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German Pages 189 [191] Year 2000
Wissenschaftlicher Beirat: Klaus von Beyme, Heidelberg Yehezkel Dror, Jerusalem Emesto Martinez Diaz de Guerefiu, Bilbao Herfried Münkler, Berlin Marcelo Neves, Recife Stanley L. Paulson, St. Louis Hagen Schulze, Berlin Arno Waschkuhn, Erfurt
Staats verständnisse Herausgegeben von Prof. Dr. Rüdiger Voigt Band 1
Rüdiger Voigt (Hrsg.)
Der Leviathan
Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. (http://www.ddb.de) ISBN 3-7890-6757-1
1. Auflage 2000 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Editorial Das Staatsverständnis hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder grundlegend gewandelt. Heute sind wir Zeugen einer Entwicklung, an deren Ende die Auflösung der uns bekannten Form des territorial definierten Nationalstaats zu stehen scheint. Denn die Globalisierung fuhrt nicht nur zu einer Veränderung von Wirtschaftsabläufen, sondern sie hat vor allem auch Auswirkungen auf die Staatlichkeit. Ob die "Entgrenzung der Staatenwelt" irgendwann einmal zu einem Weltstaat führen wird, ist allerdings zweifelhaft. Als um so interessanter erscheinen die Ideen früherer und heutiger Staatsdenker, deren Modelle und Theorien, aber auch Utopien, uns Einblick in den Prozeß der Entstehung und des Wandels von Staatsverständnissen geben können, einen Wandel, der nicht mit der Globalisierung begonnen hat und nicht mit ihr enden wird. Im Grunde basieren alle Überlegungen über den Staat auf den Staatsideen von Platon und Aristoteles. Ihre Verdienste sind unbestreitbar, auf sie wird unter dem Leitthema "Wiederaneignung der Klassiker" daher immer wieder zurückzukommen sein. Der Schwerpunkt der in der Reihe Staatsverständnisse veröffentlichten Arbeiten soll allerdings auf den neuzeitlichen Ideen vom Staat liegen. Dieses Spektrum reicht von dem Altmeister Niccol6 Machiavelli, der wie kein anderer den engen Zusammenhang zwischen Staatstheorie und Staatspraxis verkörpert, über Thomas Hobbes, den Vater des Leviathan, bis hin zu Karl Marx, den sicher einflußreichsten Staatsdenker der Neuzeit, und schließlich zu den Weimarer Staatstheoretikern Carl Schmitt und Hermann Heller und weiter zu den zeitgenössischen Theoretikern. Nicht nur die Verfalschung der Marxschen Ideen zu einer marxistischen Ideologie, die einen repressiven Staatsapparat rechtfertigen sollte, macht deutlich, daß Theorie und Praxis des Staates nicht auf Dauer von einander zu trennen sind. Auch die Verstrickung earl Schmitts in die nationalsozialistischen Machenschaften, die heute sein Bild als führender Staatsdenker seiner Epoche trüben, weisen in diese Richtung. Auf eine Analyse moderner Staatspraxis kann daher in diesem Zusammenhang nicht verzichtet werden. Ein weiteres Anliegen der Reihe Staatsverständnisse ist es somit, neben staatstheoretischen Arbeiten auch Studien zur Praxis des heutigen Staates zu veröffentlichen. Und besonders willkommen sind solche Arbeiten, die bei des, die Staatsidee und ihre politischpraktischen Auswirkungen, miteinander zu verknüpfen suchen. In Monographien und Sammelbänden soll geprüft werden, was sich aus solchen Analysen fiir ein zeitgemäßes Verständnis des Staates entnehmen läßt. Diese Erkenntnisse könnten dann als Basis fiir die Begründung einer modemen Staatswissenschaft dienen. Getragen wird dieses Projekt zum einen von dem Institutfür Staatswissenscha/ten der Universität der Bundeswehr München, das die personelle, instrumentelle und organisa-
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torische Basis zur Verrugung stellt, zum anderen von einem Wissenschaftlichen Beirat aus namhaften Wissenschaftlern des In- und Auslandes, der der Reihe mit gutachterlichem Rat sowie mit eigenen Beiträgen zur Seite steht. Eine Schriftenreihe "lebt" vor allem von ihren Autoren und Autorinnen. Staatswissenschaftler und Staatswissenschaftlerinnen des In- und Auslandes sind daher eingeladen, ihre Beiträge in diesem Forum in deutscher oder englischer Sprache zur Diskussion zu stellen. Rfidiger Voigt
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Vorwort Am Anfang jedes Buches steht eine Idee, die zu realisieren sich Autor bzw. Herausgeber vorgenommen haben. Die diesem Sammelband zugrundeliegende Idee ist es, Thomas Hobbes (1588-1679), einen der wichtigsten Klassiker des Staatsdenkens der Neuzeit, einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Was würde sich dafür besser eignen als sein bekanntestes und bedeutendstes Werk, der Leviathan. Während die Figur des Leviathan vielen Menschen vertraut ist, haben sich doch die wenigsten von ihnen intensiver mit seinem Schöpfer, dem englischen Staatsphilosophen des 17. Jahrhunderts, beschäftigt. Es wäre ein schöner Erfolg dieses Bandes, wenn durch ihn die Neugier der Leser und Leserinnen auf "mehr Hobbes" geweckt worden sein sollte. Die Literaturhinweise am Schluß jedes Beitrags sollen den Zugang zu einer vertiefenden Lektüre erschließen. Dieses Buch steht nicht allein. Vielmehr ist es der erste Band einer neuen Reihe, die auf mehrere Bände hin angelegt ist. In der Reihe Staatsverständnisse sollen wichtige Staatsdenker bzw. Staatsideen in Form von Sammelbänden oder Monographien behandelt werden. Entstanden ist die Idee zu dieser Reihe und damit zu diesem Buch aus der Publikationsserie IjS-Nachrichten des Instituts für Staatswissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Ein Beitrag von Bemd Ludwig über Hobbes gehörte zu den ersten Heften der Serie, dem zahlreiche weitere Beiträge folgten. Privatdozent Dr. Bemd Ludwig gebührt aber nicht nur das Verdienst, den Anstoß zu dem "Projekt Hobbes" gegeben zu haben, vielmehr war er mir auch als Ratgeber eine wichtige Hilfe. Dafür sei ihm an dieser Stelle - vor allen anderen - gedankt. Zu danken habe ich darüber hinaus aber auch Dr. Thomas Schaber, der als zuständiger Lektor den Nomos Verlag von der Wichtigkeit dieses Vorhabens überzeugt hat. Und nicht zuletzt gilt mein steter Dank meinem Neubiberger Team, dem seit 1999 Dr. Ralf Walkenhaus angehört, der mit seinen fundierten Diskussionsbeiträgen viel zum Gelingen des Werkes beigetragen hat.
München, im Februar 2000
Rüdiger Voigt
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Inhaltsverzeichnis Einleitung
Rüdiger Voigt Der Leviathan. Zur Aktualität einer Staatskonzeption
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1. Hobbes' Leviathan: Revolution im Staatsdenken
Hermann Klenner Der Leviathan im Widerstreit der Staatsphilosophie
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Rüdiger Voigt Zwischen Despotismus und Friedensstaatlichkeit. Zur Staatskonzeption von Thomas Hobbes
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2. Naturrecht, Vertragsdenken, Souveränität und Völkerrecht
Wolfgang Kersting Der künstliche Mensch. Vertrag und Souveränität in der Hobbesschen Staatsphilosophie
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Bernd Ludwig Neuzeitliche Staatsphilosophie und das Erbe des Christlichen Naturrechts: Thomas Hobbes' Leviathan
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Dieter Hüning "Inter arma silent leges". Naturrecht, Staat und Völkerrecht bei Thomas Hobbes
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3. Hobbes' Politische Theologie
ArminAdam Allmacht, Nichtwissen und Ohnmacht. Thomas Hobbes' Politische Theologie
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Autorenverzeichnis
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Einleitung
Rüdiger Voigt
Der Leviathan. Zur Aktualität einer Staats konzeption
"Der Leviathan, der furchtlos-furchterregende, ist alt geworden. Er wird sich mit der Rolle als nützliches Haustier abfinden müssen" (Erhard Denninger)l.
"Der Staat ist tot - es lebe der Staat". Mit diesen auf die Kontinuität von Monarchien gemünzten Worten ließ sich Anfang der neunziger Jahre eine Trendwende in der Staatsdiskussion beschreiben. 2 Bei näherem Hinsehen erwies sich der bereits totgesagte ,Leviathan' als erstaunlich lebendig. Zwar hat der Staat - nach innen wie nach außen - viel von seiner Wirkungsmacht an andere Akteure verloren. Parteien und Verbände haben innenpolitisch die Macht übernommen3 . Internationale Organisationen wie die UNO, supranationale Zusammenschlüsse wie die Europäische Union, Militärbündnisse wie die NATO oder Vertragswerke wie der Atomwaffensperrvertrag schränken die Souveränität nach außen ein4• Die Globalisierung verstärkt diese Tendenzen zur Zangenbewegung. Von einem starken Staat kann kaum die Rede sein. Als furchterregendes Ungeheuer erscheint der demokratische Staat zu Beginn des 21. Jahrhunderts jedenfalls nicht. Aber ist er deswegen ein "nützliches Haustier" geworden, ist er also endgültig domestiziert? Nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch z.B. beim Eingreifen der polizeilichen Einsatzkommandos zur Verbrechensbekämpfung zeigt der ,Leviathan' durchaus seine Zähne. Wer dabei zwischen die Fronten gerät, begegnet dem Staat plötzlich mit neuem "Respekt". Wer hingegen in einem Land lebt, in dem Bürgerkrieg herrscht, wird sich nach einem starken Staat, der Sicherheit und Ordnung garantiert, geradezu sehnen. Zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens kann somit auf einen Kernbestand staatlicher Ordnungsmacht nicht verzichtet werdenS. Eben dies ist das große Thema von Thomas Hobbes (1588-1679) und seinem ,Leviathan' aus dem Jahre 1651.
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Denninger 1990: 29. "Le Roi est mort - vive le Roi!", vgl. Voigt 1998: 305. Vgl. Voigt 1995. Vgl. Zürn 1998. Erinnert sei hier nur an den Sachverständigen "Schlanker Staat", der unter dem Vorsitz von Rupert Schotz (CDU) zahlreiche Vorschläge zur Modemisierung von Staat und Verwaltung erarbeitet hat.
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1. Rückkehr zum Staat - Rückkehr zu Hobbes? Während die Figur des Leviathan in der staatswissenschaftlichen Diskussion häufiger auftaucht6, blieb die Beschäftigung mit dem englischen Staats denker Hobbes und seinem umfangreichen Werk bis vor kurzem eher den wenigen Eingeweihten überlassen7 • Vertreter der Philosophie und der Politischen Theorie schienen allein dazu berufen zu sein, Hobbes' Ideen und Prinzipien angemessen interpretieren zu können. Für die nicht aus der Philosophie kommenden Politikwissenschaftler8 bot sich demgegenüber eher die Beschäftigung mit anderen Theoretikern an. Zu den bevorzugten Denkern gehörte dabei besonders John Locke (1632-1704), weil seine auf Freiheit und Eigentum als unveräußerliche Grundrechte der Menschen gerichtete Theorie nahtlos zu einer liberaldemokratischen Gesellschaftsordnung zu passen schien9 • Nicht zuletzt die große Wertschätzung, die der Lockeschen Theorie in den USA zuteil wurde, diente zur Bestätigung der eigenen Auswahl 10. Auch die Gewaltenteilungslehre des Baron de Montesquieu (16891755t ließ sich problemlos zur legitimatorischen Absicherung des parlamentarischdemokratischen Rechtsstaats nutzen. Einer zumindest zeitweilig zu beobachtenden Abkehr der Politikwissenschaft von der "klassischen" Politischen Philosophie korrespondierte die gleichzeitige Hinwendung zu modischen systemtheoretischen Konzeptionen 12 • An die Stelle des Staates trat das politisch-administrative System, dessen Funktionsweise zu analysieren war, ohne daß der Forscher auf die Staatstheorie eines Hobbes hätte zurückgreifen müssen I3 • Die Politikwissenschaft sah ihre Aufgabe dementsprechend eher in der Systemkritik als in der auf der klassischen Philosophie basierenden theoretischen Erfassung des Staates l4 • Erst auf
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Schulze-Fielitz 1998: 95-120; Sto/leis 1994: 126-146. Siehe zur Dokumentation der Hobbes-Forschung: Willms 1979. Eine gewisse Nähe der meisten Politikwissenschaftlerlnnen zu den Forschungstraditionen und standards der "einschlägigen" Nachbardisziplinen Soziologie, Philosophie, Rechtswissenschaft und Geschichte scheint mir unverkennbar. Dabei wurde seine Kritik an Hobbes' ,Leviathan', soweit sei bekannt war, als weitere Bestätigung aufgefaßt. Hennis 1959: 1-23 [8]; Macpherson 1990; vgl. StonelBarke 1989: 27 f.; aus britischer Sicht: Heywood 1997: 43 tI Charles de Secondat, Baron de la Brede et de Montesquieu (Hauptwerk: ,De l'esprit des lois' [Geist der Gesetze], 1748). Hier sind vor allem die Arbeiten von Talcott Parsons und von Niklas Luhmann zu nennen, aber vor allem Narr 1969 und Naschold 1969 hatten ebenfalls erheblichen Anteil an der Durchsetzung der Systemtheorie in der deutschen Politikwissenschaft; zur systemtheoretischen Staatstheorie: Willke 1992. Eine wichtige Ausnahme bildete z.B. der Hobbes-Forscher Bernard Willms mit seiner Staatslehre, der allerdings in der Politikwissenschaft eine isolierte Position einnahm, Willms 1979a; zur Vernachlässigung der Theoriegeschichte in der Politikwissenschaft: Bermbach 1984: 9-31. So überschreibt Lenk seinen Beitrag über politische Philosophie, in dem er Hobbes ausftihrlich behandelt, in seinem - mit Abendroth zusammen herausgegebenen - Lehrbuch zur Einfiihrung in die
dem Umweg über die US-amerikanische Forschung lS fand der "Staat" zurück in den breiten Strom politikwissenschaftlichen F orschung l6 •
2. War Hobbes ein Machiavellist? Auch Niccolo Machiavellis (1469 - 1527)17 realistische Betrachtung der Staatsgeschäfte schien kaum der geeignete Ausgangspunkt fur eine Beschäftigung mit dem heutigen Staat zu sein. Machiavellis aus der politischen Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse waren durch die mit dem Begriff "Machiavellismus" verbundenen negativen Konnotationen allzusehr diskreditiert. Die "Anweisung zum Despotismus mittels List und Gewalt" 18 paßte nicht zu dem idealistischen, aber wirklichkeitsfremden Bild des Staates, das in Deutschland lange Zeit die Diskussion bestimmte. Dabei hat die Staatsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1170-1831), der zwar die Gesellschaft - ähnlich wie Hobbes - als Kampf aller gegen alle ansah, den Staat aber idealistisch überhöhte, ihre Spuren hinterlassen. "Der Staat hat zu seinem Zweck überhaupt das Sittliche. Er ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee, die zugleich zur vollkommenen Ausbildung ihrer Form gekommen ist,,19. Nur auf den ersten Blick war daher die Frage "War Machiavelli ein Machiavellist?" paradox, die Herfried Münkler im Jahre 1983 gestellt haeo. Denn mit ihr sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß Machiavellis Staatstheorie weit mehr ist als die mit seinem Namen verbundene Charakterisierung eines bestimmten politischen Verhaltens. Ähnliches gilt fur Thomas Hobbes, bei dem ebenfalls die Frage diskutiert wird, ob er ein Machiavellist gewesen see l . Und selbst Jean-Jaques Rousseaus (1712-1778) Lehre vom Gesellschaftsvertrag22 stand trotz ihrer augenfälligen Affinität zur Demokratie unter dem unguten Stern, daß sich totalitäre Regime oft genug auf die volonte generale zu berufen pflegten, auch wenn sie diese nicht beim Namen nannten. Nicht nur Rousseaus Ausgangspunkt, daß der Gemeinwille mehr sei als die bloße Summe der Einzelwillen, sondern vor allem die praktische Konsequenz daraus, nämlich daß es oberhalb des Gemeinwillens keinen höheren Willen gibt, an den man appellieren könnte, paßte geradezu perfekt in das Konzept un-
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politische Wissenschaft nicht zufllllig mit dem Titel "Politische Wissenschaft als Herrschaftsinstrument und Herrschaftskritik - Ein dogmengeschichtlicher Abriß", vgl. Lenk 1974: 25-53. Evans/Rueschemeyer/ScocpoI1985. Vgl. zur Entwicklung: Voigt (Hrsg.) 1998. Vgl. Machiavelli 1990. So wurde der Machiavellismus in einem politischen Taschenwörterbuch des Jahres 1849 sehr plastisch defmiert, zitiert nach Lenk 1998: 71-84 [75J. Hege11983: 208. Münkler 1983: 329-340. So etwa Hüning, der argumentiert, Hobbes sei kein machiavellistischer Machttheoretiker gewesen, siehe Hüning in diesem Band. Rousseau 1987: 16 ff.
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kontrollierter Machtausübung. Gewaltenteilung oder Kontrollmechanismen wie etwa eine Verfassungsgerichtsbarkeit, erschienen damit von vornherein als überflüssig. Aus dieser Perspektive hatte die Auseinandersetzung mit den Werken von Karl Marx (18181849) und Friedrich Engels (1820-1870) und vielen ihrer Epigonen Vorrang vor der Beschäftigung mit der älteren Staatsphilosophie. Marx' Lehre vom Absterben des Staates als notwendiger Endpunkt aller gesellschaftlichen Entwicklung paßte nur zu gut in das Weltbild einer idealistischen Linken. Der Kampf der Ideologien, in den die Politikwissenschaft naturgemäß besonders involviert war, wurde bis zum Ende der achtziger Jahre vom Ost-West-Gegensatz dominiert. In ihm konturierten zahllose Tabus, Denkverbote und Vorurteile die geistige Landschaft. Für einen auf Hobbes spezialisierten Vertreter der Politischen Theorie war es zu dieser Zeit fast unmöglich, in der Politikwissenschaft dieser Jahre Gehör zu finden23 . 3. Leviathan als Synonym für den Machtstaat
Unter diesen Vorzeichen hatte es Hobbes' ,Leviathan' besonders schwer, die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu erringen2\ stand er doch unter dem Verdacht, der Inbegriff des kalten Machtstaates zu sein. Ähnlich dem Verhältnis zwischen Machiavelli und dem Machiavellismus trat an die Stelle von Hobbes als Surrogat der "Hobbismus,m, zu dessen Markenzeichen der Leviathan wurde. Kein Wunder also, daß er in manchem Buchtitel als Synonym für einen solchen Staat verwendet wurde, ohne daß sich der Autor mit Hobbes wirklich beschäftigt hätte. Der Titel eines Buches von Gerda Zellen tin aus dem Jahre 1979 mag dafür als Beispiel dienen. Das Anliegen der Autorin, "Ökologische Aufklärung über politische Alternativen" zu betreiben, paßte gut in die Zeit. Aber erst der eindrucksvolle Buchtitel ,Abschied vom Leviathan'26 erzeugte die verkaufsfördernde Neugier des Lesers. Der Buchtitel sei "eher als Vorsatz zu verstehen, Auswege aus den sinnverkehrenden Teufelskreisen der herrschenden Staats- und Produktionsforrnen zu erkunden und den Fortschrittsglauben zu diesem Zweck auf seine Axiome zurückzuverfolgen", schrieb die Autorin in der Einleitung27 . Und im Orwell-Jahr 1984 lag die Assoziation des "Big Brother is watching you" mit dem Hobbesschen ,Leviathan' erst recht besonders nahe. Der Staat als "krumme, gewundene Schlange" (so die Übersetzung des hebräischen Wortes "Leviathan"), als eine 23 24
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Wilms 1979a: 9 ff. Die im Westdeutschen Verlag erscheinende Zeitschrift ,Leviathan' verwendet zwar das Titelbild der Erstausgabe als Logo, ist aber weniger der staatswissenschaftlichen als der sozialwissenschaftlichen Diskussion gewidmet. Demgegenüber fmdet sich ein Großteil der staatswissenschaftlich interessanten Beiträge in der bei Duncker & Humblot erscheinenden Zeitschrift ,Der Staat'. Lenk 1998: 75. Zellentin 1979; zur Verwendung des Begriffs "Leviathan" im Titel siehe auch: Denninger 1990. Zellentin 1979: 9.
den Menschen demütigende Naturgewalt? Warum hat Thomas Hobbes, der Staatsphilosoph des 17. Jahrhunderts, diesen Titel für sein größtes Werk gewählt? Ein ausschlaggebender Gesichtspunkt war dabei sicher die zentrale Bedeutung der Bibel in jener Zeit. Gerade auch das Alte Testament mit seinen überaus drastischen Geschichten durfte als bekannt vorausgesetzt werden. Es gehörte sozusagen zum Präsenzbestand damaliger Assoziationsmuster. Aus heutiger Sicht erscheint es aber trotzdem als riskant, sich des "Leviathan", also eines eindeutig negativ besetzten Symbols aus der BibeJ28 zu bedienen, wenn fiir ein bestimmtes als richtig erkanntes Staatsmodell geworben werden sollte. Und das wollte Hobbes zweifellos, denn von der Wahrheit dessen, was er mit seiner mathematisch exakten Wissenschaft ("Denken ist Rechnen") erkannt hatte und von der Notwendigkeit ihrer Umsetzung in die politische Praxis, war er zutiefst überzeugt. Einen naiven Fortschrittsglauben kann man Hobbes allerdings sicher nicht vorwerfen, eher eine gehörige Portion von Pessimismus, was die künftige Entwicklung der Menschen betrifft ("negative Anthropologie"), wenn ihr Aggressionspotential nicht durch den Leviathan gebändigt wird29 • 4. Der Bürgerkrieg als Ausgangspunkt
Der Schlüssel zur Antwort darauf, warum Hobbes sich der Figur des biblischen "Leviathan" bediente, könnte in den politischen Umständen und in den Besonderheiten der Epoche liegen, in der Hobbes sein großes Werk vollendete. Eine solche Sichtweise könnte darüber hinaus auch eine Erklärung dafür bieten, daß die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hobbes und seinen Werken nach einem langen "Dornröschenschlaf' gegenwärtig wieder erstaunlich aktuell ist, ja daß der ,Leviathan' geradezu eine "Renaissance" erlebt. Hobbes entwickelte seine Staatstheorie - von den ,Elements of Law' (1640) über ,De cive' (1642) bis hin zum ,Leviathan' (1651) in einer Zeit permanenter Bürgerkriege3D • Als 1647 die Revolution in England begann, floh Hobbes nach Frankreich. Für einen Philosophen, der in einer solchen Zeit lebt und schreibt, liegt der Gedanke nicht allzu fern, den "Naturzustand", das heißt die Abwesenheit staatlicher Ordnung, als Krieg aller gegen alle zu empfinden und mit allen Kräften nach einem Ausweg aus dem Chaos zu suchen. Ein starker Staat als Garant der inneren Sicherheit gewinnt in Bürgerkriegszeiten natürlich einen ganz anderen Stellenwert als in Friedenszeiten. Nicht zufällig erlangte der ,Leviathan' daher auch in Deutschland besondere Aufmerksamkeit in Krisenzeiten. Die Weimarer Republik befand sich vor allem in ihren letzten Jahren in einer permanenten 28 29 30
Buch Hiob, Verse 40,25-41,26 Hobbes spricht im ,Leviathan' (17. Kap.) von einer allgemeinen Gewalt, welche die Menschen "im Zaum halten und ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken soll". Vgl. Münkler 1991: 215-238.
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Staatskrise, die bedeutende Staatsrechtler und Politikwissenschaftler kommentiert haben. earl Schmitt, einer der Staatstheoretiker, die auch in der Zeit des Nationalsozialismus zu den Vordenkern gehörte, ist selbst als "deutscher Hobbes des 20. Jahrhunderts" apostrophiert worden31 . Schmitt hat sich nicht nur eingehend mit dem ,Leviathan' beschäftigt32, sondern auch dessen Bild zumindest in Deutschland, wenn nicht gar auf dem gesamten Kontinent, entscheidend mitgepräge 3. Er hat besonders pointiert herausgearbeitet, daß der ,Leviathan' für den Sicherheit und Ordnung garantierenden Staat, der ,Behemoth' (1679) hingegen für die alles verschlingende Revolution stehe. Seit dem Ende des "Gleichgewichts des Schreckens" sind in Europa Regionalkriege nicht nur wieder möglich, sondern sie werden auch mit aller Brutalität ausgetragen, wie die Balkankriege der letzten Jahre zeigen. Für die von solchen Regional- oder Bürgerkriegen betroffenen Menschen ist innere Sicherheit plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Eben noch in geordneten Verhältnissen lebend sehen sie sich oft von einem Tag zum anderen genötigt, Haus und Hof zu verlassen und in die Wälder zu fliehen, um das nackte Leben zu retten. Sicherheit wird damit zu einem wertvollen "Gut, das immer wieder neu gewonnen und verteidigt werden muß"34. Selbst die Hobbessche "negative Anthropologie", nämlich den Menschen als "Wolf unter Wölfen" anzusehen, gewinnt angesichts der Greueltaten in Bosnien und im Kosovo neue Plausibilität. Aus den verbrecherischen Aktivitäten von Unrechtsstaaten haben wir gelernt, daß nur der materiale Rechtsstaat, also der an eine Wertordnung sowie an Gesetz und Recht gebundene gewaltenteilende Staat, dessen Aktivitäten öffentlicher Kontrolle unterliegen, eine Garantie für ein menschenwürdiges Leben bieten kann.
s. Hobbes - ein moderner Staatstheoretiker? Allerdings geht es auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne einen starken Staat. Vielmehr führt ein schwacher Staat - zumindest in unruhigen Zeiten - zur Herausbildung außerstaatlicher Mächte. Bestenfalls sind dies Subkulturen, die sich gegenüber jeder staatlichen Einflußnahme abschotten, schlimmstenfalls sind es Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalitäe s. Eine Zivilgesellschaft kann hier lediglich als ein die Partizipation der Bürger organisierendes Korrekti"v dienen, sie kann den Staat jedoch keinesfalls ersetzen. Ohne eine gefestigte politische Ordnung, die freilich auf den Fundamenten von Menschenwürde und Grundrechten ruhen muß, scheint das Chaos jederzeit und
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Schelsky 1981: 5. Schmitt 1938. Vgl. Lenk 1998: 71-84; RumpjI972. Münkler 1993: 9. Das Nebeneinanderbestehen von (korrupter) Staatsrnacht und der "Mafia" in Rußland kann als Beispiel hierfür herangezogen werden.
an jedem Ort ausbrechen zu können36 • Die Herausforderungen für eine solche staatliche Friedensordnung im Innern sind im Zeichen der Glaubenskriege und der Wanderungsbewegungen verarmter und entwurzelter Massen so vielfältig und zahlreich geworden, daß es auch für die Politikwissenschaft an der Zeit ist, sich wieder intensiver mit dem Hobbes-Paradigma zu beschäftigen3'. Das gilt um so mehr fur eine erst im Entstehen begriffene neue Staatswissenschaft.
Thomas Hobbes wird in diesem Zusammenhang als ein moderner Staatstheoretiker angesehen. In den folgenden sechs Beiträgen wird deshalb versucht, das breite Spektrum der Hobbes-Forschung fur den interessierten Leser aufzublättern. Es reicht von der Staatskonzeption über das Vertragsdenken und die Ansätze einer Rechtsphilosophie bis zu völkerrechtstheoretischen Anknüpfungspunkten und schließlich zu Hobbes' Politischer Theologie. Es versteht sich von selbst, daß in einer Schriftenreihe, die dem Staatsverständnis wichtiger Staatsphilosophen und Staatstheoretiker gewidmet ist, keine umfassende Darstellung des behandelten Staatsdenkers und seines Werkes möglich ist. Das würde gerade im Falle des Thomas Hobbes und seines bedeutendsten Werkes ,Leviathan' den vorgegebenen Rahmen bei weitem sprengen. Statt dessen werden einzelne Facetten beleuchtet, die zum einen zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema anregen, zum anderen einer Rezeption der Klassiker des Staatsdenkens dienen sollen. Das dahinter stehende Ziel ist die Wiederbegründung einer Staatswissenschaft, die sich ihrer Ursprünge bewußt ist ohne die real existierende Vielfalt der Disziplinen, die sich aus ihrer spezifischen Sicht mit dem Staat beschäftigen, zu negieren. Vor diesem Hintergrund sind auch die folgenden Beiträge zu lesen. 6. Zu den Beiträgen im einzelnen Nach einer Einleitung des Herausgebers beschäftigt sich Hermann Klenner (Berlin) mit Thomas Hobbes' Verhältnis zum Staat. Er sieht den ,Leviathan' als ein revolutionäres Buch, dessen Kardinalgedanke die gegenseitige Beziehung zwischen Schutz und Gehorsam ist. Seine (rhetorische) Frage lautet: Kann man das Funktionieren der Staatsgewalt ohne Schaden :fur die Demokratie von seiner Entstehung abkoppeln? Nach Klenner ist es Hobbes, der den "radikalste[n] Bruch zwischen [... ] der feudalen und der bürgerlichen Staatsphilosophie vollzog". Rüdiger Voigt (München) setzt sich in seinem Beitrag "Zwischen Despotismus und Friedensstaatlichkeit" mit der Staatskonzeption von Thomas Hobbes auseinander und sucht dabei nach Anknüpfungspunkten :fur eine modeme Staatswissenschaft. Dabei geht er von der doppelten Zeitbedingtheit der Hobbesschen
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Die RAF-Hysterie nach dem Tod von Arbeitgeberpräsident Schleyer zeigt dies exemplarisch. Lenk 1998: 71.
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Staatstheorie aus. Nicht nur der Autor entstammt einer bestimmten Epoche, sondern auch sein Werk läßt sich ideengeschichtlich verorten.
Wolfgang Kersting (Kiel) analysiert den Zusammenhang von Vertrag und Souveränität bei Hobbes. Der Staat ist danach ein künstlich geschaffener politischer Körper ("body politic"), der von Hobbes nach dem Vorbild der personalen Einheit modelliert worden ist. Durch den vertraglichen Rechtsverzicht der Bürger zugunsten des Souveräns erhält dieser seine legitime absolute Macht, die lediglich durch den Friedenszweck funktional begrenzt ist. Eine Letztinstanz über dem Leviathan kann es daher nicht geben. Bernd Ludwig (München) untersucht die Beziehung zwischen Hobbes' Legitimationstheorie und dem Erbe des Christlichen Naturrechts. Ausgehend von der Hobbesschen Erkenntnis, daß Wissenschaft ein Produkt der Sprache ist, umreißt Ludwig eine anschlußfähige Rechtstheorie. Deren Kernbestandteil ist Hobbes' (raffinierte) Lösung des Problems der Verbindlichkeit der Naturgesetze, nämlich als eine Theorie der Selbstverpflichtung. Das Umstürzlerische38 darin ist: "Der Grund der Verbindlichkeit der Staatsgewalt liegt allein im Willen des einzelnen Bürgers". Dieter Hüning (Marburg) geht unter dem Motto "Inter arma silent leges" der spannenden Frage nach, inwieweit Hobbes Erkenntnisse fiir die Völkerrechtslehre nutzbar gemacht werden können. Zwar hat dieser keine eigene Theorie des Völkerrechts vorgelegt, fiir Individuen wie fiir Staaten gilt allerdings gleichermaßen seine Prämisse, daß sich ihr "natürlicher Zustand" nur als Krieg aller gegen alle begreifen läßt. Das Völkerrecht ist also - nach Hobbes - nichts anderes als die Anwendung des Naturrechts auf die internationalen Beziehungen. Allerdings führt dieses, wie Hüning zeigt, ebensowenig zur Beendigung des internationalen Kriegszustandes wie völkerrechtliche Verträge. Ausgehend von der Tatsache, daß immerhin die Hälfte des ,Leviathan' der Abwehr kirchlicher Machtansprüche gewidmet ist, entfaltet Armin Adam (München) Thomas Hobbes ' Politische Theologie. Als deren Kern definiert Adam in seinem Beitrag "Allmacht, Nichtwissen und Ohnmacht", daß der Friede nur durch einen sterblichen Gott, daß politische Ordnung nur unter der Herrschaft von Gottes Statthalter, aber eben nicht durch Gott selbst, möglich ist. Mit anderen Worten: Die politische Theologie spielt keine Rolle bei der Begründung des Staates, sie ist in legitimatorischer Hinsicht ohne Bedeutung. Das Fazit: Der Gott des Leviathan ist politisch tot, das ist die Bedingung der Souveränität. Was bleibt also von dem Werk des großen europäischen Staatsdenkers fast 350 Jahre nach dem Erscheinen des ,Leviathan' für uns Heutige? Die hier versammelten Beiträge haben gezeigt, daß Hobbes ' Gedanken nichts von ihrer Anziehungskraft verloren haben.
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Hüning spricht in diesem Zusammenhang von "geltungstheoretischer Revolution", Hüning in diesem Band.
Der oft genug bereits totgesagte Leviathan ist so lebendig wie zu seiner Geburt. Hobbes Staatstheorie kann daher im wahrsten Sinne des Wortes als klassisch bezeichnet werden.
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Literatur
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1. Kapitel Hobbes' Leviathan:
Revolution im Staatsdenken
Hermann Klenner
Der Leviathan im Widerstreit der Staatsphilosophie Der ,Leviathan' gehört zu den allerbedeutendsten Werken der staatsphilosophischen Weltliteratur. Thomas Hobbes (1588 bis 1679) schrieb ihn im monarchischem Frankreich, wohin er vor der englischen Revolution geflüchtet war. Publiziert aber hat er den 396-Seiten-Band im republikanisch gewordenen England, London 1651. Nicht erfüllt hat sich allerdings seine Hoffnung, daß dieses Meisterwerk über ,Materie, Form und Macht eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens' an den Universitäten als Lehrbuch oder gar von einem Herrscher in die Nützlichkeit der Praxis überführt werden würde.' Eher im Gegenteil. Nachdem er ein prächtig gebundenes ,Leviathan'-Exemplar dem ebenfalls exilierten Sohn des unter Cromwell hingerichteten Charles 1, dem späteren König Charles Il., überreicht hatte, wurde er als "Vater der Atheisten" von dessen Hof verbannt, weshalb er zurück nach Cromwells England flüchtete, wo er glaubte, sicherer zu sein als sonst irgendwo. Doch Armee und Parlament restaurierten wenige Jahre später die Stuart-Monarchie, unter der dann eine parlamentarische Untersuchungskommission gegen "the Book ofMr. Hobbs, called the Leviathan" ihre Arbeit aufnahm. Für seine eigene (leicht entschärfte) Übersetzung des ,Leviathan' in die europäische Gelehrtensprache Latein verweigerte man ihm in London ebenso die Druckerlaubnis wie für Behemoth, seine historisch-kritische Analyse der englischen Revolution. In etwa einhundert Pamphleten und Pasquillen, Broschüren und Büchern wurde eine literarische Hexenjagd ohne gleichen auf des "Rebellentrompeters" ,Leviathan' veranstaltet; Bischof Bramhall und Ex-Lordkanzler Clarendon beteiligten sich daran. 2 Selbst im damals freiesten Land Europas, den Niederlanden, stellte man Druck und Verkauf des ,Leviathan' unter Strafe. Roms Kirche verhängte gegen Hobbes ein Opera-OmniaVerbot. Schließlich rallte die Universität in Oxford ein Verdarnmungsurteil: der ,Leviathan' sei öffentlich zu verbrennen, da in diesem Buch ihres einstigen Studenten zu Atheismus, Rebellion und Königsrnord aufgehetzt werde. 3
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Vgl. Hobbes 1994: Eh 254, 491; Hobbes 1996. Im folgenden werden zwei Leviathan-Varianten zitiert. Die erste, von Richard Tuck besorgte Ausgabe (Hobbes 1994) und die erste vollständige, von JuUa Schlösser vorgenommenen Leviathan-Übersetzung ins Deutsche (Hobbes 1996), mit Einfiihrung, Chronologie, Bibliographie, Anmerkungen und Register herausgegeben von Hermann Klenner. Tricaud 1988: 160 ff. Kenyon 1973: 471: "The Judgement and Decree ofthe University ofOxford, passed in their Convocation, Ju1y 21, 1683, against pemicious books".
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Der ,Leviathan' ist inmitten der sich über Jahrzehnte hinziehenden englischen Revolution (von Hobbes auch so bezeichnet!)4 geschrieben worden. Es ist auch ein revolutionäres Buch, nicht in dem Sinn, daß sich sein Anliegen während eines regional-temporalen Bürgerkrieges in der Parteinahme für die monarchische oder die parlamentarische Seite erschöpft hätte, wohl aber in dem Sinn, daß sich in dieser Monographie der radikalste Bruch zwischen der mittelalterlichen und der neuzeitlichen, der feudalen und der bürgerlichen Staatsphilosophie vollzog. Hobbes selbst sah sich auch als ein in diesem Sinn Radikaler: die ganze europäische Philosophie vor ihm habe aber auch gar nichts zur Wahrheitserkenntnis von Staat und Recht beigetragen; die Staaten- und die Bürgerkriege allüberall seien der unwiderlegbare Beweis dafür, daß die Menschheit, die doch statt an permanenten Metzeleien an einem fortdauernden Miteinander interessiert sei, ihre Ordnungsprobleme nicht beherrsche, und sie beherrsche diese nicht, weil sie die Ursachen von Krieg und Frieden, den Wurzeln allen Unheils, nicht kenne, und sie kenne diese Ursachen nicht, weil die ganze bisherige Sozialphilosophie vollständig versagt habe; eine ihres Namens werte Staats- und Bürgerphilosophie ("civil philosophy") beginne erst mit seinem eigenen Werk. 5
I. Hobbes' unüberbrückbare Gegensätze zu den Vor-, Mit- und Nachdenkern So ungeheuerlich dieser Anspruch des Thomas Hobbes ist, so berechtigt ist jedenfalls seine Feststellung, daß zwischen seiner Herangehensweise an das Kriegs- und Bürgerkriegsproblem und derjenigen seiner Vorgänger Welten klaffen. Es hat tatsächlich durch ihn eine Revolution im Staatsdenken stattgefunden. Der bedeutendste Historiker des englischen 17. Jahrhunderts spricht denn auch von einer durch Hobbes vollzogenen "revolution in political thought,,6. Um diese für uns Heutige nachvollziehbar zu machen, sei das intellektuelle Profil von Hobbes anhand von unüberbrückbaren Gegensätzen zu seinem Vor-, Mit- und Nach-Denkern dargestellt. 1.
Während Aristoteles den Menschen als ein von Natur aus auf ein gesellschaftliches Miteinander im Staat angelegtes Wesen (zoon politikon) begriffen und dabei die soziale Ungleichheit der Menschen, was ihre Macht, ihren Reichtum, ihren Stand anlangt, als natürlich, also vorgegeben charakterisiert, also auch die Herr-und-Knecht-Struktur der
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Hobbes 1969: 115 ("civil war"), 204 ("revolution"), Hobbes 1994a: 127 ("civil war"), 491 ("disorder ofthe present time", "revolution"). Hobbes 1997: 5,21. Hill1986: 267.
Gesellschaft als gerecht legitimiert hatte 7, ging Hobbes von der natürlichen Gleichheit aller Menschen aus 8 : nature has made men equal. Wenn aber die Natur, so argumentierte Hobbes 9 die Menschen in ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten bei aller sonstigen Verschiedenheit derart gleich geschaffen hat, daß kein Mensch irgendeinen Vorteil, Profit oder Rang fiir sich beanspruchen kann, den ein anderer nicht ebensogut fiir sich fordern könne, dann entstehe aus dieser natürlichen Gleichheit der Interessen und Befahigungen eine allgemeine Konkurrenz und aus dieser Konkurrenz, da der Mensch dem Menschen ein Wolf ("homo homini lupus") ist, entstehe schließlich der Krieg aller gegen alle ("bellum omnium contra omnes").lO Um dieses NaturzustandsChaos zu beenden, in dem das Leben aller Menschen, "einsam, armselig, vertiert und kurz sei" 11, würde man eine Ordnungsrnacht und ein Ordnungsreglement benötigen, also Staat und Recht. Statt Anarchie zum Beispiel Monarchie. 2.
Den Auffassungen der Scholastiker, die in ihren großen Werken die Philosophie der Theologie, das Recht der Religion und den Staat der Kirche subordinierten, trat Hobbes frontal entgegen. Gegenstand der Philosophie seien jegliche Körper, deren Erzeugung und Wirkung wir begrifflich zu erfassen vermögen, wobei die unbekannten Ursachen von Phänomenen aus ihren bekannten Wirkungen auf rationale Weise zu erschließen seien, weshalb Philosophie die Theologie von sich ausschließe?12 Während Thomas von Aquin (1225-1274) das menschliche Gesetz (lex humana) von einem Naturgesetz (lex naturalis) ableitete, das wiederum dem ewigen, dem Gottesgesetz (lex aeterna, lex dei) entstamme,13 beharrte Hobbes auf dem irdischen Ursprung von Menschenordnung und Menschensatzung. Es sei der Menschen Angst vor Elend und Mord sowie ihre Sehnsucht nach Sicherheit von "property, labour, life and liberty", die sie im Naturzustand ("state of nature") des kriegerischen Gegeneinanders dem friedlichen Miteinander einer bürgerlichen Gesellschaft ("civil society") geneigt machen; die einem jeden angeborene Vernunft weise den Weg: Aus einem Krieg aller gegen alle ("a war of every man against every man") gelange man nur durch einen Vertrag aller mit allen ("covenant of every man with every man") zu einem den Bürgerkrieg ("civil war") als endgültig beendenden Bürgerfrieden ("condition of peace"), daß ein Staat etabliert wird, auf den ein
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Aristoteles 1981: 47-56 (l225a-1255); ausdrücklich dagegen: Hobbes 1994b: lOS, 126. Hobbes 1994: 107. Hobbes 1996: 102. Hobbes 1983: 73, 131; vgl. auch: Nida-Rümelin 1996: 109 ff.; Klenner 1989. Hobbes 1996: 105; Hobbes 1994: 89. Hobbes 1997: 23, 247. Aquin 1885: 433 ff. (I-lI, 91-95).
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jeder bedingungslos und unwiderruflich seine gesamte Macht überträgt. 14 Dem so entstandenem Gemeinwesen (commonwealth civitas) gleiche wie einst dem biblischen Leviathan auf Erden niemand. 15
3. Der im Voranstehenden thematisierte Gegensatz zwischen einem vom Gesetz Gottes abgeleiteten Staat und Recht einerseits und andererseits einer in der Vernunft und den Leidenschaften der Menschen l6 wurzelnden, durch Gesellschaftsvertrag, also auf demokratische Weise entstandenen Ordnung ist nicht bloß theoretischer Art. Wenn nämlich das Diesseits von Gesetzen regiert wird oder zumindest regiert werden sollte, die vom Jenseits erlassen wurden, liegt der Gedanke nahe, daß diejenigen, die sich für die geistlichen Stellvertreter Gottes auf Erden halten, auch letztendlich zu entscheiden beanspruchen, welche irdische Ordnung der überirdischen entspricht und welche als ihr widersprechend gar kein wirkliches Recht, keine lex, sondern pure Gewalt, legis corruptio, sei und welche Rechtsdenker als Ketzer zu verurteilen seien. Da es weit schwerer wiege, den Glauben zu entstellen als Geld zu fälschen, liege auf seiten der Häretiker eine Sünde vor, durch die sie verdient haben, nicht nur aus der alleinseligmachenden Kirche auszuscheiden, sondern auch durch ihren Tod von der Welt ausgeschlossen zu werden ("non solum ab ecclesia per excommunicationem separari, sed etiam per mortem a mundo excludi")Y Und Papst Pius V. hat 1570, als "Vicarius Christi" Unfehlbarkeit beanspruchend, mit seiner Bulle "Regnans in excelsis" Queen Elizabeth von England als angebliche Häretikerin für abgesetzt erklärt und ihre Untertanen vom Treueid entbunden; daß die zur Exekution ausgesandte spanische Armada (im Geburtsjahr von Hobbes!) ebenso wie der katholisch abgesegnete Mordversuch an jener "verruchten Frau von England" scheiterte, war gewiß nicht das Verdienst des Pontifex Romanus. ls Kein Wunder, daß Hobbes den bedeutenden Spätscholastiker Franciscus Suarez (15481617), der genau mit jenem Ableitungszusanunenhang zwischen göttlichem, natürlichem und menschlichem Recht den Papst legitimiert hatte, einen häretischen König seines Amtes zu entheben und einen anderen Machthaber mit einer Invasion zu beauftragen,19 besonders scharf attackierte.
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Hobbes 1994a: 109 ff.; Hobbes 1994: 86 ff., 117 ff.; Hobbes 1983: 130 ff. Hiob, Kap. 41, Vers 25: "non est potestas super terram quae comparetur ei". Hobbes 1994: 90: "passions and reason". Aquin 1980: 540 (li-lI. 11 ad 3). Mirbt 1924: 348, 352. Suarez 1971: 40 ff.; Suarez 1616: 6, 4, 16, 19. Dieses Werk wurde in England öffentlich vor dem Saint Paul' s Cross verbrannt.
4.
In Übereinstimmung mit seinen Theologen, die Gott zum unsichtbaren König und den König zum sichtbaren Gott verklärt hatten ("The King is a God upon earth, God is a King in heaven"), hat König James 1. (1566-1625) seine Macht über Leben und Tod aller seiner Untertanen unmittelbar von Gott abgeleitet: Könige seien Gottes Stellvertreter auf Erden und Parlamente "nothing else but the head Court of the King and his vassals,,2o. Hobbes hingegen setzte zwar auch die dem Leviathan zustehende Macht absolut, ließ diese aber durch einen Gesellschaftsvertrag gleichberechtigter Menschen generieren und durch einen (monarchischen oder parlamentarischen) Souverän exekutieren; gleichermaßen rechtfertigte er Monarchie, Demokratie und Aristokratie als mögliche Regierungsformen des vertraglich (also demokratisch!) entstandenen Gemeinwesens, auch wenn er persönlich die Monarchie bevorzugte. 21 Es war deshalb nur folgerichtig, daß Sir Robert Filmer (1588-1653), der seinerseits die jeweilige Königsgewalt samt deren "Vasallenparlament" vom biblischen Adam (!) herleitete, dem sie von Gott selbst übertragen sei, zwar mit den absolut gesetzten Rechten des Souveräns übereinstimmte, wie sie im ,Leviathan' behauptet werden, nicht aber mit der Art und Weise, wie dessen Autor diese Rechte entstehen und enden ließ ("these doctrines are destructive to all government whatsoever")22.
5.
Während der Republikaner John Milton (1608-1674) das Volk für berechtigt erklärte, seinen König abzusetzen, und zwar wann immer "they shall judge it for the best", denn jede Obrigkeit leite ihr Regierungsamt ursprünglich vom Volk her23 , hat Hobbes zwar die Macht des Souveräns auf die Zustimmung jedes einzelnen zum Gesellschaftsvertrag zurückgefiihrt, das dergestalt entstandene Gemeinwesen aber dem Volk gegenüber rur unverantwortlich erklärt; er ergänzte Freiheit und Sicherheit der Bürger durch den Staat nicht durch deren Freiheit und Sicherheit auch vom Staat. Milton hatte übrigens seine aus der Volkssouveränitätskonzeption abgeleitete Revolutionsthese im Februar 1649 publiziert, also unmittelbar nachdem der vom Parlament eingesetzte High Court of Justice King Charles 1. als Tyrannen zum Tode verurteilt hatte; das Urteil war am 30. Januar 1649 vollstreckt worden?4 Der Untertitel von Mi/tons Pamphlet besagte, daß es rur alle, die hierzu die Macht haben, rechtens sei, einen Tyrannen oder schlechten König
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Finch 1759: 81; James I. 1965: 62, 305 f. Hobbes 1994: 129 ff.; Hobbes 1996: 156 ff. Filmer 1991: 57,195. Mitton 1962: 206 (dt.: Milton 1987: 79).
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V gl. den Abdruck der Anklageschrift gegen König Charles I., dessen "Reasons for declining the jurisdiction ofthe High Court of Justice" sowie das Todesurteil, bei: Gardiner 1979: 371 ff.
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("wicked King") bei ordnungsgemäß erwiesener Schuld abzusetzen und hinzurichten! Der Vater von Charles 1., der oben erwähnte James 1., hatte nicht etwa bestritten, daß es schlechte Könige gebe, wohl aber gefordert, daß das Volk auch für deren Wohlergehen zu beten habe, denn "a wicked King is sent by God for a curse to his people and a plague for their sins".25 Hobbes jedenfalls ließ den Demokratismus seiner Rechtsphilosophie beim Inhaber der Staatsgewalt abbrechen, indem er ihn jeglicher Volkskontrolle darüber entzieht, ob er auch, wie es seine Pflicht sei, seiner Untertanen labour, life and liberty26, Warenproduktion und -zirkulation, Industrie, Wissenschaft, Kultur, Steuergerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit für die Armen und die Reichen wirksam schützt. Die Zwangsgewalt des Leviathan erstrecke sich allerdings weder auf den bloßen Glauben noch auf das bloße Denken27 ; sie setze überdies ihre gesetzliche Normierung voraus 28 , woraus sich das Rückwirkungsgebot von Strafrecht ergebe: "no law made after a fact done, can make it a crime,,29; sie wäre ohne Rechenschaftspflicht gegenüber den Untertanen so lange, aber nicht länger, "than the power lasts by which he is able to protect them,,3o.
6. Während die sogenannten Leveller in ihren zwischen 1647 und 1649 publizierten Pamphleten Staat und Regierung nur dann als rechtmäßige Gewalten anerkannt hatten, wenn diese durch das Volk nicht nur in einem einmaligen Akt, sondern permanent, zumindest in periodisch abgehaltenen Wahlen konstituiert werden, hat Hobbes gerade die Unteilbarkeit der Staatsgewalt für notwendig erklärt, um den natürlichen Bürgerkriegszustand endgültig in einen gesellschaftlichen Bürgerfrieden ohne Rückfallgefahr überzuleiten; Gewaltenteilung sei Gewaltenauflösung 31 . Demgegenüber haben Lilburne, Overton, Rainsborough, Walwyn darauf bestanden, daß alle Menschen gleichermaßen frei geboren seien und auch frei bleiben müssen, weshalb "lawful power" voraussetze, daß diese "by mutual consent and agreement" entstanden sei und auch so bleibe; damit sollte der Gesellschaftsvertrag in der Form eines "Agreement of the People", das Entstehungsdokument des Gemeinwesens, zugleich auch sein Verfassungsdokument werden. 32
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James 1.1965: 67. Hohhes 1994: 87. Hobbes 1994: 323,471; Hohhes 1996: 396, 574. Hobbes 1994: 188; Hobhes 1996: 229. Hobbes 1994: 203. Hobbes 1994: 153. Hohbes 1994: 225; Hohhes 1996: 276. Morton 1975: 137 f., 263 f.; vgl. die Erörterung der Leveller-Theorien bei Brocker 1995: 89 ff.
Mit ihren Forderungen dieser Art stießen die damaligen Volkssouveränitätspolitiker auf den Widerstand auch der Cromwellpartei: Wenn es ein angeborenes Recht jedes Engländers gebe, diejenigen zu wählen (und zur Rechenschaft zu ziehen), die ihn regieren, dann sei auch das Eigentum in Gefahr: "by that same right of nature, that you pretend by which you can say, one man has an equal right with another to the choosing of hirn that shall govern hirn - by the same right of nature he has the same equal right in any good he sees; [... ] liberty cannot be provided for in a general sense, if property be preserved".33
7. Während - insofern übereinstimmend - Cromwell wie Hobbes das Eigentum der Eigentümer fiir den fundamentalsten Teil der Verfassung hielten und ihm, da es gemeinsam mit dem Gemeinwesen entstehe3\ die Freiheit der Untertanen unterordneten, haben die sogenannten Wahren Leveller unter Gerrard Winstanley (1609-1676), das Privateigentum, speziell das der Grundbesitzer, zum Freiheitshindernis für das einfache Volk erklärt und es, da es ohnehin auf Diebstahl am Gemeineigentum beruhe, ebenso abzuschaffen vorgeschlagen wie die Monarchie. Die entscheidenden Passagen zweier Flugschriften von 1649 lauten: "Every single man, male and female (!), is a perfect creature ofhimself [... ], none shall dare to seek a dominium over others [... ]; we lay the foundation of making the earth a common treasury for all, both rich and poor [... ]; civil property is the curse [... ]; these landlords have thus stolen the earth from their fellow creatures; the horrible cheating that is in buying and selling [... ] that govemment which was got by conquest and sword".3s In den vorausstehend vorgeführten sieben Meinungsgegensätzen zwischen der Leviathan-Konzeption und der von Aristoteles bis Winstanley reflektieren sich auch Interessengegensätze. Es handelt sich eben nicht nur um Interpretationsprobleme oder sich durch den Zeitverlauf ergebende zusätzliche Problembereiche. Daß Hobbes glaubte, die Brücken zu allen seinen Vordenkern abgebrochen und etwas vollständig Neues, ja erstmalig eine der Wirklichkeit gerecht werdende Staatsphilosophie geboten zu haben, ist gewiß ein Irrtum; vergleichbares haben sich auch andere große Geister geleistet. Als Einsamer war er in besonderer Weise der Gefahr ausgesetzt, "incapable to admit his errors" zu sein. 36
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Comrnissary General Henry Jreton (1611-1651) während der offiziellen Verhandlungen mit den Levellem, in: Woodhouse 1974: 57, 73. Hobbes 1994: 100; Hobbes 1996: 120. Winstanley 1965: 247 ff., 269 ff. (dt.: Winstanley 1988: 17ff., 39 ff.); vgl. Hill1991: 387 ff. So das Urteil von immerhin Christiaan Huygens (1629-1695), in: Hobbes 1994c: 537.
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II. Reaktionen und Erkenntnisse der Hobbes-Rezeption
Gleichwohl würde man seiner Bedeutung nicht gerecht werden, übersähe man bei allen Kontinuitäten, die zwischen ihm und seinen Vor-Denkern bestehen, die Diskontinuität zwischen seiner und der Staatsphilosophie besonders von Aristoteles. Dessen bei den scholastischen wie bei den anglikanischen Theologen unangefochtene Autorität (Thomas von Aquin nannte ihn den Philosophen schlechthin, fiir Richard Hooker war nur er der Erz-Philosoph, fiir Hobbes aber nur noch der Schein-Philosoph!37) galt es zu brechen, wenn man, wie Hobbes, die Herr-und-Knecht-Struktur der Gesellschaft eben nicht als naturgegeben und daher unveränderbar legitimieren wollte. Dabei konnte er sich methodisch auf den großen Weichensteller fur die neuzeitliche Wissenschaftsentwicklung Francis Bacon (1561-1626), dem er in früheren Jahre als Amanuensis gedient hatte, berufen: "To go beyond Aristotle by the light of Aristotle is to think that a borrowed light can increase the original light from whom it is to taken; knowledge is like a water that will never arise again higher than the level from which it fell. ,