Husserl keine einfache Wassermelone, sondern „einen Beutel Wassermelonen“ trug. G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39.
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Tauschbedingungen beschließt, könnte die Gegenpartei, wenn ihr vereinbarter Wille ignoriert wird, zu einem einfachen Objekt machen und damit ihre Qualität als Person verletzen.747 Diese Möglichkeit ist in den Augen von Kants vorstaatlicher Vertragstheorie auffällig. Diese Doktrin stellt als kategorischen Imperativ fest, dass der Mensch immer als Ziel und nie als bloßes Mittel behandelt werden müsse.748 Dies gilt auch für den Austauschvertrag.749 Dabei wird man nicht zum Objekt reduziert und als Zweck betrachtet, solange der eigene Willen respektiert wird.750 Wenn jemand beispielweise laut Kant einen Maurer zum Bau eines Hauses einstelle, gebrauche er den Maurer nicht als bloßes Mittel, wenn es dem Maurer seinerseits diene, um Geld zu verdienen.751 Erhielte der Maurer hingegen im Naturzustand nach seiner Arbeit nicht die versprochene Gegenleistung, könnte er den Auftraggeber nur selbst zwingen, die Leistung zu erbringen.752 Aber wenn letzterer über ausreichende Mittel verfügte, um sich einer solchen privaten Vollstreckung erfolgreich zu widersetzen, würde der Maurer zu einem bloßen Objekt des Auftraggebers reduziert werden.753 Angesichts dessen scheint diese Lehre, wenn sie bis zum Ende durchdacht wird, in einem gewissen Widerspruch zu sich selbst zu geraten: Sie postuliert die Möglichkeit, einseitig die Einhaltung von Versprechen im Naturzustand zu erzwingen, auch auf die Gefahr hin, die Menschenwürde zu verletzen. Die möglichen Konflikte des Tauschs ohne dritten Garanten für das Vereinbarte erinnern auch daran, was nach Feldstudien von Claude Lévi-Strauss (1908 – 2009) zwischen den Nambikwara-Völkern von Mato Grosso (Brasilien) passieren kann, wenn sie untereinander tauschen.754 Die Nambikwara sind eine einfache Ethnie, die in kleinen Gruppen organisiert ist, jede unabhängig von der anderen und mit ihrem 747 Diesbezüglich versteht das Bundesverfassungsgericht, dass die Notwendigkeit eines fairen Verfahrens in der genannten Möglichkeit begründet sei. Das Fehlen eines fairen Verfahrens würde nämlich dazu führen, dass eine der Parteien zum bloßen Objekt der Staatsgewalt werde. Siehe z. B. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 3 März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1084/ 99, Rz. 116 f. 748 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 52. Vgl. auch Guyer, Kant’s Deductions of the Principles of the Right, S. 23, 57 f. 749 Vgl. Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 52; ferner Hayek, The Constitution of Liberty, S. 208 f., und dort auch Fn. 14. 750 Ausführlich zum Menschen als Zweck Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 63 ff.; vgl. zu diesem Postulat in Beziehung mit dem Vertrag derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1319, Rn. 1 f.; auch Hayek, The Constitution of Liberty, S. 208 f. 751 Kant, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1319, Rn. 1 f. 752 Siehe dazu insbesondere 3. Kapitel, unter C. IV. 3. a) bb). und cc). 753 Vgl. Byrd/Hruschka, 81 Chi.-Kent L. Rev. (2006), 47, 52 „If the promisor has already gained a benefit from the promisee, then failing to fulfill his own obligation would be treating the promisee as a mere means to his own advantage. Consider the taxi passenger who impliedly promises to pay the fare on the meter. On arrival at his destination, he refuses to pay the driver. He has used the driver to pursue his own goals, but refuses to consider the driver as an end in herself pursuing goals she has adopted.“ 754 Ausführlich zu den Nambikwara Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1 ff. Vgl. auch Graeber, Debt, S. 29 f.; Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 32 f.
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eigenen Chef.755 Ab und zu treffen die Männer jeder Gruppe aufeinander, um zu verhandeln und zu tauschen.756 Bei diesen Treffen halten die Häuptlinge zunächst eine formale Rede, bei der sie die Einbringung ihrer jeweiligen Gruppen herabsetzen und das Angebot loben.757 Dann legen alle ihre Waffen zum Tanzen und Singen nieder, wobei sie eine Konfrontation simulieren, um schließlich zu verhandeln.758 In dieser Phase des Prozesses streiten die Individuen miteinander, und sobald eine Einigung zustande kommt, reißt jeder gewaltsam das Objekt aus den Händen des anderen.759 Aber wenn eine der Parteien das Objekt nimmt, bevor die andere mit dem Argumentieren fertig ist, oder wenn eine Gruppe glaubt, dass die andere sie ausgenutzt hat, werden Kämpfe in Abwesenheit von Vermittlern ausgelöst, die sogar in Krieg und Tod zwischen den Gemeinschaften enden können.760 Dieser konkrete Brauch aus dem Amazonasgebiet zeigt, dass der lukrative Austausch und Krieg wirklich eine gewisse Nähe zueinander besitzen. Wie LéviStrauss diesbezüglich formuliert: „Les deux points doivent être traités simultanément, les échanges commerciaux représentant habituellement des guerres potentielles pacifiquement résolues, et les guerres, l’issue de transactions malheureuses.“761
In diesem Sinne sind Positionen wie diejenigen der Naturrechtsschule, die nahelegen, dass die Vertragsverletzung an sich das Recht auf Krieg begründe, auf den ersten Blick richtig.762 Damit wird dennoch die faktische Situation rund um den Vertrag und den Handel mit dem Geschäft selbst verwechselt.
755 756 757
22, 32. 758
Graeber, Debt, S. 29. Vgl. Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1, 91. Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1, 91 f.; vgl. ferner Servet, Economy and Society Vol. 11,
Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1, 91 f.; vgl. auch Graeber, Debt, S. 29 f. Vgl. Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1, 93; Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 33. 760 Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 33. Ähnlich bezüglich der Idee, dass der Austausch ohne einen neutralen Vermittler der Konflikte zwischen den Parteien eine Tür für den Krieg ist, schreibt S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 210: „Eine Vertragsordnung, in der es den Stärkeren erlaubt ist, Schwächere nach Belieben zu dominieren, ist nicht mehr gerecht. Sie ist auch nicht mehr dazu geeignet, Rechtsfrieden zu sichern und zu wahren. Denn aus lange Sicht werden sich die Schwachen gegen die Ausnutzung seitens der Starken möglicher Weise auch außerhalb rechtlicher Rahmen wehren wollen.“ In diese Richtung auch Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 23, 25, in Bezug auf die wirtschaftliche Folge des Freiheitsparadoxes von Karl R. Popper (1902 – 1994). 761 Lévi-Strauss, J. Soc. Am. 1948, 1, 90 f. 762 So Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel I, unter II, 1 f.; vgl. Pufendorf, De officio hominis et civis, L. I, Cap. IX, § 3 (S. 87); auch C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 447. Ähnlich wie die Naturrechtsschule G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 37, der argumentiert, dass man, wenn der Staat schwach sei, das vertragliche Vereinbarte mit seiner eigenen Kraft durchsetzen solle. 759
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Ein starker konfrontativer Aspekt findet sich zwar in der vorvertraglichen Phase des lukrativen Austauschs.763 Dabei werden während der Verhandlung oder – bei Verträgen mit allgemeinen Geschäftsbedingungen – während der Annäherung der Parteien widersprüchliche Interessen zum Ausdruck gebracht. Bei einem eventuellen Kauf will der Käufer beispielsweise die beste Ware zum niedrigsten Preis erhalten, der Verkäufer will hingegen die schlechteste Ware zum höchsten Preis abgeben.764 Diese Rivalität spielt eine sehr wichtige Rolle und ist unmöglich aus dem vertraglichen iter auf dem Markt mit freiem Preis zu beseitigen.765 Ohne diese antagonistische Annäherung könnte man nicht einmal wissen, ob man austauschen will. Dieser Aspekt ist so grundlegend, dass der Begriff Kontrahent (Vertragspartei) im Mittelalter zur Bezeichnung derjenigen verwendet wurde, die sich in Duellen gegenüberstanden.766 Dennoch ist der Interessenkonflikt ein außervertragliches Phänomen. Er ist der Konflikt, den die Parteien lösen wollen.767 Dies geschieht dialektisch durch den Zusammenschluss mit einem anderen, durch con-venı¯re mit jemandem über einen Punkt (zusammen – kommen).768 In dieser friedlichen Kooperation drückt sich das gemeinsame Ziel der Parteien aus.769 Beim Kauf erfolgt dies, wenn die Parteien einen Kompromiss erzielen, indem sie einen Ausgleich für ihre unterschiedlichen Interessen finden.770 Daher ist der konsensuale Austauschvertrag paradox: Er ist Kooperation zur Überwindung eines Konflikts.771 Darüber hinaus gibt es in modernen Marktgesellschaften im Allgemeinen zwei Möglichkeiten, Waren und Dienstleistungen zu erhalten: Entweder durch einseitige Nutzung des Fremdbesitzes unter Übernahme der damit verbundenen Verantwortung oder durch Zusammenarbeit mit denjenigen, die die Waren oder Dienstleistungen 763
Vgl. Caumont, Doctrina General del Contrato, S. 265. Leenen, AT, § 1, Rn. 6. Vgl. ferner Graeber, Debt, S. 103. 765 Vgl. Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 255. 766 https://de.wikipedia.org/wiki/Kontrahent (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). Vgl. auch Duden, Wörterbuch, Stichwort „Kontrahent“: „1. a. (bildungssprachlich) Gegner, Gegenpart in einer geistigen Auseinandersetzung, in einem Streit o. Ä. b. (bildungssprachlich) Gegner in einem sportlichen Wettkampf, in einer kämpferischen Auseinandersetzung o. Ä. (…).“ 767 In diese Richtung Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 109 ff. 768 Conventio, welches im Römischen Recht in gewissermaßen als Synonym von consensus galt, kommt vom Verb „convenire“ = zusammenkommen. Wie Zimmermann, Law of Obligations, S. 563, bezüglich „come together“ zutreffend hervorgehoben hat, kann man in einem Ort mit jemanden zusammenkommen oder über eine Idee mit jemanden zusammenkommen, sich also einigen. So ähnlich Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 71 f. 769 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 72: „Mit der Uebergabe der verkauften Sache gegen den bedungenen Preis erlangen beide: Käufer wie Verkäufer dasjenige, was sie bezwecken. Mittelst des Vertrags constatiren sie die Coincidenz ihrer Interessen.“ 770 Vgl. Leenen, AT, § 1, Rn. 6. 771 Ausführlich zum konfrontativen und kooperativen Aspekt des Vertrags Caumont, Doctrina General del Contrato, S. 248 f., 263 ff. Vgl. auch Coleman, Risks and wrongs, S. 34; Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 71 ff.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 240 f.; ferner Graeber, Debt, S. 103 f. 764
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anbieten.772 Die erste Methode ist ein Nullsummenspiel, bei dem man auf Kosten des Verlustes eines anderen gewinnt und eventuell außervertragliche und strafrechtliche Verantwortung dafür trägt. Sie verweist mutatis mutandi auf die ocupatio bellica, auf den Krieg, wo durch Gewalt mit dem Schwert Eigentum „gekriegt“ wurde.773 Der zweite Weg bezieht sich auf den Vertrag. Dabei werden im Gegensatz zum Schwert und zur Konfrontation der Austausch und Worte verwendet, um Waren und Dienstleistungen zu „kriegen.“774 Der Vertrag wird – nach ökonomischer Analyse – eingesetzt, wenn das individuelle Verhalten weniger Gewinnspanne hinterlässt als das kooperative Verhalten.775 Mit anderen Worten, die Motivation zum Vertragen liegt darin, dass der Vertrag zur Maximierung des Nutzens der Kooperation im Gegensatz zur individuellen Handlung führt.776 Das Besondere an einem Marktvertrag ist also, dass durch ihn dasselbe oder mehr „gekriegt“ wird als durch Krieg, aber nicht einseitig, sondern in Zusammenarbeit, durch Frieden.777 Diese Identifikation des kommerziellen Austauschs mit dem Frieden manifestiert sich wiederum im Namen, der dem freiwilligen Austausch in der Rechtswissenschaft zuteilwird, und im alternativen Namen, den die Ökonomie in der Wissenschaft bekommt, wie nachfolgend gezeigt wird. Im Rechtsbereich kommt das Wort „Vertrag“, das gemäß Robert Bartsch (1874 – 1955) von Philipp v. Zeesen (1619 – 1689) erstmals zur Verweisung auf den Begriff „Contract“ eingeführt wurde778, zum einen
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Vgl. Atwood, Payback, S. 49 ff. Vgl. zur Beziehung zwischen occupatio bellica, Krieg und Vertrag Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, S. 129. 774 Diesbezüglich schreibt Jhering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, S. 129, stilvoll: „Die Formen des Krieges haben sich im Laufe der Zeit verfeinert; an die Stelle des offenen Feldes sind die verschlossenen Räume: Börsen, Geschäftslokale, Läden u.s.w. getreten, an die des schweren, wuchtigen Schlachtschwertes unserer Vorfahren die Feder.“ 775 Dazu Coleman, Risks and wrongs, S. 59, 107 f. 776 Hierin befindet sich der Grund der Bezeichnung des Austauschvertrages als „das Rückgrat des arbeitsteiligen Wirtschaftsverkehr.“ Weller, Die Vertragstreue, S. 343. 777 Vgl. in Bezug auf die verschiedenen Wege zum Erhalt von Sachen in den verschiedenen Kulturen Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 258: „What distinguishes trade from questing for game, booty, plunder, rare woods or exotic animals, is the two-sidedness of the movement, which also ensures its broadly peaceful and fairly regular character.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Der kooperative Aspekt des Vertrages wird darüber hinaus in den Positionen relevant, die die Vertragsparteien einmalig innerhalb des Austauschvertrages einnehmen. Denn in dieser Beziehung gibt es trotz des gemeinsamen Verständnisses idealerweise keine binominale Gläubiger/Schuldner-Konfrontation, wobei der Gläubiger die stärkere Partei des Geschäfts ist. Dieser Austausch impliziert vielmehr eine Akkumulation von Rechten und Pflichten, bei der man je nach Verpflichtung Schuldner oder Gläubiger ist. Vgl. dazu Caumont, Doctrina General del Contrato, S. 264, Fn. 70, Weller, Die Vertragstreue, S. 3 ff., 311 ff. 778 Bartsch, AcP 1954, 412, 421. Hierbei sollte man sich vergegenwärtigen, dass C. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, § 438, erstmals die Bezeichnung „Vertrag“ als Oberbegriff von pactum und contractum verwendete, während Philipp v. Zeesen (1619 – 1689) das Wort „Vertrag“ nur als Übersetzung von „Contract“ eingeführt hat. Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 165, Fn. 233. 773
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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von „sich vertragen.“779 Dieses Verb bedeutet sowohl „vereinbaren“ als auch „Frieden schließen“, und „sich mit einem anderen versöhnen.“780 Zum anderen haben pactum/pactio, wie Ulpian betonte, den gleichen Ursprung wie pacis, Frieden.781 Im Zwölftafelgesetz spielte pactio auf die Möglichkeit an, sich friedlich von einer Verpflichtung zu befreien.782 Die pactio war dort, wie bereits erwähnt783, die Handlung, durch die der Täter dem Opfer sein Recht auf Rache abkaufte, um den Konflikt zu beenden.784 In der Wirtschaftswissenschaft leitet der Begriff „catallaxy“, der von Hayek in Anlehnung an Whatelys Überlegungen zur Marktwissenschaft785 als Alternativ zur Benennung „Ökonomie“ vorgeschlagen wurde, sich vom griechischen Verb katallattein ab.786 Das bedeutet nicht nur „to exchange“, sondern auch „to change from enemy to friend.“787 Angesichts all dieser Erwägungen wäre es widersprüchlich zu verstehen, dass der Austauschvertrag an sich ein Recht auf Krieg beinhalte.788 Er wäre eher die Beendigung des Kriegs789, der Krieg wäre nur das Scheitern des Vertragssystems: der Nichtvertrag. 779
Dedek, CJLJ 2012, 313, 338. Dedek, CJLJ 2012, 313, 338; Zimmermann, Law of Obligations, S. 568, Fn. 150. 781 Digesten 2, 14, 1, 1: „Pactum autem a pactione dicitur (inde etiam pacis nomen appellatum est)“ [Deutsche Übersetzung nach einem Vereine Rechtsgelehrte, in: Otto/Schilling/ Sintenis (Hrgs.), Corpus Juris Civilis, Erster Band, S. 316: „Pactum (Vertrag) wird von Pactio abgeleitet, daher stammt auch das Wort Pax (Friede).“ (Hervorhebung im Original)]. 782 Das Zwölftafelgesetz, Tafel 8, 2: „Si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit, talio esto.“ [Deutsche Übersetzung nach Rudolf Düll: „Wenn jemand (einem anderen) ein Glied verstümmelt, soll (der Täter) das Gleiche erleiden, wenn er sich nicht (mit dem Verletzten) gütlich einigt.“] Vgl. dazu Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 107, 130, Fn. 42. 783 Siehe dazu 2. Kapitel, unter A. II. 784 Mousourakis, Roman Private Law, S. 245, Fn. 317; Nanz, Vertragsbegriff, S. 15; Zimmermann, Law of Obligations, S. 508, Fn. 3, 563. 785 Whately, Lectures on Political Economy, S. 4 ff. 786 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108 f., und dort auch Fn. 2. 787 Hayek, The Mirage of Social Justice, S. 108 (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. auch Whately, Lectures on Political Economy, S. 6, Fn.*, der versteht, dass die Bedeutung des Wortes „catallactics“ im Sinne von „reconcilement“ zweitrangig sei. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 32, auch erklärt, dass „Das Pragma der Gewaltsamkeit (…) dem Geist der Wirtschaft — im üblichen Wortsinn — sehr stark entgegengesetzt“ ist. 788 Diese Kritik erhält eine besondere Bedeutung in Bezug auf Kants Theorie. Diese Doktrin scheint, ähnlich wie die Naturrechtsschule, den Vertrag mit dem Krieg zu vermischen, obwohl sie den friedlichen Geist des Handels anerkennt. Kant versteht zum einen in seiner Rechtstheorie, die als Teil I seines „Die Metaphysik der Sitten“ (1797) aufgenommen wurde, dass man im Naturzustand einseitig den provisorisch erworbenen Besitz verteidigen könne (§ 9, S. 59 f.). Diese Verteidigung stehe im Einklang mit der Notwendigkeit des Eintritts im Zivilzustand (§§ 8 f., S. 59 f., § 15, S. 67 f., § 16, S. 71, § 42, S. 113 f.) und könne mit Hilfe von Kriegswaffen (§ 15, S. 68, § 17, S. 73) erfolgen. Provisorischer Besitz könne der Besitz über vertraglich erworbene Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat sein (§ 44, S. 119). Infolgedessen könne man im Naturzustand nach diesen Überlegungen auch das geschuldete Verhalten durch Kriegswaffen erzwingen [siehe 3. Kapitel, unter C. IV. 3. a) cc).]. Zum anderen räumt Kant in 780
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
II. Die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung durch die Rechtsordnung als Voraussetzung für den Vertragsabschluss 1. Die Vorteile des Monopolmechanismus der Vertragsdurchsetzung Aus dem Vorgenannten sollte nicht gefolgert werden, dass der Austausch unter der Ägide eines Dritten während oder nach seiner Erfüllung keinerlei Spannungen oder Gewalt erzeugen kann. Die gemeinsamen Interessen, die beim sofortigen Austausch oder bei der Vereinbarung über die Zukunft zum Ausdruck kommen, können sich nachhinein ändern.790 Die daraus resultierende Gewalt wird jedoch innerhalb einer Rechtsordnung aus der einseitigen und individuellen Macht der Parteien extrahiert und von der Staatsautorität monopolisiert.791 Das Recht braucht dies für seine konkrete Umsetzung.792 Ohne monopolisierte Macht ist es ein bedeutungsloses Wort.793 Im Vertrag im Allgemeinen manifestiert sich diese Rechtsbedingung in seiner durch einen Dritten garantierten Nichtänderung nach der Erfüllung.794 Im Schuldvertrag spiegelt sich dies in der Durchsetzung des Geschuldeten durch eine zuständige Autorität wieder.795 Die Wegnahme der Gewalt aus den Händen der Einzelpersonen und ihre ausschließliche Ausübung durch einen neutralen Dritten gewährleistet paradoxerweise, dass die verpflichtende Vereinbarung ein willentlicher Austausch ist und nicht ein erzwungener in seiner gesamten Entfaltung. Diese Wegnahme der Gewalt verhindert, dass die Kraft eines Vertragspartners dem anderen seiner zwei Jahre vor der Rechtsdoktrin veröffentlichten Schrift „Zum ewigen Frieden“ paradoxerweise ein, dass der kommerzielle Verkehr den Frieden voraussetze (S. 55) und dass der Handelsgeist „mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“ (S. 64). 789 Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 15. Zum historischen Zusammenhang zwischen Frieden und Vertrag Steiger, Die Ordnung der Welt, S. 373 f. Dazu ferner Burillo Loshuertos, Anales de la Universidad de Murcia 1964, 151, 152 f.; Decock, Theologians and Contract Law, S. 125 f.; Sesma Urzaiz, La formación del contrato en el Derecho romano, S. 110, 130, Fn. 42. Vgl. aber Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 46 f., demzufolge Handel nicht notwendigerweise dem Krieg entgegengesetzt sei. 790 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 72. 791 Vgl. dazu Weller, Die Vertragstreue, S. 173 f. Diesbezüglich auch Ingham, Capitalism, S. 118: „all forms of peaceful market exchange presuppose the existence of an authority – usually a state – effectively to suppress violence and to protect property.“ 792 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 257. Ähnlich S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 207. Diesbezüglich Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 27, Fn. 22: „Im Rechtszwang liegt der Hauptunterschied zu anderen Normensystemen, etwa einem Moralsystem.“ 793 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 253. Vgl. auch S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 230: „Rechtsgeltung setzt danach die Möglichkeit voraus, das Recht zwangsweise und auf von den Rechtsordnung zumindest gebilligtem Wege durchsetzen zu können.“ 794 In diese Richtung Bentham, Traités de législation, Vol. 1, S. 298 f. 795 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 72 f.; auch Gandur, Microeconomía, S. 31 f.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 207.
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eventuell bei Erfüllung des Vereinbarten auferlegt wird.796 Sollte dieser Vollstreckungsmechanismus durch einen Dritten verschwinden, wären folglich der Schuldvertrag und seine besondere Zukunftsdimension gefährdet.797 Aus Angst finge die Gesellschaft an, manuell und in bar auszutauschen.798 Nur mit Bekannten und im Vertrauen würde man sich auf zukünftige Leistungen einigen.799 Denn der Konsensualvertrag schafft, dass das Wort eine Leistung ersetzt und einen Kredit für die Zukunft gibt.800 Dabei ermöglicht dieser Vertrag zudem die räumliche Trennung des Abschlusses von der Erfüllung des Geschäfts.801 Allerdings könnte der Bruch des gegebenen Wortes manchmal aus dem rein persönlichen Interesse heraus profitabler als die Erfüllung sein.802 Dieses Risiko opportunistischen Verhaltens nähme insbesondere in den heutigen Marktgesellschaften zu, in denen das Gewinnstreben (studium lucri) eine dominante Kraft im menschlichen Geist ist.803 Damit der Ersatz der 796
Diesbezüglich Köbler, clausula rebus sic stantibus, S. 260: „Rein praktisch-technisch läßt sich eine wirklich bemüht objektive Betrachtung der gegenseitigen Interessen, die nicht nur den Standpunkt des Stärkeren durchsetzt, nur von einem neutralen Standpunkt aus vornehmen.“ Ähnlich Weller, Die Vertragstreue, S. 367: „(…) die Statuierung des Grundsatzes der erzwingbaren Naturalerfüllung (…) verbürgt die Vertragsdurchführung unabhängig von den faktischen Dursetzungsmacht des konkreten Gläubigers für jedermann.“ 797 Vgl. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29; Weller, Die Vertragstreue, S. 278. In Bezug auf die Zukunftsdimension des Vertrags Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 29: „Eine der wesentlichsten, wenn nicht die wichtigste überhaupt der Funktionen des Vertrags ist die Wirkung in die Zukunft.“ 798 Ähnlich Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267. Vgl. dazu ferner Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29; Weller, JZ 2012, 881, 886; derselbe, Die Vertragstreue, S. 278, die aber nahelegen, dass die Entwicklung der Verträge sich ohne das Vorhandensein eines Durchsetzungssystems auf den primitiven, sofortigen Austausch beschränkt gewesen wäre. In diese Richtung in Bezug auf diesen letzten Punkt auch Posner, Economic analysis of law, S. 93, § 4.1, Fn. 1. Keine primitive Gesellschaft stützt sich allerdings auf den sofortigen Austausch als Wirtschaftssystem (Siehe 3. Kapitel, unter D. VI.). Daher behaupten Humphrey, Man 20 (1985), 48 ff., und Graeber, Debt, S. 37, 40, 45, zutreffend, dass das Tauschsystem innerhalb einer Gesellschaft vielmehr Folge des Marktwirtschafts- und Währungssystemzusammenbruch sei, und nicht ihr Vorgänger. 799 Dieses grundlegende Merkmal des Mechanismus der vertraglichen Vollstreckung durch eine neutrale Instanz wurde sogar von Friedrich Bassenge (1901 – 1970) anerkannt (Siehe 3. Kapitel, unter C. IV. 2. a) Fn. 404). Dieser Phänomenologe glaubt an die aprioristische Existenz der obligatorischen Bindung des Versprechens, dessen Grundlage das von ihm erzeugte Vertrauen sei (Bassenge, Das Versprechen, S. 14, 16 f., 19, 32). Bassenge räumt jedoch ein, dass es dank der Rechtsordnung möglich sei, Geschäfte zwischen Subjekten zu schließen, die sich nicht kennen und die sich daher nicht gegenseitig vertrauen würden. Dabei erscheine, laut Bassenge, „das Vertrauen zum Staat“ (Bassenge, Das Versprechen, S. 53 f.). Vgl. diesbezüglich auch Fisanotti, Invenio 2014, 9, 14, der davon berichtet, wie die Derivaten nach der Tulpenmanie in den 1630er Jahren wegen der staatlichen Einschränkung ihrer Durchsetzung nur innerhalb Vertrauenskreise stattgefunden hätten. 800 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 265. 801 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50. 802 Vgl. López de Zavalia, Contrato, I, S. 298. 803 Vgl. Morgan, Ancient Society, S. 537; auch Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 44.
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gegenwärtigen Leistungen durch Versprechen von unbekannten Parteien angenommen wird, ist es deshalb notwendig, sicher zu sein, dass das gegebene Wort erfüllt und in eine Leistung umgewandelt wird804 : „Ce qui est dit, est dit! Ce qui est dû, est dû!“805 Dies wird durch die Möglichkeit des Zwangs zur Erfüllung der Vereinbarungen gewährleistet.806 Der potenzielle Gläubiger nimmt das Angebot des Schuldners gerade deswegen an, weil er gegebenenfalls berechtigt sein wird, das ihm gegebene Wort durchzusetzen.807 Potenzielle Schuldner haben auch ein Interesse an der Garantie der Durchsetzbarkeit des Vertrags, da sie sonst die Vorteile des Vertrags nie genießen könnten.808 Die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung ist demzufolge eine Voraussetzung dafür, dass jemand sich in einem gegenseitigen Beschränkungsschema für die Zukunft selbst einschränkt.809 Die Individuen des Wüstenbeispiels würden aus diesem Grund keine Norm für ihr zukünftiges Verhalten gemeinsam gestalten, wie von G. Husserl und Stern bei der Betrachtung des hypothetischen Austausches nahegelegt wird.810 Sie würden höchstens sofort – gezwungen durch die Notwendigkeit – einfach Fleisch gegen Wassermelone tauschen, ohne die Zukunft ihrer Beziehungen diesbezüglich zu berücksichtigen. Die Durchsetzbarkeit des Schuldvertrages durch einen neutralen Dritten macht auch wegen des Dargestellten das Funktionieren der Marktwirtschaft möglich.811 Sie fördert das mit dem Markt verbundene kooperative Verhalten.812 Dieser Vertragsmechanismus verwirklicht die Rechtssicherheit813 und erleichtert auf der Grundlage 804
Vgl. M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 76 f. Mazeaud, RJT 2010 44 – 1, 243, 246. 806 Dazu Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 265 f. 807 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 77. 808 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 265 f. 809 Vgl. zur Selbstbindung im gegenseitigen Beschränkungssystem Coleman, Risks and wrongs, S. 32 f. 810 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 608 f., 617 f. 811 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50; ferner Hachem, FS Schwenzer (2011), S. 647, 648. In diese Richtung auch A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 330, der dennoch akzeptiert, dass der Schuldvertrag ohne staatliche Vollstreckung – wenn auch schwächer – funktionieren könne (vgl. auch derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 303). A. Smith legt nahe, dass der Markt selbst seine Sanktionsmechanismen schaffe, indem man zum Beispiel die Händler, die ihre Vereinbarungen nicht erfüllen würden, vom Markt ausschließe (derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 327; vgl. zu einem anderen Sanktionsmechanismus des Marktes derselbe, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 82). Ähnlich wie A. Smith’s Position H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 ff.; vgl. ferner Posner, Economic analysis of law, S. 94. Kritisch zu den Sanktionsmechanismen des Marktes wegen ihrer Insuffizienz sogleich im Text. 812 Vgl. Coleman, Risks and wrongs, S. 118 f. 813 Vgl. dazu Bydlisnki, Privatautonomie, S. 69 f., 131 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 279 ff., 366 ff.; auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 52. Diesbezüglich Nipperdey, Vertragstreue und 805
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des damit verbundenen Vertrauens die Entwicklung komplexer langfristiger Geschäftsmodelle.814 Ohne diese vertragliche Durchsetzbarkeit wäre der Markt chaotisch und selbstzerstörerisch.815 Er verlöre seine Fähigkeit zur Selbstregulierung, da die Zwangsvollstreckung des Vertrages, wie bereits erwähnt, gerade das Funktionieren des Systems der Belohnungen und Sanktionen und als Reaktion darauf den Wettbewerb und die Selbstregulierung des Marktes sicherstellt.816 Der Kredit als lukratives Geschäft in großem Maßstab817, die Grundlage des zeitgenössischen Kapitalismus, verschwände.818 Niemand würde seine Ersparnisse in das Bankensystem investieren, Unternehmer brächten keine Mittel zur Deckung ihrer Geschäftsanforderungen oder zur Erweiterung ihres Betriebskapitals auf, und schließlich würde das Wachstum des gesamten Angebots an Waren und Dienstleistungen behindert.819 Überspitzt formuliert Rudolph v. Jhering (1818 – 1892): „(…) wer würde thöricht genug sein, seine Dienste zu leisten oder dem Andern den Gebrauch seiner Sache einzuräumen, wenn er nicht sicher wäre, dass er den Lohn und Miethzins erhielte? wer thöricht genug, letzteren im voraus zu entrichten, wenn er gewärtigen müsste, dass die versprochene Gegenleistung ausbliebe?“820
Einige der beschriebenen Situationen wurden beispielsweise im Zusammenhang mit Argentiniens Bankrott im Jahr 2001 erlebt.821 Damals brachen die Wirtschaft, die Nichtzumutbarkeit, S. 23: Die „Vertragstreue mit ihrem festen unverrückbaren Bestand ist notwendig für Rechts- und Verkehrssicherheit. Man muß im Interesse klarer und sicherer Verhältnisse an ihr, wie an so manchem Rechtsschein, festhalten, solange es irgend geht.“ 814 Ähnlich Horn, AcP 1976, 307, 319. In diese Richtung bezüglich des Vertrauens im Allgemeinen Kehnel, Einleitung, S. 1, 12; auch Seligman/Tierney, We Aren’t Built to Live in the Moment, in: New York Times, 19.5.2017. 815 Ingham, Capitalism, S. 199. Ähnlich bereits im Jahr 1524 Luther, Von Kauffshandlung vnd Wucher, S. 15: „Darumb ist inn der Wellt noth ein strenge, hart, weltlich Regiment, das die Bösen zwinge und dringe, nicht zu nehmen noch zu rauben, und wiederzugeben, was sie borgen, obs gleich ein Christen nicht soll wiederfordern noch hoffen; auf dass die Welt nicht wüste werde, Friede untergehe, und der Leut Handel und Gemeinschaft gar zu nicht werde.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. dazu ferner Bentham, Traités de législation, Vol. 1, S. 298 f.; zudem Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 85 f. 816 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. III. 817 Diesbezüglich ist Graeber, Debt, S. 34 ff., 40, 45, 73, der Meinung, dass der Kredit die erste Wirtschaftsbeziehung zwischen Individuen gewesen sei und dass dieser vor dem Staat und dem lukrativen Austausch bestehe. Wolle man eine Kuh von dem Nachbarn bekommen, bitte man einfach darum, er werde die übergeben. Es sei in einem solchen Moment nicht notwendig etwas als Gegenleistung zu geben oder dass eine Interessekoinzidenz vorliege. Ein Kredit entstehe aber dennoch zugunsten des Nachbarn. 818 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 66; Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267; auch Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2009, N8 18, 107, 125. 819 In diese Richtung Carlino, Macroeconomía, S. 23, 124 ff. 820 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267. 821 Siehe auch in Bezug auf die Beziehung zwischen dem Mangel eines starken durchsetzbaren Rechtssystems und der unentwickelten Marktwirtschaft in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion Kolev/Zweynert, Ohne Rechtsstaat kein Markt, in: FAZ, 27.2.2012, S. 12;
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Währung und ein Teil des argentinischen Staatssystems zusammen.822 Aus diesem Grund und angesichts des Mangels an Dollars und dem „corralito“ (Laufstall), einer staatlichen Maßnahme, die die Einlage in Dollars zum Vermeiden von Bankläufen blockierte, begann ein großer Teil der Gesellschaft (im Jahr 2002 mehr als 6 Millionen Menschen823), den Tausch als wirtschaftliches Organisationssystem zu nutzen.824 Diejenigen, die noch Dollars hatten, hielten sie aus dem Bankensystem heraus: „bajo el colchón“ (unter der Matratze).825 2. Die Unangemessenheit außerstaatlicher Sanktionen als Mechanismus zur Vertragsdurchsetzung Die Zwangsvollstreckung des Schuldvertrages kann nicht ordnungsgemäß durch die alternativen sozialen Sanktionen des Marktes ersetzt werden, die von einem Teil der vorstaatlichen Vertragstheorien nahegelegt wurden. Der Markt kann beispielsweise seine Probleme nicht allein lösen. Der außergerichtliche Mechanismus, mit dem man den Nichtzahler ausschließt und den Zahler mit mehr Geschäften begünstigt826, würde nicht alle Funktionen des von der Marktgesellschaft benötigten Systems der Belohnungen und Sanktionen erfüllen. Dieser außergerichtliche Mechanismus würde gegebenenfalls nur als Sanktion dienen, falls der Nichtzahler weiterhin am Markt teilnehmen möchte. Möchte der Nichtzahler jedoch nur eine bestimmte Leistung erhalten, um dann seine Tätigkeit aufzugeben oder sogar sein geographisches Gebiet zu verlassen, entfiele dieser soziale Mechanismus als Sanktionsmethode. Außerdem könnte er niemals die Prämien derjenigen garantieferner Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 84 ff.; Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 13 ff. 822 Vgl. dazu Fernández Mayo, Revista Pueblos y Fronteras Digital, N8 7, 2009, 5 ff.; Ingham, The Nature of Money, S. 165 ff.; Rossmeissl, Observatorio de la Economía Latinoamericana, 2005 N8 37. 823 Fernández Mayo, Revista Pueblos y Fronteras Digital, N8 7, 2009, 5, 13. Im Jahr 2002 zählte die argentinische Bevölkerung 37.516.000 Einwohner, sodass etwa 16 % der damaligen Bevölkerung den Tauschhandel als System der Organisation der Wirtschaft nutzten. Daten zur Bevölkerungsmenge aus https://datosmacro.expansion.com/demografia/poblacion/argentina? anio=2002 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 824 Ausfürhlich hierzu Rossmeissl, Observatorio de la Economía Latinoamericana, 2005 N8 37; auch Fernández Mayo, Revista Pueblos y Fronteras Digital, N8 7, 2009, 5, 9 ff. Überblick Graeber, Debt, S. 37. 825 In Argentinien nennt man die Art des Sparens, bei der das Geld nicht bei Banken angelegt wird und außerhalb ihrer unvorhersehbaren Entwicklungen bleibt, „colchonismo“ (colchón = Matratze), weil es zu Hause etwa unter der Matratze versteckt wird. Der Colchonismo wurde besonders während der Krise des Jahres 2001 wegen des bürgerlichen Misstrauens gegenüber dem Bankensystem angewandt. D’Avella, Boletín de Antropología 2012 N8 44, 127, 136 f. 826 So Stöhr, AcP 2014, 425, 426, 444 f.; vgl. dazu auch H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 427 f.; in diese Richtung A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report dated 1766, Rn. 326 f.
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ren, die ihre Verpflichtungen erfüllt hätten, aber nichts dafür bekommen hätten. Die Erfüllenden erhoffen sich durch die Erfüllung der Vereinbarung nicht mehr Austausch in der Zukunft. Sie haben Erwartungen an den spezifischen Plan, der bei Vertragsabschluss ausgedrückt wurde.827 Dieser außergerichtliche Mechanismus würde also dem Nichterfüllenden zugutekommen, den Erfüllenden ungeschützt lassen und damit die Grundlagen der Markttheorie verzerren. Diese bestehen in der Achtung der Freiheit des Einzelnen aufgrund der Vermutung der Rationalität seiner Handlungen und der Förderung seiner Rationalität.828 Das heißt, dieses System der Sozialsanktionen würde schließlich nur dann den zeitlich aufgeschobenen Austausch fördern, wenn die Parteien darauf vertrauen würden, dass ihre Geschäftspartner auf dem Markt bleiben möchten. In diesem Sinne hätte dieser Mechanismus ähnliche Defekte wie die condictio ex canone oder die denuntiatio evangelica des kanonischen Rechts des Mittelalters.829 Die erste wies der „nackten“ Vereinbarung eine Aktion aus der kanonischen Rechtsgrundlage zu.830 Sie galt aber nur für Kleriker oder für diejenigen, die sich der Kirche unterworfen hatten.831 Die denuntiatio evangelica schrieb vor, dass man jemanden, der ein Versprechen brach, exkommunizieren sollte.832 Beide Institute hätten also als Sanktionsmechanismus des Marktes funktioniert, aber nur sofern die Parteien das Vertrauen gehabt hätten, dass ihre Partner ein soziales Interesse an der weiteren Zugehörigkeit zur Kirche hätten. Wenn die Exkommunikation zum Beispiel für den Versprechenden keine Bedeutung hatte, war das System unwirksam in der Bestrafung und die Vereinbarungen blieben unerfüllt833: Sie war immer noch unverbindlich. Ein Markt aus privaten Sicherheitsagenturen und Schiedsrichtern, wie der Anarchokapitalismus es sich für seine entworfene Privatrechtsgesellschaft vorstellt, 827 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 279: „Der Tatbestand, in den die Parteien Vertrauen investieren, ist der Vertragsschluss.“ 828 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. I. und III. 829 Siehe dazu 2. Kapitel, unter C. III. 830 Söllner, ZRG RA 1960, 182, 243 ff. Vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, S. 127; Nanz, Vertragsbegriff, S. 53. 831 Decock, Theologians and Contract Law, S. 125, 127 f.; Söllner, ZRG RA 1960, 182, 247; Weller, Die Vertragstreue, S. 97; vgl. auch Bärmann, RIDC 1961, 18, 37; Zimmermann, Law of Obligations, S. 543 f. 832 Decock, Theologians and Contract Law, S. 128; Nanz, Vertragsbegriff, S. 53; Weller, Die Vertragstreue, S. 96; vgl. ferner Bärmann, RIDC 1961, 18, 36 f.; Lesaffer, JHIL 2000, 2, 178, 184. 833 Bezüglich der Folge der denunciatio evangelica schreibt Nanz, Vertragsbegriff, S. 53: „Diese Methode versprach freilich nur dann Erfolg, wenn der wortbrüchige Schuldner die Exkommunikation als drohendes Übel empfand und sie durch Leistung des Versprochenen abzuwenden bereit war. Ließ sie den Schuldner jedoch kalt, war dem Gläubiger nicht geholfen.“ Ähnlich Bärmann, RIDC 1961, 18, 36: „quant à la denuntiatio evangelica, elle ne put s’affranchir de son caractère qui était d’appartenir exclusivement au droit pénal de l’Eglise.“ Vgl. auch Söllner, ZRG RA 1960, 182, 245 ff.
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könnte auch nicht das System der staatlichen Vertragsvollstreckung vollständig ersetzen.834 Die für den Schutz von Eigentum und Verträgen zuständige Instanz darf nicht den Marktregeln von Angebot und Nachfrage unterliegen.835 Diese Instanz muss den Markt vielmehr von außen sichern. Darf sie dagegen am Markt teilnehmen und sich vom Gewinnstreben leiten lassen, würde Korruption entstehen.836 Ihr Verhalten wäre deshalb ähnlich wie das der nationalen Gerichtsbarkeiten, die miteinander auf dem internationalen Staatsschuldenmarkt konkurrieren, um bei der Staatsanleihenemission als zuständig für die Lösung der Vertragskonflikte von den Vertragsparteien ausgewählt zu werden.837 Sicherheitsagenturen und Schiedsrichtern träten nicht mehr als geschäftsfremde Dritte auf und würden dazu neigen, die Verträge zugunsten derjenigen auszulegen und zu vollstrecken, die über größere Ressourcen verfügen. Sie wären eine weitere zu „kaufende Ware“ und die Möglichkeit zur Vollstreckung des Vereinbarten wäre somit ein handelbares Objekt.838 Als Folge davon würden die Parteien die Einzelheiten des Inhalts ihres Austauschs außer Acht lassen und versprächen eine wahllose Risikoübernahme ohne Rücksicht auf ihre Kosten. Die Subjekte wären nur daran interessiert, ihre Ressourcen zur Korrumpierung der Vermittlerinstanzen einzusetzen. Auf lange Sicht bestände keine Bindung an das gegebene Wort, sondern an das Gesetz des Stärkeren und dieses System 834 Hoppe, The Idea of a Private Law Society, 1.8.2006, unter der Überschrift „The Idea of a Private Law Society“; derselbe, Rothbardian Ethics, 20.5.2002, unter der Überschrift „Simple Solution, Radical Conclusions: Anarchy and State.“ 835 Ähnlich Atwood, Payback, S. 49. 836 Vgl. dazu Atwood, Payback, S. 49. In diesem Zusammenhang lohnt es sich die Beschreibung des Brüsseler Marktplatzes darzulegen, die Supiot, Homo juridicus, S. 155 f., verfasst hat, um den Unterschied zwischen den Markt- und den Gerechtigkeitsregeln metaphorisch aufzuzeigen: „On sait que cet ensemble architectural admirable se définit d’abord par ses limites, faites de bâtiments dédiés les uns au travail organisé (les sièges des corporations) et les autres à l’Autorité publique garante de la loyauté des échanges (le siège de l’Hôtel de ville). Cette architecture donne immédiatement à voir qu’il n’y a pas d’échange réglé sans un Tiers garante des échanges (…). Sortir de l’espace ainsi institué, c’est aussi sortir de l’espace marchand et de ses lois; si l’on se rend sur la colline qui domine cette place, au palais de justice ou au Palais royal, on y est gouverné par d’autres lois que celles de l’échange. Faute de quoi la décision de justice ou la décision politique pourraient s’acheter et se vendre, c’est-à-dire que l’on se trouverait dans une cité corrompue, où la notion même de marché perd sons sens et dégénère en rapports mafieux.“ So auch derselbe, Der Geist von Philadelphia, S. 73. 837 Siehe dazu 1. Kapitel, unter B. I. 2. 838 Zur Möglichkeit, dass die Vermittlerinstanz der Schuldverträge durch Unterwerfung unter das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu einer Ware wird M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 78 ff.; auch M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; vgl. ferner Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 73; derselbe, Homo juridicus, S. 155 f. Die Möglichkeit, Gerichtsentscheidungen kommerziell gegen Geld auszutauschen, wäre zudem so, als könnte man den Nobelpreis durch eine große Spende an das Nobelkomitee gewinnen. Damit wäre die Entscheidung selbst bedeutungslos. Ebenso wie der Nobelpreis als akademische Anerkennung keinen ehrenvollen Wert mehr hätte, würde die gerichtliche Entscheidung nämlich ihre Bedeutung als Ausdruck der Gerechtigkeit verlieren. Siehe zu dieser Reflexion über den Nobelpreis Sandel, What Money Can’t Buy, S. 94; auch Stark, Law for Sale, S. 138 f.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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schüfe eine Art Feudalregime. Darin hätten diejenigen, die sich während eines Austauschs rechtzeitig mit Sicherheitsagenturen und Schiedsrichtern verbunden hätten, die Kontrolle über den Rest der Personen. Damit verschwände der gesamte Markt aus der genannten Privatrechtsgesellschaft. 3. Die Unverbindlichkeit des bloßen Willens In diesem Zusammenhang ist der Hinweis angebracht, dass die Willensfreiheit ohne latenten Zwang im Gegensatz zu den auf Reinach basierenden vorstaatlichen Vertragstheorien ihre Fähigkeit zur effektiven Rechtsverbindung verliert. Die Willensfreiheit beinhaltet zwar die Möglichkeit, Versprechen faktisch auszutauschen und anzunehmen.839 Der Vertrag und das Prinzip pacta sunt servanda finden in dieser Willensvereinbarung ihre Hauptfundamente.840 Sie reicht allerdings nicht zur Begründung einer rechtlichen Bindung aus.841 Vereinbarung und Vertrag sind nicht komplett gleichzusetzen.842 Wenn man das Gegenteil behauptet, würde man nur einen Aspekt des Vertragsprozesses berücksichtigen: seinen Abschluss. Aber seine Erfüllung würde verkannt werden.843 Als logische Konsequenz dieser Auffassung sollte die Bereitschaft zur Verbindung der Parteien über die Vereinbarungsentstehung hinaus aufrechterhalten werden, damit die vertragliche Bindung in der Zukunft bestehen bliebe.844 Denn es gibt keine phantasmagorische Rechtsbindung aus dem Willen, wie Reinach nahelegt, die unabhängig von dem Willen fortbesteht, sowie von der psychischen und physischen Dimension der Menschheit.845 Aus der Natur der Willensfreiheit ergibt sich zudem, dass sie gerade eine rein faktische Möglichkeit ist. Wie von v. Jhering hervorgehoben, „lässt sich nicht deducieren, warum derselbe Mann, der heute dies gewollt, morgen nicht das gerade Gegentheil sollte wollen können.“846 Im auf Reinach basierenden Vertragsmodell wäre die Erfüllung der Verpflichtung demzufolge dem zukünftigen Willen des 839
Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22 f.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206. Weller, Die Vertragstreue, S. 163. 841 Vgl. Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 142. 842 Ähnlich Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 12. 843 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267 f. 844 Bydlisnki, Privatautonomie, S. 69; zustimmend Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 52; Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 58; Weller, Die Vertragstreue, S. 164. Vgl. auch Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 268. 845 Siehe Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 150, 179, 181 ff., 188. Vgl. dazu zudem Loidolt, Rechtsphänomenologie, S. 92. 846 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 268. Diese Eigenschaft des Willens hatte Thomas von Aquin auch bereits erkannt, als er erklärte, warum das Zivilrecht im Gegensatz zum Naturrecht Formen zur Vertragsbindung verlangte: „Now according to the prescription of human laws (…) a simple promise made to a man is not binding; and this seems to be prescribed on account of the changeableness of the human will.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Thomas v Aquin, Summa Theologica, II. Book, II. Part, Question 88, Article 3, Objection 1 (Englische Übersetzung nach Fathers of the English Dominican Province). 840
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Schuldners unterworfen und die Möglichkeit einer einseitigen Kündigung des Vertragsverhältnisses würde als Regel akzeptiert werden.847 Dies würde in einer Marktgesellschaft zu den oben beschriebenen Dysfunktionalitäten führen.848 Der Wille muss vielmehr aus ethischer Sicht bindend sein, sobald er eine Verbindung auf der realen Ebene eingeht.849 Dies ist ein außergesetzliches Postulat der moralischen Pflicht, das von Philosophen, Juristen und Ökonomen als Leitfaden für das Sozialverhalten erhoben wird.850 Auf der Ebene der Realität ist die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit jedoch unvermeidlich, damit ein solches Verhaltenspostulat erfüllt wird, der gestrige Wille derselbe wie der heutige ist und eine Rechtsbindung besteht.851 Das heißt, Willensänderungen müssen ohne Einfluss auf die Einhaltung der Vereinbarung bleiben852 und die Parteien müssen über ihre tatsächlichen Interessen hinaus zur Erfüllung gezwungen werden.853 Diese Bedingung der Vertragsrealisierung wird durch die institutionelle Rechtsstruktur erreicht. Diese Heteronomie nimmt die autonom gestaltete Vereinbarung, erkennt sie als rechtlich verbindlich an und vermeidet paradoxerweise durch die Erzwingung ihrer Erfüllung, dass die Autonomie als Selbstbindung in der einfachen Bestrebungsebene bleibt.854 Zu Recht erklärt Gustav Radbruch (1878 – 1949) diesbezüglich:
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Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 164. Siehe dazu oben 3. Kapitel, unter D. II. 1. 849 Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038. 850 So auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 654 f. 851 Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 137 f.; auch Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 27. Diesbezüglich gebe es nach Graeber, Debt, S. 377, zum Beispiel in den Vereinigten Staaten inzwischen eine verbreitete Praxis unter vielen Unternehmen, ihre Schulden nur dann zu bezahlen, wenn sie rechtlich erinnert, provoziert oder angegangen würden. Das moralische Prinzip der Einhaltung des gegebenen Wortes habe also auf diesem Markt nicht die geringste Bedeutung. 852 So Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 52 f.; vgl auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29. 853 Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 266: „Der Vertrag ,bindet‘ den Schuldner, letzterer ist an sein Wort ,gebunden‘, wenn er genöthigt werden kann, dasselbe zu ,halten‘, d. i. wenn die Erfüllung durch äussere Gewalt erzwungen werden kann.“ 854 In diese Richtung Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038: „Die freiwillige Übernahme einer Verpflichtung durch ein selbstverantwortliches Privatrechtssubjekt mag zwar moralisch uneingeschränkt bindend sein, rechtlich bindend ist sie jedoch nur insoweit, wie sie von der Rechtsordnung als gültiger Rechtsakt anerkannt wird.“ Vgl. dazu Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51 ff., 67; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff., 33 ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 140 ff.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 115; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206 f.; 230 f.; Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5; Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f.; derselbe, Die Vertragstreue, S. 166 ff. 848
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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„Der Wille bindet sich also nicht selbst, vielmehr wird der wandelbare empirische Wille an den fingierten Dauerwillen gebunden. Vertragsbindung ist nicht Autonomie, sondern Heteronomie.“855
III. Gleichstellung als Voraussetzung des Austauschs Zurück in die Wüste: Unter den von den vorstaatlichen Vertragstheorien angeführten Bedingungen besteht demzufolge nicht die Möglichkeit eines Vertrages mit Auswirkungen für die Zukunft, wegen der Abwesenheit eines Dritten, der einen Krieg verhindert und der durch die Vollstreckungsgarantie eine Einigung für die Zukunft ermutigt. Es ist auch übertrieben zu behaupten, dass im Niemandsland ein sofortiger Austausch unweigerlich stattfinden würde. Dieser setzt in gewisser Weise Gleichheit voraus.856 Diese Gleichstellung muss subjektiv sein, nicht objektiv. Die zu tauschenden Waren oder Dienstleistungen müssen nicht gleichwertig sein.857 Die Parität zwischen Dörrfleisch und Wassermelone ist zum Beispiel unbestimmbar und für den willentlichen Austausch irrelevant.858 Er verlangt vielmehr die Gleichstellung der Parteien, die sich freiwillig zum Austausch entschließen. Nur auf dieser Ebene kann horizontal verhandelt und ausgetauscht werden.859 Aufgrund dieses Bedürfnisses nach Gleichheit entstehen Schwierigkeiten, wenn Austauschbeziehungen zwischen Menschen und Göttern, Königen und Staaten aufgebaut werden.860 Staaten akzeptieren – wie besprochen861 – beispielsweise in 855 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 138. Ähnlich Ferri, L’autonomia privata, S. 62: „La volontà in senso soggettivo si esaurisce nel momento in cui il negozio si compie, mentre la forza vincolante, cioè la imperatività della norma negoziale, si manifesta proprio quando si esaurisce il processo volitivo, ed accompagna il negozio nella sua esistenza obiettiva, quando è assolutamente indifferente per il diritto la persistenza di unna volontà reale o attuale.“ 856 Vgl. Graeber, Debt, S. 103, 120, 191; Mises, Human action, S. 196. 857 Mises, Human action, S. 205. 858 Vgl. Mises, Human action, S. 205. 859 Vgl. Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 82. Zu einem Überblick zu Verhandlungsund Vereinbarungskonflikten aus der Machtungleichheit der Parteien siehe C. Duve/Eidenmüller/Hacke/Fries, Mediation in der Wirtschaft, S. 264 f. 860 Zum Austausch- und Schenkkonflikt zwischen Individuen und Gott sowie Königen Graeber, Debt, S. 56 ff., 63, 83, 102, 106 ff., 387. Siehe zudem zum Austausch mit dem Teufel Atwood, Payback, S. 71 ff. Überblick zur Diskussion, ob ein Vertrag zwischen Staat und Bürger wegen fehlender Gleichordnung Zustandekommen kann, HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 17. Diesbezüglich teilt Kant das Recht in den Standpunkt des Verpflichteten sowie des Verpflichtenden ein und versteht, dass es kein Rechtsverhältnis zwischen Gott und einem Menschen geben könne. Ersterer habe nur Rechte und keine Pflicht. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung der Metaphysik der Sitten überhaupt, III, S. 43. Dort erlauben die ungleichen Bedingungen zwischen den Parteien nicht, einen Kontakt in Form von Gleichheit und Gegenseitigkeit herzustellen. Rojas Amandi, Dereito 2004, N8 2, 111, 134. 861 Siehe dazu 1. Kapitel, unter B. I. 1.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Anleiheverträgen derzeit zwecks gleichberechtigter Handlung mit ihren Gläubigern, sich der Gerichtsbarkeit, der Währung und dem Recht eines ausländischen Staats zu unterwerfen sowie auf die Immunität bestimmter Vermögenswerte zu verzichten.862 Mit dem gleichen Ziel der Gewährleistung eines horizontalen Austauschs hat der Ordoliberalismus der Freiburger Wirtschaftsschule insbesondere gegen Monopole gekämpft.863 Diese Doktrin versteht, dass zur Realisierung der wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft „erst einmal Angebots- und Nachfragefähigkeit der Beteiligten im Sinne sozialer Teilhabe an der Wirtschaft“ getestet werden müsse.864 Das heißt, entsprechend dieser Lehre ist es Voraussetzung des selbstregulierten Marktes, dass seine beteiligten Kräfte in den beiden Polen der Austauschbeziehung agieren können. Denn ohne eine Vielzahl von Angeboten und Nachfrage, bei Existenz eines Monopols, würde der freie Preismechanismus nicht richtig funktionieren.865 Dabei würden auch keine Entscheidungen über den Marktaustausch getroffen werden, sondern wegen fehlender Auswahlmöglichkeit gäbe es eine Ungleichheit zwischen den Parteien866 und daraus würde eine Art Zwangsaustausch resultieren.867 Der europäische Trend zum Verbraucherschutz durch die Einführung von Informationspflichten für Unternehmen ist ebenfalls Teil der Politik zugunsten eines funktionierenden Marktwettbewerbs.868 In Anbetracht des konkreten Mannes, des homme situé zielen diese Reformen auf die Herstellung der Gleichstellung der Marktteilnehmer ab.869
862 Hierzu Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 12 ff.; auch M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 77 f. 863 Müller-Armack, Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, S. 94 ff. Vgl. zur Freiburger Schule Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 14, 18 ff., 25, 32, 58 ff.; auch HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 33 f., 47. 864 Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 17. 865 Vgl. Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 267. 866 Vgl. S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 239. 867 Ähnlich W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 10 f., 19. Diesbezüglich behauptete Hayek zwar in seinem „The Constitution of Liberty“ aus dem Jahr 1960: „The decisive condition for mutually advantageous collaboration between people, based on voluntary consent rather than coercion, is that there be many people who can serve one’s needs so that nobody has to be dependent on specific persons for the essential conditions of life or the possibility of development in some direction“ (S. 208). Hayek verteidigte jedoch vorher in seinem „The Road to Serfdom“ aus dem Jahr 1944 die Wettbewerbsfreiheit ohne Einschränkung, weil die privaten Monopole ihm zufolge fast nie vollständig und selten von langer Dauer seien (S. 206). 868 Dauner-Lieb, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 279, 290. In diese Richtung auch Weller, Die Vertragstreue, S. 291 ff.; vgl. zudem HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 44 f.; Horn, AcP 1976, 307, 321. 869 Vgl. dazu De Lorenzo, La Ley 4.1.2007, 1, 2. Diesbezüglich Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 621: „As economists began to investigate the empirical basis of the competitive society one problem which became more and more obvious was the gulf between the way many consumers in fact behaves and how they needed to behave for market system to have optimal results.“
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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In der Wüste würden die Einzelnen in Abwesenheit eines Dritten und ohne jegliches vorheriges soziales und kulturelles Band zwischen ihnen daran gehindert sein, sich gegenseitig als gleichwertig wahrzunehmen. Subjektive Gleichheit ist nämlich kein einfaches physisches Konzept, das durch das Sehen des Körpers eines anderen festgelegt wird.870 Gleichheit ist ein komplexer und beziehungsorientierter Begriff. Man teilt seine Identität mit einem anderen im Vergleich zu einem Dritten unterschiedlicher Hierarchie, dennoch ist jeder einzigartig und anders.871 Als Folge dieser fehlenden Möglichkeit der Wahrnehmung als Gleichgestellte würden der Durstige und der Hungrige des Wüstenbeispiels nicht unbedingt ihre Waren austauschen. Für den Aufbau dieses Archetyps des Austauschs zwischen zwei Individuen im Niemandsland geht man also von juristischen Fiktionen aus, auf die sich die Marktgesellschaft stützt.872 Das in den westlichen Rechtsordnungen etablierte Wirtschaftsmodell des freien und gleichen Menschen würde unbewusst universalisiert werden. Bei dieser Universalisierung würde aber ignoriert, dass die Gleichheit des Menschen nur im Rahmen dieser Rechtsordnungen als existent angesehen wird.873 Die universelle Freiheit und Gleichheit der Menschen von Geburt an wurde vor allem in der Moderne durch das scholastische und naturrechtliche Denken verteidigt.874 Sie wurde in Europa durch die Hand der Bourgeoisie zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert mit dem Verbot der Leibeigenschaft sowie der Zünfte offiziell ge-
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Siehe diesbezüglich auch die Überlegungen von Hayek, The Constitution of Liberty, S. 148 ff., zum Mangel an körperlicher Gleichheit und der Gleichheit der Ausbildung von Menschen. 871 In diese Richtung bezüglich des Begriffs der Identität Graeber, Debt, S. 111. Vgl. ferner Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 27 f., der versteht, dass der Austausch nur scheinbar horizontal erfolgt. 872 Vgl. zur abstrakten Gleichstellung als institutionell geschaffene Fiktion zugunsten des Marktes Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 74, 82. 873 In Bezug darauf schreibt Hayek, The Constitution of Liberty, S. 150, z. B.: „We may continue to use this hallowed phrase to express the ideal that legally and morally all men ought to be treated alike. But if we want to understand what this ideal of equality can or should mean, the first requirement is that we free ourselves from the belief in factual equality.“ Ironisch über die Folgen der formalen Rechtsgleichheit für den Austauschvertrag Graeber, Debt, S. 407, Fn. 58: „It’s exactly the same if one takes a job at a doughnut shop; legally, it must be a free contract between equals, even if in order to be able to say this we have to maintain the charming legal fiction that one of them is an imaginary person named ,Krispy Kreme‘.“ Vgl. dazu ferner Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 31. 874 Dazu Rückert, Natürliche Freiheit – Historische Freiheit – Vertragsfreiheit, S. 305, 307 ff.; vgl. auch HKK/Hofer, vor § 145, Rn. 16. Bezüglich des Verhältnisses von Freiheit und Gleichheit Wesel, Geschichte des Rechts, S. 615: Die Gleichheit „ist nur die eine Seite einer juristischen Medaille, auf deren anderer Seite das Wort Freiheit steht. Ohne Freiheit keine Gleichheit.“
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
weiht.875 Die Bourgeoisie benötigte, dass der Staat die formale und abstrakte Gleichheit aller vor ihm über ihre materiellen Bedingungen hinaus anerkannte und garantierte.876 Auf diese Weise konnte die Bourgeoisie unter anderem die Arbeitskraft der ehemaligen Diener und Handwerker in eine Ware verwandeln, die horizontal auf dem Markt ausgetauscht wurde877 und die in Zeiten der Rezession zugunsten der Bedürfnisse der Industrie kostenlos untätig blieb.878
IV. Freiheit vor den institutionellen Spielregeln Im Wüstenbeispiel vergisst die vorstaatliche Vertragstheorie zudem, dass die Notwendigkeit eines Dritten in jeder sozialen Wechselbeziehung besteht, solange das Verhalten als eine Frage der Selbstbestimmung und nicht als etwas Automatisches betrachtet wird.879 Bienen oder Ameisen, „soziale Insekten“, sind Instinktwesen und werden von genetischer Vorbestimmung beherrscht.880 Ihr Verhalten ist ihrem Organismus inhärent, sodass es nicht beurteilbar ist.881 Die Autonomie des Menschen impliziert dagegen die Möglichkeit, unabhängig von einer Fremdbestimmung zu handeln.882 Für die Beziehungen zwischen Menschen ist deshalb eine externe Verhaltensleitlinie notwendig, die die Beziehungen leitet und rechtfertigt, um beurteilen zu können, ob jedes freie Subjekt in der Gesellschaft richtig handelt und was sein Verhalten bedeutet.883 So könnte man in einem Schachspiel, wie Robert Alexy ausführt, ohne vordefinierte Regeln von der Bewegung der Figuren auf einem 875 Vgl. dazu Polanyi, The Great Transformation, S. 70 f.; auch Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 59 ff., 143, 183 ff.; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 445 f.; ferner Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 258 f.; Gandur, Microeconomía, S. 5. 876 So Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 69; ähnlich Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 138 f. 877 Siehe dazu Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel XXIV, S. 752 ff., 772; ferner Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 129; Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, S. 82 ff.; in diese Richtung auch Gandur, Microeconomía, S. 5 f.; Hattenhauer, Grundlagen des deutschen Rechts, Rn. 325 f.; vgl. zudem HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 20; Salvi, Fuegia (2019), Vol. 2, N8 2, 76, 80 f. 878 Vgl. dazu Polanyi, The Great Transformation, S. 70 f.; ähnlich zur Kommerzialisierung der Arbeitskraft Ingham, Capitalism, S. 191. 879 Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 17. 880 So Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 88; vgl. zudem Seligman/Tierney, We Aren’t Built to Live in the Moment, in: New York Times, 19.5.2017. 881 Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 17. 882 Ohly, Volenti non fit iniuria, S. 65. 883 Vgl. Wilson/William, History of Homo Economicus, S. 17. Ähnlich Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217: „Juristische Grundlagenforschung (…) ist auf ein positives Modell menschlichen Verhaltens angewiesen, um die Folgen rechtlicher Regeln abschätzen und im Lichte (vorgegebener) gesetzgeberischer Zielvorstellungen bewerten zu können.“ Dazu auch Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 88: „If we were like beavers our economy would derive from our biology and, indeed, economics would become a branch of biology.“
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Brett sprechen, aber nicht von „Schachmatt.“884 Gleiches gilt für Rechtsakte.885 Ohne institutionalisierte Regeln, die festlegen, unter welchen Umständen das angenommene Versprechen verbindlich ist, könnte die faktische Willensvereinbarung nicht als Vertrag ausgelegt werden.886 In diesem Sinne ist der neoliberale Diskurs über die „Deregulierung“ des Marktes unpräzise.887 Der Markt ist dem Staat nicht entgegengesetzt.888 Er ist keine natürliche Spontaneität, die ohne Regeln funktionieren kann, wie es das Verlangen nach seiner Deregulierung nahelegt889: „Markets require states.“890 Die Regulierung bestimmt unter anderem, welches das Verfahren des Austauschvertrags ist und welches Recht wem gehört.891 Die Marktfreiheit ist eine vom Gesetz geschützte Freiheit.892 Aus diesem Grund brachte die Liberalisierung der Finanzen in den 1980er Jahren paradoxerweise über den Diskurs der Deregulierung hinaus eine Vervielfachung der bis dahin existierenden Regulierungswerke und der des bürokratischen Aufwands.893 Ähnliches wurde in Bezug auf die Bürokratie der Europäischen Union wahrgenommen, da die Einführung der wirtschaftlichen Freiheiten und die Bildung des Binnenmarktes ohne sie unmöglich gewesen wären.894 Der Glaube, dass der Markt natürlich ohne Regeln auftauche, wurde in den 90er Jahren durch die mangelnde Eigenentwicklung des Marktes in der Post-Sowjetunion 884 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215: „Das klassische Beispiel für konstitutive Regeln sind die Regeln des Schachspiels. Ohne diese Regeln könnte man nur von der Bewegung von Figuren auf einem Brett, nicht aber von ,Zügen‘ oder von einem ,Schachmatt‘ sprechen. Nicht anders ist es beim Versprechen. Ohne die für das Versprechen konstitutiven Regeln könnte eine Äußerung wie ,Ich verspreche dir, daß …‘ zwar als Information über eine Intention oder als Voraussage über zukünftiges Verhalten, nicht aber als Versprechen gedeutet werden.“ 885 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 215 ff. 886 In diese Richtung Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 142. 887 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 118, 198. 888 So Graeber, Debt, S. 18, 50, 71, 75; auch Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 150; Ingham, Capitalism, S. 198 f. 889 J. Flume, Marktaustausch, S. 5: „Märkte und die in ihnen vollzogenen Austauschverträge sind nicht ex nihilo enstanden.“ (Hervorhebung im Original) (vgl. dazu zudem dasselbe Werk, 11, 49). 890 Graeber, Debt, S. 71. 891 Ingham, Capitalism, S. 118, 198. In dieser Hinsicht formuliert J. Flume, Marktaustausch, S. 53: „Märkte sind rechtlich durchkonstruiert.“ (vgl. auch dasselbe Werk, 80). 892 Ähnlich Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 10 f.; 24, 26. 893 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 198. Ein ähnlicher Prozess wie im Neoliberalismus festgestellt werden kann, in Bezug auf die Zunahme der bestehenden Normen, erfolgte mit der Entstehung des liberalen Staates. Damals wurden in Europa zum Verallgemeinern des freien Marktsystems unendlich viele Vorschriften erlassen. Der Staat hatte – weitab von Funktionsverlusten – neue Organe und Instrumente geschaffen, um das Funktionieren der wirtschaftlichen Freiheit zu sichern. Dazu Polanyi, The Great Transformation, S. 139 ff., 146 ff.; siehe auch Graeber, Debt, S. 45. 894 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 118.
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diskreditiert.895 Beim Zusammenbruch des Kommunismus – wie Emmanuel Carrère in seinem vielfach preisgekrönten biografischen Roman „Limonov“ im Jahr 2011 mit Geschick beschreibt – sollte der Markt in eine Gesellschaft eingeführt werden, die ihn nie gekannt hatte und in der das Recht auf Eigenarbeit seit siebzig Jahren nicht mehr existierte.896 Für diese Aufgabe wurde Yegor Gaidar (1956 – 2009), ein Ökonom der kommunistischen Nomenklatura und paradoxerweise ein blinder Anhänger des Neoliberalismus, aufgerufen.897 Gaidar entschied demzufolge, dass eine Reihe tiefgreifender Reformen, eine „Schocktherapie“, schnell durchgeführt werden sollte.898 Das übersetzte sich einfach in eine Beseitigung der Marktverbote, aber „sans règle du jeu, sans lois, sans système bancaire, sans fiscalité.“899 Zehntausend Rubel Anleihen, entsprechend ihrer Teilnahme an der Wirtschaft, wurden einfach an alle Bürger per Post verschickt.900 Gleichzeitig wurden die Preise freigegeben, was zu einer Inflation von 2600 % führte.901 Deshalb waren die Anleihen, als sie ankamen, wertlos.902 Angesichts einer solchen Armut und mangelnder Institutionalisierung wurde alles chaotisch „kommerzialisiert“, einschließlich der Justiz, der Polizei und der Milizen.903 Diese Interdependenz des Verhaltens mit der Institution ist von den Kanonisten bei der Anerkennung der Verbindlichkeit der formfreien Vereinbarung erfasst worden.904 Im 13. Jahrhundert konnten sie kategorisch „pacta quantumcunque nuda servanda sunt“ (Vereinbarungen muss man, auch wenn sie nackt sind, einhalten) beanspruchen, weil sie absoluten Glauben an die Existenz eines universellen Garanten hatten, der die Verhaltensregeln festlegt und alles sieht.905 Anders als die Kanonisten ignorieren die vorstaatlichen Vertragstheorien mit ihrem Beispiel der Wüste diesen Konflikt. An einem solchen Ort würden keine Institutionen oder gemeinsamen Referenzregeln existieren, sodass man dort nicht wissen könnte, ob
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Graeber, Debt, S. 396, Fn. 7. Vgl. dazu Armour, Int J Soc Econ 1991, Issue: 5/6/7, 83, 84 ff.; Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox, S. 13 ff.; Kolev/Zweynert, Ohne Rechtsstaat kein Markt, in: FAZ, 27.2.2012, S. 12; auch Ingham, Capitalism, S. 65, 81. 896 Carrère, Limonov, S. 335 ff. 897 Carrère, Limonov, S. 335. 898 Carrère, Limonov, S. 335. Vgl. dazu Ingham, Capitalism, S. 65. 899 Carrère, Limonov, S. 336. 900 Carrère, Limonov, S. 335 f. 901 Carrère, Limonov, S. 335. 902 Carrère, Limonov, S. 336. 903 Carrère, Limonov, S. 338 f.: „Tout ce qu’on peut vendre pour survivre, on le vend (…). Si on est un général, ça peut être des tanks ou des avions : certains ont sans scrupule ouvert avec des appareils de l’armée des compagnies privées, dont ils empochent les profits. Si on est juge, ce sont des verdicts. Un policier, sa tolérance. Un fonctionnaire, son coup de tampon. Un ancien de l’Afghanistan, ses compétences de tueur.“ 904 Siehe dazu 2. Kapitel, unter C. 905 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 154 f.
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derjenige, der das Fleisch nach seiner Abgabe wegnehmen möchte, wirklich schlecht handeln würde. Dieser Mangel an Referenz für die Verhaltensorientierung von Individuen in der Wüste käme nicht nur in der nachvertraglichen Phase zum Ausdruck. Dieser Mangel wäre für die Parteien außerdem zum Zeitpunkt der Auslegung ihrer vorverträglichen gegenseitigen Signale ein Problem. Diese hätten keine eindeutige Bedeutung. Die Denkstrukturen sowie die Sprache der Kultur und ihrer Institutionen sind diejenigen, die die Auslegung einer Handlung auf die eine oder andere Weise erlauben.906 Sie lehren, wie man sich in einem Einkaufszentrum in Europa oder auf einem großen Basar im Mittleren Osten verhalten sollte. Im ersten Fall weiß man, dass der Vorgang eines Kaufs ganz unpersönlich sein wird und dass der Preis die ausgestellten Produkte generell, durch das unkoordinierte und vorausgegangene Handeln einer unendlichen Anzahl von Anbietern und Nachfragern verschiedener Waren und Dienstleistungen, vorbestimmt sein wird.907 Die kulturellen Handelsmuster im Mittleren Osten lehren dagegen, dass man sich zur Vornahme eines Austauschs wahrscheinlich mit dem Verkäufer durch eine Tasse Tee „anfreunden“ wird, dann eine Scheindiskussion zwischen „Freunden“ beginnt, man sich durch den angebotenen bzw. nachgefragten Preis des auszutauschenden Objekts verachtet fühlt, und man schließlich nach der Wirtschaftsoperation wieder einander unbekannt sein wird.908 Die vorstaatliche Vertragstheorie geht auch nicht auf diesen Punkt ein, wenn sie die Möglichkeit eines Tauschvertrags in der Wüste jenseits der kulturellen und sozialen Fremdheit der Parteien postuliert.909 Beispielsweise kannte ein Angehöriger einer präkolumbischen Andengemeinschaft entgegen der Annahme dieser Doktrin und der Ideologie des Vertragswesens den individuellen horizontalen Tausch nicht.910 Er gehörte nicht zu ihrem Verhaltenskodex.911 Diese Gemeinschaft wurde von einem dreiseitigen System von Komplementarität und Umverteilung des Überschusses
906
Vgl. dazu M. G. Casas/López Testa, Sup. Actualidad La Ley 11.5.2015, 1; auch Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 31, 33 f. 907 Zu einem vereinfachten Schema davon, wie unzählige Marktteilnehmer an der Herstellung des in einem westlichen Supermarkt käuflich zu erwerbenden Bleistifts beteiligt sind und wie die Preise verschiedener Rohstoffe den Preis des Bleistifts beeinflussen, M. Friedman/ R. Friedman, Free to Choose, S. 11 ff. In dieser Hinsicht gibt es in Frankreich sogar Supermärkte, deren Namen betonen wollen, dass die Produkte zum gleichen Preis verkauft werden, unabhängig davon, wer sie kauft, so die Supermärkte Monoprix oder Uniprix. Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 26. 908 Zu einer guten Beschreibung eines Austauschs auf einem Basar im Nahen Osten Graeber, Debt, S. 103 f. 909 G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 910 Vgl. dazu González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 3 f. 911 Überblick zu der Komplexität der Etablierung wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Subjekten mit unterschiedlichen Verhaltenskodizes Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 44 f.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
regiert.912 Nach diesem Wirtschaftsmodell verbrauchte jede Gruppe von Verwandten, die zu einer gemeinsamen Gesellschaft gehörten, die Erträge ihres eigenen Bodens und lieferte den Überschuss an eine hierarchische zentrale Gruppe in einem anderen geografischen Raum.913 Letztere verwalteten und verteilten das Empfangene auf die verschiedenen „Gebergruppen“ entsprechend der Bedürfnisse ihrer Herkunftsorte.914 Dabei tauschte die Gruppe, die Mais lieferte und Kartoffeln erhielt, keinen Mais gegen Kartoffeln.915 Der lukrative Markttausch war ihren Praktiken fremd.916 Die Gebergruppe machte eine Art Spende in einen Kreislauf, und diese „Spende“ kam in Form einer weiteren „Spende“ von einem Dritten zurück.917 Aus diesem Grund würde der Hungrige des Wüstenbeispiels, der nur die Andenkultur kennte, kaum über Zeichen zum Austausch einladen noch verstehen, dass der Durstige ihn zu einer solchen Praxis ermuntern würde.918
V. Das Geld als institutionelles Instrument Ähnlich wie beim Vertrag wird diskutiert, ob das Geld einen natürlichen Ursprung hat und aus dem Tausch stammt919 oder eine institutionelle Schaffung ist.920 Diese Frage scheint keine Relevanz zu haben, da es zurzeit seit dem Ende des Goldstandards 912
González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 2 f., 56 f. Vgl. zum umverteilenden Wirtschaftssystem der Andengemeinschaft im Allgemeinen auch Murra, The Inka State, S. 121 ff. 913 Zu einer Darstellung des Wirtschaftssystems, das auf Umverteilung basiert, im Allgemeinen Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 250 ff.; derselbe, The Great Transformation, S. 47 ff., 272 f. 914 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 3, 48 f. Vgl. ferner Murra, The Inka State, S. 121. 915 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 3. 916 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 3 f. Vgl. Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 250: „(…) redistribution designates appropriational movements toward a center and out of it again.“ 917 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 3. 918 Vgl. Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 52. 919 So z. B. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25 f.; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 250 ff.; derselbe, Origins of Money, S. 19 ff.; auch Begg/Fischer/ Dornbusch, Economics, S. 432 f.; Carlino, Macroeconomía, S. 109 f., 112; F. Walker, Political Economy, S. 121 f.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14; Stiglitz, Economics, S. 880 f.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 458 f. 920 So z. B. Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, passim; auch Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 70 ff.; Ingham, Capitalism, S. 68 ff.; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 21 f., 24 f.; derselbe, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 516 ff.; Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 4 f., 11 ff.; Mosler, J. Post Keynes. Econ., Vol. 20 (Winter, 1997 – 1998), 167, 169 f.; Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 16, 19, 27, 30 ff.; Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 27 ff.; derselbe, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 2, 4 ff., 9.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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im Jahr 1971 überwiegend Fiatgeld (fiduziarisches Geld) ist.921 Fiduziarisches Geld ist, anders als Warengeld922, das vom Staat ohne Bindung an ein bestimmtes Objekt geschaffene Geld, dessen Wert im öffentlichen Vertrauen liegt.923 Aufgrund des erwähnten Verhältnisses des Geldes zur Idee der Universalität des Tausches und seiner extremen Bedeutung für das Funktionieren des Schuldvertrages ist die Erläuterung dieses Punktes dennoch der hier vorgestellten Konfrontation mit den vorstaatlichen Vertragstheorien nicht fremd. In der Tat haben etwa die liberale Markttheorie924, ein Teil der Naturrechtsschule925 sowie die kantische Lehre926 sich neben der Universalität des Vertrages auch mit der Natur des Geldes beschäftigt. Daher wird im Folgenden zunächst die Funktion des Geldes auf dem Markt im Allgemeinen (dazu unter 1.) und im Schuldvertrag im Besonderen (dazu unter 2.) dargestellt. Dann werden die beiden relevantesten Theorien über seinen Ursprung kurz erörtert. So wird die orthodoxe Wirtschaftsdoktrin präsentiert, die im Einklang mit der Idee der Universalität des Vertrages steht, dass das Geld dem Staat vorausgeht, und die Modern Monetary Theory, die im Gegenteil zu Recht behauptet, dass das Geld eher ein komplexes Instrument des Staates oder der Autorität ist (dazu unter 3.). 1. Das Geld und seine Rolle auf dem Markt Das Geld ist seit der Antike eine grundlegende Technologie für große und komplexe Gesellschaften.927 Heutzutage ist es eine unersetzliche Ressource für das Funktionieren der Marktwirtschaft928 und damit eine Voraussetzung für eine er-
921 Graeber, Debt, S. 53; vgl. ferner Carlino, Macroeconomía, S. 115; Stiglitz, Economics, S. 883. 922 Warengeld ist ein Tauschmittel, das neben seiner Funktion als Geld eine Ware mit einem inneren Wert ist, so wie das Gold während eines Teils des 19. Jahrhunderts. Vgl. zum Begriff Krugman/Wells, Economics, S. 800 f.; auch Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 7. 923 Graeber, Debt, S. 401, Fn. 2; Keynes, ATreatise on Money, Vol. I, S. 7; Krugman/Wells, Economics, S. 801; Parkin/King, Economics, S. 689 f.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 460; Stiglitz, Economics, S. 881, 883; vgl. auch Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433 f.; Carlino, Macroeconomía, S. 115; J. Flume, Marktaustausch, S. 96. 924 So z. B. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25 f.; auch M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 250 ff.; derselbe, Origins of Money, S. 19 ff. 925 So z. B. Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, S. 110; Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter XVII. 926 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, I., S. 91 ff. 927 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 67. 928 Carlino, Macroeconomía, S. 113; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 3; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 257. Diesbezüglich Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 43: „Von Marktlage wird zweckmäßigerweise (nicht notwendigerweise) nur bei Geldtausch gesprochen, weil nur dann ein einheitlicher Zahlenausdruck möglich ist.“ Vgl. dazu auch Araneda, Sociológica (78) 2013, 213, 214; L. Arnold, Makroökonomik, S. 111.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
folgreiche kapitalistische Entwicklung929 : „Money makes the world go ’round.“930 Normalerweise werden dem Geld innerhalb der Marktwirtschaft vier Funktionen als grundlegend zugeordnet. In erster Linie stellen orthodoxe Ökonomen fest, dass das Geld als Mittel zum Austausch und damit zur Bezahlung dient.931 Denn die Marktteilnehmer sind bereit, es durch einen Vertrag im Austausch für ihre angebotenen Waren und Dienstleistungen zu empfangen.932 Dieses Geld wird nicht direkt danach verbraucht.933 Die Anbieter nutzen es vielmehr zum Austausch gegen andere von ihnen benötigte Waren und Dienstleistungen934 oder zur Schuldentilgung.935 Wegen dieser besonderen Fungibilität repräsentiert das Geld alle Waren936, ermöglicht die räumliche, zeitliche, persönliche und quantitative Trennung der zum Austausch angebotenen Waren und Dienstleistungen937 sowie die Gleichstellung aller Tätigkeiten untereinander.938 Damit fördert das Geld folglich die Arbeitsteilung, 929 So Ingham, Capitalism, S. 81. In diese Richtung auch F. Walker, Political Economy, S. 124: „(…) the use of money is a condition precedent to an advanced state of industrial society.“ 930 Stiglitz, Economics, S. 881, 879; vgl. auch Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432. Ähnlich Samuelson/Nordhaus, Economics (1998), S. 31: „The flow of money is the lifeblood of our system.“ 931 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432 f.: „Thus the key feature of money is its use as a medium of exchange.“ So auch z. B. A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.January.21.1763, Rn. 82; Parkin/King, Economics, S. 685; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 33, 458, 461; Stiglitz, Economics, S. 880 f.; vgl. ferner Carlino, Macroeconomía, S. 112 f.; Fetter, The principles of economics, S. 103 f.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Krugman/Wells, Economics, S. 799; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287 f. Hinsichtlich dieser Funktion des Gelds schreibt F. Walker, Political Economy, S. 121, sogar: „(…) the economic efficiency of money is limited strictly to the occasion for exchange.“ 932 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 112 f.; Harari, Sapiens, S. 199; Parkin/King, Economics, S. 685. 933 Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 459. Vgl. dazu F. Walker, Political Economy, S. 122 f.; Krugman/Wells, Economics, S. 799; auch Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, I., S. 92. 934 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432; Krugman/Wells, Economics, S. 799; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 31, 33, 458 f.; vgl. ferner A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 32; F. Walker, Political Economy, S. 123 f.; Fetter, The principles of economics, S. 103; LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1185; Stiglitz, Economics, S. 881. Diesbezüglich Parkin/King, Economics, S. 685: „Money acts as a lubricant that smooths the mechanism of Exchange.“ So auch Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 15. 935 Vgl. A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.January.21.1763, Rn. 82. 936 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, I., S. 92. Ähnlich Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter XVII; Harari, Sapiens, S. 207; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 264. 937 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 42. 938 Vgl. Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 92. Hierzu sagt Harari, Sapiens, S. 199: „Money is thus a universal medium of exchange that enables people to convert almost
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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da es den Arbeitern die Möglichkeit zum Handel ihrer Spezialprodukte auf dem Markt gibt.939 Es ist also ein allgemeines Mittel zur Problemlösung940 : „Money answer all things.“941 Neben seiner Rolle als Tauschmittel dient das Geld in der Marktwirtschaft auch zur Wertaufbewahrung.942 Es stellt eine abstrakte Kaufkraft dar943, die „for a rainy day“ gewahrt wird.944 Wer Geld spart, speichert die Möglichkeiten, die es verspricht.945 Außer bei größeren Störungen infolge hoher Inflation behält das Geld seinen Wert, kann zu niedrigen Lagerkosten aufbewahrt werden946 und ist aus diesen Gründen im Vergleich zu anderen Anlagen wie Aktien weniger riskant.947 Wenn das Geld dagegen, zumindest für kurze Zeit, seinen Wert nicht halten könnte, könnte es nicht einmal richtig als Tauschmittel fungieren.948 In einem solchen Fall würde jeder zögern, das Geld als Zahlungsmittel anzunehmen, da es später nicht mehr als Zahlungsmittel dienen könnte.949 Dies geschah Anfang der 90er Jahre in Russland, nach der oben erwähnten Preisliberalisierung950, als niemand an die Funktionalität des Rubels als Währung glaubte.951
everything into almost anything else. Brawn gets converted to brain when a discharged soldier finances his college tuition with his military benefits. Land gets converted into loyalty when a baron sells property to support his retainers. Health is converted to justice when a physician uses her fees to hire a lawyer.“ 939 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 113; Ingham, Capitalism, S. 67; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 33. In diese Richtung auch F. Walker, Political Economy, S. 124; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287. 940 Luhmann, Vertrauen, S. 54. 941 Ecc. 10, 19. 942 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Carlino, Macroeconomía, S. 113; Fetter, The principles of economics, S. 104 f.; Harari, Sapiens, S. 197; Ingham, Capitalism, S. 67; J. Flume, Marktaustausch, S. 89; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 15; Krugman/Wells, Economics, S. 799; Parkin/King, Economics, S. 686; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461; Stiglitz, Economics, S. 881. 883. 943 Ingham, Capitalism, S. 67. 944 Fetter, The principles of economics, S. 105. 945 Ähnlich Luhmann, Vertrauen, S. 53 f. 946 Carlino, Macroeconomía, S. 113; vgl. zudem Parkin/King, Economics, S. 686. 947 Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461. 948 Stiglitz, Economics, S. 881. Diesbezüglich Krugman/Wells, Economics, S. 799: „(…) imagine trying to operate an economy in which ice-cream cones were the medium of exchange. Such an economy would quickly suffer from, well, monetary meltdown: your medium of exchange would often turn into a sticky puddle before you could use it to buy something else.“ 949 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Parkin/King, Economics, S. 686; vgl. ferner Stiglitz, Economics, S. 881. Ähnlich Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287. 950 Siehe oben 3. Kapitel, unter D. IV. 951 Vgl. Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Die dritte Funktion des Geldes ist die als Maßeinheit.952 Diese ist meiner Meinung nach die wichtigste Funktion im gegenwärtigen Kapitalismus und diejenige, die die Entwicklung seiner anderen Verwendungen erleichtert.953 So wie das Kilogramm und der Meter es ermöglichen, die Gewichtszählung zu vereinheitlichen bzw. die Länge zu bestimmen, dient das Geld als Rechnungseinheit der Messung von Werten innerhalb der Gesellschaft.954 Durch die Verwendung der Abstraktionen Euro, Cents und Pennys, der Kardinalzahlen und der Arithmetik können mit genauen Zahlen Kosten, Gewinne und Verluste berechnet werden.955 Das Geld ist in diesem Sinne eine Form des mathematischen Vergleichs von Sachen, Dienstleistungen und Schulden als Proportionen: „of saying one of X is equivalent to six of Y.“956 Beispielsweise muss man in einer Marktwirtschaft zur optimalen Nutzung des Budgets und zur Ermittlung der Opportunitätskosten unter anderem die verschiedenen Waren und Dienstleistungen von Interesse miteinander vergleichen können, jedoch nicht in Bezug auf sich selbst.957 Man vergleicht keinen Film im Kino mit Kaffeetassen oder Biergläser. Diese haben vielmehr einen Preis, der vom Geld bestimmt wird.958 Deshalb vergleicht man ihre verschiedenen Preise untereinander.959 Wenn das Kino also 6,40 E und das Bier 3,20 E kostet, ist ein Film zwei Bier wert. Beträgt der Preis für eine Tasse Kaffee 1,60 E, dann entspricht die Kinokarte dem Wert von vier Tassen Kaffee. Diese Art der Berechnung wäre zu komplex, wenn die Biere in Kaffeetassen, diese ihrerseits in Schokoladentafeln und diese wiederum in Tomaten ausgedrückt würden. Man wäre dazu angehalten, das Kino, die Brauerei, die Cafeteria, das Schokoladengeschäft, den Gemüsehändler und so weiter zu besuchen, um zu ent-
952 So Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Carlino, Macroeconomía, S. 113; Fetter, The principles of economics, S. 104; Ingham, Capitalism, S. 67; J. Flume, Marktaustausch, S. 89; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 8; Krugman/Wells, Economics, S. 799; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 286 f.; Parkin/King, Economics, S. 685 f.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461; Stiglitz, Economics, S. 882 f. Vgl. dazu ferner A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 43; F. Walker, Political Economy, S. 137. 953 So auch Ingham, Capitalism, S. 67. 954 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 113; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 286 f.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461; Stiglitz, Economics, S. 883. 955 Ähnlich Ingham, Capitalism, S. 67. Vgl. auch Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 42. 956 Graeber, Debt, S. 52. Ähnlich Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter XVII; vgl. zudem Harari, Sapiens, S. 197; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 288; Stiglitz, Economics, S. 883. 957 Vgl. Parkin/King, Economics, S. 685; auch Harari, Sapiens, S. 199. 958 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, I., S. 93; Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, S. 110. Vgl. auch F. Walker, Political Economy, S. 131: „(…) the price of an article is understood to be the value of that article in terms of money – the amount of money it will command in exchange.“ 959 Vgl. Parkin/King, Economics, S. 685; auch A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 32; F. Walker, Political Economy, S. 137.
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scheiden, ob man ein Kinoticket kaufen sollte oder nicht.960 Diese Komplexität würde jedes Unternehmen vereiteln. Eine Firma wäre nämlich nicht in der Lage, die Bedeutung der Veräußerung ihrer Vermögenswerte (gibt es Gewinne?) in Bezug auf den Erwerb anderer Vermögenswerte (gibt es Verluste?) zu bestimmen und wüsste demnach nicht, ob sie ihre Ressourcen sinvoll nutzen würde oder nicht.961 Das heißt, sie könnte weder eine angemessene Betriebsbilanz feststellen962, den Erfolg eines Feilschens messen, noch könnte sie zukünftige Maßnahmen planen und vergangene Aktivitäten bewerten963 : Das Geld erlaubt die Quantifizierung sowohl der Wahlbedingungen als auch ihrer Folgen.964 Diesbezüglich kommentiert John Stuart Mill (1806 – 1873): „The need of a common denominator of values (…), to whose terms the values of all other commodities may be reduced, and so compared, is as great as that the inhabitants of the different States of the United States should have a common language as a means by which ideas could be communicated to the whole nation.“965
Als homogene Maßeinheit reduziert das Geld deshalb die Komplexität des Marktes und fügt alle seine Bereiche zu einem integrierten Kommunikationssystem zusammen: dem Preismechanismus.966 Dieser ist der zentrale Nerv der Marktgesellschaft.967 Der Preis, der durch die Schnittmenge zwischen freiem Angebot und freier Nachfrage ermittelt wird, vermittelt in Geldform konstante Informationen über die Knappheit oder die Fülle einer Ware, eines Dienstes oder eines Produktionsfaktors und über den besonderen Geschmack von Verbrauchern und Produzenten.968 Auf diese Weise koordiniert der Preis als eine Art Maître des unpersönlichen Marktes durch Anreize das Verhalten von Anbietern und Nachfragern969 und erleichtert das selbstregulierte Wettbewerbssystem.970 Ein Preisanstieg eines konkreten Gutes kann beispielsweise eine größere Nachfrage nach diesem Produkt kommunizieren und dadurch die Unternehmen der Branche ermutigen, dieses Gut zu produzieren und
960 961 962 963 964 965 966
214. 967
Umformuliertes Beispiel aus Parkin/King, Economics, S. 685 f. Stiglitz, Economics, S. 883. Vgl. ferner Krugman/Wells, Economics, S. 799. Vgl. Parkin/King, Economics, S. 686. In diese Richtung Mises, Human action, S. 199. Ähnlich Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 247. Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287. Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 113 f.; auch Araneda, Sociológica (78) 2013, 213,
Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 123. Vgl. Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 298 f.; Gandur, Microeconomía, S. 27 f., 48 ff.; Ingham, Capitalism, S. 9; M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 14 ff. 969 Vgl. dazu M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 13 f., 18 ff.; auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 296, 298 f.; Ingham, Capitalism, S. 65; Posner, Economic analysis of law, S. 4 ff. 970 Vgl. Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 475 f.; zudem Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 298; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 247, 256 f. 968
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
bessere Löhne anzubieten, um die für das betroffene Gut erforderlichen Arbeitskräfte anzuziehen.971 Nicht zuletzt wird das Geld basierend auf seiner Funktion als Maßeinheit und Wertaufbewahrung auch als Standard der zeitlich aufgeschobenen, künftigen Zahlungen (standard of deferred payment) verwendet.972 Diese Funktion ist für den lukrativen Schuldvertrag von besonderer Bedeutung. 2. Der lukrative Schuldvertrag als monetärer Austausch Die Funktion des Geldes als Standard der zeitlich aufgeschobenen, künftigen Zahlungen ist eine spezielle Anwendung seiner Nutzung als Maßeinheit.973 Der Unterschied zwischen diesen beiden Verwendungen des Geldes besteht vor allem darin, dass der Zeitfaktor beim Geld als Standard der zeitlich aufgeschobenen, künftigen Zahlungen grundlegend ist.974 Als Maßeinheit dient das Geld prinzipiell zur Berechnung des Wertes von Waren und Dienstleistungen zu einem gegebenen Zeitpunkt, während es in seiner Funktion als Standard der zeitlich aufgeschobenen Zahlungen zur Wertbestimmung von Waren zu einem anderen Zeitpunkt und Ort benutzt wird.975 In dieser Funktion hat das Geld deswegen die Fähigkeit, den zukünftigen Wert einer Ware oder Dienstleistung zu prognostizieren.976 Dies ist von grundlegender Bedeutung für die Verpflichtungen im Allgemeinen und für den lukrativen Schuldvertrag im Besonderen. Im Hinblick auf Verpflichtungen wird das Geld zur Messung der ausstehenden zu begleichenden Schulden und zur Ermittlung ihres Wertes zum Zeitpunkt ihrer zukünftigen Tilgung verwendet.977 Zusammen mit der numerischen Schrift ist dies unumgänglich für die Führung der Buchhaltung.978 Andernfalls würden Schulden 971
Vgl. dazu M. Friedman/R. Friedman, Free to Choose, S. 14 ff. F. Walker, Political Economy, S. 138 ff.; vgl. auch Carlino, Macroeconomía, S. 113; J. Flume, Marktaustausch, S. 89, 101; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 14 f.; Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 13; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 288 ff.; Parkin/King, Economics, S. 686; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 264. Vgl. aber Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433, der versteht, dass es sich hierbei nicht um eine spezielle Funktion des Geldes handle, denn beispielweise englische Bürger könnten Dollar als Standard künftiger Zahlungen verwenden. Dabei beachtet er aber nicht, dass der Dollar auch Geld ist. 973 In diese Richtung Fetter, The principles of economics, S. 105. 974 Vgl. Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 288. 975 Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 288. 976 García Soto, Moneda, banca y política monetaria, S. 15. 977 Vgl. Fetter, The principles of economics, S. 453. 978 Zum Geld und zum Schreiben als Instrumente der Kontoführung auch Atwood, Payback, S. 74 ff. Diesbezüglich erschien eine der ersten bekannten Währungen der Geschichte, das sumerische Ködergeld, zufälligerweise zur gleichen Zeit und am gleichen Ort wie die Schrift. Vgl. dazu Harari, Sapiens, S. 202. 972
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aufgrund ihrer Unbestimmbarkeit in Vergessenheit geraten.979 Durch diese Nutzung des Geldes wird auch angenommen, dass der Gegenstand von Verpflichtungen nur Handlungen von Menschen sein können, die monetär quantifiziert werden können.980 Diese Monetisierung ist entscheidend für die Bewertung des gesamten Vermögens, das heißt für die Berechnung des Eigentums und der Kredite eines Menschen in einer einzigen Ziffer.981 Diese Ziffer wird dann vom Markt übernommen, um die zukünftige Bindungsfähigkeit der Vertragspartner zu bestimmen.982 Diese Monetisierung der geschuldeten Leistung hilft ebenso bei der Unterscheidung einer rechtlichen Verpflichtung von der „Schuld“ eines einfachen Gefallens.983 Die erste ist quantifizierbar, die zweite hingegen ist eine soziale Beziehung, die nicht monetisiert ist.984 Bezüglich des lukrativen Schuldvertrages kann dieses Rechtsgeschäft, wie bereits erwähnt985, als ein noch nicht vollendeter Austausch aufgefasst werden.986 In diesem Vertrag beschließt eine oder beide Parteien freiwillig, die Zahlung ihrer jeweiligen Leistungen aufzuschieben.987 Der Zweck dieser Vereinbarung ist es also, die Zukunft durch das gegebene Wort zu gestalten988 : „C’est un instrument d’anticipation sur le futur.“989 Das Prinzip pacta sunt servanda zielt darauf ab, die vereinbarte Risikoverteilung bis zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung aufrechtzuerhalten.990 Aus diesem Grund bedarf diese Operation einer stabilen Maßeinheit, die nicht nur die Berechnung des Preises jeder Leistung beim Vertragsabschluss erleichtert, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch den Preis der Leistung zum Zeitpunkt ihrer Erfüllung.991 Ohne eine solche Möglichkeit könnte man nicht präzise sagen, dass der
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Atwood, Payback, S. 75: „Without memory, there are no debts.“ Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 377: „(…) nicht alle Handlungen zu Gegenständen von Obligationen gleichmäßig geeignet sind: es eignen sich nämlich dazu nicht diejenigen Handlungen, für welche die Verwandlung in Geldsummen völlig undenkbar seyn würde.“ 981 Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 376 ff. 982 F. Walker, Political Economy, S. 138: „These transactions are known as Sales on Credit, because the willingness of the producer to part with his goods, without at the time receiving an equivalent, depends upon the credit of the purchaser, or the degree of confidence attaching to his word or his bond.“ 983 Vgl. Graeber, Debt, S. 386. 984 Graeber, Debt, S. 13, 21, 386. 985 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. II. 986 Graeber, Debt, S. 121. Vgl. auch Fetter, The principles of economics, S. 453: „A credit transaction is a lengthened exchange.“ 987 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 113. 988 Supiot, Homo juridicus, S. 138. 989 Carbonnier, Flexible droit, S. 181. 990 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 284. 991 In diese Richtung Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 14: „Every person making a contract by which he will receive something at a future day, will prefer to secure the receipt of a commodity likely to be as valuable then as now.“ 980
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Vertrag auf willentlicher Selbstbestimmung beruht.992 Bei einem Bargeschäft weiß der Verkäufer beispielsweise bei der freiwilligen Annahme der Vereinbarung, wie viel Kaufkraft der erhaltene Betrag besitzt.993 Er kann ihn sofort mit Sicherheit ausgeben.994 Bei einem zeitlich aufgeschobenen Kaufvertrag erhält der Verkäufer hingegen das Geld nicht zum Zeitpunkt der Geschäftsvereinbarung.995 Die Zahlung wird aufgeschoben.996 Ohne Geld als stabile Maßeinheit im Zeitablauf würde der Verkäufer deshalb den geschätzten Wert dessen, was er in Zukunft erhalten würde, nicht kennen.997 Das Geld würde hier auch dazu dienen, um die Zeit zwischen dem Kaufabschluss als status viae und seiner Erfüllung als status termini zu bewerten.998 Denn der Verkäufer will nicht nur die Kaufkraft des Geldes in der Zukunft berechnen, sondern auch die Finanzierung des Geschäfts in Rechnung stellen: „Derjenige zahlt weniger, der in kürzerer Frist zahlt.“999 Ohne diese Funktion des Geldes könnte man weder den Verzug einer Zahlung noch ihren Mangel berechnen. Selbst aufgeschobene Tauschgeschäfte wären nicht zu hundertprozentig frei von dieser Ungewissheit. In diesem Fall wüssten die Vertragspartner nicht, was die zu erhaltenden Waren auf dem Markt wert wären. All dies beträfe insbesondere die entgeltlichen Darlehensverträge1000, die das Grundgefüge der Wirtschaftsbeziehungen des Kapitalismus bilden.1001 Damit Zeit Geld ist, ist ihre wertmäßige Quantifizierung nämlich unerlässlich.1002 Die Darlehensgeber müssen darauf vertrauen können, dass ihre Zinsen nicht erodieren werden.1003 Sie verwenden die Zinsen zur Abdeckung der Schwankungen des Geldwertes
992 In Bezug darauf versteht Schollmeyer, Selbstverantwortung und Geschäftsgrundlage, S. 23 ff., zutreffend, dass das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage, deren Hauptanwendungsbereich die exorbitante Änderung des Währungswertes ist, den Schutz der Selbstbestimmung der Vertragspartner als Gegenstand hat. 993 F. Walker, Political Economy, S. 138. 994 F. Walker, Political Economy, S. 139 f. In diese Richtung auch A. Smith, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Friday.January.21.1763, Rn. 82. 995 F. Walker, Political Economy, S. 139 f. 996 F. Walker, Political Economy, S. 139 f. 997 Vgl. F. Walker, Political Economy, S. 140; zudem J. Flume, Marktaustausch, S. 103. Ähnlich Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 141: „Das Geld funktioniert jetzt erstens als Wertmaß in der Preisbestimmung der verkauften Waren. Ihr kontraktlich festgesetzter Preis mißt die Obligation des Käufers, d. h. die Geldsumme, die er an bestimmten Zeittermin schuldet.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 998 Zu status viae und status termini siehe Ferrater Mora, Diccionario, Tomo II, Stichwort „Situación.“ 999 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter XX, 2. 1000 Vgl. Parkin/King, Economics, S. 686; auch Fetter, The principles of economics, S. 453 ff. 1001 Ingham, Capitalism, S. 66. 1002 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 160 und dort auch Fn. 1. 1003 Ingham, Capitalism, S. 66.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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im Voraus.1004 Würde man stattdessen etwa eine bestimmte Ware wie hochwertiges Rindfleisch zur Rückzahlung eines Darlehens heranziehen, würden die Vertragsparteien zu viel Risiko eingehen. Der Preis des Fleisches könnte im Vergleich zu anderen Waren sinken, und in diesem Fall hätte der Darlehensgeber ein wirklich schlechtes Geschäft gemacht. Andernfalls, wenn der Preis gestiegen wäre, würde er davon profitieren.1005 In diesem Schema würde dieser Vertrag per Definition aleatorisch werden und das moderne Prinzip der Marktgesellschaft „Money begets money“ verlöre an Wirksamkeit.1006 Das Fehlen dieser Geldfunktion würde wiederum den Vertragsgläubiger daran hindern, über die zukünftige Zahlung in anderen verknüpften Geschäftsaktivitäten zu verfügen, und somit den Austauschfluss lähmen. Mit anderen Worten, die Zahlungskette würde unterbrochen und der Markt würde chaotisch werden.1007 Im geschilderten Beispiel des internen Funktionierens des Restaurants würde ohne einen Kanon von Zukunftswerten die komplexe geschäftliche Synchronisation zwischen dem Unternehmer und seinem Kunden, seinem Vermieter, seinen Lieferanten, seinen Mitarbeitern und ihren nachfolgenden Geschäften verhindert werden.1008 Die Funktion des Geldes als Maßeinheit der Gegenwart und als Standard der aufgeschobenen Zahlungen wird durch Preisänderungen beeinträchtigt1009 – etwa durch den rasanten Anstieg der Preise, der durch die Hyperinflation verursacht wird.1010 Dabei verliert das Geld seine Stabilität und seine Fähigkeit, ein kaufmän-
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Parkin/King, Economics, S. 686. Umformuliertes Beispiel aus Parkin/King, Economics, S. 686. 1006 Dieser Gedanke wurde am Anfang der Neuzeit mit der Liberalisierung der Kommerzialisierung des Geldes etabliert. Im Mittelalter galt ein totales Verbot des verzinsbaren Darlehens durch die religiöse Autorität. Dazu stützte das kanonische Recht sich auf die aristotelische Konzeption von der „Sterilität“ des Geldes als Quelle von Früchten: „pecunia pecuniam non parit“ (Geld bringt kein Geld ein). Dann begannen Ausnahmen von dieser Regel zu entstehen. Ein Meilenstein war dabei die rechtliche Erlaubnis einiger Zinsen durch das Parlament von Heinrich VIII. im Jahr 1545 als differenzierender Akt vom Protestantismus zu der römischen Kirche. Schließlich erstreckten sich die bürgerlichen Reformen über den ganzen Westen, um die Kommerzialisierung aller Waren und, unter ihnen, das Geld zu befreien. So regiert von der Neuzeit bis heute der Gedanke von Benjamin Franklin (1706 – 1709): „Money can beget Money.“ Zur aristotelischen Geldkonzeption Aristoteles, Ethica Nicomachea, Buch IV, S. 151; derselbe, Politik, Buch I, 10, S. 37 f.; auch Thomas v Aquin, Summa Theologica, II. Book, II. Part, Question 78, Article 1. Zu Franklins Geldverständnis Franklin, Advice to a young tradesman, Written by an old one, S. 200 ff. Zur Geschichte des verzinsbaren Darlehens im Allgemeinen Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, I, S. 22 ff.; Homer, Interest Rates; Jiménez Muñoz, La usura; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 35, Rn. 18 ff.; Munro, Working Papers 439 (2011), University of Toronto, 1 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 166 ff. 1007 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 199. 1008 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. III. 1009 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 81 f.; auch Parkin/King, Economics, S. 686. 1010 Ingham, Capitalism, S. 81. 1005
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
nisches Berechnungswerkzeug zu sein.1011 Dieses Phänomen wäre, als ob der Meter oder das Kilogramm rasant an Ausmaß verlören.1012 Deswegen benutzten die Händler in Deutschland während der Hyperinflation von den Jahren 1922 und 1923 den Dollar anstelle der deutschen Mark als Maßeinheit.1013 In diesem Kontext wurde die Lehre von der Geschäftsgrundlage von Paul Oertmann (1866 – 1938)1014, Vorläufer des § 313 BGB, auch erstmals zur Überwindung der Folgen der Inflation bei Schuldverträgen angewendet.1015 Im bekannten Fall Vigognespinnerei vom Jahr 1922 wurde auf Basis dieser Theorie festgestellt, dass ein Käufer wegen der Abwertung des Gelds eine Anpassung seiner Zahlung anbieten musste und dass der Vertrag bei Nichtannahme des Anpassungsangebotes durch den Gläubiger beendet wurde.1016 3. Der Ursprung des Geldes Sobald die grundlegende Rolle des Geldes im Marktvertrag erläutert wurde, ist es notwendig zu analysieren, ob das Geld – in Übereinstimmung mit den vorstaatlichen Vertragslehren und dem Vertragswesen – dem Staat und jeder Autorität der Gesellschaft vorausgeht oder eher ein institutionelles Instrument ist.
1011 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 81, 91. In Bezug auf die Folgen der Inflation für das Geld als Maßeinheit Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 161: „In times of boom and inflation they [die Geldnutzer] are asking themselves if next time there will be anything to buy that they can still afford.“ 1012 Vgl. Carlino, Macroeconomía, S. 110. 1013 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433. 1014 Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. 1015 Zur Geschichte von § 313 BGB HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 1 ff. 1016 RGZ 103, 328, v. 3.2.1922. Bei diesem Fall ging es darum, dass ein Gesellschafter im Mai 1919 nach der Kündigung des Gesellschaftsvertrags mit einem Dritten einen Kaufvertrag zu einem Festpreis über ein bestimmtes, der Gesellschaft gehörendes Grundstück abgeschlossen hatte. Bei der Auseinandersetzung der Gesellschafter wurde dieses Grundstück aufgrund der rasanten Geldentwertung mit einem viel höheren Papiermarkwert bewertet, als der im Kaufvertrag vereinbarte Betrag ausmachte. Das Reichsgericht entschied, dass der Schuldner zuerst den Gläubiger zur Erhöhung der Gegenleistung aufzufordern habe und erst bei Weigerung von dieser befreit sei. Von diesem Fall an wurde die Lehre von der Geschäftsgrundlage durch die Rechtsprechung in Anlehnung an § 242 BGB übernommen (vgl. z. B. RGZ 106, 7, v. 6.1.1923; RGZ 108, 105, v. 3.3.1924; RGZ 122, 200, v. 30.10.1928; RGZ 141, 217, v. 21.6.1933; BGH, NJW 1951, 836, v. 15.6.1951; BGHZ NJW 1953, 1585, v. 14.7.1953; BGH WM 1957, 401, v. 29.1.1957) und parallel zur Wissenschaft weiterentwickelt. Vgl. dazu H. Köhler, Lehre von der Risikobefreiung, S. 295 ff.; HKK/Meyer-Pritzl, § 313, Rn. 22 ff.; K. Luig, Die Kontinuität allgemeiner Rechtsgrundsätze, S. 171, 185 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 581 f.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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a) Das Geld: Eine Konsequenz des lukrativen Tauschs? Laut der orthodoxen Wirtschaftstheorie ist das Geld, wie angeführt, grundsätzlich ein Tauschmittel innerhalb des Warenverkehrs.1017 Diese Doktrin behauptet in Anlehnung an das smithianische Prinzip vom Menschen mit dem Hang zum lukrativen Tausch1018, dass das Geld zur Überwindung der Grenzen des Tauschhandels entstanden sei.1019 Denn das Naturalaustauschsystem wäre äußerst unbequem.1020 Das Funktionieren dieses Systems würde einem „double coincidence of wants“1021 unterliegen: Man müsse die Person finden, die habe, was man wolle und die wolle, was man habe.1022 Lägen diese Bedingungen nicht vor, trete der Lehrbuchkonflikt auf, der darin besteht, dass man einen Anzug besitze und Brot wolle, während der andere Brot habe, aber keinen Anzug wolle. Er wolle einen Hut. Die Lösung dieses Problems innerhalb des Tauschmechanismus sei es, auf dem Markt nach einem Dritten zu suchen, der einen Hut habe und einen Anzug wolle, sodass ein multilateraler Tausch stattfinde.1023 In diesem umständlichen System würden jedoch zu viel Zeit und Mühe
1017 Parkin/King, Economics, S. 685. Vgl. ferner Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432 f.; F. Walker, Political Economy, S. 121 ff.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 92 ff.; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 461; Stiglitz, Economics, S. 880 f. 1018 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. 1019 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 27 f.; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 250 ff.; vgl. ferner Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432 f.; Carlino, Macroeconomía, S. 109 f., 112 f.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 3 ff.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14; Parkin/ King, Economics, S. 685; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 458 f.; Stiglitz, Economics, S. 880 f.; in diese Richtung auch Defoe, An essay upon publick credit, S. 7 f.; Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, S. 110; Mises, Human action, S. 402 ff. Als Anhänger dieser Lehre könnte man zwar auch Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 92 ff., mit seiner Überlegungen vom Geld als Äquivalent aller Waren und Folge des Warenaustauschs einordnen. Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel I, S. 81 ff., ist aber der Meinung – anders als A. Smith –, dass der Warenaustausch von einer „historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion“ (dasselbe Werk, Bd. 1, Kapitel I, S. 81 f.) stamme, und nicht von Natur aus gegeben sei. (Hervorhebung im Original). Vgl. auch F. Walker, Political Economy, S. 121, der wie A. Smith glaubt, dass das Geld vom Tausch komme. Der amerikanische Ökonom versteht aber, anders als der schottische Denker, dass Tauschhandel aus der Arbeitsteilung entstehe und nicht umgekehrt. 1020 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, S. 110. Siehe auch Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 164; M. Köhler, JZ 2013, 957, 960. 1021 Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Parkin/King, Economics, S. 685; Stiglitz, Economics, S. 881. Die Ausdrucksweise „double coincidence of wants“ wurde darüber hianus von Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 3 f.; geprägt. Vgl. dazu J. Flume, Marktaustausch, S. 88, Fn. 8. 1022 Carlino, Macroeconomía, S. 109; F. Walker, Political Economy, S. 121; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 251. 1023 Vgl. Stiglitz, Economics, S. 881.
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verschwendet1024 und die Entwicklung der Arbeitsteilung ginge verloren und die Produktion für ungewisse Verkäufe würde behindert werden.1025 Wer zudem Brot wolle, wolle vielleicht nicht so viel Brot im Vergleich zum Betrag, den er durch die Weggabe des Anzugs erhalten würde.1026 In diesem Austausch würde man Gewinne aufgrund der fehlenden Teilbarkeit vergeuden.1027 Angesichts dessen entstehe das Geld nach der orthodoxen Wirtschaftstheorie auf natürliche Weise als Hilfselement zur Verbesserung der Effizienz des Austauschs.1028 Der Kardinaldenker dieser Konzeptualisierung des Geldes ist Carl Menger (1840 – 1921)1029, Gründer der Österreichischen Schule der Ökonomie.1030 Seine Ideen zu diesem Thema wurden im Jahr 1892 durch die Veröffentlichung seines Aufsatzes „On the Origins of Money“ im The Economic Journal verbreitet. Der Kern davon war allerdings bereits in Kapitel VIII seines Hauptwerks „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ aus dem Jahr 1871 dargestellt worden. Menger stellt fest, dass sich eine der Waren aufgrund ihrer größeren Absatzfähigkeit abheben werde und dies in einem natürlichen Wettbewerbsprozess zwischen den verschiedenen Waren stattfinde.1031 Welche Ware sich von anderen abheben werde, um als Geld zu dienen, werde durch die sich ändernden materiellen, industriellen und gewöhnlichen Bedingungen der Gesellschaft bestimmt.1032 Tabak sei zum Beispiel in der Region Virginia zur Zeit der englischen Siedler in Nordamerika zu Geld geworden, weil er ein Produkt der ersten Notwendigkeit gewesen sei.1033 Diese hochgeschätzte Ware sei gefragt gewesen, auch wenn sie nicht für den sofortigen Verbrauch benötigt worden 1024
Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Fetter, The principles of economics, S. 99; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 252. 1025 Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 251. Vgl. derselbe, Origins of Money, S. 19 f.; auch Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 42, 458. 1026 Vgl. F. Walker, Political Economy, S. 122; Fetter, The principles of economics, S. 99; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 6; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287. 1027 Fetter, The principles of economics, S. 98 f. In diese Richtung auch A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, Tome 1, Première Partie, Livre Premier, Titre II, S. 110. 1028 Vgl. Parkin/King, Economics, S. 685; auch Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 13; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14. 1029 Vgl. Mises, Human action, S. 402. 1030 So Salerno, Biography of Carl Menger; vgl. auch Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 35. 1031 Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 252 ff.; derselbe, Origins of Money, S. 23 ff., 38. Ähnlich A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; F. Walker, Political Economy, S. 122 ff.; Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287 f.; Mises, Human action, S. 404; vgl. ferner Fetter, The principles of economics, S. 99 f.; Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 92. 1032 F. Walker, Political Economy, S. 124; Fetter, The principles of economics, S. 101 f. 1033 Fetter, The principles of economics, S. 101; vgl. zudem A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; F. Walker, Political Economy, S. 124.
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sei, da sie später zum Kauf von Waren auf dem Markt gedient habe.1034 Kaufleute seien immer bereit gewesen, diese Ware anzunehmen.1035 In diesem Prozess würde man vom Austausch von Sachen gegen Sachen zum Austausch von Sachen gegen Geld übergehen – das heißt, vom Naturaltausch zum Geldtausch, und alle Geschäfte seien Geldgeschäfte.1036 Das Geld werde zur „allgemeine[n] Ware der Kontrakte.“1037 Auf diese Weise habe derjenige, der Brot gewollt und einen Anzug gehabt habe, nicht nach jemanden mit einem Hut gesucht, der einen Anzug wolle, um dann den erhaltenen Hut mit denjenigen zu tauschen, der Brot habe. Er habe seinen Anzug gegen Tabak getauscht und diesen direkt als Tauschmittel benutzt, um Brot zu bekommen.1038 Die Haupttauschoperation (Anzug/Brot) werde also in zwei monetäre Operationen (Anzug/Tabak – Tabak/ Brot) unterteilt, da diese paradoxerweise einfacher als die direkten Tausche allein seien.1039 In diesem Erklärungsmodell ergäben sich die anderen Funktionen des Geldes zufällig aus der Existenz des im Handel weitgehend akzeptierten Gutes.1040 Der Staat trete seinerseits erst später in Erscheinung, um die Qualität der durch Tausch zu Geld gewordenen Ware zu bescheinigen1041 und ihm die Fähigkeit zur erzwungenen 1034 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; F. Walker, Political Economy, S. 122 ff. Diesbezüglich Mill, Principles of political economy, Book III, Ch. IV, S. 287: „Every person, therefore, would at all times hasten to dispose of his commodity in exchange for anything which, though it might not be fitted to his own immediate wants, was in great and general demand, and easily divisible, so that he might be sure of being able to purchase with it whatever was offered for sale.“ Vgl. auch Mises, Human action, S. 404. 1035 Fetter, The principles of economics, S. 101. 1036 Defoe, An essay upon publick credit, S. 8: „The Course of Trade being thus turned, from exchanging of Goods for Goods, or Delivering and Taking, to Selling and Paying, all the Bargains in the World are now stated upon the Foot of a Price in Money; and tho’ it be at any Time an Exchange of Goods for Goods, yet even those Goods are on either side rated at a Price in Money.“ (Hervorhebung im Original). Vgl. ferner A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 32; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 275. 1037 Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel III, S. 146 (Hervorhebung im Original). 1038 Kernidee des Beispiels genommen aus Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 252 f., der sich auf den Fall eines Waffenschmiedes des homerischen Zeitalters bezieht, der unter anderem Nahrung gebraucht habe und eine Rüstung gehabt habe. Damals sei die Ware, die als Geld hervorgehoben wurde, Vieh gewesen (vgl. dazu auch A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 26; F. Walker, Political Economy, S. 125). Der Waffenschmied habe deshalb nach Vieh gesucht. 1039 Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 459: „two monetary transactions are simpler than one barter transaction.“ Vgl. auch Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 3; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 14. 1040 Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 275 ff. Vgl. zudem Fetter, The principles of economics, S. 104: „Money serves as a ,common denominator‘, for, as all other things can be expressed in terms of money, through it the value of other things can be compared. The other things can be expressed in money because they are constantly exchanged for it.“ Ähnlich Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 433; Jevons, Money and the Mechanism of Exchange, S. 13 f. 1041 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 27 ff., 38.
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Universalvertretung zuzuweisen.1042 Dies sei nichts anderes als ein Akt der offiziellen Anerkennung durch den Staat, wie es bei der Kodifizierung eines Gewohnheitsrechts der Fall sei.1043 b) Das Geld als sozialpolitische Institution Eine alternative Wirtschaftslehre besagt zutreffend, dass das Geld keine Folge des lukrativen Tauschhandels sei.1044 Das Geld sei vielmehr ein Phänomen der staatlichen oder sozialen Autorität, das den Markt als Voraussetzung seiner Schaffung nicht erfordere.1045 Das Geld als etwas Unabhängiges von einer Autorität zu betrachten, sei falsch.1046 Dieser Ansatz wird als Chartalismus bezeichnet, wegen des lateinischen Begriffs Charta (Papierblatt).1047 Unter diesem Terminus versteht man ein offizielles Dokument, das die Regeln für ein spezifisches Verfahren festlegt1048 – wie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Im Falle des Geldes ist es ein vom Staat festgelegtes und angenommenes Zahlungsmittel, deswegen chartales Geld.1049 Der Haupttext dieses Gedankens ist „Staatliche Theorie des Geldes“ (1905) von Georg Friedrich Knapp (1842 – 1926)1050 : „Das Geld ist ein Geschöpf der Rechts1042 Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 260: „(…) diesem Gute der Charakter der universellen Vertretungsfähigkeit von Staatswegen aufgedrückt wird, ein Umstand, der das betreffende Gut nicht erst zum Gelde macht, wohl aber seinen Geldcharakter bedeutend vervollkommnet.“ Vgl. auch Carlino, Macroeconomía, S. 110. 1043 Menger, Origins of Money, S. 51. In diese Richtung auch F. Walker, Political Economy, S. 126 f. 1044 Zu dieser Theorie gehören u. a. Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 70 ff.; Ingham, Capitalism, S. 68 ff.; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 21 f., 24 f.; derselbe, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 516 ff.; derselbe, The Nature of Money, S. 89 ff.; Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 4 f., 11 ff.; Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, passim; Mosler, J. Post Keynes. Econ., Vol. 20 (Winter, 1997 – 1998), 167, 169 f.; Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 27 ff.; derselbe, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 2, 4 ff., 9; derselbe, Understanding Modern Money, S. 60 f.; auch Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 16, 19, 27, 30 ff. 1045 Dazu Wray, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 4 ff.; auch Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 65 ff. Vgl. ferner Ingham, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 521: „There are then very good reasons for believing that the very idea of money originated outside the ,market‘, as this is conventionally construed in economics.“ 1046 Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. VI f. Vgl. auch Ingham, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 25: „Money is a form of sovereignty and as such it cannot be understood without reference to an authority.“ 1047 Vgl. Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. 27. 1048 Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. 27. 1049 Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. 2, 31: „Geld bedeutet stets chartales Zahlungsmittel; jedes chartale Zahlungsmittel heißt bei uns Geld. Die Definition des Geldes ist: chartales Zahlungsmittel.“ 1050 Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 28; derselbe, Understanding Modern Money, S. 23 ff.
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ordnung.“1051 Dieses Werk wurde vom britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883 – 1946) aufgenommen.1052 Er förderte seine Übersetzung ins Englische, die im Jahr 1924 in gekürzter Form veröffentlicht wurde.1053 Kurz darauf erkannte Keynes im Jahre 1930 in seiner „A Treatise on Money“ die Gültigkeit dieser Doktrin an. In dieser Schrift wird zum Ausdruck gebracht, dass der Staat die Autorität sei, die die Zahlung des Vertragsgegenstandes erzwinge und bestimme, was dem Wert dieses Gegenstands entspreche.1054 Diese Macht werde nach Keynes von allen modernen Staaten in Anspruch genommen und von Staaten seit mindestens 4000 Jahren geltend gemacht, sodass in „(…) this stage in the evolution of Money has been reached that Knapp’s Chartalism (…) is fully realised.“1055 Aus diesen Überlegungen von Keynes leitet sich der Name der Schule der NeoChartalisten ab: Modern Monetary Theory.1056 Diese Denkströmung behauptet, ähnlich wie Knapp, dass der Staat oder eine entsprechende Autorität eine Verpflichtung – etwa die Steuerzahlung – auferlege und eine allgemeine, gesetzliche und soziale Maßeinheit etabliere, mit der eine solche Verpflichtung gemessen und erfüllt werde.1057 Diese abstrakte Maß- und Zahlungseinheit ist das Geld. Es kann nicht ohne 1051
S. 53. 1052
Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. 1. Zustimmend J. Flume, Marktaustausch,
Vgl. Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 4 f. Wray, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 15. Vgl. zudem Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 66. 1054 Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 4 f. 1055 Keynes, A Treatise on Money, Vol. I, S. 4: „The State, therefore, comes in first of all as the authority of law which enforces the payment of the thing which corresponds to the name or description in the contract. But it comes in doubly when, in addition, it claims the right to determine and declare what thing corresponds to the name, and to vary its declaration from time to time – when, that is to say, it claims the right to re-edit the dictionary. The right is claimed by all modern States and has been so claimed for some four thousand years at least. It is when this stage in the evolution of Money has been reached that Knapp’s Chartalism – the doctrine that money is peculiarly a creation of the State – is fully realised.“ (Hervorhebung im Original). 1056 Wray, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 15. Ähnlich wie Keynes, aber im Jahr 1998 drückt Randall Wray, Vertreter der modernen Theorie des Geldes, aus: „At this point we have a Chartalist, non-convertible, paper money, as do all modern developed countries.“ Wray, Understanding Modern Money, S. 28; vgl. auch derselbe, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 28 f. 1057 Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 27 f.; derselbe, JLEI, 2004 Working Papers Series No. 792, 1, 2, 7, 9; vgl. auch derselbe, Understanding Modern Money, S. 23 ff., 40 ff.; ferner Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 70 ff.; Ingham, Capitalism, S. 68 ff.; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 21 f., 24 f.; derselbe, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 516 ff.; Mosler, J. Post Keynes. Econ., Vol. 20 (Winter, 1997 – 1998), 167, 169; Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 30; zudem Polanyi, The Great Transformation, S. 196 f. Diese Theorie steht Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, I., S. 93, nahe. Kant versteht zwar, dass das Geld eine Ware sei (S. 91 ff.). Er zitiert sogar A. Smith dabei (S. 94). Kant behauptet jedoch, dass eine Ware nur dann in Geld umgewandelt werden könne, „wenn ein großer und machthabender Vertuer einer Materie, die er anfangs bloß zum Schmuck und Glanz seiner Diener (des Hofes) brauchte (…), d. i. wenn ein Landesherr die Abgaben von seinen 1053
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
zu tilgende Verbindlichkeiten bestehen.1058 Diese können sich außer aus zu zahlenden Steuern auch aus Schäden an Dritten ergeben.1059 Diese Idee manifestiert sich im USDollar, in dem deutlich angekündigt wird: „This note is legal tender for all debts, public and private.“1060 Das Material, aus dem das Geld besteht, spielt keine Rolle.1061 In Europa war das „money-thing“ beispielsweise lange Zeit ein wertloser Haselnussstab.1062 Die Existenz des Geldes setzt demzufolge nicht die Produktion oder den Austausch von Waren voraus.1063 Es wird jedoch in diesem letzten Bereich als Zahlungsmittel Untertanen in dieser Materie (als Ware) einfordert und die, deren Fleiß in Anschaffung derselben dadurch bewegt werden soll, mit eben denselben, nach Verordnungen des Verkehrs unter und mit ihnen überhaupt (auf einem Markt oder einer Börse) wieder lohnt. – Dadurch allein hat (meinem Bedünken nach) eine Ware ein gesetzliches Mittel des Verkehrs des Fleißes der Untertanen untereinander und hiemit auch des Staatsreichtums, d. i. Geld, werden können“ (S. 93). Aus diesem Grund müsse ausgeschlossen werden, dass der Geldvertrag im kantischen Naturzustand bestehen könnte, obwohl Kant auch Verträge danach klassifiziert, ob sie Geld als Gegenstand haben. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 31, S. 90 f. 1058 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 69; derselbe, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 25. Darüber hinaus versteht Harari, Sapiens, S. 201, dass das Geld im Glauben an ihn aller Menschen Unterstützung finde und dass der König es in seinen Steuern beanspruche, weil er auch daran glaube. Das heißt, er sieht nicht ein, dass die Autorität das Geld erst schafft und dann durch ihn Steuern einfordert. Für Harari ist die soziale Autorität in gewisser Weise in der gleichen Position wie die Bürger in Bezug auf den Ursprung des Geldes. 1059 Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 66, 71 f., 77; Vgl. auch Ingham, Review of Social Economy, Vol. 54 (1996), 507, 519 ff. 1060 Vgl. zum US-Dollar als rechtliches Mittel zur Liquidation von Steuerverpflichtungen Mosler, J. Post Keynes. Econ., Vol. 20 (Winter, 1997 – 1998), 167, 169. Andere Währungen beinhalten darüber hinaus ein Zahlungsversprechen ihres Emittenten. So drückt das Pfund Sterling aus: „I promise to pay the bearer on demand the sum of x pounds.“ Dies ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als der Wert von Banknoten an Metall gebunden war. Insbesondere beim Pfund Sterling geht diese Sentenz auf die Gründung der Bank of England, der ersten Zentralbank ihrer Art, im Jahr 1694 zurück. Die Etablierung dieser Institution war die Folge eines Kredits von 1,2 Millionen Pfund, den ein Händlerkonsortium an William III. zur Finanzierung seines Krieges gegen Frankreich vergeben hatte. Damals ermächtigte das Parlament im Rahmen dieser Operation die staatlichen Kreditgeber, eine Gesellschaft mit dem Recht zur Emission von Geld aus dem geschuldeten Kapital zu gründen. Diese Gesellschaft war die Bank of England. Ihr Geld konnte in Form von Banknoten, dem so genannten Papiergeld, ausgeliehen werden. Diese Banknoten versprachen lange Zeit, gegen Gold austauschbar zu sein, daher die Persistenz der Anzeige des Versprechens, obwohl sie heutzutage Fiatgeld sind. Vgl. zur Bank of England Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 68; Homer, Interest Rates, S. 150; Ingham, Capitalism, S. 72 f.; Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel XXIV, S. 795; Munro, Working Papers 439 (2011), University of Toronto, 1, 25. 1061 Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 29. 1062 Wray, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 29. 1063 Ingham, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 25. So Wray, Understanding Modern Money, S. 61: „The important is that ,monetization‘ did not spring forth from barter; nor did it require ,trust‘ – as most stories about the origins of money claim.“ Vgl. auch derselbe, Int. J. Political Econ. Vol. 32, No. 3 (2002), 23, 28.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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herangezogen, da der Staat seine Annahme zur Steuerzahlung verspricht.1064 Aus diesem Grund wird das Geld zum Gegenstand aller Verträge. So wurde Tabak in Virginia von Händlern nicht akzeptiert, weil er ein Produkt der ersten Notwendigkeit war, sondern weil das Gesetz ihn als Geld festgelegt hatte.1065 Diese Doktrin gewinnt Unterstützung in den Erfahrungen der Armeen der Antike und – in jüngster Zeit – der Europäer in den eroberten Gebieten ohne Markt.1066 Das Römische Reich musste zum Beispiel Soldaten in den neu erworbenen Territorien stationieren, fand es aber sehr schwierig, ständig Lebensmittel dorthin zu transportieren.1067 Als Lösung dafür führte das Reich eine Steuer auf die besetzten Gebiete ein, die mit dem Geld zahlbar war, das die Soldaten als Lohn erhielten.1068 Die lokale Bevölkerung hatte deshalb den Bedarf, Verbrauchsgüter gegen Geld abzugeben.1069 Ebenso neigten europäische Armeen dazu, bestehende Organisationsformen in eroberten Territorien in Afrika zu zerstören und eine Steuer auf Hütten, Vieh und das Land der Einheimischen durchzusetzen.1070 Dadurch waren diese gezwungen, ihre Arbeitskraft auf dem zu bildenden Markt zu verkaufen.1071 Das für die Steuerzahlung notwendige Geld wurde durch die Bewirtschaftung der Felder der Europäer oder durch die Arbeit in ihren Minen verdient.1072 Die Autorität schuf daher den Markt mit dem Zahlungsmittel des Geldes und wies die Ureinwohner in den lukrativen Aus1064
Vgl. Ingham, Economic Sociology, Vol 5 (2) 2004, 18, 25. Diesbezüglich Mosler, J. Post Keynes. Econ., Vol. 20 (Winter, 1997 – 1998), 167, 169: „The existence of dollar-denominated tax liabilities functions to create sellers of real goods and services who must earn dollars to extinguish their tax liabilities.“ Ähnlich Wray, Understanding Modern Money, S. 18. „The government does not ,need‘ the public’s money in order to spend; rather, the public needs the government’s money in order to pay taxes. This means that the government can ,buy‘ whatever is for sale in terms of its money merely by providing that money.“ 1065 Vgl. Graeber, Debt, S. 38, 75. 1066 Ähnlich Graeber, Debt, S. 49 ff., nach dem aber das Geld nur eine Rechnungseinheit sei, das nicht erfunden worden sei: „Money was no more ever ,invented‘ than music or mathematics or jewelry.“ (S. 52). 1067 Vgl. Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 74; auch Ingham, The Nature of Money, S. 101 ff. 1068 Vgl. Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 74. 1069 Borello, El origen y las funciones del dinero, S. 29, 74. 1070 Siehe z. B. Rodney, How Europe Underdeveloped Africa, S. 245, 258 f.; Wray, Understanding Modern Money, S. 57 ff.; auch Polanyi, The Great Transformation, S. 164. 1071 So Polanyi, The Great Transformation, S. 164. In Bezug auf diese Erfahrung schreibt Wray, Understanding Modern Money, S. 60: „Far from a ,social consensus‘ to use money as an efficient alternative to barter, in reality development of a monetary economy required imposition of taxes and use of force.“ Vgl. zur Beziehung zwischen der Schuldschaffung und dem Arbeitsmarkt in den europäischen Kolonien auch Graeber, Debt, S. 319, 350 f. 1072 Rodney, How Europe Underdeveloped Africa, S. 258 f.: „In those parts of the continent where land was still in African hands, colonial governments forced Africans to produce cashcrops no matter how low the prices were. The favourite technique was taxation. Money taxes were introduced on numerous items – cattle, land, houses and the people themselves. Money to pay taxes was got by growing cash-crops or working on European farms or in their mines.“
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
tausch ein. Der Fall des französischen Generals Joseph Gallieni (1849 – 1916) in Madagaskar ist diesbezüglich besonders anschaulich. Nach der Eroberung der Insel führte er im Jahre 1901 das Geld ein und legte eine Kopfsteuer fest, die alle Einwohner zahlen mussten: „L’impôt moralisateur.“1073 Mit der Idee des Förderns der Lust auf Arbeit der Madagassen versuchte man einfache, billige Arbeitskräfte zu erhalten und diese an den Konsum auf dem Markt zu gewöhnen.1074 Dadurch sollte nach und nach eine Handelsbeziehung zwischen den erobernden Ländern und den kolonisierten Völkern erreicht werden.1075 Im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Geldes vom lukrativen Tauschhandel ist auch zu beachten, dass dies – wie bereits erwähnt und im nächsten Punkt zu sehen sein wird – kein internes Verhaltensmuster der primitiven Gesellschaften ist.1076 Die verschiedenen Austausche mit fremden Gemeinschaften werden in diesen Gesellschaften wiederum in der Regel durch Bräuche und Riten starr vorgeschrieben.1077 Dabei hat die Volatilität der Menge eines Objekts in einer bestimmten Gesellschaft selbst keinen Einfluss auf die Bedingungen der konkreten Austauschprozesse mit ihren „ausländischen Partnern.“1078 Anfang des letzten Jahrhunderts tauschten die verschiedenen Dörfer der Trobriand-Inseln sich beispielweise nach den Feldstudien von Bronislaw Malinowski (1884 – 1942) untereinander aus, taten dies aber nicht frei.1079 Sie wussten, welcher Artikel mit welchem Artikel, in welcher Menge und mit welcher Gemeinschaft ausgetauscht wurde.1080 Die Dorfbewohner von Bwoitalu konnten eine feste Menge an Holztellern gegen eine bestimmte Anzahl von Kokosnüssen mit dem Dorf Oburaku tauschen, nicht jedoch gegen Yamskörbe.1081 In einer solchen Situation konnte kein Element richtigerweise als Geld im Sinne einer 1073
Ausführlich dazu Jacob, Revue française d’histoire d’outre-mer (1987) 277, 431 ff.; vgl. ferner Graeber, Debt, S. 50 f. 1074 Vgl. Jacob, Revue française d’histoire d’outre-mer (1987) 277, 431, 439; zudem Graeber, Debt, S. 51. 1075 Jacob, Revue française d’histoire d’outre-mer (1987) 277, 431, 439: „Aux yeux de Gallieni, la capitation doit avoir un double rôle: amener les Malgaches à louer leurs services à des Européens, stimuler les cultures et la cueillette en vue de l’exportation.“ 1076 Dazu Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 183; Graeber, Debt, S. 28 ff.; Humphrey, Man 20 (1985), 48 ff.; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 250 ff.; derselbe, The Great Transformation, S. 43 f., 53; Servet, Economy and Society Vol. 11, 22 ff.; derselbe, Revue numismatique 157 (2001), 15, 24, 26 f., 32; auch Mauss, Sociologie et Anthropologie, S. 150 f.; Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiii; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 416. 1077 Servet, Economy and Society Vol. 11, 22 ff.; vgl. zudem Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 13 f. 1078 Vgl. Humphrey, Man 20 (1985), 48, 56. Diesbezüglich Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 36: „one of the dominant features of many ,primitive‘ exchanges is the rigid character of ,prices‘ defined between each particular group and for each of the products they transfer to each other.“ 1079 Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 14 f. 1080 Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 14. 1081 Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 14.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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Maßeinheit und eines allgemeinen Tauschmittels betrachtet werden.1082 Jede gegenteilige Lektüre wäre eine selbstreferenzielle Interpretation. Wenn es darüber hinaus in primitiven Gesellschaften intern erweiterte Systeme des lukrativen Tauschhandels gäbe, würden sie entgegen der orthodoxen Wirtschaftstheorie die Bildung einer echten Marktwirtschaft verhindern. Dabei würde der Warenwert in Ermangelung einer Maßeinheit in jedem Geschäft ermittelt werden, und nicht in großem Umfang, wie es das Marktmodell vorsieht.1083 So läge für 100 Güter und Dienstleistungen 4.950 Austauschverhältnisse [mathematisch ausgedrückt: n(n-1)/2 Austauschverhältnisse bei n Waren] und nicht nur 100 Preise vor.1084 Darüber hinaus würde der Wert einer Ware ungeachtet ihrer breiten Akzeptanz innerhalb des multilateralen Tausches immer von den besonderen Präferenzen der Verhandelnden im konkreten Fall abhängen.1085 Der Tauschhandel wäre eine isolierte und diskontinuierliche Transaktion und sein Gegenstand ein einfaches Gebrauchsgut, nicht das Geld, das ein Werkzeug eines unbestimmten Austauschkreises ist.1086 Diese Ware könnte daher nicht als allgemeiner Zahlungsstandard für Schuldverträge verwendet werden. Man könnte weder mit einer gewissen Sicherheit langfristig planen noch eine mathematische Berechnung der Geschäftstätigkeit, die für die Marktwirtschaft charakteristisch ist, vornehmen.1087 Das geschieht heutzutage insbesondere bei der Volatilität der digitalen Währungen.1088 So stieg der Preis des Bitcoins im Jahr 2017 innerhalb eines Monats (vom 12.9.2017 bis zum 13.10.2017) von 2.900 US-Dollar auf 5.600 US-Dollar.1089 Zu Beginn des Jahres 2018 verlor er
1082 Als Ergebnis seiner Feldstudien behauptet Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 15, in Bezug auf die wissenschaftliche Tendenz, die Existenz von Geld auf der ganzen Welt zu überinterpretieren: „The existence of ,money‘ or ,currency‘ so easily assumed, so glibly introduced by the use of these terms, proves with close analysis to be an hypothesis extremely bold and probably equally misleading.“ 1083 Ingham, Capitalism, S. 65 f., 68. 1084 Siehe https://www.bundesbank.de/de/service/schule-und-bildung/erklaerfilme/was-istgeld-800972 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020); zudem Harari, Sapiens, S. 196; J. Flume, Marktaustausch, S. 90 ff., 256. 1085 Ingham, Capitalism, S. 68. 1086 Vgl. Humphrey, Man 20 (1985), 48, 51. 1087 Vgl. Weber, Der „Geist“ des Kapitalismus, S. 58: „Und ebenso ist es natürlich eine der fundamentalen Eigenschaften der kapitalistischen Privatwirtschaft, daß sie auf der Basis streng rechnerischen Kalküls rationalisiert, – wie Sombart sich ausdrückt: ,rechenhaft‘ gestaltet, – planvoll und nüchtern auf den erstrebten wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist, im Gegensatz zu dem von der Hand in den Mund Leben des Bauern und dem privilegierten Schlendrian des Zunfthandwerkers.“ 1088 Vgl. dazu Falcone, ¿Cuál es el origen del dinero?, in: Infobae, 13.1.2018; Krugman, Bubble, Bubble, Fraud and Trouble, in: New York Times, 29.1.2018. Ähnlich J. Flume, Marktaustausch, S. 105; auch https://www.bundesbank.de/de/service/schule-und-bildung/erkla erfilme/was-ist-geld-800972 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 1089 Falcone, ¿Cuál es el origen del dinero?, in: Infobae, 13.1.2018.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
dagegen in nur sechs Wochen 40 Prozent seines Wertes, was einer Inflationsrate von rund 8.000 Prozent pro Jahr entspricht.1090 Neben dem gleich anzusprechenden Problem hätte die Ware als Geld ohne institutionelle Intervention den Nachteil, dass ihre Fülle oder Knappheit ihren eigenen Wert beeinträchtigen würde.1091 Der Überfluss an Ware würde den Geldwert beschädigen, wie zum Beispiel dieser durch die Entdeckung neuer Gold- und Silberquellen in der Zeit beschädigt wurde, als diese Metalle als Geld fungierten.1092 Das Risiko der Knappheit einer Ware als Geld äußert sich in der Unmöglichkeit der Erhöhung der Geldmenge als Korrelation einer Ausweitung der Produktion oder des Handels.1093 Dies kann zu einem Preisverfall wie der Deflation während der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 führen.1094 Die Nutzung einer selbstreferenziellen Währung würde demnach bedeuten, die gesamte Organisationsstruktur einer Gesellschaft chaotisch den Auf- und Ab Bewegungen des Gesetzes von Angebot und Nachfrage auszusetzen.1095 Das Geld benötigt, um dem Schuldvertrag und dem Markt zu dienen, daher einen Dritten, der seinen Wert garantiert.1096 Dies wird von der Ideologie des Vertragswesens und von den vorstaatlichen Vertragsdoktrinen nicht wahrgenommen. Nur mit der Monopolisierung und Kontrolle des Geldangebots kann der Bereich des Marktaustauschs koordiniert erweitert werden.1097 Dadurch wird in der Regel ein Wertstabilitätsmaß erreicht und anschließend die Entwicklung des Preismechanismus ermöglicht.1098 Die Zentralbank reduziert das Geld, wenn sie Inflation vermeiden will, während sie es zur Verhinderung einer Deflation injiziert.1099 Sie ist in den meisten Ländern „le gardien ultime de la qualité des relations monétaires.“1100
1090
Krugman, Bubble, Bubble, Fraud and Trouble, in: New York Times, 29.1.2018. Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 193. 1092 Vgl. Krugman/Wells, Economics, S. 801. Dies wird sogar von Stiglitz, Economics, S. 881, Vertreter der orthodoxen Theorie der Herkunft des Geldes, anerkannt: „(…) gold have some problems. The value of a gold coin depends (…) on the supply and demand for gold in the gold market.“ Ähnlich Fetter, The principles of economics, S. 102, ein weiterer Vertreter der orthodoxen Theorie der Herkunft des Geldes: „The value of the money material may fall so greatly as a result of greater production, as in the case of iron, tin, copper, that it becomes unsuitable.“ 1093 Polanyi, The Great Transformation, S. 193. 1094 Polanyi, The Great Transformation, S. 193. 1095 Ähnlich Polanyi, The Great Transformation, S. 195. 1096 Supiot, Homo juridicus, S. 159: „En dépit des fantasmes contemporains de monnaie autoréférentielle, il n’y a pas et il ne peut y avoir de monnaie sans un Tiers garant de sa valeur.“ Vgl. dazu ferner J. Flume, Marktaustausch, S. 101 ff. 1097 So Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 28; vgl. auch Humphrey, Man 20 (1985), 48, 51 f.; Ingham, Capitalism, S. 65 f. 1098 Ingham, Capitalism, S. 70. Vgl. zudem J. Flume, Marktaustausch, S. 101, 103. 1099 Vgl. Krugman, Bubble, Bubble, Fraud and Trouble, in: New York Times, 29.1.2018; Krugman/Wells, Economics, S. 801. 1091
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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Zusammengefasst erfordert der lukrative Schuldvertrag unweigerlich, dass das Geld für sein ordnungsgemäßes Funktionieren vorhanden ist und dies ist eine institutionelle Schaffung. Die Theorien, die die Möglichkeit dieses Marktvertrages ohne Staat postulieren, irren sich infolgedessen in diesem Punkt.
VI. Die kulturelle Relativität des lukrativen Tauschhandels Somit ist mit dem gesamten Vorgenannten die Möglichkeit der eigenständigen Verbindlichkeit der Vereinbarung ausgeschlossen. Sie benötigt, im Gegensatz zu den vorstaatlichen Vertragslehren und zur Ideologie des Vertragswesens, eine dritte Partei. Nun muss man tiefer in die bereits genannte kulturelle Relativität des lukrativen Tauschhandels als notwendiges Muster der wirtschaftlich-sozialen Organisation des Menschen eintauchen. 1. Die Abwesenheit vom lukrativen Tauschhandel innerhalb der primitiven Gemeinschaft Keine Gesellschaft kann ohne eine Art der Wirtschaft überleben.1101 Diese beschäftigt sich damit, wie Ressourcen auf alternative Verwendungen zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse verteilt werden können.1102 Daher sind ihre grundlegenden Fragen: 1. Was soll produziert werden und in welchen Mengen? 2. Wie soll produziert werden? und 3. Für wen soll produziert werden?1103 Dies führt zu einer gewissen Aufgabenteilung in jeder Gemeinschaft von Personen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Struktur.1104 Menschen als gesellige Wesen brauchen zwar die Zusammenarbeit und das Zusammentreffen mit anderen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse.1105 So jagten oder fischten Männer in bestimmten vorstaatlichen Gemeinschaften, während Frauen in der Bodenbearbeitung und der Ernte1106 oder der Fortpflanzung und der frühkindlichen Betreuung tätig waren.1107 Diese Organisati1100 Supiot, Homo juridicus, S. 159. In diese Richtung ferner https://www.bundesbank.de/de/ service/schule-und-bildung/erklaerfilme/was-ist-geld-800972 (zuletzt abgerufen am 30.3.2020). 1101 Polanyi, The Great Transformation, S. 43, 71. 1102 Vgl. Gandur, Microeconomía, S. 1 f. 1103 Gandur, Microeconomía, S. 4, 26, 36. 1104 Vgl. Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 27; auch M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 12; Polanyi, The Great Transformation, S. 44; Santisteban, Antropología, S. 178, 273. 1105 Vgl. Santisteban, Antropología, S. 178; auch A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19. 1106 Thurnwald, Economics in primitive communities, S. 212. 1107 Santisteban, Antropología, S. 269 f. Vgl. aber Harari, Sapiens, der argumentiert, dass vor dem Aufkommen von Landwirtschaft und Industrie die Menschen nicht so sehr auf die Fähigkeit anderer zum Überleben angewiesen seien (S. 55), man müsse vielmehr in der Regel
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
onsschemata leiten sich jedoch nicht notwendigerweise von einer lukrativen Tauschkette – wie A. Smith ausführt – ab.1108 Der Mensch ist, entgegen eines Teils der vorstaatlichen Ansicht1109, kein Tier, das natürlich feilscht und tauscht. Der Tausch ist nur ein weiterer Weg zur Übertragung von Waren und Dienstleistungen, wie etwa Plünderungen oder Geschenke beispielweise trotz der Dominanz des Marktes immer noch Übertragungswege sind.1110 Das Paradigma des primitiven Menschen mit dem Hang zum lukrativen Tauschhandel, Axiom des klassischen Liberalismus und Gründungsmythos der gegenwärtigen Wirtschaftsbeziehungen1111, scheint vielmehr das Ergebnis einer Fehlinterpretation der Vergangenheit zu sein.1112 Ab der industriellen Revolution hat es unter Wirtschaftshistorikern die Tendenz gegeben, ihr Studium auf relativ junge Zeiten zu beschränken, zu denen bereits eine dem Austausch ähnliche Dynamik zu konstatieren war.1113 Dadurch trugen sie zur Gründung der Wirtschaft als eine wissenschaftliche Disziplin bei, die der Politik und Moral fremd ist und die sich hauptsächlich damit beschäftigt, wie Einzelpersonen ein großes Wissen über alles, was das Leben selbst sei, haben (S. 54). Das heißt, es hätte nach Harari keine große Arbeitsteilung gegeben. 1108 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19 ff.; 44; derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 46 f. So auch Merz, Vertrag und Vertragsschluss, S. 27. 1109 Whately, Lectures on Political Economy, S. 7; ähnlich z. B. H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 428; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 f.; vgl. zudem Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3; G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39; derselbe, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 52; Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel XII, unter XII, 3 f.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 609. Ein Teil der Doktrin, die zutreffend versteht, dass die Vereinbarung erst durch die Anerkennung des Rechtssystems verbindlich wird, scheint auch dieser Position zu folgen. Denn es wird nahegelegt, dass die Wirtschaftsentwicklung ohne ein System der vertraglichen Durchsetzung im System des sofortigen Austauschs geblieben wäre. So Weller, Die Vertragstreue, S. 278; derselbe, JZ 2012, 881, 886; in diese Richtung auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29; vgl. zu dieser Idee ferner Jhering, Der Zweck im Recht, B. I, S. 267. 1110 Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 28. Vgl. auch Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181; Hippel, Privatautonomie, S. 87 f.; LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1192 f. Hinsichtlich der unendlichen Möglichkeiten der Organisation von menschlichen Gesellschaften meint Harari, Sapiens, S. 51: „The heated debate about Homo sapiens’ ,natural way of life‘ is missing the point. Ever since the Cognitive Revolution, there hasn’t been a single way of life for Sapiens. There are only cultural choices, from among a bewildering palette of possibilities.“ (Hervorhebung im Original). 1111 Graeber, Debt, S. 28: „It is the founding myth of our system of economic relations.“ Vgl. auch Humphrey, Man 20 (1985), 48, 50; Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15 ff. Diesbezüglich derselbe, Economy and Society Vol. 11, 22, 50: „the market, as the sphere of realisation of surplus value, has become a central place in which all relations, including the intimate, model themselves “ 1112 Polanyi, The Great Transformation, S. 43 f., 53. In diese Richtung auch Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615 f. 1113 Polanyi, The Great Transformation, S. 44. Ähnlich Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiv.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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den besten Geschäftsabschluss erzielen.1114 Dies führte zusammen mit dem globalen Wachstum des Handels schließlich zur Etablierung der Idee vom gesunden Menschenverstand, dass der Mensch universell und notwendig von einer Marktpsychologie regiert werde.1115 Lukrativer Tauschhandel ist jedoch als wirtschaftliches Verhaltensmuster nicht in allen Gesellschaften oder in allen historischen Perioden zu finden.1116 Innerhalb der primitiven Gesellschaften ist die Regel im Gegenteil eher das Fehlen vom lukrativen Tauschhandel festzustellen.1117 Die Vorstellung, dass Jäger in primitiven Stammeskulturen Fleisch gegen den Bau von Hütten oder Pfeilen lukrativ tauschen würden, wäre nur ein Beispiel von A. Smith1118 gewesen, welches dieser trotz des Einflusses der newtonschen Empirie auf ihn gemacht hätte.1119 Im Allgemeinen verweist der schottische Denker in seinem sogenannten „Wealth of Nations“ auf nordamerikanische Jäger.1120 In einem der Beispiele zur Veranschaulichung dieser menschlichen Neigung tauschen Jäger Hirsch- und Biberfleisch.1121 Daraus folgt, dass sie Jäger aus dem Nordosten der Vereinigten Staaten sein müssen.1122 Dieses Gebiet wurde vor der Ankunft der Siedler
1114 So Graeber, Debt, S. 25, 27 f., 32 f., 43. Vgl. dazu ferner Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 24: „Le mythe du troc est ainsi un élément fondateur de l’économie politique comme discipline supposée autonome du savoir, et à travers elle de notre modernité.“ 1115 Polanyi, The Great Transformation, S. 44 f. Ähnlich Boron, Estado, capitalismo y democracia, S. 139. 1116 Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiii: „A characteristic feature of primitive economics is the absence of any desire to make profits either from production or exchange.“ Vgl. auch Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 183, 185; Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615 ff.; Morgan, Ancient Society, S. 537. 1117 Diesbezüglich stellt Humphrey, Man 20 (1985), 48, kategorisch fest: „No example of a barter economy, pure and simple, has ever been described (…); all available ethnography suggests that there never has been such a thing.“ Ähnlich bereits im Jahr 1950 Mauss, Sociologie et Anthropologie, S. 150: „Dans les économies et dans les droits qui ont précédé les nôtres, on ne constate pour ainsi dire jamais de simples échanges de biens, de richesses et de produits au cours d’un marché passé entre les individus.“ 1118 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 20, 44. 1119 Der smithianischen Austauschbegriff wurde sogar von Montes, Newtonianism and Adam Smith, S. 36, 49 f., mit der Newtonschen Gravitationstheorie in Verbindung gebracht: „The link of Smith’s notion of exchange with Newton’s gravity, as what really matters is that both simply exist. Of course one reality is psychological, in terms that we accept the propensity to exchange through introspection, and gravity is physical.“ Vgl. zur Beziehung zwischen Newton und A. Smith auch Atiyah, Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 295; Escohotado, Los enemigos del comercio, I, S. 476; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 30. 1120 So z. B. A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 136, Vol. 2, S. 111, 139. 1121 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 44: „If among a nation of hunters, for example, it usually costs twice the labor to kill a beaver which it does to kill a deer, one beaver should naturally exchange for or be worth two deer. It is natural that what is usually the produce of two days or two hours labor, should be worth double of what is usually the produce of one’s or one hour’s labor.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1122 Graeber, Debt, S. 394, Fn. 10.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
durch die Irokesenstämme besetzt.1123 Sie lebten zwar von der Jagd und dem Fischen.1124 Die Studien zu diesen Gemeinschaften des nordamerikanischen Lewis Henry Morgan (1818 – 1881), Begründer der modernen Ethnologie1125, stellten allerdings bei ihnen weder die Existenz des Privateigentums an den Hütten noch einen Tausch im Interesse des Gewinnstrebens fest.1126 Die Hauptwirtschafts- und Sozialinstitution für sie waren die Gemeinschaftshäuser, wo die meisten Waren zur späteren Verteilung durch die Frauenräte gesammelt wurden.1127 Die irokesche Struktur entspricht dem grundlegenden Organisationsmodell der Jägerstämme, die intern gemäß der Wirtschaftsanthropologie generell von einem zentralisierten und umverteilenden System beherrscht werden.1128 Dieses System besteht darin, dass die Mitglieder der Stämme ihr Jagdstück dem Häuptling zu seiner späteren Verteilung übergeben.1129 Die Beute ist ein Produkt kollektiver Anstrengung und ist unregelmäßig, sodass diese Arbeitsteilung und Verteilung unter diesen Völkern zu einer Notwendigkeit wird.1130 Aus diesen Gründen wäre in einer Jägergemeinschaft nicht die Art von Wirtschaftsbeziehungen möglich, die von der ökonomischen Markttheorie als Ausgangspunkt angenommen wurde.1131 Die Jäger 1123
Morgan, Ancient Society, S. 126 f. Morgan, Ancient Society, S. 108, 112, 121. 1125 Wesel, Geschichte des Rechts, S. 16. 1126 Vgl. dazu Morgan, Ancient Society, S. 61 ff., 537 ff. Diesbezüglich ist zu erwähnen, dass A. Smith in dieser Hinsicht in einen Widerspruch gerät. Er erwähnt zum einen die Idee, dass ein Jäger mit einem anderen Jäger Hirschfleisch für die Gestaltung des Daches seiner Hütte oder für Pfeile austausche (A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 20, 44). Andererseits behauptet A. Smith jedoch, dass in Jägergemeinden keine Ungleichheit des Vermögens erlaubt sei (A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 2, S. 170). Dabei berücksichtigt er dann nicht, dass der lukrative Tausch selbst zu Ungleichheiten im Vermögen führt. Ähnlich bezüglich der Folge des lukrativen Austauschs im Allgemeinen Humphrey, Man 20 (1985), 48, 56; auch Hayek, The Constitution of Liberty, S. 148 ff. 1127 Graeber, Debt, S. 29. 1128 Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 253 f.; derselbe, The Great Transformation, S. 49, 51. Siehe ferner Thurnwald, Economics in primitive communities, S. 60 ff.; Wesel, Geschichte des Rechts, S. 23 f.; auch Graeber, Debt, S. 79. Vgl. aber Harari, Sapiens, S. 49 f., 56, 194, der diese Idee der Organisation der Jäger in gewisser Weise relativiert, indem er argumentiert, dass eine der bemerkenswertesten Eigenschaften der ersten Jäger und Sammler darin bestehe, wie verschieden sie voneinander gewesen seien. 1129 Polanyi, The Great Transformation, S. 49. 1130 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 49; zudem Wesel, Geschichte des Rechts, S. 24. 1131 Die vermeintliche natürliche Neigung des Menschen zum lukrativen Tausch ist in gewissen Maße als eine Grundlage der Wirtschaft u. a. von folgenden Autoren angenommen worden: Carlino, Macroeconomía, S. 109 , 112 f.; F. Walker, Political Economy, S. 121 f.; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13 f.; Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 250 ff.; derselbe, Origins of Money, S. 19 ff.; Mises, Menschliches Handeln, S. 402 ff.; Ricardo, Principles of Political Economy and Taxation, S. 4; auch Begg/Fischer/Dornbusch, Economics, S. 432 f.; Galbraith, The Age of Uncertainty, S. 163 f.; Parkin/King, Economics, S. 685; Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 458 f., 461; Stiglitz, Economics, S. 880 f. 1124
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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werden nicht evolutionär – wie A. Smith nahelegt1132 – zu Kaufleute oder ihre Gesellschaft zu einer Marktgesellschaft. Ähnlich dem Organisationsmodell der Jäger ist das Modell einiger der ursprünglichen Gemeinschaften Lateinamerikas, die noch heute das indigene Gemeinschaftseigentum (propiedad comunitaria indigena) beanspruchen.1133 Diese Gesellschaften wussten vor ihrer Begegnung mit dem Westen im Jahr 1492 nichts Näheres über die Idee des Privateigentums römischer Herkunft, das in den Naturrechtskodifizierungen aufgenommen wurde.1134 Das Privateigentum ist im Gegensatz zu einem Teil der vorstaatlichen Vertragsdoktrin1135 keine natürliche Beziehung zwischen einer Person und einer Sache.1136 Es handelt sich um eine dreiseitige Institution, deren Funktionieren wie der Vertrag vom Schutz eines Dritten vor jedermann abhängt.1137 Die lateinamerikanischen Ureinwohnergemeinden konnten angesichts ihrer Unwissenheit über so etwas wie Privateigentum keinen Tausch vornehmen, weil die Menschen sich dazu „wechselseitig als Privateigentümer“ aner1132
A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 25. Ausführlich dazu Bronstein, Hacia el reconocimiento de la identidad, in: ETM, Pueblos Indígenas 1998. Vgl. auch aber mit despektiver Beschreibung Letourneau, L’évolution de la propriété, S. 47 ff. Zum indigenen Gemeinschaftseigentum in Argentinien Alterini/Corna/ Vázquez, Propiedad Indígena; González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 199 ff., 262; Vázquez, La Ley 12.7.2012, 1 ff. Diesbezüglich führt Morgan, Ancient Society, S. 545 ff., aus, dass es in den frühen Tagen innerhalb der Gesellschaften kein Privateigentum gegeben habe. Ähnlich Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 615, 619. 1134 So Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 41; Bronstein, Hacia el reconocimiento de la identidad, in: ETM, Pueblos Indígenas 1998; Vázquez, La Ley 12.7.2012, 1. 1135 Hoppe, Ethics and Economics of Private Property, 10.5.2004, II f.; Larenz, Richtiges Recht, S. 59; Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes, S. 141, 193 f.; Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 591, 610 f. 1136 So Graeber, Debt, S. 198 f. Ähnlich versteht Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 11, S. 63 f., § 17, S. 72, dass Eigentum keine isolierte Beziehung zwischen einem Subjekt und einer Sache sei. Eine solche Hypothese würde die Ungereimtheit bedeuten, dass die Sache dem Besitzer gegenüber „verpflichtet“ bliebe und die Sache wegen dieser „Verpflichtung“ den Besitzer von jedem, der sie sich ohne Recht aneignen möchte, informieren müsste. Im Eigentum gebe es nach dieser Lehre vielmehr eine Beziehung zu allen Personen. Sie sollten den besonderen Besitz respektieren, den ein Individuum aus einer Sache macht. Trotz dieser Konzeption erkennt Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, § 15, S. 67 f., § 16, S. 71, wie dargestellt, die Möglichkeit des Eigentums, wenn auch nur vorläufig, schon vor dem Staat an. Meiner Meinung nach handelt es sich jedoch nur um eine faktische, nicht um eine rechtliche Situation, also um kein (auch nicht vorläufiges) Eigentum – Wie Bentham, Traités de législation, Vol. 1, S. 193, schreibt: „La loi seule a fait ce que tous les sentimens naturels n’auraient pas eu la force de faire. La loi seule peut créer une possession fixe et durable qui mérite le nom de propriété.“ 1137 In diese Richtung Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 74. Vgl. zudem Bentham, Traités de législation, Vol. 1, S. 196: „(…) il n’y a point de propriété naturelle, (…) elle est uniquement l’ouvrage des lois.“ Ähnlich Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 380: „Allein alles Recht überhaupt erhält seine Realität und Vollendung erst im Staate, als positives Recht dieses Staates, und so konnte auch das Eigenthum zu einem wirklichen Daseyn nur dadurch gelangen, das es zunächst auf den Staat.“ 1133
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
kennen müssen.1138 Zum Beispiel hatten die Individuen der Yámanas-Stämme des gegenwärtigen Feuerlandes höchstens einige wenige Objekte, eine Waffe oder eine Feder, die nicht vererbbar waren und nach ihrem Tod mit ihnen begraben wurden.1139 Diese Gegenstände waren deshalb mit dem Einzelnen untrennbar verbunden und nicht Waren im Sinne von veräußerlich.1140 Das Wirtschaftsideal war anders als im aktuellen Westen die Reziprozität innerhalb dieser Gemeinschaften.1141 Wenn jemand beispielsweise unter den Tehuelches aus Patagonien Nahrung bekam, verteilte er diese an die Mitglieder seiner Gemeinschaft1142 : „Les fruits sont à tous, & (…) la terre n’est à personne.“1143 Diese kommunale Orientierung mag darauf zurückzuführen sein, dass lateinamerikanische Gemeinschaften von Ureinwohnern die „Mutter Erde“ (Pachamama) als Gottheit betrachten und dass sie keine anthropozentrischen Gesellschaften sind.1144 Die Erde ist in ihrer Tradition nicht beherrschbar.1145 Sie ist vielmehr diejenige, die zum Subjekt wird und sich den Menschen aneignet: Die Gemeinschaft gehört zur Erde.1146 In anderen primitiven Gesellschaften wurde die Großzügigkeit ebenfalls sozial geschätzt, der lukrative Tauschhandel war verpönt und weder der geringe Aufwand noch die Akkumulation galten als lobenswerte Prinzipien. Unter den Dorfbewohnern 1138
Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 90. Vgl. dazu Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 37. 1140 Zu diesem Begriff der Ware Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 90 ff. Vgl. auch Letourneau, L’évolution de la propriété, S. 50. 1141 Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 22. Vgl. zu diesem Prinzip im Allgemeinen Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243, 250 ff.; derselbe, The Great Transformation, S. 47 ff. 1142 Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 32. Ähnlich bezüglich der Stämme Feuerlands Letourneau, L’évolution de la propriété, S. 49. 1143 Rousseau, L’origine et les fondements de l’inégalité, S. 121: „Le premier qui, ayant enclos un terrain, s’avisa de dire, ceci est à moi, & trouva des gens assez simples pour le croire, fut le vrai fondateur de la société civile. Que de crimes, de guerres, de meurtres, que de misères & d’horreurs n’eût point épargnés au genre humain celui qui, arrachant les pieux ou comblant le fossé, eût crié à ses semblables: Gardez-vous d’écouter cet imposteur; vous êtes perdus, si vous oubliez que les fruits sont à tous, & que la terre n’est à personne.“ (Hervorhebung im Original). Auf die Beziehung der Menschen der primitiven Gesellschaft mit der Erde stützt sich Rousseau zum Entwickeln des Bilds vom bon sauvage. Dazu Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 44. 1144 Vgl. Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 40 f.; Vázquez, La Ley 12.7.2012, 1. 1145 In einigen Gemeinschaften wie z. B. der Guaraní-Gesellschaft sollten ihre Mitglieder sogar die Erde durch Ritualismus um Erlaubnis bitten, damit sie ihre Flora und ihre Fauna nutzen können. Alterini/Corna/Vázquez, Propiedad Indígena, S. 21; Grünberg, Guarani Roguata 2003, 1, 4. Diese Arten von Vorgängen werden in der Moderne als animistische Praktiken eingeordnet. Animismus ist der Glaube, dass alles, Gegenstände, Pflanzen und Tiere, eine Seele haben und mit dem Menschen kommunizieren können. Vgl. Harari, Sapiens, S. 60 f. 1146 Bronstein, Hacia el reconocimiento de la identidad, in: ETM, Pueblos Indígenas 1998; Santos, Para una sociología de las emergencias, in: Página/12, 4.9.2017. Vgl. auch Alterini/ Corna/Vázquez. Propiedad Indígena, S. 41; González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 262. 1139
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der oben genannten Trobriandinseln des heutigen Papua-Neuguinea wurde beispielweise die Teilung der Ernten mit den Mitgliedern der Gemeinschaft sehr geschätzt.1147 Dies erfolgte in Form von „kostenlosen Geschenken“, die man in ähnlicher Weise aber nicht unbedingt von derselben Person oder sofort zu erhalten erwartete.1148 Dabei waren die Geschenke folglich in gewisser Weise auf lange Sicht gesehen reziprok.1149 Dennoch wurden diese weder zum lukrativen Tausch, noch wurden ihre Gegenstände zu Waren.1150 Die Geschenke waren Teil einer ähnlichen Konstruktion wie die Solidaritätsprogramme, die den westlichen Rentensystemen zugrunde liegen.1151 Dies diskreditiert die Idee von Ureinwohner, die an einer auf die Gegenwart und den einfachen Lebensunterhalt ausgerichteten Wirtschaft beteiligt sind.1152 Die Dorfbewohner der Trobriandinseln haben wiederum den lukrativen Tauschhandel, genannt „gimwali“, als etwas ganz anderes als Geschenke identifiziert.1153 Er war marginal und seine Praktizierenden wurden verächtlich als Parias behandelt.1154 In dieser Gemeinschaft wurde weder Energie noch Zeit bei der Durchführung der Aufgaben gespart.1155 Unter ihnen war der Häuptling die einzige 1147
Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 46 f. Diesbezüglich Malinowski, Man 20 (1920), 97, 100: „As in many other native transactions, the main corrective force is supplied by the deeply engrained idea that liberality is the most important and the most honorable virtue, whereas meanness brings shame and opprobrium upon the miser.“ 1148 Dazu Malinowski, Argonauts of the Western Pacific, S. 174 f.; vgl. auch Polanyi, The Great Transformation, S. 47. Diese Art von Wirtschaftssystemen ist in Anthropologie als „Schenkökonomie“ bekannt. Ausführlich hierzu Mauss, Sociologie et Anthropologie, S. 143 ff. 1149 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 46. 1150 Vgl. Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 187. Zu einer Analyse des Unterschieds zwischen Geschenk und Handel in primitiven Gesellschaften Servet, Economy and Society Vol. 11, 43 ff. 1151 Ähnlich bezüglich der Schenkökonomie Supiot, Homo juridicus, S. 149. Supiot bezeichnet das Geschenk jedoch als Tausch und versteht, dass es der Vorläufer des Vertrages sei (S. 147 ff.). 1152 In diese Richtung Godelier, Avant-propos, S. V, XIV; Polanyi, The Great Transformation, S. 49. 1153 Malinowski, Argonauts of the Western Pacific, S. 96, 189 f.: „When scornfully criticising bad conduct in Kula, or an improper manner of giving gifts, a native will say that ,it was done‘ like a ,gimwali‘.“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch derselbe, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 13; derselbe, Man 20 (1920), 97, 100. 1154 Malinowski, Argonauts of the Western Pacific, S. 189. Ähnlich wurde der Warenaustausch bei den Maoris von Neuseeland in Form von zeremoniellen Geschenken durchgeführt, und Handel sowie Feilschen wurden als ein Bruch mit guten Manieren (Tika) angesehen. Thurnwald, Economics in primitive communities, S. 68 f. Diesbezüglich manifestiere der lukrative Tausch nach Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 186 ff., in vielen Arten von Gesellschaften, aber immer marginal gegenüber anderen vorherrschenden Systemen. Neben dem Fall von gimwali auf den Trobriand-Inseln nennt er Beispiele aus der Marktgesellschaft. Er erwähnt den Tausch zwischen mehreren Familien, die sich abwechselnd um ihre Kinder kümmern, anstatt eine gemeinsame Betreuerin einzustellen, oder den Tausch zwischen einem Zahnarzt und einem Schreiner ihrer Arbeit zur Steuerhinterziehung. In diese Richtung auch Polanyi, The Great Transformation, S. 61. 1155 Thurnwald, Economics in primitive communities, S. 209.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Person, die etwas ansammeln durfte.1156 Er konnte große Mengen an Yams, das Hauptprodukt dieser Völker, sowie an Vaygua – Objekte oder Symbole des Reichtums – besitzen und ausstellen.1157 Das Vorstehende impliziert nicht, dass der materielle Aspekt des so genannten „Law of Scarcity“ der modernen Wirtschaft nicht in jeder Gesellschaft existiert. Das heißt, es wird in dieser Studie nicht behauptet, dass der menschliche Existenzbedarf nicht unbegrenzt ist und die Güter für ihre Befriedigung im Gegenteil begrenzt sind.1158 Aber dieses Gesetz wird erst dann zu einem sakrosankten Prinzip, wenn das unersättliche Streben nach Profit, wie in der Marktgesellschaft, das Hauptmuster des individuellen Verhaltens ist. Ein solcher Appetit, egal wie viel es von einem Gut gibt, wird immer zur Knappheit des Guts führen.1159 Das „Law of Scarcity“ gewinnt demzufolge in der Wirtschaftsorganisation im Verhältnis zum lukrativen Begehren an Bedeutung.1160 2. Der außergemeinschaftliche Austausch: Das System des primitiven Form- und Typenzwangs In primitiven Gesellschaften vollzieht sich der Tausch, wie erwähnt, mit fremden Völkern.1161 Dies ist jedoch keine private Beziehung zwischen zwei Personen mit dem Ziel der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, sondern eine Angelegenheit, die die gesamte Gemeinschaft betrifft.1162 Dieser Vorgang beschränkt sich auch nicht auf einen einfachen Transferprozess. Er ist in der Regel ein komplexer Akt der Loslösung, Abgabe und des Erwerbs, der durch besondere Verbote und Erlaubnisse aus Bräuchen und Riten umschlossen ist.1163 Bei so einem Vorgang geht es nicht um etwas Offenes, Freies, Mögliches, Innovationsfähiges, das lediglich auf den unmittelbaren Bedarf reagiert.1164 Die Beteiligten, der Ort, die Zeit, die Tauschschritte
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Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 9 f., 13. Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 9. 1158 Zum „Law of Scarcity“ in der modernen Wirtschaft Samuelson/Nordhaus, Economics (2010), S. 4 f.; vgl. auch Gandur, Microeconomía, S. 37 ff.; LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1183 f. 1159 Ähnlich Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 5: „If man’s material wants are insatiable, then scarcity of enabling means exits by definition: no matter the absolute quantity of resources, they are scarce, that is, insufficient relative to the unlimited desire for the end products they produce.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1160 Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 22, Fn. 3. 1161 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 58. Siehe dazu oben 3. Kapitel, unter D. V. 3. b). 1162 Servet, Economy and Society Vol. 11, 22. 1163 Ausführlich dazu Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 23 ff. 1164 Vgl. Humphrey, Man 20 (1985), 48, 50. 1157
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und die zu tauschenden Gegenstände sind weitgehend vorbestimmt.1165 Die Nichteinhaltung solcher Leitlinien kann nämlich die Nichtdurchführung des Akts bedeuten.1166 In diesem Sinne besteht kein allgemeiner Begriff vom primitiven Austausch, sondern jede primitive Gesellschaft hat in Bezug auf eine andere Gesellschaft gewissermaßen eine Art „System von Form- und Typenzwang.“1167 Während etwa die Nambikwara aus dem brasilianischen Mato Grosso einen Ritus der Kampfsimulation zwischen den Gruppen beim Tausch untereinander vornahmen1168, folgten andere Stämme mit dem gleichen Ziel freundlicheren Verhaltensregeln, fast ohne Kontakt zwischen einander. Nach den Studien von Alfred William Howitt (1830 – 1908) über die Stämme Südostaustraliens befolgte eine Gruppe von Jägern beispielweise zur Konfliktvermeidung ein kurzes Verfahren, wenn sie Steine aus dem Steinbruch des Wurunjerri-Stammes für die Herstellung von Äxte gewinnen wollten.1169 Ein Bote wurde zu Billi-Billert, dem Chef der Wurunjerri-Gruppe mit Sitz im Steinbruchgebiet, entsandt, um nach der Erlaubnis zur Steingewinnung zu fragen.1170 Als Ausgleich für die Einwilligung berichtete man, dass Pelzbeutel verschickt werden sollten.1171 In Anbetracht dessen erlaubte Billi-Billert ihnen, für eine Weile in der Nähe des Steinbruchs unter der Bedingung zu lagern, dass keine Kämpfe zwischen ihnen stattfinden dürften und sie später das Gelände verlassen würden.1172 Extremfälle von mangelndem Kontakt zwischen den Austauschgruppen sind die von Philip J. H. Grierson (1851 – 1927) unter dem Namen „silent trade“ beschriebenen.1173 Diese Form des Wirtschaftsverhältnis, typisch für bestimmte Gebiete Afrikas1174, erfolgte – entgegen A. Smiths Überlegungen vom lukrativen Tausch1165
Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 23: „The ,trading‘ practised by ,savages‘ must be understood as rites of passage which, like other ritual practices, are regulated by a precise definition of their objects, actors, places, timing and shapes.“ 1166 Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 33 f. 1167 Diesbezüglich Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 45 f.: „We have previously stressed that ,savages‘ do not exchange anything with anybody and in any way. Given the cultural diversity of each of the societies with which a community comes into contact, each mode of exchange tends to be identified with (one of) the specific relation(s) entertained with one of the bands or villages and/or sub-groups. Each term used to signify this (or these) ,commercial‘ practice(s) will not define a general relation, cut off from its local conditions – as seems to be the case today for the terms ,gift‘ and ,trade‘ in the bourgeois order – but, on the contrary, a relation peculiar to one (of the) group(s).“ 1168 Siehe dazu 3. Kapitel, unter D. I. 1169 Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, S. 311 f. 1170 Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, S. 311 f. 1171 Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, S. 311. 1172 Howitt, The Native Tribes of South-East Australia, S. 312. 1173 Ausführlich dazu Grierson, The Silent Trade, S. 41 ff. Vgl. ferner Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 187 f.; Polanyi, The Great Transformation, S. 59; Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 30, 55, Fn. 14. 1174 Vgl. z. B. Grierson, The Silent Trade, S. 47 ff.; 53 f.
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handel als Ausdruck der menschlichen Sprach- und Überzeugungsfähigkeit1175 – ohne Aussprache von Wörtern. Vereinfacht ausgedrückt kam eine Besuchergruppe aus der Ferne dabei an und legte ihre Produkte an einen Strand oder an einen neutralen Ort und versteckte sich anschließend.1176 Dann kamen die Einheimischen, analysierten die Produkte und ließen ihre eigenen zurück, damit die Besucher sie wiegen konnten.1177 Wenn die Besucher einverstanden waren, nahmen sie die Sachen mit und gingen.1178 Andernfalls versteckten die Besucher sich wieder und warteten auf ein besseres Angebot der Einheimischen.1179 Manchmal unterbreiteten letztere indes kein Gegenangebot und zogen sich mit ihren Produkten schweigend zurück.1180 Mit diesem Mechanismus wollte man die Begegnung mit der angekommenen Gruppe vermeiden, die von den Dorfbewohnern als gefährlich erachtet wurde.1181 Nur die Waren kamen in gewisser Weise in Kontakt.1182 3. Der lukrative Tauschhandel innerhalb der Gesellschaft als post-monetäres Phänomen Die präsentierten ethnographischen Erkenntnisse wären nicht auffällig, wenn man annehmen würde, dass eine Gesellschaft auf der Grundlage von ausschließlich internem lukrativem Tauschhandel mit einer ständigen Spannung zwischen ihren Mitgliedern existieren würde.1183 In einer solchen Gesellschaft würde jeder darauf achten, dass selbst der Nachbar die eigene Arbeit nicht gegen einen geringeren Aufwand ausnutzt.1184 In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass die englischen Begriffe barter und truck aus dem französischen baraterier und troquer stammten, die im Mittelalter als Täuschung, Trick oder Betrug gedeutet wurden.1185 Daraus folgt wahrscheinlich die Ähnlichkeit in der deutschen Sprache zwischen tauschen und täuschen.1186 Daneben ist zu beachten, dass eine rein wettbewerbsorientierte und somit individualistische Gesellschaft zum Hunger und zur Aus-
1175 A. Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 19; siehe auch derselbe, Lectures on Jurisprudence, Report of 1762 – 3, Monday.March.28.1763, Rn. 56. 1176 Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 187. 1177 Grierson, The Silent Trade, S. 42. 1178 Grierson, The Silent Trade, S. 42. 1179 Grierson, The Silent Trade, S. 42. 1180 Grierson, The Silent Trade, S. 42. 1181 Dalton, J. Econ. Issues, Vol. 16 (1982), 181, 187. Vgl. auch Polanyi, The Great Transformation, S. 59. 1182 Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 55, Fn. 14. 1183 Vgl. Graeber, Debt, S. 33 f., 79. 1184 Vgl. Graeber, Debt, S. 33. 1185 Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 20 f. 1186 Ähnliches findet laut Servet, Revue numismatique 157 (2001), 15, 20, bezüglich der Spanischen, Holländischen, Portugiesischen und Russischen Sprache statt.
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grenzung einiger ihrer Mitglieder führen kann1187 – wie Keynes metaphorisch formulierte: „The object of life being to crop the leaves off the branches up to the greatest possible height, the likeliest way of achieving this end is to leave the giraffes with the longest necks to starve out those whose necks are shorter.“1188
Das Geld ist folglich das, was es ermöglicht, den homo oeconomicus aufzuwecken und das Marktverhalten als Leitprinzip innerhalb einer Gesellschaft zu etablieren. Es funktioniert wegen seiner Stellung als allgemeines Tauschmittel der Verträge wie ein blind machender Schleier, der die Reduzierung der meisten Wirtschaftsbeziehungen auf unpersönliche Berechnungen erleichtert und die Wahrnehmung der Auswirkungen des eigenen Gewinns auf das Leben anderer erschwert.1189 Das heißt, mit dem Einsatz eines staatlichen Instruments wie des Geldes können Waren und Dienstleistungen weitgehend von den sozialen Bedingungen ihrer Anbieter abstrahiert werden, um Gegenstand des Marktvertrages zu sein und zu einfachen Zahlen zu werden.1190 Der lukrative Tauschhandel manifestiert sich seinerseits innerhalb einer Gesellschaft tendenziell erst dann als das vorherrschende „Verhaltensprinzip“ des Menschen, wenn das Geld in einer Gesellschaft mit Kenntnis von den Funktionen des Geldes und dem Markt mangelt oder zerstört wird.1191 Er ist also entgegen den vorstaatlichen Vertragslehren und der Ideologie des Vertragswesens ein post-monetäres1192 und damit post-staatliches Phänomen. Die Bedingungen für die Entwicklung des lukrativen Tauschhandels sind die umfassende Dezentralisierung der Produktion von Waren und Dienstleistungen und die Knappheit oder das Verschwinden des Geldes.1193 In einer solchen Situation würden die Individuen den Tausch von Waren und Dienstleistungen als Alternative nutzen, solange das Geld 1187 Vgl. Polanyi, The Great Transformation, S. 46, 160: „(…) under the rule of the market the people could not be prevented from starving according of the rules of the game.“ 1188 Keynes, The End of Laissez-faire, III. 1189 Die Konzeptualisierung des Geldes als Schleier der sozialen Beziehungen hinter dem lukrativen Austausch ist inspiriert von Marx’ soziologischer Beschreibung des Prozesses der Fetischisierung des Arbeitsprodukts durch seine Kommerzialisierung. Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel I, S. 76 ff., Kapitel II, S. 99. Er glaubt jedoch, wie erwähnt wurde (siehe oben 3. Kapitel, unter D. V. 3. a) Fn. 1019), genauso wie die orthodoxe Wirtschaftstheorie, dass das Geld aus der Vermehrung des Austauschs stamme (Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kapitel II, S. 92 ff.). Vgl. dazu auch Ingham, The Nature of Money, S. 61 ff. 1190 Diesbezüglich Graeber, Debt, S. 45: „It’s money that had made it possible for us to imagine ourselves in the way economists encourage us to do: as a collection of individuals and nations whose main business is swapping things.“ Ähnlich Harari, Sapiens, S. 208. 1191 Diese Idee stammt aus Humphrey, Man 20 (1985), 48 ff., der Ende der 1970er Jahren zur Postulierung dieser These eine Feldstudie in der kleinen Lhomi-Gemeinschaft durchführte. Dies ist eine post-monetäre Gesellschaft von Bauern und Händlern, die im Arun-Flusstal nahe der tibetischen Grenze leben. Vgl. zu dieser Konzeption auch Graeber, Debt, S. 37, 40, 45. 1192 Humphrey, Man 20 (1985), 48, 49. 1193 Ähnlich Humphrey, Man 20 (1985), 48, 57.
246
3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
nicht wieder eingeführt werden würde. Dies war der Fall in einem Teil Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg1194, in Argentinien nach seiner Pleite im Jahr 20011195 und dem, was sich in Venezuela seit etwa dem Jahr 2016 ereignet hat.1196 In Venezuela gibt es mittlerweile einen großen Mangel an Devisen und Bolivars sowie eine Hyperinflation.1197 Infolgedessen hat ein großer Teil der Gesellschaft begonnen, den Tauschhandel für seine wirtschaftlichen Aktivitäten zu verwenden.1198 4. Schuldvertrag in primitiven Gesellschaften? Abgesehen von der Nichtexistenz des lukrativen Tauschhandels als Verhaltensmuster primitiver Gesellschaften ist es zum Abschluss dieses Abschnitts angebracht, noch kurz festzustellen, ob „aufgeschobene Zahlungssysteme“, die in einigen nichtstaatlichen Gemeinschaften gefunden werden können, als Verträge zu verstehen sind, wie es sie beispielsweise in der Gesellschaft der Ashanti während des zweiten und dritten Jahrhunderts vor Ch. gab.1199 Dies hängt davon ab, ob die Organisation jeder Gesellschaft mit rein westlichen und modernen Rechtsbegriffen konzeptualisierbar und beschreibbar ist.1200
1194
Vgl. Fernández Mayo, Revista Pueblos y Fronteras Digital, N8 7, 2009, 5, Fn. 4; Rossmeissl, Observatorio de la Economía Latinoamericana, 2005 N8 37. 1195 So Graeber, Debt, S. 37. Siehe dazu 3. Kapitel, unter D. II. 1. 1196 Vgl. zur gegenwärtigen Wirtschaftssituation in Venezuela Aponte, Fish for flour? Barter is the new currency in collapsing Venezuela, in: Reuters (Business News), 3.7.2018; Beutelsbacher, Der Fluch des Öls, in: Die Welt, 13.2.2019; Fischermann, Maduros letzte Chance, in: Die Zeit, 24.8.2018; Graham-Harrison/Torres/Daniels, Barter and dollars the new reality as Venezuela battles hyperinflation, in: The Guardian, 14.3.2019; Krygier, Eat, pray, barter like hell: How a restaurant owner survives Venezuela’s crisis, in: The Washington Post, 16.9.2018; Morris, Forget the Bolívar: In Venezuela, Bartering Is the New Economy, in: Fortune, 7.5.2018. 1197 Vgl. Aponte, Fish for flour? Barter is the new currency in collapsing Venezuela, in: Reuters (Business News), 3.7.2018; Graham-Harrison/Torres/Daniels, Barter and dollars the new reality as Venezuela battles hyperinflation, in: The Guardian, 14.3.2019. 1198 Aponte, Fish for flour? Barter is the new currency in collapsing Venezuela, in: Reuters (Business News), 3.7.2018; Graham-Harrison/Torres/Daniels, Barter and dollars the new reality as Venezuela battles hyperinflation, in: The Guardian, 14.3.2019; Morris, Forget the Bolívar: In Venezuela, Bartering Is the New Economy, in: Fortune, 7.5.2018. Vgl. auch Beutelsbacher, Der Fluch des Öls, in: Die Welt, 13.2.2019; Fischermann, Maduros letzte Chance, in: Die Zeit, 24.8.2018; Krygier, Eat, pray, barter like hell: How a restaurant owner survives Venezuela’s crisis, in: The Washington Post, 16.9.2018. 1199 So versteht Stöhr, AcP 2014, 425, 445, diese Wirtschaftsbeziehung. Ähnlich Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3: „In That und Wahrheit wurden Verträge gewiss schon in der vorstaatlichen Periode der Gesellschaften abgeschlossen.“ 1200 Zu dieser Problematik der Anthropologie und der Ethnologie siehe Wesel, Geschichte des Rechts, S. 16 f.; 64 ff. Vgl. dazu auch Santos, Sociología jurídica crítica, S. 55 ff.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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a) Die Juristische Schule der Anthropologie Die anthropologische Literatur, die die Beschreibung der verschiedenen sozialen Organisationen mit Hilfe von Konzepten des westlichen Rechts versucht, wird von Uwe Wesel „Juristische Schule“ genannt.1201 Diese Schule steht im Einklang mit dem formalistischen Ansatz der Wirtschaftsanthropologie. Letzterer geht davon aus, dass die theoretischen Kategorien der Marktwirtschaft für jede Gesellschaft anwendbar sind.1202 Zur juristischen Schule der Anthropologie gehört zum Beispiel Theodor Buddeberg (1895 – 1969) mit seiner „Rechtssoziologie des öffentlich-rechtlichen Vertrages“ aus dem Jahr 1925. Dort kommt zum Ausdruck, dass das Wesen des Rechts nicht im Rechtssatz, sondern in der Kollektivität zu finden sei, für die das Recht wirke.1203 In diesem Text erkennt Buddeberg die Möglichkeit des Bestehens der Vertragsbindung unabhängig von der Rechtsordnung an, unterwirft diese Bindung aber der notwendigen Interdependenz mit einer Gemeinschaft: „Ohne Vertrag kann keine Kollektivität bestehen wie auch ohne die kollektivistische Grundlage ein Vertrag nicht möglich ist.“1204 Die Bindungskraft des Vertrages komme also aus der Kollektivität1205 und sie könne sich in dem ewigen Seelenheil der Kirche, dem Ehrenwort der Ritter oder der universellen Vernunft des Menschen manifestieren.1206 Ein weiterer Anhänger der juristischen Schule der Anthropologie ist der portugiesische Soziologe Boaventura de Sousa Santos. Dieser emeritierte Professor der Universität von Coimbra verteidigt in seiner „Sociología jurídica crítica“ aus dem Jahr 2009 die Existenz eines Pluralismus der Rechtsordnungen innerhalb jeder aktuellen Gesellschaft.1207 Er versteht das Recht als: „(…) un cuerpo de procedimientos regularizados y estándares normativos que se considera exigible – es decir, susceptible de ser impuesto por una autoridad judicial – en un grupo
1201
Wesel, Geschichte des Rechts, S. 17. Godelier, Avant-propos, S. V, XIII: „Les formalistes (…) s’autorisent du fait que dans toute société il y a des formes de rareté et de compétition pour affirmer que les catégories de l’économie politique marginaliste s’appliquent partout. Partout les hommes sont occupés à maximiser quelque chose.“ Dazu auch Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 5 ff.; González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 45 ff.; LeClair, Am. Anthropol., Vol. 64, Issue 6 (1962), 1179, 1180 ff.; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243 ff. 1203 Buddeberg, AöR 1925, 85, 107. 1204 Buddeberg, AöR 1925, 85, 109. 1205 Buddeberg, AöR 1925, 85, 123: „Die Rechtsverbindlichkeit des Vertrags entspringt nicht dem Gesetz, sondern sie ruht in dem ,Gemeinwillen‘ desjenigen Rechtskreises, als deren Funktion der Vertrag auftritt (…). Wie gezeigt, ist die Kollektivität die Quelle des Rechtens. Der Vertrag als ihre rechtliche Funktion trägt somit die rechtsverbindlichen Normen ,originär‘ in sich.“ 1206 Vgl. dazu Buddeberg, AöR 1925, 85, 111 ff. 1207 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 52. 1202
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
determinado y que contribuye a la creación, prevención y resolución de disputas a través de discursos argumentativos unidos a la amenaza de la fuerza.“1208
Basierend auf empirischen Studien aus dem Jahr 1970 stellt Santos das Recht vor, das in einer illegalen Siedlung (Favela) in Rio de Janeiro gelte.1209 Laut dieser Untersuchung habe die Favela zur Sicherstellung der sozialen Ordnung eine interne Legalität entwickelt.1210 Dieses System sei anders und stünde sogar im Widerspruch zur Rechtsordnung der Föderativen Republik Brasilien.1211 Die gerichtliche Kontrolle dieser Legalität liege in den Händen der Vereinigung der Residenten, an die die Bewohner der Favela sich wenden könnten, wenn sie unter anderem einen Vertrag zwischen ihnen abschließen oder beenden möchten.1212 Die Vereinigung habe ein Verfahren für den Vertragsabschluss gestaltet, das aus seiner Vorbereitung, seiner Fassung, seiner Lesung, seiner Unterzeichnung, seiner Beglaubigung und seiner Archivierung bestehe.1213 In Anbetracht dessen würde die Juristische Schule der Anthropologie der Benennung des Darlehens im Ashanti-Volk als Vertrag und der bindenden Verpflichtung als das Ergebnis des Darlehens zustimmen.1214 Der Gläubiger hätte in einer solchen Gesellschaft im Falle des Verzugs des Schuldners die Möglichkeit, sich an einen Dritten zu wenden, der die Eintreibung seines Kredits gewährleistet hätte: den König, den Asante Hene.1215 Letzterer würde gegen Zahlung einer Art Gebühr seitens des Gläubigers seinen Schatzmeister zum Einzug des Geschuldeten beim Schuldner schicken.1216 Die Weigerung des Schuldners, dem Schatzmeister eine nachgewiesene Schuld zu zahlen, wäre als eine Hasserklärung an den König und als ein Eid im Namen des Stammesgottes zur Ermordung des Königs verstanden worden.1217 Mit anderen Worten kann man in dem Übereinkommen der Aschanti im Unterschied zum Beispiel der Wüste ein dreiseitiges Schema und ein Sanktionssystem für die Nichteinhaltung des Vereinbarten beobachten, die eine Qualifizierung der Einigung nach der Juristischen Schule der Anthropologie als „Vertrag“ ermöglichen würde.
1208 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 56. Deutsche Übersetzung nach dem Verfasser: Das Recht ist „eine Sammlung von standarisierten Verfahren und normativen Maßstäben, die in einer bestimmten Gruppe als durchsetzbar – d. h. von einer Justizbehörde auferlegt werden können – angesehen werden und die zur Schaffung, Vermeidung und Beilegung von Streitigkeiten durch argumentative Diskurse im Zusammenhang mit der Androhung von Gewalt beitragen.“ 1209 Zum Ganzen Santos, Sociología jurídica crítica, S. 131 ff. 1210 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 131. 1211 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 131. 1212 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 151 f. 1213 Santos, Sociología jurídica crítica, S. 155 ff. 1214 So Stöhr, AcP 2014, 425, 445. 1215 Wesel, Geschichte des Rechts, S. 55. 1216 Wesel, Geschichte des Rechts, S. 55. 1217 Wesel, Geschichte des Rechts, S. 55.
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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b) Das Risiko der analytischen Blindheit der Juristischen Schule der Anthropologie Die anthropologische Methodik der Juristischen Schule stehen jedoch einige Einwände entgegen. Bei der Extrapolation streng westlicher Konzepte zur Erklärung von Gewohnheiten, die denen des Okzidents fremd sind, kann man in eine analytische Blindheit geraten. So kann die Verwendung des Vertragsbegriffs zur Beschreibung einer Form der Vereinbarung in einer anderen Gesellschaftsordnung als die des Westens bedeuten, Gegebenheiten außer Acht zu lassen, die für den Vertrag des Rechtsstaats irrelevant sind, aber für das Schema von „aufgeschobenen Leistungen“ in der dargestellten Gesellschaft von größter Bedeutung sind. Die Ähnlichkeiten zwischen ihnen können nämlich irreführend sein.1218 Begriffe man beispielsweise das „archaische“ giri aus Japan als vertragliche Verpflichtung, bestünde die Gefahr, das ihm zugrunde liegende wahre Phänomen nicht zu verstehen. Das giri ist eine Aufgabe oder eine moralische Schuld, die sich in den Verpflichtungen in Japan manifestiert und die nicht von Worten abhängt, wie es das Prinzip pacta sunt servanda aus dem Westen grundsätzlich nahelegt.1219 Es wird vielmehr von den Menschen und ihren Umständen bestimmt.1220 Das heißt, das Verständnis des giri als Vertragsfolge könnte dazu führen, die Änderung der Umstände, die Mittelachse des giri, zu ignorieren, wenn die clausula rebus sic stantibus – wie ein Teil der vorstaatlichen Vertragsdoktrin es tut – als integraler Bestandteil des Vertragsbegriffs abgelehnt werden würde.1221 Diese Art von Problem könnte auch in der Auslegung der „aufgeschobenen Leistungen“ der Ashanti als Vertrag versteckt sein. Aufgrund dieser möglichen analytischen Blindheit ist es ebenfalls noch immer schwierig, in einigen lateinamerikanischen Ländern zum Beispiel die wirtschaftlichen Leitlinien der westlichen Marktkultur mit denen von Gesellschaften mit andinen Wurzeln in Einklang zu bringen. María Victoria González de Prada hat aus ihrer Erfahrung als Richterin in Jujuy, Nordargentinien, von diesem Konflikt in ihrem Text „Contrato y Reciprocidad“ aus dem Jahr 2018 berichtet. Demnach entsprächen die wirtschaftlichen Austauschpraktiken der Andendorfbewohner noch nicht zu hundert Prozent dem westlichen Marktvertragsmodell.1222 Dies verursache laut González de Prada manchmal Ungleichheiten für die Andendorfbewohner.1223 Denn diese würden bei Vertragsabschlüssen mit Personen außerhalb der Gemeinschaft Spuren des oben genannten dreiseitigen Systems der Komplementarität und der Umverteilung des Überschusses als kulturelles Muster bewahren, was zu diesen 1218
Vgl. Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 51. Supiot, Homo juridicus, S. 140 f. Zum giri auch Pinguet, Der Freitod in Japan, S. 181, 183 ff., 207; vgl. ferner M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 97. 1220 Supiot, Homo juridicus, S. 140. 1221 So z. B. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Teil I: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre, Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre, I., S. 35 f.; vgl. auch derselbe, Naturrecht Feyerabend, S. 1317, 1328 f., Rn. 23. 1222 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 2. 1223 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 2, 4. 1219
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Ungleichheiten führe.1224 Das Andenindividuum konzentriere sich beim Austausch auf die langfristigen Bedürfnisse des westlichen Individuums, nicht um einen sofortigen Vorteil zu erlangen, sondern um auch in Zukunft miteinander zu komplementieren.1225 Das westliche Subjekt denke dagegen darüber nach, was es im spezifischen Geschäft wolle.1226 Es wird folglich von keinem System der Komplementarität und der Umverteilung des Überschusses beeinflusst. Vor diesem Hintergrund schlägt González de Prada vor, diese Elemente bei der rechtlichen Beurteilung derartiger Wirtschaftsbeziehungen zu berücksichtigen und nicht alles auf das Schema des westlichen Vertrages zu reduzieren.1227 Ein besonderes Beispiel des Phänomens der möglichen Blindheit der Juristischen Schule der Anthropologie ist auch die fehlerhafte Konzeptualisierung der Beziehung der lateinamerikanischen Völker zur Erde durch die spanischen Siedler. Diese verstanden, dass ein Feudalstaat dort vorlag, in dem der Häuptling der Feudalherr gewesen sei und die Bewohner des Territoriums ihre Vasallen gewesen seien.1228 Sie berücksichtigten also nicht ordnungsgemäß das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der Stämme untereinander und dem Stamm als Ganzes zur Erde.1229 Anders ist die Annäherung Malinowskis an diese Probleme am Anfang des letzten Jahrhunderts auf den Trobriandinseln. Im Unterschied zu den Spaniern benutzte der Professor der London School of Economics eher eine induktive als eine deduktive Methode zur Feststellung, ob etwas Ähnliches wie das Konzept des Eigentums bestand.1230 Er erzählte: „Land tenure among the Trobriand natives is rather complex, and it shows well the difficulties of solving ethnographic field problems of this type and the dangers of being misled into some inadequate approximation. When I began to inquire into this subject, I first received from my native informant a series of general statements, such as that the chief is the owner of all land, or that each garden plot has its owner, or that all the men of a village community own the land jointly. Then (…) taking a definite plot, I inquired successively, from several independent informants, who was the owner of it. In some cases I had mentioned to me successively as many as five different ,owners‘ to one plot-each answer, as I found out later on, containing part of the truth, but none being correct by itself (…). The main difficulty in this, as in ever so many similar questions, lies in our giving our own meaning of 1224
González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 2, 4. González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 153. 1226 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 153. 1227 González de Prada, Contrato y reciprocidad, S. 5, 153 ff.; 262. Sie versteht im Übrigen wie Santos, dass es innerhalb einer Rechtsordnung mehrere Rechtssysteme geben könne (S. 253 ff.). Diese Ansicht wird hier nicht geteilt. Die westliche Rechtsordnung als Monopolinstitution erlaubt oder verbietet Rechtspraktiken und die Bildung verschiedener sozialer Organisationen, aber nicht die Schaffung anderer Rechtsordnungen. Vgl. dazu M. G. Casas/López Testa, Sup. Actualidad La Ley 11.5.2015, 1. 1228 Morgan, Ancient Society, S. 547. 1229 Vgl. Morgan, Ancient Society, S. 547. 1230 Dazu Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 3 ff. 1225
D. Die notwendige Institutionalisierung des lukrativen Schuldvertrages
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,ownership‘ to the corresponding native word. In doing this we overlook the fact that to the natives the word ,ownership‘ not only has a different significance, but that they use one word to denote several legal and economic relationships, between which it is absolutely necessary for us to distinguish.“1231
Darüber hinaus steht die Art und Weise der Konzeptualisierung der Juristischen Anthropologieschule der dem Westen fremden Kulturen im Widerspruch zum Wert der Vielfalt und den Postulaten der postmodernen Rechtsvergleichung, weil ihr ein Eurozentrismus innewohnt. Auf der einen Seite ist die Vielfalt paradoxerweise charakteristisch für die europäische Kultur1232, woraus der Begriff des Vertrages stammt, und wird im europäischen Recht ausdrücklich geschützt: Le droit à la différence!1233 (Art. 22 GRCh, Art. 3, Abs. 3 AEU y art. 167 AEUV1234). Auf der anderen Seite sucht das Paradigma der postmodernen Rechtsvergleichung nicht nach den Gemeinsamkeiten der verschiedenen Rechtsordnungen oder deren Vereinheitlichung, sondern nach der Achtung der Differenz.1235 Demzufolge sollte die Anthropologie bei der Analyse der Ordnung und der „aufgeschobenen Leistungen“ in den verschiedenen Gesellschaften eher von einer „wilden“ Lage ausgehen und neue Konzepte im Malinowskistil importieren, die den bestehenden Rechtsbegriffen fremd sind.1236 Man muss sich so weit wie möglich von der kulturellen Herkunftsposition freimachen, die zu untersuchende Kultur wahrnehmen und sich damit bewusst werden, dass die eigene Kultur als fremd angesehen werden kann, während gleichzeitig die fremde Kultur die eigene sein kann.1237 Dabei sollte das Verfahren nicht auf die Überprüfung einer vorgefertigten Hypothese über die Existenz des Vertrages oder eines anderen Rechtsinstituts abzielen. In einem 1231
Malinowski, Econ. J. Vol. 31 (1921), 1, 3 (Hervorhebung durch Verfasser). Stathopoulos, AcP 1994, 543, 570. 1233 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 50; vgl. auch derselbe, Jewish Cultural Identity, S. 223, 224. 1234 Zum Menschenrecht auf Diversität Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 5, 6 ff. 1235 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 50; derselbe, Jewish Cultural Identity, S. 223, 224; derselbe, JZ 2013, 1021, 1030. Vgl. auch M. G. Casas, ZEuP 2017, 68, 97; Santos, Sociología jurídica critica, S. 328. 1236 Ähnlich Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 53: „What goes under the name of ,trade sphere‘, ,commerce‘, consequently must not be understood as a known trans-historical social relation, but must in each case be defined in its form and in its function relative to the social process, engendering it (now the realisation of the surplus value, now the source of exotic products, or of the means of obtaining prestige and power, for example).“ Diese Methodologie wird von Letourneau, L’évolution de la propriété, S. 47, beim Betrachten der Uhreinwohner nicht angewandt, denn er beurteilt z. B. ihr Verhalten schlimmer als das von Tieren: „Les Fuégiens (…) sont encore de bien pauvres architectes et, à ce point de vue, tous ces types rudimentaires de l’humanité sont fort inférieurs non seulement aux castors, mais encore aux fourmis, aux termites, aux abeilles.“ 1237 Zu dieser Methodologie der Anthropologie López Sáez, Berceo 2007, N8 153, 97, 123 ff. Vgl. zudem Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 24; Thurnwald, Economics in primitive communities, S. xiii. 1232
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
solchen Fall könnte man beispielsweise eine Art „Willkommensgeschenk“ der Einheimischen als Vertragsangebot1238, beziehungsweise ihre Mimik und Imitationen des westlichen Austauschverhaltens als Spuren des „Marktvertrages“ überinterpretieren.1239 Diese Position entspricht dem substanziellen Ansatz der Wirtschaftsanthropologie. Dieser Ansatz geht entgegen der oben genannten formalistischen Theorie davon aus, dass die Begriffe der Marktwirtschaft nicht ohne weiteres universalisiert werden können, weil sie für eine bestimmte Gesellschaft konzipiert wurden.1240 All dies mündet letztendlich darin, dass der gegenseitige Vertrag mit seiner Bindung nicht als die Austauschform, sondern nur als eine weitere Form des Austauschs dargestellt werden muss: der westliche Austauschmodus. Zutreffend formuliert Marshall Sahlins: „Different cultures, different rationalities.“1241 1238 Dies könnte z. B. der Fall bei Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 3, sein, der im Jahr 1893 schrieb: „(…) es werden auch heute Verträge geschlossen zwischen Europäern und Völkerschaften, die vielleicht zum ersten Mal einen Weissen sahen.“ Vgl. zu dieser Argument Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 44. 1239 Diesbezüglich Servet, Economy and Society Vol. 11, 22, 25: „the savages would mime our transaction (in particular in the sale of food – sometimes imported – for the European expeditions, plantations, etc.), a fact which ethnologists interpreted as a commonplace ,trade‘ practice.“ 1240 Godelier, Avant-propos, S. V, XIII: „Les substantivistes au contraire soulignent la diversité des systèmes économiques et prétendent qu’il est impossible d’utiliser universellement les catégories de l’économie politique parce qu’elles ont été élaborées pour analyser des économies organisées pour la production et l’échange de marchandises, dominées par le marché.“ Vgl. dazu auch Dalton, Am. Anthropol., Vol. 63, Issue 1 (1961), 1, 5 ff.; Polanyi, Economy as Instituted Process, S. 243 ff. 1241 Sahlins, How „Natives“ Think, S. 14. Ähnlich Lukes, History of the Human Sciences 2013, Heft 1, 3, 16: „From all of which I conclude that, of course, different cultures can (or better, perhaps, once could) embody divergent cosmologies, especially ,islands of history‘ and tribal societies hitherto immune from ,Western‘ influences.“ Sahlins Ausdruck sollte hier im Übrigen nicht als die Behauptung verstanden werden, dass primitive Gesellschaften prälogisch seien. Rationalität ist eine Fähigkeit, die der gesamten Menschheit gemeinsam ist. Sie besteht, wie bereits gesagt wurde (siehe 3. Kapitel, unter B. I.), in der Festlegung von Zielen und den Mitteln zu ihrer Erreichung. Diese Zweck-Mittel-Beziehung kann von jeder Gesellschaft hergestellt werden. Was sich zwischen den verschiedenen Kulturen insbesondere unterscheidet, ist der Inhalt der logischen Strukturen und damit die erzeugten rationalen Kategorien. Ähnlich Santisteban, Antropología, S. 285. In diese Richtung auch Mises, Human action, S. 37: „A peasant eager to get a rich crop may – according to the content of his ideas – choose various methods. He may perform some magical rites, he may embark upon a pilgrimage, he may offer a candle to the image of his patron saint, or he may employ more and better fertilizer. But whatever he does, it is always action, i. e., the employment of means for the attainment of ends.“ Der Denker der Österreichischen Schule der Ökonomie legt jedoch nahe, ähnlich dem formalen Ansatz der Wirtschaftsanthropologie, dass man alles in Bezug auf Kosten und Rendite konzeptualisieren könne (dasselbe Werk, S. 40). Die Ökonomie der primitiven Gesellschaften ist aber dem Funktionieren anderer Institutionen wie beispielsweise Religion oder Verwandtschaft untergeordnet, deren Bedeutung die Extraktion von Kosten und Erträgen aus Aktivitäten verhindert. Vgl. zu diesem Problem Polanyi, Wirtschaft als institutioneller Prozess, S. 243 ff.
E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs
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E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs I. Die Vertragsfreiheit als anerkannte Freiheit: Der Grundsatz pactum non obligat per se Die Überwindung des Vertragssystems des Form- und Typenzwangs in der Neuzeit1242 führte, wie erläutert, nicht zur Beseitigung der Notwendigkeit eines institutionellen Rahmens für die Verbindlichkeit des Konsenses.1243 In diesem Sinne bedeutete die Konsolidation des Prinzips pacta sunt servanda grundsätzlich nur die Unwichtigkeit der Formanforderungen zum Vertragsabschluss, nicht aber die inhärente Verbindlichkeit der einfachen Vereinbarung. Das Prinzip diesbezüglich ist nach wie vor, entgegen der Ideologie des Vertragswesens, pactum non obligat per se.1244 Die natürliche Freiheit des Menschen ist also notwendig, aber nicht ausreichend zur Schaffung eines Schuldvertrages.1245 Es besteht keine natürliche Freiheit zum Schuldvertragsabschluss1246, die die modernen Rechtsordnungen nur deklarativ rezipieren würden.1247 Die Vertragsfreiheit und ihr Korrelat, die Vertragstreue, erscheinen zwar als außerrechtliche Postulate von der Ethik und der Marktwirtschaft in der westlichen Rechtsordnung.1248 Der Rechtscharakter dieser Art von Freiheit wird allerdings erst mittels der Anerkennung der Rechtsordnung erworben.1249 Diese 1242
Vgl. Nanz, Vertragsbegriff, S. 135; auch Dilcher, ZRG RA 1960, 270, 303; Landau, FS Nörr, S. 457, 473 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 544. 1243 Siehe dazu 3. Kapitel, unter D. 1244 Vgl. Stathopoulos, AcP 1994, 543, 552: „Auf jeden Fall hat der reine Konsens nirgendwo für sich selbst allein Geltung.“ (Hervorhebung durch Verfasser). Ähnlich Bentham, Traités de législation, Vol. 1, S. 301: „Aucun marché n’est nul en soi-même, aucun n’est valide en soi-même. C’est la loi qui, dans chaque cas, leur donne ou leur refuse la validité.“ Zum Rechtsgeschäft im Allgemeinen Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung, S. 129, 150: Das Rechtsgeschäft gilt „eben nicht per se, sondern nur kraft ,Delegation‘ oder ,Anerkennung‘ durch die Rechtsordnung.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1245 Vgl. Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 28; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 230; auch Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 15; Canaris, Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung, S. 129, 150; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 165, 196; Taupitz, AcP 1992, 341, 343. 1246 E.R. Huber, AöR 1933, 1, 41: „Es gibt keine natürliche Freiheit zum Vertragsschluß, sondern es gibt ein vom Staate geordnetes und gestaltetes Institut des freien Vertrags.“ Zustimmend Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20. 1247 Weller, Die Vertragstreue, S. 166. Diesbezüglich Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038: „Es kann daher keine Rede davon sein, daß der Privatrechtsgesetzgeber bestenfalls deklaratorisch vorrechtlich begründete Pflichten nachvollzöge.“ Vgl. ferner Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 16. 1248 Siehe dazu 3. Kapitel, unter A. und B. 1249 So W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2 f., 6, 18; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 148; ebenso H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 19; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 28; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 20 ff.; Looschelders/
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
übernimmt das Modell des ethischen und ökonomischen Menschen mit individueller Freiheit und verleiht ihm die Kompetenz, Rechtsverhältnisse durch Vertrag zu gestalten und zu begründen.1250 Die Vertragsfreiheit ist somit eine „normativ konstituierte Freiheit“1251 und die Fähigkeit zur Bindung zukünftiger Freiheit durch Vereinbarung ist eine künstliche Erweiterung der Freiheit.1252 Zur Umwandlung einfacher natürlicher Freiheit in Vertragsfreiheit mit Bindungsfähigkeit ist das, was Alexy als „Kompetenznormen“ bezeichnet, erforderlich.1253 Diese geben dem Willen die Möglichkeit, Rechtsgeschäfte vorzunehmen und damit die Fähigkeit, Rechtspositionen freiwillig zu ändern.1254 Diese Normen begreifen die freiwilligen Handlungen der Einzelnen, erkennen diese Handlungen als rechtlich an und bieten ihnen dabei einen gewissen Schutz.1255 Auf diese Weise fügen die Normen der Handlungsfähigkeit des Individuums etwas hinzu, was es von Natur Roth, JZ 1995, 1034, 1038; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 140 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 153 f.; 166 f., 169; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f.; ferner Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 15 ff.; Canaris, AcP 1984, 201, 218 f.; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 165, 196; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 67; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15 ff., 33 ff.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 114 f.; Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2008, N8 18, 107, 183 f.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206, 230; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 23. Vgl. zudem Bydlisnki, Privatautonomie, S. 68 f. 1250 In diese Richtung Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5; auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 50 ff. Ähnlich Weller, Die Vertragstreue, S. 155 ff.; der zwar die zentrale Rolle der Vertragsfreiheit für die liberale Marktwirtschaft anerkennt (S. 155) und der sagt, dass die Schöpfer des BGB als Modell der Teilnehmer am Rechtsverkehr die Wirtschaftsbürger vor Augen hatten (S. 170). Weller spricht jedoch nur von der Vertragsfreiheit mit ihrem Korrelat der Vertragstreue als außergesetzliches Postulat der Ethik an die Rechtsordnung (S. 156 ff.), also nicht ausdrücklich von der Vertragsfreiheit und der Vertragstreue als Postulate der westlichen Wirtschaft an die Rechtsordnung. Ebenso W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 10, der schreibt, dass die Marktwirtschaftsordnung auf dem Prinzip der Privatautonomie beruhe. Er erwähnt aber, dass die anerkannte Vertragsfreiheit nichts mit dem Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts zu tun habe (S. 15). Die Rechtsordnung gehe ihm zufolge lediglich von der Selbstbestimmung aus. Vgl. dazu zudem Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19 f. In dieser Studie wird verstanden, dass die Rechtsordnung nicht nur die ethische Fähigkeit der Willensfreiheit des Menschen berücksichtigt, um Rechtsfolgen seines Handelns anzuerkennen. Das Rechtssystem betrachtet auch bei der Anerkennung der Vertragsfreiheit das ökonomische Menschenmodell des Liberalismus: Das Rechtssystem ist nämlich ein Wirtschaftssystem. 1251 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 21 f.; zustimmend Taupitz, AcP 1992, 341, 343; Weller, Die Vertragstreue, S. 169. 1252 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 339: „Durch beide Arten der Rechte also, das Eigenthum wie die Obligationen, wird die Macht der berechtigten Person nach außen, über die natürlichen Gränzen ihres Wesens hin, erweitert.“ 1253 Ausführlich dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 212 ff. 1254 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 216. 1255 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47. Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 16: „Aus den Regelungsmechanismen ergibt sich erst der rechtserhebliche Sinn des natürlichen Könnens, der natürlichen Fähigkeit zu willensgesteuerter Selbstbestimmung.“
E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs
255
aus nicht besitzt.1256 Es handelt sich um ein „verliehenes rechtliches Können.“1257 Das Individuum mag beispielsweise darüber entscheiden, wer nach seinem Tod sein Vermögen erhält, aber diese Entscheidung wird nur zum Testament, falls die Kompetenznormen sie zu einer solchen Rechtsform erheben und somit schützen.1258 Menschen mögen auch Versprechen lukrativ austauschen, sie werden jedoch nur dann zum gegenseitigen Schuldvertrag, wenn sie durch eine Kompetenznorm als solche anerkannt und geschützt werden.1259 In Abwesenheit dieser Normen wird das gegebene Wort lediglich eine Voraussage über ein zukünftiges Verhalten oder eine Absichtsäußerung sein.1260 Die Freiheit setzt daher zur Begründung eines Schuldvertrages das Bestehen von wirksamen Regeln voraus, die ein solches Rechtsgeschäft bilden.1261 Nur dank dieses institutionellen Rahmens können Einzelpersonen ihre privaten Projekte mithilfe eines Vertrages realisieren.1262 Das heißt, ohne institutionelle Anerkennung wird eine faktische Vereinbarung nicht zu einem rechtlichen Vertrag.1263 Dies zeigt sich zum Beispiel deutlich in der Neufassung des Art. 1103 Code Civil, der vorsieht, dass „contrats légalement formés“ Rechtskraft haben.1264 Die besonderen formalen und materiellen Voraussetzungen für das Entstehen sowie den Umfang der Rechtsfolgen des Vertrages werden durch jede positive
1256
Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47. Diesbezüglich Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 140 f.: „Die Einräumung von Kompetenzen zur Schaffung von privaten Rechtsakten erscheint so als Vergrößerung des Handlungs- und damit Freiheitsraums.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1257 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47. Vgl. dazu S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206 f. In diesem Zusammenhang ist sich zu vergegenwärtigen, dass nicht jede Änderung einer rechtlichen Position die Ausübung einer Kompetenz bedeutet. So schreibt die Rechtsordnung unerlaubten Handlungen Rechtsfolgen zu, unabhängig von der möglichen Vorsätzlichkeit ihrer Durchführung. Die Begehung eines Zivildelikts ist daher nicht die Begründung eines Rechtsgeschäfts durch die Ausübung einer von der Rechtsordnung verliehenen Kompetenz. Siehe hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 214; ferner MüllerGraff, Das Prinzip der Selbstverantwortung im heutigen Privatrecht, S. 139, 144 ff.; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 3 f., 25; auch Brinz/Lotmar, Lehrbuch der Pandekten, Bd. IV § 522, S. 4 ff., 13. 1258 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47. 1259 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 27, 29; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 206. 1260 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22. 1261 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 27. Vgl. ferner Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 212, 215: „Wer das Verhalten von zwei Personen als Vertragsschluß oder das Verhalten einer Menschengruppe als Gesetzgebung deutet, setzt Regeln voraus, die die beobachtbaren natürlichen oder sozialen Handlungen erst zu Rechtshandlungen machen.“ 1262 S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 207. Vgl. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 5: „Der Vertrag ist das von der Rechtsordnung bereitgehaltene Mittel zur Regelung rechtlich relevanter privater Angelegenheiten.“ 1263 Weller, Die Vertragstreue, S. 163 f. Vgl. auch Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, S. 141 f.: Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 114. 1264 Hervorhebung durch Verfasser.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Rechtsordnung festgelegt.1265 So verlangt das neue argentinische Código Civil y Comercial vom Jahr 2015 für das Entstehen des Schuldvertrages neben dem Konsens auch das Vorhandensein der causa (Art. 1013), während, wie bereits erwähnt1266, dieses Rechtsgeschäft in Frankreich seit der Schuldrechtsreform des Jahres 2016 schon mit einfachem Konsens wirksam ist (Art. 1128, 1172 Civil Code).1267 Dieses strukturelle Verhältnis zwischen der Freiheit und der Rechtsordnung zur Begründung der Vertragsfreiheit und der Vertragstreue wurde von den Redakteuren des BGB wahrgenommen. In den Motiven des Vorentwurfs wird ausgeführt, dass die Bindungskraft der Freiheit: „gilt (…) selbstverständlich nur mit dem Hinzudenken der Hilfe der Rechtsordnung in welcher die rechtsgestaltende Kraft des Parteiwillens ihre Anerkennung findet. (…) Aufgabe des Gesetzbuchs ist es daher, festzustellen, unter welchen Voraussetzungen dem Parteiwillen jene Kraft zukommen soll, und was demgemäß in dieser Richtung erforderlich ist, um ein Schuldverhältnis durch Vertrag zu begründen.“1268
Zusammengefasst entsteht die Bindungskraft der Vereinbarung durch die freiwillige Verwendung der von der Rechtsordnung als Schuldvertrag anerkannten Rechtsfigur.1269 Die in der Freiheitsausübung gestaltete Einigung ist auf diese Weise ein Auslöser für die Rechtswirksamkeit des in der Rechtsordnung institutionalisierten Aktes.1270
1265
Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 33 f.; Raiser, FS DJT (1960), S. 101, 123. Vgl. dazu auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 52; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 198, 221 f., 230 f.; ferner E.R. Huber, AöR 1933, 1, 41.; Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2008, N8 18, 107, 184; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1. 1266 Siehe dazu 1. Kapitel, unter A. und 2. Kapitel, unter D. III. 3. 1267 Ausführlich zum Unterschied zwischen der jüngsten Reform des argentinischen und des französischen Privatrechts bezüglich der causa als Vertragsentstehungsvoraussetzung M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 85 ff. 1268 v. Kübel, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht I, S. 136. 1269 So Weller, Die Vertragstreue, S. 171. Vgl. W. Flume, FS DJT (1960), S. 135, 137: „Beides, die privatautonome Gestaltung und die Rechtsordnung, gehören vielmehr als Rechtsgrund der Geltung des privatautonomen Akts untrennbar zusammen.“ Siehe zudem derselbe, Das Rechtsgeschäft, S. 3 ff.; auch Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 16 ff.; Canaris, AcP 1984, 201, 217 f.; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 23 f.; ferner Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 28; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51 f., 66 f.; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038; Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2008, N8 18, 107, 183 f. 1270 Vgl. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16. Diesbezüglich Höfling, Vertragsfreiheit, S. 22: „Die Vertragsfreiheit als reale grundrechtliche Gewährleistung ist demgegenüber charakterisiert durch die Verbindung jener natürlichen ,Versprechen-Freiheit‘ mit der staatlichen Garantie der Durchsetzung der jeweiligen Vertragsinhalte.“
E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs
257
II. Der Schuldvertrag als allgemeiner Vertragstyp Von der gerade erhaltenen Erkenntnis kann man mit W. Flume schließen, dass heute, ähnlich dem römischen Recht, ein System des Form- und Typenzwangs funktioniert, aber nicht mehr von Verträgen, sondern von Rechtsakten.1271 Denn in jeder Rechtsordnung steht den Einzelnen durch Kompetenznormen ein numerus clausus von Aktstypen zur Verfügung, mit denen sie ihre Rechtsverhältnisse freiwillig gestalten können.1272 Diese Typizität trägt zum Grundsatz der Rechtssicherheit bei, der in der Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, da die Typizität den Einzelnen die Planbarkeit und Berechenbarkeit der Folgen ihrer Aktivitäten in klaren Rechtsrahmen ermöglicht.1273 Von der freien Verfügbarkeit der Inhalte gewisser Geschäfte bleibt dies unberührt, weil diese Inhalte erst durch ein anerkanntes Rechtsgeschäft ihre Geltung erlangen.1274 Deshalb gilt in gewisser Weise ähnlich dem Strafrecht das Prinzip nullum negotium sine lege, bei dem negotium als „Rechtsgeschäft“ zu verstehen ist.1275 Es besteht nicht „das“ Rechtsgeschäft an sich.1276 Dieses ist eine Abstraktion der in den verschiedenen Rechtsordnungen anerkannten Rechtsgeschäftstypen, und zwar eine Abstraktion des Testaments, des Eheschlusses oder der Verpfändung.1277 Dabei stellt der Schuldvertrag seit der Neuzeit einen allgemeinen Vertragstyp dar.1278 Er ist grundlegend für die Marktwirtschaft1279, ist das wichtigste 1271
147 ff.
W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2, 23 ff., 32 f.; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 137,
1272 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2, 23 f.; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 137, 148. Zustimmend H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 18 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 167, 169; derselbe, Die Grenze der Vertragstreue, S. 68 f. Ähnlich Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 165; Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 28 f.; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16; Rodríguez Grez, Actualidad Jurídica 2008, N8 18, 107, 184; Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 23. Vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 261: „Indem die Rechtsordnung das Rechtsgeschäft als rechtserzeugenden Tatbestand einsetzt, ermächtigt sie die rechtsunterworfenen Individuen, ihre gegenseitigen Beziehungen innerhalb des Rahmens der generellen, durch Gesetzgebung oder Gewohnheit erzeugten Rechtsnormen durch Normen zu regeln, die im Wege von Rechtsgeschäften erzeugt werden.“ 1273 Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 331 f., 340. 1274 Vgl. Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038. 1275 Brinz/Lotmar, Lehrbuch der Pandekten, Bd. IV § 522, S. 10, Fn. 12: „Danach muß, wie ,nullum crimen sine lege‘, so auch ,nullum negotium (i. S. von Rechtsgeschäft) sine lege‘ gelten.“ Zustimmend W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 24. 1276 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 23, 33; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 148: „l’acte juridique n’existe pas en soi.“ Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 172: „Denn Rechtsgeschäfte existieren nur in den Formen und mit den Rechtsfolgen, wie sie von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellt werden.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1277 Vgl. W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 23, 33; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 148. 1278 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 12 f., 28; vgl. auch ; derselbe, FS DJT (1960), S. 135, 148. 1279 Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, S. 339; K. Röhl: Rechtssoziologie, § 64, I., 2).
258
3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
und am häufigsten verwendete Rechtsgeschäft1280 und wird in modernen Rechtssystemen anerkannt.1281 Zur Klärung dieses Postulats der begrenzten Rechtsaktstypen ist es jedoch angebracht, einen Blick auf eine bestimmte Privatrechtsordnung als Prototyp zu werfen. Das deutsche Rechtssystem dient diesem Zweck, da sein Vertragsbegriff aufgrund seiner Abstraktion und Ausdehnung – wie bereits angeführt wurde – am stärksten mit der einfachen Vereinbarung gleichstellt.1282 1. Das deutsche Rechtsmodell als Beispiel: Der bilaterale Rechtsakt als Begründer von Schuldverhältnissen Während des Erarbeitungsprozesses des BGB wurde die Möglichkeit diskutiert, das einseitige Versprechen ohne Annahme als allgemeinen Rechtsgeschäftstyp zur Begründung von Leistungspflichten zu regulieren.1283 Allerdings hat sich die Idee der Institutionalisierung des Vertrages – ein bilaterales Rechtsgeschäft – als einziger allgemeiner Rechtsaktstyp zur Schaffung von Verpflichtungen (§ 311 BGB) schließlich durchgesetzt.1284 Die einseitige freiwillige Handlung kann nur in den eingeschränkten Ausnahmen, die dem Inhalt und der Form eines bestimmten vom Gesetz anerkannten Rechtsgeschäfts entsprechen, verbindliche Rechtsfolgen herbeiführen.1285 Ein Beispiel dafür ist die Auslobung nach den §§ 657 ff. BGB. Gemäß diesen Vorschriften erwirbt jeder, der in der durch die einseitige Versprechung festgelegten Weise handelt, einen Anspruch auf die ausgelobte Belohnung gegen den Versprechenden, auch wenn er nicht unter Berücksichtigung der Auslobung gehandelt hat und deren Existenz ihm nicht bekannt war.1286 Der Versprechende verpflichtet sich demzufolge im Unterschied zum Vertrag durch diesen besonderen Rechtsakt ohne die Notwendigkeit einer Annahme.1287 1280 Stathopoulos, AcP 1994, 543; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 7, 12. Ähnlich H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 12; Kegel, Vertrag und Delikt, S. 30; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 263; Raiser, FS DJT (1960), S. 101; Regelsberger, Pandekten I, § 149, S. 543; Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 307; auch Bruns, JZ 2007, 385; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 30. Diesbezüglich Witz, FS Alfons Bürge (2017), S. 639, 649: „(…) les contrats formant le bataillon des actes juridiques.“ 1281 Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 165. 1282 Siehe zum abstrakten Vertragsbegriff der deutschen Rechtsordnung Einleitung, unter E., 2. Kapitel, unter E. und 3. Kapitel, unter B. II. 1283 Dazu HKK/Thier, § 311 I, Rn. 24 f.; Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 470 f. 1284 HKK/Thier, § 311 I, Rn. 25. 1285 Siehe hierzu Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 471 ff., 482; vgl. auch HKK/Thier, § 311 I, Rn. 1; Palandt/Grüneberg, BGB, Überblick v. § 311, Rn. 4. 1286 Zimmermann, FS Andreas Heldrich (2005), S. 467, 472; vgl. ferner Müller-Graff, Das Prinzip der Selbstverantwortung im heutigen Privatrecht, S. 139, 145; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 9, Fn. 7. 1287 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 266.
E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs
259
Der Schuldvertrag ist dann der im BGB anerkannte allgemeine Rechtsakttyp zur Begründung eines Schuldverhältnisses.1288 Er entsteht durch die einfache Willensvereinbarung, die aus einem Angebot und einer Annahme besteht (§§ 145 ff.).1289 Es sind keine zusätzlichen Elemente wie die causa des römischen Rechtskreises oder die consideration des common law erforderlich.1290 Der Vertrag ist in der deutschen Rechtsordnung nicht deshalb gültig, weil er einen bestimmten Zweck hat, sondern weil er in Ausübung der anerkannten Vertragsfreiheit beider Parteien abgeschlossen wurde1291: „stat pro ratione voluntas.“1292 Diese zweckfreie Vertragsstruktur ist eine Optimierung der Willensfreiheit1293 und steht im Einklang mit dem liberalen Marktwirtschaftsmodell.1294 Sie ist gewissermaßen eine Widerspiegelung einer idealen bipolaren Austauschbeziehung zwischen zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe gegenüberstehen.1295 Diese Vertragsfreiheit hat als allgemeine Einschränkungen die gesetzlichen und sittlichen Verbote (§§ 134, 138 BGB).1296 Als Rechtsfolge des Konsensualvertrages erkennt das BGB in der Regel in § 241 die Verbindlichkeit des Vereinbarten und damit die Möglichkeit an, dessen Erfüllung zu verlangen.1297 Die einzelnen Verträge, die wie der Kauf in den §§ 433 ff. BGB geregelt sind, sind Erscheinungsformen des allgemeinen Vertragstyps.1298
1288
Vgl. Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 29. Vgl. Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle, S. 187, 202; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547; Weller, Die Vertragstreue, S. 87. 1290 Weller, Die Grenze der Vertragstreue, S. 26; derselbe, Die Vertragstreue, S. 68 ff.; derselbe, JZ 2013, 1021, 1025; vgl. dazu ferner M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 71 ff.; Stathopoulos, AcP 1994, 543, 547 ff.; Zweigert, JZ 1964, 349, 350 ff. 1291 Vgl. S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 196 f., 230; zudem Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15. Diesbezüglich Motive zum Entwurf BGB, Bd. I, S. 126: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfs ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1292 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 6. Siehe zum Ursprung dieses Ausdrucks Einleitung, unter E. Fn. 90. 1293 Weller, Die Vertragstreue, S. 169 f. 1294 Vgl. S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 196 f.; auch Säcker, Zum Regierungsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, 1; ähnlich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 54 ff. 1295 So S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 197. Vgl. Weller, Die Vertragstreue, S. 197: „Austauschverträge mit Interessengegensatzcharakter (z. B. Kauf, Miete, Pacht, Werkvertrag) entsprechen dem Vertragsleitbild des BGB.“ 1296 HKK/Hofer, vor § 241, Rn. 7 f.; S. Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 196. Vgl. auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 56; Säcker, Zum Regierungsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, 1. 1297 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 51; W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 13; auch Hanau, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 29; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 32; Löwisch, AcP 1965, 421, 422. 1298 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 13. 1289
260
3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
2. Abweichungen des allgemeinen Vertragstyps als Bestätigung der rechtsgeschäftlichen Typizität Trotz der Anerkennung des Schuldvertrages als allgemeiner Vertragstyp stellt das BGB einige besondere Abweichungen hinsichtlich des Abschlusses, des Inhalts und der Rechtsfolgen dieses Rechtsgeschäfts fest. Diese Abweichungen sind ein weiterer Ausdruck der rechtsgeschäftlichen Typizität des Privatrechts.1299 Beispielsweise wird für den wirksamen Abschluss eines Schenkungsversprechens neben dem Konsens auch eine notarielle Beurkundung benötigt (§ 518 Abs. 1 BGB).1300 In diesem Rechtsgeschäft gilt nach wie vor der alte Grundsatz donatio non praesumitur1301 und die Erfüllung der Form dient der Bestätigung der Absicht des Versprechenden, das kostenlose Geschäft abzuschließen.1302 In Bezug auf den Inhalt hat der Schuldvertrag in der Regel zum Gegenstand, die rechtliche Güterzuordnung zu ändern.1303 Mittels des Vertrages will man das Eigentum eines anderen oder die Ausübung bzw. den Genuss eines realen Rechts erlangen.1304 Dieses Rechtsgeschäft ist auf diese Weise ein Konnexinstitut des Eigentums.1305 Dieser Zusammenhang führt zu einer inhaltlichen Einschränkung des Schuldvertrages, da dieser rechtwirksam wird, soweit die angestrebte Änderung der dinglichen Rechte rechtlich möglich ist.1306 Der numerus clausus des dinglichen Rechts färbt daher den allgemeinen Typ des Schuldvertrages mittelbar. So reicht eine einfache Willensvereinbarung im deutschen Recht im Gegensatz zum Code Civil (vgl. z. B. Art. 711, 1196 und 1583 Code Civil), wie oben erwähnt, nicht aus, um das Eigentumsrecht an einer Sache zu ändern.1307 Im Rahmen des wirtschaftlichen Geschäftes „Kauf-Verkauf“ ist gemäß dem BGB neben dem Kaufvertrag (§ 433) noch ein bilateraler Rechtsakt erforderlich, damit der Käufer Eigentümer der Sache wird: die Eigentumsübertragung (§ 929 S. 1).1308 Dieses Rechtsgeschäft verlangt sowohl die Übergabe der gekauften Sache als auch einen neuen dinglichen Vertrag über den Übergang des Eigentums.1309 Ähnlich geschieht es im einfachen sofortigen Tausch 1299
Vgl. W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 13. Vgl. Weller, JZ 2013, 1021, 1025; Zweigert, JZ 1964, 349, 353. 1301 Ehmann, JZ 2003, 702, 703; derselbe, FS Beuthien (2009), S. 3, 15. 1302 M. G. Casas, ZEuP 2017, 69, 86 f. 1303 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 13. 1304 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 372. Diesbezüglich Hayek, The Constitution of Liberty, S. 208: „That other people’s property can be serviceable in the achievement of our aims is due mainly to the enforceability of contracts.“ 1305 So Höfling, Vertragsfreiheit, S. 15; Weller, Die Vertragstreue, S. 168. Zu den Konnexinstituten des Eigentums im Allgemeinen Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, S. 126 ff. 1306 W. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 13. 1307 Siehe dazu 3. Kapitel, unter B. II. 1308 Leenen, AT, § 4, Rn. 29, 31 f.; Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 24, 56; Wörlen/MetzlerMüller, BGB AT, S. 148 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 239. 1309 Siehe dazu 2. Kapitel, unter E. II und 3. Kapitel, unter B. II. 1300
E. Das Überleben des Form- und Typenzwangs
261
von Sachen nach § 480 BGB.1310 Damit die Parteien Eigentümer der jeweiligen Gegenstände dieses Geschäftes werden, ist zusätzlich zum Tauschvertrag notwendig – auch wenn alles gleichzeitig stattfindet – die Übergabe der einzelnen Sachen und zwei weitere dingliche Verträge betreffend der rechtlichen Übertragung vorzunehmen (§ 929 S. 1).1311 Bei der Anerkennung der Rechtsfolgen bestimmter Verträge weicht die deutsche Privatrechtsordnung auch vom allgemeinen Vertragstyp des § 241 in Verbindung mit § 311 BGB ab. Dieses Gesetzbuch versagt etwa der Wette die Bindungskraft, obwohl es deren Abschluss und Erfüllung erlaubt (§ 762 BGB).1312 Ausgehend von der Wette kann deswegen weder die Erfüllung des Vereinbarten noch Schadensersatz im Falle der Nichterfüllung verlangt werden.1313 Dieses besondere Geschäft zeigt deutlich, dass die Verbindlichkeit einer Vereinbarung nicht mit der einfachen Willenseinigung entsteht und dass dafür noch die Umwandlung des Wollens in ein Sollen durch die Rechtsordnung erforderlich ist.1314 Die Versagung der Bindungskraft der Wetten in der Rechtsordnung ist ebenfalls Ausdruck davon, dass die Rechtsanerkennung der Vertragsfreiheit und der Vertragsbindung dem Marktwirtschaftsmodell entspricht.1315 Die Art der der Wette zugrunde liegenden Risikobereitschaft ist nämlich nicht schutzwürdig, da sie keine sinnvollen Aufgaben innerhalb des Marktmechanismus erfüllt.1316 Rein spekulative Geschäfte sind keine Aktivitäten, die durch ihren Schutz gefördert werden sollten.1317 Sie motivieren zur betrügerischen Manipulation des Marktes1318 und sind durch einen Gewinn ohne die produktive Verwertung von Kapital oder Arbeit gekennzeichnet.1319 Letztere Überlegungen beeinflussten außerdem die Einschrän1310
Vgl. Wirtz, Schuldrecht BT 1, Rn. 257; auch Palandt/Weidenkaff, BGB, § 480, Rn. 8. Vgl. Wolf/Neuner, AT, § 29, Rn. 56. 1312 Vgl. dazu Honsell, Römisches Recht, § 26, S. 83; Palandt/Sprau, BGB, § 762, Rn. 3; Zimmermann, Law of Obligations, S. 8. 1313 Palandt/Sprau, BGB, § 762, Rn. 5 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 172. 1314 Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1038 und dort auch Fn. 43. 1315 Hayek, The Constitution of Liberty, S. 339, behauptet bei der Darstellung der Grundstruktur der wirtschaftlichen Marktfreiheit innerhalb der Rechtsordnung und damit der Vertragsfreiheit: „No modern state has tried to enforce all contracts, nor is it desirable that it should. Contracts for criminal or immoral purposes, gambling contracts, contracts in restraint of trade, contracts permanently binding the services of a person, or even some contracts for specific performances are not enforced.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1316 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 17. Vgl. auch M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27. 1317 Anders Zimmermann, Law of Obligations, S. 8, der meint, dass die fehlende Durchsetzbarkeit von Glücksspielen auf einem paternalistischen Ansatz beruhe, der die Parteien vor der Eingehung riskanter Geschäfte schütze, und nicht auf einer Förderpolitik produktiver Geschäfte. 1318 Vgl. Ingham, Capitalism, S. 262. 1319 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 17: „So unterscheiden sich Spiel, Wette und Differenzgeschäft nach wirtschaftlichen Bewertungskriterien wesentlich von anderen riskanten Vertragsformen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß mit ihnen ein Gewinn ohne die ökonomisch sinnvolle Verwertung von Kapital oder Arbeit allein durch die Risikoübernahme er1311
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
kung von den naked sovereign credit default swaps (SCDSs) durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf nationaler Ebene und die EU in den Jahren 2010 bzw. 2012.1320 Mit ihrem Verbot wollte man die schädlichen Auswirkungen dieser Geschäfte auf die Eurokrise und insbesondere die Spekulationen über die Anleihen von peripheren europäischen Ländern wie Griechenland stoppen.1321 Es ist daran zu erinnern, dass naked SCDSs keinen neuen Reichtum erzeugen1322 und im Unterschied zu ihrer „abgedeckten“ Fassung eine Art Wette auf die Entwicklung einer Staatsanleihe sind, die man nicht besitzt.1323 Deshalb profitiert ein Erwerber eines naked SCDS von der Verschlechterung der Kreditqualität des Emissionsstaats1324 und kann demzufolge eine solche Verschlechterung anstreben.1325
F. Ergebnisse 1.
Die gegenseitige Vertragsvereinbarung ist seit dem 19. Jahrhundert in einerseits die Ausübung der „Vertragsfreiheit“ als Voraussetzung und andererseits die „Vertragstreue“ als Rechtsfolge strukturiert. Diese letztere ist ein notwendiges funktionelles Korrelat der Vertragsfreiheit.
zielt werden soll. Sinnvolle Aufgaben innerhalb des Marktmechanismus erfüllen sie nicht bzw. nur in Ausnahmenfällen.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1320 Vgl. dazu Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 245. 1321 Martin/Reitz/Wehn, Kreditderivate und Kreditrisikomodelle, S. 245. Vgl. auch Barnier, MEMO/11/713, S. 2 f., 7 f.; Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3. 1322 In Bezug auf die Derivate im Allgemeinen Piketty, Capital, S. 193, Fn. 28: Derivate „are like insurance contracts indexed to theses primary assets or, perhaps better, like wagers, depending on how one sees the problem (…). It is nevertheless important to realize that these quantities of financial assets and liabilities, which are higher today than ever in the past (…) by definition have no impact on net wealth (any more than the amount of bets placed on a sporting event influences the level of national wealth).“ (Hervorhebung durch Verfasser). 1323 Vgl. Münchau, Time to outlaw naked credit default swaps, in: Financial Times, 28.2.2010: „Economically, CDSs are insurance for the simple reason that they insure the buyer against the default of an underlying security. A universally accepted aspect of insurance regulation is that you can only insure what you actually own. Insurance is not meant as a gamble, but an instrument to allow the buyer to reduce incalculable risks. Not even the most libertarian extremist would accept that you could take out insurance on your neighbour’s house or the life of your boss.“ Vgl. gegen eine Charakterisierung des naked CDS als Spielvertrag Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 337 f. Siehe zum SCDS 1. Kapitel, unter B. II. 1. 1324 Barnier, MEMO/11/713, S. 1 ff.; Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 3. 1325 Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3 f., 9; Guzman/ Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6; Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 1, 4. Diesbezüglich Ingham, Capitalism, S. 262: „Buying a ,naked‘ creditdefault swap is linkened to taking out insurance on one’s neighbour’s house, which might encourage arson.“ Vgl. aber Howell, Eur Bus Org Law Rev 2016, 319, 335 f., die behauptet, dass der „buyer“ eines naked CDS nicht in der Lage sei, einen „Default“ von dem Referenzschuldner zu provozieren. Der dargelegte „trial of the century“ zwischen dem Fonds NML Capital und Argentinien und die damit verbundenen Derivate bringt trotzdem klar zum Ausdruck, dass diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist. Siehe dazu 1. Kapitel, unter B. I. 2. und II. 2.
F. Ergebnisse
263
2.
Die Korrelation zwischen Vertragsfreiheit und Vertragstreue basiert auf einem janusköpfigen Menschenbild und wird durch dieses legitimiert. Sie geht davon aus, dass der Mensch einerseits eine ethische Person mit Willensfreiheit und andererseits ein homo oeconomicus mit wirtschaftlicher Freiheit und Neigung zum lukrativen Austausch ist.
3.
Das ethische Modell des Menschen mit individueller Willensfreiheit gehört zu den Grundwerten der westlichen Kultur. In ihm wird verstanden, dass die Person die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Selbstbindung und Selbstverantwortung hat. Diese stelle laut Hartmann ihr „ethisches Grundkönnen“ dar. Diese Macht manifestiere sich am deutlichsten in der natürlichen Fähigkeit der Menschen, sich auf andere einzulassen und Verantwortung durch Vereinbarungen zu übernehmen. Als Folge davon muss eine Rechtsordnung, die diese ethische Dimension der Person respektieren will, jedem Rechtssubjekt in Form der Korrelation von Vertragsfreiheit mit der Vertragstreue die Fähigkeit zum Abschluss verbindlicher und zeitlich sowie räumlich verteilter Vereinbarungen zuerkennen.
4.
Das wirtschaftliche Modell des Menschen des Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts, der homo oeconomicus, ist der zentrale Akteur der wirtschaftlich-sozialen Organisation des Westens. Er identifiziert sich mit einem freien, reifen, rational handelnden Individuum, das sich auf dem Markt selbstverantwortlich damit beschäftigt, seine Bedürfnisse durch seine eigene Anstrengung zu befriedigen. Dieses Subjekt ist der beste Richter für seine Bedürfnisse und Präferenzen. Es habe wiederum nach A. Smith eine natürliche Neigung zum lukrativen Tausch. Aus diesem Grund kommen diese Bedürfnisse und Präferenzen auf dem Markt durch den gegenseitigen Vertrag zum Ausdruck.
5.
Auf dem Markt stellt jeder Mensch entsprechend dem Wirtschaftsliberalismus eine Zweck-Mittel-Relation zwischen seinem verfügbaren Kapital, seinen eigenen Vorlieben und dem Preis der angebotenen Güter her. Bei dieser Rechnung wird sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft berücksichtigt. Nach einem Prozess des Feilschens und der Abwägung der verschiedenen Optionen trifft jedes Individuum eine vernünftige Auswahl zwischen den Angeboten. Das heißt, es tauscht in einer Welt der Knappheit eine gewünschte Ware, die es selbst hat, gegen eine andere, begehrenswertere Ware aus, die es nicht besitzt. Als Folge dieses Verhaltensprinzips werden die Anbieter von Waren, die die Verbrauchbedürfnisse zu einem niedrigeren Preis befriedigen, tendenziell durch erhöhten Umsatz und Gewinnsteigerung belohnt. Dies führt zu einem Wettbewerb zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern. Denn nur wer seine Waren an das attraktivste Preis-Leistungs-Verhältnis der Konkurrenten anpasst oder Innovationen zur Verbesserung eines solchen Verhältnisses einführt, kann die Chance auf Nachfrage erhalten.
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
6.
Basierend auf dem Marktmodell ist der Wirtschaftsliberalismus der Ansicht, dass die optimalste Ressourcenallokation durch die selbstregulierenden Kräfte des Marktes unter Ausübung der Vertragsfreiheit erfolgt.
7.
Der Vertrag, der im Kreislauf des freiwilligen Austausches des Marktes verwendet wird, ist nicht nur das Handgeschäft, sondern vor allem der moderne konsensuale Schuldvertrag. Beim manuellen Austausch sowie beim gegenseitigen Schuldvertrag werden Rechte ausgetauscht.
8.
Trotz des Gebots zur Freiheitsoptimierung setzt die vom Wirtschaftsliberalismus postulierte Gesellschaft zum ordnungsgemäßen Funktionieren die Einrichtung eines Systems von Belohnungen und Sanktionen voraus, da sie sich auf einen wettbewerbsorientierten Markt sowie seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur stützt. Die Grundlage dieser Anforderung liegt in der wirtschaftlichen Freiheit selbst. Denn wenn die Freiheit der Individuen wegen der Vermutung ihres rationalen Verhaltens respektiert wird, ist ein Mechanismus notwendig, um die Menschen davon zu überzeugen, dass sich eine solche Handlungsart lohnt. Dieses System muss sicherstellen, dass man immer für die Folgen des eigenen Handelns verantwortlich ist. Dies umfasst die Ergebnisse von Handlungen, die bei ihrem Erledigen rational schienen, aber deren Auswirkungen nicht vorteilhaft sind. Auf diese Weise wird zur Überprüfung des vergangenen Verhaltens und somit zur Selbstkorrektur sowie der Wettbewerb des Markts angeregt.
9.
Das System von Preisen und Sanktionen der Marktgesellschaft manifestiert sich im Schuldvertrag durch den Grundsatz der Vertragstreue. Diese garantiert, dass das, was für die Zukunft vereinbart wurde, eingehalten wird, unabhängig davon, ob dies zum Zeitpunkt der Erfüllung des Vereinbarten nachteilhaft erscheint. Dadurch werden der Abschluss von Einigungen mit vernünftigem Inhalt und die Selbstkorrektur des Marktes unterstützt: Derjenige, der eine nachteilige Vereinbarung getroffen hat, wird in seinen zukünftigen Geschäften versuchen, die vorausgegangene Zweck-Mittel-Relation zu verändern.
10. Neben der Optimierung des selbstkorrigierenden Marktmechanismus fördert die Gewährleistung der Vertragsbindung auch komplexe und umfangreiche Investitionen. Aus der von der Vertragsbindung resultierenden Gewissheit über die Erfüllung des Vereinbarten heraus können bestehende Vertragskredite in anderen verketteten Geschäftsaktivitäten virtuell verwendet werden und so den Austauschfluss stimulieren. Aus diesen Gründen wird die Korrelation von Vertragsfreiheit und Vertragstreue als Grundbedingung für die Funktionalität der Märkte postuliert. 11. In Anlehnung unter anderem an die Fähigkeiten des Menschen zur Selbstbestimmung und zum Austauschen, die den lukrativen Schuldvertrag legitimieren, legen gewisse Doktrinen in Übereinstimmung mit dem Vertragswesen nahe, dass die Bindungskraft der Willensvereinbarungen aus der Freiheit stamme und der Schuldvertrag sowie der lukrative Tausch notwendige, vorpositive und unabhängige Phänomene vom Staat und jeder Autorität seien. Der Austausch
F. Ergebnisse
265
sei die erste Beziehung zwischen zwei Menschen in einer Wüste mitten im Nirgendwo. Diese Lehren sind unter dem Namen der vorstaatlichen Vertragstheorien zu subsumieren. 12. Die vorstaatlichen Vertragstheorien begannen im Rahmen der Überwindung des römischen Vertragssystems des Form- und Typenzwangs diskutiert zu werden. Die wichtigsten Ansätze sind die Naturrechtsschule, die Apriorismus-Rechtslehre, die voluntaristischen Vertragsdoktrinen von Kant und G. Husserl sowie die liberale Markttheorie. 13. Nach den vorstaatlichen Vertragstheorien erfülle die Rechtsordnung in der Regel allein eine Zusatzfunktion des Vertrages. Sie beschränke sich auf die deklarative Aufnahme des Vertrages und die Verbesserung der Mechanismen seiner Vollstreckung. Die Durchsetzung des Vertrages durch staatliche Gerichte gehöre daher nicht zum Vertragsbegriff. Auch ohne die staatliche Vertragsvollstreckung bestünde laut diesen Lehren der obligatorische Austauschvertrag. Er könnte mit Selbsthilfe (G. Husserl), ebenso durch „Krieg“ (Naturrechtsschule, Kant), vollzogen werden, bzw. der Markt selbst etabliere alternative Sanktionsmechanismen (ökonomische Analyse des Rechts, Liberalmarkttheorie). Der Anarchokapitalismus behauptet sogar, dass der Staat beseitigt werden solle, damit die Vertragsdurchführung in den Händen privater Agenturen läge. Diese Agenturen würden auf dem Markt konkurrieren, um vertraglich als zuständig ausgewählt zu werden. 14. Alle vorstaatlichen Vertragsdoktrinen überzeugen insofern nicht als sie behaupten, dass die Fähigkeit des Menschen zur Willens- oder Austauschfreiheit für die Entstehung und Entwicklung des lukrativen Schuldvertrages ausreichend sei. Sie übersehen, dass der Vertrag eine kulturelle Schöpfung ist, die von bestimmten monopolistischen Strukturen abhängt, weshalb der Staat nicht lediglich ein Hilfsorgan des Vertrages ist. 15. Im „Niemandsland“ könnten Fremde einen einfachen faktischen Austausch vollziehen, der dem tatsächlichen Prozess des Tauschvertrages entspräche, der aber kein Vertrag wäre. Dieser erfordert vielmehr ein dreiseitiges Schema. Die latente Präsenz eines den Parteien fremden Dritten verhindert es, den Austauschvertrag in die Hände des Stärkeren zu legen: eines anderen Konfliktlösungsmechanismus als das Recht. 16. Der Austauschvertrag beinhaltet nicht an für sich im Falle der Nichteinhaltung das Recht auf „Krieg“. Dies stünde im Widerspruch zum Sinn dieses Geschäfts, denn der gegenseitige Vertrag strebt vielmehr an, einen Konflikt durch Kooperation zu beenden. Der „Krieg“ ist deswegen nur das Szenario bei Scheitern des Handels und des Vertragssystems: der Nichtvertrag. 17. Das Verbot der Gewalt in den Händen von Einzelpersonen und die Zuweisung des Gewaltmonopols an einen neutralen Dritten erleichtert, dass einander absolut Fremde es wagen, sich für die Zukunft zu einigen. Denn der staatliche
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
Vertragsvollstreckungsmechanismus schließt aus, dass die einseitige Kraft eines Vertragspartners dem anderen eventuell bei der Erfüllung des Vereinbarten auferlegt wird. Verschwände dieser vertragliche Durchsetzbarkeitsmechanismus, wäre der Schuldvertrag demnach in Gefahr und damit die langfristige Entwicklung der Marktwirtschaft beeinträchtigt. Der Markt wäre chaotisch und selbstzerstörerisch. 18. Die Zwangsvollstreckung des Schuldvertrages kann nicht vollständig durch alternative Sozialsanktionen ersetzt werden. Der außergerichtliche Mechanismus, wonach der Markt Nichtzahler ausschließen und Zahler mit mehr Geschäften begünstigen würde, würde nicht alle Funktionen des von der Marktgesellschaft geforderten Systems der Belohnungen und Sanktionen erfüllen. Er liefe Gefahr, dem Nichtzahler vertraglicher Schulden einen Vorteil zu verschaffen, die Vertragserfüllenden ungeschützt zu lassen und damit die Grundlage der Markttheorie zu verzerren. 19. Ein Markt von privaten Sicherheitsagenturen und Schiedsrichtern könnte das staatliche Vertragsvollstreckungssystem auch nicht völlig ersetzen. Die für den Vertragsschutz zuständige Instanz darf nicht den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen sein. Würde sie durch das Gewinnstreben bestimmt, entstände Korruption. Die Sicherheitsagenturen und die Schiedsrichter träten nicht mehr als geschäftsfremde Dritte auf und würden dazu neigen, die Verträge zugunsten derjenigen auszulegen und zu vollstrecken, die über größere Ressourcen verfügen. Ihr Verhalten wäre daher ähnlich wie das der nationalen Gerichtsbarkeiten, wenn sie miteinander auf dem internationalen Staatsanleihenmarkt konkurrieren, um als zuständig für die Lösung der Vertragskonflikte ausgewählt zu werden. 20. Ohne Zwang hat die Willensfreiheit keine Fähigkeit zur effektiven Verbindung. Der staatliche Vollstreckungsmechanismus nimmt die autonom gestaltete Vereinbarung, erkennt sie rechtlich als verbindlich an, erzwingt ihre Erfüllung und vermeidet so, dass die Autonomie auf einer lediglich intentionalen Ebene verharrt. 21. Die Präsenz einer Autorität ermöglicht einander absolut Unbekannten ohne vorherige soziale Bindung, sich gegenseitig als gleichwertig wahrzunehmen – was Voraussetzung jedes horizontalen Austauschs ist. Gleichheit ist ein komplexer und beziehungsorientierter Begriff. Man teilt seine Identität mit einem anderen im Vergleich zu einem Dritten unterschiedlicher Hierarchie, dennoch ist jeder einzigartig und anders. Darum würden Individuen in der Mitte des Nirgendwo ohne Autorität nicht unbedingt etwas austauschen. 22. Die Notwendigkeit eines Dritten entsteht in jeder sozialen Wechselbeziehung, solange das Verhalten als eine Frage der Selbstbestimmung und nicht als etwas Automatisches betrachtet wird. Für die Beziehungen zwischen Menschen ist folglich eine externe Verhaltensleitlinie notwendig, die die Beziehungen leitet
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und rechtfertigt, um beurteilen zu können, ob jedes freie Subjekt in der Gesellschaft richtig handelt und was sein Verhalten bedeutet. 23. Ohne institutionalisierte Regeln, die festlegen, unter welchen Umständen das angenommene Versprechen bindend ist, könnte weder die faktische Willensvereinbarung als Vertrag ausgelegt werden, noch wären die Folgen von Austauschen bekannt. Aus diesem Grund ist der neoliberale Diskurs der „Deregulierung“ des Marktes unpräzise. Der Markt steht nicht im Gegensatz zum Staat. Er ist keine natürliche Spontaneität, die ohne Regulierungsstrukturen funktionieren könnte. 24. Der Schuldvertrag hat als Gegenstand, die Zukunft durch das gegebene Wort zu gestalten. Dazu benötigt er eine stabile Maßeinheit, die es ihm erlaubt, den Wert der Gegenwart in der Zukunft so genau wie möglich abzubilden. Das Geld dient diesem Zweck. Insbesondere auf dem Markt ermöglicht das Geld den Vertragspartnern, den Preis jeder Leistung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Preis zum Zeitpunkt ihrer Erbringung zu bestimmen. Auf diese Weise ist das Geld von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Preissystems und des Marktes im großen Umfang. 25. Das Geld ist entgegen der Annahme der orthodoxen Wirtschaftstheorie keine Folge des Tauschhandels und des vorstaatlichen Marktes. Diese sind dem Geld nachfolgend und daraus abgeleitet. Das Geld, ähnlich wie der Vertrag, ist eine Kreation des Staates oder einer ähnlichen Autorität zum Bewerten und zum Bezahlen von Verpflichtungen, die sie auferlegen (z. B. Steuerzahlung) oder die aus Straftaten resultieren. Seine Verwendung als Austauschmittel und als Maßeinheit für Vertragsleistungen ist solchen Funktionen nachgelagert. Einzelne akzeptieren das Geld als Zahlungsmittel auf dem Markt, weil der Staat seine Annahme für die Steuerzahlung verspricht. Die Produktion von Geld muss monopolisiert und kontrolliert bleiben, um seinen Wert und somit seine Funktion als stabile Maßeinheit zu gewährleisten. Der Wert digitaler Währungen wird nicht gesteuert, deshalb können sie nicht vollständig als Geld fungieren. 26. Der Mensch ist kein Tier, das natürlich feilscht und austauscht. Der Austausch stellt bloß eine weitere Möglichkeit der Warenübertragung dar. Das Paradigma des primitiven Menschen mit dem Hang zum lukrativen Tauschhandel, der Gründungsmythos der gegenwärtigen Wirtschaftsbeziehungen, ist unrichtig. Dieses Verhaltensmuster dominiert nicht in primitiven Gesellschaften, nicht einmal in den Jägervölkern, auf welche A. Smith sich bezieht. Die Tendenz innerhalb dieser Gesellschaften ist eher das Fehlen von Tauschhandel. 27. Gewisse primitive Gemeinschaften wie etwa einige aus Lateinamerika kannten weder Privateigentum noch eine vergleichbare Institution. Sie konnten also keinen Austausch durchführen, weil die Menschen sich dafür als Privateigentümer gegenseitig anerkennen müssen. In anderen Gesellschaften wie diejeni-
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
gen der Trobriandinseln des heutigen Papua-Neuguinea wurde die Großzügigkeit geschätzt, lukrativer Tauschhandel war verpönt, und weder der geringe Aufwand noch die Akkumulation galten als lobenswerte Prinzipien. 28. In primitiven Gesellschaften findet der Austausch mit fremden Völkern statt. Dieser Austausch ist jedoch keine Privatbeziehung, sondern eine Angelegenheit, die die gesamte Gemeinschaft betrifft. Dieser Prozess ist auch nicht auf eine einfache Übergabe reduziert. Er ist ein komplexer Akt der Loslösung, der Abgabe und des Erwerbs, der in besondere Verbote und Erlaubnisse aus Bräuchen und Riten gehüllt ist. Die Nichteinhaltung dieser Richtlinien kann die Nichtvornahme der Handlung bedeuten. Demzufolge gibt es keine allgemeine Idee vom primitiven Austausch, jede Gesellschaft hat vielmehr hinsichtlich einer anderen gewissermaßen eine Art „System des Form- und Typenzwangs.“ 29. Das Geld erlaubt es, den homo oeconomicus zu wecken und das Marktverhalten als internes Leitprinzip der Gesellschaft zu etablieren. Mit der Verwendung von Geld, einem staatlichen Instrument, können Waren und Dienstleistungen weitgehend von den sozialen Bedingungen ihrer Anbieter abstrahiert werden, um Gegenstand des Marktvertrages zu sein und zu einfachen Zahlen zu werden. 30. Der lukrative Tauschhandel tritt erst dann innerhalb einer Gesellschaft als die vorherrschende „Neigung“ des Menschen in Erscheinung, wenn das Geld fehlt oder zerstört wird und die Gesellschaft sich an das Marktsystem gewöhnt hat. Hierbei überlebt der homo oeconomicus, hat aber kein Geld mehr. Dies ist derzeit beispielsweise in Teilen Venezuelas der Fall. Die menschliche Neigung zum Tauschhandel ist also ein post-monetäres und damit post-staatliches Phänomen. Die Bedingungen für seine Entwicklung sind die umfassende Dezentralisierung der Güterproduktion und die Knappheit des Geldes. 31. Die „aufgeschobenen Zahlungssysteme“ bestimmter nichtstaatlicher Gemeinschaften können nicht ohne Weiteres als Schuldverträge verstanden werden. Die unvorsichtige Extrapolation westlicher und moderner Rechtskonzepte auf andere Gesellschaften als die ihrer Herkunft kann zu analytischer Blindheit bzw. zu analytischem Bias führen. Man kann wichtige Gegebenheiten innerhalb des Systems der „aufgeschobenen Leistungen“ der beschriebenen Gemeinschaft aus den Augen verlieren. Ein konkretes Beispiel der analytischen Blindheit ist die fehlerhafte Konzeptualisierung der Beziehung der lateinamerikanischen Völker zum Land durch spanische Siedler. Diese verstanden, dass ein Feudalstaat (ein damals in Lateinamerika nicht existentes Konzept) dort vorlag, in dem der Häuptling der Feudalherr gewesen sei und die Bewohner des Territoriums ihre Vasallen gewesen seien. Sie achteten nicht auf das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der Stämme untereinander und dem Stamm als Ganzes zur Erde. 32. Die Art und Weise der Konzeptualisierung der nichtwestlichen Kultur mit den juristischen Konzepten des Okzidents kann wegen ihres Eurozentrismus den Wert der Vielfalt und die Postulate des postmodernen Rechtsvergleichs verletzen.
F. Ergebnisse
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33. Der gegenseitige Vertrag mit seiner rechtlichen Verbindlichkeit darf nicht als die eine Austauschform, sondern vielmehr nur als eine weitere Form des Austauschs verstanden werden: die westliche Austauschweise. 34. In der Neuzeit stellte das Prinzip pacta sunt servanda die Unwichtigkeit der Form für den Vertragsabschluss fest, nicht jedoch die inhärente Verbindlichkeit der einfachen Vereinbarung. Der Grundsatz ist nach wie vor entgegen der Ideologie des Vertragswesens pactum non obligat per se. 35. Die natürliche Freiheit des Menschen ist notwendig, doch nicht ausreichend zur Schaffung eines Schuldvertrages. Die Vertragsfreiheit und die Vertragstreue erscheinen als außerrechtliche Postulate von Ethik und Marktwirtschaft in der westlichen Rechtsordnung. Ihr Rechtscharakter wird aber erst mittels ihrer Anerkennung durch die Rechtsordnung erworben: Die Vertragsfreiheit ist eine „normativ konstituierte Freiheit.“ 36. Die Umwandlung der bloßen natürlichen Freiheit in Vertragsfreiheit mit Bindungsfähigkeit erfolgt über Kompetenznormen. Diese geben dem Willen die Möglichkeit, Rechtsgeschäfte vorzunehmen und damit die Fähigkeit, Rechtspositionen willentlich zu ändern. Diese Normen erfassen die freiwilligen Handlungen der Einzelnen, erkennen sie als rechtlich an und bieten ihnen dabei einen gewissen Schutz. 37. Die Bindungskraft der Vereinbarung ist auf die freiwillige Verwendung der durch die Kompetenznormen der Rechtsordnung anerkannten Rechtsfigur des Schuldvertrages zurückzuführen. 38. Die besonderen formalen und materiellen Voraussetzungen für das Entstehen sowie den Umfang der Rechtsfolgen des Vertrages werden von jeder positiven Rechtsordnung bestimmt. 39. Heutzutage existiert ähnlich wie im Römischen Recht noch ein System des Form- und Typenzwangs, allerdings nicht mehr von Verträgen, sondern von Rechtsakten (W. Flume). Denn in jeder Rechtsordnung steht den Individuen durch Kompetenznormen lediglich ein numerus clausus von Aktstypen zur Verfügung, mit denen sie ihre Rechtsverhältnisse freiwillig gestalten können. 40. Diese Typizität von Rechtsakten trägt zum Grundsatz der Rechtssicherheit bei, der in der Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, da sie für die Einzelnen die Planbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsfolgen ihrer Aktivitäten innerhalb klarer institutioneller Rahmen zulässt. 41. Der Schuldvertrag gilt seit der Neuzeit als ein allgemeiner Vertragstyp. Er ist grundlegend für die Marktwirtschaft, ist das wichtigste und am häufigsten verwendete Rechtsgeschäft und wird in modernen Rechtssystemen anerkannt. 42. Trotz der Anerkennung des Schuldvertrages als allgemeiner Vertragstyp gibt es in modernen Rechtssystemen einige besondere Abweichungen bezüglich dieses Rechtsgeschäfts. Diese Abweichungen sind ein weiterer Ausdruck der rechts-
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3. Kap.: Der Ursprung der Bindungskraft der lukrativen Schuldvereinbarung
geschäftlichen Typizität des Privatrechts. Beispielsweise versagt das BGB der Wette die Bindungskraft (§ 762 BGB) und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verbot im Jahr 2010 die naked sovereign credit default swaps (SCDSs). 43. Die Versagung der Bindungskraft der Wette und das Verbot der naked SCDSs sind Ausdruck davon, dass die Rechtsanerkennung der Vertragsfreiheit und der Vertragstreue dem Marktwirtschaftsmodell entspricht. Die Art der diesen Geschäften zugrunde liegenden Risikobereitschaft ist nicht schutzwürdig. Rein spekulative Geschäfte erfüllen keine sinnvollen Aufgaben innerhalb des Marktmechanismus und motivieren zu seiner betrügerischen Manipulation.
Schlussbetrachtungen: Zurück zu „der globalen Finanzwüste“ „The very fact that we don’t know what debt is, the very flexibility of the concept, is the basis of its power.“ Graeber, Debt: The First 5000 Years (2011), S. 5.
Der Vertrag ist ein Begriff, der der westlichen Gesellschaft gemein ist.1 Jeder hat eine Vorstellung von diesem freiwilligen Austauschmechanismus und er wird metaphorisch in den vielfältigsten Situationen eingesetzt, zum Beispiel in partnerschaftlichen Beziehungen.2 Diese Popularisierung des Vertrages begann grundsätzlich in der Neuzeit mit dem Verschwinden des römischen Vertragssystems des Form- und Typenzwangs, der Entstehung des liberalen Staates und der daraus resultierenden Bildung der Marktgesellschaft3: die „Kontraktgesellschaft.“4 In dieser massiven Verbreitung des Konzepts des Austauschvertrages gerät jedoch seine grundlegende Funktionsstruktur in Vergessenheit und der Vertrag wird schließlich gewissermaßen mit der Willensvereinbarung gleichgesetzt. Es wird der gesunde Menschenverstand entwickelt, dass das gegebene Wort universell per se binde und dass der Mensch eine natürliche Neigung zum lukrativen Tausch und Austausch habe.5 Aus diesen Postulaten wird die gegenwärtige Ideologie des Vertragswesens und der zweiten Globalisierung, die seit Ende des letzten Jahrhunderts besteht, genährt.6 Letztere fördert, wie erwähnt, die materielle und räumliche Erweiterung des lukrativen Austauschs, nicht aber die Internationalisierung seiner institutionellen Funktionsgebilde.7 In dieser Konzeption dominiert der Diskurs über die Deregulierung des Marktes und der Staat wird in der Regel als bloße Ergänzung des Marktvertrages angesehen.8
1
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 307: „Der Begriff desselben [des Vertrags] ist Allen, auch außer dem Gebiet unsrer Wissenschaft, geläufig.“ 2 Len Catron, To Stay in Love, Sign on the Dotted Line, in: New York Times, 23.6.2017: „A few months ago my boyfriend and I poured ourselves two beers and opened our laptops. It was time to review the terms of our relationship contract.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 3 Siehe 2. Kapitel, unter D. und 3. Kapitel, unter seiner Einleitung und B. 4 Weber, Rechtssoziologie, S. 107, 169. 5 Siehe Einleitung, unter A. und 3. Kapitel, unter C. 6 Vgl. Supiot, Homo juridicus, S. 142 ff. 7 Siehe dazu 1. Kapitel, unter seiner Einleitung. 8 Siehe Einleitung, unter A. II. und 1. Kapitel, unter seiner Einleitung.
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Schlussbetrachtungen: Zurück zu „der globalen Finanzwüste“
Dieser Mangel an globaler Institutionalisierung führt dennoch zu Problemen bei einigen internationalen Austauschen, wie etwa bei Staatsanleiheverträgen9 und den daraus resultierenden Derivatekontrakten.10 Diese beiden Arten von Geschäften können manchmal aufgrund des Fehlens globaler Institutionen nicht durch das Vereinbarte geregelt werden und in den Händen „eines partiellen Dritten“ liegen. Sie können dem Gesetz des Stärkeren unterworfen sein.11 Im Staatsanleihevertrag veranlasst der globale Wettbewerb der Rechtsordnungen die nationalen Gerichtsbarkeiten, sich zugunsten privater Gläubiger zu entscheiden: für die Eigentümer von transnationalem Kapital.12 Auf diese Weise werden die Gerichtsbarkeiten kommerzialisiert.13 Bei dieser Kommerzialisierung kann die Rechtssicherheit außerdem unmittelbar beeinträchtigt werden, wie beispielsweise als die Anwendbarkeit der Champerty-Doktrin auf Antrag des Gläubigers im Rahmen des Prozesses zwischen Argentinien und NML Capital rückwirkend modifiziert wurde.14 Dies verzerrt die Entwicklung des Staatsanleihevertrages und des Systems der Belohnungen und Sanktionen des Staatsanleihenmarktes. Die mangelnde Transparenz der Ausschüsse zur Bestimmung von Staatsanleihederivaten verhindert ihrerseits zu erkennen, ob die Mitglieder jener Entscheidungsinstanz ein Interesse an den zu ermittelnden Geschäftsfolgen haben.15 Ein Vertragspartner eines sovereign credit default swap (SCDS) kann gleichzeitig Richter und Partei sein.16 Dies beeinträchtigt das Funktionieren des Staatsschuldenderivatekontrakts und des Systems der Belohnungen und Sanktionen des Marktes dieser Derivate. Die naked SCDSs ermutigen ebenfalls dazu, die vertragliche Nichteinhaltung durch den Staatsemittenten zu beeinflussen.17 Ein Hold out-Anleihegläubiger mit einem naked SCDS betreffend umstrukturierter Anleihen kann beispielsweise den Emissionsstaat verklagen, damit die Zahlung der umstrukturierten Anleihen blockiert wird und somit das naked SCDS eingezogen wird.18 Diese Art von Wetten stört daher auch die stabile Entwicklung des Staats-
9
Dazu siehe 1. Kapitel, unter B. I. Siehe 1. Kapitel, unter B. II. 11 Siehe 1. Kapitel, unter B. I. 2. und II. 2. 12 Siehe 1. Kapitel, unter B. I. 2. 13 Siehe 1. Kapitel, unter B. I. 2. 14 Die Champerty-Doktrin ist in Section 489 des New York Judiciary Law enthalten und verbietet den Kauf von ausgefallenen Anleihen zu einem bestimmten Betrag mit der Absicht, deren Emittenten zu verklagen. Im Jahr 2004 wurde der betroffene Betrag durch LobbyingMaßnahmen der Spekulationsfonds modifiziert, sodass die argentinischen Anleihen von dem Anwendungsbereich der Champerty-Doktrin ausgeklammert wurden, auch wenn diese Anleihen vor dem Jahr 2001 emittiert wurden. Siehe dazu 1. Kapitel, unter B. I. 2. 15 Siehe 1. Kapitel, unter B. II. 2. 16 Siehe 1. Kapitel, unter B. II. 2. 17 Siehe 1. Kapitel, unter B. II. und 3. Kapitel, unter E. II. 2. 18 Vgl. Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3; Guzman, CIGI Paper No. 110, 1, 14. Zu anderen Möglichkeiten der „Hold out- und Akkordstörern“, die Zahlung von Umschuldungen zu beeinträchtigen, um die Vorteile von den nackten CDSs zu 10
Schlussbetrachtungen: Zurück zu „der globalen Finanzwüste“
273
anleihenmarktes.19 Diese Defizite der Finanzmärkte werden nicht global durch Regulierungen korrigiert und es wird nahegelegt, dass der freiwillige Austausch das Problem selbst lösen solle20: Der Vertrag wird also „der globalen Finanzwüste“ überlassen.21 In dieser Studie wurde allerdings dargestellt, dass der lukrative Schuldvertrag weder autonom noch universell und selbstregulierend ist. Der Staat ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Physiognomie. Der Grundsatz pacta sunt servanda als Bindungskraft des Konsenses ist abhängig von der Anerkennung des Rechtakts des „Schuldvertrags“ durch die Rechtsordnung22 und der lukrative Austausch ist kein universelles Verhaltensprinzip des Menschen.23 Der Schuldvertrag benötigt zum ordnungsgemäßen Funktionieren einen neutralen Dritten als Garant für seine Erfüllung24, die Gleichheit der beteiligten Parteien25, gemeinsame Verhaltensregeln dieser Parteien26 und das Geld als stabile Maßeinheit.27 Der lukrative Austausch als Prinzip des menschlichen Verhaltens wird durch das Geld etabliert und der lukrative Tauschhandel als vorherrschende Neigung des Menschen erscheint erst beim Verschwinden oder bei der Knappheit dieses institutionellen Instruments.28 Daneben wurde dargelegt, dass der Markt, ebenso wie der Vertrag, auf einen institutionellen Rahmen angewiesen ist.29 Sein rationaler Selbstkorrekturmechanismus erfordert außer der Gegebenheit der Vertragsvoraussetzungen ein vorhersehbares System von Belohnungen und Sanktionen, das von einem dem Markt fremden Dritten verwaltet werden soll.30 Ohne diese Elemente ist dieser Raum für lukrative Austausche selbstzerstörerisch.31 Auf der Grundlage dieser Ergebnisse ist es lege ferenda notwendig, die mangelhafte Rechtsarchitektur des globalen Staatsanleihenmarktes und des damit verbundenen Derivatemarktes neu zu gestalten.32 Die erwähnten Mängel sind so kassieren Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 2 f.; auch Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3, Fn. 24. 19 Siehe 1. Kapitel, unter B. II. und 3. Kapitel, unter E. II. 2. 20 Siehe 1. Kapitel, unter C. 21 Zum Vertrag in der Wüste siehe 3. Kapitel, unter C. II. und IV. 3. b) bb). 22 Siehe 3. Kapitel, unter E. I. 23 Siehe 3. Kapitel, unter D. VI. 24 Siehe 3. Kapitel, unter D. II. 25 Siehe 3. Kapitel, unter D. III. 26 Siehe 3. Kapitel, unter D. IV. 27 Siehe 3. Kapitel, unter D. V. 28 Siehe 3. Kapitel, unter D. VI. 3. 29 Vgl. Supiot, Der Geist von Philadelphia, S. 48; auch J. Flume, Marktaustausch, S. 80. 30 Siehe 3. Kapitel, unter B. III. und D. II. 31 Siehe 3. Kapitel, unter D. II. und V. 32 Ähnlich Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 8 ff.; Guzman/ Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1 ff.; Martínez Delgado,
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schwerwiegend, dass sie in klarem Gegensatz zu einer Welt stehen, die den westlichen Markt als System der ökonomisch-sozialen Organisation fordert.33 Zunächst muss die Möglichkeit zur Wahl der zuständigen Gerichtsbarkeit im Staatsanleihevertrag auf dem Rechtsmarkt abgeschafft werden.34 Dies würde durch die Gründung eines internationalen Gerichtshofs mit ausschließlicher Zuständigkeit und Spezialisierung auf Staatsanleihen erreicht werden.35 Dieser Gerichtshof müsste gegenüber den Anleihegläubigern, aber auch gegenüber den Emissionsstaaten neutral sein.36 Der Internationale Seegerichtshof37 und der Internationale Strafgerichtshof könnten als Vorbilder für diese Einrichtung dienen.38 Seine Mitglieder müssten aus verschiedenen Nationen stammen und für eine begrenzte Zeit ernannt werden sowie nachgewiesene Kenntnisse in Makroökonomie, Finanzen, Vertragsrecht und Insolvenzrecht haben.39 Die Pluralität der Herkunft der Richter würde die Erlangung von Unabhängigkeit erlauben.40 Aus diesem Grund müssten sowohl die wichtigsten Rechtsfamilien als auch die verschiedenen Regionen der Welt unter den Richtern vertreten sein.41 Die Periodizität seiner Funktionen würde es allen Ländern ermöglichen, sich an dem Gerichtshof zu beteiligen.42 Dieser Gerichtshof müsste durch ein Abkommen im Rahmen der UNO geschaffen werden.43 Er könnte genau den vierten Grundsatz der UNO „Basic Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes“ des Jahres 2015 erfüllen.44 Dieser Grundsatz verlangt, wie bereits angedeutet, die Unparteilichkeit und die Unabhängigkeit aller an Staatsschuldenkonflikten beteiligten Institutionen.45 Dieser Gerichtshof müsste als ultima ratio wirken,
La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 3; dieselbe, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 2 f.; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1 ff.; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 7. 33 Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 2, sagte unter Bezugnahme auf die Krise des Jahres 2008 und die damit verbundene Eurokrise, dass der Finanzmarkt den Westen „aufgefressen“ habe. 34 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 35 M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81; in diese Richtung auch Martínez Delgado, La Ley 8.1.2019, (Parte I), 1, 3; dieselbe, La Ley 9.1.2019, (Parte II), 1, 4; Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 10; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3. 36 Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 77. 37 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 38 Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 17, 52. 39 Ausführlich zu den Merkmalen eines eventuellen internationalen Staatsanleihegerichts Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1 ff.; vgl. auch M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 40 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 41 Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3. 42 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81. 43 M. G. Casas/López Testa, Voces en el Fénix N8 63, 74, 81; Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 3. 44 Siehe oben 1. Kapitel, unter C. Fn. 184. 45 Siehe 1. Kapitel, unter C.
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nachdem alle privaten Verhandlungen zwischen den Emissionsstaaten und ihren Anleihegläubigern erschöpft wären.46 Zusätzlich zur Schaffung eines internationalen Gerichtshofs mit ausschließlicher Zuständigkeit für Staatsanleihen muss ein internationaler Finanzkodex ausgearbeitet werden.47 Darin müssten die Belohnungen und Sanktionen festgelegt werden, die vom geplanten Gerichtshof angewendet würden.48 Dieses Gesetzbuch müsste unter anderem die inhaltlichen Voraussetzungen sowie die Rechtsfolgen der verschiedenen Rechtsaktstypen festschreiben, die hinsichtlich des Wirtschaftsgeschäfts „Staatsverschuldung“ durchgeführt werden könnten. Beispielsweise sollte das naked SCDS als Rechtsaktstyp, wie es die Europäische Union im Jahr 2012 getan hat, nicht anerkannt werden49, da dieses Geschäft kein schutzwürdiges Risiko in der Marktgesellschaft darstellt.50 Die Möglichkeit eines weltweiten Verbots von den naked SCDSs wurde auf Vorschlag von Deutschland und Frankreich im Jahr 2010 im Kontext der G20-Verhandlungen diskutiert.51 Die im internationalen Finanzkodex anerkannten Rechtsaktstypen sollten nicht rückwirkend geändert werden, was die Vorhersehbarkeit des Staatsanleihenmarktes berührt, wie es – zugunsten des Gläubigers – mit der oben genannten Modifikation der Champerty-Doktrin der Fall war.52 Der internationale Finanzkodex müsste ferner klar angeben, welche Vermögenswerte der Aufhebung der staatlichen Immunität und unter welchen Bedingungen unterliegen könnten. Er müsste die eventuelle Vollstreckung in diese Vermögenswerte gewährleisten.53 Dies würde es den Anleihegläubigern ermöglichen, Sicherheiten zur Durchsetzung der Verpflichtungen der Emissionsstaaten zu erhalten, ohne ihre souveräne Immunität zu gefährden.54 Diese Kodifizierung müsste wiederum das Verfahren zur Umstrukturierung der Staatsanleihen im Detail vorschreiben. Dieses Verfahren müsste anhand der Dekodierung der vorgenannten UNO-Prinzipien gestaltet werden.55 Dabei müsste gemäß dem neunten Grundsatz zur Umstrukturierung nach Mehrheiten vorgesehen werden56, dass die im Zuge eines Gerichtsverfahrens getroffenen Mehrheitsvereinba46
Vgl. Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 57. So Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 14, 16, 52, 82; in diese Richtung auch Tropeano, La Ley 10.10.2014, 1, 4. 48 Vgl. Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 14. 49 Vgl. M. G. Casas, G-20 y deuda pública: cómo salvar al mercado de la praxis actual, in: Clarín, 5.12.2017, S. 27; Munevar, CDS sobre Deuda Soberana, S. 4. 50 Siehe 3. Kapitel, unter E. II. 2. 51 Vgl. Münchau, Time to outlaw naked credit default swaps, in: Financial Times, 28.2.2010; Sigrist, G20 einigen sich auf Schuldenabbau, in: Deutsche Welle, 27.6.2010. 52 Siehe 1. Kapitel, unter B. I. 2. 53 Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 54. 54 Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 54. 55 Zu einer Analyse der Folgen dieser Prinzipien Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 3 ff.; auch Plana/Madcur, La Ley 23.10.2015, 1 ff. 56 Siehe oben 1. Kapitel, unter C. Fn. 187. 47
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rungen über die staatliche Umschuldung alle Anleihegläubiger des Emissionsstaates binden würden.57 Diese Bindungskraft der Schuldenumstrukturierungen würde den Erfolg der „Geierfonds“ und der „Akkordstörer“ vereiteln.58 In Verbindung damit müsste das Verfahren zur Umstrukturierung der Staatsanleihen allen Gläubigern die Pflicht auferlegen, ihre Positionen in SCDSs hinsichtlich der betroffenen Anleihen zu melden.59 Dies stünde im Einklang mit dem dritten Prinzip der UNO zur Transparenz60 und würde es erleichtern zu erfahren, welche Anreize die Anleihegläubiger bei der Ablehnung einer angemessenen Umschuldung haben.61 Daraus würde zudem ersichtlich werden, ob die Mitglieder eines SCDS-Bestimmungsausschusses Interessen an den Staatsanleihederivaten haben, über die sie entscheiden müssen. Diese Verpflichtung würde demnach helfen zu verhindern, dass das Schicksal der Staatsanleihederivate von einer der Vertragsparteien einseitig entschieden werden kann, und damit ihren Markt bereinigen. Solange keine Maßnahmen zur Institutionalisierung des Staatsanleihevertrages und seiner Derivatverträge ergriffen werden, wird der fehlerhafte Weltfinanzmarkt zunehmend dem Verhalten der Brahmanen bei deren Wirtschaftsbeziehungen im östlichen Himalaya-Gebirge ähneln. Laut Feldstudien des französischen Anthropologen Jean-Claude Galey lebten Menschen aus den unteren Kasten der GarhwaliGesellschaft in dieser Region in den 1970er Jahren in einer Situation der permanenten Unterwerfung wegen ihrer „Verschuldung.“62 Die Männer dieser Kaste „liehen“ sich Geld unter anderem für die Heirat.63 Als eine Art „Garantie“ und „Kompensation“ für diese Geldübergabe forderten die „Gläubiger“ der Oberschicht in der Regel eine Frau aus der „Schuldnerfamilie.“64 Diese Position wurde manchmal sogar von der zukünftigen Frau des „Geldabnehmers“ besetzt.65 Nach der Trauungszeremonie sollte die Braut zunächst mit dem „Geldverleiher“ zusammenleben.66 Sobald dieser von der Braut gelangweilt war, wurde sie weit weg von ihren Verwandten und ihrem Volk als Prostituierte eingesetzt, bis die von ihrer Familie übernommenen „Schulden“ bezahlt waren.67 Erst als diese beglichen waren, konnte
57
Vgl. Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 7 f. Vgl. Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 7 f.; zudem Ugarteche/Acosta, POLIS N8 13 (2006), Rn. 1, 67. 59 Brooks/Guzman/Lombardi/Stiglitz, CIGI Policy Brief No. 53, 1, 3, 9; Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6. 60 Siehe oben 1. Kapitel, unter C. Fn. 182. 61 Guzman/Stiglitz, International policy analysis, FES New York, October 2016, 1, 6. 62 Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67 ff.; vgl. ferner Graeber, Debt, S. 9. 63 Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 72, 93. Ähnlich zu dieser Art der Schuldverhältnisse in Indien Atwood, Payback, S. 57. 64 Vgl. Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 93. 65 Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 93. 66 Vgl. Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 93. 67 Vgl. Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 93 f., 96 ff. 58
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die Braut nach Hause zurückkehren und ihr Eheleben aufnehmen.68 Dieses System verstößt gegen die Menschenwürde. Es wird jedoch nicht berichtet, dass die Regionsbewohner – wie bei einem großen Teil aller Finanzmarktteilnehmer – angesichts dessen etwa ein „Ungerechtigkeitsgefühl“ empfunden hätten.69 Dies ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die lokalen Brahmanen, die ultimativen Hüter der Moral, oft dieselben „Geldverleiher“ waren.70
68
Vgl. Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 93 f., 96. Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 94: „The attitude shown by Garhwali society towards prostitution is a relatively tolerant one.“ Vgl. Graeber, Debt, S. 9. 70 Galey, Creditors, Kings and Death, S. 67, 71, 89, 93 f. Vgl. auch Graeber, Debt, S. 9. 69
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Personen- und Sachwortverzeichnis a posteriori 142, 150 a priori 142 f., 150, 162, 169 f., 188 – Apriorität 144 f., 154, 160 acceptatio 78, 82, 103 accesorium sequitur principale 62 actio 57, 59, 62, 67, 72 f., 75 f., 108 Adam Smith 15, 28, 107, 123, 129, 138, 147, 176 ff., 180 ff., 189, 236 f., 239, 243, 263, 267 – An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations 177, 237 – Stecknadelfabrik 178 – Unsichtbare Hand 129, 182 Adolf Reinach 141, 143 ff., 153 ff., 158 ff., 169, 172, 175, 205 – Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes 144 – Versprechen als aprioristisches Phänomen 156 aequitas mercatoria 67 Afrika 68, 146, 231, 243 Aktstypen 257, 269 Alain Supiot 19, 32, 111, 191 Alexander Stöhr 144, 148 Alfred William Howitt 243 Allgemeine Rechtslehre 25, 154 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) 95, 98 Analytische Blindheit 249 f., 268 Andengemeinschaft 213 – Andendorfbewohner 249 f. – Andenkultur 214, 249 Andrea di Bonaiuto 72 – Andreae ab Exea 67 – Il Trionfo di san Tommaso d’Aquino 72 Anerkennungstheorie 21 f., 24 Angebot 32, 90, 95, 111, 124 f., 150, 194, 200 f., 204, 208, 219, 234, 244, 259, 263, 266 Annahme 78 f., 82, 85 ff., 90, 94 f., 109, 130, 150, 222, 258 f.
Anne Krueger 49 Anspruch 94, 155, 157 ff., 258 – Rechtsanspruch 82 Anthropologie 29, 191, 247 ff. – Juristische Schule der Anthropologie 247 ff., 251 – Wirtschaftsanthropologie 238, 247, 252 Antigonus 68, 70 Antike 215, 231 Anton Justus Thibaut 99 Aprioristische Rechtstheorie 19, 141, 143 f., 154 f., 157, 265 siehe auch a priori siehe auch Adolf Reinach Arbeit 113, 178, 180, 188 f., 193, 217, 231 f., 244, 261 – Arbeitskraft 125, 210, 231 – Arbeitsmittel 186 – Arbeitsteilung 17, 175, 178, 185, 216, 226, 235, 238 Argentinien 40 ff., 48 f., 201, 246, 249, 272 – Código Civil y Comercial 256 – corralito 202 – Feuerland 240 – Jujuy 249 Ashanti 146, 246, 248 f. Aufgeschobene Zahlungssysteme 246, 268 Aufklärung 84, 96 Auftrag 61 Augustinus von Hippo 71 f. – De mendacio 71 Ausfallrisiko 47 Auslobung 258 Austausch 16 ff., 20 ff., 29 f., 31, 35 f., 38, 46 f., 49, 53 ff., 89, 106 f., 113 ff., 125 f., 129 f., 135 f., 140 f., 152, 160, 174 f., 179 f., 183, 187, 189 ff., 196 ff., 203 ff., 209, 213 f., 216, 220 f., 226 f., 226 f., 230, 232, 236, 242 f., 250, 252, 263 ff., 268 f., 271 ff.
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Personen- und Sachwortverzeichnis
– als Verhaltensprinzip 22, 24, 55, 115, 124, 179, 181, 191, 232, 237, 245 f., 263, 267, 273 – Austauschbeziehung 207 f., 259 – Austauschfluss 138, 223, 264 – Austauschform 29, 252, 269 – Austauschfreiheit 128, 187, 265 – Austauschmechanismus 191, 271 – Austauschverhältnisse 17 ff., 35, 55, 233 – Austauschvertrag 26, 112, 115, 147, 179, 184 f., 193, 195, 197, 211, 265, 271 – Internationalisierung 18, 31, 49, 54, 271 – Marktaustausch 189 f., 208, 234 – Marktverhalten 16, 245, 268 – Naturalaustauschsystem 225 – Zwangsaustausch 208 Autonomie 116, 206 f., 210, 266 Autorität 22, 24 f., 53 f., 111, 114 f., 149, 185, 190, 198, 215, 224, 228 f., 231, 264, 266 f. siehe auch Staat – Monopolautorität 192
– Bindungsmacht 69 – Bindungswirkung 58, 68, 84, 91, 106 – Rechtsbindung 205 f. Bitcoin 184, 233 siehe auch Geld – Digitale Währung 21, 184, 233, 267 Boaventura de Sousa Santos 247 f. – Sociología jurídica crítica 247 Bourgeoisie 209 f. Brady-Plan 38 Brahmanen 276 f. Brasilien 193, 248 Bräuchen 242, 268 Brevarium Extravagantium 70 Bronislaw Malinowski 232, 250 f. Bundesgerichtshof (BGH) 43 Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 42 f. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 27, 58, 104 ff., 110, 134, 224, 256, 258 ff., 270 – Eduard Lasker 104 – Johannes von Miquel 93
Baldus de Ubaldis 75, 108 Bankensystem 201 f. Bankrott 201 Bargeschäft 176, 222 barter 123, 178, 244 siehe auch Austausch siehe auch Tausch – baraterier 244 – täuschen 244 – troquer 244 – truck 123, 178, 244 Basar 213 Bernhard von Pavia 70 Bibel 71 – Altes Testament 71 – Neues Testament 71, 177 Billigkeit 67 Bindung 20, 59, 69, 79 f., 91, 94, 98, 110, 147, 155, 159, 204 f., 215, 247, 252, 254, 266 siehe auch Verbindlichkeit – Bindungsfähigkeit 221, 254, 269 – Bindungskraft 30, 53, 56, 81, 102, 109, 111, 114, 141, 155, 160, 171 f., 175, 188, 247, 256, 261, 264, 269 f., 273, 276
Carl Menger 226 – Grundsätze der Volkswirtschaftslehre 226 – On the Origins of Money 226 Catallaxy 127, 197 – Catallactics 126 – katallassein 127 – katallattein 127, 197 – Marktwissenschaft 197 – Science of Exchange 126 causa 26, 34, 74 ff., 79, 82, 85, 88, 98, 101 f., 105, 108, 256, 259 – cause 34, 74, 79, 89, 91, 97, 109 Champerty-Doktrin 39, 42, 272, 275 Chartalismus 228 f. – Charta 228 Christian Hillgruber 147 Christian Thomasius 79, 84 ff., 88, 92, 102, 105 – Institutiones Iurisprudentiae Divinae 85, 92 Christian Wolff 79, 86 f., 88, 93, 95, 102, 105, 152 f., 194 – Grundsätze des Natur- und Völckerrechts 86
Personen- und Sachwortverzeichnis – Institutiones juris naturae et gentium 86, 93, 153 – Ius Gentium 86 – Ius naturae methodo scientifica pertractatum 86, 93 circulus in probando 131 Claude Lévi-Strauss 193 f. Claus Ott 183 clausula rebus sic stantibus 249 Claus-Wilhelm Canaris 118 Code Civil 28, 34, 80, 90, 96 ff., 104, 106, 131, 133, 255, 260 – Schuldrechtsreform 34, 96, 256 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 94 Collective Action Clauses (CACs) 51 f. – Aggregationsklauseln 52 communis opinio canonistarum 75 condictio ex canone 73, 203 condictio ex lege 63, 73 consensus 64, 79, 80, 82 ff., 87, 97, 105, 109, 151 consideration 27, 98, 259 contractus 56 ff., 61 ff., 77, 87, 90, 94 f., 108 f., 111, 175 contrat 28, 35, 89 ff., 96 ff., 111, 146, 255 contrat social 77 convenire 195 convention 58, 88 ff., 93 f., 96 f., 151 Corpus Iuris Civilis 78, 99 Credit Default Swap (CDS) 45, 47 ff., 262, 270, 272 – sovereign credit default swap (SCDS) 47 ff., 262, 270, 272, 275 f. Darlehen 60, 146, 183, 222 f., 248 siehe auch Geld siehe auch Zinsen Das gegebene Wort 18, 23, 35, 55, 57 ff., 65, 68 f., 76, 89, 92, 108 ff., 119, 176, 181, 199 f., 204, 206, 221, 255, 267, 271 Decretum Gratiani 70, 72 denuntiatio evangelica 73, 203 Derivat 35, 45 ff., 49 f., 54, 272, 276 – Basiswert 45, 47 – Derivatekontrakt 45, 272, 276 – OTC-Derivate 46, 49 – Staatsanleihederivate 272, 276 Deutsche Bank 46
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Deutschland 28 f., 37, 43, 53, 73, 80, 86, 98 f., 104, 106 f., 109 f., 127, 139, 224, 246, 275 siehe auch Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 262, 270 – Deutsche Demokratische Republik (DDR) 31 Dingliches Recht 133 f., 260 donatio non praesumitur 260 droit à la différence 251 Durchsetzbarkeit des Vertrags 72, 139, 148 f., 159, 170, 198, 200 f., 206, 265, 275 – Durchsetzungsmechanismus 22, 183, 202, 266 ecclesiastica disciplina 73 Edmund Husserl 143 f., 153, 171 Eigentum 21, 66, 131, 135, 154, 160, 164, 183 f., 187, 196, 204, 221, 250, 260 – Eigentumsrecht 56, 133, 260 – Eigentumsübertragung 82, 103, 185, 260 – Privateigentum 21, 160, 184 f., 188, 238 f., 267 – propiedad comunitaria indigena (Gemeinschaftseigentum) 239 Einheimische 231, 244, 252 Einigung 16, 27 f., 38, 40, 58, 62, 75, 79, 81, 98, 106 f., 109 f., 112, 137, 155, 194, 207, 248, 256, 264 siehe auch Konsens siehe auch pactum siehe auch Vereinbarung – Vertragseinigung 91 – Willenseinigung 23, 27, 90, 98, 104 f., 111, 261 Einkaufszentrum 213 Einwilligung 61, 87 f., 243 Embargo 43 f. Emmanuel Carrère 212 – Limonov 212 Enforcing Contracts 139 England 37 Erfüllung 17, 23 f., 31, 48, 54 f., 57, 59 f., 62, 73, 82, 107 f., 113, 131, 139, 151, 170, 181 f., 190, 198 ff., 203, 205 f., 221 f., 259 ff., 264, 266, 273
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Erkenntnistheorie 142 Eroberung 178, 232 Ethik 100, 116, 119 ff., 125, 145, 162, 253, 269 – Ethisches Modell des Menschen 114, 122, 263 – Ethnologie 238 – Wirtschaftsethik 184 Eugen Ehrlich 148 Eurokrise 262 Europäische Union 32 f., 211, 228, 275 – Grundfreiheiten 33 Eurozentrismus 251, 268 ex concilio Africano 68 ex nudo pacto actionem non nasci 57, 62, 64, 67, 73, 76, 108 ex nudo pacto oritur actio 57, 76 extra commercium 66 Feudalstaat 250, 268 Finanzkrise 2008, 17, 46 Finanzmarkt 22, 30, 35, 53, 273 – Finanzmarktliberalisierung 46 – Weltfinanzmarkt 276 first-user-first-owner rule 184 Florenz 72 fori civili 73 Form- und Typenzwang 23, 57 ff., 63, 65, 67, 76, 107 f., 111, 115, 189, 242 f., 253, 257, 265, 268 f., 271 siehe auch Vertragstyp – Formanforderung 56, 108, 189, 253 – Typizität 25, 57, 257, 260, 269 f. Francisco de Goya y Lucientes 74 – La maja desnuda 74 – La maja vestida 74 Frankreich 34, 80, 88, 90, 96, 106, 110, 127, 139, 189, 256, 275 siehe auch Code Civil Franz Wieacker 82 Frauenrat 238 Fregatte „Libertad“ 43 f. Freiheit 22, 24 f., 60, 77, 82, 100, 104, 112 ff., 121, 128, 130, 133, 135 ff., 140, 161, 163 f., 166, 168 ff., 175, 186, 203, 209, 211, 253 ff., 263 f., 269 – Freiheitsoptimierung 264 – Freiheitspartikel 130, 135
– Freiheitsveräußerung 150 Fremdbestimmung 210 Frieden 61, 69, 152, 171, 196 f. Friedrich August von Hayek 28, 32, 127, 197 – Law, Legislation and Liberty 127 Friedrich Karl von Savigny 99 ff., 134 siehe auch Willensvereinigung Friedrich Wilheim I. von BrandenburgPreußen 85
G20, 275 Gaius 60 Garhwali-Gesellschaft 276 Geben 91, 133, 168 Gebot 57, 69, 78, 91, 109, 145, 151, 181, 264 Gebrauchsgut 233 Geierfonds 29 f., 42, 50 f., 276 – Elliot Associates LP 38 ff., 49 – NML Capital 39 f., 42 f., 49, 272 Geld 20, 24, 41, 107, 183, 189 ff., 193, 214 ff., 245, 267 f., 273, 276 siehe auch Bitcoin siehe auch Chartalismus siehe auch Modern Monetary Theory siehe auch Zinsen – als Austauschmittel 217, 225, 227, 233, 245, 267 – als Kreation des Staates 267 – als Maßeinheit 190, 218 ff., 229, 233, 267, 273 – als Standard der zeitlich aufgeschobenen künftigen Zahlungen 220 – als Wertaufbewahrung 217, 220 – als Zahlungsmittel 217, 228, 230 f., 233, 267 – Bolivar 246 – Deflation 234 – Devisen 246 – Dollar 37, 42, 48, 202, 224, 230, 233 – Fiatgeld 215 – Hyperinflation 223 f., 246 – Inflation 212, 217, 224, 234 – Mark 224 – Money begets money 223 – Rubel 212, 217
Personen- und Sachwortverzeichnis – Währung 21, 25, 29, 36 f., 114, 183 f., 202, 208, 217, 233 f., 267 – Warengeld 215 – Zentralbank 234 Georg Friedrich Knapp 228 f. siehe auch Chartalismus – Staatliche Theorie des Geldes 228 Georg Jellinek 115 Gerechtigkeit 34, 92, 150, 152 Gerhard Kegel 66 Gerhart Husserl 20, 146, 161, 171 ff., 191, 200, 265 siehe auch Rechtsphänomenologie siehe auch Wüstenbeispiel – Recht und Zeit 175 – Rechtsgemeinschaft 163, 166 – Rechtskraft und Rechtsgeltung 172 – Vertragsrechtsgemeinschaft 175 Gerichtsbarkeit 41 f., 51, 53 f., 204, 208, 266, 272, 274 – Forum Shopping 37 – Gerichtsbarkeitskonkurrenz 35 Geschäft 18, 26, 35 f., 38, 45, 47 f., 52, 54, 57, 67, 75, 129, 136 ff., 168, 182, 194, 199, 201 f., 222 f., 227, 233, 250, 257, 260 ff., 264 ff., 270, 272, 275 Geschenk 236, 241 Gesellschaftsvertrag 49 Gesetz des Stärkeren 18, 24, 191 f., 204, 272 Gesetz von Angebot und Nachfrage 32, 111, 204, 234, 266 Gesetzbuch 94 ff., 256, 261, 275 Gesunder Menschenverstand 182, 237, 271 Gewalt 192, 196, 198, 265 Gewinnmaximierung 124 Gewinnstreben 199, 204, 238, 242, 266 Giasone del Maino 67 Glasgow 181 Gleichheit 91, 164, 209 f., 266, 273 siehe auch Rechtsordnungskonkurrenz – Globalisierung 19, 31 f., 54, 115, 271 – Liberalisierung der Handelsgrenzen 32, 34, 54 Goldman Sachs 46 Gott 57 f., 69 ff., 75, 79, 92, 108, 150, 152 Gottfried Feyerabend 103, 162 Gottlob Samuel Nicolai 86
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Gratus 69 Gregor IX., 68 ff. Griechenland 56, 123, 262 Gustav Radbruch 206 Halle 171 Handel 113, 180, 182 f., 187, 189, 191, 194, 217, 227, 234, 237, 265 – Handelsfreiheit 29 – Handelsmuster im Mittleren Osten 213 – Handgeschäft 129, 264 Hans-Bernd Schäfer 183 Hans-Hermann Hoppe 21, 184 – Anarchokapitalismus 21, 184, 203, 265 – Privatrechtsgesellschaft 21, 184, 203, 205 Heteronomie 206 f. Himalaya 276 Historische Rechtsschule 58, 98 ff., 109 f., 134 siehe auch Friedrich Karl von Savigny siehe auch Pandektistik homme situé 208 homo oeconomicus 24, 28, 114, 122 f., 125, 129, 137, 181, 245, 263, 268 homo philosophicus 104 Hugo Grotius 79 ff., 90 ff., 101, 130, 135, 150 ff., 156, 182 – De Iure Belli ac Pacis 80 f., 83, 92, 152 Huguccio von Pisa 70, 72 Ich-Du-Beziehung 192 Idealismus 58, 60, 100, 102, 109 Ideologie des Vertragswesens 16, 18, 22 ff., 31, 53 ff., 77, 83, 88, 97, 101, 107, 109 ff., 114, 141, 181, 187, 190, 213, 224, 234 f., 245, 253, 264, 269, 271 Immanuel Kant 20, 102 f., 132 f., 135, 143, 161 ff., 167 ff., 173, 187 f., 193, 265 siehe auch Trennungsprinzip – Die Metaphysik der Sitten 102, 162 – Intelligibler Besitz 165 ff. – Kategorischer Imperativ 163, 170, 193 – Naturzustand 164 ff., 170 f., 193 – Postulat des Privatrechts 165 f., 168 – Willkür 102, 132, 163 ff. – Zivilzustand 162, 164 ff., 170 – Zum ewigen Frieden 171
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Immunität 37, 43 f., 208, 275 – Staatsimmunität 36 Individualismus 122 Industrie 141, 183, 210 Industriegesellschaft 77 Institutioneller Rahmen 18, 22 f., 36, 56 ff., 63, 65, 67, 69, 76, 88 f., 91, 102, 108 f., 114, 189, 253, 255, 269, 273 intentio iuris 66 inter est 179 f. International Capital Market Association 52 International Monetary Fund (IMF) 36, 49 ff. International Swaps and Derivatives Association (ISDA) 45 f., 49, 54 – Credit Derivatives Determinations Committes 45, 276 International Tribunal for the Law of the Sea 44, 274 Internationaler Strafgerichtshof 274 Irokesenstämme 238 Isaac Newton 178 Isolierungsprinzip 100 Israel 53 Italien 37 iuramenta 71 ius civil 59, 108 ius strictum 61, 108 Jägerstamm 180, 238, 191, 237, 243, 267 Japan 37, 53, 249 – giri 249 Jean Domat 79, 88 ff., 93, 96 ff., 131, 140, 150 f. – Les lois civiles dans leur ordre naturel 88, 93 Jean-Claude Galey 276 Jean-Jacques Rousseau 77 Jeremy Bentham 136 Jesus 71 Joachim Hruschka 166 Johannes Teutonicus 73 John Locke 77, 184, 188 John Marchi 42 John Maynard Keynes 55, 229, 245 – A Treatise on Money 229 John Stuart Mill 219
John Williamson 31 Joseph Gallieni 232 Justinianus 72 Justiz 36, 42, 49, 183, 212
Kanada 53 Kanon 68 ff., 223 Kanonisten 23, 68, 73, 75, 79, 108 f., 212 Kapital 18, 31 f., 42 ff., 54, 124 f., 137, 261, 263, 272 – Kapitalmarkt 36, 42 – Kapitalverkehr 17 f., 31 f. Kapitalismus 186, 191, 201, 218, 222 – Karl Larenz 145 Karl Marx 190 Karthago 668 ff. Kauf 39, 60, 107, 195, 213, 227, 259 f. – Kaufleute 66 f., 149, 180, 183, 227, 239 – Kaufvertrag 134, 222, 260 Klagbarkeit 66, 72 f., 75, 113 – Klage 39 f., 50, 62, 64, 73, 139 – Nichtklagbarkeit 68, 73 – Unklagbarkeit der pacta 62, 66 f. Klaus Stern 146, 200 Knappheit 124, 219, 234, 242, 245, 263, 268, 273 – Law of Scarcity 242 Kodifikation 94 f., 99 – Kodifizierung 23, 80, 96, 98, 104, 131, 147, 228, 275 – Naturrechtskodifikation 83, 86, 94, 104, 109, 113, 239 Kognitionspsychologie 128 Kommerzialisierung 33, 36, 51, 66, 113, 191, 272 Kompetenznorm 254 f., 257, 269 Königreich Sachsen 98 Königsberg 103, 188 Konsens 23, 56 ff., 60, 64 f., 69, 77, 79 f., 82, 84 f., 87 ff., 94, 97, 101 ff., 107 ff., 113, 121, 131, 140, 173, 253, 256, 260, 273 siehe auch Einigung siehe auch pactum siehe auch Vereinbarung siehe auch Willensübereinstimmung – Konsensprinzip 90, 105, 110 f., 151 – Konsenstheorie 86, 90
Personen- und Sachwortverzeichnis – Konsensualvertrag 55, 77 f., 81, 85, 90, 111 f., 140, 186, 199, 259 Kontrahent 95 Kontraktgesellschaft 271 Kredit 40, 47 f., 132 f., 138, 169, 182, 199, 201, 221, 248 – Vertragskredit 264 Krieg 81, 83, 93, 152 f., 171, 194, 196 f., 207, 265 Kultur 15, 24, 28, 116, 174, 188, 213, 251, 263, 268 Lateinamerika 31, 239, 267 f. Law and Economics 16, 122 – Ökonomische Analyse des Rechts 148, 265 Legisten 57, 63 ff., 75, 89, 108 siehe auch causa siehe auch Vestiturtheorie – Glossatoren 63 f., 76 – Kommentatoren 63 ff. Lehen 186 Lehre von der Geschäftsgrundlage 224 Leibeigenschaft 209 Leistung 102 f., 106, 124, 132 f., 152, 157, 168 ff., 176, 187, 193, 199 f., 202, 221, 249, 263, 267 f. – Leistungspflichten 57 ff., 76, 90, 101, 109, 258 – Leistungsversprechen 62 Léobon Larombière 146 Lewis Henry Morgan 238 lex mercatoria 66 f. lex privata 93, 98, 106 Liber Extra 68 Liberalismus 27 f., 46, 122 f., 125, 136, 187, 236, 263 – Wirtschaftsliberalismus 128, 176, 263 f. Liberalmarkttheorie 265 London School of Economics 250 Madagaskar 232 Manuel Godoy y Álvarez de Faria 74 Marc-Philippe Weller 22, 84 María Victoria González de Prada 249 f. – Contrato y Reciprocidad 249 Markt 16 f., 19, 21 f., 24 f., 29 f., 31, 35, 45 f., 49 f., 52, 55, 111, 123 ff., 135, 137,
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148 f., 176, 180 ff., 185, 190 f., 195, 200 ff., 208, 210 ff., 215, 217, 219, 221 ff., 225, 227 f., 231 f., 234, 236, 245, 261, 263 ff., 271 ff., 276 – als Sanktionsmethode 202 f. – Deregulierung 17, 211, 267, 271 – Institutionalisierung 22, 49, 54, 186, 212, 258, 272, 276 – Marktfreiheit 211 – Marktgesellschaft 20, 28, 122 f., 125, 129, 136 f., 180, 187 ff., 195, 199, 202, 206, 209, 219, 223, 239, 242, 264, 266, 271, 275 – Marktkapitalismus 35 – Marktkultur 249 – Marktmechanismus 136 f., 261, 264, 270 – Marktpsychologie 236 – Markttheorie 28, 176, 184, 203, 215, 238, 265 f. – Marktvertrag 25, 28, 114, 190, 196, 224, 235, 245, 249, 252, 268, 271 – Marktwirtschaft 28, 122, 125, 129, 135, 200, 208, 215 ff., 233, 247, 252 f., 257, 259, 261, 266, 269 f. – Selbstkorrektur des Marktes 135, 264, 273 – Selbstregulierung des Marktes 201 siehe auch Gesetz von Angebot und Nachfrage siehe auch Globalisierung siehe auch homo oeconomicus siehe auch Preis Marktpopulismus 49, 53 Marshall Sahlins 252 Matthäus 71, 74 Menschenwürde 120 f., 193, 277 Merkantilismus 113, 189 Michail Gorbatschow 31 Michel de Montaigne 119 – Essais 119 Miete 60, 125, 138 Milton Friedman 180 Mittelalter 63 f., 66 ff., 79, 108, 113, 149, 191, 195, 203, 244 siehe auch Kanonisten siehe auch Legisten siehe auch Vestiturtheorie
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Modern Monetary Theory 215, 229 siehe auch Chartalismus siehe auch Geld Nambikwara 193, 243 Napoléon 96 Naturgesetz 21, 184 Naturrechtsprinzip 93, 151, 167 Naturrechtsschule 19, 23, 57 f., 76 ff., 86, 88 f., 91, 95, 102, 109, 112 f., 131 ff., 140, 144, 149 ff., 152 ff., 158, 161, 171, 176, 182, 186 f., 194, 215, 265 siehe auch Christian Thomasius siehe auch Christian Wolff siehe auch Hugo Grotius siehe auch Jean Domat siehe auch Samuel Pufendorf – Naturrecht 78 ff., 86 ff., 92, 96, 99, 103, 109, 114, 150 f., 161 f., 164, 177 Neigung zum lukrativen Austausch 15, 24, 28, 53, 114, 129, 180, 225, 236, 263, 267 f., 271 – als post-monetäres Phänomen 245 f., 268 Neoliberalismus 28, 30, 32, 54, 148, 212 siehe auch Friedrich August von Hayek Neuzeit 22 f., 123, 142, 186, 253, 257, 269, 271 siehe auch Naturrechtsschule Nichtstaatliche Gemeinschaften 246, 268 Nichtstun 91, 103, 133, 168 Nicolai Hartmann 116 ff., 125, 145, 263 Niemandsland 190 f., 207, 209, 265 siehe auch Wüstenbeispiel Nullsummenspiel 196 numerus clausus 59 f., 76, 257, 260, 269 Obligation 135, 169 ocupatio bellica 196 officium iudicis 73 Ökonomie 21, 29, 126 ff., 177 f., 184, 191, 196 f., 226 Okzident 18, 29, 239 f., 249, 251, 263, 268 Optantius 69 Österreichische Schule 16, 21, 184, 226 Oxford University 126 Pachamama Pacht 60
240
pacta conventa servabo 62, 69 pacta quantumcunque nuda servanda sunt 68 f., 108, 202 pacta sunt servanda 15, 19, 23, 55, 57, 68, 80, 91 f., 106 ff., 112, 115, 121 f., 135, 137 ff., 144, 152, 167, 175, 205, 221, 249, 253, 269, 273 siehe auch Das gegebene Wort siehe auch Vertragsbindung siehe auch Vertragstreue Pacte 89 f. pactum 56 f., 61 ff., 73, 75, 77, 85, 87 f., 90, 108 f., 111, 150, 169, 197, 253, 269 siehe auch Einigung siehe auch Vereinbarung – pacta adiecta 62 – pacta nuda 57, 64 ff., 70, 72, 75, 79, 81, 85, 89, 94 f., 108, 150 – pacta praetoria 62 – pacta vestita 63 ff., 75, 79, 82, 85, 89, 94, 108, 150 – pactum geminatum 65 – pactum legitimum 63 – pactum re initum 132 pactum non obligat per se 253, 269 Pandektistik 83, 86, 99, 103, 105 siehe auch Historische Rechtsschule – Begriffsjurisprudenz 103 – Bernhard Windscheid 103 – Ferdinand Regelsberger 104 – Georg Friedrich Puchta 103 – Heinrich Dernburg 104 – Pandektenwissenschaft 86, 100, 103, 173 Papst Clemens V., 72 Papst Innozenz IV., 73 Pareto-Optimum 185 Parteilichkeit 36, 38, 50 Patagonien 240 Patristik 71 Paul Oertmann 224 Paul Singer 38, 42 Pedius 58 Peru 38 f. Pflicht 39, 83, 92, 130, 155, 167, 206, 276 Phänomenologie 143, 155, 161 siehe auch Adolf Reinach siehe auch Edmund Husserl – Reduktionsmethode 143, 171
Personen- und Sachwortverzeichnis Philip J. H. Grierson 243 Philipp v. Zeesen 196 Physiognomie 22, 30, 273 Physiokraten 189 Polis 123, 125 Postmoderne Rechtsvergleichung 251, 268 praesumptio levitatis 66 Prätor 62, 69 siehe auch Geld – Preis 39 f., 124 ff., 137 ff., 195, 212 ff., 218 f., 221, 223, 233, 263 f., 267 – Preismechanismus 30, 111, 208, 219, 234 Preußen 85, 95 Primitive Gesellschaften 16, 191, 232 f., 235, 237, 240, 242 f., 246, 267 f. siehe auch Ashanti siehe auch Garhwali-Gesellschaft siehe auch Jägerstamm siehe auch Nambikwara Primitiver Austausch 243, 268 Principle of Alternative Possibilities 117 Prinzip nullum negotium sine lege 257 Privatautonomie 19, 27 Privatisierung des Vertrages 54 Privatrecht 34, 54, 77, 147, 164 f., 168, 186, 260, 270 Projekt „Doing Business“ 138 promissa sunt servanda 92 promissio 78, 82 – nuda promissio 70, 73 Realismus 60 Realvertrag 56, 187 Recht auf Eigenarbeit 212 Rechtsakt 25, 115, 164, 211, 257 f., 260, 269 – Anerkennung des Schuldvertrages 76, 113, 121, 186, 212, 253, 250 f., 260 f., 269 f., 273 siehe auch Anerkennungstheorie – Rechtsaktstyp 258 f., 275 – Rechtsanerkennung 113, 261, 270 Rechtsfolge 25, 27 f., 91 ff., 102, 110, 112 f., 114, 134, 151, 255, 258 ff., 269, 275 – Vertragsrechtsfolge 92, 95, 98, 104, 106, 109 Rechtsgeltung 172 f.
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Rechtsgeschäft 95, 103, 112, 130, 135, 155, 159, 176, 190, 221, 254 ff., 260, 269 – Rechtsgeschäftslehre 86 – Rechtsgeschäftstyp 257 f. Rechtskraft 53, 62, 115, 146, 172, 175, 255 Rechtskreis 26, 79 f., 91, 96 ff., 109, 172, 174, 176, 259 – civil law 79, 109, 122 – common law 26, 90, 259 – Rechtsfamilie 33, 274 Rechtsordnung 19, 21, 24 ff., 28, 33, 38, 44, 49, 54, 99, 115, 121, 138, 141, 144 f., 148, 153 f., 159 f., 174, 198, 209, 247 f., 251, 253, 256 f., 259, 261, 263, 265, 269, 272 f. Rechtsordnungskonkurrenz 31 ff., 44, 49, 54 – Rechtsmarkt 44, 274 – Rechtsordnungswettbewerb, 31, 35, 54, 272 Rechtsphänomenologie 144, 153, 160 siehe auch Adolf Reinach siehe auch Aprioristische Rechtstheorie siehe auch Phänomelogie – phenomenological school of law 171 Rechtspositivismus 161 Rechtssachverhalt 172 Rechtssicherheit 19, 42, 200, 257, 269, 272 Rechtssubjekt 100, 121, 263 Rechtsverbindung 205 Rechtsverhältnis 100 f., 254, 257, 269 Rechtswirkung 91, 101, 109, 175 Regulierung 49, 157, 184, 211, 273 Reichtum 56, 177, 242, 262 res vacua 132 Ressourcen 78, 125 f., 128, 178, 204, 219, 235, 266 – Ressourcenallokation 128, 264 Revolution 66, 96, 98, 177, 188, 236 Reziprozität 240 Richard Rorty 187 Richter Robert W. Sweet 39 Richter Thomas Griesa 39 f., 43, 48 – #Griesafault 48 Rio de Janeiro 248 Risikobereitschaft 261, 270 Ritus 23, 58, 108, 232, 242 f., 264 Robert Alexy 210, 264 Robert Bartsch 196
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Robert Joseph Pothier 79 f., 88, 90 f., 94, 96 f., 131, 150 – Traité des obligations 90, 94 Robert Whately 126 f., 181, 197 Robinson Crusoe 160, 181 – Robinson-Status 146 Rom 56, 58, 60, 62, 77, 108, 189 – Römisches Recht 23, 25, 57, 59, 63 f., 57 f., 90, 115, 257, 269 – Römisches Reich 231 Ronald Dworkin 15 Rose Friedman 180 Rudolph v. Jhering 15, 201, 205 Russland 217 Samuel Pufendorf 73, 83 ff., 87 f., 92, 97, 101, 130 f., 140, 152 – De Amiciis Hominis Et Civis 152 – De Iure Naturae et Gentium 83, 92, 140 – De Officiis Hominis Et Civis 83, 92 Schenkung 60, 62 – Schenkungsversprechen 260 Schiedsrichter 21, 185, 203 ff., 266 Scholastik 71 f., 80 Schuld 15, 38, 40 f., 48, 120, 135, 138, 169 ff., 190, 218, 220 f., 248 f., 266, 276 Schuldenerlass 91, 96 Schuldverhältnis 106, 134, 256, 258 f. Schuldversprechen 82, 84, 86, 130 Schuldvertrag 18 f., 24, 26, 30, 53 ff., 80, 86, 89, 101, 105 f., 109 f., 114, 129 ff., 133 ff., 137, 140, 145, 153, 155, 167, 181, 186 f., 190, 198 ff., 202, 215, 220 f., 234 f., 246, 253, 255 ff., 259 f., 264 ff., 269, 273 Schweden 80 Schweiz 37, 68, 80 Seriositätsindiz 65, 75 Sicherheitsagentur 21, 185, 203 ff., 266 Siedler 226, 237, 250, 268 Silent trade 243 Sir Henry Maine 78 solus consensus obligat 80, 105, 109 Sophie Loidolt 158 Sowjetunion 26, 31, 211 – Kommunismus 26, 212 – Nomenklatura 212 – Perestroika 31 Soziale Insekten 210
Spanien 34, 37 Spätscholastik 78 Spende 42, 214 Staat 16 ff., 23 ff., 27 ff., 34, 36 ff., 41, 43, 48 f., 51, 53 ff., 77, 85, 101, 112 ff., 123, 126, 141, 145, 147, 149 f., 171, 174, 176, 182 ff., 190 f., 207 f., 210 f., 215, 224, 227 ff., 231, 235, 264 f., 267, 271, 273 siehe auch Autorität siehe auch Staatsanleihe – Staatsautorität 198 Staatsanleihe 35, 39, 43, 262, 274 ff. siehe auch Geierfonds – Akkordstörer 41, 51 f., 276 – Anleihe 36 f., 39 ff., 45, 48, 51 ff., 212, 262, 272, 276 – Anleihevertrag 38, 208 – Default 42, 48 – Emissionsstaat 37, 39, 42, 48, 262, 272, 274 ff. – Exchange- oder Compliance-Gläubiger 41 – Hold out-Anleihegläubiger 272 – Sovereign Debt Restructuring Mechanism 50 – Staatsanleihebedingungen 18, 36, 51 – Staatsanleihenmarkt 55, 204, 266, 272 f., 275 – Staatsanleihevertrag 36, 51, 272, 274, 276 – Staatsverschuldung 275 – Umschuldung 38, 40 f., 51 ff., 276 Staatsbankrott 37, 47 – Pleite 246 stat pro ratione voluntas 27, 259 status civilis 77, 164 status libertatis 77 status naturalis 164 status termini 222 status viae 222 Statut 66, 174 Ste Hélène 96 Steuer 230 f. – Impôt moralisateur 232 – Steuererhebung 185 – Steuerzahlung 229, 231, 267 stipulatio 60, 62, 64, 75 f., 101 studium lucri 199 summum bonum 128
Personen- und Sachwortverzeichnis Sünde 70 f., 74 System der Komplementarität und der Umverteilung des Überschusses 213, 249 f. System des primitiven Form- und Typenzwangs 242 System von Belohnungen und Sanktionen 135, 137, 201 f., 264, 266, 272 f. Tausch 20, 24, 28 f., 53, 107, 110, 114, 123, 147, 183, 189, 191, 193, 202, 213 ff., 225, 227, 233, 236, 238 f., 241 ff., 245, 260, 263 f., 271 siehe auch Austausch siehe auch barter – Markttausch 214 – Naturaltausch 227 – Tauschgeschäft 20, 101, 222 – Tauschhandel 16, 20, 22, 25, 28 f., 109, 129, 225, 228, 232 f., 235 f., 240 f., 244 ff., 267 f., 273 – Tauschvertrag 15, 107, 174, 176, 180, 191, 213, 261, 265 Testament 255, 257 The Big Short 46 – Adam McKay 46 – Michael Burry 46 f. – Michael Lewis 46 Theo Mayer-Maly 87 Theodor Buddeberg 247 – Rechtssoziologie des öffentlich-rechtlichen Vertrages 247 Thomas Hobbes 77 Thomas von Aquin 72 – Summa Theologiae 72 Trennungsprinzip 133 Treue 80, 94, 108, 142 Treuhandschaft 41 Trobriand-Inseln 232, 240 f., 250, 268 siehe auch Bronislaw Malinowski – Bwoitalu 232 – gimwali 241 – Oburaku 232 – Vaygua 242 Tun 91, 102, 133, 168 Ulpian 58, 64, 197 UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts 27
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United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods 27 United Nations Convention on the Law of the Sea 44 United Nations Organisation (UNO) – Basic Principles on Sovereign Debt Restructuring Processes 50, 274 ff. Universität Halle 84 Universität von Coimbra 247 Ureinwohner 231, 240 f. – Ureinwohnergemeinde 239 Uwe Wesel 247 Venezuela 246, 268 Verantwortung 119 ff., 195 f., 263 Veräußerung 102, 131, 186 f., 219 Verbindlichkeit 19, 23, 55, 58, 67 f., 70, 72, 77 ff., 81 ff., 85, 87, 89, 91, 93, 95, 106 ff., 115, 118, 138, 157, 159, 163, 182, 189, 212, 230, 235, 253, 259, 261, 269 siehe auch Bindung – Rechtsverbindlichkeit 25, 113, 158, 176 – Verpflichtung 23, 43, 57, 61, 89 f., 92, 107, 134, 137, 149, 156 ff., 169, 181, 197, 203, 205, 220 f., 229, 248 f., 258, 267, 275 f. – Vertragsverbindlichkeit 22 Verbraucher 124 f., 219 Vereinbarung 15, 18 f., 21 ff., 26 f., 45, 53, 55 ff., 60 ff., 67 ff., 73, 75 ff., 79 ff., 85, 91, 93 f., 97, 100 ff., 106 ff., 112 ff., 121, 132, 134, 137, 146, 149, 151 f., 188 ff., 198, 200, 203, 205 f., 212, 221 f., 235, 249, 253 ff., 258, 261, 263 f., 266, 269 siehe auch Einigung siehe auch Konsens siehe auch pactum siehe auch Willensübereinstimmung – Übereinkommen 44, 59, 62, 64, 66, 69 f., 73, 75, 81, 108, 248 – Übereinkunft 57 ff., 69, 73, 77, 89, 97, 104, 108, 149 – Willensvereinbarung 23, 28, 55 ff., 61, 80, 82, 86, 88, 90 f., 94, 109, 112, 115, 131, 134, 141, 173, 205, 211, 259 f., 264, 267, 271 Vereinigte Staaten von Amerika 37, 41, 51, 53, 237
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Personen- und Sachwortverzeichnis
– Nordamerika 122, 226 – Virginia 226, 231 Vereinigtes Königreich 53 Verfassung 162, 170 Verfügungsvertrag 101, 109 Verhaltensleitlinie 210, 260 Verhaltensregel 190, 212, 243, 273 Vernunft 80, 91, 99, 144 f., 150, 154, 161 ff., 165 f., 170, 188, 247 Vernunftrecht 167, 188 siehe auch Immanuel Kant Versprechen 57 f., 69 ff., 78 ff., 88 ff., 92 ff., 101, 103, 108 f., 119, 130 f., 133, 150 ff., 155 ff., 169 ff., 176, 181 f., 186 f., 190, 193, 200, 203, 205, 211, 255, 258, 267 siehe auch Annahme – Versprechenslehre 83, 85, 90 – Versprechenstreue 74 Vertragsabschluss 22, 33, 107, 112, 170, 186, 198, 203, 221, 248, 253, 267, 269 Vertragsbegriff 26, 88, 101 f., 104 f., 109, 148, 188, 249, 258, 265 – Vertragskonzept 27, 86, 90, 107, 109 Vertragsbindung 93, 104, 106, 109, 111 f., 137, 139 f., 145, 159 f., 170 f., 182, 207, 247, 261, 264 siehe auch pacta sunt servanda siehe auch Vertragstreue – Vertragsverbindung 149 Vertragsentstehungsvoraussetzung 34, 87 ff., 91, 94 f., 97, 102 f., 105, 107, 110, 112, 255, 269 Vertragsfreiheit 29, 31, 76, 112 ff., 121 f., 124 f., 128, 137, 139, 253 f., 256, 259, 261 ff., 269 f. – als normativ konstituierte Freiheit 247, 269 Vertragsmodell 26 f., 59, 94, 97, 99, 101, 106, 110, 133, 205 Vertragsprinzip 24, 62, 79 f., 82, 90 f., 150 Vertragstreue 80, 91, 109, 113 f., 137 f., 253, 256, 262 ff., 269 f. siehe auch pacta sunt sevanda Vertragstyp 59 f., 62, 64 f., 108, 257, 259 ff., 269 – Vertragstypenzwang 57, 59 Vertragsvereinbarung 19, 21, 30, 107, 113, 144, 262
Vertragswille 109, 103 Vestiturtheorie 65, 67 f. – vestimentum 64 ff. Volenti non fit iniuria 120 Vollstreckung 37, 69, 148, 193, 204, 265, 275 – Vertragsvollstreckung 183, 204, 265 f. – Zwangsvollstreckung 148, 183, 198, 200 ff., 266 Vorstaatliche Vertragstheorie 141, 145, 149, 159 f., 186 f., 190, 193, 202, 205, 207, 210, 212 f., 215, 224, 234 ff., 239, 245, 249, 265 Wall Street 46 Washington Consensus 31 Weltwirtschaftskrise 1929, 234 Werkvertrag 61 Werner Flume 25, 27, 257, 269 Wettbewerb, 50, 53, 124 f., 128, 201, 263 f. Wette 48, 261 f., 270, 272 Wille 65, 81, 87 f., 94, 101 ff., 105, 108 f., 111, 118 f., 131 f., 140, 147, 151, 158, 160 f., 168, 170 ff., 176, 185, 188, 192 f., 205 ff., 254, 269 Willenserklärung 59, 84, 95, 101, 109 f. Willensfreiheit 24, 84, 100, 114 ff., 121 f., 140, 145, 205, 259, 263, 266 siehe auch Nicolai Hartmann – Selbstbestimmung 116 ff., 140 f., 145, 210, 222, 263 f., 266 – Selbstbindung 109, 116, 118 f., 121, 147, 206, 263 – Selbstverantwortung 116, 119, 121, 263 Willensübereinstimmung 85 f., 91, 96 f., 101, 104, 140 Willensvereinigung 34, 102, 104, 134, 169 Wim Decock 65 Wirtschaft 30, 38, 100, 126 f., 201, 212, 235 f., 241 f. siehe auch Ökonomie – Rezession 210 – Wirtschaftliches Modell des Menschen 263 – Wirtschaftsakteur 28, 123, 125, 127 Wirtschaftstheorie siehe auch Adam Smith siehe auch Hans-Hermann Hoppe
Personen- und Sachwortverzeichnis siehe auch Jeremy Bentham siehe auch Liberalismus siehe auch Neoliberalismus siehe auch Österreichische Schule – Chicago school of economics 16 – Ordoliberalismus 208 – Orthodoxe Wirtschaftstheorie 215, 225 f., 233, 267 Wirtschaftswissenschaft 177, 181, 197 Wurunjerri 243 Wüstenbeispiel 146 f., 172, 174, 191, 200, 207, 209 f., 212, 214, 248, 265 siehe auch Gerhart Husserl – Globale Finanzwüste 271, 273 Xenophon
123, 125
Yegor Gaidar
321 212
Zahlung 38 f., 41, 49, 138 f., 220 ff., 229, 248, 272 Zahlungskette 223 Zinsen 41, 48, 125, 183, 222 siehe auch Geld Zünfte 186, 209 Zurechenbarkeit 120 Zustimmung 51, 79, 82, 84 f., 165, 173 Zwang 35, 200, 205, 266 Zweck-Mittel-Relation 124 ff., 137, 139, 263 f. Zwölftafelgesetz 61, 197